Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten
Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/2664 Wir beginnen die Fragestunde mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur
Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting auf:
In welcher Form bestehen personelle und inhaltliche Überschneidungen zwischen der am Institut für Friedensforschung
und Sicherheitspolitik ({0}) eingerichteten Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ und der vom
Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, berufenen
Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr”?
Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Nolting,
auf Ihre Frage möchte ich in folgender Weise antworten:
Sie als Mitglied des Verteidigungsausschusses wissen
natürlich, dass Bundesminister Scharping die Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ unter Leitung des früheren Bundespräsidenten
Dr. Richard von Weizsäcker im Mai 1999 eingesetzt hat.
Grundlage für die Einsetzung dieser Kommission waren
die aktualisierte Risikoanalyse und die vom Führungsstab der Streitkräfte, aber auch von den zivilen Mitarbeitern erarbeitete Bestandsaufnahme der Bundeswehr, die
uns seit März 1999 vorliegen.
Ziel der Kommission, die der Bundesminister eingesetzt hat, ist, uns, dem Parlament, der Bundesregierung
und dem Bundesminister, vor allen Dingen Optionen für
eine künftige Bundeswehrstruktur vorzulegen. Die Mitglieder der Kommission repräsentieren ein Spektrum politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bereiche. Die Kommission hat vor, im Mai 2000 Empfehlungen vorzulegen. Sie arbeitet völlig unabhängig.
Die seit Dezember 1999 am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg eingerichtete Kommission „Europäische Sicherheit
und Zukunft der Bundeswehr“ geht nach meiner Information auf Initiative des Institutsleiters Professor Dr.
Lutz zurück. Nach meinem Wissen besteht keine personelle Überschneidung zwischen beiden Kommissionen.
Das Institut - es ist ja eine Landeseinrichtung - arbeitet
selbstständig und wird vom Bundesminister der Verteidigung auch finanziell nicht unterstützt. Inhaltliche
Überschneidungen sind natürlich aufgrund ähnlicher
Aufgabenstellungen nicht auszuschließen, aber von uns
in keiner Weise beabsichtigt.
Zusatzfragen, Herr Kollege Nolting?
Ja. - Frau
Staatssekretärin, welchen Sinn sehen Sie darin, dass es
jetzt mehrere Kommissionen gibt, die inhaltlich doch
ähnlich arbeiten, und beabsichtigt das Verteidigungsministerium, die Ergebnisse des Instituts in irgendeiner
Form auch auszuwerten?
Kollege Nolting, wenn ich
richtig unterrichtet bin, ist nicht nur das wissenschaftliche Institut daran beteiligt; vielmehr hat auch der Deutsche Bundeswehr-Verband eine Kommission gebildet.
Er hat Sie und andere als Sachverständige befragt. Ich
halte es angesichts der so wichtigen Frage, wie die
Struktur der Bundeswehr verändert werden soll, im
Prinzip für sinnvoll, dass uns möglichst viel Sachverstand zur Verfügung gestellt wird.
Aber auch ich war ganz überrascht: Erst aufgrund Ihrer Frage bin ich überhaupt in Kenntnis gesetzt worden.
Ich wusste bis dahin gar nicht - deswegen herzlichen
Dank -, dass es eine solche Einrichtung gab und wer
sich an ihr beteiligt. Warum sollen wir nicht durch Leute
klüger werden, die uns ein intelligentes Papier vorlegen?
Eine
weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Nolting.
Aber, Frau
Staatssekretärin, sehen Sie nicht wie ich das Problem,
dass dieses Institut die Kommission - um das vorsichtig
zu formulieren - politisch sehr einseitig ausgerichtet besetzt hat?
Auch ich habe mir meine
Gedanken gemacht, als ich die Zusammensetzung der
Kommission zur Kenntnis genommen habe. Aber ich
muss an Sie appellieren: Wenn Vertreter der Bundeswehruniversität dabei sind, die nicht wir, sondern die
Vorgängerregierung berufen hat, wenn Fachleute dabei
sind, dann kann ich nicht von vornherein den Eindruck
haben, dass die Kommission einseitig besetzt worden ist.
Wir werden ja sehen, welche Ergebnisse sie vorlegt,
Herr Kollege Nolting.
Gibt es
weitere Fragen zu diesem Komplex? - Das ist nicht der
Fall. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen 2 und 3 werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Christine
Ostrowski auf:
Aus welchen Haushaltsmitteln wird die Bundesregierung die
Umsetzung des Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes
vom 22. Dezember 1999, namentlich des § 34, der die generelle
Erstattung von 50 Prozent der Wohngeldkosten vom Bund an
die Länder vorschreibt, realisieren, da diese Mittel im Haushaltsgesetz 2000 ursprünglich weder vorgesehen noch eingeplant waren?
Herr Großmann, bitte.
Frau Kollegin Ostrowski, es ist beabsichtigt, den zusätzlichen Ausgabebedarf unter den Voraussetzungen des
Art. 112 GG überplanmäßig bereitzustellen. Dabei werden alle Einspar- und Entlastungsmöglichkeiten im
Rahmen der Fortsetzung des Kurses der strikten Haushaltsdisziplin zur Deckung dieser zusätzlichen Ausgaben
eingesetzt.
Insgesamt können die Zusatzbelastungen nach derzeitiger Einschätzung im Rahmen der veranschlagten Nettokreditaufnahme aufgefangen werden. Dies wurde bereits in der letzten Sitzungswoche während der Sitzung
des Haushaltsausschusses ausführlich dargelegt.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Ostrowski, bitte schön.
Herr Staatssekretär, eigentlich habe ich zwei Zusatzfragen. Die erste Zusatzfrage möchte ich stellen, weil mich etwas beunruhigt.
Vor der Entscheidung im Bundesrat war die Bundesregierung nicht bereit, die Kosten, die zulasten der
Kommunen und letzten Endes zulasten der Empfänger
von Pauschalwohngeld - also zulasten der Schwächsten
der Schwachen - gehen sollen, selbst zu übernehmen.
Sie wollte sie den Kommunen aufdrücken. Nun ist die
Sache durch die formalen gesetzlichen Regelungen anders gekommen. Die Bundesregierung muss nun das
Geld bereitstellen, weil es nicht anders geht.
Mich interessiert, ob die Bundesregierung inhaltlich
noch den gleichen Standpunkt wie vor der Entscheidung
des Bundesrats einnimmt. Folgte sie nur den formalen
Zwängen oder betrachtet sie die ursprünglich beabsichtigte Verlagerung heute vielleicht aus einem anderen
Blickwinkel?
Herr
Staatssekretär, bitte schön.
Frau Kollegin Ostrowski, Sie wissen, dass wir ordnungspolitisch sehr viel Zustimmung zu diesem Plan
bekommen haben, weil es Sinn macht, die Zahlung des
bisherigen pauschalierten Wohngeldes, das es in dieser
Form jetzt nicht mehr gibt - es ist in das Tabellenwohngeld integriert worden -, an diejenigen Gebietskörperschaften, die für die Sozialhilfe zuständig sind, anzugliedern. Wir haben dafür viel Zustimmung bekommen. Das heißt, inhaltlich gibt es nichts zu revidieren.
Gleichzeitig müssen wir das umsetzen, was der Vermittlungsausschuss und im Anschluss daran der Deutsche
Bundestag beschlossen haben. Das tun wir.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Meine zweite Zusatzfrage: Stimmen Sie mir zu, dass Ihr Anteil am zukünftigen Mietzuschuss für Sozialhilfeempfänger und Empfänger von Kriegsopferfürsorge tendenziell sinken wird,
da die Sozialhilfeempfänger zukünftig rechtlich anders
eingeordnet sind und da ihr Mietzuschuss mittel- und
längerfristig nicht mehr so wie bisher mitwächst?
Herr
Staatssekretär.
Dieser Interpretation kann ich nicht zustimmen. Über
das Tabellenwohngeld wird ein Teil der Sozialhilfe, der
Wohnkosten betrifft, geleistet; der andere Teil wird von
der Kommune übernommen. Das heißt, es werden alle
für einen Sozialhilfeempfängerhaushalt notwendigen
Mittel gewährt. Verschiebungen gibt es nur in der Frage,
wer was bezahlt. Aber beim Empfänger kommt es nicht
zu Verschlechterungen.
Es gibt
eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Seifert. Bitte
schön, Herr Seifert.
Herr Staatssekretär Großmann, ich komme auf Ihre erste Antwort zurück. Sie haben gesagt, dass die Kostenübernahme im Rahmen der
vorgesehenen Nettokreditaufnahme möglich ist. Halten
Sie es nicht für ein bisschen unseriös, ein Gesetz zu machen und überhaupt keine Kosten einzuplanen, obwohl
man zumindest damit rechnen muss, dass die Kosten
möglicherweise auf einen selber zukommen? Kann man
vielleicht davon ausgehen, dass solche Pannen in Zukunft nicht wieder passieren?
Herr
Staatssekretär.
Sie
wissen, dass wir es parallel mit zwei Diskussionen zu
tun hatten. Wir mussten einmal die Haushaltsberatungen
abschließen und dann das Haushaltsstrukturgesetz verabschieden. Im Rahmen der Haushaltsberatungen hat
das Parlament - es ist zuständig für die Festsetzungen
von Ausgaben und Einnahmen - beschlossen, diese
Ausgabe nicht zu etatisieren, da sie eingespart werden
sollte. Von daher ist die Regierung nicht der richtige
Adressat für Ihre Frage.
Gibt es
weitere Fragen zu dem Komplex? - Das ist nicht der
Fall. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Ulrich
Heinrich auf:
Können die von der EU-Kommission für Deutschland bereitgestellten 33 Milliarden Euro Strukturfördermittel im Rahmen der EU-Naturschutzrichtlinie ({0}) gesperrt werden, nachdem der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, bei einer nicht fristgemäßen Meldung
der Flächen vor einer Auszahlungssperre gewarnt hat und nun
eine zweimonatige Frist zur Meldung der Flächen einräumt, obwohl die Bundesregierung eine generelle Verweigerung der Zahlungen, auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der F.D.P. hin
({1}), als rechtlich fragwürdig eingestuft hat
({2})?
Frau Altmann, bitte schön.
Herr Kollege Heinrich, Ihre Frage nach den EUMitteln beantworte ich wie folgt: Wie in der Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der F.D.P. vom
November 1999 dargestellt, wird eine verspätete Übersendung der Gebietsmeldungen nicht zum endgültigen
Verlust der EU-Strukturfördermittel führen. Dagegen ist
eine Verzögerung der Programmgenehmigung und damit der Auszahlung dieser Mittel durch die EU nicht
auszuschließen.
Zusatzfrage, Kollege Heinrich? - Bitte schön.
Wie kommt die Bundesregierung - in diesem Fall Herr Minister Trittin - dazu,
zwei völlig unabhängig voneinander zu betrachtende
Sachverhalte in dieser Art und Weise zu vermischen?
Strukturfördermittel hängen ja bekanntlich mit der Ausweisung der FFH-Gebiete nicht in der Form zusammen,
wie sie hier zusammengemengt werden. Eine entsprechende Reaktion ist in dieser Form eigentlich überhaupt
nicht zulässig.
Herr Kollege, ich habe hier nur auf den Sachverhalt
einzugehen und ihn zu klären. Insofern kann ich Ihnen
über das, was ich Ihnen gerade geantwortet habe, und
über die ausführliche Darstellung in der Antwort auf die
Kleine Anfrage hinaus nur sagen, dass vonseiten des
Bundesministeriums größte Anstrengungen unternommen werden, damit die Länder ihrer Pflicht nachkommen und Gebietsmeldungen bzw. Vorklärungen vornehmen. Nur das ist sachlich festzustellen. Alles Weitere
sind Interpretationen Ihrerseits.
Eine
weitere Zusatzfrage, Kollege Heinrich?
Ich nehme an, dass die
Fragestunde auch dazu da ist, um etwas tiefer in den
Sachverhalt einzusteigen, und nicht ausschließlich dazu
dient, dass die Bundesregierung Fragen mit Ja oder Nein
beantwortet.
Deshalb frage ich noch einmal: Wie kann man Sachverhalte, die nicht zusammengehören und erhebliche finanzielle Auswirkungen und Konsequenzen nach sich
ziehen, zusammenmischen, da dadurch die Länder ihre
Strukturmittel eventuell verzögert erhalten oder diese
ihnen gegebenenfalls sogar völlig gestrichen werden?
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass Sie
hier ein Problem anschneiden, das von Brüssel aufgeworfen wurde. Das heißt, es handelt sich um eine EUAngelegenheit. Das Bundesumweltministerium kümmert sich im Benehmen mit den Ländern intensivst darum, die befürchteten Folgen, nämlich das Zurückhalten
von Strukturmitteln, zu verhindern, und hat deshalb seit
Mitte des Jahres 1999, unter anderem mit Schreiben
vom 23. Juni von den zuständigen EU-Kommissaren, alles unternommen, um die fehlenden Unterlagen und
Meldungen aus den Ländern, zum Beispiel noch nicht
ausgefüllte Standardbögen, beizubringen. Ich denke, es
ist wichtig, dafür zu sorgen, dass die Länder dem
schnellstens nachkommen. Es besteht ja großer Nachholbedarf für Deutschland, denn alle anderen Länder
haben ihre Gebiete für den Entwurf der Gemeinschaftsliste schon vorgelegt.
Eine
weitere Frage der Kollegin Ostrowski.
Frau Staatssekretärin,
auch ich kann bestätigen, dass es sich um eine EUAngelegenheit handelt. Im Übrigen war diese Tatsache
schon zu Zeiten der alten Bundesregierung bekannt.
Mich würde der Stand der Ausweisung der Naturschutzgebiete, bezogen auf die einzelnen Länder, interessieren. Können Sie den hier nennen?
Ja. Seit November 1999 hat es eine Verbesserung
der Datenlage gegeben. Die letzte Erhebung stammt
vom 9. Februar dieses Jahres. Danach sind uns 1 586
Gebiete - das entspricht 3,2 Prozent der Landesfläche gemeldet, von denen bereits 1 120 Gebiete an die EU
weitergemeldet sind.
Weitere
Fragen? - Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär WolfMichael Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 6 des Abgeordneten Joachim Schmidt auf:
Kommen bei der Initiative „Innovative Impulse für die Region“ ({0}) insgesamt die üblichen Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
({1}) hinsichtlich der Vergabe der Fördermittel zur Anwendung und müssen die an den Projekten beteiligten PraxisKooperationspartner Anteile an die beteiligten Universitäten, die
bereits mit 100 Prozent gefördert werden, abführen, obwohl sie
ihren Eigenanteil gemäß Förderrichtlinie des BMBF in Höhe
von 50 Prozent tragen?
Lieber Kollege Schmidt, zu Ihrer Frage nach Verfahrensvorschriften für die Initiative Inno-Regio teile ich Ihnen
mit, dass für diese Initiative die üblichen Verfahrensvorschriften zur Projektförderung des BMBF gelten. Den
Zuwendungsbescheiden werden folgende Nebenbestimmungen zugrunde gelegt: für Zuwendungen auf
Ausgabenbasis die Allgemeinen Nebenbestimmungen
für Zuwendungen zu Projektförderungen in Verbindung
mit den Besonderen Nebenbestimmungen des BMBF,
für Zuwendungen auf Kostenbasis die Nebenbestimmungen für Zuwendungen auf Kostenbasis des BMBF
an Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben sowie gegebenenfalls für Zuwendungen an Einrichtungen der Fraunhofer
Gesellschaft und die Helmholtz-Zentren jeweils spezifische Nebenbestimmungen.
Bei Projekten von Hochschulen als Verbundpartner
können bis zu 100 Prozent der zusätzlichen Ausgaben,
also über die Infrastruktur der Hochschulen hinausgehenden Projektausgaben, gefördert werden. Die finanzielle Beteiligung eines Industriepartners ist möglich,
wird aber nicht verlangt.
Herr
Schmidt, eine Zusatzfrage?
Ja. - Herr Staatssekretär, die Partner im InnoRegio-Programm, insbesondere die industriellen Partner,
zeichnen sich durch eine große Eigenkapitalschwäche
aus. Ihnen allen wird es schwer fallen, die entsprechenden finanziellen Eigenanteile aufzubringen. Welche
Vorstellungen hat die Bundesregierung im Hinblick auf
Umfang und Art von Selbstbeteiligungen der entsprechenden Inno-Regio-Partner?
Sie
verstehen, dass ich zu diesem Zeitpunkt darüber keine
pauschalen Aussagen machen kann. Ich glaube, es ist
richtig, dass wir zunächst die eingehenden Projektanträge, die ab Juni in die Bewertung gehen, prüfen und uns
dann die konkrete Frage stellen, ob und in welcher Weise wir von den allgemein gültigen Regeln abgehen können, was die Förderung von Forschungsvorhaben im
Verbund von Industrie und öffentlichen Forschungseinrichtungen angeht.
Ich kann hier keine Versprechungen machen, stimme
Ihnen aber grundsätzlich zu, dass bei der Ausschöpfung
der Innovationspotenziale durch diese Projekte darauf
geachtet werden muss, dass wir hier nicht Hürden aufbauen, die womöglich den entgegengesetzten Effekt haben könnten.
Eine
weitere Zusatzfrage, Herr Schmidt? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen,
dass zumindest an die Einrichtung eines Inno-RegioFonds gedacht ist?
Abstrakt kann ich bestätigen, dass darüber nachgedacht
wird, unabhängig davon, wer dann Träger eines solchen
Fonds sein könnte.
Wenn es
keine weiteren Zusatzfragen gibt, kommen wir zur Frage 7 des Kollegen Schmidt:
Welche Vorstellungen hat das BMBF für die Arbeit der Koordinierungsbüros ab 1. Juli 2000 bis zum Beginn der Phase 3
({0}), insbesondere wenn keine Projektförderung über
andere Förderschienen möglich ist, und wie erfolgt dann die
Vergütung des Projektmanagements für die gesamte Phase 3?
Auf
diese Frage kann ich Ihnen mitteilen, dass sich der Förderzeitraum der Phase 2 von Inno-Regio, der Entwicklungsphase, bis zum 31. Oktober 2000, also über den
Zeitpunkt der Abgabe des Umsetzungskonzeptes der regionalen Initiativen am 30. Juni 2000 hinaus, erstreckt.
Damit sind sowohl die Finanzierung von Ausgaben und
Kosten der Inno-Regio-Projekte in Vorbereitung der
Präsentations- und Prämierungsveranstaltung im Herbst
2000 als auch ein nahtloser Übergang in Phase 3, der
Umsetzungsphase, im Falle des endgültigen Erfolgs der
jeweiligen Initiative sichergestellt. Diese Förderung ist
bekanntermaßen auf maximal 300 000 DM begrenzt.
Sollten die Projekte einer Region sowie ihr regionales
Management von der Inno-Regio-Jury am Ende der Phase 2 zur Förderung empfohlen werden, besteht dann die
Möglichkeit der zweijährigen Anschubfinanzierung einer entsprechenden Managementstruktur zu 100 Prozent
der zuwendungsfähigen Ausgaben, sofern es sich hierbei
nicht um ein Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft
handelt. Danach können hierfür im Rahmen einer Anschlussförderung Zuwendungen mit einer Eigenbeteiligung oder einer zusätzlichen Bereitstellung von Leistungen Dritter bewilligt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Schmidt.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig
verstanden, dass es zwischen Juli 2000 und Oktober 2000 im Hinblick auf die Finanzierung der Koordinatoren und der jetzt eingerichteten Verwaltungsbüros
zu keinem Förderloch kommen wird?
Ja,
davon geht unser Konzept aus. Ich glaube, dass wir diesen Punkt hinsichtlich der Umsetzung garantieren können.
Weitere
Zusatzfrage.
In der derzeit laufenden Phase 2 beschäftigen
sich die Inno-Regio-Teams unter anderem mit der Konzipierung virtueller Unternehmen, aus denen in Phase 3
irgendwann einmal reale Unternehmen werden sollen.
Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dieser Art
von Unternehmen im Hinblick auf die Erreichung der
Phase 3 zu?
Sie
wissen, dass es bei der endgültigen Entscheidung der Jury eine Reihe von Gesichtspunkten geben wird. Ich würde es an dieser Stelle nicht für klug halten, die Bedeutung eines Faktors gegenüber anderen Faktoren in besonderer Weise zu gewichten. Deshalb will ich mich
heute aus verständlichen Gründen damit begnügen, zu
sagen, dass dies ein wichtiger Baustein des Konzepts ist.
Konkreter möchte ich aber heute nicht werden.
Es gibt
keine weiteren Fragen zu diesem Komplex. Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Hans Martin Bury zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Jürgen
Koppelin auf:
Trifft es zu, dass ein jetziges Mitglied der Bundesregierung
vor seinem Eintritt in die Bundesregierung stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat der Thyssen AG war, und wenn ja, wer
ist es?
Herr Bury, bitte.
Herr Kollege Koppelin, die Namen der jeweiligen Mitglieder des Aufsichtsrates können Sie aus den
veröffentlichten Geschäftsberichten ersehen. Daraus ergibt sich, dass der heutige Bundesminister für Arbeit
und Sozialordnung, Walter Riester, vor seinem Eintritt
in die Bundesregierung stellvertretender Vorsitzender im
Aufsichtsrat der Thyssen AG war.
Zusatzfrage, Herr Koppelin.
Wenn ich diese Antwort
richtig werte und auch noch feststelle, dass der inzwischen zurückgetretene Finanzminister des Landes NRW,
Herr Schleußer, ebenfalls Mitglied des Aufsichtsrates
der Thyssen AG war, muss ich fragen: Kann man die
Behauptung weiter aufrechterhalten - durch Thyssen ist
ja die Panzerlieferung an Saudi-Arabien erfolgt -, dass
die Sozialdemokraten von diesen Lieferungen an SaudiDr.-Ing. Joachim Schmidt ({0})
Arabien nichts gewusst haben? Wenn ich - auch Sie
wissen das - die Schmiergeldzahlung von 240 Millionen DM zur Kenntnis nehme, dann muss ich weiterhin
fragen, ob Sie ausschließen können, dass der damalige
stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende, also der jetzige Bundesminister Riester, von dieser Schmiergeldzahlung nichts gewusst hat.
Herr Kollege Koppelin, ich habe keinen Anlass,
daran zu zweifeln, dass die Mitglieder des Aufsichtsrates der Thyssen AG ihren gesetzmäßigen Pflichten
nachgekommen sind.
Weitere
Zusatzfrage, Herr Koppelin.
Herr Staatsminister, sind
Sie bereit - ich bitte Sie, bei Ihrem Kollegen Riester
nachzufragen -, mir schriftlich mitzuteilen, inwieweit er
von diesen Vorgängen gewusst hat?
Ihre Frage bezieht sich auf die Zeit, in der der
Kollege Riester eine andere Tätigkeit ausgeübt hat und
in der er nicht Mitglied der Bundesregierung war. Sie
können ihn selbstverständlich zu seiner früheren Tätigkeit befragen. Ich sehe aber keinen Anlass, diese Frage
zum Gegenstand der Erörterungen innerhalb der Bundesregierung oder hier im Parlament zu machen.
({0})
Gibt es
weitere Fragen zu diesem Komplex? - Das ist nicht der
Fall. Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
Die Fragen 9 und 10 werden schriftlich beantwortet.
Ich höre, dass der Bundesaußenminister die folgenden Fragen persönlich beantworten will. - Herr Zöpel,
bitte schön.
Herr Bundesminister Fischer will die Österreich betreffenden Fragen persönlich beantworten. Die
anderen drei in Rede stehenden Fragen könnte ich, wenn
Sie erlauben, beantworten.
Gut.
Dann rufe ich jetzt die Frage 11 des Abgeordneten
Günther Friedrich Nolting auf:
In welchem Umfang erhält das „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ ({0}) der Universität Hamburg
nach Kenntnis der Bundesregierung jährlich staatliche Mittel
zugewiesen?*)
Herr Staatsminister Zöpel, bitte.
Herr Kollege Nolting, das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität
Hamburg erhält keine institutionelle Förderung aus
Bundesmitteln. Es erhält Projektmittel aus Bundesmitteln, und zwar aus Mitteln des Auswärtigen Amtes im
Jahre 1999 200 000 DM und im Jahr 2000 400 000 DM.
Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erhält das Institut 406 000 DM für sein Projekt „Frieden
durch Recht“ und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit für Expertisen im Jahre
1999 36 000 DM und im Jahre 2000 voraussichtlich
20 000 DM.
Zusatzfrage, Herr Kollege Nolting.
Können Sie
für die Bundesregierung auch auf die Frage eingehen,
wie viel Gelder das Institut für die Kommission bekommt, die jetzt eingesetzt wurde und die sich mit der
Thematik der Zukunft der Bundeswehr beschäftigt?
Sie werden verzeihen, über die Zahlen hinaus,
die wir - auch durch Rücksprache mit den beteiligten
Ressorts - auf Grund Ihrer Frage aufbereitet haben, sind
mir momentan keine weiteren Zahlen bekannt. Diese zu
nennen ist ohne Vorbereitung auch sicherlich nicht möglich.
Sie können sie
aber nachliefern?
Sehr gerne.
Danke schön.
Weitere
Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Frage 12 der Kollegin Ina Lenke:
Warum wurde nach Presseberichten ({0}) ein Bittbrief der International Organization for Migration
({1}) seitens der Bundesregierung nicht einmal beantwortet,
während die USA die Aufklärungskampagne der IOM in Bosnien über Zwangsprostitution und die Rückführung von
Zwangsprostituierten mit 280 000 Dollar unterstützen?
Herr Präsident! Frau Kollegin Lenke, die International Organization for Migration hat in einem
Schreiben vom 15. Juni des vergangenen Jahres über eine geplante Aufklärungskampagne zur Zwangsprostitution in Bosnien und Herzegowina informiert und um finanzielle Beiträge gebeten. Zu diesem Zeitpunkt lag jeJürgen Koppelin
doch bereits eine Finanzierungszusage der USA für das
gesamte Projekt in Höhe der auch von Ihnen genannten
280 000 Dollar vor, sodass eine weitere Unterstützung
nicht erforderlich war.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Lenke.
Wie bewertet die Bundesregierung die Arbeit der Internationalen Organization for
Migration?
Angesichts der Tatsache - was ich Ihnen auf
Ihre nächste Frage antworten werde -, dass alle Involvierten an den damit verbundenen Problemen, die
Kriminalitätsprobleme sind, und damit auch an der Prävention solcher Probleme interessiert sind, kann ich
schlussfolgern, dass die Bundesregierung eine derartige
Aufklärung für richtig und notwendig hält. Mir ist ohne
weitere Vorbereitung nicht bekannt, ob sich in der täglichen Praxis dieser Organisation Dinge einstellen, die
nicht gut sind. Also kann ich an dieser Stelle nur sagen:
Von der uns bekannten Intention her beurteilen wir das
als positiv.
Eine
weitere Zusatzfrage, Frau Lenke.
Wenn Sie nun meine zweite
Frage beantworten, möchte ich meine Zusatzfrage später
stellen.
Sie haben zu jeder Frage zwei Zusatzfragen. - Dann kommen
wir jetzt zur Frage 13 der Frau Kollegin Lenke:
Was unternimmt die Bundesregierung, um deutsche
Hilftstruppen über Zwangsprostitution in Bosnien aufzuklären?
Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Verehrte Frau Kollegin, die
Bundesregierung beteiligt sich, wie bekannt, in BosnienHerzegowina an friedenserhaltenden Maßnahmen im
Rahmen von SFOR und der International Police Task
Force. Die Soldaten und Offiziere des deutschen SFORKontingents und die Polizeibeamten des entsprechenden
Kontingents der International Police Task Force werden
während ihrer Ausbildung sowie in speziellen Lehrgängen auf den Einsatz vorbereitet. Bestandteil dieser Ausbildung für den Einsatz ist auch die Sensibilisierung für
die Risiken, die im Einsatzgebiet von organisierter Kriminalität generell und von Prostitution speziell ausgehen, sowie generell eine psychologische Vorbereitung
auf den Einsatz hinsichtlich der zu erwartenden Belastungen.
Die in der genannten Polizeitruppe eingesetzten Beamten tragen in Erfüllung ihres Auftrages zudem in Fällen organisierter Kriminalität, zu der auch Zwangsprostitution gehört, zur Ermittlung bei und überwachen die
Ermittlungsarbeit der örtlichen Polizei. Sie verfügen dabei allerdings, wie Sie wissen, nicht über exekutive Befugnisse.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Lenke.
Halten Sie diese Maßnahmen für
ausreichend oder für unzureichend, und was wollen Sie
noch zusätzlich machen? Nach meinen Informationen
hat sich an der Sachlage, die in der Zeitschrift „Die Zeit“
beschrieben wurde, bisher noch nichts zum Positiven hin
geändert.
Frau Kollegin, um nicht darum herumzureden:
Ihren Hinweis auf diesen Artikel und Ihre Bewertung
der Tatsachen werde ich zum Anlass nehmen, dass sich
das Auswärtige Amt noch einmal durch Rücksprache
mit unseren entsprechenden Vertretern im Lande im Detail darüber informiert. Dann werden wir unaufgefordert
darauf zurückkommen. Bei dieser Lage halte ich es nicht
für angemessen, jetzt formal mit Ja oder Nein zu
antworten. Ich glaube, das ist auch nicht Ihr Anliegen.
Vielen Dank.
Vielen
Dank, Herr Staatsminister.
Die Fragen, die die Republik Österreich betreffen,
will der Außenminister Joseph Fischer selbst beantworten. Er wird etwas später kommen. Deswegen werden
wir zum nächsten Geschäftsbereich übergehen. Ihr Einverständnis vorausgesetzt werden wir die Fragen aufrufen, sobald der Außenminister eingetroffen ist. - Dann
können wir so verfahren.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.
Die Frage 20 wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 21 und 22 des Kollegen
Otto. Ist er anwesend? - Er ist nicht anwesend. Es wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen zur Frage 23 des Abgeordneten Olaf
Scholz, SPD. Ist er anwesend? - Er ist nicht anwesend.
Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Bei Frage 24 ist es das Gleiche.
Entschuldigen Sie, Herr Körper, die Kollegen waren
nicht anwesend.
({0})
Sie haben sich umsonst hierher bemüht. Vielen Dank.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 25 des Abgeordneten Klaus
Holetschek von der CDU/CSU-Fraktion:
Teilt die Bundesregierung die von dem britischen Premierminister Tony Blair vor dem Wirtschaftsforum in Davos am 28.
Januar 2000 erhobene Forderung, der Lissaboner Gipfel müsse
eine grundlegende Reform der europäischen Sozialpolitik im
Hinblick auf den Erhalt der Werte des Europäischen Sozialmodells einerseits und eine radikale Anpassung ihrer Anwendung
an die moderne Welt andererseits beschließen?
Bitte schön, Frau Hendricks.
Herr Kollege Holetschek,
das Europäische Sozialmodell ist Teil der Werteordnung
der Europäischen Gemeinschaft. Mit ihr haben wir über
Jahrzehnte einen hohen Wohlstand und einen sozialen Frieden erreicht, der auch einen produktiven Faktor
für die europäische Wirtschaftskraft bildet. Gleichzeitig
aber müssen die Systeme der sozialen Sicherheit und
des sozialen Schutzes in Europa den veränderten Bedingungen angepasst werden. Die portugiesische Präsidentschaft hat bereits in ihrem Rahmendokument für die
Sondertagung eine Erneuerung des Europäischen Sozialmodells gefordert. Dabei handelt es sich um eine positive Strategie, die die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten mit den Prinzipien Initiativgeist, Verantwortung, soziale Gerechtigkeit und Solidarität verbindet.
Dies unterstützt auch die Bundesregierung.
Zusatzfrage. Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, sehen Sie das Subsidiaritätsprinzip auch in diesem
Bereich weiterhin gewahrt?
Ja, Herr Kollege.
Weitere
Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Frage 26 des Kollegen Holetschek:
Wenn ja, in welche Richtung gehen die Vorstellungen der
Bundesregierung?
Die Bundesregierung unterstützt den Einsatz, die Systeme des sozialen Schutzes
durch Konsolidierung ihrer Grundlagen zu modernisieren und beschäftigungsfreundlicher auszugestalten. Die
Bundesregierung ist der Auffassung, dass sich die Systeme der sozialen Sicherung in Europa in Veränderungen, insbesondere in der Lebenserwartung, der Familienstruktur und der Rolle der Frauen anpassen müssen.
Mit der Einsetzung des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit hat die Bundesregierung erreicht, dass die notwendigen Reformen in einem
breiten gesellschaftlichen Dialog thematisiert und mit
einem hohen sozialen Konsens durchgeführt werden
können. In diesem Zusammenhang misst die Bundesregierung dem Austausch bewährter Praktiken zwischen
den EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf die in nationaler Autonomie zu gestaltende Modernisierung des Sozialschutzes große Bedeutung zu.
Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann Herr Kollege Singhammer.
Frau Staatssekretärin, worin sehen Sie Elemente einer radikalen
Anpassung der Anwendung der Werte des Europäischen
Sozialmodells an die moderne Welt, wie es hier gefordert wird?
Darf ich zunächst einmal
nachfragen, auf wen sich dieses Zitat bezieht?
Es bezieht
sich auf den britischen Premierminister Tony Blair.
Ich habe Ihnen ausgeführt, dass die portugiesische Präsidentschaft ein entsprechendes Leitpapier vorgelegt hat, welches auf einem
Sondergipfel im März in Lissabon beraten werden soll.
Die Bundesregierung hat gestern dem zuständigen Europaausschuss eine Stellungnahme, die etwa zehn bis
zwölf Seiten umfasst, übersandt. Es wird dort Gegenstand der Beratungen sein.
Wenn der britische Premierminister von einer radikalen Umwandlung spricht, so hat er dies sicherlich im
klassischen Sinne von „an die Wurzeln gehend“ gemeint. In der Tat müssen wir bei den verkrusteten Strukturen sehr tief greifen und an die Wurzeln gehen, wenn
wir unsere sozialstaatliches System bewahren wollen.
Vielen
Dank. Die Fragen 27 und 28 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 29 des Kollegen Dirk Niebel:
Um welche so genannten „geringeren“ Entlastungen im Bereich der Arbeitsmarktaufwendungen, die durch den Nichtverkauf der Eisenbahnerwohnungen entstanden sind - dies vor dem
Hintergrund der Antworten des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Finanzen, Karl Diller, auf meine
Frage 26 in der Fragestunde vom 26. Januar 2000, im Plenarprotokoll 14/83, S. 7706 D, bzw. auf meine schriftlichen Fragen 26
und 27 in Drucksache 14/2661 -, handelt es sich konkret und
welche signifikanten Beispiele kann die Bundesregierung nennen?
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Herr Kollege Niebel, zwischen der nicht erfolgten Privatisierung der Eisenbahnwohnungsgesellschaften und der Höhe der Entlastungen
bei den Aufwendungen für den Arbeitsmarkt besteht
kein innerer Zusammenhang. Der Ausfall der Privatisierungserlöse führte allerdings zu einem Defizit beim
Bundeseisenbahnvermögen, BEV, in Höhe von 4,4 Milliarden DM, das die Bundesregierung im Haushaltsvollzug 1999 ausgleichen konnte. Im selben Jahr hat der
Bund für den Arbeitsmarkt mit 41,5 Milliarden DM insgesamt 1,8 Milliarden DM weniger ausgegeben, als veranschlagt war.
Das resultierte aus der konjunkturbedingten Besserung, die sich seit dem zweiten Halbjahr 1999 abgezeichnet hatte. So lag der Zuschuss des Bundes an die
Bundesanstalt für Arbeit, vor allem aufgrund von Minderausgaben beim Arbeitslosengeld, mit 7,3 Milliarden
DM um rund 3,7 Milliarden DM unter dem im Haushalt
veranschlagten, also geplanten Zuschuss. Die Aufwendungen für Arbeitslosenhilfe überstiegen hingegen mit
30,5 Milliarden DM das veranschlagte Soll um rund
2,5 Milliarden DM. Die Ausgaben des Bundes und der
Bundesanstalt für aktive Arbeitsmarktpolitik, insbesondere Qualifizierungs-, Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen, lagen mit insgesamt 44,5
Milliarden DM leicht unter dem vorgesehenen Ansatz
von 45,3 Milliarden DM.
Zusatzfrage, Herr Kollege Niebel?
Frau Staatssekretärin, wie erklärt sich die Bundesregierung den Widerspruch in den
Antworten des Staatssekretärs Diller, der noch im Januar
2000 bei der Frage nach der Kompensation für diese
4,4 Milliarden DM von geringeren Aufwendungen für
den Arbeitsmarkt gesprochen hat, während er im Februar 2000 von signifikanten Entlastungen, etwa im Bereich
der Arbeitsmarktaufwendungen, die allerdings nur beispielhaft aufzuführen seien, spricht?
Herr Kollege, ich vermag
darin keinen Widerspruch zu erkennen. Es sind geringere Aufwendungen als geplant, ob man sie nun als geringere oder signifikant niedrigere Aufwendungen bezeichnet.
Weitere
Zusatzfrage?
Gedenkt die Bundesregierung,
zur Einnahmeverbesserung weiterhin am Verkauf der
Eisenbahnerwohnungen festzuhalten?
Die Bundesregierung gedenkt, weiterhin am Verkauf der Eisenbahnerwohnungen festzuhalten. Sie hat die zu erwartenden Einnahmen
allerdings nicht in den Haushalt für das Jahr 2000 eingestellt.
Die Fragen 30 und 31 werden schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zur Frage 32 der Kollegin
Christine Ostrowski:
Trifft es zu, dass für Bundesbedienstete und Ruheständler die
Mietpreise für bundeseigene Wohnungen im Vergleich zum allgemeinen Mietpreisniveau zum Beispiel in Sylt in 10 Jahren um
über 108 Prozent überproportional erhöht wurden, und wenn ja,
wie ist dies mit der Wohnungsfürsorgepflicht von Bundesbehörden zu vereinbaren?
Frau Staatssekretärin.
Bundeseigene Wohnungen dürfen nach den haushaltsrechtlichen Vorschriften
des Bundes grundsätzlich nur zum vollen Wert vermietet
werden. Das ist die ortsübliche Vergleichsmiete. - Das
ist Ihnen natürlich bekannt, Frau Kollegin. - Die zurzeit
laufende Überprüfung des Mietenniveaus und sich daraus ergebende Anpassungen der Mieten der bundeseigenen Mietwohnungen an die ortsübliche Vergleichsmiete beziehen sich auf alle Bundesmietwohnungen. Betroffen sind daher nicht nur Bundesbedienstete und Ruheständler, sondern alle Mieter.
Der Gesichtspunkt der Wohnungsfürsorge steht der
Heranführung der Bundesmieten an die ortsübliche Vergleichsmiete nicht entgegen. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Fehlbelegungsabgabe ausgeführt:
Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verpflichtet
nicht, dem begünstigten Bediensteten den ihm
zugeflossenen Mietvorteil zu belassen. Die Möglichkeit der Bereitstellung eines angemessenen
Wohnraums am Dienstort mag im Einzelfall eine
Voraussetzung dafür sein, dass der Dienstherr seine
personalorganisatorische Entscheidung im dienstlichen Interesse treffen kann. ... Der Zweck der Wohnungsfürsorge, Verwaltungsangehörigen, die keine
Wohnung am Beschäftigungsort haben, zu einer
Wohnung zu verhelfen, dient so allein dem personalorganisatorischen Eigeninteresse des öffentlichen Dienstherrn.
Auf Sylt erhebt der Bund ab dem 1. März 2000, je
nach Ausstattungsmerkmalen und Lage, Mieten zwischen 8 DM und 12,45 DM pro Quadratmeter monatlich. Auf Sylt werden die gesetzlich zulässigen Anpassungsmöglichkeiten, also 30 Prozent innerhalb von drei
Jahren, ausgeschöpft. Ich kann nicht bestätigen, dass die
Miete für Bundesmietwohnungen auf der Insel Sylt in
den letzten zehn Jahren um den von Ihnen genannten
Prozentsatz angehoben wurden.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Ostrowski?
Um eine Mietanpassung an die ortsübliche Vergleichsmiete zu begründen,
gibt es laut Gesetz drei Möglichkeiten: Erstens können
Sie ein Gutachten beibringen, zweitens können Sie sich
auf den ortsüblichen Mietspiegel beziehen und drittens
können Sie drei Vergleichswohnungen heranziehen. Auf
welche Möglichkeit ist hier zurückgegriffen worden?
Ich frage das deshalb, weil mir bekannt ist, dass man
bei der Festlegung der Mietpreise der Sylter Wohnungen, auf die meine Frage zielt, drei Vergleichswohnungen herangezogen hat - das ist auch erklärlich - , die
aber von ihrer Ausstattung her völlig anders sind. Denn
die Sylter Wohnungen, um die es sich hier handelt, sind
in den 30er-Jahren gebaut und 1978 das letzte Mal instand gesetzt worden. Sie haben einfachste Ausstattung.
Als Vergleichswohnungen sind drei Neubauwohnungen
mit modernster Ausstattung herangezogen worden, sodass die Sache rechtlich nicht in Ordnung ist.
Frau Kollegin Ostrowski,
das kann ich Ihnen so nicht bestätigen. Ich weiß nicht,
nach welcher von den drei Methoden, die Sie genannt
haben, die Bundesvermögensverwaltung vorgegangen
ist. Das kann ja zu dem Ergebnis führen kann, dass man
innerhalb von drei Jahren die Mietpreise um 30 Prozent
anheben kann, bis man die ortsübliche Miete erreicht
hat.
Die Antwort auf die Frage, auf welche Weise die
ortsübliche Miete ermittelt worden ist, muss ich schriftlich nachtragen. Die in Ihrer Frage enthaltene Behauptung will ich - auch aus Nichtkenntnis - zunächst zurückweisen.
Eine
weitere Zusatzfrage, Frau Ostrowski.
Ich habe Sie also richtig verstanden: Sie sind bereit, diese Angelegenheit noch
einmal zu prüfen?
Selbstverständlich. Sie
haben ja die Frage gestellt, auf welche Weise die ortsübliche Vergleichsmiete ermittelt worden ist. Da ich das
jetzt nicht beantworten kann, werde ich Ihnen dies
schriftlich mitteilen.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin.
Da wir wegen des Wartens auf den Bundesaußenminister die vorgesehene Reihenfolge der Geschäftsbereiche umgestellt haben, sind zwei Kollegen, die Fragen
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren gestellt haben, zu spät gekommen. Ich schlage
vor, dass die Fragen 21 und 22 des Kollegen HansJoachim Otto und die Fragen 23 und 24 des Kollegen
Olaf Scholz schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Siegmar Mosdorf zur Verfügung.
Die Frage 33 der Kollegin Gudrun Kopp soll schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 34 der Kollegin Ulrike Flach:
Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der
langfristigen Erfahrungen mit dem Stromeinspeisungsgesetz und
unter Beachtung des energiepolitischen Zieles, Dauersubventionen zu vermeiden bzw. zurückzuführen, den Ausbau der regenerativen Energien, insbesondere der Windenergie?
Frau Kollegin Flach, die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr
2010 zu verdoppeln. Das zentrale Instrument zum Ausbau der erneuerbaren Energien ist das Stromeinspeisungsgesetz, jenes Gesetz, auf das sich 1990 alle Fraktionen des Deutschen Bundestages verständigt haben.
Es hat sich als erfolgreich erwiesen und hat ganz wesentlich zum Ausbau der Windenergie in Deutschland
beigetragen. So ist die Gesamtleistung der Windkraftanlagen von rund 62 Megawatt in 1990 auf 4 450 Megawatt Ende 1999 gestiegen. Allein in 1999 betrug der Zubau 1 500 Megawatt, bei einer mittleren Anlagengröße
von etwa 1 Megawatt.
Angesichts sinkender Strompreise gilt es, das Stromeinspeisungsgesetz an die veränderten Rahmenbedingungen des liberalisierten Strommarktes anzupassen.
Diejenigen, die Investitionen in erneuerbare Energien tätigen, benötigen Planungssicherheit für einen angemessen langen Zeitraum. Mit dem neuen ErneuerbareEnergien-Gesetz, das derzeit im Bundestag beraten wird,
wird es gelingen, dass weit mehr als bisher Strom aus
regenerativen Quellen produziert wird. Dabei ist darauf
zu achten, dass die Neuregelung mit den Regeln der Europäischen Union übereinstimmt und den Verbesserungen der Anlagentechnik Rechnung trägt.
Bei der Windenergie ist erstmals eine Differenzierung
in der Vergütung vorgesehen. Sie berücksichtigt, dass
die Stromerträge vergleichbarer Anlagen und damit die
Wirtschaftlichkeit ihres Betriebs von der Windgünstigkeit ihres Standortes abhängen. Die Bundesregierung
empfiehlt darüber hinaus, die Förderung der jeweils begünstigten Anlage über das Erneuerbare-EnergienGesetz auf 20 Jahre zu befristen. Weiterhin soll bei diesen Anlagen die Entwicklung der Kosten, die zur Erzeugung von Strom notwendig sind, beobachtet werden. Eine regelmäßige Berichtspflicht ist vorgesehen.
Ihre Zusatzfrage, Frau Kollegin Flach.
Herr Staatssekretär, schon bei
dem Stromeinspeisungsgesetz hat es Schwierigkeiten
mit der EU-Kommission gegeben. Wie beurteilen Sie im
Rahmen der jetzt von Ihnen vorgesehenen Planungen eine mögliche Stellungnahme der EU?
Frau Kollegin, ich möchte mich nicht in Spekulationen ergehen.
Aber wir hoffen sehr, dass unser Gesetzentwurf mit den
Vorstellungen der EU kompatibel ist.
Zweite
Zusatzfrage, Frau Kollegin Flach.
Gehe ich also richtig in der
Annahme, dass Sie im Augenblick nur das Prinzip Hoffnung haben und keine dezidierten Zahlen bzw. Stellungnahmen der EU-Kommission vorliegen haben?
Ich nehme
nicht an, dass die EU-Kommission Zahlen dazu vorlegen wird.
Im Übrigen freue ich mich, dass wir beide dem Prinzip Hoffnung folgen. Wir werden natürlich alles tun,
damit dies Realität wird.
({0})
Es gibt
eine weitere Frage, diesmal des Kollegen Hirche.
Herr Staatssekretär Mosdorf, am Montag dieser Woche haben sich bei der Anhörung des Wirtschaftsausschusses handfeste verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich des Textes des Gesetzes
über erneuerbare Energien ergeben. Ist damit zu rechnen, dass sich die Bundesregierung, sprich: die Verfassungsressorts noch rechtzeitig zu den aufgeworfenen
Problemen äußern werden? Es handelt sich ja bisher nur
um einen Fraktionsantrag.
Die Bundesregierung ist sicher, dass verfassungsrechtliche Bedenken ausgeräumt werden können. Sie befasst sich mit
dieser Frage sehr ernsthaft.
Eine
weitere Frage, des Kollegen Uli Heinrich.
Herr Staatssekretär, Sie
haben berichtet, dass der Anteil der Windenergie zugenommen hat. Von welchen Veränderungen im Bereich
Biomasse- und Biogasanlagenbau aufgrund der Verbesserungen, die jetzt in Rede stehen, um mehr Investitionen anzulocken, gehen Sie aus?
Herr Kollege Heinrich, wir hoffen natürlich, dass sich auch hier
Zuwachsraten ergeben; denn wir wollen, dass sich der
Anteil der regenerativen Energien insgesamt erhöht. Ich
kann Ihnen aber nichts voraussagen. Ich möchte mich
auch nicht auf Spekulationen einlassen, was Prozentsätze angeht. Wir hoffen aber sehr, dass die gesetzten
Incentives die entsprechende Wirkung erzielen werden,
dass der Anteil zunehmen wird.
Gibt es keine Gutachten?
Nein.
Weitere
Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zu Frage 35 der Kollegin Ulrike
Flach:
Ab welcher Schwelle ist eine wirtschaftliche Situation - jeweils gegliedert nach Energieform und -träger - erreicht, die jeweiligen regenerativen Anlagen auch ohne Übernahme der
Mehrkosten weiter zu betreiben, und in welchem Jahr wird dieses voraussichtlich der Fall sein?
Frau Kollegin, derartig präzise Angaben kann heute niemand machen, der seriös sein will. Entscheidend ist, dass die
Maßnahmen, die wir zugunsten erneuerbarer Energien
treffen, darauf ausgerichtet sind, die Wettbewerbsfähigkeit dieser Technologien zu verbessern. Den
Anteil erneuerbarer Energien deutlich und nachhaltig
auszubauen wird nur dann gelingen, wenn sich hier ein
sich selbst tragender Markt entwickelt. Darauf zielen die
Maßnahmen der Bundesregierung und der Koalition zugunsten erneuerbarer Energien ab.
Dazu gehört auch eine kontinuierliche Überprüfung
aller Maßnahmen. So werden zum Beispiel die Förderprogramme des Bundes zugunsten regenerativer Energien regelmäßig überprüft und gegebenenfalls an Veränderungen im Markt, etwa bei einem Rückgang der
Anlagenpreise, angepasst.
Frau
Kollegin Flach.
Herr Staatssekretär, befürchten Sie nicht eine ähnliche Entwicklung, wie wir sie damals beim Kohlepfennig hatten? Sehen Sie nicht eine
Parallele?
Frau Kollegin, das würde ich nicht vergleichen. Ich sehe aber die
Chance, durch die vorgesehenen Incentives - darüber
gab es 1990 im Deutschen Bundestag Übereinstimmung - die regenerativen Energien enorm zu verstetigen
und ihren Anteil dieser erheblich auszubauen. Wir sind
der Auffassung, dass dies der richtige Weg ist.
Zweite
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Sehen Sie auch keine Probleme bezüglich des Finanzausgleichs? Wir haben es
schließlich mit regional sehr unterschiedlichen Entwicklungen zu tun.
In dem
neuen Gesetzentwurf, Frau Kollegin, sind Spielregeln
enthalten, mit denen versucht wird, die alten Probleme darauf zielt Ihre Frage wahrscheinlich ab - zu lösen.
Eine
weitere Frage des Kollegen van Essen.
Herr Staatssekretär, welche Zuwachsraten erwartet die Bundesregierung beim
Bau solcher Kraftwerke in Norddeutschland?
Welcher
Kraftwerke?
Der Kraftwerke, über die
wir gerade reden, der Windkraftanlagen.
Ich habe
gerade schon Ihrem Kollegen geantwortet, dass uns keine Zahlen oder Prognosen über die Anzahl und die weitere Entwicklung der Anzahl der Windkraftanlagen vorliegen. Wir haben aber die feste Absicht, das Ziel zu
verfolgen, den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum
Jahr 2010 zu verdoppeln. Windenergie wird eine wichtige Rolle dabei spielen. Sie wissen - ich habe eben die
Zahlen genannt -, dass dies jetzt schon ein wichtiger
Wachstumsmarkt ist und sich in diesem Bereich Erhebliches an Verbesserungen ergeben hat.
Eine
weitere Frage des Kollegen Wiese von der CDU/CSUFraktion.
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit erneuerbaren und
alternativen Energien ist das 100 000-Dächer-Programm
der Bundesregierung immer wieder mit großem
Aufwand dargestellt worden. Wie beurteilen Sie die
Zukunft dieses Programms vor dem Hintergrund der
Meldung im „Focus“ von vorgestern, dieses 100 000Dächer-Programm sei ein grandioser Flop und es seien
nicht einmal halb so viele Anträge gestellt worden wie
angenommen?
Herr Kollege, ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar, weil sie
mir die Gelegenheit gibt, noch einmal mit Nachdruck
auf dieses Programm hinzuweisen. Sie wissen, dass wir
das 100 000-Dächer-Programm auch aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit gestartet haben.
Ihr Kollege Riesenhuber hat einmal ein 1 000-Dächer-Programm gestartet, das zu einer großen Verteilung
der Solaranlagen in Deutschland führte, sodass sozusagen in jeder dritten Gemeinde eine solche Anlage stand.
Dadurch wurde natürlich nicht die Möglichkeit geschaffen, einen entsprechenden After-Sale-Service zu organisieren, das Handwerk zu motivieren und die Banken
einzuspannen. Im Rahmen des 100 000-Dächer-Programms, das wir vor noch nicht einmal zwölf Monaten
gestartet haben, - es ist inzwischen bekannt - gibt es
ungefähr - ich habe die genauen Zahlen jetzt nicht vorliegen - 100 Millionen DM Zusagen.
Ich unterstelle bei Ihrer Frage einmal, dass Sie ein
engagierter Anhänger der Photovoltaik und des 100 000Dächer-Programms sind. Deshalb lautet meine Bitte,
dass Sie kräftig werben - auch bei den Journalisten des
„Focus“, die nicht genau darüber informiert sind, dass
das Programm schon wichtige Erfolge erzielt hat.
({0})
- Als Liberaler würde ich nie sagen, dass das immer
stimmt; ich würde aber immer kritisch fragen. Das ist
die Tradition der Aufklärung, Herr van Essen.
({1})
- Nein, das hat mit der jetzigen Aufklärung nichts zu
tun. Sie wissen, was ich meine.
({2})
Wir müssen alles tun, um noch mehr Aufmerksamkeit
auf dieses Programm zu lenken. Ein Punkt macht mir
übrigens ein bisschen Sorge: Einige Banken tragen die
Öffentlichkeitsarbeit für dieses wichtige Programm noch
nicht ausreichend mit. Es bedarf ja einer Hausbank, die
sich in diesen Prozess einschaltet. Deshalb appelliere ich
von dieser Stelle aus an alle Sparkassen, Banken, Volksund Raiffeisenbanken und an alle Partner der Kunden
vor Ort, sich am Marketing für dieses Programm zu
beteiligen. Ich glaube schon, dass das Programm ein
großer Erfolg werden wird. Wir müssen aber alle dazu
beitragen, dass es entsprechend positiv umgesetzt wird.
Eine
weitere Frage des Kollegen Hirche.
Herr Staatssekretär, Herr
Bundesminister Müller hat in einem Brief an den Kollegen Uldall festgestellt, dass das neue EEG erhebliche
beihilferechtliche Probleme aufwerfe, und hat deswegen
angeregt, das Gesetz unter Umständen nur unter Vorbehalt der Genehmigung der EU zu verabschieden. Ist das
nicht ein etwas ungewöhnlicher Weg, Rechtsbedenken
der Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen?
Herr Kollege, es ist völlig klar, dass die Bundesregierung entsprechend ihrer Verantwortung alles daransetzt, Entscheidungen zu treffen, die mit dem EU-Rechtkompatibel sind. In diesem Sinne verstehe ich den Brief
des Bundesministers an unseren Kollegen Uldall. Wir
wollen, dass das EEG erfolgreich umgesetzt wird. Wir
sind deshalb in Gesprächen mit der EU, um das Gesetz
kompatibel zu machen. Uns liegt daran, dass es erfolgreich wird.
Eine
weitere Frage der Kollegin Professor Ganseforth von der
SPD-Fraktion.
Herr Staatssekretär, ich
möchte zu den Krediten, die im 100 000-Dächer-Programm
vorgesehen sind, zum EEG bzw. - im Hinblick auf die
Vergangenheit - zu den Einspeisebedingungen etwas
fragen. Stimmt die Erfahrung, dass die wirksamste Methode zur Einführung erneuerbarer Energien - egal, ob
Biomasse, Wind, Wasser oder Photovoltaik - ist, wenn
der gelieferte Strom anständig bezahlt und abgenommen
wird? Ist dies nicht, unter Umständen als Ergänzung zu
Krediten, ein Mittel, das die Effizienz der Anlagen steigern kann, wirklich weiterhilft und nicht nur die Gefahr
von Mitnahmeeffekten in sich birgt?
Frau Kollegin Professor Ganseforth, ich denke, dass die Kombination beider Instrumente die Wirkung deutlich erhöhen
wird. Wenn Sie auf die Frage des Kollegen anspielen
und nachfragen, ob nicht das EEG in Kombination mit
den jetzt vorgesehenen Maßnahmen eine gute Flankierung für das 100 000-Dächer-Programm ist, so kann ich
das nur ausdrücklich bestätigen. Es ist wahr: Wir haben
dieses 100 000-Dächer-Programm gestartet. Sie wissen,
dass es einem Vorlauf gab. Sie kennen die Anlaufschwierigkeiten der letzten Jahre, bei denen die Einführung des Programms nicht möglich war. Wir haben es
nunmehr gestartet und sind auch in intensiven Gesprächen mit den Banken und Partnerorganisationen. Aber
es ist klar: Der wirkliche Durchbruch kann vor allen
Dingen über das EEG erreicht werden, bei welchem die
Kunden sehen, dass der Nutzen direkt eintritt. Deshalb
glaube ich, dass beide Instrumente für den Erfolg dieses
Programms sehr hilfreich sein werden.
Wir
kommen zu einer weiteren Frage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, welche
Auswirkungen hat der Bau von Windkraftanlagen auf
die Stellung der norddeutschen Energieversorgungsunternehmen im europäischen und inländischen
Wettbewerb sowie auf das Landschaftsbild in Norddeutschland?
Lieber Herr
Kollege Niebel, ich tue mich - vor allen Dingen, wenn
ich das Heidelberger Landschaftsbild vor Augen habe sehr schwer, über das Landschaftsbild in Norddeutschland zu sprechen. Das ist ein ganz schwieriger Vergleich. Ich höre die fachkundigen Kolleginnen und
Kollegen sagen, es sehe ganz gut aus. Wir haben eben
auch von der Mietsituation auf Sylt gehört. Es ist immer
noch gut, dort oben zu leben.
Frau Simonis hat sicher dazu beigetragen, dass dies
ein gutes Land ist, in dem man gut leben kann. Dies gilt
auch für das Landschaftsbild.
({0})
Herr Kollege Niebel, um auf den Kern Ihrer Frage zurückzukommen: Es gab schon das Problem, dass gerade
in Norddeutschland die Windenergie einen besonderen
Anteil an der Energieerzeugung hat. Dies war der
Grund, warum wir bei der Stromeinspeisung korrigieren
mussten. Wir mussten Schlussfolgerungen ziehen und
tun dies mit dem EEG. Wir bleiben aber dabei: Wir
räumen der Windenergie - auch im Gesamtkonzept der
regenerativen Energien - einen großen Stellenwert ein.
, Wir
kommen zu der Frage der Kollegin Ostrowski.
Herr Staatssekretär
Mosdorf, in meiner Frage geht es nicht um erneuerbare
Energien, aber es geht um Strom und auch um Subventionen. Könnten Sie bitte kurz den Standpunkt der Bundesregierung zum Notplan der Veag und auch zu den
weiteren Hilfeforderungen darlegen? Über dieses Thema
wird heute groß in allen Zeitungen berichtet. Es würde
mich als ostdeutsche Bundestagsabgeordnete außerordentlich interessieren.
Dies ist natürlich etwas ungewöhnlich.
({0})
Ich bin jederzeit bereit, hier das vorzutragen, was in den
Zeitungen steht. Ich darf daran erinnern, dass es private
Energieversorgungsunternehmen sind, die sich geeinigt
haben. Es ist wichtig zu erkennen: Die Bundesregierung
sitzt dort nicht im Aufsichtsrat und hat auch diese Entscheidung nicht herbeigeführt. Wir wissen jedoch von
der gestrigen Entscheidung, dass eine Zwischenlösung
für die Veag gefunden worden ist und dass sich die Unternehmen engagieren und damit sicherstellen, dass es in
diesem Jahr keine Probleme geben wird.
Diese
Frage gehörte eigentlich nicht zu dem angesprochenen
Themenkomplex. Deswegen bedanke ich mich bei Herrn
Staatssekretär Mosdorf, dass er trotzdem darauf eingegangen ist.
Wir kommen jetzt zu den Fragen 36 und 37 des Kollegen Schmidt-Jortzig.
In Anbetracht der Verschiebung der Reihenfolge der
Geschäftsbereiche bitte ich, auch diese schriftlich zu beantworten.
Herr Präsident, ich hatte in Bezug auf die Frage des Herrn Kollegen Niebel diese Sachverhalte eben schon dargelegt. Ich
bin aber gern bereit, Herrn Niebel und Herrn SchmidtJortzig die schriftliche Fassung zu überreichen
Wir
kommen jetzt zu der Frage 38 des Kollegen Rainer
Funke.
Ist eine grundsätzliche Beibehaltung des Stromeinspeisungsgesetzes rechtlich möglich?
Gleichzeitig rufe ich Frage 39 des Kollegen Funke
auf:
Wenn ja, welche Novellierungen sind nach Ansicht der Bundesregierung wünschenswert, insbesondere bezüglich der Mindestvergütungen, der Einführung fester Vergütungssätze, der Differenzierung nach Energieform und -art der Kosten des Netzanschlusses und der Netzverstärkung?
Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Funke, die Antwort auf Ihre
Frage lautet: Ja, die Bundesregierung ist unverändert der
Auffassung, dass das Stromeinspeisungsgesetz und die
mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz angestrebte weiterführende gesetzliche Regelung rechtlich möglich ist.
Sie sieht sich hierin durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof bestätigt, der das Stromeinspeisungsgesetz als verfassungsgemäß beurteilt hat. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage
steht - das brauche ich Ihnen nicht zu sagen; das wissen
auch Sie - noch aus.
Ich habe keine Zusatzfrage.
Keine
Zusatzfrage. - Ich rufe Frage 39 auf:
Wenn ja, welche Novellierungen sind nach Ansicht der Bundesregierung wünschenswert, insbesondere bezüglich der Mindestvergütungen, der Einführung fester Vergütungssätze, der
Differenzierung nach Energieform und -art sowie der Kosten des
Netzanschlusses und der Netzverstärkung?
Herr Kollege Funke, die Bundesregierung hält es für geboten, die
bisher an die Strompreise gebundenen Einspeisungsvergütungen auf feste Vergütungssätze umzustellen. Das
steht insofern im Zusammenhang mit der Frage eben.
Sie unterstützt deshalb das von den Koalitionsfraktionen
eingebrachte Erneuerbare-Energien-Gesetz, das das
Stromeinspeisungsgesetz ablösen soll. Infolge der Liberalisierung des Strommarktes drohen die Strompreise
und damit die Einspeisungsvergütungen in einem Maße
zu fallen, das den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien andernfalls nachhaltig gefährden könnte.
Feste Vergütungssätze bewirken Planungs- und Investitionssicherheit und fördern so den weiteren Ausbau
der erneuerbaren Energien. Die festen Vergütungssätze
sollen im EEG - nach Energiearten und Größenklassen
der Stromerzeugungsanlagen - stärker als bisher differenziert werden. Bei der Windenergie ist zusätzlich
erstmals eine Differenzierung in der Vergütung vorgesehen, die berücksichtigt, dass die Stromerträge vergleichbarer Anlagen und damit die Wirtschaftlichkeit ihres Betriebs von der Windgünstigkeit ihres Standortes
abhängt.
Fragen des Netzanschlusses und der Netzverstärkung - was auch in der Vergangenheit schon wichtige
Fragen waren - sollen ebenfalls neu geregelt werden.
Die Netzanschlusskosten soll wie bisher der Einspeiser
tragen. Kosten für nur infolge der Einspeisung erforderlich werdende Netzverstärkungen sollen hälftig zwischen Einspeisern und Netzbetreibern geteilt werden.
Ein weiteres zentrales Element der Reform wird die
Abschaffung des so genannten Fünf-Prozent-Deckels
sein, der den Ausbau erneuerbarer Energien in den vom
Wind begünstigten norddeutschen Küstenregionen in
nächster Zeit bremsen könnte. Mit der Abschaffung des
zweiten Fünf-Prozent-Deckels soll gleichzeitig ein bundesweiter Belastungsausgleich eingeführt werden.
Zusatzfrage, Kollege Funke? - Keine Zusatzfrage.
Herr Hirche.
Herr Staatssekretär Mosdorf, es ist unbestritten, dass die bisherige Koppelung
der Vergütung an den - sinkenden - Strompreis die
Entwicklung der Innovationen bei den Anlagen erheblich begünstigt hat. Wie wollen Sie bei festen Sätzen für
die Zukunft eine solche Innovationsentwicklung auslösen, die ja notwendig ist, um gute Voraussetzungen für
den Export zu schaffen?
Herr Kollege Hirche, diese wichtige Frage ist bei der Vorbereitung unseres EEG sehr genau erörtert worden. Um die
Entwicklung der Innovationen immer wieder zu beschleunigen, haben wir - Sie wissen das - degressive
Sätze und darüber hinaus Endzeitpunkte vorgesehen.
Damit soll dieser Innovationsprozess weiter vorangetrieben werden.
Der
Bundesaußenminister ist mittlerweile eingetroffen. Er ist
mit dem einverstanden, was wir vereinbart hatten: dass
wir diesen Geschäftsbereich noch abschließen und anschließend zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes zurückkommen.
Die Fragen 40 und 41 sollen schriftlich beantwortet
werden. Die Kollegin Birgit Homburger ist erkrankt.
Wir kommen zu den Fragen 42 und 43 des Kollegen
Hirche:
Wie hoch ist der Umsatz der deutschen Energieversorgungsunternehmen im EU-weiten Markt bzw. ihr Umsatzanteil im
Vergleich zu ihren europäischen Mitwettbewerbern zum jetzigen
Zeitpunkt?
Wie hat sich die Umsatz- und Ertragssituation nach der
Energierechtsreform und vor dem Hintergrund eines EU-weiten
Strommarktes entwickelt?
Lieber Herr
Kollege Hirche, da der Herr Präsident schon beide Fragen aufgerufen hat, kann ich sie auch zusammen beantworten.
Die Unternehmen der allgemeinen Stromversorgung
erzielten 1998 - das sind die letzten Zahlen, die uns vorliegen - einen Umsatz aus dem Stromabsatz an Endverbraucher in Höhe von 80,4 Milliarden DM bzw. einen Umsatz aus dem gesamten Stromabsatz an Endverbraucher in Höhe von 122 Milliarden DM. Aktuellere
Daten haben wir nicht vorliegen. Ich möchte aber hinzufügen, dass aufgrund der Liberalisierung und der Preissenkungsstrategien - das ist völlig klar - natürlich zu
erwarten steht, dass die Zahlen im Jahr 1999 anders aussehen werden.
Ich habe mir gerade die Relationen für 1997 - für
1998 liegen sie noch nicht vor - geben lassen. Einer Ihrer Punkte war die Relation von Europa zu Deutschland.
Die Zahlen sehen so aus: Europa hat 163 Milliarden Ecu
als Basiszahl und die deutschen Hersteller 43 Milliarden
Ecu. Sie können daran erkennen, dass das etwa ein Viertel des Gesamtmarkts ausmacht.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hirche? - Nein. Da es keine weiteren Zusatzfragen zu dieser Frage gibt, bitte ich darum,
die Fragen 44 und 45 des Kollegen Goldmann schriftlich
zu beantworten.
Wir kommen zu den Fragen 46 und 47 des Kollegen
Dr. Martin Mayer ({0}), CDU/CSU:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass die Deutsche Telekom AG als Eigentümerin des Telefon-Ortsnetzes und
des größten Teils des Fernsehkabel-Netzes ohne weitere regulatorische Eingriffe oder politischen Druck noch auf lange Zeit ein
faktisches Monopol für Telefonverbindungen im Ortsbereich
behalten wird?
Was tut die Bundesregierung, um den auch von der Monopolkommission und der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post gleichermaßen festgestellten mangelnden Wettbewerb im Ortsbereich des Telefonfestnetzes endlich in Gang zu
bringen und damit auch die Internetnutzung deutlich günstiger
zu gestalten?
Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Mayer, ob die Deutsche Telekom noch auf längere Zeit ein faktisches Monopol für
Telefonverbindungen im Ortsnetzbereich haben wird das unterstellt Ihre Frage -, lässt sich derzeit nicht abschließend abschätzen. Sie wissen so gut wie ich, dass es
erhebliche Aktivitäten auf diesem Sektor, auch im Ortsnetzbereich, gibt. Schon heute gibt es eine Vielzahl von
Regional- und City-Carriers, die versuchen, gerade im
Ortsnetzbereich Angebote bereitzustellen.
Auch Unternehmen, die sich bislang in erster Linie
im Fernverkehr betätigt haben, weiten ihre Angebotspalette im Ortsnetzbereich deutlich aus. Diese Entwicklung
erscheint sehr erfolgversprechend, zumal die gesetzlichen und regulatorischen Voraussetzungen für das Entstehen funktionsfähiger Wettbewerbsstrukturen bereits
vorliegen.
Wettbewerber der Deutschen Telekom AG haben Anspruch auf den entbündelten Netzzugang und können auf
der Ortsebene als so genannter Wiederverkäufer, Reseller, auftreten. Sie können darüber hinaus auf der Basis
zusätzlich vergebener Frequenzen drahtlose Zugänge
zum Endkunden schaffen. Viele sind übrigens dabei, in
solche Projekte zu investieren.
Weiter ist zu erwarten, dass Ortsgespräche zukünftig
in zunehmendem Maße über die Mobilfunknetze abgewickelt werden. Bereits heute nutzen circa 25 Millionen
Bundesbürger ein Handy, und der Markt wird weiter
sprunghaft wachsen. Das Breitbandkabelnetz ist also
nicht die einzige Alternative zum Telefonortsnetz der
Deutschen Telekom AG.
Hinsichtlich des Verkaufs des Kabelnetzes hat die
Deutsche Telekom AG gegenüber der Bundesregierung
versichert, dass die ersten Regionalgesellschaften unter
Beteiligung privater Investoren so schnell wie möglich
gebildet werden. Die Regionalgesellschaften sollen volle
unternehmerische Freiheit haben und können nach einer
entsprechenden technischen Aufrüstung der Kabelnetze
diese als alternative Ortsnetze betreiben.
Sie wissen, dass die Deutsche Telekom mit Leadinvestorgruppen in Verbindung und kurz vor Entscheidungen steht. Diese Entscheidungen werden gründlich
vorbereitet, damit in dieses Netz auch investiert werden
kann. Das wird für die weitere Verbreitung von Internetkapazitäten, die wir am Standort Deutschland brauchen, sehr wichtig sein.
Auch wenn heute noch teilweise ein faktisches Monopol der Deutschen Telekom im Ortsnetzbereich besteht, bilden die seitens der Bundesregierung bereits getroffenen Maßnahmen eine geeignete Basis für die Intensivierung des Wettbewerbs in diesem Bereich. Weiterer politischer Handlungsbedarf wird derzeit nicht gesehen.
Festzuhalten ist, dass sich Wettbewerb nicht politisch
verordnen lässt. Er muss wachsen, er muss entstehen,
was in diesem Markt auch passiert. Es liegt nun in erster
Linie an den Markbeteiligten, mit kundenorientierten,
innovativen Angeboten im Ortsnetzbereich zu bestehen.
Die Erfolge einiger City- und Regionalanbieter zeigen,
dass dies durchaus möglich ist.
Auch im Hinblick auf die Internetnutzung sind die
jüngsten Entwicklungen - das beurteilen wir beide
gleich, nehme ich an - ermutigend. Wie Sie wissen, habe ich mich seit vielen Jahren für eine vernünftige Flat
Rate ausgesprochen und eingesetzt. Ich habe mich sehr
gefreut, dass Sie unsere Initiative aufgegriffen und unterstützt haben, Herr Mayer. Ich habe mich noch mehr
darüber gefreut, dass es jetzt gelungen ist, zusammen
mit dem Bundeskanzler ein wichtiges Signal zu setzen.
Eine Reihe von Betreibern bietet bereits heute sehr
günstige Internetzugänge an. Das gilt zum Beispiel für
Mannesmann Arcor und andere. In bestimmten Regionen kann man das Internet in der Nebenzeit bereits ab
60 Pfennig pro Stunde nutzen. Mittlerweile gibt es auch
einige Unternehmen, die echte Flat Rates anbieten.
Von der Deutschen Telekom AG wurde darüber hinaus - neben der Ankündigung, noch im ersten Halbjahr
2000 eine Full Flat Rate von unter 100 DM einzuführen - für Herbst 2000 ein günstiger Schülertarif angekündigt. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist
mit einer weiteren deutlichen Intensivierung der Internetnutzung in Deutschland zu rechnen. Die Bundesregierung will in einer Form von Innovationspartnerschaft
alles tun, damit wir unser Land auf diesem Sektor
voranbringen. Wir haben wichtige Meilensteine schon
erreicht, wie Sie wissen. Wir freuen uns darüber - Sie
sicher auch -, weil wir in vielen Bereichen aufholen
müssen. Das, was jetzt angekündigt worden ist, ist ein
wichtiger Durchbruch.
Zusatzfragen, Herr Kollege Mayer?
Herr
Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass der
Zugang zum Internet in den nächsten zwei bis vier Jahren entscheidend über das Festnetz, also über das Telefonnetz und möglicherweise über das Kabel, gehen wird,
weil die übrigen technischen Entwicklungen zwar am
Horizont aufscheinen und auch in Modellversuchen gute
Ergebnisse gezeigt haben, aber in den nächsten zwei,
drei Jahren voraussichtlich noch nicht am Markt eingeführt werden?
Herr Kollege Mayer, wissen Sie, wir haben auf diesem Sektor eine solche Geschwindigkeit erlebt, dass ich mich auf
Prognosen nach dem Motto, die nächsten drei Jahre
werde der Zugang zum Internet über Ortsnetz und Kabel
so bleiben wie bisher, nicht versteifen würde.
Ich meine, es ist realistisch, davon auszugehen, dass
ein Kabelnetz, in das investiert worden ist und das sich
damit als Plattform besonders eignet, eine größere Rolle
spielen wird als in der Vergangenheit. Es ist auch davon
auszugehen, dass weiterhin das Telefonnetz eine wichtige Rolle spielen wird, aber ich würde nicht ausschließen
wollen, dass es völlig neue Entwicklungen gibt. Denn es
gibt, wie Sie auch wissen, Technologiesprünge, die wir
gar nicht absehen können und die wir uns nur wünschen
können, wenn ich an Local Loop oder an Wireless-PutMöglichkeiten denke. Ich würde da nichts ausschließen.
Weitere
Zusatzfrage, Herr Kollege Mayer?
Herr
Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass die
Deutsche Telekom AG als faktischer Monopolist im
Festnetz im Ortsbereich der Telekommunikation von
sich aus relativ wenig Interesse hat, Wettbewerber zuzulassen, und es deshalb dringenden politischen Drucks
und der Unterstützung der Regulierungsbehörde bedarf,
dass eben in das Festnetz schneller mehr Wettbewerb
hineinkommt?
Herr Kollege Mayer, erstens haben wir den Liberalisierungsprozess eingeleitet. Als überzeugter Marktwirtschaftler tue ich mich mit dem Begriff des massiven
Drucks oder wie Sie es eben bezeichnet haben etwas
schwer. Ich glaube, dass der Wettbewerb sehr aktiv vorankommen wird. Mit dem, was wir an Regulierungsregime und Ordnungsrahmen haben, werden wir die Möglichkeiten schaffen, damit es eine noch weitere Intensivierung des Wettbewerbs gibt.
Ich will das jetzt nicht vertiefen, aber Sie können sich
auch einmal anschauen, wie sich in der kurzen Zeit in
Deutschland die Wettbewerbssituation entwickelt hat,
und dies mit anderen Ländern vergleichen, die - was ich
auch bei uns richtig gefunden hätte - schon viel früher
mit der Liberalisierung angefangen haben, aber im Verhältnis zu unserem Wettbewerb noch nicht so weit sind.
Es gibt Nachbarländer, in denen man sich solche Beispiele anschauen kann.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen.
Herr
Staatssekretär, darf ich noch einmal nachfragen? Teilen
Sie meine Auffassung, dass wir zwar im Fernverkehr der
Telekommunikation und im Auslandsverkehr teilweise
vollkommenen Wettbewerb haben, während wir im
Ortsnetzverkehr, im Festnetz, immer noch ein Quasimonopol in der Größenordnung von 98 oder 99 Prozent
der Deutschen Telekom AG haben und deshalb der Regulierer mit Unterstützung der Bundesregierung aufgefordert ist, schnellstmöglich für Wettbewerb zu sorgen?
Darüber
gibt es - erstens - klare gesetzliche Grundlagen. Zweitens gibt es einen präzisen Ordnungsrahmen. Drittens
gibt es ein Regulierungsregime. Es bedarf nicht der AufParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
forderung durch die Bundesregierung über den Deutschen Bundestag an den Regulierer, jetzt für weiteren
Wettbewerb zu sorgen. Der Prozess ist voll im Gang.
Wir werden diesen Weg weitergehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Mayer.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass die
Angebote von T-online, die Sie angeführt haben und die
ich begrüße, nämlich eine Full Flat-Rate für alle und ein
Sonderangebot für die Schüler, das Monopol verfestigen
werden und dass sie nur dann zu mehr Wettbewerb führen, wenn die Deutsche Telekom AG bereit ist, gleichzeitig allen anderen Anbietern von Internetzugängen,
den Internetakzessprovidern, einen Telefontarif zu offerieren, der es diesen auch erlaubt, ähnliche Tarife anzubieten?
Diese Auffassung teile ich. Ich bin trotzdem - darauf haben Sie
auch hingewiesen - der Meinung, dass das vorliegende
Angebot ein wichtiger Durchbruch im Rahmen der jetzigen Entwicklung ist, weil ich ganz sicher bin, dass
auch die anderen Betreiber - wir stehen auch in Kontakt
mit anderen Betreibern - ähnliche Angebote machen
werden.
Ich kann Ihnen, Herr Mayer, nicht ersparen, ein paar
Jahre zurückzuschauen, als wir beide im Regulierungsbeirat saßen.
({0})
- Richtig, Sie nicht, aber ich war Mitglied dieses Rates.
Wir Sozialdemokraten hatten damals beantragt, dass
man mit der Vergabe von Lizenzen an Unternehmen die
Auflage verbinden sollte, dass die Lizenznehmer dann,
wenn sie die Lizenz erhalten, den Schulen einen kostenlosen Internetzugang bereitstellen sollen. Dies ist damals
im Regulierungsbeirat von Ihrer Fraktion abgelehnt
worden. Ich habe das sehr bedauert, weil uns dies fünf
Jahre gekostet hat und es uns in der Entwicklung zurückgeworfen hat. Man kann schon im Rahmen der Vergabe von Lizenzen solche Regelungen treffen. Das machen übrigens, Herr Hirche, auch ausgesprochen liberale
Länder, weil sie wollen, dass die Schulen entsprechende
Möglichkeiten haben. Ich freue mich sehr darüber, dass
Herr Mayer so massiv auf eine Regulierung der Preise in
der Marktwirtschaft drängt.
({1})
- Das ist wahr; das wollen wir nicht vergessen.
({2})
- Herr Mayer, hören Sie mir eine Sekunde zu. Es
stimmt: Der Wettbewerb muss kommen. Sie haben, seitdem Sie in der Opposition sind, immer einen Nulltarif
für Schulen und eine Full Flat-Rate gefordert. Sie wollen
ja keine Flat-Rate, die über 100 DM liegt. Sie wollen eine vernünftige Flat-Rate.
({3})
- Ich erkläre es dem Bundesaußenminister: Die „Full
Flat-Rate“ ist ein nicht getakteter Tarif, ein Pauschalbetrag. Sie ist sozusagen eine feste Gebühr. Das ist das
Steckenpferd von Herrn Mayer.
({4})
Herr Kollege Mayer, ich komme auf Ihre Frage zurück: Wir alle haben ein Interesse daran, dass insbesondere unsere Schulen, Universitäten und Bibliotheken einen möglichst guten und auch einen kostenmäßig erträglichen Zugang zum Internet haben. Ich glaube, dass deshalb der Vorstoß der Deutschen Telekom einen wichtigen Akzent setzt. Ich habe dargelegt, wie ich das Verhältnis zu den Wettbewerbern der Telekom beurteile.
Ich hoffe sehr, dass noch im Laufe dieses Jahres alle
Schulen in Deutschland die Möglichkeit haben, zu erträglichen Kosten einen Internetzugang zu erhalten. Sie
wissen, die Bundesregierung hat sich verpflichtet, zusammen mit den Ländern und mit den Unternehmen alles dafür zu tun, dass bis Ende nächsten Jahres alle
Schulen am Netz sind.
({5})
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär. Vielen Dank, Herr Mayer, Ihr
Kontingent an Zusatzfragen ist erschöpft.
Wir kommen jetzt, wie vereinbart, zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes zurück. Zur Beantwortung
der verbliebenen Fragen steht der Bundesminister
Joseph Fischer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Jörg van
Essen auf:
Unter welchen Voraussetzungen ist die Europäische Union
nach Auffassung der Bundesregierung berechtigt, gemäß Art. 7
des Vertrages über die Europäische Union „bestimmte Rechte“
gegenüber einem Mitgliedstaat auszusetzen, und auf welcher europarechtlichen Grundlage beruht nach Auffassung der Bundesregierung die Entscheidung des Europäischen Rates, die bilateralen Kontakte mit der Republik Österreich auszusetzen?
Herr Abgeordneter van Essen, die Voraussetzung für eine Suspendierung von Rechten aus dem EU-Vertrag
ergeben sich aus dem von Ihnen genannten Art. 7. Aber
im gegenwärtigen Fall liegt nicht, wie Sie irrigerweise
annehmen, eine Entscheidung des Europäischen Rates
vor; vielmehr haben die Regierungen von 14 EUMitgliedstaaten in abgestimmter Weise bilateral auf die
Regierungsbildung unter Beteiligung der FPÖ reagiert.
Sie haben dabei von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihre bilateralen Beziehungen zur österreichischen
Regierung so zu gestalten, wie es im Interesse der geParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
meinsamen Werte der Freiheit, der Demokratie, der
Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit geboten ist.
Zusatzfrage, Herr Kollege van Essen.
Herr Außenminister, wie
beabsichtigt die Bundesregierung der Sorge vieler
Kommentatoren zu begegnen, dass insbesondere das unsensible Vorgehen der Bundesregierung dazu beiträgt,
dass die FPÖ zu weiteren Wahlerfolgen kommt?
({0})
Die Bundesregierung weist zurück, dass sie unsensibel
vorgehe. Die Bundesregierung ist sensibel, vor allen
Dingen im Umgang mit ihren Partnern. Genauso wie wir
mit den Kommentatoren umgehen - durch geduldiges
Bemühen und Aufklären -, so werden wir es auch hier
mit der Opposition versuchen.
({0})
Eine
weitere Zusatzfrage des Kollegen van Essen.
Herr Bundesaußenminister, welche konkreten Koalitionsvereinbarungen der
neuen österreichischen Bundesregierung verstoßen gegen welche konkreten Bestimmungen des EU-Vertrages?
Diese Frage wollte ich später in Beantwortung einer anderen Frage beantworten. Ich kann nur noch einmal betonen - wir werden das vermutlich in einer Aktuellen
Stunde vertiefen -: Aus unserer Sicht ist die Frage vertragsrelevanter Ereignisse nicht gegeben. Wenn das der
Fall wäre, dann müssten selbstverständlich die Kommission - als Hüterin -, aber auch der Rat agieren. Das ist
aber nicht der Punkt; deswegen hat sich die Bundesregierung immer dagegen ausgesprochen, dass die Europäische Union im formellen Sinne reagiert.
Dennoch sehen wir - übrigens gemeinsam mit dem
österreichischen Bundespräsidenten und auch der EVP,
der Europäischen Volkspartei - diesen Vorgang als, um
es ganz diplomatisch zu formulieren, so ungewöhnlich
und als für die europäische Zukunft ein solches Maß an
Sorge erweckend an, dass wir es für notwendig erachtet
haben, in Abstimmung mit unseren Partnern entsprechend vorzugehen. Wir tragen dies inhaltlich mit und
halten es von der formellen Seite her für angemessen.
Wir
kommen zu Frage 15 des Kollegen Jörg van Essen:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung in diesem
Zusammenhang aus der im Programm der österreichischen Regierungskoalition vorgesehenen Ausarbeitung einer Grundrechtscharta, der Unterstützung der EU-Osterweiterung und der
Förderung der EU-Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien?
Kollege van Essen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt.
({0})
- Was bei Ihnen jetzt wehtut, weiß ich nicht. Das kann
ich nicht beantworten.
({1})
- Nein, ich kämpfe mit einer heraufziehenden Erkältung
und ich bitte um Verständnis, dass ich einmal durchschnaufen musste.
({2})
- Das würde auch Ihnen, Herr Koppelin, nicht schaden,
so wie Sie mich anschauen.
Diese Zielvorstellungen der neuen österreichischen
Regierung sind ein Schritt in die richtige Richtung. Die
Bundesregierung wird zusammen mit ihren Partnern
sorgfältig beobachten, wie die österreichische Regierung
dies in die Praxis umsetzt.
Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir kommen zu Frage 16 des Kollegen Haussmann:
Befindet sich das von der österreichischen Regierungskoalition vorgelegte Regierungsprogramm nach Auffassung der Bundesregierung in Übereinstimmung mit den in Art. 6 des Unionsvertrages festgelegten gemeinsamen Grundsätzen über Demokratie, Menschenrechte, Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit
und ist nach Auffassung der Bundesregierung durch die Regierungsbildung durch FPÖ und ÖVP in Österreich eine „schwerwiegende und anhaltende Verletzung“ der in Art. 6 genannten
Grundsätze durch einen Mitgliedstaat gegeben?
Ich beantworte die Frage des Kollegen Haussmann wie
folgt: Da eine Entscheidung des Rates nach dem
EU-Vertrag nicht getroffen wurde, war eine Stellungnahme der österreichischen Regierung nicht erforderlich.
({0}) - Ludwig Stiegler [SPD]: Die sol-
len zu einem EU-Seminar gehen! Da lernen
sie die Grundlagen!)
Zusatzfrage, Herr Kollege Haussmann?
Herr Außenminister, ist Ihnen bekannt, dass der jetzige Bundeskanzler
Herr Schüssel sowohl in seiner Eigenschaft als Wirtschaftsminister und als auch als Außenminister in einem
sehr hohen Maße dazu beigetragen hat, dass die österreichische Bevölkerung in einer Volksabstimmung mit
über zwei Dritteln dem EU-Beitritt zugestimmt hat?
({0})
Verdient diese Haltung nicht einen gewissen Vorschuss
an Vertrauen für den Bundeskanzler?
Ich kenne Wolfgang Schüssel in seiner Eigenschaft als
Außenminister sehr gut. Ich habe mit ihm sehr gut
zusammengearbeitet, auch auf der persönlichen Ebene.
Das habe ich überhaupt nicht zurückzunehmen. Ich habe
in jedem Interview geäußert, dass ich von seiner europapolitischen Orientierung zutiefst überzeugt bin. Dies
wiederhole ich auch hier.
Umso mehr finde ich es sehr bedenklich, dass er diesen Schritt getan hat. Wir haben hier nicht über eine
Entscheidung des österreichischen Souveräns/der österreichischen Souveränin zu reden, sondern über eine Entscheidung der ÖVP-Führung. Ohne dass sich die EU
auch nur im Entferntesten geäußert hat, ist Herr Haider
jetzt in einer Situation, in der er faktisch stärker als die
ÖVP ist.
Meine Hauptsorge - das habe ich heute auch im Ausschuss gesagt - ist, wer wen integriert und was wir tun
werden, wenn das, was Wolfgang Schüssel zu tun vorgibt, nicht gelingt und Haider immer stärker wird. Die
gegenwärtigen Umfragen zeigen nicht, dass dies der Fall
ist. Die ÖVP ist allerdings dramatisch eingebrochen; sie
liegt bei 19 Prozent und die FPÖ bei 27 Prozent. Der
behauptete Zuwachs - der „Boost“ - durch die europäische Reaktion ist nicht festzustellen.
Aber meine große Sorge ist, was tatsächlich geschieht, wenn sich die FPÖ-Frage nicht nur als Integrationsproblem darstellt, sondern das Gegenteil eintritt.
Dann werden wir ein wesentlich ernsthafteres Problem
in Europa zu gewärtigen haben.
Zweite
Zusatzfrage, Kollege Dr. Haussmann.
Gibt es, Herr Außenminister, unter dem Dach der Europäischen Union
Erfahrungen, dass bei Regierungsbeteiligungen linkspopulistischer Parteien, zum Beispiel in Frankreich, ein Integrationsprozess stattfindet? Warum misst die Bundesregierung diese beiden Extrembeteiligungen, Linkspopulismus in Frankreich und Rechtspopulismus in Österreich, nach so unterschiedlichen Maßstäben?
({0})
Wenn eine erklärt antieuropäische und ausländerfeindliche Partei - egal von welcher Seite her - in eine Regierung eintritt, gibt das Anlass zur Sorge. Falls eine solche
Partei dann sogar der stärkere Faktor ist, gibt das noch
mehr Anlass zur Sorge. Wenn dieses in einem Land wie
Österreich mit einer ganz spezifischen Geschichte geschieht - in der Bundesrepublik Deutschland würden wir
in einem solchen Falle noch eine ganz andere öffentliche
Reaktion zu gewärtigen haben -, wird dies von den Partnern mit sehr viel Sorge und auch mit einem mit den
Händen zu greifenden Misstrauen beantwortet aufgrund
der gemeinsamen Geschichte und engen Verbindung mit
Deutschland sowie aufgrund der Geschichte unseres
Kontinents in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Ich bin der Meinung, dass das große Problem, vor
dem wir stehen - das werden wir nachher zu debattieren
haben; dabei werde ich meine Position ausführen -, darin besteht, dass wir es bei Herrn Haider und seiner Partei oder Bewegung nicht mit einem Minoritätspartner zu
tun haben. Das wäre dann eine Frage der politischen
Auseinandersetzung, dazu hätte ich - nicht als Außenminister - im Rahmen der üblichen politischen Auseinandersetzung eine Meinung. Hier haben wir es allerdings mit der Entscheidung der ÖVP aus einer Situation
der Schwäche ihrerseits zu tun, einem stärkeren Partner
den Steigbügel zu halten. Das wird leider nicht die Konsequenzen haben, wie sie Wolfgang Schüssel intendierte.
Eine
weitere Frage des Kollegen Koppelin.
Herr Außenminister,
einmal ganz praktisch gefragt: Wenn die österreichische
Regierung den Wunsch äußerte, mit einigen Kabinettsmitgliedern nach Deutschland zu kommen, um mit der
Bundesregierung zu sprechen, wären Sie dann bereit, an
solchen Gesprächen teilzunehmen, oder sind Sie nicht
dabei?
Die Bundesregierung hat ihre Position gefunden. Selbstverständlich halten wir nichts von Österreich-Bashing
oder ähnlichem mehr. Ich sage noch einmal: Wir sind
gemeinsam mit den anderen Staats- und Regierungschefs - vorneweg die Konservativen - von tiefer Sorge
über diesen Vorgang erfüllt, der alles andere als gewöhnlich ist und über den man auch nicht zur Tagesordnung übergehen kann. Wenn aber solche Wünsche geäußert werden, müssen sie im konkreten Zusammenhang
bewertet werden. Wir spekulieren hier, Herr Kollege
Koppelin, nicht über das, was wir morgen oder übermorgen tun. In dieser schnelllebigen Zeit ist es schwierig, herauszufinden, was morgen oder übermorgen noch
Fakt ist, wie wir gegenwärtig erleben.
({0})
- Vielleicht sind Sie nicht mehr im Amt, vielleicht bin
ich nicht mehr im Amt, vielleicht sind andere nicht mehr
im Amt. Wer weiß es denn?
({1})
Unser Schicksal liegt in der Hand der Wählerinnen und
Wähler. Über so manche Aussage zu spekulieren verbietet sich doch im Lichte der konkreten Realität. Sie wollten ein praktisches Beispiel haben. Wenn sich diese Frage stellt, wird sie beantwortet.
Eine
weitere Frage des Kollegen Hirche.
Herr Außenminister, wie
wollen Sie eigentlich dem Eindruck entgegentreten, der
in der Schweiz und in beitrittswilligen europäischen
Ländern entstanden ist, dass sich die EU in die innersten
Angelegenheiten insbesondere kleinerer Mitgliedstaaten,
auch potenzieller Mitgliedstaaten, einmischt? Auf diese
Weise nimmt sie sie gegen Europa und nicht für Europa
ein.
({0})
Herr Kollege Hirche, wir sind mit dem Amsterdamer
Vertrag im Innenverhältnis der Europäischen Union ich betone das ausdrücklich - einen wesentlichen Schritt
weitergekommen, auch dank der Integrationsleistungen
der Vorgängerregierung. An diesem Punkt kann ich nur
sagen, dass wir uns im Innenverhältnis in einer Zwischenphase befinden. Auf der einen Seite haben wir
noch nicht den vollen Integrationsprozess vollzogen, es
gibt ja auch noch keine europäische Verfasstheit. Auf
der anderen Seite spüren wir aber in allen europäischen
Fragen gegenwärtig schon - dabei sind wir durch Amsterdam einen wichtigen Schritt vorangekommen -, dass
wir am Beginn einer Verfassungsdiskussion stehen.
Auch die gegenwärtige Diskussion wird - egal, wo wir
in ihr stehen - meines Erachtens diesen Prozess beschleunigen und zu einer Verpflichtung auf gemeinsame
Grundwerte im Innenverhältnis führen.
Die Schweiz gehört nicht zur Europäischen Union.
Europakritischen Positionen aus der Schweiz würde ich
mit derselben Ruhe entgegentreten, wie ich es in den
Jahren davor auch immer getan habe, als es andere Argumente gab.
Was die Beitrittsstaaten angeht, ist mein Eindruck
eher der, dass dort die proeuropäische Seite durchaus
sehr viel Verständnis dafür hat, dass es sich um den Beitritt zu einer Wertegemeinschaft handelt,
({0})
dass es also nicht um den Beitritt zu einem Wirtschaftsklub geht. Ich sage das hier ganz bewusst und gehe auch
davon aus, dass dies für alle gilt: Bei der EU handelt es
sich um eine Wertegemeinschaft, die im Rahmen der politischen Integration zur Vollendung geführt wird.
Nun zur Frage der großen und kleinen Staaten: Zwar
halte ich diese Debatte aus Gründen der Kontroverse
zwischen Opposition und Regierung für nachvollziehbar. Aber ich bitte Sie, einmal seriös darüber nachzudenken,
({1})
was passieren würde, wenn sich ein solcher Fall - dieser
Fall stellt sich nicht - in der Bundesrepublik Deutschland stellte. Wir hätten dann, um es einmal ganz milde
zu formulieren, eine ernste Krise des europäischen Einigungsprozesses.
({2})
Wenn sich in Frankreich Vergleichbares ereignete und
in der dortigen Regierung ähnliche Kräfteverhältnisse
herrschten, dann wären die Reaktionen und vor allen
Dingen die Auswirkungen auf den Zusammenhalt Europas um ein Vielfaches größer, als es jetzt im Zusammenhang mit Österreich der Fall ist.
({3})
Eine
weitere Frage des Kollegen Schockenhoff von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Außenminister, wie beurteilt die Bundesregierung die Beteiligung der SPÖ an einer von Jörg Haider geführten
Regierung in Kärnten, und wie wurde die SPÖMinisterin, die das Bundesland Kärnten im Ausschuss
der Regionen vertritt, in der Vergangenheit behandelt?
Ich kann nur hinzufügen, dass unsere Haltung uneingeschränkt gilt. Wir halten eine Regierungsbeteiligung der
FPÖ vor allen Dingen unter den gegenwärtigen Bedingungen auf der nationalen Ebene - egal, mit welcher anderen demokratischen Partei - für einen Anlass, der uns
mit Sorge erfüllt. Das gilt für den konkreten Fall, den
wir gerade diskutieren; das gälte aber auch für andere
mögliche Fälle.
Eine
weitere Frage des Kollegen Irmer.
Herr Minister, wenn Sie immer wieder zu Recht betonen, dass es sich bei den
Strafmaßnahmen gegen Österreich nicht um eine Entscheidung des Europäischen Rates gehandelt hat, dann
frage ich Sie gleichwohl, wie in der Öffentlichkeit denn
dieser Eindruck entstehen konnte.
({0})
Kann es vielleicht daran liegen, dass es bei einem einer
Tagung des Europäischen Rates vergleichbaren Anlass
und in gleicher Zusammensetzung beschlossen wurde?
Wie stehen Sie des Weiteren dazu, dass sich in diesem
Zusammenhang die Kommission durch den Präsidenten
Prodi und auch durch den sozialdemokratischen KomBundesminister Joseph Fischer
missar Verheugen außerordentlich kritisch zu diesen Beschlüssen geäußert hat, die nach außen hin allgemein als
Beschlüsse des Europäischen Rates interpretiert worden
sind?
Herr Kollege Irmer, zunächst einmal handelt es sich hier
nicht um Strafmaßnahmen. Es handelt sich hier auch
nicht um - ({0})
- Aber ich bitte Sie, es geht nicht um Strafmaßnahmen.
({1})
Wir werden das nachher zu diskutieren haben. Es geht
nicht um Strafmaßnahmen, sondern darum, dass wir mit
tiefer Sorge erfüllt und in der Tat der Meinung sind, dass
man nicht einfach zu business as usual übergehen und so
tun kann, als wäre nichts gewesen.
({2})
Auf der anderen Seite war die Haltung der Bundesregierung in der Kommission immer eindeutig: Solange
nicht Vertragsrelevantes gegeben ist, wird und kann
nicht auf der Grundlage der Europäischen Verträge reagiert werden. Die Kommission als Hüterin der Europäischen Verträge hat dies noch einmal klargemacht. Sie
hat auch mit allem Nachdruck klargemacht, dass sie die
Vorgänge sehr sorgfältig beobachten wird.
Ich bitte Sie, sich daran zu erinnern, dass der österreichische Bundespräsident noch kurz vor der Angelobung
der neuen Regierung zwei der Ministerkandidaten wegen nicht hinnehmbarer rassistischer Äußerungen von
der Liste gestrichen hat. Ferner diskutiert die EVP ernsthaft eine Suspendierung der ÖVP. Wollen Sie uns angesichts dessen wirklich empfehlen, wir sollten hier zur
Tagesordnung übergehen? Das würde nichts anderes als
die Isolierung der Bundesrepublik Deutschland bedeuten, meine Damen und Herren.
({3})
Ich kann Ihnen an diesem Punkt nur versichern, dass
ich die Äußerungen von Prodi und Verheugen - ich habe
mit beiden geredet - mitnichten so bewerte, wie Sie das
gerade getan haben.
Eine
weitere Frage des Kollegen Dr. Müller von der
CDU/CSU-Fraktion.
Im Anschluss an die
Frage von Herrn Irmer möchte ich fragen: Wie bewerten
Sie die getroffenen Beschlüsse angesichts der Tatsache,
dass die Maßnahmen gegen Österreich vor Kenntnis des
Regierungsprogramms und der Regierungsmannschaft also eine im Vorhinein ausgesprochene Sanktion - bekannt gegeben wurden? Auf welcher Rechtsgrundlage
ist der Europäische Rat tätig geworden?
Im Gegensatz zu Ihnen bin ich kein Jurist.
({0})
- Ich bitte um Entschuldigung. Ich gehe grundsätzlich
davon aus, dass ich es mit Juristen zu tun habe.
({1})
In 9 von 10 Fällen liegt man richtig. In Ihrem Fall muss
ich mich entschuldigen; es war keine böse Absicht.
Von Nichtjurist zu Nichtjurist: Der Europäische Rat
ist nicht tätig geworden. Vielmehr haben sich die 14
Staats- und Regierungschefs, koordiniert von Portugal,
entsprechend abgesprochen und auf Grundlage dieser
Absprache eine gemeinsame Position gefunden. Das europäische Vertragswerk und der Europäische Rat sind
davon nicht betroffen.
({2})
Eine
weitere Frage des Kollegen Niebel.
Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass die F.D.P. vor ungefähr 10 Jahren für den
Ausschluss der FPÖ aus der Liberalen Internationale gesorgt hat, unterstelle ich, dass wir diese Partei im Wesentlichen inhaltlich gleich bewerten. Wenn Sie allerdings argumentieren, dass das Einfrieren offizieller Kontakte im Innenverhältnis der EU angemessen sei, muss
ich fragen, ob es nicht genauso angemessen wäre, wenn
im Innenverhältnis der Bundesrepublik die Bundesregierung die offiziellen Kontakte zum Land MecklenburgVorpommern einfrieren würde, wo ja auch eine extreme
Partei mitregiert.
({0})
Bei allem Respekt, Herr Abgeordneter: Ich bin nun
wirklich der Letzte, der die Auseinandersetzung mit der
PDS und auch die Frage nach der Vergangenheitsbewältigung scheut. Aber ich bin bei diesem sehr ernsten
Thema für eine klare Differenzierung.
Wenn ich mir Herrn Haiders Programm anschaue, das
schlimme Emotionen in Form von Ausländerfeindlichkeit schürt und das die Europafeindlichkeit seiner Partei
und die Relativierung der nationalsozialistischen Vergangenheit beinhaltet, dann komme ich zu dem Schluss,
dass ich eine solche Gleichsetzung mit der PDS nicht
nachvollziehen kann. Dies würde auf eine Verharmlosung der FPÖ und vor allen Dingen auf eine UnterschätUlrich Irmer
zung der von ihr ausgehenden Gefahr hinauslaufen. Das
möchte ich Ihnen klipp und klar sagen.
({0})
Ich bin der Letzte, der die PDS in Schutz nehmen will
und der die politische Auseinandersetzung mit ihr
scheut. Aber Ihren Vergleich - Entschuldigung - kann
ich nicht nachvollziehen.
({1})
Letzte
Zusatzfrage vom Kollegen Schauerte.
Herr Minister,
zunächst eine ganz kurze Vorbemerkung. Wenn man
jemanden fälschlicherweise einen Juristen genannt hat,
muss man sich deswegen im deutschen Parlament nicht
entschuldigen.
({0})
Nun die Frage. Sehr seriöse Quellen haben die Ausländerprogrammatik der FPÖ und der österreichischen
Regierung analysiert und haben sie mit der Programmatik der anderen europäischen Staaten verglichen. Sie
kommen zu dem Ergebnis, dass die dänische Ausländerpolitik um Längen restriktiver und weniger zumutbar sei
als die österreichische Ausländerpolitik. Wenn dieser
Tatbestand zutreffen sollte: Wann gedenkt die Bundesregierung mit Dänemark ähnlich zu verfahren wie mit
Österreich?
({1})
Herr Schauerte, zu Ihrer Vorbemerkung. Ich wollte niemandem zu nahe treten, indem ich ihm den ehrbaren Beruf des Juristen unterstelle. Die Bundesregierung versucht, allen Berufen gleichermaßen gerecht zu werden,
solange sie ernsthaft, seriös und auf der Grundlage des
Rechtes ausgeübt werden.
({0})
- Ich kann Ihnen dazu nur sagen: In diesem Falle geht es
nicht um Trauben, sondern nur darum, dass ich mich für
meinen Fehler entschuldigen wollte. Sie müssen sich als
Jurist nicht angegriffen fühlen.
Aber was Sie anschließend gesagt haben - da wächst
in mir eher die Skepsis. Man kann ernsthaft darüber
streiten, was wir heute im Auswärtigen Ausschuss getan
haben, ob man das, was die Staats- und Regierungschefs
getan haben, gut findet oder nicht, ob man es produktiv
oder kontraproduktiv findet. Man muss dann aber auch
über die Alternativen sprechen. Das wird schon weniger
getan. Ich habe mich mit der CSU und der CDU und
auch mit Herrn Kanther in der Frage der Ausländerpolitik öfter sehr heftig gestritten,
({1})
weil ich grundsätzlich anderer Meinung bin. Dennoch
war ich nie der Meinung, dass die CSU oder die CDU
deswegen für mich sozusagen eine rechtspopulistische
oder gar rechtsradikale Gefahr darstellen. Bei Herrn
Haider stellt sich dies anders dar.
({2})
- Ich komme zu Dänemark, Herr Schauerte. - Ich bitte
Sie nochmals zu begreifen - was Sie offensichtlich nicht
tun -, was Herr Haider vor dem Hintergrund unserer
gemeinsamen deutsch-österreichischen Geschichte tatsächlich bedeutet und wie dieses in den Öffentlichkeiten
unserer EU-Partner angenommen wird.
({3})
Ihre Frage zeugt auch von Geschichtsblindheit, wenn
man weiß, welche Rolle Dänemark gespielt hat, wenn
man auch und gerade an die tapfere Haltung der Dänen
in den Zeiten des Holocausts denkt, als Deutschland versuchte, die dänischen Juden zu deportieren, wenn man
weiß, mit wie viel Selbstbewusstsein das kleine dänische
Volk damals widerstanden hat, vom König angefangen,
quer durch alle Parteien, von links bis rechts. Ich hoffe,
dass diese Fragestellung und diese Vergleiche nicht dort
ankommen; denn sie würden dort völlig fehlinterpretiert
werden.
({4})
Insofern appelliere ich noch einmal an Sie zu begreifen,
dass wir hier zwar auch eine innenpolitische Debatte
führen, dass wir gleichzeitig aber sehr klar sehen müssen, dass wir es mit einem europapolitischen Vorgang zu
tun haben. Dieser Aspekt scheint mir bei der Opposition
ein wenig zu kurz zu kommen.
Wir
kommen nun zur Frage 17 des Kollegen Dr. Haussmann:
Ist es nach Auffassung der Bundesregierung erforderlich, den
betroffenen Mitgliedstaat um Stellungnahme zu ersuchen, bevor
eine Maßnahme nach Art. 6 des Unionsvertrages gegen ihn verhängt wird, und aus welchen Gründen ist eine derartige Stellungnahme der österreichischen Regierung eventuell nicht eingeholt worden?
Herr Kollege Haussmann, da eine Entscheidung des Rates nach dem EU-Vertrag nicht getroffen wurde, war eine Stellungnahme der österreichischen Regierung nicht
erforderlich.
Zusatzfrage? - Keine. Dann Herr Irmer.
Wenn die Regierungen der
Mitgliedstaaten der EU diesen Beschluss gefasst haben
und nicht der Europäische Rat, dann stellt sich die Frage
genauso, ob es nicht seitens dieser Mitgliedstaaten angebracht gewesen wäre, die Regierung eines anderen
Mitgliedstaates der EU vorher zu konsultieren. Auch
wenn es nicht der Europäische Rat war, bleibt also die
Frage gleichwohl unbeantwortet.
Nein, die Frage bleibt nicht unbeantwortet. Es hat über
Wochen hinweg ein intensives Gespräch zwischen den
verschiedensten Staats- und Regierungschefs - übrigens
nicht nur der EU, sondern auch außerhalb der EU - gegeben. Das österreichische Bundespräsidialamt hat dies
in einer eigenen Dokumentation sehr penibel festgehalten. Ich empfehle Ihnen, diese Dokumentation
nachzulesen. Sie wurde dem österreichischen Parlament
überstellt. Es hat intensive Gespräche auf der Ebene einzelner Staats- und Regierungschefs gegeben, an denen
ich nicht teilgenommen habe, von denen aber berichtet
wurde. Dies geschah am Rande des Europäischen Rates,
wobei es gegenüber dem Kollegen Schüssel keinerlei
Unklarheit gegeben hat. Wenn ich jetzt formal antwortete, müsste ich sagen: Aber zu diesem Zeitpunkt war ja
über die österreichische Regierung, über die wir heute
sprechen, noch nicht zu sprechen. Sie hatte sich damals
noch nicht konstituiert. Dennoch hat es auf den verschiedensten Ebenen eine offene Ansprache und Aussprache gegeben. Ich denke, es konnte keinerlei Zweifel
daran bestehen, wie ernst die beteiligten Staats- und Regierungschefs in der EU dies tatsächlich nehmen.
Nun
stellt Herr Kollege Koppelin eine Zusatzfrage.
Herr Außenminister,
wenn ich das in den Medien richtig verfolgt habe, haben
Sie in diesen Tagen Gespräche mit dem EUBeitrittskandidaten Türkei geführt. Hat die Haltung der
deutschen Regierung gegenüber Österreich in diesen
Gesprächen auch eine Rolle gespielt und haben Sie dem
türkischen Außenminister klargemacht, welche Parteien
in der Türkei zukünftig nicht mehr zu wählen sind?
({0})
Wieso jetzt herauskommt, wie schwach unsere Position
ist, weiß ich nicht. Ich kann Ihnen aber Folgendes versichern: Ich habe darüber selbstverständlich mit dem türkischen Kollegen gesprochen, weil Österreich ein
Thema war. Wir haben darüber sehr ausführlich gesprochen. Ich kann Ihnen versichern: Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, darüber zu entscheiden, welche
Partei in Deutschland gewählt wird, es sei denn, es ist
eine verfassungsfeindliche Partei. In diesem Fall findet
ein entsprechendes gesetzliches Verfahren statt, wenn es
einen Verbotsantrag gibt. Es ist nicht die Aufgabe der
Bundesregierung, hier oder in einem anderen Land darüber zu entscheiden. Es ist aber die Aufgabe der Bundesregierung, sich klar zu unseren Grundwerten zu bekennen.
({0})
Wenn sie die Gefahr sieht, dass diese Grundwerte in der
Europäischen Union bedroht sind, muss sie entsprechend reagieren. Nur darum geht es. Wenn Sie aber
meinen, wir müssten hier eine innenpolitische Kontroverse führen, ob die Bundesregierung darüber entscheidet, wer wo gewählt werden soll, so kann ich Ihnen eine
Wahlentscheidung für Schleswig-Holstein geben, wer
auf keinen Fall gewählt werden soll.
({1})
Wir
kommen nun zur Frage 18 des Kollegen Ulrich Irmer:
Ist die Regierungsbildung nach demokratischen Wahlen in
einem EU-Mitgliedstaat nach Auffassung der Bundesregierung
ein Vorgang, der der Mitbestimmung der anderen EU-Partner
bedarf, oder handelt es sich hierbei um eine souveräne Entscheidung des Mitgliedstaates, die der strengen Subsidiarität unterworfen ist?
Die 14 EU-Mitgliedstaaten, Herr Kollege Irmer, die in
abgestimmter Weise bilateral auf die Regierungsbildung
unter Beteiligung der FPÖ politisch reagiert haben, haben nicht den Anspruch, ein Mitbestimmungsrecht zu
besitzen. Sie haben aber von ihrer Möglichkeit
Gebrauch gemacht, ihre bilateralen Beziehungen zur österreichischen Regierung so zu gestalten, wie es im Interesse der gemeinsamen Grundwerte, der Freiheit, der
Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit, geboten ist. Die Frage nach der Subsidiarität
stellt sich deshalb nicht.
Zusatzfrage, Herr Kollege Irmer. Bitte schön.
Herr Bundesaußenminister, im
Jahre 1994 wurde in Italien eine Regierung von Herrn
Berlusconi gebildet unter Einbeziehung zweier neofaschistischer Parteien. Können Sie mir sagen, warum damals keine Reaktion erfolgte, die vergleichbar gewesen
wäre mit der, wie sie jetzt gegen Österreich erfolgt ist?
Das ist eine Frage, die Sie an den damaligen Außenminister und an Herrn Dr. Kohl richten müssen. Ich war
damals nicht Mitglied der Regierung.
({0})
Ich war sehr besorgt darüber.
({1})
- Entschuldigung, für mich als überzeugten Europäer ist
die Beteiligung einer neofaschistischen Partei keine
Selbstverständlichkeit. Wenn Sie es lustig finden, dann
finden Sie es lustig.
({2})
Eine
weitere Zusatzfrage des Kollegen Irmer.
Herr Bundesaußenminister,
meiner Erinnerung nach waren Sie 1994 Mitglied des
Deutschen Bundestages und haben keine Gelegenheit
ausgelassen, der damaligen Bundesregierung am Zeug
zu flicken. Ich erinnere mich nicht - vielleicht helfen Sie
mir auf die Sprünge, wenn Sie auf die damaligen
Machtverhältnisse verweisen -, dass von Ihnen oder von
der grünen Fraktion irgendeine Attacke auf die Bundesregierung erfolgt wäre wegen Nichtagierens gegen die
Beteiligung von Neofaschisten in Italien.
({0})
Hier bin ich, Herr Kollege Irmer, wirklich überfragt. Da
müssen Sie nicht ins Tremolo fallen. Mit Aussagen, was
die Erinnerung betrifft, sollten wir aus der Lamäng heraus vorsichtig sein.
({0})
Gibt es
dazu weitere Fragen? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zu Frage 19 des Kollegen Ulrich
Irmer:
Hat die Bundesregierung Hinweise darauf, dass die bis zur
Regierungsübernahme durch die neue Koalition im Amt befindliche Vorgängerregierung in Österreich unter Bundeskanzler
Viktor Klima die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ersucht hat, Maßnahmen gegen Österreich nach Art. 7 des Unionsvertrages zu prüfen?
Herr Kollege, die Frage wird mit Nein beantwortet.
Zusatzfrage des Kollegen Irmer.
Ich möchte gerne zusätzlich
fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, dass es Angebote des früheren Bundeskanzlers Klima, SPÖ, an die
FPÖ gegeben hat, über eine gemeinsame Koalition zwischen SPÖ und FPÖ zu verhandeln, oder ob es zumindest die Aufforderung von Herrn Klima an die FPÖ und
damit an Herrn Haider gegeben hat, eine Minderheitenregierung der SPÖ in Österreich zu tolerieren.
({0})
Ich kann nur für mich antworten, denn für die gesamte
Bundesregierung zu antworten wäre etwas vermessen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Mir liegen keine Kenntnisse
über das, was man in den Zeitungen gelesen hat, vor. Ich
habe mich zu dieser Frage aber vorher klar und eindeutig geäußert. Die Haltung der Bundesregierung gilt hier
generell für die Beteiligung der FPÖ an der Bundesregierung in Österreich.
Keine
weitere Zusatzfrage? - Dann sind die Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beendet. Ich bedanke mich, Herr Bundesaußenminister.
Die F.D.P.-Fraktion hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt. Diese wird genau um 15 Uhr aufgerufen werden.
Wir fahren nun in der Fragestunde fort.
Die Fragen 48 und 49 zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie
werden schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Ulrike Mascher zur Verfügung.
Die Fragen 50 und 51 des Kollegen Strobl sollen
schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zur Frage 52 des Kollegen
Singhammer:
Wie beurteilt die Bundesregierung allgemein die Vorschläge
der EU-Kommission für Richtlinien zur Gleichbehandlung in
Beschäftigung und Beruf und zur Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft und insbesondere die vorgesehenen Vorschriften zur Beweislastumkehr zulasten des Arbeitgebers, zur Möglichkeit einer
Verbandsklage und zum Tendenzschutz?
Frau Mascher, bitte schön.
Herr Kollege
Singhammer, die Bundesregierung begrüßt grundsätzlich die Initiative der Europäischen Kommission zur Bekämpfung von Diskriminierungen, die auch den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere entspricht. Dieser hat die Kommission ersucht, so bald wie
möglich Vorschläge, die Durchführung des Art. 13 EGVertrag betreffend, zur Bekämpfung von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit vorzulegen. Hierdurch wird ein
einheitlicher europäischer Rahmen zur Bekämpfung von
Diskriminierungen geschaffen.
In Bezug auf die Beweislastumkehr zulasten des Arbeitgebers, die Möglichkeit einer Verbandsklage und
den Tendenzschutz möchte ich auf Folgendes hinweisen:
Die Richtlinienentwürfe enthalten keine generelle
Beweislastumkehr zulasten des Arbeitgebers. Sie sehen
vielmehr vor, dass es in Fällen, in denen Tatsachen
glaubhaft gemacht werden, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen, dem Arbeitgeber obliegt,
zu beweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt. Die
Bundesregierung hält diese Regelung für angemessen.
Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der betroffene
Arbeitnehmer in der Regel nicht über die notwendigen
Nachweise verfügen dürfte. Diese Regelung entspricht
auch der EG-Richtlinie über die Beweislast bei der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sowie der Regelung des § 611 a BGB, Gleichbehandlung von Männern
und Frauen.
Eine Verbandsklage ist in den Richtlinienentwürfen
nicht vorgesehen. Vorgesehen ist lediglich, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen
im Namen der beschwerten Person mit deren Einwilligung ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren einleiten
können. Dies entspricht der geltenden Rechtslage in
Deutschland.
Die Richtlinienentwürfe berücksichtigen generell den
Tendenzschutz. Sie sehen unter anderem vor, dass Ungleichbehandlungen aufgrund wesentlicher beruflicher
Anforderungen auch weiterhin zulässig sein sollen. In
Bezug auf die Kirchen ist eine spezielle Regelung vorgesehen, die dem Tendenzschutz der Kirchen Rechnung
trägt. Entsprechend der Erklärung Nr. 11 zum Vertrag
von Amsterdam hat die Europäische Kommission ausdrücklich anerkannt, dass sie den Status der Kirchen und
weltanschaulichen Gemeinschaften anerkennt und nicht
beeinträchtigen möchte. Der Richtlinienvorschlag enthält daher in Art. 4 eine entsprechende Regelung, die
dem Tendenzschutz Rechnung trägt.
Die Bundesregierung wird darauf achten, dass das in
unserer Verfassung verankerte Recht der Kirchen auf
Selbstbestimmung durch die Richtlinien nicht berührt
wird.
Zusatzfrage, Herr Kollege Singhammer?
Gilt dieser
Schutz für Tendenzbetriebe auch für nicht kirchliche
Tendenzbetriebe, zum Beispiel den Deutschen Gewerkschaftsbund?
Selbstverständlich gilt er auch da. Wir haben die Frage der Koalitionsfreiheit auch in unserer Verfassung geregelt. Entsprechend gilt das hier.
Weitere
Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Frage 53 des Kollegen
Singhammer:
Welchen Änderungsbedarf für das deutsche Recht und welche konkreten Auswirkungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
sieht die Bundesregierung im Falle einer unveränderten Annahme der Richtlinienvorschläge?
Frau Kollegin Mascher.
Herr Kollege
Singhammer, die Beratungen der Richtlinienvorschläge
in den Ratsgremien haben erst jetzt begonnen. Hierbei
wurde deutlich, dass die Mitgliedstaaten noch zahlreiche
Fragen und Änderungsvorschläge haben. Es ist daher
zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, konkrete Angaben darüber zu machen, welche Auswirkungen die
Richtlinien auf das Arbeitsleben haben und welche
Rechtsänderungen im deutschen Recht durch die Umsetzung der Richtlinien erforderlich werden. Ich bitte Sie
deswegen noch um etwas Geduld.
Zusatzfrage, Herr Singhammer? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, vielleicht können Sie trotzdem schon jetzt eine Frage beantworten, jedenfalls von der Tendenz her:
Schließen Sie aus, dass dadurch ein Konflikt mit Bestimmungen des Grundgesetzes möglich wäre?
Ich kann mir
nicht vorstellen, um welchen Konflikt es sich Ihrer Meinung nach handelt. Ich denke, wir sollten abwarten, bis
die konkrete Richtlinie vorliegt.
Eine
weitere Zusatzfrage, Herr Singhammer? - Nein.
Dann kommen wir zur Frage 54 des Abgeordneten
Klaus Hofbauer:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Regelungen in den
Richtlinienvorschlägen zur Gleichbehandlung in Beschäftigung
und Beruf und zur Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes ohne
Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft hinsichtlich der
beruflichen und allgemeinen Bildung in Bezug auf die EUKompetenz, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass Art. 13
des EG-Vertrages ({0}) eine EU-Kompetenz nur „im Rahmen
der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten“ vorsieht?
Herr Kollege
Hofbauer, Art. 13 des EG-Vertrages ermächtigt den Rat,
einstimmig Vorkehrungen zur Bekämpfung von Diskriminierungen zu treffen. Die auf der Grundlage der Querschnittsregelung des Art. 13 vorgeschlagenen Richtlinienentwürfe beziehen sich daher grundsätzlich auch auf
die berufliche und allgemeine Bildung. Allerdings soll
mit den Richtlinien zur Umsetzung des Art. 13 EGV
keine Kompetenzausweitung verbunden sein. Daher
wird die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die
Lehrinhalte und die Gestaltung der Bildungssysteme
nicht berührt.
Dies wird ausdrücklich in Art. 3 g des Richtlinienentwurfs zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft bestimmt.
Es gibt
keine Zusatzfrage.
Dann kommen wir zur Frage 55 des Abgeordneten
Klaus Hofbauer:
Wie rechtfertigt sich für die Bundesregierung der grundgesetzliche Schutz von Ehe und Familie, wenn nach dem Rechtstext der Richtlinienvorschläge zwischen ehelichen und nicht
ehelichen bzw. gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nicht differenziert und so eine unterschiedliche Behandlung durch den
Arbeitgeber, zum Beispiel bei betrieblichen Sozialleistungen,
verboten wird?
Frau Kollegin Mascher.
Herr Kollege
Hofbauer, der grundgesetzliche Schutz von Ehe und
Familie wird durch den Vorschlag einer Richtlinie zur
Bekämpfung von Diskriminierungen in Beschäftigung
und Beruf nicht berührt. Dieser Richtlinienvorschlag
enthält keine Regelung zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, sondern verweist auf die
jeweilige nationale Rechtslage. Daher richten sich die
Rechte gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften
ausschließlich nach den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften.
Es gibt
keine Zusatzfrage. Dann kommen wir zur Frage 56 des
Kollegen Aribert Wolf:
Welche beschäftigungs- und sozialpolitischen Auswirkungen
erwartet die Bundesregierung bei unveränderter Annahme des
Kommissionsvorschlags für eine Richtlinie zur Familienzusammenführung, insbesondere zugunsten von legal in der EU lebenden Drittstaatlern?
Herr Kollege
Wolf, die unveränderte Annahme des von der Kommission vorgelegten Vorschlags für eine Richtlinie zur Familienzusammenführung durch den Rat ist nicht zu erwarten. Nach den ersten Beratungen in der Ratsarbeitsgruppe zeichnet sich keine für die Annahme erforderliche einstimmige Zustimmung ab. Die beschäftigungsund sozialpolitischen Auswirkungen des Kommissionsvorschlags können mangels entsprechender Daten nicht
benannt werden.
Hinsichtlich beschäftigungspolitischer Auswirkungen
ist aber darauf hinzuweisen, dass gemäß diesem Vorschlag der Kreis der Familienangehörigen, die einen Anspruch geltend machen können, zu legal in der EU lebenden Drittstaatlern nachzuziehen, im Vergleich zum
deutschen Recht ausgeweitet wird. Allerdings sollen aus
diesem Personenkreis nur der Ehegatte, die Ehegattin
und die Kinder bis zum 18. Lebensjahr ein uneingeschränktes Recht auf den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.
Nicht eingeschätzt werden kann, mit welchem zusätzlichen Nachzugspotenzial aus dem Kreis jener zu rechnen ist, die sich auf der Grundlage der bisherigen deutschen Nachzugsregelungen - dies betrifft Kinder bis
zum 16. Lebensjahr - entschieden haben, in ihrem Heimatland zu verbleiben, und für die sich nach der Verwirklichung des Vorschlags ein zeitliches Fenster zum
Nachzug öffnen würde.
Ferner sollen weitere Familienangehörige, und zwar
Verwandte in aufsteigender Linie und unverheiratete
Kinder über dem 18. Lebensjahr, soweit ihnen jeweils
von sich in Deutschland legal aufhaltenden Drittstaatsangehörigen Unterhalt gewährt wird - das ist entscheidend -, ein Nachzugsrecht, aber kein Recht auf Zugang
zum Arbeitsmarkt erhalten. Nach gegenwärtigem deutschen Arbeitsgenehmigungsrecht können diese Personen
gegebenenfalls nach Erfüllung bestimmter Wartezeiten
eine Arbeitserlaubnis erhalten.
Insoweit könnte sich einerseits eine zusätzliche
Belastung, andererseits aber auch eine Entlastung des
Arbeitsmarktes ergeben.
Da die
Staatssekretärin sehr erkältet ist, würde ich vorschlagen,
dass Sie sie schonen. Denn wir sind kurz vor Ablauf der
vorgesehenen Zeit für die Fragestunde und könnten an
dieser Stelle mit der Aktuellen Stunde fortsetzen.
({0})
Ich werde Ihnen meine Antwort schriftlich zur Verfügung stellen. Danke.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin. Ich wünsche gute Besserung.
Die Fragen 57 bis 63 werden schriftlich beantwortet.
Wir sind jetzt eine halbe Minute vor Ablauf der für
die Fragestunde vorgesehenen Zeit. Deswegen beende
ich die Fragestunde.
Wir kommen nun zu der angekündigten Aktuellen
Stunde, die die Fraktion der F.D.P. zu den Antworten
der Bundesregierung auf die Fragen 14 bis 19 der Fragestunde verlangt hat.
Ich rufe daher auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Europäischen Union zur neuen
österreichischen Regierung
Das entspricht Nummer 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Nach Nummer 2 a der Richtlinien muss
die Aussprache unmittelbar nach Schluss der Fragestunde durchgeführt werden.
Als erster Redner in der Aktuellen Stunde hat der
Kollege Klaus Kinkel von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Europäer haben sich bei
den Ausgrenzungsmaßnahmen gegenüber Österreich
ganz zweifellos vergaloppiert. Bundeskanzler Schröder
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
und Außenminister Fischer - das müssen sie sich sagen
lassen - haben die Peitsche kräftig mitgeschwungen,
obwohl es Deutschland, obwohl es der Bundesregierung
gut angestanden hätte, gegenüber unserem kleinen,
wichtigen Nachbarn Österreich in besonderer Weise
Verantwortung zu übernehmen und den Versuch zu machen, die völlig unverhältnismäßigen Maßnahmen aufzuhalten.
({0})
Es wird Zeit, dass der Rückwärtsgang eingeschaltet
wird. Wenn ich die Lage richtig sehe, sind schon Rückruderbewegungen im Gange.
({1})
Ja, Jörg Haider ist ein schlimmer, ein sehr schlimmer
Populist, der sich durch seine Äußerungen disqualifiziert
hat. Daran kann es gar keinen Zweifel geben, auch nicht
für uns.
({2})
Seine simplifizierende, irreführende Art, auf die Sorgen
und Probleme der Menschen Antworten eines vermeintlich leichten Weges zu geben, ist nicht hinnehmbar. Das
muss entlarvt und bekämpft werden, aber er muss politisch bekämpft werden. Man darf nicht wie ein Kaninchen auf die Schlange blicken und Angst haben, sich politisch mit ihm auseinander zu setzen.
({3})
Was die Europäer angerichtet haben,
({4})
bewirkt genau das Gegenteil von dem, was beabsichtigt
ist, nämlich Haiders Aufwertung.
(
"Theo gegen den Rest der Welt!")
- Vorsichtig, Herr Bundeskanzler. An der HaiderHysterie haben Sie leider Gottes mitgewirkt. Es wäre
deshalb besser gewesen, man hätte vorher ein bisschen
mehr darüber nachgedacht.
({0})
Wir sind der Meinung, dass die Europäische Union
wahrhaftig sehr genau darauf achten sollte, was im Regierungsprogramm und in der Koalitionsvereinbarung
steht - wachsam, aber ruhig, besonnen und selbstsicher.
Es scheint eine furchtbare Angst zu herrschen. Ich frage:
vor Haider? Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.
Niemand hat doch Angst vor Österreich, der kleinen Alpenrepublik, die sich in kurzer Zeit sehr gut in die Europäische Union eingefügt hat.
({1})
- Ja, es besteht Angst vor der Ansteckung. Aber ich
meine, man sollte ein bisschen selbstsicherer sein.
Die Angst bekämpft man sicher auch nicht, indem
man Haider und Österreich isoliert. Ich habe vielmehr
das Gefühl, dass wir uns auf die Ursachen konzentrieren
sollten: Warum hat Haider eigentlich solch einen Erfolg? Könnte es nicht sein, dass wir gemeinsam Fehler
gemacht haben? Sollten wir uns in der politischen Auseinandersetzung nicht besser darauf konzentrieren? Darüber sollte nachgedacht werden.
({2})
Man kann die Österreicher nicht einfach in das Strafeck
stellen, nur weil einem die ÖVP/FPÖ-Regierung nicht
passt.
({3})
Herr Außenminister, gerade ist schon die Frage danach gestellt worden: Ich sehe keine Verstöße gegen
Art. 6 oder 7 des Amsterdamer Vertrages; ich selbst habe mit darauf hingewirkt, dass diese Artikel aufgenommen wurden. Ich sehe auch keine völkerrechtlichen Verstöße, sosehr ich mich anstrenge. Ich wiederhole es: Wir
sollten das Verhalten beobachten, aber einen vernünftigen Umgang pflegen.
Im Übrigen: Als Bundeskanzler Klima von der SPÖ
die FPÖ gefragt hat, ob sie nicht eine SPÖ-Regierung
tolerieren wolle, habe ich keinen Aufschrei gehört, auch
nicht den kleinsten.
({4})
Ich habe auch nichts gehört, als es um Regierungsbeteiligungen von Neofaschisten und Kommunisten in Europa ging. Also bitte: Gleiches Recht für alle und gleiche
Maßstäbe, keine Samtpfotenpolitik gegenüber Menschenrechtsverletzern und nicht den großen Max spielen,
wenn es um ein kleines Land in Europa geht!
({5})
Ich stelle die Frage, was passiert wäre, wenn es eines
der großen europäischen Länder gewesen wäre. Ich
traue mir die Erfahrung zu, um zu sagen, wie dann die
Lösung ausgesehen hätte: Niemals so wie jetzt. Auf dem
kleinen Österreich herumzuprügeln ist billig.
({6})
In gewisser Weise geniere ich mich für Europa angesichts dessen, was da in der Praxis abläuft:
({7})
Da gibt es ein kalkuliertes Zuspätkommen; da gibt es
keine Familienfotos; da geht man aus den Sälen heraus.
Seien Sie nicht böse: Das ist albern
({8})
und erweckt langsam den Eindruck eines Kasperltheaters! Das ist kindisch!
({9})
Es sollte viel mehr auf die energischen Fortschritte
bei der Beitrittsfrage, bei den institutionellen Reformen
und beim Euro geachtet werden.
({10})
Stattdessen beteiligt sich die Bundesregierung an diesen
lächerlichen Spielen. Als ob Europa keine anderen Sorgen hätte! Der Kompass stimmt nicht mehr.
({11})
„Brüssel albern“ titelte gestern eine große Tageszeitung. Ich finde, wir sollten bald von dem Kasperltheater
Abstand nehmen.
({12})
Wir sollten Österreich und seiner neuen Regierung eine
faire Chance geben. Wir sollten uns die europäische Integration nicht kaputtmachen lassen, indem wir uns selber wegen Haider lähmen. Das wäre der falsche Weg.
({13})
Die Bundesregierung sollte schnell zu einer sachorientierten, vernünftigen und besonnenen Politik zurückkehren. Europa hat andere Sorgen als dieses - ich benutze
das Wort noch einmal - alberne und fast kindische Verhalten
({14})
in der praktischen Abwicklung dessen, was an Sanktionsmaßnahmen vorgesehen ist. Leider haben Deutschland und die Bundesregierung daran mitgewirkt.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Redner
aufrufe, möchte ich etwas zur aktuellen Situation sagen.
Wolfgang Schäuble, der Fraktionsvorsitzende der CDU/
CSU, hat soeben seinen Platz eingenommen. Kurz zuvor
hat er in einer Pressekonferenz bekannt gegeben, dass er
weder für den Fraktionsvorsitz noch für den Parteivorsitz wieder kandidieren wird. Ich glaube, wir können
deshalb nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen.
Natürlich kann ich nicht ausdrücken und ermessen, was
das sowohl für Ihre Fraktion als auch für diesen Bundestag bedeutet. Sie sind eine prägende Figur dieses Bundestages. Ich möchte Ihnen im Namen des ganzen Hauses meinen persönlichen Respekt ausdrücken und Ihnen
persönlich in der Zukunft ein bisschen mehr Freiheit
wünschen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Herr Außenminister Joschka
Fischer.
({1})
Wenn Sie mit dem „Joschka“ so große Probleme haben,
dann muss ich sagen: Das passt nicht damit zusammen,
dass Sie sich gleichzeitig für k. u. k. aussprechen.
Joschka ist die Koseform für Joseph auf Ungarisch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir
gegenwärtig diskutieren, wird mit etwas mehr Abstand
als Beginn einer für Europa sehr wichtigen innenpolitischen Verfassungsdebatte bewertet werden, bei der es
auch um die Frage der kommenden europäischen innenpolitischen Demokratie und Souveränität gehen wird.
({0})
Grundrechte sind hier aufgerufen, die einen klaren historischen Bezug haben.
Ich habe Herrn Kollegen Kinkel zugehört und glaube,
dass seine Rede zwar im Deutschen Bundestag und in
der deutschen Öffentlichkeit verstanden wird - man mag
die Meinung teilen oder nicht -, in vielen unserer Mitgliedstaaten aber überhaupt nicht nachvollzogen werden
kann
({1})
und in einen völlig anderen Zusammenhang gerückt
wird.
({2})
Ich halte überhaupt nichts davon, so zu tun, als ob es
sich um eine gewöhnliche Regierungsbildung handeln
würde, an der man Kritik üben mag, sonst aber zur europäischen Tagesordnung übergeht. Ich möchte Ihnen
nur sagen: Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, wenn
ausgerechnet die Europäische Volkspartei darüber nachdenkt, ob sie die Mitgliedschaft der ÖVP aufgrund dieser Koalition suspendieren solle und über diese Frage
ein formelles Verfahren eingeleitet hat. Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang
({3})
- zu Ihnen, Ihrer Partei und Ihrem Ministerpräsidenten
komme ich gleich noch, Herr Glos - wenn zwei Ministerkandidaten innerhalb kürzester Zeit wegen nicht hinnehmbarer rassistischer Äußerungen vom Österreichischen Bundespräsidenten nicht akzeptiert werden und
ersetzt werden müssen.
({4})
Herr Kinkel, wenn Ihre Rede gilt: Was heißt das dann
für den Österreichischen Bundespräsidenten in Bezug
auf all die gravierenden Bedenken, die er vorgetragen
hat? Diese Frage müssen Sie sich einmal stellen.
In einem Interview der Zeitschrift „News“ sagt der
Österreichische Bundespräsident:
Die FPÖ ist keine Nazipartei. Ich habe die FPÖ
wegen dieser Vorwürfe im Ausland auch immer
wieder verteidigt. Aber leider bedienen sich höchste Funktionäre dieser Partei nach wie vor einer
Sprache, die sie für jedes politische Amt disqualifiziert.
({5})
Ich stelle fest, dass selbst der Österreichische Bundespräsident diese Position vertritt.
Ich habe Ihnen vorhin klipp und klar gesagt und in Ihr
Stammbuch geschrieben: Ich kenne Wolfgang Schüssel
in der Zusammenarbeit als einen überzeugten Europäer.
({6})
Die entscheidende Frage ist eine andere. Die entscheidende Frage stellt sich, wenn die Strategie von
Schüssel, die FPÖ über eine Regierungsbeteiligung zu
integrieren, nicht gelingt und am Ende die FPÖ als der
stärkere Partner daraus hervorgehen wird. - Da schütteln
Sie jetzt den Kopf. Es hat nicht der EU bedurft, um
Haider in diese Position zu bringen, in der er heute tatsächlich ist.
({7})
Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Schüssel geht hier
ein Risiko ein, bei dem er genau weiß, dass am Ende
letztendlich die ÖVP als Verliererin aus dieser Koalition
hervorgehen kann. Genau das ist die Intention von Herrn
Haider.
Hierbei gibt es in der Tat einen Zusammenhang mit
der Krise des europäischen Konservativismus und der
Christdemokratie, die ich alles andere als positiv empfinde. Ich kann darüber keine Freude empfinden, weil
ich weiß, wie wichtig die beiden großen Stabilisatoren
Mitte-Rechts und Mitte-Links für die europäische Nachkriegsdemokratie sind. Bei allen parteipolitischen Auseinandersetzungen weiß ich um die große Integrationsleistung der demokratischen Mitte-Rechts-Parteien, vor
allen Dingen der Christdemokraten. Diese sind in einer
fundamentalen Krise, wie wir es gerade in diesen Tagen
erleben. Mich erreichen vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Lage immer wieder besorgte Fragen, ob es
denn einen Zusammenhang zwischen dem Auftauchen
bzw. Stärkerwerden von Herrn Haider und der
Christdemokratie in unserem Lande geben könnte. Ich
verneine diesen Zusammenhang.
Festzustellen ist, dass es dieses Problem gibt und es
auf uns zukommt. Insofern wären die Europäer meines
Erachtens schlecht beraten und würden einen schweren
Fehler machen, wenn sie ihrer Sorge nicht mit allem
Nachdruck Ausdruck verleihen und klar machen - es
wurde das mildeste Mittel dafür gewählt -, dass die Partei Haiders letztendlich eine ausländerfeindliche, eine
Europa ablehnende und eine den Nationalsozialismus relativierende Politik betreibt. Haider gerät immer wieder
dort hinein, und zwar nicht deshalb, weil er versucht,
Stammtische zu integrieren, sondern weil es Kern seiner
Überzeugung ist - das können Sie bei Haider nachlesen -, letztlich hinter das Europa der Integration zurückzugehen. Er will ein Aufbrechen der Verbindung von
Konservativismus und europäischer Integrationsidee,
wie sie nach 1945 entstanden ist.
Dies geschieht vor dem Hintergrund der Schwäche.
Wären die europäische Christdemokratie und der europäische Konservativismus stärker, dann hätte ich daran
politische Kritik. Es wäre dann aber keine echte Sorge,
dass Haider mehr als ein Integrations- oder Mehrheitsbeschaffungsproblem sein könnte. In der gegenwärtigen
Situation wird meines Erachtens die österreichische Innenpolitik weit über Österreich hinaus für die Europäische Union bedeutsam. Das macht die Sorge, gerade der
westlichen Nachbarn, aus, auf die ich gleich noch zu
sprechen komme.
In einer solchen Situation wäre es sträflich, wenn gerade die Bundesrepublik Deutschland versuchen würde,
die Dinge zu bremsen. Wir haben weitergehende Vorstellungen wie etwa in Bezug auf die Gestaltung des europäischen Vertragswerkes oder die Ausgestaltung der
informellen Räte. Und Sie wissen das nur zu gut, Herr
Kinkel, die informellen Räte sind Bestandteil der formellen, multilateralen europäischen Arbeit. Wir haben
dies immer abgewehrt. Auf der anderen Seite bitte ich
Sie, mit Ihrer ganzen Erfahrung Folgendes zu bedenken
- ich verstehe nicht, wie Sie dies unter den Tisch fallen
lassen können -:
Wenn nur der leiseste Eindruck entsteht, dass wir relativierend die Hand darüber halten, würden wir unmittelbar in eine Situation geraten wie damals bei der Kroatienpolitik, das heißt, wir würden uns isolieren und
Misstrauen auslösen bei unseren Partnern.
({8})
- Das ist eben gerade keine Frage des Mutes. Es enttäuscht mich, dass Sie offensichtlich bereit sind, an einem so wichtigen Punkt eine innenpolitische und - wofür ich Verständnis habe - persönliche Auseinandersetzung zu führen. Es geht nicht um die Frage des Mutes.
Es bedarf hier überhaupt keines Mutes. Es ist doch nicht
eine Frage des Mutes, wenn man einen schweren
politischen Fehler macht, wie Sie, Herr Kinkel, es uns
empfehlen. Das darf doch nicht wahr sein!
({9})
Die Kroatienpolitik damals war aus meiner Sicht ein
schwerer politischer Fehler.
Ich darf Ihnen einmal aus einem Interview vorlesen,
das der Herr Kollege Schäuble am 8. Februar 2000, also
vor wenigen Tagen, gegenüber „Le Monde“ gegeben
hat. Er wurde nach den Unterschieden zwischen der
deutschen und der französischen Bewertung in diesem
Zusammenhang gefragt. Nach dem, was mir die Botschaft berichtet hat, wird das quer durch alle Fraktionen
im französischen Parlament - und so auch in der französischen Öffentlichkeit - völlig anders bewertet, mit
Ausnahme von Pasqua und der Front National. Kollege
Schäuble wusste dies. Er wurde von Daniel Vernet, einem intimen Kenner der deutschen Innenpolitik, für „Le
Monde“ zu den unterschiedlichen Auffassungen befragt.
Die Frage war: "Besteht die Gefahr einer Spaltung innerhalb der Europäischen Volkspartei?" - Das wird verneint.
Dann kommt die dritte Frage: "Kann diese unterschiedliche Auffassung zu einer Belastung des deutschfranzösischen Verhältnisses werden?" - Daraufhin sagt
Wolfgang Schäuble:
Nein. Übrigens liegen die Regierungen beider Länder auf ein und derselben Linie. Was die Öffentlichkeit in beiden Ländern angeht, so ist die
deutsch-französische Zusammenarbeit so wichtig,
dass sie Meinungsunterschiede problemlos aushält.
Ich kann Ihrer Analyse nur zustimmen. Wenn die Bundesregierung eine andere Haltung eingenommen hätte,
hätten wir das Problem Haider unmittelbar bei uns gehabt.
({10})
- Das ist überhaupt nicht absurd. Sie sprechen von dem
„kleinen Österreich“. Fast könnte man meinen, es sei ein
Opfer. Österreich ist Mitglied der europäischen Familie.
Unser großes Problem ist doch - das zeigen die Diskussionen -, dass wir sehr sorgfältig abwägen mussten.
Was ich Ihnen vorwerfe, ist, dass Sie diese Abwägung
aus innenpolitischen Gründen nicht vorgenommen haben, sondern einen Angriff starten wollen ohne Rücksicht auf die Wirkung bei unseren Partnern. Das ist der
entscheidende Punkt.
({11})
Herr Außenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schäuble?
({0})
Gerne.
Herr Außenminister, hätten Sie, damit kein Missverständnis entsteht - ich habe es ja zurzeit mit der Vermeidung von
Missverständnissen zu tun -, die Liebenswürdigkeit,
dem Hohen Hause ausdrücklich zu sagen, dass ich auch
in diesem Interview mit „Le Monde“ - unbeschadet der
Passage, die Sie vorgetragen haben - den Standpunkt
unserer Bundesregierung für falsch erklärt habe?
Das ist überhaupt keine Frage.
({0})
- Nein, Herr Schäuble, jetzt können Sie es nicht umgekehrt auslegen. Sie wollten ja Missverständnisse aufklären. Deswegen wollen wir nicht in neue Missverständnisse flüchten.
Ich sage: Es ist überhaupt keine Frage, dass Sie eine
andere Position haben. Sonst würden Sie sich ja einem
massiven Konflikt innerhalb der CDU/CSU aussetzen.
Aber Sie haben es für wichtig gefunden - als Oppositionsführer sind Sie freier als die Regierung -, auf die
Frage, ob dies ernsthafte Verwerfungen im deutschfranzösischen Verhältnis geben kann, mit Nein zu antworten. Obwohl Sie eine andere Position haben, haben
Sie darüber hinaus auf den wichtigen Punkt der Gemeinsamkeit der beiden Regierungen hingewiesen - nicht
mehr und nicht weniger. Ich will Ihnen nicht unterstellen, dass Sie meine Position vertreten. Dennoch finde
ich das bemerkenswert angesichts der Debatte.
Nun zu den großen Nichtinterventionisten - so wird
das ja diskutiert -: Dort sitzt der Bayerische
Ministerpräsident. Man kann ja von Edmund Stoiber
halten, was man will. Auf jeden Fall rennt er jetzt durch
die Gegend und verkündet übermäßige Reaktionen:
„Amoklauf“ und Ähnliches mehr. Mich würde einmal
interessieren, wie der Bayerische Ministerpräsident seine
Rolle als Geburtshelfer dieser Koalition definiert.
({1})
Wenn wir hier über die Frage reden, ob Interventionen nötig sind oder nicht, muss man schon einmal festhalten: Ohne dass ihn jemand danach gefragt hätte, ohne
dass ihn irgendwelche Depeschen aus Wien erreicht hätten, kam es aus Edmund Stoiber - sozusagen in einem
einsamen Überfall des politischen heiligen Geistes wenige Tage nach der Wahl direkt und unmittelbar heraus: Er hat sich für diese Koalition dort ausgesprochen.
({2})
Das muss man klipp und klar sagen. Dass er als Geburtshelfer dieser Koalition jede Kritik an dieser Koalition als Amoklauf darstellt, scheint mir konsequent und
nicht weiter verwunderlich zu sein. Ich kann Ihnen, Herr
Stoiber, nur sagen: Sie müssen sich hier schon die Frage
nach der Nähe stellen lassen, die Sie zu diesem Projekt
tatsächlich haben. Diese Frage werden Sie sich stellen
lassen müssen.
({3})
Deshalb möchte ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit die Position der Bundesregierung darstellen:
Wir halten es für dringend geboten, nicht zur alltäglichen Arbeit, nicht zum normalen Geschäft überzugehen;
denn viele unserer europäischen Partner sehen das, auch
aus historischen Gründen, anders. Die Bundesrepublik
Deutschland hatte abzuwägen. Sie musste einerseits verhindern, dass im Übermaß reagiert wird, und andererseits verhindern, dass ein business as usual stattfindet.
Wir haben uns für das mildeste Mittel entschieden
und versucht, in geduldigem Gespräch mit unseren Partnern überzeugend dafür zu werben, dass wir diese Linie
einhalten und alles, was unserer Meinung nach darüber
hinausgeht, vermeiden. Ich halte diese Linie von der Sache her für angemessen und im Interesse der europäischen Integration für dringend notwendig.
({4})
Sie werden erleben, meine Damen und Herren - insofern verstehe ich die Haltung der Union nicht; ich sage
bewusst Union -, dass Herr Haider in die Koalition mit
der ÖVP nicht eingetreten ist, damit er dort demokratisch in die Regierungsverantwortung integriert wird.
({5})
Sein einziges Ziel ist vielmehr, hegemonial zu werden.
Dadurch werden Sie Weiterungen für Europa und für die
Zukunft des christdemokratischen Projektes in Europa
erleben, von denen ich hoffe, dass sie nicht eintreten.
Jetzt hat man ihm aber den Steigbügel hingehalten.
Viele unserer Partner wären gern weiter gegangen.
Wir halten den Schritt, den wir heute gemacht haben, für
notwendig, richtig und angemessen. Wir werden gemeinsam mit unseren Partnern Wert darauf legen, dass
wir, solange das Vertragswerk nicht verletzt ist, auf der
multinationalen Ebene der Europäischen Union die Dinge voranbringen, um die es jetzt geht. Es geht um die
Frage der Erweiterung, es geht mit der Eröffnung der
Regierungskonferenz um die Reform der Institutionen.
Wir haben einen enormen Fortschritt bei der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemacht. Das
alles sind Dinge, die jetzt konkret und praktisch angepackt werden müssen.
Die Europäische Kommission hat gleichzeitig erklärt,
dass sie sehr sorgfältig darauf achten wird, ob es zu einer Verletzung des Vertragswerke, zu vertragsrelevanten
Schritten der österreichischen Regierung kommen wird.
Ansonsten wird es um die politische Auseinandersetzung gehen. Die Staats- und Regierungschefs haben
auch klargemacht, dass sie mit tiefer Sorge die Regierungsbildung sehen, weil sie diese Regierungsbildung
im Interesse Europas und im Interesse Österreichs für
falsch halten. Dies sei keine Einmischung in die inneren
Angelegenheiten.
Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft,
und mit dem Amsterdamer Vertrag sind wir ein weiteres
Stück zusammengewachsen. Die Zeiten, in denen die
nationale Politik nur eine Frage der Außenpolitik war das zeigt die heutige Debatte in diesem Parlament, in der
Sie fast wie ein österreichischer Innenpolitiker gesprochen haben -, sind in Europa vorbei.
({6})
- Ich meine das nicht negativ. Ich meine, dass Sie fast
wie ein österreichischer Innenpolitiker sprachen, der
fordert: Wir müssen Haider bekämpfen. Als wenn wir
Haider in Deutschland im Sinne der österreichischen Politik bekämpfen könnten! Ich weiß aber auf jeden Fall
eines: Das, was Sie als Kampf gegen Haider geboten
haben, ist das Gegenteil.
({7})
Ich möchte Ihnen noch etwas zur These, die EUReaktionen hätten Haider groß gemacht, sagen.
({8})
- Schauen Sie sich doch die Umfragen an. Sie besagen
heute, dass sich das Wählerpotenzial der Grünen verdoppelt hat,
({9})
dass sich die ÖVP bei 19 Prozent befindet, Herr Haider
bei 27 Prozent stagniert und die SPÖ nach wie vor mit
über 30 Prozent die stärkste Partei ist. Nichts von einem
Haider-Boost, den Sie hier beschreien! Den hätten Sie
vielleicht gerne, um innenpolitisch Recht zu haben. Aus
all diesen Gründen kann ich Ihnen, meine Damen und
Herren, nur sagen: Wenn wir Ihrer Linie gefolgt wären,
stünden wir jetzt vor dem Problem, dass wir Deutschland in die Isolation geführt und
({10})
Misstrauen produziert hätten, wie es in der Kroatienpolitik der Fall war. Das wollten wir nicht, das tun wir nicht.
Das ist auch nicht Mut, sondern das wäre eine europapolitische Eselei. Diese lehnen wir ab.
({11})
Meine Damen
und Herren, der Bundesaußenminister hat länger als
zehn Minuten gesprochen. Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen hat nach den Richtlinien für die Aktuelle
Stunde in Verbindung mit § 44 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung verlangt, dass über diese Ausführungen
eine Aussprache eröffnet wird. Das ist in Übereinstimmung mit der Geschäftsordnung. Ich habe es überprüft.
Ich schließe damit die Aktuelle Stunde und eröffne
die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Gernot Erler.
({0})
- Einen Moment. Es geht nicht um die Tatsache, dass
wir nun eine Aussprache führen, sondern um die Frage,
wer anfängt. - Ich kläre das eben.
Wir haben die Frage im Konsens mit allen Geschäftsführern geklärt. Ich gebe jetzt Herrn Ministerpräsidenten
Stoiber das Wort.
({1})
Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident ({2}):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Herren! Ich freue mich über jede Debatte über die weitere Entwicklung Europas in diesem Hause, weil ich insgesamt der Auffassung bin, dass wir in Deutschland viel
zu wenig über die weit reichenden Konsequenzen der
fortschreitenden Erweiterung Europas sprechen. Dazu
müssen wir uns gegenseitig auch einmal die Frage stellen, ob wir die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande ausreichend über das informieren, was heute bereits
politisch in Brüssel entschieden wird.
Deswegen geht es mir hier nicht um die österreichische Innenpolitik, Herr Außenminister. Vielmehr haben
wir hier ohne Zweifel einen beispiellosen Vorgang in
der Geschichte der Europäischen Union zu bewerten;
({3})
denn nach einer demokratischen Wahl haben 14 europäische Regierungen versucht, auf die Regierungsbildung
in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union massiv
einzuwirken. Das hat es so noch nie gegeben.
({4})
Nicht genug damit: Sie drohen mit Sanktionen und beginnen diese zu vollziehen, weil sich Österreich ihrem
Druck nicht beugt.
Die Bundesregierung hat sich an die Spitze dieser
Bewegung gesetzt.
({5})
Sie fügt damit der europäischen Integration schweren
Schaden zu.
({6})
Ich kann nur sagen: Diese Isolation Österreichs, die Sie
hier versuchen und zum Teil durchführen, halte ich für
verhängnisvoll.
({7})
Herr Außenminister, ich bin gerne bereit, über die Innenpolitik Österreichs mit Ihnen zu reden, aber hier geht
es zunächst einmal nicht um die Innenpolitik Österreichs, sondern hier geht es alleine um die Entwicklung
Europas, darum, wie weit eigentlich die Befugnisse und
die Zuständigkeiten Europas reichen und wie weit sie
nicht reichen. Darüber müssen wir uns klar werden.
({8})
Sie wollen hier durch Diffamierung Ihrer Kritiker mit
der angeblichen Nähe zu Herrn Haider ablenken. Das
wird Ihnen nicht gelingen.
({9})
Ich sage Ihnen, Herr Außenminister, auch ganz offen:
Ich brauche von Ihnen persönlich keine Belehrungen in
puncto Demokratie, wenn ich an Ihre Vergangenheit
denke.
({10})
Sie sind der Letzte, der das Recht dazu hat.
({11})
Für die CDU und die CSU steht fest: Haider hat sich
mit völlig inakzeptablen Äußerungen selbst disqualifiziert. Für seine Entgleisungen in den letzten Jahren gibt
es keinerlei Entschuldigungen.
({12})
Ihre Politik der Bevormundung der österreichischen
Wähler ist allerdings ein tatkräftiges HaiderFörderprogramm. Das belegen im Gegensatz zu Ihren
Aussagen alle Umfragen, die es gegenwärtig nicht nur in
Österreich, sondern auch in anderen europäischen Ländern gibt. Mit Ihrer Politik fördern Sie im Grunde genommen gerade die Rechtsradikalen in den verschiedenen Ländern.
({13})
Das eigentlich Empörende ist: Diejenigen, die sich als
Hüter und Verteidiger der europäischen Grundwerte
aufspielen, missachten gröblichst das Demokratieprinzip
und das Selbstbestimmungsrecht.
Sie berufen sich jetzt darauf, dass Deutschland mit
den anderen Regierungen mitziehen musste, um nicht
isoliert zu sein.
({14})
- Das haben Sie gerade gesagt. - Aber die Wahrheit ist:
Sie haben diese Entwicklung selbst entscheidend mitinitiiert. Damit haben Sie Europa in eine Sackgasse geführt, aus der wir möglichst schnell wieder herauskommen müssen. Für diesen Irrweg mögen Sie für eine gewisse Zeit die Mehrheit der europäischen Regierungschefs auf Ihrer Seite haben. Aber, Herr Außenminister,
die Mehrheit der deutschen Bürger haben Sie mit dieser
Politik nicht hinter sich. Dies müssen wir auch deutlich
artikulieren.
({15})
Selbstverständlich ist die Europäische Union eine
Wertegemeinschaft.
({16})
Es ist gut und richtig, dass die Europäische Union nach
Art. 7 des EU-Vertrags Sanktionen gegen Mitgliedstaaten verhängen kann, welche die Grundsätze der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit schwerwiegend und anhaltend verletzen.
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({17})
Aber davon kann doch gegenwärtig im Falle Österreichs
überhaupt nicht die Rede sein. Das Land hat sich nichts
zuschulden kommen lassen. Sie beleidigen die Menschen in Kufstein, in Innsbruck, in Wien und wo immer
sie in Österreich leben.
({18})
Theo Sommer, der wirklich nicht verdächtigt ist, mit
mir immer einer Meinung zu sein, hat es vor ein paar
Tagen, am 10. Februar, in der „Zeit“ auf den Punkt gebracht. Er schreibt:
Da wird ein Land gelyncht nach dem Prinzip: Vollstreckung auf Verdacht, Beweise werden sich
schon finden.
So kann man nicht vorgehen.
({19})
Eine derartige Vorverurteilung und Ausgrenzung eines
Mitgliedstaats, wie wir das jetzt erleben, darf es in der
Europäischen Union nicht geben. Das widerspricht eklatant den Grundwerten der Europäischen Union und gefährdet die Funktionsfähigkeit der Staatengemeinschaft.
Hinter vorgehaltener Hand wird ja selbst im Auswärtigen Amt eingeräumt, dass man gegenüber einem größeren EU-Partner - hier hat Herr Kinkel völlig Recht wohl kaum so vorgehen würde, wie man das mit dem
8-Millionen-Volk Österreichs glaubt tun zu können.
({20})
Offensichtlich stellen Sie nur den an den Pranger, bei
dem Sie es sich glauben leisten zu können. Damit
betreiben Sie im Grunde genommen eine Politik nach
dem Motto: Das große Europa schlägt das kleine
Österreich.
({21})
Diese Anmaßung hat keinen Rückhalt bei den Menschen
in der Bundesrepublik Deutschland.
({22})
Herr Außenminister, auch noch so wortreiche Rechtfertigungsversuche mit moralischem Alleinvertretungsanspruch können nicht davon ablenken:
Erstens. Ihrem Boykott gegen Österreich fehlt jegliche rechtliche Grundlage.
({23})
Zweitens. Das Verfahren erfüllt nicht einmal die Minimalanforderungen rechtsstaatlicher Grundsätze, weil
der Betroffene ohne jegliche Anhörung vorverurteilt
worden ist.
({24})
Drittens. Sie verletzen in eklatanter Weise das Selbstbestimmungsrecht eines souveränen Mitgliedstaates der
Europäischen Union.
Ich komme noch einmal zu Theo Sommer, der in seinem Artikel ausgeführt hat:
Soll so ein europäisches Wertebewusstsein entstehen? Eher wächst nun wohl die Furcht, dass in Europa eine Art umgekehrter Breschnew-Doktrin gelten soll.
Der Mitherausgeber der „Zeit“ formuliert damit in zugespitzter Form Befürchtungen insbesondere der jungen
Demokratien im Osten. Diesen Ländern ist die beschränkte Souveränität der Jahrzehnte vor 1989 noch
sehr genau in schmerzlicher Erinnerung; deswegen sind
als Reaktion auf diese Entscheidungen viele Stimmen
aus den Ländern, die Aufnahmeanträge gestellt haben
oder gegenwärtig Aufnahmeverhandlungen führen, nicht
von der Hand zu weisen. Sie greifen nicht nur in das
Regierungshandeln eines Landes ein; vielmehr greifen
Sie in die Willensbildung eines Volkes ein. Das ist ein
Qualitätsunterschied gegenüber dem bisherigen Verhalten.
({25})
Natürlich ist die nationale Politik eines Landes heute
in großem Umfang auch europäische Innenpolitik und
nicht mehr Außenpolitik. Selbstverständlich kann man
Kritik an einzelnen Handlungen und vielen Entscheidungen nationaler Regierungen üben. Wenn das geschieht, dann erwarte ich aber, Herr Außenminister, dass
man mit Gleichmaß vorgeht. Wo war die Europäische
Union, als Frankreich damals gegen massivste Widerstände in der Welt Atomwaffenversuche durchgeführt
hat? In dieser Frage hat sich die Europäische Union sehr
zurückgehalten.
({26})
Wo waren die EU-Partner,
({27})
als in Italien - darauf ist hingewiesen worden - die neofaschistische Allianz Finis an der Regierung beteiligt
wurde? 1994, als Berlusconi und Fini zusammen die
Regierung gebildet haben, habe ich nichts gehört.
({28})
- Sie können schreien, so viel Sie wollen. - Wo sind die
Aufschreie der Partner darüber, dass an der französischen oder an der italienischen Regierung heute nach
wie vor Kommunisten beteiligt sind, die von vielen Seiten kommen?
({29})
Dazu habe ich noch nie etwas gehört.
({30})
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({31})
Ich wundere mich, Herr Außenminister, dass Sie - Herr
Kinkel hat darauf hingewiesen - so tun, als ob Sie es
nicht wüssten: In allen Gazetten und in der gesamten österreichischen Innenpolitik war es ein Thema, als der
Bundeskanzler und Vorsitzende der SPÖ bei Herrn Haider um die Tolerierung einer Minderheitenregierung gebuhlt hat. Wo war denn da das Eingreifen der Europäischen Union?
({32})
Ich erwarte nur, dass man gerecht und nicht ungerecht
vorgeht.
({33})
Erst nachdem dieser Schmusekurs der SPÖ gegenüber der FPÖ gescheitert war, haben Sie umso lauter
„Skandal“ und „Boykott“ gerufen. Die Bürger erkennen
aber - wir werden dies auch weiterhin diskutieren, nicht
nur in diesem Hause -: Sie führen hier eine pure Heuchelei auf.
({34})
Dabei hätte gerade die deutsche Regierung in dieser
schwierigen Phase eine besondere Verantwortung gegenüber unserem europäischen Nachbarland gehabt. Gerade die deutsche Regierung hätte ihre Stimme gegen
vorschnelle und kurzsichtige Reaktionen erheben müssen. Durch die gemeinsame Sprache und durch die gemeinsame Kultur sind Deutschland und Österreich besonders eng verbunden.
({35})
Es gibt kein Land, Herr Außenminister, das die Deutschen so gut kennen wie unser südliches Nachbarland.
10 Millionen Deutsche sind mindestens fünf Tage im
Jahr in Österreich. Sie erleben dieses Land natürlich
nicht in der Weise, wie Sie es darstellen, und sie halten
es für ungerecht, wie Sie mit diesem kleinen Land umgehen.
({36})
Wir werden das auch nicht akzeptieren. Die politische
Diskussion ist damit nicht beendet.
({37})
Gerade im Zuge der Osterweiterung der Europäischen
Union wird Österreich als Vermittler zwischen Ost und
West eine entscheidende Rolle zuwachsen. Ich betone:
Es liegt im ureigensten Interesse Deutschlands, dass Österreich der Europäischen Gemeinschaft auch in Zukunft
diesen Dienst als Brücke zum Osten und zum Südosten
erweisen kann. Wien ist europäisches Urgestein. Wer
Österreich boykottiert, der trifft Europa ins Herz hinein.
({38})
Jede europäische Regierung ist an dem zu messen,
was sie erklärt und in die Tat umsetzt. Ich vertraue darauf, dass die österreichische Regierung unter Bundeskanzler Schüssel auch in Zukunft in jeder Weise von den
europäischen Grundwerten bestimmt sein wird. Jeder
weiß - deshalb tun Sie auch Ihrem früheren Kollegen
sehr viel Unrecht -: Gegen starken Gegenwind hat
Wolfgang Schüssel unermüdlich mit Vernunft und mit
guten Argumenten für den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union gekämpft. Er hat große Schwierigkeiten
damals auch in der Österreichischen Volkspartei gehabt.
In Österreich hat man ja per Volksentscheid abgestimmt.
Daran wird deutlich, dass das für Österreich ein außerordentlich schwieriges Thema gewesen ist. Eine Mehrheit für den Beitritt Österreichs zur EU war in der Bevölkerung nicht von Anfang an vorhanden. Herr Schüssel hat sich gerade auch innerhalb der Europäischen
Volkspartei außerordentlich exponiert für die Aufnahme
Österreichs in die EU eingesetzt. Mit Ihren Maßnahmen
treffen Sie einen überzeugten Europäer, dem Sie unterstellen, er würde irgendetwas gegen Europa oder gegen die Grundwerte Europas unternehmen.
({39})
Das ärgert mich erheblich und wird auch dem Politiker
Schüssel nicht gerecht, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({40})
Alle diese historischen und politischen Zusammenhänge hätte die Bundesregierung bei ihrer Beurteilung
der Regierungsbildung in Österreich meines Erachtens
in die Waagschale legen müssen. Ich sage Ihnen aber
auch, dass meiner Meinung nach Ihrer Europapolitik das werden wir an anderer Stelle sicherlich häufiger diskutieren - jede klare Linie fehlt.
({41})
Das muss ich Ihnen, Herr Außenminister, ganz offen
sagen. Ich will es nicht unmittelbar vergleichen, aber natürlich ist es eigenartig, dass man gegen ein demokratisches Land, das die Deutschen, wie ich sagte, wie kein
zweites Land kennen, in dieser Weise vorgeht, während
Sie sich gleichzeitig bemühen, die Türkei, der im Grunde genommen noch außerordentlich viel fehlt, unter die
Beitrittskandidaten aufzunehmen. Ich halte das nicht für
miteinander vereinbar.
({42})
- Es mag sein, dass das aus Ihrer Sicht unglaublich
klingt, aber vielleicht sind Sie schon so abgehoben, dass
Sie nicht mehr spüren, worüber die Menschen draußen
reden und diskutieren.
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({43})
({44})
Vielleicht sollten Sie auch einmal mehr mit den Menschen reden.
({45})
Wo Sie sich, Herr Außenminister, hier schon wie eine
moralische Großmacht aufspielen, frage ich Sie, was
denn, nachdem Sie als Oppositionsführer der Grünen
vor vier Jahren Bundesaußenminister Kinkel, der gerade
gesprochen hat, und den ehemaligen Bundeskanzler
Kohl in einer harten Weise wegen der Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien attackiert haben, jetzt
eigentlich los ist.
({46})
Wo bleiben denn die Maßnahmen, die Sie damals vom
Bundeskanzler verlangt haben?
({47})
Sanftmütig sind Sie bei Ihrem Besuch in Russland in
Moskau aufgetreten. Warum ist noch keine Wortmeldung von Ihnen gegen die Mitgliedschaft Russlands im
Europarat wegen der Menschenrechtsverletzungen in
Tschetschenien erfolgt? Natürlich muss man das vergleichen. Hier stimmt manches nicht!
({48})
Ich finde es erbärmlich, dass Sie vorgestern in Brüssel - das ist ja eine tolle Art des Boykotts - der österreichischen Außenministerin den Handschlag verweigert
haben. Wem haben Sie in den letzten 30 Jahren schon
die Hand gegeben,
({49})
um nicht zu sagen, was haben Sie in den letzten
30 Jahren alles in der Hand gehabt, meine Damen und
Herren?
({50})
Hier geht es nicht um eine Regierungsbildung, hier
geht es um die Substanz der freien demokratischen Willensbildung in Europa insgesamt.
({51})
Einzelne Regierungen wollen einen Präzedenzfall für
die Einmischung in Wahlentscheidungen demokratischer Völker schaffen.
({52})
All das, was Sie hier machen, will man ohne Diskussion
und ohne Zustimmung der Bürger von oben verordnen.
Das darf und kann nicht die Zukunft Europas sein. Herr
Außenminister, ich bin der festen Überzeugung, dass wir
weitere europäische Entscheidungen dieser Größenordnung nicht mehr ohne eine größere Beteiligung des Volkes treffen können,
({53})
weil sie im Prinzip sehr schwach legitimiert sind. Wohin dieser Weg führt, zeigt die Forderung aus Belgien
nach einer Vertragsänderung, um künftig Länder mit
„rechtsgerichteten“ Parteien in der Regierung aus der
Europäischen Union ausschließen zu können.
Wir stellen uns die Zukunft der Europäischen Union
auch anders vor als Kommissionspräsident Prodi in seinen jüngsten Äußerungen in Riga.
({54})
- Das ist für mich der Präzedenzfall. - Dort hat er festgestellt, im Zuge der Osterweiterung würden wir künftig
viele Fälle wie Österreich erleben, weil es in der
Europäischen Union der 28 ja jeden Monat eine größere
Wahlentscheidung gebe. Eine solche, wie er es nennt,
„neue Wirklichkeit“ der Einmischung in die Souveränität von Ländern, die Mitglied der Europäischen Union
sind oder demnächst sein werden, ist nicht die Vorstellung einer großen Mehrheit der Europäer von einem
demokratischen Europa der Bürger, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({55})
Eine solche Entwicklung in Europa wollen wir nicht und
will auch eine große Mehrheit der Menschen in unserem
Lande nicht.
Deswegen kann ich Sie nur immer wieder auffordern,
mit der Isolation Österreichs aufzuhören. Sie schaden
damit der Integration Europas, die wir alle wollen, was
ich Ihnen natürlich nicht abspreche. Sie schaden der Integration Europas gerade im Ansehen der kleinen Länder fundamental. Kehren Sie um! Damit würden Sie Europa einen größeren Dienst als mit diesen lächerlichen
Boykotten leisten, die darin bestehen, dass Sie den Leuten nicht einmal die Hand geben.
({56})
Das Wort hat
jetzt Herr Außenminister Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da mich
der Bayerische Ministerpräsident direkt angesprochen
hat, bekommt er auch eine direkte Antwort. Höhepunkt
seiner ganzen Rede war ja der Vorwurf, ich hätte der österreichischen Kollegin Ferrero-Waldner nicht die Hand
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({0})
gegeben. Edi Stoiber muss es wissen, denn er war ja dabei. Ich muss Sie aber leider enttäuschen: Ich habe sie
gesehen, ich habe ihr die Hand gegeben, ich habe Servus
gesagt, das war’s. Ich weiß gar nicht, wie Sie auf etwas
anderes kommen.
Aber ich kann Ihnen sagen, welches Ihr Problem ist.
Ihr Problem ist, dass Sie die Verhältnisse völlig verkehren.
({1})
Für Sie ist nicht die Regierungsbeteiligung von Herrn
Haider das Problem.
Darüber haben Sie nicht einen Satz verloren. Ihr Problem ist vielmehr, dass Ihnen die ganze Entwicklung in
der Europapolitik - das ist doch der entscheidende Punkt
- nicht passt.
({2})
Ich möchte Ihnen Folgendes ganz persönlich sagen:
Was die aktuelle Situation betrifft, habe ich mich hier
zurückgehalten. Ich hatte meine Gründe dafür. Ich bin
nämlich der Meinung, dass der Vorgang, den wir gegenwärtig innenpolitisch erleben, sehr ernst ist.
({3})
Wenn Sie aber meinen, uns in einer Situation Vorhaltungen machen zu können, in der bis jetzt noch nicht
klar ist, was am Ende des Skandals alles offen gelegt
wird und wer welche Verantwortung trägt,
({4})
dann müssen Sie es sich schon gefallen lassen, dass wir
Sie auf diesen Punkt hinweisen.
({5})
Zu dem Handschlag will ich sagen - auch in diesem
Punkt bin ich mir sicher -: Wir werden ja noch sehen,
wer welche Handreichung gemacht hat, Herr Ministerpräsident.
({6})
Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der für
mich der wichtigste Punkt ist. Wenn das, was Stoiber
gerade hier dargestellt hat, die künftige Europapolitik
ist, dann kann ich nur sagen: arme Union.
({7})
Dann tritt nämlich genau das ein, was ich als meine
Hauptsorge bezeichnet habe, nämlich eine Veränderung
in der europäischen Integrationsachse in Richtung eines
Mitte-Rechts-Spektrums.
({8})
Wenn Edmund Stoiber in Zukunft die Politik in diesem
Zusammenhang bestimmt, dann sage ich dazu: arme Integration. Wenn das die Wirkung von Haiders Politik ist,
dann muss man die Entwicklung als fatal bezeichnen.
Wir dürfen nämlich nicht zurückblicken, sondern müssen vorausblicken.
Da Sie in diesem Zusammenhang die Türkei anführen, sage ich Ihnen: Sie müssen doch sehen, Herr Ministerpräsident, dass die Öffnung der Europäischen Union
zur Türkei bereits heute hinsichtlich der Entspannung
des bilateralen Verhältnisses in der Ägäis positive Wirkungen gebracht hat. Es ist doch mit den Händen zu
greifen, dass wir in Zypern, wo sich 36 Jahre nichts bewegt hat, jetzt erstmals einen positiven Prozess vorfinden. Jetzt gibt es in der Ägäis eine Entwicklung, die von
Entspannung geprägt ist. Erbfeinde, Griechen und Türken, fangen aufgrund der nicht mehr vorhandenen Blockadepolitik an, nicht nur miteinander zu sprechen, sondern in eine konstruktive Entwicklung einzutreten. Es
gibt in der Türkei weiß Gott noch sehr viel zu tun. Aber
angesichts der Menschenrechtssituation in der Türkei
einen Zusammenhang mit Österreich herzustellen ist
abwegig und zeigt, dass Sie nur Emotionen schüren wollen, die in eine bestimmte Richtung gehen. Das ist doch
offensichtlich.
({9})
Ich komme zu Tschetschenien. Jetzt plötzlich gibt es
Helden in Ihren Reihen. Der Außenminister Iwanow war
auf Einladung des Auswärtigen Ausschusses Gast des
Deutschen Bundestages. Es gab aber vorher keine Forderung eines CSU-Abgeordneten - es ist gar nicht so
lange her -, man möge ihn ausladen. Es gab auch seitens
der Opposition nicht eine wirklich energische kritische
Äußerung. Kollege Lamers und andere Kollegen, die
sich zu Wort gemeldet haben, haben sich in sehr verantwortungsbewusster Weise geäußert, wissend um die
Bedeutung der deutsch-russischen Beziehungen.
Ich erinnere mich auch noch sehr gut an die Äußerungen von Edmund Stoiber, der die Integration Russlands als entscheidenden Punkt bei der Lösung der Balkan-Krise angeführt hat. Ich kann Ihnen sagen, was ich
damals an Helmut Kohl kritisiert habe. Ich habe kritisiert, dass er die Dinge nicht wirklich beim Namen genannt hat, als er nach Moskau gefahren ist. Wir aber
nennen die Dinge beim Namen.
({10})
Sie müssen mir aber einmal eine Möglichkeit nennen,
wie wir mit den Instrumenten, die wir tatsächlich haben,
die russische Regierung zu einer Umkehr bewegen können.
({11})
Sie wissen doch so gut wie ich, dass wir gegenwärtig
keine entsprechenden Instrumente haben; es sei denn,
wir würden auf strategische Isolation setzen. Das aber
wäre das Dümmste, was die Bundesrepublik Deutschland im Interesse von Frieden und Stabilität machen
könnte.
({12})
Ich begreife die kritischen Punkte sehr gut. Was aber
das Engagement in Sachen Menschenrechte von Edmund Stoiber, seinem früheren Chef Strauß und anderen
betrifft, muss ich bemerken: Liebe Leute, wo sind wir in
diesem Punkt gelandet?
({13})
Ich kann nur sagen: Der Beitrag des Bayerischen Ministerpräsidenten hat völlig klargemacht, worum es in
Wirklichkeit geht. Es geht um die Auseinandersetzung
hinsichtlich der Haltung der Europäischen Union und
der Wertegemeinschaft. Sie sollten offen sagen, dass Ihnen der Zug in Richtung einer weitergehenden Integration und einer weiteren Übertragung von Souveränität auf
ein gemeinsames Europa nicht passt. Es gibt offensichtlich eine geistige Verwandtschaft mit Menschen, über
die wir heute hier gesprochen haben. Es gibt insgesamt
eine Auseinandersetzung um die Grundrichtung der Europapolitik und auch um die Grundwerte.
Da sage ich Ihnen, Herr Stoiber: Ich rede mit der Bevölkerung. Ich rede aber nicht nur in Bierzelten mit der
Bevölkerung und nicht nur mit den Leuten, die mir zuklatschen.
({14})
Das will ich Ihnen auch sagen, denn es liegt im Interesse unseres Landes:
({15})
Oberstes Ziel der Bundesrepublik Deutschland ist im
Interesse von Frieden, Stabilität und Wohlstand die
Vollendung der europäischen Integration. Das galt bisher eindeutig und daran darf sich nichts ändern. Ihr Beitrag heute bedeutet eine Abkehr hiervon.
({16})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ulrich Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es darum geht, Unterstellungen
anzubringen, Halbwahrheiten unterzujubeln, populistische Verdrehungen vorzunehmen, dann kann ich nach
dem, was wir heute erlebt haben, nur sagen: Darin steht
der Fischer Joschka dem Haider Jörgl in fast nichts
nach.
({0})
Herr Bundesaußenminister, Sie haben hier den Eindruck zu erwecken versucht, als sei es uns egal, was in
Österreich geschieht, als hätten wir keine Bedenken der
FPÖ gegenüber, als wäre uns diese halbfaschistische
Partei gar sympathisch. Das haben Sie uns hier unterstellt.
({1})
Ich will Ihnen ganz eindeutig sagen: Gerade wir als
Liberale haben uns da überhaupt nichts vorzuwerfen.
Als die FPÖ seinerzeit durch einen Machtstreich, durch
einen Putsch von Herrn Jörg Haider übernommen wurde, haben wir sofort dafür gesorgt, dass diese Partei aus
der Liberalen Internationale hinausflog, und ich bin bis
heute stolz darauf, dass ich persönlich daran beteiligt
war, die Kollegen von der FPÖ aus der liberalen Fraktion der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
hinauszukomplimentieren.
({2})
Das ist die Wahrheit. Wenn ich sage, das ist die Wahrheit, dann zitiere ich schon wieder wie heute früh im
Auswärtigen Ausschuss den bedeutenden österreichischen Autor Thomas Bernhard. Denn die weitere
Wahrheit ist, dass Jörg Haider nur deshalb so groß werden konnte, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse in
Österreich in einem jahrzehntelangen Filz zwischen
SPÖ und ÖVP derart erstarrt und geknebelt worden sind,
dass sich dort kein Bürger mehr richtig wohl fühlen
konnte.
({3})
Dass dann ein Rattenfänger vom Schlage Haiders Erfolg
hat, darf uns eigentlich nicht wundern. Wenn wir die
Entwicklung bei uns und in anderen europäischen Ländern betrachten, sollten wir aufpassen, dass wir gegensteuern, solange noch Zeit ist, damit Rattenfänger vom
Schlage Haiders eben nicht zum Zuge kommen. - Das
ist das eine.
({4})
Zweitens ist von Herrn Stoiber schon Theo Sommer
zitiert worden. Ich setze noch eins drauf:
({5})
Ich bin ja mit Ihnen der Meinung, dass es richtig war,
nicht zu schweigen, als diese Koalition begründet wurde. Hier hätte man warnen können und müssen. Hier
hätte man auch drohen können und vielleicht müssen.
Aber dann hätte man zumindest abwarten sollen und
müssen, ob dort wirklich etwas geschieht. Bisher ist
eben nichts geschehen.
({6})
Ich will das nicht überbewerten. Aber insofern haben
Sie, Herr Fischer, ja Recht: Die Aufnahme der Türkei
als Beitrittskandidat hat dort schon segensreiche Wirkungen erzielt. Ich will einmal behaupten: In Österreich
ist durch den Druck, der gemacht wurde, auch etwas Segensreiches geschehen. Die FPÖ hat nämlich ein europafreundliches Papier unterschrieben. Ist das nicht ein
Fortschritt? Darüber sollten wir uns freuen, aber nicht
mit diesen lächerlichen Sanktionen gegen Österreich
vorgehen. Übrigens: Dass Sie der österreichischen Außenministerin die Hand gegeben haben, ist ja fast ein
Grund, Ihre Koalitions- und Regierungstreue in Zweifel
zu ziehen. Das ist geradezu ein Skandal!
({7})
Wenn ich an der Stelle Ihrer Leute wäre, würde ich mir
das nicht gefallen lassen.
Meine Damen und Herren, was Sie hier gemacht haben, grenzt an Gesinnungsstrafrecht. Sie haben nicht
gewartet, bis etwas getan worden ist, sondern Sie haben
gesagt: Wir schießen erst einmal und warten ab, ob vielleicht etwas geschieht. Das ist nicht in Ordnung.
({8})
Herr Stoiber hat mit Recht darauf hingewiesen, dass
hier eine unerträgliche Heuchelei im Spiel ist. Denn wir
müssen sehen: Niemand hat ernsthaft Sanktionen gegen
Russland verlangt. So leicht darf man es sich mit Sanktionen weiß Gott nicht machen. Insofern bin ich auf Ihrer Seite. Aber öffentlich anzukündigen, wir erwägen
nicht einmal Sanktionen gegen Russland angesichts dessen, was in Tschetschenien geschehen ist und weiterhin
geschehen wird, grenzt an eine völlige Verdrehung aller
Umstände.
({9})
Gegen Russland angesichts von zigtausend Toten, Opfern und Vertriebenen machen Sie nichts. Da erwägen
Sie eine Sanktion nicht einmal. Aber gegen Österreich,
ehe dort auch nur der geringste Verstoß gegen Menschenrechte, gegen europäische Grundsätze vorgekommen ist - nicht einmal verbal, in der Regierungsbildung -, schießen Sie sofort mit schwerem Geschütz,
womit Sie sich natürlich zum Teil lächerlich machen.
Meine Damen und Herren, wenn wir in dem Zusammenhang über Subsidiarität sprechen, dann ist das schon
eine ganz ernste Sache. Sie müssen sich einmal Folgendes überlegen: Die Bürger in Europa haben Gott sei
Dank, weil es im Augenblick nicht nötig ist - man muss
allerdings wachsam sein -, keine Angst davor, dass
Menschenrechte in der Europäischen Union massiv mit
Füßen getreten werden. Die Bürger haben aber Angst
davor, dass sich ein übermächtiges Brüssel in die Angelegenheiten einmischt, die sie vor Ort selber regeln können,
({10})
dass sich Brüssel als Moloch entfaltet, der überall dort
hineinregiert, wo Brüssel nichts zu suchen hat.
Das ist eine Gefahr für die Akzeptanz unserer Europäischen Union bei unseren Bürgern: nicht nur bei uns
in Deutschland, sondern auch in anderen - vor allem
kleineren - Mitgliedstaaten und erst recht bei den Beitrittskandidaten. Reden Sie einmal mit den Vertretern
kleiner Länder, die der Europäischen Union beitreten
wollen. Wenn die sehen, was in Richtung Österreich
passiert, vergeht ihnen vielleicht die Lust, zu uns zu
kommen.
({11})
- Nein, ich rede über das, was ich weiß: dass wir uns
sehr hüten müssen, die Grenzen der Zuständigkeiten zu
verwischen. Wenn in Österreich eine freie Wahl stattgefunden hat - deren Ergebnis ich bedauere - und nach
umfangreichen Verhandlungen eine Regierung gebildet
worden ist, dann müssen wir das zunächst einmal respektieren und akzeptieren. Wir können gegebenenfalls
warnen und auch drohen, aber wir sollten uns sehr zurückhalten, den Eindruck zu erwecken, als ob sich hier
große Nachbarn in souveräne Entscheidungen anderer
Länder einmischen.
Herr Fischer, Sie haben gerade gesagt, wir hätten die
Debatte aus innenpolitischen Gründen angezettelt. Nun
mag es sein, dass die Grenze vielfach schwer zu ziehen
ist. Natürlich versuchen wir, wenn Sie einen Fehler machen, Sie vehement zu kritisieren. Aber lassen Sie sich
denn von anderen Erwägungen leiten? Das ist doch die
schlimmste Chuzpe, die ich je erlebt habe. Wenn ich Sie
dort nicht sitzen sähe, wenn es Sie nicht wirklich gäbe Sie könnten eine Erfindung von Thomas Bernhard sein,
so wie Sie ausschauen und so wie Sie sich verhalten.
({12})
Nein, meine Damen und Herren, Sie haben doch in den
letzten Wochen und Monaten nichts anderes als den
Versuch unternommen, Ihre aufgebrachte grüne Basis zu
beschwichtigen, die Sie - ich teile die Auffassung
nicht - seit dem Krieg im Kosovo für einen Kriegstreiber hält. Sie haben zuerst durch einen Alleingang vor
der Generalversammlung der Vereinten Nationen den
großartigen Einsatz in Osttimor veranlasst und damit nur
das Geld der Bürger verschleudert. Dann haben Sie neue
großartige Rüstungsexportrichtlinien auf den Markt geworfen, weiße Salbe auf die grüne Seele, und jetzt folgt
der Marsch gegen Österreich, um die grüne Basis zufrieden zu stellen.
Frau Präsidentin, ich habe das Zeichen gesehen. Ich
bin am Ende meiner Rede und bedanke mich für die
Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident Stoiber ist
der Stätte seines, wie ich finde, empörenden Auftritts
bereits entfleucht. Insofern kann ich ihm nur einen kleinen politischen Nachruf widmen. Mir fällt zum Thema
Stoiber und Europa immer nur die Geschichte von jenem Geisterfahrer auf einer bayerischen Autobahn ein,
({0})
der im Radio hört, dass es einen Geisterfahrer - damit ist
er selbst gemeint - gibt, und der dann zu seinem Beifahrer sagt: „Wieso nur ein Geisterfahrer? Hunderte sind
hier!“ ({1})
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Herr
Stoiber noch merkt, dass er derjenige ist, der auf der falschen Spur fährt, und dass es nicht die 14 europäischen
Staaten sind.
Kollege Irmer, ich kenne Sie eigentlich als einen vernünftigen, erfahrenen Kollegen. Ich fände es ganz gut,
wenn Sie noch einmal darüber nachdenken, ob es wirklich angemessen ist, den deutschen Außenminister mit
Jörg Haider auf eine Stufe zu stellen. Ich fände es gut,
wenn Sie das berichtigen.
({2})
Ich möchte meinen Beitrag mit drei Feststellungen
beginnen. Erste Feststellung. Die bisherige SPÖ/ÖVPKoalition in Wien hat unter Bundeskanzler Viktor Klima
lange Jahre eine erfolgreiche Politik für Österreich gemacht
({3})
und ein Land hinterlassen, das hervorragende Daten bezüglich der Wirtschaft, der sozialen Verhältnisse und
auch der Situation von Minderheiten und Ausländern
aufweisen kann. Die sozialdemokratisch geführte Regierung hat außerdem große Leistungen bei der Politik der
europäischen Integration erbracht, besonders gegenüber
den ost- und südosteuropäischen Beitrittsstaaten. Ich
finde, es ist angemessen, hier einmal unseren Dank an
die Regierung Klima, in den ich auch gerne seinen damaligen Stellvertreter Wolfgang Schüssel einbeziehe,
zum Ausdruck zu bringen.
Unser dringendster Wunsch ist, dass Österreich auf
der Basis seiner in der Tat jahrhundertlangen Erfahrungen mit dem Zusammenleben verschiedener Völker und
Kulturen seine politische Kraft und Kreativität so wie
bisher weiter für die europäische Integration einsetzt.
({4})
Europa braucht Österreich, freilich ein offenes, ein ausländerfreundliches und europafreundliches Österreich.
Das ist der dringende Wunsch, der hinter den Maßnahmen der 14 Regierungen steht.
Zweite Bemerkung: In dieser Debatte geht es, obwohl
es oft behauptet worden ist, nicht um die Angemessenheit von bestimmten Reaktionen auf die Regierungsbildung in Wien. Das haben auch die Beiträge,
die wir eben gehört haben, gezeigt. Es geht vielmehr um
die grundsätzliche Einschätzung der Person Jörg Haider,
seiner Partei und der Gefahren, die mit der Regierungsbeteiligung seiner Partei verbunden sind.
Der Hinweis auf Herrn Stoiber, der ja, wie der Außenminister gesagt hat, Geburtshilfe bei dieser unheiligen Allianz geleistet hat, ist schon gegeben worden. Wir
erleben jetzt Wallfahrten nach Österreich, auch von Kollegen aus diesem Haus, und sogar Plädoyers von Ihren
Leuten, Herrn Haider doch nach Deutschland einzuladen. In Wirklichkeit haben wir hier keinen Konflikt zwischen unseren Fraktionen, sondern Sie haben einen Konflikt mit ganz Europa, sogar mit Ihren europäischen
Freunden von der EVP,
({5})
die ernsthaft überlegen, ob sie Schüssel aus der EVP
ausschließen müssen, weil er Steigbügelhalter für Haider
war. Sie haben einen Konflikt mit ganz Europa, ganz besonders, wenn Sie Haider auch noch demonstrativ einladen wollen.
Dritte Feststellung: Sie sprechen gerne von Überreaktion. Dazu erstens: In Europa, in Deutschland hat es
noch nie eine Überreaktion auf Rechtsradikalismus und
Fremdenfeindlichkeit gegeben. Alles Unglück ist immer
aus deren Gegenteil gekommen:
({6})
aus dem Mangel an rechtzeitiger Einsicht in eine Gefahr
und aus dem Mangel an entschlossener Gegenwehr.
Dazu zweitens: Sie tun so, als könnte sich die Bundesregierung in dieser Lage beliebig verhalten, so oder
so, als hätte es die deutsche Geschichte nie gegeben, als
sähen Sie nicht, dass Deutschland gerade in dieser Frage
millimetergenau bei dem Konsens der 14 europäischen
Staats- und Regierungschefs bleiben
({7})
und jedes Ausscheren zu einer katastrophalen weltweiten Reaktion, zu einer Diskussion über alte und neue
Achsen führen muss.
({8})
Dazu drittens: Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der rechten Seite des Hauses, haben Sie eigentlich zur
Kenntnis genommen, dass Israel seinen Botschafter aus
Wien abgezogen hat? Sind Sie eigentlich in der Lage,
die große Besorgnis der israelischen Öffentlichkeit
nachzuvollziehen? Am 30. September 1995 - das ist fast
fünf Jahre her - trat Jörg Haider in Krumpendorf bei einem Veteranentreffen der Waffen-SS auf. Den dort Versammelten hat er zugerufen:
Es ist gut, dass es in dieser Welt noch anständige
Menschen gibt, die einen Charakter haben, die auch
bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben
sind.
Dann hat er gesagt - ich fahre fort mit dem Zitat -:
Wir geben Geld für Terroristen, wir geben Geld für
gewalttätige Zeitungen, wir geben Geld für arbeitsscheues Gesindel und wir haben kein Geld für anständige Menschen.
Reicht Ihnen dieser eine Auftritt vor „anständigen
Menschen“ nicht aus, um Israels Sorgen zu verstehen?
({9})
Kann man in dieser Situation ernsthaft fordern, business
as usual zu betreiben, bis Herr Haider vielleicht zum
zweiten oder zum dritten Mal vor solchen Kameradschaften auftritt? Ist unter diesem Aspekt die maßvolle
Reduzierung bilateraler Kontakte mit jener Regierung,
der Haiders Partei jetzt angehört, nicht das Minimum an
Sensibilität, das man von Europa und ganz besonders
von Deutschland erwarten kann?
({10})
Meine Damen und Herren, ich möchte hier einen Aspekt besonders herausgreifen, und zwar den der europäischen Integration und der Osterweiterung der EU. Hier
hat eine entscheidende Phase begonnen. Seit gestern ist
die Zahl der Verhandlungspartner auf zwölf angewachsen. Nach einem inoffiziellen Fahrplan sollen erste Entscheidungen bis 2003 getroffen werden. Mit anderen
Worten: Jetzt wird es Ernst mit der EU-Erweiterung.
Im Regierungsprogramm der ÖVP und der FPÖ steht
ein Bekenntnis zur EU-Erweiterung. Da steht sogar der
Satz - ich zitiere -: „Österreich steht mit den mittel- und
osteuropäischen Kandidatenländern auch durch Geschichte und Kultur in einem besonderen Nahverhältnis.“ Dann aber kommt eine Ausführung über die, so
wörtlich, „Bedachtnahme auf gesamtösterreichische Anliegen und Wettbewerbsinteressen“. Anschließend wird
ein ganzer Parcours von hohen Hürden im Hinblick auf
den Beitritt der Transformationsstaaten aus Ost- und
Südosteuropa formuliert. Das wird in neun - streng formulierten - Kriterien ausgeführt.
Keine Frage: Schon im Regierungsprogramm gibt es
eine veränderte Prioritätensetzung, die voller Skepsis
hinsichtlich der neuen Mitgliedstaaten der EU und des
vorgesehenen Beitrittsprozesses ist, und zwar insbesondere dann, wenn irgendwelche österreichischen Interessen tangiert sind.
({11})
Dann gab es den Auftritt der, wie ich finde, sehr
sympathischen Außenministerin Benita Ferrero-Waldner
in Brüssel. Sie hat dort versichert, dass man sich darauf
verlassen könne, dass der Fahrplan der EU-Erweiterung
eingehalten werde.
({12})
- Ich glaube ihr. - Das war eindrucksvoll. Aber noch
eindrucksvoller war, dass sich bereits dann, als die Tinte
für das Verfassen der Berichte über diesen Auftritt noch
nicht trocken war, Herr Haider aus dem Off gemeldet
und gesagt hat: Er sehe in der Anpassung des Lohnniveaus dieser Beitrittsländer eine unverzichtbare Voraussetzung für deren EU-Beitritt. Diese Anpassung müsse
vor einem potenziellen Beitritt erfolgen.
({13})
Die arme Frau Ferrero-Waldner konnte gar nicht anders,
als das sofort zu dementieren. Das werden wir in Zukunft noch öfter erleben. Aber die Frage, die ich hier
stellen möchte, lautet: Wie wirkt es Ihrer Meinung nach
in Polen, in Tschechien und in Ungarn, wenn dieses Kriterium hier aufgestellt wird?
({14})
Die Polen werden sich an ein anderes Zitat von Haider aus dem Jahr 1991 erinnern, das ich Ihnen gerne vortragen möchte. Er hat vor der Maifeier der FPÖ am
1. Mai 1991 gesagt: Wenn ich da an die Polen denke, die
glauben, dass sie ohne entsprechende Arbeitsleistung
den Wohlstand des Westens erringen werden, wenn ich
mir den Lech Walesa anschaue, der ja, seit er Präsident
ist, mehr breit als hoch geworden ist, dann ist das symbolisch für die Denkart, die dort herrscht, dass man
glaubt, nur mit Erbschaft im Westen die Tragik im
Osten kosmetisch überbrücken zu können und zu
Wohlstand zu kommen. Wer nicht gelernt hat zu arbeiten, der wird auch in der Zukunft kein Wohlstandsgebiet
aufbauen können. Das muss also auch an die Adresse
der Osteuropäer gesagt werden.
Meine Damen und Herren, das ist eine verheerende
Botschaft. In Polen, in Tschechien, in Ungarn und in anderen Transformationsländern haben die Regierungen in
den letzten zehn Jahren nicht populistisch, sondern verantwortungsvoll gehandelt. Sie haben sich regelmäßig
nach vier Jahren aufgrund des Unmuts in der Bevölkerung ablösen lassen, weil sie konsequent Reformen
durchgeführt haben, weil sie den Tranformationsprozess
vorangetrieben haben, weil sie das Ziel „Europa“ fest
vor Augen hatten. Das war mutig, viel mutiger als das,
was Haider je gemacht hat.
({15})
Bei der Erweiterung der Europäischen Union verfolgen
wir das Konsensprinzip. Insofern ist das, was Österreich
hier tut, existenziell.
Nebenbei gesagt: Wir haben es hier mit einer bestimmten Methode des Herrn Haider zu tun. Er haut einem in die Magengrube, sagt dann: „Falls es wehgetan
hat, bin ich eventuell bereit, mich zu entschuldigen“,
holt aber im gleichen Moment aus, um nochmals in die
Magengrube zu hauen. Wenn sich dies stets wiederholt,
ist es ein sehr gefährliches politisches Prinzip. Das, was
ich zitiert habe, die Verbindung der Forderung nach
gleichem Lohnniveau mit den herabsetzenden Äußerungen über die Arbeitsfähigkeit in Osteuropa, hat eine verheerende politische Schleifspur zur Folge. Das hat Auswirkungen, die wir nicht kampflos zulassen können.
({16})
Offenbar wirken die Maßnahmen der europäischen
Länder doch ein bisschen mehr, als öffentlich erwartet
worden ist. Ich behaupte: Die Änderungen im Koalitionsvertrag der neuen österreichischen Regierung, zum
Beispiel der Verzicht darauf, auch noch die BenesDekrete und die Afnoj-Maßnahmen in Slowenien aufzunehmen, sind schon eine Folge des geschlossenen, im
Konsens erfolgten Protestes der europäischen Länder.
Die vielen konstruktiven Äußerungen von Frau FerreroWaldner, von Herrn Schüssel und anderen in Sachen
Osterweiterung, in Sachen Verlässlichkeit Österreichs,
die gegen die ständige Konterkarierung durch Haider
verteidigt werden müssen, sind bereits Folge der entschlossenen Protesthaltung der 14 europäischen Länder.
Der Außenminister hat schon darauf hingewiesen:
Die letzten Umfragen belegen - das richte ich an Herrn
Irmer, der heute im Auswärtigen Ausschuss gesagt hat,
die Maßnahmen der EU würden Herrn Haider die Hasen
in den Stall treiben -, dass es jetzt sogar eine rot-grüne
Mehrheit in Wien gäbe und die FPÖ verloren hat, aber
ganz dramatisch auch die ÖVP. Es sieht also so aus, als
würden die Botschaften der europäischen Länder in Österreich ernst genommen.
({17})
Allein unser Interesse daran, dass der europäische Integrationsprozess nicht scheitern darf, weder an Österreich noch an einem anderen Land - dieses Interesse hat
ganz besonders die Bundesrepublik Deutschland -,
rechtfertigt die Aufrechterhaltung der Maßnahmen der
14 europäischen Länder, nicht als eine Bestrafung Österreichs - ich will noch einmal deutlich machen, welch
großes Interesse an der Fortsetzung der konstruktiven
Arbeit bezüglich des europäischen Integrationsprozesses
von Österreich wir haben -, sondern als ein unmissverständliches Signal an die österreichische Öffentlichkeit, auch an den österreichischen Wähler: Österreich muss seinen Beitrag leisten. Europa braucht Österreich, und zwar ein offenes, ein ausländerfreundliches
und vor allen Dingen ein europafreundliches Österreich.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Das Wort hat
jetzt der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich glaube, dass es wichtig ist, in
den Formulierungen sicherer zu werden. Es geht nicht
darum, dass Herr Haider ein Populist ist. Populismus
gibt es in allen Parteien.
({0})
- Sie haben es gerade nötig. Ich sage doch, dass es das
in allen Parteien gibt. Gelegentlich gibt es auch Demagogie bei der Politikerinnen und Politikern. Herr Irmer,
das ist doch nicht das Problem. Das Problem an Haider
und der FPÖ ist nicht, dass Haider populistisch ist;
({1})
das wäre zu verkraften. Das Problem ist, dass er Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und die Verharmlosung der
NS-Vergangenheit instrumentalisiert. Das ist ein ganz
anderes Thema als Schwächen im Umgang mit politischen Forderungen oder den Reaktionen darauf.
({2})
Nun werfen Sie dieser Regierung vor, Haider indirekt
zu stärken. Im Augenblick leisten aber in Wirklichkeit
CDU/CSU und leider auch F.D.P. ihren Beitrag dazu,
ihn zu stärken,
({3})
und zwar schon dadurch, dass sie ihn als eine Art verfolgte Unschuld in Europa darstellen. Das ist eine ziemliche Katastrophe.
({4})
Ein Weiteres: Sie erkennen gar nicht, was in diesen
Tagen in Österreich los ist. Sehen Sie die Tausende, die
dort demonstrieren? Sehen Sie die Reaktion der Intellektuellen? Nehmen Sie das alles nicht zur Kenntnis? Eines
muss man doch auch einmal sagen: Etwa 80 Prozent der
Österreicherinnen und Österreicher haben nicht FPÖ
gewählt. Die zeigen jetzt Reaktion. Darauf muss man
auch einmal hinweisen.
Der Bundesrepublik Deutschland wurde immer vorgeworfen, sich zu wenig mit der NS-Vergangenheit auseinander gesetzt zu haben. An dieser Kritik ist sicherlich
etwas dran. Ehrlicherweise muss ich aber sagen: Im
Vergleich zu Österreich ist in Deutschland eine Menge
passiert. Deshalb wird es Zeit, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte in Österreich in anderer Form
stattfindet.
Es ist immer von Sanktionen „der EU“ die Rede.
Wieso bringen Sie immer einen solchen falschen Sachverhalt? Warum reden Sie in diesem Zusammenhang
vom Völkerrecht? Es gibt keinen einzigen Beschluss der
Europäischen Union über irgendeine Sanktion gegen
Österreich. So etwas kann es nur bei Vertragsverletzungen geben. Die aber - das ist richtig - können noch gar
nicht vorliegen und liegen dementsprechend auch nicht
vor.
({5})
Es gibt aber eine kritische Reaktion der Regierungen der
Mitgliedsländer der Europäischen Union. Sie haben entschieden, wie sie ihre bilateralen Beziehungen zu Österreich pflegen wollen.
({6})
Das ist gerade Ausdruck der völkerrechtlichen Souveränität dieser Staaten. Deswegen geht Ihre diesbezügliche
Argumentation völlig fehl.
Wenn Sie sagen, kleinere Staaten könnten vom Beitritt abgehalten werden, weil sie zu viel Einmischung in
die inneren Angelegenheiten befürchten, dann sage ich
Ihnen: Das Gegenteil ist wahr. Wenn Österreich nicht in
der EU wäre, könnten diese Regierungen, wenn sie denn
wollten, die Beziehungen praktisch völlig einstellen.
Das wäre ihr völkerrechtlich souveränes Recht. Aber gerade weil Österreich in der EU ist, bleiben alle entscheidenden Kontakte über die Kommission usw. aufrechterhalten. Das ergibt sich nämlich aus den Mitgliedsrechten. Das heißt: Gerade die kleinen Staaten werden sagen,
als Mitglied seien sie in gewisser Hinsicht international
viel besser geschützt. Denn sonst wären alle Staaten
durchaus berechtigt, Sanktionen usw. zu beschließen,
ohne irgendjemanden zu fragen. Sie sehen, auch diese
Argumentation von Ihnen geht fehl.
Herr Ministerpräsident Stoiber, es gab übrigens noch
nicht einmal Einmischung in die Regierungsbildung.
Vielmehr gab es die Reaktion der Regierungen der Mitgliedsländer der Europäischen Union erst, nachdem der
Beschluss über die Koalition bekannt gegeben worden
ist. Herr Stoiber, noch etwas, weil Sie in dieser Hinsicht
nicht müde werden: Dass Sie Herr Stoiber, das machen,
ist ja noch irgendwie nachvollziehbar, aber dass es auch
die F.D.P. macht, ist schon ein starkes Stück. Sie setzen
die FPÖ gleich mit den Kommunisten in Frankreich und
Italien. Dazu will ich Ihnen einmal etwas sagen: Ich finde, dieses Recht haben gerade Sie als deutsche Politiker
nicht.
({7})
Es geht gar nicht um die politische Differenz. Wir haben
auch Differenzen; die sind mit Sicherheit nicht so groß
wie Ihre. Die Frage ist, was Sie denen vorwerfen. Dass
sie gegen Mussolini, Vichy und Hitler gekämpft haben?
({8})
Dass sie in der ersten Volksfrontregierung Frankreich
nach 1945 waren - mit den Konservativen zusammen -,
die eine wichtige demokratische Grundlage für Frankreich gelegt hat?
({9})
- Das stimmt nicht. Die französischen Kommunisten
haben zum Beispiel den Einmarsch 1968 deutlich verurteilt. Nicht einmal das wissen Sie, Herr Stoiber. Sie haben sich nie mit der Geschichte dieser Parteien beschäftigt.
({10})
Ich muss darauf hinweisen, dass es keine Zwiegespräche zwischen
der Bundesratsbank und dem Redner geben darf.
- Das ist richtig. Aber das
ist sein Problem und nicht meines. Ich darf hier reden,
mit wem ich will. Im Übrigen hat Herr Stoiber mich ja
indirekt geehrt. Er hat zu Herrn Fischer gesagt: Sie sind
der Letzte, der hier über Demokratie reden darf. - Damit
bin ich immerhin der Vorletzte. Früher hätte er das anders gesehen. Darüber sollten Sie nachdenken, Herr Fischer.
({0})
Sie müssen verstehen, dass Sie der Geschichte dieser
beiden Parteien in Italien und Frankreich in keiner Weise gerecht werden. Es gibt diesbezüglich nichts, was Sie
diesen Parteien vorwerfen könnten. Beschäftigen Sie
sich mehr mit Geschichte, damit Sie von diesen Dingen
etwas verstehen. Sie müssen zwischen den Parteien der
verschiedenen Länder differenzieren. In Griechenland
haben die Konservativen mit den Kommunisten gegen
die PASOK koaliert. Sie haben sich damals nicht darüber aufgeregt. Es gab schon die merkwürdigsten Dinge
in der Geschichte. Insofern sollten Sie einmal die eigene
Geschichte und die Geschichte anderer studieren. Es ist
wirklich eine Frechheit, wenn Sie in den Bereichen, um
die es hier geht, diesen Parteien etwas vorwerfen.
Ich muss allerdings auch sagen, dass Kritik an der
österreichischen Sozialdemokratie angebracht ist. Die
österreichische Sozialdemokratie ist nicht besonders
glaubwürdig. Wer der FPÖ eine Tolerierung und faktisch vier Minister anbietet, ist in seiner Empörung anschließend nicht besonders glaubwürdig. Das muss man
einfach sagen und das gehört mit zur Wahrheit.
({1})
Ich habe mich sehr gefreut, dass Herr Stoiber hier
plötzlich viele Volksentscheide vorgeschlagen hat. Als
wir zum Euro und zu Maastricht Volksentscheide vorgeschlagen haben - auch die Grünen wollten damals einen
Volksentscheid und die SPD war halb entschlossen -,
hat Ihre Fraktion vor Volksentscheiden in der Bundesrepublik Deutschland gewarnt. Ich sage Ihnen: Ändern
Sie Ihre Meinung!
Herr Kollege
Gysi, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Das Entscheidende - und darin hat Herr Kollege Kinkel Recht - ist die Frage nach der Ursache. Bei der Ursachenfrage muss man mehrere Dinge sehen. Erstens.
Die demokratische Linke in Österreich war immer sehr
schwach, was bis heute Folgen hat. Zweitens. Die Aufarbeitung der Geschichte war in Österreich nicht ausreichend, was ebenso Folgen bis heute hat. Drittens. Das
Entscheidende ist: Der europäische Integrationsprozess
findet in einer Art und Weise statt, bei der Menschen
Ängste haben. Diese werden von Herrn Haider geschürt.
Herr Gysi, der
letzte Satz bitte!
({0})
Die Ängste hängen damit
zusammen, dass alles wirtschaftsgerecht gestaltet wird
und die sozialen Standards und ökologischen Belange
nicht gesichert werden. Wir müssen die Ängste abbauen.
Dann hat auch der Rechtsextremismus in Europa keinen
Erfolg.
({0})
Das Wort hat
der Herr Kollege Peter Hintze.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der Bayerische Ministerpräsident hat, wie ich finde, zutreffend ausgeführt,
({0})
dass die deutsche Europapolitik über Jahrzehnte vom
Geist der Partnerschaft und Fairness bestimmt war. Er
hat weiterhin zutreffend ausgeführt, dass dieser Geist
der Partnerschaft und Fairness von der deutschen Bundesregierung in der Frage der österreichischen Regierungsbildung schändlich missachtet wurde.
({1})
Vierzehn Regierungen spielen Staatsanwalt und Richter
zugleich und geben dem Beschuldigten noch nicht einmal das Wort. Vierzehn Regierungen stiften Hysterie in
Europa. Auch der Advokat des Weltkommunismus hält
uns noch seine Vorträge und die Ergebnisse dieser Hysterie werden hier als Beleg für die eigene These vorgeführt.
({2})
Nun hat der Herr Bundesaußenminister über die internationalen Reaktionen gesprochen. Es gibt in der Tat
zwei Formen internationaler Reaktionen, nämlich solche, die Ergebnis dieser unfairen Praktiken der 14 EUStaaten sind, und solche, die auch Sie ein bisschen
nachdenken lassen sollten. Im „Spiegel“ vom
7. Februar 2000 hat sich der frühere Wiener Oberbürgermeister, Zilk, der fast einem rechtsradikalen Briefbombenanschlag zum Opfer gefallen wäre, mit Ihrer
Person und Ihrer Politik, Herr Fischer, auseinander gesetzt. Es lohnt, das ganze Interview zu lesen. Ich beschränke mich auf zwei Kernsätze, da die Zeit zu kurz
ist:
Ich kann … nicht verstehen, dass für diese demokratisch entstandene Regierung, zu der es im Moment offenbar keine Alternative gibt,
- ich füge in Klammern hinzu: Herr Klima hat ein Vieraugengespräch mit Herrn Haider geführt und dabei versucht, die FPÖ herüberzuziehen. Als das nicht klappte,
war die Sache auf einmal nicht mehr in Ordnung ein ganzes Volk in Geiselhaft genommen wird. Das
ist unziemlich.
({3})
- Dieser Zwischenruf, Herr von Larcher, spricht für Ihre
Aufmerksamkeit, aber nicht für Ihre Intelligenz.
({4})
Ich weiß nicht, was die beiden besprochen haben, aber
ich weiß, dass es hochgradig unglaubwürdig ist, wenn
Herr Klima ein Vieraugengespräch mit Herrn Haider
führt, über das Ergebnis unzufrieden ist und sich hinterher darüber empört, dass eine andere Koalition gebildet
wird.
({5})
Nun noch zu Herrn Fischer. Der „Spiegel“ sagt zu
Herrn Zilk:
Joschka Fischer hat die EU-Maßnahmen damit begründet, man wolle „Österreich eine bittere Erfahrung“ ersparen.
Zilk: Da steckt etwas von der Überheblichkeit drin,
die Grüne an sich haben. Sie fühlen sich als Missionare der Welt.
Später heißt es:
Ohne ihn
- Fischer im Geringsten mit Haider gleichsetzen zu wollen,
würde ich dem Joschka Fischer ins Stammbuch
schreiben: Er ist eigentlich das Musterbeispiel dafür, dass Domestikation durch Verantwortung
klappt. Ich erinnere mich, wie er mit Turnschuhen
die Straßen deutscher Großstädte verunsichert hat.
Auch wir erinnern uns daran, Herr Fischer. Dann kommt
noch ein Lob über seinen Nadelstreifenanzug und die
Aussage - da gehen unsere Meinungen auseinander -,
dass er ihn ansonsten ganz in Ordnung findet.
Herr Kollege
Hintze, auch Ihre Redezeit ist leider überschritten, und
zwar deutlich.
({0})
Frau Präsidentin, wenn
Sie mir das kurz gestatten: Ich bin gerade 27 Sekunden
über die Zeit. Das ist leider deswegen notwendig geworDr. Gregor Gysi
den, weil die linke Seite des Hauses - im Wissen, dass
sie Unrecht hat, im Wissen, dass sie auf dem linken Auge blind ist und auf dem rechten Auge eine Lupe angesetzt hat - dauernd dazwischenschreit und es so unmöglich macht, dies hier auszuführen.
Auf jeden Fall weist Herr Zilk darauf hin - das sagt
ein österreichischer Sozialdemokrat, der selber einmal
Opfer eines rechtsradikalen Anschlags war -, dass diese
Politik gegen Österreich unfair ist und dies das Land
nicht verdient hat. Ich sage Ihnen: Auch Deutschland hat
es nicht verdient, dass wir so unfair mit Österreich umgehen.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ludwig Stiegler.
({0})
Jetzt hat er schon wieder
Angst, der Michael Glos. Da zittert er schon!
({0})
- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Begeisterung, mit der die rechte Seite hier die „Haiderisierung“ der österreichischen Politik verteidigt, hat auch
eine innenpolitische Dimension. Es ist wirklich unglaublich, dass Sie sich hier hinstellen
({1})
und solche Typen verteidigen.
({2})
Das ist auch ein Anschlag auf die politische Kultur in
Deutschland.
({3})
Der Verteidiger von Herrn Haider, der hier in Gestalt
des CSU-Vorsitzenden mit dem Rederecht des bayerischen Ministerpräsidenten gesprochen hat, ist Vorsitzender der Partei, die bisher am meisten für Haider getan hat. Ich glaube, man müsste Ihnen einmal eine halbe
Stunde lang alle Ihre Haider-Zitate vorlesen. Man müsste Sie einmal daran erinnern, dass Max Streibl, der Vorgänger von Herrn Stoiber in München, laut „Münchner
Merkur“ - eine Zeitung, die sozialistischer Umtriebe
nicht verdächtig ist - gesagt hat, Haider könne genauso
gut bei der CSU sein. Da hat er die Wahrheit gesprochen. Stoiber soll laut „Münchner Merkur“ damals gesagt haben, er suche die enge Zusammenarbeit zwischen
CSU und FPÖ.
({4})
Das ist doch die ganze Wahrheit. Die CSU tut sich
schwer, sich von solchen Leuten abzugrenzen. In Wirklichkeit verteidigen Sie sich hier selber.
({5})
Das ist das Problem. Deshalb müssen wir dieses
Problem auch in der innenpolitischen Debatte und hier
im Parlament erörtern. Denn manche von Ihnen glauben,
sie müssten, um Rechts zu bekämpfen, so reden wie die
Rechten, so reden wie Haider - das ist bei der CSU in
den Bierzelten gang und gäbe -, statt sich von solchen
Kräften sauber demokratisch abzugrenzen.
({6})
Meine Damen und Herren, es gibt in der deutschen
Geschichte schon ein Beispiel dafür, dass flotte konservative Herren geglaubt haben, sich braune Flegel nutzbar machen zu können. Es gab einmal einen Herrn von
Papen und andere, die glaubten, sie könnten den jungen
Herrn H. vor ihren Karren spannen. Sie haben sehr
schnell gemerkt, dass sie unter dem Pflug waren,
({7})
dass sie selber die Probleme hatten. Warum lernen Sie
nicht aus der Geschichte? Es ist eine Katastrophe, dass
die konservativen Parteien immer mit solchen Typen zusammenarbeiten wollen.
({8})
Das, was Sie hier machen, ist ein Ritt auf dem Tiger.
Es wird Ihnen so gehen wie der berühmten Lady von
Riga. Sie ist einmal lächelnd auf einem Tiger ausgeritten
und kam am Ende im Tiger zurück, und der Tiger hat
gelächelt.
({9})
Ich kann diesen Limerick leider nicht auf Englisch vortragen, aber er ist sehr empfehlenswert.
Nein, meine Damen und Herren, das Grundproblem
ist nicht Österreich. Stellen Sie sich nicht vor Österreich,
Österreich ist nicht angegriffen. Es wird eine gesellschaftliche Entwicklung, die es in Österreich und leider
Gottes auch in Deutschland, Frankreich und anderswo
gibt, angegriffen. Es ist unsere gemeinsame Demokratenpflicht, deutlich zu machen, dass solche Worte und
solche Hetzereien nicht mehr in der demokratischen
Kultur geduldet werden,
({10})
weil in der deutschen Geschichte schon der Blitz auf den
Donner gefolgt ist. Die Worte bereiten die Taten vor,
und das müssen wir uns gemeinsam zu Gemüte führen.
Wir müssen deutlich machen, dass wir von Anfang an
widerstehen. Die CSU gibt sich immer so, als ob sie
Schönhuber - wir haben Glück gehabt, dass er nicht so
alt ist wie Haider; denn dann würde Stoiber noch anders
reden - ({11})
- Entschuldigung, die Münchener CSU will Haider sogar einladen. Der oberbayerische JU-Vorsitzende will
sogar eine Botschaft in Wien - Bravo! - für den Freistaat Bayern, damit der Haider-Prozess noch gefördert
werden kann. Sie sind doch an Ihren Rändern infiziert.
Reinigen Sie sich und halten Sie sich sauber!
({12})
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Singhammer?
Gern. Ich bin froh, wenn er
dementiert. Der „Münchner Merkur“ schreibt, dass der
Singhammer den Haider nach München holen will. Die
F.D.P. unter Brunner wollte ihn früher auch holen. Ich
bin gern bereit, ihm hier die Gelegenheit zu geben abzuschwören. Warum nicht?
({0})
- Wer zu Haider pilgert, um ihn zu verteidigen, sollte
hier ruhig sein.
Herr Kollege
Stiegler, Sie haben davon gesprochen, dass die Münchener CSU Herrn Haider einladen würde. Ich muss leider
Ihre politisch lustvolle Erregungskurve etwas senken,
indem ich erkläre, dass die Münchener CSU Herrn
Haider nicht einlädt.
Ich habe das in unverdächtigen Quellen gelesen, wahrscheinlich haben Sie sich
danach nicht mehr getraut.
({0})
- Er darf sich ruhig setzen, sechs. Es ist schon okay.
Ich habe nur gelesen, dass es in Ihrer Bürgerbewegung - vielleicht gründen Sie noch einen Freikorps, um
Haider zu verteidigen, das wäre alles in der Tradition
der bayerischen Konservativen -
({1})
heftige Erwägungen gab, ihn einzuladen. Vielleicht haben Sie sich dann doch nicht getraut, weil ein paar Vernünftige zu dem Schluss gekommen sind, dass das momentan nicht passt. Wenn Sie jetzt aber für immer widersagen, ist das auf jeden Fall ein Fortschritt.
({2})
Meine Damen und Herren, das ist die zentrale Botschaft. Hier sind auch die Worte gefallen, andere Staaten
würden sich davon beeinträchtigt fühlen. Unter den 14
befinden sich auch viele kleine Länder. Wir werden sicher auch in anderen Staaten noch erleben, dass es solche Haider-Kurven und dass es solche konservativen
Parteien wie die CSU gibt, die Unschärfe zulassen.
Wir müssen in Europa deutlich machen, dass dieses
Vokabular von Herrn Haider keine Zukunft hat. Herr
Stoiber, wer hat denn von der durchrassten Gesellschaft
gesprochen? Wer hat denn diese Sprüche gemacht?
- Dann heißt es, Herr Stoiber habe sich ja entschuldigt.
Herr Haider entschuldigt sich fortlaufend. Er entschuldigt
sich jeden Tag, sagt jeden Tag Schweinereien und
erklärt dann: Entschuldigen Sie, ich bin es nicht gewesen.
Nein, meine Damen und Herren, von solchen Leuten
heißt es Abstand zu nehmen, und wer sie an die Regierung bringt, versündigt sich an der europäischen politischen Kultur.
({3})
Dort heißt es, den Anfängen zu wehren. Das ist die entscheidende Sache. Wir haben in Deutschland schon
einmal erlebt, wohin es führt, wenn man den Anfängen
nicht wehrt, wenn man die Dinge laufen lässt und dann
feststellt, dass man ihrer nicht mehr Herr wird.
Ich stimme allen zu, die sagen, wir müssen mit den
Menschen reden. - Jawohl, aber mit den Menschen reden heißt nicht, allen nach dem Munde zu reden,
({4})
sondern heißt aufzuklären, heißt die Probleme anzusprechen, heißt bürgernahe Arbeit zu machen. Da können
wir meinetwegen alle miteinander noch besser werden.
Wer aber meint, auf solchen Ängsten sein Süppchen kochen zu können, der überwindet nicht das Übel, sondern
der fördert das Übel, meine Damen und Herren.
({5})
Eine letzte Bemerkung noch zu der außenpolitischen
Angelegenheit. Ich möchte einmal wissen, wie Herr
Stoiber oder andere reagiert hätten, wenn während der
Zeit der vorherigen Koalition, also der BimbesKoalition,
({6})
eine von der Bundesregierung mit allen europäischen
Ländern abgestimmte Erklärung durch eine sozialdemoLudwig Stiegler
kratisch geführte Landesregierung so angegangen worden wäre. Das hätte ich einmal erleben wollen,
({7})
was da über kooperativen Föderalismus, über Zuständigkeiten gesagt worden wäre.
Ich kenne Bayern, Herr Stoiber, ich kenne Bayern
genauso gut wie Sie.
({8})
Ich kenne aber auch die bayerische Zeitgeschichte, die
Sie verdrängen, und ich weiß, was die bayerischen Konservativen in Weimar gegenüber Berlin, das anders regiert war, so alles angestellt haben.
({9})
Das ist es, was mich aufregt.
({10})
Herr Kollege
Stiegler - -
Sie haben keine Ahnung
von der bayerischen Geschichte.
Herr Redner,
ich muss hier jetzt einmal eingreifen.
Man muss es wirklich einmal deutlich sagen.
({0})
- Sie sehen ja, der Ministerpräsident braucht heute keinen Kaffee mehr. Das ist auch schon ein Fortschritt. Ich
sage Ihnen nur - -
Herr Kollege
Stiegler, einen Moment! Jetzt lassen Sie mich auch einmal etwas sagen.
({0})
Erstens möchte ich Herrn Ministerpräsidenten Stoiber
sagen, dass es nicht die Sitte dieses Hauses ist, von der
Bundesratsbank dazwischenzurufen. Das ist nicht das
Recht.
({1})
Frau Präsidentin, ich verzeihe ihm.
Zweitens.
Auch Sie, Herr Kollege Stiegler, haben die Regeln hier
nicht neu zu bestimmen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Aufstehen und Hinsetzen, Dazwischenrufen
oder nicht. Diese Regeln haben wir uns gemeinsam gegeben, und wir halten sie auch ein.
Dann möchte ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt erlauben.
Ja.
Herr Kollege Stiegler, ich möchte Ihnen die Möglichkeit geben,
bei Ihrer sozialistischen Generalabrechnung mit dem
Konservativismus einen Moment Luft zu schöpfen und
den Blutdruck wieder zu senken. Ich möchte Sie fragen,
wie sich im Lichte Ihrer Darstellungen die Tatsache,
dass Herr Bundeskanzler außer Diensten Klima öffentlich über eine Minderheitsregierung nachdenkt, die von
der FPÖ, die von Haider toleriert werden soll, mit Ihrer
Position vereinbaren lässt. Man hört, dass österreichische Sozialdemokraten unter der Hand und hintenrum
der FPÖ gesagt haben: Wenn ihr ein Jahr lang Ruhe gebt
und uns toleriert, dann können wir später darüber nachdenken, ob wir eine Koalition mit euch machen. - Sind
Sie einer solchen Position in Wien entgegengetreten?
Wer aus einer Fraktion
kommt, wo in den letzten Jahren so viel unter der Hand
gelaufen ist, der sollte sich solche Fragen wirklich erst
einmal überlegen, bevor er sie stellt.
({0})
Das Zweite: Stoiber war es, der den Schüssel aufgefordert hat, mit Haider zusammenzugehen. Noch bevor
die anderen zum Überlegen kamen, hat er seine Botschaft gesandt. Das Entscheidende ist, dass der CSUVorsitzende und bayerische Ministerpräsident - Herr
Schäuble hat sich da viel zurückhaltender verhalten gesagt hat: Haider ist hoffähig. Das ist die Sünde wider
die demokratische Kultur. Damit müssen wir uns auseinander setzen, nicht mit irgendwelchen Hintergründen,
die keiner von uns beweisen und belegen kann.
({1})
Herr Kollege
Stiegler, es möchten noch zwei Abgeordnete eine Zwischenfrage stellen, erst der Kollege Irmer, dann der Kollege Gysi. Gestatten Sie auch diese beiden?
Wie Sie meinen, Madam.
({0})
Nein, ich meine hier gar nichts, sondern Sie müssen das entscheiden.
Ja.
Gut, dann machen wir es so. - Herr Kollege Irmer.
Herr Kollege Stiegler, es hat
mir so Leid getan, dass Sie vorhin mit dem Limerick so
ins Schwimmen geraten sind. Ich möchte Sie jetzt fragen, ob Sie bereit sind, einen Limerick zu akzeptieren,
der mir soeben durch den Kopf geschossen ist und den
ich gerne zitieren möchte. Er lautet nämlich folgendermaßen:
Es reitet Herr Ludwig, der Stiegler,
auf Haider und sonst manchem Tigler.
Er setzt stets noch eins drauf,
denn ob ab oder auf, er ist ein begnadeter Wiegler.
({0})
Das hat ein Stück Dadaismus, nach der Methode: Reim dich oder ich fress dich.
Aber es ist in Ordnung. Das wird sicher den nächsten Literaturpreis gewinnen.
({0})
Jetzt der Herr
Kollege Gysi.
Herr Kollege Stiegler, ich
habe nur eine Frage. Sie haben vorhin vielleicht gemerkt, dass ich die Kritik der rechten Opposition an dem
Verhalten der Regierung überhaupt nicht teile. Dennoch
bewegt mich eine Frage, ohne dass ich darauf wirklich
eine Antwort hätte.
({0})
Kann es in gewisser Hinsicht nicht sein, dass die Art
der Reaktionen ein bisschen mit dazu beigetragen hat,
aus einer Provinzgröße namens Haider eine europäische
Größe zu machen?
({1})
Wie könnte man das künftig verhindern? Das finde ich
keine unwichtige Frage dabei. Das muss man sich immer mit überlegen.
Diese Frage stellt sich immer: ob ich etwas laufen lasse oder ob ich es bekämpfe.
In dem Moment, wo ich etwas offen bekämpfe, mache
ich es erst einmal bekannt. Das ist eine ganz klare Geschichte. Aber die viel wichtigere Frage ist, ob ich es
unterstütze. Was ich der Union vorwerfe, ist, dass sie
aktiv unterstützt hat.
Wir sind jetzt in einer Lage, wo wir nicht etwa sagen
können: So, das war es, jetzt gehen wir nach Hause.
Vielmehr muss jetzt deutlich werden: Die Sprache, die
Haider spricht, und die Sprache, die seine Freunde in
Deutschland mit unterstützen, kann nicht die Sprache
Europas sein. Das ist unsere Aufgabe. Das müssen wir
auch in der innenpolitischen Auseinandersetzung mit der
CSU deutlich machen.
({0})
Die CDU muss ich hier ausnehmen. Sie ist weniger
gefährdet. Sie hat sich auch ganz anders geäußert. Nur
Michael Glos ist heruntergeeilt und hat gemeint, er
müsste dort demonstrieren und sich in Wien im Prater
entsprechend darstellen.
Meine Damen und Herren, wir werden es der CSU
nicht hingehen lassen, dass sie hier als HaiderFörderungspartei die politische Stimmung auch in unserem Lande und in anderen europäischen Ländern verdirbt. Viele haben gesagt: Es war das erste Mal. - Ja,
Gott sei Dank sind wir in einer europäischen politischen
Kultur, bei der wir nicht mehr zusehen, sondern bei der
wir Laut geben und bei der wir die Auseinandersetzung
suchen.
Lasst uns den Österreichern zurufen: In der Europäischen Union seid ihr herzlich willkommen, aber lasst
euch nicht von Leuten regieren, die die europäische
Rechtskultur tagtäglich mit den Füßen treten! Das ist die
entscheidende Auseinandersetzung, die wir zu führen
haben. Zu der ist die CSU weder gewillt noch in der Lage, weil Sie meinen, im Schlamm angeln zu können.
Das ist Ihre Situation. Sie glauben, Sie könnten den Leuten nach dem Munde reden, weil Ihnen das Thema Aufklärung weit entfernt ist und weil Sie in Wahrheit so
denken wie der Haider. Schämen Sie sich!
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Pflüger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es ein bisschen
schade, Herr Kollege Stiegler, dass Sie hier in dieser
Form reden und versuchen, den Eindruck zu verbreiten,
als ob es in diesem Haus Unterschiede in der Ablehnung
von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Verharmlosung des Holocaust gäbe.
({0})
Wir alle sollten uns von Herrn Haider nicht so spalten
lassen, wie das bei Ihnen geschehen ist. Genau das ist
die falsche Reaktion.
({1})
Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist nicht nur die CSU
gewesen, die letzte Woche nach Wien gefahren ist, son7960
dern auch die CDU. Ich bin dabei gewesen, und zwar
aus voller Überzeugung. Nicht, weil ich Herrn Haider
für gut hielte - ich halte ihn für schlimm, ich möchte mit
ihm nicht an einem Tisch sitzen, in einer Partei sein. Ich
finde, wir müssen ihn bekämpfen. Sie, Herr Fischer, haben mit dieser EU-Entscheidung Herrn Haider aber nicht
geschadet,
({2})
sondern Sie haben ihm geholfen. Sie haben Öl in sein
Feuer gegossen; er ist ein Medienstar geworden.
({3})
Sie haben Österreich und der EU geschadet und Herrn
Haider geholfen. Das ist die Lage.
({4})
Wir haben eine Regierungskonferenz vor uns. Diese
Regierungskonferenz soll über die Zukunft der EU befinden. Ein Ziel dieser Konferenz ist es, das Einstimmigkeitsprinzip weiter zurückzudrängen und durch
Mehrheitsabstimmungen zu ersetzen. Glauben Sie, mit
der Isolierung und der Demütigung Österreichs könnten
Sie die Österreicher dazu bringen, dabei mitzumachen?
({5})
Mit dieser Entscheidung, Herr Außenminister, schaden
Sie den Bemühungen, Europa voranzubringen. Herr
Schüssel hat es geschafft, Herrn Haider und seine FPÖ
auf ein europafreundliches Programm zu bringen.
({6})
Auf diese Art und Weise gießen Sie neues Wasser auf
seine Mühlen. Die Hetzer, die es dort natürlich gibt und
die wir alle miteinander ablehnen sollten, werden durch
diese EU-Entscheidung in ihrer Agitation und in ihrer
Politik doch am allerbesten gestärkt.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sehr
dafür, Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus zu bekämpfen. Wir alle sind hoffentlich dafür. Aber Herrn
Haider mit Hitler zu vergleichen - das ist eine Verharmlosung von Hitler. Ich bin sehr froh, dass Abraham
Foxman, der Direktor der „Anti-Defamation League“,
einer der angesehensten jüdischen Organisationen, jetzt
gesagt hat: „Ich glaube nicht, dass man das Problem der
FPÖ-Regierungsbeteiligung durch eine Isolierung des
Landes lösen kann.“ Sie sollten sich einmal überlegen,
ob Sie Herrn Haider mit diesem ganzen Projekt letztlich
nicht sogar geholfen haben.
({8})
Herr Kollege
Pflüger, Ihre Zeit ist leider schon um. Die kleinen Parteien wissen, wie wenig drei Minuten sind, das ist so.
Aber die Zwischenfragen sollten Sie noch zulassen. Bei Herrn
Stiegler haben Sie auch drei oder vier Zwischenfragen
zugelassen.
Ich wollte Sie
gerade fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen,
wollte dabei aber anmerken, dass Ihre offizielle Redezeit
vorbei ist. Sie können also nur noch auf die Zwischenfrage antworten.
Bitte schön.
Herr Kollege Pflüger, Sie wissen, dass ich Sie in Ihrer Person und in Ihrer Arbeit sehr
schätze. Können Sie verstehen, dass es auf dieser Seite
des Hauses Irritationen darüber gibt, dass der Vorsitzende des Europaausschusses des Deutschen Bundestages
in einer Situation, in der 14 europäische Staaten zutiefst
besorgt sind über die Regierungsbeteiligung einer Partei,
deren Sprecher unter anderem Maastricht als die Fortsetzung von Versailles ohne Krieg bezeichnet hat und
die EU-Erweiterung ablehnt, in genau dieser Eigenschaft
und mit diesem Titel "Vorsitzender des Europaausschusses des Deutschen Bundestages" nach Wien
fährt?
({0})
Lieber Herr
Kollege Erler, ich schätze Sie ebenfalls. Ich habe aber,
obwohl ich Vorsitzender des Europaausschusses bin,
meine persönliche Meinung und meine persönliche Urteilskraft nicht an der Garderobe des Deutschen Bundestages abgegeben. Das hat, glaube ich, noch kein Vorsitzender eines Ausschusses getan.
({0})
Ich habe mich bemüht, bei jeder Erklärung in diesem
Zusammenhang sehr deutlich darauf hinzuweisen, dass
ich als CDU/CSU-Politiker spreche. Ich habe sogar ein
paar Mal darauf hingewiesen, dass ich nicht für den
ganzen Ausschuss sprechen kann.
Gerade wenn man Europa voranbringen will - das
wollen wir alle zusammen -, muss man sehr darauf achten, in der EU einen ethischen Minimalkonsens zu formulieren. Ein solcher ist in der Europäischen Union
notwendig und wir müssen ihn auch schützen. Aber einem Land aufgrund von Wahlkampfsprüchen von Herrn
Haider zu sagen, dass es diesen nicht erfüllt, es präventiv zu isolieren,
({1})
eine Regierung nicht an ihren Taten zu messen, sondern
an den Sprüchen von jemandem, der nicht einmal in dieser Regierung ist, wie Sie das machen, das ist ein
schwerwiegender Fehler. Ich darf es noch einmal sagen:
Damit schaden Sie Österreich, damit schaden Sie der EU
und der Regierungskonferenz und damit helfen Sie
Herrn Haider. Diesen Vorwurf mache ich auch als Vorsitzender des Europaausschusses des Deutschen Bundestages.
({2})
Das Wort hat
jetzt die Fraktionssprecherin vom Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin Müller.
Liebe Kollegen, ich möchte zunächst noch einmal auf die wirklich unglaubliche Äußerung von Ihnen,
Herr Irmer, eingehen, dass nämlich zwischen Herrn
Haider in Österreich und dem deutschen Außenminister
Joschka Fischer kein Unterschied bestünde.
({0})
- Das haben Sie so gesagt, aber jetzt nehmen Sie es
wieder zurück.
({1})
Ich halte das wirklich für eine unglaubliche Entgleisung.
Diese macht die Beliebigkeit der Politik der F.D.P. deutlich und deutet vielleicht eher auf einen Sinneswandel
bei Ihnen hin. Ansonsten fordere ich Sie auf, hier klarzustellen, dass es einen riesigen Unterschied gibt, und
das hier nicht so stehen zu lassen.
({2})
Ich will auch noch einmal auf Haider eingehen. Sie
haben das nämlich nicht sehr intensiv getan und nicht
aufgezeigt, wofür dieser Mann eigentlich steht und
welch Geistes Kind er ist. Er und andere Vertreter seiner
Partei haben immer wieder die Verbrechen der Nationalsozialisten verharmlost; er hat 1995 auf einer Versammlung der Veteranen der Waffen-SS diese als anständige
Menschen mit ordentlichem Charakter bezeichnet und
musste 1991 vom Amt des Landeshauptmannes zurücktreten, weil er die Beschäftigungspolitik der Nationalsozialisten als ordentlich bezeichnet hat. Ich finde, liebe
Kollegen, dass dies alles reicht, um mit Recht sehr deutlich auf die Gefahren hinzuweisen, die in einer Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich liegen.
Sie haben gesagt, man könne nicht immer nur die Zitate nehmen, sondern müsse auch auf die konkrete Politik eingehen. Auch die konkrete Politik spricht eine
glasklare Sprache: 1993 initiierte die FPÖ ein Volksbegehren, in dem sie forderte, öffentlich geförderte Wohnungen nur noch für Österreicher und nicht mehr für
Ausländer zur Verfügung zu stellen, das Staatsbürgerschaftsrecht drastisch zu verschärfen und reine Ausländerklassen an Schulen einzuführen, also die Gettoisierung ausländischer Kinder.
Es ist richtig: Haider ist ein wandelndes Chamäleon
und ein Populist in modernem Gewande. Das ist völlig
klar. Das macht ihn aber nur noch umso gefährlicher
und kann nicht verdecken, wofür er wirklich steht und
was er tatsächlich ist, nämlich ein Rassist, der einen
neuen deutschen Nationalismus in Österreich und
Deutschland begründen will. Mit ihm kann man die EU
nicht demokratisieren. Ich finde den Gedanken unerträglich, dass von einer solchen Figur demnächst der Reformprozess in der EU abhängen wird.
({3})
Haider hat gedroht, dass er in diesen Fragen mitentscheiden will. Wolfgang Schüssel, der neue Kanzler,
glaubt ja, dass er und seine Außenministerin den Haider
schon einbinden und damit auch entzaubern können.
Außer Herrn Schüssel glaubt das eigentlich keiner. Das
wird nicht gelingen. Hierin liegt jedenfalls eine große
Gefahr.
Und, Herr Pflüger, durch die Regierungsbeteiligung,
durch die die ÖVP die FPÖ hoffähig gemacht hat, wird
die FPÖ vielmehr noch stärker werden, weil eine solche
Regierung jetzt zur Normalität Europas gehört. Es besteht die große Gefahr, dass der nächste Kanzler Haider
heißen wird. Auf diese Gefahr müssen wir hinweisen;
auf diese Gefahr mussten auch die Regierungen der EULänder hinweisen.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Hintze?
Bitte.
({0})
Frau Kollegin, Sie haben
eben ausgeführt, die ÖVP hätte die FPÖ durch Regierungsbeteiligung hoffähig gemacht. Ist Ihnen bekannt,
dass die erste Koalition in Österreich Kerstin Müller ({0}) ({1}): Das weiß ich!
- unter Herrn Sinowatz
zwischen der SPÖ, damals noch Sozialistische Partei
Österreichs, heute Sozialdemokratische Partei Österreichs, und der FPÖ bestand? Ist Ihnen bekannt, dass die
Vorgängerregierung von Herrn Sinowatz, die Regierung
Kreisky,
({0})
eine Minderheitsregierung der SPÖ mit Unterstützung
vonseiten der FPÖ war? Ist Ihnen das bekannt und würden Sie das und auch die Beteiligungen an den Landesregierungen bitte mit in die Würdigung einbeziehen?
Ja, das alles ist mir bekannt, Herr Hintze. Aber
das macht es doch nicht besser, dass in Zeiten, in denen
wir über den EU-Reformprozess diskutieren, die EU erweitern wollen und institutionelle Reformen umsetzen
wollen, eine erklärt antieuropäische, rassistische und
rechtspopulistische Partei in Österreich an der Regierung beteiligt ist.
({0})
Wir müssen vielmehr auf die Gefahren hinweisen, die in
einer solchen Regierungsbeteiligung liegen.
({1})
Wenn es um den Reformprozess und die Zukunft der
EU geht und wenn dieser Reformprozess künftig von
Haider abhängen soll, dann muss man auch sehr klar sagen, dass es keine innere Angelegenheit Österreichs
mehr ist. Dazu muss man sich äußern dürfen; denn es
geht um das zentrale Selbstverständnis der EU. Auch
hier habe ich den Eindruck, dass das eine oder andere
verdrängt wird oder dass Entwicklungen zurückgedreht
werden sollen. Wir sind keine Zollunion oder Wirtschaftsgemeinschaft mehr. Spätestens seit dem Amsterdamer Vertrag sind wir eine Wertegemeinschaft. Deshalb müssen wir innerhalb Europas über die Werte, die
zum Kern dieser Gemeinschaft gehören, und über diejenigen, die nicht dazugehören, ganz offensiv streiten.
Daher war auch die Erklärung der EU-Regierungen richtig. Es war wichtig, dass auch die deutsche Bundesregierung sie ganz klar mitgetragen hat.
({2})
Herr Stoiber, Sie haben gesagt, gerade die deutsche
Stimme hätte sich gegen diese EU-Erklärung erheben
müssen. Wie stellen Sie sich das vor? Ausgerechnet wir
im Land der ehemaligen Täter sollen im Falle Haiders
beschwichtigen und beschönigen? Ich finde diese Vorstellung abenteuerlich.
({3})
Hätte die Bundesregierung so etwas gemacht und nicht
sehr klar im Bündnis mit den anderen Ländern Europas
diese Erklärung verabschiedet, dann hätte zum Beispiel
der Zentralrat der Juden sehr deutliche Worte gefunden.
Allerdings wundert mich - das ist von einigen Vorrednern schon gesagt worden - Ihr Verhalten nicht. Die
europaskeptische Haltung sowohl der CSU als auch die
Ihre, Herr Stoiber, ist bekannt.
({4})
Äußerungen wie die von der „durchrassten Gesellschaft“, von der Sie gesprochen haben, zeigen, dass es
offensichtlich eine bestimmte politische Nähe zumindest
zu dieser Regierung gibt.
Dies wurde auch dadurch deutlich, dass Sie - darauf
sind Sie leider heute gar nicht eingegangen - schon zwei
Tage nach der Wahl in Österreich Ihren Kolleginnen
und Kollegen von der ÖVP eine Regierungsbildung mit
der FPÖ mit den Worten empfohlen haben,
({5})
die ÖVP könne jetzt mit der FPÖ einen Neuanfang wagen und die Erneuerung Österreichs einleiten. Hier regen Sie sich darüber auf, dass die EU-Erklärung eine
Einmischung in innere Angelegenheiten sei. In dem Zusammenhang wurden Sie kurz nach der Wahl von den
Agenturen aber wie folgt zitiert: Eigentlich sollten Ausländer nicht in die Innenpolitik hineinreden. Doch im
Falle des Nachbarn Österreich erlaube er sich das. Nach Ihrer Auffassung, Herr Stoiber, darf man sich also
im Falle der Bildung einer Regierung mit der FPÖ einmischen. Wenn aber die EU-Regierungen vor den Gefahren warnen, dann dürfen sie das nicht.
({6})
An dieser Stelle wird doch ziemlich klar, welche Interessen Sie eigentlich verfolgen.
({7})
Ich empfinde es auch mehr als peinlich, dass Sie,
meine Damen und Herren von CDU und CSU, nichts
Besseres zu tun haben, als so schnell wie möglich mit
einem tiefen Bückling dieser Regierung Ihre Aufwartung zu machen.
({8})
Aber es ist natürlich Ihre Sache, dass Sie nach dem Chaos der vergangenen Monate nun auch noch Ihren Ruf als
überzeugte Europäer aufs Spiel setzen.
Dann möchte ich noch einmal auf die F.D.P. zu sprechen kommen. Herr Irmer und Herr Kinkel, Sie haben
hier so getan, als gehe es Ihnen um die Erklärung der 14.
Ich will das einmal so akzeptieren. Aber Sie sollten
nicht verschweigen, dass Ihre Haltung zur FPÖ zumindest nach meinen Informationen in der Vergangenheit
mehr als unklar war. Sie, die deutschen so genannten
Liberalen, haben lange - viel zu lange, nämlich fünf Jahre lang - die schützende Hand über Jörg Haider und die
FPÖ in Europa gehalten.
({9})
- So ist es gewesen.
Mehrfach haben Ihre Kollegen, unter anderem die
niederländischen Kollegen der Liberalen Internationale,
zwischen 1986 und 1991 den Ausschluss der FPÖ gefordert. Das ist unter anderem an der F.D.P. gescheitert.
1991 wurde der FPÖ das Stimmrecht in der Föderation
entzogen, und zwar gegen Ihren erklärten Widerstand.
Sie sollten diese Vergangenheit nicht verschweigen,
sondern sich damit beschäftigen. Jedenfalls ist das in
Österreich hinlänglich bekannt. Sie sollten es auch der
deutschen Öffentlichkeit nicht verschweigen.
Natürlich ist es völlig klar: Wir können nicht bei der
Erklärung der 14 stehen bleiben. Wir müssen politisch
verhindern, dass solche Parteien in Europa wieder stark
werden. Es ist auch klar: Rechtsradikale bekämpft man
nicht, indem man ihnen nachgibt und zum Beispiel eine
besonders restriktive Zuwanderungspolitik macht. Man
bekämpft sie vielmehr - das ist meine feste Überzeugung -, indem man aufrecht und offensiv für ein weltoffenes Europa, für ein Europa der Bürgerrechte und der
Menschenrechte und für mehr Liberalität in Europa
streitet.
Ich möchte zum Schluss noch auf die Gefahren hinweisen, die in der aktuellen Situation in Deutschland
liegen. Die Gefahr von Filz und die Krise der demokratischen Institutionen, die möglicherweise noch droht, der
Glaubwürdigkeitsverlust der Parteien, der durch den
Spendenskandal der CDU verursacht wurde, aber auch
der Marsch von Rechtsextremen durch das Brandenburger Tor - all das sind Warnsignale für unsere Republik.
Ich glaube deshalb, dass es unsere Aufgabe ist, die
Aufgabe der deutschen Regierung und auch des Parlamentes, dass wir gemeinsam mit den Freunden in Europa Demokratie und Bürgerrechte sehr offensiv zum
Thema machen. Meine Fraktion jedenfalls wird dafür
streiten.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort zu
einer Kurzintervention erhält zunächst der Abgeordnete
Irmer.
Frau Präsidentin! Ich habe
mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil Frau Müller
das, was ich vorhin gesagt habe, mit harten Worten verabscheut hat. Frau Müller, so, wie Sie es wiedergegeben
haben, habe ich es nicht gesagt. Ich würde es auch so
nicht sagen. Wir können das später im Protokoll nachlesen.
({0})
Was ich gesagt habe, ist Folgendes: In formaler Hinsicht habe ich eine Methode des Außenministers Fischer
mit der Methode verglichen, die Jörg Haider in deutschen Fernsehanstalten äußerst geschickt praktiziert hat,
nämlich Dinge nur halb zu sagen, dann nicht zuzugeben
und später ganz abzustreiten. Das war meine Reaktion
darauf, dass Herr Fischer dasselbe getan hat, was auch
Sie jetzt versucht haben, nämlich den Eindruck zu erwecken, als hätte irgendeiner von uns die Absicht, Herrn
Haider oder seine verabscheuungswürdigen Einstellungen zu tolerieren oder gar zu verteidigen.
({1})
Wir haben nichts dergleichen getan.
Auf Ihre letzte Bemerkung hin sage ich Ihnen: Ich bin
nach wie vor stolz darauf, dass ich persönlich daran beteiligt gewesen bin, die FPÖ aus der Liberalen Internationale und aus der Parlamentarischen Versammlung des
Europarates, dort aus der liberalen Fraktion, hinauszuschmeißen. Wir sind also völlig unverdächtig. Dass ich
während meiner kurzen Redezeit nicht noch einmal die
unsäglichen und gefährlichen Sprüche von Herrn Haider
zitiere, womit ich mich selber meiner Redezeit für meine
Argumentation berauben würde, müssten Sie, der Sie ja
ebenfalls einer kleineren Fraktion angehören, eigentlich
voll verstehen. Man braucht seine Redezeit nämlich für
wichtigere Punkte.
Ich komme zum Schluss. Ich habe den Eindruck, dass
sich Herr Fischer keineswegs beleidigt gefühlt hat; ansonsten würde ich mich bei ihm entschuldigen. Aber
manchmal habe ich den Eindruck, dass bei Ihnen nur
noch Ihre Mimosenhaftigkeit grün ist.
({2})
Zur Erwiderung Frau Müller.
Herr Kollege Irmer, ich bin nun wirklich die
Letzte, die etwas dagegen hat, dass man sich in diesem
Parlament heftig streitet. Ich finde, dass die Debatten
hier manchmal viel zu wenig lebendig sind. Ich muss
aber sagen: Das, was ich wahrgenommen habe, haben
alle der hier Anwesenden wahrgenommen.
Sie haben in Ihrer ersten Aussage sehr klar gesagt, es
gebe keinen Unterschied. Wenn Sie über Populismus reden wollen, dann sollten Sie auch wirklich darüber reden. Ich würde es richtig finden, wenn Sie klarstellen
würden, dass sich der Vergleich mit Haider einfach verbietet, weil Sie mit einem solchen Vergleich all das verharmlosen, wofür dieser Mann und diese Partei stehen.
Das ist nicht einfach Populismus, sondern das ist ein
sehr gefährlicher Populismus, der die Bürgerrechte bedroht, die Menschenrechte bedroht und der teilweise
auch Demokratie und anderes in Frage stellt. Das haben
Sie leider nicht deutlich gemacht.
Zum Zweiten finde ich es interessant, dass Sie zwar
gesagt haben, Sie persönlich hätten sich dafür eingesetzt,
dass Sie aber nicht dementiert haben, dass es ein langer
Prozess war, die FPÖ aus der Liberalen Internationale
auszuschließen.
Kerstin Müller ({0})
({1})
Sie haben auch nicht dementiert, dass dies fünf Jahre
lang, von 1986 bis 1991, an der deutschen F.D.P. gescheitert ist. Das fand ich allerdings an Ihren Ausführungen interessant. Ich gehe davon aus, dass das, was
mir die liberalen Kolleginnen in Österreich dargestellt
haben, stimmt.
({2})
Nein. Es tut
mir Leid, aber Sie haben keine Möglichkeit, hier eine
Debatte zu entwickeln. Mehr als eine Antwort auf eine
Kurzintervention ist nicht möglich.
Jetzt erhält der Kollege Sterzing das Wort. Er bezieht
sich, soweit ich weiß, auf den Redebeitrag von Herrn
Pflüger.
({0})
Bitte, Herr
Kollege Irmer! Jetzt hat Herr Sterzing das Wort.
Ich möchte auf den Redebeitrag des Kollegen Pflüger
eingehen. Wenn ich es mir in der Eile richtig notiert habe, hat er auf die Frage des Kollegen Erler in den letzten
beiden Sätzen geantwortet, dass er die Politik der Bundesregierung für schädlich für Europa halte und dass er
dies ausdrücklich als Vorsitzender des Ausschusses für
Angelegenheiten der Europäischen Union sage.
({0})
Herr Pflüger, ich denke, dass Sie damit das Gebot der
Zurückhaltung eines Ausschussvorsitzenden verletzt haben. Es ist nicht Aufgabe und nicht das Recht eines Ausschussvorsitzenden, im Plenum Beurteilungen der Politik der Bundesregierung abzugeben.
Wir haben in den letzten Tagen beobachtet, dass der
Grat sehr schmal ist, auf dem man als Ausschussvorsitzender wandert, wenn man eine solche Solidaritätsreise
nach Österreich unternimmt. Gerade bei einigen Interviews ist deutlich geworden, dass Sie dabei ins Schleudern gekommen sind. Aber mit der Bemerkung, die Sie
hier zum Abschluss Ihres Redebeitrages gemacht haben,
sind Sie sozusagen von diesem Grat abgestürzt. Ich denke, es muss klargestellt werden, dass Sie als Ausschussvorsitzender eine solche Beurteilung im Plenum nicht
abgeben können.
({1})
Darauf kann
der Kollege Pflüger antworten.
({0})
- Herr Hintze, auch Sie haben leider kein Rederecht
mehr. Der letzte Redebeitrag in dieser Debatte ist jetzt
diese Antwort. - Bitte.
({1})
Es tut mir Leid,
dass ich Sie noch ein wenig aufhalten muss. Ich glaube,
dass ich eben sehr deutlich gemacht habe, dass ich mir
im Klaren darüber bin, dass ich mit meiner Position, die
ich eingenommen und vertreten habe, natürlich nicht
den ganzen Ausschuss vertrete, dass die Grünen und die
SPD eine andere Auffassung haben. Auch die PDS ist ja
heute sehr deutlich geworden.
({0})
- Ich kann auch nicht die Ausschussmehrheit wiedergeben. Das ist völlig richtig. Das halte ich an dieser Stelle
noch einmal fest.
Im Übrigen habe ich, glaube ich, deutlich gemacht,
dass ich mir trotzdem als Abgeordneter und Mitglied der
Fraktion der CDU/CSU mein Recht auf meine politische
Meinung von niemandem verbieten lasse. Ich glaube,
das macht auch die Kollegin Scheel bei Ihnen nicht.
({1})
Ich schließe
die Aussprache.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich auf morgen, Donnerstag, den 17. Februar,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.