Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagungsordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf des Jahreswirtschaftsberichts 2000.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Eichel. Bitte
sehr.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um
Verständnis, wenn ich ein wenig mehr als die fünf Minuten benötigen werde; denn man kann den Jahreswirtschaftsbericht auch bei straffster Zusammenfassung
schwerlich in fünf Minuten darstellen.
Das Kabinett hat den Jahreswirtschaftsbericht heute
verabschiedet. Er enthält die Darstellung der wirtschaftlichen Situation, unsere Prognosen, unsere wirtschaftspolitischen Ziele und schafft damit Planungssicherheit
sowohl für die Unternehmen als auch für die Bürgerinnen und Bürger als Konsumenten.
Erstens. Die Aussichten für die wirtschaftliche Lage
in Deutschland sind gut. Die Auftragsbücher der Industrie sind gut gefüllt. Die Auslandsnachfrage ist lebhaft.
Die Bestellungen aus dem Inland haben zugelegt.
Zweitens. Die Stimmung in der Wirtschaft ist so gut
wie lange nicht mehr.
Drittens. Die deutsche Wirtschaft kann sich im internationalen Wettbewerb gut behaupten. Die Warenexporte bewegen sich auf einem steilen Wachstumspfad.
Deswegen liegt unsere Prognose hinsichtlich des Anstiegs des Bruttoinlandsprodukts für dieses Jahr bei real
2 ½ Prozent. Das ist im Vergleich zu allen Schätzungen
der nationalen und internationalen Institute eher eine
vorsichtige Prognose.
Des Weiteren wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt entspannen. Die Zahl der Arbeitslosen wird im
Jahresdurchschnitt um 200 000 zurückgehen. Damit
wird die 4-Millionen-Marke auch im Jahresdurchschnitt
klar unterschritten werden. Das ist das erste Mal seit
1996. Damit kann die Arbeitslosenquote am Ende dieses
Jahres um 300 000 geringer sein als die am Ende des
vergangenen Jahres.
Viertens. Die Verbraucherpreise werden relativ stabil
bleiben. Wir erwarten eine Inflationsrate von 1 bis 1 ½
Prozent. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch die
Nachrichten aus der heutigen Ausgabe des „Handelsblattes“ ansprechen: Wir alle gehen wie die Europäische
Zentralbank davon aus, dass durch den Basiseffekt der
Ölpreisverteuerung die Preissteigerungsrate im ersten
Quartal deutlich höher sein wird, sich aber dann, wenn
sich dieser Effekt abschwächt, deutlich abflacht und
vielleicht sogar unter 1 Prozent bleibt. Wir gehen davon
aus, dass dann die Preissteigerungsrate im Jahresdurchschnitt bei 1 bis 1 ½ Prozent liegt und damit das
Stabilitätsziel der Europäischen Zentralbank von weniger als 2 Prozent klar unterschritten wird.
Das sind positive Zahlen, die vorsichtig realistisch
geschätzt sind. Die Wahrscheinlichkeit spricht durchaus
dafür, dass der Aufschwung auch eine stärkere Eigendynamik entwickeln könnte und die Entwicklung im Jahresverlauf noch besser werden könnte. Das gründet sich
auf die eingeleitete Wirtschafts- und Finanzpolitik, mit
deren Hilfe wir die Ausgabenseite, also die Haushaltspolitik, und die Einnahmenseite, also die Steuerpolitik,
wieder zusammengebracht haben.
Der Bundeshaushalt 2000 hat erstmals etwas Luft gebracht, die wir auch, wie Sie wissen, für Steuersenkungen nutzen wollen. Aber wir müssen auch in Zukunft am
Kurs der strikten Begrenzung der Ausgaben festhalten.
Auch das Ziel, 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, also keine neuen Schulden zu machen, hat zur
guten Stimmung in der Wirtschaft und bei den Bürgerinnen und Bürgern maßgeblich beigetragen.
Wir werden von diesem Ziel nicht ablassen.
({0})
- Herr Kollege, hätten Sie das zuwege gebracht, wäre es
auch besser.
Gleichzeitig reduzieren wir zur Haushaltskonsolidierung die Abgabenlast. Die Einkommensteuerreform hat
bereits zu einer Stärkung der Nachfrage der privaten
Haushalte geführt. Auch das begründet die optimistischen Erwartungen.
Die Steuerreform 2000 ergänzt diesen Ansatz. Ab
2001 werden die Unternehmen um zusätzlich 8 Milliarden DM entlastet. Diese Entlastung erfolgt über den Tarif und ist insofern dauerhaft. Gleichzeitig ziehen wir die
dritte Stufe im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002
auf das Jahr 2001 vor. Das bedeutet eine zusätzliche
Entlastung um mehr als 26 Milliarden DM.
Allein die Ankündigung dieser Steuerreform wird positive Effekte entfalten. Unternehmen mit Weitblick
werden Investitionen aus dem Jahr 2001 in das Jahr
2000 vorziehen, zum einen um noch die günstigen Abschreibungsbedingungen mitnehmen zu können und zum
anderen um später niedrigere Gewinnsteuern zahlen zu
müssen.
Wir regen Investitionen an und schaffen Rahmenbedingungen, damit neue Arbeitsplätze entstehen können.
Die Prognose geht davon aus, dass im nächsten Jahr im Jahresdurchschnitt - etwa 120 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Es wird durchschnittlich 200 000
Arbeitslose weniger geben. Neben den 120 000 zusätzlich Beschäftigten werden aus demographischen Gründen 80 000 Menschen weniger arbeitslos sein.
Die Demographie wirkt nach zwei Seiten: Es schmälert sich nicht nur die Breite der Jahrgänge, die ins Erwerbsleben drängen; in diesen schmaleren Jahrgangsbreiten wächst auch der Wunsch nach Beschäftigung.
Insbesondere in den westlichen Bundesländern geht von
dieser Seite ein Stück zusätzlicher Nachfrage aus. Die
Erwerbstätigkeit wird dann um knapp ½ Prozent zulegen. Ich weise aber darauf hin, dass wir am Jahresende
etwa 300 000 Arbeitslose weniger als zum Jahresende
des vergangenen Jahres haben werden. Das ist diejenige
Zahl, die wir ungefähr erreichen müssen, wenn wir die
Zahl von durchschnittlich 200 000 Arbeitslosen weniger
erreichen wollen.
Allerdings können wir uns dabei nicht allein auf das
Wirtschaftswachstum verlassen. Deswegen setzen wir
die aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau und
ebenso das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, durch das bisher schon über 200 000 Jugendliche eine neue Perspektive bekommen haben, fort.
Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit hat für die Umsetzung eine wichtige Bedeutung.
Für die Modernisierung der Wirtschaft ist es wichtig,
dass wir in Zukunft Wettbewerbsfähigkeit behalten und
dass die Wirtschaft auf einen nachhaltigen Kurs einschwenkt. Deswegen ist es völlig richtig, zu behaupten:
Die Ökosteuer hat dabei eine wichtige Funktion. Durch
maßvolle, schrittweise Verteuerung der Energie haben
wir einen Wegweiser aufgestellt, der in diese Richtung
zeigt. Angesichts der globalen Umweltprobleme kann
die Wirtschaft von morgen nicht so wie die Wirtschaft
von gestern produzieren. Damit sich Investitionen lohnen und damit Investitionen auch zu Innovationen werden, müssen wir auch in der Steuerpolitik die Weichen
richtig stellen. Ich weise außerdem darauf hin, dass wenn auch in kleinen Schritten - die Politik der Senkung
der Lohnnebenkosten in diesem Jahr fortgesetzt wird.
Zukunftsfähigkeit Deutschlands setzt voraus, dass die
neuen Länder den wirtschaftlichen Aufholprozess fortsetzen. Dazu unterstützen wir sie und wir werden in Zukunft die Fördermittel zielgenauer einsetzen. Insbesondere Mittelstand und Unternehmensgründer können mit
weiteren Hilfen rechnen. Übrigens, die Steuerreform
geht ausdrücklich auf die Stärkung der Eigenkapitalbasis
der Unternehmen ein. Dies ist einer der Pferdefüße der
deutschen Wirtschaft, der mit die hohe Insolvenzrate
begründet. Dies hat die Bundesbank gerade in einem
Monatsbericht durch einen Vergleich mit der französischen Wirtschaft deutlich gemacht. Damit ist eine Steuerreform, die die Eigenkapitalbasis stärkt, eine Reform,
die Arbeitsplätze nachhaltig sicherer macht. Aber wir
werden auch den Aufbau und den Ausbau der Infrastruktur fortsetzen.
Um die Zukunftsfähigkeit langfristig sicherzustellen,
müssen und werden wir die Anstrengungen für Bildung
und Forschung verstärken. Leitlinien sind mehr Flexibilität, mehr Wettbewerb, stärkere Leistungsorientierung,
Chancengleichheit und Nachhaltigkeit. Dafür setzen
Bund und Länder das Hochschulausbauprogramm durch
Fachprogramme fort. Wir werden neue Ausbildungsberufe schaffen, bestehende aktualisieren, die Mittel für
die Ausbildungsförderung erhöhen und - damit aus Investitionen Innovationen werden - den Wissenstransfer
zwischen Wissenschaft und Wirtschaft erleichtern.
Damit legen wir ein umfassendes Programm vor. Wir
bekämpfen die aktuellen Probleme, insbesondere die
Arbeitslosigkeit. Wir treffen Vorsorge gegenüber den
Herausforderungen, die schon jetzt absehbar sind, und
wir gestalten die Gegenwart so, dass Deutschland langfristig an Zukunftsfähigkeit gewinnt. Der Jahreswirtschaftsbericht ist damit über die gesamtwirtschaftliche
Projektion hinaus, die alle interessiert, ein wichtiges
Dokument, das die gesellschaftliche Diskussion über die
Entwicklung dieses Landes anstoßen kann.
Der Kurs, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, ist erfolgreich. Ich denke, es ist auch ein Ziel, das wir gemeinsam
teilen. Wir freuen uns auf die öffentliche Debatte darüber.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit für die
Einführung.
Nun kommen wir zu
den Fragen zu diesem Themenbereich. Wer möchte eine
Frage an den Finanzminister stellen? - Bitte sehr, Herr
Kollege.
Sehr geehrter Herr
Minister, Sie sprachen von einem demographischen Effekt von 80 000. Die Bundesanstalt für Arbeit hat in den
letzten Monaten immer die Zahl von 250 000 bis
300 000 je Jahr genannt. Können Sie mir erklären, wie
Sie zu der Zahl von 80 000 kommen?
({0})
Es gibt
keine Differenz zwischen unseren Zahlen und denen der
Bundesanstalt für Arbeit. Im Jahresdurchschnitt gibt es
200 000 Arbeitslose weniger. Davon entfallen 120 000
auf den Beschäftigungsaufbau und 80 000 auf den demographischen Faktor. Ich habe das eben erläutert.
Frau Kollegin, Sie
hatten eine Frage. Bitte sehr.
Herr Minister, das Ifo-Institut hat darauf
hingewiesen, dass der Geschäftsklimaindex in diesem
Jahr erstmals knapp unter 100 liegt. Vor einem Jahr lag
er noch bei rund 91. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung? Würden Sie sagen, diese Entwicklung ist
vornehmlich auf die Eckpunkte der von Ihnen avisierten
Steuerreform zurückzuführen?
Der zweite Punkt, der mich in dem Kontext interessiert, ist folgender: Sie haben von der Eigenkapitalbasis
der Unternehmen geredet und einen Zusammenhang zu
Investitionen, Innovationen und Arbeitsplätzen hergestellt. Mich würde interessieren, ob Sie glauben, dass die
von der Bundesregierung und von Rot-Grün angestrebte
Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen tatsächlich zu einer Belebung oder zu einer Stärkung der Eigenkapitalbasis bei den Unternehmen führen wird.
Zu Ihrer
ersten Frage. Das Geschäftsklima hat sicherlich mit zwei
Dingen zu tun. Zum einen verläuft die weltwirtschaftliche Entwicklung günstiger, als noch vor einem Jahr angenommen. Zum anderen machen wir eine Wirtschafts-,
Finanz- und Steuerpolitik, die in der Tat dazu führt, dass
die Unternehmen mit größerer Hoffnung in die Zukunft
sehen. Das heißt, die Kombination von Haushaltskonsolidierung und Senkung der Steuer- und Abgabenlast auf
breiter Front ist genau das, was wir in dieser Situation
brauchen.
Ihre zweite Frage betrifft ein anderes Thema. Die
Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen, soweit das
Ergebnis im unternehmerischen Sektor verbleibt - abgesehen davon, dass es systemimmanent im Zusammenhang mit dem Übergang auf das Halbeinkünfteverfahren
steht -, ist ein Beitrag dazu, dass wir zu einer Restrukturierung in der deutschen Volkswirtschaft kommen und
sie nicht steuerlich behindern. Das ist auch ein Beitrag
dazu, dass die oft - wie ich finde, zu Recht - kritisierte
ziemlich intensive Verflechtung zwischen Banken und
Industrie in Deutschland aufgelöst werden kann.
Nun kommt der
Kollege Koppelin. Bitte sehr.
Herr Bundesfinanzminister, ist es ein Zufall, dass das Landwirtschaftsministerium zurzeit nicht vertreten ist? Hat der Landwirtschaftsminister im Kabinett auf die Situation der
Landwirtschaft hingewiesen? Denn - das muss man
auch erwähnen - die Landwirtschaft befindet sich aufgrund der Politik der Bundesregierung in einer dramatischen Situation; das gehört ja wohl auch zu einem Jahreswirtschaftsbericht. Vor allem durch die Streichungen
im Haushalt, aber auch durch die Ökosteuer werden die
Einkünfte der Landwirte erheblich reduziert werden. Bei
den Landwirten herrscht nicht die Freude, von der Sie
gesprochen haben, über Ihre Politik.
Ich habe eine weitere Frage. Als ich meinen Zwischenruf zum Thema Ökosteuer machte, haben Sie wenn ich mir das richtig aufgeschrieben habe - gesagt,
die Bundesregierung habe als Wegweiser den richtigen
Weg aufgezeigt. Ist das korrekt?
Ja.
Dann möchte ich Sie
fragen, ob Sie wissen, welche Funktion der Wegweiser
hat. Der Wegweiser zeigt nur den Weg und schickt andere in die Richtung; er geht aber nicht selbst mit. Ist
das die Haltung der Bundesregierung?
Dass ein
Liberaler diese Frage stellt, verwundert mich außerordentlich; denn ich habe immer gedacht, das sei zumindest nach liberaler Auffassung genau die Rolle, die der
Staat hätte, nämlich die Wirtschaft nicht selbst zu leiten,
sondern nur den Wegweiser aufzustellen. Genau das tun
wir an dieser Stelle. Erster Punkt.
Zweiter Punkt: Der Bericht ist im Bundeskabinett
einstimmig verabschiedet worden. In der Tat ist der Abbau von Subventionen immer ein Problem; denn derjenige, den es trifft, ist darüber nicht erfreut. Ich dachte
aber auch hier, dass es ein besonderer Schwerpunkt liberaler Politik sei, Subventionen abzubauen. Dann müssen
Sie auch mit den Folgen fertig werden.
({0})
- Vorsicht, Herr Kollege! Es gibt keinen Bereich, in
dem die Subventionen so zurückgefahren werden wie
beim Bergbau. Wollte man etwas Ähnliches - das will
ich dezidiert nicht - in der Landwirtschaft tun, käme
man zu ganz anderen Ergebnissen. Ich warne Sie dringend davor, solche Vergleiche zu ziehen.
({1})
- Subventionen in anderen Ländern sind noch nicht unbedingt eine Voraussetzung für Subventionen bei uns.
Auch das sollte Ihnen als Liberalem eigentlich klar sein.
({2})
Ich lasse ein solches
Pingpong gern zu, weil es eigentlich der Sinn der Befragung ist.
({0})
- Das ist immer gegenseitig, Herr Kollege.
Jetzt hat Herr Schemken das Wort.
Herr Finanzminister,
ich bitte um Aufklärung des Konfliktes, der darin besteht, dass wir wegen des durch die demographische
Entwicklung bedingten Rückganges der Zahl der Arbeitslosen eine Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit
haben werden, zugleich aber die Finanzierung des Generationenvertrages und das Steueraufkommen davon abhängen, wie viele Menschen in Arbeit sind. Daher lautet
die entscheidende Frage in der Steuergesetzgebung, ob
ich nur die Unternehmensteuer oder auch die Besteuerung des Privatkapitals einer Reform unterziehe. Letzteres ist insbesondere dort erforderlich, wo die mittelständische Wirtschaft, das Handwerk und der Handel, die im
Übrigen in den letzten Jahrzehnten die Arbeitsplätze geschaffen haben, sehr betroffen sind. Wie lösen Sie diesen Konflikt?
Herr
Kollege, ich weise darauf hin - deswegen hat mich auch
die Debatte in den Oppositionsparteien über die Unternehmensteuerreform immer sehr verwundert -, dass
zwei Drittel aller deutschen Unternehmen Gewinne von
weniger als 48 000 DM ausweisen. Das sind die kleinen
Personengesellschaften. Sie können deswegen nicht im
Bereich der Unternehmensteuern entlastet werden; sie
bekommen nie den Einkommensteuerspitzensatz auch
nur von Ferne zu sehen. Die Unternehmen, die Gewinne
von weniger als 48 000 DM ausweisen - ich wiederhole:
es sind zwei Drittel aller deutschen Unternehmen -,
können nur durch eine Senkung des Eingangssteuersatzes entlastet werden. Es hat ja lange gedauert, bis sich
zum Beispiel auch die CSU unserem Vorschlag, den
Eingangssteuersatz auf 15 Prozent abzusenken, angeschlossen hat. Ich habe übrigens noch nie positive Äußerungen zum Thema Existenzminimum gehört. Stets war
es die klassische Politik der Sozialdemokraten, sowohl
das steuerfreie Existenzminimum heraufzusetzen als
auch den Eingangssteuersatz abzusenken. Genau dies ist
der Weg, um die Masse der kleinen Personengesellschaften, die Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze schaffen - Sie haben Recht -, steuerlich zu entlasten. Deswegen muss man darauf das Schwergewicht legen; genau
das tun wir.
Jetzt hat Frau Kopp
das Wort. - Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Bundesfinanzminister,
als ich mich heute auf diese Regierungsbefragung vorbereiten wollte, war ich ein wenig enttäuscht, dass uns keinerlei Unterlagen zu dem Bericht der Bundesregierung
vorlagen. Deswegen vorweg die Frage: Beabsichtigen
Sie, es künftig so zu organisieren, dass das, was Sie hier
vortragen, dem Parlament wenigstens kurzfristig vor
Sitzungsbeginn zur Verfügung steht, damit man das
nachlesen und sich entsprechend vorbereiten kann?
Zum Thema aktive Arbeitsmarktpolitik möchte ich
wissen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, dass es
hinsichtlich der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen erheblich effektiver wäre, wenn Sie sehr gezielt
und deutlich die kleinen und mittelgroßen Unternehmen
und insbesondere die Unternehmer in unserem Land
steuerlich entlasteten. Mich interessiert, ob Sie im Rahmen Ihrer Tätigkeit im vergangenen Jahr nicht doch zu
etwas anderen Erkenntnissen gekommen sind und ob Sie
sie gegebenenfalls in Ihre Arbeit einfließen lassen.
({0})
Frau
Abgeordnete, ich kann Ihnen Unterlagen erst drucken
lassen und zuleiten, wenn das Kabinett sie beschlossen
hat. Das Problem dieser Regierungsunterrichtung liegt
darin, dass das Kabinett heute Morgen um 10 Uhr den
Jahreswirtschaftsbericht beschlossen hat und ich heute
Mittag - das halte ich ja für richtig - hier Rede und
Antwort stehen soll. In der Zwischenzeit kann man das
nicht alles schon gedruckt haben. Wir haben es aber sofort ins Internet eingestellt. Das ist der einzige Hinweis,
den ich dazu geben kann. Wir machen das so schnell wie
irgend möglich.
Zweiter Punkt. Aktive Arbeitsmarkpolitik ist ein
Element, das auf die Arbeitslosen und insbesondere auf
die längerfristig Arbeitslosen sowie auf die Erhaltung
bzw. Wiederherstellung ihrer Qualifikation für den Arbeitsmarkt zielt. Dieses Element ist überhaupt keine Alternative zur steuerlichen Entlastung der kleinen und
mittleren Unternehmen. Man muss also auf der einen
Seite auf diese Weise Bedingungen schaffen, damit
mehr Menschen eingestellt werden können. Auf der anderen Seite muss man aber Bedingungen schaffen, damit
die Menschen für diese Tätigkeit auch qualifiziert werden. Notwendig ist also beides.
Ich habe eben schon auf die Frage Ihres Kollegen geantwortet: Ein Schwerpunkt unserer Steuerentlastung
liegt gerade im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen. Ich will Sie noch einmal herzlich bitten, zu
überlegen - auch vor dem Hintergrund, dass wir den
Kurs „heraus aus der Schuldenfalle“ nicht gefährden
wollen -, was man steuerlich noch tun kann. Wir unternehmen alle Anstrengungen, die möglich sind. Wenn Sie
einmal die Länderfinanzminister fragen, werden Sie von
ihnen intern, aber sehr deutlich hören, wie sehr die Landeshaushalte mit dem, was wir tun, strapaziert werden.
Ich sage ganz ausdrücklich: Überlegen Sie sich einmal vor dem Hintergrund, dass zwei Drittel aller deutschen Unternehmen nie in die Nähe des Spitzensteuersatzes kommen, ob eine Kampagne, die darauf zielt, den
Spitzensteuersatz noch viel weiter zu senken - und zwar
auf ein Niveau, das kein Land in Europa hat -, überhaupt einen Sinn hat!
Wir liegen mit unserer Konzeption hinsichtlich des
Spitzensteuersatzes in Europa fast am unteren Ende. Nur
das Vereinigte Königreich und Portugal haben einen
niedrigeren Spitzensteuersatz als den, den wir im Rahmen unserer Steuerreform 2000 vorgeschlagen haben.
Deswegen bitte ich sehr herzlich darum, dass wir in der
weiteren Debatte diese Frage sehr sorgfältig unter dem
Aspekt der Stärkung der kleineren und mittleren Betriebe diskutieren. Ich glaube, Sie werden dann zu einem
anderen Ergebnis kommen, was die Wirkungen der
Steuerreform für den Arbeitsmarkt durch die Entlastung
der Unternehmen angeht. Sie werden dann erkennen, wo
Sie ansetzen müssen.
Frau Pieper, bitte
sehr.
Herr Bundesfinanzminister, meine Frage bezieht sich auf die neuen Bundesländer, auf den Aufbau Ost. Sie haben hier ganz klar dargestellt, wie sich die Arbeitslosenzahlen aus Ihrer Sicht im
kommenden Jahr unter Berücksichtigung des demographischen Faktors entwickeln werden. Sie wissen aber
auch, dass es eine sehr starke Differenzierung zwischen
Ost und West gibt und dass das Wirtschaftswachstum
auch in den kommenden Jahren in den neuen Bundesländern noch weiter unter dem des Bundesdurchschnitts
liegen wird. So lauten die Prognosen, die ich von renommierten Wirtschaftsinstituten kenne.
Ich frage Sie: Wie gedenken Sie diesem Abwärtstrend, der hinsichtlich der kleinen und mittleren Unternehmen durch die Ökosteuer noch befördert wurde, insbesondere in den neuen Bundesländern entgegenzuwirken? Es wird sehr viel über Effizienz und Straffung von
Förderprogrammen geredet. Wo werden Sie zukünftig
gerade beim Aufbau Ost die Akzente in der Wirtschaftsförderung setzen, sodass es dort wieder bergauf gehen
kann?
Zunächst will ich anmerken, dass Ihre Beschreibung - aggregiert haben Sie Recht - nicht vollständig ist; denn das
Problem ist, dass die Entwicklung im Osten etwas langsamer als im Westen vorangeht. Dahinter verbergen sich
aber zwei gegenläufige Entwicklungen. Vor diesem
Hintergrund haben Sie also nicht Recht.
Zum einen ist die Entwicklung im gewerblichen und
insbesondere im industriellen Sektor wesentlich stärker
aufwärts gerichtet als die im Westen der Bundesrepublik. Zum anderen geht es im Bausektor im Unterschied
zum Westen noch weiter zurück. Diese unvermeidliche
Anpassung hängt damit zusammen, dass wir in den ersten zehn Jahren beim Aufbau Ost ein unglaublich starkes Gewicht auf den Bausektor gelegt haben. Dieses
Vorgehen war angesichts des Verfalls und angesichts
der über viele Jahrzehnte fehlenden Investitionen notwendig. Die entsprechenden Maßnahmen werden jetzt
auf ein normales Maß zurückgefahren.
Diese Normalisierung wird sich angesichts der hohen
Leerstände im Wohnungsbereich in den neuen Bundesländern weiter fortsetzen. Dieser Entwicklung setzen wir
ein neues Wohnungsmodernisierungsprogramm bei der
Kreditanstalt für Wiederaufbau entgegen. Allerdings
bitten wir die neuen Länder, die Hälfte der Mittel für die
Zinsverbilligung zu tragen, damit deutlich werden kann,
ob dieses Programm angenommen wird. Das erkennt
man immer erst dann, wenn ein entsprechendes Engagement verlangt wird.
Ich bitte Sie deshalb, den Aufbau Ost an dieser Stelle
nicht schlecht zu reden. In den neuen Feldern geht die
Entwicklung steiler als im Westen aufwärts. Gerade die
Exportfähigkeit der ostdeutschen Industrie nimmt sehr
stark zu. Diese Entwicklung ist sehr positiv; das müssen
wir deutlich machen. Die Entwicklung im Bausektor ist
aber, wie gesagt, unvermeidlich.
Darüber hinaus haben wir im Haushalt 2000 für den
Aufbau Ost rund 3 Milliarden DM mehr eingestellt, als
dies 1998 beim letzten Haushalt, der von der früheren
Koalition, der Sie angehört haben, verantwortet wurde,
der Fall war.
Mit Blick auf die von uns vorgelegten Pläne zur Unternehmensteuerreform sage ich: Die ganz bewusste Privilegierung des im Unternehmen verbleibenden Gewinns - wie in Frankreich praktiziert -, dass heißt die
Stärkung der Eigenkapitalbasis, kommt in besonderem
Maße den kleinen und mittleren Unternehmen in den
neuen Ländern zugute und macht sie stabiler. Denn dort
ist die Eigenkapitalbasis, die in Deutschland schon insgesamt zu schmal ist, noch einmal - auch das ist erklärlich - wesentlich geringer.
Das alles sind wesentliche Elemente, um beim Aufbau Ost voranzukommen.
Frau Kollegin, eine
weitere Frage.
Auch ich bin in der Tat
der Auffassung, Herr Bundesfinanzminister, dass man
sehr stark differenzieren muss. Sie haben natürlich
Recht, wenn Sie sagen, dass die Zuwachsraten in den
neuen Bundesländern, gerade bei Gewerbe und Industrie, erfreulich sind. Doch ich möchte Sie noch einmal
darauf hinweisen, dass der Anteil der industriellen Produktion in den neuen Ländern bei weitem nicht so ausgeprägt ist, dass dies einen Umschwung auf dem Arbeitsmarkt bewirken könnte. In diesem Sinne insistiert
meine Frage in der Tat eher auf der Situation der kleinen
und mittleren Unternehmen. Ich möchte noch einmal
festhalten, dass zum einen die von Ihnen geplanten
Steuersenkungen zu spät kommen und zum anderen die
Ökosteuer eine Belastung gerade der kleinen und mittleren Unternehmen in den neuen Bundesländern darstellt.
Ich wollte jetzt noch einmal fragen, inwieweit Sie beabsichtigen, in dem Bereich der Eigenkapitalhilfe - ein
Thema, das für kleine und mittlere Unternehmen in den
neuen Ländern ein großes Problem ist, das wir noch
nicht lösen konnten - mehr Akzente als bisher zu setzen.
Denn es gibt das Phänomen, dass im Haushalt 2000 in
diesem Bereich keine Aufstockung vorgenommen wurde, sondern eine Kürzung von 500 Millionen DM zu
verzeichnen ist. Wie erklären Sie sich diese falsche Akzentuierung?
Zunächst bitte ich Sie um Verständnis, dass ich nicht jede
Fachfrage, die in den Bereich von Kabinettskollegen
fällt, beantworten kann. Ich möchte Sie bitten, sie an das
entsprechende Ministerium zu richten. Was das Thema
Eigenkapitalhilfe betrifft, will ich es gerne weitersagen.
Ich habe jetzt nicht alle Einzelheiten spontan im Kopf;
aber ich kann dem natürlich nachgehen.
Sie müssen sich natürlich überlegen - gerade Sie als
Liberale -, ob Sie zunächst viel Geld einnehmen und
dies dann umverteilen wollen oder ob wir es vorher bei
den Bürgern und bei den Unternehmen belassen.
({0})
- Das ist schon sehr spannend. Sie kritisieren immer nur
den mangelnden Abbau von Subventionen. Das habe ich
eben wieder gehört. Aber auch Eigenkapitalhilfen sind
Subventionen.
Wir senken die Steuern ordentlich und begünstigen
den im Unternehmen verbleibenden Gewinn. Damit verzichten wir zwar auf Einnahmen, geben aber den Unternehmen die Möglichkeit, Eigenkapital zu bilden. Wenn
ich Sie eben richtig verstanden habe, sagen Sie, das
sollten wir eher weniger tun und stattdessen mehr für
Investitionen bereithalten.
Ich halte diese Auffassung für falsch, finde es aber
immerhin spannend, dass sie von einer Liberalen vertreten wird. Sie müssen sich an diesem Punkte auch ordnungspolitisch klarmachen, was Sie wollen: ob Sie den
Abbau von Investitionen wollen und ob Sie die Senkung
von Steuern wollen - und an welcher Stelle. In diesem
Punkt ist unsere Politik, so glaube ich, sehr systematisch: Dass wir gerade am unteren Ende der Einkommensteuer die Sätze stark senken, hilft den kleinen und
mittleren Unternehmen in den neuen Bundesländern.
Dasselbe gilt insofern, als wir für die Betriebe den Kostenfaktor Gewerbsteuer praktisch beseitigen.
Ich weise darauf hin: Die Frage, die Sie mir zur Ökosteuer gestellt haben, hätte ich von Ihnen viel lieber gehört, als die vorige Bundesregierung die Mineralölsteuer
so stark erhöht und gleichzeitig - anders als diese - die
Lohnnebenkosten nicht gesenkt, sondern ebenfalls erhöht hat.
({1})
- Ich rede von der Mineralölsteuer. Ich weiß gar nicht,
wovon Sie reden. Ich rede davon, dass Sie in der ersten
Hälfte des vergangenen Jahrzehnts die Mineralölsteuer
um 50 Pfennig und die Lohnnebenkosten um drei Prozentpunkte erhöht haben, während wir die Mineralölsteuer in fünf Jahren um 30 Pfennig erhöhen, gleichzeitig aber die Lohnnebenkosten schon um fast einen Punkt
abgesenkt haben. Das ist eine qualitativ gänzlich andere
Politik, gerade auch für die kleinen Unternehmen in den
neuen Bundesländern, Frau Kollegin.
({2})
Ist das eine Frage,
Herr Koppelin? Zunächst kommt nämlich ausnahmsweise noch einmal Frau Pieper dran. Darüber hinaus liegen
mir von Herrn Buwitt und Herrn Protzner noch zwei
weitere Fragen zu diesem Punkt vor.
({0})
- Herr Koppelin, keine Zwiegespräche bitte. Frau Pieper
hat das Wort.
({1})
- Sie sehen, wie selektiv die Wahrheit wahrgenommen
wird.
Sie wissen doch, Herr Kollege, dass die Mineralölsteuererhöhung gar nicht zustimmungspflichtig ist. Sie hätten doch
die Mehrwertsteuer zugunsten der Rente nicht erhöhen
müssen, wenn Sie vorvergangenes Jahr in der Lage gewesen wären, die Mineralölsteuer zugunsten der Rente
zu erhöhen. Das waren Sie aber nicht. Sie brauchten die
Erhöhung der Mehrwertsteuer und damit den Bundesrat
und damit die Opposition.
Nun Frau Pieper.
Herr Bundesfinanzminister, da mir die Frau Präsidentin erlaubt hat, noch eine
Frage an Sie zu stellen, will ich das auch gerne tun.
Stimmen Sie mit mir überein, dass die Förderprogramme, die Finanzhilfen, die man in den Aufbau Ost steckt,
eigentlich nicht in die Kategorie „Subventionierung des
Staates“ fallen, weil es hier um faire Wettbewerbschancen insbesondere für die kleinen und mittleren Betriebe
in den neuen Bundesländern geht, die ganz andere Voraussetzungen nach der deutschen Einheit hatten als die
Firmen in den alten Bundesländern?
Dies ist
eine reine Definitionsfrage. Ich würde auch dies immer
als Subvention definieren. Ich stimme Ihnen aber zu,
dass es eine „notwendige“ Subvention ist. Die Frage ist,
wie man sie auf Dauer zurückführt, weil es keinen Sinn
macht, die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen
Bundesländern auf Dauer - darin sind wir einig - auf
Subventionen aufzubauen. Deswegen haben wir im ZuCornelia Pieper
sammenhang mit den Strukturanpassungsmaßnahmen
eine Reduzierung nicht der Zahl der betroffenen Personen - die bleibt gleich -, sondern der Finanzierung pro
Fall vorgenommen. Wenn Sie, wie im vorigen Jahr, auf
einem Subventionssockel von 90 Prozent aufbauen, gibt
das auf Dauer niemals einen sich selbst tragenden Aufschwung. Das muss nach und nach in einen sich selbst
tragenden Aufschwung überführt werden, das heißt, dass
wir systematisch die Subventionen, die berechtigt sind die ich nicht kritisiere, damit wir uns nicht falsch verstehen -, Schritt um Schritt zurückziehen müssen.
Ich kritisiere auch die Subventionen für die Landwirtschaft, Herr Kollege Koppelin, nicht vom Prinzip her,
aber über die Höhe muss man natürlich reden. Das hat
diese Regierung auch getan.
({0})
Jetzt hat der Kollege
Buwitt eine Frage.
Herr Minister, Sie
hatten versucht, die politischen Beiträge zum wirtschaftlichen Aufschwung darzustellen. Sie haben dabei
die höhere Energiebesteuerung angeführt. Ich glaube,
dass diese Diskussion etwas unehrlich geführt wurde,
wenn Sie darauf verweisen, dass vorher um 50 Pfennig
erhöht worden ist. Ihr Argument wäre richtig, wenn Sie
diese Erhöhung um 50 Pfennig rückgängig gemacht
hätten, aber Sie haben sie nicht rückgängig gemacht,
sondern Sie kassieren 50 Pfennig plus 30 Pfennig. Das
ist die Wahrheit, und das ist das Unechte an Ihrem Argument.
({0})
-Natürlich, Sie kassieren doch nach wie vor. Sie tun
doch so, als ob Sie einen niedrigeren Level haben. Sie
haben doch einen wesentlich höheren. Das ist der Punkt.
({1})
Zweitens haben Sie auf den Abbau von Subventionen
verwiesen. Der Abbau von Subventionen ist im Haus sicher unumstritten. Es erfordert aber eine gleichzeitige
Senkung der Tarife. Das, was Sie heute machen - eine
höhere Energiesteuer und die Absenkung der Subventionen -, ist eine zusätzliche Belastung der Wirtschaft.
Sie verweisen auf spätere Steuererleichterungen. Deshalb ist ein großes Fragezeichen angebracht, ob die
Wegweiser für einen wirtschaftlichen Aufschwung von
der Politik richtig gestellt sind.
Erstens
nehme ich mit einiger Verwunderung zur Kenntnis, dass
Sie der neuen Mehrheit vorwerfen, dass sie die Steuererhöhungen der alten Mehrheit nicht rückgängig gemacht hat.
({0})
- Ich beklage es nicht. - Ich beklage Ihre Argumentation, dass wir die Mineralölsteuer erhöhen, während Sie
sie viel stärker erhöht haben, und dass wir gleichzeitig
das Geld, das hereinkommt - ohne dass es eine direkte
Bindung von Mark zu Mark gibt; das ist jedem Finanzwissenschaftler klar -, nehmen, um die Beiträge der
Rentenversicherung zu stabilisieren und abzusenken.
Die Politik der Stabilisierung haben Sie mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt selber eingeleitet. Diese können Sie also schlecht kritisieren. Auch
auf diesen Sachverhalt weise ich hin. Deswegen erhöhen
wir an dieser Stelle die Steuer- und Abgabenquote nicht.
Insgesamt senken wir die Steuer- und Abgabenquote
durch eine massive Absenkung in der Einkommensteuer
von oben bis unten. Ich kann nur zwischen dem vergleichen, was Sie in 16 Jahren getan haben, und dem, was
wir in 8 Jahren tun. Sie haben in 16 Jahren den Spitzensteuersatz um 3 Punkte abgesenkt. Wir senken ihn darüber hinaus in 8 Jahren um 8 Punkte ab.
Den Eingangssteuersatz haben Sie in diesen 16 Jahren
um 3 Punkte gesenkt und dann wieder um 3 Punkte erhöht. Wir senken ihn um 10,9 Punkte.
Deswegen ist das eine etwas merkwürdige Debatte.
Man kann nur von den Ergebnissen Ihrer Regierungstätigkeit ausgehen und diese mit dem vergleichen, was wir
tun.
Jetzt hat Herr Dr.
Protzner eine Frage.
Herr Minister, ich
freue mich, dass Sie die kleinen und mittleren Unternehmen so sehr herausstellen. Sie wissen aber auch, dass
gerade die kleinen und mittleren Unternehmen in der
Regel Personengesellschaften sind. Deshalb frage ich
Sie, weshalb Sie diese Personengesellschaften mit Ihrem
Steuerkonzept in die schwierige, von prognostischen
Unwägbarkeiten belastete Optionsentscheidung hineintreiben.
Ich frage Sie zum Zweiten, warum Sie nicht bereit
sind, gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen
und auch für Facharbeiter eine echte Entlastung dadurch
herbeizuführen, dass Sie eben nicht nur den Eingangssteuersatz, sondern auch den Spitzensteuersatz senken.
Denn Sie wissen, dass man, steuersystematisch gesehen,
wenn man die Belastung insgesamt senken will, auch
den Spitzensteuersatz kräftig senken muss.
Ich frage Sie zum Dritten, welche dynamischen Zuwachsraten hinsichtlich der Selbstständigkeit und der
kleinen und mittleren Unternehmen Sie für die nächsten
Jahre erwarten, wenn Ihre Politik angeblich so gut ist.
Zunächst weise ich, ohne dass wir an diesem Punkt etwas
ändern, auf Folgendes hin: Es gibt eine deutsche Besonderheit - über die ich Sie mit Blick auf die weitere Entwicklung in Europa und unsere Wettbewerbsfähigkeit
innerhalb Europas bitte nachzudenken -, unser Verhältnis Kapitalgesellschaften zu Personengesellschaften
stellt eine Einmaligkeit dar. Diese Einmaligkeit hat
Gründe, auch gute Gründe, zum Beispiel im Erbschaftsteuerrecht. Denn es gibt - berechtigterweise - im
Erbschaftsteuerrecht eine massive Unterscheidung zwischen der Erbschaftsteuer bei Personengesellschaften
und jener bei Kapitalgesellschaften. Die Personengesellschaften werden an dieser Stelle deswegen zu Recht
massiv begünstigt, weil eine Belastung dieser Gesellschaften auch eine Belastung des Betriebs bedeutete und
damit Probleme für die Beschäftigten und die Arbeitsplätze auslösen könnte. Das gilt nicht bei der Kapitalgesellschaft, bei der Eigentümer und Unternehmer nicht
identisch sind. Das muss man sich klar machen. Bei den
Ländern um Deutschland herum ist das anders. Zudem
haben sie meist eine bessere Eigenkapitalbasis. Über
diesen Punkt muss man nachdenken.
Wir geben unsererseits darauf eine Antwort mit der
Stärkung des im Unternehmen verbleibenden Gewinns.
Diese Option muss ja nicht wahrgenommen werden,
Herr Kollege Protzner. Es gibt auf der anderen Seite die
Möglichkeit, die Gewerbesteuer im Ergebnis voll anzurechnen und damit als Kostenfaktor zu beseitigen.
Die Unternehmen - das sind zwei Drittel aller Unternehmen -, für die auch das nicht in Betracht kommt,
weil sie weder Körperschaftsteuer noch Einkommensteuer bezahlen, entlasten wir durch die Erhöhung des
steuerfreien Existenzminimums und die Senkung des
Eingangssteuersatzes.
Noch einmal: Wenn ein Unternehmen weniger als
48 000 DM Gewinn ausweist, hat dieses Unternehmen
nichts von dem weiteren Progressionsverlauf, denn dieses Unternehmen liegt dann bereits im Bereich des Eingangssteuersatzes. Sie können ihm also auch nur über
den Eingangssteuersatz helfen. Überlegen Sie sich das
doch einmal! Mir war es nie verständlich, dass sich eine
so große Volkspartei bei dem Thema Unternehmensbesteuerung auf den Spitzensteuersatz kapriziert, der doch
nur Wenige trifft.
Bei dieser Gelegenheit müssen Sie sich auch den europäischen Vergleich noch einmal anschauen. Wenn Sie
dann das Ziel der Haushaltskonsolidierung beibehalten
wollen, es ernst nehmen und überlegen, wo Sie das Geld
einsetzen, das Sie vertretbarerweise einkalkulieren auch wir rechnen mit einem halben Prozent mehr
Wachstum durch unsere Unternehmensteuerreform -,
dann werden Sie feststellen, dass Sie es, wenn Sie für
die kleinen Unternehmen, die, wie gesagt, zwei Drittel
der Unternehmen ausmachen, überhaupt Erleichterung
schaffen wollen, nur am unteren Ende einsetzen können
und nicht am oberen Ende.
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass die definitive
Durchschnittsbelastung der Kapitalgesellschaften Körperschaftsteuer plus Gewerbesteuer - 37, 38 Prozent
beträgt. Bei einem Spitzensteuersatz von 45 Prozent, wie
wir ihn in der Einkommensteuer zugrunde gelegt haben,
ist erst bei einem zu versteuernden Einkommen - da
sind sämtliche Freibeträge schon abgerechnet - von
mehr als 200 000 DM bei Alleinstehenden und von mehr
als 400 000 DM bei Ehepaaren der Punkt erreicht, bei
dem der Durchschnittssteuersatz höher liegt als der Definitivsteuersatz bei den Kapitalgesellschaften. Ob Sie
dafür diesen ganzen Kampf führen wollen, habe ich große Zweifel.
({0})
Jetzt hat Herr Kollege Niebel als Letzter eine Frage zu diesem Bereich.
Weitere Fragen kann ich nicht zulassen; wir würden
sonst zu sehr in Zeitverzug kommen. Ich bitte um eine
kurze Antwort. Denn danach möchte ich noch zwei Fragen zu einem anderen Bereich zulassen.
Herr Niebel, bitte sehr.
Herr Minister, meine Frage
wird mit Ja bzw. mit Nein beantwortet werden können:
Stimmen Sie mir zu, dass neben Herrn Lafontaine auch
Herr Schröder und Sie, Herr Eichel, als Mitglieder des
Bundesrates an der Verhinderung der auf der Grundlage
der Petersberger Beschlüsse vorgesehenen großen Steuerreform, die im Bundesrat gescheitert ist, mitgewirkt
haben? Dies frage ich, weil Sie gerade eben beklagt haben, die alte Regierung habe die Steuersätze nicht gesenkt.
Die Frage ist nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten.
({0})
- Das war übrigens schon einmal Gegenstand hier im
Plenum und steht im Protokoll. Herr Kollege Schäuble
hat bestätigt, dass die Angelegenheit nicht so einfach ist.
- Über diese Steuerreform haben vonseiten der SPD
Frau Matthäus-Maier, Herr Scharping und ich verhandelt. Auf Ihrer Seite waren mein Vorvorgänger im Amt,
Bundesminister Dr. Waigel, Herr Solms und Herr
Schäuble vertreten. Es gab Einvernehmen darüber, dass
im Jahre 1999 eine Nettoentlastung nicht möglich sei.
Von Ihrer Seite gab es vor dem Hintergrund des Einvernehmens, dass in 1999 aufgrund der Situation der
Staatshaushalte und der verfallenden Steuerquote eine
Nettoentlastung nicht möglich sei, die Forderung, den
gesamten Petersberger Beschlüssen zuzustimmen. Daraufhin haben wir von der SPD gesagt: Dann lassen Sie
uns doch das, worüber Einvernehmen besteht, vor der
Wahl beschließen und lassen Sie das, wozu ein Beschluss erst zum 1. Januar 2000 notwendig ist, durch die
Wählerinnen und Wähler entscheiden.
Sie haben also von uns verlangt, den gesamten Petersberger Beschlüssen zuzustimmen. Das haben wir
natürlich nicht getan. Sie haben zum Beispiel soeben
kritisch über die Besteuerung der Sonntags-, Feiertagsund Nachtarbeitszuschläge diskutiert und haben dies,
wenn ich es richtig verstanden habe, auf Drängen der
CSU aus Ihrem Konzept wieder herausgenommen; ich
begrüße das.
({1})
- Ich bitte um Entschuldigung. Wenn Sie weiter für die
Besteuerung der Sonntags-, Feiertags- und NachtarbeitsBundesminister Hans Eichel
zuschläge sind, dann sind wir in diesem Punkt sehr kontrovers.
Diesem Bestandteil der Petersberger Beschlüsse
wollten wir nicht zustimmen. Wir hatten - das sehen Sie
an dem, was wir vorgelegt haben - in der Tat ein anderes Konzept. Wir sahen nämlich eine stärkere Absenkung der unteren Steuersätze und eine nicht ganz so
starke Absenkung der oberen Steuersätze sowie eine
nicht so starke Belastung der Arbeitnehmer vor. Das gilt
unverändert. Das liegt unserem Konzept, das der Bundeskanzler und ich vor Weihnachten vorgestellt haben,
zugrunde.
({2})
Damit beende ich
den Themenbereich der heutigen Kabinettssitzung.
Es gibt zwei sonstige Fragen an die Bundesregierung.
Die werde ich noch zulassen, obwohl wir die vorgesehene Zeit schon ein bisschen überschritten haben. - Die erste Frage stellt Frau Pieper.
Meine Frage an die Bundesregierung richtet sich an Bundesfinanzminister Eichel: Das Thema Wirtschaftswachstum hat ja sehr viel
mit Investitionen in Bildung und Forschung zu tun. Ich
möchte den Bundesfinanzminister fragen, inwieweit er
zukünftig im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche
Entwicklung die Setzung von entsprechenden Prioritäten
im Bildungshaushalt forciert, nachdem im Haushalt
2000 entsprechende Mittel im Vergleich zum Vorjahr
um 2,3 Prozent gekürzt worden sind.
Ich möchte ihm zusätzlich die Frage stellen, ob er
auch die Ausbildungsförderung mit berücksichtigt,
sprich: ob er die von Frau Bulmahn angekündigte halbe
Milliarde DM aus seinem Haushalt heraus finanzieren
wird, um zwar keine BAföG-Reform auf den Weg zu
bringen, aber immerhin die Bedarfssätze und die Freibeträge zu erhöhen, und ob seitens des Finanzministers
mit den Ländern und der Deutschen Ausgleichsbank Gespräche darüber geführt worden sind, was die Aufstockung dieser Mittel anbelangt.
Herr Minister, bitte
sehr.
Frau
Kollegin, erstens ist Ihre Zahlendarstellung nicht vollständig. Denn durch die Auslagerung des BAföG sieht
das Zahlentableau für den Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Wirklichkeit anders
aus, als Sie es dargestellt haben. Sie müssen nämlich eine halbe Milliarde DM hinzurechnen.
Zweitens haben wir in diesem Haushalt jährlich eine
starke Aufstockung der Mittel. Sein Anteil am Gesamthaushalt wird ständig wachsen.
Was - drittens - das BAföG betrifft, so werden im
Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung des Gesamthaushaltes - so ist die Verabredung zwischen Frau Kollegin Bulmahn und mir - die erforderlichen Mittel aufgebracht werden. Denn eines wird es nicht geben: eine
Erhöhung der Nettokreditaufnahme - welche Forderungen auch immer bestehen -, dies werden wir nicht zulassen. Das heißt, eine Aufstockung muss - darüber besteht
Einigkeit - durch Umschichtungen im Gesamthaushalt
erreicht werden.
Der restliche Teil der von Ihnen gestellten Fragen
betrifft nicht das Bundesfinanzministerium, sondern das
Bundesforschungsministerium. Ich bin sicher, dass Frau
Kollegin Bulmahn die notwendigen Schritte einleitet.
Nun hat der Kollege
Dr. Grehn eine letzte Frage an die Bundesregierung.
Ich frage die Bundesregierung: Welchen Standpunkt vertritt sie zur Einbeziehung
der beiden Tochtergesellschaften Edelstahlwerk Gröditz
und Stahlwerk Gröditz in das Insolvenzverfahren Gröditzer Stahlwerke angesichts ihrer Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen die Rückzahlung staatlicher
Beihilfen für die Gröditzer Stahlwerke GmbH, angesichts der Besetzung des Betriebes und angesichts der
Abberufung des Geschäftsführers? Welche Haltung
nimmt sie zu den von der Interpretation des Insolvenzverwalters abweichenden Wertungen des Briefes der Europäischen Kommission vom 9. Dezember 1999 durch
die BvS als Hauptgläubigerin und andere Juristen ein?
Zusätzlich möchte ich fragen, welche Unterstützung
die Bundesregierung der Regierung des Freistaates
Sachsen gibt, um deren eher Erfolg versprechendes
Konzept zu verwirklichen und damit eine Verunsicherung der Kunden wie der Gefahr der Folgeinvestitionen
mit insgesamt dramatischen Folgen für den Arbeitsmarkt in der Region entgegenzuwirken.
Für die Bundesregierung antwortet Herr Bundesfinanzminister. Bitte sehr.
Ich bitte
sehr um Verständnis, dass Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Diller die Frage beantworten wird. Ich bin
erst heute Nacht zurückgekommen und bin nicht gut in
diese Thematik eingearbeitet, zumal die Frage aus Zeitgründen nicht für die Fragestunde zugelassen war. Ich
möchte eine solche Frage nicht sozusagen freischwebend beantworten. Herr Staatssekretär Diller wird darauf
antworten.
Herr Staatssekretär,
bitte sehr.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Dr. Grehn,
nach der negativen Entscheidung der EU-Kommission
über die Beihilfen an die Gröditzer Stahlwerke GmbH
hat diese die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beanBundesminister Hans Eichel
tragt, da die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof
keine aufschiebende Wirkung hat. Seit diesem Antrag ist
der vom Gericht eingesetzte Insolvenzverwalter Herr
des Verfahrens. Er war insofern maßgeblich für die Entscheidung, auch für die Tochtergesellschaften die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Infolge
dieses Antrags wurde auch für diese Gesellschaften vom
Gericht jeweils ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt.
Die Bundesregierung ist bestrebt, Herr Kollege, dass
möglichst schnell und im Einvernehmen mit allen Beteiligten für die Betriebe und die damit verbundenen Arbeitsplätze eine klare Perspektive eröffnet wird. Soweit
wir in der uns zur Verfügung stehenden kurzen Zeit recherchieren konnten, gibt es auch keine Werksbesetzung. Wir wurden informiert, dass es eine friedliche
Mahnwache gebe und die Produktion normal weiterlaufe.
Zwischen der Bundesregierung und der Regierung
des Freistaates Sachsen besteht Übereinstimmung in den
Zielen und über die BvS eine enge Abstimmung über
das Vorgehen. Die Bundesregierung ist im Übrigen der
festen Überzeugung, dass der Standort Gröditz mit seinem modernen Stahlwerk und seinen hoch qualifizierten
und hoch motivierten Mitarbeitern erhalten bleibt.
({0})
Die Produktion wurde in den vergangenen Monaten
trotz der schwierigen Lage, die durch die Entscheidung
der EU-Kommission vom 8. Juli 1999 hervorgerufen
wurde, ohne Abstriche hinsichtlich Qualität und Liefertreue fortgeführt. Die Bundesregierung ist zuversichtlich, dass die Produktion auch in den kommenden Monaten bis zu einer vom Verwalter zu treffenden Entscheidung über die Veräußerung an einen der Interessenten weiterlaufen kann.
Herr Kollege Dr. Grehn, abschließend möchte ich Sie
um Verständnis dafür bitten, dass wir in der Kürze der
uns zur Verfügung stehenden Zeit die sehr detaillierten
Fragen nicht weiter aufklären konnten. Wir werden uns
weiter um Aufklärung bemühen und, sofern Sie damit
einverstanden sind, Ihnen eine schriftliche Antwort zukommen lassen.
Damit ist Herr Dr.
Grehn einverstanden.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung und
rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/2552 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 der Kollegin Ina Lenke auf:
Stellt die Bundesregierung Überlegungen an, darauf hinzuwirken, dass an deutschen Schulen eine Abgabe der „Pille danach“ an Schülerinnen eingeführt wird?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
Frau Präsidentin und Frau Kollegin, wenn Sie einverstanden sind, würde ich gern beide Fragen zusammen
beantworten, da sie sachlich in einem Zusammenhang
stehen.
Wir sind einverstanden. Ich rufe daher auch Frage 2 auf:
Unterstützt die Bundesregierung Aussagen von Politikerinnen der Koalitionsfraktionen, dass eine Abgabe der „Pille danach“ an deutschen Schulen wünschenswert sei?
Wunderbar. - Die Bundesregierung, Frau Kollegin, plant nicht, darauf hinzuwirken, dass an deutschen
Schulen eine Abgabe der „Pille danach“ eingeführt wird.
Bei dieser Pille handelt es sich bei dem in Deutschland
zugelassenen Präparat um ein Medikament mit nicht
unerheblichen Nebenwirkungen, das schon aus medizinischen Gründen nicht als reguläres Verhütungsmittel
eingesetzt werden sollte. Die Abgabe des verschreibungspflichtigen Präparates sollte weiterhin ärztlich kontrolliert erfolgen.
In Deutschland legen wir den Schwerpunkt auf die
Aufklärung von Schülerinnen und Schülern zu Fragen
der Verhütung. Da ist sich auch der Gesetzgeber mit der
Bundesregierung einig. Ich erinnere daran, dass wir
1992 das Schwangeren- und Familienhilfegesetz verabschiedet haben. In diesem Gesetz ist festgeschrieben,
dass jede Frau und jeder Mann das Recht hat, sich in
Fragen der Sexualaufklärung und Verhütung informieren und beraten zu lassen. Explizit wird in § 1 Abs. 2
und 3 geregelt, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bundeseinheitliche Aufklärungsmaterialien zu verbreiten hat, die unentgeltlich - ich
betone das, weil das der Information dient - an Einzelpersonen auf Aufforderung, ferner als Lehrmaterial
an schulische und berufsbildende Einrichtungen, an Beratungsstellen sowie an alle Institutionen der Jugendund Bildungsarbeit abgegeben werden. Im SGB V wurde der Anspruch auf kostenlose Versorgung der unter
Zwanzigjährigen mit empfängnisverhütenden Mitteln,
soweit sie ärztlich verordnet werden, verankert. Im internationalen Vergleich verzeichnet Deutschland auch
darum eine eher niedrige Rate von TeenagerSchwangerschaften.
Insofern wird die Abgabe der „Pille danach“ an deutschen Schulen auch nicht für wünschenswert gehalten.
Grundsätzlich jedoch sind Maßnahmen, die „Pille danach“ leichter zugänglich zu machen, zu begrüßen. Dazu
zählt vor allem, dass der kontinuierliche Bedarf an Information, Beratung und Versorgung im Hinblick auf
die „Pille danach“ sichergestellt ist. Im Rahmen der von
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
durchgeführten Aufklärung über Verhütungsmethoden
und Verhütungsmittel sind Methoden der Nachverhütung selbstverständlicher Bestandteil.
Eine Zusatzfrage? Bitte sehr, Frau Kollegin.
Hält es die Bundesregierung angesichts des sinkenden Problembewusstseins bei Jugendlichen gegenüber der Möglichkeit einer HIVInfektion für pädagogisch sinnvoll, durch eine Abgabe
der „Pille danach“ in den Schulen zu suggerieren, dass
man beim Geschlechtsverkehr ohne Kondome einigermaßen sicher ist?
Ich muss noch einmal an das erinnern, was ich geantwortet habe: Wir halten es nicht für wünschenswert,
an den Schulen die „Pille danach“ abzugeben. Jetzt
müsste ich noch einmal all das nennen, warum.
Noch einmal, Frau
Kollegin.
Es war mir schon sehr wichtig,
Frau Staatssekretärin, dass Sie diese Antwort geben. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den
Anstieg der Zahl von Schwangerschaften besonders bei
jungen Frauen im schulpflichtigen Alter? Sie haben eben
gesagt: Die Zahl der Schwangerschaften hat sich nicht
erhöht. Ich habe aber eine andere Auskunft von einer
Kollegin von mir aus dem Koalitionslager erhalten.
Frau Staatssekretärin.
Ich gehe jetzt nicht auf irgendeine Antwort ein,
die Sie irgendwo erhalten haben.
Zunächst einmal zu den Zahlen. Wenn ich das richtig
verstanden habe, haben Sie gesagt, die Zahl der Teenager-Schwangerschaften habe zugenommen. Die Geburtenrate bei unter Achtzehnjährigen in der Bundesrepublik Deutschland - ich habe die Zahlen seit 1994 liegt immer bei 0,6 Prozent. Das sind beispielsweise
1998, in absoluten Zahlen ausgedrückt, 4 683. Wenn
man sich die internationalen Zahlen anschaut, so muss
man berücksichtigen, dass das ein wenig schwer zu vergleichen ist, weil die Statistiken mal 15- bis 18-Jährige
umfasst und mal eine andere Altersgruppe; das heißt, die
Statistiken sind, was die Altersangaben und Gruppierungen betrifft, nicht immer gleich. Man kann aber sagen:
International liegen die Zahlen sehr viel höher. Der europäische Durchschnitt liegt bei 2 bis 6 Prozent. Zur
Erinnerung: 0,6 Prozent sind es bei den TeenagerGeburten in Deutschland. In den USA beträgt der Wert
13 Prozent, in Kanada 8 Prozent.
Insofern denke ich nicht, dass wir wegen der Zahlen
alarmiert sein müssten. Nichtsdestotrotz ist es unsere
Aufgabe, über Aufklärung und das Zur-VerfügungStellen von Verhütungsmaterialien dafür zu sorgen, dass
auch diese geringe Zahl - wenn das möglich ist - noch
weiter sinken kann.
Ihre dritte Frage,
Frau Kollegin.
Sie haben ausgeführt, dass geplant ist, auch die „Pille danach“ leichter zugänglich zu
machen. Können Sie das etwas näher erläutern?
Das ist die Frage. Ich habe gesagt, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat dazu Materialien. Wir geben - aufgrund des Schwangeren- und
Familienhilfegesetzes - aus unserem Haushalt 10 Millionen DM im Jahr für Aufklärung aus. Ich denke, dass
die Aufklärung darüber, dass es die „Pille danach“ überhaupt gibt, vielleicht verbessert werden kann. Das hat
aber nichts mit der Frage zu tun, dass sie an Schulen kostenlos oder wie auch immer verteilt wird. Die ärztliche
Aufsicht und die ärztliche Informations- und Beratungspflicht bleiben also bestehen.
Ihre vierte Frage
wollen Sie nicht stellen? - Ich frage dies, damit Sie wissen, dass ich richtig mitgezählt habe.
Frau Wolf, bitte.
Ich bin der Auffassung, dass eine einseitige Diskussion über die „Pille danach“ den Frauen und Mädchen praktisch die Verhütungsaufgabe zuweisen würde. Wäre es nicht nötig,
dass, wenn die Zahlen von minderjährigen Schwangeren
und damit auch von Schwangerschaftsabbrüchen steigen
- und es scheint die Tendenz zu geben, dass die Zahlen
steigen -, dieses auf einer Frauenministerkonferenz auf
Länderebene vielleicht thematisiert wird, um die Präventionsarbeit an Schulen zu vertiefen?
Ich muss noch einmal betonen, dass die Aufklärungsmaterialien als Lehrmaterialien kostenlos an die
Schulen abgeben werden. Die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern ist natürlich Sache der Länder. Ich
glaube schon, dass es, wenn wir leicht steigende Zahlen
von Teenager-Schwangerschaften feststellen können,
durchaus Sinn macht, bei der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern dieses Thema extra aufzugreifen.
Ein zweiter Punkt. Sie haben gesagt, es werde wieder
suggeriert, Verhütung sei Aufgabe der Frauen. Ich denke, wir müssen viel stärker über die Benutzung von
Kondomen bei Jugendlichen reden. Deswegen könnte
man viel eher darüber nachdenken, ob man nicht Automaten mit Kondomen in den Schulen zur Verfügung
stellt.
Eine weitere Frage.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade gesagt, dass die Aufklärungsquote in Deutschland sehr
hoch sei. Das ist in der Tat so. Aber sind Sie mit mir
nicht der Meinung, dass ein Anstieg der Anzahl der
Teenager-Schwangerschaften von 4 300 auf 5 100 pro
Jahr in den letzten drei Jahren es nicht notwendig macht,
politisch zu handeln, um gerade Schwangerschaften und
damit auch Schwangerschaftsabbrüche von Minderjährigen zu verhindern?
Ich denke, dass wir durch Aufklärung sehr viel
weiter- kommen. Ich möchte aber noch einmal davor
warnen, dass wir uns hier gegenseitig immer wieder bestätigen, dass wir einen sehr großen Anstieg der Anzahl
von TeenagerSchwangerschaften zu verzeichnen haben.
Das ist - auch im internationalen Vergleich - nicht der
Fall. Ich halte nichts davon, dass wir unsere Situation
anders darstellen, als sie wirklich ist. Wir haben einen
leichten Anstieg. Ich habe schon auf die Frage der Kollegin Lenke gesagt: Auch jeder leichte Anstieg muss dazu führen, dass wir darüber nachdenken, was wir bei der
Vergabe von Verhütungsmitteln und in der Aufklärung
verbessern können.
Wir haben diesen
Geschäftsbereich abgearbeitet. Ich danke Ihnen, Frau
Staatsekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Zur Verfügung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gila Altmann.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Dr. Paul Laufs auf:
Wie ist der aktuelle Stand der Genehmigungsverfahren für
innerdeutsche und grenzüberschreitende Atomtransporte?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat am 25. Januar dieses Jahres folgende Beförderungsgenehmigungen für innerdeutsche Transporte gemäß § 4 Atomgesetz
erteilt: Drei Castor-V/19-Behälter vom Kernkraftwerk
Biblis nach Ahaus - das ist der erste Antrag -, drei Behälter vom Kernkraftwerk Biblis nach Ahaus - das ist
der zweite Antrag; es sind zusammen sechs Behälter -,
drei Castor-Behälter desselben Typs vom Atomkraftwerk Neckarwestheim, Block 2, nach Ahaus und drei
Behälter vom selben Atomkraftwerk Neckarwestheim,
Block 1 und 2, nach Ahaus.
Der letzte der fünf Anträge bezieht sich auf drei CastorBehälter vom Atomkraftwerk Philippsburg Block 2 nach
Ahaus.
Bei dem Antrag auf Beförderungsgenehmigung für
den Rücktransport von hochradioaktiven Glaskokillen
von der Cogema in La Hague, Frankreich, in sechs
Castor HAW 20/28-Behältern zum Zwischenlager Gorleben werden vom Bundesamt für Strahlenschutz zurzeit
noch folgende Punkte geprüft: erstens die Vorgaben aus
dem Masterablaufplan der Gutachter zur Vermeidung
von Kontaminationen und zweitens die Bewertung der
Bundesanstalt für Materialprüfung und -forschung zu
den Abweichungen an den einzusetzenden Behältern im
Hinblick auf das verwendete Moderatormaterial im Vergleich zur ursprünglichen Bauartmusterzulassung nach
TRV 006.
Genehmigungen für Transporte von den Atomkraftwerken zu den ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen können vom Bundesamt für Strahlenschutz zurzeit
nicht beschieden werden, weil die Prüfungen zur Vermeidung von etwaigen Kontaminationsvorfällen für diese Transporte noch nicht abgeschlossen sind.
Zusatzfrage, Herr
Kollege?
Ja.
Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
bestätigt die Bundesregierung nunmehr mit den erteilten
Genehmigungen, dass in Deutschland Atomtransporte
von einem äußerst geringen Restrisiko abgesehen ohne
Gefährdung von Menschen und Umwelt durchgeführt
werden können?
Herr Kollege Laufs, diese Entscheidung ist nach
Recht und Gesetz erfolgt. Es handelt sich dabei um eine
gebundene Entscheidung ohne Ermessensspielraum
nach § 4 Abs. 2 Nr. 6 des Atomgesetzes. Das heißt, die
Genehmigung ist vom Bundesamt für Strahlenschutz zu
erteilen, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt
sind. Das ist nunmehr der Fall. Insofern sind diese Genehmigungen erteilt worden.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
können Sie abschätzen, wann die restlichen Prüfungen
für grenzüberschreitende Transporte abgeschlossen sein
werden und die Transportgenehmigungen dann endlich
erteilt werden?
Ich kann Ihnen zu den Transporten in die Wiederaufarbeitung, also nach England bzw. Frankreich, sagen,
dass es hundert Gutachterempfehlungen gab, die abzuarbeiten waren. Dabei ist uns von den Antragstellern angekündigt worden, dass wir Ende Februar mit entsprechenden Informationen zum Stand der Abarbeitung
rechnen können. Das heißt, sie werden den zuständigen
Behörden und Gutachtern vorgelegt. Dann wird man sehen, wie das weitere Verfahren läuft.
Vielen Dank. - Ich
rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf.
Zur Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Gottfried
Haschke auf:
Existieren seitens der Bundesregierung konkrete Vorstellungen für die Konditionen des so genannten Agrardiesels, und wie
hoch ist der Beihilfesatz bei diesem Modell?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Herr Kollege Haschke, mit der ökologischen Steuerreform verfolgt die Regierungskoalition
die Ziele, Energie effizienter einzusetzen und damit zum
Schutz der Umwelt beizutragen und mithilfe der Einnahmen aus der Ökosteuer die Lohnnebenkosten zu senken, um so die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu verbessern und zum Abbau der Arbeitslosigkeit beizutragen.
Die Land- und Forstwirtschaft wird wie das produzierende Gewerbe dadurch entlastet, dass sie über einen
Sockelbetrag von 1 000 DM Ökosteuer jeweils für Heizöl und Gas sowie für Strom nur noch einen einheitlichen
ermäßigten Steuersatz von 20 Prozent des Regelsteuersatzes zu zahlen hat. Dies kommt besonders belasteten
Betrieben wie dem Unterglasanbau, Trocknungsbetrieben und Ferkelzüchtern zugute.
Aus dem Aufkommen dieser ersten Stufe wurden die
Beiträge zur Rentenversicherung um 0,8 Prozentpunkte
gesenkt und ein Förderprogramm für erneuerbare Energieträger aufgelegt.
Aus dem Aufkommen der nächsten Stufen der Ökosteuer werden weitere Senkungen der Rentenbeiträge finanziert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die erwünschten Entlastungen bei den Lohnnebenkosten der
Landwirtschaft in den neuen Ländern mit ihrem höheren
Anteil an Lohnarbeitskräften durchaus zugute kommen.
Im sektoralen Be- und Entlastungsvergleich ist jedoch
festzustellen, dass die Land- und Forstwirtschaft überproportional stark belastet wird. Wegen dieses unausgewogenen Verhältnisses von Be- und Entlastungen hat
der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 3. November 1999 im Rahmen der Beratungen
des Haushaltssanierungsgesetzes und der ökologischen
Steuerreform die Bundesregierung aufgefordert, bis zum
15. Februar 2000 Vorschläge zu unterbreiten, um die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Agrarwirtschaft
weiter zu verbessern, die Land- und Forstwirtschaft im
Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen angemessen
zu entlasten und die Entwicklung ländlicher Räume zu
sichern. Dabei sollen die Auswirkungen der Agenda
2000 und des Haushaltssanierungsgesetzes berücksichtigt werden.
Die Bundesregierung ist dabei, diesen Auftrag umzusetzen. Dabei wird auch die Option Agrardiesel mit unterschiedlichen Steuersätzen in die Prüfung einbezogen.
Entscheidungen sind noch nicht getroffen worden.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege?
Herr Staatssekretär, bei der Einführung des Agrardiesels, der bekanntlich grün gefärbt wird, entsprechende
Behältnisse benötigt und Schwierigkeiten im Fahrzeugeinsatz mit sich bringt, ist eine zusätzliche Logistik erforderlich. Mich würde interessieren, um wie viel sich
der Preis des Diesels durch diese zusätzlichen Maßnahmen erhöhen wird. Es ist bekannt, dass in den umliegenden Ländern die landwirtschaftlich genutzten Fahrzeuge
mit Heizöl fahren. Dadurch entstehen keine zusätzlichen
Kosten.
Herr Kollege, ich hatte ausgeführt, dass die Bundesregierung noch prüft, wie konkret die Entlastungsmaßnahmen ausgeführt werden sollen. Es ist richtig,
dass die von Ihnen beschriebene Situation bei der endgültigen Entscheidung eine Rolle spielen wird.
Auf der anderen Seite gibt es Hinweise, dass die zusätzlichen Kosten, die durch ein solches System entstehen würden, durchaus hinnehmbar sind, zumal auch in
anderen Ländern - Sie hatten das Beispiel Frankreich
angesprochen - Ähnliches praktiziert wird.
Noch eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wann soll der Agrardiesel eingeführt
werden?
Herr Kollege Haschke, ich muss noch einmal auf
meine Antwort verweisen. Die letzte Entscheidung ist
noch nicht getroffen, und - das habe ich in meiner Antwort auf Ihre Frage dargelegt - der 15. Februar ist als
Termin genannt worden. Das ist auch richtig, denn - das
wissen Sie auch - der im vergangenen Jahr entstandene
Anspruch wird in diesem Jahr ausgezahlt, sodass die
Einkommenswirksamkeit der von Ihnen kritisierten Entscheidungen in diesem Jahr überhaupt noch nicht eintritt. Das heißt, wir haben ausreichend Zeit, eine vernünftige Entscheidung zu treffen.
Nun hat der Kollege
Schmidt von der CDU/CSU eine Frage.
Herr
Staatssekretär, in der Antwort auf die Frage des Kollege
Haschke hatten Sie auf die Verwendung der Gelder, die
durch die Ökosteuer aufkommen, hingewiesen. Ich
möchte Sie fragen, wie die landwirtschaftliche Alterssicherung in die Entlastung der Rentenversicherungsbeiträge, von der Sie gerade gesprochen haben, einbezogen
ist. Ich frage das gerade im Hinblick auf den Anteil an
der Ökosteuer, der auch nach Ihrer Agrardieselreform
aus der Landwirtschaft erbracht werden muss. Ich meine
damit nicht nur diejenigen, die sozialversicherungspflichtig abhängig beschäftigt sind, sondern auch diejenigen, die, wie die meisten in der Landwirtschaft, auf ihrem eigenen Hof arbeiten und ihre Sozialversicherungsbeiträge in die Landwirtschaftlichen Alterskassen bezahlen müssen.
Sie müssen eigentlich die Frage nicht beantworten, weil sie nicht zu der
aufgerufenen Frage gehört, aber Sie dürfen es trotzdem.
Es ist mir aber ein Bedürfnis, hier für Klarheit zu
sorgen, Frau Präsidentin.
Erstens ist festzuhalten, dass die sektoralen Einnahmen eines Wirtschaftszweiges nicht nur in diesem Sektor für die Senkung der Rentenbeiträge eingesetzt werden. Das heißt, es gibt hier eine generelle Lösung.
Zweitens: Was die Details der Landwirtschaft anbelangt, so haben wir insbesondere in den alten Ländern
das System der landwirtschaftlichen Alterskasse. Bei
diesem System handelt es sich nicht um eine Vollsicherung, sondern nur um eine Teilsicherung. Dem Rentenbeitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung folgend fließen auch die Mittel aus der Ökosteuer in die
landwirtschaftliche Alterskasse zurück. Das heißt, im
gleichen Prozentsatz erfolgt auch dort eine entsprechende Beitragssenkung für die zur landwirtschaftlichen Alterskasse Beitragspflichtigen.
Aufgrund des Umstandes, dass es sich bei diesem
System nur um eine Teilsicherung handelt, fällt der
Zahlbetrag nicht in gleicher Höhe aus wie zum Beispiel
bei abhängig Beschäftigten, die für die gesetzliche Rentenversicherung beitragspflichtig sind.
Nun hat die Kollegin
Wolff das Wort zu einer Frage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
ich habe in dem Zusammenhang noch eine Frage bzw.
etwas Klärungsbedarf. Mich würde interessieren, wie
stark die Mineralölsteuer in den vergangenen Jahren, in
der letzten Legislaturperiode, erhöht wurde, wie die
Landwirtschaft resultierend daraus belastet worden ist
und was die alte Bundesregierung zur Entlastung der
Landwirte getan hat.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten: Frau Kollegin, ich bin Ihnen dankbar für diese
Frage
({0})
- zur Klarheit ist das schon ein Beitrag -, weil noch
einmal deutlich gemacht werden kann, dass die Koalition mit der Ökosteuer nur dem folgt, was in den vergangenen Legislaturperioden Praxis war, vor allen Dingen
in der ersten Legislaturperiode nach der Wiedervereinigung Deutschlands, nämlich die Mineralölsteuer zu erhöhen, um insbesondere die im Zusammenhang mit der
deutschen Einheit fällig werdenden Lasten in der Rentenversicherung zu finanzieren.
Was die Landwirtschaft konkret betrifft, so war sie
von den Erhöhungen der Mineralölsteuer auf Diesel in
Höhe von 17 Pfennigen betroffen, ohne dass im gleichen
Zeitraum die Gasölbeihilfe verändert wurde. Das heißt,
diese Dieselsteuererhöhung ist für die Landwirtschaft in
dem besagten Zeitraum voll einkommenswirksam geworden.
({1})
Jetzt hat der Kollege
Straubinger eine Frage.
Herr Staatssekretär,
wäre es angesichts der durch Kollegen Haschke beschriebenen Schwierigkeiten bei der Einführung des
Agrardiesels nicht vielleicht zweckmäßiger, wieder das
normale Verfahren anzuwenden, nämlich die Gasölverbilligung wieder so an die Bauern zurückzugeben, wie
es in der vergangenen Legislaturperiode gang und gäbe
war?
Herr Kollege, mit der Forderung, Agrardiesel einzuführen, folgt die Bundesregierung weitestgehend der
Forderung des Deutschen Bauernverbandes. Wir machen das selten genug und wollen gerade in dem Punkt
die Wünsche des Bauernverbandes nachdrücklich prüfen.
Nun möchte der
Kollege Deß eine Frage stellen.
Herr Staatssekretär, Sie
haben ausgeführt, dass die Landwirtschaft über einen
Sockelbetrag von 1 000 DM hinaus nur 20 Prozent Steuern bezahlen muss. Hier könnte in der Öffentlichkeit ein
falscher Eindruck entstehen. Ist Ihnen bekannt, dass
durch diesen Sockelbetrag 90 Prozent der bäuerlichen
Betriebe eben nicht entlastet werden?
Es ist mir bekannt, und ich darf auch hier auf die
Antwort verweisen.
Ich habe in meiner Antwort ausgeführt, dass ein
Sockelbetrag von 1 000 DM gilt und auf den darüber
hinausgehenden Betrag dann der Steuersatz von 20 Prozent angewandt wird. Ich habe weiterhin ausgeführt,
dass diese Regelung im Wesentlichen den Betrieben zugute kommt, die einen hohen Energieeinsatz bei Gas und
bei Strom haben. Das heißt, dass der Großteil der Betriebe an dieser Regelung nicht partizipieren kann.
Ich rufe jetzt die
Frage 5 des Kollegen Gottfried Haschke ({0}) auf:
Ist damit die Einführung einer Förderobergrenze in Höhe von
3 000 DM je Unternehmen obsolet?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten: Sehr geehrter Herr Kollege Haschke, grundsätzlich kann zu Ihrer Frage festgestellt werden, dass im
Falle einer Einführung von Agrardiesel mit einem reduzierten Steuersatz die verbliebene Gasölverbilligung und
die ab 2000 geltende Obergrenze von 3 000 DM je Unternehmen entfallen würden.
Eine Zusatzfrage? Nein, es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Dann danke
ich dem Herrn Staatssekretär Dr. Thalheim für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatssekretärin Ulrike
Mascher zur Verfügung.
Ich rufe Frage 6 des Kollegen Dr. Martin Mayer
({0}) auf:
Wie ist der Stand der im Dezember 1999 von der Bundesanstalt für Arbeit geplanten Dienstanweisung, die praktisch zum
bundeseinheitlichen Verbot der Erteilung von Arbeitsgenehmigungen für ausländische EDV-Spezialisten mit Hochschulabschluss führen soll?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Vielen Dank,
Frau Präsidentin.- Herr Dr. Mayer, ich würde mit Ihrer
Erlaubnis gerne die Fragen 6 und 7 gemeinsam beantworten.
({0})
Ich rufe dann auch
die Frage 7 auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass die Erteilung von Arbeitsgenehmigungen für ausländische EDVSpezialisten erleichtert werden soll, um den Wirtschafts- und
Forschungsstandort Deutschland zu stärken?
Die Bundesanstalt für Arbeit hat mitgeteilt, dass keine Dienstanweisung geplant ist, die die bisherige Praxis der Erteilung
von Arbeitserlaubnissen an ausländische EDV-Spezialisten einschränkt oder sogar unterbindet. Nach der
Regelung des § 5 Nr. 2 der ASAV kann ausländischen
Fachkräften mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss oder mit vergleichbarer Qualifikation branchenunabhängig die Arbeitserlaubnis als Ausnahme vom
Anwerbestopp erteilt werden, wenn an der Beschäftigung aufgrund ihrer besonderen fachlichen Kenntnisse
ein öffentliches Interesse besteht. Soweit diese Voraussetzungen auch bei ausländischen EDV-Fachkräften
vorliegen, können von den Arbeitsämtern wie bisher im
Ausnahmefall Arbeitserlaubnisse erteilt werden. Die
Regelung lässt allerdings auch weiterhin eine generelle
Erteilung von Arbeitserlaubnissen an ausländische
EDV-Fachkräfte - das kommt möglicherweise in Ihrer
Fragestellung zum Ausdruck - nicht zu.
Mit der Frage des in der EDV-Branche bestehenden
Bedarfs an Fachkräften hat sich das Bündnis für Arbeit,
Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen des
Fach- und Themendialogs „Beschäftigungspotenziale im
Bereich der IuK-Technologien“ eingehend befasst. Die
am Dialog Beteiligten haben unter anderem folgende
konkrete Vereinbarungen zur Reduzierung des Fachkräftemangels im IT-Bereich getroffen: Steigerung des
Ausbildungsvolumens in den neuen IT- und Medienberufen auf 40 000 Plätze innerhalb der nächsten drei Jahre; Einrichtung eines Ausbildungsfonds von IT-Unternehmen; Aufbau eines IT- und medienspezifischen
Weiterbildungssystems sowie bundesweiter und regionaler Netzwerke zur Fachkräfteentwicklung und zur
Fachkräftegewinnung und Ausweitung des Weiterbildungsangebotes der Bundesanstalt für Arbeit.
Im Rahmen der jetzt abgesprochenen Maßnahmen
wird die Bundesanstalt für Arbeit ihr bisheriges Weiterbildungsangebot in Höhe von rund 30 000 Plätzen für
die Jahre 2000 bis 2003 auf 35 000 Plätze ausweiten und
damit allein zirka 100 000 Fachkräfte für den IT-Bereich
gewinnen können. Bereits 1999 hat die Bundesanstalt
für Arbeit knapp 1 Milliarde DM in Weiterbildungsmaßnahmen in diesem Bereich investiert. Für keine andere Branche werden von der Bundesanstalt für Arbeit
damit mehr Mittel für die Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen eingesetzt.
Mit den verabredeten Maßnahmen sind erhebliche
Initiativen angestoßen worden, um in den nächsten Jahren für eine ausreichende Zahl an Fachkräften zu sorgen.
Die Bundesregierung wird die Entwicklung des Arbeitsmarktes sorgfältig beobachten und prüfen, ob die
eingeleiteten Maßnahmen zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs ausreichen. Gegenwärtig ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, dass die Erteilung von
Arbeitsgenehmigungen an ausländische EDV-Spezialisten erleichtert werden soll. Wie in den anderen
Branchen muss auch im Bereich der Datenverarbeitung
das Problem der ausreichenden Gewinnung von Fachkräften durch Maßnahmen auf dem inländischen Markt
gelöst werden. Die Zulassung von Arbeitnehmern aus
dem Ausland würde die Ursachen des Mangels nicht beheben, sondern allenfalls kurzfristig verdecken. Angesichts von knapp 4 Millionen Arbeitslosen, darunter
auch rund 31 000 arbeitslose EDV-Fachleute, dürfen die
gerade im Bereich der Informationstechnologie bestehenden und wachsenden Beschäftigungsmöglichkeiten
für die Arbeitssuchenden beschäftigungspolitisch nicht
vertan werden.
Die erste Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, darf ich Ihre Antwort so interpretieren,
dass es auch keinerlei schriftliche Anweisungen an die
Arbeitsämter gibt, die den Vollzug vereinheitlichen und
dadurch die Situation in einigen Arbeitsamtsbereichen
verschärfen, indem nämlich ausländische Bewerber
vermehrt abgelehnt werden?
Nach meiner
Information hat die Bundesanstalt keine Dienstanweisung geplant, die die bisherige Praxis einschränken soll.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Teilen Sie meine Auffassung, dass sich gerade der Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik
dadurch auszeichnet, dass Unternehmen, Unternehmensteile und damit Arbeitsplätze sehr flexibel sind - das
heißt, sie können innerhalb kürzester Zeit und ohne großen Aufwand von einem Land ins andere verlegt werden -, und dass deshalb für die IuK-Branche eine Sonderregelung, die eine großzügigere Ausnahmegenehmigungspraxis zulässt, angebracht wäre?
Herr
Dr. Mayer, Sie haben aus meiner Antwort sicherlich
entnommen, dass die Bundesregierung eine solche Sonder- oder Ausnahmeregelung gegenwärtig nicht für den
richtigen Weg hält. Vielmehr unternehmen wir ganz erhebliche Anstrengungen im Bereich der Fort- und Weiterbildung. Im Rahmen des Branchendialogs haben wir
konkrete Verabredungen getroffen. Ich habe Ihnen auch
gesagt, dass wir den Arbeitsmarkt sorgfältig beobachten
werden.
Dritte Zusatzfrage,
bitte sehr.
Darf
ich Ihnen dann zur Kenntnis geben, dass nach meiner
Auffassung diese Haltung der Bundesregierung kein
Beitrag dazu ist, Deutschland eine Spitzenstellung in
dieser wichtigen Zukunftsbranche zu verschaffen?
Herr Mayer,
ich nehme Ihre Einschätzung zur Kenntnis. Ich teile sie
nicht.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesarbeitsministeriums abgearbeitet. Ich danke der Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Siegfried Scheffler zur Verfügung.
Die Frage 8 des Kollegen Dirk Niebel wird auf
Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Klaus Hofbauer
auf:
Welche Zielsetzung wird die Novelle zum Regionalisierungsgesetz im Zuge der Bahnreform zum Inhalt haben?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Frau Präsidentin, wenn Sie und Kollege Hofbauer gestatten, möchte ich Frage 9 und Frage 10 zusammen beantworten, da sich beide Fragen mit dem Regionalisierungsgesetz beschäftigen. In Frage 10 geht es darum, zu welchem Termin dem Parlament die Novelle
vorgelegt wird; in Frage 9 geht es um den Inhalt der Novelle.
Wir sind beide einverstanden. Ich rufe daher auch die Frage 10 auf:
Wann wird die Novelle zum Regionalisierungsgesetz im Zuge der Bahnreform dem Parlament zur Beratung vorgelegt werden?
Uns ist bekannt, dass mit dem Regionalisierungsgesetz
den Ländern die Zuständigkeit übertragen wurde. Auf
Wunsch der Länder wurde im Regionalisierungsgesetz
festgelegt, den Mittelbedarf für die Aufrechterhaltung
des Fahrplans 1993/1994 im Zeitraum von 1998 bis
2001 zu überprüfen und entsprechend anzupassen.
Die Bundesregierung hat nach wie vor die Absicht,
diesen gesetzlichen Auftrag umzusetzen. Aber bei der
Änderung des Regionalisierungsgesetzes werden die Ergebnisse eines vom Bund im Einvernehmen mit den
Ländern vorgegebenen Gutachtens zu berücksichtigen
sein. Danach sinkt der Finanzbedarf für das Fahrplanangebot 1993/1994 ab 1999. Außerdem ist die Verteilung
zwischen den Ländern untereinander zu korrigieren. So
viel zu Frage 9.
Zu Frage 10. Die Änderung des Regionalisierungsgesetzes bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Bisher
haben die Länder eine konsequente Umsetzung der Ergebnisse des gemeinsam begleitenden Gutachtens mehrheitlich abgelehnt. Entsprechend dem Beschluss der
Verkehrsministerkonferenz vom 21./22. April vorigen
Jahres haben die Länder im Mai 1999 einen Gesetzentwurf erarbeitet, der eine Änderung des Regionalisierungsgesetzes zugunsten der Länder an eine Änderung
des Bundesschienenwegeausbaugesetzes gekoppelt hat.
Bund und Länder haben hierzu Gespräche auf politischer Ebene mit dem Ziel aufgenommen, hier einen abgestimmten Gesetzentwurf einzubringen. Dieser Gesetzentwurf soll die Interessen beider Seiten, sowohl die der
Länder als auch die des Bundes, berücksichtigen. Bisher
ist es dabei zu keiner Annäherung der Position gekommen. Wann mit einem Abschluss der Verhandlungen gerechnet werden kann, lässt sich gegenwärtig noch nicht
abschätzen.
Erste Zusatzfrage.
Frau Präsidentin!
Herr Staatssekretär, können Sie kurz beschreiben, welche Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund
und den Ländern bestehen?
Wenn es erlaubt ist, Frau Präsidentin, möchte ich
gleich die zweite Frage stellen. Wird durch eine Änderung des Gesetzes dafür gesorgt, dass vor allem die Erschließungsfunktion, die bisher ein wesentlicher Grundsatz zur Schaffung von Flexibilität im ländlichen Raum
war, auch in Zukunft aufrecht erhalten bleibt?
Es
gibt Meinungsverschiedenheiten darüber - obwohl vorher Einvernehmen bestand, das auch in dem Gutachten
zum Ausdruck kommt -, dass der Finanzbedarf der Länder bis zum Jahre 2001 insgesamt um rund 800 Millionen DM - das ist insgesamt eine Marge von
1,6 Prozent - sinkt, ohne dass das aber Auswirkungen
auf den Gesamtfinanzrahmen hat.
Das Problem ist, dass sich die Länder untereinander
zunächst nicht geeinigt haben. Sie kennen - ich spreche
das noch einmal an - den Beschluss der Verkehrsministerkonferenz vom April des vorigen Jahres, als die
Länder den Entwurf eines Artikelgesetzes vorgelegt haben, in dem grundsätzlich eine Änderung des Regionalisierungsgesetzes - ich sage hier: einseitig zulasten des
Bundes - mit einer Änderung des Schienenwegeausbaugesetzes verknüpft werden sollte.
Die Länder haben in Bezug auf das Regionalisierungsgesetz folgende Änderungen vorgeschlagen: Neuverteilung der Regionalisierungsmittel gemäß § 8, Abs.
1 zwischen den Ländern im Zeitraum von 1998 bis
2001; eine Überprüfung des Mittelbedarfs für einen
festgesetzten Leistungsumfang; bis zum 31. Dezember
2001 - das berührt schon Ihre zweite Frage - eine so genannte zweite Revision sowie eine Neuverteilung der
Mittel zwischen den Ländern, wie von mir schon angesprochen, ab 2002.
Hierzu muss ich Ihnen mitteilen, dass der Entwurf zur
Änderung des Regionalisierungsgesetzes weder die Ergebnisse des von Bund und Ländern gemeinsam begleiteten Gutachtens noch die Regelungen enthält, die mit
dem Bund im Zuge von Kompromissverhandlungen am
Ende der letzten Legislaturperiode, also unter Ihrer Regierung, bereits vereinbart worden waren. Ich denke nur
an die Entlastung des Bundeshaushalts - das wollte auch
der damalige Verkehrsminister Wissmann - um rund
500 Millionen DM.
Ohne Berücksichtigung des angesprochenen Gutachtens, also der Wibera-Ergebnisse, kann der Bund deshalb einer Neufassung nicht zustimmen.
Dritte Zusatzfrage.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
die Erschließung des ländlichen Raums ist für uns von
größter Bedeutung. Teilen Sie meine Auffassung, dass
bei einem neuen Gesetz auch diese Funktion erhalten
bleiben muss, damit die Flexibilität der Menschen im
ländlichen Raum durch den Einsatz öffentlicher Verkehrsmittel sichergestellt wird?
Da
die Länder dies von einer Änderung des Schienenwegeausbaugesetzes abhängig machen, unter anderem einer Erhöhung des Anteils für Investitionen in Schienenpersonennahverkehrswege oder einer Gewährung von
Baukostenzuschüssen, darf ich Ihnen sagen, dass bereits
heute 30 Prozent der Investitionen in Schienenwege, die
allein dem Schienenpersonennahverkehr dienen, vom
Bund getätigt werden. Indem aber die Länder bei Maßnahmen nach § 8 Schienenwegeausbaugesetz eine ausreichende langfristige Bestellung entsprechender Schienenpersonennahverkehrsleistungen ablehnen und die
Refinanzierung der von Ihnen geforderten Investitionen
verweigern, stellen sie die gemeinsam vereinbarte und
durch den Gesetzgeber festgelegte Bahnreform in Frage.
Danke schön. - Ich
rufe nun die Frage 11 der Kollegin Dr. Erika Schuchardt
auf:
Warum ist bereits vor der offiziellen Ausschreibung für die
Bewerbung um einen Standort für die Europäische Luftfahrtbehörde auf Anfrage aus Braunschweig vom Parlamentarischen
Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen, Lothar Ibrügger, mit Schreiben vom 24. November 1999 mitgeteilt worden, dass Braunschweig - weltweit
bekannt als Sitz der nationalen Luftfahrtbehörde - von einer
Bewerbung als Standort für die europäische Luftfahrtbehörde
absehen solle, um die Chancen einer anderen deutschen Bewerbung nicht zu schmälern?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Kollegin Schuchardt, Frau Präsidentin, gestatten
Sie, dass ich die Fragen 11 und 12 im Zusammenhang
beantworte, da sich beide Fragen mit einer künftigen Europäischen Luftfahrtbehörde beschäftigen?
Wir sind einverstanden.Ich rufe daher auch die Frage 12 auf:
Warum werden die Synergieeffekte, die sich aus der Ansiedlung einer europäischen Luftfahrtbehörde am gleichen
Standort wie die nationale Luftfahrtbehörde ergeben würden,
von der Bundesregierung im Falle Braunschweigs negativ gesehen, obwohl die Mitbewerberländer ({0}) sich gerade mit diesem Argument bewerben werden, nämlich dass sich durch die Nähe von
nationaler und europäischer Luftfahrtbehörde positive Synergieeffekte erzielen lassen und das Beispiel der nationalen und
europäischen Patentämter in München die Entscheidung zugunsten der Synergieeffekte rechtfertigt?
Zunächst zur Frage 11: Die Bundesregierung misst der
Gründung der künftigen europäischen Behörde für Luftverkehrssicherheit und einer deutschen Beteiligung bei
der Bewerbung um den Sitz der Behörde große Bedeutung zu. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Wohnungswesen als federführendes Ressort für diese
Fragen ist daher bestrebt, dass das unter Berücksichtigung vieler Faktoren beste der möglichen Angebote für
eine Bewerbung rechtzeitig vorbereitet wird. Es ist derzeit noch nicht eindeutig absehbar, in welcher Form diese Behörde gegründet werden wird, ob als internationale
Organisation oder als Organ der Gemeinschaft. Eine
Ausschreibung erfolgt in der Regel nicht. Der Standort
wird voraussichtlich auf höchster politischer Ebene festgelegt werden. Eine frühzeitige Vorbereitung der deutschen Bewerbung ist hierfür natürlich unerlässlich.
Zur Frage 12: Da bisher Bewerbungen anderer Länder weder inhaltlich bekannt noch verteilt worden sind,
kann die Darstellung, dass sich die Mitbewerberländer
mit dem Argument der Synergieeffekte bewerben werden, nicht bestätigt werden. Die künftige europäische
Behörde für Luftverkehrssicherheit wird sowohl mit der
Erstellung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt als auch in Teilen mit deren Anwendung beauftragt
sein. Daneben wird sie die nationalen Luftfahrtbehörden
im Hinblick auf eine einheitliche Anwendung der Vorschriften überprüfen.
Die derzeitigen Erfahrungen mit der Zusammenarbeit
innerhalb der Arbeitsgemeinschaft der europäischen
Luftfahrtverwaltungen, zeigen, dass die Mitgliedstaaten
für diese Aufgaben ihre Experten werden einbringen
wollen. Die künftige Behörde wird daher natürlich strikt
auf Neutralität und gleiche Chancen bei der Wahl der
Mitarbeiter achten müssen, was mit einer örtlichen
Trennung von der nationalen Luftfahrtbehörde zum
Ausdruck gebracht werden kann. Synergieeffekte sind
daher kaum als Argument einer Bewerbung dienlich.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte sehr.
Sie haben sehr
deutlich gesagt, dass der beste Standort gewählt werden
soll. Es ist bekannt, dass die Stadt - Braunschweig als
Sitz der nationalen Behörde - ein Gutachten in Auftrag
gegeben hat, das nun vorliegt und aus der neutralen
Sicht von Braunschweig als bestem Standort - internationale Schule, soziale Kultur, öffentliche Verkehrsanbindung und vieles andere mehr - spricht. Wie kommt
es dann, dass das Verkehrsministerium Braunschweig
abrät, sich überhaupt öffentlich zu äußern oder zu bewerben, um einen anderen deutschen Standort möglicherweise nicht zu gefährden?
Sehr geehrte Frau Kollegin Schuchardt, wie schon in Ihren schriftlichen Fragen zum Ausdruck kommt, insistieren Sie darauf, dass dem Ministerium eine offizielle Anfrage aus Braunschweig vorliege.
({0})
Nicht nur im Zusammenhang mit diesem, sondern auch
mit anderen Auswahlverfahren innerhalb der Europäischen Union ist es nicht gut, wenn wir in der Öffentlichkeit darüber reden, bevor eine Standortentscheidung gefallen ist oder überhaupt Kandidaten öffentlich bekannt
sind. Das ist mit Blick auf andere europäische Mitbewerber nicht sehr günstig.
Fakt ist, dass ein Kollege aus dem Deutschen Bundestag dem Bundesminister einen Brief geschrieben hat
und sehr konkret auf den Standort, den Sie genannt haben, eingegangen ist. Der Kollege Ibrügger hat geantwortet, dass unbeschadet anderer Bewerber - europäische Bewerberstädte sind uns nicht bekannt - die Synergieeffekte, die Sie in Ihrer schriftlichen Frage herausgehoben haben, für die Standortauswahl nicht unbedingt
zwingend notwendig sind. Hier hat sich der Kollege
Ibrügger sehr korrekt verhalten, da er eine Standortentscheidung nicht noch konkreter vorwegnehmen wollte.
Ich sage in diesem Zusammenhang noch einmal: Ich
finde es nicht gut, dass dieser Standort in der Öffentlichkeit schon diskutiert wird. Ich verstehe, dass Sie als
Kollegin aus Braunschweig aus regionalen Gründen
gerne möchten, dass es eine Antwort des Ministeriums
auf ihren Standortvorschlag gibt. Aber aus Gründen der
Vertraulichkeit bzw. wegen der noch bevorstehenden
Gespräche mit den europäischen Nachbarn können wir
jetzt keine Standortdebatte führen.
Die zweite Zusatzfrage.
Sie haben darauf abgehoben, dass andere Bewerber nicht bekannt
seien. Sie sind aber bekannt: Alle drei Mitbewerberländer, nämlich die Niederlande mit Amsterdam, Österreich mit Wien und Frankreich mit Paris, haben dort nationale Behörden und wünschen sich diese
europäische Behörde wegen des Synergieeffekts. Bei der
Entscheidung für das Bundespatentamt in München war
der Synergieeffekt genau das Kriterium, die nationale
und die europäische Patentbehörde zusammenzulegen.
Dieser Effekt wird in dem von Ihnen zitierten Brief von
Staatssekretär Ibrügger nun als negativ und belastend
dargestellt.
Ich als Bundestagsabgeordnete aus Braunschweig
möchte darauf hinweisen, dass wir über fünf bundeseigene Forschungseinrichtungen verfügen. Angesichts der
veränderten Situation, die sich aus dem Mauerfall und
damit aus wegfallenden Subventionen ergeben hat, sind
wir darauf angewiesen, dass Arbeitsplätze bei uns geschaffen werden. Vorleistungen sind erbracht. Die nationale Behörde hat sich in den letzen fünf Jahren zum
Dienstleistungsbetrieb mit großer internationaler Anerkennung entwickelt. Gibt es also einen besseren Standort als Braunschweig?
({0})
Werte Kollegin Schuchardt, ich stimme Ihnen insofern
zu, als dass die Bundesrepublik Deutschland als eine
unter vielen Bewerberinnen unter Berücksichtigung
vieler Faktoren darauf bedacht sein muss, dass der beste
Vorschlag vorgelegt wird.
Dabei spielen natürlich auch die internationale Verkehrsanbindung, der Bekanntheitsgrad des Standortes,
das Vorhandensein internationaler Schulen, ein ansprechendes multikulturelles Umfeld wie auch steuerliche
Bedingungen - diese Punkte haben Sie ja teilweise genannt - eine Rolle. Diese Faktoren werden für den
künftigen Sitz der ESA ausschlaggebend sein. Angesichts der Tatsache, dass sich die Bundesregierung zu
dieser Frage noch nicht geäußert hat und dass wir zu einem Konsens mit unseren europäischen Nachbarn
kommen müssen, können wir mit Ihnen jetzt keine
Standortdebatte führen.
Ich danke Herrn
Staatssekretär Scheffler. Damit haben wir diesen Bereich abgearbeitet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Hans Martin Bury zur Verfügung.
Die Frage 13 wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 14 des Kollegen Dr. Guido
Westerwelle auf:
Hat die Bundesregierung die in der Wochenzeitschrift „Der
Spiegel“ Nr. 3 ({0}) auf den Seiten 47 bis 49 mit
dem Titel „Den Wandel gestalten“ erschienene und von Gerhard
Schröder und Joschka Fischer unterschriebene Anzeige in Auftrag gegeben oder daran mitgewirkt?
Herr Staatsminister, bitte.
Frau Präsidentin, Ihr Einverständnis, Herr Kollege Westerwelle, vorausgesetzt, möchte ich beide Fragen zusammen beantworten.
Ich rufe also noch
die Frage 15 des Kollegen Dr. Guido Westerwelle auf:
Hat die Bundesregierung diese Anzeige bezahlt?
Die Antwort lautet: Nein.
({0})
Herr Westerwelle,
Sie haben vier Zusatzfragen. Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Wer hat die Anzeige bezahlt?
Da die Anzeige nicht von der Bundesregierung
in Auftrag gegeben worden ist, kann ich Ihnen vonseiten
der Bundesregierung keine Auskunft darüber geben.
Nach meiner Kenntnis handelt es sich dabei um eine
Anzeige der Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Wollen Sie mir
damit sagen, dass Sie als Vertreter der Bundesregierung
nicht konkret wissen, wer diese Anzeige, die die Unterschrift des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers der
Bundesrepublik Deutschland trägt, bezahlt hat?
({0})
Herr Kollege Westerwelle, ich habe Ihnen
schon gesagt, dass es sich nicht um eine Anzeige der
Bundesregierung handelt. Es handelt sich nach meiner
Kenntnis vielmehr um eine Anzeige der Regierungsparteien, die von diesen in Auftrag gegeben und nach meiner Kenntnis auch bezahlt worden ist.
Dritte Zusatzfrage.
Das reicht wirklich. Vielen Dank.
Herr Koppelin, bitte
sehr.
Der Kollege Westerwelle hat eben darauf aufmerksam gemacht, dass sowohl
der Bundeskanzler als auch der Vizekanzler diese Anzeige unterzeichnet haben. Wollen Sie sagen - ich wiederhole das; es wäre eigentlich ein Armutszeugnis, wenn
Sie bei Ihrer Antwort blieben -, dass Sie nicht wissen,
wer diese Anzeige in Auftrag gegeben hat?
({0})
Herr Koppelin, ich habe diese Frage bereits beantwortet: Nach meiner Kenntnis haben die Parteien
SPD und Bündnis 90/Die Grünen - denen die beiden
Genannten, wie Sie wissen, angehören - diese Anzeige
in Auftrag gegeben.
({0})
Nun gibt es noch eine Zusatzfrage.
Halten Sie
es unter juristischen Gesichtspunkten für korrekt, eine
Anzeige zu schalten, ohne den Auftraggeber der Anzeige zu kennzeichnen?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat die Anzeige, wie ich bereits sagte, nicht geschaltet.
Damit sind die Fragen beantwortet. Ich danke Herrn Staatsminister Bury
und rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes
auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. Zöpel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Jürgen Koppelin
auf:
Wird der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer,
allein durch Angehörige des Bundeskriminalamtes gesichert
oder gibt es für ihn auch Sicherheitskräfte, die nicht dem Bundeskriminalamt angehören?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Koppelin, die
alleinige und ausschließliche Zuständigkeit für den Personenschutz des Bundesministers des Auswärtigen liegt
beim Bundeskriminalamt.
Zusatzfrage.
Gehe ich recht in der
Annahme, dass Sie meine Frage nicht beantwortet haben? Damit Sie konkret antworten können, darf ich noch
einmal nachfassen - ich setze ja Ihren guten Willen voraus -: Gibt es Situationen, wo der Bundesaußenminister
nicht von Personen des Bundeskriminalamtes gesichert
und begleitget wird, sondern von privaten Sicherheitsdiensten?
Darüber liegen dem Auswärtigen Amt keine
Kenntnisse vor.
({0})
Im Moment antwortet der Herr Staatsminister.
({0})
- Das ist keine Regierungsbefragung, sondern eine Frage an den Bereich Auswärtiges Amt.
Der Herr Staatsminister hat die Frage beantwortet.
Gibt es eine Zusatzfrage? - Herr Kollege Koppelin, bitte
sehr.
Ist dem Bundesaußenministerium bekannt, dass es bei Bündnis 90/Die Grünen Beschlüsse geben soll, wonach man auf Parteitagen
keine Polizei sehen will, wobei als Konsequenz daraus
der Bundesaußenminister auf Parteitagen der Grünen
eben nicht durch das Bundeskriminalamt gesichert wird?
Herr Koppelin, wie Sie setze ich grundsätzlich
guten Willen sowie ein Erkenntnisinteresse voraus. Ich
wäre Ihnen dankbar, das auch mir und dem Auswärtigen
Amt zu unterstellen.
Ich habe Ihre Frage ausführlich persönlich besprochen, auch weil mich interessierte, was Sie eigentlich
wollen. Auch nach dieser Besprechung mit den zuständigen Beamten des Auswärtigen Amtes kann ich hier
nur antworten: Das Bundeskriminalamt läßt sich die
Verantwortung für den Personenschutz von Bundesminister Fischer, der in Sicherheitsstufe 1 ist, von niemandem nehmen und teilt sie mit niemandem. Das Bundeskriminalamt ist für die Sicherheit verantwortlich und
nimmt sie immer und überall wahr. Das ist das, was ich
Ihnen sagen kann.
Zusatzfrage?
Ich bin mir nicht darüber
im Klaren, ob der Herr Staatsminister meine Frage 17
schon in die Beantwortung einbezogen hat.
Auch ich habe gerade darüber nachgedacht. Ich glaube, wir lassen es damit
bewenden. Herr Dr. Westerwelle hat noch eine Frage zu
der Frage 16. Dann trennen wir davon die Antwort auf
die Frage 17, damit wir im Verfahren bleiben.
Herr Dr. Westerwelle, zur Frage 16.
({0})
- Gut.
Dann rufe ich die Frage 17 des Kollegen Koppelin
auf:
Wird der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer,
auf Veranstaltungen von Bündnis 90/Die Grünen, zum Beispiel
auf Parteitagen, ausschließlich von Angehörigen des Bundeskriminalamtes gesichert?
Ich gebe dem Herrn Staatsminister Gelegenheit zur
Beantwortung.
Nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes - damit wiederhole ich das sinngemäß - teilt das Bundeskriminalamt seine Verantwortlichkeit im Rahmen des
Personenschutzes für Bundesminister Fischer mit niemand anderem.
Bei größeren politischen Veranstaltungen, zu denen
Parteitage von Bündnis 90/Die Grünen - wie Parteitage
anderer Parteien - gehören mögen, ergibt sich eine aufgabengerechte Zusammenarbeit mit der jeweiligen Landespolizei.
Eine erste Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie
können also ausschließen, dass aus dem Etat des Auswärtigen Amtes zusätzliche private Sicherheitsdienste
bezahlt werden?
Meine Besprechung mit den zuständigen Beamten hat entsprechende Erkenntnisse nicht ergeben.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, um
Ihnen eine Chance zu geben, dass Sie hier nichts Falsches sagen - ich will ganz fair sein und möchte Sie
nicht in Schwierigkeiten bringen -: Wären Sie bereit,
das in Ihrem Hause noch einmal zu recherchieren und
mir zügig eine schriftliche Antwort zu geben?
Gerne. Ich sage Ihnen ganz offen - lassen Sie
uns unproblematisch miteinander umgehen und nichts
unterstellen -: Wir haben lange darüber nachgedacht,
was Sie mit Ihrer Frage wollen. Man kann hier auf einen
Gedanken kommen. Nach dem Gespräch, das ich gestern geführt habe, haben sich für mich solche Erkenntnisse nicht ergeben. Ich danke Ihnen für die neue Frage.
Selbstverständlich wird das Auswärtige Amt Ihrer Frage
nachgehen und selbstverständlich werden Sie eine Antwort in der von Ihnen jetzt gewünschten Form bekommen. Ihre Bemerkung, dass das zügig sein soll, nehme
ich auf und werde alles tun, dass das auch eintritt.
Nun hat Herr Dr.
Westerwelle eine Zusatzfrage.
({0})
- Es ist so umfassend geantwortet worden, dass Sie ganz
glücklich sind, Herr Westerwelle. Darüber freue ich
mich besonders.
Nun rufe ich die Frage 18 des Kollegen Hartmut Koschyk auf:
Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung über die
Bewertung der Europäischen Kommission, ob das Reprivatisierungs-, Entschädigungs- und Restitutionsrecht in Staaten, die die
Aufnahme in die Europäische Union begehren wie vor allem
Polen und die Tschechische Republik, mit dem Rechtsbestand
der Europäischen Union ({1}) vereinbar ist,
und welche eigene Auffassung vertritt die Bundesregierung gegenüber der Europäischen Union und den betreffenden Staaten?
Die Europäische Kommission hat sich nach
Kenntnis der Bundesregierung bisher nicht zu der Frage
der Rechtmäßigkeit von Privatisierungs-, Entschädigungs- und Restitutionsrecht in Staaten, die die Aufnahme in die Europäische Union begehren, geäußert.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass kein Mitgliedstaat der Europäischen Union die Beitrittsverhandlungen durch offene bilaterale Fragen belasten sollte. Sie
vertraut darauf, dass die Beitrittsländer den „acquis
communautaire“ respektieren werden und die Kommission dies in den Beitrittsverhandlungen durchsetzen
wird. Selbstverständlich beobachtet die Bundesregierung
die Entwicklung in allen Beitrittsländern auch unter diesem Aspekt sorgfältig.
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Hält vor diesem
Hintergrund, Herr Staatsminister, die Bundesregierung
das Gesetz Nummer 87/1991 über die Restitution enteigneten Vermögens in der Tschechischen Republik sowie den im September 1999 von der polnischen Regierung verabschiedeten Entwurf für eine Reprivatisierungsgesetz vor allem im Hinblick auf die Ausschlusstatbestände, insbesondere die Bestimmungen zur Staatsangehörigkeit, mit dem Gemeinschaftsrecht für vereinbar?
Herr Kollege Koschyk, egal welches Werturteil Sie über mich abgeben: Ich halte es nicht für möglich, eine Zusatzfrage zu einem so spezifischen Gesetz
aus dem Kopf so zu beantworten, dass eine Antwort der
internationalen Verantwortung, die hier besteht, gerecht
werden könnte. Selbstverständlich bekommen Sie nach
einer Prüfung die von der Bundesregierung für richtig
gehaltene Antwort.
Noch eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatsminister,
Sie haben in Ihrer Antwort, darauf hingewiesen, dass
Ihnen nicht bekannt ist, wie die Europäische Union und
auch ihre Organe mögliche Restitutions- und Reprivatisierungsgesetze in Staaten, die eine Aufnahme in die Europäische Union begehren, bewerten. Kann die Bundesregierung Zeitungsmeldungen bestätigen, dass der für
diesen Themenkomplex zuständige EU-Kommissar
Günter Verheugen auf der Jahreskonferenz des DeutschTschechischen Gesprächsforums Ende November 1999
in Brünn festgestellt hat, die Europäische Union werde
darüber wachen, dass der Fortbestand der Beneš-Dekrete
in der Tschechischen Republik in gegenwärtig und zukünftig anhängigen Fällen, insbesondere im Restitutionsbereich, keine diskriminierende Wirkung entfaltet?
Das kann ich zufällig selbst bestätigen, wie
vermutlich auch Ihr Informant, der geschätzte Kollege
Schmidt. Denn ich habe diese Äußerung gehört. Es ist
auch eine Selbstverständlichkeit: Ab diesem Tag kann es
für die Tschechische Republik - und in dem von Ihnen
vorher angeführten Fall Polen - ungeschadet des noch
zu bewertenden Gesetzes - nur ein Vermögensrecht geben, das dem „acquis communautaire“ der EU entspricht. Ab diesem Tag kann es keine diskriminierenden
Bestimmungen mehr geben, die sich von den Bestimmungen in anderen Staaten unterscheiden. Das ist die
Haltung der Europäischen Union und das ist auch die
Haltung der Bundesregierung. Der Dialog ist zu trennen
von der Bewertung von Ex-tunc-Regelungen und Ähnlichem. Aber ab dem Tag des Beitritts gilt der „acquis
communautaire“, und dann kann es keine Diskriminierungen mehr geben. Es wäre zu hoffen, dass bis dahin
auch die Verwerfungen der Geschichte - in manchen
Ländern beidseitig, in manchen Ländern nur einseitig überwunden sind, damit man guten Geistes in die Zukunft gehen kann.
Damit ist der Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes abgearbeitet. Ich
bedanke mich bei Herrn Staatsminister Zöpel für die
Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Cornelie SonntagWolgast zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Wolfgang Dehnel
auf:
Was unternimmt die Bundesregierung, um eine bessere Vernetzung von Fahndungsergebnissen und -maßnahmen zur Aufklärung von Schwerverbrechen zu erreichen, damit beispielsweise solche Aufklärungspannen wie beim Zugmord im RegionalExpress Dresden-Zwickau im Jahr 1995 - veröffentlicht in
„Freie Presse“ vom 28. Dezember 1999 - möglichst vermieden
werden können?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Die Ermittlungsinstrumente der Strafverfolgungsbehörden sind durch die
im April 1998 beim Bundeskriminalamt eingerichtete
DNA-Analysedatei sowie die durch das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom 7. September 1998 geschaffenen zusätzlichen Möglichkeiten der Gewinnung von
DNA-Identifizierungsmustern bei Beschuldigten und
Verurteilten zum Zwecke künftiger Strafverfahren gerade für wie in Ihrer Frage angesprochene Fälle wesentlich
verbessert worden. Die Bundesregierung hat also schon
etwas unternommen. Die frühzeitige Zusammenführung
von Tätern und Tatspuren, auch aus zurückliegenden
Fällen, wird dadurch erheblich vereinfacht. Übrigens
haben gerade diese neuen Möglichkeiten im konkreten
Fall jüngst zur Aufklärung des geschilderten Zugmordes
geführt.
Zusatzfrage? - Bitte
sehr.
Mir ist bekannt,
dass gerade diese DNA-Analyse zur Aufklärung des
Mordes geführt hat, aber sehr verspätet, nämlich nachdem dieser Schwerverbrecher wieder straffällig geworden war und einen weiteren Mord begangen hatte. Er
konnte also erst nach mehreren Jahren durch diese
DNA-Analyse überführt werden. Inwieweit arbeitet die
Bundesregierung auch im Hinblick auf andere schwere
Verbrechen, die von Wiederholungstätern immer wieder
begangen werden, stärker auf die Vernetzung von solchen Analysen hin und setzt sich so auch damit auseinander, dass über Jahre hinweg doch noch zu wenig getan
worden ist?
Ich will noch einmal erklären, wie die gesetzliche Lage war, als sich diese Taten zutrugen. Im Jahre 1996 gab es einen zweiten
Mord. Damals war bei der DNA-Identitätsfeststellung
nur die Überprüfung zulässig, ob das aufgefundene Spurenmaterial von dem dieser Tat Beschuldigten stammte.
Der Täter wurde wegen der ersten Tat, bei der er das
Spurenmaterial hinterlassen hatte, nicht verfolgt, weil zu
jener Zeit der Verdacht nicht geschöpft worden war.
Deshalb war diese neue gesetzliche Regelung nötig und
unumgänglich. Ihre Bedeutung zeigt sich vor allem
darin, dass dieser konkrete Fall dadurch aufgeklärt werden konnte. Das gilt auch für so genannte Altfälle, also
rückwirkend für Taten, die schon mehrere Jahre zurückliegen. Wir haben da durch das neue Gesetz tatsächlich
eine merkliche Verbesserung erreichen können.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Ich hatte die Vernetzung angesprochen, die in den letzten Jahren verstärkt werden musste. Gerade dabei hat sich gezeigt,
dass zwischen den Ländern wahrscheinlich nicht genügend Zusammenarbeit bestand, denn sonst hätte man
solche Rückschlüsse eher ziehen können. Wie sehen Sie
die Möglichkeit einer besseren Vernetzung zwischen
den Ländern in der Zukunft?
Es geht erst einmal
darum, ob die entsprechenden gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, und dann natürlich auch darum, ob verschiedene Länder gut und eng kooperieren
können. Vor allen Dingen haben wir jetzt die Gewähr,
dass man die Täter aufgrund des Spurenmaterials einer
ersten schweren Tat - es muss sich um schwere Taten
handeln, damit diese DNA-Analyse durchgeführt werden kann - frühzeitig überführen kann. Bei dem Sachverhalt, den Sie als Grundlage Ihrer Frage nehmen, ist
davon auszugehen, dass bei einem solchen Täter im Zuge des Ermittlungsverfahrens wegen des späteren Tötungsdeliktes zum Zwecke der Identitätsfeststellung in
künftigen Strafverfahren ein Identifizierungsmuster vorgenommen wird. Diese Maßnahmen sind jetzt dadurch
erleichtert, dass es seit April 1998 eine DNA-Analysedatei beim Bundeskriminalamt gibt.
Damit kann man zusammen mit der Spur Personen besser identifizieren.
Nun rufe ich die
Frage 20 des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl auf:
Stimmt die Bundesregierung der These einer ständig wachsenden Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland durch die organisierte Kriminalität zu,
und wenn ja, ist sie bereit, das Bundesamt für Verfassungsschutz
mit der nachrichtendienstlichen Überwachung und Abwehr der
organisierten Kriminalität - so wie es in Bayern bereits der Fall
ist - zu beauftragen?
Bitte sehr.
Herr Kollege Uhl,
die Bundesregierung ist sich natürlich der Bedeutung der
durch die organisierte Kriminalität entstehenden Gefahren für die innere Sicherheit bewusst. Sie sieht deswegen
in diesem Bereich auch zukünftig einen Schwerpunkt ihrer Politik. Eine Bedrohung für die verfassungsmäßige
Ordnung sieht die Bundesregierung jedoch nicht.
Zum gleichen Schluss kam übrigens eine durch die
Innenministerkonferenz im November 1997 eingesetzte
Arbeitsgruppe, die die Möglichkeiten der Intensivierung
der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und insbesondere die Ausdehnung der Kompetenzen der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder unter
Einbeziehung der Erfahrungen Bayerns mit der erweiterten Kompetenz des Verfassungsschutzes zu prüfen
hatte. In dem Bericht dieser Arbeitsgruppe wurde dazu
ausgeführt:
Belege dafür, dass die organisierte Kriminalität
durch Einflussnahme auf Wirtschaft, Politik, Justiz
und Verwaltung bereits eine staats- und demokratiegefährdende Qualität erreicht hat, sind nicht vorhanden.
Auch die Innenministerkonferenz vom Juni 1999 hat
im Ergebnis beschlossen, dass die Frage einer möglichen Ausweitung der Tätigkeiten des Verfassungsschutzes auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität
zurzeit nicht weiterverfolgt wird.
Die Bundesregierung sieht daher - nicht zuletzt wegen verfassungsrechtlicher Bedenken im Zusammenhang mit einer Einbindung der Verfassungsschutzbehörden in die Bekämpfung der organisierten
Kriminalität - derzeit keinen Handlungsbedarf.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, ist die Bundesregierung bereit, die Bedenken des
Jahres 1997 zurückzustellen angesichts des Umstandes,
dass sich mittlerweile die Landesregierungen von Hessen, Sachsen und Brandenburg bereit erklärt haben, dem
bayerischen Beispiel zu folgen, und angesichts des weiteren Umstandes, dass sich im Bereich des politischen
Terrorismus die Doppelzuständigkeit zwischen dem
Verfassungsschutz einerseits und andererseits der Polizei durchaus bewährt hat?
Die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, Bedenken zurückzustellen. Sie wird weiter die gesamte Tätigkeit im
Auge haben und wird diese Anregung, wenn sich die
Dringlichkeit der weiteren Behandlung dieses Themas
ergibt, auch im Rahmen der Innenministerkonferenz
weiterverfolgen. Aber es ist, wie Sie wissen, zunächst
einmal Sache der Länder, auf diesem Gebiet tätig zu
werden.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, ist der Bundesregierung bekannt, dass der Verfassungsschutz bei fast allen unseren westeuropäischen
Nachbarn der auch dort primär zuständigen Polizei
durch Beobachtungen der organisierten Kriminalität
wertvolle Erkenntnisse liefert?
Der Bundesregierung ist dies sehr wohl bekannt. Ich verweise
aber noch einmal auf die politisch gebotene eindeutige
Trennung zwischen bestimmten Aufgaben der Sicherheitsdienste einerseits und der Polizeien des Bundes und
der Länder andererseits.
Nun rufe ich die
Frage 21 der Abgeordneten Sylvia Bonitz auf:
Gibt es hinsichtlich der aus den USA nach Deutschland zurückzuführenden Stasiunterlagen Vereinbarungen bzw. Absichten, die eine Einschränkung der Verwertungshoheit über die
Daten für Deutschland beinhalten, und falls ja, wie gedenkt die
Bundesregierung den öffentlichen Zugang zu diesen Daten, die
für die Öffentlichkeit von größtem Interesse sein dürften, zu gewährleisten?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Die USA beabsichtigen, der deutschen Regierung Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die nach bisherigem Wissensstand
Daten aus HVA-Unterlagen enthalten sollen. Eine „Einschränkung der Verwertungshoheit über die Daten für
Deutschland“ ist weder vereinbart noch beabsichtigt.
Die Bundesregierung kann den öffentlichen Zugang zu
diesen Daten nur im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen gewährleisten. Sollten die erwarteten Unterlagen
Stasiunterlagen sein, wird ihre Verwendung im Rahmen
des Stasi-Unterlagen-Gesetzes erfolgen.
Erste Zusatzfrage,
bitte sehr.
Herzlichen Dank für die
Beantwortung der Frage.
Ich habe noch zwei Zusatzfragen. Die erste Frage:
Die USA selbst haben ein großes Interesse daran, die
Stasiakten zu ihrer eigenen Verwendung auszuwerten.
Wie kann sichergestellt werden, dass dabei nicht versehentlich Daten verloren gehen, weder durch technische
Defekte bei den Kopiervorgängen - wir bekommen die
Daten auf CD-ROMs geliefert - noch durch gezielte
Manipulation?
Es ist richtig, dass
die Daten in Form von Kopien auf CD-ROMs übergeben werden. Wir haben keinen Garantieschein dafür,
dass dabei nicht manipuliert wird und die Daten, die uns
übergeben werden, tatsächlich vollzählig und echt sind.
Wir gehen aber davon aus, dass es sich um die Kopien
von Echtdaten handelt. Es gibt keine Hinweise darauf,
dass seitens der USA in irgendeiner Weise versucht
wird, einschränkend tätig zu werden. Das Einzige, was
man - bei aller Vorsicht - vermuten kann, ist, dass sich
bei bestimmten Vorgängen, die US-Bürger betreffen, eine stärkere Zurückhaltung bemerkbar machen könnte.
Sie haben noch eine
Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Zweite Zusatzfrage:
Kann davon ausgegangen werden, dass die aus den USA
zurückzuführenden Datenbestände mit dem von der
Gauck-Behörde 1998 entschlüsselten Teil der Stasidatenbank, den so genannten Sira-Daten, verknüpft werden
können und die daraus gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Durchdringung Westdeutschlands durch
Stasikollaborateure im Rahmen des Stasi-UnterlagenGesetzes uneingeschränkt der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden?
Ich will diese Frage
mit aller Vorsicht beantworten.
({0})
Zunächst einmal werden die Daten dem Bundeskanzleramt als Koordinator der Dienste übergeben und dann
zeitgleich dem Bundesinnenministerium und dem Beauftragten für die Stasiunterlagen, also der Gauck-Behörde. Es gibt eine Arbeitsgruppe zwischen BMI und
Gauck-Behörde, die die Daten daraufhin überprüft, ob es
sich tatsächlich um Daten aus den Archiven der StasiHVA handelt. Dementsprechend wird damit weiter verfahren.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Schauerte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, dass Sie keine Anhaltspunkte
dafür haben, dass die übermittelten Daten auf CD-ROM
eventuell nicht vollständig sein könnten. Haben Sie denn
in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten eine
entsprechende Zusicherung auf Vollständigkeit erbeten
oder erhalten?
Ich habe schon in
meiner Antwort auf die erste Zusatzfrage der Frau Kollegin Bonitz gesagt, dass es Vereinbarungen in diesem
Sinne nicht gibt und wohl auch nicht geben kann. Wir
müssen uns darauf verlassen, dass die USA all das, was
sie zur Aufklärung und zur Übergabe dieser Daten tun
können, auch tun.
({0})
Sie haben keine
zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Schauerte, da Sie nicht
der Fragesteller sind. Es tut mir Leid.
Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Börnsen werden
schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich danke Ihnen, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung.
Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Bartholomäus Kalb und die Frage 26 des Abgeordneten Dirk
Niebel werden schriftlich beantwortet.
Dann rufe ich die Frage 27 des Abgeordneten Hans
Michelbach auf. - Kollege Michelbach ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung
vorgesehen. Das Gleiche gilt für die Frage 28.
Dann rufe ich die Frage 29 des Abgeordneten Norbert
Hauser auf:
Ist es Auffassung der Bundesregierung, dass sie, so wie vom
Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Manfred
Overhaus, in einem Schreiben vom 1. Oktober 1999 der Bonner
Oberbürgermeisterin mitgeteilt, ab 2004 die finanzielle Unterstützung für die Kulturarbeit in Bonn einstellen will und, wenn
ja, ist die Bundesregierung der Auffassung, dass diese Absicht
mit § 6 Abs. 4 des Berlin/Bonn-Gesetzes vom 26. April 1994,
wonach die Bundesstadt Bonn in Zukunft gesamtstaatliche Repräsentationsaufgaben zu übernehmen hat und diese Wahrnehmung vom Bund unterstützt wird, vereinbar ist?
Herr Kollege Hauser, die Verhandlungen
sind noch nicht abgeschlossen. Da Sie wie ich an einem
erfolgreichen Abschluss interessiert sind, bitte ich sehr
herzlich und nachdrücklich um Verständnis, dass sich
die Bundesregierung während der laufenden Verhandlungen über den Verhandlungsstand und die einzelnen
Aspekte nicht öffentlich äußern möchte.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Verhandlungen, die zurzeit stattfinden, betreffen den Zeitraum von 2000 bis einschließlich 2003. Ich
habe Sie nach dem Zeitraum nach 2003 gefragt. Ich
glaube nicht, dass es eine Frage von Verhandlungen ist,
ob die Bundesregierung bereit ist, eine Unterstützung so wie es hier gefragt wird - auch ab 2004 zu gewähren.
Es ist einfach die Frage: Ist die Bundesregierung bereit,
die Bundesstadt Bonn im Sinne des § 6 Abs. 4 des Berlin/Bonn-Gesetzes vom 26. April 1994 auch nach dem
1. Januar 2004 zu fördern?
Herr Kollege Hauser, Sie verweisen in Ihrer Frage auf § 6 Abs. 4 des Berlin/Bonn-Gesetzes vom
26. April 1994. Dort wird angesprochen, dass die Bundesstadt Bonn in Zukunft gesamtstaatliche Repräsentationsaufgaben zu übernehmen hat. Welche sie zu übernehmen hat und welche finanziellen Notwendigkeiten
damit verbunden sind, das müssen die Verhandlungen
erst ergeben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich bin ja erst ein gutes Jahr Mitglied des Deutschen Bundestages.
({0})
- Warten Sie einmal, Herr Tauss! - Trotzdem ist mein
Vertrauen in die Beschlüsse des Deutschen Bundestages
noch völlig ungetrübt. Ich sehe das Erstaunen auf manchen Gesichtern.
Kann ich davon ausgehen, dass dieses Gesetz verabschiedet worden ist, ohne auch nur im Blassesten Ahnung davon zu haben, was denn möglicherweise auf
beide Seiten zukommt? Ich meine, dass im Rahmen dieses Gesetzes über die Nennung der Politikbereiche, über
die Erst- und Zweitsitze und über die Aufgaben, die dort
angesprochen worden sind - natürlich nicht nur in § 6 -,
deutlich gemacht worden ist, welche Aufgaben auf die
Bundesstadt Bonn zukommen. Deshalb noch einmal die
Frage: Ist die Bundesregierung bereit, auf der Grundlage
dieses Gesetzes die Bundesstadt Bonn auch nach dem
Jahre 2004 entsprechend zu unterstützen?
Herr Kollege Hauser, ich verweise auf
meine bisherigen Antworten. Wir stehen in Verhandlungen. In den Verhandlungen wird definiert, welche Aufgaben dabei zu berücksichtigen sind. Daraus ergeben
sich dann die notwendigen finanziellen Konsequenzen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Westerwelle.
({0})
Wollen Sie damit
sagen, dass Sie nicht ausschließen können, dass ab dem
Jahre 2004 keinerlei finanzielle Unterstützung mehr erfolgt? Halten Sie es für möglich, dass ab dem Jahr 2004
keinerlei weitere finanzielle Unterstützung erfolgt, und
halten Sie das für vereinbar mit dem Berlin/BonnGesetz?
Herr Kollege, auch in diesem Fall gilt
meine erste Antwort.
({0})
Ich rufe die Frage
30 des Kollegen Hauser auf:
Wer ist für die Bundesregierung für die Verhandlungen des
Bonn-Vertrages zuständig und entscheidungsbefugt?
Herr Kollege Hauser, die Bonn-Vereinbarung berührt die Belange mehrerer Ressorts. Das ist
nicht nur das Bundesministerium der Finanzen, sondern
das sind auch der Beauftragte der Bundesregierung für
die Angelegenheiten der Kultur und der Medien sowie
das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Die Ressorts stimmen sich untereinander
ab.
Vizepräsident Rudolf Seiters
Die erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, selbst wenn sich die Ressorts untereinander abstimmen, muss es jemanden geben, der letztendlich entscheidet, der das letzte Wort hat.
({0})
Nach ihm habe ich gefragt. Ich wäre Ihnen dankbar,
wenn Sie wenigstens bei der zweiten Frage so nett wären, eine Antwort zu geben.
({1})
Herr Kollege, in der Vergangenheit war es
so, dass über das Berlin/Bonn-Gesetz unter Federführung des Bundeskanzlers entschieden worden ist. Entsprechend ist es auch unterzeichnet worden. Jetzt ist das
Bundeskanzleramt über den Herrn Staatsminister mit
beteiligt. Das Bundesministerium der Finanzen wird
jetzt beispielsweise die Verhandlungen mit der Frau
Oberbürgermeisterin führen, die ich in der Antwort auf
Ihre vorige Frage angesprochen habe. Die Bundesregierung macht das im Konsens.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ein Konsensprinzip ist gelegentlich etwas durchaus Erfreuliches,
Herr Staatssekretär. Wäre es möglich, in Ihrem Hause
wenigstens zwischen dem Minister und Herrn Staatssekretär Overhaus so weit Konsens herzustellen, dass der
Finanzminister nicht kurz vor der Kommunalwahl in
Nordrhein-Westfalen erklärt, die Stadt Bonn habe gewisse Mittel zu erwarten, und der Staatssekretär in einem Brief, der wenige Tage nach der Stichwahl am
26. September - am 1. Oktober - an die Stadt Bonn abgesandt wird, diese Zusagen von Bedingungen bezüglich
des Plenarbereiches in Bonn abhängig macht, die - laut
nachträglicher Aussage des Herrn Minister Eichel - in
den Gesprächen zu keiner Zeit eine Rolle gespielt haben?
Sollte das, weil ich das Ganze in einer Frage formulieren muss, zu kompliziert gewesen sein, kann ich es
gerne in Prosa wiederholen: Herr Eichel hat gesagt,
205 Millionen DM bis 2003 ohne Bedingungen.
Herr Overhaus hat dagegen erklärt, diese 205 Millionen DM bis 2003 nur dann, wenn sich die Stadt Bonn
an den Kosten des "Plenarbereiches Konferenzzentrum"
mit bis zu 5 Millionen DM jährlich beteiligt.
Herr Kollege, ich sage noch einmal: Wir
sind über diese Fragen im Gespräch mit der Stadt Bonn.
Wir suchen eine Lösung, die beide Seiten zufrieden
stellt.
Herr Kollege Westerwelle, eine Zusatzfrage?
Ich hätte nur eine
Frage: Wann beginnt die Arroganz der Macht?
({0})
Nach diesem kleinen Disput habe ich jetzt die Chance, das Wort für eine
weitere Zwischenfrage an den Kollegen Nolting zu geben.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, die Vorstellungen des Finanzministeriums hier vorzutragen, oder ist auch das
nicht möglich?
({0})
Denn wenn ich in Verhandlungen gehe, habe ich doch
irgendwelche Überlegungen.
Herr Kollege, ich sage noch einmal: Es
liegt in beiderseitigem Interesse, die Verhandlungen zu
einem guten Ergebnis zu führen. Wir sind mitten in den
Gesprächen; die Gespräche werden intensiviert.
Erst in diesen Tagen habe ich der Presse entnehmen
können, dass Herr Minister Klimmt in Bonn war. Man
war mit dem, was er dort gesagt hat, allerseits zufrieden.
({0})
Daraus können Sie entnehmen, dass sich die Bundesregierung weiterhin bewusst ist, in welcher Pflicht sie gegenüber dieser Stadt steht.
({1})
Damit sind wir am
Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Es antwortet
der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.
Die Fragen und 31 und 32 des Kollegen Ernst Hinsken werden schriftlich beantwortet.
({0})
Die Fragen 33 und 34 sind vom Kollegen
Dr. Schmidt-Jortzig gestellt. Er ist aber, wenn ich das
richtig sehe, nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in
der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen zur Frage 35 des Kollegen HansJoachim Otto:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie, dass ein Großteil der überkommenen Regulierungen ersatzlos entfallen könnte, wenn man Wettbewerb und Fusionskontrolle als Gewähr für das öffentliche Interesse an einer
freien, durch Meinungsvielfalt geprägten Ordnung anerkennen
würde, wie es schon das Bundesverfassungsgericht bei der Presse getan hat?
Ich hätte
die Fragen von Ernst Hinsken gerne beantwortet; denn
erstens bin ich katholisch und zweitens ist das Heilige
Jahr ein wichtiges Ereignis für den Straßenverkehr.
Herr Staatssekretär,
diese Antwort ersetzt aber nicht die schriftliche Beantwortung der Fragen.
Herr Präsident, wir haben die Absicht, die Antworten schriftlich zu
geben.
Herr Kollege Otto, auf Ihre Frage antwortet die Bundesregierung: Die Bundesregierung teilt die Auffassung
des Wissenschaftliche Beirats beim Bundesminister für
Wirtschaft und Technologie so nicht. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie hat sich in seinem Gutachten „Offene Medienordnung“ unter ausschließlich ökonomischen
Aspekten für eine grundlegende Neuordnung des Rundfunks ausgesprochen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass eine rein ökonomische Betrachtung des
Rundfunkbereichs nicht angemessen ist; der Rundfunk
ist vielmehr für die Gewährleistung von Demokratie,
Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt in Deutschland
zuständig und muss deshalb umfassender betrachtet
werden. Presse und Rundfunk können in regulatorischer
Hinsicht nicht gleichgesetzt werden, da bewegte Bilder,
wie Sie wissen, eine erhebliche Suggestivkraft entwickeln können und ihnen für die Meinungsbildung der
Bevölkerung eine besondere Bedeutung zukommt. Deshalb sehen wir dies anders als der Beirat.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Otto.
Worin
sieht die Bundesregierung den wirklich qualitativen
Unterschied zwischen der Presse und dem Rundfunk?
Die Presse ist sehr viel freier geregelt, unterliegt weniger
Regulierungen und wird nach Ihren Worten ökonomisch
betrachtet. Trotzdem haben wir dort Meinungsvielfalt.
Wo liegt der qualitative Unterschied zwischen dem
Rundfunk einerseits und der Presse andererseits, zumal
wir - das wissen Sie sehr genau, Herr Staatssekretär mit Internet und den neuen Diensten ohnedies zusätzliche Angebote haben, die die frühere Meinungsherrschaft
des öffentlichen Rundfunks vermeiden?
Herr Otto,
ich darf Sie darauf hinweisen, dass die Alliierten in der
Nachkriegszeit aus guten Gründen für eine föderale
Rundfunkordnung gesorgt haben. Wir haben während
der Zeit des Nationalsozialismus die Erfahrung gemacht,
dass eine Monopolsituation bei Rundfunk und Fernsehen - das wissen auch Sie - für eine Demokratie gefährlich sein kann. Der Ansatz der Alliierten in der
Nachkriegszeit, eine föderale Rundfunk- und damit auch
Fernsehstruktur zu schaffen, ist aus diesem Motiv entstanden; denn man weiß sehr genau, dass Hörfunk und
vor allem Fernsehen - beide elektronische Medien - im
Grunde einen sehr starken Einfluss auf die politische
Kultur haben. Deshalb bestehen hier besondere Aufsichtspflichten.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, jetzt haben Sie uns gesagt, was Sie nicht
haben wollen, nämlich einen rein ökonomischen Ansatz.
Würden Sie uns freundlicherweise sagen, was Sie denn
haben wollen? In welche Richtung werden Sie mit den
Ländern verhandeln?
Das kann
ich Ihnen gern sagen. Sie wissen, dass die Länder für die
klassischen Medien zuständig sind. In unserem Aktionsprogramm „Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“, das wir im Kabinett verabschiedet haben,
haben wir dies festgelegt.
Wir wollen mit den Ländern über einen Prozess verhandeln, der es erlaubt, effizienter und sachgemäßer in
diesem Mediensektor Entscheidungen im regulatorischen Bereich zu treffen, weil durch die neuen Medien
natürlich auch Grenzbereiche entstehen, die die alten
Medien betreffen. Das, was sich im Bereich wirtschaftlicher und technologischer Konvergenz abspielt, bedarf
einer Regulierung, eines Ordnungsrahmens. Das sollte
möglichst nicht parallel und abgekoppelt, sondern zusammen stattfinden.
Das ist übrigens der Grund, warum wir gemeinsam
die Absicht haben, einen Kommunikationsrat mit zwei
Kammern zu schaffen, nämlich einer, die sich mit Telekommunikation beschäftigt - das haben wir heute schon
als Beirat, wenn Sie so wollen -, und der anderen, die
sich mit den klassischen Medien, allerdings in der Obhut
der Länder, beschäftigt. Wir würden damit der kanadischen, aber auch der amerikanischen FCC-Regelung
folgen. Das ist die Absicht der Gespräche, die wir mit
Vizepräsident Rudolf Seiters
den Ländern führen. Ich glaube, dass wir dabei auf positive Gesprächsbereitschaft bei den Ländern stoßen werden.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Walter Hirche.
Herr Staatssekretär, Sie haben die jetzige Rundfunkordnung mit den Alliierten begründet. Teilen Sie nicht eher die Einschätzung, dass die
Alliierten seinerzeit nicht aus föderalem Interesse, sondern aus schlichtem Interesse an der Darstellung ihrer
Besatzungszonen die Sender errichtet haben? Wie wäre
es anders zu erklären, dass es einen Nordwestdeutschen
Rundfunk für Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen,
Schleswig-Holstein und Hamburg gegeben hat, aber
dass dagegen ein Radio Bremen errichtet wurde, weil
Bremen amerikanische Besatzungszone war? Hat das
wirklich etwas mit Föderalismus zu tun?
Herr Kollege Hirche, das ist ein Beispiel dafür, dass sicher auch
andere Kriterien eine Rolle gespielt haben. Das ist auch
ein Grund dafür, warum wir jetzt über die Frage reden,
ob die Strukturen in extenso richtig sind. Aber ich würde
den Alliierten nicht allein dieses Motiv unterstellen. Ich
hoffe, auch Sie tun das nicht.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Sylvia Bonitz.
Herr Staatssekretär, wie
weit ist eine solche föderale Struktur oder zumindest eine Teilaufrechterhaltung dieser föderalen Struktur auch
bei Ihren jetzt genannten Erwägungen für die Zukunft
noch zeitgemäß? Ich frage das gerade unter Berücksichtigung der neuen Medien, bei denen es inzwischen keine
scharfe Grenzziehung mehr gibt. Das betrifft insbesondere den Bereich des Fernsehens, das teilweise zeitgleich - bei dem neuen TV-Sender ist das sogar schon
vorab möglich - im Internet senden kann. Es gibt also
keine scharfe Abgrenzung mehr. Inwieweit ist das noch
zeitgemäß?
Wir haben
eine Verfassungsregelung, die den Ländern die Hoheit
über die Rundfunk- und Fernsehmedien zugesteht. Die
Länder bestehen, wie Sie wissen, auch darauf, dass sie
dafür zuständig sind. Weil das so ist, suchen wir nach
einem kooperativen Weg. Es gibt den Wettbewerbsföderalismus, der in vielen Dingen Sinn macht. Es gibt aber
auch den kooperativen Föderalismus, der ebenso Sinn
macht. Das muss man von Fall zu Fall, von Sachgebiet
zu Sachgebiet nach sachlichen Kriterien entscheiden.
Um den neuen technologischen Entwicklungen Rechnung tragen zu können, suchen wir gegenwärtig nach einer gemeinsamen Lösung mit den Ländern.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Jörg Tauss.
Herr Staatssekretär, nachdem
vonseiten der Opposition ein bisschen der Eindruck erweckt wird, als ob es nicht mehr in die Zeit moderner
Medienpolitik passe, föderal strukturiert zu sein, möchte
ich fragen, wie Sie den aus unserem Bundesland BadenWürttemberg - wir kommen beide von dort - bekannten
Vorgang bewerten, wonach es die CDU/F.D.P.-geführte
Landesregierung beispielsweise abgelehnt hat, die Landesmedienanstalten trotz der Zusammenlegung der beiden Sender SDR und SWF zu einem Südwest-Rundfunk
zusammenzulegen. Stattdessen hat sie - möglicherweise
zum Erhalt von Pöstchen - an alten, hier kritisierten
Strukturen festgehalten.
Herr Kollege Tauss, es ist ein auch für die Bundesregierung
merkwürdiger Vorgang, dass im Rahmen der Kooperation und späteren Zusammenführung zweier Rundfunkanstalten, die im Einvernehmen der Länder RheinlandPfalz und Baden-Württemberg zustande gekommen ist,
just in dem Moment, in dem der Prozess der Zusammenlegung der beiden Rundfunkanstalten erfolgte, die
ebenfalls bestehenden zwei Landesmedienanstalten
nicht nur nicht zusammengelegt worden sind, sondern in
einer Medienanstalt sogar zur selben Zeit ein hoch dotierter Direktor neu eingesetzt worden ist. Nach meinem
Wissen kommt der Beamte aus der CDU-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg.
({0})
- Sehr qualifiziert. Er eignet sich auch für Ihre Fraktion,
wollte ich damit sagen, Herr Neumann.
({1})
Ich rufe die Frage
36 des Kollegen Hans-Joachim Otto auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie, dass bei den Richtungsmedien die Frage nach der
Meinungsvielfalt gleichbedeutend mit der Frage nach dem
Wettbewerb ist?
Herr Otto,
ich sage noch einmal: Auch in diesem Punkt teilt die
Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaftlichen
Beirats nicht. Im Übrigen verweise ich bei dieser Frage
auf die Antwort auf Frage 35.
Eine Zusatzfrage.
Ich mache
es so ähnlich wie Sie, Herr Staatssekretär. Ich verweise
auf meine vorige Frage und schließe an: Wann hat die
Bundesregierung konkrete Schritte unternommen, um
die im Aktionsprogramm angekündigten Gespräche mit
den Ländern auf die Reihe zu bringen? Gibt es schon
solche Gespräche? Sind sie terminiert?
Herr Otto,
das ist eine neue Frage, deshalb kann ich sie gern beantworten. Die andere hätte ich natürlich nicht noch
einmal beantwortet.
Diese neue Frage beantwortet die Bundesregierung
wie folgt: Wir haben im Kabinett im Herbst letzten Jahres den Aktionsplan beschlossen. In diesem Aktionsplan
ist vorgesehen, dass die Bundesregierung Gespräche mit
den Ländern führt. Es gibt schon auf vielen Ebenen informelle Gespräche. Sie wissen: Es handelt sich nicht
um einen Neuanfang, sondern es hat immer schon beim
„Wie kann
man das am besten optimieren?“ gegeben. Daran haben
sich in den letzten Jahren - Herr Neumann weiß das auch Herr Biedenkopf, Herr Clement und Herr Beck, also die Ministerpräsidenten, die sich mit Medienfragen
besonders beschäftigt haben, beteiligt. Wir befinden uns
in einem guten Diskussionsprozess, der aber noch nicht
abgeschlossen ist.
Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Otto.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung des Beirates,
dass es ein Gewinn für die öffentlich-rechtlichen Anstalten und für die Medienordnung in Deutschland wäre,
wenn sich die Anstalten zukünftig ausschließlich aus
Gebühren und nicht mehr auch aus Werbung finanzieren
würden?
Ich kann
Ihnen jetzt nur meine persönliche Auffassung sagen. Ich
glaube, dass es Sinn macht - ich meine, wir haben darüber auch schon lange diskutiert -, die Finanzierung
durch Einnahmen aus der Werbung zu begrenzen. Sie
wissen auch, dass es dabei um die Frage geht, wie wettbewerbsfähig öffentlich-rechtliche Anstalten heute eigentlich noch sind. Deswegen kann man über diese Frage sicherlich ordnungspolitisch streiten und diskutieren.
Aber das ist eine Sache der Länder, die dies im Rundfunkstaatsvertrag festlegen müssen.
Jetzt hat Herr Kollege Tauss eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie,
als Sie Ihr Amt antraten, in den Schränken der involvierten Ministerien irgendwelche Unterlagen über den
Stand von Verhandlungen zwischen dem Bund, also der
alten Bundesregierung, und den Ländern über eine Reform der Medienordnung in Deutschland vorgefunden?
Können Sie uns hier berichten, wie der Stand dieser Reformen zum damaligen Zeitpunkt war? Worauf können
Sie in diesem Bereich aufbauen?
({0})
- Vorausgesetzt natürlich, dass die Akten da waren.
Ich weiß
nicht, ob die Akten vollständig vorhanden waren, Herr
Westerwelle, aber ich weiß, dass es Akten gab.
({0})
Natürlich gab es Vorgänge; es gab ja vorher Diskussionen dazu.
Es war so - das wissen die Kolleginnen und Kollegen
hier im Haus, die sich mit der Materie schon länger beschäftigen -, dass es zeitweise eine starke Selbstblockade zwischen Ländern und dem Bund gab. Wir haben
auch durch eine Reihe von Gesprächen, die wir damals
als Parlamentarier in der Enquete-Kommission mit den
A-Ländern, mit den B-Ländern, aber auch mit Vertretern
der damaligen Bundesregierung geführt haben, versucht,
diese Blockade aufzulösen, weil es im Zeitalter der
Konvergenz keinen Sinn macht, sich gegenseitig zu
blockieren, auch wenn man Länderinteressen verstehen
kann. Aber es geht darum, einen Ordnungsrahmen zu
finden, der sowohl den klassischen wie auch den neuen
Medien gerecht wird. Daran arbeiten wir und ich glaube,
wir werden dabei auch Fortschritte erzielen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Walter Hirche.
Herr Staatssekretär, mit Ihrer Absage an die Vorschläge des Wissenschaftlichen
Beirats im Zusammenhang mit dem Rundfunkrecht machen Sie ein tiefes Misstrauen gegen die Leistungen des
Wettbewerbs in diesem Bereich deutlich.
({0})
Wie unterscheidet sich eigentlich die Haltung der Bundesregierung im Grundsatz davon, wie sich die katholische Kirche im Mittelalter gegenüber dem Aufkommen
des Buchdrucks und einer Vielfalt von Büchern verhalten hat?
Sie reden
von Gutenberg, der übrigens auch Existenzgründer war
und fast gescheitert wäre, weil ihm kein Venture-Kapital
zur Verfügung stand.
({0})
- Nein. Wie Sie wissen, Herr Westerwelle, gab es im
Zeitalter von Gutenberg noch keine Sozialdemokratie
und deshalb auch noch keine ordentliche Sozialgesetzgebung. Deshalb konnte er auch keine Altersversorgung
anstreben. Die Sozialdemokratie ist erst 135 Jahre alt,
hat aber schon viel zuwege gebracht.
Herr Hirche, ich will nur Folgendes deutlich sagen ich nehme an, dass wir gleich noch Gelegenheit haben
werden, dazu ausführlicher Stellung zu nehmen -: Wir
sind schon der Auffassung, dass sich das duale Modell,
nämlich das Modell leistungsfähiger, moderner, privater
Medienhäuser in Deutschland auf der einen Seite und
öffentlich-rechtlicher Anstalten, die für die Grundversorgung in Deutschland zuständig sind, auf der anderen
Seite - ich meine das jetzt nicht arrogant; Sie verstehen
das -, in der Welt durchaus sehen lassen kann
({1})
und dass eine reine Fixierung auf private Medien - das
wird Herr Westerwelle nicht anders sehen, weil er sich
auch mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten gut stellen
will - möglicherweise auch Kommerzialisierungsprozesse in einem sensiblen Bereich einleiten würde, der
uns sehr beschäftigt. Es geht um die politische Kultur
unseres Landes. Daher sind wir für ein duales Modell,
also insofern nicht - obwohl ich selbst katholisch bin für die Handhabung wie bei Gutenberg vor 500 Jahren.
Wir sind für ein duales Wettbewerbsmodell zwischen
modernen öffentlich-rechtlichen Anstalten - da erwarten
wir auch einiges an Effizienz und Modernität, mehr als
in der Vergangenheit - und leistungsfähigen privaten
Medienhäusern, die ihren Platz in dieser Medienordnung
haben sollen.
Jetzt bin ich aber schon viel zu weit gegangen, Herr
Präsident.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Martin Mayer.
Herr
Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Herrn Kollegen
Tauss zur Kenntnis zu bringen, dass die unionsgeführte
Bundesregierung ein Jahr vor der Wahl mit dem Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz und mit
dem Staatsvertrag über die Mediendienste - beide sind
ein pragmatischer Kompromiss und eine pragmatische
Lösung - einen geordneten Rechtsrahmen für die alten
und für die neuen Medien hinterlassen hat und dass damals die SPD eine Mammutorganisation als Medienaufsichtsbehörde unter Beteiligung von Bund und Ländern
auf europäischer Ebene vorgeschlagen hat, von der Sie
jetzt offenbar nichts mehr wissen wollen?
Erstens.
Meine Antwort ist: Ja, ich bin gern bereit, das Herrn
Tauss mitzuteilen. Zweitens. Mir ist nichts davon bekannt, dass die SPD irgendwelche Mammutorganisationen auf europäischer Ebene haben wollte. Es kann sein,
dass dies irgendwann von Ihnen in Bayern so verstanden
worden ist. Aber wir haben eine solche Organisation nie
gewollt. Das kann ich Ihnen versichern, und zwar für
alle, die in der Sozialdemokratie Verantwortung tragen.
({0})
Tut mir Leid, Herr
Kollege Tauss. Der Nichtfragesteller darf nur eine Zusatzfrage stellen.
({0})
Ich rufe Frage 37 der Kollegin Gudrun Kopp auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie, dass ein unterhaltendes Medium viel eher unter
Wettbewerbsbedingungen entpolitisiert wird als versteckt politisch?
Liebe Frau
Kollegin Kopp, die Bundesregierung teilt die Auffassung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie so nicht. Im Übrigen verweise ich auf meine Antworten auf die Fragen
35 und 36 des Kollegen Hans-Joachim Otto.
Eine Zusatzfrage.
Ich bitte Sie zu präzisieren,
wie Sie sich auf der Grundlage des jetzigen Rundfunkgesetzes Meinungswettbewerb und Meinungsvielfalt
vorstellen; denn nach meiner Meinung ist nach der derzeitigen Gesetzgebung Meinungsvielfalt nicht möglich.
({0})
Darf ich
zurückfragen - ich weiß nicht, Herr Präsident, ob das
üblich ist -, woraus Sie schließen, dass es keine Meinungsvielfalt in Deutschland gibt.
Ich wollte Sie bitten - ich
wiederhole jetzt meine Frage - deutlich zu machen, wie
sich die Bundesregierung aufgrund eines funktionierenden Rundfunkgesetzes die Sicherung der Meinungsvielfalt vorstellt.
Das mache
ich gerne. Ich nehme an, Frau Kollegin, Sie sprechen
vom Rundfunkstaatsvertrag.
({0})
Man muss hier sauber trennen, weil die Länder dafür zuständig sind.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die
Meinungsvielfalt in Deutschland gesichert ist und dass
dazu insbesondere die öffentlich-rechtlichen Anstalten
mit ihrem Programm, aber auch die privaten Medienhäuser beitragen und dass es einen guten Wettbewerb
zwischen diesen beiden Bereichen gibt. Deshalb sind
wir sehr überzeugt, dass das duale System zeitgemäß
und für die politische Kultur unseres Landes angemessen ist.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Kopp.
Verstehe ich Sie also richtig, dass Sie keinerlei Änderungsbedarf und keinerlei
Modernisierungsbedarf sehen und dass Sie auch keinerlei Verhandlungen mit den Ländern über entsprechende
Veränderungen führen?
Erstens
möchte ich darauf hinweisen: Nicht alles, was Veränderung ist, ist auch Modernisierung.
({0})
- Das ist wahr. Es ist auch hilfreich, Herr Hirche, wenn
man weiß, wohin man will, und vorausschauend handelt.
Zweitens. Ich hatte vorhin auf eine Reihe von Gesprächen hingewiesen, die wir mit den Ländern führen,
weil wir durchaus Handlungsbedarf hinsichtlich der
Medienordnung sehen. Diese Gespräche sind sehr konstruktiv. Deshalb trifft Ihre These, wir sähen keinen
Handlungsbedarf, nicht zu. Den sehen wir durchaus.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Walter Hirche.
Herr Staatssekretär, teilen
Sie die Auffassung des Wissenschaftlichen Beirats, dass
allein die Vielzahl der Wettbewerber und der angebotenen Programme sowohl im Bereich der privaten Medienanstalten als auch im Bereich des öffentlichrechtlichen Rundfunks - auch dort ist die Zahl der Programme explodiert - Wettbewerb erkennen lässt und
dass deswegen viele der Regularien, die zu einer Zeit,
als es nur ein oder zwei Anbieter gab, getroffen worden
sind, heute überflüssig sind?
Herr Hirche, ich teile die Auffassung, dass es bei einem normalen Wirtschaftsgut genauso laufen würde. Vielzahl würde - das haben Sie eben geschildert - den Wettbewerb
verschärfen. Ich glaube, dass im Rundfunk-, im Fernsehund im Medienbereich ganz allgemein Vielzahl nicht
gleich Vielfalt ist.
({0})
Es gibt da wirklich qualitative Fragestellungen, die wir
im Auge behalten müssen. Deshalb unterscheiden wir
sehr genau zwischen einem normalen Wirtschaftsgut
und dem Kulturgut im Medienbereich. Mich verwundert
schon sehr, dass ein Liberaler, der immer auf
Marktkräfte in der Wirtschaft gesetzt hat - das ist in
Ordnung; wie Sie wissen, teile ich das als liberaler Sozialdemokrat -, auch die Grundsatzfragen der Kultur nur
noch nach Marktkriterien bewertet. Das überrascht mich
sehr.
({1})
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Guido Westerwelle.
Das mit dem „liberalen Sozialdemokraten“ lasse ich Ihnen jetzt so
durchgehen.
Das ist nett
von Ihnen.
Ich halte das zwar
für einen Widerspruch in sich; aber es ist okay.
Da Sie von der Vielfalt gesprochen haben und da Sie
einen berechtigten Hinweis auf eine Tendenz zu Verflachungen, Entpolitisierungen, Bagatellisierungen und
Brutalisierungen, die wir in den Medien bedauerlicherweise zum Teil erleben müssen, gegeben haben: Sind
Sie mit mir der Auffassung, dass zumindest die Frage
überprüft werden müsste, ob die Werbefinanzierung bei
den öffentlich-rechtlichen Anstalten auf diese Art und
Weise noch zeitgemäß ist? Ist es nicht vielmehr so, dass
die teilweise Finanzierung durch Werbung auch dazu
führt, dass eine stärkere Fixierung auf Einschaltquoten
dort erfolgt, wo wir als Gebührenzahler und als Steuerzahler eigentlich mehr auf andere Gesichtspunkte setzen
wollen?
Herr
Westerwelle, ich teile die These, die ich hinter Ihrer
Fragestellung vermute, dass die Quote nicht immer der
beste Programmdirektor ist.
({0})
Dabei geht es um Qualitätsfragen. Auf der anderen Seite
wissen Sie genauso gut wie ich, dass es eine Reihe von
attraktiven Ereignissen gibt, für die Sie heute viel Geld
bezahlen müssen, zum Beispiel im Sport. Es gibt bei den
öffentlich-rechtlichen Anstalten die Skepsis, dass sie,
wenn sie die begrenzten Werbeblöcke verlieren - sie
können ja die Werbung nicht uferlos betreiben, inklusive
der Fragen des Sponsoring -, im Wettbewerb ein tatsächliches Handicap hinsichtlich der Übertragung von
entsprechenden Ereignissen erleiden würden. Das wäre
möglicherweise mit einem Bedeutungsverlust der öffentlich-rechtlichen Anstalten - von einem Niedergang
möchte ich nicht sprechen - verbunden. Diese Sorge besteht dort. Ich kann diese Sorge verstehen.
Ich rufe die Frage
38 der Kollegin Gudrun Kopp auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie, dass mit dem Aufsichtssystem der gesellschaftlich
relevanten Gruppen für die Programmauswahl beim Rundfunk,
welche der Gesetzgeber bestimmen muss, ein vordemokratischständisches Prinzip angewandt wird und sich das Medienrecht
unversehens in Richtung Zensur bewegt?
Frau Kollegin Kopp, die Bundesregierung teilt die Auffassung
des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium
für Wirtschaft und Technologie so nicht. Die Staatsferne
des Rundfunks gebietet eine binnenpluralistische Struktur der Aufsichtsgremien durch Beteiligung der gesellschaftlich relevanten Kräfte. Die Rundfunkgesetze der
Länder nennen deshalb zu Recht als wichtigste Funktion
der Rundfunkräte, die Allgemeinheit und deren Interessen zu vertreten. Diese binnenpluralistische Struktur soll
einer verfassungsrechtlich unzulässigen Zensur im Sinne
des Art. 5 des Grundgesetzes entgegenwirken. Deshalb
sind wir der Auffassung, dass gerade diese binnenplurale Struktur angemessen ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält es
die Bundesregierung nach wie vor für richtig, dass der
Staat derjenige bleibt, der auswählt, wer in den Gremien
sitzt?
Frau Kollegin, ich darf Sie darauf hinweisen, dass es in Deutschland nach unserer Verfassung nicht der Staat ist, sondern
dass es die parlamentarisch gewählten Gremien sind, also die Volksvertretung ist - ({0})
Wir müssen zwischen Exekutive und Legislative unterscheiden.
({1})
Das ist auch gut so in einer parlamentarischen Demokratie.
({2})
Ich möchte nur darauf verweisen: Ich weiß, dass der
Kollege Genscher lange in wichtigen Aufsichtsgremien
war. Ich bin ganz sicher, dass er im Zuge der Erfüllung
seiner Aufgaben in den Aufsichtsgremien auch zu den
binnenpluralen Strukturen der öffentlich-rechtlichen Anstalten beigetragen hat. Deshalb sage ich noch einmal:
Ich bin dezidiert der Auffassung, dass die Aufsichtsgremien in den öffentlich-rechtlichen Anstalten einen sehr
sinnvollen und wichtigen Auftrag innerhalb der Demokratie erfüllen und dass es nicht so ist, dass der Staat
dies bestimmt.
Ich möchte die Zusatzfragen zu der letzten Frage nicht abbremsen. Aber
ich weise darauf hin, dass wir gleich am Ende der Fragestunde angelangt sind, und bitte deshalb um kurze Fragen und kurze Antworten. - Frau Kollegin Kopp.
Herr Staatssekretär, noch
eine letzte kurze Zusatzfrage. Sie sehen also keinerlei
Gefahren von Tendenzen, wie in unserer Frage aufgeführt, in Richtung Zensur?
Sie sprechen den öffentlich-rechtlichen Sektor an? - Nein,
selbstverständlich nicht. Wenn es so wäre, dann wäre es
nach der Verfassung auch alarmierend.
({0})
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Guido Westerwelle.
Herr Staatssekretär, die Frage der Staatlichkeit würde ich als Jurist etwas
anders beantworten. Natürlich ist auch die Legislative
Teil des Staates in Deutschland. Jedenfalls habe ich das
vor längerer Zeit so gelernt;
({0})
es ist ewig her.
(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Bundesregierung
hält sich alleine für den Staat! ({1})
Das, worauf Frau Kollegin Kopp hingewiesen hat,
wirft eine andere Frage auf. Es geht nicht nur um die
Frage, ob es parlamentarisch kontrollierte Aufsichtsgremien gibt, sondern die Frage ist doch, wie sich zum
Beispiel die Rundfunkräte zusammensetzen und ob sich
dort nicht auch ein erheblicher Teil - das sage ich als
jemand, der das wirklich kennt und der ein Verfechter
des dualen Systems ist - von Parteilichkeit, und zwar im
parteipolitischen Sinne, wiederfindet. Könnte man Aufsichtsgremien nicht genauso gut anders zusammensetParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
zen, als dass ihre Mitglieder von den Parlamenten und
von den jeweiligen Interessengruppen entsendet werden,
zum Beispiel aus der Mitte der Gebührenzahler?
Das könnte
man.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Dr. Schmidt-Jortzig.
Herr Staatssekretär, ich will die Frage nach den Aufsichtsstrukturen
noch einmal von einer etwas anderen Seite beleuchten.
Glauben Sie nicht, dass die jetzigen Strukturen, nach deren Berechtigung die Frau Kollegin Kopp gefragt hat,
auch deshalb an Berechtigung verloren haben könnten,
weil das, was im Rundfunk damit kontrolliert wird, bei
anderen Dingen, die nicht im engeren Rundfunkbereich,
sondern in den sonstigen Kommunikationsmedien ablaufen, ganz anders oder gar nicht kontrolliert wird, dass also das Modell der jetzigen binnenpluralen Aufsicht
durch gesellschaftlich relevante Gruppen auf das zugeschnitten ist, was man in der guten alten Zeit unter
Rundfunk verstand, aber nicht auf das, was sich in den
zunehmend vielleicht interaktiv werdenden, jedenfalls in
die Unterhaltungsbranche hineinragenden Strukturen des
Rundfunks entwickelt?
Herr
Schmidt-Jortzig, auch öffentlich-rechtliche Anstalten
werden interaktiv werden. Das ist technologisch überhaupt kein Problem. Es ist auch logisch, dass sie diesen
Weg mitgehen. Das ändert unserer Auffassung nach
aber nichts daran, dass Sie bei öffentlich-rechtlichen
Anstalten eine binnenplurale Aufsicht brauchen. Ich
glaube auch nicht, dass sich das dadurch ändert, dass wir
in einem anderen Sektor private Medienanstalten zugelassen haben, die eine andere Aufsichtsfunktion haben.
Bei öffentlich-rechtlichen Anstalten ist das, glaube ich,
der richtige Weg.
Ich will mich jetzt nicht zu Einzelheiten der Zusammensetzung äußern. Es gibt sicherlich auch Fälle, wo
man sich fragen kann, ob das so sein muss. Aber im
Grundsatz finde ich es richtig und auch angemessen für
unsere politische Kultur und unsere parlamentarische
Demokratie, dass die Volksvertreter in geeigneter Weise
die Besetzung vornehmen und dabei auch die gesellschaftlich relevanten Gruppen einbeziehen.
({0})
Noch eine Zusatzfrage des Kollegen Otto? - Bitte sehr.
Herr
Staatssekretär, da Sie die Frage 37 der Kollegin Kopp
meines Erachtens nicht richtig beantwortet haben, verbinde ich eine Nachfrage dazu mit einer Zusatzfrage zu
Frage 38. Sind Sie nicht der Auffassung, dass die von
Ihnen so hoch gepriesene binnenplurale Struktur zu einer gnadenlosen Politisierung der ARD-Anstalten und
auch des ZDF geführt hat
({0})
und dass dort im Grunde alle Personalentscheidungen
und auch viele andere Entscheidungen nach dem Motto
„eins rot, eins schwarz, eins fallen lassen“ getroffen
werden, dass das aber keine wirklich weiterführende und
sinnvolle plurale Regelung sein kann? Die Praxis spricht
doch gegen Ihre Worte.
({1})
Ich weiß
nicht, ob Sie jetzt vom Bayerischen Rundfunk gesprochen haben. Wir müssen hier ja präzise sein und fair differenzieren. Sie haben allgemein von der ARD gesprochen. Wir haben in der ARD aber mehrere Rundfunkanstalten.
({0})
- Ach so, ich soll mich jetzt zu allen Anstalten äußern.
Dazu bräuchte ich allerdings ein bisschen mehr Zeit,
Herr Präsident.
Herr Otto, ich weiß nicht - Sie haben von „eins rot,
eins schwarz, eins fallen lassen“ gesprochen -, ob Sie
sich fallen gelassen fühlen.
({1})
Ich glaube, das wäre nicht angemessen. Es gibt in jedem
Landesparlament das große Bemühen, dass die gesellschaftlichen Kräfte in den Aufsichtsgremien widergespiegelt werden. Damit sie sich in diesen Gremien widerspiegeln können, dürfen sie natürlich nicht marginal
sein, sondern müssen schon eine bestimmte Größe haben.
({2})
Andernfalls gingen wir ja den Weg von Herrn Westerwelle, der für eine Gebührenzahlerdemokratie ist. Das
ist eine andere, auch eine demokratietheoretische Frage.
Die Länder haben sich dafür entschieden, alles zu tun,
damit sich die gesellschaftlich relevanten Kräfte in diesen Gremien widerspiegeln. Es gibt Länder, in denen ich
Sie dazu zähle, und es gibt Länder, in denen es anders
ist. Das ist doch klar.
({3})
Wir sind damit am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Parlamentarischer
Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Wir sind auch am Ende der Fragestunde. Ich habe
leider nicht die Möglichkeit, die Fragestunde zu verlängern. Das sage ich den Kollegen, die zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung Fragen
gestellt haben. Diese Fragen - es sind die Nummern 39
bis 43 - werden schriftlich beantwortet
Ihnen, Frau Staatssekretärin Brigitte Schulte, danke
ich ganz besonders. Ich weiß, dass Sie hinsichtlich der
Reihenfolge ein Anliegen haben; das muss noch einmal
besprochen werden. Aber bisher ist das Verfahren, wie
ich glaube, korrekt gehandhabt worden.
Nun gebe ich dem Kollegen Ulrich Heinrich das Wort
zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Vielzahl der
Fragen und das große Interesse des Hauses legen nahe,
dass wir der Regierung noch die Chance geben, all die
Antworten zu geben, die sie bislang nicht ausführlich
genug geben konnte. Deshalb beantrage ich im Namen
meiner Fraktion eine Aktuelle Stunde.
({0})
Dann rufe ich gemäß Nr. 1 b der Richtlinien in Anlage 5 unserer Geschäftsordnung auf:
Aktuelle Stunde
Auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Medienpolitik
Die Thematik ergibt sich aus den Fragen 35 bis 38.
Die Aktuelle Stunde muss unmittelbar nach Schluss
der Fragestunde durchgeführt werden. Ich eröffne die
Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen HansJoachim Otto.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antworten des
Herrn Staatssekretärs ({0})
- waren gut, aber nicht ausreichend. Sie haben nämlich
deutlich gemacht, dass wir alle in diesem Hause einen
dringenden Handlungsbedarf und einen Reformstau
beim Thema Medienordnung sehen. Nun hat die Bundesregierung in ihrem Aktionsprogramm mit dem bescheidenen Titel „Innovation und Arbeitsplätze in der
Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ angekündigt, dass sie mit den Ländern in Gespräche über
„gemeinsame Vorschläge für einen zukunftsfähigen,
ganzheitlichen Ordnungsrahmen unter Einbeziehung der
wirtschaftlichen, technologischen und internationalen
Entwicklung“ eintritt. Das sind wolkige Ankündigungen. Wir würden gerne wissen, was präzise die Absichten der Bundesregierung sind und mit welchen Zielen
sie in diese Gespräche hineingeht.
({1})
Es hat nach der Veröffentlichung des Aktionsprogramms in der Folgezeit die Veröffentlichung des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie gegeben. Jeder
vernünftige Mensch hätte nun annehmen können, dass
dies die Vorstellungen zumindest des Bundesministers
für Wirtschaft, am besten sogar der Bundesregierung
sind. Wir müssen den Antworten des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs heute allerdings entnehmen, dass
dies nicht der Fall ist. Die pauschale Antwort auf jede
dieser Fragen lautet, dass die Bundesregierung die Auffassung ihres eigenen Wissenschaftlichen Beirates so
nicht teilt. Das waren Ihre Worte, Herr Mosdorf. So
stellen sich in der Tat die Fragen: Was ist die Absicht?
Wohin geht die Reise, über die Sie mit den Ländern Gespräche führen wollen?
Halten wir uns bitte vor Augen: Wir laufen Gefahr, in
Deutschland ein Jobwunder zu verschlafen. Weltweit ist
die Medien- und Informationswirtschaft der am schnellsten wachsende Bereich. Allein in Deutschland sind es
bald 2 Millionen Menschen, die in diesem Bereich ihre
Arbeit finden. Aber unsere Zuwachsraten - diese Tatsache beunruhigt uns - liegen niedriger als in den meisten
Ländern. Es gibt also einen Nachholbedarf. Es gibt nicht
nur Gewitterwolken am Himmel, sondern es beginnt sozusagen bereits zu regnen.
Der Ordnungsrahmen für unsere Medien und für die
Telekommunikation ist anachronistisch. Er geht an den
technischen Realitäten vorbei und verursacht Fehlentwicklungen. In diesem Punkt, Herr Staatssekretär, wundere ich mich sehr, dass gerade Sie und Ihr Ministerium,
die in Sonntagsreden immer wieder die segensreichen
Wirkungen eines funktionierenden Wettbewerbs darstellen, all das für den Bereich der Medien nicht gelten
lassen wollen. Sie bauen hier protektionistische Schutzzäune insbesondere für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf.
({2})
Wir alimentieren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
in Deutschland mit 13 Milliarden DM pro Jahr. Es handelt sich um das teuerste öffentlich-rechtliche Rundfunksystem der Welt.
({3})
Die Rundfunkgebühren sollen jetzt auch noch erhöht
werden. Wir privilegieren den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk in vielfältiger Hinsicht, beispielsweise bei der
Kabeleinspeisung der Programme.
Wir leisten uns, Herr Staatssekretär - hier erwarte ich
Antworten und Vorschläge der Bundesregierung, was
sie gerne ändern möchte und mit welchem Ziel sie in die
Gespräche mit den Ländern geht -, die höchste Kontrollund Regulierungsdichte weltweit. Es gibt gerade jüngst
Tendenzen, von denen man sagen kann: Das geht hart an
die Grenze der Zensur.
Vizepräsident Rudolf Seiters
Wir halten an einer Medienordnung fest, die von der
Tatsache unbeleckt ist, dass die klassischen und die
elektronischen Medien im Zuge der Konvergenz weltweit zusammenwachsen. Wir haben immer noch eine
Medienordnung, die diesen Punkt übersieht. Sie haben ja
ausdrücklich gesagt, dass wir Handlungsbedarf haben.
Herr Staatssekretär, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, ich will sehr deutlich
machen: Jeder von Ihnen sollte wissen, dass Sie allein,
auch wenn Sie sich noch so mächtig fühlen, die Medienordnung in Deutschland nicht werden reformieren
können.
({4})
Das ist eine Aufgabe aller Fraktionen dieses Hauses und
vor allen Dingen eine Aufgabe, die wir gemeinsam mit
den Ländern zu lösen haben.
({5})
Von unserer Seite gibt es daher ein klares Angebot an
Sie: Angesichts der Tatsache, dass es in diesem Bereich
Reformbedarf gibt, sind wir bereit, die notwendigen
Schritte mitzutragen. Aber wir möchten von Ihnen wissen - mit Ihnen darüber diskutieren -, was denn präzise
Ihre Vorstellungen in diesem Bereich sind. Es reicht uns
nicht, dass Sie sagen: Wir vertreten die Auffassung des
Wissenschaftlichen Beirates so nicht. - Wir erwarten
vielmehr von Ihnen, dass Sie auf die Fragen bezüglich
dieses Bereiches, der für die Zukunft unseres Landes
und für die Arbeitsplätze in unserem Land von so zentraler Bedeutung ist, präzise Antworten geben. Wir bieten Ihnen in diesem Bereich unsere Zusammenarbeit an;
denn wir alle wissen, dass Bund und Länder nur gemeinsam zu einer offenen Medienordnung kommen
können.
Wir hoffen, dass in Zukunft dieses Thema auch in
diesem Hause häufiger auf der Tagesordnung steht. Wir
beklagen, dass über eine der größten Wirtschaftsbranchen in diesem Lande hier praktisch kaum
diskutiert wird.
Herr Staatssekretär, wir sagen Ihnen: Viele der Antworten, die Sie uns heute gegeben haben, stoßen nicht
auf unsere Zustimmung. Aber lassen Sie uns diese Fragen gemeinsam klären!
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am 10. November 1998 die Bedeutung der Medien und der Informations- und Kommunikationswirtschaft als zentrales
Politikfeld der Bundesregierung hervorgehoben.
({0})
Wir werden diesem Politikfeld, wie Sie wissen, eine
große Bedeutung beimessen. Deshalb haben wir bereits
nach einem Jahr - unter Bilanzierung dessen, was wir
vorgefunden haben - ein umfangreiches Aktionsprogramm vorgelegt, das wir jetzt abarbeiten und umsetzen.
Wir messen dieser Branche eine große Bedeutung bei.
Herr Otto, Sie wissen auch, dass wir viele der Fragen,
die jetzt eine Rolle spielen, in diesem Aktionsprogramm
aufgegriffen haben. Ich möchte Ihnen nur sagen: Wenn
wir als Bundesministerium für Wirtschaft einen Wissenschaftlichen Beirat gründen, dann ist dieser Beirat unabhängig. Sie können daran auch sehen, wie liberal wir so
etwas handhaben. Wir wollen nicht, dass in diesem Beirat nur das produziert wird, was wir gerne hören wollen.
Vielmehr wollen wir, dass der Wissenschaftliche Beirat gemäß seiner Tradition - unabhängig bleibt und seine
Meinung sagen kann. Das heißt aber, dass die Bundesregierung auch ihre Meinung zu diesen Beiratsergebnissen sagen kann.
({1})
Wir haben ein Gutachten von Professor Wolfgang
Hoffmann-Riem,
({2})
das wir in wenigen Tagen veröffentlichen werden, zum
Thema „Konvergenz - Regulierung von Telekommunikation, Medien und Informationstechnologie“ vorliegen.
Das ist ein gutes Dokument, das eine Reihe von Fragen
aufwirft, in denen es Handlungsbedarf gibt. Zugleich
zeigt es, dass man auch andere Positionen beziehen
kann.
Herr Otto, in einem muss man etwas vorsichtig sein:
Wir hatten - das ist richtig - in dieser Schlüsselbranche
der Zukunft technologische Vorsprünge verloren. Das,
was Sie geschildert haben, können Sie auch anhand
konkreter Zahlen nachvollziehen: zur PC-Penetration,
der Anzahl der Host-Adressen, der Internetanschlüsse.
Als wir die Regierung angetreten haben, hat uns das
große Sorge bereitet, dass wir diesbezüglich so abgehängt waren.
({3})
Ich glaube, wir wollen gemeinsam aufholen. Nur, ich
bitte Sie um eines: Man sollte das Land nicht schlechtreden.
({4})
Die Zuwachsraten in diesem Bereich sind in Deutschland inzwischen sehr hoch. Wir können sehr genau
registrieren, dass sich da eine Menge tut. Sehen Sie sich
den Raum Frankfurt an: Dort gibt es gegenwärtig eine
Hans-Joachim Otto ({5})
ganze Reihe von Neuniederlassungen von Firmen mit
Venture Capital, die gerade in diesen Sektor hineingehen wollen. Auch in anderen Bereichen, in Brandenburg, in Potsdam, in Hamburg, tut sich im Mediensektor
eine Menge. Die Zuwachsraten sind hoch. Aber Sie haben Recht: Wir müssen aufholen. Wir haben Vorsprünge
verloren. Ich will das jetzt gar nicht parteipolitisch bewerten. Nur, es ist Tatsache, dass wir eine Situation vorgefunden haben, in der wir enorm Tempo machen müssen.
Es ist wahr: Es gibt - das haben Sie ja angesprochen - Handlungsbedarf im Medienrecht. Das hat
vor allen Dingen etwas damit zu tun, dass wir einen
Konvergenzprozess erleben, der von den Verfassungsvätern so gar nicht gesehen werden konnte. Deshalb besteht im Ordnungsrahmen für Information, Kommunikation und Medien Reformbedarf. Die Digitalisierung
der Übertragungswege wird der Informations- und Medienlandschaft ein nach meiner Überzeugung völlig anderes Gesicht geben. Wir müssen uns auf diese Entwicklung einstellen. Das tun wir auch. Darüber hinaus
wird das Zusammenwachsen der berühmten „TimeBranchen“ - ich will das jetzt nicht im Einzelnen ausführen - dazu führen, dass es völlig neue Wertschöpfungsketten gibt, also auch eine Verknüpfung zwischen
klassischen Medien und neuen Medien. Deshalb bedarf
es eines Ordnungsrahmens, im dem möglichst nicht parallel, sondern gemeinsam mit den Ländern gearbeitet
wird.
Der derzeitige Medienordnungsrahmen mit der Aufteilung der Angebote in Informations- und Kommunikationsdienste einerseits und Rundfunk andererseits gibt
zwar einen pragmatischen, entwicklungsoffenen Weg
vor, um den besonderen Anforderungen einer sich verändernden Medienlandschaft gerecht zu werden.
Gleichwohl ist abzusehen, dass die inhaltliche Differenzierung der Medienangebote aufgrund der fortschreitenden wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung
neue Fragen aufwerfen wird.
Deshalb sind wir auch aktiv geworden und greifen dieses Thema auf.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, bei dem, wie ich
denke, das Ganze Haus Interesse an einem Fortschritt
hätte. Ein sinnvoller Reformschritt wäre nach meiner
Auffassung die Zusammenlegung der heute noch
15 Landesmedienanstalten zu einer einzigen Medienanstalt der Länder - nicht des Bundes, sie soll bei den
Ländern bleiben. Es macht keinen Sinn, dass man neue
Anbieter von Pontius zu Pilatus schickt und überall neue
Strukturen bestehen. Es macht Sinn zu sagen: Die Länder sind für den Rundfunk zuständig. Aber warum können sie das nicht in einer Medienanstalt machen? Heute
geben wir von den Rundfunkgebühren etwa 250 Millionen DM nur für Landesmedienanstalten aus. Ich glaube,
man könnte dieses Geld sinnvoller verwenden: Man
könnte es entweder dem Gebührenzahler zurückgeben
oder man könnte mit dem Geld, das die Landesmedienanstalten brauchen, Filmförderung betreiben oder ähnliche Dinge mehr. Wir könnten sehr viel tun, wenn wir
hier den Reformbedarf entsprechend handhaben. Deshalb sollten wir diesen Weg gehen.
In den Ländern gibt es übrigens Stimmen, die dies
ähnlich sehen. Der Vorsitzende der Direktorenkonferenz
der Landesmedienanstalten, Herr Dr. Schneider, hat vor
kurzem die Auffassung vertreten, dass eine gemeinsame
Medienanstalt der Länder auf staatsvertraglicher Ebene
jederzeit einrichtbar sei. Ich finde, das sind Zeichen
auch aus den Ländern, die uns ermutigen, diese Reform
voranzutreiben.
({6})
- Nein, es ist nicht nur eine Einzelstimme. Es gab auch
in Norddeutschland Anstrengungen - Herr Hirche, Sie
wissen das -, die nicht gleich gelungen sind. Warum
sollen wir die nicht positiv begleiten und versuchen, diese Anstrengungen zu einem Erfolg zu führen? In Süddeutschland ist es noch ein bisschen anders. Herr Tauss
hat eben auf ein sehr merkwürdiges Beispiel verwiesen.
Ich glaube jedenfalls, dass es dort Ansätze gibt, die wir
nutzen sollten, um voranzukommen.
Ich persönlich - das will ich Ihnen sagen, Herr Otto bin seit vielen Jahren auch mit der Arbeit der Bertelsmann-Stiftung vertraut. Sie wissen, dass die Bertelsmann-Stiftung nach einem langwierigen Beratungsprozess auch mit Wissenschaftlern die Medienwirtschaftsaufsicht im weiteren Sinne der kanadischen Regierung
im letzten Jahr mit dem Carl-Bertelsmann-Preis ausgezeichnet hat. Wenn man sich diese oder die FCC in den
USA ansieht, wo Telekommunikation und Rundfunk in
einem gemeinsamen Gremium - ({7})
- Die FFC hat mit vielen Leuten ein Problem. - Sie wissen, was ich meine. Wir sollten unter einem Dach mögliche Anknüpfungspunkte suchen. Herr Mayer, Sie wissen das ja. Ich glaube, wir sollten diesen Weg gehen.
Deswegen schlagen wir einen gemeinsamen Kommunikationsrat vor, den die Länder mit ihrer Rundfunkhoheit
und der Bund mit seiner Telekommunikationszuständigkeit bilden und in dem die Aufgaben entsprechend zusammengeführt werden könnten.
Zum Abschluss will ich sagen: Wir müssen aufpassen, dass der sensible Bereich Rundfunk und Fernsehen
nicht zu einem reinen Wirtschaftsgut abgewertet wird
und damit Gefahren des Qualitätsverfalls bestehen.
Wenn ich mir ansehe, was sich heute in den Medien abspielt, so kann ich nur sagen: Ich unterstütze voll und
ganz den Protest und die Kritik des rheinlandpfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck in Sachen
„Big Brother“. Ich halte es für skandalös, was RTL 2
plant.
({8})
Dies entspricht überhaupt nicht unserem Niveau. Ich
glaube, wir sind uns - ich sehe, dass viele Expertinnen
und Experten hier sind, die sich mit der Materie schon
lange beschäftigt haben -, immer darüber einig gewesen,
dass es sich hierbei nicht um ein Wirtschaftsgut handelt,
sondern um ein Kulturgut, das man genau anschauen
muss.
({9})
Deshalb wollen wir die duale Medienordnung, die wir
in Deutschland haben, aufrechterhalten. Dies schließt
leistungsfähige private Medienhäuser ein - wir haben
gute Medienhäuser in Deutschland -, die auch den Erfolg wollen. Die müssen sich nämlich auch international
behaupten. Deshalb wollen wir sie nicht nur zulassen,
sondern wir wollen, dass sie auch Erfolg haben. Wir
wollen aber gleichzeitig öffentlich-rechtliche Anstalten
haben, die modern sind, die effizient arbeiten und die
mit ihrer Grundversorgung durchaus auch in einem
Wettbewerb mit den privaten Medienhäusern steht. Deshalb, meine Damen und Herren, sind wir für die Beibehaltung des dualen Systems, für eine Form von kooperativem Föderalismus.
Aber eines wollen wir nicht. Als in Portugal neue
demokratische Strukturen geschaffen worden sind, hat
man nicht nur eine Lizenz für die Öffentlich-Rechtlichen
zugelassen, sondern nach einem bestimmten Zeitraum
auch noch zwei weitere Lizenzen, nämlich eine für die
katholische Kirche und eine für Berlusconi. Ich habe
jetzt einmal die portugiesischen Freunde gefragt, was
denn nach zwei, drei Jahren daraus geworden sei. Sie
haben mir gesagt: Die höchsten Einschaltquoten habe
Berlusconi, die höchste Qualität habe die katholische
Kirche und der öffentlich-rechtliche Bereich finde nicht
mehr statt.
({10})
- Nein, der fällt da durch. Ich nehme an, Sie wollen der
katholischen Kirche keine Lizenz geben.
({11})
- Das meine ich doch.
Ich glaube, dass sich die duale Rundfunkordnung in
Deutschland bewährt hat und wir deshalb alles tun sollten, um sie zu sichern.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Bernd Neumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen, die hier
zu einer Aktuellen Stunde geführt haben, beziehen sich
im Wesentlichen auf das Gutachten des Beirates beim
Bundeswirtschaftsminister, welches wir in der letzten
Woche sehr ausführlich diskutiert haben. Die besondere
Motivation, das noch einmal zu machen, hängt sicherlich damit zusammen, dass darüber nirgendwo berichtet
wurde. Vielleicht haben wir ja heute mehr Glück.
Natürlich stellt die Konvergenz, das heißt das technische Zusammenwachsen der Übertragungswege von
klassischem Rundfunk und neuen Medien, sprich: Multimedia, das ja letztlich beim Zuschauer zu nur einem
Gerät führt, den Gesetzgeber vor eine neue Lage.
({0})
Diese neue Lage führt dazu, dass wir den bisherigen
Ordnungsrahmen sicherlich immer wieder anpassen und
neu überdenken müssen.
({1})
Richtig ist auch: Es kann natürlich nicht alles bleiben,
wie es ist. Deshalb besteht bei dieser rasanten technologischen Entwicklung an sich immer gesetzlicher Handlungsbedarf.
Dabei gibt es für uns drei Grundsätze.
Erster Grundsatz: Ein Ordnungsrahmen als rechtliche
Grundlage zur Sicherheit für alle Anbieter ist unverzichtbar.
Zweiter Grundsatz: So wenig Regulierung wie möglich und so viel Deregulierung wie nötig, gerade auch
für den privaten Rundfunk.
Dritter Grundsatz: So wenig Kontroll- und Genehmigungsinstanzen wie möglich - wer kann anderer Meinung sein? -, und wenn schon die 15 Landesmedienanstalten nicht abzuschaffen sind - ich sehe dies leider so,
man muss ja trotz allem Realist bleiben -, dann sollten
wir auf keinen Fall eine neue Institution wie den Kommunikationsrat hinzufügen, Herr Kollege Mosdorf,
({2})
der aus Ihren Reihen gefordert wird.
Unsere Forderung dazu lautet: stärkere Differenzierung der Regulierungsinstanzen, und wenn schon nicht
fusionieren, dann besser koordinieren. Insoweit Zustimmung zum Gutachten.
Konvergenz im technischen Bereich, also bei der
Hardware, bedeutet nicht auch, die Inhalte, die transportiert werden, jeweils völlig gleich zu behandeln. Das
heißt, es sollten nicht alle Aufgaben im MultimediaBereich, seien es rein wirtschaftliche Aufgaben oder
Aufgaben des Rundfunks, unter die gleichen Kriterien
gestellt werden. Rundfunk - da stimme ich Herrn Mosdorf zu -, auch Privatrundfunk, ist mehr als ein normales
Wirtschaftsgut, mehr als pure Ware, mehr als das Handeln mit Zahnpasta oder Textilien. Die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts sieht deshalb besondere
Kriterien für den Rundfunk insgesamt vor, so im Hinblick auf Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenwürde und Meinungsvielfalt.
Hier hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk besonders hohe Verpflichtungen. Aber wir können auch den
privaten Rundfunk davon nicht völlig ausnehmen. Wer
sich die Tendenzen zu zum Teil Menschen verachtenParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
den, von Gewalt geprägten Beiträgen, zum Teil schon in
Talkshows, insbesondere im privaten Fernsehen am
Nachmittag, ansieht, kann doch nicht der Auffassung
sein, dass wir nun sämtliche medienrechtlichen Regelungen abschaffen und das Ganze ausschließlich dem
Kartellrecht zuordnen. Ich wenigstens kann dem nicht
zustimmen.
({3})
Im Übrigen bedeutete - es hat keinen Zweck, Herr
Kollege Otto, darüber eine theoretische Diskussion zu
führen - dies für die Bundesländer im Grunde den Entzug der Medienkompetenz, was auch im Gutachten gefordert wird. Dies halte ich für völlig unrealistisch. Man
muss noch diskutieren, wie wir statt dessen weiterhin für
Vielfalt eintreten.
({4})
Einen Satz möchte ich zum dualen System sagen dies stelle ich im Gegensatz zum Gutachten und vielleicht auch zu Ihnen, meine Damen und Herren von der
F.D.P., fest -: Das duale System, das heißt das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk, hat sich im Prinzip bewährt. Ich glaube, dass es
hier keines radikalen Umbaus bedarf, so wie das in dem
vorliegenden Gutachten steht. Denn es kommt immer
auf den Zuschauer an.
Die Informations- und Angebotsbreite von Hörfunk
und Fernsehen in Deutschland befindet sich, weltweit
betrachtet, in der Spitzengruppe, was die Qualität angeht. Allerdings - hier teile ich die betreffenden Aussagen des Gutachtens wieder - darf sich der öffentlichrechtliche Rundfunk nicht weiter ausbreiten. Die Tatsache, dass in den Jahren 1992 bis 1997 neben den sich
erhöhenden Angeboten im privaten Bereich - gerade im
Hörfunk kann sich das Angebot sehen lassen - die Sendeleistung von ARD und ZDF um 65,8 Prozent und die
des öffentlich-rechtlichen Hörfunks um 30,4 Prozent gestiegen ist, ist eine Entwicklung, die man stoppen muss.
({5})
Hier gilt es zum Ersten, dass sich der öffentlichrechtliche Rundfunk - ich teile die diesbezügliche Aussage des Gutachtens - auf seinen Auftrag der eine
Grundversorgung zu beschränken hat. Das bedeutet, es
sollte nicht nur Kultur, aber insbesondere Kultur auch
angeboten werden.
Zum Zweiten sollte aus unserer Sicht im Hinblick auf
die Ausgewogenheit im dualen System zumindest mittelfristig die Finanzierung anders geregelt werden. Das
heißt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mittelfristig nur aus Gebühren und der private Rundfunk nur aus
Werbung finanziert werden sollte.
({6})
Ein erster Schritt könnte sein, im Rahmen eines neuen
Staatsvertrags nach 20 Uhr oder überhaupt auf Sponsoring zu verzichten. Denn das ist im Grunde kaschierte
Werbung.
In diesem Sinne fasse ich zusammen: Das Gutachten
ist eine gute Grundlage. Wir teilen manches, aber nicht
alles und sind im Rahmen des laufenden Verfahrens
natürlich daran interessiert, dass die Bundesregierung zu
den verschiedenen Facetten dieses Gutachtens noch
deutlicher und konkreter als bisher Stellung nimmt.
Vielen Dank.
({7})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Margareta Wolf für die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es wird hier schon die ganze Zeit
gemutmaßt, warum wir diese Aktuelle Stunde durchführen. Herr Kollege Otto, wir haben letzte Woche ausführlich über die Informationsgesellschaft diskutiert.
({0})
Sie sagten, Sie würden von der Bundesregierung Antworten erwarten.
Um ein weiteres demokratietheoretisches Argument
anzuführen: Ich verweise darauf, dass es demnächst im
Rahmen des Kulturausschusses den Unterausschuss Medien geben wird,
({1})
wo wir Parlamentarier hinlänglich Möglichkeiten haben
werden, gegenüber der Bundesregierung unsere Angebote bzw. unsere Vorstellungen zu formulieren.
Es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn wir heute sowohl den öffentlich-rechtlichen als auch den privaten
Medien androhen würden, das Thema dieser Aktuellen
Stunde von nun an jede Woche auf die Tagesordnung zu
setzen, wenn sie heute nicht darüber berichten. Herr
Kollege Otto, vielleicht sind Sie dann zufrieden und verschonen uns fürderhin mit dieser ständigen Wiederholung von Debatten.
({2})
- Das ist ja wunderbar. Dann können wir diese Debatte
im Plenum beenden und darüber demnächst im Ausschuss sprechen.
Meine Fraktion teilt ebenso, wie Kollege Neumann
und Kollege Mosdorf es dargestellt haben, nicht die
Meinung, dass man den Medienmarkt ausschließlich
ökonomisch betrachten kann, wenngleich es mich im
Übrigen nicht wundert, dass er rein ökonomisch betrachtet wird. Ich habe gerade die Liste der Namen der
Bernd Neumann ({3})
Beiratsmitglieder durchgelesen. Es handelt sich zu
99 Prozent um Volkswirte. Man kann ihnen, wie ich finde, nicht verübeln, dass sie den Medienmarkt so beurteilen.
Aufgabe der Politik aber ist es, den Medienmarkt
auch unter Gesichtspunkten wie Meinungsvielfalt, Demokratie und - zusammengefasst - Kulturgut zu betrachten. Das heißt aber nicht, dass wir nicht der Meinung sind, dass es auf diesem Gebiet keinen Wettbewerb
geben sollte. Herr Otto, ich möchte darum bitten, dass
wir zwischen quantitativem und qualitativem Wettbewerb differenzieren. Ich hatte bis jetzt nicht den Eindruck, dass Sie tatsächlich in der Lage sind, den qualitativen Unterschied, den es zwischen dem öffentlichrechtlichen und dem privaten Bereich gibt, zu erkennen.
({4})
Dazu möchte ich eine These aufstellen: Es gab im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in den letzten Monaten
zwei im Zusammenhang mit der Debatte über kulturelle
Angebote wichtige Sendungen. Die eine hatte die Tagebücher von Klemperer und die andere den Roman „Jahrestage“ von Johnson zum Inhalt.
So etwas habe ich bei den Privaten noch nie gesehen.
Das ist für meine Begriffe ein Indikator dafür, dass die
öffentlich-rechtlichen Sender tatsächlich ein qualitativ
höherwertigen Anspruch an sich selber stellen - vielleicht durch die Art der Programmgestaltung, durch die
Beteiligung der Länder, durch die Beteiligung der Parlamentarier -, als es die privaten getan haben oder bis
dato tun.
Wir freuen uns, dass offensichtlich die absolute
Mehrheit dieses Hauses für die Beibehaltung des dualen
Systems im Rundfunk eintritt.
({5})
- Die großen Fraktionen und Bündnis 90/Die Grünen.
Von der PDS weiß ich es nicht. Sie tun dies offenbar
nicht, Herr Kollege Hirche.
Wir denken, dass sich das duale System bewährt hat,
und treten für ein Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein.
({6})
Hierbei orientieren wir uns, Herr Kollege Otto, an folgenden Zielsetzungen: Erstens glauben wir, dass es einer
Universalität des Angebots bedarf. Zweitens meinen
wir, dass die Stärkung der Identität des Gemeinwesens
eine Zielrichtung sein muss. Auch den dritten Punkt
halte ich für ganz wesentlich; das ist die Interessenferne
des Rundfunks, das heißt Staatsferne und Unabhängigkeit von Interessengruppen und Wirtschaftsunternehmen. Ich halte das Beispiel von Herrn Mosdorf in Bezug
auf Kirch und Berlusconi in diesem Kontext für ganz
einleuchtend
({7})
- und hilfreich; danke, Herr Tauss.
({8})
Die föderative Ordnung führt natürlich zu einer gewissen Zersplitterung der Zuständigkeiten. Deshalb befindet man sich im Gespräch mit den Ländern. Allerdings glaube ich nicht, dass die landesbezogenen Rundfunkanstalten ein Weniger an Bürgernähe und ein Weniger an Qualität bedeuten. Im Gegenteil: Sie bedeuten ein
Mehr an Partizipation und ein Mehr an Bürgernähe. Dafür treten wir ein.
Im Mediendienste-Staatsvertrag ist die Zulassungsfreiheit für Mediendienste festgeschrieben worden. Von
einer Behinderung neuer Angebote im Netz kann nicht
gesprochen werden. Wir tun alles - das wissen Sie
auch -, um die Selbstständigkeit im Netz und das Entstehen neuer Dienste zu fördern. Gleichzeitig müssen im
Zuge der Konvergenz der Medien möglicherweise die
notwendigen Anpassungen des Rechts ständig diskutiert
werden. Deshalb freue ich mich, dass es einen Unterausschuss gibt. So können wir die Entwicklung ständig begleiten und uns ordentlich miteinander streiten.
Danke schön.
({9})
Für die Fraktion der
PDS spricht die Kollegin Angela Marquardt.
Frau Wolf, jetzt kann ich
den Standpunkt der PDS vortragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen - von der F.D.P.
sind heute nur Kollegen anwesend -, die F.D.P. unternimmt wirklich alles, um das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates ans Licht der Öffentlichkeit zu
bringen. Wenn ein Gremium des Bundeswirtschaftsministeriums Positionen der F.D.P. verkündet, ist auch
nachvollziehbar, dass Sie versuchen, dies entsprechend
umzusetzen. Das ist natürlich eine prima Vorlage für
Sie. Ich kann nur unterstützen, dass sich die Bundesregierung diesem Gutachten nicht in Gänze anschließen
kann. Das Gutachten wird auch nicht besser, je mehr
man darüber diskutiert.
Das Einzige, was in diesem Gutachten zum Ausdruck
kommt, ist, dass die F.D.P. - wenn sie sich dem Gutachten anschließt - keine Medienordnung will. Ich glaube, dass das nicht das richtige Ziel ist. Wenn es nach Ihnen ginge, würde allein der Markt, würden allein die
Wettbewerbskräfte die Entwicklung regulieren und würde das Kartellamt als oberster Hüter der Medienfreiheit
auftreten. Sie wollen die neuen Medien endgültig zu einem reinen Wirtschaftsfaktor machen. Dabei müsste Ihnen doch spätestens die aktuelle Spendenaffäre zeigen,
dass in unserer Demokratie die Presse- und Informationsfreiheit ein unabdingbares Gut ist, das geschützt
werden muss, auch vor Profitinteressen der Wirtschaft.
({0})
Margareta Wolf ({1})
Es wird immer wieder deutlich, dass die Wirtschaft,
so zynisch das auch ist, kein Interesse an unabhängigen
Politikern und an unabhängigen Medien hat.
({2})
Umso wichtiger ist es, dass es Institutionen gibt, die so
wichtige Pfeiler wie die Medien in einer Demokratie vor
einer solchen „Landschaftspflege“ schützen.
Wenn man unabhängige Medien will, braucht man
eben eine demokratische, eine gesellschaftliche Kontrolle und keine Wirtschaftskontrolle. Reden Sie doch
nicht um den heißen Brei herum! Sagen Sie, dass Sie das
duale Rundfunksystem abschaffen wollen!
({3})
Aber das ist meiner Ansicht nach ein Angriff auf die öffentlich-rechtlichen Sender und somit ein Angriff auf
den ganz speziellen, hier schon erwähnten Sendeauftrag,
nämlich die Grundversorgung. Diesen Angriff kann die
PDS nicht mittragen; so etwas sollte man nicht zulassen.
({4})
Zum Glück sind Sie mit dieser Position hier im Hause
auch weitestgehend isoliert.
Es lässt sich natürlich nicht abstreiten, dass es eine
technische Konvergenz im Bereich der Informationsund Kommunikationstechnologien gibt. Ebenso ist klar,
dass dies eine neue Form der Regulierung auch im Medienbereich erfordert und notwendig macht.
({5})
Aber eine neue Form der Regulierung muss nicht zwingend bedeuten, dass jede medienspezifische Regulierung
abgeschafft werden muss.
({6})
Die derzeitige Dreiteilung der Angebote in Teledienste, Mediendienste und Rundfunk ist sicherlich eine Interimslösung. Auch die von Bund und Ländern gemeinsam entwickelte Struktur, die derzeitige dreiteilige
Struktur, ist sicherlich nicht die einzig denkbare Lösung.
({7})
Dennoch ist sie für mich zurzeit eine positive Alternative zu den Vorstellungen der Deregulierungsfanatiker,
wenn ich das einmal so ausdrücken darf.
Letzte Woche hat mir der Kollege Hubertus Heil ja
vorgeworfen, dass ich sozusagen eine Überregulierung
will. Ich kann Sie wirklich beruhigen: Das will ich nicht.
({8})
Das will auch die PDS nicht.
({9})
- Ich wollte gerade sagen: Wir haben es ja hinter uns.
Ich will dorthin mit Sicherheit nicht zurück.
Das, was wir wollen, deckt sich mit dem, was auch
die SPD will. Auch wir wollen einen flexiblen Rahmen
für die Medienordnung. Es gilt, einen entwicklungsoffenen Weg, wie es gesagt wurde, einzuschlagen. Das Tempo, mit dem sich der Markt verändert, verlangt eben eine
ständige Überprüfung der Regelungen, wie es hier auch
angesprochen wurde. Dem kann man sich auch überhaupt nicht verschließen, denke ich.
({10})
Lassen Sie mich noch einen Satz zu Ihrem Vergleich
mit den Printmedien, mit dem Zeitungsmarkt sagen.
Dort bestimmt der Wettbewerb die Regeln. Ich habe im
Rahmen meines Studiums alle entsprechenden Berichte
des Bundeskartellamts über Fusionen lesen müssen.
({11})
Da können Sie einfach nicht abstreiten, dass der Wettbewerb dazu geführt hat, dass Meinungsmonopole errichtet werden konnten. Kleinere Zeitungen haben aufgrund ihrer Auflage und der Tatsache, dass sie nur wenige Anzeigen akquirieren können, kaum eine Chance,
auf dem Markt zu bestehen. Auf dem Markt entscheidet
sich das Überleben dieser Zeitungen.
Bestimmte Internetdienste mögen mit dem Printbereich vergleichbar sein, nicht aber Hörfunk und Fernsehen. Um einen neuen Sender zu gründen, braucht man
nicht nur eine Frequenz oder einen Kabelplatz, sondern
eben auch sehr viel Kapital. Das haben sehr viele kleinere Unternehmen nicht; das brauche ich Ihnen als der
Partei der Wirtschaft nicht zu sagen. Ich denke, dass
aufgrund der Meinungsvielfalt, die es zu erhalten gilt,
dieser Bereich keinesfalls dem freien Markt überlassen
werden darf.
Sie haben es ja nun geschafft, wieder eine Aktuelle
Stunde aufzusetzen. Aber Ihr Anliegen finde ich wirklich nicht aktuell und ich finde auch nicht, dass es
durchgesetzt werden sollte. Die Debatte um Regulierungsformen brauchen wir, keine Frage.
({12})
Wenn Ihr Eifer heute dazu beigetragen hat, dann hat der
Vorstoß doch, denke ich, gute Seiten, die darin zu sehen
sind, dass wir mehr darüber diskutieren und vielleicht
auch zu gemeinsamen Vorschlägen kommen.
Danke.
({13})
Für die SPDFraktion spricht der Kollege Hubertus Heil.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Marquardt,
eine Klarstellung: Wenn Sie die F.D.P. als Partei der
Wirtschaft bezeichnen, so bestreiten wir das natürlich
ganz massiv.
({0})
Angesichts eines früheren Beitrags des Kollegen Kleinert im Fernsehen muss ich sagen: Sie ist eher die Partei
der Gastwirtschaft.
Nach § 106 unserer Geschäftsordnung hat jede Fraktion des Bundestages natürlich die Möglichkeit, ein
Thema im Rahmen einer Aktuellen Stunde auf die Tagesordnung zu setzen. Das ist ein juristisch legitimes
Recht. Man kann aber politisch fragen - das ist vorhin
schon thematisiert worden -, warum wir heute im Plenum noch einmal darüber reden. Wir haben in der letzten Woche eine reguläre Debatte dazu geführt,
({1})
- Herr Kollege Hirche, hören Sie ruhig zu! - in der das
schon zur Sprache gekommen ist. Dem Kollegen Neumann blieb nichts anderes übrig, als noch einmal das zu
wiederholen, was er da gesagt hat. Es ging nämlich auch
da um die Dinge, die heute in unserer Debatte eine Rolle
spielen.
Wir haben damals Ihren Antrag an die Ausschüsse
verwiesen. Wir können in diesem neuen Ausschuss gemeinsam darüber diskutieren. Aber, wie gesagt, manchmal muss man das noch einmal in die Öffentlichkeit zerren und deshalb sind wir heute hier.
Die SPD-Bundestagsfraktion teilt die Auffassung,
dass Medien kein reines Wirtschaftsgut sein dürfen.
({2})
Die rein ökonomische Betrachtungsweise, die das Gutachten bietet, greift für uns zu kurz. Wir bestreiten dennoch nicht, dass natürlich Rundfunk und Fernsehen auch
ein Wirtschaftsgut sind. Auch die sozialdemokratische
Bundestagsfraktion bekennt sich daher zum dualen System. Der Unterschied, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen von der F.D.P., zwischen Ihnen und uns in dieser Frage - um das sehr deutlich zu sagen - ist aus meiner Sicht, dass Sie ein System abschaffen wollen und
wir Reformen im System wollen. Das ist jedenfalls der
Punkt, auf den es hinausläuft.
({3})
- Jedenfalls kann ich Ihre Äußerungen, Herr Kollege
Otto, nicht anders verstehen.
Wenn das nicht so sein sollte, dann freue ich mich, dass
Sie dazugelernt haben. Die PDS hat eben beschrieben,
dass sie seit der letzten Sitzung zu diesem Thema dazugelernt hat und nicht mehr alles regulieren will. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass wir uns
darüber fachlich im Ausschuss unterhalten.
Wir wollen - wie gesagt - Reformen im System vornehmen. Der technische Fortschritt schafft Potenziale
am Standort Deutschland für Arbeitsplätze. Wir wollen
die Reformen also vornehmen, brauchen aber einen klugen Abwägungsprozess, damit das Kind eben nicht mit
dem Bade ausgeschüttet wird, sondern Demokratie,
Meinungsvielfalt und kulturelle Errungenschaften nicht
gering geschätzt werden und dies nicht alles abgeschafft
wird.
Ich gebe zu, dass sich nicht jede Regel aus sich selbst
heraus definieren kann. Man muss sich schon fragen,
warum Regulierungen vorhanden sind. Überkommene
Regeln - Kollege Mosdorf hat das in Bezug auf die
Vielzahl der Landesmedienanstalten ausgeführt - gehören durchaus auf den Prüfstand. Es ist umgekehrt aber
nicht vernünftig zu sagen, dass Regulierungen im System per se schlecht sind. Wir brauchen einen weit gefassten Orientierungsrahmen; das räume ich gerne ein.
Wir wollen diesen Dialog darüber führen. Sie wissen,
dass zumindest wir nicht bereit sind, den Föderalismus
in diesem Punkt einfach in Frage zu stellen. Wir stehen
dazu, dass eine Kultushoheit der Länder besteht. Wir
stehen auf dem Boden der Verfassung und auf den entsprechenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Wir wollen mit den Ländern das Gespräch führen. Das halten wir für notwendig. Auch Sie können das
in den paar Landesregierungen, in denen Sie noch vorhanden sind, tun. Das gilt übrigens auch für die Kolleginnen und Kollegen der CDU. Ich glaube, wir können
einen parteiübergreifenden Konsens dahin gehend herstellen, dass in den Ländern im Rahmen der Möglichkeiten etwas geschehen kann.
Meine Damen und Herren von der F.D.P., eine Bemerkung an Ihre Adresse: Sie verwechseln mit Ihren
Vorstellungen, in der Diskussion zweierlei: öffentlichrechtlich ist nicht gleich staatlich. Wir haben keinen
staatlichen Rundfunk in Deutschland, sondern einen öffentlich-rechtlichen. Das wissen Sie.
({4})
Es gibt Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
von Anfang der 60er-Jahre, die - als in einer völlig anderen Situation ein damaliger Bundeskanzler versuchte,
einen eigenen Fernsehsender zu gründen - genau das
deutlich gemacht haben.
Wir sehen Reformbedarf bei der Vielzahl der Behörden. Wenn man über einen Kommunikationsrat diskutiert, dann finde ich das keine schlechte Debatte. Das
heißt aber, dass man ein neues Gremium schafft, in dem
andere Aufsichtsgremien aufgehen und Dinge gebündelt
werden. Darum geht es. Darin sind wir uns einig: Wir
wollen nicht zusätzlich etwas schaffen und draufsatteln,
sondern wollen ein Dach finden, unter dem die verschiedenen Beteiligten versammelt sind, damit man Diskussionen nicht zehn Mal an verschiedener Stelle führen
muss.
Wir halten deswegen auch die Gründung des Unterausschusses „Neue Medien“ für sinnvoll, weil wir auch
hier im Hause eine Aufteilung zwischen Wissenschaft
und Forschung, Kultur und Medien sowie bei Wirtschaft
hatten. Auch da können wir interdisziplinär vorankommen.
Ich verstehe aber nicht - das lassen Sie mich scherzhaft sagen -, dass sie immer so beklagen, dass der öffentliche Rundfunk in den letzten Jahren so maßlos ausgewuchert sei.
({5})
Sehen wir uns das einmal konkret an: Ich höre hier in
Berlin sehr gerne „Info-Radio“. Ich bin froh, dass hier
die Nachrichten nicht von Werbung unterbrochen werden. Ich sehe ganz gerne den Sender „Phoenix“, der uns
Politikern - im Gegensatz zu anderen Sendern hin und
wieder Aufmerksamkeit schenkt, damit wir unsere
Nachrichten auch nach außen bringen können. Ich habe
auch nichts gegen den „Kinderkanal“, den ich nicht so
oft sehe; das gebe ich gerne zu.
({6})
- Ich bin zwar ein bisschen jünger als Sie, aber das ist
doch keine Schande.
Abschließend sage ich sehr deutlich: Der Vielschichtigkeit dieser Debatte angesichts der technischen Entwicklungen können wir nur ordentlich vorbereitet in den
zuständigen Gremien, in den Ausschüssen gerecht werden. Die SPD-Bundestagsfraktion will und wird vorankommen. Ich biete Ihnen an, dass wir gemeinsam und
ohne ideologische Scheuklappen diskutieren. Ich glaube,
dazu in dem Aktionsprogramm der Bundesregierung einen Beitrag zu sehen, der genau das beschreibt, was wir
wollen. Wir vertrauen darauf, dass das Programm nicht
nur etwas beschreibt, sondern dass die Bundesregierung
auch handelt.
Herzlichen Dank.
({7})
Nach der ersten
Runde will ich darauf hinweisen, dass - mit Ausnahme
der Kollegin Margareta Wolf, was ich rühmend hervorhebe - alle Redner ihre Redezeit deutlich überschritten
habe. Ich bitte darum, dass wir jetzt in der zweiten und
dritten Runde die Regeln der Aktuellen Stunde einhalten.
Ich gebe dem Kollegen Martin Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Die Forderung der
Gutachter, die Rundfunkordnung total umzukrempeln
und den Rundfunk nur noch nach rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu regeln, halte ich für falsch. Ich
will das auch begründen.
Welchen Sinn soll es machen, eine Rechtsordnung
vom System her völlig umzukrempeln, wenn diese Ordnung bisher offensichtlich zu besten Ergebnissen geführt
hat? Die Gutachter sagen selbst, dass es in Deutschland
mit 30 werbefinanzierten Fernsehprogrammen eine Vielfalt gibt, von der die Franzosen und die Briten nur träumen können.
({0})
Auch die Entwicklung der neuen Medien ist durch die
Rundfunkordnung nicht behindert worden. Mit dem Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz und
dem Medienstaatsvertrag ist ein Kompromiss gefunden
worden, nach dem sich Onlinedienste und Internet hervorragend entwickeln konnten und können. Wenn es in
Deutschland noch einen Nachholbedarf gibt, Herr Mosdorf, dann liegt es an bestimmten Rahmenbedingungen,
beispielsweise den Steuersätzen und auch der laschen
Haltung der jetzigen Bundesregierung in der Frage der
Monatspauschale der Telefongebühren für das Internet.
Das muss geändert werden.
({1})
Das Gutachten fordert eine Verlagerung der Medienaufsicht von den 15 Landesmedienanstalten auf das
Bundeskartellamt. Mit dieser Zentralisierung - von der
F.D.P. unterstützt - ist, wie das Beispiel der amerikanischen Federal Communications Commission, FCC,
zeigt, weder eine Vereinfachung noch eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren verbunden. Die 15
Landesmedienanstalten arbeiten nämlich nicht parallel,
sondern arbeitsteilig. Für eine Lizenzierung wird man
bei einer Landesmedienanstalt den Antrag stellen. Dort
wird er für ganz Deutschland beschieden. Insofern kann
eine Konzentration oder eine Zusammenfassung der
Landesmedienanstalten keinen zusätzlichen Effekt bringen.
({2})
Ich möchte schon gerne wissen, was der von Ihnen
vorgeschlagene Kommunikationsrat dann wirklich sein
soll. Ist er eine zusätzliche Einrichtung, die sozusagen
nur koordiniert? Oder ist er eine Zusammenfassung, also
eine Mammutbehörde, was Sie Herr Mosdorf, vorhin
wieder abgestritten haben und von der Sie nichts mehr
wissen wollten?
Ohne den Wettbewerbsföderalismus im Medienbereich wäre die Rundfunklandschaft in Deutschland heute
ärmer. In Bayern gibt es beispielsweise eine Fülle von
lokalen Hörfunk- und Fernsehprogrammen. Diese Angebote gäbe es nicht, wenn nicht die Landesmedienanstalt in besonderer Weise die Förderung betrieben hätte.
Ich will hier, weil vorhin von den Finanzen geredet
worden ist, darauf hinweisen, dass die Landesmedienanstalten in besonderer Weise auch die Medienkompetenz,
den Jugendschutz und die Medienausbildung fördern.
Die Aussagen des Gutachtens gehen im Übrigen von
einer falschen Prämisse aus. Sie gehen nämlich davon
aus, dass die Knappheit der Übertragungswege im
Rundfunkbereich überwunden ist. Diese Aussage mag
zwar für den Hörfunk richtig sein; sie ist für das Fernsehen aber absolut unzutreffend. Gegenwärtig ist im Gegenteil eine Verknappung von Fernsehübertragungswegen durch die parallele Ausstrahlung von analogen und
digitalen Programmen zu beobachten. Dazu kommt noch
die Frequenzzuweisungsplanungsverordnung, nach der
aus Gründen der Sicherheit ein oder zwei Kanäle möglicherweise wegfallen.
Erst wenn das digitale Fernsehen flächendeckend
eingeführt ist, werden sich die Zahl der Übertragungswege für das Fernsehen verfünffachen, womit wir dann
mehr Übertragungswege hätten. Die Vorstellung, dass
wir in absehbarer Zeit Fernsehen über die Telefonleitung
bekommen, ist völlig illusorisch; denn es wird niemand
zusätzlich zu den Fernsehgebühren auch noch die laufenden Telefongebühren für die Fernsehübertragung
zahlen.
Am vergangenen Donnerstag haben wir an dieser
Stelle eine Grundsatzdebatte über die Zukunft der Medien geführt. Dabei ist deutlich geworden, dass die Bundesregierung mit der Anpassung der Rechtsordnung im
Rückstand ist. Sie sollte deshalb ihre Hausaufgaben machen, statt sich mit Gedankenspielen von übermorgen zu
beschäftigen.
({3})
Die Frau Kollegin
Elke Leonhard spricht nun für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Die von der Fraktion der
F.D.P., ich würde sagen: in Wiederholung und Variation
gestellten und durch die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgeworfenen Fragen eignen
sich nicht dazu, einfache Antworten zu geben. Ich glaube, das zeigt die Debatte des heutigen Tages erneut.
Im Gegenteil: Es werden neue, dringend zu beantwortende Fragen aufgeworfen, denen wir uns, wie Sie
unschwer gemerkt haben werden, nicht entziehen. Ich
erinnere an die vielfältigen Initiativen des früheren Vorsitzenden der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg
in die Informationsgesellschaft“ und jetzigen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Siegmar Mosdorf, aber vor allem an das heute
oft erwähnte Aktionsprogramm der Bundesregierung.
Wir müssen uns, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
in dieser Diskussion - bei allem Respekt vor Kompetenzen und Interessen - sehr in Acht nehmen, vorschnell
Grenzen zwischen Bund und Ländern, zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten sowie zwischen klassischen und neuen Medien zu ziehen. Grund dafür ist die
nach meiner festen Überzeugung wesentlichste Entwicklung im Medienbereich überhaupt: die zunehmende
Konvergenz der Medien, das Zusammenwachsen von
Computertechnologie, Telekommunikation, Unterhaltungselektronik und den klassischen Medien Rundfunk
und Fernsehen.
Anders ausgedrückt, geht es um das, was Hans
Magnus Enzensberger in den 70er-Jahren in seinem
„Baukasten zu einer Theorie der Medien“ als Auflösung
einer starren Hierarchie von Sendern und Empfängern
bezeichnete. Das, was damals Utopie - man könnte sogar sagen: Vision - war, ist heute Realität. Genau dieser
Realität müssen wir uns stellen. Der terrestrische,
sendergestützte Rundfunk mit speziellen Fragestellungen wie der nach der Frequenzvergabe ist dabei nur ein,
aber ein nicht unwesentlicher Aspekt.
Die tatsächlichen, nicht zu leugnenden Schwierigkeiten privater Rundfunkanbieter bei der Frequenzvergabe sind Wirkungen unterschiedlicher Ursachen, die
heute alle schon erwähnt wurden. Dazu gehört der
Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anbieter, der neben dem Qualitativen die Flächendeckung
beinhaltet, die, technisch gesehen, hohen Frequenzbedarf und Überlappungen nach sich zieht. Die Schwierigkeiten sind selbstverständlich auch Nachwirkungen der
historischen Entwicklung, an deren Anfang die öffentlich-rechtlichen Anbieter standen. Dieses Monopol besteht nicht mehr, und der technische Fortschritt wird
zeigen, welche neuen technischen Möglichkeiten sich
eventuell bei der Ausstrahlung ergeben. Demgegenüber
steht der Grundversorgungsauftrag des öffentlichrechtlichen Rundfunks außer Frage. Das allseits bekannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts spricht eine deutliche Sprache.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die
entsprechende Frage der F.D.P.-Fraktion in der Fragestunde sagen: Ich sehe auch nicht den geringsten Anlass,
in Deutschland von Zensur, wie es die Kollegin Kopp
getan hat, oder von Monopolisierung zu sprechen, von
Analogien, die auf mittelalterliche Terminologien zurückgreifen, ganz zu schweigen.
({0})
Es ist zwar richtig, dass eine Rundfunkratssitzung in
Mainz oder Saarbrücken die global drängenden Fragen
nicht lösen kann, die Tätigkeit von Kontrollgremien aber
- ungeachtet der Tatsache, dass deren Effizienz ohne
Frage zu steigern ist - mit „vordemokratischen, ständischen Prinzipien“ in Verbindung zu bringen, Herr Kollege Otto, kann beim besten Willen nicht als hilfreicher
Hinweis ausgelegt werden.
({1})
- Gut, das nehme ich zur Kenntnis; aber das macht es
nicht besser. Sie haben das Gutachten so gelobt, dass ich
Sie jetzt gleich damit in Verbindung gebracht habe.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, worüber wir intensiv nachdenken müssen und was zu den zentralen Aufgaben des
Ausschusses für Kultur und Medien gehören wird, ist
das Angehen des Problems des Regulierungswirrwarrs,
der in Deutschland unübersehbar ist. Für die klassischen
Medien gilt der Rundfunkstaatsvertrag der Länder, dessen fünfte Änderung bereits vor In-Kraft-Treten der
vierten diskutiert wird, und es gelten 16 darauf aufbauende Landesgesetze. Da ist zum anderen die Vielzahl
der Kompetenzen, die sektoral und vertikal zwischen
Dr. Martin Mayer ({3})
Bund und Ländern, unterschiedlichen Ministerien, der
Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation,
16 Staatskanzleien der Länder, 15 Landesmedienanstalten, den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks, der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
({4})
und der Kommission zur Ermittlung der Konzentration
im Medienbereich gesplittet sind. Diese Liste wäre noch
fortzuführen, erhebt also mit anderen Worten nicht den
Anspruch auf Vollständigkeit.
Nur ein Vergleich: In Kanada liegt die Zuständigkeit
bei einer einzigen Behörde, ohne dass Nachteile für
Wirtschaft oder Öffentlichkeit ersichtlich wären.
({5})
Ich sehe das rote Licht aufleuchten. - Wir werden uns
im Unterausschuss für Kultur und Medien mit Sicherheit
noch viel streiten. Im Übrigen finde ich es gut, dass Sie
dies alles eingebracht haben. Ich wünsche mir eine kritische, eine konstruktive und auch eine freche Opposition.
In mancher Hinsicht haben Sie da noch Nachholbedarf.
Wir haben es damals doch provokanter gestaltet.
Ich bin sicher, dass der heute zu gründende Unterausschuss nicht nur den Medienstandort, die Qualitätssteigerung und ein internationales Regelwerk thematisieren
wird, sondern und vor allem auch die kulturelle Dimension und Bedeutung der Medien als wesentlichen Befassungsgegenstand haben wird.
Ich danke Ihnen.
({6})
Frau Dr. Leonhard,
das war ein Bonus für die Präsidentin der Deutschen
Parlamentarischen Gesellschaft.
({0})
Nun hat der Kollege Walter Hirche das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Dinge vorab.
Erstens. Die F.D.P. sagt Ja zum dualen System.
({0})
Zweitens. Natürlich haben Medien einen Doppelcharakter. Sie sind Wirtschaftsgut und Kulturgut. Wir sollten uns hier also nicht über falsche Frontstellungen unterhalten, sondern sollten vielleicht dem nachgehen, was
eben auch Kollegin Leonhard angesprochen hat.
Angesichts der Situation, die durch die technische
Entwicklung des letzten Jahrzehnts und insbesondere
der letzten Jahre eingetreten ist, sollten wir uns darüber
unterhalten, was in diesem Zusammenhang verändert
werden muss. Dabei stoßen wir natürlich auf das Phänomen, dass hier eine Bürokratisierung der Aufsicht
vorhanden ist, dass auch eine Bürokratisierung von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren vorhanden ist.
Wenn der Wissenschaftliche Beirat sagt, es solle der
Frage nachgegangen werden, was durch Wettbewerb
statt durch Bürokratisierung geregelt werden kann, und
Sie meinen, das sei ein spezifischer F.D.P.-Ansatz, dann
sagen wir Ja dazu, weil wir glauben: In allen Bereichen
unserer Gesellschaft ist es wichtig, auf das Element des
Wettbewerbs zu achten und zu sehen, was er leisten
kann. Wir brauchen an diesen Stellen keine gesetzlichen
Vorgaben, wir brauchen an diesen Stellen keine bürokratischen Regelungen.
({1})
Wir müssen uns natürlich - meine Damen und Herren, auch da sind wir uns doch einig - auf gesetzliche
Regeln verständigen, darauf, dass gewisse Grundsätze,
die etwa im Jugendschutz gelten, für jeden Bereich unserer Gesellschaft gelten, erst recht - so könnte man sagen - für die Medien, weil es hier diesen Doppelcharakter von Wirtschafts- und Kulturgut gibt. Das ist für
uns selbstverständlich.
Wir stoßen bei der Neuregelung auf eine typische
Schwierigkeit. Herr Mosdorf, darauf wollte ich vorhin
mit meiner Nachfrage aufmerksam machen. Die Rundfunkhoheit ist de facto die einzige Ressortkompetenz,
die Ministerpräsidenten in Deutschland haben, weil alle
anderen Ressorts sozusagen verteilt waren, als die Länder gegründet wurden, aber es zu diesem Zeitpunkt noch
die Alliierten gab, die die Aufsicht über den Rundfunk
wahrnahmen. Als sie diese Aufgabe in deutsche Hoheit,
an die deutschen Länder überführten, haben die Ministerpräsidenten zugegriffen.
Wenn jetzt von Föderalismus die Rede ist, dann bedeutet das in Wirklichkeit, dass die Ministerpräsidenten
aller Couleurs ihre eigene Machtbasis tangiert sehen.
Das muss man nüchtern feststellen, Herr Neumann.
Deswegen kann man dem dann, wenn man an der Regierung beteiligt ist, möglicherweise etwas abgewinnen,
obwohl der Juniorpartner bei solchen Sachen immer
schlecht aussieht. Lassen Sie mich diesen Punkt mit folgendem Hinweis abschließen: Herr Mosdorf - vielleicht
war es ein Versprecher oder ein Hörfehler meinerseits -,
Sie haben vom korporativen Föderalismus gesprochen.
Mit dem kooperativen Föderalismus wären wir einverstanden gewesen.
({2})
- Gut, ich habe mich verhört. - Ich möchte dann wenigstens deutlich machen, dass ein ganz entscheidender
Unterschied zwischen korporativem und kooperativem
Föderalismus besteht. Genauso wie viele vom „Förderalismus“ reden, weil sie immer an Geld denken müssen,
das im Zusammenhang mit dem Föderalismus fließt,
denken viele im Zusammenhang mit dem kooperativen
Föderalismus an irgendwelche korporativen Elemente.
Wir sind uns offenbar einig, dass Föderalismus etwas
anderes bedeutet.
Ich halte fest - das hat Frau Kollegin Leonhard eben
auch gesagt -: Die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks müssen wieder im Hinblick auf die Grundversorgung definiert werden. Er ist heute in allem zu fett
und zu vielgestaltig. Das bedeutet: Er frisst zu viele Gebühren; er nimmt zu viel von dem in Anspruch, was an
Medienfreiheit in der Gesellschaft möglich ist. Nach
meiner Meinung schadet sich der öffentlich-rechtliche
Rundfunk durch die Vielzahl seiner Kanäle und seiner
Frequenzen, die er in Anspruch nimmt, selbst. Er tangiert das duale System. Wir müssen uns verständigen,
was zur Grundversorgung gehört.
({3})
Es ist interessant, festzustellen, dass unser Vorschlag,
dass sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
nur aus den Rundfunkgebühren und die privaten Anstalten nur aus der Werbung finanzieren sollen, eine
Möglichkeit ist. Ich bejahe und unterstütze ausdrücklich
Ihre Aussage, Herr Mosdorf, dass es in der Bundesrepublik Deutschland statt der 15 Landesmedienanstalten nur
noch eine Aufsichtsbehörde geben solle. Herr Mayer hat
zwar Recht, wenn er sagt, dass sie sich bei den Zulassungsverfahren zum Teil additiv verhalten. Aber es gibt
überall Aufsichtsgremien. Überall können die Dinge bürokratisch gehandhabt werden. Das muss nicht sein. Ein
Gremium für die ganze Bundesrepublik ist ausreichend.
Wir sagen Ja zu einem Kommunikationsrat, wenn durch
ihn andere Gremien ersetzt werden und nicht eine zusätzliche Institution geschaffen wird.
Wir wollen in der Tat - damit möchte ich meine kurzen Bemerkungen abschließen - überall dort wettbewerbliche Regelungen erlassen, wo durch sie Bürokratie
ersetzt werden kann. Wir wollen nur dort Gesetze erlassen, wo sie unbedingt notwendig sind. Wir wollen also
nur so viele Gesetze wie nötig!
({4})
Lassen Sie uns die Popanze beiseite schieben! Man
kann kleinen Kindern erzählen: Die haben die und die
Vorstellungen. Haut mal drauf! Tatsächlich ist eine differenzierte und offene Diskussion notwendig. Ich begrüße deswegen besonders das, was Sie, Frau Leonhard,
zum Schluss gefordert haben, nämlich keine vorschnelle
Grenzziehung wegen der Konvergenz - Thema Internet
- und Offenheit in der Diskussion. Wenn durch diese
Debatte der Öffentlichkeit deutlich wird, dass unterschiedliche Fraktionen des Bundestags an einer neuen
Medienordnung für die Zukunft arbeiten, dann hat diese
Aktuelle Stunde ihren positiven Beitrag geleistet.
Vielen Dank.
({5})
Für die SPDFraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Engelbert
Wistuba.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ich gebe dem Kollegen Heil in seinem Urteil über die Notwendigkeit der
heutigen Debatte vollkommen Recht,
({0})
wenn ich betrachte, womit wir uns hier auf Antrag der
F.D.P. auseinander setzen. Waren sich die Redner mit
Ausnahme der von der PDS in der vergangenen Woche
nicht darüber einig, dass im Bereich des Medienrechts
akuter Handlungsbedarf besteht, den Rechtsrahmen der
öffentlich-rechtlichen Medienanstalten den Anforderungen des neuen Jahrhunderts anzupassen? Hat nicht der
Kollege Neumann von der CDU/CSU-Opposition für
seine sachlichen Ausführungen reichlich Beifall vonseiten der Regierungsfraktionen erhalten? Liegt die Thematik nicht zur weiteren Beratung in den Ausschüssen?
Was wollen Sie denn noch, meine lieben Kollegen und
Kolleginnen von der F.D.P.? Man kann ein wichtiges
Thema auch totreden.
Am 29. Oktober 1923 startete der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland seinen regelmäßigen
Programmbetrieb. 1952 kam das Fernsehen dazu. Bis
heute haben sie sich zu einer der wichtigsten Säulen für
Information, Kultur und politische Meinungsbildung in
unserem Gesellschaftssystem entwickelt. Dass sich seitdem die Welt verändert hat und dass sich die Fortentwicklung gerade im Medienbereich in den letzten Jahren
potenziert hat, muss ich an dieser Stelle nicht wiederholen. Darüber ist in dieser Debatte schon ausreichend diskutiert worden.
Was spricht also gegen die von Ihnen geforderte totale Liberalisierung der Medienordnung in Deutschland?
Es ist lediglich die Totalität Ihrer Forderungen, über die
wir uns heute auseinander setzen.
({1})
- Sie haben andere Aussagen relativiert.
({2})
Da ist zum einen die vom Grundgesetz festgeschriebene Zielvorgabe der Chancengleichheit bei der Kommunikation für alle Bürger - nicht nur für Mächtige,
Reiche und Junge. Wie ich finde, ist das ein gewichtiges
Argument gegen die von Ihnen geforderte Aufhebung
jeglicher Regulierung. Sie dürfen nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der Medienunternehmer vor Augen haben. Eine Balance gegenüber den Interessen der
Zuschauer muss gewahrt werden.
({3})
Malen Sie sich einmal aus, wie Fernsehen aussähe,
wenn es allein vom Werbemarkt bestimmt würde.
({4})
Muss ich mir etwa, nur weil ich nicht mehr zur MTVGeneration gehöre, demnächst Wolfgang Schäuble in
der „100 000-Mark-Show“ ansehen? Nehmen wir des
Weiteren die anhaltende Fusionswelle, die nicht erst mit
dem geplanten Zusammenschluss von Time Warner und
AOL auch die Medienbranche maßgeblich prägt.
Die Frage bleibt doch, wer in Zukunft die Meinungsmacht in den Händen hat. Sollen in ein paar Jahren
drei oder vier Medienmogule bestimmen, was wir uns
anschauen dürfen und was nicht? Ich bin für eine gesunde Rahmenregelung dankbar, die vor allem als Stütze
einer Grundversorgung mit Informationen und Unterhaltung dienen soll, die Meinungsvielfalt und somit
wirkliche Wahlmöglichkeiten gewährleistet.
Es steht im Übrigen nicht im Widerspruch zu dem
von Ihnen angesprochenen Aspekt, dass wir uns dringend mit der Frage der Konvergenz im Medienbereich
beschäftigen müssen. Da gebe ich Ihnen vollkommen
Recht; aber man sollte einen Schritt nach dem anderen
tun, wenn man nicht plötzlich ins Stolpern geraten will.
Wenn Sie alles nur auf wettbewerbsorientierte und
kartellrechtliche Regulierungen konzentrieren wollen,
dann können Sie auf eine derartige Meinungsvielfalt nur
noch hoffen; sichern können Sie sie dann nicht mehr.
Aber genau das ist doch der Auftrag des Grundgesetzes
und dies sollten wir auch weiterhin im Kopf behalten.
Verwechseln Sie bitte nicht den ökonomischen und den
publizistischen Wettbewerb! Beide Märkte folgen ihrer
eigenen Logik; aber das Produkt Fernseh- und Rundfunkprogramm sollte primär eben nach publizistischen
Kriterien hergestellt werden, was Sparsamkeit natürlich
nicht ausschließt. Aber jede Indienstnahme für anderweitige Zwecke widerspräche einfach der Verfassung.
Ich will zum Schluss kommen. Wenn wir in diesem
Hohen Haus einmal ganz ehrlich sind: Wer wollte uns
Politiker denn noch hören und sehen, wenn es nur nach
Quoten ginge? Spektakuläre Medienauftritte, wie sie
manche Kollegen dieser Tage zu absolvieren haben, gehören - vielleicht zum Glück - für die meisten von uns
nicht zum Alltagsgeschäft.
Einmal im Ernst: Deregulierung ja - aber nicht unter
rein ökonomischen Gesichtspunkten. Die Bundesregierung ist mit dem Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des
21. Jahrhunderts“ auf dem richtigen Weg, einen soliden
Dialog mit allen Beteiligten zu beginnen. Wenn Ihnen
das nicht schnell genug geht, Herr Schmidt-Jortzig, dann
beantworten Sie doch zuerst einmal die Frage - vielleicht auch sich selbst -, warum während Ihrer Regierungszugehörigkeit auf diesem Gebiet jahrelang nichts
passiert ist.
Danke.
({5})
Der Kollege Hartmut Schauerte spricht nunmehr für die CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass das Gutachten eine wirklich
neue, erfrischend andere Sicht dieses wichtigen Komplexes liefert.
({0})
Das macht Sinn. Man lernt daraus. Es schärft den
Blick, einmal ganz alternativ an ein Thema heranzugehen, von dem wir durch die uns bekannten Strukturen
und Tätigkeiten in Rundfunkräten, in Landesparlamenten und wo wir überall gesessen haben, gewohnt sind, es
immer wieder herunterzuarbeiten. Deswegen empfehle
ich dem Minister, nun nicht zu sagen: Dieses Gutachten
ist ja so abwegig im Vergleich zu dem, was meine Partei
will; wir müssen die Gutachter austauschen. Die Gutachter haben es verdient, dass sie von der Politik ernst
genommen werden; denn sonst wird es am Ende nirgendwo mehr wissenschaftliche Beiräte geben, die noch
funktionieren. Das möchte ich als Vorbemerkung sagen.
Herr Hirche, ich möchte noch eine Bemerkung zu
dem machen, was Sie über den Ministerpräsidenten gesagt haben. Als Sie davon sprachen, wurde mir auf einmal klar, warum die F.D.P. in dieser Frage so frei ist.
({1})
Weil sie noch nie einen Ministerpräsidenten gestellt hat,
hat sie da nie Rücksicht nehmen müssen. Bei Länderzuständigkeiten wäre sie vorsichtiger als bei reinen Staatskanzleizuständigkeiten. Da ist sie völlig frei.
({2})
- Ein bisschen Kenntnis und ein bisschen Eingebundensein helfen manchmal bei konkreten Problemlösungen.
Ich warne davor, hier eine Diskussion - sie klingt im
Gutachten ein bisschen an - nach einem Schwarz-WeißSchema entstehen zu lassen: Also, Öffentlich-Rechtlich
ist gut, gewaltfrei, vielfältig und akzeptabel; Privat ist es
nicht. Davor müssen wir uns hüten. Wir können in allen
Erscheinungsformen, in allen Organisationsformen
Fehlentwicklungen feststellen. Aber ich sage auch: In
der Phase, in der wir die Privatisierung der Rundfunklandschaft unseres Landes betrieben haben, gab es diese
Frontstellung häufig. Die CDU/CSU hat die Privatisierung aktiv betrieben. Die SPD war da viel zögerlicher.
Heute sage ich, dass diese Kampagne notwendig und
richtig war. Aber ich bin auch froh, dass der öffentlichrechtliche Rundfunk bei dieser Kampagne überlebt hat;
({3})
denn er ist qualitätsmäßig wichtig. Er sorgt für eine bestimmte Art von Wettbewerb, bei dem es nicht nur um
D-Mark, sondern hoffentlich auch um Inhalte geht. Es
gibt viel zu verbessern, aber wir bekennen uns eindeutig
zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Daran sollten wir
nicht rütteln.
({4})
Auch der Streit, ob der Rundfunk Wirtschaftsgut oder
Kulturgut ist, nützt nichts.
({5})
Er hat beide Elemente. Deswegen müssen wir die richtige Mitte finden und sehen, wie wir das austarieren und
das Beste daraus machen. In kaum einem Bereich wird
die Technik so viele Strukturen verändern wie in diesem
Bereich.
Ein zweiter Punkt ist wichtig: Es werden über das europäische Recht Entwicklungen auf uns zukommen, auf
die wir uns vorbereiten müssen. Das sind erhebliche
Veränderungen. Wir werden eine ähnliche Entwicklung
haben wie bei der Diskussion über das Sparkassenrecht,
das öffentliche Bankenwesen. Diese hängt bekanntermaßen nicht daran, dass man meint, die Leistung sei gut
oder schlecht, sondern sie hängt daran, dass man meint,
da seien noch Privilegierungstatbestände festzustellen,
die mit einem fairen Wettbewerb untereinander zu wenig zu tun haben. Darauf müssen wir achten.
Das Rundfunkrecht ist das Recht der Länder; das ist
oft genug betont worden. Aber irgendwann wird das verfassungsmäßige Recht der Länder an europäische
Rechtsgrenzen stoßen.
({6})
Da wird nämlich das europäische Wettbewerbsrecht mit
dem garantierten Rundfunkrecht kollidieren. Auch da
müssen wir - ich warne vor Schnellschüssen - intelligent hinschauen, um zu sehen, wie wir das passend machen können, damit wir möglichst viel von einer vernünftigen Struktur sichern können.
({7})
Wenn wir eine vernünftige Struktur erhalten wollen,
dann müssen wir daran arbeiten, dass unser öffentlichrechtlicher Rundfunk möglichst viele einzigartige Elemente behält. Wenn er dem allgemeinen Rundfunkbetrieb immer ähnlicher wird, wird die Besonderheit nicht
aufrechtzuerhalten sein.
({8})
Ein wesentliches Element dieser Einzigartigkeit ist
die Finanzierungsstruktur. Je klarer die Unterschiede
sind, desto besser ist es für den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk.
({9})
Es ist für ihn von lebenserhaltender Bedeutung, dass es
nicht zu einer Verwässerung über Werbeeinnahmen
kommt.
({10})
Das ist für mich kein Wettbewerbsproblem, sondern ein
Bestandssicherungsproblem langfristiger Art. Das müssen wir ernst nehmen. Die Programmausrichtung muss
anders sein. Die Grundversorgung muss eindeutig erkennbar bleiben; sonst gibt es für eine Sonderbehandlung in der Zukunft keine Rechtfertigung.
Damit das Umfeld nicht aggressiv wird, bedarf es einer absoluten Wettbewerbsneutralität und -geeignetheit.
Bitte keine Privilegien im öffentlich-rechtlichen Rundfunkbereich! Die hin und wieder feststellbare große Nähe von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und öffentlichrechtlicher Kontrolle über alles birgt immer wieder die
Gefahr des Verdachts, dass Privilegien auf dieser Schiene besser laufen als auf einer Fremdschiene im privaten
Bereich. Davor müssen sich alle Gremien wie der Teufel
vor dem Weihwasser fürchten, damit eine vernünftige
Rundfunkstruktur erhalten bleibt.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Jörg Tauss für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die heutige Debatte hat gezeigt, dass Medienpolitik nicht ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten gesehen werden darf, auch wenn es sich bei den Medien um einen
wichtigen, volkswirtschaftlich an Bedeutung gewinnenden Wirtschaftszweig handelt. Dass dies so ist, ist überhaupt keine Frage; denn der Aktienwert von Medienkonzernen hat längst den Wert von großen Industriekonzernen erreicht, zum Teil sogar überflügelt. Das liegt also auf der Hand.
Aus diesem Grunde kann ich auch nur das wiederholen, was ich in der letzten Debatte bereits gesagt habe:
Medienpolitik ist selbstverständlich auch intelligente
Wirtschafts- und Strukturpolitik, wie das Beispiel NRW
und der erfolgreiche Ministerpräsident Clement bewiesen haben. Aber sie bleibt zuvörderst auch künftig Gesellschafts- und Kulturpolitik. Dies ist kein Widerspruch.
Aber aus diesem Grunde, meine Kolleginnen und
Kollegen von der F.D.P., hat das Expertengutachten
meines Erachtens einige Mängel, auf die bereits hingewiesen wurde. Es verkennt die gesellschaftspolitische
Dimension der Medienpolitik und reduziert eben viele
Probleme allein auf ökonomische Aspekte. Dies, Kollege Otto, macht diese Aspekte nicht obsolet - hier stimme ich Ihnen ja zu -; aber es ist unsere Aufgabe, Medienpolitik breiter als nur wirtschaftspolitisch zu sehen.
Dies ist das Defizit des Gutachtens, das sich im Wesentlichen auf ordnungspolitische Überlegungen reduziert.
Das genügt nicht und sollte übrigens auch der F.D.P.
nicht genügen. Schauen Sie sich Ihren Antrag daraufhin
an. Sie haben in Ihrem Antrag ja gefordert, dieses Gutachten ohne zu differenzieren, zur Grundlage von Medienpolitik zu machen.
({0})
Ich kann auch mit der These nichts anfangen, dass eine breite Vielfalt von Kanälen quasi naturgesetzlich und
automatisch zu einer Vielfalt von Meinungen führe und
dem Auftrag zu kultureller Grundversorgung Rechnung
trage. Im Gegenteil: Die privaten Anbieter wollen ja
ausdrücklich keinen Grundversorgungsauftrag übernehmen oder mit abdecken - auch das haben wir im letzten
Jahr in der Enquete-Kommission mehrfach gehört -,
weil dies ihre betriebswirtschaftlichen Spielräume einengt.
({1})
Demgegenüber sehen wir den Grundversorgungsauftrag
als notwendig an. Wir stehen zu ihm wie auch zu einer
Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen und gebührenfinanzierten Rundfunksystems, um das uns viele
auf dieser Welt beneiden, weil es eben mehr Vielfalt bedeutet.
Dies schließt nicht aus, dass sich unsere Free-TVLandschaft werbefinanziert entwickeln muss. Ich selber
freue mich auch über einen schönen Film im Bereich des
Privatfernsehens; ich habe mir am letzten Samstag „Star
Wars“ angeschaut, auch wenn mich die vielen Unterbrechungen geärgert haben. Wer will, soll sich Pay-TV ansehen.
Wo unser Regulierungsbedarf liegt, haben wir heute
bereits deutlich gesagt. Er liegt vor allem im Bereich
von Sendungen, bei denen Jugendliche plumpem Mist
und Gewaltdarstellungen ausgesetzt sind; diese werden
überwiegend von privaten Sendern ausgestrahlt. Leider
scheinen sich ja viele für Schund und Gewalt zu interessieren. Fänden solche Sendungen keine Zuschauer, würden sie auch nicht gesendet. Exakt hier haben wir unsere
regulierenden Aufgaben.
Wenn Rundfunk und Fernsehen kein Wirtschaftsgut
wie jedes andere sind, meine Damen und Herren, dann
komme ich zu anderen Schlüssen als die Gutachter, die
ausdrücklich die Forderung nach einer Zurückführung
der Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhoben haben, obwohl sie an mehreren Stellen auch diesen
Grundsatz betont haben. An diesem Punkt müssen sie
natürlich ganz klar sagen, was sie unter Zurückführung
verstehen.
Zu keinen anderen Schlüssen komme ich übrigens,
wenn das Gutachten die zunehmend schwieriger werdende Trennung von Individual- und Massenkommunikation benennt. Diesen Streit haben wir ja mit der alten
Bundesregierung im Zusammenhang mit der IuKDGesetzgebung geführt.
({2})
Im Gutachten wird gefordert, dass sich die Medienpolitik auf die viel schwerer zu lösende Probleme konzentrieren soll, die das Internet und die globalen Netze aufwerfen. Aber exakt an dieser Stelle hätte ich mir von den
Gutachtern mehr Anregungen gewünscht. Stattdessen das Gefühl habe ich - geht es ihnen um eine Neuauflage
alter Schlachten gegen gebührenfinanzierten Rundfunk.
Diese alten Schlachten sollten wir langsam, aber sicher überwunden haben; denn es gibt jede Menge ungelöster medienpolitischer Fragen. Die Bund/LänderRegulierungen sind angesprochen worden. Das gilt aber
auch für die Frage, wie es sich auswirkt, wenn sich globale Medienkonzerne entwickeln und versuchen, mit
proprietären Systemen den Empfang konkurrierender
Sendungen zu verhindern oder zu erschweren. Erste
Versuche von Herrn Kirch mit einem Decoder sind im
nationalen Bereich erfreulicherweise gescheitert. Das
war ein Versuch, Konkurrenz auszuschließen. Darüber
müssen wir reden.
Aus diesem Grunde rege ich an, dass wir jetzt mit
dieser Debatte aufhören und in unseren Ausschuss für
Kultur und Medien zurückkehren, in dem wir schon seit
einer Stunde darüber beraten wollten, mit welchen Instrumentarien wir uns im Deutschen Bundestag diesen
Problemen zuwenden wollen, zuwenden können und ich stimme Ihnen zu - selbstverständlich auch zuwenden
müssen.
Danke schön.
({3})
Als letzte Rednerin
in dieser Aktuellen Stunde spricht nun die Kollegin Ursula Heinen für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zu
Beginn auf einen Umstand hinweisen, der mich ein wenig befremdete, als ich die Liste der Beiratsmitglieder
studierte.
An dieser Studie haben tatsächlich 34 Herren mitgewirkt, allesamt Experten der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Ich habe zu meinem großen Bedauern
und Erstaunen festgestellt, dass keine einzige Frau darunter gewesen ist. Ich behaupte, dass das Ergebnis dieses Gutachtens vielleicht ein wenig anders ausgefallen
wäre, wenn eine Frau beteiligt gewesen wäre.
({0})
- Was heißt, „von der alten Bundesregierung übernommen“? Zwei Mitgliedschaften im Beirat ruhen. Die
jetzige Bundesregierung hätte also die Chance gehabt,
diese beiden ruhenden Mitgliedschaften von Herren
durch die Mitgliedschaft von Frauen zu ersetzen.
Das Gutachten zu diesem Punkt wurde hier schon
mehrfach etwas ausgeführt - behandelt in sehr eindrucksvoller Weise die ökonomischen Aspekte unserer
Rundfunk- und Medienordnung. Unter diesen rein ökonomischen Aspekten kann ich die Schlussfolgerungen
zum großen Teil teilen. Aber - auch dieser Punkt wurde
hier schon erwähnt - eine Rundfunk- oder Fernsehsendung ist sicherlich kein Produkt wie ein Auto, wie Textilien oder wie ein Geschirrspüler. Deswegen meine ich,
dass die reine Anwendung des Kartellrechts auf unsere
Medienordnung wenig sinnvoll wäre.
Ich möchte noch einen anderen Aspekt erwähnen, der
im Gutachten fast völlig fehlt und der auch hier in der
Debatte nur am Rande gestreift wurde, nämlich das
Thema Jugendschutz. Ich finde es schon beachtlich, dass
dieses Thema im Gutachten nicht erwähnt wird. Es wurde lediglich einmal ganz kurz gestreift. Dort heißt es
nämlich, dass es zu viele Regelungen und ein zu dichtes
Geflecht von Regelungen gibt. Dieser Aspekt wird im
Gutachten auf den Jugendschutz bezogen.
Eine Studie der UNESCO zum Medienkonsum von
Jugendlichen kommt zu dem Ergebnis, dass bereits 12jährige Jungen und Mädchen etwa drei Stunden täglich
vor dem Fernseher verbringen. Zum Vergleich: Mit
Hausaufgaben verbringen die Kids etwa zwei Stunden,
mit Spielen im Freien oder mit Freunden anderthalb
Stunden, mit dem Computer gerade 40 Minuten. Ähnliche Ergebnisse erbrachte ein Umfrage in der achten
Klasse eines Soester Gymnasiums: Knapp 90 Prozent
der Schülerinnen und Schüler schauen wochentags bis
zu zwei Stunden fern. Es sollte uns schon sehr nachdenklich stimmen, wenn eine Schülerin dieser Klasse
eine Karikatur gezeichnet hat - diese ist im Übrigen
auch im Internet zu finden -, in der das Fernsehgerät wie
eine Krake das zuschauende Kind umschlingt.
Die Lieblingssendungen der Kinder sind mitnichten
nette Disney-Filme. Nur bei den 2-Jährigen liegen die
Teletubbies, über die sich auch noch trefflich streiten
ließe, vorn. Das bayerische Sozialministerium hat herausgefunden, dass Kindersendungen gerade an siebter
Stelle der Beliebtheitsskala rangieren. Die Soester
Schüler, die ich vorhin schon erwähnte, favorisieren die
Sendung „Akte X“. Für diejenigen, die sich nur selten
für das Fernsehprogramm interessieren, sei erklärt: Das
ist eine Serie aus den USA, in der das FBI nicht Ermittlungen gegen tatsächliche Verbrecher, sondern gegen
Ufos, Zombies und ähnliche Figuren aufnimmt. Die
UNESCO-Studie hat ermittelt, dass gewalttätige Actionfilme von den Jugendlichen besonders gern gesehen
werden. Weltweit ganz oben in den Charts liegt Arnold
Schwarzenegger als Terminator.
Wären diese Umfragen im Gutachten des Beirates berücksichtigt worden, so hätten die Schlussfolgerungen
teilweise anders lauten müssen.
({1})
Das Kartellrecht etwa mit seinem schwammigen Passus
zum Thema Verstoß gegen gute Sitten wird der Verantwortung, die wir für junge Menschen haben, wohl kaum
gerecht.
({2})
Wenn Kinder und Jugendliche einen großen Teil ihres Wissens und ihrer Orientierung über das Fernsehen
erlangen, dann muss das Fernsehen auch dieser Verantwortung gerecht werden. Ich meine, dass dies rein
marktlich nicht gelöst werden kann.
Ich halte deshalb die Schlussfolgerungen des Gutachtens des Beirates unter dem Aspekt des Jugendschutzes für nicht umsetzbar. Ich meine auch, dass wir uns
die heute bestehenden Regelungen zur freiwilligen
Selbstkontrolle noch einmal genauer ansehen müssen.
({3})
Ich habe eine Anregung für diejenigen unter uns, die
Kinder im schulpflichtigen Alter haben. Rufen Sie doch
nach dieser Debatte einmal zu Hause an und fragen Sie,
ob der Fernseher läuft! Ich kann Ihnen sagen - ich habe
heute Morgen ins Fernsehprogramm hineingeschaut -,
was zurzeit läuft. Die Kinder können sich ab 15.00 Uhr
bei Andreas Türck mit dem Thema „Sorry Baby! Du
warst nur ein One-Night-Stand!“ oder bei Hans Meiser
mit dem Thema „Brisant - Sollen kranke Kinder abgetrieben werden?“ befassen. Bärbel Schäfer hat ihre Sendung mit dem Thema „Rück die Kohle raus, ich tu alles
dafür!“ auf Druck hin abgesetzt. Wenn Sie aber ins ganz
aktuelle Programm schauen, dann können Sie feststellen, dass das neue Thema dieser Sendung auch nicht wesentlich besser ist.
Wir können doch nicht im Ernst wollen, dass Hans
Meiser, Bärbel Schäfer und Andreas Türck zu Fernsehonkels und -tanten der Nation werden und mit ihren effekthascherischen Themen Erziehung übernehmen.
({4})
- Ja, es gibt eine Rolle der Eltern. Aber Sie können nicht
erwarten, dass die Eltern permanent daneben sitzen,
wenn die Kinder solche Sendungen sehen. Wenn Kinder
solche Sendungen sehen, müssen sich die Eltern hinterher mit den Kindern zusammensetzen und darüber reden, was die Kinder gesehen haben.
Deshalb meine ich: Im Interesse unserer jungen Menschen sollten wir mit Veränderungen sehr, sehr behutsam umgehen
({5})
und uns auf jeden Fall genau überlegen, ob wir es wirklich zulassen wollen, dass bei den Medien ausschließlich
das Kartellrecht wirkt. Denn die Regelungen zum Jugendschutz zum Beispiel greifen dort nicht. Das ist meine Bitte, auch an die Kolleginnen und Kollegen der
F.D.P.
Danke.
({6})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind
damit gleichzeitig am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 27. Januar 2000, 12 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.