Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist
eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der folgenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P. gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 35 bis 38 in
Drucksache 14/2552 zur Medienpolitik ({0})
2. Beratung des Antrags der Fraktion SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Unterstützung des Stabilitätspaktes Südosteuropa - Drucksache 14/2569 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Ulrich Irmer, Hildebrecht Braun ({2}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Für eine
zügige Umsetzung und Vertiefung des Stabilitätspaktes
Südosteuropa - Drucksache 14/2584 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
4. Beratung des Antrags der Fraktion der PDS: Aufhebung des
Ölembargos gegen Jugoslawien - Drucksache 14/2573 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({4})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich
({5}), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz
Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.: Straßenbau statt Autostau - Drucksache 14/2582 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
6. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({7}):
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung atomrechtlicher Vorschriften für die Umsetzung von
EURATOM-Richtlinien zum Strahlenschutz - Drucksache 14/2443 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8})
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Fraktion SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Stärkung des Schutzes der Böden Drucksache 14/2567 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
7. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache ({10}):
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung
von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft auf
dem Gebiet des Berufsrechts der Rechtsanwälte -
Drucksache 14/2269 - ({11})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 14/2594 Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Norbert Röttgen
Rainer Funke
8. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Haltung der Bundesregierung zu Berichten über Defizite
bei der Pflegeversicherung und Auswirkungen auf die
soziale Sicherheit alter Menschen
9. Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes - Drucksache
14/2566 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({12})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
10. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts - Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 ({13}) - Drucksache 14/2595 Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg van Essen
Dr. Jürgen Meyer ({14})
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Dr. Evelyn Kenzler
Hans-Christian Ströbele
11. Beratung des Antrags der Fraktion SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Fortführung der Beratungen zum Endbericht der Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und
Psychogruppen“ - Drucksache 14/2568 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({15})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
12. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Die
Ergebnisse des Russland-Besuches des deutschen Außenministers Joseph Fischer am 20. Januar 2000 und die Haltung der Bundesregierung zum Tschetschenien-Krieg
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden. Darüber hinaus
soll der Tagesordnungspunkt 8 a und b - es handelt sich
um Anträge zu Jugoslawien - zusammen mit der Aussprache zur Regierungserklärung aufgerufen sowie
das Seuchenrechtsneuordnungsgesetz - Tagesordnungspunkt 6 - mit den Beratungen ohne Aussprache behandelt werden.
Des Weiteren mache ich auf die folgende nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 69. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung zur
Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Günther Friedrich Nolting, Hildebrecht
Braun ({16}), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der F.D.P. zur Änderung des
Grundgesetzes ({17}) ({18}) - Drucksache 14/1728 ({19}) Überweisungsvorschläge:
Rechtausschuss ({20})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? -
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlos-
sen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 und 8 sowie die
Zusatzpunkte 2 bis 4 auf:
3. Abgabe einer Erklärung der Bundesregie-
rung
Der Stabilitätspakt Südosteuropa - Stand
und Perspektiven
8 a) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Aufhebung der Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien
- Drucksache 14/2387 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({21})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
8 b) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Schiffbarmachung der Donau und Wiederaufbau der zerstörten Donaubrücken
- Drucksache 14/2388 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({22})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungwesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Unterstützung des Stabilitätspaktes Südeuropa
- Drucksache 14/2569 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({23})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Hildebrecht Braun ({24}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P
Für eine zügige Umsetzung und Vertiefung
des Stabilitätspaktes Südosteuropa
- Drucksache 14/2584 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({25})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktion der PDS:
Aufhebung des Ölembargos gegen Jugoslawien
- Drucksache 14/2573 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({26})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer
interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache
eineinhalb Stunden vorgesehen. Die PDS soll eine Redezeit von zehn Minuten erhalten. - Kein Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
zunächst der Bundesminister des Auswärtigen, Joschka
Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als am
10. Juni vergangenen Jahres der Stabilitätspakt für Südosteuropa in Köln beschlossen wurde, lag das Ende des
Kosovo-Krieges nur wenige Stunden zurück. Die aus
dem Kosovo abrückende jugoslawische Armee hinterließ ein verwüstetes Land und eine zutiefst traumatisierte Bevölkerung. Der Krieg im Kosovo war der vierte
Krieg im ehemaligen Jugoslawien in weniger als einem
Jahrzehnt. Seit 1991/92 waren Hunderttausende ermordet und Millionen Menschen vertrieben worden - eine
furchtbare Bilanz.
In Bosnien hatte die Staatengemeinschaft viel zu spät
und viel zu zaghaft gehandelt. Durch das Eingreifen im
Kosovo konnten wir verhindern, dass Milosevic sein
Ziel der totalen Vertreibung erreichte und die Region
immer tiefer in den Abgrund riss. Aber für die Hunderttausenden, die vertrieben, umgebracht, gefoltert oder
vergewaltigt wurden, kamen wir auch dieses Mal zu
spät.
Die wichtigste Lehre aus dem Kosovo-Krieg musste
und muss deshalb heißen, nicht wieder erst dann zu reagieren, wenn es schon zu spät ist, sondern mit einer umfassenden, massiven, lang andauernden Kraftanstrengung präventiv zu handeln, um den Teufelskreis von
Gewalt, Unterdrückung und Instabilität endlich und
endgültig zu durchbrechen.
({0})
Die Bundesregierung hat deshalb die Initiative zu
dem Stabilitätspakt ergriffen.
Der Stabilitätspakt befindet sich gegenwärtig in einer
entscheidenden Phase. Eine gute Basis ist in den vergangenen Monaten gelegt worden. Doch darüber, ob der
Pakt auch wirklich den tief greifenden Wandel bewirken
kann, den wir uns alle erhoffen, werden maßgeblich die
kommenden Wochen und Monate entscheiden, in denen
es um die Umsetzung des Vereinbarten und vor allem
um die Bereitschaft geht, sich hierfür langfristig, auch
und gerade finanziell, zu engagieren.
Ich möchte diese Erklärung zum Anlass nehmen, um
an Sie den dringenden Appell zu richten, jetzt nicht zur
Tagesordnung überzugehen, sondern sich weiter aktiv
hinter den präventiven Ansatz des Stabilitätspaktes zu
stellen.
({1})
Wie oft wurde das große Wort Prävention beschworen, wenn es um die Vermeidung von Konflikten gerade
auf dem Balkan ging! Mit dem Stabilitätspakt müssen
wir beweisen, dass wir es mit unserem Engagement
ernst meinen. Dies ist auch eine Frage der politischen
Glaubwürdigkeit der deutschen und der europäischen
Außenpolitik.
Seit dem Startschuss in Köln haben viele Konferenzen stattgefunden und zahlreiche Einzelprojekte sind
vereinbart worden. Die wichtigste bisherige Leistung ist
jedoch, dass es gelungen ist, unter den 50 Beteiligten einen politischen Konsens über die Ziele und Methoden
des Stabilitätspaktes herzustellen. Dies ist in hohem
Maße das Verdienst des Sonderbeauftragten Bodo
Hombach und seines Teams, die diese Leistung in wenigen Monaten in einer äußerst komplizierten internationalen Struktur und unter allem anderen als einfachen
Startbedingungen erbracht haben. Bodo Hombach gebührt dafür nicht nörgelnde, kleinkrämerische Kritik
oder die Übertragung innenpolitischer Kritik auf seine
jetzige Aufgabe, sondern die Anerkennung des Deutschen Bundestages.
({2})
Der Stabilitätspakt muss jetzt von der Planungs- in
die Realisierungsphase eintreten. Die auf dem Tisch liegenden Projekte müssen so rasch wie möglich zu konkreten Baustellen werden. Zentrale Bedeutung wird die
Ende März stattfindende Finanzierungskonferenz haben. Im Mittelpunkt werden dabei die Finanzierung von
Großprojekten mit Symbolkraft, so genannte Leuchtturmprojekte, stehen, außerdem so genannte Schnellstart-, oder, wie es auf Neudeutsch heißt, „Quick-startPakete“, mit sofort abfließenden Geldern sowie eventuell die Einrichtung eines Trust-Fund. Die Bundesregierung hat hierfür soeben ein Gesamtkonzept erarbeitet
und, über vier Jahre verteilt, 1,2 Milliarden DM bereitgestellt.
Mehrere von Finanzierungsvorbehalten unabhängige
Projekte wurden bereits an den Arbeitstischen abgeschlossen. So hat der Wirtschaftstisch eine Investmentcharta verabschiedet, in der politische Ziele für alle
Länder der Region festgelegt sind, einschließlich konkreter länderspezifischer Fahrpläne und Zieldaten. Dieses Projekt wird eine für private Investoren außerordentlich wichtige Grundlage bilden, um Planungs- und
Rechtssicherheit herzustellen und damit Investitionen zu
ermöglichen.
Privatwirtschaftlichem Engagement, Know-how- und
Kapitaltransfer kommt eine Schlüsselrolle für die Entstehung dauerhaft wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstrukturen in der Region zu. Die Bundesregierung hält
deswegen eine praxisnahe Beratung vonseiten der Wirtschaft für unverzichtbar. Auf unsere Initiative wurde in
der vergangenen Woche in Berlin ein „Business Advisory Council“ gegründet, der die Regierungen beraten
und die Perspektive der Wirtschaft in den Reformprozess einbringen soll. Dem Ausschuss sitzen je ein deutVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
scher und ein französischer Spitzenmanager vor und ihm
gehören Mitglieder aus zahlreichen Stabilitätspaktländern an, auch aus Südosteuropa.
Ziel ist die Herausbildung effizienter, sich selbst tragender marktwirtschaftlicher Strukturen und die Schaffung
eines regionalen, nach außen offenen Marktes. Dies ist
auch die Konsequenz der Negativerfahrungen, die in
Bosnien gemacht wurden.
Am Tisch für Demokratie und Zivilgesellschaft
wurde eine Mediencharta erarbeitet, die zum Kern einer Mediengesetzgebung nach westlichem Muster werden kann. Eine freie Medienlandschaft ist eine der ganz
wichtigen, zentralen Voraussetzungen für die Demokratisierung. In vielen Ländern besteht jedoch noch kein
oder nur ein sehr schwacher Schutz für Journalisten.
Diese werden immer wieder Repressionen ausgesetzt.
Um unsere verfügbaren Mittel optimal zu nutzen, wurde
auf Initiative der Bundesregierung eine Clearing-Stelle
für Medienhilfe im Rahmen des Stabilitätspaktes beim
Bayerischen Rundfunk eingerichtet.
Weitere Aktivitäten am Demokratietisch zielen auf
die Schaffung einer starken Zivilgesellschaft, eines
wirksamen Minderheitenschutzes, eine intensivierte Zusammenarbeit der Parlamente sowie eine Verbesserung
der Bildungsinfrastruktur. Hervorheben möchte ich die
Reform der Geschichtsbücher. Investitionen sind hier
von größter Wichtigkeit, um die in der Region noch
stark verankerten nationalen - um nicht zu sagen: nationalistischen - Denkmuster überwinden zu helfen.
({3})
Im Bereich der inneren Sicherheit wurden ebenfalls
mehrere Projekte auf den Weg gebracht, darunter eine
Antikorruptionsinitiative. Von den Regierungen in der
Region wurde das Thema Kleinwaffen auf die Tagesordnung gesetzt, das für sie ein großes Problem bei der
inneren Sicherheit darstellt.
Insgesamt ist es beachtlich, wie schnell der Stabilitätspakt die Staaten der Region dazu ermutigt hat, in eigener Regie Projektvorschläge vorzulegen. Ohne den
neuen Rahmen wäre dies so nicht vorstellbar gewesen.
Ich möchte hier - ein sehr wichtiger Punkt - auf die
griechisch-mazedonisch-albanische Zusammenarbeit
hinweisen, ebenso auf die gemeinsamen Projektvorschläge Bulgariens, Albaniens und Mazedoniens. Erfreulich ist auch, dass Montenegro sich einigen dieser
Initiativen angeschlossen hat. Die Beteiligten haben dabei ausdrücklich erklärt, dass sie im übergeordneten Interesse der Zusammenarbeit bereit sind, bestehende bilaterale Konflikte zurückzustellen. Dies ist genau der richtige und erwünschte Ansatz, um das gegenseitige
Grundvertrauen in der Region zu fördern.
({4})
Meine Damen und Herren, der politische Richtungswechsel in Kroatien ist von allergrößter Bedeutung für
Kroatien selbst wie für seine Nachbarn, gerade auch für
Serbien. Kroatien hat sich in einem überzeugenden Votum vom Nationalismus Franjo Tudjmans frei gemacht.
Es hat damit alle Chancen, die Weichen in Richtung
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stellen und damit
den Anschluss an Europa zu finden.
Nach jahrelanger politisch-mentaler Isolation und in
desolater wirtschaftlicher Lage wird dies Zeit und auch
unsere Hilfe brauchen. Doch die Entwicklung in Slowenien zeigt bei allen Unterschieden, dass dieser Prozess
schneller gehen kann, als viele erwarten. Die Bundesregierung und ihre EU-Partner sind entschlossen, den Kurs
der neuen, demokratischen Führung in Kroatien zu unterstützen, gerade auch im Rahmen des Stabilitätspaktes.
({5})
Wir werden dabei darauf drängen, dass unter der neuen Führung endlich auch Bewegung in die Frage der
Flüchtlingsrückkehr in die Krajina kommt. Dieses
wird vor allen Dingen für die Demokratisierung in Belgrad von überragender Bedeutung sein.
({6})
Damit wird hoffentlich auch die Blockade in anderen
Teilen der Region überwunden werden können.
Die Schlüsselfrage für die Zukunft der Region ist ohne Zweifel die Demokratisierung der Bundesrepublik
Jugoslawien. Hierbei kann und muss der Stabilitätspakt
einen zentralen Beitrag leisten. Es muss klar werden,
dass mit dem Stabilitätspakt keine Mauer um das serbische Volk gebaut wird - im Gegenteil!
({7})
Wir stehen diesbezüglich in einem fortdauernden Dialog
mit der demokratischen serbischen Opposition und mit
der montenegrinischen Führung.
Unser gemeinsames Ziel ist die Durchführung freier,
unabhängiger und fairer Wahlen in Serbien. Alle serbischen Oppositionsgruppen haben Milosevic am 10. Januar aufgefordert, Wahlen auf allen Ebenen bis Ende
April durchzuführen. Die Bundesregierung und ihre EUPartner unterstützen, zusammen mit den USA, diesen
Appell mit allem Nachdruck.
({8})
Entscheidend ist, dass die serbische Opposition jetzt
geschlossen auftritt, um der Bevölkerung eine glaubwürdige Alternative zu Milosevic zu bieten. Die jüngsten Erklärungen, künftig gemeinsam vorzugehen, sind
ermutigend. Sie sind im Übrigen maßgeblich auf das
Treffen in Berlin am 17. Dezember zurückzuführen. Zur
Unterstützung der serbischen Opposition wird die Bundesregierung bilateral und mit unseren EU-Partnern die
Maßnahmen humanitärer Hilfe und zur Stärkung der unabhängigen Medien fortsetzen und noch weiter ausbauen.
Ein wichtiges Instrument zur Realisierung solcher
Projekte sind Städtepartnerschaften. Eine entsprechende Initiative ist das erste konkrete Projekt des
Stabilitätspaktes. Auf meine Anregung hin sind die
deutschen Städte zur Mitarbeit im Rahmen von deutschserbisch-montenegrinischen Projektpartnerschaften eingeladen und ein Sonderbeauftragter hierfür, Herr Jupp
Vosen, ist ernannt worden. Bisher haben zehn deutsche
Städte Interesse daran bekundet. Wir bauen dabei auch
auf die Unterstützung des Deutschen Bundestages.
Als Antwort auf die gemeinsamen Forderungen der
serbischen Opposition müssen wir unsere Sanktionspolitik jetzt überprüfen. Die Bundesregierung setzt sich aktiv für eine Verschärfung der direkt gegen das Milosevic-Regime und seine Freunde gerichteten Sanktionen,
die übrigens schon heute sehr wirksam sind, vor allem
Visa-Listen und ein Einfrieren der Bankkonten im Ausland, ein.
Gleichzeitig aber wollen wir die Embargomaßnahmen, die in erster Linie die Bevölkerung treffen, lockern: zunächst die Aufhebung des Flugverbots und in
einem zweiten Schritt die Aufhebung oder Suspendierung des Ölembargos. Wie Sie wissen, wird diese Meinung bisher noch nicht von allen EU-Partnern geteilt,
aber wir werden uns in der Union weiter für diesen Kurs
einsetzen. Solange das Ölembargo noch besteht, unterstützt die Bundesregierung zudem einen Ausbau des
Programms „Energy for Democracy“.
({9})
Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Punkt, auch im
Zusammenhang mit der Veränderung der politischen
Lage in Kroatien: Wir müssen hier klug vorgehen, um
der neuen kroatischen Regierung zu helfen, die Wirtschaftskrise zu meistern, während Kroatien gleichzeitig
Ernst machen muss mit seiner Verpflichtung, die Rückkehr der Flüchtlinge aus der Krajina zuzulassen und diese auch entsprechend praktisch umzusetzen. Gleichzeitig
müssen wir jetzt, nachdem die Opposition in Serbien zur
Einheit gefunden hat, diese Opposition unterstützen,
Montenegro unterstützen und gleichzeitig die Forderung
der Opposition, die inneren Sanktionen aufzuheben, umsetzen. Dann, so denke ich mir, werden wir eine völlig
andere Lage im Innern Serbiens haben. Dann sind auch
die Chancen, dass die demokratische Opposition wirklich in die Offensive Richtung Neuwahlen kommt und
diese Neuwahlen auch gewinnen kann, sehr gut. Genau
das ist das Ziel unserer Politik, und hierbei hat der Stabilitätspakt eine zentrale Funktion.
({10})
Sehr wichtig ist deshalb jetzt auch die Wiederherstellung der Schiffbarkeit der Donau. Die Donau ist für
die Region eine überragende Verkehrsstraße angesichts
der schwachen landseitigen Verkehrsinfrastruktur. Wir
haben uns für eine Unterstützung der Europäischen Union bei der Räumung der Fahrrinne der Donau eingesetzt.
Die Union ist dazu grundsätzlich bereit. Die Bundesregierung prüft darüber hinaus ganz konkret die Möglichkeiten, zum Bau einer Behelfsfußgängerbrücke bei Novi
Sad beizutragen.
Besonderes Augenmerk muss der Entwicklung in
Montenegro im Rahmen der territorialen Integrität der
Bundesrepublik Jugoslawien gelten. Verläuft diese demokratische Entwicklung erfolgreich, so kann sie eine
Schaufensterfunktion für Serbien ausüben. Hier kann
aber auch ein weiteres potenzielles Pulverfass für die
gesamte Region liegen. Die Bundesrepublik hat sich
deshalb von Anfang an für eine Mitwirkung Montenegros am Stabilitätspakt eingesetzt.
Jetzt geht es vor allem darum, Montenegro bei der
Überwindung seiner großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu helfen. Wir müssen die internationalen Finanzinstitutionen, denen bisher aufgrund technischer Probleme die Hände gebunden sind, handlungsfähig machen
und wir müssen natürlich auch selbst handlungsfähig
werden. Die Bundesregierung prüft deshalb gegenwärtig
eigene Möglichkeiten wirtschaftlicher und finanzieller
Zusammenarbeit mit Montenegro.
Auch die weitere Entwicklung im Kosovo wird starke Auswirkungen auf Serbien wie auf Montenegro haben. Nach den ersten sechs Monaten sind beachtliche
Fortschritte zu verzeichnen: Die äußere Sicherheit ist
dank KFOR gewährleistet. Eine Interimsverwaltung
konnte endlich in diesem Monat aufs Gleis gesetzt werden. Aber die Probleme, denen sich die VN-Mission
UNMIK und die KFOR-Soldaten unter General Reinhardt gegenübersehen, sind enorm. Die Arbeit der VNMission steht und fällt mit der Unterstützung, und zwar
mit der materiellen und finanziellen, die sie von der internationalen Gemeinschaft erhält.
Um der akuten Finanznot der VN-Mission abzuhelfen, hat das Auswärtige Amt im letzten Monat
19 Millionen DM aus seinem Haushalt in den KosovoTrust-Fund der Vereinten Nationen überwiesen. Wir
stehen damit an der Spitze der Geber und werden auch
weiterhin unseren Beitrag zur Stabilisierung des Kosovo
leisten.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, aber
auch die Gelegenheit nutzen, mich sowohl bei General
Reinhardt als auch bei Herrn Koenigs für die geleistete
vorzügliche Arbeit, die sie im Kosovo im Auftrag der
Vereinten Nationen leisten, recht herzlich zu bedanken.
Ich kann Ihnen auch weiterhin unsere Unterstützung
versichern.
({11})
Im Stabilitätspakt wird für Südosteuropa erstmals eine, wenn auch langfristig angelegte, konkrete Perspektive für den Beitritt zu den euroatlantischen Strukturen
aufgezeigt. Nicht umsonst hat jetzt die Türkei einen Stabilitätspakt für den Kaukasus vorgeschlagen. Die Bedeutung dieser Perspektive kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Sie wirkt sich - wie es gerade die
jüngsten Beispiele der Slowakei und Kroatiens eindrucksvoll zeigen - unmittelbar auf die Demokratisierung dieser Staaten aus.
Die EU steht auch deshalb in besonderer Verantwortung für den Stabilitätspakt. Wir sind aber sehr froh über
die breite Unterstützung seitens der vielen anderen internationalen Organisationen, der G 8, unter anderem
durch die Steuerungsgruppe der Finanzminister, der
NATO, der OSZE, der Vereinten Nationen, der OECD
und vor allem auch der internationalen Finanzinstitutionen. Es ist besonders erfreulich, dass sich die USA auch
finanziell so nachhaltig engagieren. Gleiches gilt für Japan, das - trotz der geographischen Entfernung - die
wirklich beachtliche Summe von über 2 Milliarden Euro
für den Wiederaufbau in Südosteuropa zur Verfügung
gestellt hat. Wir sind hierfür sehr dankbar.
({12})
Meine Damen und Herren, der Stabilitätspakt als Gesamtkonzept für die politische Zukunft Südosteuropas
ist ein ehrgeiziges Projekt. Es ist völlig klar, dass seine
Realisierung eine lange Zeit brauchen wird. Es geht hier
um die Überwindung von tief verwurzelten Denkkategorien und Konfliktursachen, aber auch von erheblichen
institutionellen und ökonomischen Defiziten.
Südosteuropa ist jedoch genauso wenig wie andere
Teile Europas vom Schicksal zu Instabilität, Gewalt und
immer neuen ethnischen Vertreibungen verdammt. Das
zeigen schon die beeindruckenden Fortschritte einzelner
südosteuropäischer Staaten, die bereits jetzt stabilisierend auf ihre Umgebung ausstrahlen. Doch um diesen
Prozess weiterzuführen und zu beschleunigen, braucht
es anhaltende und nachhaltige Unterstützung von außen.
Der Balkan, der in der Geschichte immer wieder eine
Quelle von Instabilität und Krieg auf unserem Kontinent
war, muss endlich zur Ruhe kommen. Das wird er nur,
wenn wir auch diese Region an das Europa der Integration heranführen. Mit der Arbeit an dem Stabilitätspakt
können wir einen entscheidenden Beitrag für den Frieden in Europa leisten.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein halbes Jahr nach
dem Gipfel von Sarajevo, der durch seinen Ablauf - Anflug, Gruppenfoto, kurze Reden, Abflug - ein kleines
Schlaglicht auf die Probleme der westlichen Welt im
nachhaltigen Umgang mit Südosteuropa geworfen hat,
ist es an der Zeit, Zwischenbilanz zu ziehen und Anspruch und Wirklichkeit des Stabilitätspaktes zu untersuchen. Man muss sortieren: Was war mit diesem Pakt
geplant, wo war er von vornherein unrealistisch und was
wird den Wirklichkeitstest bestehen? Ich befürchte, dass
wir mit krisenhaften Entwicklungen auf dem Balkan, die
durch den Stabilitätspakt allein nicht verhindert werden,
auch in Zukunft werden rechnen müssen.
Herr Bundesaußenminister, der Ansatz des Stabilitätspaktes geht allerdings in die richtige Richtung. Insofern gehen auch wir nicht zur Tagesordnung über. Die
Unterstützung für eine stabile Entwicklung in dieser Region Europas ist auch für unsere eigene Stabilität entscheidend.
Allerdings ist es dem Stabilitätspakt bisher nicht gelungen, den zugrunde liegenden Teufelskreis zwischen ökonomischem Desaster, ethnischer Feindseligkeit und
dem Abhandenkommen tragfähiger Verwaltungsstrukturen zu entkommen. Das liegt sicher zum Teil am heterogenen Teilnehmerkreis. Wenn man allein an die große
Anzahl der internationalen Organisationen - 15 an der
Zahl - denkt, bekommt jedermann einen Eindruck davon.
({0})
Diese Organisationen spiegeln ja nicht nur die Vielfalt
der Möglichkeiten wider, sondern auch die Vielfalt der
unterschiedlichsten Interessen. Es ist auch bisher nicht
recht gelungen, sie glaubwürdig auf eine gemeinsame
Strategie festzulegen.
Ich will das nicht ausschließlich an der Person des
Sonderkoordinators Hombach festmachen. Es leiden
nicht nur die Länder in der Region, die vom Stabilitätspakt profitieren sollen, an der fahrigen Arbeitsweise à la
Sarajevo-Gipfel, die eine Idee an die andere knüpft, die
Ideen aber nicht richtig miteinander verknüpft, sondern
auch daran, dass Herr Hombach - dafür kann er nun
nichts - ein Sonderkoordinator zwar mit Titel, aber ohne
Mittel ist. Die Bereitstellung der Mittel war ja doch sehr
schwierig. Wenn ein Sonderkoordinator zuerst einmal
alle seine Auftraggeber koordinieren muss, dann bestehen bei dem Einsatz vielleicht doch wenig Möglichkeiten, um das zu tun, was er eigentlich tun sollte.
Die Einigkeit, die Sie, Herr Außenminister, beschworen haben, scheint nun wirklich nicht in diesem Ausmaße vorhanden zu sein, angesichts der Tatsache, dass Frau
Albright gestern in einer öffentlichen Rede die Europäer
ermahnte, sie sollten endlich ihren Verpflichtungen - sie
meinte wohl vor allem die monetären, aber auch andere
Verpflichtungen - in Bezug auf Kosovo nachkommen.
Ich will das nun nicht kommentieren, ich will das nur
einfach darstellen, weil hier doch offensichtlich unterschiedliche Akzente gesetzt werden.
Es gibt ja auch, - dies stellt man fest, wenn man
beispielsweise die Verlautbarungen aus Bulgarien verfolgt - eine starke Ungeduld in den Mitgliedstaaten des
Solidaritätspaktes. Deswegen stimme ich Ihnen zu: Die
Geberkonferenz im März muss klare Zeichen setzen.
Sie muss finanzielle Mittel bereitstellen - und zwar ausgewogen und ohne einseitig zu belasten - und sie muss
dieses Geld schnellstmöglich in Projekte umsetzen.
Es fragt sich aber trotzdem, ob dieser Stabilitätspakt
das Ziel, das wir alle mit ihm mehr oder weniger verbinden, wirklich mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung
stehen, und mit der Philosophie, die ihm zugrunde liegt,
erreichen kann. Leuchtturmprojekte und Quick-startPakete - sie scheint Bill Gates mit entwickelt zu haben sind sehr interessant, aber sie umreißen eigentlich nicht
mehr als ein Symbol. Sie geben ein Leuchtfeuer ab, aber
sie überbrücken deswegen noch längst nicht den Ozean
und die reißenden Fluten.
Das grobe Ziel ist umrissen. Man will einen befriedeten, dem friedlichen Handel und Wandel geöffneten
Balkan, in dem Konflikte nach den Mechanismen der
Prävention, der Verhandlung und des Ausgleichs gelöst
werden und nicht durch Gewalt und Repression. Darüber sind wir uns völlig einig; das kann niemand ernsthaft anders wollen. Aber das ist noch keine Strategie.
Die Skizzierung der Schritte zur Erreichung dieses Ziels,
die der Stabilitätspakt vorgibt, mag in die richtige Richtung gehen; entscheidende Fragen kann sie nicht beantworten.
Zutreffenderweise schrieb neulich Susan Woodward,
dass der Stabilitätspakt „eine Hülle ohne Strategie“ bleibe. Damit hat sie wohl Recht. Eine Strategie müsste sich
auch den Fragen stellen, die über das rein Kommunikative und Investive hinausgehen, zum Beispiel der Frage,
wie die politische Gliederung des Balkans zukünftig
aussehen soll. Ohne alle Staaten auf die EUMitgliedschaft zu vertrösten, muss vorher klar werden,
wie beispielsweise der Kosovo staatlich gegliedert werden soll.
({1})
Es muss die Frage der weiteren Behandlung der
Minderheiten - das, was im Balladur-Plan angedacht
war - geklärt werden: Wie kann die Verknüpfung zwischen territorialer Situation und ethnischer Diversifikation erreicht werden? Auf diese Frage finde ich im Ansatz des Stabilitätspaktes zwar hochwohllöbliches Denken, aber wir müssen konstatieren, dass er uns bisher
nicht in einer Weise Antworten geben konnte, die wir
erwarten müssten.
Ein Konzept für eine Zeit nicht nur nach Milosevic,
sondern für eine Zeit, in der sich die KFOR-Truppen
wieder zurückziehen können, muss vorhanden sein,
wenn Sie so wollen - damit soll es mit der Computersprache aber sein Bewenden haben - eine Exit-Strategie
genauso wie eine Input-Strategie.
Ich meine damit eine Strategie, mit der versucht wird,
für die Zeit danach tragfähige und nicht nur für den Augenblick nützliche Grundlagen zu schaffen. Dieses Konzept erfordert, dass wir uns auch mit der Frage der Präsenz europäischer Truppen auf dem Balkan auseinander setzen, etwa ob nach Ansicht der Bundesregierung
eine Dauerstationierung wie in Zypern notwendig sein
wird und welche Strategien zum Rückzug bestehen.
Wenn ein baldiger Rückzug der Truppen als unrealistisch angesehen wird, dann muss die Bundesregierung
dies jetzt auch der Bevölkerung offen sagen. Gespannt
bin ich, welche Vorschläge zur Finanzierung der Bundeswehr dann von dieser Bundesregierung präsentiert
werden; denn das wird nicht billig sein. Ich möchte das
nur in den Raum stellen. Das ist eine ganz wichtige Frage, die immer öfter gestellt wird. Vor einem halben Jahr
haben wir begonnen, uns im Kosovo zu engagieren. In
Bosnien engagieren wir uns schon seit Jahren. Wie soll
der Weg aus dieser Situation heraus aussehen und was
soll nach dem Abzug geschehen? Das ist ein wichtiger
Punkt, über den diskutiert werden muss. Er ist sogar entscheidend, nicht nur für unsere Soldaten. Es muss ein
Übergang von der bloßen Befriedung hin zu einer tragfähigen Struktur, auf deren Grundlage die Konflikte so
gelöst werden können, wie es der Bundesaußenminister
in den letzten Sätzen seiner Regierungserklärung beschrieben hat, gefunden werden.
({2})
Die nächste Frage ist, ob das Konzept einer ethnischen Separierung Grundlage für die Zukunft des Balkans sein darf oder nicht. Das ist eine schwierige, sehr
komplizierte Frage. Wir spüren die Schwierigkeiten,
wenn wir uns angesichts der Entwicklung im Kosovo
die Frage stellen: Kann die KFOR die serbische Minderheit im Lande schützen und halten?
In der Frage der Rücksiedlung der Krajina-Serben
nach Kroatien stimme ich Ihnen zu, Herr Außenminister.
Wir erwarten in der Tat von der Führung in Kroatien,
dass sie eine neue Entwicklung einleitet und die Dinge
ernsthafter und konsequenter als bisher angeht. Dahinter
stecken natürlich Grundsatzfragen, die eigentlich den
ganzen Balkan betreffen. Ein Teil unseres Kontinents
war immer schon ein Durchgangsgebiet, in dem sich
schon aus Gründen der Topographie in den verschiedenen Tälern andere Ethnien angesiedelt haben. So leben
beispielsweise in Nordserbien - wir reden immer nur
von der ungarischen Minderheit - insgesamt 40 verschiedene ethnische Volksgruppen, die zum Teil sehr
klein sind und die sich auch die Frage stellen: Wie können wir in Zukunft in Sicherheit leben, ohne befürchten
zu müssen, dass unser Haus angezündet wird?
Wenn der Stabilitätspakt etwas leisten will, dann
muss er über das hinausgehen, was bisher von Herrn
Hombach vorgelegt worden ist. Aber der Stabilitätspakt - damit komme ich zur Frage der wirtschaftlichen
Beteiligung und der Lösung der fortbestehenden ökonomischen Katastrophe - darf sich nicht auf die Frage
der öffentlichen Finanzierung des Wiederaufbaus auf
dem Balkan beschränken; vielmehr muss er versuchen,
Kräfte wirtschaftlicher Dynamik zu entfalten. Deswegen
unterstützen wir ausdrücklich den Versuch des Business
Advisory Council, auch für privates Investment in einer
Situation zu sorgen, in der Unsicherheiten bestehen, die
aber von staatlicher Seite allein auch mit noch so viel
Geld nicht überwunden werden können. Hier bedarf es
der Aktivierung der Kräfte des Marktes mit Flankierung
und Unterstützung durch die öffentliche Seite.
({3})
Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind, der
eine entsprechende Entwicklung auslösen wird. Allerdings steht auch hier der Test noch aus. Wir sind gespannt, was uns der „Wirtschaftstisch“ in seinen nächsten Sitzungen präsentieren wird und wo investiert werden soll. Man darf auch nicht aus der Ferne einen Zaun
um Jugoslawien herum ziehen. Das ist völlig richtig.
Christian Schmidt ({4})
Ich komme zu der von Ihnen angesprochenen Embargopolitik. Ein Embargo ist meistens dann wirksam,
wenn es angedroht wird, und nicht dann, wenn es durchgeführt wird. Was Jugoslawien und Milosevic betrifft:
Ich stimme zu, dass vom Embargo einiges Sinnvolles
ausgegangen ist. Was allerdings die Aufhebung des
Flugembargos betrifft, so ist schon ganz interessant zu
sehen, dass sich Großbritannien, das zu Beginn dieses
Embargos eine ganz andere Position eingenommen hat,
nun anders verhält. Man muss fragen, was dahinter
steckt. Unter der Überschrift „Einigkeit der Europäer
und der transatlantischen Partner“ wäre es interessant,
darüber nachzudenken.
Herr Abgeordneter, denken Sie an die Redezeit, bitte.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Der Stabilitätspakt ist ein von uns im Ansatz unterstützter Schritt. Er darf nicht überfrachtet werden, weil
er das wahre Problem der ethnischen Gliederung und der
staatlichen Ordnung des Balkans nicht löst. Deswegen
muss da sehr viel mehr „Butter bei die Fische“.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Stabilitätspakt für Südosteuropa ist eine Antwort auf Erfahrungen der letzten
zehn Jahre. Diese Erfahrungen waren unterschiedlich.
Es gab Fortschritte bei der europäischen Integration und
bei der Entwicklung der Europäischen Union. Es gab die
Vorbereitungen auf den Erweiterungsprozess, erste
Schritte zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und erfolgreiche Transformations- und Reformprozesse in einigen Ländern Osteuropas, Mitteleuropas
und auch Südosteuropas.
Auf der anderen Seite gab es in Südosteuropa aber
ein regelrechtes Desaster: nacheinander vier Kriege im
Auflösungsprozess der Bundesrepublik Jugoslawien,
zweimal mit militärischer Intervention und Beteiligung
des Westens. Dazu kamen unerhört kostspielige Wiederaufbaumaßnahmen, die uns lehren, dass Reparatur immer teurer ist als Prävention,
({0})
und eine Fortdauer der Instabilität. Jederzeit können
neue Konflikte, Krisen und auch Kriege in dieser Region
ausbrechen. Das sind die Erfahrungen dieser zehn Jahre.
Insofern stehen folgende Erkenntnisse hinter der Initiative des Stabilitätspakts. Wir konnten Fehlentwicklungen nicht vermeiden, weil es eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Europas und des Westens
nicht gab und weil unsere präventiven Instrumente zu
schwach ausgebildet waren. Die Anreize und die Perspektiven für die Staaten und die Menschen Südosteuropas waren für ein anderes Verhalten, für eine andere Art
von Konfliktlösung nicht ausreichend. Im Zeitalter der
europäischen Integration und der Globalisierung kann es
ein stabiles Europa aber nur mit einem stabilen Südosteuropa geben; anders ist dies nicht möglich.
({1})
Insofern besteht ein Handlungszwang. Die Existenz
einer „Kriegsgeburtsgrotte“, um einen Begriff von Peter
Handke für den Balkan aufzunehmen, ist mit Europas
Zukunft nicht vereinbar.
({2})
Die gemeinsame Politik Europas und der Weltgemeinschaft, diese jetzt in Südosteuropa stattfindende Initiative ist insofern ohne Alternative. Das Drehbuch zu dieser
Politik ist der Stabilitätspakt.
Wie ist der Status im Augenblick? Die wichtigste
Botschaft dieser Debatte sollte sein: Bundesregierung
und Bundestag unterstützen nachdrücklich den Ansatz,
den Weg und die Umsetzung des Stabilitätspakts - gerade jetzt in einer schwierigen und kritischen Phase seiner
Genese. Wir sind zu erheblichen Anstrengungen bereit.
Wir erwarten solche aber auch von unseren anderen europäischen Nachbarn und Freunden. Wir sind der Meinung, dass die Parlamente in dieser Frage eine wichtige
Rolle spielen sollen, ebenso wie die internationalen Finanzorganisationen.
({3})
Wo stehen wir heute? Es ist schon gesagt worden:
Die Idee des Stabilitätspaktes kam während des KosovoKriegs aus Deutschland. Am 10. Juni fand der Kölner
Gipfel statt. Am 30. Juli fand die große Konferenz in Sarajevo statt. 31 Staats- bzw. Ministerpräsidenten und
17 internationale Organisationen haben da ein spektakuläres Commitment, eine Selbstverpflichtung, zum Ausdruck gebracht, die uns bindet. Sie hat Erwartungen geweckt. Diese Erwartungen dürfen nicht enttäuscht werden. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
Seither ist ein halbes Jahr vergangen. Herr Schmidt,
ich danke Ihnen wirklich für Ihre abwägende und sachliche Rede, in der Sie zu Recht gesagt haben, dass noch
nicht alle Aufgaben des Stabilitätspaktes erfüllt worden
sind. Aber das Büro des Sonderbeauftragten in Brüssel
hat mit 28 Mitarbeitern eine gute Vorarbeit geleistet.
Auch die drei Tische und der Regionaltisch, die vom
Koordinator selbst geleitet werden, sowie die internationalen Organisationen haben intensive Arbeit geleistet.
Herr Kollege Schmidt, ich möchte Ihnen ausdrücklich
dafür danken, dass Sie - anders, als es der eine oder andere hier vielleicht erwartet hat - nicht die Person des
Sonderkoordinators in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gerückt haben. Ich möchte meinen Dank aber
mit einer Bitte an Ihre Fraktion verbinden: Sagen Sie
doch einmal Ihren Kollegen im Europäischen Parlament,
Christian Schmidt ({4})
dass es einfach beschämend ist, wenn deutsche Parlamentarier in Europa immer wieder so tun, als ob das
Wichtigste am Stabilitätspakt die Nutzung von unbewiesenen Vorwürfen gegen Herrn Hombach sei. Das lenkt
von der eigentlichen Hauptsache ab und gehört sich einfach auch nicht. Parlamentarier im Ausland sollten sich
nicht so benehmen. Ich wollte Sie einfach bitten, das zu
tun.
({5})
Bundestag und Bundesregierung haben dadurch, dass
sie für die nächsten vier Jahre 1,2 Milliarden DM bewilligt und in den Bundeshaushalt eingestellt haben, eine
gute Vorleistung erbracht, der Signalwirkung zukommt.
Dies geschah in der Hoffnung, dass andere dies nachmachen. Jetzt befinden wir uns in der entscheidenden Vorbereitungsphase für die Finanzierungskonferenz am
29. und 30. März dieses Jahres.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Prozess der Definition der regional bedeutsamen Projekte läuft auf
Hochtouren. Wir sind von über 400 solcher Projekte
ausgegangen. Jetzt sind noch 118 in der engeren Prüfung. Es ist bemerkenswert, dass 89 davon aus der Region heraus formuliert worden sind. Die Teilnehmerstaaten des Stabilitätspakts bereiten sich jetzt darauf vor, ihre Reform- und Transformationsprojekte auf dieser Finanzierungskonferenz im März zu präsentieren. Beides
gehört zusammen.
Ich freue mich, Herr Kollege Schmidt, dass Konsens
über die Bedeutung des Business Advisory Council besteht, der auf deutsche Initiative hin jetzt die Arbeit aufgenommen hat; denn es ist in der Tat wichtig, dass führende europäische Wirtschaftsvertreter die Projekte evaluieren, dass sie versuchen, Konzepte zu finden, um das
Investitionsklima in den Ländern zu verbessern, damit
das berühmte Prinzip der „Public-Private-Partner-ship“
Realität werden kann.
Das Ganze allerdings - auch das hat Ihre Rede gezeigt - findet jetzt in einem Umfeld ungeduldiger Erwartung statt. Letztes Wochenende haben sich sieben
Regierungschefs aus Südosteuropa - das waren die von
Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien,
Mazedonien, Rumänien und Ungarn - im bulgarischen
Hissarja getroffen und haben noch einmal diese Ungeduld und Erwartung zum Ausdruck gebracht.
Auch die Fragen bei uns werden drängender: Wann
wird denn aus den Projekten das, was man Baustellenoder Leuchtturmprojekte - das ist ein tolles Wort nennt? Das heißt nichts anderes, als dass es Projekte
sind, die den Leuten zeigen sollen, dass - etwa durch
Brückenbau, Straßenbau, Verkehrsverbindungen, Kommunikationsverbindungen - konkret etwas für diese Region passiert.
Ich denke, in dieser Zeit verstärkter Erwartung ist es
unsere Pflicht, die Übersicht zu behalten. Das heißt, wir
müssen erkennen, wie wichtig es war, mit dem Stabilitätspakt die politischen Antworten auf den KosovoKrieg zu institutionalisieren. Wir müssen heute doch
von einer Karawane der internationalen Politik sprechen.
Diese Karawane ist längst von Südosteuropa zu anderen
Schauplätzen, nach Osttimor oder nach Tschetschenien,
weitergezogen. Jetzt zeigt sich, wie richtig und wichtig
es war, hier eine Institutionalisierung vorzunehmen.
Es ist wichtig zu unterstreichen, dass wir die Lehren
aus den Erfahrungen mit dem Wiederaufbauprozess in
Bosnien-Herzegowina ziehen müssen. Dort sind schon
mehr als 4 Milliarden Dollar investiert worden. Aber politische Stabilität und wirkliche Perspektiven sind nicht
entstanden. Das hängt auch mit der Vorbereitung dieses
Aufbauprozesses zusammen. Das darf sich beim Stabilitätspakt nicht wiederholen.
({6})
Deswegen war es richtig, eine andere Reihenfolge zu
wählen, die jetzt allerdings Ungeduld auslöst. Diese andere Reihenfolge heißt: Erst werden solche Projekte, bei
denen grenzüberschreitend gearbeitet wird und die etwas
für die Region bringen, definiert, geprüft und Prioritäten
festgelegt. Erst dann wird auf der geplanten Finanzierungskonferenz konkret für jedes einzelne Projekt die
Finanzierung sichergestellt. Das bedeutet: Der Prozess
selber ist schon ein Fortschritt und Fortschritt ist nicht
nur die Summe des am Ende Erreichten. Denn die Frage
der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit soll bei diesen Projekten immer eine Rolle spielen. Das beinhaltet
natürlich die Erwartung, aber auch die realistische
Chance, dass unmittelbar nach der Finanzierungskonferenz die Umsetzung, also etwa die Eröffnung von Baustellen, beginnt und dass dann nicht noch einmal ein
langer Verzögerungsprozess einsetzt.
Notwendig ist ebenso - auch das gehört zu dieser
Übersicht -, dass wir für die Reformprozesse bzw. für
die Transformationsprojekte in den jeweiligen Ländern
Finanzierungsregeln finden. Das ist schwierig. Denn
das gehört nicht zur Normalfinanzierung der internationalen Finanzinstitutionen. Es wird hier an Fondslösungen gedacht. Ich sehe, dass das auf einem guten Weg ist.
Allen, die ungeduldig sind, rufen wir zu: Auch wir
sind es. Aber letztlich führt nur gründliche Vorbereitung
zum Erfolg. Die ist im Gange. Auf dieser guten Basis
muss die Finanzierungskonferenz dann die nächste Phase, nämlich die der konkreten Umsetzung, einleiten.
Natürlich gibt es - darauf haben auch Sie, Herr
Schmidt, hingewiesen - eine ganze Reihe von noch ungeklärten Fragen und Herausforderungen. Kroatien hat
bisher wenig Projekte grenzüberschreitender Natur definiert. Wir begrüßen den politischen Wechsel, der dort
jetzt stattfindet. Aber das heißt auch, dass wir uns jetzt
beeilen müssen, bis zum März dieses Jahres noch Projekte zu finden, an deren Durchführung Kroatien sinnvollerweise beteiligt werden kann.
Herr Bundesaußenminister, wir begrüßen ausdrücklich, dass Sie und die Bundesregierung jetzt erhebliche
Anstrengungen unternehmen, um die Sanktionen und
das Embargo gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien zu lockern und aufzuheben.
({7})
Schon lange haben wir den Eindruck, dass diese Maßnahmen mittlerweile eher zur Stabilisierung von
Milosevic und seiner politischen Klasse in Belgrad beitragen, - und zwar auf dem Rücken der Bevölkerung -,
als dass sie als Anreiz für einen Erfolg der Opposition
wirken.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang der SzegedProzess, also das Bestreben, mit weiteren Städten in der
Bundesrepublik Jugoslawien - ich meine nicht Städte, in
denen die Opposition regiert, sondern jene, die sich zu
den Zielen des Stabilitätspaktes bekennen - Städtepartnerschaften zu schließen. Wir wünschen unserem ehemaligen Kollegen Jupp Vosen Erfolg dabei. Es ist erstaunlich: Bereits zehn Orte haben ihre Bereitschaft erklärt, neue Städtepartnerschaften einzugehen. Ich nenne
beispielsweise Dortmund, Jena und München. Wir wünschen uns, dass das so weitergeht.
({8})
Wir müssen einen Weg finden, damit die durch die
Finanzierungsregeln der EIB, der Europäischen Investitionsbank, ausgelöste Selbstblockade aufgehoben wird,
um Montenegro einbeziehen zu können. Diese Regeln
müsste man vielleicht ändern bzw. man müsste andere
bilaterale Maßnahmen treffen. Denn wir alle wissen ich will das hier nicht vertiefen -, welche friedenspolitische Bedeutung das für diese Region hat.
Natürlich ist unsere wichtigste Hoffnung nach wie
vor, dass die Menschen in der Bundesrepublik Jugoslawien die Kraft haben und auch Wege finden, dass in
Zukunft Änderungen stattfinden, die das ganze Land an
dem Prozess, der von diesem Stabilitätspakt ausgeht,
teilnehmen lassen. Denn eines ist sicher: Wir können
dem Stabilitätspakt zu einem Erfolg verhelfen; aber dauerhafte Stabilität in dieser Region ist ohne die Einbeziehung der Bundesrepublik Jugoslawien nicht möglich.
({9})
Ein Projekt möchte ich noch ansprechen - in diesem
Zusammenhang appelliere ich an die Regierungen von
Bulgarien und Rumänien -: Der Bau einer neuen Brücke
über die Donau ist eine unendliche Geschichte. Jetzt besteht die Chance - denn es handelt sich dabei um ein
grenzüberschreitendes Projekt -, endlich die Standorte
festzulegen, damit dies zu einem der ersten - jetzt verwende ich noch einmal dieses Wort - Leuchtturmprojekte des Stabilitätspaktes wird. Dieses Projekt ist wirklich
überfällig. Ich appelliere an die zuständigen Regierungen, dies umzusetzen.
Meine Damen und Herren, der Stabilitätspakt hat für
meine Fraktion eine besondere Bedeutung. Er ist ein
entscheidender Baustein für eine neue, vorausschauende
Friedenspolitik sowie für eine wirksame Krisenprävention und er ist für uns zugleich die wichtigste Lehre aus
dem Kosovo-Krieg.
Das ist nicht nur ein verbales Bekenntnis. Wir haben
in unserer Fraktion eine Taskforce für den Stabilitätspakt für Südosteuropa mit Vertretern aus acht verschiedenen Ausschüssen des Bundestages gebildet, die regelmäßig die Arbeit des Stabilitätspaktes begleiten. Wir
haben im September hier in Berlin eine Konferenz mit
deutschen Experten durchgeführt. Wir haben im Oktober
hier eine Parlamentarierkonferenz mit 20 Abgeordneten
aus acht Ländern des Stabilitätspaktes durchgeführt und
bereiten eine zweite für das erste Halbjahr dieses Jahres
vor. Deswegen kann ich abschließend sagen: Wir setzen
auf die Signalwirkung dieser Aktivitäten und dieser
Bundestagsdebatte in den anderen europäischen Ländern. Die Hoffnungen der Menschen in Südosteuropa
auf den Stabilitätspakt dürfen auf keinen Fall enttäuscht
werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe jetzt 14 Monate
lang ruhig auf meinem „Resozialisierungssitz“ auf der
Oppositionsbank gesessen
({0})
und in Ruhe und Gelassenheit beobachtet, wie sich die
Außenpolitik in Deutschland entwickelt hat.
Lieber Herr Kollege Fischer, ich möchte mich in
meinen elf Minuten Redezeit ganz besonders an Sie
wenden. Wenn ich Sie reden höre, sehe ich Sie immer
noch auf Ihrem Abgeordnetenplatz sitzen. Dann erinnere
ich mich an manche päpstliche Attitüde, die Sie manchmal lautstark, manchmal herablassend und manchmal auch hochmütig - eingenommen haben. Das hat
sich in eine staatsmännische Attitüde gewandelt: sorgenzerfurcht und von der Verantwortung niedergedrückt.
({1})
Dazu kann ich nur sagen: Das ist gut so, aber Sie dürfen
nicht alles vergessen, lieber Herr Kollege Fischer. Damit
Sie das nicht tun, möchte ich ein paar Bemerkungen machen und auch ein paar Fragen an Sie richten.
({2})
Es ist gut, dass wir heute den Stabilitätspakt für Südosteuropa erörtern. Er ist eine gute Idee, keine Frage.
Das haben wir damals alles begrüßt. Dennoch muss ich
Ihnen dezidiert und deutlich zwei Vorwürfe machen:
Erstens ist nicht ausreichend nachgearbeitet und umgesetzt worden, was beschlossen worden ist. Zweitens
kommt die für März vorgesehene Finanzierungskonferenz mit weitem Abstand zu spät.
({3})
Ich nehme an, dass die meisten von Ihnen heute die
„FAZ“ gelesen haben. Dort lautet eine Überschrift - das
ist schon erwähnt worden -: „Das teuerste Familienfoto
der Geschichte: Vom Stabilitätspakt in Südosteuropa ist
noch wenig zu spüren“. Das stammt von Matthias Rüb,
einem Kenner der Region. Er schreibt:
Nach dem mit großem Pomp inszenierten Gipfel
von Sarajevo haben sich rasch die Mühen der Ebene eingestellt.
Genauso ist es. Dem ist im Prinzip nichts hinzuzufügen.
Ich kritisiere nicht, dass Herr Hombach noch nicht
alles erreicht hat, was er erreichen muss. Ich kritisiere,
dass er damals abgeschoben und als der falsche Mann
dorthin geschickt wurde. Ich kritisiere auch, dass man
ihm zumutet, hin und her zu reisen und zu rasen, ohne
über aureichende Mittel und die notwendige Unterstützung zu verfügen. Man kann den eigenen Mann nicht so
herumrennen lassen, wie es hier geschieht; man sollte
ihn auch etwas rumrennen lassen, wie es hier geschieht;
man sollte ihm auch etwas mitgeben und ihn genügend
unterstützen. Wenn die heutige Regierungserklärung die
Unterstützung für Hombach darstellen soll, dann hätte
ich den Zeitpunkt für diese Erklärung ein bisschen früher gewählt.
({4})
Seit acht Monaten sind die Militäraktionen vorbei. Das
war zwar viel Zeit für diejenigen in der Regierung, die
nach- und abarbeiten müssen. Ich bleibe dabei: Das ging
zu langsam.
Die Menschen auf dem Balkan erwarten jetzt keine
großspurigen Ankündigungen, sondern tatsächliche Hilfe, damit die Region zur Ruhe und wieder auf die Beine
kommen kann. Das müssen wir bewältigen; das ist viel
wichtiger als großspurige Ankündigungen.
({5})
Aufhebung des Ölembargos für Jugoslawien: Herr
Kollege Fischer, Sie wollen es lockern. Die F.D.P. und
ich halten das zum jetzigen Zeitpunkt für falsch. Ich
räume ein, dass man darüber unterschiedlicher Meinung
sein kann. Ich sage Ihnen, warum wir es für falsch halten: nicht, weil die Amerikaner, die Briten und die Niederländer anderer Meinung als Sie sind und unsere Auffassung unterstützen, sondern deswegen, weil wir glauben, dass Sie mit dem, was Sie erreichen wollen, nicht
zurande kommen werden. Sie werden dadurch nicht die
Opposition zusammenführen können; Sie werden das
Gegenteil erreichen. Das ist unsere Auffassung. Milosevic wird dadurch gestützt. Mit Nachgeben wird man diesen Mann nicht los; man geht ihm höchstens auf den
Leim. Ich habe diesbezüglich meine eigenen Erfahrungen. Milosevic hat als Hauptverantwortlicher vier Kriege angezettelt. Er ist für vielfachen Völkermord verantwortlich und er gehört endlich nach Den Haag. Ihm sollte nicht entgegengekommen werden. Das ist meine Meinung.
({6})
Noch ein Wort zur Bevölkerung, Herr Kollege
Fischer. Wir teilen Ihre Meinung, dass den Menschen
geholfen werden soll. Aber man muss ein klein wenig
unterscheiden: Die Bevölkerung des Irak etwa kann ihren Anführer nicht selbst wählen. Die Serben aber haben - zum Teil mit sehr großer Mehrheit - Herrn Milosevic gewählt. Deshalb ist die Situation dort ein klein
wenig anders. Der ohnehin tief gespaltenen jugoslawischen Opposition wäre durch die Aufhebung des Ölund Flugembargos nicht gedient. Deshalb sind wir der
Meinung, dass diese Aufhebung nicht richtig wäre.
Die heutige Debatte kann nicht ohne ein Wort zu
Tschetschenien geführt werden, Herr Kollege Fischer.
Ich muss Ihnen vorhalten: Von der wortgewaltigen Rhetorik des Menschenrechtlers Fischer ist nicht sehr viel
übrig geblieben.
({7})
Ich habe einmal nachgelesen, was Sie uns 1995 vorgehalten haben - deshalb die Erinnerung an Ihre Zeit auf
der Oppositionsbank -: Fischer sprach mit emphatischer
Gebärde von barbarischen Kriegen und grausamen Morden einer nuklearen Supermacht gegen ein kleines kaukasisches Volk. Er beschwor mit ungeheurer Geste die
damalige Regierung, endlich eine westliche Initiative
gegen Moskau zu ergreifen.
Herr Fischer, ich kann heute nur sagen: Sie waren in
der ersten Reihe der westlichen Politiker, die nach Moskau gereist sind und die dem - ich sage das bewusst so Kriegsherrn im Kreml die Aufwartung gemacht haben.
Sie warnen davor, Russland zu isolieren. Außer verbaler
Verurteilung haben Sie aber nicht viel unternommen.
Ich weiß, wie schwierig diese Frage ist. In diesem Punkt
sind wir uns einig.
({8})
- Was zur Debatte gehört, können wir selber entscheiden. Im Übrigen hat sich auch Herr Fischer früher nicht
immer an das Thema gehalten.
({9})
Heute sieht die Welt ein klein wenig anders aus. Sie
haben es nicht einmal erwogen - das halte ich Ihnen
vor -, im Europarat für die Suspendierung der Mitgliedschaft Russlands einzutreten und zum Beispiel mit dem
IWF über wirtschaftliche Sanktionen zu reden. Also
kleine Münze und schwache Erklärungen im Vergleich
zu dem, was Sie früher großmundig erklärt haben.
({10})
Im Übrigen wettert Cap Anamur nicht umsonst. Es ist
offensichtlich sehr schwierig, Hilfslieferungen in diese
Region zu bringen. Ich möchte Sie fragen: Was tun das
Auswärtige Amt und speziell Sie, damit dort die humanitären Maßnahmen durchgeführt werden können? Im
Hinblick auf das, was Sie mir früher vorgeworfen haben,
müssen Sie sich schon vorhalten lassen - ich sage
das ganz ruhig -: Aus dem Menschenrechtsgladiator
Joschka Fischer ist dann doch ein Menschenrechtsdäumling geworden, und zwar in vielerlei Hinsicht.
({11})
Nur auf die Türkei, Herr Kollege Fischer, wird draufgehauen. Auf der einen Seite wird der Kandidatenstatus
unterstützt - ich persönlich bin dafür - und auf der anderen Seite wird aus innenpolitischen Gründen wegen der
Grünen die Leo-2-Frage in den Vordergrund gestellt. Es
wird außerdem mitgeteilt, wie im Bundessicherheitsrat
entschieden wurde. Damit wird deutsche Außenpolitik
als Schwerpunkt der Tätigkeit des Außenministers sozusagen zur Politik der Grünen in den Kreisverbänden.
Das kritisieren wir und halten wir Ihnen vor.
Im Übrigen möchte ich Ihnen eine Frage stellen, die
mir sehr wichtig ist. Ich hatte den Eindruck, dass Sie
sich ungeheuer stark auf die Fragen fokussieren, die innenpolitisch für Sie von Bedeutung sind. Wenn wir uns
die Weltlage anschauen, Herr Fischer, dann können wir
erkennen, dass die Welt - Deutschland übrigens auch andere Probleme hat. Ein klein wenig erinnert mich Ihre
Politik an „CNN-Außenpolitik“ - eine CNN-Außenpolitik zum Wohlgefallen grüner Kreisverbände. Dort ein
Zückerchen für die Fundis, hier ein Zückerchen für die
Realos.
({12})
- Sie müssen sich das schon anhören.
({13})
Herr Fischer, Sie haben jetzt zum vierten Mal - hören
Sie genau zu; Ihr Lachen ist fast wieder so hochmütig
wie zur Zeit der Opposition; Ihre staatsmännische Attitüde sollte eine andere Haltung zulassen, gerade dann,
wenn Sie nur so angegriffen werden, wie Sie es früher
selbst getan haben ({14})
eine Afrikareise abgesagt, diesmal mit der Begründung,
Sie müssten Wahlkampf in Schleswig-Holstein machen.
Ich frage Sie: Wo bleibt Ihr Engagement für Afrika,
den gepeinigten Kontinent mit 800 Millionen Menschen,
der 23 Prozent der Erdoberfläche bedeckt? Wo bleibt Ihr
Engagement für Lateinamerika? Wo bleibt Ihr Engagement für den asiatisch-pazifischen Raum? Wo bleibt Ihr
Engagement für den arabischen Raum? Still ruht der
See, kaum ein Wort in 14 Monaten.
({15})
- Ja, zum Balkan gehört vor allen Dingen der Punkt, den
ich noch vorbringen möchte.
Wo ist Ihre Unterstützung für die deutsche Wirtschaft in Außenhandelsfragen, auch was den Balkan
anbelangt?
({16})
- Der Fraktionsvorsitzende der Grünen hat immer besondere Stärken, wenn er hinten sitzt.
({17})
Deutschland ist die drittgrößte Wirtschaftskraft, die
zweitgrößte Exportnation der Welt. Herr Fischer, ich
frage Sie: Haben Sie in 14 Monaten ein einziges Mal einen Wirtschaftsvertreter in Ihrem Flugzeug mitgenommen, auch in die Regionen, über die wir gerade reden,
wo Aufbau stattfinden soll und wo wir daran interessiert
sind, dass insbesondere auch deutsche Wirtschaftsvertreter ihre Chance haben?
({18})
Ich komme zum Schluss. Der Balkan braucht keine
Sonntagsreden,
({19})
sondern Aktionen. Jugoslawien braucht keine unüberlegte Aufhebung der Sanktionen, Frau Beer, zum falschen Zeitpunkt, sondern muss vielmehr Milosevic loswerden. Wir brauchen vor allem keine Menschenrechtsrhetorik und keine eventorientierte, sondern eine solide
Außenpolitik, und wir brauchen kontinuierliche, besonnene und durchdachte außenpolitische Arbeit.
({20})
Herr Kollege Fischer, hören Sie es sich an! Ich musste es mir früher auch anhören. Es reicht nicht aus, das eigene Image zu verwalten. Was wir von Ihnen erwarten,
ist, deutsche Außenpolitik zu gestalten, die diesen Namen verdient.
({21})
Ich möchte, liebe Frau Beer, sagen: Vielleicht ist der
Heiligenschein doch ein klein wenig angekratzt. Ich
würde empfehlen, ihn wieder ein bisschen aufzupolieren.
- Vielen Dank.
({22})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einmal auf Folgendes hinweisen: Im Verlauf dieser Debatte haben
dreimal Handys geklingelt. Wir hatten vereinbart, dass
Handys in diesem Raum nicht benutzt werden, weder
passiv noch aktiv.
({0})
Wir setzen die Debatte fort. Der Kollege Lippelt hat
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Altaußenminister,
({0})
bei dem, was ich eben gehört habe,
({1})
habe ich mir gesagt: 14 Monate Wunden geleckt, mein
Gott, wie tief muss das gesessen haben!
({2})
Jetzt komme ich mit ein paar Fragen; das lässt sich ja
ein bisschen substantiieren. Sie haben gesagt: Ankündigungen und nichts folgte. Herr Kinkel, dieser Außenminister, diese Regierung hat das Problem Kosovo in einem Moment übernommen, als neun Monate versäumt
worden waren, wo durchaus eine aktive, präventive Außenpolitik hätte eingreifen können - nicht militärisch.
({3})
Zweitens. Es sind fünf Jahre seit Dayton versäumt
worden. Vielleicht erinnern Sie sich an eine Sitzung
des Auswärtigen Ausschusses, wo ich die Ehre hatte, Ihren Bericht über das Normalisierungsgespräch mit
Milosevic zu hören. Was Sie dem Ausschuss
berichteten, war: „Ich habe ihm gesagt, er muss nun aber
sofort die abgelehnten Asylbewerber zurücknehmen.“
Sie erinnern sich vielleicht an das, was wir Ihnen damals
parteiübergreifend, CDU/CSU inklusive, gesagt haben,
und Sie erinnern sich vielleicht an das, was Ihnen Herr
Schwarz-Schilling damals gesagt hat. Herr Kinkel, Sie
wissen doch, dass drei Viertel dieser Abzuschiebenden
Kosovo-Albaner sind.
Die wollten Sie in eine Situation zurückschicken
({4})
- ja, so war das damals -, die politisch nicht gelöst war.
Warum haben Sie nicht zu Milosevic gesagt: „Lösen Sie
das Kosovo-Problem erst einmal politisch!“? Damals
war es anzupacken gewesen. Jetzt zu kommen und zu
sagen, es hat nur Ankündigungen gegeben und der Stabilitätspakt läuft nicht - lieber Herr Kinkel, das geht
nicht. Sie haben fünf Jahre verpasst und erheben hier
nun Vorwürfe.
({5})
- Ich bin nicht getroffen. Aber ich kann doch wohl solch
pharisäerhaftes Verhalten, an das ich mich erinnere, ansprechen.
({6})
Wenn jemand getroffen sein sollte, schlage ich vor: Wir
können uns einmal unterhalten. Sie sind der Sache so
fern wie ich. Lassen wir das jetzt hier.
Jetzt aber zu dem, was ich sagen wollte.
({7})
Selten hat sich der Termin einer zuvor zwischen den
Fraktionen und der Regierung vereinbarten Debatte als
so glücklich gewählt erwiesen wie der heutige. Warum?
Vereinbart hatten wir diese Debatte unter dem Gesichtspunkt, dass es sich bei dem Stabilitätspakt um ein ganz
wichtiges Teil gerade von Deutschland den europäischen Partnern vorgeschlagener gemeinsamer Außenpolitik handelt. Das parlamentarisch zu begleiten steht
deshalb diesem Bundestag gut an. Die Anerkennung,
Herr Kinkel, dass hier wirklich einmal eine handwerklich gute Politik gemacht worden ist, habe ich vermisst.
Vereinbart hatten wir die Debatte unter dem Eindruck, dass der Außenminister und sein Amt von Beginn
des Krieges an sehr intensiv nach Friedensmöglichkeiten
gesucht und diese auch gefunden hatten, zugleich aber
auch an die Planung einer Nachkriegspolitik schon in
Kriegszeiten gegangen waren, dass dieser Nachkriegsplanung die Einsicht zugrunde lag, dass das Regime
Milosevic nur deshalb Massenmord und Vertreibung
hatte entfesseln können, weil es Gegensätze, die sich aus
multiethnischem Zusammenleben in jeder Gesellschaft
ergeben können, ausgenutzt, ja angeheizt hatte,
Gegensätze, die in ihrem Entstehen weit, bis zum Ersten
und Zweiten Balkankrieg zu Beginn des vorigen
Jahrhunderts, zurückreichen, und dass deren
Überwindung deshalb auch einer Langfriststrategie
bedarf, eines langfris-tigen politischen und
ökonomischen Engagements Europas.
Der Stabilitätspakt ist entworfen worden als ein
kunstvolles Geflecht von runden Tischen: drei Haupttische - Demokratie, Minderheiten, wirtschaftlicher
Wiederaufbau, Sicherheit - und eine Reihe von Untertischen - all dies mit rotierendem Kovorsitz von je einem EU-Mitglied und regionalen Mitgliedern des Paktes, mit der Ausnahme Serbiens, solange es noch unter
der Milosevic-Regierung steht.
Herr Schmidt, Sie haben ja vorhin zwischen den Mitteln und der Philosophie des Stabilitätspaktes unterschieden. Sie haben gesagt, die Mittel seien - darin
stimmen wir ja überein - immer eher zu wenig vorhanden. Ich habe nicht recht verstanden, was Sie in diesem
Zusammenhang mit Philosophie meinten. Denn Sie sagten dann: Eine Strategie ist nicht da. Sie machten das an
der Frage des ungeklärten Status des Kosovo fest.
({8})
- Ja, auch an anderen Punkten. Ich will jetzt hier nicht
darauf eingehen. Das war aber der Hauptpunkt.
Ich weise auf Folgendes hin: Wir beide haben doch
die Verhandlungen von Rambouillet und den Vertrag
miterlebt. Dort wurde die Frage des Status des Kosovo
auf fünf Jahre verschoben. Jetzt zu sagen: „Wir können
in diesen komplizierten Prozess der Neuordnung der
Balkan-Verhältnisse nur einsteigen, wenn wir diese Frage vorher lösen“, das wird den Problemen nicht gerecht.
Der Stabilitätspakt, wenn man ihn recht betrachtet, ist
ein langfristiger Prozess, wie das der Kollege Erler ja
auch schon gesagt hat. Er ist in seiner Zeitplanung und
seiner Bedeutung mit dem KSZE-Prozess zu vergleichen. Dass dieser KSZE-Prozess die Welt verändert hat,
das wissen wir. Wir haben davon, Gott sei Dank, profitieren können. Dass der Stabilitätspakt seinerseits den
Balkan verändern wird und ihn zu Europa führen wird,
das hoffen wir, und deshalb müssen wir ihn auf jeden
Fall intensiv unterstützen.
({9})
Wir dürfen aber von ihm nicht die Beantwortung von
Fragen verlangen, deren Beantwortung, gerade weil es
sich um einen Prozess handelt, in diesem Moment geradezu schädlich wäre. Es wäre gewiss sehr schädlich, gerade die Frage, die Sie aufgeworfen haben, zu beantworten.
Dieser Stabilitätspakt bedarf in der Tat der begleitenden Debatte, weil er bei nachlassendem öffentlichen Interesse in der Gefahr steht, in der diplomatischbürokratischen Routine ins Leere zu laufen. Deshalb
sind wir für diese Debatte dankbar und müssen heute gelegentlich nimmt mir mein Außenminister die besten
Gedanken weg;
({10})
er hat es schon erwähnt, einem Abgeordneten bleibt
aber, dies zu vertiefen - darüber diskutieren, welche Bedeutung die kroatischen Wahlen für den Stabilitätspakt
haben, und darüber reden, ob sie eine Neuakzentuierung
der Politik des Stabilitätspaktes möglich und erforderlich machen.
Sehen Sie, Herr Schmidt, so schnell muss man den
neuen Prozesscharakter einbeziehen: zunächst den Tod
Tudjmans, des Gegenspielers und doch auch Komplizen
von Milosevic, des Bruders im Geiste nationaler Autokratie, dann die nationalen Wahlen mit dem Triumph der
Opposition, dem Durchbruch zur Demokratie und nun
die erste Runde der Präsidentenwahl, wonach sich der
für den zweiten Wahlgang ausgeschiedene moderate
Parteigenosse Tudjmans, Außenminister Granic, fragt,
ob er mit vorheriger Niederlegung seiner Parteiämter
nicht viel zu langsam vom untergehenden Schiff der
Herrschaftspartei abgesprungen sei und nicht stattdessen
den radikaleren Schritt des Austritts hätte machen müssen.
Wir erleben zurzeit die Selbstauflösung des Herrschaftsinstruments der HDZ des Herrn Tudjman. Wir erleben insofern einen enormen, aufregenden Strukturwandel, etwas, was für uns vor zwei Monaten, als
Tudjman Bosnien zerstören wollte mit der Forderung,
auch die Herzegowina müsste jetzt die dritte Entität
werden, unvorstellbar war. Wir erleben die Abwendung
vom Ungeist nationalistischer Isolierung, die Erkenntnis
der Wähler, dass die wirtschaftliche Malaise der Selbstisolierung dem Regime Tudjman zu verdanken ist, und
die Hinwendung der Wähler nach Europa, zu den Prinzipien demokratischer Kooperation.
Das bedeutet - zaghaft haben die noch im Rennen um
die Präsidentschaft befindlichen beiden Kandidaten und
der zukünftige Ministerpräsident Racan das Wort ja
auch in den Mund genommen - die Anerkennung des
UNHCR-Prinzips der Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat. Das bedeutet also, auf das Kernproblem zugespitzt, die jetzt mögliche und durchzusetzende Rückkehr der Krajina-Flüchtlinge, den Bruch mit der Flüchtlingspolitik Tudjmans, die eine Politik nationalistischer
Sabotage einer solchen Rückkehr war.
({11})
- Das können wir gemeinsam in Auftrag geben. Wir
sind dabei.
Wer die Berichte des UNHCR, die dieser dem runden
Tisch eins vorgelegt hat, liest, der weiß, dass es noch
1,5 Millionen interner Flüchtlinge im ehemaligen Jugoslawien gibt, der liest von ersten vom UNHCR identifizierten Gruppen, etwa von 14 500 bosnischen Kroaten,
die aus Kroatien zurück in ihre Heimat Bosnien wollen,
oder von 16 000 Serben, die zurück in ihre Heimat
Kroatien möchten, oder von Kroaten, die zurück in ihre
Heimat in die jetzige Republika Srpska wollen. Die
Rückkehr der Krajina-Flüchtlinge ist deshalb die
Schlüsselfrage. Überall, insbesondere in Bosnien-Herzegowina und in der Republika Srpska, blockieren einsitzende Flüchtlinge die Rückkehr der Geflohenen. Überall
blockieren nationale Parteien und Regierungen den
Ringtausch von Wohnungen - der Kollege SchwarzSchilling hat dies in seinen Berichten anschaulich dargestellt -, offensichtlich weil eine Rückkehr wieder zu
multiethnischem Zusammenleben führen würde, was die
zurzeit noch Herrschenden absolut nicht wollen.
Selbst der im Dayton-Vertrag als exemplarisch vorgeschlagene und besonders leicht durchführbare Austausch der Flüchtlinge in Jajce und Bugojno ist noch
nicht über kümmerliche Anfänge hinausgekommen.
Deshalb: Die Chance muss genutzt werden, Hilfen für
wirtschaftliche Aufbauprojekte in Kroatien - es müssen
sehr viel mehr auf den Weg gebracht werden; denn wir
haben hier eine neue Situation - mit der Rückkehr der
Krajina-Flüchtlinge zu konditionieren. Darauf müssen
wir vorübergehend die Energien und die Mittel des Stabilitätspaktes konzentrieren. Davon würde eine große
Ausstrahlung auf Bosnien und Restjugoslawien, auf das
Kosovo, ausgehen.
Damit bin ich beim zweiten Thema. Ich muss es jetzt
nicht mehr, wie ich gedacht habe, nur unter Bezugnahme auf die Anträge der PDS behandeln, denn es wurde
hierüber schon reichlich diskutiert. Die Frage ist: Wie
gliedert man Serbien, obwohl es noch unter dem Regime eines in Den Haag angeklagten Präsidenten steht,
in die Politik des Stabilitätspaktes ein? Die PDS spricht
- sie hat das mehrfach gefordert - von einer Aufhebung
der Sanktionen. Dies ist richtig, aber - wie auch schon
gesagt wurde - die Nomenklatura-Sanktionen - Sperrung der privaten Auslandskonten der Betroffenen und
der Visa für Auslandsreisen - müssen doch wohl bestehen bleiben.
({12})
- Okay.
Im Übrigen ist es richtig - das kann weiter begründet
werden -, dass die Wirtschaftssanktionen - und dies
mit Blick auf die F.D.P. - nur dem Regime und einer parasitär-mafiösen Schicht zugute kommen. Benzin kann
man in Belgrad - ich war kürzlich dort - an jeder Ecke
kaufen, nur eben sehr viel teurer. Der Chef der Mordkommandos, Arcan, der jetzt umgebracht wurde, beherrschte circa 20 Prozent des gesamten jugoslawischen
Ex- und Importhandels. Sanktionen können eine jugoslawische Exportwirtschaft kaum noch treffen, weil es
eine solche nicht mehr gibt. Sanktionen eignen sich aber
hervorragend, die Schuld an einer wirtschaftlichen Misere der internationalen Gemeinschaft zuzuschieben.
Jugoslawien befindet sich auf dem Weg in irakische
Verhältnisse. Sanktionen erhalten dem Diktator die Loyalität einer apathischen Bevölkerung,
({13})
weil sie immer wieder ein überzeugendes Argument für
den demagogischen Hinweis auf äußere Feinde abgeben.
({14})
Dem Regime werden kroatische Erkenntnisse, die die
kroatischen Wähler jetzt haben, über die eigene Regierung als politischen Verursacher der wirtschaftlichen
Malaise erspart, solange man das Land unter Sanktion
stellt.
Jetzt zu den Donaubrücken: Ja, in Novi Sad fließt die
Donau über drei Brücken statt unter ihnen hindurch.
Nur, auch hier ist es wieder etwas komplizierter, als die
PDS - mit Verlaub - meint.
({15})
Die Trümmer würde die Donau-Schifffahrtskommission
ja räumen - dazu bedarf es keiner Aufforderung an die
Bundesregierung -, allerdings will Belgrad die Brücken
erst wieder gebaut sehen und dann der Räumung der
Trümmer zustimmen. Und zum Wiederaufbau wird sich
keine westliche Regierung von einem Regime erpressen
lassen, das die Spirale der Gewalt im Kosovo in Gang
setzte. Da ist es schon sinnvoller - als solch leicht dahingeschriebene Anträge, verehrter Kollege -, was die
Stadt Dortmund tut. Sie ist mit Novi Sad durch Städtepartnerschaft verbunden. Sie sammelt Geld für die erste
Brücke und wird sie bauen.
Es ist auch wichtig, dass bei Eisgang - man sagt in
Novi Sad, die Wahrscheinlichkeit liegt bei einmal in
zehn Jahren - nicht nur das Umland betroffen ist, sondern die ganze Altstadt unter Wasser steht und absäuft.
Deshalb muss bei einem möglichen strengeren nächsten
Winter die Donau tatsächlich geräumt sein. Nur, das ist
nicht die vordringliche Sorge des Regimes. Wer mit der
Zerstörung Jugoslawiens in Slowenien und im Kosovo
begann, wird damit in Montenegro, im Sandschak und
der Vojvodina enden. Wir sprechen damit über die gefährliche Zuspitzung der innenpolitischen Verhältnisse
in Serbien.
Doch zunächst ist darauf hinzuweisen - was auch
schon geschehen -, dass es gerade deshalb richtig ist, die
Isolierung der serbischen Gesellschaft zu durchbrechen,
und zwar auf jeder nur möglichen Ebene. Die Bundesregierung bemüht sich zusammen mit anderen Regierungen der EU darum. Dazu gehört vor allem die Förderung
der Kontakte zu jenen Städten, die seit den Lokalwahlen
1997 oppositionelle Mehrheiten haben und trotzdem
unterschiedslos von den Bomben getroffen wurden. Ich
zähle nur beispielhaft auf: Novi Sad mit erheblichen
Umweltschäden, Pancevo - 8 Tonnen Quecksilber sind
in die Erde gegangen - oder Kragujevac mit den zerstörten Zavasta-Autowerken oder eben Niš.
Es ist richtig, dass die EU die demokratischen Repräsentanten dieser Städte mehrfach zu Konferenzen lud,
dass aber mehr als die Erdöllieferungen im Winter nach
Niš und Pivot bisher nicht möglich waren und dass mit
solchen Konferenzen die Bürgermeister und andere Vertreter der Opposition dem Spott des Regimes immer
mehr ausgeliefert werden. Das muss man klar sehen. Je
öfter sie zu diesen Konferenzen ohne vorzeigbare Ergebnisse kommen, umso mehr werden sie zu Hohnfiguren der Regierungspropaganda.
Wenn wir aber von der Zuspitzung der innenpolitischen Lage in Serbien selbst sprechen, so müssen wir
sagen: Der Mord an dem Kriegsverbrecher Arkan mag
ja noch der Rivalität mafiöser Gruppen zuzuschreiben
sein; das versuchte Attentat gegen Draskovic war jedoch von ganz anderer Art. Selbst wenn sich die Urheberschaft des staatlichen Geheimdienstes nicht zweifelsfrei nachweisen lässt, Draskovics eigene Anhänger
glauben daran und sie nehmen das Gewehr wieder in die
Hand.
Wenn Draskovic als inzwischen wichtigster Oppositionspolitiker die Bekanntgabe eines Wahltermins bis
Ende April fordert und wenn andererseits das Regime
nicht daran denkt, so etwas vor Ende dieses Jahres zu
tun - wenn überhaupt -, so sehen wir einem sehr heißen
Sommer entgegen. Wenn die Spannungen hinsichtlich
Montenegro dazugerechnet werden, müssen wir feststellen: Wir stehen vor einem Bürgerkrieg, in den politisch
zu intervenieren kaum möglich sein wird, solange es
keine diplomatischen Beziehungen gibt, und in den militärisch zu intervenieren völlig ausgeschlossen ist.
Deshalb sind intensive Ausstrahlungen von Erfolgen
des Stabilitätspakts in Kroatien und in Bosnien auf den
Rest Jugoslawiens dringend erforderlich. Es ist die einzige Art zurzeit möglicher präventiver Außenpolitik.
({16})
Nochmals: Die Bundesregierung, ihr Außenminister,
hat sehr früh ein vorzügliches Gerüst für eine Politik zur
Heilung der Balkanprobleme entworfen. Wir müssen
diese Politik unterstützen und sie vorantreiben.
Ein letzter Punkt. Ein Finger weist dann doch auf uns
selbst. 300 000 Flüchtlinge sind nach Bosnien zurückgekehrt, 30 000 sind noch hier. Es handelt sich zum
größten Teil um Traumatisierte und um Leute, die als
Augenzeugen für Den Haag von großem Gewicht wären.
Der Innenminister ist leider nicht mehr da, aber ich
appelliere an die Bundesregierung, diesen Gruppen endlich Bleiberecht zu geben.
({17})
Sonst würden wir eine Politik diskreditieren, mit der
wir - bei allen Problemen, die sie jedem Einzelnen von
uns bereitet hat - in europäischer Gemeinsamkeit die
hoffentlich letzte große Krise Europas bewältigen.
({18})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mir zu Beginn
meiner Rede eine knappe Bemerkung zum Beitrag des
verehrten Kollegen Kinkel erlauben. Es drängt mich ein
bisschen danach und man soll ja manchmal einem Drängen nachgeben, auch in einer solchen Frage.
({0})
- Mehrdeutig meine ich das, Herr Westerwelle.
Natürlich ist es Ihr Recht, jederzeit und zu allen Fragen in diesem Parlament zu diskutieren. Das kann und
sollte Ihnen keiner bestreiten. Aber vielleicht wären Sie
etwas klüger beraten gewesen, wenn Sie zu den außenpolitischen Fragen etwas länger geschwiegen hätten.
({1})
Ihr Beitrag hat ehrlich gesagt einen Gestus gehabt wie
„Was ich schon immer einmal sagen wollte“. Ich glaube,
bei einem solchen Gestus mischen sich auch Fragen unter, die in dieser Art und Weise nicht dazugehören.
Was ich wiederum gut daran finde, dass Sie zu außenpolitischen Fragen gesprochen haben, ist: Man weiß
wieder, was man verloren hat. Es ist wichtig, dass man
das weiß und schätzen kann. Das macht ja auch Freude.
({2})
Jetzt zum eigentlichen Thema. Die bisherige Bilanz
des Stabilitätspaktes wird aus meiner Sicht auch dadurch nicht besser, dass sich die Bundesregierung dazu
erklärt und die Fraktionen von SPD und Grünen hier einen Antrag einreichen, dessen Hauptinhalt ehrlich gesagt darin besteht, der Regierung auf die Schulter zu
klopfen. Gerade weil die Ausgangslage sehr kompliziert
war und niemand Wunder erwartete, wäre eine kritische,
die Probleme benennende Analyse doch angebracht gewesen. Doch diese Analyse fehlt, und das ist kein Zufall.
Meines Erachtens war der Stabilitätspakt von Anfang an
in einer Schieflage und ist daraus auch nicht herausgekommen. Ich will Ihnen die Gründe nennen, die mich zu
diesem Urteil bringen.
Erstens. Der Stabilitätspakt war der Versuch einer politischen Antwort auf den Kosovo-Krieg, aber er ist
selbst durch den Krieg gezeichnet und deformiert. Wenn
es aber heute, fast ein Jahr nach dem Krieg, im Antrag
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen heißt - ich zitiere
das -, dass „sich die Geschlossenheit der NATO besonders bewährt“ habe, könnte es einem doch die Sprache
verschlagen, tut es mir aber nicht. Ich will Sie gar nicht
auf das verweisen, was die PDS immer wieder vorgetragen hat, aber ich will deutlich wiederholen: Ich bin mir
heute sicherer denn je, dass unser Nein zum Krieg politisch, juristisch und moralisch begründet und richtig
war.
({3})
Ich finde, Ihnen müssen doch die Ohren klingen,
wenn die „FAZ“ vom 20. Januar 2000 schreibt - ich zitiere zwei Dinge daraus -, dass der Bundestag „aufgrund
einer unzureichenden Informationslage“ einem Kriegseinsatz zugestimmt habe und „der Krieg im Kosovo zu
keiner entscheidenden Verbesserung der Menschenrechtssituation der dortigen Bevölkerung geführt hat“.
({4})
Zweitens. Dass der Stabilitätspakt durch den Krieg
gezeichnet und deformiert wurde, zeigt sich schon darin,
dass Jugoslawien ausgeschlossen und zusätzlich mit
Sanktionen belegt wurde. So konnte der Pakt auch als
Anti-Serbien-Pakt verstanden oder missverstanden werden. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang feststellen: Es ist an der Zeit, dass die Embargos und die Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien aufgehoben werden.
({5})
Der Sonderberichterstatter des UN-Generalsekretärs
für die Lage der Menschenrechte in der Region, Jiri
Dienstbier - dieser Name dürfte Ihnen ja geläufig sein -,
stellt dazu in seinem Bericht fest:
Einige Unzulänglichkeiten kann man schon jetzt
bei der Durchführung des Stabilitätspaktes erkennen, so zum Beispiel die Tendenz, Serbien zu isolieren, das den geographischen und wirtschaftlichen
Mittelpunkt der Region darstellt. Der Sonderberichterstatter ist der Überzeugung, dass Embargos
und ähnliche Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft nur dazu beitragen können, antidemokratische Regimes in der Region zu stärken,
und sie stellen selbst einen groben Verstoß gegen
die Menschenrechte dar.
Herr Außenminister, es sollte Sie doch nachdenklich
machen, wenn der UN-Sonderbeauftragte in Ihrer Politik
einen groben Verstoß gegen die Menschenrechte sieht.
Nun ist, was die Embargopolitik angeht, eine Veränderung in der Position der Bundesregierung zu erkennen. Ich finde, dass diese Worte und diese Ankündigung
auch unter Beweis gestellt werden sollten. Nach dem
Debattenbeitrag, den Kollege Lippelt gehalten hat, gehe
ich mit der Hoffnung schwanger, dass man endlich konstruktiv mit unseren Anträgen umgehen wird.
({6})
Wenn Sie also gegen die Fortsetzung des Ölembargos
sind, wird diese Forderung nicht deswegen falsch, weil
wir als PDS die Aufhebung beantragt haben. Sie können
damit umgehen.
Was die zerstörten Donaubrücken angeht: Sie müssen
geräumt und wieder aufgebaut werden. Kollege Lippelt,
es wird doch jeder einsehen, dass man von der Bundesrepublik Jugoslawien nicht erwarten kann, zur Brückenräumung Ja zu sagen ohne Hoffnung auf Wiederaufbau.
Da kommt doch kein Sinn hinein.
({7})
Ich glaube auch, dass man festhalten muss, wer unter
dem Embargo in Serbien leidet. Das sind die einfachen
Menschen, die hungern, die frieren, die unterdrückt
werden, die keine Perspektive haben.
({8})
Unter dem Embargo leidet doch nicht die Nomenklatura.
Vor allem deswegen muss dieses Embargo aufgehoben
werden.
Was den Kosovo angeht, so sollte sich gerade der
Außenminister noch einmal die Äußerung des von ihm
hier gewürdigten Generals Reinhardt vor Augen halten,
der das Geld, das in den Krieg gesteckt worden ist, mit
dem Geld verglichen hat, das zum Wiederaufbau im Kosovo fehlt. Er hat gesagt, dies sei eine riesengroße
Dummheit gewesen. Der ganze Krieg war eine riesengroße Dummheit.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat
jetzt der Kollege Eberhard Brecht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es gibt kein Ende der Geschichte und schon gar
kein Ende der Geschichte des Balkans. Das ist die Erfahrung, die wir in Europa gemacht haben. Das Konzept
„Eine Nation - ein Staat“ hat zu vielen blutigen Kriegen
geführt. Heute hatten wir eine Gedenkstunde, und diese
Gedenkstunde hat auch daran erinnert, dass nationales
Denken in die Katastrophe führen kann.
Deshalb orientieren wir uns heute in der Europäischen Union an einem Integrationskonzept. Denn wer
miteinander Sicherheit teilt, wer miteinander kulturell
kommuniziert, wer miteinander Handel treibt, der hat
keinen Grund, aufeinander zu schießen. Die große Zahl
erfolgreicher Minderheitengesetze und Autonomieregelungen in Europa beweist, dass sich scheinbar unlösbare
ethnische Konflikte am Ende relativieren.
Meine Damen und Herren, Südosteuropa hat in der
Vergangenheit nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems und mit dem Zerfall Jugoslawiens zunächst einen anderen Weg gewählt. Als Antwort auf
Demokratiedefizite, auf zentralistische Bevormundung
feierte eine alte Idee ihre Renaissance, nämlich die
Transformation multiethnischer Staaten in eine Landschaft ethnisch homogener Nationalstaaten.
Eine nationalstaatliche Abgrenzung ist aber kaum in
Übereinstimmung mit allen Ethnien in einer Region
möglich. Wenn nämlich das Recht auf Selbstbestimmung - das wird immer wieder eingefordert - egozentrisch nur auf die eigene Nation konzentriert bleibt, entstehen neue sicherheitspolitische Risiken. Solche Risiken werden noch erhöht, wenn Nationalökonomien sich
abschotten und damit natürlich die wirtschaftliche Prosperität behindert wird.
Meine Damen und Herren, derzeit werden wir mit
Bestrebungen aus Montenegro und Kosovo konfrontiert, die Bundesrepublik Jugoslawien verlassen zu
wollen und einen eigenen Nationalstaat zu begründen.
Die Fälle liegen ziemlich verschieden. Trotz dieser Unterschiede gibt es eine Reihe von Argumenten, die man
zu hören bekommt, wenn man nach Podgorica oder nach
Pristina reist. Da wird ein vermeintliches Recht auf
Selbstbestimmung - in Klammern: Sezession - eingeklagt. Da wird hingewiesen auf die Ungewissheit einer
Demokratisierung des Milosevic-Regimes. Und wer
weiß - so argumentieren die entsprechenden Politiker in
Pristina und Podgorica -, was nach Milosevic kommt?
Da wird die Gefahr beschworen, dass auch diese beiden Regionen in den Strudel des wirtschaftlichen Abwärtstrends Belgrads hineingezogen werden, und da
wird die Hoffnung geäußert, noch viel mehr in den Stabilitätspakt einbezogen werden zu können.
Bereist man jedoch weitere südosteuropäische Staaten, wird man angesichts solcher Träume mit klaren Realitäten, mit klaren realen Ängsten konfrontiert, da man
sich im Fall eines sich ablösenden Montenegros Bürgerkriegsunruhen ausrechnen kann. In Skopje zum Beispiel
befürchtet man eine Implosion Mazedoniens, gäbe es eine unabhängige Republik Kosovo. Ich denke, in diesem
Raum glaubt auch niemand an die Beteuerungen, die wir
aus den Kreisen der Albaner in Mazedonien immer
wieder hören, es würde nie einen Anschluss an eine solche Republik Kosovo geben. Ich erinnere auch daran,
dass die ethnischen Zentrifugalkräfte in BosnienHerzegowina, die durch Dayton leidlich eingefangen
wurden, wieder neuen Auftrieb bekämen, käme es zur
Bildung von weiteren Nationalstaaten.
Meine Damen und Herren, der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Entschließungsantrag plädiert daher für den integrativen Ansatz, auch und gerade
für Südosteuropa. Es führt nämlich kein Weg vorbei an
einem friedlichen Nebeneinander, wenn schon beispielsweise ein Miteinander im Kosovo derzeit undenkbar zu sein scheint.
Eine Lösung der bestehenden Sicherheits-, Wirtschafts- und Sozialprobleme in Jugoslawien ist nicht
durch eine weitere Abgrenzung voneinander erreichbar,
sondern nur durch die Entwicklung von Demokratie,
Menschen- und insbesondere Minderheitenrechten, wie
sie in der Kopenhagener Erklärung 1990 niedergeschrieben worden sind, und die Ermöglichung eines
freien Handels. Genau dies ist auch der Ansatz des Stabilitätspaktes.
Natürlich kann die westliche Gemeinschaft Menschen
nicht dazu zwingen, miteinander zu kooperieren, aber
sie kann, der Philosophie des Stabilitätspaktes folgend,
jene Kräfte in Serbien unterstützen, die künftig als demokratische Kooperationspartner ihren Nachbarn zur
Verfügung stehen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf die
Bemerkungen von Herrn Gehrcke eingehen. Natürlich
wird Serbien nicht isoliert. Es gibt viele Beziehungen,
von denen auch der Bundesaußenminister gesprochen
hat. Es existieren Städtepartnerschaften, und auch das
Energieprogramm wird durch uns gefördert. Meines Erachtens - das ist die Antwort - kann es nicht darum gehen, in einen Dialog mit einem verbrecherischen Regime einzutreten. Herr Gysi hat diesen Dialog einmal
begonnen, aber ich glaube, wir müssen auf eine andere
Karte, nämlich auf die demokratischen Kräfte in Serbien, setzen.
({1})
Die Ablösung des verbrecherischen Regimes von
Slobodan Milosevic erzwingt man andererseits nicht dadurch, dass Sanktionen aufrechterhalten werden. Hier
möchte ich Herrn Kinkel widersprechen: Es geht nicht
nur um den von außen erzwungenen Solidarisierungseffekt des serbischen Volkes, das darbt und in Lethargie
verbleibt, mit Milosevic, sondern es geht - das sagen die
Experten immer wieder - auch um eine massive Unterstützung der organisierten Kriminalität und des
Schwarzhandels, der auf dem Balkan durch dieses Sanktionsregime neue Blüten treibt. Ich glaube, es ist höchste
Zeit, über die Sinnhaftigkeit eines solchen Sanktionsregimes nachzudenken.
({2})
Damit komme ich zu einem anderen Antrag der PDS,
in dem die volle Einbeziehung des Regimes in Belgrad
in die Unterstützungsprogramme des Stabilitätspaktes
gefordert wird. Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir
Herrn Milosevic dieselbe Unterstützung gewähren wie
den Staaten, die den Weg der Demokratisierung gegangen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich zusammenfassen: Wir sollten der Versuchung widerstehen, einer scheinbar schnellen Lösung der Konflikte auf dem Balkan durch eine muntere Nationalstaatenbildung den Vorzug zu geben. Wir sollten vielmehr
auf eine nachhaltige Politik der Integration, der Unterstützung demokratischer Staaten setzen. Wir sollten den
Stabilitätspakt aktiv begleiten und ihn unterstützen, damit wir langfristig zum Frieden auf dem Balkan kommen.
Ich bedanke mich.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Hintze.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg: Ich finde es
gut, dass wir diese Parlamentsdebatte haben, und ich
glaube, dass das Thema öffentliche Aufmerksamkeit
verdient. Das Thema verdient vielleicht sogar mehr
Aufmerksamkeit, als es im Moment im Plenum erfährt.
Ich finde es gut, dass unsere Regierung dazu eine Regierungserklärung abgegeben hat.
Es hat ein wenig Aufregung gegeben, als der frühere
Bundesaußenminister Kinkel hier das Wort ergriffen hat.
({0})
Es hat dazu bereits einige unsachliche Kommentare gegeben. Ich finde erstens, er hat hier einen sehr guten
Beitrag geleistet,
({1})
und zweitens kritisieren wir ja nicht das, was die Bundesregierung in der Frage der Außen- oder Europapolitik
falsch macht. Wir sagen noch nicht einmal, dass sie in
der Europa- oder Außenpolitik alles falsch macht. Nein,
ich sage sogar, sie macht in der Europa- und Außenpolitik sehr viele Dinge richtig.
Der Kollege Erler hat schon verwirrt darauf reagiert,
dass wir auf die Person des Koordinators nicht eingegangen sind. Das tun wir in dieser Debatte auch nicht.
Die Regierung macht in der Sache sehr vieles richtig.
Uns beschwert aber, Herr Außenminister Fischer - das
hat Herr Kinkel sehr schön herausgearbeitet -,
({2})
dass sich hinter oder - schlimmer noch - vor eine
manchmal durchaus richtige und interessante Politik ein
allzu großes Stück Selbstverliebtheit unseres Bundesaußenministers schiebt
({3})
Das ist das, was wir hier kritisieren.
({4})
In den letzten 10 Jahren hat kaum ein Thema so viel
europäische Kraft gefordert wie das Thema Südosteuropa. Herr Kinkel hat davon gesprochen, der Bundesaußenminister hat davon gesprochen. Wir haben hierüber viele Debatten geführt, und ich finde es auch gut,
dass wir heute über den Stand der Dinge Rechenschaft
ablegen.
({5})
Die Europäische Union und Deutschland haben
enorm viel Kraft in diese Sache hineingesteckt. Wir haben politische, finanzielle und militärische Ressourcen
mobilisiert, und wir haben durch die Aufnahme von
Hunderttausenden von Flüchtlingen auch einen großen
Beitrag dazu geleistet, dass dieses Problem gelöst werden konnte.
Ich finde, in diese Debatte gehört auch ein Dank an
die vielen Helfer, an unsere Bundeswehrsoldaten, an die
Polizeibeamten, an die ehrenamtlichen Helfer der Organisationen, die unter Rückstellung manch anderer Dinge
in die Krisengebiete gegangen sind und dort geholfen
haben.
({6})
Nun hat der Bundesaußenminister in seiner Rede gesagt, der Stabilitätspakt komme jetzt in eine entscheidende Phase. Das ist ohne Frage richtig. Wir debattieren
hier darüber, welche Entscheidungen fallen, was also
entschieden wird.
Wir haben heute gehört, es geht um schnell startende
Leuchttürme. Zugegeben, der Bundesaußenminister hat
bei den Worten „Leuchttürme“ und „Quickstart“ selbst
geschmunzelt. Ich meine, die Menschen dort brauchen
keine Leuchttürme und Quickstarts; sie brauchen Straßen, Arbeitsplätze, Schulbücher, und das im Rahmen eines vernünftigen Gesamtkonzepts. Ich hoffe, dass sich
hinter dem glanzvollen Symbol des Leuchtturms konkrete Dinge wie Straßen, Arbeitsplätze und Schulbücher
auch tatsächlich verbergen, damit dem pompösen Gipfel
und den großen Worten jetzt auch vernünftige Taten, die
den Menschen helfen, folgen. Wenn diese Taten geplant
sind, sind wir bereit, die Bundesregierung darin zu unterstützen, meine Damen und Herren.
({7})
Schmerzhaft hat die Europäische Union im vergangenen Jahrzehnt ihre Unzulänglichkeit erfahren müssen,
und vollständig haben wir sie noch nicht überwunden.
Anfang der 90er-Jahre waren die Einsicht und die Fähigkeit, Stabilität auf dem Balkan herzustellen, das
Richtige zu tun, noch nicht gegeben. Ich erinnere mich
daran, dass andere europäische Partner sagten, dort militärisch etwas zu unternehmen, das sei zu teuer. Heute
wissen wir, dass es zu teuer war, am Anfang nichts zu
tun. Das ist eine Erkenntnis, die in Europa gewachsen
ist, und es ist positiv, dass wir heute sagen können, dass
sich das verändert hat.
An Südosteuropa zeigte sich die politische Schwäche
der Europäischen Union, und an Südosteuropa zeigt sich
auch, was wir hier noch zu leisten haben. Wir sind als
Europäische Union sehr stark im Export von Waren und
Dienstleistungen; wir müssen einfach im Export von
Stabilität noch stärker werden. Das wäre der größte
Dienst, den wir in Europa und an Europa leisten können.
({8})
Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, für uns
gilt der Grundsatz: Es kann uns nicht auf Dauer gut gehen, wenn es unseren Nachbarn auf Dauer schlecht geht.
Deswegen will ich auch Rednern aller Parteien Recht
geben, die hier sagten: Wir können nicht immer die
Aufmerksamkeit von Krisenherd zu Krisenherd lenken,
sondern müssen jetzt schauen, dass nach dem öffentlichkeitswirksamen Gipfel auch tatsächlich die Dinge
vor Ort betrieben werden.
Herr Bundesaußenminister, wir hörten gestern in unserer Anhörung im EU-Ausschuss, dass die 3 Millionen
US-Dollar, die Bosnien für die Übernahme der Gipfelkosten versprochen worden sind, noch nicht bezahlt
worden seien. Ich weiß nicht, ob das zutrifft, aber ich
wäre dankbar, wenn die Regierung in dieser Debatte dazu noch etwas sagte. Gleich spricht noch die Frau Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, und vielleicht
kann sie dazu etwas sagen.
Das wäre natürlich hammerhart, wenn es stimmte,
wie es gestern in unserer Anhörung gesagt wurde: Man
veranstaltet einen großen Gipfel - Christian Schmidt hat
ihn ja eben ein bisschen beschrieben -, der eine Menge
Kosten verursacht - das haben Gipfel so an sich -, aber
Bosnien-Herzegowina, das wirklich auf die letzte Mark
angewiesen ist, wartet noch auf 3 Millionen US-Dollar.
Ich wäre der Regierung dankbar, wenn sie uns darüber
Auskunft geben könnte, ob dies so zutrifft, wie es gestern in der Anhörung im Europaausschuss gesagt wurde.
({9})
Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die Bemühungen
der Bundesregierung, der Europäischen Union und der
internationalen Gemeinschaft, Frieden, Freiheit, Demokratie und Minderheitenschutz in Südosteuropa zu
verankern. Nur dort, wo es für alle Freiheit und gesicherte Verhältnisse gibt, herrschen auch Stabilität und
Frieden. Der Stabilitätspakt kann dazu einen wichtigen
Beitrag leisten, wenn er richtig angelegt wird.
Nun will ich auf einen weiteren kritischen Punkt zu
sprechen kommen. Wir unterstützen das Projekt, aber
wir erlauben uns Kritik im Detail. Deswegen, liebe Kollegen von der SPD, sind auch die Zwischenrufe absolut
unangebracht, denn man kann ja nicht sagen: Die Sache
ist richtig; deswegen ist eine Kritik im Detail nicht erlaubt.
({10})
Ich möchte also einen kritischen Punkt im Detail als
Beispiel bringen. In der Erkenntnis der Notwendigkeit
der Sache ist ein Konferenzmechanismus in Gang gesetzt worden, und zwar nach dem Motto: Die Konferenzen werden immer größer, aber die Effizienz der Konferenzen wird immer geringer. Man muss die Frage stellen - deswegen ist die von Herrn Kinkel zitierte „FAZ“Überschrift mehr als berechtigt -, ob dem Anspruch tatsächlich die Wirklichkeit entspricht. Man muss auch
fragen, ob man sich nicht mit der Konstruktion, immer
mehr Institutionen einzubinden, die dann wieder koordiPeter Hintze
niert werden müssen, wobei für die Koordination dann
wieder ein Koordinator eingesetzt werden muss, zu sehr
in Selbstbeschäftigung verstrickt, die bei den Menschen
vor Ort zu wenig ankommen lässt und die bei den Staaten der Region, die mitwirken können und wollen, das
ungute Gefühl verstärkt, hier werde Geopolitik ohne ihre
eigene Beteiligung gemacht. Wir wollen - nur dann gibt
es eine tragfähige Lösung -, dass die Menschen und die
Staaten vor Ort tatsächlich beteiligt werden.
Damit komme ich auf die Frage zu sprechen, die sehr
schmerzt: Wie kann sichergestellt werden, dass die
Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, dort
wieder leben können? Es ist eine große bleibende Wunde - das ist in Bosnien und im Kosovo so, dass ethnische Minderheiten bei der Rückkehr in ihre Dörfer und
Häuser keine reale Chance haben. Das ist ein Riesenproblem. Wir stellen fest - auch ich habe kein Patentrezept -, dass man mit Zwang offensichtlich nicht das notwendige Vertrauen stiften kann. Wir stellen fest, dass in
diesem Problem der Keim für ein neues Problem liegt:
Wenn Gruppen, die in ihrer Heimat nicht mehr leben
können, in andere Regionen verbracht werden - denken
wir zum Beispiel an die Vojvodina -, dann gefährdet
dies die Balance in diesen Regionen und sorgt für die
Entstehung neuer Konflikte.
({11})
- Das habe ich eben geschildert. - An diesem Problem
müssen wir gemeinsam arbeiten. Wir schaffen dafür nur
dann eine Lösung, wenn wir die Staaten der Region
beteiligen, wenn wir - das möchte ich klipp und klar sagen; darin soll kein Hauch der Bevormundung liegen für ein demokratisches Serbien sorgen und wenn wir die
demokratischen Kräfte in Serbien stärken.
({12})
- Sie sind da die allerschlechtesten Ratgeber; das möchte ich Ihnen sagen.
({13})
Verehrter Herr Zwischenrufer, es waren doch die kommunistischen Kräfte in diesem Hause, die sich mit Herrn
Milosevic zusammengesetzt haben und die in ihm ihren
Bündnispartner gesucht haben. Sie müssen sich also
ganz zurückhalten.
({14})
Eine der zentralen und entscheidenden Aufgaben ist,
dafür zu sorgen, dass die Menschen in ihre Heimat zurückkehren können, dass sie ihr Schicksal selbst in die
Hand nehmen können und dass wir unsere Hilfe so leisten, dass dort eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Es stimmt nachdenklich, dass unsere Hilfe etwa 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
von Bosnien-Herzegowina ausmacht - es ist positiv,
dass wir helfen -, dass dieser Prozentsatz auch noch
durch das, was die dort eingesetzten Soldaten und
Beamten ausgeben, erhöht wird, dass aber die Arbeitslosigkeit gewaltig ansteigt.
Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen:
Über dem 20. Jahrhundert stand der Satz: Der Balkan
produziert mehr Geschichte, als der Rest Europas verdauen kann. Wir haben im 21. Jahrhundert die Chance,
das Tor zu einer Friedensordnung für Südosteuropa
aufzuschließen. Der Stabilitätspakt ist dafür ein Schlüssel. Wir wollen, dass mit diesem Schlüssel sinnvoll umgegangen wird, dass das Tor aufgestoßen wird, dass jetzt
auf der Grundlage der Ergebnisse der Beratungen und
Konferenzen konkrete Projekte entstehen, dass Straßen
gebaut werden - denken wir nur an den Verkehrskorridor Nr. 8, die Straßenverbindung von der albanischen
Küste über Skopje nach Bulgarien -, dass der Vorschlag
der Konferenz der Anrainerstaaten, die in der vorigen
Woche in Bulgarien stattgefunden hat, aufgegriffen
wird, nicht nur zu schauen, wie viel Geld überhaupt bereitgestellt werden kann, sondern das Geld auch so bereitzustellen, dass Investitionen getätigt werden und Arbeitsplätze entstehen. Wir wünschen uns, dass sich diese
Region im 21. Jahrhundert mit Europa verbunden fühlt
und dass wir uns mit ihr verbunden fühlen und dass die
Kriege auf den Balkan, die den Anfang und das Ende
des 20. Jahrhunderts bestimmt haben, der Vergangenheit
angehören. Wenn das der Stabilitätspakt schafft, dann
sind wir von der CDU/CSU bereit, ihn mit Herz und
Verstand zu unterstützen, dann schauen wir über Detailfehler hinweg, obwohl wir sie weiter benennen werden,
und dann können wir auch einen Koordinator verkraften,
selbst wenn wir der Meinung sind, dass es Vorschläge in
Europa gab, die vielleicht zu einer besseren Lösung geführt hätten.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Uwe Hiksch.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Haus eint, dass wir alle meinen: Die Region Südosteuropa braucht einen Stabilitätspakt, der dafür sorgt, dass in der Region alles unterstützt
wird, was einen sozialen, einen wirtschaftlichen und einen zivilgesellschaftlichen Wandel hin zu demokratischen und vor allen Dingen friedlichen Strukturen ermöglicht. Dennoch unterscheiden uns die Vorstellungen
sowohl von der Form als auch vom Inhalt dieses Stabilitätspaktes.
Sehr geehrter Herr Außenminister, ich glaube, auch
Sie wissen, dass die Entstehung des Stabilitätspaktes
kein präventiver, sondern ein reaktiver Ansatz war, der
entstanden ist, als der Krieg auf seinem Höhepunkt war
und als Bomben auf Fabriken, auf Menschen und auch
auf die Infrastruktur geschmissen wurden. Daraufhin
wurde überlegt, wie man aus dieser falschen Politik herauskommt.
Wir alle wissen auch, dass dieser Stabilitätspakt eigentlich schon vor fast zehn Jahren notwendig gewesen
wäre, nämlich damals, als aus der Bundesrepublik
Deutschland die falsche Anerkennung der Sezessionstendenzen gekommen ist. Ich empfehle allen, die visionäre Rede von Günter Verheugen zu lesen. Er hat sie
gehalten, als damals die Regierung Kohl die Sezessionstendenzen anerkannt hatte. In dieser Rede hat er gesagt,
ein solcher Stabilitätspakt sei notwendig, Sezession aber
führe zum Krieg.
({0})
Lieber Kollege Brecht, ich glaube, Sie liegen falsch,
wenn Sie glauben, dass ein Stabilitätspakt dadurch in
Gang gesetzt werden kann, dass man ausgrenzt, indem
man einer Regierung sagt: Du darfst aber nicht mitmachen, du wirst ausgeschlossen. Genau das Gegenteil
steht auf der Tagesordnung. Man muss sich einmal anschauen, wie der KSZE-Prozess gegen den Widerstand
einer Seite dieses Hauses aufgebaut wurde. Man muss
sich einmal anschauen, wie damals Egon Bahr, Olof
Palme und auch Willy Brandt deutlich gemacht haben,
dass es nicht darum gehen kann, Regierungen auszugrenzen.
Diese Haltung hat nichts damit zu tun, dass man eine
Regierung gut findet und dass man mit den Strukturen
eines Landes einverstanden ist, sondern damit, dass Stabilität nur entstehen kann, wenn alle in dieser Region
ernst genommen werden und sich keiner ausgegrenzt,
sondern jeder einbezogen fühlt.
({1})
Deshalb ist dieser Stabilitätspakt nur dann ein wirklicher
Stabilitätspakt, wenn es kein Embargo gibt, wenn alle
betroffenen Regionen einbezogen werden und wenn
auch die jugoslawische Regierung, die wir alle gern abgelöst sähen, mit in diesen Stabilitätspakt einbezogen
wird.
({2})
Wir wissen auch, dass die Menschen in dieser Region
- sei es im Kosovo, sei es in Mazedonien oder in der
Bundesrepublik Jugoslawien - auf diesen Stabilitätspakt
angewiesen sind. Wer liest, wie schlecht es den Menschen im Kosovo oder in Jugoslawien geht, wer liest,
welch dramatische wirtschaftliche und soziale Situation
auch in der Bundesrepublik Jugoslawien herrscht, der
muss in Interesse der Menschen diese Region voll und
ganz mit einbeziehen und dieses Embargo endlich beenden.
Kollege Lippelt, ich halte es für problematisch, darauf hinzuweisen, dass man überall Benzin kaufen kann
- was stimmt -, nur der Preis sei etwas überhöht. Wer
kann denn diesen überhöhten Preis nicht zahlen? Das
sind doch nicht die Menschen aus der Nomenklatura,
das sind doch nicht die Menschen der Regierung. Vielmehr trifft es die einfachen Menschen, die kleinen
Handwerksbetriebe und die Industrie, die versucht, in
diesen Regionen wieder auf die Beine zu kommen. Wir
müssen dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Basis dafür geschaffen wird, dass sich auch die Bundesrepublik
Jugoslawien wieder entwickeln und ökonomisch Fuß
fassen kann.
({3})
Wir verstehen unter „Stabilitätspakt“ auch, dass diese
Region demilitarisiert werden muss. Es muss darüber
geredet werden, wie die Abschaffung der Armeen in
dieser Region als Beispiel für einen Stabilitätspakt erfolgen kann. Es darf nicht wieder das „Gleichgewicht
des Schreckens“ geschaffen werden; vielmehr muss in
dieser Region endlich einmal Abrüstung durchgesetzt
werden.
({4})
Eigentlich ist es ja eine Schande, zu sehen, wie
schnell Milliarden zur Verfügung gestellt wurden, um
einen Krieg zu führen, wie schnell es möglich war, militärische Aktionen durchzusetzen, und wie schwierig es
ist, jetzt, wo es darum geht, Aufbau zu leisten, eine Geberkonferenz möglich zu machen und die Geberländer
dazu zu bringen, großzügig Geld zur Verfügung zu stellen. Wenn man sich das anschaut, dann merkt man, dass
wir noch immer in den Denkstrukturen des Militärs sind.
Für Militär ist - egal was es kostet - Geld da; für Aufbau muss verhandelt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss
ein Zitat. Der deutsche General Reinhardt hat richtigerweise gesagt - ich zitiere -:
Das gesamte Kosovo-Budget der UN lag für 1999
bei 125 Millionen DM. Das ist ein Viertel dessen,
was die NATO an einem Tag für Geld verbombt
hat. Es ist abenteuerlich und dumm, dass wir damals die Finanzen aufbrachten. Doch jetzt, wo es
um Wiederaufbau geht, fehlen sie.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({5})
Das Wort hat
jetzt die Frau Bundesministerin Heidemarie WieczorekZeul.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Stabilitätspakt hat - das ist in allen Diskussionsbeiträgen
immer wieder deutlich geworden; ich bin in dieser Frage
dafür, dass wir auch die Gemeinsamkeiten benennen Bedeutung für Gesamteuropa und leistet einen Beitrag
zur Stabilität auf dem gesamten Kontinent. Er wird auch
globale Auswirkungen haben.
Wir sollten die Gelegenheit nicht versäumen, in einer
solchen Diskussion deutlich zu machen, dass damit zum
ersten Mal in der Geschichte dieser Region den Völkern
in Südosteuropa überhaupt die Chance eröffnet wird, ihre Interessen im friedlichen Miteinander auszugleichen.
Diese Chance sollten wir nutzen und wir sollten alles,
was wir dazu beitragen können, auch tun.
({0})
Es ist richtig - das ist in der Debatte immer wieder
deutlich geworden -: Wiederaufbau und Prävention
sind schwieriger als Krieg führen. Deshalb müssen wir
jetzt alles dafür tun, dass mit dem präventiven Ansatz
Ernst gemacht wird, dass wir all unser Engagement dafür aufbringen.
({1})
Ich möchte an dieser Stelle all denjenigen danken, die
vor Ort im Sinne dieses Ziels Präventionsarbeit leisten:
etwa dem Technischen Hilfswerk, der GTZ, der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Auch unseren Soldaten und
den Polizisten, die dort in diesem Sinne tätig sind, sage
ich ein Dankeschön dafür, dass sie dort praktische Präventionsarbeit leisten.
({2})
Es wird ersichtlich, dass die Entwicklungspolitik eine unverzichtbare und auch eigenständige Rolle gerade
im Rahmen dieses Stabilitätspaktes erfüllt.
Übrigens will ich für die Kolleginnen und Kollegen,
die hier über einen Mangel an Geld geklagt haben, darauf hinweisen: Außerhalb des Stabilitätspaktes stellen
wir im Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit für die beteiligten Länder 160 Millionen DM zur
Verfügung, und zwar in ganz praktischen Arbeitsfeldern, die wir mit den Maßnahmen des Stabilitätspaktes
verknüpfen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir unsere außen- und
sicherheitspolitischen Ziele nur erreichen, wenn wir in
den beteiligten Ländern vor Ort das notwendige Entwicklungsfundament schaffen.
In dem Gesamtkonzept, das die Bundesregierung für
die Umsetzung des Stabilitätspaktes vorgelegt hat und
das unser Ministerium gemeinsam mit dem Auswärtigen
Amt formuliert hat, wird deutlich: Die Bundesregierung
nimmt ihre Verantwortung wahr. Sie leistet trotz angespannter Haushaltslage einen erheblichen Beitrag, um
die Ziele des Stabilitätspaktes zu verwirklichen.
({3})
Ich meine, es wird vor allem darauf ankommen, dass
die Millionen Menschen in der betroffenen Region, in
Südosteuropa, in sehr unterschiedlichen Ländern, den
Nutzen des Vertrages unmittelbar im Alltag erfahren,
indem eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen erreicht wird. Ich bin sicher: Sie werden persönlich erleben - das ist doch unsere Hoffnung: das Ausstrahlen der
europäischen Idee -, dass es zu guter Nachbarschaft,
zu Verständigung, zu Ausgleich und Versöhnung keine sinnvolle Alternative gibt.
({4})
Das wird die Erfahrung mit diesem Stabilitätspakt sein.
Ich möchte auf die Frage, was mein Ministerium
praktisch und auch im Rahmen des Stabilitätspaktes
tut - Herr Hintze hat ja danach gefragt -, antworten,
dass wir alle Instrumente einsetzen, die für die Erreichung der Ziele, Arbeit zu schaffen sowie eine produktive Wirtschaft und vor allen Dingen eine Demokratisierung herzustellen, notwendig sind. Dies betrifft zum
einen den Bereich der Energie- und Wasserversorgung.
Wir helfen beim Aufbau der entsprechenden Strukturen,
und zwar sowohl auf regionaler Ebene als auch auf Landesebene. Denn die regionalen Projekte sind ja diejenigen, die dazu beitragen, Menschen in Arbeit zu bringen.
Wir leisten durch Beratung Hilfe beim Aufbau öffentlicher Kommunalverwaltungen. Ebenso wird über die
Carl-Duisberg-Gesellschaft und über die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung Unterstützung geboten bei Ausbildungsmaßnahmen und bei Vorbereitungen
der Qualifizierung der Beschäftigten im öffentlichen
Sektor, damit die Menschen die erforderlichen Voraussetzungen und Chancen haben. Jeder, der Schwierigkeiten beim Aufbau der zivilen Verwaltung im Kosovo
kennt, weiß, wie wichtig eine solche Arbeit ist.
({5})
In diesem Zusammenhang sind besonders auch die
politischen Stiftungen zu nennen, an die hohe Erwartungen gerichtet werden. Denn sie werden einen wesentlichen Beitrag leisten, um in den südosteuropäischen
Ländern Demokratie und Pluralismus zu fördern sowie
gesellschaftliche Organisationen wie zum Beispiel Gewerkschaften mit aufbauen zu helfen, unabhängig zu beraten und zu unterstützen. Diese Arbeit leisten wir mit
den Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit.
({6})
Das Ziel ist, dass sich diese Völker zu pluralen, zu
sozial gerechten Gesellschaften entwickeln. An dieser
Stelle möchte ich betonen: Alle Formen des Austausches, auch des persönlichen Austausches zwischen Jugendlichen - ich denke im Übrigen auch an den parlamentarischen Austausch - sind wichtig, um den Stabilitätspakt mit wirklichem Leben zu erfüllen.
Vorhin hat Herr Kinkel gefragt: Was ist mit der Wirtschaft? Manchmal habe ich das Gefühl, ein Teil der
Entwicklung geht an einigen vorbei. Eine ganz wichtige
Zusammenarbeit besteht unter dem Stichwort „Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft“. Gerade in
der letzten Woche hat mein Ministerium in Zusammenarbeit mit einem Konsortium, dem auch eine deutsche
Bank angehört, die erste Bank in Kosovo eröffnet. Sie
wird insbesondere kleine Betriebe mit Beratungsangeboten und finanzieller Starthilfe unterstützen. Das schafft
Arbeitsplätze, eine konkrete Perspektive und Hoffnung.
Dies ist eine konkrete Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Es wird dort also Arbeit geleistet; man muss sie
nur zur Kenntnis nehmen.
({7})
Vor allen Dingen geht es darum, dass das, was dort
geleistet wird, der Motor des Wiederaufbaus ist. Wir legen mit dieser Arbeit in den betroffenen Ländern, insbesondere im Kosovo, die Grundlagen für den Wiederaufbau aus eigener Kraft.
In Pristina besteht übrigens getragen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau, der GTZ und anderen Institutionen eine Anlaufstelle für alle Unternehmen und
Nichtregierungsorganisationen. Dies möchte ich hier
dem einen oder anderen, der über diese Informationen
bisher nicht verfügt hat, zur Kenntnis geben.
Wir haben mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag eine Konferenz zu Südosteuropa durchgeführt ich selbst habe zusammen mit Bodo Hombach teilgenommen, der übrigens in diesem Prozess ein ganz hervorragende Rolle gespielt hat und spielt -, an der die
Vertreter der betroffenen Länder und Unternehmen aus
Deutschland und aus Südosteuropa teilgenommen und
konkrete Verabredungen für eine Zusammenarbeit erarbeitet haben. Ich weiß, das alles ist weniger spannend als
die großen politischen Entscheidungen. Aber dies ist die
Realität in Bezug auf die Beantwortung der Frage, ob
daraus Frieden entsteht oder ob die Konflikte weiter bestehen. Deshalb sind diese kleinen Schritte so notwendig.
({8})
Zum Schluss möchte ich zwei Punkte, die mir besonders am Herzen liegen und von denen bisher auch hier
nicht gesprochen worden ist, nennen.
Frau Ministerin,
Herr Hintze möchte eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie
damit einverstanden?
Herr
Hintze, lassen Sie mich doch bitte erst meine Ausführungen beenden. Danach können wir darüber sprechen,
falls es noch notwendig sein sollte.
Er wollte eigentlich
nur eine Frage stellen. Ich empfehle Ihnen, die Frage zuzulassen; denn das verlängert Ihre Redezeit, Frau Ministerin.
Wenn das so ist, dann ist das in Ordnung.
Herr Hintze, bitte.
Frau Ministerin, ich habe
die Bitte - ich muss diese Frage jetzt stellen; denn Sie
wollten gerade zum Schluss kommen -, dass Sie noch
einmal auf die Frage, die im Europaausschuss thematisiert wurde, ob die Kosten für diese Konferenz erstattet
werden, eingehen.
Herr
Hintze, betraf das den Punkt mit den 3 Millionen DM?
Ja.
Ich
habe diese Frage hier zur Kenntnis genommen. Sie wurde mir nicht aus dem Europaausschuss berichtet. Der
Außenminister hat gesagt, das werde geprüft. Nach dieser Prüfung wird eine entsprechende Antwort erfolgen.
({0})
Frau Präsidentin, ich bedanke mich bei Ihnen.
Bitte sehr, Frau Ministerin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Natürlich sind die großen Investitionen, die „Leuchttürme“, wichtig. Aber wichtig ist
auch eine wirkliche Versöhnung vor Ort. Deswegen haben wir ein Konzept vorgeschlagen, das vor allen Dingen die Schaffung eines regionalen Netzwerkes in ganz
Südosteuropa vorsieht, das zur Versöhnung, zur Bewältigung individueller und kollektiver Traumata, zur behutsamen Aufarbeitung von Gewalt- und Gräueltaten
und zur offenen Begegnung von Menschen und Völkern
beiträgt. Wir möchten ein solches regionales Netzwerk
in den Stabilitätspakt einbringen. Ich habe dieses Vorhaben dem Koordinator Bodo Hombach übergeben. Wir
sind dabei, dieses Konzept auch inhaltlich auszufüllen.
Ich bin ganz sicher, dass solche Vorhaben genauso wirksam zum friedlichen Zusammenleben wie Tausende Kilometer von Straßen oder Eisenbahnstrecken oder Vorkehrungen für die Telekommunikation beitragen, so
wichtig sie auch sind. An die Ausarbeitung und Verwirklichung eines Netzwerkes der Versöhnung knüpfen
wir große Hoffnungen.
({0})
Zum Schluss möchte ich einen Punkt ansprechen, der
in der heutigen Diskussion noch keine Rolle gespielt hat,
der aber dafür, wie ich mich zum Thema Kosovo verhalte, erhebliche Bedeutung hatte und hat. Die militärische
Intervention im Kosovo hat erreicht, dass die Vertreibung der Kosovo-Albaner beendet wurde und Vertriebene und Flüchtlinge zurückkehren konnten. Aber es ist
auch klar, dass es Frieden und Stabilität im Kosovo erst
geben wird, wenn die Gewaltanwendung gegen andere
Volksgruppen aufhört und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verwirklicht sind.
({1})
Die Situation der Roma und Aschkali im Kosovo ist
noch immer unerträglich.
({2})
Sie werden vielfach auf dramatische Weise diskriminiert. Sie dürfen nicht in ihre angestammten Dörfer zuBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
rückkehren. Sie werden von der Lebensmittelversorgung
ausgeschlossen. Frauen und Kinder werden häufig genug von den wenigen Krankenhäusern und Gesundheitsstationen abgewiesen. In dieser Volksgruppe, die wie alle anderen ein angestammtes Anrecht auf Heimat und
Gemeinwesen hat, herrschen unsägliches Leid und blanke Angst. Auf die dramatische Situation der Roma und
Aschkali hat die Gesellschaft für bedrohte Völker - ich
stehe immer mit Tilman Zülch von dieser Organisation
in Verbindung - aufmerksam gemacht. Wir unterstützen
deren Initiative mit all unseren Möglichkeiten. Die internationale Gemeinschaft darf nicht zusehen, wie dort
vorgegangen wird. Der Krieg ist auch deswegen geführt
worden, damit Vertreibungen, insbesondere ethnische
Vertreibungen, aufhören. Es ist jetzt die Pflicht von uns
allen, dazu beizutragen, dass es in dieser Region keine
Vertreibung ethnischer Gruppen mehr geben wird.
({3})
Dazu müssen wir all unsere Möglichkeiten einsetzen.
Auch das ist ein Ziel, das die Bundesregierung nach
Kräften und mit nennenswerten Beiträgen fördert und
begleitet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, daran, ob wir bei
den kleinen Umsetzungsschritten zäh und hartnäckig
bleiben, entscheidet sich, ob Südosteuropa eine Chance
hat, Frieden zu entwickeln. Wenn wir zäh und hartnäckig an diesen kleinen Schritten arbeiten, sie praktisch
umsetzen und eine europäische Perspektive vermitteln,
dann hat die Region eine gute Chance.
Ich bedanke mich sehr.
({4})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Debatte ist
deutlich geworden, dass mit dem Stabilitätspakt für
Südosteuropa große Hoffnungen verbunden sind. Die in
den dortigen Ländern lebenden Menschen wollen jedoch
nicht nur etwas über Konferenzen, für die offensichtlich
die Kosten noch nicht bezahlt worden sind, über Regierungserklärungen sowie über staatstragende Reden und
Debatten erfahren, sondern sie wollen endlich Taten sehen.
({0})
Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt in dieser Woche
zu Recht:
Bislang konnte der im Juli in Sarajevo von mehr als
30 Staats- und Regierungschefs aus der Taufe gehobene Stabilitätspakt die Hoffnungen nicht erfüllen. In der Region wächst die Ungeduld und der
Koordinator Bodo Hombach steht immer wieder in
der Kritik.
Ich finde, es hat schon viel zu lange gedauert, bis jetzt
Ende März endlich die so genannte Geberkonferenz
stattfindet. Die „FAZ“ schreibt heute zu Recht, dass dies
die „Stunde der Wahrheit für den Stabilitätspakt“ Südosteuropa wird.
Herr Bundesaußenminister, „Leuchtturmprojekte“
und „Quickstart-Pakete“ - diese tollen Bezeichnungen
sind schon mehrfach zitiert worden - sollen auf dieser
Konferenz beschlossen werden. Ich glaube, man sollte
sich davor hüten, nur auf die gute Publicity solcher Projekte zu achten. Aus der Entwicklungszusammenarbeit
der letzten Jahrzehnte kann man meines Erachtens eines
lernen: Die Großprojekte haben sich oft als diejenigen
Projekte erwiesen, die zu einem großen Reinfall wurden.
Viel wichtiger sind die kleinen Schritte, die situationsgerechten Projekte, die Selbsthilfe und Selbstorganisation der Betroffenen aktivieren. Es kann auch nicht
darum gehen, das Füllhorn wahllos auszuschütten. Entscheidend ist die Einhaltung von Konditionen einer entwicklungsorientierten Politik.
({1})
Die Länder müssen sich zuallererst selbst bewegen und
Reformen einleiten.
Nun stellt Deutschland, ausweislich unseres Bundeshaushaltes, drei Jahre lang jährlich 300 Millionen DM
zur Verfügung. Wir können damit zeigen, wie durch eine zielgerichtete und sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit die Stabilität in Südosteuropa gestärkt werden
kann.
Frau Bundesministerin Wieczorek-Zeul, ganz verstanden habe ich die lobende Erwähnung Ihrer eigenen
Tätigkeit und die Ihres Ministeriums nicht. Wenn ich
mich recht erinnere, haben Sie für Ihr Ressort den jährlichen Mittelbedarf für Südosteuropa auf 400 Millionen DM beziffert. Ich halte es langsam, aber sicher für
einen Skandal, dass zwei Monate, nachdem der Bundeshaushalt beschlossen wurde, heute immer noch nicht
klar ist, wie die 300 Millionen DM unter den Ressorts
aufgeteilt werden.
({2})
So wie es aussieht, werden Sie weniger als die Hälfte
dessen, was Sie selber einmal für notwendig erachtet
haben, für das BMZ zur Verfügung haben.
Aber auch im Stab von Bodo Hombach ist kein Vertreter aus dem Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit; in der Südosteuropa-Agentur gibt es ebenfalls
keinen Vertreter aus diesem Bereich - von der angeblich
so großen Bedeutung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und Ihres Hauses also keine Spur.
Ziel unserer Entwicklungszusammenarbeit mit den
Ländern Südosteuropas muss eine nachhaltige und
selbsttragende Entwicklung in der Region sein. Wesentliche Voraussetzung dafür - in diesem Punkt, Frau
Ministerin, sind wir mit Ihnen einig - ist ein Prozess der
Demokratisierung. Legitimierte, akzeptierte und handlungsfähige politische Strukturen sind zentrale VorausBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
setzungen für die Stabilität und für die wirtschaftliche
Entwicklung. Aus der bisherigen Erfahrung mit den
Transformationsprozessen in Mittel- und Osteuropa wissen wir, dass nur durch eine entschlossene Reformpolitik die von den westlichen Staaten zur Verfügung gestellten Mittel wirklich sinnvoll eingesetzt werden können. Deshalb sollte sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit vorrangig darauf konzentrieren, den Demokratisierungsprozess zu unterstützen und Hilfen für
den Aufbau funktionsfähiger Verwaltungen und des
Rechtswesens zu entwickeln.
Erfolge sind jedoch nur möglich, wenn dieser Prozess
der Demokratisierung nicht allein eine Frage des formalen Staatsaufbaus und demokratischer Institutionen ist.
Ohne gesellschaftliche Verankerung bleiben freie Wahlen und auch freie Märkte lediglich formale Ordnungsstrukturen, die dann erst recht von mafiosen Strukturen
missbraucht werden können.
Deshalb sind für uns der Aufbau und die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen in den Ländern Südosteuropas ein zentraler Angelpunkt für den Erfolg der
Entwicklungszusammenarbeit und damit auch des Stabilitätspaktes Südosteuropa. Aufgrund von Traditionen
und Mentalität ist das in vielen Ländern Südosteuropas
zum Teil sehr schwierig. Aber gerade deswegen sollten
wir einen Großteil der Mittel aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für die Arbeit der politischen
Stiftungen, der Kirchen, der Nichtregierungsorganisationen und deren Partner vor Ort einsetzen, um in die
Breite wirkend diesen Demokratisierungsprozess und
den Aufbau einer Zivilgesellschaft durch entsprechende
Programme zu unterstützen und zu begleiten.
({3})
Den Weg einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung werden die Länder Südosteuropas nur einschlagen, wenn die notwendigen wirtschaftlichen Reformen ernsthaft durchgeführt werden und soziale
Marktwirtschaft nicht nur ein Lippenbekenntnis der Politiker ist, sondern tatsächlich im Wirtschaftsleben und
in der Gesetzgebung stattfindet.
Nach wie vor ist die Privatisierung in vielen Ländern nur unzureichend vorangekommen. Die wirtschaftliche Entwicklung muss die eigenen Anstrengungen der
Bevölkerung stützen. Sie wird sich nur entfalten, wenn
Politik und Verwaltung den Investoren und Unternehmen Planungssicherheit und Berechenbarkeit bieten, indem sie Eigentumsrechte praktisch schützen, Rahmengesetze geben und durchsetzen, eine stabile Währung
bieten und die Eigenanstrengung durch eine angemessene Wirtschaftsreform begleiten. Dazu gehört etwas, was
wir auch in Deutschland dringend brauchen: ein transparentes und einfaches Steuersystem. Dies alles sind auch
entscheidende Voraussetzungen dafür, dass sich die Privatwirtschaft in dem auch von der Bundesregierung gewünschten Maß stärker in Südosteuropa engagiert.
Sehr unterschiedlich, meine Damen und Herren, gestaltet sich die Situation der einzelnen Länder Südosteuropas hinsichtlich deren Fähigkeit, die eingesetzten und
angebotenen Mittel tatsächlich zeitgerecht und in sinnvoller Weise umzusetzen. Vielfach ist festzustellen, dass
die staatlichen Institutionen, aber auch die privaten nur
ungenügend in der Lage sind, Projekte zu entwickeln
und umzusetzen. Deshalb, finde ich, ist es in jedem Fall
wichtig, dass wir nicht aus politischen Gründen jetzt auf
einen schnellen Mittelabfluss dringen. Sonst könnte es
geschehen, dass die Südosteuropahilfe sehr bald in
Misskredit gerät und erst recht die Korruption fördert.
Deshalb sollte die Anregung des Deutschen Instituts für
Entwicklungspolitik aufgegriffen werden, so genannte
Länderfonds einzurichten.
Meine Damen und Herren, die Reformpolitik in den
Ländern Südosteuropas kann sinnvoll unterstützt werden, indem ihnen eine Perspektive für einen Eintritt in
die Europäische Union eröffnet wird. Die politisch
Verantwortlichen in den meisten Ländern Südosteuropas
wollen jedoch einzeln, möglichst ohne Rücksichtnahme
auf die Entwicklung im Nachbarland den Weg nach Europa gehen. Leider ist das politische Denken trotz mancher gemeinsamer Konferenzen nach wie vor davon geprägt, nicht auf regionale Integration, sondern eher auf
Abgrenzung zu setzen. Jeder will der Erste auf dem Weg
nach Europa sein. Durch unsere Außen- und Entwicklungspolitik können wir dazu beitragen, dass die Länder
Südosteuropas zunächst einmal ihre eigenen Chancen in
der regionalen Zusammenarbeit erkennen und nutzen.
Mit Sicherheit lässt sich der Weg nach Europa gemeinsam leichter gehen als jeweils getrennt.
({4})
Angesichts der Vielzahl von Teilnehmern des Südosteuropapaktes ist eine effiziente Koordination notwendig. Ich finde es allerdings sehr fraglich, ob mit der
Schaffung neuer Institutionen tatsächlich ein Fortschritt
erzielt worden ist. Weil Sie so oft Bodo Hombach ansprechen und loben mussten, möchte ich nur eines dazu
feststellen - das ist einfach ein Fakt -: Bodo Hombach
ist der falsche Mann am falschen Ort.
({5})
Ohnehin, unabhängig von der Person, Herr Erler, finde
ich, ein EU-Koordinator für Südosteuropa gehört nicht
auf die weichen Sessel in Brüssel, sondern auf die harte
Bank des Balkan, nach Skopje, Pristina oder Sarajevo.
({6})
Für einen partnerschaftlichen Umgang mit den Ländern Südosteuropas gilt wie auch sonst im Leben: Das
eigene gute Beispiel wirkt ansteckend und überzeugend.
Wir fordern von den Ländern Südosteuropas Effektivität, schlanke Verwaltung, schnelle Entscheidungen, perfekte Organisation, Reformbereitschaft, Koordinationsfähigkeit und empfehlen beratend unsere Dienste. Und
sie stellen zu Recht die Rückfrage an uns: „Was macht
eigentlich ihr mit uns?“ Ist das, was wir Europäer da an
Organisation, an Koordination, an Beauftragtentum aufgebaut haben, nicht ein Lehrstück, das dem, was wir den
Ländern selbst empfehlen, diametral entgegensteht?
Peter Weiß ({7})
In einem Gespräch mit deutschen Parlamentariern
fragte der mittlerweile nach innenpolitischen Querelen
gestürzte Ministerpräsident Albaniens mit einem ironischen Unterton: „Der Stabilitätspakt - was ist das?“ Ich
befürchte, wenn man alles nur schönredet, wird dieser
ironische Unterton weiter bestehen bleiben. Die „FAZ“
schreibt heute:
Und doch nährt der Stabilitätspakt nach einem halben Jahr seiner fast unsichtbaren Existenz eher
Verdruss als Hoffnung.
Meine Damen und Herren, wir sollten gemeinsam alles
daransetzen, dass sich in Südosteuropa die Hoffnung
durchsetzt und nicht der Verdruss.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Anträge der
Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 14/2569 und der Fraktion der F.D.P. auf
Drucksache 14/2584 sowie den Entschließungsantrag
der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 14/2575 zur
federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss
und zur Mitberatung an den Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und den
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union zu überweisen, wobei der Entschließungsantrag
nicht an den letztgenannten Ausschuss überwiesen wer-
den soll. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das
ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.
Weiterhin wird vorgeschlagen, die Anträge der PDS
auf den Drucksachen 14/2387 und 14/2388 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung zu überweisen. - Damit sind Sie einverstan-
den. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Der Antrag der PDS auf Drucksache 14/2573 soll zur
federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss
und zur Mitberatung an den Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen, den Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit und den Ausschuss
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe überwiesen
werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das
ist nicht der Fall. Dann ist auch diese Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis d sowie Zu-
satzpunkt 5 auf:
4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Eduard Oswald, Dirk Fischer ({0}),
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft sichern - Verkehrsinfrastrukturinvestitionen verstärken
- Drucksache 14/2360 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
4 b) Beratung der Unterrichtung durch die
Bundesregierung
Straßenbaubericht 1998
- Drucksache 14/245 Überweisungsvorschag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
4 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Dr.
Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h
auf Autobahnen
- Drucksache 14/1082 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit
4 d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Dr.
Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Für eine sozial, finanziell und ökologisch
nachhaltige Bundesverkehrswegeplanung
- Drucksache 14/2262 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Horst Friedrich ({5}), Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Straßenbau statt Autostau
- Drucksache 14/2582 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Peter Weiß ({7})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mich umblicke und sehe, dass der Herr Bundesminister noch
nicht da ist, gehe ich davon aus, dass er noch im Stau
steht, wie auch der eine oder andere der Kolleginnen
und Kollegen. Nur so kann ich mir das erklären. Auch
das ist eines der Themen, derentwegen wir eine umfangreiche Verkehrsdebatte führen. Es ist gut, dass wir uns
Zeit nehmen, ausführlich über die Verkehrspolitik zu
sprechen.
Mit unserem Antrag „Zukunft sichern - Verkehrsinfrastrukturinvestitionen verstärken“ wollen wir deutlich
machen, dass in einer durch Arbeitsteilung und Globalisierung geprägten Wirtschaft Mobilität ein Schlüsselfaktor für die künftige Entwicklung des Standortes
Deutschland ist. Nur eine gut ausgebaute Infrastruktur,
die eine schnelle, flexible, zuverlässige und kostengünstige Mobilität von Gütern und Personen ermöglicht, bietet die Chance, im internationalen Wettbewerb mithalten
zu können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gegenwärtig stellt
sich die Lage für den Verkehrsteilnehmer so dar: Er
wird zur Kasse gebeten und beim Straßen- und Eisenbahnbau wird massiv gekürzt. Ihr Investitionsprogramm
1999 bis 2002 ist Stillstand statt Offensive.
({0})
Unser Antrag enthält zahlreiche Anstöße zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur des Bundes und dies ist
notwendig. Der Bundesminister, Reinhard Klimmt, hat
kürzlich in einem Interview klar gesagt: Ich werde um
jede Mark kämpfen. Das ist gut so; unser Antrag wird
ihm dabei helfen. Ich bitte, ihm das mitzuteilen.
Wir meinen, dass es sinnvoll ist, die Mineralölsteuer
in festzulegenden Anteilen zweckgebunden für den
Bundesfernstraßenbau zu verwenden, nicht nur, um mit
dem durch den Straßenverkehr erbrachten Aufkommen Finanzierungslücken im Bundesfernstraßenbau zu
schließen, sondern auch, um dem Autofahrer das Bewusstsein zu vermitteln, dass ihm die Mineralölsteuer zu
einem großen Teil wieder zugute kommt.
({1})
Tatsache ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
die gegenwärtige Finanzausstattung nicht ausreicht, um
weitere dringlichste Vorhaben aus dem Bedarfsplan für
den Ausbau der Bundesfernstraßen und aus dem Schienenwegeausbauprogramm zu realisieren. Als besonders
gravierend erweist sich die Finanzlücke im Bundesfernstraßenbau. Die Straße mit ihren auch künftig zu erwartenden Zuwächsen ist der Verkehrsträger Nummer eins.
Deswegen brauchen wir mehr Investitionen.
Nach Ihren eigenen Aussagen ist der Stau auf den
Straßen zu 40 Prozent auf nicht ausreichende Straßenkapazitäten zurückzuführen. Die Zeitverluste schlagen
volkswirtschaftlich mit Kosten in Milliardenhöhe durch.
Die Universität Köln hat in einer Studie nachgewiesen,
dass jede D-Mark, die beim Ausbau des Straßennetzes
eingespart wird, einen volkswirtschaftlichen Verlust von
3 DM nach sich zieht. Tatsache ist: Die Qualität unserer
Verkehrsinfrastruktur bestimmt die Qualität des Standortes Deutschland. Die Länderverkehrsminister haben
errechnet, dass nach dem vorliegenden Investitionsprogramm für die Jahre 1999 bis 2002 allein im Bundesfernstraßenbau eine jährliche Finanzierungslücke von
4 Milliarden DM bleibt. Sie wissen doch aus Ihren
Wahlkreisen, wie hoch der tatsächliche Bedarf ist. Denken Sie nur an die zahlreichen notwendigen Ortsumfahrungen! Hier ist Straßenbau Menschenschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Wir müssen die Straße als Rückgrat unseres gesamten
Verkehrssystems anerkennen und als Konsequenz den
ökologisch und ökonomisch ausgewogenen Neu- und
Ausbau des Bundesstraßennetzes weiter vorantreiben.
Übrigens: Bereits mit einem Pfennig aus dem Mineralölsteueraufkommen kann der Bundesfernstraßenetat um
rund 700 Millionen DM aufgestockt werden.
Da Bundesminister Reinhard Klimmt - zu Recht gesagt hat: „Ich werde um jede Mark kämpfen!“, möchte
ich ihm vorschlagen, die zusätzlichen Einnahmen aus
dem Mehrwertsteueraufkommen des Bundes durch den
Anstieg der Kraftstoffpreise zugunsten von Investitionsmaßnahmen in den Verkehrssektor zurückfließen zu
lassen.
({3})
Nach Verteilung des Mehrwertsteueraufkommens auf
Bund und Länder verbleiben dem Bund mindestens
1,8 Milliarden DM mehr in der Staatskasse. Wir fordern
dies gerne laufend, damit es der Finanzminister immer
wieder hört.
Wenn man zudem berücksichtigt, dass 1 Milliarde DM an Investitionsvolumen 12 000 bis 15 000
Arbeitsplätze im Bau- und Zulieferbereich bindet,
bedeutet dies gleichzeitig einen wertvollen Beitrag für
unseren Arbeitsmarkt.
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung in einer Expertenkommission über neue Finanzierungsmodelle
nachdenken lässt. Vieles deutet darauf hin, dass Sie neue
Wege gehen wollen.
({4})
Nur, jeder muss wissen, dass dann der Autofahrer möglicherweise zweimal zur Kasse gebeten wird: einmal
durch die Mineralölsteuer und dann noch einmal über
Vizepräsidentin Anke Fuchs
mögliche zusätzliche Gebühren. Ein zweimaliges Kassieren kommt für uns nicht infrage.
({5})
Mit Interesse warten wir auf Ihre Vorschläge, auch auf
die koalitionsinternen Debatten dazu. Jetzt sind Sie am
Zug.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nachfrage nach
Mobilität wird auch in Zukunft steigen. Die Mobilität
von Bevölkerung und Wirtschaft ist eine wichtige, ja
entscheidende Voraussetzung für die Produktivität einer
Volkswirtschaft. Verkehr ist Wirtschaftsmotor und kein
Selbstzweck; dies kann man nicht oft genug wiederholen.
Wenn wir wissen, dass in jedem Jahr die Verkehrsmenge um 2 bis 3 Prozent steigt, und wenn wir wissen,
dass sich die Verteilung auf die Verkehrsträger nur geringfügig verändert, dann ist es unsere Aufgabe, auch in
ein leistungsfähiges Schienennetz zu investieren.
Wir haben gestern im Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen über vier Stunden - das kann ich
allgemein sagen - ein wertvolles, wichtiges Gespräch
mit dem neuen Bahnvorstand Hartmut Mehdorn geführt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die
Leistungsfähigkeit der Bahn verbessern, indem wir die
Rahmenbedingungen für den Eisenbahnverkehr insgesamt verbessern und indem die Investitionen es der
Bahn ermöglichen, ihr Streckennetz zu modernisieren
und zu erweitern, um einen größeren Anteil des allgemeinen Verkehrszuwachses aufzunehmen. Eine der großen Schlüsselfragen ist, ob wir in Europa für die Bahn
die Netzöffnung schaffen. Ich halte dies schlechthin für
die Zukunftsfrage des Rad-Schienen-Systems.
({6})
Wir werden alle Vorschläge zu einer möglicherweise
neuen Politik der Bahn nach Folgendem beurteilen: Erstens. Was bringen sie für den Bahnkunden?
Zweitens werden wir auch an der grundsätzlichen
Frage festhalten: Kommen durch diese Politik zusätzliche Verkehre auf die Schiene?
Drittens. Für uns wird es wichtig sein, dass alle Regionen der Republik an das Fernschienennetz angebunden
und eingebunden sind. Uns geht es um die gleichmäßige
Erschließung aller Räume in unserem Lande, um die Erschließung der Fläche. Ein einseitiges Schielen nur auf
die Zentren wäre und ist nicht unsere Politik.
({7})
Viertens. Der Schlüssel für eine neue Bahnpolitik
liegt in den Antworten für den Güterverkehr. Hier ist eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene gerade
im Langstreckenbereich notwendig. Wir müssen uns
immer wieder vergegenwärtigen, dass der LKW für uns
alle unverzichtbar bleibt. 80 Prozent aller LKW-Fahrten
finden in einem Bereich bis zu 100 km statt. Daher wissen wir um die Grenzen der Verlagerung.
Wir alle wissen, dass wir die Straßen nicht so ausbauen können wie der Verkehr wächst. Deswegen muss die
Bahn gerade im Güterverkehr einen gewaltigen Sprung
nach vorne machen. Natürlich müssen wir uns darüber
im Klaren sein, dass eine Verlagerung von lediglich
10 Prozent der Straßengütertransporte auf die Schiene
ein Wachstum der dort erbrachten Verkehrsleistung von
50 Prozent erfordert. Dem Güterverkehr muss also unsere besondere Aufmerksamkeit gelten. Wir müssen hier
die Schiene verbessern, ohne die Straße zu verteuern.
Denn die internationale Konkurrenz ist da.
Der Gütertransport auf der Schiene muss schneller
und billiger werden. Dies geht nur mit mehr Logistik
und möglicherweise mit mehr Wettbewerb. Die Vernetzung der Verkehrsträger muss stärker vorangetrieben
werden. Unser Ziel muss der Aufbau einer Verkehrsinfrastruktur sein, in der sich die jeweiligen Systeme stärker ergänzen, in der das Gesamtsystem Verkehr
gestärkt wird. Die Mobilitätsbedürfnisse der Zukunft
lassen sich nur mit integrierten Verkehrssystemen befriedigen, die allerdings eine intelligente Infrastruktur
voraussetzen. Gemeinsam wissen wir, dass Infrastrukturkapazitäten nicht beliebig vermehrbar sind. Es gilt,
Verkehre zu vermeiden, Verkehre zu verlagern und
Verkehre verträglicher abzuwickeln.
Aber eines wissen wir: Ohne einen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur wird es nicht gehen. Dazu braucht
man mehr Geld. Wir wollen die Mobilität sichern, den
Standort stärken, eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur schaffen und erhalten und die Sicherheit auf all
unseren Verkehrswegen verbessern. Unterstützen Sie
unseren Antrag!
Vielen herzlichen Dank.
({8})
Ich erteile nun dem
Kollegen Reinhold Hiller, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ganz zum Schluss, lieber
Kollege Oswald, hätte ich fast geklatscht,
({0})
denn Ihre Ausführungen zur Bahnpolitik finden, schätze
ich, die Zustimmung des ganzen Hauses. Das kann man
nicht bestreiten und das sollte man dann auch sagen.
({1})
Allerdings ist Ihr Antrag eher der verzweifelte Versuch, die gescheiterte Verkehrspolitik der alten Regierung aufzuarbeiten.
({2})
Denn vieles von dem, was in dem Antrag steht, hätten
Sie tun können, haben es aber leider versäumt. Das muss
man Ihnen sagen.
({3})
Sie machen den Eindruck, als wenn Sie kurzatmig einer
neuen erfolgreichen Politik der Regierung in Berlin,
aber auch der Landesregierung in Kiel hinterherhecheln.
Bei einigen Bildern, die mir ins Bewusstsein kommen, muss ich die F.D.P. anschauen. Das ist eine Partei,
die seit 1969 an jeder Mineralölsteuererhöhung beteiligt war. Sie haben es geschafft, auf 1,90 DM zu kommen. Ein Jahr später machen Sie diese lächerliche Tankstellenaktion. Ich finde, so leicht kann man sich von der
eigenen Vergangenheit nicht verabschieden.
({4})
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass wir mit einer
schwierigen Erblast zu kämpfen haben. Jahrelang haben
Sie immer neue Ortsumgehungen und Autobahnabschnitte versprochen. Sehr häufig waren die Spatenstiche Ihre einzigen Aktionen hinsichtlich Ihrer Versprechungen. Dabei mussten Sie schon damals wissen, dass
Sie viele Ankündigungen und Versprechungen nicht
würden einhalten können. Sie haben bewusst ungedeckte
Schecks auf die Zukunft ausgestellt und den Bruch von
Wahlversprechungen zumindest billigend in Kauf genommen.
Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass
Ihre Aktionen finanziell nicht abgesichert waren.
({5})
Kollege Börnsen ist ja jetzt hier eingetroffen. Ich will
Ihnen das gerne am Beispiel Schleswig-Holsteins vorrechnen.
Die tatsächlich getätigten Investitionen in SchleswigHolstein sanken zwischen 1994 und 1998 von 239 Millionen DM auf 210 Millionen DM. Das sind die Fakten.
Dass Sie jetzt unruhig werden, kann ich verstehen.
({6})
Die neue Regierung hat dieser Benachteiligung
Schleswig-Holsteins ein Ende gemacht.
({7})
1999 wurden in diesem Bundesland - das gilt für die
anderen Bundesländer teilweise genauso ({8})
247 Millionen DM investiert. Das sind 40 Millionen DM
mehr als bei der alten Bundesregierung.
({9})
Allein für Schleswig-Holstein betrugen die Luftbuchungen der Regierung Kohl für diese Legislaturperiode
193 Millionen DM. 1999 waren nur 32 Prozent des tatsächlichen Bedarfs gedeckt und auch im Jahr 2002 wird
es nur ein Drittel sein. Es scheint also so, dass bei den
Verkehrsinvestitionen die chronische Unterdeckung
durch großherzige Versprechungen und Ankündigungen
ausgeglichen werden soll.
Diese verheerende Ausgangslage haben wir vorgefunden. Deshalb ist es absurd, dass die CDU und die
F.D.P. jetzt in Schleswig-Holstein den Vorwurf erheben,
wir hätten das Land Schleswig-Holstein bei der Verkehrspolitik vernachlässigt. Sie wissen ganz genau - ich
will es hier gerne noch einmal sagen -: Die Ostseeautobahn A 20 im Raum Lübeck ist im Bau. Davon können
Sie sich, wenn Sie das nicht wissen, alle selber überzeugen, indem Sie sich das anschauen. Die technischen
Bauwerke sind in der Landschaft deutlich sichtbar und
der Lückenschluss zwischen Lübeck und der mecklenburgischen Nachbarschaft wird spätestens im Jahr 2002
fertig gestellt werden.
Diese Mittel sind auch im Sofortprogramm niedergelegt. Als regional Beteiligter will ich Ihnen einmal sagen: Ich kenne eigentlich in Westdeutschland keine einzige Autobahn, die so schnell von der Planung bis zur
Fertigstellung gekommen wäre. Das muss man leider so
sagen. Daran haben auch Sie Ihren Anteil, aber das sollte man vor allem den Verkehrspolitikern wirklich anerkennen. Denn die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern brauchen diese Verkehrsverbindung ganz
dringend. Ich glaube, darüber besteht Einigkeit.
({10})
Deshalb appelliere ich an Sie, damit aufzuhören, diese
Dinge ständig infrage zu stellen.
Dann haben Sie - das tun Sie jetzt im Wahlkampf
auch immer - die Frage gestellt, wie es mit dem Weiterbau der A 20 mit der Elbquerung westlich von Hamburg aussieht. Es stimmt, dass dieser Streckenabschnitt
nicht im Sofortprogramm bis zum Jahr 2002 enthalten
ist, was zu vielen Irritationen in Schleswig-Holstein geführt hat. Das liegt aber daran, dass in dieses Programm
nur Vorhaben aufgenommen worden sind, die bereits
baureif und gerichtsfest sind. Ich finde, das ist eine seriöse Politik. Sie können die Urteile zum Bau der A 20
selbst durchlesen und werden erkennen, welche Gefahren im Rahmen dieser Infrastruktur letztlich bestehen,
wenn man dabei bleibt, Ankündigungen zu machen, ohne dass man gerichtsfeste und baureife Planungen hat.
Insofern gibt es auch da keinen Anlass für Kritik an dieser Bundesregierung.
Wir als SPD-Fraktion unterstützen eindeutig die positiven Aussagen von Bundesverkehrsminister Klimmt
zum Weiterbau der A 20. Das können Sie auch im
Wahlkampf nicht zerreden.
({11})
Dies gilt natürlich auch für die Landesregierung. Ich
glaube, auch darüber gibt es, wenn man bei der Sache
bleibt, überhaupt keinen Streit. Deshalb bin ich der Meinung, dass sich diese Dinge gar nicht so sehr für den
Wahlkampf eignen.
Reinhold Hiller ({12})
Trotz leerer Kassen sind darüber hinaus wesentliche
Projekte in Schleswig-Holstein abgesichert worden, die
vorher nicht abgesichert waren. Das betrifft die Ortsumgehung in Neumünster oder auch die Verlegung der
B 207 in Groß Grönau im Zusammenhang mit der A 20.
Ich will die Projekte jetzt nicht im Einzelnen nennen.
Wir werden diesen Weg weitergehen. Zum ersten
Mal ist ein Bundeskanzler in Schleswig-Holstein gewesen, der sich in Übereinstimmung mit der dänischen Regierung für den Bau einer festen Beltquerung ausgesprochen hat. Das sollten Sie auch einmal anerkennen.
({13})
- Ich finde es ganz toll, dass Sie klatschen. Damit sind
Sie jetzt wieder auf der Linie der schleswig-holsteinischen F.D.P. Neulich bei einer Begegnung mit dänischen Kolleginnen und Kollegen hat das bei Ihnen, Herr
Kollege Friedrich, ganz anders geklungen.
({14})
- Dies ist erfreulich. Und wenn Sie dem zustimmen,
dann sollten Sie dies auch so tun und sich nicht so undiplomatisch verhalten, wie es Herr Rühe in SchleswigHolstein tut, indem er sich höhnisch über die Gäste aus
Skandinavien geäußert hat. Ich finde, wenn es positive
Dinge gibt, dann sollte man diese letztlich auch positiv
herausstellen.
({15})
- Sie haben Recht. Deshalb haben Sie auch Ihren Antrag
eingebracht, und deshalb haben wir auch Ihre diesbezüglichen Äußerungen zu den verkehrspolitischen Themen in Schleswig-Holstein vernommen. Daher begrüße
ich, dass ich bei dieser Gelegenheit etwas dazu sagen
kann.
Zur Ostsee-Kooperation ist in dieser Woche auf einer Veranstaltung der schleswig-holsteinischen Landesregierung vom Botschafter der USA ein dickes Lob für
die Landesregierung in Kiel ausgesprochen worden, das
auch geopolitische Bedeutung hat. Ich glaube, dass man
darauf besonders stolz sein kann.
Meine Damen und Herren, auch bei der Schiene hat
man sich seitens der Bundesregierung und seitens der
Landesregierung darauf verständigt, die Planungskosten
für die Elektrifizierung der Strecke Hamburg - Lübeck
zu teilen. Das ist etwas Neues und dafür sollte man der
Bundesregierung Dank sagen.
({16})
Denn Sie haben es in der Vergangenheit lediglich geschafft, über dieses Projekt zu reden.
Sie, Herr Kollege Oswald, haben die Verknüpfungen
angesprochen. Das betrifft insbesondere die Häfen, über
die in diesem Hause viel zu wenig gesprochen wird.
Auch in diesem Falle ist es so, dass sich der Bund an der
Entwicklung von KLV-Terminals in den Häfen nicht
nur in Schleswig-Holstein, sondern überall an der Küste
beteiligt. Auch das muss man hier einmal sagen. Das ist
sehr erfreulich. 28 Millionen DM sind bewilligt worden,
um zum Beispiel in Lübeck ein Terminal für den kombinierten Ladungsverkehr zu bauen und TrailerWechselbehälter und Container schnell und wirtschaftlich umschlagen zu können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Investitionen im Verkehrsbereich - auch da kann ich meinem
Vorredner zustimmen - dienen nicht nur der Infrastruktur, sondern sie schaffen auch Arbeitsplätze. Auf diese
Bundesregierung kann man sich verlassen und deshalb
darf ich meine Ausführungen mit einem Dank an Verkehrsminister Klimmt beenden.
Danke.
({17})
Jetzt hat der Kollege
Horst Friedrich, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!
Lieber Kollege Hiller, das war eine gelungene Wahlkampfrede, allerdings offensichtlich im falschen Parlament. Es wäre besser gewesen, sie in SchleswigHolstein zu halten.
({0})
Das Muster war ein bisschen kleinkariert.
Um wenigstens bei den Fakten zu bleiben: Dass die
Mineralölsteuer 1,90 DM beträgt, kann man in diesem
Haus nicht so stehen lassen.
({1})
Wir haben die Mineralölsteuer von 49 auf 98 Pfennige angehoben. Das ist richtig. Dazu stehen wir auch.
Wir haben im Gegenzug dem Autofahrer damals aber
auch immer das Kilometergeld erhöht, um zumindest in
der Fläche die Möglichkeit des Ausgleichs zu schaffen,
was Sie bis jetzt schuldig geblieben sind.
({2})
Ihr Motto zur Erhöhung der Ökosteuer lautet ja: Rasen für die Rente, damit Entsprechendes in der Kasse
bleibt. Der Autofahrer wird abgezockt, ohne dafür etwas
zu bekommen. Ihre mittelfristige Finanzplanung untermauert dies, denn die Investitionen im Verkehrsbereich
werden abgesenkt.
({3})
Zur A 20, lieber Kollege Hiller, kann ich sagen: Sie
waren immer dafür. Ich freue mich auch, dass Sie akzeptieren, dass man so etwas schnell bauen kann. Ich will
hier nur noch einmal feststellen: Das VerkehrswegeplaReinhold Hiller ({4})
nungsbeschleunigungsgesetz wurde gegen die Stimmen
der SPD durchgesetzt
({5})
und die Investitionsmaßnahmengesetze im Zusammenhang mit der A 20 auch. Offensichtlich hatten wir doch
die besseren Argumente damals.
({6})
Wenn Sie mich schon bei der festen Fehmarnbeltquerung in die Pflicht nehmen wollen: Erstens habe ich
gesagt, wir müssen über das Thema ordentlich nachdenken. Ich glaube nicht, dass es in Deutschland erste Priorität hat. Ich sehe momentan auch noch nicht die abgesicherte Finanzierung für diese Maßnahme.
({7})
Insofern sollte man vielleicht Gästen aus Dänemark
nicht etwas versprechen, was in dieser Form in keiner
einzigen Planung, auch von Ihnen nicht, bisher im Investitionsplan abgesichert ist.
Meine Damen und Herren!
Der Bundesverkehrswegeplan ist fürchterlich unterfinanziert. Er liest sich seit Jahren wie ein Märchenbuch. Wir müssen endlich einen ehrlichen Plan
aufstellen. Es ist fraglich, ob wir genug Geld haben,
um die Infrastruktur auszubauen und auf Dauer zu
unterhalten.
An diese Fragen wird der Verkehrsminister ganz
grundsätzlich drangehen. Das kann zu weitreichenden Konsequenzen führen, etwa zum Privatbetrieb
oder zur privaten Errichtung von Straßen, Schienen
oder Verkehrswegen. Denn eines kann sich die
Bundesrepublik auf keinen Fall leisten: eine ungenügende Infrastruktur.
({8})
Sie werden sich jetzt wundern: Ich habe soeben den
Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, aus einem
Interview zitiert, das er im Juni letzten Jahres dem
„Stern“ gegeben hat.
({9})
In einem hat er Recht: Wir können es uns nicht leisten, eine ungenügende Infrastruktur zu haben.
({10})
Wenn ich allerdings die Messlatte seines Haushaltes und
der Dotierung des Investitionsplanes an dem messe, was
er dem „Stern“ gesagt hat, kann ich nur sagen: Ziel klassisch verfehlt.
({11})
Das Letzte, was wir uns in Deutschland im globalen
Wettbewerb leisten können, ist eine schlechte Infrastruktur, insbesondere aber auch schlechte Straßen, da nur
flexible Transportleistungen der Arbeitsteiligkeit der
Wirtschaft dienen und damit auch die entsprechenden
Beschäftigungseffekte und Arbeitsplatzsicherheit schaffen.
Die tatsächliche Entwicklung des Straßenverkehrs in
Deutschland hat aus mehreren Gründen alle Prognosen
bei der Erstellung des Bundesverkehrswegeplans 1992
bereits weit übertroffen. Wirklich verantwortliche Politik muss sich deswegen auch an den tatsächlichen Verkehrsmengen und -strömen orientieren.
({12})
Alle seriösen Prognosen von ernst zu nehmenden Instituten, angefangen beim Ifo-Institut, weisen darauf hin,
dass der Personenverkehr bis zum Jahr 2010 um weitere
30 Prozent und der Güterverkehr auf deutschen Straßen
um weitere 60 Prozent zunehmen werden. Deswegen
müssen die Investitionen dem Bedarf einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft angepasst werden und dürfen nicht
nach unten gefahren werden.
({13})
Der Schienenverkehr kann bei allen Anstrengungen,
Hilfen und Investitionen keine wesentliche, spürbare
Entlastung bringen. Wenn er in der Lage sein soll, den
prognostizierten Zuwachs aufzunehmen, müsste er sich
gegenüber dem jetzigen Stand fast verdreifachen. Derzeit besteht ein Verhältnis von 60 : 20 zwischen Straße
und Schiene im Güterverkehr, beim Personenverkehr
liegt das Verhältnis klassisch bei 90 : 8.
Das Entscheidende - das hat Herr Mehdorn gestern
im Verkehrsausschuss zugegeben - ist, dass die Bahn
derzeit kein in sich schlüssiges Logistikkonzept anbieten kann. Sie wird es auf Dauer auch nicht anbieten
können, und genau das ist das eigentliche Problem. Es
nützt doch nichts, einen Verkehrsträger zu bestrafen,
ohne dass der andere in Zukunft in der Lage ist, überhaupt Güter in signifikantem Umfang zu übernehmen.
({14})
Darüber hinaus - das ist bereits vom Vorsitzenden
des Verkehrsausschusses gesagt worden - muss man akzeptieren, dass der Großteil der Güter über Entfernungen
von unter 100 Kilometern oder nur knapp darüber transportiert wird. Das ist eine klassische nicht bahnaffine
Entfernung. Der Anteil der Güter, der auf dieser Strecke
transportiert wird, wird zunehmen, weil die Verlagerung
der Transporte von schweren Massengütern wie Kohle
oder Stahl hin zu hochwertigen Kaufmannsgütern, die
zeit- und kostenempfindlich sind, zunimmt. Deswegen
werden auch die Verteilungsströme kleinteiliger. Auf
diese Tendenzen muss man Antworten geben. Das kann
man nicht dadurch tun, dass man die Straßeninfrastruktur in den jetzigen Planungen zusätzlich vernachlässigt.
Angeblich haben Sie doch schon erkannt, wo der Pferdefuß ist.
Horst Friedrich ({15})
({16})
- Sie können uns noch eine Zeit lang vorwerfen, wir hätten unseren Verkehrshaushalt ungenügend dotiert. Ich
gehe jetzt die Aufstellung in der Fragestunde durch, die
der Kollege Ibrügger bezüglich der Frage des Kollegen
Fischer aufgeführt hat. Bei dem Vergleich der Zahlen
stellt sich heraus, dass wir mehr Investitionsmittel zur
Verfügung gestellt haben, als Sie es derzeit tun.
({17})
Dabei haben Sie jetzt bereits zweimal zusätzlich in
die Taschen der Autofahrer gegriffen. Der Kollege
Schmidt behauptet nach wie vor, in den Jahren 1999 und
2000 würde es mehr Investitionsmittel geben. Betrachten wir es wirklich ernsthaft: Die Steigerung in 1999 ist
ausschließlich darauf zurückzuführen, dass es 100 Millionen DM mehr für den Ausbau von Eisenbahnkreuzungen, einer Last, die von den Kommunen auf den
Straßenbauhaushalt übertragen worden ist, gegeben hat.
({18})
- Es ist verschoben worden. Es kommt keine Mark in
den Straßenbau. Es werden Aufgaben in den Straßenbautitel verschoben, die vorher ganz woanders waren.
Wenn das Ihr Rechenexempel ist, dann ist das ein wenig
kurz gehüpft.
({19})
Tatsächlich haben Sie schon 30 Millionen DM weniger
ausgegeben.
({20})
Fakt ist: Sie erhöhen mit Ihren Ökosteuerschritten die
Zahllast für den Autofahrer auf 110 Milliarden DM. Sie
haben eine mittelfristige Finanzplanung vorgelegt, in der
die investiven Ansätze auf 22 Milliarden DM im Jahre
2003 reduziert werden. Das heißt, Sie ignorieren nach
wie vor den mittlerweile dreimal gefassten Beschluss
der Verkehrsminister des Bundes und der Länder, dass
für die Finanzierung der Straßeninfrastruktur 4 Milliarden DM zu wenig zur Verfügung stehen: 1 Milliarde DM für den Erhalt der bestehenden Infrastruktur und
3 Milliarden DM für den Ausbau. Diese Beschlüsse sind
immer einstimmig von allen Verkehrsministern, egal,
welcher parteipolitischen Couleur sie angehört haben,
gefasst worden.
({21})
Das Einzige, was zutrifft, ist Folgendes: Der deutsche
Autofahrer hat einen Trost: Die Luft im Stau wird besser. Prägnanter kann man die Ergebnisse einer ShellStudie nicht zusammenfassen, in der steht, dass die Zahl
der PKW demnächst von 42 Millionen auf 51 Millionen
zunimmt, aber die Schadstoffbelastung geringer ist als
Anfang der 90er-Jahre.
Ich sage es noch einmal: Das ist angesichts der von
Ihnen veranlassten Abzockerei der Autofahrer ein billiger Trost; denn der Stau ist nun einmal nicht wegzudiskutieren. Die Verkehrsentwicklung hat seit 1960 um sage und schreibe 900 Prozent zugenommen, die Entwicklung der Infrastruktur gerade einmal um 50 Prozent.
Deswegen haben wir, die F.D.P., einen Vorschlag in unserem Antrag „Straßenbau statt Autostau“ gemacht, der
schrittweise systemgerechte Verstärkungen der Investitionsmittel vorsieht.
({22})
Wir fordern in einem ersten Schritt eine Aufstockung
des Straßenbautitels des Bundes um 1,3 Milliarden DM.
Um dem Vorwurf der Unseriosität bei diesem Vorschlag
zu entgehen, haben wir natürlich auch gleich die Gegenfinanzierung vorgelegt. Wir fordern Sie hier auf, die
bisher vorliegende zeitbezogene Vignette für den LKW
in eine zweckgebundene Vignette umzuwandeln - das
sind immerhin knapp 800 Millionen DM - und endlich
das Wibera-II-Gutachten für die Zahllast für den Nahverkehr zwischen Bund und Ländern gesetzlich umzusetzen. In diesem Gutachten, das einvernehmlich von
Bund und Ländern akzeptiert worden ist, wird festgestellt, dass der Bund, gemessen am Status-quo-Verkehr
1992, für den Nahverkehr jährlich eigentlich 500 Millionen DM zu viel an die Länder bezahlt.
Um auch dem nächsten Vorwurf gleich entgegenzutreten: Das heißt nicht, dass wir uns aus der Finanzierungsverantwortung des Bundes zurückziehen wollten;
wir bleiben ja bei über 12 Milliarden DM. Es geht darum, das im Gesetz festgelegte Verfahren endlich umzusetzen. Man kann das auch sein lassen. Dann muss man
es aber als Regierung ebenso gesetzlich festlegen und
sagen: Wir möchten den Vollzug dieser 500 Millionen DM nicht. Auch das kann man dem Autofahrer erklären, denn auch diese Abgaben werden aus der Mineralölsteuer finanziert.
({23})
Auch das muss besprochen und festgestellt werden.
Das zweite Element ist die Forderung, dass der Bundesverkehrsminister sein Programm zur Beseitigung
von Engpässen und Stauschwerpunkten nicht erst im
Jahr 2003 auflegt, sondern es auf das Jahr 2001 vorzieht.
({24})
Im langen Weg ist das für uns ein Einstieg zur langfristigen Umstellung der Finanzierung der Straßenverkehrsinfrastruktur auf ein verursachergerechtes und effizientes System in „Public-Private-Partnership“ unter
Einbeziehung ausländischer Nutzer. Auf dem Weg dahin
fordern wir, dass erstens die Möglichkeiten des seit 1994
bestehenden Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes
zielgerichtet erweitert werden sollen, um entsprechende
Erfahrungen zu sammeln, dass zweitens unverzüglich
Horst Friedrich ({25})
mit der Ausschreibung von Modellprojekten begonnen
wird
({26})
und dass drittens im Zusammenhang mit den Modellprojekten und der Gesetzesänderung ein Zeitplan zur Umstellung des Systems der Finanzierung der Straßeninfrastruktur aufzustellen ist.
Das ist, meine Damen und Herren Kollegen, schon
deshalb notwendig, weil das EU-Recht ja verbietet,
gleichzeitig zeitbezogene Vignetten und nutzerabhängige Entgelte auf der gleichen Strecke einzuführen. Das heißt im Endeffekt: Wir werden uns dann überlegen müssen - auch, wenn es Modellprojekte im Detail
sind -, ob das EU-Recht nicht unter Umständen bereits
gegen eine solche gleichzeitige Einführung steht. Deswegen muss das zügig und im Zusammenhang dargestellt werden.
Ziel der ganzen Operation muss es sein, dem Autofahrer in Deutschland zu signalisieren, dass er von der
von ihm finanzierten gigantischen Summe von
110 Milliarden DM wenigstens den Anteil zurückbekommt, der einigermaßen dem bereits seit 1960 bestehenden Gesetz entspricht, wonach Steuern und Abgaben
zweckgebunden dem Straßenverkehr zurückzugeben
sind.
({27})
- Herr Kollege Schmidt, es war 1960 in Deutschland bereits Gesetz, dass so etwas zweckgebunden ist. Sie sagen, es gibt keine zweckgebundene Steuer. Die Mineralölsteuer ist zweckgebunden, zumindest zum Beispiel zur
Finanzierung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes.
Wir sollten uns hier nicht gegenseitig mit Halbwahrheiten überzeugen wollen. Eine Zweckbindung muss
vorgenommen werden, und das ist auch möglich, wenn
der politische Wille dazu vorhanden ist. Dieser Wille ist
bei Ihnen nur nicht vorhanden. Sie nutzen den Autofahrer in Deutschland als billige Melkmaschine,
({28})
was die Finanzierung angeht, um Ihre Versprechen einzulösen, und senken gleichzeitig die Investitionen in die
Infrastruktur aller Verkehrsträger.
({29})
Das ist eigentlich das, was man Ihnen politisch vorwerfen muss.
({30})
Nun erteile ich dem
Kollegen Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten weniger über landwirtschaftliche Geräte sprechen, sondern besser über den
Verkehr. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion und
aus der PDS-Fraktion, mit Ihren Anträgen die Gelegenheit schaffen, im Hohen Haus eine längere Verkehrsdebatte durchführen zu können.
({0})
Ich glaube, es gibt jenseits aller notwendigen und sicher immer wieder deutlich sichtbaren Differenzen auch
eine ganze Menge an Aussagen, die ich bisher gehört
habe, die man unterstreichen kann. Besonders dann,
wenn Kollege Oswald spricht, muss ich mich direkt immer zusammennehmen, damit ich nicht an der falschen
Stelle klatsche.
({1})
Aber im Ernst: Ich glaube, wir können uns darauf
verständigen, dass die zweifellos große und notwendigerweise zu lösende Aufgabe, das dichte Verkehrsnetz Straße und Schiene - in einem vernünftigen Zustand zu
erhalten und es dort, wo es notwendig ist, sogar noch
auszubauen, von Jahr zu Jahr schwieriger geworden ist
und noch schwieriger werden wird, und zwar - das behaupte ich einfach - ganz egal, ob der Finanzminister
rot, grün oder schwarz ist. Wenn wir das konzedieren,
dann müssen wir uns fragen, warum das so ist. Der eine
Grund ist sicherlich der: Je länger und je älter das Verkehrsnetz wird - es wird ja täglich und jährlich älter -,
desto größer wird von Jahr zu Jahr der Aufwand für den
schieren Erhalt und für die Sicherung des Bestands meine Kollegin Eichstädt-Bohlig wird darauf noch im
Detail eingehen - sowie für die Erneuerung von Bauwerken wie Tunneln und Brücken. Das ist keine politische Angelegenheit, sondern einfach ein Fakt.
({2})
- Ich komme darauf noch zu sprechen, Herr Kollege.
Bitte haben Sie einen Moment Geduld, bis ich meinen
Gedankengang zu Ende entwickelt habe.
Der zweite Grund, warum es von Jahr zu Jahr schwieriger wird, dieser Aufgabe ausreichend nachzukommen
- auch darauf werden wir uns verständigen können -,
ist, dass wir gezwungen sind, generell den Haushalt zu
konsolidieren, und dass wir uns nicht damit abfinden
dürfen und wollen, durch eine immer größer werdende
Neuverschuldung den Schuldenrucksack für künftige
Generationen dauernd schwerer werden zu lassen. Auch
Horst Friedrich ({3})
der Ausweg in immer mehr Schulden scheidet also aus,
jedenfalls für uns. Für uns gilt der Grundsatz der Nachhaltigkeit nicht nur in der Umweltpolitik, sondern auch
in der Finanzpolitik.
({4})
Auch ein anderer Ausweg verbietet sich: Die private
Vorfinanzierung verursacht dem Finanzminister zwar
zunächst keine Kosten. Aber die Jahresraten verteuern
das fertig gestellte Verkehrsprojekt, wenn es zurückgekauft wird. Das gilt nicht nur für Autobahnprojekte,
sondern auch für Schienenprojekte. Sie alle kennen als
Musterbeispiel die ICE-Neubaustrecke über Ingolstadt.
Dieses Projekt wird durch die Rückzahlung von
622 Millionen DM pro Jahr über 15 Jahre zum Schluss
9,6 Milliarden DM kosten. Die geplante Bausumme liegt
eigentlich nur bei 3,8 Milliarden DM. Ein solcher Ausweg scheidet für uns auch aus.
Wir müssen nüchtern feststellen, dass ein ungebremster und immer weiterer Ausbau der Verkehrsinfrastruktur - das ist unabhängig von der parteipolitischen Couleur - nicht nur an ökologische Grenzen, sondern auch
ökonomische Grenzen stößt. Wer dies heute noch verschleiern will, der gesteht sich eine Tatsache nicht ein.
({5})
Gerade weil es so schwierig ist, der von mir beschriebenen Aufgabe nachzukommen, ist es eine ungeheure
Leistung dieser Bundesregierung, im Rahmen des Investitionsprogramms 1998 bis 2002 mit einem Gesamtvolumen in Höhe von 67 Milliarden DM Investitionen in
die Verkehrsinfrastruktur zu sichern und gleichzeitig
ganz bewusst und sehr gezielt mindestens die Hälfte dieses Kapitals in den Bestand der Netze zu investieren.
Das ist ein Paradigmenwechsel, mit dem die Realitäten
anerkannt werden. Das sollte man nicht kritisieren, sondern anerkennen.
({6})
Sie haben darüber geklagt - dafür habe ich Verständnis -, dass auch das Verkehrsministerium prinzipiell
nicht von den allgemeinen Konsolidierungszwängen
ausgenommen worden sei. Aber Sie müssen auch ganz
nüchtern konzedieren, dass in den vier Jahren der letzten
Legislaturperiode zum Beispiel der Investivansatz für
den Straßenbau von 8,7 Milliarden DM auf 8,1 Milliarden DM reduziert worden ist, obwohl die Mineralölsteuer erhöht worden ist und obwohl die Schulden jedes Jahr
mehr geworden sind. Das ist der Unterschied zu dieser
Bundesregierung: Wir verringern die Staatsverschuldung; wir betreiben keine bedenkenlose Steuererhöhungspolitik. Trotzdem sorgen wir für Investitionen in
den Ausbau und Erhalt des Straßen- und Schienennetzes.
({7})
Mit begleitenden Maßnahmen zum Investitionsprogramm - auch das möchte ich bei dieser Gelegenheit in
Erinnerung rufen - hat sich das Bundeskabinett am
3. November 1999 befasst. Die dort versammelte Runde
der Ministerinnen und Minister hat damals zusätzlich
zum Investitionsprogramm Folgendes beschlossen.
Wir halten noch einmal fest - ({8})
Meine Damen und
Herren, überwiegend hat der Kollege Schmidt das Wort.
Aber ich finde es ganz interessant, wenn
Frau Rönsch mit Herrn Schlauch streitet.
Ich rufe noch einmal in Erinnerung, dass das Kabinett
am 3. November letzten Jahres, zusammen mit diesem
Investitionsprogramm, Folgendes beraten und beschlossen hat: Es wurde erstens festgelegt, dass gemäß der
Vereinbarung im Koalitionsvertrag der Investitionsanteil
Schiene am gesamten Investivvolumen auch künftig
kontinuierlich gesteigert werden solle, dass zweitens bei
den globalen Minderausgaben der Bereich der Bahn wegen der allgemein anerkannten Nachholinvestitionen
möglichst verschont bleiben solle und dass drittens nicht
verausgabte Mittel für andere Projekte schwerpunktmäßig auch der Ertüchtigung der Schiene zugute kommen
sollten.
Darüber hinaus wurde die Realisierung einer Reihe
von Projekten bekräftigt und festgeschrieben. Diese Projekte sind nicht Teil des Investitionsprogramms.
Gleichwohl soll in dem Programmzeitraum in der Größenordnung von 5,4 Milliarden DM zusätzlich in das
Schienennetz investiert werden. Das muss ehrlicherweise zum Schienenanteil addiert werden, um zu einer
richtigen Bilanz zu kommen.
Dies alles zusammen ist für uns als Koalitionspartner
eine sehr akzeptable Grundlage, obwohl ich nicht verhehle - das sage ich genauso offen -, dass uns bei einzelnen Autobahnprojekten - ich nenne eines, das uns besonders wehtut, nämlich die A 71/A 73, die Autobahn
durch den Thüringer Wald - eine abgespeckte Planung,
ein verkehrs- und bedarfsgerechter Ausbau von Bundesstraßen, inklusive Ortsumfahrungen und Überholspuren am Berg, ökologisch verträglicher und ökonomisch
verkraftbarer als eine Neutrassierung durch den Wald
erscheint.
({0})
Aber so ist es in einer Koalition. Ich muss Ihnen von der
F.D.P. doch nicht erzählen, dass man sich nicht immer
durchsetzt.
({1})
- Man kann auch Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“
modifizieren. Das nicht zu tun, sollte kein Dogma sein.
Albert Schmidt ({2})
Ich möchte auf die Frage der Finanzierung von Infrastruktur im Zusammenhang mit der Kommission, die
vor kurzem ihre Arbeit aufgenommen hat - die so genannte Pällmann-Kommission - zurückkommen. Diese
Kommission soll im Auftrag des Bundesverkehrsministers nach Wegen der Verkehrsfinanzierung für die Zukunft suchen.
Wir müssen uns alle - das sage ich, damit wir uns
richtig verstehen, auch an die Adresse der eigenen Fraktion und der eigenen Partei - auf neue Debatten einstellen. Wir werden uns einer Diskussion über eine echte
Privatfinanzierung im Sinne von Road-Pricing, sozusagen im Sinne einer streckenbezogenen Maut für besonders teure Infrastrukturabschnitte, nicht verschließen
können. Wir werden allen Ernstes darüber sprechen
müssen, ob und unter welchen Bedingungen so etwas
sogar verursachergerecht und sinnvoll sein kann.
Wir werden außerdem miteinander die Frage zu erörtern haben, was eigentlich aus den Einnahmen der streckenbezogenen LKW-Benutzungsgebühr, die wir, soweit ich sehe, alle gemeinsam wollen, wird. Unsere
Fraktion unterstützt die Position des Verkehrsministers,
der die Auffassung vertritt, dass es am besten wäre, dieses Geld in die Verkehrswegeinfrastruktur zu reinvestieren. Man kann sich darüber unterhalten, in welchem
Umfang und für welchen Verkehrsträger dies geschehen
soll. Das wird sicherlich eine spannende Debatte sein.
Aber für uns Verkehrspolitiker muss gelten, dass wir
gemeinsam für Beiträge zur Verkehrswegeinfrastruktur
eintreten.
Wir werden aber auch eine viel härtere Debatte über
die Setzung von Prioritäten erleben, gerade in der Diskussion über den neuen Verkehrswegeplan. Wir sollten
uns auch mit Konzepten zu einem reduzierten Ausbau
anfreunden. Ein starres Festhalten an Maximallösungen
beim Straßenbau schafft kein Geld; vielmehr schafft es
möglicherweise nur endlose und haltlose Versprechungen und Verzögerungen. Das kennen wir aus der Vergangenheit zur Genüge. Man sollte auch bei Straßenbauprojekten, überall wo es möglich ist, Ausbaustandards reduzieren, um kostengünstiger zu realisieren.
({3})
- Nicht auf Kosten der Sicherheit, Frau Kollegin. Sie
wissen sehr gut, dass der damalige Verkehrsminister
Wissmann das Wort von der Streckung und der Straffung von Projekten im Munde geführt hat.
Obwohl ich es eigentlich gar nicht vorhatte, will ich
zur aktuellen Situation der Bahn Stellung nehmen,
nachdem auch meine Vorredner dies getan haben. Die
Bahn ist auf eine zuverlässige Investitionsplanung sehr
stark angewiesen. Ich möchte nur Folgendes sagen: Wir
unterstützen ausdrücklich den Ansatz des neuen
Bahnchefs Hartmut Mehdorn, der gesagt hat: Wir müssen in einem Zweiklang dazu beitragen, dass aus dem
Sanierungsfall ein Erfolgsmodell wird, nämlich Kostensenkung einerseits - besser und effizienter werden in der
Erbringung und Anbietung von Leistung -, andererseits
zugleich Umsatzsteigerung durch höhere Attraktivität,
durch besseres Marketing und qualitative Verbesserungen.
Zugleich müssen wir aber dafür sorgen - das füge ich
als Drittes hinzu; das geht an unsere eigene Adresse -,
dass unsere verkehrspolitischen Hausaufgaben gemacht
werden, dass für die Bahn als Verkehrsträger Chancengleichheit auf dem Verkehrsmarkt besteht. Da ist
noch einiges zu tun. Das wird nur schrittweise gehen.
Ich bin, wie der Kollege Oswald weiß, Realpolitiker. Ich
glaube nicht, dass das von heute auf morgen geht. Aber
wir müssen problematisieren, warum der Luftverkehr bis
heute - ich halte das für einen Skandal - von jeglicher
Mineralölsteuer befreit ist, während die Bahn die Mineralölsteuer treudoof bezahlen muss. Das ist nicht in Ordnung.
({4})
Das muss europäisch angegangen werden; das werden
wir tun. Ob das eine Steuer oder eine Abgabe ist, ist dabei sekundär.
Wir müssen die Frage der Mehrwertsteuer problematisieren. Ich bin dankbar dafür, dass das - wie ich mit
Interesse festgestellt habe - neuerdings sogar die
CDU/CSU tut. Wir sind das einzige Land Europas, das
der Bahn im Fernverkehr auferlegt, den vollen Mehrwertsteuersatz zu entrichten. In allen anderen Ländern
gilt der halbe oder ein noch niedrigerer Steuersatz.
Des Weiteren müssen wir die Frage der Wegekosten,
Trassenpreise problematisieren. Ich bin nach wie vor der
Auffassung, dass die Trassenpreise gerade im Güterverkehr auf der Schiene zu hoch sind - sie liegen um das
Doppelte höher als im Rest Europas -, während die Kosten auf der Straße zu niedrig sind. Wir wollen die Bahn
nicht bevorzugen oder den LKW-Verkehr bestrafen, wie
Sie, Kollege Friedrich, ein bisschen unterstellen, sondern wir wollen Waffengleichheit herstellen.
({5})
Die Schwerverkehrsabgabe muss eine reale Bezugsgröße zu den verursachten Schäden sein, und zwar als
Wegekostendeckung im engeren Sinne. Wenn ein
40-Tonner mit einer einzigen Achse das 160 000fache
dessen an Schäden verursacht wie ein PKW, weil die
Beanspruchung der Straße exponential mit der Achslast
steigt, dann wird klar, dass da ganz anders herangegangen werden muss. Wir brauchen eine völlig andere Art
und Höhe der Wegekostenbelastung.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Ökosteuer. Ich habe viel Verständnis dafür, dass man im
Wahlkampf besonders gegen die Ökosteuer zu Felde
zieht und sagt, dass eine Steuer erhöht wird usw. Das ist
alles in Ordnung. Aber was mich an dieser Diskussion
fast erbittert - das möchte ich deutlich sagen -, ist, dass
Leute von Ihnen, die ich eigentlich sehr schätze, vor Jahren etwas ganz anderes gewusst und gesagt haben als
heute. Ich nenne die damalige Umweltministerin Angela
Merkel, die - ich habe es selbst erlebt - in Kioto buchAlbert Schmidt ({6})
stäblich Tag und Nacht mit den Umweltministern der
anderen Länder über das Kioto-Protokoll verhandelt hat,
in dem die Eco Taxes ausdrücklich drinstehen. Kollegin
Angela Merkel, die damals die maßvolle Ökosteuer befürwortet hat, entblödet sich heute nicht, auf das Niveau
von Hintze herabzusinken und wider besseren Wissens
gegen eine Mineralölsteuererhöhung von 6 Pfennig einen Scheinfeldzug zu beginnen. Das finde ich unglaubwürdig bis sonst wohin.
({7})
Ein allerletzter Satz, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich freue mich, dass die PDS uns Gelegenheit gibt, noch
einmal über Tempo 130 zu diskutieren, zumal die SPD
diese Forderung auf dem letzten Parteitag in Berlin,
wenn ich richtig informiert bin, auch beschlossen und
mindestens als Material an die Bundestagsfraktion überwiesen hat. Auf diese Diskussion freue ich mich sehr.
Das ist eine Forderung, die mir sehr sympathisch ist.
({8})
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Winfried Wolf, PDS-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in jeder Verkehrsdebatte drei zentrale Irrtümer. Der erste Irrtum betrifft das Verständnis von Mobilität, der zweite
die Gleichsetzung von Verkehrswachstum mit einem
Mehr an Auto- und Luftverkehr. Der dritte ist das Totschlagargument mit den Arbeitsplätzen.
Zum Ersten. Vor acht Tagen saßen ein Dutzend Verkehrsmenschen in der Redaktion der „Reformwerkstatt“
der Zeitung „Die Zeit“ in Hamburg. Das Thema hieß
Mobilität. Das erste, was wir dort diskutierten, war die
Definition von Mobilität. Es gab natürlich unterschiedliche Auffassungen, zum Beispiel zwischen dem DaimlerChrysler-Vertreter, einer Testpilotin, einem Jugendforscher, einem Werbefachmann und den Verkehrswissenschaftlern. Mehrheitlich wurde jedoch akzeptiert, dass
die rein quantitative Definition von Mobilität problematisch sei. Professor Holzapfel und ich sprachen sich in
der Runde darüber hinaus für eine strikt qualitative Bestimmung von Mobilität aus.
Ganz anders verhält es sich bei den hier zur Debatte
stehenden Anträgen von CDU/CSU und F.D.P. Darin
wird Verkehrswachstum weitgehend mit Mobilitätsgewinn gleichgesetzt. Warum, so frage ich Sie von der
F.D.P. und der CDU/CSU, beginnen Sie nicht mit einem
Zugriff auf Ihre geistige Festplatte, Datei „Großes Latinum“?
Kommt das Wort „Mobilität“ nicht von „mobilis“, was
so viel wie „beweglich“ bedeutet? Nicht anders ist das
beim Verb „movere“, das mit „bewegen“ übersetzt wird,
und beim Substantiv „mobilitas“, das „Beweglichkeit“
und „Biegsamkeit“ heißt.
({0})
- Ich bedanke mich bei der Fraktion des großen Latinums. - Übertragen heißt das also, sich ausreichend um
den eigenen Lebensmittelpunkt biegen bzw. bewegen zu
können.
({1})
Es geht bei Mobilität nicht darum, ob wir pro Jahr
möglichst viele Kilometer zurücklegen oder ob ein Joghurtbecher möglichst viele Kilometer weit transportiert
wurde. Es geht um Lebensqualität und Produktgüte.
({2})
Es geht darum, ob der Mensch über eine ausreichende
Beweglichkeit verfügt, um die lebensnotwendigen und
die Lebensfreude bringenden Dinge mit akzeptablem
Zeitaufwand zu erledigen: Gelangt er in passabler Zeit
zum Arbeits- oder Ausbildungsplatz? Gibt es Freizeitmöglichkeiten, Kulturangebote und Kindergärten in passabler Entfernung? Sind die Wege zum Einkaufen, zu
Verwaltungen oder zum Psychologen ausreichend kurz?
Es gibt heute in Westeuropa Menschen, die pro Jahr
5 000 Kilometer zurücklegen und sich als zufriedenstellend mobil bezeichnen.
({3})
Es gibt andere Menschen, die pro Jahr 15 000 Kilometer
zurücklegen, aber erklären, ihre Mobilität, Herr
Friedrich, sei stark eingeschränkt.
({4})
Das Rätsel löst sich dadurch auf, dass im zweiten Fall
jeweils die Länge der Wege einem Vielfachen der Wegelängen des ersten Mobilitätstyps entspricht.
In unserem heute ebenfalls zur Debatte stehenden
Antrag zum Bundesverkehrswegeplan schreiben wir ich zitiere -:
Wasserleitungen im Haushalt sind bekanntlich
nicht dafür gedacht, möglichst große Mengen an
Wasser durchzuleiten, sondern dazu, eine weitgehend konstante Menge von Wasch-, Spül- und
Kochvorgängen zu ermöglichen. So gesehen sollten
auch Verkehrswege nicht dazu da sein, größtmögliche Verkehrsmengen zu bewältigen, sondern als
Leitungssystem für die Gewährleistung von Mobilität, die sich kaum verändert hat. Seit mehr als
hundert Jahren
- so weiter der Text -
ist ... nicht nur die von den Menschen im Verkehr
verbrachte Zeit annähernd gleich geblieben. Auch
die Zahl der Zielbewegungen pro Person und Jahr
liegt praktisch unverändert bei dem runden Wert
von etwa tausend ...
Albert Schmidt ({5})
({6})
Auf dieser Grundlage fordern wir eine Strukturpolitik, die kurze Wege begünstigt. Vor diesem Hintergrund
klagen wir die längst ausstehende Neudefinition der für
die Bewertung eines Bundesverkehrswegeplans erforderlichen Kriterien ein und wir bedauern, dass sich die
Regierung von SPD und Grünen dafür eine volle Legislaturperiode Zeit lassen will. Wir meinen, dass es hier
einer Verkehrswende bedarf.
Der zweite Irrtum betrifft die Art des Verkehrswachstums. Für CDU/CSU und F.D.P. geht es in ihren
Anträgen primär um das Wachstum des Straßen- und
Luftverkehrs, wobei es schon grotesk ist, wenn angesichts der Tatsache, dass die CDU/CSU 16 Jahre die
Verkehrsminister stellte, 16 Monate nach Bildung einer
neuen Regierung die Autofahrernation im Jammertal
und dort im Stau stehend sieht und die F.D.P. von einem
„Dauerstau mit passabler Luftqualität“ spricht.
({7})
Die CDU/CSU-Fraktion fordert, dass die Schiene einen größeren Anteil am Verkehrszuwachs einnimmt,
wohlgemerkt: am Zuwachs und nicht am Verkehrsmarkt. Diese Sicht entspricht leider der Verkehrsrealität.
Der heute mit debattierte Straßenbaubericht dokumentiert erneut die Anteilsverluste der Schiene und die Gewinne von Luftfahrt und Straße. In den Jahren von 1982
bis 1998 hat sich auf dem Verkehrsmarkt der Anteil der
Schiene im Personenverkehr bei 7 Prozent - dem niedrigsten Wert bisher - stabilisiert. Im öffentlichen Nahverkehr hat sich der Anteil der Schiene um ein Drittel,
und zwar auf 8,1 Prozent, und im Güterverkehr um
40 Prozent auf jetzt 15,7 Prozent reduziert.
Gestern bekamen wir, wie Kollege Oswald es schon
ausgeführt hat, im Verkehrs- und Bauausschuss einen
Einblick darin, wie es um die Deutsche Bahn AG wirklich steht. Der neue Vorstandsvorsitzende der Bahn,
Mehdorn, bilanzierte knallhart, dass die Bahn erneut mit
20 Milliarden DM verschuldet sei, dass sie ihr Kapital
weitgehend aufgezehrt habe, dass sie im operativen Geschäft längst rote Zahlen schreibe und dass sie erneut ein
Sanierungsfall sei. Was Mehdorn dann an weit reichenden Vorschlägen zur erneuten „Sanierung“ der Bahn
vortrug, findet nicht unsere Zustimmung.
So viel ist jedoch festzuhalten: Als wir im Jahre 1993
als einzige Bundestagspartei die Bahnprivatisierung abgelehnt haben, sprachen wir exakt von einer solchen
Perspektive, und zwar von noch mehr Marktverlusten,
neuen Schulden und davon, dass bis Ende der 90er-Jahre
ein neuer Sanierungsfall Bahn entstehe. Das ist kein
Grund zu Schadenfreude und Rechthaberei; aber so war
es und so ist es.
Zu unseren Forderungen, wie eine wirkliche Verkehrswende erreicht und wie Mobilität in diesem qualitativen Sinne gesichert werden kann, gehört - Kollege
Schmidt hat darauf hingewiesen - nicht zuletzt auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Diese haben nicht
nur die Grünen immer vehement eingefordert. Dazu sagte vielmehr im Jahre 1992 ein bereits damals prominenter Politiker:
Das Tempolimit ist ein Gebot der Vernunft. Nun
wird es hoffentlich auch der verkehrspolitischen
Betonriege in der Bundesregierung klar sein: Die
Zeit der unbegrenzten Raserei auf Deutschlands
Autobahnen ist vorbei. Wir brauchen eine Rückkehr zum menschlichen Maß.
Das war Gerhard Schröder. Ziemlich exakt so lautet unser heute ebenfalls debattierter Antrag:
({8})
zurück zum menschlichen Maß, Maximalgeschwindigkeit 130 als Angleichung an Rest-Europa.
({9})
Der dritte Irrtum: Die Anträge von CDU/CSU und
F.D.P. setzen Verkehrswachstum mit Wohlstand und
Arbeitsplätzen gleich. Das ist volkswirtschaftlich einfach Unsinn. Dazu nur zwei Hinweise: In der Schweiz
legt ein Durchschnittsbürger ein Drittel weniger Kilometer pro Jahr mit dem Pkw zurück.
({10})
Die Schiene hält einen doppelt so hohen Anteil am Personen- und Güterverkehr. Doch es gibt halb so viele Arbeitslose und mehr Wohlstand als hierzulande. Die
Gründe für Letzteres sind natürlich höchst unterschiedliche. Doch Sie von SPD und Grünen stimmen mir wohl
zu: Der Schluss, den die Anträge von CDU/CSU und
F.D.P. nahe legen - hätten die Schweizerinnen und
Schweizer mehr Straßen und mehr Autoverkehr, wären
sie mobiler und wohlhabender und hätten sie sogar noch
weniger Arbeitslose -, ist nicht logisch, sondern ein
Trugschluss.
({11})
Zweiter Hinweis: Bei den Arbeitsplätzen sind immer
nur sehr spezielle im Blick. Wir fragen: Was ist mit den
250 000 Jobs, die seit 1990 bei der Bahn abgebaut wurden? Was ist mit den 70 000 Jobs, die Herr Mehdorn
künftig bei der Bahn abbauen will? Was ist mit den
100 000 Jobs, die bei den öffentlichen Verkehren in den
Städten unter anderem auf Grund der EU-Liberalisierung zur Disposition stehen? Was ist mit der deutschen Bahnindustrie, mit Adtranz, Bombardier und Siemens, wo jährlich 1 000 Jobs wegfallen?
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der eingangs zitierten „Reformwerkstatt“ der „Zeit“ hat die Runde am
Ende der sechsstündigen Debatte den Verkehr der Zukunft erörtert. Einiges klang dabei futuristisch; an vielem hätten die Technikfetischisten, die es in allen Parteien gibt, also die Leute, die auf S und M - schneller und
mehr - stehen, ihre helle Freude gehabt. Ich bin da erDr. Winfried Wolf
heblich bodenständiger. Ich sagte in Hamburg und ich
sage hier heute: Es gibt bereits den Verkehr der Zukunft; wir müssen nur die Mosaiksteine zum Puzzle
Verkehr in der Stadt und Verkehr im Land zusammensetzen, und zwar eins zu eins und nicht als kleines Modell.
Nehmen wir die vorbildliche Struktur des Fußgängerund Fahrradverkehrs, wie sie in Münster existiert. Kombinieren wir dies mit dem hervorragenden öffentlichen
Nahverkehr der Stadt Zürich mit der Tram als Rückgrat
und dem schönen Slogan „Wo wir fahren, lebt Zürich!“
Fügen wir die Erschließung der Region hinzu, wie sie in
Karlsruhe mit der Straßenbahn existiert, die sogar weit
in den Schwarzwald hinein fährt. Denken wir uns zusätzlich einen Schienenverkehr, wie er in der Schweiz,
aber ansatzweise auch - dank Herrn Brüderle - in
Rheinland-Pfalz mit einer engen Vernetzung und Vertaktung von Nah-, Regional- und Fernverkehr existiert.
({13})
Dann, wenn diese real existierenden Verkehrswelten zusammengefügt werden, können wir noch darüber diskutieren, ob wir ein bisschen Elektronik, ein paar Fahrpläne im Internet und ein bisschen Telematik in der Tram
hineinmischen.
({14})
Eine solche Verkehrsrealität anzusteuern, wäre ein
herausragendes Ziel für eine SPD-Grünen-Regierung.
Das brächte Arbeitsplätze, Umweltschutz und ein Stimmenplus. Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass im
Jahre 1994 70 Prozent der Bevölkerung für ein Tempolimit eingetreten sind. Doch es sieht nicht nach einer
solchen Politik aus.
Werte Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss erinnere ich an die Behauptung, der Enkel von Willy Brandt
habe etwas gründlich missverstanden: Während Willy
Brandt von „Mehr Demokratie wagen“ gesprochen habe,
wolle Gerhard Schröder nur „mehr Volks-Wagen“. Wir
sollten mehr Demokratie wagen und den anderen Verkehr, eine Verkehrswende, wagen.
Danke schön.
({15})
Ich erteile dem Minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Herrn
Reinhard Klimmt, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Bei der wichtigsten Aufgabe, die
wir wohl alle bei unserer politischen Arbeit sehen, nämlich für mehr Beschäftigung zu sorgen und die Arbeitslosigkeit bei uns im Lande in den Griff zu bekommen,
spielt selbstverständlich die Infrastrukturpolitik eine
wichtige und wesentliche Rolle. Sie spielt einmal eine
wichtige und wesentliche Rolle, da sie direkt zu Beschäftigung führt. Es ist schon von Herrn Oswald gesagt
worden, dass jede Milliarde, die wir in die Infrastruktur
investieren, unmittelbar zu zwischen 10 000 und 12 000
Arbeitsplätzen führt. Das ist eine nennenswerte Zahl;
hier wirken die Investitionen bereits von sich aus.
({0})
Der zweite Grund, warum wir den Verkehr und seine
Weiterentwicklung brauchen, ist der, dass es sehr wohl
einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und dem Verkehr von Gütern und Personen
gibt. Sicherlich gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, sich mithilfe der neuen Techniken Verkehr zu ersparen. Aber stellen wir uns einmal vor, wir würden nur
noch in Form von Videokonferenzen die Sitzungen des
Deutschen Bundestages abhalten! Was würde sich daraus wohl für ein Klima entwickeln?
({1})
Es ist daher gut, dass wir aus allen Teilen des Landes
hier zusammenkommen, um über die wichtigen Angelegenheiten unseres Landes zu reden. Wir brauchen die
Mobilität.
({2})
Wer in der Nähe wohnt, kommt zu Fuß oder mit dem
Fahrrad. Andere müssen sich der Bahn, des Automobils
oder auch des Flugzeuges bedienen.
Es handelt sich um eine Selbstverständlichkeit, unser
gesellschaftliches und politisches Leben weiterzuentwickeln. Das gilt auch für den Güterverkehr. Natürlich
kann ich einen Kühlschrank über das Internet bestellen.
Aber er muss immer noch geliefert werden, weil wir die
Technik des Beamens noch nicht beherrschen. Daher
wird es die entsprechende Mobilität weiterhin geben
müssen.
Dabei kommt es darauf an, dass wir die Mobilität sinnvoll einsetzen - diese Forderung ist absolut richtig -, und darauf, dass wir die verschiedenen Verkehrsträger ihren Möglichkeiten entsprechend nutzen. Wenn
wir darüber nachdenken, in welcher Weise wir bei uns
die Verkehrsinfrastruktur ausbauen wollen, müssen wir
auch dafür Sorge tragen, dass dabei insgesamt nicht nur
volkswirtschaftliche Überlegungen eine Rolle spielen die Bequemlichkeit werden wir den Menschen nicht austreiben können -, sondern dass auch die Frage der Ökologie berücksichtigt wird. Es ist wichtig, die Wasserstraßen auszubauen und die Schiene weiterzuentwickeln.
Wir haben nämlich nicht nur das Automobil als Transportmittel.
({3})
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage der Kollegin Rönsch?
Ja.
Herr
Minister, Sie befinden sich mit Ihren Kollegen in der
Kontinuität der Schaffung von Arbeitsplätzen. Wie beurteilen Sie aber, dass der Wirtschaftsminister die Referenzstrecke für den Transrapid einfach ins Ausland verlegen will?
({0})
Das Thema Transrapid hat
uns bereits beschäftigt. Wir waren uns hier alle darüber
einig, dass ein Bau im Inland in den nächsten 10 bis 20
Jahren nur eine Ergänzungsfunktion von geringem verkehrspolitischen Wert haben kann. In 50 Jahren mag es
vielleicht anders aussehen. In der näheren Zukunft wird
das aber der Fall sein, weil wir alle gemeinsam auf das
Rad-Schiene-System gesetzt haben.
Es geht jedoch darum, einen Exportmarkt für unsere
technologische Entwicklung zu schaffen. Dafür braucht
man Referenzstrecken. Warum soll es nicht möglich
sein, dass vonseiten des Bundeswirtschaftministers für
den Fall, dass bei uns die Strecke nicht zustande käme ich gehe nicht davon aus; wir führen noch entsprechende
Gespräche -, daran gedacht wird, eine Verbindung über
die Grenzen beispielsweise nach Holland zu bauen?
Momentan befinden wir uns aber in einer anderen Phase
der Diskussion. Ich werbe dafür, dass wir gemeinsam in
einem Spitzengespräch der Beteiligten zu einer Lösung
kommen, sodass die Strecke Hamburg - Berlin verwirklicht werden kann.
({0})
Falls das nicht gelingen sollte - auch das habe ich gesagt -, wollen wir eine andere Strecke im Inneren unseres Landes suchen, um auf diese Weise ein Exemplum
zu liefern, mit dem wir nach außen deutlich zeigen können, zu welchen Leistungen die deutschen Ingenieure
fähig sind.
({1})
Frau Rönsch möchte
noch eine Frage stellen.
Ja.
Bitte sehr.
War
Ihre Antwort als Ja zum Transrapid in Deutschland zu
verstehen?
({0})
Ja, natürlich.
({0})
Wären Sie auch bereit, wie es der Wirtschaftsminister gesagt hat, 6,1 Milliarden DM ins Ausland zu geben, damit
dort die Referenzstrecke gebaut wird?
({0})
Das hat er nicht gesagt. In
diesem Fall wäre ich mit ihm nicht einverstanden gewesen.
({0})
- Nein, das hat er nicht gesagt. Wir reden ja miteinander. Insofern kann ich das ganz authentisch wiedergeben, was wir zu diesem Thema verabredet haben.
Es ging um den Fall, dass es andere Interessenten gibt
und diese dann eventuell noch einen kleinen Anreiz
brauchen, um die entsprechende Investition zu tätigen.
Aber von 6,1 Milliarden DM war keine Rede. Ich glaube, wir streiten uns jetzt auf einem falschen Feld. Wir
sind uns doch darüber im Klaren, dass wir die Technologie und Innovationen fördern wollen und dass wir
Technologie exportieren wollen. Es geht daher darum,
einen vertretbaren, hier untereinander abgestimmten
Weg zur Durchsetzung dieses gemeinsamen Ziels zu
finden.
({1})
In diesem Stadium befinden wir uns noch. Wir werden
aber die Probleme entsprechend lösen.
({2})
Integrierte Verkehrspolitik - alle Systeme sinnvoll
einsetzen und miteinander kombinieren -, das ist das
Ziel.
Herr Minister, die
Kollegin Blank möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Ja, ich lasse sie zu, aber ich
möchte auch irgendwann zum Schluss kommen; ich habe ja kaum mit dem Eigentlichen angefangen.
Ich darf Sie beruhigen: Diese Ausführungen werden nicht auf Ihre Redezeit
angerechnet.
Dann sage ich jetzt gleich:
Das ist vorerst die letzte Zwischenfrage, die ich zulasse
- damit niemand das persönlich nehmen muss.
({0})
- Deswegen fällt es mir ja leicht zuzustimmen.
Was heißt „nur Damen“, Herr Kollege? - Frau Kollegin, Sie haben das
Wort.
Herr Minister, ich
komme auf das Thema Transrapid zurück. Wie bewerten
Sie denn die Aussage des Bahnchefs Mehdorn gestern
im Ausschuss, dass sich die Strecke Hamburg - Berlin
absolut nicht rechne und er im Grunde genommen dagegen sei?
Das ist ja nun keine unbedingte Neuigkeit. Wir werden im Spitzengespräch mit
den Beteiligten, um die es geht, diese Frage erörtern. Da
ist die Bahn nun einmal dabei. Denn erstens kann die
Bundesregierung das System nicht betreiben - das ist
nicht unsere Aufgabe - und zweitens ist das Industriekonsortium nicht bereit, von sich aus das System zu betreiben. Deshalb geht es darum, jemanden zu haben, der
bereit ist, dies zu tun. Das kann nur die Bahn sein; denn
eventuell noch jemand anderen damit beauftragen zu
wollen, hielte ich für einen schweren strategischen Fehler.
Insofern müssen wir uns jetzt zusammensetzen und
werden im Gespräch zwischen Konsortium, Bahn und
Bundesregierung feststellen, ob die Strecke Hamburg Berlin für den Transrapid geeignet ist. Falls die Aussage
ist, dass dies nicht der Fall ist, werden wir gemeinsam
nach einer Alternativstrecke - das ist meine Absicht und
mein Ziel - im Inland suchen.
({0})
Ich freue mich übrigens bei den Anträgen über die
grundsätzliche Unterstützung, die geleistet wird. Ich
nehme das gerne zur Kenntnis, möchte aber auch nicht
verhehlen, dass vielleicht doch die eine oder andere
Krokodilsträne dabei ist. Ein Vorschlag ist, für die Mineralölsteuer jetzt eine Zweckbindung einzuführen.
Wem würde es, ganz gleich, welchen Etat man zu verantworten hat, nicht zusagen, wenn auf diese Art und
Weise die Finanzierung gesichert würde? Aber auch Sie
haben das zu Ihrer Zeit nicht verfolgt. Die Tatsache,
dass der entsprechende Passus im Haushaltsgesetz immer wieder aufgehoben worden ist, ist keine Übung der
rot-grünen Koalition gewesen. Das haben wir von Ihnen
übernommen. Insofern stehen wir in diesem Fall in Ihrer
Kontinuität.
({1})
Sie sollten es deswegen nicht so intensiv kritisieren. Die
Notwendigkeit der Konsolidierung der Haushaltsmittel,
die zur Verfügung stehen, ist eine Aufgabe, die Sie uns
hinterlassen haben. Denn die Schwierigkeiten, unter denen der Bundeshaushalt leidet, bestehen nicht darin, dass
man jetzt Finanzierungen finden muss, um die Schuldenlast zurückzuführen. Nein, wir sind ja dabei, in dieser Legislaturperiode zu erreichen, dass die Neuverschuldung zurückgeführt wird, damit am Ende der
Anstrengungen keine zusätzliche Verschuldung mehr
nötig ist. Das schränkt selbstverständlich die Bewegungsspielräume von uns allen ein. Mehr als
80 Milliarden DM nur für Zinsen! Wie gerne würden ich
und alle anderen diese Mittel ausgeben: im Bereich des
Städtebaus, für die Infrastruktur im Bereich des Verkehrs. Aber leider stehen uns diese Mittel aufgrund Ihrer
Hinterlassenschaft nicht zur Verfügung.
({2})
Wir kämpfen mit der privaten Vorfinanzierung. die
momentan unsere finanziellen Spielräume einengt und
worin sehr viel Geld steckt, das den Banken zugewiesen
werden muss. Deswegen ist bei der grundsätzlichen
Diskussion um Vorfinanzierung, in der wir uns derzeit
noch befinden, völlig klar: Dies kommt nur infrage,
wenn auf diese Art und Weise nicht zusätzliche Zinsbelastungen entstehen, die später aus dem Bundeshaushalt
finanziert werden müssen.
Wir müssen damit fertig werden, dass der Bundesverkehrswegeplan, an dem wir auch unser Investitionsprogramm orientiert haben, hoffnungslos unterfinanziert
gewesen ist. Für den Zeitraum bis zum Jahr 2012 besteht
eine Finanzierungslücke von 100 Milliarden DM. Insofern kämpfen wir um zusätzliche Spielräume im Haushalt. Sicherlich ist auch der Finanzminister mit dabei,
wenn es darum geht, Investitionen im Rahmen des Verfügbaren sicherzustellen.
Ich bedaure sehr, dass wir es in dem Haushalt unseres
Ministeriums - immerhin mit circa 50 Milliarden DM
ein sehr dicker Brocken - nicht schaffen können, einen
höheren Anteil als 55 Prozent für Investitionen zu erreichen, unter anderem weil wir mit Belastungen aus der
Vergangenheit fertig werden müssen.
Allein 14 Milliarden DM müssen an das Bundeseisenbahnvermögen überwiesen werden. Das ist eine
Verpflichtung, zu der wir gerne stehen, weil sie hier gemeinsam vereinbart worden ist. Aber es geht um die
Bewältigung von Altlasten und die Mittel stehen nicht
für zusätzliche Investitionen zur Verfügung. Wir haben
das getan, um der Bahn zu ermöglichen, aus eigener
Kraft wirtschaftlich zu arbeiten, und in der Hoffnung,
dass die Bahn in der Lage ist, im investiven Bereich
durch wirtschaftlichen Erfolg selber etwas beizutragen.
Deswegen müssen wir erwarten, dass die Bahn auch unter dem neuen Chef Mehdorn die Wirtschaftlichkeit in
den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellt, um auf diese
Art und Weise zu erreichen, dass wir nicht erneut in eine
Sanierungsdiskussion kommen.
({3})
Herr Minister, nun
möchte schon wieder jemand eine Zwischenfrage stellen.
Wir müssen außerdem die
Standards überprüfen, mit denen wir unsere Verkehrswege - -
({0})
- Lassen Sie mich gerade einmal einen Gedanken zu
Ende führen.
({1})
- Ja.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr
Minister, Frau Präsidentin.
Sie haben im Dezember der Zeitschrift eines Verbandes, der Millionen Kraftfahrer vertritt, ein Interview gegeben. Da steht in der Überschrift: „Ich werde um jede
Mark kämpfen.“ Sie haben das gerade wieder angeführt:
„Ich werde um jede Mark kämpfen.“ Sie haben dann
auch vom Investitionsplan gesprochen. Wie können Sie
angesichts dessen diesem Haus die enormen Kürzungen
erklären, die in diesem Investitionsplan vorgesehen sind,
gerade auch für unser Land Sachsen? Sie sagen, dass Sie
um jede Mark kämpfen werden. Wie sehen Ihre Pläne,
dort etwas aufzusatteln, konkret aus? Welche Absprachen mit dem Finanzminister sind getroffen worden?
Wir brauchen, wie gesagt,
ein möglichst hohes Investitionsniveau.Wenn es darum
geht, mit den knappen Mitteln zurechtzukommen, dann
ist meine Empfehlung: Lasst uns über Standards reden!
Ich bin schon in anderen Teilen der Welt herumgekommen. Auch dort funktioniert der Verkehr.
({0})
Sicher haben wir die höchste Qualität deutscher Ingenieurleistungen zu bieten. Aber das ist, glaube ich,
manchmal fast des Guten zu viel und sehr teuer.
Wir haben die Investitionen - 26,1 Milliarden DM
werden in unserem Ministerium für Investitionen sowohl im Verkehrs- als auch im Baubereich ausgegeben - im Jahre 2000 noch einmal um immerhin eine
halbe Milliarde DM steigern können.
Nun besteht noch
ein Fragewunsch, Herr Minister: bei Herrn Seifert.
Ich nehme einen Anlauf zu
der Frage, weil ich zu dem angesprochenen Investitionsprogramm und einem weiteren Thema meiner Rede
noch etwas sagen will. Sie sind sicherlich einverstanden,
wenn ich diese beiden Fragen im Zusammenhang darstelle.
Der Kollege Seifert
von der PDS wollte noch eine Frage stellen.
Ich möchte jetzt die Dinge
im Zusammenhang darstellen können. Sonst wird die
Rede zu sehr zerfleddert. Trotz all der Gnade, die ich
von der Präsidentin erfahre, sehe ich, dass meine Redezeit knapp wird und ich befürchten muss, dass ich einige
wichtige Punkte vielleicht nicht mehr vortragen kann.
Herr Minister, ich
nehme zur Kenntnis, dass Sie keine weiteren Zwischenfragen zulassen. Dann ist das für uns alle klar und ich
muss Sie auch nicht mehr unterbrechen.
Sie haben das Wort.
Wir haben mit dem Investitionsprogramm ein Gesamtinvestitionsvolumen von
64,5 Milliarden DM festgelegt. Dabei geht es um die
hoch prioritären Maßnahmen; wir hoffen, dass wir hier
der globalen Minderausgabe des Finanzministers entgehen können. Es ist festgelegt, dass 2,85 Milliarden DM
für den Bereich der prioritären Maßnahmen zur Verfügung stehen, um auf diese Weise zusätzliche wichtige
und notwendige Maßnahmen durchführen zu können.
Das Entscheidende ist - das richtet sich insbesondere
an Sachsen -, dass bei diesem Investitionsprogramm die
Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ ganz weit vorne
stehen. Das führt dazu, dass der Großteil der Mittel für
die neuen Bundesländer ausgegeben wird,
({0})
was natürlich von den alten Bundesländern - zum Beispiel in Baden-Württemberg, aber auch in NordrheinWestfalen - teilweise kritisiert wurde. Deswegen halte
ich es nicht für angemessen, wenn vonseiten Sachsens,
das nun wirklich gut bedient ist, in Bezug auf dieses Investitionsprogramm, was den Autobahnausbau und die
Bereiche des Schienenverkehrs angeht, so getan wird,
als ob man ihnen einen Tort angetan hätte. Das ist nicht
der Fall.
({1})
Weil wir in der Vergangenheit in der Bundesrepublik
mehr in die Verkehrsinfrastruktur investiert haben und
dies in der DDR vernachlässigt wurde, muss der Aufbau
Ost erste Priorität haben. Dies muss weitergeführt wer7750
den; das tun wir auch. Deshalb geht der größere Teil der
Mittel in die neuen Bundesländer.
({2})
Wir haben angefangene Projekte. Diese lassen uns
natürlich nicht viel Spielraum, um etwas ganz Neues anzufangen. Das ist das Problem, mit dem wir augenblicklich zu kämpfen haben.
Ich möchte auf einen anderen Umstand hinweisen,
der oft nicht bedacht wird. Wir haben aus der Vergangenheit noch ein anderes Problem: Wir haben zwar ein
wirklich weit entwickeltes Netz an Verkehrsinfrastruktur, aber dieses Netz muss gepflegt werden. Mit jedem
Kilometer, den wir neu bauen, wächst natürlich auch die
Notwendigkeit zum Erhalt und das kostet Geld. In der
nächsten Zeit benötigen wir aber auch noch zusätzliche
Mittel. Der Bedarf steigt. Auch für die Sanierung der
Brückenbauwerke brauchen wir eine entsprechende finanzielle Unterlegung.
Wir haben daher zu Recht überlegt: Was kann man
eigentlich zusätzlich tun, um an den nötigsten Stellen,
die erkennbar sind, noch Verbesserungen zu erreichen?
Es geht darum, Engpässe, die in unserem Verkehrssystem zweifellos vorhanden sind - man kann es drehen,
wie man will -, zu überwinden. Man kann bestimmte
Kennziffern anlegen, zum Beispiel wie viele Autos auf
einem Autobahnabschnitt fahren oder wie stark die Geschwindigkeit eines Zuges gemindert ist aufgrund der
Tatsache, dass er auf einer Strecke fahren muss, die
nicht ausreichend gepflegt ist. Wir wollen ein zusätzliches Programm auflegen - allerdings im Rahmen dessen, was uns momentan im Anschluss an das Investitionsprogramm zur Verfügung steht -, um weitere Engpässe sowohl im Bereich der Schiene als auch im Bereich der Autobahnen und der Wasserstraßen zu beseitigen. Auf diese Weise wollen wir erreichen, dass dort,
wo es am nötigsten ist, Abhilfe geschaffen werden kann.
Wir werden vonseiten des Ministeriums, mit den
Fachleuten abgestimmt, in absehbarer Zeit ein entsprechendes Programm vorlegen, über das man sich nachher
konkret unterhalten kann. Selbstverständlich muss dies
finanziert werden können. Das entscheidende Thema,
mit dem wir uns zukünftig zu befassen haben, ist: Wie
können wir auch dann, wenn die Mittel in den öffentlichen Haushalten nicht ausreichen - das ist erkennbar -,
allen Ansprüchen und Notwendigkeiten gerecht werden?
Das Ministerium hat eine Kommission eingesetzt, die
unabhängig von irgendwelchen Weisungen oder Vorgaben daran arbeitet, welche zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten es gibt. Richtig ist auch der Hinweis, dass
wir bereits eine entsprechende gesetzliche Grundlage
haben, die wir nutzen wollen, um mit dem Element der
privaten Organisation und Finanzierung bestimmte Engpässe zu beseitigen, beispielsweise auch mit dem Hilfsmittel Maut.
Es gibt Projekte, beispielsweise die Moselquerung in
Rheinland-Pfalz oder die Warnowquerung in Rostock,
wo man vorher bezahlt hat, wenn man mit der Fähre gefahren ist. Man wird demnächst bezahlen, wenn man
den Tunnel nutzt, um unter der Warnow hindurchzufahren. Es muss in jeder Hinsicht sorgfältig überprüft werden, wie wir diese Projekte erweitern können und in
welchen Bereichen wir das anwenden können.
Wir hoffen - dies ist bereits von Ihnen angesprochen
worden -, mithilfe der Telematik zu erreichen, dass wir
sehr bald, möglichst ab dem Jahre 2002, bei den LKWs
eine entfernungsbezogene Gebühr erheben können,
damit in dem Maße, wie unsere Autobahnen genutzt
werden, auch die entsprechende Gebühr bezahlt wird.
({3})
Ich bin sehr froh darüber, dass ich im gesamten Haus
die Unterstützung dafür habe, dass das Geld, das diese
Gebühr erbringt, dem Verkehrshaushalt zusätzlich
zweckgebunden zur Verfügung steht - also nicht in den
Topf hineingerührt wird -, damit wir zusätzliche Wünsche finanzieren können.
({4})
Meine Damen und Herren, ich möchte den Hinweis
auf die Telematik noch einmal aufgreifen. Die Telematik ist nicht nur ein Spielzeug, das ganz nett ist, um sich
eventuell als Computerfreak zu betätigen. Nein, diese
Technik wird von uns in dem Sinne zu nutzen sein, dass
wir den knappen Verkehrsraum, den wir haben, besser
ausnutzen. Wenn es richtig ist, dass wir mit dem System
CIR-ELKE erreichen können, zum Beispiel den Schienenverkehr auf der Strecke zwischen Karlsruhe und Basel um 30 Prozent steigern zu können, dann ist das von
großer Bedeutung. Das gilt übrigens auch für die Autobahnen. Wenn wir auf diese Art und Weise unsere Verkehrsströme besser lenken können, sparen wir Investitionen am falschen Platz. Wir können mit den kostbaren
Investitionsmitteln dann noch viel rationeller umgehen,
als es bis jetzt der Fall ist.
({5})
Einen letzten Punkt, meine Damen und Herren,
möchte ich gerne aufgreifen - neben all den Themen,
die wir an anderer Stelle diskutieren müssen, zum Beispiel wie wir eine ökologische Verkehrspolitik durch
andere Kraftstoffe betreiben könnten und was zum
Thema Tempolimit zu sagen ist -: Es geht mir jetzt um
die Bahn. Die Bahn kann meines Erachtens nur dann eine erfolgreiche Arbeit machen - das ist auch schon gesagt worden -, wenn wir es schaffen, die im europäischen Bereich vorhandenen Hindernisse auszuräumen.
Ich komme gerade aus Griechenland zurück, wo ich mit
dem dortigen Verkehrsminister geredet habe. Dort haben
wir Strategien überlegt, wie man den Korridor 10, der
durch das ehemalige Jugoslawien, durch Serbien, führt,
wieder öffnen kann. Das ist keine verkehrspolitische,
sondern eine außenpolitische Frage, die hier hineinspielt. Gleiches gilt für die Frage, wie man den Korridor 4 praktikabel machen kann, um auf diese Art und
Weise den Güterverkehr auf der Schiene wirklich
schnell abzuwickeln. Denn es ist das Elend der Vergangenheit, dass wir aufgrund einer immer noch in den
Köpfen vorhandenen Kleinstaaterei im Bahnwesen nicht
mit Schnelligkeit und Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit
haben auftrumpfen können. Es geht jetzt darum, diese
europäischen Netze zu definieren, um auf diese Art und
Weise zu erreichen, dass die Bahn auf der langen Strecke ihre ganze Kraft und ihre ganze Qualität entfalten
kann und so die entsprechenden Chancen und Möglichkeiten genutzt werden. Dazu müssen wir nicht nur die
gesetzlichen Hinderungen, die noch auf EU-Ebene und
in anderen Staaten bestehen, bewältigen, sondern auch
für Kooperationsbereitschaft der Bahnen sorgen, damit
dieses wichtige Verkehrsmittel wirklich die Chance hat,
mehr vom erwarteten Zuwachs des Güteraufkommens
aufzunehmen, als es bis dato der Fall war. Das ist ein
ganz wichtiges Ziel unserer Politik.
({6})
Wir werden kontinuierlich weiterdiskutieren. Wir
werden noch in diesem Jahr den Verkehrsbericht 2000
vorlegen. Dort wird etwas mehr über die Kriterien ausgesagt werden, die bei der Weiterentwicklung des Bundesverkehrswegeplans modifiziert worden sind, damit
man weiß, auf welcher Grundlage das geschieht.
Ich bedanke mich bei Ihnen für die Beiträge, aber vor
allem für das, was in den Anträgen steht. Es gibt manches, bei dem wir nicht übereinstimmen - vielleicht war
das eine oder andere auch vergiftend gemeint -, aber das
meiste - das muss ich ganz ehrlich sagen - empfinde ich
als hilfreich und dafür bedanke ich mich.
({7})
Das Wort hat der
Kollege Dirk Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich
hatte eigentlich nicht vor, heute etwas zum Thema
Transrapid zu sagen; das habe ich erst am letzten Donnerstag gemacht.
({0})
Aber ich komme nicht ganz daran vorbei, Herr Minister,
Sie darauf hinzuweisen, dass, als Sie gerade Worte gefunden hatten, die eigentlich für den Unkundigen, Außenstehenden ermutigend waren,
({1})
der verkehrspolitische Sprecher Ihres Koalitionspartners
den Zwischenruf machte: „Transrapid ist mausetot“.
({2})
- Das haben viele gehört, Herr Kollege, das ist das Problem.
({3})
Das haben Sie eben auch nicht zum ersten Mal gesagt.
Sie haben das schon im Ausschuss und in der Öffentlichkeit gesagt.
({4})
Auch in der Debatte am letzten Donnerstag haben Sie
das gesagt.
({5})
Das macht deutlich, welches Verwirrspiel in der Koalition bei diesem Thema herrscht. Man gewinnt gelegentlich den Eindruck,
„Machen Sie ihn ruhig tot, aber nicht vor
der Schleswig-Holstein-Wahl“.
({0})
Außerdem sind Sie ganz offenbar dabei, den schwarzen Peter aus der Hand des Bundes jemand anderem in
die Hand zu drücken, um am Ende für dieses einmalige
Desaster und den Skandal, dass diese Zukunftstechnologie in Deutschland totgemacht wird, die Verantwortung
nicht übernehmen zu müssen.
({1})
Ich sage Ihnen ganz freimütig: Ich habe persönlich
ein großes Interesse daran, im Moment möglichst viele
derartige Zitate in das Protokoll des Deutschen Bundestages zu bringen, die ich mit ziemlicher Sicherheit
sehr bald noch sehr gut gebrauchen kann. Ich möchte zu
diesem Thema nur sagen: Nach meiner Auffassung werden wir darüber in der allernächsten Zeit Endgültiges
hören.
Zum eigentlichen Thema. Die Mobilität ist ein zentraler Bestandteil unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und von Freiheit und Wohlstand. Wenn ich den
Antrag der Sozialdemokraten lese, stelle ich fest, dass
im Hause darüber Einigkeit zu herrschen scheint. Verkehrsinfrastruktur ist von entscheidendem Einfluss auf
die Lebensqualität unserer Bürger. Eine gute Verkehrsinfrastruktur ist auch ein Garant für die Leis-tungs- und
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Vor diesem Hintergrund ist es schlimm, dass bei den
Ministern Müntefering und Klimmt, in Koproduktion
mit den Finanzministern Lafontaine und Eichel, in gut
15 Monaten rot-grüner Regierungsverantwortung eine
verkehrs- und finanzpolitische Fehlleistung die nächste
jagte.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben, wenn Sie es mit der Zukunft unseres Landes sowie
Europas gut meinen, allen Grund, sich von Ihren ideologischen Zwängen - die hörte man bei Ihnen in jedem
Satz, Herr Schmidt ({2})
zu lösen. Deutschland muss mobil bleiben können. Deshalb müssen wir verstärkt und unvermindert in Verkehrsinfrastruktur investieren.
Ihre Märchenstunde Haushalt ist längst widerlegt.
Lafontaine hat den Haushalt 1999 um 31,2 Milliarden DM erhöht, um Wahlversprechen zu bezahlen.
Minister Eichel will genau diesen Betrag wieder einsparen. Aber im Vergleich zu 1998 gibt er im Haushalt
2000 immer noch 22 Milliarden DM mehr aus, während
die alte Koalition ab 1995 Schrumpfhaushalte gemacht
hat, wirklich gespart hat und jeder Folgehaushalt niedriger war als der vorhergehende. Das ist Sparen!
({3})
Klar, dass Sie diese Haushaltslöcher bei der desolaten
Politik Ihrer Regierung nur noch durch unsystematische,
kopflose Kürzungen stopfen können.
Besonders tragisch ist Folgendes: Erhöhungen im
konsumtiven Bereich; Streichungen, Einsparungen im
investiven Bereich, insbesondere bei den Verkehrsinfrastrukturinvestitionen Straße/Schiene. Das so genannte
Investitionsprogramm 1999 bis 2002 verdient seinen
Namen nicht, es müsste „Investitionskürzungsprogramm
für den Straßenbau“ heißen. Sie betreiben hier eine semantische Verdummung der Bevölkerung.
({4})
Denn Sie werden nicht bestreiten können, dass dieses
Programm Kürzungen in einer Größenordnung von etwa
5 Milliarden DM gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung der Vorgängerregierung beinhaltet.
Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass der von uns verabschiedete Bundesverkehrswegeplan mit seinem
Zielhorizont bis 2012 mit mehr als 90 Milliarden DM
unterfinanziert sei.
({5})
Das ist eine gewaltige Rosstäuscherei. Der Bundesverkehrswegeplan - so bestätigt das Bundesverkehrsministerium permanent - ist kein Finanzplan, sondern nur ein
Bedarfsplan.
({6})
Der Minister hat eben bestätigt, dass der Bedarf immer
größer ist, als die Haushaltsmöglichkeiten es erlauben.
({7})
Deswegen kann das gar nicht anders sein.
Im Übrigen war das auch noch nie anders. Der erste
Bundesverkehrswegeplan war der von Lauritz Lauritzen
aus dem Jahre 1976, und nachdem die Periode herum
war, hat es einen Überhang nicht gebauter Projekte in
Höhe von 26 Milliarden DM - und das zu damaligen
Preisen - gegeben. Der nächste von 1985/86 hatte, soweit ich weiß, auch einen Überhang von etwa 40 Milliarden DM. Das liegt in der Systematik begründet. Sonst
muss der Bedarfsplan mit dem Finanzplan identisch
sein. Rein logisch ist das gar nicht anders möglich.
Aber nun das Dreisteste: Obwohl Sie schon eine Unterfinanzierung beklagen, ist Ihre Antwort auf Unterfinanzierung eine drastische Kürzung der Mittel. Da fasst
man sich an den Kopf und fragt: Sind die von allen guten Geistern verlassen? In diesem Bereich vergießen Sie
Krokodilstränen - total unglaubwürdig!
({8})
Denn in Wahrheit jubelt Herr Schmidt - so wie er geredet hat -, hüpft das Herz, dass das so ist.
({9})
Er freut sich ja über jede Unterfinanzierung und beklagt
sie nicht, weil er Straßenbau nicht will. Deswegen ist er
im Grunde genommen dem Ziel seiner Träume ziemlich
nahe gekommen. Das ist die Wirklichkeit.
({10})
Bei dem Programm handelt es sich in Wahrheit um
einen ziemlich plumpen Täuschungsversuch; denn statt
bis 2002 läuft das Programm in Wirklichkeit bis 2010
und länger. Der Zeitraum ist eben nicht 1999 bis 2002,
sondern 1999 bis 2010 - wegen Kostensteigerungen und
Planungsverbesserungen wahrscheinlich länger. Ich befürchte sogar, er geht über den Zeitraum 2012, den Endzeitpunkt des jetzigen Bundesverkehrswegeplanes, hinaus. Denn zwei Drittel der Gesamtmittel fallen nach dem
Programm von vornherein erst nach 2002 an. Ich frage
mich die ganze Zeit: Was soll eigentlich in der von Ihnen angekündigten Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes noch Neues stehen? Sie haben mit seiner Bewältigung doch genug Arbeit.
({11})
Alle in dem Programm nur als „prioritär“ eingestuften Maßnahmen im Straßenbau werden nicht realisiert.
Sie fallen mit einem Anteil von 1,3 Milliarden DM der
globalen Minderausgabe zum Opfer. Und es ist ja gar
nicht zufällig, sondern Absicht, dass das Volumen der so
genannten prioritären Maßnahmen mit dem Volumen
der globalen Minderausgabe Straße auf den Pfennig
identisch ist.
„Prioritär“ heißt also bei Ihnen „vorrangig zu streichen“
und nicht „vorrangig zu bauen“.
Dirk Fischer ({12})
({13})
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die
„neue Rechtschreibung“ von Rot-Grün, an die sich das
Land erst einmal gewöhnen muss.
Unklar ist zudem, wo der Anteil der globalen Minderausgabe nun erbracht wird, der - so haben Sie entschieden - nicht mehr der Schiene auferlegt werden soll.
Also noch einmal 1,3 Milliarden DM! Die Folge: Erneut
wird der Straßenbauhaushalt der Steinbruch sein. Das ist
doch ganz unabweisbar.
({14})
({15})
Wie können Sie da die Unverfrorenheit besitzen, in
Ihrem Entschließungsantrag zu behaupten, dass die Projekte des vordringlichen Bedarfs, die in diesem Programm zusammengestellt sind, realisiert werden? Die
Wahrheit ist: Das Investitionsprogramm ist Makulatur.
({16})
Von Verlässlichkeit der Infrastrukturplanung, wie es
in Ihrem Antrag heißt, kann überhaupt keine Rede sein.
Dringliche Maßnahmen des Straßenbaus sind massiv gefährdet, 100 000 Arbeitsplätze im Tiefbaubereich akut
bedroht.
({17})
Unvertretbar gegenüber Bürgerinnen und Bürgern ist es,
die Mehrbelastung des Autofahrers durch permanente
Mineralölsteuererhöhungen und zusätzliches Abkassieren von 47 Milliarden DM bis 2003 zu praktizieren
({18})
und gleichzeitig die Investitionen in den Straßenbau in
den Keller zu fahren. Das ist unverantwortlich.
({19})
Das einzige Verhältnis, das Sie emotional zum Straßenverkehr haben, ist, dass er sich als Schröpfbereich
eignet, aber für ihn tun wollen Sie nichts. Die Folgen
des Programms sind schwer wiegende volkswirtschaftliche Schäden.
({20})
Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt muss man bedenken,
dass der Verkehrssektor direkt und indirekt rund
4,3 Millionen Erwerbstätige beschäftigt. Es gibt volkswirtschaftliche Verluste als Folge allgemeiner Überlastungen durch Staus in zweistelliger Milliardenhöhe pro
Jahr. Ein unverantwortlicher Kahlschlag im Verkehrshaushalt wird die Leistungsfähigkeit unseres Sys-tems
nicht steigern, im Gegenteil. Das müssen Sie endlich
begreifen.
Nun haben einige Kollegen von dem berühmten Beschluss der Länderverkehrsminister gesprochen. Den
haben die schon dreimal gefasst, im November 1997, im
April 1998 und im November 1999.
({21})
Das Pikante daran ist: Die Initiative stammt aus dem
Kabinett des Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und
ist von seinem damaligen Verkehrsminister Peter
Fischer initiiert worden. Das besonders Reizvolle daran
ist nach meiner Auffassung: Sie haben gesagt,
4 Milliarden DM im Jahr mehr, aber
({22})
Sie haben nicht gesagt, 5 Milliarden DM weniger. Das
müssen Sie begreifen.
({23})
Ich komme zu unseren Forderungen: Die Haushaltsansätze aus dem mittelfristigen Finanzplan von Matthias
Wissmann müssen wiederhergestellt werden. Beginnend
mit dem Haushalt 2001 muss die Zweckbindung des
Straßenbaufinanzierungsgesetzes von 1960 ausgeführt
werden und darf nicht durch das Haushaltsgesetz jährlich aufgehoben werden.
Es müssen neue Modelle der Finanzierung, also der
Privatfinanzierung entwickelt werden. Herr Minister,
das ist wunderbar. Wir unterstützen Sie dabei. Das Gesetz haben wir schon gemacht, damals gegen den Widerstand von SPD und Grünen. Aber wir müssen das EURecht, das zu eng ist, ausweiten. Sie gehen jetzt nach
der Methode vor: Wenn ich nicht weiter weiß, mache
ich einen Arbeitskreis. Er liefert bis Mitte 2000 seine
Ergebnisse. Ich habe Ihnen gesagt: Gehen Sie in Europa
an das Aufbrechen des zu engen Rechtsrahmens heran.
Sie haben gesagt: Das mache ich erst hinterher. Also
wird die Folge sein: In dieser Legislaturperiode passiert
gar nichts
({24})
und in der nächsten sind Sie eh nicht mehr da.
({25})
Das heißt, Sie haben heute weiße Salbe aufgetragen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine leistungsfähige und moderne Verkehrsinfrastruktur in den
neuen Ländern. Da sind wir uns einig. Wir brauchen eine zügige Realisierung dieser Projekte. VerkehrsinvestiDirk Fischer ({26})
tionen werden auch in der Zukunft Motor für wirtschaftliche Entwicklung und Angleichung der Lebensverhältnisse sein.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen - ich glaube, das
ist außerordentlich wichtig -: Wir brauchen - das war
immer Ziel unserer Politik - ein wirksames Miteinander
von Straße, Schiene, Wasser und Luft in einer gesamtvernetzten Verkehrssystematik. Das geht ohne Investitionen nicht. Dieses Ziel wird durch Ihre InvestitionsKahlschlagpolitik zerstört,
({27})
mit schweren Folgen für das deutsche und das europäische Verkehrssystem.
Herr Kollege!
Der Verkehrskollaps ist programmiert. Eine andere Politik muss
her, wie es in unserem Antrag steht: Zukunft sichern Verkehrsinfrastrukturinvestitionen steigern.
({0})
Stimmen Sie diesem vernünftigen und überzeugenden
Antrag zu!
({1})
Das Wort zu
einer Kurzintervention erhält der Kollege Schmidt.
Herr Kollege Fischer, Sie haben in Ihrer
Rede soeben behauptet, ich hätte während der Rede des
Ministers den Zwischenruf gemacht: Der Transrapid ist
mausetot!
({0})
Ich sitze hier vorne in der ersten Reihe. Jeder einzelne
Zwischenruf ist protokolliert worden. Ich stelle hier fest,
dass ich weder dem Sinne noch dem Worte nach einen
solchen Zwischenruf gemacht habe, weder heute noch
sonst irgendwann.
({1})
Diese Diktion habe ich nicht benutzt. Darauf lege ich
großen Wert.
({2})
Herr Kollege, ich sage Ihnen heute zum vierten
Mal - das können Sie schon in drei Bundestagsprotokollen nachlesen -: Es haben sich inzwischen zwei Unternehmer deutlich erklärt. Der eine heißt Hartmut Mehdorn und ist Chef der Deutschen Bahn Aktiengesellschaft. Sie haben gestern Vormittag im Ausschuss selbst
hören können, dass er gesagt hat: Das Ding ist nicht
wirtschaftlich.
Es hat sich ein weiterer Unternehmer öffentlich erklärt, und zwar Rolf Rexrodt von Adtranz, einem der
Hersteller des Systems.
({3})
- Eckrodt, habe ich doch gesagt.
({4})
- Herr Eckrodt hat es nicht verdient, dass ich ihn mit
Herrn Rexrodt verwechsle. So viel Unterschied muss
auch nach der Rechtschreibreform noch sein.
({5})
Auch Herr Eckrodt hat sich öffentlich erklärt. Beide
Unternehmer haben gesagt: Lasst uns das Abenteuer beenden, es ist unwirtschaftlich. - Ihnen scheint das nicht
zu gefallen. Sie wünschen sich anscheinend einen
Staatskommissar, der wie in alten Zeiten die Bahn anweist, ein unwirtschaftliches Projekt zu realisieren. Das
scheint Ihre Vorstellung von Marktwirtschaft zu sein.
({6})
Ich kann Ihnen sagen: Nach der Bahnreform sind diese Zeiten Gott sei Dank vorbei. Wir werden eine rationale Entscheidung nach dem abschließenden Treffen, bei
dem alle Projektbeteiligten an einem Tisch sitzen und in
abschließender Runde die Datenlage bewerten, fällen.
Ich sage Ihnen heute zum vierten Mal: Ich bin sehr zuversichtlich, dass die richtige Entscheidung getroffen
wird.
Zur Antwort
der Kollege Fischer.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Schmidt, offenbar muss die Akustik zwischen dort und hier schlecht sein.
({0})
Aber ich denke, ich sollte mich darüber freuen, dass Sie
jetzt vor dem Deutschen Bundestag erklärt haben, dass
Sie den Transrapid nicht für mausetot halten und das,
was Sie in der Vergangenheit häufig dazu gesagt haben,
zurücknehmen. Wir als CDU/CSU-Fraktion stellen mit
Freude fest: Der Kollege Schmidt hält den Transrapid
für kerngesund und lebendig.
({1})
Dirk Fischer ({2})
Dies ist eine gute Botschaft zum Tage.
Im Übrigen muss ich Ihnen eines sagen. Sie haben
Recht: Als erster hat der Bund unter Ihrer Regierung das
Eckpunktepapier verworfen, indem er sich verpflichtet
hat, den Fahrweg in eigener Verantwortung zu bauen,
und indem er völlig unrealistische Schätzpreise, die
durch Ihre Koalition zu Endpreisen erklärt wurden, angesetzt hat.
({3})
Auch bei der Neubaustrecke Köln-Rhein/Main wird
der Schätzpreis für diese Strecke der Rad-SchieneTechnologie im Ergebnis dreimal höher abgerechnet
werden, wogegen Sie weder als Abgeordneter noch als
Aufsichtsratsmitglied der DB AG interveniert haben. Sie
zahlen vielmehr alles und Sie ignorieren die Aufforderung, gleiches Recht für den Transrapid herzustellen,
konsequent. Das steht im Widerspruch zu Ihrem heutigen, soeben nachgeschobenen klaren Bekenntnis zur
Anwendung des Transrapid auf der Strecke HamburgBerlin.
Letztlich hat Herr Eckrodt in Wort und Schrift sein
klares Bekenntnis zu seinen Verpflichtungen aus dem
Konsortium bekundet.
({4})
Sie wissen genau, dass Herr Eckrodt weniger ein Problem mit dem Transrapid hat, sondern eher damit, dass er
mit seinem Unternehmen pro Jahr eine Dreiviertelmilliarde DM Verlust schreibt und der Daimler-ChryslerKonzern dieses Unternehmen deswegen lieber heute als
morgen verkaufen möchte.
({5})
Eckrodt hat also keine Puste, um ein solch vernünftiges
Konzept bis zum Jahr 2007 durchzustehen.
Sie sollten nicht die Probleme eines Unternehmens zu
Problemen eines hervorragenden und zukunftsweisenden technologischen Systems machen und beide in einen
Topf schmeißen.
({6})
Jetzt fahren
wir in der Debatte fort. Die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig hat das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Kollege Fischer, ich habe nach
Ihrer Rede den Eindruck, dass Sie noch nicht einmal in
der seinerzeitigen Realität des Kollegen Wissmann angekommen sind,
({0})
denn das Problem des Bundesverkehrswegeplans von
1992 war und ist bis heute, dass er auf so vielen Illusionen aufgebaut hat und über so lange Zeit hinweg Gelder
und Straßenbauvorhaben bindet, dass schon Wissmann
nicht anders konnte, als hier und dort und da einen Spatenstich zu machen, ohne zu wissen, wie die Projekte
überhaupt sinnvoll zu einem Ende kommen sollten.
Es ist doch gerade das Problem, dass die verkehrlichen Notwendigkeiten, die ökologische Verträglichkeit
und die finanzielle Machbarkeit in den vergangenen Jahren einfach so oft missachtet worden sind, dass wir tatsächlich - da haben Sie mit Ihrer Äußerung Recht, nur
andersherum, als Sie es eigentlich gewollt und gemeint
haben - an diesem Erbe sehr lange tragen müssen und
jetzt sehr lange sehr sorgfältig in der Verkehrsplanung
eine Feinabstimmung vornehmen müssen, wo und wie
weitergebaut werden kann und weitergebaut werden
muss. Wir müssen diesen riesigen Berg abtragen und das
zu einem guten Ende bringen.
Von daher ist auch klar: Rot-Grün wird nicht einfach
einen Strich ziehen können.
({1})
Deswegen muss ich auch von hier aus all die Bürgerinitiativen, die natürlich die Hoffnung hatten, wir könnten
einen schnellen Stopp von bestimmten Verkehrsprojekten, die wir für ökologisch problematisch halten, veranlassen, um Nachsicht bitten. So schnell kann man diesen schweren Tanker, den Sie uns hinterlassen, nicht
umsteuern.
Ein Teil der Hauptarbeit besteht auch darin, dass wir
Schritt für Schritt die Planungen, die Sie uns hinterlassen haben, überhaupt auf ein vernünftiges Maß bringen.
Von daher ist das Investitionsprogramm 1999 bis 2002
in keiner Weise Rosstäuscherei, sondern das Programm
macht endlich das, was in den Jahren vorher bereits
dringend notwendig gewesen wäre: Es bringt Planungsklarheit und -sicherheit für den weiteren Fortgang. Dafür
war es allerhöchste Zeit, denn das haben Sie ja wirklich
versäumt. Auch die Überarbeitung, die 1997 fällig gewesen wäre, haben Sie eben nicht gemacht.
({2})
Wir bleiben dabei: Das Problem, dass der Bundesverkehrswegeplan mit 90 Milliarden DM überfinanziert
bzw. untergedeckt war, kann man jetzt nicht einfach mit
dem Satz aus der Welt schaffen, das sei eben der Bedarf.
Das ist doch nicht wahr. Wir alle wissen aus den Ländern, dass sie natürlich ihre Planungen und Projekte begonnen und angemeldet haben und die Hoffnung haben,
dass nicht nur aus den Spatenstichen, sondern auch aus
den in der Schublade liegenden Projekten endlich etwas
wird.
Von daher geht es nicht darum, einfach zu sagen: Das
ist Bedarf; so haben wir das nicht gemeint. Vielmehr
wollen wir die Verantwortung jetzt wahrnehmen, Schritt
Dirk Fischer ({3})
für Schritt daraus vernünftige Lösungen abzuleiten. Von
daher kann man nicht von Rosstäuscherei reden, sondern
von der verantwortlichen Fortführung dessen, was Sie
uns eingebrockt haben.
Wir haben folgende Aufgaben: Wir müssen erstens
den Bundesverkehrswegeplan nach Kriterien der Realisierbarkeit, der Sinnhaftigkeit, aber auch der kostenmäßigen Verantwortbarkeit und der Umweltverträglichkeit
überarbeiten. Wir haben auch die Aufgabe, Verkehrsträgerkonkurrenzen, die Sie nicht sonderlich ernst nehmen
wollten, sehr genau zu bedenken und abzuwägen, was
an welcher Stelle miteinander verträglich ist.
Weiter haben wir beschlossen und realisieren es auch,
dass die Ausbauprojekte in Ostdeutschland, die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ eine klare Priorität
haben, weil hier der Nachholbedarf noch immer sehr
groß ist. Von daher werden wir uns auch der Absicht
entgegenstellen, an diese Aufgabe mit willkürlichen
Kürzungen heranzugehen.
Wir haben aber als Zweites die Aufgabe - dazu stehen wir, und das ist Ihnen gestern im Ausschuss sehr
deutlich von Herrn Mehdorn gesagt worden -, die Investitionsschere zwischen Straße und Schiene zu
schließen. Das wird Jahr für Jahr von Rot-Grün schrittweise abgebaut werden, weil wir uns dafür einsetzen,
dass endlich die Chancengleichheit der Schiene gewährleistet wird und die Schiene überhaupt ihren wirtschaftlichen Spielraum bekommt.
({4})
Darüber sind wir uns einig; ich bin froh, dass Kollege
Oswald das gleich uns positiv gesehen hat.
Der dritte Punkt ist: Wir müssen auch noch den Berg
der privat vorfinanzierten Verkehrsinvestitionen mit abtragen. Auch das ist ein Stück Erbe, mit dem wir nur
realitätsgerecht umgehen können, das man nicht einfach
durch Forderungen nach mehr Geld wegreden kann, wie
Sie das in Ihrem Antrag getan haben.
Mein Kollege Ali Schmidt hat auf den vierten Punkt
bereits hingewiesen. Wir müssen uns auch verstärkt mehr noch, als wir das zur Zeit finanziell selbst beim
besten Willen überhaupt tun können - dem Problem
stellen, dass wir einen riesigen Berg von Bestandserneuerungsaufgaben vor uns herschieben, der mehr
und mehr Leistungen von uns fordert. Von daher müssen wir auch die Prioritäten zwischen Schienenneubau
und -netzerweiterung, Straßenneubau und -netzerweite-
rung schrittweise zugunsten der Bestandspflege und
der Erhaltungs- und Erneuerungsaufwendungen - sei
es gekoppelt mit Ausbau oder auch nicht - verschieben. Das ist eine sehr große und schwierige Aufgabe.
Minister Klimmt hat erklärt, dass wir uns dieser Aufgabe stellen. Das hat auch schon Herr Müntefering sehr
deutlich erklärt. Mit dem „Netz 21“ hat die Bahn AG bereits den Schwerpunkt vom Neu- und Ausbau zum Unterhalt verlagert. Sie hat deutlich angekündigt: Neu- und
Ausbau werden nur dort vorgenommen, wo sich ein
Nutzen für das Gesamtnetz ergibt.
Dieser Aufgabe, denke ich, müssen wir uns auch
im Straßenbau vermehrt stellen. Es gibt über
11 000 Kilometer Autobahnen und über 40 000 Kilometer Bundesstraßen. Es gibt einen wachsenden Bedarf
an Erhaltung und Erneuerung insbesondere von Brücken- und Tunnelbauwerken. Auch Minister Klimmt hat
schon darauf hingewiesen: Allein 1990 wurde der jährliche Bedarf an Erneuerungen im Bereich von Tunnelund Brückenbauwerken - das gilt nur für die Straße mit 500 Millionen DM angesetzt. 1998 waren es schon
700 Millionen DM. In den nächsten Jahren wird allein
diese Position aufgrund des Bedarfs auf über
1 Milliarde DM ansteigen. Trotzdem wird immer weiter
gebaut. Insofern steigt der Bedarf sowohl aufgrund der
Alterung als auch aufgrund der Netzerweiterung.
Konkret kommt hinzu: Ingenieure sagen uns einen
schnell und umfangreich steigenden Bedarf an Stahlbeton- und Spannbetonsanierungen im Straßenbereich voraus. Im Schienenbereich gibt es die Notwendigkeit der
Grundsanierung vieler Eisenbauwerke aus der Gründerzeit, bei denen zunehmend das Material ermüdet.
Deshalb möchte ich dafür werben, dass wir nicht einfach mehr Geld für Ausbau und Erweiterung fordern,
wie Sie es in Ihrem Antrag getan haben, sondern dass
sich alle Beteiligten gemeinsam - gerade auch die Opposition - dem Thema Bestandserneuerung sehr ernsthaft stellen.
({5})
Es spricht jetzt
die Frau Kollegin Blank.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Minister Klimmt, ein Wort
zum Transrapid: Ich glaube nach der Debatte in der
vergangenen Woche und nach den gestrigen und heutigen Äußerungen, dass Sie eigentlich nur noch einen
Grabredner suchen und die Frage beantwortet haben
wollen, wer die Verantwortung für dieses Trauerspiel
übernehmen soll.
({0})
Wir diskutieren heute nicht nur über die Verkehrsinvestitionen, sondern auch über den Straßenbaubericht.
Ich möchte einige Bemerkungen zum Straßenbaubericht
1998 machen, in dem die Verhältnisse von 1997 geschildert werden. Damals waren 10,1 Milliarden DM
geplant. Verausgabt wurden fast 10,2 Milliarden DM,
rund 31 Millionen DM mehr als vorgesehen. Davon
wurden 4,8 Milliarden DM in die alten Bundesländer
und 3,6 Milliarden DM in die neuen Bundesländer investiert. Kollege Hiller, das ist eine Beseitigung der Erblast der SED und des alten DDR-Regimes, und das,
was wir Ihnen in der Verkehrspolitik hinterlassen haben,
ist keine Erblast.
({1})
Zum Kollegen Schmidt: Er behauptet nach wie vor,
dass in den Haushalt 1997 nur 8,1 Milliarden DM für
Investitionen eingestellt worden seien. Das hat er vorher
leider wieder behauptet. Aber das stimmt nicht. Eigentlich müsste er das besser wissen. Tatsächlich wurden
genau 8,377 Milliarden DM ausgegeben. In der Antwort
auf eine Anfrage, die er gestellt hat, ist deutlich geworden, dass auf der Ist-Seite mehr ausgegeben wurde. Das
habe ich gerade ausgeführt.
Der Straßenbaubericht macht klar, dass die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ Vorrang haben; denn
sie dienen ja auch dem Zusammenwachsen Deutschlands und vor allen Dingen der Verbesserung des OstWest-Verkehrs. Wirtschaftswachstum benötigt eine gut
ausgebaute Verkehrsinfrastruktur.
Kollegen von der SPD, ich erinnere mich, dass der
damalige Ministerpräsident des Landes Niedersachsen der heutige Bundeskanzler - den Wunsch geäußert hat,
dass „seine“ Autobahn zur EXPO in Hannover ausgebaut wird, und zwar mit zusätzlichen Mitteln in Höhe
von 620 Millionen DM. Wir waren damals in der Lage,
ihm diesen Wunsch zu erfüllen - die anderen Bundesländer sind zurückgetreten -, und haben diese
620 Millionen DM lockergemacht. Man sollte vielleicht
ein kleines Dankeschön dafür sagen, dass der Verkehr
zur EXPO 2000 aufgrund entsprechender straßenbaulicher Maßnahmen gut funktionieren wird.
({2})
Zu unserem Antrag. Als exportorientierte Wirtschaftsnation brauchen wir natürlich eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur. Das ist eine alte Binsenweisheit und hoffentlich auch allgemein bekannt; aber
manchmal frage ich mich, ob das auch für die derzeitige
Regierungskoalition gilt. Der Verkehrsbereich trägt nach
einer Untersuchung des Verkehrswissenschaftlichen Instituts der Universität Köln zu 27 Prozent zur inländischen Wertschöpfung bei. Ohne Verkehrswachstum wäre die volkswirtschaftliche Bruttowertschöpfung in
Deutschland zum Beispiel 1990 um ein Viertel geringer
ausgefallen.
Unternehmen beurteilen im Zeitalter der Globalisierung auch die Qualität der Verkehrsinfrastruktur, bevor
die Entscheidung für einen Standort getroffen wird. Bisher war die gute Verkehrsinfrastruktur in Deutschland
ein Standortvorteil. Wir sollten diesen Vorteil nicht
leichtsinnig verspielen. Dass Verkehrsinvestitionen Arbeit schaffen oder erhalten, ist mittlerweile jedem bekannt. Investitionen in Höhe von 1 Milliarde DM schaffen bzw. erhalten circa 12 000 Arbeitsplätze.
Bisher hat die rot-grüne Verkehrspolitik allerdings
mehr verwaltet als gestaltet.
({3})
Die Verwaltung hatte mit einem politischen Unfall des
damaligen Ministers Müntefering angefangen; er wollte
nämlich den Senioren das Autofahren verbieten.
({4})
Eine solche Diskriminierung unserer Senioren war fatal.
Nach geharnischten Protesten ist der Vorschlag wieder
verschwunden. Heute wollen Sie ihn nicht mehr wahrhaben; aber der Vorschlag war da. Allein der Gedanke,
dass ältere Menschen auf Mobilität verzichten müssen,
ist unfassbar. Er ist nahezu eine Frechheit. Vielleicht
liegt ihm die Unkenntnis über die tatsächlichen Unfallverursacher zugrunde.
({5})
Wie wichtig Ihnen Verkehrssicherheit ist, sieht man
auch daran, dass Sie im Haushalt die Ausgaben für Verkehrssicherheit gekürzt und nicht erhöht haben.
Herr Minister Klimmt, da Sie erst wenig über
100 Tage im Amt sind, sehe ich Ihnen nach, dass Sie
noch nicht so genau wissen, dass der Bundesverkehrswegeplan ein Bedarfsplan ist.
({6})
Aber der SPD sehe ich das nicht mehr nach. Es ist die
Verbreitung einer Lüge. Der Bedarfsplan ist dazu da,
dass der Bedarf aus den einzelnen Ländern angemeldet
wird. Wenn das geschehen ist, dann werden die Kosten
und der Nutzen errechnet.
Liebe Kollegen von den Grünen, wenn Ihre Vertreter
nicht ständig gegen eine Verbindung von A nach B demonstrieren würden,
({7})
dann würden die Baukosten für manche Projekte nicht
ins Unermessliche steigen; vielmehr könnte man die
Projekte wesentlich früher bauen.
({8})
Nun möchte ich einige Worte zum Investitionsprogramm sagen. Das Programm 1999 - 2002 ist absolut
nicht zukunftsweisend, sondern ein groß angelegtes
Täuschungsmanöver. Das Programm sollte Klarheit und
Wahrheit bringen; aber allein die Sprache verrät so
manches. Während kurz nach der Regierungsübernahme
in Ihrem Programmentwurf noch von einer Aufnahme
des Verkehrs die Rede war, steht jetzt „zur Verkehrsabwicklung“ im Text. Diese negative Sprache kommt dann
auch bei Kürzungen bei Neubaumaßnahmen, aber auch
bei Erhaltungsinvestitionen voll zum Ausdruck.
Die Auswirkungen auf den staugeplagten Autofahrer, aber auch auf das Gewerbe sind verheerend. Es gibt
fast keine neuen Baubeginne, sondern nur den Weiterbau.
({9})
Das zeigt dieses Investitionsprogramm ganz deutlich
auf. Die Wahrheit, die in diesem Programm enthalten ist
- mein Kollege Fischer hat schon darauf hingewiesen -,
lässt zu wünschen übrig; denn es wird suggeriert, dass es
bis 2002 laufen soll. Aber es läuft natürlich wesentlich
länger.
Zur Erinnerung: Wir hatten in unserer mittelfristigen
Investitionsplanung bis zum Jahr 2002 den Betrag von
22,3 Milliarden DM vorgesehen. Jetzt sind es nur noch
17,4 Milliarden DM, also rund 5 Milliarden DM weniger, die in den Straßenbau investiert werden. Ich verweise auch auf die Aussage der Verkehrsministerkonferenz
der Länder vom 3./4. November. Ich zitiere:
Die Verkehrsministerkonferenz fordert den Bund
eindringlich auf, zur unverzüglichen Behebung der
kritischen Situation im Bundesfernstraßenbau und
Schienenwegeausbau entsprechende Vorschläge zu
unterbreiten und die Finanzierungsmittel dem tatsächlichen Bedarf anzupassen.
({10})
Nichts ist geschehen. Das Investitionsprogramm - so
geht es weiter im Text - stehe im krassen Widerspruch
zu den VMK-Beschlüssen, wonach ein jährlicher Zusatzbedarf von 4 Milliarden DM erforderlich sei, und jetzt hören auch Sie zu! - der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur außerhalb der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ könne nicht mehr im notwendigen Umfang fortgeführt werden. Nehmen Sie sich doch die Worte Ihrer
SPD-Länderverkehrsminister ein bisschen zu Herzen;
das wäre gut.
({11})
Die Worte der Länderverkehrsminister sprechen eine
deutliche Sprache. Ich zitiere ein Beispiel aus Bayern:
Bayern erhält bis 2003 für neue Projekte nur noch
29,4 Millionen DM. Damit kann man vielleicht 3 Kilo-
meter Straße bauen. Die für baureife Projekte erforderli-
chen Mittel betragen allein für Bayern rund 3 Milliarden
DM.
Meine Kolleginnen und Kollegen, Ortsumgehungen
sind natürlich nicht nur Umweltschutz, sondern auch
Menschenschutz.
Bei den Investitionen für die Schienenwege ist eben-
falls Stillstand eingetreten. Die angebliche Mobilisie-
rung zusätzlicher Mittel in Höhe von 5,4 Milliarden DM
ist eine reine Nebelkerzenaktion. Die erneute Niederlage
der Grünen, Kollege Schmidt, sollte damit verschleiert
werden; denn die Grünen hatten die Zustimmung zum
Investitionsprogramm von der Anhebung der Höhe der
Mittel für die Schiene abhängig gemacht.
Kollege Schmidt, Sie hören es nicht gern, aber ich
muss Ihnen sagen:
Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Ich höre Ihnen immer gern
zu!)
Es sind keine neuen Mittel für die Schiene bereitgestellt
worden, sondern es handelt sich um einen plumpen Versuch, Ihr Einknicken zu kaschieren. Bekannt ist, dass Sie
für das privat vorfinanzierte Verkehrsprojekt Nürnberg München, das Sie eigentlich immer abgelehnt haben,
({12})
jetzt 3 Milliarden DM in das Investitionsprogramm einstellen. Dem Investitionsprogramm haben Sie zugestimmt.
({13})
Lassen Sie mich eine Bemerkung zu einer privaten
Vorfinanzierung machen: Sie übersehen immer den
volkswirtschaftlichen Nutzen und den Gewinn, der dann
über Steuereinnahmen wieder in den Haushalt zurückfließt.
Die Aussagen, die der neue Bahnchef Mehdorn gestern im Ausschuss gemacht hat, was zum Beispiel das
Schienenprojekt Stuttgart-München oder auch das Projekt Nürnberg-Erfurt anbelangt, stimmen eigentlich sehr
hoffnungsvoll; denn er hat gesagt, es seien schnelle
Zugverbindungen von einem Verkehrsknoten zum anderen erforderlich. Zum Beispiel sollte auf der Strecke
München-Berlin eine Fahrzeit von dreieinhalb Stunden
erreicht werden, damit mehr Verkehr auf die Schiene
verlagert wird.
({14})
Meine Damen und Herren von der Koalition, da müssen Sie aber noch ziemlich viel umdenken; denn das
Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ NürnbergErfurt gehört nicht gerade zu Ihren Lieblingsprojekten.
Kollege Schmidt, die Grünen haben dieses Konzept gestern - das waren ihre Aussagen im Ausschuss - eindeutig gebilligt. Wir werden Sie beim Wort nehmen: Auch
Sie wollen in Zukunft dieses Verkehrsprojekt „Deutsche
Einheit“. Das freut uns ganz besonders.
({15})
Wir benötigen dringend mehr Geld für Verkehrsinvestitionen. Ein Weg wäre, Einnahmen aus der Ökosteuer, die den Namen nicht verdient, zweckgebunden
für Investitionen in die Verkehrswege auszugeben.
({16})
Frau Kollegin,
ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie zum Schluss
kommen müssen.
Gut. - Ich verhehle
nicht, dass es uns als Verkehrspolitikern damals nicht
gelungen ist, eine Zweckbindung bei der LKW-Gebühr
herbeizuführen. Aber, meine Damen und Herren von der
Koalition, Sie wollten doch alles besser machen.
({0})
Jetzt können Sie den Beweis antreten, indem Sie eine
Zweckbindung forcieren. Ihre Verkehrspolitik ist nicht
zukunftsgerichtet, sondern ein Schritt in den Abgrund.
({1})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich.
({0})
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen, Liebe Kollegen! Sehr verehrte Frau
Blank, in einen Abgrund werden wir uns ganz sicherlich nicht stürzen. Wir sind gerade noch einmal vor dem
Abgrund gestoppt, den Ihre Finanzpolitik uns beschert
hat.
({0})
Sie bezeichnen in Ihrem Antrag Mobilität als den
Schlüsselfaktor unserer Entwicklung. Dem ist zuzustimmen. Aber dennoch muss man hier einmal Klarheit
und Wahrheit auf die Tagesordnung bringen.
({1})
- Ja, Herr Friedrich, das ist immer gut. Daher bezeichne
ich Ihren und den Antrag der CDU/CSU als Bankrotterklärung Ihrer Politik der letzten 16 Jahre.
({2})
CDU, CSU und F.D.P. haben auf Kosten künftiger
Generationen Politik gemacht. Sie haben die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben, sodass wir jährlich
80 Milliarden DM an Zinsen zu bezahlen haben. Wenn
wir doch nur ein Zehntel davon hätten, Herr Friedrich,
also 8 Milliarden DM, so wäre in Ihren damaligen
Haushalten vielleicht anderes möglich gewesen.
({3})
Es ist uns gelungen, diese Schuldenspirale zu durchbrechen.
Trotz der notwendigen Sparmaßnahmen auch im
Haushalt des Ministers für Verkehr, Bauen und Wohnen
ist es aber gelungen - ich möchte hier jetzt wirklich dem
Märchen von der Absenkung der Investitionen begegnen -, den Investitionsanteil gerade auch im Bereich des
Straßenverkehrs stabil zu halten.
({4})
Herr Waigel hatte für das Jahr 1997 8,1 Milliarden DM
und für 1998 8,4 Milliarden DM vorgesehen. Wir haben
für den Haushalt 1999 8,4 Milliarden DM, für 2000
8,3 Milliarden DM und für 2001 und 2002 jeweils
8,2 Milli-arden DM Investitionsanteil beim Straßenbau
eingeplant, den Sie hier immer so hervorheben. Von einem Kahlschlag kann überhaupt keine Rede sein.
({5})
Zwei Punkte Ihrer unverantwortlichen Verkehrspolitik möchte ich jetzt herausgreifen, und zwar weil ich aus
Baden-Württemberg komme und wir darunter ganz besonders leiden. Erstens: die unverantwortliche private
Vorfinanzierung. Dies war ein teurer Einkauf von Zeit.
Sie haben kommenden Generationen Gestaltungsspielräume genommen. Weil dies auch immer im theoretischen Bereich bleibt, möchte ich jetzt auf die Zahlen,
die zum Beispiel der Engelbergtunnel gekostet hat, eingehen.
({6})
600 Millionen DM Baukosten waren angegeben. Er ist
etwas teurer geworden: 800 Millionen DM. Die Planungen im Bundesverkehrswegeplan stimmen eben oft
nicht. Die Kosten werden sich unter dem Strich nach
Rückzahlung der Zinsen für die private Vorfinanzierung
auf 1,3 Milliarden DM belaufen.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?
Aber bitte.
Frau Kollegin, wenn Sie die Konzessionsmodelle ansprechen und
sagen, das sei ein relativ teurer Einkauf von Zeit, dann
möchte ich gerne von Ihnen wissen, welchem Konzessionsmodell die SPD-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss, im Verkehrsausschuss oder im Plenum
widersprochen hat. Gibt es ein einziges Konzessionsmodell, das ohne die Zustimmung der SPD beschlossen
worden wäre?
Der Engelbergtunnel ist ein rein privat vorfinanzierter Tunnel. Es wird in
der Zukunft keine Maut erhoben werden. Die Verkehrspolitiker haben - das wissen Sie ganz genau - allen diesen Modellen im Bereich der privaten Vorfinanzierung
immer widersprochen.
Gestatten Sie
auch noch eine Nachfrage des Kollegen Fischer?
Nein.
({0})
- Das war kein Geeiere.
({1})
- Wenn Sie so großen Wert darauf legen. Herr
Fischer, bitte.
Darf ich Sie
darauf hinweisen, dass Sie eben in Ihrer Formulierung
genau die Definition des Konzessionsmodells gewählt
haben? Ist Ihnen bekannt, dass alle Konzessionsmodelle
- es gibt keine Ausnahme - von der SPD-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss, in den Fachausschüssen und im Plenum mitgetragen worden sind?
Deswegen ist eine Kritik an der Vorgängerregierung in
diesem Zusammenhang zumindest aus Ihrem Munde
unangemessen. Können Sie dem zustimmen?
Nein, dem kann ich
nicht zustimmen. Deswegen habe ich zuvor Wert darauf
gelegt, dass wir Verkehrspolitiker und -politikerinnen
der SPD dies immer abgelehnt haben.
({0})
- Selbstverständlich. - Das andere, was Sie im Haushaltsbereich dargestellt haben, ist richtig. Jetzt möchte
ich aber mit meinen Ausführungen fortfahren.
Auf Kosten der Substanz haben Sie auch in einem
zweiten Bereich gelebt. Die F.D.P. begründet den von
ihr gestellten Antrag mit einer verheerenden Zustandsbeschreibung unseres deutschen Straßennetzes. Hier haben Sie nun wirklich einen Offenbarungseid geleistet,
Herr Kollege Friedrich. Sie glauben doch nicht im Ernst,
dass der Zustand unseres Straßennetzes erst in den
letzten 15 Monaten so erschreckend geworden ist, wie
Sie ihn hier beschreiben. Richtig ist, dass Sie in den vergangenen Jahren systematisch die Pflege vorhandener
Verkehrswege vernachlässigt haben und stattdessen Spatenstiche an allen Ecken und Enden der Republik vorgenommen haben, ohne dass die Finanzierung der Baumaßnahmen langfristig abgesichert gewesen wäre.
({1})
300 Millionen DM betrug die Differenz zwischen den
für die Erhaltung notwendigen Mitteln und den tatsächlichen Ausgaben alleine für die Ingenieurbauwerke der
Bundesfernstraßen in den alten Bundesländern. Die Versäumnisse der Vergangenheit bestehen darin, dass Sie
die steigende Beanspruchung der Straßen durch höhere
Achslasten und zunehmenden Verkehr missachtet haben. Die Erhaltungsmaßnahmen spielen dagegen in unserer Finanzplanung eine wichtige Rolle. Für Erhaltungsinvestitionen haben wir rund 3,5 Milliarden DM in
den Haushalt eingestellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSUFraktion, wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben, „Maßstab
darf nicht der gegenwärtige Bedarf sein, sondern das zu
erwartende Verkehrsaufkommen“, so ist das ja richtig.
Aber der gegenwärtig gültige Bundesverkehrswegeplan
ist schon lange nicht mehr haltbar. Vorhin wurden schon
die für diesen Plan erforderlichen Finanzmittel genannt;
in diesem Zusammenhang wurde auch auf die Unterdeckung in Höhe von 90 bis 100 Milliarden DM hingewiesen.
({2})
Das ist übrigens nicht von der SPD ausgerechnet worden, sondern von verschiedenen Verkehrsinstituten. Sie
müssten also Herrn Professor Aberle fragen, der diese
100 Milliarden DM genannt hat.
({3})
- Nein, diese Zahlen müssen Sie einfach zur Kenntnis
nehmen.
({4})
Deshalb ist ein neuer Bundesverkehrswegeplan dringend notwendig. Grundlage hierfür wird ein Verkehrsbericht 2000 sein, der die aktuellen Verkehrsprognosen
aufnehmen wird. Auch sollen die Bewertungskriterien
überarbeitet und ergänzt werden. Umwelt, Raumordnung und Städtebau bekommen einen neuen Stellenwert.
Die Schnittstellen und Verknüpfungen der einzelnen
Verkehrsträger werden für die zukünftige Verkehrsplanung eine größere Rolle spielen müssen.
Damit vor dem In-Kraft-Treten des neuen Bundesverkehrswegeplans Sicherheit und Klarheit einkehren
können, haben wir das Investitionsprogramm aufgelegt, das für die Zeit bis 2002 67 Milliarden DM umfasst. Dies schafft Planungssicherheit für Länder, Städte
und Gemeinden.
Ferner wird es darum gehen, die Investitionen für die
Bahn zu verstärken. Im Investitionsprogramm 1999 bis
2002 ist es uns schon gelungen, 55 Prozent der Mittel in
den westlichen Bundesländern auf die Schienenwege zu
lenken. In einem Gespräch mit Herrn Mehdorn haben
wir auch erfahren - dies ist uns schon seit langem klar -,
dass es zuallererst darum geht, Chancengleichheit für
die Bahn herzustellen, was im Hinblick auf den europäischen Rahmen umso notwendiger, aber auch umso
schwieriger sein wird.
Innerhalb der Europäischen Union ist es jetzt schon
gelungen, zu verabreden, dass im Bereich der transeuropäischen Netze der Zugang für Verkehrsunternehmen,
die die Sicherheitsvorschriften erfüllen, gewährleistet
sein wird, ohne dass nationale Regierungen Einspruch
erheben können. Das heißt, wir haben den ersten Schritt
in Richtung einer besseren Politik getan, um mehr
Chancengleichheit für die Bundesbahn zu erreichen.
({5})
Der zweite Ansatz, den wir einführen werden - Verkehrsminister Klimmt hat schon darauf hingewiesen -,
ist die kilometerabhängige Autobahngebühr für
LKWs. Diese entfernungsabhängige Gebühr ist für
Deutschland als Transitland ein wichtiges Instrument,
um ein Zeichen zu setzen, dass Güter von der Straße auf
die Schiene gehören und dass in dem Wettbewerb der
Verkehrsträger auch die Straße die Kosten, die durch ihre Benutzung entstehen, zum Teil selbst zu tragen hat.
Das bisherige System, das Wenigfahrer benachteiligt
und Vielfahrer bevorzugt, wird abgeschafft werden.
Ein positiver Ausblick: Es wird in Zukunft darum gehen, die Verkehrsinfrastruktur in allen Bereichen für alle
Verkehrsträger leistungsfähig zu machen. Es geht um
den Ausbau und um den Erhalt der europäischen Verkehrswege sowie um klare Prioritäten und um eine realistische Investitionspolitik. Es geht auch darum, dass
das Investitionsprogramm als Brücke zu einem neuen
Bundesverkehrswegeplan in diesen Zeiträumen realisiert
wird, dass ein verlässliches Planungsinstrument entsteht
und dass wir einen Bundesverkehrswegeplan aufstellen
werden, der kein unterfinanzierter Wunschzettel ist, so
wie dies in der Vergangenheit bei Ihnen der Fall war.
({6})
Frau Kollegin,
ich denke, dies wäre ein schöner Schluss. Ihre Redezeit
ist nämlich abgelaufen.
Ein letzter Satz. Es
wird darum gehen, die Chancengleichheit der Verkehrsträger in den Mittelpunkt zukünftiger Verkehrspolitik zu
stellen, die - im Gegensatz zu Ihnen - Wahrheit und
Klarheit in ihren Haushalts- und Investitionsplänen aufweist.
({0})
Jetzt hat der
Herr Kollege Börnsen das Wort.
({0})
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Warum ist eine verantwortungsbewusste Verkehrspolitik
gerade in Deutschland so wichtig? Wir sind auf unserem
Kontinent Transitland Nummer eins. Bedingt durch unsere geographische Lage ist die Bundesrepublik Verkehrsdrehscheibe in Europa. Die wirtschaftliche Entwicklung unserer Nachbarn in Ost und West, in Nord
und Süd ist ganz entscheidend von einer klugen und zukunftsorientierten Verkehrspolitik bei uns abhängig. Als
größte Exportnation auf diesem Kontinent müssen wir
ein elementares, ja vitales Interesse an dynamischen
Märkten in Deutschland und in unserem Umfeld haben,
die Arbeit und Nachfrage sichern.
Ein solches Verständnis einer global ausgerichteten
Verkehrspolitik sehe ich derzeit bei der rot-grünen Bundesregierung nicht. Gegenüber dem Verkehrsetat des
Jahres 1998 hat sie in ihrem ersten Regierungsjahr den
Etat um 6,5 Milliarden DM gekürzt und im zweiten Jahr
im Vergleich zu 1998 um 5,3 Milliarden DM. Das bedeutet eine Kürzung von 11,8 Milliarden DM in nur
zwei Jahren und damit weniger Ausbau von Schiene,
Straße, Wasserstraße und Luftverkehr. Mit diesen drastischen Streichungen schadet man unserem und dem europäischen Arbeitsmarkt. Vergessen wir nicht: Über
4 Millionen Arbeitlose allein bei uns erwarten, dass für
die Schaffung von Arbeitsplätzen gehandelt und nicht
gekürzt wird.
({0})
Die Politik dieser Regierung ist aktuell unverantwortlich und mittelfristig von verheerender Auswirkung.
Allein in den nächsten zehn Jahren werden die Verkehrsleistungen bei uns drastisch steigen, beim Individualverkehr um 30, bei der Bahn um 41 und im Luftverkehr um 150 Prozent. Für den Gütertransport lautet die
Prognose: 95 Prozent Zunahme für die Straße, 55 Prozent Zuwachs für die Bahn und 84 Prozent Zuwachs für
die Wasserwege. Der europäische Ost-West- und WestOst-Verkehr wird sich in den kommenden zehn Jahren
verdreißigfachen.
Die Frage ist nicht, ob wir die Voraussetzungen für
zügigen Verkehr schaffen, sondern die Frage ist allein,
wie wir diese Zukunftsherausforderungen meistern.
Schon jetzt sind große Teile unseres Bundesfernstraßennetzes überlastet, stressige Staus gehören zum Alltag.
Die volkswirtschaftlichen Schäden belaufen sich auf
über 200 Milliarden DM pro Jahr. Aber statt Abhilfe
und Vorsorge zu betreiben, ist fast Stillstand eingetreten.
Ich rufe in Erinnerung: Über 11 Milliarden DM hat die
Bundesregierung gegenüber 1998 im Verkehrsbereich
gekürzt, nicht zuletzt auf Druck der Bündnisgrünen. Sie
wollten die Verkehrswende und schaffen, überspitzt gesagt, das Verkehrsende.
Das Magdeburger Wahlprogramm der Grünen vom
März 1998 gibt für diese Feststellung reichlich Nahrung.
Während dieses Papier auf Konfrontation mit dem bisherigen Verkehrskurs ausgerichtet ist, bemüht die SPD
in ihrem Leipziger Beschluss vom April 1998 mehr die
Kontinuität. In der Koalitionsvereinbarung vom Oktober
1998 kommen die teilweise gegensätzlichen Standpunkte zu einem künstlichen Kompromiss. Dieses Dilemma begleitet seitdem deutsche Verkehrspolitik: Handeln mit angezogener Handbremse!
({1})
Beispiel eins: das Auto. „Wir wollen ein Verkehrssystem, das die Mobilität aller Menschen flächendeckend ... gewährleistet. ... Die besonderen AnforderunKarin Rehbock-Zureich
gen an Mobilität gerade im ländlichen Raum werden berücksichtigt.“ So der rot-grüne Koalitionsvertrag. Tatsache ist: Die Ökosteuer ist eine Strafsteuer für Menschen
im ländlichen Raum geworden.
({2})
Am 1. April 1999 wurden die ersten sieben Pfennig kassiert, bis zum Jahre 2003 werden es 35 Pfennig sein. Der
ADAC spricht von einer Zusatzbelastung für den Autofahrer bei 15 000 Jahreskilometern von 1400 DM. Der
Bund der Steuerzahler, der die Kfz-Steuer mit einrechnet, geht bei einem Pendler mit 27 500 Jahreskilometern
und einem Hubraum von 1,8 Litern von einer Zusatzbelastung von jährlich 603,36 DM durchschnittlich aus.
Das heißt, fünf Jahre Ökosteuer bedeuten für eine Landfamilie 3016,80 DM Mehrausgaben - eine einseitige
Mehrbelastung für den, der nicht umsteigen kann. Das
ist unfair, das ist ungerecht. Es trifft die Schwächeren in
unserer Gesellschaft.
({3})
Im März 1998 haben die Bündnisgrünen in ihr Wahlprogramm für die Bürger der Bundesrepublik geschrieben: „Kommt die Ökosteuer, wird die Kfz-Steuer gestrichen und ... es kommt zu einem sozialen Ausgleich für
die Pendler.“ Fehlanzeige für beide Zusagen. In Magdeburg versprochen, in Berlin gebrochen.
({4})
Beispiel zwei: die Bahn. „Die Bahn muss beim Güter- und Personenverkehr Vorrang erhalten. Die Wettbewerbsbedingungen müssen zugunsten der Bahn verändert werden.“ So das SPD-Grundsatzpapier vom April
1998 in Leipzig.
({5})
Tatsache ist: Der Bahnstrom steigt nach Aussage des
neuen Bahnchefs Hartmut Mehdorn um 100 Prozent in
den nächsten drei Jahren.
({6})
Eine steuerliche Belohnung für umweltgerechtes Handeln gibt es nicht. Die Bahn wird teurer.
Um die Bahn auch beim Gütertransport wettbewerbsfähig zu machen, wären dreimal so viel Investitionen in
das Schienennetz notwendig - so der Bahnchef. Die
Verlagerung von Gütern von der Bahn auf die Straße
wird also weitergehen. Die zugesagten Wettbewerbsvorteile für die umweltfreundliche Schiene fallen aus. Das
Bahn-Fazit: In Leipzig versprochen, in Berlin nicht eingehalten!
({7})
Beispiel drei: der Transrapid, über den schon gesprochen worden ist. „Die Magnet-Schwebebahn ist eine
hoch entwickelte Technologie. Grundlage für die Realisierung ... sind die Vereinbarungen im Eckpunktepapier ... vom April 1997.“ So der Koalitionsvertrag. Die
Grundlage hat sich bis heute nicht verändert. Erst kürzlich hat sich Bundeskanzler Schröder wieder eindeutig
für den Transrapid ausgesprochen. Der Verkehrsminister
Klimmt, die Minister Eichel und Müller, Herr Müntefering, die Ministerpräsidenten Clement, Runde und Stolpe, sie alle sind für den Transrapid. Leider sind viele
Bündnisgrüne und Frau Simonis in Kiel dagegen. Sie
betreiben eine Dauerblockade gegen ein Zukunftsprojekt, das auf der Welt einmalig ist. Fünfmal ist die Entscheidung verschoben worden. Aber über 1 Milliarde
DM stehen im Bundesverkehrswegeplan bereit.
({8})
Die Strecke Hamburg-Berlin ist fix und fertig ausgeplant. Im Herbst könnte der Bau beginnen, wenn die
Bundesregierung zügig zu Potte käme. 17 Monate ist sie
bereits im Amt; doch die Bündnisgrünen sperren sich
immer noch gegen dieses bedeutendste Verkehrsprojekt
Europas und der Welt.
({9})
Das Transrapid-Fazit: In Bonn noch gewollt, in Berlin
den Bündnisgrünen Tribut gezollt.
({10})
Beispiel vier: der ÖPNV. „Wir wollen den ÖPNV
durch ... Modernisierung zu einer Alternative für den Individualverkehr ausbauen." - So das grüne Grundsatzprogramm. Tatsache ist: Die Ökosteuer bewirkt das Gegenteil. Sie ist eine Mogelpackung. Bei den Verkehrsbetrieben in meinem Wahlkreis Schleswig-Flensburg sind
bei 185 Bussen Energiemehrkosten von 130 000 DM
jährlich entstanden.
({11})
Eine Preiserhöhung steht an, die besonders Schüler und
Rentner trifft. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund
rechnet mit 500 Millionen DM an ÖPNV-Zusatzkosten
für die betroffenen Gemeinden. Mindestens 5 Prozent
Fahrpreissteigerung durch die Ökosteuer sind seine
Prognose.
({12})
Höhere Preise senken die Attraktivität des ÖPNV. Das
Fazit: Von Grün den Bürgern versprochen, von Grün
gebrochen.
({13})
Beispiel fünf: „Verkehrsinvestitionen sind für nachhaltiges Wachstum unverzichtbar.“ So der Koalitionsvertrag. Richtig. Tatsache ist: 11,8 Milliarden DM hat
man bereits gekürzt. In den kommenden vier Jahren - so
die Hiobsbotschaften aus den Haushaltsunterlagen werden bei der Straße 1,4 Milliarden DM, bei der SchieWolfgang Börnsen ({14})
ne 750 Millionen DM und bei den Wasserstraßen 460
Millionen DM gestrichen. Dazu kommen noch jährliche
Regelkürzungen von 900 Millionen DM. Das bedeutet
3,5 Milliarden DM weniger für den Ausbau von Verkehrswegen.
Tatsache ist, dass es auch im Investitionsprogramm
zu einer Verlagerung kommt, weil erst im Jahre 2003
der Bundesverkehrswegeplan greift. Das bedeutet eine
Verlagerung von Investitionen von insgesamt 5 Milliarden DM. Wer diese Resultate mit Ankündigungen im
Koalitionsvertrag vergleicht, der muss feststellen: In
Bonn formuliert, in Berlin degradiert.
({15})
Letztes Beispiel: Schleswig-Holstein.
({16})
Alle wichtigen Verkehrsprojekte für das Land zwischen
den Meeren seien in trockenen Tüchern, so der damalige
Bundesverkehrsminister Franz Müntefering in Kiel.
({17})
Tatsache ist: Auch in meinem Heimatland sind diese
drastischen Mittelkürzungen und Planverschiebungen
spürbar. Der Ausbau der A 7 ist plakativ angekündigt,
aber weder gesetzlich noch finanziell gesichert.
({18})
Die westliche Elbquerung ist angekündigt, aber weder
gesetzlich noch finanziell gesichert.
({19})
Die Fehmarnbeltquerung ist angekündigt, aber weder
gesetzlich noch finanziell gesichert.
Erst im Jahre 2003 soll nach dem Willen der Bundesregierung ein neuer Verkehrswegeplan greifen. Das bedeutet für Schleswig-Holstein konkret: Wir diskutieren
derzeit Phantomprojekte - nach dem Motto: In Kiel präsentiert, in Berlin demontiert.
({20})
Diese wenigen Beispiele beweisen: Eine gestaltende
Verkehrspolitik mit europäischer Verantwortung findet
derzeit in Deutschland nicht statt. Verkehrswege und
Verkehrsträger werden nicht optimiert, sondern reduziert.
({21})
Der Autofahrer zahlt durch jährliche Steuererhöhungen
die Zeche.
Herr Kollege
Börnsen, leider ist auch bei Ihnen die Redezeit abgelaufen.
Ich
komme zum Schluss. Würde man nur 10 Pfennige von
der Ökosteuer für den Ausbau von Verkehrsprojekten
nutzen,
({0})
hätte der Verkehrsminister 7 Milliarden DM jährlich in
der Kasse.
({1})
Das hieße vernünftige Verkehrspolitik.
Auf jeden Fall gilt: Die drastische Rücknahme von
Infrastrukturinvestitionen schadet dem Verkehrsstandort Deutschland, schadet dem Wirtschaftsstandort
Deutschland und letzten Endes auch dem Lebensstandort Deutschland.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Reinhard Weis.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Verkehrsinfrastrukturinvestitionen sind Schlüsselinvestitionen für die Verbesserung von Standortbedingungen;
da sind wir uns hier im Haus einig. Für die ostdeutschen
Länder gilt das wegen des noch immer vorhandenen Infrastrukturdefizites in ganz besonderer Weise. Auch
darüber, so denke ich, sind wir uns in diesem Hause einig. Es gibt Wirtschaftsforschungsinstitute, die sagen,
dass man deshalb alle besonderen Förderinstrumente für
die Entwicklung der ostdeutschen Bundesländer infrage
stellen könnte, die Verkehrsinfrastrukturförderung aber
noch mindestens für 10 Jahre bevorzugt aufrechterhalten
muss.
Seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation und der
Wiedervereinigung ist die Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland und damit der ostdeutschen Länder als
Haupttransitregion in Europa ganz immens gestiegen.
Das ist für uns eine positive Entwicklung. Sie stellt aber
an die Verkehrspolitik Anforderungen ganz besonderer
Art. In den neuen Bundesländern kommt eine wichtige
Erblast aus der DDR-Zeit, die die Menschen und ihre
Lebensqualität besonders unmittelbar berührt, hinzu.
Trotz enormer Anstrengungen fehlt noch immer eine
Vielzahl von Ortsumgehungen.
Wolfgang Börnsen ({0})
Wenn ich von den bereits erbrachten Anstrengungen
spreche, dann möchte ich die in den vergangenen Jahren
geleistete Arbeit ausdrücklich würdigen, nicht nur auf
der Basis des Straßenbauberichtes 1998, den wir heute
mit behandeln, sondern vor allem aus der ganz persönlichen Erkenntnis der in der Tat verbesserten Verhältnisse.
({1})
Viele Ortsumgehungen sind gebaut, große Verkehrsbelastungen konnten aus den Innenstädten herausgeführt
werden. Das Gleiche gilt für den Bau von Fernstraßen
und Bundesautobahnen, auch für die Straßen, die in Veranwortung der Länder und Landkreise gebaut bzw. instand gesetzt wurden. Daran gibt es nichts auszusetzen.
Es gibt aber sehr wohl etwas auszusetzen, wenn aus
dieser Sachlage falsche Schlüsse gezogen werden. Das
Gleiche gilt für den Bau von Fernstraßen und Bundesautobahnen, auch für die Straßen, die in Verantwortung
der Länder und Landkreise gebaut bzw. instand gesetzt
wurden. Daran gibt es nichts auszusetzen.
Es gibt aber sehr wohl etwas auszusetzen, wenn aus
dieser Sachlage falsche Schlüsse gezogen werden. Die
Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, die uns heute
einen Antrag vorgelegt haben, den wir mit beraten, tun
dies aber. Dieser Antrag beruht auf falschen Schlüssen
und Aussagen.
Ich will zwei Punkte, die für uns Ostdeutsche sehr
wichtig sind, besonders hervorheben: Sie fordern die
Bundesregierung auf, die Investitionsquote für den
Bundesfernstraßenbau entsprechend der bisherigen
und der zu erwartenden Verkehrsleistung des Straßengüter- und Straßenpersonenverkehrs zu erhöhen. Sie fordern auch, die investiven Voraussetzungen für eine
weitgehend staufreie Verkehrsabwicklung zu schaffen,
wobei der Entlastung von Städten und Gemeinden durch
den Bau von Umgehungsstraßen besondere Bedeutung
zukommt.
({2})
- Das ist an und für sich nicht verkehrt. Wie aber schon
in der Ausschussberatung behandelt, suggerieren Sie mit
diesem Antrag und den darin enthaltenden Forderungen,
Sie hätten alles getan und die Bundesregierung tue dies
nicht. Das kann ich so nicht stehen lassen. Sie ignorieren
wider besseres Wissen die Haushaltszahlen sowohl dieses Jahres als auch des vergangenen Jahres in Bezug auf
die Mittel, die für die neuen Bundesländer bereitgestellt
wurden bzw. werden. Auch dies haben wir im Verkehrsausschuss besprochen und richtig gestellt. Ich möchte
das in der Öffentlichkeit wiederholen. Der Ansatz von
8,2 Milliarden DM für die Sicherung der Straßenverkehrsinvestitionen - das wurde heute schon angesprochen -, der exakt in der Größenordnung vergangener
Ansätze liegt, zeigt, dass es keine Kürzungen gibt.
1999 wurden allein 18 Prozent der Verkehrsinvestitionen für die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ aufgewendet. Bis 2002 wird sich dieser Anteil auf rund
20 Prozent erhöhen - wohlgemerkt nur für die VDE.
Von den Straßenbauprojekten des vordringlichen Bedarfes werden rund 60 Prozent der Investitionen auf die
neuen Bundesländer konzentriert. Bei den Schieneninvestitionen entfallen bis 2002 45 Prozent der Mittel auf
die neuen Bundesländer. Allein diese Zahlen belegen
meinen eingangs erwähnten Schwerpunkt unserer Verkehrspolitik für die ostdeutschen Länder.
Wie ich schon sagte, beschäftigt uns Politiker aus den
ostdeutschen Ländern insbesondere das Thema der
Ortsumgehungsstraßen. Es beschäftigt uns allerdings
wegen eines besonders ärgerlichen Erbes, das wir jetzt
zu bewältigen haben, auf ganz besondere Weise. Die
SPD hat lange vor Übernahme der Regierungsverantwortung, nachweislich seit der Diskussion um den Bundesverkehrswegeplan 1992, immer wieder darauf hingewiesen, dass für die Realisierung dieses Bedarfsplanes
keine finanzielle Absicherung gegeben ist.
Das Wort von der Unterfinanzierung hören Sie nicht
gern. Wir haben das heute mehrfach erfahren. Heute haben wir Ihre Suppe auszulöffeln. Ich kann mir vorstellen, dass es großen Spaß gemacht hat, von Dorf zu
Dorf und von Stadt zu Stadt zu ziehen, um als willkommener Gast dringend gebrauchte Ortsumgehungen anzukündigen. Wir können uns das umso besser vorstellen,
als wir diejenigen sind, die nun die bitteren Wahrheiten
auf den Tisch legen müssen. Wir müssen bei uns zu
Hause erklären, dass das erforderliche Geld für die von
Ihnen versprochenen Ortsumgehungen von Ihnen nicht
in erforderlichem Maße eingestellt war.
({3})
Herr Staatssekretär Ibrügger hat kürzlich Ihre unsolide Finanzierungspraxis dokumentiert. Abgesehen von
den VDE waren nach der mittelfristigen Finanzplanung
Ihres Finanzministers Waigel 1998 insgesamt 15 Prozent der Hauptbautitel nicht gedeckt. Im Jahre 2002 wären es nach Ihrer Finanzplanung bereits 30 Prozent gewesen. Was hätten Sie bloß der Bevölkerung gesagt
bzw. heute getan, wenn Sie in der Regierungsverantwortung geblieben wären?
({4})
Damit haben Sie wohl aber wirklich nicht mehr gerechnet, denn Ihre Finanzplanung für die Zeit nach dem Jahre 1998 folgte offenbar dem Motto: Nach mir die Sintflut.
({5})
Nun komme ich zu den alternativen Finanzierungsmöglichkeiten für den Straßenbau, die Sie in Ihren Anträgen erwähnt haben. Natürlich möchten auch
wir mehr Geld in den Verkehrshaushalt einstellen. Deshalb ist von Bundesminister Klimmt die Kommission ins
Leben gerufen worden, die die Möglichkeiten zusätzlicher privater Finanzierung von Bundesstraßen durchleuchtet. Insofern laufen die Forderungen des F.D.P.Antrages ins Leere. Wir brauchen heute keinen Beschluss aus dem hohlen Bauch. Lassen Sie uns die Ergebnisse der Kommissionsarbeit abwarten und dann entscheiden!
Reinhard Weis ({6})
Ansonsten möchten die alten Koalitionspartner gern
die Ökosteuer zur Finanzierung von Verkehrsprojekten
heranziehen. Sie alle wissen, dass die Ökosteuer zur Absenkung der Lohnnebenkosten verwendet wird. Der Faktor Arbeit muss billiger werden, wenn wir die Voraussetzungen für zusätzliche Arbeitsplätze schaffen wollen.
({7})
Ich finde es bedauerlich, dass Sie mit der Diffamierung unserer Politik hinter Ihren eigenen Erkenntnisstand von 1997 zurückfallen. Bereits 1997 hat zum Beispiel Ihr Parteivorsitzender Wolfgang Schäuble vor dem
Umweltarbeitskreis der CDU festgestellt - ich zitiere
das aus der „Frankfurter Rundschau“ -:
Es führt kein Weg daran vorbei: Der Straßenverkehr, und zwar der Güterverkehr ebenso wie der
Personenverkehr, ist zu billig zu haben. Die Preise
spiegeln die wahren Kosten nicht wider.
({8})
Wir werden den Straßenverkehr teurer machen
müssen,
- so Wolfgang Schäuble! gerade in Deutschland. In den meisten anderen europäischen Ländern liegt der Benzinpreis höher als
bei uns.
({9})
- Ja, wo er Recht hat, hat er Recht.
Zählt die CDU/CSU das Thema Umweltschutz immerhin noch zu den Kriterien, die bei der Verkehrspolitik zu berücksichtigen sind, zeigt der F.D.P.-Antrag hier
gar kein Verantwortungsbewusstsein. Der Titel des Antrages „Straßenbau statt Autostau“ erinnert in seiner Einfalt fatal an den Slogan von gestern „Freie Fahrt für freie
Bürger“ und an alle in diesem Zusammenhang stehenden Fehlentwicklungen.
({10})
Fazit ist also: Der Bundesverkehrswegeplan von 1992
war und ist zweifellos unterfinanziert.
({11})
Viele der vollmundig angekündigten Verkehrsprojekte
waren von Waigel und Wissmann nicht im Haushalt abgesichert.
({12})
Der alte Bundesverkehrswegeplan wird deshalb überarbeitet. Für die Übergangszeit hat die Bundesregierung
mit ihrem Investitionsprogramm bis 2002 verlässliche
Planungssicherheit geschaffen.
Die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ sind zu ihrer zügigen Fertigstellung finanziell abgesichert.
Die Bundesregierung setzt den Aufbau Ost auch bei
der Infrastrukturentwicklung mit einem
überproportionalen Anteil an den Investitionsmitteln auf
unvermindert hohem Niveau fort.
Zum Schluss möchte ich mich an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wenden: Herr Fischer hat uns völlig überflüssigerweise empfohlen, wir
sollten unsere ideologische Betrachtungsweise ablegen.
Ich denke, unsere praktische Politik zeigt, dass wir Verkehrspolitik nicht nach ideologischen Grundsätzen machen.
({13})
Ich sage Ihnen: Wischen Sie sich den Sand, den Minister
Wissmann und Minister Waigel in Ihre Augen gestreut
haben, heraus und akzeptieren Sie die verkehrs- und finanzpolitischen Wahrheiten, denen wir uns stellen müssen.
Danke.
({14})
Ich schließe
damit die Aussprache zu diesem Punkt.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/2360, 14/245, 14/1082 und 14/2262
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen, wobei die Vorlage auf Drucksache
14/2262 nicht an den Finanzausschuss überwiesen werden soll. Der Entschließungsantrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
14/2576 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Straßenbaubericht auf Drucksache 14/245.
Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Interfraktionell wird ferner vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2582 an
folgende Ausschüsse zu überweisen: zur federführenden
Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuss für Angelegenheiten der
neuen Länder, den Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union und den Haushaltsausschuss.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 und 15 a bis 15 f
sowie die Zusatzpunkte 6 a und 6 b auf:
6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur NeuReinhard Weis ({0})
ordnung seuchenrechtlicher Vorschriften
({1})
- Drucksache 14/2530 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
15. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Übereinkommen vom 4. August 1995
zur Durchführung der Bestimmungen des
Seerechtsübereinkommens der Vereinten
Nationen vom 10. Dezember 1982 über die
Erhaltung und Bewirtschaftung von gebietsübergreifenden Fischbeständen und
Beständen weit wandernder Fische
- Drucksache 14/2421 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Vertrag vom 25. August 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Vereinigten Mexikanischen Staaten über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 14/2422 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Vertrag vom 5. November 1998 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland
und Antiqua und Barbuda über die Förde-
rung und den gegenseitigen Schutz von
Kapitalanlagen
- Drucksache 14/2423 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Renate Diemers, Maria Eichhorn, Hannelore
Rönsch ({5}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Initiative zur Schaffung von alternierenden
Telearbeitsplätzen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten im Rahmen des Umzuges von
Bonn nach Berlin
- Drucksache 14/1313 Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat ({6})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Winfried Wolf, Eva-Maria Bulling-Schröter,
Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der PDS
Keine Hermesbürgschaften für den IlisuStaudamm in der Türkei
- Drucksache 14/2336 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung
f) Beratung des Antrags des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie
Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes“ für das
Wirtschaftsjahr 1998
- Drucksache 14/2484 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 6 Weitere Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ({9})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung atomrechtlicher Vorschriften
für die Umsetzung von EURATOMRichtlinien zum Strahlenschutz
- Drucksache 14/2443 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10})
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
zur Stärkung des Schutzes der Böden
- Drucksache 14/2567 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zu
den Tagesordnungspunkten 6 und 15 a bis 15 f an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-
sen, wobei der Antrag auf Drucksache 14/2336 zusätz-
lich an den Ausschuss für Menschenrechte und humani-
täre Hilfe gehen soll. Einverstanden? - Ja. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Zum Zusatzpunkt 6 wird interfraktionell vorgeschla-
gen, die Vorlage auf Drucksache 14/2443 zur federfüh-
renden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an
den Ausschuss für Gesundheit zu überweisen. Gibt es
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind
auch diese Überweisungen so beschlossen.
Die Vorlage auf Drucksache 14/2567 soll zur feder-
führenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an
den Auswärtigen Ausschuss, den Ausschuss für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuss für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und
den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union überwiesen werden. - Andere Vorschläge
sehe ich nicht. Dann ist auch das so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten
16 a bis 16 m sowie zum Zusatzpunkt 7. Es handelt sich
um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine
Aussprache vorgesehen ist. Wir werden jetzt eine Reihe
von Abstimmungen haben.
Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 d:
Abschließende Beratung ohne Aussprache
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
11. Dezember 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik El
Salvador über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 14/1840 ({12})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
({13})
- Drucksache 14/2539 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
28. August 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan über
die Förderung und den gegenseitigen
Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 14/1842 ({14})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({15})
- Drucksache 14/2540 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 10. September 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der mazedonischen Regierung über
die Förderung und den gegenseitigen
Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 14/1843 ({16})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
({17})
- Drucksache 14/2541 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
21. März 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 14/1844 ({18})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
({19})
- Drucksache 14/2542 Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
Ich gehe davon aus, dass wir über diese vier Vertragsgesetze gemeinsam abstimmen können. - Damit
sind Sie offensichtlich einverstanden.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt auf den Drucksachen 14/2539, 14/2540, 14/2541
und 14/2542, die Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die den Gesetzentwürfen
zustimmen wollen, sich zu erheben. - Stimmt jemand
dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Gesetzentwürfe
sind damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 16 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({20})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Friedrich ({21}), Friedrich Merz, Ilse Aigner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Deutschland muss verlässlicher Partner in europäischer Raumfahrt bleiben
- Drucksachen 14/655, 14/1350 Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Fischer ({22})
Ilse Aigner
Hans-Josef Fell
Cornelia Pieper
Angela Marquardt
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/655 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 16 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({23}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dirk Fischer ({24}),
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Hannelore Rönsch
({25}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Satellitennavigationssystem Galileo
- Drucksachen 14/945, 14/2217 Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhold Hiller ({26})
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/945 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen?
- Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. angenommen; die PDS hat
sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 16 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({27}) zu der Unterrichtung über
ein Unionsdokument gemäß § 93 Abs. 2 GO-BT
Entwurf einer Entschließung des Rates zur sozialen und arbeitsmarktspezifischen Dimension der Informationsgesellschaft
- Drucksachen 14/2211 Nr. 2.1, 14/2346 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Irmgard Schwaetzer
Der Ausschuss empfiehlt, die Haltung der Bundesregierung zu unterstützen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen worden.
Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 16 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28})
Sammelübersicht 111 zu Petitionen
- Drucksache 14/2532 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 111 ist angenommen mit
den Stimmen aller Fraktionen bis auf die PDS, die sich
der Stimme enthalten hat.
Tagesordnungspunkt 16 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29})
Sammelübersicht 112 zu Petitionen
- Drucksache 14/2533 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 112 ist ebenfalls mit dem
eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen
worden, also mit den Stimmen aller Fraktionen bis auf
die PDS, die sich der Stimme enthalten hat.
Tagesordnungspunkt 16 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30})
Sammelübersicht 113 zu Petitionen
- Drucksache 14/2534 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 113 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen alle Oppositionsstimmen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 16 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschuss ({31})
Sammelübersicht 114 zu Petitionen
- Drucksache 14/2535 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 114 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 16 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({32})
Sammelübersicht 115 zu Petitionen
- Drucksache 14/2536 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 115 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen alle Oppositionsstimmen
angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 16 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33})
Sammelübersicht 116 zu Petitionen
- Drucksache 14/2537 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 116 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P.
gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Zusatzpunkt 7:
Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache ({34})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Berufsrechts der Rechtsanwälte
- Drucksache 14/2269 ({35})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({36})
- Drucksache 14/2594 Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Norbert Röttgen
Rainer Funke
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zu Berichten
über Defizite bei der Pflegeversicherung und
Auswirkungen auf die soziale Sicherheit alter
Menschen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Ulf Fink.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Das, wovor ich im Namen
der CDU/CSU-Fraktion nun schon seit Monaten warne
und was von der Regierungskoalition immer abgestritten
wurde, ist jetzt amtlich: Die Finanzentwicklung der
Pflegeversicherung ist im vergangenen Jahr erstmals seit
Bestehen der Pflegeversicherung defizitär. Zwar ist
das Defizit von 74 Millionen DM im vergangenen Jahr
noch verhältnismäßig gering, aber - das ist das Entscheidende - diese Finanzentwicklung belegt auf bestürzende Weise die Vorausschätzungen des Bundesversicherungsamtes vom 18. Oktober vergangenen Jahres.
Diese Vorausschätzungen hatten zum Ergebnis, dass die
Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung im Jahre
2002, also noch in dieser Legislaturperiode, nicht mehr
gewährleistet ist.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dies ist nicht lediglich das Ergebnis der zunehmenden Zahl von Pflegefällen, sondern das Ergebnis Ihrer
Politik.
({0})
Sie haben sich am Geld der Pflegeversicherung bedient,
um den Bundeshaushalt zu sanieren.
({1})
400 Millionen DM haben Sie jährlich der Pflegeversicherung an Einnahmen entzogen. Ihre Entscheidung, der
Pflegeversicherung nur noch Beiträge von der Arbeitslosenhilfe auf der Grundlage des tatsächlichen Zahlbetrages und nicht, wie bisher, auf der Grundlage von
80 Prozent des früheren Bruttoentgelts zu zahlen, erweist sich schon jetzt als gänzlich unverantwortlich.
({2})
Sie sparen damit zu Lasten der Schwächsten in unserer Gesellschaft, nämlich der Pflegebedürftigen, die sich
nicht wehren können. Da, wo Sie Widerstand gespürt
haben, im Gesundheitswesen, bei den Krankenkassen,
sind Sie zurückgezuckt. Da werden nach wie vor Beiträge auf der Grundlage von 80 Prozent des früheren Bruttogehalts gezahlt. Vor den Mächtigen kuschen Sie, bei
den Schwachen greifen Sie zu. Das nenne ich eine Sozialpolitik nach dem Urwaldprinzip.
({3})
Sie haben es zu verantworten, dass die Pflegeversicherung selbst zum Pflegefall wird. Marc Hujer kommentiert Ihr Vorgehen in der „Süddeutschen Zeitung“
vom 18. Januar dieses Jahres damit, dass es gerade diese
Haltung ist, „die die rot-grüne Koalition für ihre weiteren Vorhaben unglaubwürdig macht“.
Er fährt fort:
Überall in der Sozialversicherung, insbesondere in
der Rentenversicherung, will sie die Zukunftsprobleme mit Kapitalfonds, Zins und Zinseszins lösen.
Den Menschen redet sie ein, dass durch mehr Privatvorsorge die Belastungen, die wegen der Alterung der Bevölkerung auf die Sozialsysteme zukommen, bewältigt werden können. Doch den einzigen Sozialversicherungszweig, der dies bisher
beherzigte, hat sie dafür bestraft.
Ich glaube, diesen Worten von Marc Hujer in der „Süddeutschen Zeitung“ braucht man nichts hinzuzufügen.
({4})
Ich frage Sie: Wo soll nun das Geld herkommen, um
den Demenzkranken, den Altersverwirrten zu helfen?
Sie haben Hilfe für die Demenzkranken in der Regierungserklärung angekündigt, und diese ist auch dringend
notwendig. Wir haben eigene Anträge dazu eingebracht.
Aber woher soll denn nun das Geld kommen?
Zweitens: Die Pflegeversicherung wurde eingeführt,
um mit dem unwürdigen Zustand Schluss zu machen,
dass die Pflegebedürftigen reihenweise zu über
80 Prozent in den Pflegeheimen zu Sozialhilfeempfängern wurden. Das war unser gemeinsames Ziel. Aber
jetzt schauen Sie tatenlos zu, wie die Preise der Pflegeheime Jahr für Jahr steigen, während die Leistungen der
Pflegekassen gleich bleiben.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Mittlerweile liegen die Pflegesätze für die höchste
Pflegeklasse in den Pflegeheimen in den alten Bundesländern zwischen 3 300 und 4 300 DM. Da sind noch
nicht die Kosten für Unterkunft und Verpflegung enthalten. Diese müssen die Betreffenden sowieso schon alleine bezahlen. Die Pflegeversicherung zahlt aber höchstens 2 800 DM. Seit 1995/96 sind diese Sätze nicht angepasst worden. In allen Vorausschätzungen, auch in
denen des Bundesversicherungsamtes, die ich eben zitiert habe, ist überhaupt keine Anpassung dieser Leistungen für die nächsten Jahre vorgesehen. Was ist denn
nun mit dem Ziel, die Pflegebedürftigen sozialhilfefrei
zu stellen?
Drittens: Wie wollen Sie den gesetzlichen Auftrag erfüllen, den Beitragssatz von 1,7 Prozent zur Pflegeversicherung nicht zu überschreiten? Die Situation wird doch
immer auswegloser. Sie betreiben eine Vogel-StraußPolitik. Sie fahren mit Ihrer Politik die Pflegeversicherung wissentlich und willentlich an die Wand und sagen
immer nur, es wird vermutlich nicht so schlimm kommen.
({5})
Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen ein intaktes Erbe, eine Pflegeversicherung mit vollen Kassen hinterlassen.
({6})
Mit über 9,5 Milliarden DM waren die Kassen der Pflegeversicherung gefüllt.
Herr Kollege
Fink, in der Aktuellen Stunde hat man nur fünf Minuten
Redezeit. Wir werden das streng handhaben.
Geben Sie Auskunft darüber,
was Sie mit diesem Erbe angefangen haben. Die Millionen von Pflegeversicherten und Pflegebedürftigen haben
ein Recht darauf.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Regina Schmidt-Zadel.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Fink, das von Ihnen als
Anlass für die heutige Aktuelle Stunde bemühte angebliche Defizit in der gesetzlichen Pflegeversicherung ist
ein alter Hut. Das müssten Sie wissen.
({0})
Die Entwicklung ist längst bekannt und ist auch voraussehbar gewesen. Lesen Sie dazu doch einmal den ersten
Pflegebericht der Bundesregierung vom März 1998.
Dort werden Ihnen - noch unter Norbert Blüm - neben
der Finanzschätzung auch die Gründe dafür geliefert,
warum in den kommenden Jahren der bisherige jährliche
Überschuss zu einem Defizit von 670 Millionen DM in
diesem Jahr und von 70 Millionen DM im Jahr 2003
wird.
({1})
- Hören Sie mir bitte zu, ich komme noch darauf zu
sprechen.
Die Gründe dafür sind die Zunahme der kostenintensiven Pflege, Sachleistungen im ambulanten Bereich,
der demographische Faktor und die Mehrkosten durch
den Anstieg des Anteils der höheren Pflegestufe.
({2})
Die 400 Millionen DM, die der Pflegeversicherung
aufgrund der veränderten Bemessungsgrundlage fehlen,
sind nur ein Teil der Wahrheit. Auch das wissen Sie.
({3})
Natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir dieses Geld
für notwendige Verbesserungen zur Verfügung hätten.
({4})
Aber die Bewältigung der finanziellen Schieflage, die
Sie uns hinterlassen haben,
({5})
lässt uns auch in diesem Bereich keinen Spielraum.
({6})
Wenn Sie das jetzt kritisieren und in der Bevölkerung
Proteste wegen eines angeblichen Pflegenotstands schüren, verschweigen Sie den Bürgerinnen und Bürgern,
dass es vor allem die Folge der vorgefundenen finanziellen Erblasten Ihrer Regierungszeit ist, die wir heute bewältigen müssen.
({7})
Ich denke, dass wir an dieses Thema sachlich herangehen sollten. Für Schnellschüsse, wie Sie sie jetzt bringen, und für billige Polemik, Herr Fink, oder gar als Ablenkung von anderen politischen Debatten ist ein so sensibler Bereich wie die Pflegeversicherung nicht geeignet.
({8})
Wenn ich Ihre Erklärungen aus der letzten Zeit betrachte, Herr Fink, dann drängt sich mir dieser Verdacht auf.
Ich denke, er drängt sich nicht nur mir, sondern auch
vielen Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land auf.
({9})
Ich will einen wunden Punkt ansprechen. Ich kann
mich nicht daran erinnern, dass die Zahl der Arbeitslosen während Ihrer Regierungszeit merklich gesunken
wäre.
({10})
Im Gegenteil, Sie haben den Anstieg auf über
400 Millionen Arbeitslose in diesem Land politisch zu
verantworten.
({11})
- Sie haben den Anstieg auf über 4 Millionen Arbeitslose politisch zu verantworten.
({12})
Rechnen Sie sich einmal aus, welchen Mittelbestand die
Pflegeversicherung heute hätte, wenn Sie seinerzeit den
Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ernst genommen hätten.
({13})
Auch Ihr Vorwurf, für Leistungsverbesserungen sei
kein Geld da, zielt ins Leere. Wahr ist: Die Koalition hat
bereits zu Beginn dieser Legislaturperiode Verbesserungen durchgesetzt, die Sie längst hätten durchsetzen müssen
({14})
und die Sie wegen Ihres Koalitionspartners - Herr Parr,
da sind Sie gefragt - damals nicht durchgesetzt haben.
Wahr ist: Die Union hat heute das große Wehklagen angestimmt - Herr Fink ist der Anführer -, aber ihre Behauptung, sie hätte in der letzten Wahlperiode Verbesserungen auf den Weg gebracht, wenn es ihr Koalitionspartner nur zugelassen hätte, ist scheinheilig.
({15})
Meine Damen und Herren, die Koalition lässt sich die
Pflegeversicherung nicht schwarz malen.
({16})
Das will ich ganz klar sagen. Unsere Devise heißt: Verbesserungen vornehmen, wo Verbesserungen notwendig
sind, und die finanziellen Grundlagen der Pflegeversicherung durch Erfolge beim Abbau der Arbeitslosigkeit
stabilisieren.
({17})
Ich rufe Sie auf - hören Sie mir bitte gut zu -, die
Pflegeversicherung nicht zum Spielball im politischen
Tagesgeschäft zu machen.
({18})
Nehmen Sie die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen ernst. Beteiligen Sie sich sachlich und konstruktiv
an der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Billige Wahlkampfpolemik auf dem Rücken der Pflegebedürftigen führt zu nichts, meine Damen und Herren.
({19})
Die Pflegeversicherung - Herr Fink, hören Sie gut
zu - braucht keine Aktuellen Stunden im Deutschen
Bundestag. Sie benötigt Lesungen von Gesetzentwürfen,
die Verbesserungen bringen. Wir werden die Entwürfe
in nächster Zeit einbringen. Sie haben dann die Gelegenheit, im Interesse der Pflegebedürftigen zu beweisen,
wie ernst Ihnen diese Sache ist.
({20})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Detlef Parr.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Elisabeth Flickenschildt hat einmal in
Düsseldorf gesagt, man spricht von kleinem, großem
und mittlerem Echauffement. Ich glaube, Frau
Schmidt-Zadel, mit dem großen Echauffement lösen Sie
die Probleme nicht, die wir dabei sind hier zu diskutieren.
Hätten wir die Pflegeversicherung auf andere ordnungspolitische Säulen gestellt, dann hätten wir uns die
heutige Debatte vielleicht sparen können.
({0})
Es sollte anders sein. Nun müssen wir feststellen, dass in
den letzten Monaten der Pflegeversicherung vermeidbare Belastungen zugemutet worden sind. Wir alle wissen,
wie das aussieht, und es bedarf keiner hellseherischen
Fähigkeiten, um erkennen zu können, wohin die Politik,
die Sie betreiben, führt.
({1})
Woher nehmen Sie, meine Damen und Herren von
der SPD und den Grünen, und Sie, Frau Staatssekretärin,
eigentlich Ihren Optimismus, mit einem „Weiter so“ die
erkennbaren Hürden in Angriff zu nehmen? Wir alle
kennen doch die demographische Entwicklung, wir alle
kennen die lebensverlängernden Folgen des rasanten
medizinischen Fortschritts. Wie wollen Sie eigentlich
diesen Tatsachen Rechnung tragen? Wie leichtfertig gehen Sie eigentlich mit diesen Argumenten um?
Wenn Sie sich die Zahlen und Prognosen des Bundesversicherungsamtes genau anschauen, dann müsste
Ihnen doch eigentlich angst und bange werden. Der
Trend zu einer wachsenden Zahl von Pflegebedürftigen
hält ungebrochen an. 1996 hatten wir circa 1,2 Millionen Menschen, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhielten. In diesem Jahr ist ihre Zahl bereits auf
1,8 Millionen angewachsen.
Frau Schmidt-Zadel, wir wissen, dass die ambulante
Pflege abnimmt, während die stationäre zunimmt. Auch
das wird Kostenfolgen haben. In eine solche Situation
hinein setzen Sie einen Verschiebebahnhof zwischen
verschiedenen Zweigen der sozialen Sicherung in Gang.
Das, was Sie da getan haben, ist leichtfertig.
({2})
Sie sorgen damit dafür, die finanzielle Basis für die
soziale Absicherung im Pflegefall zu unterminieren. Es
ist genau das eingetreten, was wir immer befürchtet und
wovor wir immer gewarnt haben. Kollege Fink hat das
erwähnt: Wo Gelder im Zugriffsbereich des Staates angehäuft werden, entstehen Begehrlichkeiten. In Zeiten
knapper Kassen ist dann die Hemmschwelle sehr niedrig, sich an solchen Töpfen zu vergreifen. Genau das haben Sie getan. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass
man diesen Weg nur in der Pflegeversicherung beschritten hat, nicht hingegen in der Krankenversicherung.
Unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten ist das
nicht zu rechtfertigen, meine Damen und Herren. Der
Tatsache einer überproportionalen Zunahme älterer
Menschen und damit verbunden einer überproportionalen Zunahme pflegebedürftiger Menschen müssen wir
anders Rechnung tragen. Dieses Problem kann eben
nicht über eine Reservenbildung in der gesetzlichen
Pflegeversicherung gelöst werden, denn dieses Geld ist
eben vor dem Zugriff nicht sicher. Wir müssen etwas
anderes tun.
Die demographischen Probleme, die wir zurzeit in der
Rentenversicherung diskutieren, betreffen nämlich die
Pflegeversicherung in gleichem Maße. Sie werden zu
genauso großen Verwerfungen führen, wenn nicht frühzeitig gehandelt wird. Auch in der Pflegeversicherung
muss klar gesagt werden, dass an einem höheren Maß an
Eigenvorsorge kein Weg vorbei führt.
({3})
Die Pflegeversicherung ist keine Vollkosten- oder Vollkaskoversicherung. Sie kann es unter den gegebenen
Umständen ja auch gar nicht sein.
({4})
- Nein, Herr Kirschner, aber das ist vielen Menschen
nicht bewusst. Ich denke, hier ist mehr Aufklärung erforderlich, mehr Ehrlichkeit in der Debatte, und das sollte man den Menschen auch wirklich sagen.
({5})
Für die Zukunft heißt das für die F.D.P., die Leistungen
aus der Pflegeversicherung auf diejenigen zu konzentrieren, die diese Hilfe besonders benötigen.
Dazu gehört für uns auch, dass wir für die Demenzkranken etwas tun müssen. Das ist über die Fraktionsgrenzen hinweg völlig unstrittig. Über neue Versorgungsformen in diesem Bereich denken wir intensiv
nach. Zum Ausbau teilstationärer Betreuungsangebote
gehört zum Beispiel auch die Frage, wie man den
Transport in diese Einrichtungen vernünftig organisieren
kann.
Der Aufbau von betreuten Wohngemeinschaften
scheint ein anderer Erfolg versprechender Ansatz zu
sein, die Demenzkranken so zu betreuen, dass ihnen ein
Höchstmaß an Autonomie bleibt. Ich denke, das ist ein
wichtiges Ziel, meine Damen und Herren.
({6})
Die Leistungen sollen also nur dort ausgeweitet werden,
wo es wirklich notwendig ist, und auch nur dann, wenn
es für die Finanzierung entsprechende Deckungsvorschläge gibt.
Ein Weiteres: Statt Überschüsse in anderen Sozialversicherungszweigen auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen, sollten sie in die Taschen derjenigen zurückfließen, die sie gesammelt haben, damit ihnen
mehr Spielraum verbleibt, die Grundleistungen durch
Eigenvorsorge aufzubessern. Dass zu diesem erweiterten
Spielraum auch eine Steuerreform gehört - nach den
F.D.P.-Grundsätzen: niedriger, gerechter, einfacher -,
versteht sich von selbst. „Weniger Staat, mehr privat“
kann dann auch hier unsere Devise sein. Das ist der einzige Ausweg, so denke ich, aus einer Sackgasse, in die
Sie uns gerade hineinführen.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Monika Knoche.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich habe Verständnis dafür - Herr Fink
und Herr Parr, gestatten Sie mir, dass ich das so sage;
ich tue es ohne Polemik -, dass Sie ein Interesse daran
haben, zu sachpolitischen Fragen zurückzukehren. Aber
ich bezweifle, dass dafür ausgerechnet die Finanzentwicklung der Pflegeversicherung das geeignete Thema
ist, zumal es dazu schon Aktuelle Stunden gegeben hat
und die Thematik von der Ministerin hinreichend öffentlich dargestellt worden ist. Ich war wirklich verwundert
über Ihre Rede, Herr Parr. Gut, ideologische Motive
können einen oft zu einer fehlgeleiteten Argumentation
verführen.
({0})
Aber ich weiß genau, dass die Pflegeversicherung eine
rein von Arbeitnehmern finanzierte Versicherung ist.
Wie Sie angesichts dieser Tatsache von privater Zusatzvorsorge sprechen können, erschließt sich mir überhaupt
nicht.
({1})
Ich erinnere mich sehr gut - ich war seinerzeit
dabei -, dass die Gewerkschaften mit der damaligen Regierung den Konflikt um den Erhalt von Feiertagen ausgetragen haben, deren Streichung für die Finanzierung
der neuen Versicherung vorgesehen war. Damals ist
nach meiner Meinung richtigerweise die Frage aufgeworfen worden - diese Frage haben Sie, Herr Fink, angenehmerweise nicht direkt ausgesprochen, aber doch
unterschwellig gestellt -: Wie können wir diesem nicht
immer krankenversicherungsgeeigneten Versorgungsbereich gerecht werden? Wie können wir das Risiko absichern? Es gab Abgrenzungsprobleme und Überlegungen, dieses Risiko in die GKV zu übernehmen. Aber die
grundlegende Frage war: Warum soll bei der Pflegeversicherung aus der Parität ausgestiegen werden? Angesichts der Tatsache, dass wir auch schon damals wussten, dass die Erfordernisse einer qualitativ hochwertigen
Pflege für wachsenden Bedarf sorgen - auch in finanzieller Hinsicht -, war es richtig - ich vertrete diese Haltung auch noch heute -, diesen Versicherungszweig paritätisch anzulegen, um ein sozial-staatliches Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen. Ich halte im Rahmen
der heutigen Diskussion um die Zukunftsfähigkeit des
gesamten Sozialversicherungssystems kaum eine Frage
für aktueller und zukunftsweisender als die nach der
Weiterentwicklung der paritätischen Finanzierung.
({2})
Wenn wir uns so sehr an der Beitragssatzstabilität orientieren und die Lohnnebenkosten nicht steigen lassen
wollen, dann ist die Erweiterung der solidarischen Versicherung um möglichst breite Erwerbstätigenkreise die
richtige Antwort. Den Beweis hat diese Regierung schon
durch die Regelungen zu den 630-Mark-Arbeitsverhältnissen erbracht.
({3})
Eigentlich haben Sie vollkommen Recht - ich stimme
Ihnen gerne zu - , dass wir bei der zukünftigen Ausrichtung diese Frage im Sinne der Modernisierung und der
Gestaltung der Zukunftsfähigkeit beantworten sollten.
Es ist seltsam, wenn Sie die heutige Regierung für
etwas kritisieren, was wir in der Opposition der damaligen Regierung abringen mussten. Damals wollten Sie
auf die Rücklagen der Pflegekasse zugreifen. Wir haben
gesagt: „Tut es nicht! Keine Beitragssatzsenkung, keine
Fremdverwendung dieser Mittel, weil es Zuwächse geben wird!“
({4})
Ich denke an die Sicherheit der heutigen Finanzlage. Ich
habe keinen Anlass, den Ausführungen der Ministerin
an dieser Stelle keinen Glauben zu schenken. Über die
jetzt noch vorhandene Stabilität und über die jetzt noch
vorhandenen Ressourcen verfügen wir - ich sage nicht
„ausschließlich“, denn darüber ist auch innerhalb der
Parteien der heutigen Regierungskoalition stark diskutiert worden -, weil wir damals den Griff in die Pflegekassen verhindert haben.
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Ilja Seifert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Situation von Menschen, die aktivierende Begleitung, Hilfe oder etwas Ähnliches brauchen - manche nennen das „Pflege“ -, ist immer aktuell. Insofern ist eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema
jederzeit gerechtfertigt.
Wir kommen nicht umhin, festzustellen, dass gegenwärtig tatsächlich eine Situation eingetreten ist, in der
aus einer verhältnismäßig komfortablen finanziellen
Ausstattung eine rückläufige Kassenlage geworden ist.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese
Regierung - Frau Knoche, ich muss Ihnen schon sagen:
leider - das, was sie in der Opposition mit uns und mit
anderen verhindert hat, zu tun anfängt: Sie beschneidet
die Einnahmen der Pflegeversicherung. Man kann auch
sagen: Sie fängt an, in die Kasse zu greifen. 400 Millionen DM weniger sind kein Pappenstiel.
Das erste Defizit des Jahres ist da. Jedes Jahr
400 Millionen DM weniger sind schon eingeplant. Demente Menschen bleiben unberücksichtigt. Es gibt noch
kein einziges Blatt Papier, auf dem steht, wie Sie demente Menschen in die Pflegeversicherung einbeziehen
wollen. Es gibt jede Menge Papier, auf dem steht, dass
Sie es tun wollen; aber es gibt kein Blatt Papier, auf dem
steht, wie Sie es tun wollen. Dies ist so, weil es eben im
System der Pflegeversicherung nicht möglich ist.
Geistig behinderte Menschen und psychisch kranke
Menschen sind in dieser Art Pflegeversicherung - das
geht an die Adresse der CDU/CSU - einfach nicht vorgesehen. Was diese Menschen brauchen, kann mit diesem unglaublich somatischen, unglaublich eingeengten
Pflegebegriff überhaupt nicht geleistet werden. Leider
versucht auch die gegenwärtige Regierung nicht, das zu
ändern.
Im Allgemeinen werden Menschen mit Behinderungen aus Einrichtungen der Behindertenhilfe zunehmend
in Einrichtungen der Pflegeversicherung abgedrängt.
Diesen Prozess verzeichnen wir vielerorts. Es ist sehr
bedauerlich, wenn pädagogische, soziale und andere aktivierende Leistungen einfach ausgeklammert bzw. ausgegrenzt werden und nur noch Pflege im Sinne von
„satt, sauber und trocken“ gewährt wird. Das hat mit
Menschenwürde nichts zu tun.
({0})
Man muss in jeder Aktuellen Stunde zu dieser Thematik sagen: Erforderlich wäre, dass wir erst einmal einen ganz anderen Pflegebegriff einführen, der die Aktivierung der Menschen - nicht das „Satt, sauber und trocken“ - in den Mittelpunkt stellt.
({1})
Ich denke an Aktivierung auch in den Fällen hochgradiger Demenz, geistiger Behinderung und körperlicher,
psychischer oder sonstiger dauernder Behinderung.
Wir brauchen dazu - das kann das Pflegeversicherungsgesetz, so wie es angelegt ist, nicht leisten; deshalb
habe ich es nicht gemocht und mag es auch heute noch
nicht - ein Leistungsgesetz, das zum Ziel hat, Menschen, die auf aktivierende Hilfe angewiesen sind, voll
am Leben der Gemeinschaft teilhaben zu lassen. Sie haben noch nicht einmal dieses Ziel formuliert. Sie sagen:
Ein bisschen mehr, aber nicht, dass Menschen mit Behinderungen, Menschen, die auf Pflege, auf Hilfe, auf
Assistenz, auf Begleitung angewiesen sind, als Teil der
Gesellschaft so anerkannt werden, dass sie mitten in der
Gesellschaft gesehen werden und nicht irgendwo am
Rande auch noch „mit“ gesehen werden. Darum geht es.
({2})
Es ist ein anderes Menschenbild erforderlich. Dann
können wir über aktivierende und sinnvolle Pflege reden.
Nun noch ein Wort zu Ihnen von der CDU/CSU. Am
Anfang habe ich gesagt, die Aktuelle Stunde ist gerechtfertigt, weil dieses Thema immer aktuell ist. Am 3. Dezember hatten wir, die PDS, einen entsprechenden Änderungsantrag hier im Bundestag vorgelegt. Sie, meine
Damen und Herren von der CDU/CSU, haben ihn „ganz
selbstverständlich“ abgelehnt. Das ist nicht gerade dazu
angetan, dass Sie jetzt in populistischer Weise ein Samaritergehabe an den Tag legen sollten. Bleiben Sie ehrlich: Entweder Sie stimmen dann zu, wenn es angesagt
ist, oder Sie lassen es sein. Eine Sache abzulehnen, nur
weil sie von uns kommt, ist ein bisschen am Thema vorbei.
({3})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Eva-Maria Kors.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits am 24. August
vergangenen Jahres brachte die „FAZ“ den Titel: „Pflegeversicherung drohen hohe Defizite“. Das „Handelsblatt“ folgte im Oktober: „Pflegekassen steuern auf Defizite zu - Bundesversicherungsamt rügt Fehlbuchungen
der Krankenkassen“. Am 5. November 1999 folgerte die
„FAZ“: „In der Pflegeversicherung können Beiträge
steigen“. Im „Focus“ vom 17. Januar war zu lesen:
„Pflegeversicherung - Vom Milliardenüberschuss in die
roten Zahlen“.
Angesichts solcher Überschriften, meine Damen und
Herren - das ist nur eine kleine Auswahl -, muss man
die Fragen stellen, ob die ansonsten so medien- und
pressebewusste Regierung keine Zeitung mehr liest.
Oder verschließen Sie bewusst die Augen vor dem Problem?
Nehmen Sie Gutachten, wenn Sie schon die Opposition nicht hören wollen, ausgewiesener Experten, wie
die des Bundesversicherungsamtes, gar nicht mehr
ernst? Ein Sprecher des Hauses hat lapidar verkündet,
das Ministerium sehe keinen Anlass, über eine Erhöhung der Beiträge nachzudenken. Ist das alles, was zu
diesem Thema aus dem Hause kommt?
Ich sage Ihnen: Wenn die Regierung ihre Politik im
Bereich der Pflegeversicherung weiterhin so betreibt,
dann wird es Anlässe en masse dafür geben, dass Beiträge erhöht werden müssen.
({0})
Sie können auch sicher sein: Die CDU/CSU-Fraktion
wird nicht lockerlassen und Sie, wenn es denn nicht anders geht, Monat für Monat immer wieder an Ihre Aufgabe erinnern, die finanziellen Grundlagen der Pflegeversicherung zu stabilisieren und die Pflegeversicherung
zukunftsfähig zu machen. Niemand von uns will das
Ende der Pflegeversicherung. Das unterstellen wir Ihnen
auch nicht. Aber wir brauchen unverzüglich eine Reform, damit eine aus gutem Grund geschaffene Säule
unserer sozialen Sicherungssysteme nicht ohne Not den
Bach heruntergeht.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind es den
pflegebedürftigen älteren Menschen in unserem Land
schuldig, dass das Risiko einer Pflegebedürftigkeit im
Alter auf lange Sicht abgesichert ist, also nicht nur für
zwei bis drei Jahre, bis zur nächsten Bundestagswahl.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es eine richtige Entscheidung war, die Pflegeversicherung einzuführen. Dies darf auf keinen Fall - auch nicht von Ihnen fahrlässig aufs Spiel gesetzt werden.
Den Jüngeren muss klar sein, dass die politisch Verantwortlichen in Deutschland alles daransetzen, die Beiträge zur Pflegeversicherung stabil zu halten. Wir dürfen
daher die Notwendigkeit von Beitragserhöhungen nicht
billigend durch Nichtstun in Kauf nehmen oder gar, wie
Sie es in Ihrem Sparpaket getan haben, noch fördern.
Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.
Das ist umso weniger zu verstehen, als Sie doch dauernd davon reden, die Probleme etwa in der Rentenversicherung über den Aufbau eines Kapitalstocks lösen zu
wollen. Sie reden ebenso ständig davon, eine stärkere
private Eigenvorsorge der Bürgerinnen und Bürger trage
zur Bewältigung der Probleme bei. Dies ist sicherlich
kein falscher Ansatz. Aber gerade da, wo dieses Prinzip
bisher ausreichend beherzigt wurde, nämlich bei der
Pflegeversicherung, tun Sie genau das Gegenteil.
({2})
Es war und ist unverantwortlich, dass es die Regierung durch Ihre Maßnahmen im so genannten Sparpaket
grob fahrlässig riskierte, die Pflegeversicherung zum finanziellen Pflegefall werden zu lassen.
({3})
- Dass Sie das nicht gerne hören, ist klar. - Es waren allein 400 Millionen DM weniger Einnahmen im Jahr infolge der Kürzungen im Sparpaket. Dies geschah ohne
Not, nur zum Zwecke des kurzfristigen Stopfens von
selbst geschaffenen Haushaltslöchern. Frau Ministerin
und liebe Frau Kollegin Schmidt-Zadel, wo war da Ihr
hörbarer und spürbarer Protest? Ich habe nicht gehört,
dass Sie heute das Gegenteil gesagt haben.
Wir alle wissen doch, dass die Pflegeversicherung vor
weiteren schwierigen Aufgaben steht. Es ist hier schon
die Frage einer Einbeziehung von altersverwirrten Menschen in die Pflegeversicherung genannt worden, ebenso
die von der Frau Ministerin so vehement geforderte Diskussion über eine verstärkte Qualitätssicherung in der
Pflege. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, stabilisieren Sie erst einmal die Grundlage der
Pflegeversicherung, sonst brauchen Sie keine Qualitätssicherung mehr!
Wir von der Union haben bereits zu Beginn des letzten Jahres unsere Vorschläge zur langfristigen Sicherung
vorgelegt. Unser Konzept, zum Beispiel zur Bildung einer Generationenreserve, liegt Ihnen vor. Ich fordere Sie
noch einmal auf: Legen Sie endlich ein eigenes Konzept
vor, und lassen Sie uns dann über den besten Weg zur
langfristigen Stabilisierung der Pflegeversicherung streiten!
({4})
Aber tun Sie endlich etwas für die pflegebedürftigen
Menschen in unserem Land!
({5})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Marga Elser.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In jedem von uns schlummert
ein kleiner Robin Hood. Dass sich aber nun Sie, verehrte
Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, heute zum Retter der Witwen und Waisen mit einer Aktuellen Stunde zur Pflegeversicherung hochstilisieren wollen,
({0})
hat sicher auch seinen Grund darin, dass der Sheriff von
Nottingham hinter Ihnen her ist.
({1})
In diesem Zusammenhang wäre meine Frage an Sie,
was sich bei Ihnen in der Einschätzung seit dem 9. September vergangenen Jahres geändert hat. Sie erinnern
sich sicher, dass Sie damals zu ebendiesem Thema eine
ebenso unnötige Aktuelle Stunde veranstaltet haben.
Geändert hat sich für Sie, dass Sie damit nicht gerechnet
haben, dass wir das Sparpaket fast vollständig durchsetzen werden. Wir sind damit in der Konsolidierung der
Staatsfinanzen einen entscheidenden Schritt nach vorne
gekommen. Sie hatten uns diese Aufgabe freundlicherweise vererbt. Anstatt uns bei diesen Aufräumarbeiten
zu unterstützen, wie es Ihre Pflicht wäre, erschöpfen Sie
sich in Kritteleien und Aktuellen Stunden.
({2})
Um die finanzielle Situation der Pflegeversicherung,
meine Damen und Herren von der Opposition, müssen
Sie sich keine Sorgen machen. Wer behauptet, dass die
Pflegeversicherung gefährdet sei oder gar Auswirkungen
auf die soziale Sicherheit alter Menschen zu befürchten
seien, handelt grob fahrlässig. Es geht um hochgerechnet
400 Millionen DM Einnahmeverringerung, die auf die
Senkung des staatlichen Zuschusses bei den Beiträgen
der Arbeitslosenhilfeempfänger zurückzuführen ist. Sie
wissen genau, Herr Fink, dass diese Summe nie und
nimmer für die Aufnahme der Demenzkranken ausreichen wird. Wir sind dabei, dafür andere und bessere Lösungen zu finden.
({3})
Durch Ihre Panikmache werden gerade die alten, pflegebedürftigen Menschen und ihre Familien verunsichert
und verängstigt werden, denen Sie vorgeblich helfen
wollen. Aber das war auch schon bei Ihrer Rentenkampagne so zu beobachten; darin haben Sie Übung.
Ich erinnere Sie daran, dass es in der Kohl-Regierung
1997 sogar Überlegungen gegeben hat, der Pflegeversicherung einmal eben 4,5 Milliarden DM zu entziehen.
Die F.D.P., für die ein jeder seines Glückes Schmied ist,
wollte den Beitragssatz senken und hätte damit langfristig enorme Ausfälle in der Größenordnung von 3,6 Milliarden zu Lasten der Pflegekasse zu verantworten gehabt.
({4})
Hier aber geht es um eine Veränderung in der Beitragsbemessung, die - das will ich Ihnen gerne zugestehen - auch uns schmerzt,
({5})
aber als Beitrag zur Konsolidierung des Haushaltes unumgänglich war. Nicht zulässig ist jedoch, diese
400 Millionen DM als jährlichen Einnahmeausfall hochzurechnen.
({6})
Diesen Fehler machen Sie. Zum einen wird auf Jahre
hinaus bei einem Beitragssatz von derzeit 1,7 Prozent
trotz dieser Einnahmeverluste ein Mittelbestand von
mehr als 8 Milliarden DM in der Pflegekasse sein. Zum
anderen gehen wir davon aus, dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und unsere aktive Arbeitsmarktpolitik
dafür sorgen werden,
({7})
dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen - das kann man
jetzt schon beobachten - kontinuierlich zurückgeht und
durch mehr Beschäftigung auch mehr Geld in die Pflegekasse kommt.
({8})
Natürlich werden auch wir die demographische Entwicklung nicht aus den Augen lassen. Das haben wir
hier immer erklärt. Natürlich wird auch der finanzielle
Spielraum bei Leistungsverbesserungen begrenzt sein.
Aber daraus eine Gefahr für die soziale Lage alter pflegebedürftiger Menschen zu konstruieren, ist schon ein
starkes Stück Angstkampagne. Daraus resultieren dann
auch von Ihnen so gern zitierte irreführende Pressemeldungen wie zum Beispiel die im „Focus“, wo unter der
Überschrift „Vom Milliarden-Überschuss in die roten
Zahlen“ ein völlig falsches Bild gezeichnet wird.
({9})
Bei dieser Gelegenheit abschließend noch der Hinweis, dass wir es waren, die in der 14. Legislaturperiode
für Änderungen und Klarstellungen von leistungsrechtlichen Vorschriften in der Pflegeversicherung gesorgt haben, die den Pflegebedürftigen und ihren Familien nun
wirklich zugute kommen.
({10})
Jetzt hat Herr
Kollege Zöller das Wort.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines wird
hier, wie ich glaube, übersehen. Warum diskutieren wir
heute über die Pflegeversicherung? Rot-Grün hat die
Einnahmeseite der Pflegeversicherung drastisch verschlechtert. Das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen.
({0})
In der Koalitionsvereinbarung hat Rot-Grün festgelegt, im Rahmen der Begutachtung zur Feststellung der
Pflegebedürftigkeit insbesondere im Hinblick auf den
Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf bei demenzkranken Menschen eine Verbesserung zu erreichen.
({1})
Ebenfalls sollte die Bildung eines Kapitalstocks in der
Pflegeversicherung angestrebt werden. Bis dahin sind
wir einer Meinung. Beim 4. Änderungsgesetz wurde jedoch weder etwas für Demenzkranke noch für die Einführung eines Kapitalstocks getan.
Demgegenüber hatten die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen, noch bevor Sie Ihren
Gesetzentwurf eingebracht hatten, eine Initiative im
Bundesrat ergriffen: Mit dem so genannten Pflegezukunftssicherungsgesetz sollten unter anderem die Bildung des Kapitalstocks und eine bessere Absicherung
für Demenzkranke erreicht werden. Unsere damalige
Gesetzesinitiative wurde aber schon im Frühjahr 1999
bei den seinerzeit bestehenden Mehrheitsverhältnissen
im Bundesrat von Ihnen abgelehnt. Auch Folgendes ist
wahr: Als bei der Beratung im Gesundheitsausschuss
diese Thematik von uns wieder aufgegriffen wurde,
stimmte Rot-Grün dagegen.
Dass Sie diese Vorschläge abgelehnt haben, war für
die Betroffenen bestimmt sehr bedauerlich. Aber Ihre
Begründung für die Ablehnung dieser Vorschläge ist
mehr als ärgerlich. Sie haben nämlich damals diese Vorschläge nicht aus fachlichen, sondern aus rein finanziellen Gründen abgelehnt.
({2})
Im Ausschuss hieß es, diese rund 500 Millionen DM für
Demenzkranke seien nicht finanzierbar.
Nun bedient sich die gleiche Bundesregierung schamlos bei der Pflegeversicherung, indem sie ihr die rund
500 Millionen DM zugunsten der Bundesanstalt für Arbeit entzieht. Das ist es, was wir Ihnen vorwerfen.
({3})
Wir werfen Ihnen nicht vor, dass Sie nichts getan haben,
sondern wir werfen Ihnen Ihre Begründung vor. Sie ist
einfach nicht ehrlich.
Damit nicht genug: Das nächste selbst gemachte
Loch zeichnet sich schon ab; es ist vorprogrammiert.
({4})
- Ich werde Ihnen diese Frage beantworten. - Wenn die
Aussagen der gesetzlichen Krankenversicherungen
stimmen, dass die von Rot-Grün beschlossene Kürzung
der Rentenerhöhung in den nächsten beiden Jahren einen
Einnahmeverlust der GKV von rund 2,2 Milliarden DM
bedeutet, dann muss es analog dazu in der Pflegeversicherung zu einem Fehlbetrag in dreistelliger Millionenhöhe kommen. Das ist das nächste von Ihnen selbst gemachte Loch. Sie verschlechtern die Einnahmeseite und
wundern sich dann, dass für die notwendigen Maßnahmen plötzlich kein Geld mehr da sein soll.
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierung, ich muss Ihnen sagen: Ihre unredlichen Wahlversprechungen in diesem Zusammenhang holen Sie ein.
Auch Rot-Grün wird erkennen müssen: Mit weniger
Geld kann man den Menschen nicht mehr versprechen.
({6})
Für die Bundesregierung erhält jetzt die Staatssekretärin Christa
Nickels das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal
möchte ich auf das eingehen, was Herr Fink, der für seine Fraktion immer der zuständige Mann für den Bereich
Pflegeversicherung war, gesagt hat.
Herr Fink, es ist wirklich ein Jammer mit der HerzJesu-Fraktion der CDU/CSU. Nachdem Ihre Vorschläge
nach 16 Jahren Regierung Kohl auf dem Altar der Koalitionsraison zugunsten der F.D.P. geopfert worden sind,
haben Sie heute noch nicht einmal die richtigen Zahlen
im Kopf. Ich möchte zunächst ein paar Zahlen klarstellen.
Herr Fink, Sie haben erstens gesagt, im Jahr 1999
hätte die Bundesregierung der Pflegeversicherung 400
Millionen DM entzogen.
({0})
- Das haben Sie gesagt. Sie können es im Protokoll
nachlesen. - In diesem Punkt sind die Gäule mit Ihnen
durchgegangen. Diese Aussage ist völlig falsch; so ist es
nicht gewesen. Die Einsparung gilt nämlich erst ab diesem Jahr; sie ist ein Beitrag zur allgemeinen Konsolidierung. Es handelt sich nicht um eine sadistische Grausamkeit. Auch das wissen Sie. Die alte Bundesregierung
hat uns einen riesigen Schuldenberg hinterlassen. So haben Bund und Länder insgesamt 1500 Milliarden DM
Schulden. Es müssen über 80 Milliarden DM an Zinsen
und Tilgung aufgebracht werden.
({1})
- Frau Rönsch, schreien Sie doch nicht so! Sonst legen
Sie immer so viel Wert auf gute Manieren.
Es ist so, dass die Sozialversicherungssysteme langfristig in die Knie gehen würden, wenn diese Schulden
nicht abgebaut werden. Unserem Hause hat diese Maßnahme weh getan. Aber es war notwendig, dass wir diesen angemessen Beitrag leisten mussten. Wenn Sie noch
nicht einmal die Jahreszahlen auseinander halten können, Herr Fink, dann muss ich feststellen, dass Sie dem
Ernst der Debatte nicht angemessen diskutieren.
Zum zweiten Punkt, den Sie nicht richtig vorgetragen
haben. Sie sind davon ausgegangen, dass es Defizite im
letzten Jahr gegeben hat. Sie vergessen aber - wie Herr
Parr richtig sagte, haben Sie schließlich die ordnungspolitischen Säulen der Pflegeversicherung mit erarbeitet -, dass die Überschüsse der Einnahmen der Pflegeversicherung von 1995 bis 1998 in jedem Jahr zurückgegangen sind. Diese Entwicklung ist doch nach einer Aufwuchsphase normal.
({2})
1998 hatten wir 250 Millionen DM Überschuss. Im
Jahr davor waren es noch 1,6 Milliarden DM. Es war jedem klar, dass in dem Maße, wie die Betroffenen - wie
gewünscht - diese Pflegeversicherung in Anspruch
nehmen, die Überschüsse zurückgehen.
({3})
- Sie dürfen hier keine Lügen verbreiten; das ist das
Thema. Sie dürfen nicht die Debatte um die Pflegeversicherung dazu missbrauchen, um vom Spendensumpf abzulenken.
({4})
Trotzdem haben wir im letzten Jahr, was wir vonseiten der Bundesregierung begrüßen, gemeinsam vier
praktische Punkte umgesetzt - Herr Zöller beklagt sie
jetzt, weil sie ihm nicht weit genug gehen -, die für die
Pflegeversicherung wichtig sind und die wir eigentlich
alle zusammen schon in der vorletzten Legislaturperiode
umsetzen wollten, was aber an der F.D.P. gescheitert ist.
({5})
Das waren 250 Millionen DM im letzten Jahr.
({6})
Das wollten wir alle zusammen, und das war richtig gut
eingesetztes Geld. Man kann nicht einerseits sagen:
„Das hätten Sie nicht machen sollen“, und andererseits
wie Herr Zöller noch viel mehr verlangen.
Jetzt bin ich beim nächsten Punkt, bei Herrn Zöller.
Herr Zöller, Sie werfen der Bundesregierung vor, dass
die im Koalitionsvertrag angestrebte Verbesserung der
Situation der Dementen nicht eingetreten sei. Wir arbeiten intensiv daran, müssen uns aber innerhalb der ordnungspolitischen Säulen des vorgegebenen Pflegeversicherungssystems bewegen. Das kann man nicht einfach
mit einem Fingerschnipp aus den Angeln heben. Wir arbeiten intensiv daran und Sie werden in diesem Jahr etwas davon hören.
Der Antrag aus Bayern, den Sie als beispielhaft vorstellen, war überhaupt nicht solide durchgerechnet. Ich
habe ihn mir selber vorgenommen, weil wir ihn auch im
Gesundheitsausschuss beraten haben. Bayern ist von
Überschüssen und Reserven in Höhe von 12 Milliarden
DM ausgegangen. Das war um knapp 3 Milliarden DM
zu hoch geschätzt. Bayern wollte beides: die Einbeziehung der Dementen und den Kapitalstock. Das kann
nicht innerhalb der ordnungspolitischen Säulen der Pflegeversicherung geleistet werden, die von Ihrer RegieWolfgang Zöller
rung, von Herrn Blüm, nie als Vollabsicherung, sondern
als eine Teilfinanzierung der Pflege gedacht war, unter
Festlegung eines Beitragssatzes von 1,7 Prozent, wobei
man wusste, dass dies ein begrenzter Beitrag ist. Bayern
wollte beides. Ich kann Ihnen gern die Ausschussdrucksache vorlegen. Es sind Milliardensummen, die dafür
nötig wären.
({7})
- Das ist nicht richtig, Herr Zöller. Ich zeige Ihnen noch
einmal die Ausschussdrucksache. Bayern hat die Reserven um 3 Milliarden DM nach oben gerechnet und die
Ausgaben in einer riesengroßen Höhe unterschätzt. Das
ist unsolide und ist nicht richtig. Man darf pflegebedürftigen Menschen keinen Rosengarten versprechen, wenn
man ihn nicht schaffen kann. Und man darf sie auch
nicht verunsichern, wenn die Sicherheit der Pflege gegeben ist. Wenn Bayern einen solchen Antrag vorlegt,
ist das Populismus, ein Spiel auf dem Rücken der zu
Pflegenden, und das machen wir nicht mit. Wir gehen in
aller Ruhe daran. Ich finde, das, was Sie hier veranstalten, nicht richtig.
Jetzt möchte ich zu einigen Punkten der aktuellen
Diskussion zurückkommen. Meine Kolleginnen haben
schon darauf hingewiesen, dass wir das Zahlenspiel, das
Sie hier veranstalten, schon von der Aktuellen Stunde
vom 9. September und von der Fragestunde am 4. November kennen, und wir haben es im Gesundheits- und
im Haushaltsausschuss mit im Wesentlichen gleichen
Zahlen erlebt.
Dazu muss man noch einiges sagen. Sie nehmen sich
hier immer die Angaben des Bundesversicherungsamtes
in der Haushaltsausschussanhörung vor. Dabei ist in der
Öffentlichkeit nie gesagt worden, dass es sich bei der
Einschätzung der Finanzentwicklung der Pflegeversicherung um eine Bandbreite bezüglich der zu erwartenden Einnahmen handelt. Das heißt, man hat eine Bandbreite, die sich zwischen ganz pessimistischen Schätzungen und optimistischen Schätzungen bewegt, die
aber nicht irgendwo im Kaffeesatz vorgefunden, sondern
aufgrund der Hochrechnung von Daten ermittelt worden
ist. Wir als Bundesregierung bewegen uns nicht auf der
ganz pessimistischen, auch nicht auf der ganz optimistischen, sondern auf der mittelfristigen Finanzplanungsschiene und auch auf der Grundlage des Rentenversicherungsberichts 1999.
({8})
Von diesem Zahlentableau ausgehend kommen wir
zu dem Ergebnis, dass aufgrund der erwarteten Einkommensentwicklung ab Mitte dieses Jahrzehnts sich
wieder Überschüsse in der Pflegeversicherung einstellen
können,
({9})
dass wir bis dahin einen Rückgang haben, weil die Ausgaben die Einnahmen übersteigen. Allerdings gehen wir
davon aus - das sollten auch Sie sagen -, dass zu keinem einzigen Zeitpunkt die Liquidität der Pflegeversicherung eingeschränkt wird oder die Versorgung der zu
Pflegenden zur Disposition steht. So etwas dürfen Sie
auch nicht suggerieren. Das ist ein übles Spiel mit Menschen, die sich nicht wehren können und die Sie verunsichern.
({10})
Wir gehen nach der mittelfristigen Finanzplanung davon aus, dass der Mittelbestand der Pflegeversicherung
nicht unter 8 Milliarden DM absinkt und die vorgeschriebene Mindestreserve von rund 4 Milliarden DM
erhalten bleibt.
Nun zu unseren Bemühungen, hier etwas zu verbessern. Sie wissen, dass wir zur Verbesserung der Situation der zu Pflegenden und vor allem auch der Dementen
in zwei Häusern, im Ministerium von Frau Bergmann
und im Ministerium von Frau Fischer, also Senioren und
Gesundheit, zeitgleich eine Novellierung des Heimgesetzes und ein Qualitätssicherungsgesetz erarbeiten, das
in seinen Anlagen mit dazu beiträgt - ({11})
- Man kann auch über Qualitätssicherung, über bestimmte Regelungen eine Menge tun, um die Betroffenen besser zu stellen. Das wird im Frühjahr geschehen.
({12})
Der zweite Punkt ist: Wir sind dabei, zu prüfen, wie
wir im Rahmen der vorhandenen Mittel in der Situation
des riesengroßen Schuldenbergs, den ich geschildert habe, die Situation der Dementen verbessern können. Damit muss man sorgsam umgehen; das ist ein schwieriges
Geschäft.
Herr Fink, auch Sie wussten das einmal. Wahrscheinlich wissen Sie es immer noch. Nur stehen Sie nicht
mehr dazu. Sie machen jetzt in Populismus und stellen
Forderungen auf, die Sie unter Kohl selbst dann nicht
gestellt hätten, wenn Sie es gedurft hätten. Wir machen
das nicht. Wir gehen damit solide um. Es werden Vorschläge kommen.
Ob auf ganz lange Sicht die ordnungspolitischen Säulen der Pflegeversicherung, wie Herr Parr gesagt hat,
ausreichen, das wird man beim langfristigen Konzept
diskutieren müssen. Allerdings kann ich Ihnen, Herr
Parr, eines schon jetzt sagen: Die Vorstellungen, die Sie
in den Raum stellen, finden nicht die Zustimmung dieser
Regierung, weil sie zu Lasten der Schwachen gehen.
({13})
Das ist nicht unsere Politik.
Danke.
({14})
Das Wort hat nun
der Kollege Gerald Weiß, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau
Nickels! „Wir arbeiten am Problem“, „Wir sind dabei zu
prüfen“, „Wir werden demnächst“ - ich habe den Eindruck, dass die rot-grüne Koalition auch bei der Pflegeversicherung entnervend konzeptionslos ist.
({0})
Keine einzige konkrete Festlegung! Wolkenschiebereien! Sie sagen nicht, wie Sie die Versprechungen erfüllen
wollen, die in Ihrem Koalitionsvertrag stehen. Vielmehr
erschweren Sie die Erfüllung dieser Versprechungen
gravierend. Es ist schon eine Ironie des Schicksals, dass
zum Beispiel der sehr beachtenswerte Entwurf Bayerns
und Baden-Württembergs im Bundesrat zur Pflegeleistungsverbesserung für Demenzkranke etwa denselben
Umfang hatte, nämlich 500 Millionen DM, wie das, was
Sie jetzt der Pflegeversicherung durch brutalen Eingriff
abknapsen. Sie kämen sehr viel weiter, wenn Sie mit
diesem Geld gearbeitet hätten.
({1})
Sie sprechen von Zahlenspielereien. Frau Knoche bestritt die Aktualität der Stunde. Frau Elser sprach von
unnötiger Debatte. - Aktueller kann sie doch nicht sein.
Die Horrorzahlen des Bundesversicherungsamtes sind in
diesen Tagen über uns gekommen und haben das bestätigt, was wir im Herbst vergangenen Jahres bereits zum
Gegenstand einer ersten Debatte gemacht hatten.
({2})
Es ist doch eher schlimmer als wir damals gesagt haben. Im vergangenen Jahr hatten wir, wie, glaube ich,
seit heute feststeht, 74 Millionen DM Defizit in der
Pflegeversicherung. Für das nächste Jahr sagt eine vorsichtige Prognose aus, dass Verluste von 850 Millionen
DM zu befürchten seien. Manche Befürchtungen gehen
auf 1 Milliarde DM und mehr.
Frau Nickels, gibt Ihnen die Heuchelei, mit der Sie an
dieses Pult getreten sind, nicht zu denken? Die Hälfte
des Verlustes haben Sie selber mit dem brutalen Griff
Eichels in die Pflegekasse bewirkt. Gibt Ihnen das nicht
zu denken?
({3})
In Ihrer Politik passt nichts zusammen. Sie sagen, das
sei ein normaler Vorgang, das hätten Sie fiskalisch tun
müssen und die Absenkung der Bemessungsgrundlage
habe seine Ordnung. Das passt nicht zusammen. Bei der
Krankenversicherung ist es doch, nur weil der Druck
größer war, bei der Bemessung von 80 Prozent Lohn
brutto geblieben.
({4})
Mir ist aufgefallen, dass in Ihrem Beitrag der pflegebedürftige Mensch überhaupt nicht vorkam. Weil das
Klientel schwächer und politisch weniger wirksam ist,
haben Sie diesen Eingriff getan.
Nein, Sie sind nicht gerüstet für das, was kommt. Sie
sind nicht darauf vorbereitet, ernsthaft etwas für die
verwirrten und psychisch Kranken zu tun. Sie sind nicht
auf die gewaltigen Verschiebungen im Altersaufbau der
Bevölkerung vorbereitet. Denn daraus wird zwangsläufig mehr Pflegebedarf erwachsen.
Sie sind nicht auf das Problem der Verschiebung des
Pflegebedarfs hin zu aufwendigeren Pflegeformen, zum
Beispiel von der Geldleistung in der ambulanten Pflege
zur Sachleistung, vorbereitet.
Wenn wir die Leistungssätze in der Pflege bei steigenden Kosten nicht anpassen, gibt es nur zwei denkbare Wirkungen: Entweder sinkt die Qualität der Pflegeleistung, oder der Pflegebedürftige muss letztendlich als
derjenige, der betroffen ist, zahlen. In jedem Fall trifft es
den Schwachen, den Pflegebedürftigen. Zudem wird eines der Kernziele der Pflegeversicherung, nämlich die
Absicherung gegen die Abhängigkeit von der Sozialhilfe, zunehmend verletzt.
Nein, all das, was die Vorgängerregierung Ihnen hinterlassen hat, gefährden Sie durch Nichtstun, durch inkonsistentes Handeln. Deshalb ist es in dieser Debatte
eine besondere Gemeinheit, wenn von Erblast gesprochen wird.
Ich halte fest: CDU/CSU und F.D.P. haben Ihnen eine stabile Pflegekasse übergeben,
({5})
mit Überschüssen und Rücklagen in Höhe von über
9 Milliarden DM. Das ist übrigens nicht vom Himmel
gefallen; dem lag ein kluges Gesetz zugrunde. Norbert
Blüm hat mit diesem Gesetz ganz sicher Sozialgeschichte gemacht: mit dem stufenweisen Aufbau von Leistungen, mit Preissystem statt Selbstkostendeckung
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist begrenzt. Wir befinden uns in einer Aktuellen Stunde.
- ich
komme zum Schluss -, mit einem klar definierten Leistungsgefüge, mit Markt und Wettbewerb statt überzogener Staatsplanung. Das waren die klugen Bausteine
eines klugen vorsorgenden Gesetzes. Rot-Grün aber das muss man nach dem Stand dieser Debatte sagen steht für Problemverschärfung statt Problemlösung, steht
für Ratlosigkeit statt Konzept.
Danke.
({0})
Jetzt erteile ich der
Kollegin Barbara Imhof, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Richtung CDU/CSU sage ich
ein freundliches Grüezi.
({0})
- Das war auf die Wette bezogen.
Ich denke, dass wir uns hier im Haus alle darüber einig sind,
({1})
dass wir eine bedarfsgerechte, humane und aktivierende
Pflegeversorgung und Betreuung brauchen und dass wir
die Pflegequalität gesichert und weiterentwickelt wissen
wollen.
({2})
Dass Sie jetzt aber, meine Damen und Herren auf der
rechten Seite, anhand der hinlänglich genannten Zahlen
ein regelrechtes Horrorszenario entwickeln wollen, dazu
besteht nun wirklich kein Grund. Es ist allerdings zu befürchten, dass es Ihnen hiermit gelungen ist, die Betroffenen einmal mehr zu verunsichern.
Halten wir uns doch lieber an die Fakten! Mit dem
4. SGB-XI-Änderungsgesetz haben wir eine ganze Reihe von Verbesserungen auf den Weg gebracht. Ich nenne vor allem die Änderungen bei der Tages- und Nachtpflege, den Pflichtpflegeeinsätzen und der Urlaubs- und
der Verhinderungspflege.
({3})
Von der letzten Neuregelung haben übrigens insbesondere die pflegenden Angehörigen von Demenzkranken
profitiert. Weitere Verbesserungen für Demenzkranke in
der Pflegeversicherung - es wurde gesagt, dass diese
hier nicht vorkommen; deshalb erwähne ich sie - stehen
als Prüfauftrag in unserer Koalitionsvereinbarung. Das
können Sie nachlesen.
({4})
Ein Schwerpunkt unserer Arbeit in diesem Jahr wird
die Qualitätssicherung in der Pflege sein. Hier besteht
die Notwendigkeit - da sind wir uns bestimmt auch einig -, die jetzigen Regelungen noch zu verbessern.
Ebenso wird an der Novellierung des Heimgesetzes gearbeitet, das mit dem Qualitätssicherungsgesetz abgestimmt werden muss. Schließlich werden wir auch die
Frage einer Heimpersonalverordnung noch in diesem
Jahr einer Lösung zuführen.
({5})
Ich möchte den Punkt der Qualitätssicherung hervorheben. Die in der Vergangenheit bekannt gewordenen
Skandale über die Misshandlung und Vernachlässigung
alter Menschen sind Gott sei Dank kein Spiegelbild des
Alltags in den Pflegeheimen und bei den Pflegediensten.
Die meisten Pflegekräfte versuchen unter wirklich
schwierigen Rahmenbedingungen, mit großem persönlichen Einsatz die ihnen anvertrauten Pflegebedürftigen
zu betreuen.
({6})
Eben weil sie die Verantwortung dafür tragen, dass sich
die Bewohner der Heime wohl fühlen, sind Qualitätssicherung und -verbesserung zunächst einmal Aufgabe der
Heime selbst. Zum Glück setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen im Mittelpunkt des Pflegewesens stehen müssen.
Erfahrungen und Einschätzungen gerade dieser
Menschen sind ein ganz entscheidender Faktor für ein
funktionierendes Qualitätsmanagement. Der gute Ruf
eines Heimes bietet natürlich auch die Gewähr dafür,
dass seine Leistungen nachgefragt werden, und damit
dient es letztlich auch der Existenzsicherung dieser Häuser.
Dies haben die Heime und Verbände vielfach schon
selbst erkannt und etliche eigene Initiativen ergriffen.
Auch die Erkenntnis, dass eine gute Beratung vor Aufnahme in eine Einrichtung diesen oft sehr schwierigen
Schritt für die Pflegebedürftigen und natürlich auch für
die Angehörigen leichter macht, setzt sich immer mehr
durch.
Ebenso hat die Diskussion um die Einführung von
Qualitätssiegeln gezeigt, dass das Bewusstsein zur Qualitätsverbesserung vor Ort geweckt worden ist. Aber zu
viele verschiedene Qualitätssiegel führen dazu, dass die
Menschen verunsichert sind, was nicht der Aufklärung
dient. Deshalb würden wir es begrüßen, wenn sich die
Beteiligten auf bundeseinheitliche Vergabekriterien verständigen könnten, damit der Verbraucher letztendlich
mit einem Siegel etwas anfangen kann.
({7})
Eine verantwortliche Rolle bei der Qualitätssicherung
hat der Gesetzgeber auch den Pflegekassen und den Medizinischen Diensten zugewiesen. Die Pflegekassen haben gemeinsam mit den Leistungserbringern die Qualitätsvereinbarungen nach § 80 SGB XI abgeschlossen.
Die dadurch angestoßene Diskussion ist wichtig zur
Weiterentwicklung der Qualität in allen Pflegebereichen.
Damit Misshandlungen und Vernachlässigungen, die
ich schon angesprochen habe, gar nicht erst entstehen
können, müssen die Fragen nach der Verbesserung der
Aufsicht einer Lösung zugeführt werden.
({8})
Neben dem Strafrecht als schärfste Sanktionsmöglichkeit steht zum Schutz der Heimbewohner auch das
Heimgesetz zur Verfügung. Es ist in seiner ordnungspolitischen Funktion zur Gefahrenabwehr ein wichtiges
Instrument. An der Novellierung dieses Gesetzes arbeiten wir ebenso. Darauf habe ich bereits hingewiesen.
Für mich ist klar, dass es ein Gesamtkonzept geben
muss, das die Änderungen auf dem Pflegemarkt berücksichtigt. Patienten- und Verbraucherschutz haben in unserer Politik einen hohen Stellenwert, der sich in diesem
Gesamtkonzept auch wiederfinden muss.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun
die Kollegin Hannelore Rönsch, CDU/CSU-Fraktion.
Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das Thema der Aktuellen Stunde ist die Pflegeversicherung und die Haltung der Bundesregierung zu dieser
Pflegeversicherung. Darauf möchte ich wieder zurückkommen. Ich kann durchaus verstehen, dass Sie heute
darüber nicht sprechen wollen, denn meine Kolleginnen
und Kollegen haben Sie auf die Misere, die Sie veranlasst haben, schon hingewiesen. Aber wir werden noch
einige Punkte aufgreifen.
Wir wollten die Haltung der Bundesregierung zur aktuellen Situation in der Pflegeversicherung hören. Wenn
ich zur Regierungsbank schaue und dort eine Staatssekretärin aus dem Gesundheitsministerium sitzen sehe, die
mit einer menschlichen Kälte mit Zahlen jongliert hat,
dann ist es mir um die Alten, um die Pflegebedürftigen,
um die Wehrlosen in unserer Gesellschaft bange.
({0})
Ich vermisse auf der Regierungsbank die Seniorenministerin. Ich muss davon ausgehen, dass das, was in
der Pflegeversicherung veranlasst wurde, im Kabinett
beraten wurde und dort auch einstimmig weitergegeben
worden ist.
({1})
- Frau Kollegin, ich komme auch auf Ihren Beitrag noch
zu sprechen. - Ich frage mich: Wie kann es diese Seniorenministerin überhaupt verantworten, ausgerechnet im
Jahr der Senioren in die Taschen oder - man muss sagen - sehr oft in die Nachthemden der Pflegebedürftigen
zu greifen
({2})
und dort 400 Millionen DM zu nehmen, um die Haushaltskassen des Bundes zu füllen?
({3})
Wir hatten schon einmal, Frau Kollegin, große Gemeinsamkeit; ich kann mich sehr gut daran erinnern. In
den Jahren 1995, 1996 und dann, zur Einführung der
Pflegeversicherung, 1997 waren wir uns einig: Wir
wollten den alten und älteren Menschen die Sorge nehmen,
({4})
dass sie, wenn sie im Alter pflegebedürftig werden, dann
nicht von der Sozialhilfe abhängig werden. Wir wollten
ihnen die Sorge nehmen, dass sie dann ihren Kindern
auf der Tasche liegen.
({5})
- Herr Kollege, das habe ich doch gerade gesagt. Wir
hatten große Gemeinsamkeiten. Wir waren 1995 und
1996 an dem einen oder anderen Punkt in der Diskussion ein wenig uneinig, aber wir hatten das gemeinsame
Ziel, den alten Menschen die Angst vor der Pflegebedürftigkeit im Alter zu nehmen.
({6})
Wir haben 1997 die Pflegeversicherung eingeführt und
wir haben Ihnen die Rücklage überlassen - ich war in
Gedanken noch bei 8 Milliarden DM Rücklage, aber Gerald Weiß hat von 9 Milliarden DM gesprochen -, damit
wir in der Zukunft dem demographischen Faktor gerecht
werden können
({7})
und damit wir den Entwicklungen in unserer Gesellschaft, die wir gemeinsam gesehen haben, auch in der
Zukunft begegnen können und alte Pflegebedürftige
weiterhin versorgen können.
({8})
Ich würde mir wünschen, dass Sie ein wenig mehr
Besonnenheit und vielleicht auch wieder ein wenig mehr
Wärme
({9})
in die Arbeit und in die Diskussion bringen. Denn die alten Menschen haben das, was jetzt hier veranstaltet
wird, nicht verdient.
({10})
Wir haben im vergangenen Jahr eine Große Anfrage
eingebracht, die unlängst von der Seniorenministerin beantwortet wurde. Jeder von uns kennt die demographische Entwicklung. Gerade in diesen Tagen sind die
jüngsten Zahlen bekannt geworden. Die Frauen werden
im Durchschnitt 80 Jahre, die Männer 74,3 Jahre, und
das wird sich in der Zukunft weiter steigern, Gott sei
Dank.
Wir wissen aber auch - jetzt will ich einmal aus der
Antwort auf die Große Anfrage zitieren -, dass 5 bis
6 Prozent der über Fünfundsechzigjährigen unter mittelschwerer bis schwerer Demenz und 7 bis 8 Prozent unter
leichter Demenz leiden.
({11})
Wenn Sie sich dann einmal anschauen, wie von Forschern die Entwicklung in der Zukunft gesehen wird,
stellen Sie fest, dass damit gerechnet wird, dass Menschen zwischen 70 und 80 Jahren 2010 einen Anteil an
der Bevölkerung von 10 Prozent haben.
({12})
- Ich habe darauf gewartet, dass das angesprochen wird,
Herr Kollege. Ich bin mein Arbeitsleben lang gewerkschaftlich organisiert, seit dem 18. Lebensjahr, und war
nur für zwei Jahre aus der Gewerkschaft ausgetreten, als
ich im Untersuchungsausschuss „Neue Heimat“ war; da
wollte ich ihnen keine Mark mehr geben.
({13})
Aber ich musste es in diesem Wahlkampf zulassen, dass
mit 8 Millionen DM von meinen Beiträgen gegen mich
Wahlkampf gemacht wurde, auf eine sehr schmutzige
Art und Weise. Da wäre ich an Ihrer Stelle ausgesprochen ruhig.
({14})
- Ich verstehe, dass Sie das aufregt. Aber ich möchte Sie
zum Abschluss noch einmal mahnen: Besinnen Sie sich
auf Ihre Koalitionsvereinbarung, die sich ja noch ganz
gut anhörte.
({15})
- Ich verstehe, dass Sie ablenken wollen; Sie haben allen Grund dazu, weil Sie sich an den armen, wehrlosen
alten Menschen vergreifen.
Sie sind über die
Zeit, Frau Kollegin.
Kommen Sie mit uns wieder zu einem Stück Gemeinsamkeit wie bei der Rente! Auch dort waren Sie belehrbar. Lassen Sie die alten Menschen nicht im Stich! Wir
werden ihr Anwalt sein.
({0})
Nun hat der Kollege
Dr. Martin Pfaff das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Rönsch, wir können ja verstehen, dass die Devise „Angriff ist die
beste Verteidigung“, vor allem in einer schwierigen Situation, auch zum Taktieren führt. Aber was wir heute
von Ihnen, Frau Rönsch, und von den anderen gehört
haben - ich werde das noch einmal wiederholen -, geht
über das Zumutbare hinaus.
({0})
Sie haben nicht nur die Sorgen und Ängste der alten
Menschen geschürt, Sie haben an den Grundfesten des
Konsenses, der zur Pflegeversicherung führte, gerüttelt.
({1})
Sie haben anderen in die Hände gespielt.
Ich sage es noch einmal: Die Probleme der Pflegeversicherung, der alten, pflegebedürftigen Menschen sind
viel zu ernst für solche billigen parteitaktischen Spiele.
({2})
Frau Rönsch, ist Ihnen und übrigens auch dem verehrten Herrn Kollegen Fink, den ich sonst besonders
schätze, denn bewusst, wie verantwortungslos das heutige Vorgehen eigentlich ist? Betrachten Sie doch einmal
die Aussagen beispielsweise des Arbeitgeberpräsidenten
Hundt. Er sagte, es zeige sich an den sich abzeichnenden
Defiziten, dass die Einführung der umlagefinanzierten
Pflegeversicherung ein schwerer sozialpolitischer Fehler
gewesen sei.
({3})
Auch die Pflegeversicherung müsse auf die Basissicherung konzentriert werden.
Und haben Sie gehört, was der Herr Kollege Parr gesagt hat? Ist Ihnen bewusst - ich sage das in Anführungszeichen -, dass Sie mit Ihren Ausführungen hier
nicht nur schlafende Hunde wecken, sondern dass Sie
denen in die Hände spielen, die das System infrage stellen?
({4})
Aber wenn Sie den Kapitalstock in diesen schwierigen Zeiten aufbauen wollen, dann sagen Sie den Menschen doch auch, dass Sie ihnen eine Doppelbelastung
zumuten. Einmal sollen sie Beiträge zum Kapitalstock
zahlen, der irgendwann in einigen Jahrzehnten relevant
ist; andererseits sollen sie jetzt mit ihren Beiträgen für
die jetzt Pflegebedürftigen zahlen. Seien Sie ehrlich und
sagen Sie den Menschen, dass Sie ihnen eine solche
Doppelbelastung zumuten. Dann können wir weiterreden.
Hannelore Rönsch ({5})
({6})
Wir finden Ihr Vorgehen übrigens umso erstaunlicher, als wir die Pflegeversicherung gemeinsam verabschiedet und die Lücken gemeinsam zu verantworten
haben. Es wurde schon gesagt, dass wir in dieser Legislaturperiode schon einige dieser Lücken gemeinsam entfernt haben. Und 250 Millionen DM tragen auch zu dem
angesprochenen Defizit bei.
Verehrte Frau Rönsch, ich würde Ihnen wirklich
empfehlen, das, was Sie gesagt haben, zurückzunehmen.
Wer hier im Deutschen Bundestag behauptet, diese
Bundesregierung greife in die Nachthemden der Pflegebedürftigen, um sich haushaltsmäßig zu sanieren, hat
nicht nur einen Irrweg begangen. Ich empfinde das als
eine Geschmacklosigkeit, die Sie unbedingt zurücknehmen sollten.
({7})
Wir wissen alle, dass beispielsweise die Qualitätssicherung verbessert werden muss. Und sie wird verbessert werden. Wir alle wissen, dass das Heimgesetz novelliert werden muss. Und es wird novelliert werden.
Wir alle wissen, dass die Problematik der Demenzkranken aufgegriffen werden muss. Das ist in Arbeit. Und
wenn Sie hier schon im Brustton der Überzeugung reden
und sich als moralisch höher stehend präsentieren wollen, frage ich Sie: Was haben Sie denn in den 16 Jahren
Ihrer Regierungsverantwortung für die Demenzkranken
getan? Das möchte ich gern wissen. Darüber können Sie
hier sprechen. Eine Schuldenlast haben Sie uns hinterlassen.
Ich sage auch ganz offen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Die 400 Millionen DM können keinem Sozial- und Gesundheitspolitiker Freude bereiten. Natürlich nicht!
({8})
- Ich weiche nicht aus! Aber die Wahrheit ist, dass seit
dem Zweiten Weltkrieg leider Verschiebebahnhöfe immer wieder gang und gäbe waren. Ich nenne einige.
Beispiel 1: zweimalige Senkung des Rentenversicherungsbeitrages durch Sie bei gleichzeitiger Anhebung
des Beitrags zur Bundesanstalt für Arbeit - Verschiebebahnhof 1.
Zweitens. Absenkung der Reha-Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung mit Auswirkungen auf
einen anderen Bereich - Verschiebebahnhof 2.
Drittens. Ausgliederung der medizinischen Rehabilitation, Belastung der Pflegeversicherung - Verschiebebahnhof 3.
Und was Sie im Zweiten Neuordnungsgesetz mit der
häuslichen Krankenpflege, mit der ambulanten Reha
machen wollten - ich könnte das fortsetzen -:
Verschiebebahnhof 4.
Das macht es nicht richtiger, wenn in der Not eine
Regierung dort hingreift, wo es etwas zu holen gibt.
Tatsache ist: Wir sind dabei, unter diesen schwierigen
Bedingungen das Heimgesetz zu novellieren. Ich kann
jetzt nicht ins Detail gehen. Wir sind dabei, die Qualitätssicherung zu verbessern, und wir sind dabei, auch für
die schweren Probleme der Demenzkranken etwas zu
tun.
({9})
Alle Prognosen, was die langfristige Entwicklung angeht, zeigen, dass bis 2015 der Beitragssatz bei absehbaren Entwicklungen unter 2 Prozent gehalten werden
kann, dass es nach den jetzigen Prognosen nach
2020/2030 schwieriger wird, aber dass es für eine Verunsicherungskampagne der Art, wie Sie sie vorgestellt
haben, keinen sachlichen Grund gibt.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({10})
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0})
- zu dem Antrag der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nationale Armuts- und Reichtumsberichterstattung
- zu dem Antrag der Fraktion der PDS
Regelmäßige Vorlage eines Berichts über die
Entwicklung von Armut und Reichtum in der
Bundesrepublik Deutschland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Wolfgang Mecklenburg,
Hans-Peter Repnik, Peter Weiß ({1})
und der Fraktion der CDU/CSU
Bekämpfung der „verdeckten Armut“ in
Deutschland
- Drucksachen 14/999, 14/1069, 14/1213,
14/2562 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß ({2})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Kollege Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn sich die Reihen auch
lichten, ist heute dennoch ein guter Tag, weil wir endlich
mit einer, wie ich denke, klaren parlamentarischen
Mehrheit beschließen, dass ein nationaler Armuts- und
Reichtumsbericht hier in Auftrag gegeben wird.
({0})
Wir folgen damit den Forderungen der nationalen
Armutskonferenz, der beiden Kirchen, der Gewerkschaften, der einschlägigen Wissenschaftler, die seit Jahren
fordern, dass wir hier endlich eine verlässliche empirische Grundlage für politisches Handeln haben müssen.
({1})
Wir folgen damit auch einem Versprechen der alten
Bundesregierung, das sie 1995 auf dem Weltsozialgipfel
gegeben hat, aber niemals umgesetzt hat.
({2})
Meine Damen und Herren, ich habe mich ein wenig
gewundert, warum Sie Nein sagen zum Reichtums- und
Armutsbericht. Ich habe mir noch einmal angeschaut,
welche Argumente Sie in der ersten Lesung hier im Parlament vorgebracht haben, um dieses Nein zu begründen.
({3})
Es waren nicht sehr viele Argumente, aber dennoch will
ich sie nennen und auf sie eingehen.
Da ist zunächst einmal der Verdacht, dort würden nur
„Papierberge, Datenfriedhöfe erzeugt, nur ein qualifizierter Satz von Daten in der Verteilung von Armut und
Reichtum“. Das hängt letztlich vom Parlament ab. Wir
werden entscheiden, wie wir mit diesem nationalen Armuts- und Reichtumsbericht umgehen. Wir werden entscheiden, ob die Schlussfolgerungen, die Konsequenzen,
die dort vorgeschlagen werden, dann auch politisch umgesetzt werden.
Den gleichen Verdacht könnte man natürlich gegen
den Agrarbericht, gegen den Kinder- und Jugendbericht
usw. erheben. Ich glaube, dass das kein stichhaltiges Argument ist.
Ihr zweiter Punkt - er wurde, glaube ich, von Ihnen
genannt, Herr Weiß -: Eine wissenschaftlich exakte und
von allen geteilte Armutsdefinition lässt sich so leicht
nicht finden. Wie Recht Sie haben! Dennoch gibt es seit
Jahrzehnten in der Bundesrepublik eine etablierte Armutsforschung. Es lässt sich also sehr wohl wissenschaftlich-empirisch begründet etwas zu Armut und
Reichtum sagen.
({4})
Auch das ist, denke ich, ein Scheinargument, um das
Ganze zurückzuweisen.
Sie sagen weiter, es dürfe nicht nur ein Regierungsbericht sein, es müsse auch ein Expertenbericht sein.
({5})
Bei näherem Hinsehen werden Sie feststellen, dass dies
gewährleistet ist.
({6})
Selbstverständlich werden Experten an diesem Bericht
mitwirken.
Ein letztes Argument ist Ihre Alternative, ein Bericht
über verdeckte Armut. Zunächst einmal finde ich es erfreulich, dass auch Sie die verdeckte Armut entdeckt haben. Ich kann mich sehr wohl noch daran erinnern, wie
Herr Seehofer, als wir noch im alten Parlament in Bonn
über die Große Anfrage zur Armut diskutiert haben, mit
Zwischenrufen gefragt hat: Was meinen Sie eigentlich
mit verdeckter Armut? Woher wissen Sie das überhaupt? - Das kann ich Ihnen mit den Protokollen nachweisen. Sie haben also immerhin erkannt, dass es so etwas gibt. Es gibt auch erste Untersuchungen, die letztlich zwar nur Schätzungen sind, die aber zeigen, welchen dramatischen Umfang das hat. Sie haben nach Angaben der nationalen Armutskonferenz selbst von zwei
Millionen Betroffenen gesprochen.
Etwas putzig sind die Argumente der F.D.P. Das
muss ich hier so sagen.
({7})
Sie sagen: Der Begriff Reichtum weckt Neid
({8})
und es geht um das Ausspähen, was für die Umverteilungspolitik zur Verfügung steht. Vielleicht haben Sie
Angst um irgendwelche Kassen. Vielleicht haben Sie
Angst, dass jetzt eine neue Fluchtbewegung nach Liechtenstein entbrennt. Aber, meine Damen und Herren, ich
denke, das ist ein ganz und gar lächerliches Argument.
Der Gipfel des Ganzen ist, dass Sie uns vorwerfen, papier- und diskussionsverliebte Ideologen zu sein.
({9})
Das sind Argumente
({10})
- Herr Hörster, ich finde es erfreulich, dass Sie sich dazu zu Wort melden -, die so wenig stichhaltig sind, dass
unter dem Strich festzuhalten ist: Sie haben eben keine
Argumente, um Ihr Nein zu begründen. Letztlich geht es
Ihnen nur darum, nicht das Gesicht zu verlieren. Sie -
die alte Koalition, die alte Regierung - haben sich vehement gegen einen solchen Bericht gewehrt, und dieser
Linie wollen Sie treu bleiben. Das ist eigentlich das, was
übrig bleibt.
({11})
Was ist das grundsätzlich Neue? Armut war bisher
immer ein typisches Thema der Opposition. Ich finde es
gut, dass es jetzt fester Bestandteil der politischen Programmatik der Parlamentsmehrheit und der Regierung
ist. Die defensive Strategie der alten Regierung in dieser
Frage - hier drücke ich mich sehr zurückhaltend aus Wolfgang Spanier
wird endlich aufgegeben. Diese Regierung und diese
Parlamentsmehrheit stellen sich der Verantwortung.
Armut und Reichtum werden endlich als eigenständige Fragestellungen angesehen und durch eine regelmäßige differenzierte und wissenschaftlich fundierte Berichterstattung - dafür wird Sorge getragen - endlich
auf die notwendige Grundlage gestellt.
Diese Bundesregierung sieht ihre politische Verantwortung für diesen Bericht. Das ist wichtig. Es darf
nicht nur ein Expertenbericht sein. Die Beteiligung der
Fachreferate ist selbstverständlich. Die wissenschaftliche Untersuchung wird durch Wissenschaftler durchgeführt, damit handelt es sich auch um einen Expertenbericht. Die Beteiligung der nationalen Armutskonferenz,
der Kirchen, Wohlfahrtsverbände, der Gewerkschaften
und der Betroffenenorganisationen ist gewährleistet. Es
findet eine öffentliche Begleitung, eine öffentliche Diskussion statt. Die Auftaktveranstaltung war - jeder, der
dabei war, wird es bezeugen - ein Erfolg und hat gezeigt, wie sehr hier die Fachöffentlichkeit und die zuständigen Organisationen interessiert sind und sich in
den Prozess einmischen.
({12})
Die Armutsberichte des Deutschen Gewerkschaftsbunds, des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands,
die Berichte der Caritas und der jetzt in Arbeit befindliche Bericht der Arbeiterwohlfahrt zur Kinderarmut haben ihre eigenen großen Verdienste. Sie haben immerhin
eine breitere Öffentlichkeit auf diese Thematik aufmerksam gemacht. Es ist aber kein Zufall, dass diese Organisationen zusätzlich den nationalen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung gefordert haben. Weil
die Möglichkeiten der Berichte des DPWV und der
Caritas begrenzt waren, haben sie einen umfassenden
und methodisch reflektierten Armuts- und
Reichtumsbericht gefordert.
Ich führe noch einen Punkt an, der neu ist: Schlussfolgerungen und Handlungsoptionen sind selbstverständlich auch Teil dieses Berichts. Es liegt in unser aller Verantwortung, die gewonnenen Erkenntnisse tatsächlich umzusetzen. Daran werden wir, die Regierung
und die Mehrheit dieses Parlaments, gemessen.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schaue auf die
Uhr.
({14})
- Das ist für Sie sicherlich erfreulich, das kann ich mir
vorstellen. - Lassen Sie mich abschließend noch etwas
Grundsätzliches sagen. Wir brauchen in unserem Land
eine Grundsatzdebatte über die Armut in einem reichen
Land. Wir brauchen auch eine Debatte über die Umbruchsarmut in den neuen Bundesländern. Beides gehört
zusammen.
Das hängt mit der Debatte über die Zukunft des Sozialstaats zusammen. Wir müssen in diesem Parlament
über soziale Ungleichheit und darüber diskutieren, wie
viel an sozialer Ungleichheit wir zu akzeptieren bereit
sind. Wir müssen über soziale Gerechtigkeit und darüber
diskutieren, ob sie ausschließlich Chancengerechtigkeit
sein soll oder ob nicht auch die Verteilungsgerechtigkeit
eine wichtige Aufgabe des Parlaments ist.
({15})
Es geht hier wirklich nicht nur um einen Bericht,
sondern um grundlegende Wertvorstellungen unserer
Demokratie, um ihren inneren Zusammenhalt, deswegen
brauchen wir verlässliche empirische Grundlagen. Wir
müssen wegkommen von den Betroffenheitsritualen,
von den blinden Vorurteilen, von der Tabuisierung und
dem Schlagabtausch. Ich glaube, das ist dringend notwendig, damit wir in diesem Parlament eine aktive Politik zur Vermeidung von Armut machen können.
Herzlichen Dank.
({16})
In die Richtung der
Kollegen der F.D.P. möchte ich feststellen, dass der Begriff „putzig“ durchaus parlamentarisch ist.
Nun hat der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragt eine Untersuchung - das ist schon von Herrn Spanier gesagt worden - zu einem Thema, zu dem bislang mehr Vermutungen denn handfeste Informationen vorliegen, nämlich
zur verdeckten Armut.
Gemeint ist jene Gruppe von Menschen, die bislang
in den vielen bereits existierenden Berichten ausgeblendet oder als nicht quantifizierbar behandelt wird.
({0})
Es sind dies jene Mitbürgerinnen und Mitbürger, die
trotz eines bestehenden Rechtsanspruchs auf Sozialhilfe
ihre berechtigten Ansprüche gar nicht geltend machen.
Demjenigen, der Sozialhilfe bezieht - das ist die Intention unseres Bundessozialhilfegesetzes -, wird ein
menschenwürdiges Leben oberhalb des Existenzminimums garantiert. Bei jenen, die als verdeckt Arme aus
verschiedensten Gründen ihre Ansprüche gar nicht geltend machen, besteht tatsächlich das Risiko einer existenziellen Gefährdung. Schätzungen gehen davon aus,
dass etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland die
ihnen zustehende Unterstützung nicht beantragen. Besonders gravierend ist, dass die so genannte verdeckte
Armut mit der Haushaltsgröße ansteigt und somit Kinder
darunter zu leiden haben.
Wissenschaftliche Untersuchungen werden zu diesem
Thema im Vergleich zum Thema der relativen EinkomWolfgang Spanier
mensarmut kaum durchgeführt, und deshalb würde es
sich tatsächlich lohnen, hierzu einen Bericht in Auftrag
zu geben. Wer zielgerichtet politisch handeln will, wer
denjenigen, die tatsächlich Hilfe brauchen, helfen will,
der muss sich mit seinen Untersuchungen auf das Thema
konzentrieren, bei dem tatsächlich Forschung notwendig
ist.
({1})
Der von Rot-Grün beantragte Armuts- und Reichtumsbericht steht dagegen in der Gefahr, zusätzlich zu
den bestehenden Untersuchungen und Berichten noch
einmal ein weiteres Zahlengrab zu öffnen
({2})
oder eine Ansammlung sozialschwärmerischer Artikel
über Armut und Reichtum zu werden.
({3})
Herr Kollege, der
Kollege Grehn möchte eine Zwischenfrage stellen.
Gut, bitte
sehr.
Bitte schön.
Herr Kollege, mich würde
einmal interessieren, welche Unterschiede Sie eigentlich
zwischen versteckter Armut und offener Armut sehen,
und zwar aus Sicht der Betroffenen. Was glauben Sie,
wie sich die versteckt Armen im Unterschied zu den offen Armen fühlen? Ist nicht vielmehr die versteckte Armut ein Teil der gesamten Armut in diesem Land?
({0})
Herr
Grehn, Inhalt und Geist unseres Bundessozialhilfegesetzes, 1961 unter einer CDU-geführten Bundesregierung
eingeführt, ist es, jedem in Deutschland ein Leben zu garantieren, bei dem er nicht in existenzielle Armut fällt.
Das ist die Aufgabe des Bundessozialhilfegesetzes.
({0})
Trotz aller Kritik erfüllt dieses Bundessozialhilfegesetz
Gott sei Dank bis zum heutigen Tag diese Funktion.
Verdeckt arm und damit tatsächlich in der Gefahr, in
existenzielle Armut zu geraten, sind diejenigen Menschen unter uns, die ihre Ansprüche nach dem Bundessozialhilfegesetz gar nicht geltend machen, die also unterhalb des relativen Existenzminimums, das durch die
Leistungen gemäß Bundessozialhilfegesetz garantiert
wird, leben müssen.
({1})
Das nennt man verdeckt arm.
({2})
- Das war die Antwort.
Der Kollege Grehn
möchte noch eine Zusatzfrage stellen.
Ja, bitte
schön.
Bitte.
Ich sehe davon ab, dass
meine Frage unbefriedigend beantwortet worden ist.
Ist Ihnen bekannt, dass die Betroffenenorganisationen - insbesondere die Bundesarbeitsgemeinschaft
der Arbeitsloseninitiativen, aber auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Obdachlosen - davon ausgehen, dass ein großer Teil der Sozialhilfeempfänger, hinsichtlich derer Sie davon reden, dass Sie Armut verhindern, tatsächlich Arme sind, oder sind Sie der Meinung,
dass die Obdachlosen nicht unter die Armen fallen?
Mit Ihrer
Frage zielen Sie auf die Definition. Ich wiederhole die
Definition, die wir mit dem Bundessozialhilfegesetz
entwickelt haben: Mit den Leistungen der Sozialhilfe
verhindern wir, dass Menschen unterhalb des Existenzminimums leben müssen. Entschuldigung, wenn Sie
mich so anschauen, dann muss ich Ihnen sagen: Auch
das Bundesverfassungsgericht hat die Sozialhilfe als
Existenzminimumsgrenze definiert. Nehmen Sie zur
Kenntnis, dass das höchste deutsche Gericht diese Definition festgelegt hat! Von nichts anderem sprechen wir.
Nun möchte der
Kollege Spanier eine Zwischenfrage stellen.
Ja.
Herr Kollege Spanier, bitte sehr. Danach lasse ich keine Zwischenfragen
mehr zu, damit wir in der Tagesordnung fortfahren können.
Herr Kollege Weiß, ich
verstehe, dass Sie hier vehement für Ihren Alternativvorschlag, einen Bericht über verdeckte Armut, eintreten. Ich gehe davon aus, dass auch Sie in die Konzeptund Umsetzungsstudie des zuständigen Ministeriums
Peter Weiß ({0})
hineingeschaut haben. Wenn Sie das getan haben, dann
dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass es nicht nur um
die Erfassung von Einkommensarmut, sondern auch um
die Berücksichtigung anderer Lebenslagen geht, zum
Beispiel um Unterversorgung im Bereich des Wohnens
oder der Gesundheit, und dass selbstverständlich auch
die verdeckte Armut, das heißt, die Situation der Menschen, die Sozialhilfe - aus welchen Gründen auch immer - nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie anspruchsberechtigt sind, und deren Zahl offensichtlich beschämend groß ist, in diesem Bericht dargestellt wird. Das ist
ausdrücklich verankert. Ich frage Sie: Was macht Ihnen
eigentlich Sorge? Besorgt es Sie, dass der Reichtum und
die einzelnen Lebenslagen mit berücksichtigt werden?
Das ist doch Konsens in der Armutsforschung. Die
Wohlfahrtsverbände und gerade auch die Caritas, auf die
ich besonders hinweise, stimmen schon seit Jahren darin
überein, dass dies alles dringend im Zusammenhang
aufgearbeitet werden muss.
Herr Spanier, ich bin mit Ihnen einer Meinung, dass für die Aufarbeitung des Themas verdeckte Armut - gerade weil es
darüber kein Zahlenmaterial und keine Statistiken gibt Lebenslagenforschung und Lebenslagenuntersuchungen
notwendige Instrumente sind, um einen solchen von uns
beantragten Bericht über die verdeckte Armut zu erstellen. Ich wiederhole noch einmal das, was ich schon ausgeführt habe: Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind der
Auffassung, dass wir uns dann, wenn wir eine Untersuchung in Auftrag geben, auf das Thema konzentrieren
sollten - das ist die verdeckte Armut -, bei dem tatsächlich politischer Handlungsbedarf besteht. Deswegen haben wir unseren Antrag gestellt.
({0})
Vielleicht geht es Rot-Grün auch gar nicht darum,
mithilfe des Reichtums- und Armutsberichts genauere
Fakten und Daten zu erheben, sondern darum, mit viel
Papier die Diskussion über ihr eigenes Handeln bzw.
Nichthandeln zu vernebeln;
({1})
denn die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land messen die Politik der Bundesregierung zu Recht daran, was
sie wirklich tut, und nicht daran, welche Berichte sie
schreiben lässt.
({2})
Was haben Sie von Rot-Grün in der Zeit, in der Sie
regieren, eigentlich getan, was den Namen Armutsbekämpfung verdienen würde?
({3})
Sie haben die so genannte Ökosteuer eingeführt. Schon
der Name ist ein Betrug. Jedes Jahr tritt eine neue Stufe
mit Steuererhöhungen in Kraft. Jede dieser Stufen geht
einseitig zulasten der Sozialhilfeempfänger. Ein Sozialhilfeempfänger hat keinen Ausgleich durch geringere
Rentenversicherungsbeiträge oder durch eine allgemeinen Steuerentlastung.
({4})
Rot-Grün hat die so genannte originäre Arbeitslosenhilfe abgeschafft. Sie schicken Zigtausend Menschen
zusätzlich in die Sozialhilfe.
({5})
- Ich verstehe schon, dass Sie erregt sind, wenn man Ihnen vor Augen führt, was Sie einmal beschlossen haben
und dann tatsächlich getan haben.
Rot-Grün kürzt in der Sozialversicherung die Beiträge für Arbeitslosenhilfebezieher.
({6})
Es ist absehbar, dass aufgrund dieser Politik in einigen
Jahren noch mehr Menschen auf Sozialhilfe angewiesen
sein werden. Ich kenne Ihre Antwort: bedarfsorientierte
Grundsicherung.
({7})
Diese bringt dem entsprechenden Personenkreis keine
zusätzlichen Leistungen. Ihre Sozialhilfe erhält schlichtweg nur einen anderen Namen: gleiche Leistung, aber
neuer Farbanstrich. Das ist keine Politik; das ist
schlichtweg ein schlechter Werbegag.
({8})
Alle politischen Gruppierungen und Experten sind
sich einig: Die Sozialhilfe muss reformiert werden. Wir
brauchen ein neues Bedarfsbemessungsschema. Die
Frage, wie genau die Sozialhilfe zu bemessen ist, muss
neu geregelt werden. Seit 1997 gilt eine Übergangsregelung, nach der die Regelsätze der Sozialhilfe in der gleichen Weise wie in der gesetzlichen Rentenversicherung
erhöht werden.
Um Zeit für eine Neuregelung zu gewinnen, haben
Sie, die rot-grüne Regierungskoalition, im vergangenen
Jahr beschlossen, dass diese Übergangsregelung für weitere zwei Jahre, bis 2001, anzuwenden ist.
({9})
Als Begründung haben Sie damals angeführt, dass die
Verlängerung dieser Übergangsregelung gegenüber den
Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern
deshalb vertretbar sei, weil davon ausgegangen werden
könne, dass die Renten in den nächsten beiden Jahren
stärker als bisher steigen und dass damit auch die Sozialhilfe steigt. Doch das ist jetzt nicht mehr der Fall.
Durch Ihren Rentenbetrug ist Ihre eigene Gesetzesbegründung entfallen. Dem Rentenbetrug folgte der Sozialhilfebetrug.
({10})
- Entschuldigung, Frau Kollegin, das ist die Systematik
des Gesetzes.
Doch der einen Schandtat soll bereits die nächste folgen. Nach dem von Ihnen beschlossenen Gesetz müsste
spätestens zum 1. Juli 2001 ein neues Bedarfsbemessungsschema in der Sozialhilfe festgelegt werden; denn
davon hängt in der Sozialhilfe alles ab. Doch schon hört
man Stimmen, dass sich die rot-grüne Koalition ein weiteres Mal eine Übergangsfrist bis 2002 genehmigen lassen will.
({11})
- Nein, die hört man bei Ihnen, Herr Gilges, aus dem
von Ihrer Partei geführten Bundesarbeitsministerium.
Ich wette, im Frühjahr 2002 fällt Ihnen sicherlich ein
weiterer so genannter gewichtiger Grund ein, warum Sie
die eigentliche Reform des BSHG nochmals, über das
Datum der Bundestagswahl hinaus, verschieben. Das bedeutet, dass Sie bei der eigentlichen Kernfrage der Sozialhilfe, nämlich wie und nach welchen Kriterien Sozialhilferegelsätze zu bemessen sind, kneifen. Ihr Motto
heißt: Zeit schinden, aber ja keinen reinen Wein einschenken.
({12})
- Herr Gilges, die Opposition sitzt nicht in dem entsprechenden Arbeitskreis beim Deutschen Verein, der ein
neues Bedarfsbemessungsschema entwickeln soll.
Sie lassen für viel Geld auf viel Papier vieles über
Armut und Reichtum in Deutschland schreiben; aber
Papier ersetzt eben kein politisches Handeln. Für die angebliche Notwendigkeit Ihres Projekts eines Armutsund Reichtumsberichts nennen Sie als Kronzeugen die
Kirchen, die nationale Armutskonferenz und die Wohlfahrtsverbände. Doch offensichtlich werden diese Verbände nur für die plakative Begründung gebraucht.
Wenn es konkret wird und zur Sache geht, dann zählt
deren Rat nichts mehr.
Die nationale Armutskonferenz hat beim - schon
erwähnten - vom Bundesarbeitsministerium durchgeführten Forum ein Modell vorgelegt, nach dem der neue
Armuts- und Reichtumsbericht zwar unter der politischen Verantwortung der Bundesregierung zu erstellen
ist, nach dem aber für das Berichtsmanagement eine
neutrale Geschäftsstelle, zum Beispiel beim Deutschen
Verein für öffentliche und private Fürsorge, eingerichtet
werden soll. Die Beschlussfassung der Konzeption und
des Forschungsbedarfs soll in einer Expertenkommission mit Vertretern aus Bund, Ländern, Kommunen,
Verbänden, Betroffenenorganisationen und Wissenschaftlern sowie dem Statistischen Bundesamt erfolgen.
Die wissenschaftlichen Untersuchungen werden durch
Wissenschaftler und entsprechende Institute erfolgen.
Die rot-grüne Koalition lehnt dies schlichtweg ab. Sie
wollen einen regierungsamtlichen Bericht. Die Kronzeugen für die Armuts- und Reichtumsberichterstattung
sind desavouiert. Genau das, was die Befürworter eines
solchen Berichts in Wissenschaft und Verbänden bezüglich der Art und Weise, wie ein solcher Bericht zustande
kommen soll - nämlich durch eine unabhängige Expertise -, erwartet haben, soll es nicht geben. Sie wollen einen Regierungsbericht und lehnen die Vorschläge der
nationalen Armutskonferenz schlichtweg ab.
({13})
Von einer neutralen Steuerungsgruppe ist keine Rede
mehr.
Ich finde es übrigens interessant, dass die Frau Kollegin Deligöz - sie wird nach mir sprechen - bei jener Tagung im Oktober 1999 noch der Auffassung war, dass
eine Trennung von unabhängigen Expertisen und Stellungnahmen der Bundesregierung sinnvoll sei,
({14})
dass ein so erstellter Bericht auch für die interessierte
Öffentlichkeit aussagekräftiger und gewichtiger sein
werde. Sie plädierte sogar dafür, das Berichtsmanagement dem Deutschen Verein für öffentliche und private
Fürsorge zu übertragen. Doch von alldem will jetzt bei
Rot-Grün niemand mehr etwas wissen.
({15})
- Herr Kollege Gilges, Sie haben Recht: Sie wollten es
nicht. Insofern haben Sie die arme Frau Kollegin Deligöz in dieser Frage platt gemacht.
({16})
Auf gut Deutsch: Schon heute steht fest, dass dieser
nationale Armuts- und Reichtumsbericht, den Rot-Grün
dank ihrer Mehrheit heute beschließen wird, seine
Glaubwürdigkeit bereits vor dem Entstehen eingebüßt
hat. Es ist schade um das viele Papier.
Vielen Dank.
({17})
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Ekin Deligöz.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Weiß, mich wundert es doch sehr, bei einem Blick
in Ihren Lebenslauf feststellen zu müssen, dass Sie Karriere bei der Caritas gemacht haben.
({0})
Angesichts dessen müssten doch gerade Sie wissen, dass
Herr Hauser als einer der Beauftragten für die ArmutsPeter Weiß ({1})
berichterstattung für die Caritas nicht nur bei uns im
wissenschaftlichen Beratungsgremium eingeplant ist,
sondern dass er in der Funktion als Caritas-Mitarbeiter
eine Armuts- und Reichtumsberichterstattung von der
Bundesregierung gefordert hat. Als jemand, der von der
Caritas kommt, sollten Sie erst einmal in Ihre eigenen
Unterlagen hineinschauen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte im Gegensatz zu meinen Vorrednern nicht mit dem Thema
Armut, sondern mit dem Thema Reichtum anfangen.
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt.
1998 verfügten rund 44 Millionen Privathaushalte über
ein Geldvermögen von 5,7 Billionen DM. Hinzu kamen
Immobilien, Gebrauchswerte, Möbel, Teppiche,
Schmuck und Uhren. Dabei hatte jeder Haushalt rechnerisch ein Geldvermögen von rund 153 000 DM und einen Besitz im Wert von 389 000 DM. Aber das, meine
Damen und Herren, gilt nur im Durchschnitt.
Tatsächlich sind 5 Prozent der Haushalte überschuldet. Fakt ist, dass wir 4 Millionen Arbeitslose haben, deren Einkommenssituation meist prekär ist. Fakt ist auch,
dass 3,5 Prozent der Bevölkerung von Sozialhilfe leben.
Fakt ist, dass wir in Deutschland nach wie vor Menschen haben, die zwar sozialhilfeberechtigt sind, aber
aus Unwissenheit oder Scham auf ihre Ansprüche verzichten. Das ist die verdeckte Armut.
Offene Armut in Deutschland hat vor allem ein junges Gesicht. Über 1 Million Kinder und Jugendliche leben in Haushalten, deren Einkunft Sozialhilfe ist. Die
Sozialverbände sprechen von zusätzlich 700 000 Kindern, die in verdeckter Armut leben.
Natürlich wissen wir in Deutschland schon einiges
über Reichtum und auch über Armut. Alle fünf Jahre befragt das Statistische Bundesamt mehrere Zehntausend
Haushalte über ihr Einkommen; auf freiwilliger Basis
findet auch eine Befragung über die Vermögensverhältnisse statt. Allerdings werden in dieser Einkommensund Verbraucherstichprobe weder die Haushalte mit einem Monatseinkommen von über 35 000 DM berücksichtigt, die diese eindrucksvollen Vermögen besitzen,
noch die nicht-deutschen Haushalte, die im Durchschnitt
weniger gut situiert sind. Diese offiziellen Daten liefern
uns deshalb nur eine eingeschränkte Auskunft über die
Realität von Armut und Reichtum in Deutschland.
({3})
Auch über verdeckte Armut ist uns in der Tat sehr
wenig bekannt. Aber darüber, dass Armut und Reichtum
in Deutschland existieren, sind wir uns, denke ich, einig.
Es sollte uns allen auch klar sein, dass wir als eines der
reichsten Länder der Welt die Armut bekämpfen müssen
und dass wir gerade als Politiker hierbei in der Verantwortung stehen. Aber dann beginnt die Debatte: Wo
fängt Armut an? Wo hört Armut auf? Sind Menschen,
die Sozialhilfe bekommen, arm? Oder stimmen die Aussagen von Sozialverbänden, die von einer Bedarfsunterdeckung der Sozialhilfe von 18 Prozent sprechen? Das
ist die objektive Seite, die wir noch zu klären haben.
Es gibt aber darüber hinaus eine subjektive Seite.
Vom jeweiligen Verständnis und der Herangehensweise
hängt es ab, was unter Armut verstanden wird. Sicherlich braucht in Deutschland niemand mehr zu hungern,
auch wenn wir, vor allem bei Menschen mit geringem
Einkommen, häufig von Fehlernährung und von ernährungsbedingten Krankheiten sprechen. Auch wer in
Deutschland Sozialhilfe bezieht, hat zumeist ein Telefon
bzw. einen Fernseher. Ebenso ist der materielle Lebensstandard von Arbeitslosen sicherlich um einiges höher
als der von vielen Kleinunternehmern in den Entwicklungsländern.
So gesehen ist Armut und so gesehen ist auch Reichtum relativ. Aber nach unserer Definition ist nicht nur
derjenige arm, der nicht genügend Mittel zum physischen Überleben hat, sondern auch derjenige, der im
Vergleich zu den Standards seiner Gesellschaft über nur
geringe Ressourcen verfügt.
({4})
Arm sind Menschen, die gesellschaftlich an den Rand
gedrängt werden, die kaum Chancen auf einen sozialen
Aufstieg haben und deren Kindern die soziale Randständigkeit schon in die Wiege gelegt zu sein scheint. Für
diese Menschen hat Armut viele Gesichter. Sie beginnt
beim Familienurlaub und dann, wenn die Freizeit mit
Kindern außerhalb der eigenen Wohnung zu einem wahren Luxusgut wird. Sie trifft auch die Mutter, die für ihr
Kind keinen Kindergeburtstag ausrichten kann, weil sie
nicht genug Geld dafür hat.
Zur objektiven Seite der Armut gehört wiederum: Eine Politik, die sich für soziale Gerechtigkeit und für das
Gemeinwohl einsetzt, braucht eine solide Informationsgrundlage.
({5})
Es ist sehr ehrenswert, dass Sie von der Union sich
für die verdeckte Armut interessieren. Aber das ist nur
ein kleiner Ausschnitt der Gesamtproblematik. Wir dürfen hier im Parlament nicht nur einen Teilbereich der
Armut behandeln. Wir müssen vielmehr die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit wahrnehmen. Wir müssen
auch über Tabus sprechen, also über Dinge, über die
man angeblich bisher nicht gesprochen hat und auch in
Zukunft nicht sprechen will.
Eine Politik für soziale Gerechtigkeit braucht definitiv eine klare Wertentscheidung: Was verstehen wir unter Gerechtigkeit? Was verstehen wir unter Menschenwürde? Wir brauchen Informationen über die Verteilung
von Einkommen und Vermögen. Wir brauchen Informationen über deren Fortentwicklung und deren volkswirtschaftlichen Einsatz.
({6})
Beides ist notwendig, um zum Beispiel die anstehende
Debatte über die Neufestlegung der Regelsätze in der
Sozialhilfe führen zu können. Beides ist auch notwendig, um den künftigen Herausforderungen der Armutspolitik gerecht zu werden.
Herr Kollege Weiß, es ist schön, dass Sie sich Sorgen
um meine Position machen. Aber arm, so wie Sie das
gesagt haben, bin ich nicht.
({7})
Zudem lasse ich mich von guten Konzepten überzeugen.
Die Planungen im Bundesarbeitsministerium im Hinblick auf den Berichtsprozess sind weit vorangeschritten. Im Gegensatz zu Ihnen, die Sie für Werbegags verantwortlich sind, schreiten wir lieber zu Taten und tun
etwas.
({8})
Wir erwarten die Ergebnisse des ersten Armuts- und
Reichtumsberichts im Frühjahr 2001. Ich freue mich
sehr über eine wirklich gute und intensive Vorarbeit, die
hier bereits geleistet wurde und auch in Zukunft geleistet
werden wird.
({9})
Vorhin wurde gefragt, was wir getan haben. Das sollten Sie aber wissen. Wer hat die Kindergelderhöhungen
durchgesetzt? Wer hat durchgesetzt, dass das erhöhte
Kindergeld nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird?
Das waren nicht Sie, sondern wir, und zwar im vergangenen Jahr, wenn ich mich richtig erinnere.
({10})
- Herr Kollege Niebel, dies ist meine erste Rede hier im
Bundestag in diesem Jahrtausend und meine fünfte Rede
über Armut, Reichtum und Sozialpolitik, seitdem ich
Mitglied im zuständigen Ausschuss bin. Ich muss sagen:
Das ist eine der Reden, bei der ich von Ihnen wiederum
nur unterbrochen werde. Dafür würde ich Ihnen am
liebsten den Machopreis des Jahres verleihen.
({11})
Lassen Sie mich wieder zum Thema zurückkommen.
Wir bevorzugen zwar aus Gründen der Unabhängigkeit
eine externe Vergabe. Würden wir aber diesen Bericht
extern vergeben, hätten wir ihn frühestens im Jahr 2002.
Mit einer solchen Verzögerung könnten wir kaum arbeiten. Wir möchten nämlich in dieser Wahlperiode nicht
nur Ergebnisse haben, sondern über sie auch politisch
diskutieren, Konsequenzen aus ihnen ziehen und die ersten Maßnahmen in diesem Bereich in die Wege leiten.
Für künftige Armuts- und Reichtumsberichte bleibt
die Frage der Organisation noch offen. Ich freue mich
darüber, dass es seitens des Ministeriums Signale der
Offenheit gibt.
({12})
Wir sind bereit, die wissenschaftliche Federführung
des BMA zu akzeptieren, weil das Bundesministerium
gesellschaftliche Institutionen, Fachverbände und kritische Armutsforscher und -forscherinnen - auch Herrn
Hauser, auch Vertreter der Caritas - in den wissenschaftlichen Beirat aufnimmt.
({13})
Beide Gremien werden den Berichtsprozess in allen
Fragen intensivst begleiten. Uns ist auch wichtig, eng
mit den Sozialverbänden zusammenzuarbeiten und eine
Verzahnung sicherzustellen.
({14})
Soziale Gerechtigkeit ist ein vielschichtiger Begriff.
({15})
Es geht in der Tat um Verteilungsgerechtigkeit, aber
nicht weniger um Generationengerechtigkeit, um Chancengerechtigkeit und letztendlich auch um Leistungsgerechtigkeit. Wir wollen gerade diese Dimensionen nicht
gegeneinander ausspielen, sondern in ihrer Vielschichtigkeit beurteilen und handhaben. Dafür brauchen wir
neben inneren Überzeugungen auch eine rationale Informationsbasis. Das Konzept der Koalition schafft dafür eine unverzichtbare Grundlage.
({16})
Manchmal sind sehr
häufig wiederholte Zwischenrufe für den Redner nicht
so ganz einfach, Herr Kollege Niebel, wenn Sie mir erlauben, das zu sagen.
({0})
Nun hat Herr Kollege Dr. Heinrich Kolb, F.D.P.Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit unserer letzten
Debatte sind wir durch die Verhandlung im Ausschuss
für Arbeit und Sozialordnung und natürlich auch durch
die Tagung „Armut und Reichtum in Deutschland“
am 7. Oktober letzten Jahres ein Stück weitergekommen, was die Behandlung und die Bewertung des Koalitionsantrages angeht. Herr Kollege Spanier, ich habe mir
die Tagungsdokumentation noch einmal sehr intensiv
angesehen. Ich muss Ihnen sagen, meine Zweifel, was
Ihre Forderung nach Erstellung eines solchen Berichtes
anbelangt, sind nicht kleiner, sondern größer geworden.
Gestiegen sind auch meine Zweifel, dass es Ihnen gelingen könnte, in einem vertretbaren Zeitraum - zumindest
nicht bis 2001 - zu einem aussagekräftigen Datenbestand zu kommen. Natürlich ist auch meine Skepsis bestätigt, was die Zielrichtung Ihres Wissensdranges anbelangt. Aber eines nach dem anderen.
Die methodischen Fragen - Sie wollten ja konkrete
Gründe für unsere Ablehnung - nehmen einen breiten
Raum bei der Darstellung der Ergebnisse der Voruntersuchung anlässlich der Tagung „Armut und Reichtum“
ein. Bei der Beantwortung der Frage, was Armut ist, gibt
es - so das Ergebnis der Voruntersuchung - zwei mögliche Ansätze, nämlich einen Ressourcenansatz und einen
Lebenslagenansatz. Beim Ressourcenansatz geht es um
die monetären Aspekte, beim Lebenslagenansatz um die
nicht monetären Aspekte von Armut und Reichtum. Bei
den monetären Ansätzen wird dann noch zwischen absoluter, relativer und politisch-normativer Armut unterschieden.
Die Untersuchung der absoluten Armut in
Deutschland wäre wenig ergiebig und ist wohl auch
nicht das, was Sie von der Koalition anstreben. Auch
Bundesminister Riester hat auf dem Forum am
7. Oktober 1999 gesagt - ich zitiere -:
Von einer existenziellen, absoluten Armut, bei der
die Mittel zum physischen Überleben fehlen, kann
in Deutschland nur selten gesprochen werden.
Relative Armut - ich muss das aus Zeitgründen hier
knapp halten - als Ansatz zu wählen und zu beschreiben, ist nicht unproblematisch. Darauf weisen Dietrich
Engels und Christine Sellin von der ISG GmbH hin, die
diese Voruntersuchung gemacht haben. Sie sagen - ich
zitiere -:
Genau genommen ist es ja so, dass eine solche relative Armutsmessung Ungleichheit misst, aber nicht
das, was Armut im strengen Sinne ausmacht. Das
heißt, wenn das Wohlstandsniveau insgesamt ansteigt und wenn es gleichmäßig ansteigt, wird auch
die Armut faktisch zurückgehen, aber die relative
Armut im Vergleich zu den Durchschnitten der Gesellschaft wird sich nicht unbedingt verändern. Das
sind Gesichtspunkte, die man kritisch im Auge haben muss.
Ich denke, das spricht für sich.
({0})
Schließlich, Herr Gilges, der Ansatz der politischnormativ definierten Armut: Als arm in diesem Sinne,
so Engels/Sellin, würde man den bezeichnen, der auf
Sozialhilfe angewiesen ist. Hier muss ich wiederholen,
Herr Kollege Gilges, was ich bereits in der Debatte vom
30. September gesagt habe. Der Bezug von Sozialhilfe
ist nicht der Beweis von Armut, sondern er ist der Beweis von verhinderter Armut. Ich sehe die Sozialhilfe
nicht als eine Schande unseres Gemeinwesens, sondern
als eine Errungenschaft der Sozialpolitik an, auf die wir
stolz sein können.
({1})
Gleichwohl muss ich zugeben: Es gibt Probleme neben und über der Sozialhilfe, wobei „neben der Sozialhilfe“ den Sachverhalt der verdeckten Armut beschreibt.
Dazu habe ich bereits in der Debatte vom 30. September
das Wesentliche gesagt. „Über der Sozialhilfe“ beschreibt eine andere interessante Kategorie, der wir vielleicht seitens der Politik bis jetzt zu wenig Beachtung
schenken. Das ist die Kategorie prekärer Wohlstand.
Das heißt, von Armut gefährdet sind auch die Personengruppen, die knapp oberhalb der Armutsgrenze liegen:
Sie werden zwar von der vollen Wucht unseres Steuersystems getroffen, kommen aber gerade nicht mehr in
den Genuss der diversen Transfer- und Sozialleistungen.
Nur der Vollständigkeit halber will ich noch die subjektive Armut erwähnen. Danach ist arm derjenige, der
sich selbst als arm einschätzt. Ich glaube, wir sind uns
einig, dass dies eher eine Anspruchsgrenze als eine Armutsgrenze beschreibt. So haben es auch Engels/Sellin
in ihrer Untersuchung gesehen. Ich hätte mir schon gewünscht, Herr Kollege Spanier, dass Sie heute einmal
gesagt hätten, welchen Armutsbegriff Sie zugrunde legen wollen.
Erscheint das alles schon schwierig, so wird die
Reichtumsberichterstattung unter dem monetären Gesichtspunkt noch schwieriger. Auch hier stellt sich die
Frage: Gibt es eine absolute Reichtumsgrenze? Die befragten Experten plädieren dafür, ein Einkommen, das
höher als 200 Prozent des durchschnittlichen Einkommens liegt, als Indikator für Reichtum zu nehmen.
({2})
Ich habe mir, Herr Kollege Dreßen, einmal die Mühe
gemacht, aus der Lohn- und Einkommensteuerstatistik, die im Statistischen Jahrbuch 1999 veröffentlicht
worden ist, den Median der Einkommensverteilung das ist die von den Experten bevorzugte Methode - näherungsweise zu bestimmen. Das ist natürlich nur eine
Tendenzaussage. Aber ich glaube, dass die Größenordnungen stimmen. Deswegen will ich das Ergebnis hier
vortragen.
In dieser Statistik sind 53,7 Millionen lohn- oder einkommensteuerpflichtige Einkommen nach Größenklassen aufgeführt. Man stellt fest, dass der Median im Bereich der Größenklasse zwischen 40 000 und 50 000 DM
liegt. Armut, Herr Gilges, beginnt dann demzufolge in
der Größenklasse 20 000 bis 25 000 DM, was ja durchaus noch einsichtig erscheint. Reichtum allerdings beginnt schon bei Einkommen von 80 000 bis 100 000
DM - wohlgemerkt: jeweils brutto. Da werden sich einige Menschen in der Bundesrepublik mit Recht schon
bange fragen, was da möglicherweise auf sie zukommt.
({3})
Herr Kollege Gilges, Ihre Haltung ist in dieser Frage
wenigstens in sich stimmig. Wenn ich mich nämlich
daran erinnere, dass Ihr früherer Fraktionsvorsitzender
Rudolf Scharping Alleinstehende mit Einkommen von
50 000 bis 60 000 DM brutto als Besserverdienende bezeichnet hat, dann muss ich sagen, dass es nur konsequent ist, die Grenze für Reichtum ab einem Einkommen von 80 000 bis 100 000 DM beginnen zu lassen.
({4})
All das, was ich für den Bereich der monetären Aspekte der Armut an methodischen Problemen versucht
habe darzustellen, wird noch ungleich komplizierter,
aber auch ungleich politischer und weniger exakt bestimmbar, wenn man an die nicht monetären Aspekte
der Unterversorgung herangeht. Gibt es Armut an Gesundheit oder an Bildung? Gibt es einen Reichtum daran? Ist reich, wer einen - wenn ja, wie - bezahlten Arbeitsplatz hat, eine Wohnung oder Einfluss? Wie misst
man das eigentlich?
Meine Damen und Herren von der Koalition, bei alledem reden wir bisher nur von Einkommen. Geht es Ihnen aber nicht auch und gerade um die Vermögen? Ist
Ihr Konzept, Herr Gilges, mit dem Sie sich an die Arbeit
machen wollen, eigentlich richtig? War es nicht Ihre
Partei, die noch vor dem Berliner Parteitag großspurig
angekündigt hat, eine Vermögensabgabe zu erheben?
Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet! Alles
schon vergessen?
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Ihr Handeln wie sollte es auch anders sein - politisch motiviert ist.
Der differenzierte Armuts- und Reichtumsbegriff, den
Frau Deligöz als „praktikable Grundlage für die Politik“
fordert, ist politisch motiviert. Sie, Herr Gilges, haben
auf der Konferenz ganz ehrlich gesagt, dass die Vorlage
des Berichts - Zitat -
erhebliche symbolische Bedeutung hat, auch die
Diskussion, die sich daran anschließt. Denn damit
wird gerade den von Armut Betroffenen signalisiert, dass diese Bundesregierung ihre Probleme
ernst nimmt und sich nicht darauf zurückzieht, dass
Arme eigentlich selbst Schuld an ihrem Schicksal
haben.
({5})
Ich sage hier ganz deutlich, Herr Gilges: Wenn das so
ist, dann tun Sie, was Sie tun müssen. Aber erwarten Sie
von uns bitte nicht, dass wir Sie auf diesem Weg begleiten.
Und wenn Sie sich auf den Weg machen, nehmen Sie
mit, was Abraham Lincoln auf so wunderbare Weise
ausgedrückt hat:
Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr
die Starken schwächt. Ihr werdet denen, die ihren
Lebensunterhalt verdienen müssen, nicht helfen,
indem ihr die ruiniert, die sie bezahlen. Ihr werdet
keine Brüderlichkeit schaffen, indem ihr den Klassenhass schürt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Weiß, Ihr Beitrag vorhin war wirklich peinlich. Wenn man sich den Antrag
anguckt, wird es noch peinlicher; denn dies ist nur ein
Bemänteln dessen, was Sie in 16 Jahren Regierungspolitik versäumt haben. Und jetzt fordern Sie dazu auf, möglichst schnell Schritte einzuleiten.
({0})
Ihre Antworten deuten Sie in dem Antrag an: Sie
möchten die Informationspolitik für die Sozialhilfeträger
verbessern, Sie möchten den Sozialhilfeempfängern den
Zugang erleichtern, indem Sie sie besser informieren.
Aber das Problem als solches, die Armut insgesamt, betrachten Sie nicht. Dem haben Sie sich bisher verweigert. Sie haben nichts getan und haben heute wieder bewiesen, dass Sie nicht bereit sind, etwas zu tun.
({1})
Da bereits mehrmals in dieser Debatte eine Rolle
spielte, wie Sozialhilfe zu bewerten ist - Sie verweigerten eine Antwort auf diese Frage -, kann man auf keinen
Fall außen vor lassen, dass die Sozialhilfe als System sicher eine Errungenschaft war, aber eingeführt wurde in
einer Zeit, da in der alten Bundesrepublik weitgehend
Vollbeschäftigung herrschte. Die Sozialhilfe war ein
Notnagel für Menschen, die - meistens durch äußere
Umstände - tatsächlich in eine akute Notsituation gekommen sind.
Heute heißt Sozialhilfe für viele Menschen sicher
nicht Hunger, aber sie bedeutet zumindest den weitgehenden Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben, Ausschluss von gesellschaftlichen Aktivitäten. Und auch das
ist Armut. Wenn ich in Leipzig Freitag abends in die
Kaufhalle gehe, in Connewitz, und neben mir eine Mutti
zu ihrem fünfjährigen Sohn sagt: „Die gefrorene Pizza
für 2,99 DM gibt es nicht, weil sie zu teuer ist“, so weiß
ich natürlich nicht: Hat sie Arbeit? Gehört sie eventuell
zur Gruppe der Niedriglohnempfängerinnen, die von ihrer eigenen Arbeit nicht mehr leben können? Gehört sie
zur Gruppe derjenigen, die Sozialhilfe bekommen und
bei denen das Geld trotzdem nicht ausreicht? Oder gehört sie vielleicht zu der Gruppe von Menschen, die
nicht einmal Sozialhilfe beantragen, weil sie Angst davor haben, dass vielleicht ihre Eltern regresspflichtig
sind?
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön. Herr Kollege Singhammer.
Frau Kollegin Dr. Höll, wenn Sie über Reichtum und Armut sprechen: Stimmen Sie mir zu, dass ein Reichtumsbericht
der Parteien die PDS, der Sie angehören, als eine der
reichsten Parteien nicht nur Deutschlands, sondern sogar
Europas ausweisen würde?
({0})
Entschuldigung, Frau Präsidentin, dass ich lachen musste. Das ist ein etwas unparlamentarisches Verhalten. Aber die Frage ist wirklich
lächerlich. Sie kennen die Berichte, Sie können sie sich
angucken. Und Sie wissen, dass kein Großunternehmen
auf die Idee käme, der PDS eine Spende zu überweisen,
ob offiziell oder inoffiziell, weil wir garantiert nicht für
die Interessen dieser Gruppen stehen, sondern für soziale Gerechtigkeit.
({0})
Ich möchte aber diese Frage nutzen, von hier aus an
die Vertreter der Regierungskoalition einen Appell zu
richten. Ich meine, die heutige Debatte zeigt auch, dass
wir uns in wesentlichen Punkten einig sind. Die Forderung nach einem Armutsbericht, den zu erstellen sich
die Bundesrepublik 1995 in Kopenhagen verpflichtet
hat, hat eine Geschichte, auch eine parlamentarische Geschichte. In der letzten Legislaturperiode haben unserem
Antrag nur die Grünen zugestimmt. Die SPD verweigerte sich damals und brachte danach einen eigenen Antrag
ein. Ich meine, inzwischen haben sich die Positionen
weitgehend angenähert. Wir fordern jeweils in unseren
Anträgen eine Armuts- und Reichtums-berichterstattung,
weil dies zwei Seiten ein und derselben Medaille sind.
Ich meine, es wäre ein demokratisches Zeichen, wenn
man am Ende einer solchen Diskussion, die doch eine
weitgehende Übereinstimmung offenbart, bei der Abstimmung zumindest mit einer Enthaltung auf einen
PDS-Antrag reagieren könnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, es ist
wichtig, heute noch einmal herauszustellen: Dass wir zu
dieser Debatte gekommen sind, ist nicht alleine und
auch nicht zuerst Verdienst der Politikerinnen und Politiker. Sie ist aus breitem außerparlamentarischen Druck
entstanden.
({1})
Sowohl die beiden großen christlichen Kirchen als auch
viele Initiativen und Verbände wie der Kinderschutzbund und Sozialhilfeinitiativen haben daran großen Anteil. Es ist richtig und wichtig, sie in die weitere Arbeit
einzubeziehen.
Es gibt trotz aller Gemeinsamkeit Unterschiede zwischen den beiden Anträgen. Diese liegen aber in der Begründung. Wir stimmen ja über den Antrag ab und nicht
über die Begründung. Ich glaube, dass schon fast zu viel
Zeit ins Land gegangen ist, wenn der Bericht im Frühjahr 2001 kommt. Denn im Jahr 2002 sind Wahlen und
wir wissen, dass im Vorfeld meistens nicht mehr sehr
viel passiert.
Ich denke, es ist wichtig, zu betonen, dass für uns als
PDS Armut und Reichtum keine nationalen Größen
sind. Daher muss der internationale Bezug aufgezeigt
werden.
Bei dieser Diskussion sollte Einigkeit darüber herrschen, dass es darum geht, mehr soziale Gerechtigkeit
in dieser Gesellschaft zu erreichen: Recht auf eine soziale Grundsicherung für jeden Menschen, der in der Bundesrepublik Deutschland lebt, ohne Bedürftigkeitsprüfung.
Es ist für mich keine soziale Gerechtigkeit, Rentenansprüche von Arbeitslosen zu kürzen und die Rentenanpassung auf den Inflationsausgleich zu begrenzen - wobei CDU/CSU und F.D.P. in dieser Frage wirklich ruhig
sein sollten; denn die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe
haben sie schon probiert, damals aber nicht geschafft.
Soziale Gerechtigkeit wäre es, wenn alle, gerade Bezieher hoher Einkommen, in alle Sozialkassen einzahlen
würden. Da besteht Nachholbedarf. Keine soziale Gerechtigkeit ist es für mich, wenn das Kindergeld für alle
ersten und zweiten Kinder um 20 DM erhöht wird, für
die Kinder von sehr gut Verdienenden aber um 400 DM.
Wenn das „Handelsblatt“ die Unternehmensteuerreform als „Benefizveranstaltung für das Großkapital“ begrüßt, so sollte das einer Partei, die für soziale Gerechtigkeit steht, doch sehr zu denken geben.
Ich möchte abschließen mit einem kurzen Zitat aus
der völlig unverdächtigen „Süddeutschen Zeitung“:
Der neue Sozialstaat, der geschaffen werden muss,
ist keineswegs teurer als der alte. Mehr Umverteilung heißt nicht mehr Geld - und angesichts der
gegenwärtigen sozioökonomischen Machtverhältnisse wäre es auch töricht, eine solche Forderung
aufzustellen.
Mehr Gerechtigkeit muss dann aber auch durchgesetzt
werden. Dazu werden Sie weiterhin unsere Unterstützung erhalten.
Ich danke.
({2})
Jetzt hat die Kollegin Ute Kumpf, SPD-Fraktion, das Wort.
Verehrte Präsidentin! Kollegen
und Kolleginnen!
Wer Armen helfen will, muss nicht unbedingt ein
Engel sein. Eigentlich genügt etwas Menschlichkeit.
Ich füge in eigener Sache hinzu: vielleicht auch ein bisschen mehr Redlichkeit und Ehrlichkeit.
({0})
Die ersten zwei Sätze habe ich auf einer Weihnachtskarte von einem Kollegen von der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart bekommen. Vielleicht hat Frau Kolle7794
gin Reinhardt auch eine solche erhalten. Er hat sie mir
als Losung für meine politische Arbeit auf den Weg gegeben.
Mir ist klar, dass wir alle im Parlament - einschließlich der Opposition - uns mit unserem Antrag auf einen
regelmäßigen Bericht über Armut und Reichtum in
Deutschland, den wir heute - das zeichnet sich in der
Debatte ab - auf den Weg bringen wollen, nicht zu Engeln machen werden. Das wäre ein teuflischer Ansatz,
den wir ganz bestimmt nicht wählen. Wir können aber
alle gemeinsam daran arbeiten - auch jeder, der einer
Partei mit einem christlichen C angehört, kann dabei
mitmachen -, Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Solidarität zum Maßstab unseres politischen Handelns zu machen.
({1})
Worum geht es uns bei dem Armuts- und Reichtumsbericht? Es geht uns darum, ein differenziertes Bild der
sozialen Lage und der Verteilung von materiellen Ressourcen in Deutschland zu zeichnen.
An Herrn Kolb und die Adresse der F.D.P., weil sie gern
diese Platte spielen: Wir sind keine Neidhammel. Wir
wollen keine Neidkampagne anzetteln, sondern es geht
uns schlichtweg darum, dass wir hier eine Grundlage für
unser politisches Handeln erhalten. Es geht nicht um
diskussionsverliebte Ideologie, die nur auf dem Papier
steht.
Noch einmal an die F.D.P. gerichtet: Ich habe als
junge Kommunalpolitikerin noch erlebt, dass sich die
F.D.P. mit der Humanistischen Union auch sozialen
Themen in einer ganz anderen Art und Weise gewidmet
hat, als es ihre Diktionen und Ausführungen heute erkennen lassen.
({2})
Uns, der SPD, geht es darum, mehr Klarheit und
Wahrheit hinsichtlich der tatsächlichen Einkommensund Vermögensverhältnisse in Deutschland zu erhalten. Klarheit und Wahrheit, tun unserer Politik, aber
auch unserer gesamtgesellschaftlichen Debatte gut, weil
wir dieses Thema tagtäglich auf der Straße zu hören bekommen. Es geht eben auch darum, eine Debatte über
die Frage zu führen: Was ist soziale Gerechtigkeit?
Eine offene Bestandsaufnahme ist schon längst fällig.
Das wurde von verschiedenen Kollegen und Kolleginnen schon angeführt. Sie als alte Bundesregierung sind
Ihrer Pflicht nicht nachgekommen, nach dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen 1995 diesen Bericht zu
erstellen. Sie waren schlichtweg dröge, schlampig und
haben es verdrängt.
({3})
Es gilt zudem - meistens kommt dann der nächste
Angriff - besonders in den Reihen der Opposition als
altmodisch, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, wobei ich als Gewerkschafterin als traditionalistisch abgestempelt werde. Zudem ist es unschicklich, diese Verteilungsfragen zu stellen, weil es - dies ist immer Ihre Argumentation - in Zeiten der Globalisierung und des
Wettbewerbsdrucks standortschädigend ist, die Verteilungsfrage in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei haben
gerade Sie - das ist das Ärgerliche - ohne öffentliche
Kontrolle zwei Jahrzehnte lang kräftig umverteilt. Die
Bundesrepublik ist durch Ihre Politik, durch Ihr eigenes
politisches Handeln, auf die schiefe Bahn geraten.
({4})
Immer mehr Menschen sind unter die Armutsgrenze
gerutscht. Die Zahlen sind bekannt: Über eine Million
Kinder wachsen unter den Bedingungen der Armut auf.
Immer mehr sind dazu verurteilt, ein Leben unter Sozialhilfebedingungen zu fristen. Gleichzeitig aber hat sich
die Zahl der Reichen und Superreichen, der Millionäre
und gar Milliardäre erhöht. Es stimmt etwas nicht, sagen
die Leute auf der Straße, wenn eine derartige Ungleichverteilung bei uns in der Bundesrepublik festzustellen
ist.
Schon die Kirchen haben uns und Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass nicht nur Armut, sondern auch
Reichtum ein Thema der politischen Debatte sein muss:
Umverteilung müsse zum Thema gemacht werden; das
Gerechtigkeitsempfinden sei erheblich gestört.
Uns geht es, wenn wir in Deutschland über Armut
sprechen, auch darum, dass der Reichtum nicht verschwiegen werden darf. Es geht uns nicht darum, den
Überfluss konkret zu identifizieren, also etwa Reiche
und Superreiche namentlich mit ihrem Lebensstil vorzuführen. Das ist nicht unser Anliegen. Dafür müssen Sie
weiter zu den bunt-goldenen Blättern greifen. Da können Sie sich bedienen.
Wir alle wissen: Wir müssen uns vergegenwärtigen dazu verpflichtet uns unser Grundgesetz -, dass Eigentum, persönlicher Besitz und Vermögen, dem besonderen Schutz des Staates zu unterstellen ist. Das ist in
Art. 14 unserer Verfassung verankert. Aber neben dem
Recht gibt es auch eine Pflicht. Das übersehen wir gerne. In Art. 14 steht eben auch: „Eigentum verpflichtet.
Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Aber ich frage mich: Wie soll es dem Wohl der Allgemeinheit dienen, wenn es im Verborgenen bleibt und
wir selbst keinen Sachstand haben, wie sich diese Vermögenssituation darstellt? Geld hat man, darüber spricht
man nicht. Das ist offenbar nicht nur im Schwabenland
so, sondern geht anscheinend über die schwäbischen
Grenzen hinweg.
({5})
Der Reichtumsforscher Ernst-Ulrich Huster sagt:
Wahrscheinlich gibt es einen großen Zusammenhang
zwischen Unkenntnis über hohe Einkommen und große
Vermögen und deren Existenz. Unter Umständen ist
Unkenntnis eine Grundvoraussetzung dafür, damit sie
überhaupt blühen und sich entwickeln können.
Beim Reichtum sind die Dinge sehr im Verborgenen.
Wir haben erstens ein Problem, zwischen Einkommen
und Vermögen zu unterscheiden. Zweitens ist die Datenlage, was den Reichtum anbelangt, noch schlechter als
bei der Armut. Selbst das Statistische Bundesamt hat bei
der Anhörung die Datenlage als unzureichend und verbesserungsbedürftig bewertet.
({6})
Wir können uns gerade einmal auf zwei Statistiken
beziehen, wenn es um die Reichtumsbetrachtung geht:
auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe mit
70 000 Haushalten und auf die Vermögenssteuerstatistik, die uns auch dahinschwinden wird, weil die Vermögenssteuer schlichtweg abgeschafft wurde und uns deswegen die Grundlage für diese Erhebung fehlt.
Windeln, Wäschetrockner und Waschmaschinen, Mikrowelle und Maschendrahtzaun, der Verzehr von
Speck, Schinken und Kaiserfleisch, Schalen- und Trockenobst und Kleingebäck aus Brotteig - dies alles findet sich im Statistischen Jahrbuch. Wenn man dort einmal hineinsieht, findet man Angaben darüber, wie viel
wir davon verzehren und wie die Haushalte ausgestattet
sind. Dies ist eine wahre Fundgrube für Kuriositäten.
Aber über die wahren Verhältnisse von Einkommensund Vermögensreichtum in den deutschen Haushalten
finden wir nichts - Fehlanzeige.
Es gibt zwei dürre Datensätze, die bislang in den Diskussionen gehandelt werden; sie wurden schon genannt.
Zum einen sind dies die Durchschnittswerte für das
private Vermögen, die das Statistische Bundesamt erhebt.
({7})
Danach müssten Sie, Herr Kolb 150 000 DM Immobilienvermögen haben, 90 000 DM Geldvermögen und
40 000 DM Betriebsvermögen. Ich weiß nicht, ob Sie
das haben; ich habe es nicht. Das ist aber immer so bei
Durchschnittsbetrachtungen. Jeder weiß, dass die Wirklichkeit anders aussieht: Wenige haben viel, viele haben
wenig und andere haben überhaupt nichts. Es geht
schlichtweg darum, diesen Sachverhalt statistisch genauer und unter wissenschaftlicher Begleitung zu durchleuchten.
Die dürren Datenäste, die bisher in diesem Bereich
entwickelt wurden, gilt es entsprechend zum Blühen zu
bringen. Deswegen setzen wir bei der Berichterstattung
zu unserem Armuts- und Reichtumsbericht vor allem auf
den Grundsatz: Wer Armut bekämpfen will, darf zum
realen Reichtum in Deutschland nicht schweigen.
({8})
Um aber vernünftig reden zu können, brauchen wir aussagekräftige Daten und Informationen. Dies dürfte angesichts der oft zitierten gewollten und gewünschten Informationsgesellschaft selbstverständlich sein und Ihnen, die Sie doch so darauf setzen, nicht schwer fallen.
Wir erwarten von der Berichterstattung, dass sie zu
einer Versachlichung der Diskussion und der öffentlichen Debatte über Armut und Reichtum beiträgt, dass
sie uns differenzierte Informationen zum Thema Armut
und Reichtum liefert, mit denen wir im Parlament problemlösungsorientiert arbeiten können, dass der Bericht
keine Eintagsfliege wird, sondern dass es sich - wie der
Name schon sagt - um einen Prozess handelt und regelmäßig Berichte vorgelegt werden und dass wir allen
Sachverstand, intern wie extern, bündeln und die Berichterstattung unter Einbeziehung von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und betroffenen Organisationen entwickeln und aufbauen.
Wir hoffen und rechnen damit, den Grundstein dafür
zu legen, die Debatte um die Zukunft von sozialer Gerechtigkeit und sozialem Anstand auch in Zeiten von Individualisierung und Globalisierung in dieser Gesellschaft erfolgreich zu führen.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat nun
der Kollege Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute diskutieren wir
den nationalen Armuts- und Reichtumsbericht. Wer die
Zukunft gestalten will, darf Vergangenes nicht vergessen. Da erinnere ich an 1961, als das Bundessozialhilfegesetz als Ergebnis einer unionsgeführten Bundesregierung eingeführt wurde.
({0})
Es garantiert allen, auch den Schwächsten, ein menschenwürdiges Leben und hat die Armut in Deutschland
weitgehend zurückgedrängt. Auch die Pflegeversicherung trägt die Unterschrift eines christdemokratischen
Kanzlers. Sie hat die in den Siebzigerjahren unter dem
SPD-Kanzler Schmidt zunehmende Altersarmut weitgehend beseitigt.
({1})
Das neue Vermögensbeteiligungsgesetz, mit dem sich
in bunten Broschüren Walter Riester schmückt, stammt
ebenfalls aus der Feder eines Christlich-Sozialen, nämlich von Norbert Blüm.
({2})
Die jetzige Bundesregierung hält es jedoch nicht einmal
für nötig, den Investivlohn in die Gespräche über
ein „Bündnis für Arbeit“ einzubringen. Stattdessen
gibt es viele Ankündigungen, aber bisher keine Ergebnisse.
Die Kirchen fordern in ihrem Sozialwort mit dem Titel „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“
eine „strukturelle und moralische Erneuerung“ der
sozialen Marktwirtschaft.
({3})
Sie sehen Reformbedarf im Steuerrecht und in der Vermögensbildung.
({4})
Dabei dürfe „Besitzstandswahrung“ nicht zu einem
„Kampfbegriff in der Diskussion um den Umbau des
Sozialstaates werden“. So das Sozialwort.
Die Union hat im inhaltlichen und zeitlichen Einklang mit den Kirchen gearbeitet. Die CDU/CSU hatte
bereits 1996 eine umfassende Steuerreform entwickelt,
die Sie von der Sozialdemokratie aus kalten, machttaktischen Gründen verhindert haben.
({5})
Schröder, Lafontaine,
({6})
der wegen „Fahrerflucht“ nicht mehr zu belangen ist,
und Eichel haben ihr Parteibuch vor die Interessen unseres Gemeinwesens und die Interessen der Arbeitslosigkeit gestellt.
({7})
Jeder Wirtschaftswissenschaftler bestätigt Ihnen von der
SPD - da Sie gerade so lauthals schreien -, dass eine
Steuerreform nach unserem Konzept eine massive Belebung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes nach sich
ziehen würde.
({8})
Sie aber berufen sich auf die Kirchen und wollen einen
Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung.
Wie dieser Bericht aus Ihrer Feder aussehen würde,
kann ich Ihnen sagen: wie die Ergebnisse der Gespräche
des „Bündnisses für Rhetorik“, nämlich rosarot, mit wenig Substanz, großen Worten und kleinen Taten, viel
Papier und geringer Durchschlagskraft.
({9})
Mir bleibt schleierhaft, werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, was die Zielsetzung eines Reichtumsberichts sein soll, wahrscheinlich eine neue Neiddebatte
in der Republik.
({10})
In keinem Land der Europäischen Union wird Geld für
derartige Berichte verwendet. Wichtiger als Papier sind
konkrete Handlungen, die ich bei Ihnen aber vermisse.
({11})
Wenn Sie das Sozialwort der Kirchen vollständig lesen würden und nicht nur in selektiver Wahrnehmung
das herausgriffen, was Ihnen gefällt, dann hätten Sie die
Politik der alten Bundesregierung unterstützen müssen,
statt sie zu blockieren. Diesen Vorwurf mache ich Ihnen.
({12})
Mir ist es recht, wenn unabhängige Sozialverbände,
wie zum Beispiel der Caritasverband, regelmäßig Armutsberichte vorlegen. Auch die Vermögensverteilung
ist ein ständiges Thema der Veröffentlichungen.
({13})
Was wirklich fehlt, sind Forschungsergebnisse über die
Bekämpfung verdeckter Armut. Dabei geht es auch
darum, wie wir gemeinsam Armut in Deutschland definieren und mit ihr umgehen und wie wir Strategien und
Zielsetzungen erarbeiten.
({14})
Das Gesicht der Armut ist vielschichtig wie das Leben. Wie gehen wir mit den Menschen um, die, aus welchen Gründen auch immer, mit unserem Sozialsystem
gebrochen haben,
({15})
Menschen, die obdachlos vagabundieren oder aus
Scham den Gang zum Sozialamt meiden?
({16})
Hier müssen neue Wege gefunden werden, die wir nicht
aus parteitaktischen Gründen beschreiten dürfen, sondern deshalb beschreiten müssen, weil sie von der wirklich unabhängigen Forschung empfohlen werden.
Die Arbeitnehmer in der Union, CDA und CSA, fordern, dass auch die Arbeitslosen, beispielsweise über die
Kirchen, an den Gesprächen des „Bündnisses für Arbeit“ teilnehmen können.
({17})
Sie von der Koalition haben diese Forderung nicht einmal beantwortet. Sie schmücken sich hier und heute mit
einem Sozialwort der Kirchen, bei dem ich davon ausgehe, dass Sie es nicht einmal gelesen haben.
({18})
Die Kirchen fordern einen Umbau des Sozialstaates.
Norbert Blüm war hier Vorkämpfer. Aber Sie haben ihn
in der letzten Legislaturperiode mit Steinen beworfen.
Was Herr Riester derzeit zum Beispiel mit der Rente
anstellt, riecht nach Systemwechsel: weg von der leistungsbezogenen Rente, hin zu einer Almosenrente.
({19})
Wenn Kanzler Schröder im Februar 1999 in Vilshofen
erklärt hat, dass an der Rente nicht gerüttelt werde und
es bei der nettolohnbezogenen Rente bleibe, die Haltbarkeitsdauer dieser Aussage aber nicht einmal ein halbes Jahr beträgt, muss ich sagen: Das ist das gebrochene
Wort von Kanzler Schröder.
({20})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels?
Frau Präsidentin, ich
möchte im Zusammenhang vortragen.
({0})
Sie kürzen die Renten- und die Pflegeversicherungsbeiträge der Arbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger
und schaffen damit neue Armut, die Sie dann mit einem
neuen Gesetz bekämpfen wollen.
Ich will es einmal aufzählen, werte Kolleginnen und
Kollegen: Die Kirchen fordern Reformen innerhalb des
Rentensystems. Norbert Blüm hat gehandelt, Sie haben
polemisiert, außer Kraft gesetzt und fahren den Rentenkarren krachend gegen die Wand.
Die Kirchen fordern eine durchgreifende Steuerreform. Theo Waigel hat sie vorgelegt, Sie haben blockiert
und kommen nun mit der Ökosteuer in einem ReformWischiwaschi daher.
({1})
Die Kirchen fordern eine bessere Vermögensbeteiligung. Norbert Blüm hat gehandelt und ein Gesetz vorgelegt, das die Tarifpartner mit Leben ausfüllen könnten.
Was leisten Sie? Sie legen Broschüren auf und vergessen die politische Umsetzung.
({2})
Die Kirchen forderten die Einführung einer stabilen
europäischen Währung. Helmut Kohl und Theo Waigel
haben den Euro gegen den Widerstand aus Ihren Reihen,
auch gegen Schröder, durchgesetzt.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der
rot-grünen Koalition, ({3})
ich rate Ihnen: Wenn Sie die Kirchen ernst nehmen,
dann setzen Sie den Investivlohn auf die Tagesordnung
der nächsten Runde über ein „Bündnis für Arbeit!“.
({4})
Von 1985 bis 1996 - das muss man wissen - stieg in
der Bundesrepublik Deutschland das Pro-Kopf-Einkommen um 19 Prozent. Auch die Kirchen bestätigen in
ihrem Sozialwort, dass der deutsche Sozialstaat der großen Mehrheit der Bevölkerung soziale Sicherheit auf
hohem Niveau garantiert. Das ist doch ein tolles Lob für
Norbert Blüm und die von der Union entwickelte Sozialpolitik.
Seit 1992 steigen die Kapitaleinkünfte fünfmal so
schnell wie die Arbeitseinkommen. Das ist jedoch kein
böser Wille von irgendeiner Regierung,
({5})
sondern hat etwas mit Rationalisierung und Globalisierung zu tun. Den Arbeitnehmer am Produktivkapital zu
beteiligen, wäre ein Ausweg aus der Lohnfalle.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Sie ist abgelaufen.
Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen, alle Instrumente zur Armutsbekämpfung und für eine Vermögenspolitik der sozialen Marktwirtschaft sind hier zu ergreifen. Arbeiten
Sie mit diesen Instrumenten! Setzen Sie nicht weiter
darauf, dass durch die geburtenschwachen Jahrgänge die
Arbeitskrise von selbst bewältigt wird! Daher sage ich:
Sozial ist, was Beschäftigung schafft. Setzen Sie daher
auch die richtigen politischen Rahmenbedingungen!
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Nickels das Wort.
Herr Kollege Strebl, wir haben zwar nicht das hohe „C“
im Parteinamen, aber trotzdem sind uns die Äußerungen
der Kirche gerade im Bereich Armut und Sicherung der
Zukunft der Arbeit sehr, sehr wichtig. Bündnis 90/Die
Grünen arbeiten seit Jahren intensiv mit den Kirchen zusammen. Das ist keine Eintagsfliege.
Ich selbst habe zum Beispiel 1996 federführend für
Bündnis 90/Die Grünen eine Kooperationstagung zur
Zukunft der Arbeit in der Akademie organisiert. Dabei
waren Fridtjof Bergmann und zahlreiche Politiker der
Landesebene anwesend. Wir haben 1997 einen Studientag in Münster gemacht, an dem namhafte Vertreter der
Evangelischen und Katholischen Kirche teilnahmen, und
zwar expressis verbis zu dem gemeinsamen Wort der
Kirchen.
Ich habe mich sehr gefreut, dass ich auch meine Kolleginnen und Kollegen in der Partei dazu bewegen konnte, bundesweit, in allen Bundesländern - auch in den
neuen Bundesländern, wo wir bekanntermaßen eine sehr
dünne Mitgliederdecke haben, entsprechende Veranstaltungen durchzuführen. Die Kirchen haben sich darüber
sehr gefreut.
Das waren natürlich nicht Veranstaltungen, bei denen
es Einstimmigkeit gab, sondern da hat man durchaus
sehr kritisch und offen miteinander geredet. Aber das hat
uns, glaube ich, insgesamt neue Erkenntnisse gebracht,
auch neue Möglichkeiten in dem Sinne, dass Partei und
Politik wirklich über die Grenzen der Institutionen hinweg zusammenarbeiten.
Ich kann Ihnen eines sagen, was mir noch sehr im
Ohr ist: Kirchenvertreter haben mir gesagt, sie würden sich wünschen - sie hätten es leider Gottes nicht erlebt -, dass ihnen auch die anderen Parteien in diesem
Ausmaß die Gelegenheit geben würden, ihre Vorstellungen den Parteien nahe zu bringen und mit Ihnen zu diskutieren.
Ich würde Sie also bitten, das zurückzunehmen, was
Sie hier gesagt haben.
({0})
Ich erteile dem Abgeordneten Strebl zu einer Entgegnung das Wort
Frau Präsidentin,
meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau
Nickels, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie so engagiert
arbeiten. Ich wünschte mir aber, dass Sie auch bei anderen, genauso wichtigen Themen ebenso mit den Kirchen
zusammenarbeiten würden.
({0})
Nun erteile ich der
Parlamentarischen Staatssekretärin Ulrike Mascher das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Herr Strebl,
vielleicht ist es Ihnen entgangen, dass sich 1997, als die
beiden großen Kirchen ihr gemeinsames Sozialwort veröffentlicht haben, zum Beispiel die Forderung, die tatsächliche Armut endlich zur Kenntnis zu nehmen, an eine von CDU/CSU und F.D.P. - geführte Regierung gerichtet hat.
({0})
Ich sage dies nur um der historischen Wirklichkeit willen.
Aber ich finde es bemerkenswert, Herr Weiß, dass die
CDU/CSU in ihrem Antrag nun ausdrücklich bestätigt,
dass es verdeckte Armut gibt.
({1})
In der letzten Legislaturperiode gab es nur bekämpfte
Armut.
({2})
Vielleicht hat dies auch etwas damit zu tun, dass Sie
jetzt einen etwas schärferen Blick mitten in die Gesellschaft werfen und festgestellt haben, dass es Armut gibt,
zwar noch mit dem schönen Eigenschaftswort „verschämt“ oder „verdeckt“ erweitert, aber immerhin.
Also: Verdeckte Armut gibt es in unserem Land. Sie
beziehen sich sogar ausdrücklich auf die nationale Armutskonferenz, deren Forderungen Sie, solange Sie
noch Regierungsfraktionen waren, immer abgelehnt haben. Aber ich begrüße diese Erkenntnis ausdrücklich.
Verdeckte Armut ist selbstverständlich ein Aspekt,
dem sich der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung widmen wird; denn für die Bundesregierung ist die Bekämpfung der Armut, der verdeckten
und der offenen Armut, in all ihren Ausprägungen ein
Schwerpunkt ihrer Politik. Dazu brauchen wir endlich
eine zuverlässige Bestandsaufnahme der sozialen Lage
in unserem Land. Grundlage hierfür ist ein Armuts- und
Reichtumsbericht.
Eine nationale Armuts- und Reichtumsberichterstattung hat drei wesentliche Anforderungen zu erfüllen. Sie
dient der Analyse von materieller Armut und Unterversorgung und - das darf nicht vergessen werden - auch
der Untersuchung der Strukturen der Reichtumsverteilung. Meine Kollegin Frau Kumpf hat schon deutlich
gemacht: Wir finden im Statistischen Jahrbuch alles, nur
keine verlässlichen, keine detaillierten Daten über die
Reichtumsverteilung.
({3})
- Herr Dr. Kolb, dann haben Sie vielleicht ein anderes
Statistisches Jahrbuch als wir.
({4})
Die Berichterstattung soll Hinweise geben für die
Entwicklung geeigneter politischer Instrumente zur
Vermeidung und Beseitigung von Armut. Sie hat durch
eine kontinuierliche Berichterstattung die Aufgabe eines
Controlling. Sie soll die Wirkungsweise und Effizienz
dieser Instrumente dokumentieren.
Herr Dr. Kolb, nur noch ein Hinweis: Unter seriösen
Wissenschaftlern ist es völlig unumstritten, dass die Datenlage, was die Reichtumsverteilung in der Bundesrepublik betrifft, verglichen mit anderen europäischen
Ländern, Substandard hat und dass wir hier dringenden
Nachholbedarf haben.
({5})
- Ja, es ist schwierig, aber wir sind sehr ehrgeizig.
Eine Berichterstattung unter diesen Vorgaben ist ein
anspruchsvolles Vorhaben. Das Projekt in einer Legislaturperiode erfolgreich zu schultern ist eine riesige Aufgabe. Ich bin realistisch genug, um zu wissen, dass der
erste Bericht nicht alle Aspekte von Armut und Reichtum abschließend und erschöpfend beleuchten kann, gerade auch unter Berücksichtigung der miserablen Datenlage in der Frage der Reichtumsverteilung, die Sie ja
gar nicht bestreiten.
Was wir aber leisten können und wollen, ist ein Einstieg in eine kontinuierliche Berichterstattung. Der erste
Bericht kann ein Rahmen und ein erster Entwurf sein für
ein Bild, das Schritt für Schritt vervollständigt werden
muss.
Die Vorarbeiten für die Armuts- und Reichtumsberichterstattung wurden in den vergangenen Monaten geleistet. Wir haben dabei die Diskussion über die
geeigneten und notwendigen Konzepte, über
Möglichkeiten und Perspektiven, aber auch über
Grenzen des Berichtsprojekts öffentlich geführt. Herr
Dr. Kolb, Sie haben deswegen auch die Chance, Ihre
kritischen Anmerkungen mit Zitaten über diese
öffentliche Diskussion und die öffentliche Vorstellung
unserer Konzeption hier nachzuvollziehen.
({6})
Nach diesem intensiven Beratungsprozess lassen sich
nun die Grundlinien für den Bericht festlegen. Der erste
Bericht soll von der Bundesregierung erstellt werden. Dies ist im Sinne der Koalitionsvereinbarung und
des gemeinsamen Antrags der Regierungskoalitionen,
der heute beraten wird. Diese Aufgabe ist aber nicht zu
meistern ohne Unterstützung der Wissenschaft und Beratung durch die Organisationen,
({7})
die sich seit langem mit der Frage sozialer Ausgrenzung,
aber auch mit der Frage der Verteilung von Armut und
Reichtum beschäftigen.
Frau Staatssekretärin, es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Gestatten Sie diese?
Ja.
Bitte sehr.
Frau
Staatssekretärin, nachdem Sie auf die Vorstellung der
Konzeption in der öffentlichen Diskussion bei der Tagung im Oktober hingewiesen haben, möchte ich Sie
fragen: Können Sie bestätigen, dass die Vertreter der nationalen Armutskonferenz und die Verbände mehrheitlich ein Modell zur Erstellung des Armuts- und Reichtumsberichts vorgestellt und vertreten haben, das nunmehr von der Bundesregierung abgelehnt wird, weil sie
ein anderes Modell präferiert?
Können Sie bestätigen, dass die Beteiligung der Verbände, die Sie nun nicht in einer unabhängigen Steuerungsgruppe, sondern in einem so genannten Beraterkreis vornehmen lassen wollen, dazu geführt hat, dass
der Vorsitzende der nationalen Armutskonferenz, Herr
Professor Specht, an Ihren Minister Riester einen Brief
geschrieben hat, in dem er darum bittet, dass er ihm, bevor er einen Berater für den Beraterkreis benennt, sagt,
welche Aufgabe er eigentlich hat, ob er nur raten oder
auch beraten soll?
Herr Weiß,
wir haben für diesen Beraterkreis - ich hätte das noch
weiter ausgeführt - auch die Vertreter der nationalen
Armutskonferenz eingeladen. Wir werden mit ihnen beraten, was die Funktion des Beraterkreises ist. Ich bin
ganz sicher, dass sich die Vertreter der Armutskonferenz
daran beteiligen werden, denn wir haben schon im Vorfeld mit ihnen darüber gesprochen.
Wir haben auf der öffentlichen Vorstellung unterschiedlicher Konzepte für die Armuts- und Reichtumsberichterstattung ein Konzept, das von einem Institut,
dem ISG, entwickelt worden ist, als Muster für die erste
Berichterstattung, die wir vornehmen wollen, herangezogen. Ich denke, dass wir, wenn wir den Bericht vorlegen, mit all denjenigen, die sich auf der Konferenz kritisch mit dem Konzept dieses Berichts auseinander gesetzt haben, gern diskutieren werden. Ich bin ganz sicher, dass wir hier eine positive Resonanz bekommen
werden.
({0})
Ich lasse jetzt keine
weiteren Zwischenfragen mehr zu, denn wir kommen in
Zeitverzug. Ich bitte Sie um Verständnis, Herr Kollege,
aber die nachfolgenden Debattenbeiträge stehen an und
wir sind ein wenig in Verzug.
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Wir werden
einen ständigen Beraterkreis einrichten, der den Bericht
begleitet. Dem Beraterkreis werden Verbände und OrParl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
ganisationen, die Erfahrungen mit Armutsberichten haben - die Caritas, die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche
Paritätische Wohlfahrtsverband, der DGB, aber auch die
betroffenen Organisationen wie die nationale Armutskonferenz -, angehören. Wir werden natürlich auch
Länder und Kommunen einbeziehen. Der Beraterkreis
wird intensiv in den Berichtsprozess eingebunden, und
es wird ein inhaltlicher Austausch mit den beteiligten
Wissenschaftlern stattfinden.
Wir werden renommierte Armuts- und Reichtumsforscher mit den wissenschaftlichen Untersuchungen beauftragen. Sie werden ein wissenschaftliches Gutachtergremium bilden. Dort werden sie ihre Forschungskonzeptionen vorstellen und regelmäßig über den Fortgang
ihrer Arbeiten berichten. Hier soll die wissenschaftliche
Diskussion über inhaltliche und methodische Fragen geführt werden. Die Gruppe der wissenschaftlichen Experten berät und begleitet die Bundesregierung in allen Fragen der Berichterstattung. Es wird eine enge Verknüpfung mit dem Beraterkreis geben; das habe ich schon gesagt.
Der Bericht selbst wird von einer Projektgruppe im
Arbeitsministerium erstellt werden. Grundlage dafür
sind die wissenschaftlichen Gutachten und die Diskussion im Beratergremium. Ich bin ganz sicher, dass wir den
Fehler der Bayerischen Staatsregierung, kritische Berichte in der Schublade verschwinden zu lassen, nicht
machen werden.
({0})
Das führt zwar zu einer unglaublichen Verbreitung solcher Berichte, aber ich denke, das kann nicht der Sinn
der Sache sein. Ich glaube, Sie können den renommierten Forschern, die wir beauftragen werden, nicht unterstellen, dass sie keine unabhängigen Gutachten erstellen. Ich glaube, das können selbst Sie nicht behaupten.
({1})
Ich bin mir durchaus bewusst, dass es auch andere
Strukturen bei der Armuts- und Reichtumsberichterstattung hätte geben können; aber keine Lösung kann alle
Erwartungen und Ansprüche zufrieden stellen. Für den
Start jedoch war es uns wichtig, ein realisierbares und
zügig umsetzbares Konzept zu finden. Unsere Planungen sind hierfür eine gute Basis.
Ich betone noch einmal: Wir werden zu Beginn der
Berichterstattung nicht alle Fragen aufarbeiten können.
Wir wollen aber einen Anfang machen. Gleichwohl
muss der erste Bericht unabdingbare Qualitätsmerkmale
beachten. Ich will nur zwei wesentliche Merkmale nennen: Wir brauchen keine Sammlung und Anhäufung von
leblosen Zahlen. Wir wollen keinen Datenfriedhof. Was
wir uns wünschen, ist die Beschreibung und Analyse sozialer Wirklichkeit, die auf solidem und verlässlichem
Datenmaterial beruht.
({2})
Wir möchten auch keinen endlosen Streit um Definitionen und keine abstrakte Methodendiskussion, mit der
Sie immer die Forderung nach einer Armutsberichterstattung zurückgewiesen haben.
({3})
Was wir wollen, ist die Verständigung auf wissenschaftlich nachvollziehbare und akzeptierte Methoden und
Standards, die ein hohes wissenschaftliches Niveau des
Berichts und eine Vergleichbarkeit der einzelnen Berichtsteile garantieren.
Meine Damen und Herren, unser Projekt Armuts- und
Reichtumsberichterstattung ist ehrgeizig. Unter den
skizzierten Rahmenbedingungen können wir das Projekt
aber auf einen guten Weg bringen. Dafür werden wir mit
unserem ganzen Engagement arbeiten. Ich freue mich
auf die Diskussionen im Gutachtergremium, im Beraterkreis und dann, wenn wir den Bericht vorlegen, auch
hier im Parlament. Ich bin ganz sicher: Das wird eine
spannende, eine fundierte Diskussion auf der Basis von
Material, das die alte Bundesregierung leider nie vorgelegt hat.
Danke.
({4})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen zu einer nationalen Armuts- und Reichtumsberichterstattung, Drucksache 14/2562, Buchstabe a. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/999
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ist diese Beschlussempfehlung angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag
der Fraktion der PDS zu einer regelmäßigen Vorlage eines Berichtes über die Entwicklung von Armut und
Reichtum in Deutschland, Drucksache 14/2562, Buchstabe b. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/1069 abzulehnen. Wer folgt der Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Auch diese Beschlussempfehlung ist angenommen, und
zwar gegen die Stimmen der PDS.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU zur Bekämpfung der verdeckten Armut in Deutschland, Drucksache 14/2562,
Buchstabe c. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/1213 abzulehnen. Wer folgt dieser Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Bei Enthaltung der F.D.P. und Ablehnung der
CDU/CSU ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrages der Abgeordneten Birgit
Homburger, Horst Friedrich ({0}), HansMichael Goldmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.
Übergangsregelung für das neue Führerscheinrecht
- Drucksache 14/2370 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Interfraktionell ist vereinbart worden, dass die Rede-
beiträge zu Protokoll gegeben werden.* Das ist natürlich
sehr schade, aber Sie sind offensichtlich damit einver-
standen. - Dann ist das so beschlossen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/2370 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Des Weiteren
soll die Vorlage auch an den Ausschuss für die Angele-
genheiten der Europäischen Union überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 9 a und b auf.
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Entschließung des Europäischen Parlaments zu endokrine Störungen verursachenden chemischen Stoffen
- Drucksachen 14/309 Nr. 1.11; 14/1471 Berichterstattung:
Abgeordnete Jutta Müller ({3})
Bernward Müller ({4})
Ulrike Flach
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
zu der Mitteilung der Kommission an den
Rat und das Europäische Parlament: Strategie für das Auslaufen der Verwendung
von FCKW in Dosieraerosolen
- Drucksachen 14/309 Nr. 2.43, 14/1472 Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Ganseforth
Dr. Peter Paziorek
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Jutta Müller, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute
über eine Entschließung des Europäischen Parlaments
zu Chemikalien - für diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die nicht im Ausschuss sind, will ich es einmal etwas einfacher ausdrücken -, die das Hormonsystem des
Menschen belasten.
Vor dem Hintergrund, dass wir in diesem Monat in
den Medien erfahren haben, dass man solche Stoffe beispielsweise in Sportbekleidung und Fischkonserven gefunden hat, wird die Aktualität des Themas für jeden offenkundig.
Das Institut für Toxikologie der Universität Kiel hat
bereits 1997 im Auftrag des Bundesumweltamtes eine
Literaturstudie über Substanzen mit endokriner Wirkung
in Oberflächengewässern veröffentlicht. Zum ersten Mal
wurde damals der aktuelle Kenntnisstand bezüglich über
200 Chemikalien ausgewertet, die im Verdacht stehen,
hormonell wirksam zu sein. Dabei erwiesen sich einige
Stoffe als besonders auffällig. Dazu gehört auch Tributylzinn, das berühmte TBT, das in den Fußballtrikots
gefunden wurde. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin hat TBTVerbindungen schon vor Jahren als Stoffe eingestuft,
von denen ernste Gesundheitsschäden für den Menschen
ausgehen können.
Seit Anfang der 90er-Jahre ist TBT in deutschen
Holzschutzmitteln bereits verboten. Das Gleiche gilt
auch für Schiffsanstriche von Booten unter 25 Metern,
die sich überwiegend in Binnengewässern bewegen.
Trotz dieser schon seit mehreren Jahren durchgesetzten
Reglementierungen konnten in aktuellen Gewässerproben weiterhin erhöhte Konzentrationen nachgewiesen
werden. Nicht zuletzt deshalb begrüßen wir ausdrücklich
die Ankündigung des Bundesumweltministeriums, hinsichtlich der Verwendung dieser Stoffe in Kleidungsstücken ein sofortiges Verbot auszusprechen und
bei den Schiffsanstrichen zu schnelleren Lösungen als
angestrebt zu kommen. International soll TBT bei
Schiffsanstrichen bis 2003 verboten werden. Wir wollen
mit unserem Entschließungsantrag das Bemühen der
Bundesregierung, schneller zu internationalen Lösungen
zu kommen, unterstützen.
({0})
Die für das Frühjahr geplante Anhörung des Gesundheitsausschusses wird uns gerade im Hinblick auf die
gesundheitlichen Risiken sicherlich noch weitere Erkenntnisse vermitteln.
Die Verunsicherung der Verbraucher über den Grad
der Gefährdung muss endlich beendet werden. Wir haben es im Zusammenhang mit den Fußballtrikots erlebt:
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Zunächst wird behauptet, es sei schädlich. Danach haben
die Kaufhäuser einen Verkaufsstopp, den sie selber verhängt haben, wieder mit der Begründung aufgehoben, es
sei doch nicht so schlimm. Professor Wassermann - er
ist sicherlich ein renommierter Wissenschaftler - hat allerdings dann erklärt, dass diese Substanzen sehr wohl
über die Haut vom Körper aufgenommen werden können und dass sie dort das Immunsystem schwächen oder
Missbildungen auslösen können.
Es ist sicherlich ein Problem, dass wir es im Bereich
der Stoffe, die endokrine Wirkungen zeigen, immer
wieder mit einer Kumulation zu tun haben. Menschen
nehmen die Substanzen auf mehrfachem Wege auf, zum
Beispiel über das Fußballtrikot und über die Nahrungsmittel. Man hat festgestellt, dass man dann, wenn man
den Inhalt einer 200-g-Fischkonserve isst - das ist
ja nicht außergewöhnlich viel -, schon 36 Prozent des
von der Weltgesundheitsorganisation aufgestellten
Grenzwertes zu sich nimmt. Dieser Grenzwert bezieht
sich ausdrücklich nur auf die Effekte, die TBT im Immunsystem auslöst. Die hormonelle Wirksamkeit, die
schon bei der Aufnahme wesentlich geringerer Konzentrationen gegeben sein kann, ist dabei noch gar nicht beachtet.
Bei Schwangeren und Kindern ist die Gefahr besonders groß, da hormonelle Schadstoffe bereits in geringsten Konzentrationen in das Hormonsystem beispielsweise von Ungeborenen und Kleinkindern eingreifen und
schwere Entwicklungsstörungen des Wachstums und des
zentralen Nervensystems hervorrufen können und damit
das spätere Verhalten und die Fortpflanzungsfähigkeit
beeinträchtigen können.
Weitere mögliche Effekte bei Menschen bestehen in der
Vermännlichung von Frauen, in der Unfruchtbarkeit bis
hin zu nachlassender Qualität der Spermien. Auch die
Funktion der Immunzellen zur Bekämpfung von Infektionen kann gestört werden.
Doch nicht allein das hochgiftige TBT birgt unabsehbare Risiken für uns.
({1})
Auch der Gruppe der Alkylphenole, die bei Waschmitteln, Industriereinigern und Kosmetika eingesetzt werden, konnten östrogene Eigenschaften nachgewiesen
werden. Obwohl sich die deutsche Industrie 1986 eine
Selbstverpflichtung auferlegt hat, werden in der Umwelt
weiterhin hohe Konzentrationen festgestellt. Offensichtlich gelangen diese Stoffe über den Importsektor auch
auf den deutschen Markt.
Wir sollten nicht unbedingt eine EU-weite Regelung
abwarten. Da diese Stoffe beispielsweise in der Schweiz
nicht mehr in Wasch- und Reinigungsmitteln verwandt
werden dürfen und in der Schweiz offensichtlich trotzdem sauber gewaschen wird, bin ich der Meinung, dass
auch wir uns ein Verbot dieser Bestandteile leisten können.
({2})
Die dritte Substanz, die wahrscheinlich auch hormonelle Wirkungen hat, sind die Phthalate, die überwiegend als Weichmacher in Schläuchen, Folien und Fußbodenbelägen vorkommen. Das Bundesgesundheitsministerium hat bereits in einer Verordnung ein Verbot des
Phthalates in Kinderspielzeug aus Weichplastik erstellt.
Ich war ziemlich entsetzt, dass man das verbieten musste, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass man solche
chemischen Stoffe in Beißringen für Babys verwendet.
Es ist schlimm, dass der Gesetzgeber hier eingreifen
muss und dass es in der Industrie nicht genügend Verantwortung gibt, so etwas von vornherein gar nicht zu
produzieren.
({3})
Wir sollten auch im Interesse der Verbraucher fortfahren, den Eintrag von Chemikalien, die nachweislich
endokrine Wirkungen haben, drastisch zu verringern. Es
besteht über die Fraktionsgrenzen hinweg Einvernehmen
darüber, dass wir nach den schon jetzt vorliegenden Erkenntnissen über die gesundheitlichen Wirkungen dieser
Stoffe zu einer Lösung des Problems kommen müssen.
Wir verfolgen mit unserem Entschließungsantrag
auch das Ziel, eine andere Politik einzuleiten, also nicht
mehr erst dann mit gesetzlichen Regelungen zu beginnen, wenn das Kind sozusagen schon in den Brunnen
gefallen ist, wenn Menschen hochgradig erkrankt sind.
Wir wollen vielmehr den Wechsel zu einer vorsorgenden Umweltpolitik, damit man bereits dann, wenn ein
Verdacht besteht, eingreifen kann, um Erkrankungen zu
verhindern.
Das muss nicht unbedingt im Gegensatz zur Industrie
geschehen. Ich weiß, dass uns immer wieder vorgehalten
wird: Daran hängen Arbeitsplätze; wir müssen das produzieren und wenn ihr das verbietet, dann müssen wir
viele Menschen entlassen. Diese bekannten Totschlagargumente kennen wir mittlerweile. In der chemischen
Industrie gibt es sicherlich hochintelligente Spezialisten.
Wir sollten uns mit ihnen einmal zusammensetzen und
überlegen, was für einen Ersatz es gibt und wie man etwas anders produzieren kann.
Bisher liefen solche Gespräche immer nach dem gleichen Muster ab. Auch in der Diskussion über Formaldehyd - vielleicht erinnern Sie sich - hieß es anfangs: Das
macht überhaupt nichts; davon wird gar keiner krank.
Erst als die Wirkungen wirklich nachgewiesen wurden,
mussten nach einem längeren Zeitraum ungefähr
30 Produkte sofort vom Markt genommen werden.
({4})
Es ist auch für die Arbeitsplätze schlecht, wenn man
immer bis ganz zum Schluss wartet und Dinge plötzlich
vom Markt nehmen muss. Es liegt in der Verantwortung
der Industrie, mit uns darüber nachzudenken, wie wir
vorsorgende Umweltpolitik machen können, die sich auf
die Gesundheit der Menschen positiv auswirkt. Das
spart im Übrigen auch Geld und viel Ärger.
Jutta Müller ({5})
Deshalb möchte ich an dieser Stelle sagen: Wir laden
die chemische Industrie ausdrücklich ein, beim Prozess
der Reduktion von Schadstoffen mitzuwirken und mit
uns darüber zu diskutieren. Wenn das geschieht, dann
wollen wir die Forschung gerne unterstützen.
Danke schön.
({6})
Ich gebe dem Kollegen Bernward Müller das Wort für die CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Müller, es war wohl in der letzten Woche, als
die Kollegin Deichmann aus Ihrer Fraktion gesagt hat:
Es ist nicht der Stoff, sondern die Dosis, die giftig
macht. Dies ist meine kurze Antwort auf Ihren Redebeitrag. Aber wir kommen darauf zurück.
Wir sprechen heute über die eben beschriebene Problematik. Es geht um Substanzen, die endokrine Störungen verursachen können. Gestatten Sie mir am Anfang
einen kurzen historischen Rückblick.
Seit Anfang der 90er-Jahre wird diese Problematik
sowohl in der Wissenschaft als auch in der Öffentlichkeit und der Politik diskutiert. In der Öffentlichkeit waren damals Verdachtsmomente der Wissenschaft über
mögliche hormonähnliche Wirkungen bestimmter Chemikalien in der Umwelt bekannt geworden. In natürlichen Lebensräumen verschiedener Tierarten wurden bei
einigen Spezies auffällige Veränderungen wie Reproduktions- und Entwicklungsstörungen beobachtet. Untersuchungen ergaben in diesen Fällen eine erhebliche
Belastung der Umwelt durch synthetische Chemikalien
mit hormonähnlicher Wirkung.
In den USA wurde nach der Verunreinigung des Lake
Apopka in Florida mit Insektiziden 1981 über Störungen
berichtet, die die Entwicklung der Sexualorgane von Alligatoren betrafen. In England stellte man Anfang der
90er-Jahre Geschlechtsverschiebungen bei Forellen fest,
die in der Nähe von Klärwerkseinläufen gehalten wurden. Auch Arzneimittel, die in der Human- und Veterinärmedizin Verwendung finden und über menschliche
und tierische Ausscheidungen in das Abwasser gelangen, können solche endokrinen Effekte verursachen.
Sie haben vor knapp drei Jahren - genau am 30. Januar 1997 - im Deutschen Bundestag über die Studie
der Kopenhagener Forschungsgruppe von 1992 diskutiert. Frau Müller, Sie haben es gerade angesprochen. Es
ging dabei um die Feststellung in dieser Studie, dass die
Menge an Spermien zurückgeht. Aber es gibt weitere
Entwicklungen, es gibt neue Erkenntnisse. Ich kann Sie
insofern beruhigen: Es gibt heute hierzu eine ganze Reihe von Untersuchungen, die genau das Gegenteil dazu
feststellen. Ich will den amerikanischen Forscher Harry
Fisch nennen, der in seinen Forschungen, die er im Zeitraum von 1970 bis 1994 durchgeführt hat, registriert hat,
dass die damals festgestellte beklagenswerte Entwicklung mittlerweile gegenläufig ist. Gleichwohl wurde infolge solcher Beobachtungen postuliert, dass derartige
Stoffe nicht nur in Bezug auf die Tierwelt relevant sind,
sondern auch von Einfluss auf die menschliche Gesundheit sein könnten.
Wie ist der wissenschaftliche Erkenntnisstand heute? Dazu kurz drei Zitate. Das erste Zitat stammt vom
Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages,
veröffentlicht in „Der aktuelle Begriff“ Nr. 10/99. Der
Wissenschaftliche Dienst stellt fest:
Insgesamt ist das Gebiet der endokrin wirksamen
Stoffe nur wenig erforscht, sodass abschließende
Bewertungen nicht möglich sind. Insbesondere die
Zusammenhänge zur vermuteten Spermienabnahme
und zum vermehrten Auftreten von Brust- und Hodenkrebs sind jedoch noch nicht abschließend geklärt. Anerkannte standardisierte Testverfahren zur
Beurteilung einer endokrinen Wirksamkeit werden
noch weiterentwickelt. Deren Relevanz für den
Menschen und die Ökosysteme bedarf aber noch
einer Bewertung.
Das zweite Zitat stammt aus der Zeitschrift „Tiergesundheit“ vom September 1999:
Der Verdacht, bestimmte endokrin wirksame chemische Stoffe führten zu schwerwiegenden Störungen im Hormonhaushalt von Menschen und Tieren,
kann immer mehr entkräftet werden.
Das letzte Zitat stammt aus dem noch druckfrischen
Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für
Umweltfragen „Umwelt und Gesundheit - Risiken richtig einschätzen“ Drucksache 14/2300, ich denke, wir
werden hier auch noch darüber reden. Dort ist zu lesen:
Die Ergebnisse aller bisher vorliegenden Studien
zeigen, dass die Möglichkeit des Auftretens von
schädlichen Wirkungen durch hormonähnlich wirkende Stoffe auf den menschlichen Organismus eher als gering einzuschätzen ist.
Zusammenfassend heißt das: Die Forschung sieht ihren Anfangsverdacht, nämlich die Übertragbarkeit von
Beobachtungen aus der Tierwelt auf die Menschen, zunehmend entkräftet. Endgültige Aussagen können aufgrund des derzeitigen Forschungsstandes jedoch noch
nicht getroffen werden.
({0})
- Ja, Herr Kollege. Aber es ging um die Frage, ob das
Auswirkungen auf den menschlichen Organismus hat.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, auch wenn Sie der Meinung sind - Sie haben es im
Ausschuss so dargelegt -, es handele sich um eines der
ältesten Umweltthemen, man habe sich daher nun schon
lange genug mit diesem Thema auseinander setzen können und nun müsse - koste es, was es wolle - ein Beschluss her, werden wir Ihren Antrag nicht mittragen.
Jutta Müller ({1})
({2})
Ich will das kurz begründen.
({3})
- Hören Sie sich doch die Begründung an, bevor Sie
werten.
Zu viele Fragen sind in diesem Problemfeld noch
nicht wissenschaftlich einwandfrei geklärt.
({4})
In solch einen sensiblen Bereich, wo es um den Schutz
des Menschen und der Umwelt geht, wollen Sie, einfach
weil es Ihnen an der Zeit zu sein scheint, hineinregeln.
Ich will Ihnen sagen, was dabei herauskommt: Es
kommt eine Beschlussempfehlung heraus, die an unausgegorenen Vorschlägen und wissenschaftlichen Gemeinplätzen kaum zu überbieten ist.
({5})
Ich bin der Meinung: Weitere Forschung ist dringend erforderlich. Ich glaube, das haben Sie im Ausschuss auch
gesagt. Es wäre erfreulich gewesen, wenn Sie diesem
Ansatz in den Haushalten der zuständigen Ministerien
Rechnung getragen hätten und die Forschung auf diesem
Gebiet - Sie haben es als einen Schwerpunkt Ihrer Regierungsarbeit definiert - entsprechend fördern würden.
Solche Fragen treten jedoch angesichts Ihrer Beschlusshysterie völlig in den Hintergrund. Ich sage deshalb noch einmal: Wir brauchen mehr Forschung. Wir
werden Ihren Vorschlag so nicht mittragen. Frau Müller,
Sie haben ja die Notwendigkeit von Forschungsrichtlinien angesprochen. Ich stimme dem zu. Die Wirksamkeit im Hinblick auf Risikogruppen wie zum Beispiel
ungeborene Kinder, aber auch die Zusammenhänge zwischen endokrinen Stoffen und der Häufigkeit von Tumorerkrankungen müssen wirklich untersucht und auf
ein sicheres Fundament gestellt werden, um entscheiden
zu können.
({6})
Niemandem - weder der Umwelt, den Tieren oder
den Menschen - ist durch Verbote geholfen, die sich lediglich aus Verdachtsmomenten ableiten. Wie bitte
wollen Sie die Verhältnismäßigkeit zwischen Eingriffsintensität und den tatsächlichen Gefahrenpotenzialen
wahren, wenn sie die Beschlussempfehlung nicht einmal
auf die Grundlage einer ausreichenden Datenmenge und
daraus resultierender Risikobewertungen stellen können?
Ich zitiere noch einmal den Rat der Sachverständigen:
Hinsichtlich der menschlichen Gesundheit ergeben
sich aufgrund der vorliegenden Datenlage ... keine
Verdachtsmomente von solcher Plausibilität, dass
ein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht.
Schieben Sie also bitte nicht die - im Übrigen noch
von der CDU/CSU-geführten Bundesregierung 1986
formulierten - „Leitlinien Umweltvorsorge“ vor, wenn
Sie jetzt auf die Annahme dieser Beschlussempfehlung
drängen. Das hat mit dem Vorsorgegedanken, dem sich
auch die CDU/CSU besonders verpflichtet fühlt, nichts
zu tun.
({7})
Ich möchte Ihnen sagen, was ich vermute:
({8})
- Nein, das ist keine Verschwörung. - Es geht Ihnen
darum, mit diesem Beschluss wieder einmal als Retter
der gefährdeten Menschen aufzutreten.
({9})
- Genauso ist es: Es stehen Wahlkämpfe an. - Hier sehen Sie eine Möglichkeit - diese Wahrheiten müssen Sie
sich gefallen lassen -, sich wieder einmal als Gutmensch
zu präsentieren,
({10})
um den Bereich der Bevölkerung, den Sie mit Ihrer
Ökosteuer und Ihrer Rentenlüge verprellt haben, wieder
für sich zu gewinnen. Dies ist ja nicht abwegig. Sie
brauchen nur die aktuelle Diskussion zu verfolgen. Ich
erinnere Sie an den Politzirkus, den Sie beim Ausstieg
aus der Atomenergie veranstalten.
({11})
Man erlebt das ja jeden Tag. Sie brauchen nur nach
Nordrhein-Westfalen zu schauen und zur Kenntnis zu
nehmen, was die dortige Umweltministerin gestern gesagt hat.
({12})
- So ändern sich Ihre Vorstellungen.
({13})
Der CDU/CSU liegt der Vorsorgegedanke am Herzen. Wir setzen uns für den Schutz von Mensch und
Umwelt ein. Das gehört zu den Grundsätzen unserer Politik. Sie sollten eines nicht vergessen: Es war die
CDU/CSU-geführte Bundesregierung, die bis zur letzten
Bundestagswahl die Forschungen auf dem Gebiet der
Endokrinologie intensiv gefördert und finanziert hat,
und das europaweit und weltweit. Ich hätte mir gewünscht, das wäre unter Ihrer Regierung genauso. Aber
in den entsprechenden Haushaltsansätzen ist davon
nichts zu spüren. Ich denke, die von Ihnen vorgelegte
Beschlussempfehlung ist, wie ich schon gesagt habe, in
dieser politischen Hinsicht zu beurteilen.
Bernward Müller ({14})
Ich will zum Schluss kommen; denn meine Redezeit
ist abgelaufen. Die mögliche Gefährdung von Mensch
und Tier durch endokrin wirksame Chemikalien ist ein
sehr ernst zu nehmendes Thema, bei dem es immer noch
erhebliche Wissenslücken gibt. Überlegungen und Beschlüsse über angemessene Maßnahmen bei möglichen
Risiken können nur auf der Grundlage von wissenschaftlichen Fakten erfolgen. Hier ist nicht blinder Aktionismus gefragt, sondern politisch verantwortungsvolles
und besonnenes Handeln. Verantwortungslos ist sowohl
der, der mit wissenschaftlich unbelegten Hypothesen in
der Öffentlichkeit Ängste schürt, als auch derjenige, der
die Problematik der endokrin wirksamen Stoffe herunterspielt. Beides darf nicht geschehen.
Vielen Dank.
({15})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Winfried
Hermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Von impotenten Schnecken und einer tauben Bundesregierung“ betitelte vor einigen Jahren „Die Zeit“ eine Glosse über die Initiative der Grünen-Fraktion zum
Thema endokrine Stoffe. In anderen Zeitungen lauteten
die Überschriften: „Angriffe auf die Männlichkeit“ und
„Kleinere Hoden, weniger Spermien“; Sie, Herr Kollege, haben Ähnliches zitiert. All dies, was so reißerisch
daherkommt, verweist, wie Sie selbst gesagt haben, auf
ein ernsthaftes Problem. Sie haben mit Recht darauf
hingewiesen, dass wir noch nicht alles wissen. Aber wir
wissen schon eine ganze Menge, und das ziemlich sicher.
Warum sind diese Stoffe gefährlich? Weil sie eine
hormonähnliche Struktur haben und sehr persistent sind,
also dauerhaft in der Umwelt verbleiben und auf diese
Art und Weise in den Organismus des Menschen kommen können. Weil sie hormonähnliche Strukturen haben, können sie auf das menschliche Hormonsystem
wirken und damit den Organismus und seine Entwicklung gefährden. Das wissen wir, Herr Müller; das kann
man nicht bestreiten. Schlimmer noch: Wir haben auch
Anzeichen dafür, dass diese Stoffe beispielsweise die
Plazenta-Barriere überwinden können und so auf den
Embryo einwirken können. Die Plazenta kann also den
Embryo nicht mehr vor den schädlichen Chemikalien
schützen. Die Folgen sind - Sie haben es selbst genannt
- zurückgehende Zeugungsfähigkeit und ein Nachlassen
der Spermienqualität bei Männern, eine Zunahme von
Missbildungen auch der Geschlechtsorgane und eine
Zunahme von Brust- und Hodenkrebsfällen.
Nun kann man sagen, das alles sei wissenschaftlich
noch nicht endgültig und eindeutig erwiesen. In der Tat
gibt es Belege, die nicht eindeutig sind. Nur, Herr
Müller, daraus die Konsequenz zu ziehen und zu sagen,
wir sollten abwarten, bis die Befunde endgültig geklärt
sind, das ist hoch riskant. Das können wir uns nicht länger erlauben.
({0})
Die Indizien sind so eindeutig, dass wir vorsorglich handeln müssen.
Was tun wir? Wir haben nicht einfach ein generelles
Verbot erlassen, sondern eine Konzeption erarbeitet, die
eine effiziente Reglementierung dieser hoch brisanten
Stoffe bis hin zum Verbot zum Ziel hat. Es geht also
nicht um ein generelles Verbot, sondern um eine Reglementierung, die in Einzelfällen ein Verbot einschließt.
Das gilt zum Beispiel für die organischen Zinnverbindungen wie TBT und DBT, die kürzlich eine Rolle gespielt haben, weil sie in Sporttrikots oder Fischkonserven gefunden wurden. Diese Stoffe wollen wir jetzt für
die Bereiche Textilien, Holzschutzmittel und Schiffbau
verbieten. Daran arbeitet das Umweltministerium. Das
Gesundheitsministerium hat schon in den letzten Monaten bei Babyspielzeug - unter anderem bei Beißringen dafür gesorgt, dass bestimmte Weichmacher verboten
sind. Es ist einfach nicht einsichtig, dass solche Stoffe
ausgerechnet dort enthalten sein sollen, wenn man weiß,
dass sie gefährlich sein könnten.
Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir
erst am Anfang stehen. Es gibt in jedem Jahr an die 300
Neuentwicklungen und es gibt an die 100 000 Altstoffe.
Denken Sie nur an die starke Anreicherung von PVC.
PVC-Böden bestehen bis zu 30 Prozent aus Weichmachern. Hier gibt es überall Risiken, weil diese Stoffe
womöglich auch ins Grundwasser und damit in den biologischen Kreislauf und letztlich in den menschlichen
Organismus gelangen.
({1})
Zugegeben, diese Entwicklung gleicht einer Hydra.
Politik tut sich da schwer. Wir müssen unseren Weg finden. Das aber setzt voraus, ihn erst einmal zu suchen.
Wir dürfen nicht immer das Risiko herunterreden, wie
Sie es getan haben.
({2})
Herr Müller, Sie haben die Geschichte zitiert. Sie sind
leider ein paar Jahre zu wenig zurückgegangen. Bereits
in den 60er-Jahren hat Rachel Carson in ihrem Klassiker
„The Silent Spring“ in sehr anschaulicher Weise beschrieben, wie diese gefährlichen Chemikalien wirken.
Sie hat gezeigt, wie sich Fischarten in manchen fischreichen Gewässern völlig verändert haben und wie sich in
der Folge auch vieles bei den Menschen verändert hat.
Dazu schrieb sie:
Wir setzen ganze Bevölkerungen dem Einfluss von
Chemikalien aus, von denen wir aus Tierstudien
- natürlich nur aus Tierstudien wissen, dass sie ungemein giftig sind und dass sich
diese Effekte in manchen Fällen sogar addieren. ...
Bernward Müller ({3})
Diese Belastung beginnt inzwischen schon vor oder
bei der Geburt und dauert ... bei den heute lebenden
Menschen ein Leben lang.
Niemand weiß, wie die Ergebnisse dieses Experiments aussehen werden.
Diese Erkenntnisse gab es also schon in den 60erJahren. Danach gab es einen Zeitraum, in dem sowohl
die Industrie als auch die Wissenschaft immer wieder
dagegen argumentiert haben und versucht haben, zu beweisen, dass diese Stoffe doch nicht so gefährlich sind.
Ich meine, das Prinzip des Vorsorgens mahnt uns dieser Punkt wurde schon angesprochen -, wirklich etwas zu tun, endlich etwas zu ändern und nicht immer
wieder Ausreden zu suchen; denn sonst bleibt das Prinzip, zu dem Sie sich immer wieder gerne bekennen,
nämlich das Vorsorgeprinzip, ein reines Lippenbekenntnis.
({4})
Denken Sie daran, wie lange man etwa im Fall Contergan gewartet hat, bis man endlich den Beweis für die
schädliche Wirkung hatte! Viele Tausende von Menschen haben dieses Warten mit ihrem schweren Schicksal bezahlen müssen. Ich finde, daraus sollte man lernen.
Die Koalitionsfraktionen haben im vergangenen
Sommer aufgrund dieser Einschätzung der Problematik
und aufgrund des Anstoßes aus dem Europäischen Parlament von der Regierung ein Gesamtkonzept mit Verbots- und Reduktionsvorschlägen, bezogen auf das gesamte Spektrum dieser endokrin wirkenden Chemikalien, verlangt. Wir haben feststellen müssen, dass die
chemische Industrie diese Entwicklung sehr wachsam
beobachtet. Sie von der CDU/CSU und von der F.D.P.
können ein Lied davon singen, wie die Lobbyisten aktiv
geworden sind und wie sie versucht haben, auf Sie auch auf uns - Einfluss zu nehmen, damit das Thema
von der Tagesordnung genommen wird.
Ich sage heute ganz deutlich: Die chemische Industrie
macht Werbung mit dem Prinzip „responsible care“,
verantwortlich und vorsorgend handelnde Chemieindustrie. Ich sage Ihnen: Schluss mit riskanten Chemikalien.
Wer sein eigenes Prinzip ernst nimmt, muss auch sagen:
Schluss mit Schadstoffen in Trikots und im Nahrungsmittelkreislauf, von denen wir wissen, dass sie hoch riskant sind. Für einen fragwürdigen Gag - der Grund für
diesen Inhaltsstoff ist ja banal: das Trikot sollte besser
aussehen und das Gewebe sollte weniger leicht schimmeln - nimmt man ein hohes ökologisches Risiko in
Kauf. Ich meine, dass wir von der Politik diese Verantwortungslosigkeit beenden müssen.
Die Einzelhändler haben in den vergangen Wochen
bewiesen, dass sie verantwortungsvoll handeln können.
Auch die Verbraucher haben deutlich gemacht, dass
man diesen „Luxus“, der mit einem hohen Risiko verbunden ist, nicht braucht. Ich sage Ihnen: Responsible
care - lassen Sie uns dieses Motto ernst nehmen!
Herr Müller, zu guter Letzt: Damals wurde „von impotenten Schnecken und einer tauben Bundesregierung“
gesprochen. Sie hätten jetzt die Chance, zu beweisen,
dass Sie nicht auch eine taube Opposition sind.
({5})
Für die Fraktion der
F.D.P. spricht nun die Kollegin Ulrike Flach.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Taube Opposition hin, taube Opposition
her: Herr Hermann, es liegen uns heute zwei Beschlussempfehlungen vor. Lassen Sie mich aus diesem Grund
wenigstens kurz auf den anderen Teil eingehen, nämlich
den, der sich mit FCKW beschäftigt! Schließlich ist das
einer der wenigen Fälle, in denen wir uns als Opposition
und als Regierung völlig einig waren.
Weltweit werden jährlich noch rund 10 000 Tonnen
FCKW in Dosieraerosolen abgefüllt, davon circa
1 000 Tonnen in Deutschland. Ungefähr ein Drittel geht
dabei in die Therapie chronischer Atemwegserkrankungen. Diese ozonschädigende Wirkung - das wissen wir
alle - übertrifft bei weitem die Wirkung der FCKWEmissionen aus kälte- und klimatechnischen Anwendungen.
In Deutschland und Europa stehen inzwischen Alternativen zur Verfügung, zum Beispiel Dosieraerosole mit
FKW statt FCKW. Die vorliegende Strategie der EUKommission legt Kriterien für Alternativen fest und
stellt für die deutschen Zulassungsbehörden die Grundlage dar, Ausnahmegenehmigungen in Zukunft abzulehnen.
Wichtig für uns Liberale ist, dass weiter an Alternativen gearbeitet und für FCKW-freie Aerosole geworben
wird. Für uns ist vorstellbar - diesen Punkt möchte ich
an dieser Stelle besonders betonen -, umweltfreundlichere Aerosole aus dem Arzneimittelbudget herauszunehmen, um wirtschaftliche Anreize zu schaffen, den
FCKW-Ausstieg zu beschleunigen. Wir haben in unserem Votum besonderen Wert darauf gelegt, dass der
Ausstieg keine Nachteile für die Patienten bringt. Das ist
offensichtlich jetzt der Fall. Wir stimmen der Vorlage
zu.
({0})
Meine Damen und Herren, die Entschließung des EUParlaments zu Stoffen, die möglicherweise Störungen
des hormonellen Systems verursachen, und die Beschlussempfehlung des Umweltausschusses beschäftigen
sich - wir haben es gerade sehr deutlich bemerkt - mit
einem äußerst komplexen Thema. Der Nachweis, dass
einzelne Stoffe das Hormonsystem beeinflussen und
wie das geschieht, ist außerordentlich schwer. Alle Experten sagen, dass wir nach wie vor zu wenig Kenntnisse über die Wirkungsweise des hormonellen Systems bei
Mensch und Tier haben und es unheimlich schwer ist,
zwischen natürlichen, körpereigenen Hormonproduktionen - die gibt es ja schließlich auch - und äußeren Einflüssen zu differenzieren.
Bei TBT in Schiffslacken haben wir bereits ein Ausstiegsszenario, meine Damen und Herren, über das Sie
immer so gerne hinwegreden. Innerhalb der EU haben
wir ein Anwendungsverbot für Schiffe mit einer Länge
von unter 25 Metern. Eine Vereinbarung der IMO sieht
vor, TBT-haltige Schiffslacke ab 1. Januar 2003 zu verbieten. Ab 2008 dürfen Schiffe keinen TBT-haltigen
Anstrich mehr haben. Ersatzstoffe stehen bereits zur
Verfügung oder befinden sich in der Erprobungsphase.
Hier möchte ich auf einen gemeinsamen Pilotversuch
des WWF, des VCI und des niedersächsischen Umweltministeriums mit biozidfreien Schiffsanstrichen
hinweisen, der Erfolg versprechende Zwischenergebnisse gebracht hat.
Meine Damen und Herren, die IMO-Vereinbarung ist
aber noch keineswegs in trockenen Tüchern. Wenn die
Bundesregierung hier Druck macht, kann sie dabei sicher voll auf unsere Unterstützung rechnen. Ich wäre
froh, wenn sie auch anwesend wäre.
Wenn die Minister Trittin und Fischer sich aber vollmundig hier hinstellen und ein Verbot von TBT fordern,
so ist mir das zu undifferenziert. Wollen Sie die Verwendung von TBT verbieten oder seine Produktion?
Wollen Sie Schiffe, die zukünftig in deutsche Hoheitsgewässer einfahren, auf TBT-haltige Anstriche kontrollieren? Und vor allem: Wollen Sie alle Organozinnverbindungen verbieten?
({1})
Denn Experten weisen darauf hin, dass man auf TBT
durchaus verzichten kann, auf Mono- und Dibutylzinn
jedoch nicht. In diesen Stoffen gibt es nun einmal leider
herstellungsbedingt Verunreinigungen durch TBT. Das
ganze Thema ist leider nicht so einfach zu handhaben,
wie Herr Hermann uns das eben gesagt hat, und auch
nicht so einfach wie der Chemiebaukasten von Jürgen
Trittin, den er offensichtlich in seiner Jugend gehabt hat.
({2})
Die Nachricht, dass in Sporttrikots TBT nachgewiesen wurde, hat viele Verbraucher verunsichert. Dabei ist
bis heute nicht klar, ob das TBT in der Faser selbst war
oder ob es durch ein Desinfektionsmittel bei der Lagerung oder durch einen Anstrich der Kisten beim Transport in die Trikots gekommen ist. Deshalb auch hier
meine sehr, sehr dringende Bitte: Verunsichern Sie die
Verbraucher nicht weiter, um ein neues kernkraftähnliches Thema zu bekommen.
({3})
Der Verband der Chemischen Industrie hat klargestellt, dass TBT von den elf Chemiefaserherstellern
nicht verwendet wird. Auch von den rund 50 Produzenten von chemischen Textilhilfsmitteln wird es
nicht als antibakterieller Zusatz verwendet. Der Nachweis von TBT ist nun einmal extrem schwierig, weil die
Mengen, die ein gesunder Mensch zu sich nehmen kann,
so gering sind: 15 Mikrogramm pro Tag. Wir dürfen
aber auch die Hypothese, die der Bonner Hormonforscher Klingenmüller aufgestellt hat, nicht ignorieren,
wonach bereits im Nanogrammbereich hormonelle Einflüsse nicht auszuschließen sind.
Also - zusammenfassend -: Wie wollen Sie TBT in
Importwaren nachweisen? Soll zukünftig jede Lieferung
Sporttrikots, Badematten, Schwämme und andere Nässetextilien auf TBT überprüft werden?
({4})
Diese Untersuchungen, Frau Ganseforth, sind sehr kosten- und zeitaufwändig.
({5})
Meine Damen und Herren, die Verbotskeule, die in
der Beschlussvorlage nicht nur für TBT, sondern auch
hinsichtlich von Phtalaten und Alkylphenolen ausgepackt wird, löst das Problem nicht. Ähnlich wie bei
Schiffslacken brauchen wir auch bei anderen Verwendungen chemischer Stoffe weltweite Vereinbarungen
über Ersatzstoffe.
({6})
Dabei halten wir mehr davon, auf freiwillige Selbstverpflichtungen zu setzen, wie sie zum Beispiel die
Waschmittelindustrie in Deutschland eingegangen ist,
anstatt unsere eigenen Emotionen auf die internationale
Ebene zu übertragen.
Wir brauchen vor allem eine deutliche Intensivierung
der Forschung auf diesem Gebiet, meine Damen und
Herren, und da stimme ich Ihnen zu.
Und bitte: Wenn Sie davon reden, dass es überall Ersatzstoffe gibt, dann ist Vorsicht geboten. Bei den
Schiffslacken stimmt das mit Einschränkungen. In anderen Verwendungsbereichen sind die Ersatzstoffe dann
zum Beispiel nicht hormonell wirksam, sondern toxisch.
Das kann es ja wohl nicht sein.
Die F.D.P. hat auch im Umweltausschuss betont, dass
wir der EU-Vorlage durchaus zustimmen können, dass
die Beschlussvorlage, die SPD und Grüne dazu eingebracht haben, aber zu undifferenziert ist und die
Verbraucher nicht wirklich schützt. Wir lehnen sie deshalb ab.
({7})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion der
PDS.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ziemlich genau vor drei Jahren haben wir schon einmal über endokrine Stoffe und
ihre Folgen für Mensch und Umwelt im Bundestag disUlrike Flach
kutiert. Damals hatten die Anträge von SPD und Grünen, welche den Schutz vor hormonell wirksamen Stoffen deutlich erhöhen sollten, keine Chance. CDU/CSU
und F.D.P. argumentierten ungefähr, das Ganze sei sicher ein ernst zu nehmendes Thema, aber es gebe noch
erhebliche Wissenslücken und deshalb dürften keine
voreiligen Schlüsse gezogen werden, also kein unangebrachter Aktionismus. - Ihre Position hat sich offensichtlich nicht sehr verändert.
({0})
Auch von uns unterstützte Anträge wurden damals leider
abgeschmettert.
Heute können wir ausnahmsweise einmal feststellen,
dass der Regierungswechsel nicht ganz umsonst war.
({1})
Sie von der CDU/CSU-Fraktion sollten endlich Realitäten zur Kenntnis nehmen,
({2})
Realitäten wie die Tatsache, dass inzwischen einige
Schiffswerften auf den Einsatz von TBT-haltigen
Schiffsanstrichen verzichten. Eine freiwillige Selbstverpflichtung - das wäre doch etwas für Sie, Frau Flach.
Diese Anstriche mit dem Wirkstoff Tributylzinn waren
kürzlich allerdings auch Ziel einer erfolgreichen Greenpeace-Kampagne, die sowohl Teilen der Wirtschaft als
auch der Politik auf die Sprünge geholfen hat. Wir meinen, dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass die Rolle
von Umwelt-NGOs gar nicht überschätzt werden kann.
Bei den endokrinen Stoffen haben wir es mit einer
besonders üblen Stoffgruppe zu tun. Sie werden nicht
nur in der Industrie angewendet, sondern sind auch Alltagschemikalien. Über Farben, Weichmacher von Kunststoffen, Reinigungsmittel, Konservendosenbeschichtungen, Arzneimittel oder über die Nahrungskette gelangen
sie in unsere Körper und in die Körper von Tieren. Einige Hundert meist langlebige Chemikalien parken wir
in unseren Organismen als Sammelstellen für die Nebenprodukte der so genannten Wohlstandsgesellschaft.
Etliche dieser Substanzen stören den Hormonhaushalt, und zwar in einer Konzentration, die teilweise einige Tausend Mal über der natürlichen Konzentration
der frei verfügbaren Hormone wie zum Beispiel des biologisch aktiven Östrogens liegt. Aber bereits viel geringere Mengen können die fötale Entwicklung im Mutterleib nachhaltig schädigen. Der von mir sehr geschätzte
Professor Dr. Rochlitz hatte schon vor drei Jahren darauf
hingewiesen, dass erhöhte Brust- und Hodenkrebsraten,
ein vermehrtes Auftreten von Hodenhochstand und
Harnröhrenspalte und sogar schwere Verhaltensstörungen Folgen solcher Prozesse sein können und dass zwei
Drittel der Brustkrebsfälle weder auf Veranlagung noch
auf die bekannten Risikofaktoren zurückzuführen sind.
Mit großer Wahrscheinlichkeit fußen sie auf hormonell
wirksamen Stoffen.
Es ist umso erschütternder, dass auch deutsche Nordseehäfen wie Hamburg, Bremerhaven und Emden TBTverseucht sind. Es ist die Frage, was wir damit machen.
Die Verklappung TBT-haltiger Schlämme kann wohl
kaum als sicherer Entsorgungsweg bezeichnet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Strategien
gegen die Belastung mit endokrinen Stoffen muss der
Vorsorgegrundsatz, wie auch in der Beschlussempfehlung formuliert, klar vor der Gefahrenabwehr
stehen. Das Verbot beziehungsweise die drastische Einschränkung der Verwendung ganzer Stoffgruppen ist
deshalb zu verantworten und zu befürworten. Schließlich geht es um nicht weniger als die ungestörte Reproduktionsfähigkeit der Gattung Mensch, aber auch vieler
Tierarten.
Die Suche nach dem letzten wissenschaftlichen Beweis der Schädlichkeit, auf die sich die wirtschaftsnahe
Politik und Wissenschaft gerne machen, ist dagegen unverantwortlich, Herr Müller. Tragödien um Contergan
oder Holzschutzmittel dürfen sich nicht wiederholen,
auch nicht schleichend.
Zur Frage der Untersuchung hätte die PDS-Fraktion
jetzt noch einen Vorschlag. Wir könnten hier im Plenum
gleich mit der gegenseitigen Untersuchung unserer
Klamotten anfangen. Vielleicht sind dann das nächste
Mal bei diesen Debatten mehr Leute im Plenum.
Danke.
({3})
Die Bundesregierung legt für das Protokoll Wert auf die Feststellung,
dass die beiden Ressorts Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und Bundesministerium für Gesundheit auf der Regierungsbank vertreten sind, möglicherweise gerade nicht bei Ihrer Rede,
Frau Kollegin Flach.
({0})
Damit ist diese Sache, denke ich, klargestellt und im
Protokoll ordnungsgemäß vermerkt.
Dann gebe ich das Wort an die Kollegin Monika
Ganseforth für die SPD-Bundestagsfraktion weiter.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute auch um die
Strategie für das Auslaufen der Verwendung von FCKW
in Dosieraerosolen, das heißt in Asthmasprays.
Wenn man Menschen fragt, was sie von FCKW halten, dann sind die meisten der Meinung, wir hätten die
Produktion und die Anwendung von FCKW längst beendet, und es gebe das gar nicht mehr. Dabei trifft man
auf Erstaunen, dass immer noch FCKW angewendet
werden; denn vor 15 Jahren, im Jahr 1985, wurde die
Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht
verabschiedet. Dies wurde dann im Montrealer Protokoll
1987 konkretisiert; das ist also schon ziemlich lange her.
Damit wurde an sich die Produktion und Anwendung
ozonschichtzerstörender Chemikalien, besonders der
FCKW, beendet.
In Deutschland ist es etwas später gewesen: Zehn
Jahre ist es her. Damals haben wir erst einmal den vergeblichen Versuch gemacht, Frau Flach, den Sie uns andienen, nämlich mit der chemischen Industrie über
Selbstverpflichtungen zum Verbot oder zur Beendigung
der FCKW-Nutzung zu kommen. Das hat nicht geklappt. Wir sind hingehalten worden. Dann musste die
FCKW-Halon-Verbots-Verordnung erlassen werden. Sie
besteht nun schon seit über zehn Jahren, und zwar nicht
zum Spaß, sondern wir haben es mit einem sehr großen
Problem zu tun. Die langlebigen Chemikalien, die
FCKW, haben eine Lebensdauer zwischen 60 und 400
Jahren. Während dieses Zeitraums sammeln sie sich in
der Stratosphäre, also in der Atmosphäre, an, sozusagen
in den oberen Etagen.
Sie zerstören unter bestimmten Bedingungen rasant
die schützende Ozonschicht. Die bestimmten Bedingungen sind niedrige Temperaturen und der Beginn der
Sonneneinstrahlung nach dem arktischen oder antarktischen Winter. Diese Ozonausdünnung entsteht über den
Polen. Von Jahr zu Jahr wird diese Ausdünnung oder
das so genannte Ozonloch größer. Es fängt eher an und
schließt sich später. Das nimmt kontinuierlich zu. Ich
kann Ihnen sagen: Wir werden in wenigen Wochen,
wenn der arktische Winter zu Ende ist, wieder hören,
dass über der Nordhemisphäre der rasante Ozonabbau
stattfindet und die schützende Ozonschicht abgebaut
wird.
({0})
Die Folge ist, dass die harte ultraviolette Strahlung
dann auf die Erde, also in die Troposphäre gelangen
kann, dass sie am Boden ihre zerstörerische Wirkung
entfalten kann. Flora und Fauna werden dadurch geschädigt. Beim Menschen nehmen Hautkrebs, Augenleiden und Immunschwächen zu. Trotz der vielen internationalen Vereinbarungen zum Schutz der Ozonschicht,
über die ich eben gesprochen habe, wird sich der schützende Ozonmantel frühestens am Ende dieses Jahrhunderts wieder erholt haben. Das liegt auch daran, dass
immer noch zu viele ozonschichtzerstörende Substanzen
emittiert werden und dass es zu viele Ausnahmen und
Schlupflöcher gibt.
Heute wollen wir über solch ein Schlupfloch sprechen, nämlich die Verwendung von FCKW in Asthmasprays. Auf internationaler und nationaler Ebene wurde
im Abkommen wegen des Schutzes der menschlichen
Gesundheit eine Ausnahmegenehmigung vom allgemeinen FCKW-Verbot vereinbart, allerdings nur bis zur
Verfügbarkeit vertretbarer Alternativen in den Asthmasprays.
Das ist jetzt 15 Jahre her. Ich frage mich: Musste es
wirklich so lange dauern, bis diese Alternativen gefunden worden sind? Das legt doch den Verdacht nahe, dass
das Thema FCKW-Ausstieg und Schutz von Klima und
Ozonschicht nicht die nötige Priorität in der Forschung
und in der Wissenschaft hatte. Von einem HightechLand im Medizinbereich hätte man erwarten können,
dass man die Lösung dieses Problems, das kein großes
Problem ist, diese Sprays nämlich durch nicht ozonzerstörende Substanzen zu ersetzen, eher findet und dafür
keine 15 Jahre benötigt.
Die Europäische Gemeinschaft ist nach wie vor der
größte Hersteller. 25 Prozent der hergestellten FCKWMenge werden sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländer exportiert. In diesem Bereich ist Deutschland mit 1 000 Tonnen FCKW der größte Produzent, das
heißt, wir haben immer noch 10 Prozent der Weltproduktion. Die eine Hälfte der abgefüllten Sprays wird exportiert und die andere Hälfte wird in Deutschland freigesetzt. Damit ist FCKW aus Dosieraerosolen der größte
inländische Emissionsherd dieser ozonschichtzerstörenden Verbindung. Das sind erschreckende Zahlen. Das ist auch heute noch so, nachdem so viele
Vereinbarungen getroffen wurden.
Der heutige Beschluss, den wir vorlegen, ist ein Fortschritt. Er ist überfällig und schließt endlich dieses
Schlupfloch.
Die vorige Regierung hat immer gesagt, wir seien an
der Spitze der Bewegung und seien vorbildlich, was diesen Bereich angeht. Wenn man konkret hinsieht, kann
man das wirklich nicht sagen. Der Fortschritt ist eine
Schnecke und das, was wir heute beschließen werden,
ist überfällig.
({1})
Was sind nun die Alternativen für den gefährlichen
Treibstoff FCKW in Asthmasprays? Es gibt drei Möglichkeiten. Zum einen kann R 134 a genommen werden,
das FKW, das nur noch einen Treibhauseffekt und kein
Ozonzerstörungspotenzial hat. Das wird von der Chemie
am liebsten genommen. Die Ersatzstoffe bewegen sich
viel zu stark in diese Richtung.
Die zweite und bessere Möglichkeit ist der Gebrauch
von Kohlenwasserstoffen als Treibstoff, weil sie weder
Ozonzerstörungspotenzial haben noch zum Treibhauseffekt beitragen. Sie befinden sich aber noch im Antragsverfahren. Das dauert in Deutschland sehr lange. Es
bleibt zu hoffen, dass die Zulassung bald erteilt wird.
Die dritte und beste Möglichkeit schließlich sind die
Pulverinhalatoren, dass also gar kein Spray mehr genommen wird. Diese tragen weder zum Treibhauseffekt
noch zum Ozonabbau bei.
All diese Verfahren sind verfügbar und werden bei
uns viel zu wenig genutzt. Zum Beispiel liegt der Anteil
der Pulverinhalatoren für Asthmasprays in den Niederlanden und in Skandinavien bei 75 bis 85 Prozent. Es
werden also nur noch 15 bis 25 Prozent Sprays benutzt.
Davon ist nur ein ganz kleiner Teil mit FCKW abgefüllt.
Schon seit vielen Jahren bewegen sich Skandinavien und
die Niederlande in diese Richtung, während bei uns immer noch das umgekehrte Verhältnis existiert. Wir benutzen etwa nur ein Drittel der Pulverinhalatoren und
der nicht mit FCKW abgefüllten Asthmasprays. Wir
sind also weit davon entfernt, ein Musterknabe zu sein,
was uns von der alten Regierung immer wieder geschilMonika Ganseforth
dert wurde. Wir haben viel nachzuholen. Schaffen wir
skandinavische Verhältnisse, was das angeht! Das nützt
der Ozonschicht und das nützt dem Klima.
({2})
Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang, dass die Mehrheit der Ärzte am Umweltschutz
kaum interessiert ist und nicht so sehr viel darüber weiß.
Wir brauchen für diese Umstellung die Mitwirkung der
Ärzteschaft. Wir brauchen die Patientinnen und Patienten, die Apothekerinnen und Apotheker.
({3})
- Es gibt eine kleine Gruppe engagierter Ärzte, aber die
Mehrzahl der Ärzte - ich habe es nur einschränkend gesagt - legt auf Umweltschutz keinen besonderen Wert.
Das liegt ihnen fern.
({4})
- Ein besonderes Ärgernis möchte ich zum Schluss ansprechen, Herr Hirche. Da brauchen Sie sich gar nicht
aufzuregen.
Das Gesundheitsministerium ist bei diesem Thema
der Adressat. Ich bin sehr froh, Frau Nickels, dass Sie
hier sind. Frau Flach hat vorhin das Thema schon einmal
angesprochen. Ich wollte es gar nicht mehr erwähnen,
nachdem sich Herr Hirche so aufgeregt hat. Während es
in Deutschland mit Beginn dieses Jahres endlich keine
Neuzulassungen FCKW-haltiger Dosieraerosole mehr
gibt - das ist jetzt ausgelaufen -, werden verstärkt Nachahmepräparate, also Generika, in der Atemwegs- therapie eingesetzt. Diese sind dann wieder FCKWgetrieben. Die Ursache ist das Arzneimittelsparprogramm, denn die Generika sind erheblich preiswerter
als die Pulverinhalatoren. Das führt dazu, dass das, was
möglich wäre und was es inzwischen gibt, zu wenig
eingesetzt wird.
({5})
Die Budgetierung bevorzugt die Generika. Da müsste
man aus der Sicht des Ausstiegs aus der FCKWVerwendung etwas machen. Es muss schnell eine Lösung in dieser Richtung gefunden werden.
({6})
Der Antrag, den wir heute beschließen, beseitigt eine
Altlast, bringt einen Fortschritt, ist aber gleichzeitig eine
Aufforderung zum schnellen Handeln.
Schönen Dank.
({7})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Marie-Luise Dött für die CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Mensch verändert vor
allem durch seine industrielle Tätigkeit weltweit die
Atmosphäre und damit das Klima, und zwar durch den
Ausstoß von Gasen und Aerosolen. Die rund 250 Kilometer dicke Ionosphäre - das ist die äußerste Schicht der
Atmosphäre - wird alle fünf Jahre um etwa einen Kilometer dünner. Zu diesem Ergebnis kamen 1998 Wissenschaftler des „British Antarctic Survey“, die Daten der
letzten 38 Jahre ausgewertet haben.
Ursache ist der Treibhauseffekt. Doch ohne den natürlichen Treibhauseffekt des Wasserdampfes und des
Kohlendioxids wäre es auf der Erde um etwa 30 Grad
kälter. In unserer Verantwortung liegt der vom Menschen zusätzlich verursachte Treibhauseffekt, der zu
50 Prozent auf Kohlendioxid aus der Verbrennung von
fossilen Brennstoffen wie Kohle, Erdöl und Erdgas
({0})
und zu 25 Prozent auf FCKW und ähnlichen Gasen beruht.
Zielsetzung muss sein, die Ozonschicht zu schützen.
({1})
Gerade deshalb ist das Zustandekommen des Montrealer
Protokolls zum Schutz der Ozonschicht, das am 16. September 1987 unterzeichnet worden ist, von ganz besonderer Bedeutung.
({2})
Denn hier einigte sich die Völkergemeinschaft darüber,
die Produktion der Fluorkohlenwasserstoffe einzuschränken und stufenweise auslaufen zu lassen. Der
ehemalige CDU-Umweltminister Töpfer hat in dieser
Thematik eine federführende Rolle gespielt.
({3})
Was das ozonschädigende FCKW angeht, stehen wir
heute vor dem letzten Schritt, nämlich die Ausnahmegenehmigungen zur Herstellung und Nutzung FCKWhaltiger Dosierzerstäuber für Industrieländer zu beenden. Um Patienten, die auf bronchialerweiternde und
entzündungshemmende Arzneistoffe mit FCKWhaltigen Dosierzerstäubern angewiesen waren, nicht zu
gefährden, ist ursprünglich ein Sonderfahrplan für den
Ausstieg beschlossen worden, der im Jahr 2003 ausläuft.
Alle Beteiligten, Industrie, pharmazeutische Wissenschaft, Ärzte, Apotheker und Pflegepersonal, sind in
Deutschland schon längst in diesen Prozess der Vermeidung von FCKW-haltigen Dosierzerstäubern eingebunden und tragen dazu bei, dass die Behandlung von
Atemwegserkrankungen zunehmend mit umweltfreundlichen Alternativpräparaten durchgeführt wird.
({4})
Die Voraussetzungen für den Verzicht auf FCKWhaltige Arzneimittel sind in Deutschland damit weitgehend bereits heute erfüllt. Ich freue mich daher besonders, dass die Politik der Überzeugungsarbeit und der
Selbstverpflichtung sowohl bei Herstellern wie auch bei
Nutzern FCKW-haltiger Dosieraerosole dazu geführt
hat, die geforderten Auslauffristen noch zu unterschreiten. Dies zeigt eindrucksvoll, dass man Umweltpolitik in
Deutschland auch ganz kooperativ betreiben kann.
({5})
Es geht auch ohne Verbotsstrategien und Gesetzesfluten.
({6})
Zu überlegen bleibt, ob es erforderlich ist - da gebe
ich Ihnen Recht, Frau Ganseforth -, die Ersatzmittel für
FCKW-haltige Dosierzerstäuber, die im Regelfall teurer
sind, aus dem Arzneimittelbudget der Ärzte herauszunehmen, denn die günstigen FCKW-haltigen Generika
werden unter Sparzwang verordnet. Das würde natürlich
wirtschaftliche Anreize für die Pharma-Industrie schaffen, den FCKW-Ausstieg zu beschleunigen.
Wir sind uns über Fraktionsgrenzen hinweg einig,
dass der nachhaltige Schutz der Ozonschicht eine der
vordringlichsten umweltpolitischen Aufgaben darstellt.
Das Bewahren der lebenserhaltenden Ozonschicht ist eine Verpflichtung, die wir gegenüber den kommenden
Generationen zu erfüllen haben.
Unserer Zielsetzung „FCKW - ade“ sind wir einen
richtigen und bedeutenden Schritt näher gekommen.
Wenn wir uns auf unsere Verantwortung für den von
uns Menschen zusätzlich verursachten Treibhauseffekt
besinnen, der auf 50 Prozent Kohlendioxid aus der
Verbrennung von fossilen Brennstoffen und auf 25 Prozent FCKW und ähnlichen Gasen beruht, ist dies nur ein
Schritt in die richtige Richtung. Wir sollten in diesem
Zusammenhang nicht die Diskussion um den richtigen
Weg zur Erfüllung des Kioto-Abkommens vernachlässigen, den Kohlendioxid-Ausstoß in Deutschland bis
2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent zu reduzieren. Dazu reichen die Schritte der derzeitigen Regierung bedauerlicherweise nicht aus und gehen in die verkehrte Richtung.
({7})
Das war die erste
Rede der Kollegin Marie-Luise Dött. Ich darf ihr im
Namen des Hauses dazu gratulieren.
({0})
Nun gebe ich der Kollegin Sylvia Voß für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr
geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arthur Schopenhauer hat einmal gesagt: Jeder
dumme Junge kann einen Käfer zertreten, aber alle Professoren dieser Welt können keinen herstellen. - Auch
wir können eine neue Atmosphäre für unsere Erde nicht
herstellen.
Aufgrund des Bestandteils „Schicht“ im Wort „Ozonschicht“ hört es sich immer so an, als wenn das irgendein dickes Gebilde wäre. Es ist ein ungeheuer fragiles,
zartes Häutchen, das uns vor der tödlichen Strahlung aus
dem Weltraum schützt. Diese tödliche Strahlung - Frau
Professor Ganseforth hat es vorhin erwähnt - kommt
durch die ständig zunehmende Größe der Ozonlöcher
schon in erhöhtem Maße auf die Erde.
Wissen Sie, ich kann das aus der Erfahrung sagen, da
ich Hautärztin bin und, als ich noch in der Klinik tätig
war, junge Leute sterben sah. Und dies nimmt zu! Ich
glaube, wer so etwas miterlebt, der fragt sich dann: Warum dauert es denn so lange, bis wir wirklich Schritte
tun, um da etwas zu unternehmen, wo es wirklich
schnell notwendig wäre?
Der Ausstieg aus der ozonschichtzerstörenden und
klimabelastenden Anwendung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen - FCKWs - wurde in Folge der Umsetzung der FCKW-Halon-Verbotsverordnung vom 6. Mai
1991 Ende 1994 in Deutschland nur mit einem halben
Schritt getan; denn ausgenommen davon blieb der
FCKW-Verbrauch der Pharmaindustrie.
So gelangten noch 1998 knapp 10 000 Tonnen der in
den Industrieländern sonst generell verbotenen harten,
nämlich voll halogenierten FCKWs der Typen 11, 12
und 114 wieder als Treibgas in Asthmasprays. 10 Prozent dieses die Ozonschicht zerstörenden Stoffes werden
bisher allein durch deutsche Produkte auf diese Weise in
die Atmosphäre frei gesetzt. 400 Tonnen werden immer
noch im Inland emittiert. Da frage ich mich, Frau Dött:
Wo bleibt denn da die Freiwilligkeit bei den Verpflichtungen?
FCKWs in Asthmasprays gelten im öffentlichen
Bewusstsein immer noch als zu vernachlässigende Größe, zumal sie zur Linderung eines schweren Leidens
eingesetzt werden. Asthmakranke müssen eben sehr
häufig und manchmal mehrmals täglich Wirkstoffe in
ihre Lunge inhalieren. Dafür tragen sie meistens diese
kleinen Sprays bei sich. Da sagt man sich: Das ist ja nur
so ein kleines Spray. - Die Wirkung aber ist verheerend.
Unbekannt ist zumeist nicht nur Patienten, sondern auch
so manchem Arzt und so mancher Ärztin, dass diese
Spraydosen die entzündungshemmenden und bronchialerweiternden Wirkstoffe sowie die harten FCKWs 11,
12 und 114 im Verhältnis von 1 : 99 enthalten; 99 Prozent des Inhalts einer solchen Spraydose sind Treibgas.
Wenn man dann noch berücksichtigt, dass in Deutschland circa 4 Millionen Menschen, 10 Prozent der kindlichen und 5 Prozent der Erwachsenenbevölkerung, unter
Asthma bronchiale leiden, dann wird auch verständlich
({0})
- ja, das nimmt zu, klar -, dass für 40 Prozent der Ozonschichtzerstörung, die durch FCKW-Emmissionen ausgelöst wurden, im Jahre 1995 - das ist, wie gesagt,
schon eine ältere Zahl; die Zahl ist noch angestiegen die Dosiersprays aus der Asthmabehandlung verantwortMarie-Luise Dött
lich waren. Darin sind noch nicht einmal die Anwendungen enthalten, die auch zunehmen, nämlich bei den
immer häufigeren Allergien im Bereich der oberen
Luftwege, wo auch solche Sprays zum Einsatz kommen
und in den letzten Jahren immer stärker eingesetzt werden.
Die jährliche Nutzung der Asthmasprays ergab eine
Klimabelastung von knapp 10 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent. Das belegt, dass es sich bei den
Asthmasprays keinesfalls um ökologische Peanuts handelt.
({1})
1996 schätzte die damalige Bundesregierung in einer
Antwort auf eine Anfrage meiner Fraktion ein, dass die
FKW-Verwendung überwiegend entbehrlich sei. Sie
schloss sich hier den Äußerungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen an. Zu diesem Zeitpunkt betrug
der Marktanteil von Pulverinhalatoren in Deutschland
jedoch nur 10 Prozent. In Skandinavien betrug er damals
schon zwischen 70 und 90 Prozent.
Verschärfend zu diesem Missverhältnis kam hinzu,
dass in Deutschland die klima- und ozonschichtfeindlichen FCKW-Präparate um die Hälfte günstiger zu erhalten waren als die umweltfreundlichen Ersatzprodukte.
Eine Kennzeichnung FCKW- und FKW-haltiger Produkte unterblieb obendrein.
Die These, dass treibgasbetriebene Asthmasprays
medizinisch notwendig seien, war zu diesem Zeitpunkt
längst wissenschaftlich widerlegt. Klare Vorgaben für
den Ausstieg aus den FCKW-haltigen Asthmasprays
blieb die damalige Bundesregierung entgegen ihrem eigenen Erkenntnisstand jedoch schuldig.
Sie hat sich allzu lange von den lautstarken sprayorientierten Pharmafirmen paralysieren lassen. Zulassungsbehörde und Gesundheitsministerium hatten weiterhin
FCKW-haltige Medikamente zugelassen, indem sie sich
stets auf die Ausnahmeregelung beriefen, wonach eine
weitere Zulassung solcher Arzneimittel möglich sei, solange dies für die Gesundheit erforderlich ist und keine
technisch und wirtschaftlich möglichen Alternativen zur
Verfügung stehen.
Diese Alternativen gab und gibt es jedoch. Für jeden
Schweregrad der Erkrankung stehen solche Pulverinhalatoren zur Verfügung. Die Beschleunigung des Pulvertrends, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch der ökologischen Kritik an den Spray-Treibgasen zu verdanken, wie sie glücklicherweise immer wieder aus den
Umwelt- und Verbraucherverbänden, ja selbst aus Patientenorganisationen heraus und auch von den Grünen
immer wieder vorgetragen wurde.
Aber auch die Pharmaindustrie ist in den Fragen der
Asthmasprays inzwischen kein monolithischer Block
mehr. Heute arbeiten auch Pharmaunternehmen, Fachärzte, Apotheker, Patientenvertreter und Umweltschützer zusammen. Das ist ein ermutigendes Zeichen und
hoffentlich auch zur Lösung von Problemen in anderen
Zusammenhängen beispielgebend.
Der Verzicht auf FCKW-haltige Asthmasprays ist ein
guter und nicht zu unterschätzender Beitrag zur Umsetzung unserer Verpflichtungen im Rahmen des Montrealer Abkommens, die Herstellung und den Verbrauch von
Substanzen zu verbieten, die zum Abbau der Ozonschicht führen.
Nachdem der federführende Umweltausschuss und
der mitberatende Ausschuss für Gesundheit einen Bericht und eine einstimmige Beschlussempfehlung vorgelegt hatten, hat die rot-grüne Bundesregierung unverzüglich mit der Prüfung der Umsetzbarkeit begonnen. Bereits Ende vergangenen Jahres wurde entschieden, Neuzulassungen von FCKW-haltigen Dosieraerosolen nicht
mehr zu erteilen. Für kurz wirksame Spezialpräparate
gilt eine Ausnahmeregelung für das Jahr 2000, ohne
Chance auf Verlängerung. Damit werden ab 2001 in
Deutschland keine solchen Präparate mehr zur Anwendung kommen, denn neben der Herstellung ist dann auch
der Import verboten.
Nach den internationalen Beschlüssen ist ein Verbot
in der EU erst spätestens 2003, in den anderen Industrieländern sogar erst 2005 vorgesehen. Die Bundesrepublik kommt damit in der Erreichung des Klimaschutzzieles endlich einen deutlichen Schritt voran.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst zu
Tagesordnungspunkt 9 a: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung über die Entschließung des Europäischen Parla-
ments zu bestimmten chemischen Stoffen, Drucksache
14/1471.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung, die Entschließung des Europäischen
Parlaments zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. ange-
nommen. 1)
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/1471 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 9 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung zur Beendigung der Verwendung von
FCKW, Drucksache 14/1472.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, die Mitteilung der Kommission zur
Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/1472 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Auch diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, dass Zusatztagesordnungspunkt 10 vor Zusatztagesordnungspunkt 9
aufgerufen wird. - Ich gehe davon aus, dass Sie damit
einverstanden sind. Wir verfahren so.
Ich rufe Zusatzpunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts - Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 ({0})
- Drucksache 14/1484 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 14/2595 Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg van Essen
Dr. Jürgen Meyer ({3})
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Dr. Evelyn Kenzler
Hans-Christian Ströbele1)
Interfraktionell ist vereinbart, die Redebeiträge zu
Protokoll zu geben.2) - Damit sind Sie einverstanden.
Dann ist so beschlossen.
Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrens-
rechts, Drucksachen 14/1484 und 14/2595. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Ent-
haltung der PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz
__________
1) Anlage 2
2) Anlage 4
entwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie
bei der zweiten Beratung angenommen.
({4})
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Weingesetzes
- Drucksache 14/2566 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war ursprünglich für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kolleginnen und Kollegen haben aber übereinstimmend beschlossen, den Wein lieber zu trinken,
statt über ihn zu reden.
({5})
- Ich höre weit und breit keinen Widerspruch, sondern
nur Zustimmung. Die Reden werden zu Protokoll ge-
nommen.3)
({6})
- Herr Kollege Hirche, haben Sie noch eine Bemerkung
zu machen? - Nein, dann geben wir das zu Protokoll,
wenn Sie Ihr Abstimmungsverhalten noch geändert sehen möchten.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2566 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss, den
Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie, den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sind wir beim Weingesetz? -, den Ausschuss für die
Angelegenheiten der Europäischen Union und an den
Haushaltsausschuss zu überweisen. Mir fehlt eigentlich
noch der Ausschuss für Tourismus, aber er ist nicht vorgesehen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das
ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am
Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die
nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen,
Freitag, den 28. Januar 2000, 9.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche einen schönen Abend.