Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte
ich einigen Kollegen nachträglich zum Geburtstag
gratulieren. Der Kollege Eckhardt Barthel ({0})
feierte am 17. Dezember, der Kollege Albrecht
Papenroth am 30. Dezember 1999 und der Kollege
Franz Müntefering am 16. Januar 2000 jeweils den
60. Geburtstag. Ich spreche Ihnen im Namen des Hauses
die besten Glückwünsche aus.
({1})
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt,
dass die Kollegin Claudia Roth ({2}) auf ihre ordentliche Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates verzichtet hat. Als Nachfolger wird der Kollege Christian Sterzing vorgeschlagen,
der bisher stellvertretendes Mitglied war, und als neues
stellvertretendes Mitglied der Kollege Dr. Helmut Lippelt. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Damit sind der Kollege Sterzing als ordentliches und der Kollege Lippelt als stellvertretendes
Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Tagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktliste
vorliegenden Zusatzpunke erweitert werden:
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Haltung der Bundesregierung zu Verwendung und Verfassungsmäßigkeit der Benzin- und Stromsteuererhöhungen zum 1. Januar 2000 sowie den beschlossenen weiteren
Steuererhöhungsstufen ({3})
2. Vereinbarte Debatte zu aktuellen Problemen bei der Parteienfinanzierungspraxis
3. Überweisung im vereinfachten Verfahren: Erste Beratung
des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes ({4}) - Drucksache 14/2498 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({5})
Innenausschuss
4. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Haltung der Bundesregierung zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
5. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({7}),
Gunnar Uldall, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU: Initiative gegen die Auswirkungen
der asiatischen Finanzkrise und des internationalen Subventionswettlaufs auf die deutsche und europäische
Werftindustrie - Drucksachen 14/400, 14/2538 Berichterstattung:
Abgeordnete Margareta Wolf ({8})
6. Beratung des Antrags der Abgeordneten René Röspel, Heino
Wiese, Dr. Wolfgang Wodarg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Hans-Josef Fell, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: BiosicherheitsProtokoll erfolgreich abschließen - Drucksache 14/2520 7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf,
Eva Bulling-Schröter, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS: Gesetzliche Verpflichtung zum
Bau der Transrapid-Strecke Berlin-Hamburg aufheben
- Drucksache 14/2524 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Burchardt,
Monika Griefahn, Heinz Schmitt ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Matthias Berninger, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Gründung einer Stiftung zur Friedens- und Konfliktforschung - Drucksache 14/2519 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Lensing,
Eckart von Klaeden, Dr. Andreas Schockenhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Vorbereitung
auf neue Herausforderungen an Deutschlands Sicherheitspolitik - Stärkung der Friedens- und Konfliktforschung als Teil der politikberatenden Forschung - Drucksache 14/2521 10. Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse
des Deutschen Bundestages ({10}) - Drucksache 14/2518 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({11})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Max Stadler,
Hildebrecht Braun ({12}), Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Erweiterung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses
der 14. Wahlperiode - Drucksache 14/2527 Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem weise
ich darauf hin, dass die zweite und dritte Beratung des
Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetzes bei den OhneDebatte-Punkten aufgerufen, Tagesordnungspunkt 8,
Abschaffung der Arbeitserlaubnispflicht, abgesetzt und
der für Freitag vorgesehene Tagesordnungspunkt 16,
Harmonisierung der gastgewerblichen Mehrwertsteuersätze in der Europäischen Union, bereits heute nach der
Beratung über die Förderung der Friedens- und Konfliktforschung aufgerufen werden soll.
Die Beratung der Vorlagen unter Tagesordnungspunkt 15, die das Untersuchungsausschussgesetz betreffen, soll am Freitag im Anschluss an die Beratung des
Jahresberichts der Wehrbeauftragten erfolgen. Des Weiteren mache ich auf geänderte Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Bei den in der 79. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesenen nachfolgenden Anträgen soll die Federführung wie folgt geändert werden:
Antrag der Abgeordneten Carsten Hübner, Heidi
Lippmann, Fred Gebhardt, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS: Einstellung des
Bundeswehreinsatzes in Osttimor - Drucksache 14/2264 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({13})
Verteidigungsausschuss ({14})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Antrag der Abgeordneten Günther Friedrich
Nolting, Hildebrecht Braun ({15}), Rainer
Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der F.D.P.: Deutsche Beteiligung an Interfet
beenden - Drucksache 14/2378 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({16})
Verteidigungsausschuss ({17})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Der in der 79. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Finanzausschuss zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Walter Hirche, Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Zukunftsfähige
Energiepolitik für den Standort Deutschland Drucksache 14/2364 überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({18})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Die in der 79. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll zusätzlich
dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung überwiesen werden.
Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Härteklausel nach § 4 Abs. 4 des
Stromeinspeisungsgesetzes - Drucksache
14/2371 überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({19})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Vereinbarte Debatte zu aktuellen Problemen bei
der Parteienfinanzierungspraxis
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Peter Struck, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben gegenwärtig einen der
größten politischen Skandale seit der Gründung der
Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949. Dies ist
aber - das möchte ich ausdrücklich betonen - keine
Staatskrise. Staatsanwaltschaften und Gerichte ermitteln
und prüfen die Vorgänge. Die Medien nehmen ihre Kontrollfunktion hervorragend wahr. Die Institutionen unserer Verfassungsordnung sind voll handlungsfähig. Die
Bundesregierung führt das Land sicher und ruhig.
({0})
Der Deutsche Bundestag ist in seiner Mehrheit selbstverständlich politisch handlungsfähig.
({1})
Was wir erleben, ist eine schwere Krise der CDU,
ausgelöst durch Machenschaften, Gesetzesverstöße und
Praktiken, die immer noch nicht vollständig aufgedeckt
und aufgeklärt sind. Im Gegenteil: Täglich, nein, nahezu
stündlich erreichen uns neue Meldungen, die die Krise
der Christdemokraten verstärken. Bei wie vielen Millionen Schwarzgeld sind wir jetzt angelangt? Was bedeutet
es, wenn der CDU-Vorsitzende in seiner Fraktion von
Geldwäsche spricht? Diesen Begriff kennen wir nur im
Zusammenhang mit organisierter Kriminalität.
({2})
Herr Kollege Schäuble, Sie haben öffentlich angekündigt, dass Sie sich dafür entschuldigen wollen, im
Parlament die Unwahrheit gesagt zu haben. Sie haben in
diesem Hause verschwiegen, von dem Waffenhändler
Schreiber 100 000 DM bekommen zu haben. Überlegen
Präsident Wolfgang Thierse
Sie genau, Herr Kollege Schäuble - bei allem Respekt
vor der von Ihnen zu erwartenden Erklärung -, ob Sie
sich hier und heute nicht noch für weitere Unwahrheiten
zu entschuldigen haben. Niemand darf die Schwere und
die Folgen dieses politischen Skandals unterschätzen.
Jeder sollte zur Kenntnis nehmen, dass wir in einem
Staat leben, in dem solche Machenschaften auf Dauer
nicht verheimlicht oder vertuscht werden können.
({3})
Die Aufklärung der Hintergründe und Zusammenhänge ist Aufgabe der Ermittlungsbehörden und natürlich auch der CDU selbst. Die Ahndung der begangenen
Gesetzesverstöße ist Sache der Gerichte. Wir, der Deutsche Bundestag, haben einen Untersuchungsausschuss
eingesetzt, der diese CDU-Parteispendenaffäre aufklären
wird. Ich bin ganz sicher, dass dadurch das Vertrauen
der Bürgerinnen und Bürger in die unabhängige Aufklärungsarbeit wieder hergestellt wird. Deutschland darf
und wird nicht zu einer kohlschen „Bimbes-Republik“
verkommen.
({4})
Wir verfolgen diesen politischen Skandal wie die
meisten Bürgerinnen und Bürger mit größter Empörung
und Fassungslosigkeit, aber auch mit Bestürzung, weil
das bis jetzt bekannt gewordene Ausmaß die schlimmsten Befürchtungen weit übertrifft. Als Vorsitzender der
sozialdemokratischen Bundestagsfraktion empfinde ich
keine Schadenfreude.
({5})
Niemand kann und darf sich darüber freuen, dass die
größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag politisch und moralisch diskreditiert ist und ihre politische
Handlungsfähigkeit eingebüßt hat.
({6})
Der Verfall und der Niedergang der CDU als der bis
heute großen konservativen politischen Kraft in
Deutschland geht jeden überzeugten Demokraten etwas
an. Nein, Schadenfreude ist die falsche Empfindung. Ich
bin in Sorge darüber, dass die Stabilität des politischen
Systems der Bundesrepublik Deutschland von der CDU
mutwillig in Gefahr gebracht wird. Ich bin wütend darüber, dass dies aus äußerst niedrigen Beweggründen
geschah.
({7})
Wir müssen verhindern, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik und in die Gesetzestreue von Politikern weiteren Schaden nimmt. Der ehemalige Regierungschef eines der größten demokratischen Länder dieser Welt hat jahrzehntelang Gesetze
übertreten und die Verfassung missachtet. Immer noch
schätzt er sein persönliches Ehrenwort höher ein als das
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, immerhin der freiheitlichsten Verfassung, die jemals auf deutschem Boden Gültigkeit besaß.
({8})
In der gestrigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“
war zu lesen:
Mit welchen Typen sich das System Kohl eingelassen hat, zeigen die dummdreisten Äußerungen des
Waffenhändlers Schreiber, in denen er in Ganovenmanier ankündigt, Schäuble und Co. hochgehen zu
lassen.
Weiter heißt es in der „Süddeutschen Zeitung“:
Wenn von diesem Schlag die Freunde sind, die
Helmut Kohl bis zum heutigen Tage schützen
will - dann wendet man sich mit Grausen.
Herr Dr. Kohl - den ich heute hier gerne persönlich
angesprochen hätte -, nennen Sie Ross und Reiter! Erweisen Sie Ihrem Land einen letzten Dienst und waschen Sie es von dem Verdacht frei, dubiose Dunkelmänner hätten jahrelang maßgeblichen Einfluss auf die
deutsche Politik genommen!
({9})
Ich spreche Sie, Herr Dr. Kohl, auch persönlich an,
weil ich weiß, dass Sie diese Debatte - wenn auch nicht
in diesem Plenarsaal - an anderer Stelle verfolgen. Packen Sie sich selbst bei Ihrer Ehre als ehemaliger Bundeskanzler, Staatsmann und Demokrat! Vergegenwärtigen Sie sich den verheerenden Flurschaden, den Sie
auch gegenüber unseren europäischen Freunden angerichtet haben!
Ich lese Ihnen, Herr Dr. Kohl, gleich vor, wie dies in
den Nachbarländern kommentiert wird. Aber hören Sie
sich erst einmal an - wo auch immer Sie diese Debatte
nun verfolgen -, mit welcher Dreistigkeit Sie Ihre Aufklärungsbereitschaft gegenüber mir, gegenüber dem Parlament angekündigt und diese Aufklärungsbereitschaft
gegenüber Ihren eigenen Leuten verweigert haben. Lassen Sie mich noch einmal in Erinnerung rufen, mit welcher Frechheit Sie diesem Parlament Verzögerungstaktik
vorgeworfen haben. Ich zitiere Sie, Herr Dr. Kohl, aus
der Sitzung vom 24. November 1999. Sie haben sich an
mich von der Stelle, an der Sie immer sitzen, in einer
Zwischenfrage bei meiner Rede gewandt. Sie haben gesagt:
Herr Abgeordneter, ich fordere Sie als Vorsitzenden der SPD-Fraktion hiermit auf, dazu beizutragen, dass der von Ihnen geforderte Untersuchungsausschuss unverzüglich eingesetzt wird, seine Arbeit noch vor Weihnachten beginnt und mir die
Chance gibt ... Ihre Fragen zu beantworten.
Herr Dr. Kohl, Sie haben hier vor der deutschen Öffentlichkeit versucht, sich als Saubermann darzustellen, und
trotzdem haben Sie jede Aufklärung behindert.
({10})
Ich kann Ihnen sagen, welchen Eindruck das erweckt.
Gestern habe ich zum 10. Todestag von Herbert Wehner
in Dresden geredet. Ich habe einen Zeitungsartikel zitiert, in dem es 1990 über diesen großen Sozialdemokraten hieß: „Er wollte die Macht, aber nicht um jeden
Preis.“ Ich befürchte inzwischen, eine Würdigung über
Dr. Kohl müsste die Überschrift haben: „Er wollte die
Macht um jeden Preis.“
({11})
Das internationale Echo über diese CDU-Affäre ist
verheerend. „Deutschland läuft Gefahr, zu einer hinkenden Demokratie zu werden, ohne echte Opposition“, so
das Urteil von „La Republicca“ in Rom. Die „Financial
Times“ aus London kommentiert: „Der Skandal bedeutet einen Rückschlag für die ansonsten gesunde deutsche
Demokratie.“ Eine weniger bekannte, dunklere Seite
deutscher Politik sei enthüllt worden. Die Pariser „Libération“ schreibt: „Für Deutschland geht es um das Fundament, das 1945 gelegt worden ist, um die NaziDiktatur zu vergessen. Der Mythos einer Modelldemokratie ist zerbrochen.“ Das konservative „Svenska
Dagbladet“ urteilt kurz und knapp: „Gegen den Mammon kommt die Moral zu kurz, selbst in einer Partei, die
sich christlich nennt.“
Ich habe Respekt und Achtung vor den einfachen
Mitgliedern der CDU,
({12})
die als unsere politischen Wettbewerber und Konkurrenten mit uns im demokratischen Wettbewerb stehen.
({13})
Ich wiederhole diesen Satz: Ich habe Respekt und Achtung vor den einfachen Mitgliedern der CDU, die als unsere politischen Wettbewerber und Konkurrenten mit
uns im demokratischen Wettbewerb stehen.
({14})
Sie haben jetzt das Bewusstsein, von ihrer Parteiführung
getäuscht und jahrelang in die Irre geführt worden zu
sein.
Ich habe gestern die Ausführungen von Herrn Kohl
bei einer Veranstaltung in Hamburg verfolgt.
({15})
Dort hat er sich selbst eine Ehrenerklärung gegeben
und erneut sein sogenanntes Ehrenwort bemüht. Dieses
Ehrenwort kann nicht über die Verfassung gesetzt werden.
({16})
Herr Kohl hat einen Amtseid gemäß Art. 64 und Art. 56
des Grundgesetzes geleistet. Er lautet:
Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des
deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren,
Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die
Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine
Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit
gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott
helfe.
Zu den Gesetzen, die er wahren und verteidigen
musste, gehört auch Art. 21 des Grundgesetzes, in dem
es über die Parteien heißt:
Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft
und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
Gegen diesen Verfassungsartikel hat Herr Dr. Kohl
im Zusammenhang mit seinem Eid verstoßen.
({17})
Er hat die Verfassung verletzt.
({18})
Daran kann auch ein so genanntes Ehrenwort überhaupt
nichts ändern.
({19})
Ein Ehrenwort, wem auch immer es gegeben sein mag,
kann niemals die Verpflichtung, sich an die Verfassung
zu halten, brechen - niemals, meine Damen und Herren!
({20})
Ich kann verstehen, wie sich die Kolleginnen und
Kollegen aus der CDU-Fraktion fühlen, die politische
Sacharbeit wollen, sich stattdessen aber nur noch Fragen
nach Machenschaften, Rechtsverstößen und Skandalen
ausgesetzt sehen. In der „FAZ“ hieß es vorgestern, am
18. Januar:
Was sich dagegen jetzt abzeichnet, ist eine Jahre
dauernde, womöglich jahrzehntelang praktizierte
systematische und bewusste Verletzung von Verfassung, Recht und Gesetz.
Ich frage die CDU: Wie viele Landesgeschäftsstellen
müssen denn noch wie in Hessen von der Staatsanwaltschaft durchsucht werden, bis Sie endlich mit der ganzen
Wahrheit herausrücken?
Bleiben wir in Hessen. Wer so wie in diesem Land
einen schmutzigen Wahlkampf mit schmutzigem Geld
geführt hat
({21})
und so an die Macht gekommen ist,
({22})
der hat die Legitimation verloren, die Regierung zu stellen.
Widerwärtigkeiten und Schamlosigkeiten sind jedoch
auch hier noch steigerbar. Da wird in Hessen die Lüge in
die Welt gesetzt, dass mit Erbschaften von jüdischen
Mitbürgern ein Wahlkampf finanziert worden sei. Damit
wird in Teilen Antisemitismus wieder hoffähig gemacht.
({23})
Ich selbst habe nicht geglaubt, dass eine so ungeheuerliche Behauptung und Lüge von deutschen Demokraten in
Kenntnis unserer Geschichte überhaupt möglich ist.
({24})
Eine einfache Entschuldigung genügt da nicht. Die hessische CDU und auch die Bundes-CDU haben die Würde und das Ansehen des Landes Hessen und der Bundesrepublik Deutschland beschmutzt. Wenn der Begriff
Würde bei Ihnen noch etwas mehr Wert besitzt als ein
Konjunktiv, dann müssen Sie, meine Damen und Herren, den Weg zu Neuwahlen in Hessen frei machen.
({25})
Dies gilt dann auch für die hessische F.D.P. Wenn Ihre Partei in Nibelungentreue zur hessischen CDU den
Weg zu Neuwahlen blockiert, machen Sie sich mitschuldig.
({26})
Wer in einer Regierung sitzt, Herr Kollege Gerhardt, die
jede moralische Legitimation verloren hat, ist kein
Biedermann.
({27})
Distanzieren Sie sich! Bleiben Sie nicht im Boot! Handeln Sie allein schon, Herr Kollege Gerhardt, um des
Gedenkens an Ihr ehemaliges Vorstandsmitglied und
den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden
in Deutschland, Ignatz Bubis willen!
({28})
Die Sache ist noch längst nicht ausgestanden. Kollege
Schäuble selbst hat neue Enthüllungen angekündigt. Es
wird also noch einiges auf uns zukommen. Der Skandal
wird das Land, so fürchte ich, noch lange belasten. Dabei ist für die Menschen bereits das Maß des Erträglichen überschritten. Wir müssen unsere ganze Kraft und
Anstrengung jetzt darauf richten, jede weitere Gefährdung der Stabilität unseres politischen Systems zu vermeiden. Die Glaubwürdigkeit der Politik und das Vertrauen der Menschen in die Politik müssen nach und
nach wieder hergestellt werden. Dabei werden die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen
nicht auf eine erneuerte CDU warten. Diese Zeit haben
wir nicht; das Land muss und wird ordentlich regiert
werden.
({29})
Am 5. November des letzen Jahres hat sich der ehemalige Schatzmeister der CDU, Walther Leisler Kiep,
den Behörden gestellt und die erste Millionenübergabe
im Koffer auf einem Schweizer Parkplatz gestanden.
Seitdem reißen die Enthüllungen nicht ab. Herr Schäuble hat in dieser Woche wissen lassen, dass das Ende
noch nicht erreicht ist. Kohl, Schäuble, Kiep, Kanther,
Baumeister, Prinz Wittgenstein, ein flüchtiger Staatssekretär - das ist noch nicht alles.
({30})
Merkwürdige Geldgeschäfte und Finanztransfers auf
Bundesebene, in Hessen, in Rheinland-Pfalz, in Schleswig-Holstein, in Mecklenburg-Vorpommern - wir wissen nicht, wo überall noch -, drei Generalsekretäre Rühe, Hintze und Merkel -, die von nichts gewusst haben, wie sie sagen - eine merkwürdige Partei! Klar ist
aber: Es war nicht allein der Bundeskanzler und Parteivorsitzende, der sich nicht nach Recht und Gesetz gerichtet hat; es war ein System, in das viele einbezogen
waren. Dies alles wird zu klären sein.
Es wird nicht ausreichen, über einzelne Beteiligte zu
befinden. Die CDU hat dieses System Kohl zugelassen.
Sie hat zugelassen, dass Regeln der innerparteilichen
Demokratie durch die Regeln einer Günstlingswirtschaft
außer Kraft gesetzt werden konnten.
({31})
Sie hat zugelassen, dass die Lebendigkeit einer demokratischen Volkspartei unter der finanziellen Macht und
der politischen Wucht eines Patriarchen erstickt wurde.
Die CDU muss die Ernsthaftigkeit ihres Aufklärungswillens erst noch beweisen. Ein überzeugender
Neuanfang ist Ihnen noch nicht gelungen. Dies müssen
Sie selbst regeln. Ich hoffe, dass Sie die Kraft dazu noch
entwickeln werden. Es muss sein. Der politische Totalschaden der CDU darf nicht zur Beschädigung unserer
politischen Kultur in den Augen der Bürger und zur
Schädigung unseres Ansehens in der Welt führen.
({32})
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Schäuble, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist
eine ungewöhnlich schwierige Stunde für einen Vorsitzenden der CDU Deutschlands und einen Vorsitzenden
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Debatte ist auf
der einen Seite zu früh, um zum Sachverhalt abschließende Auskünfte zu geben und Feststellungen zu machen. Eines der Probleme, mit dem wir seit Wochen zu
tun haben, ist ja, dass wir von Woche zu Woche neue
Erfahrungen machen und Erkenntnisse gewinnen müssen, von denen wir selber mehr entsetzt und betroffen
sind als irgendjemand sonst. Gleichwohl ist die Debatte
auch zu diesem Zeitpunkt notwendig - deswegen habe
ich ihr auch gleich zugestimmt -, weil sie mir Gelegenheit bietet, mich heute und in diesem Stadium des Verfahrens für die CDU Deutschlands dafür zu entschuldigen, dass in unserer Verantwortung ganz offensichtlich
gegen Gesetze verstoßen worden ist und dass wir Vertrauen in die Integrität demokratischer Parteien und
Institutionen beschädigt haben.
Ich füge auch gleich hinzu: Heute haben wir alle miteinander vielleicht das Gefühl, dass sich dieses Thema
gar nicht so sehr zum Streit zwischen den Parteien eignet. Ich sage dies, obwohl ich finde, Herr Kollege
Struck, dass Sie ein bisschen viel Unterschiedliches zusammengerührt haben. Die Versuchung liegt wohl so
nahe, dass man ihr nur schwer widerstehen kann.
({0})
Als wir vor ein paar Wochen, Anfang Dezember,
darüber diskutiert haben, war die Atmosphäre in diesem
Hause sehr viel lebhafter. Dabei ist mir passiert - dafür
möchte ich mich entschuldigen, Herr Präsident, verehrte
Kolleginnen und Kollegen -, dass ich auf Zurufe aus
den Reihen der Regierungskoalition nicht so reagiert habe, wie ich hätte reagieren müssen. Ich bedauere das und
entschuldige mich dafür.
Wenn es Ihnen so ernst ist, wie es der Kollege Struck
eben gesagt hat und wie es uns ist, möchte ich dafür
werben, dass wir die Dinge ein wenig nach den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und ein wenig nach den
Regeln von Wahrheit, Klarheit und Fairness sauber voneinander trennen.
({1})
Das wird wohl nicht zu viel verlangt sein.
Deswegen sage ich noch einmal in aller Klarheit: Ich
lege zunächst einmal Wert auf die Feststellung - sie ist
bis zu dieser Minute von niemandem in Frage gestellt
worden -, dass in der Zeit, in der ich Vorsitzender der
CDU Deutschlands bin, Angela Merkel Generalsekretärin und Matthias Wissmann Schatzmeister sind - das ist
seit dem 7. November 1998 der Fall -, auch nicht der
geringste Anlass für die Annahme besteht, dass wir uns
in unserer eigenen Verantwortung nicht an jede gesetzliche Bestimmung gehalten haben.
({2})
- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass
die Ernsthaftigkeit Ihrer Sorge umso überzeugender ist,
je weniger schwer Sie es mir machen, zu sagen, was zu
sagen ohnedies schwer genug ist.
Seit dem 2. Dezember, als wir das diskutiert haben,
was wir damals erfahren haben, haben wir Schritt für
Schritt Erkenntnisse bekommen, die uns - ich sage noch
einmal - mehr betroffen und entsetzt haben als irgendjemand sonst. Darüber kann es keinen Zweifel geben.
Ich habe nach jener Debatte, die Sie gerade zitiert haben
und die ich, wie Sie wissen, im Krankenhaus verfolgt
habe, das Einvernehmen mit meinem Amtsvorgänger
hergestellt, dass wir alle Unterlagen aus vergangenen
Zeiten von der Wirtschaftsprüfergesellschaft anfordern und bekommen. Wir haben sie ja von der Staatsanwaltschaft nach den Bestimmungen der Prozessordnung nicht bekommen.
Als ich am Freitag jener Woche die ersten Unterlagen
gesehen habe, habe ich unverzüglich reagiert. Ich habe
gesehen, dass dieses System mit den vielen Konten ein
System war, von dem keiner gewusst hat außer denen,
die genannt worden sind. Ich kenne jedenfalls niemanden, der davon gewusst hat. Ich sage auch: Diejenigen,
die davon gewusst haben, haben ja auch gesagt, sie hätten alles darauf angelegt - so ist ein solches System -,
dass andere davon keine Kenntnis hatten.
({3})
Das letzte Konto dieser Art ist ja auch geschlossen worden, um die neue Parteiführung nicht zu unterrichten.
Wir haben uns an die Aufklärung gemacht, so gut und
so energisch, wie es irgend geht.
({4})
Wir sind damit noch nicht am Ende. Wir haben Wirtschaftsprüfer beauftragt und ihnen alle Informationen
zur Verfügung gestellt. Ich habe zu keinem Zeitpunkt irgendetwas zurückgehalten. Diese Wirtschaftsprüfer werden uns heute oder morgen ihren Bericht für die Jahre
1993 bis 1998 vorlegen. Das sind die sechs Jahre, die im
Parteiengesetz als Frist für die Aufbewahrung von Belegen vorgesehen ist. Die Unterlagen sind unvollständig;
die Antworten haben wir nicht vollständig bekommen.
({5})
- Jetzt will ich eine zweite Sache sagen, weil Sie diesen Zwischenruf machen. Diese CDU Deutschlands, übrigens auch diese Bundesrepublik Deutschland, ist in einem erheblichen Maße durch die Leistungen von Helmut Kohl geprägt. Wenn wir über Verhältnismäßigkeit
reden, dann sage ich Ihnen auch: Bei allen Verstößen,
die Thema dieser Debatte sind, die weiter aufgeklärt
werden müssen und die möglicherweise abschließend
festgestellt werden, wird das nichts an dem geschichtlichen Werk ändern, das unter der Führung von Helmut
Kohl für dieses Land erreicht worden ist.
({6})
Aber wenn Sie vor diesem Hintergrund, der ja völlig unstrittig ist - ich habe ja gesagt: auch diese meine Partei,
deren Vorsitzender ich bin, ist davon noch mehr geprägt -, einen Moment die Fähigkeit haben, mitzudenken
({7})
- Entschuldigung, lassen Sie mich diesen Satz beenden -
({8})
was uns bewegt.
Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen, die Stunde ist wirklich ernst, und Sie werden
mich nicht davon abbringen, dem Ernst dieser Stunde
Rechnung zu tragen, wie immer Sie sich verhalten. Ich
kann das verstehen, aber ich sage Ihnen: Schadenfreude
und Häme sind schlechte Ratgeber. Das wird Ihnen nicht
viel nutzen.
({9})
Deswegen möchte ich Ihnen in aller Ruhe erklären,
was der Bundesvorstand meiner Partei vorgestern nach
intensiven Debatten beschlossen hat. Es steht ja in den
Zeitungen hinreichend beschrieben, wie der Ablauf der
Dinge gewesen ist.
({10})
- Doch, es ist schon klar. Ich sage Ihnen vorweg, wie
die Sache gewesen ist, auch daraus brauche ich keinen
Hehl zu machen. Wenn die Wahrheit so wichtig ist und sie ist wichtiger, als wir es vielleicht vor ein paar
Wochen noch begriffen haben -, dann sage ich auch dieses: Ich bin über das Wochenende zu der Überzeugung
gelangt, dass ich vielleicht am besten helfen kann, dass
ich meiner Partei, meiner Gemeinschaft, auch in ihrer
Funktion für unsere Demokratie, die Kollege Struck gerade beschrieben hat, den besten Dienst tun kann - weil
ich ja nun mit der engste Mitstreiter in den 16 Jahren der
Kanzlerschaft von Helmut Kohl gewesen bin -, indem
ich sage: Ich möchte zurücktreten. Das war der Entschluss, mit dem ich am Montag hierher gekommen bin.
Warum soll ich darüber nicht reden? Ich habe gesagt:
Jeder muss sich seiner Verantwortung in dieser Lage
stellen.
Wichtiger ist das, was unsere politische Gemeinschaft
für diese Demokratie und für dieses Land zu leisten hat.
Das ist meine Priorität, von der ich mich leiten lasse und
die ich mir von niemandem in Frage stellen lasse. Deswegen habe ich diese Entscheidung getroffen. Ich habe
mich zunächst einmal umstimmen lassen, dass ich über
diese Frage mit meinen Freunden in der engsten Führung der Partei, im Präsidium der CDU, diskutiere. Aber
ich bin nicht ins Präsidium gegangen, um zu sagen:
Wenn ihr wollt, dass ich zurücktrete, dann trete ich zurück. Ich habe gesagt: Ich will zurücktreten; aber lasst
uns darüber reden, was der beste Weg ist.
Zuvor habe ich ein Gespräch mit Helmut Kohl geführt; auch dies will ich sagen. Ich habe ihm gesagt: Ich
glaube, dass, jedenfalls nach dem Eindruck, der in breiten Kreisen der Bevölkerung entstanden ist, gerade auch
durch die neue Dimension, die der Schock der hessischen Erfahrungen ausgelöst hat, bis zu dem entsetzlichen Punkt, für den sich die hessische CDU genauso
wie die CDU Deutschlands entschuldigt hat, dass jüdische Mitbürger ohne jede Verantwortung hier in eine
schiefe Debatte und in Gerüchte hineingezogen worden
sind angesichts dieser neuen Dimension mehr geleistet
werden muss, auch von Helmut Kohl, um den eingetretenen und noch drohenden Schaden von unserem Land
abzuwenden, mit der Fähigkeit unserer Partei, diesen
Dienst für das Land zu leisten. Darüber habe ich mit ihm
geredet, so offen wie man nur reden kann. Und ich habe
ihm auch gesagt: Wenn er diesen Schritt - ich kann ihn
ja nicht zwingen - nicht leistet, dann werde ich den Weg
gehen, wie ich es vorgesehen habe. Das habe ich ihm
gesagt. Das hat ihn auch nicht bewogen, das hat auch
nichts geändert. Dann bin ich in die Sitzung gegangen
und dann hat das Präsidium der CDU Deutschlands gesagt: So geht das nicht, dann treten wir alle zurück, nicht
einer allein. Du hast einen Fehler gemacht - das habe
ich, ich habe mich auch entschuldigt -, aber du hast
nicht gegen Gesetze verstoßen, du hast unser Vertrauen,
du wirst gebraucht. Ich wollte dem Satz, von dem Sie
vorhin gemeint haben, Sie müssten sich über ihn empören, hinzufügen: Wenn Sie bedenken, was es für die
CDU angesichts dieser Prägung heißt, dass wir eine Entscheidung getroffen haben, die dazu führen musste, dass
wir keinen Ehrenvorsitz mehr haben, dann sollten Sie
nicht bestreiten, dass wir uns der Ernsthaftigkeit der Lage, in der wir sind und in der wir diese Debatte in ihrer
vollen Dramatik verstanden haben, stellen. Das ist der
Punkt. Ich sage Ihnen: Das tun wir. Darauf können sich
die Menschen, unsere Mitglieder, unsere Anhänger, verlassen.
({11})
- Das ist sehr schwierig. Ich sage Ihnen, warum es so
schwierig ist. Es ist aus zwei Gründen schwierig. Es ist
aus dem einen Grund schwierig, weil uns diejenigen, die
Informationen haben, diese Informationen nicht zur Verfügung stellen.
({12})
- Verehrter Herr Kollege, jetzt verstoße ich gegen meinen Vorsatz, mich heute durch keinen Zwischenruf von
Ihnen zu irgendetwas verleiten zu lassen, schon gar nicht
zu einem Fehler. Aber einen Fehler werde ich trotzdem
nicht machen. Sobald wir den Bericht der WirtschaftsDr. Wolfgang Schäuble
prüfer haben, werden wir darüber beraten. Wir haben am
Sonntagabend eine Präsidiumssitzung. Am Montag trifft
sich der Bundesvorstand. Ich habe am 2. Dezember
1999 hier gesagt, dass wir den Wirtschaftsprüferbericht abwarten wollen. So sieht es das Parteiengesetz
vor. Wir haben damals gehofft, dass wir ihn im Dezember bekommen werden. Dies hat länger gedauert. Wir
haben dem Bundestagspräsidenten zum Ende des letzten
Jahres einen Bericht vorgelegt und auch veröffentlicht.
Dieser hat uns Kritik eingebracht; das ist auch verständlich. Nach den hessischen Ereignissen wird die Frage
gestellt, ob er vollständig gewesen ist. Das ist das Problem: Wenn man vollständig aufklären und im Zuge der
Aufklärung nicht neue Zweifel säen will, braucht man
gelegentlich Zeit. Wenn diejenigen, die das Wissen haben, dies nicht oder zu spät zur Verfügung stellen, ist
der Prozess so schwierig, wie er ist. Das ist der eine
Grund.
Der zweite Grund ist, dass ständig alles immer wieder
zusammengerührt wird und so zu völlig unverhältnismäßigen und überzogenen Verdächtigungen führt.
({13})
- Hören Sie bitte einen Moment zu, damit Sie sehen,
dass es für jeden wahnsinnig schwierig ist, das, was er
weiß, zur Verfügung zu stellen. Ich bin der Einzige in
der CDU Deutschlands auf Bundesebene, der substanzielle Beiträge zur Erklärung der Herkunft von einigen
der Mittel leisten konnte. Ich habe die Debatten ja erlebt.
Glauben Sie nicht, dass diese Debatten anderen Mut machen.
Das Zweite ist, dass alles zusammengerührt wird. Es
findet zum Beispiel in der Öffentlichkeit folgender Prozess statt - das konnte man gerade bei der Rede des Kollegen Struck feststellen -: Auf der einen Seite wird jeder, der in früheren Jahren oder Jahrzehnten mit diesem
Herrn Schreiber zusammengetroffen ist - auch wenn er
damals nicht wusste, was heute in der Öffentlichkeit bekannt zu sein scheint -, hineingerührt. Sie haben es selber gesagt: Mit solchen Leuten!
({14})
Auf der anderen Seite wird demselben Menschen heute,
wo viel mehr über ihn bekannt ist, jeden Tag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Live-Übertragungen erlaubt, dass er seine Diffamierungsmethode, mit ständig
wechselnden Aussagen andere Leute in den Sumpf zu
ziehen, fortsetzt. Er hat in einer Woche viermal das Gegenteil von dem gesagt, was er am Vortage gesagt hat.
Beides zusammen geht nicht.
({15})
- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich beschreibe
nur, warum es so unendlich schwierig und so qualvoll
ist. Deswegen sage ich Ihnen - und ich sage es der Öffentlichkeit und der Bevölkerung -: Wir werden alles,
was in unserer Kräften steht, tun, damit so vollständig,
wie es irgend möglich ist, Klarheit geschaffen wird. Es
wird alles, was wir tun können, getan, damit Verstöße,
wenn sie stattgefunden haben, benannt werden. Dann
werden wir die Konsequenzen dafür tragen müssen und
wir tragen sie auch.
Es gibt übrigens zwei Arten von Konsequenzen für
Verstöße, die in der Verantwortung einer Partei begangen worden sind. Die eine Konsequenz ist, dass man politisch dafür die Verantwortung tragen muss. Das ist bitter und das spüren wir schon. Damit tragen wir schon
eine ganze Menge von Konsequenzen für Verstöße,
auch wenn sie noch nicht abschließend festgestellt sind.
Der zweite Punkt werden die finanziellen Konsequenzen sein, die das Parteiengesetz vorsieht und über
die dann gesprochen und gegebenenfalls auch gestritten
werden muss. Auch das werden wir tragen.
Dann werden wir etwas Drittes tun. Das eine haben
wir schon getan. Seit ich als Parteivorsitzender mit meinen Freunden Verantwortung für die Partei trage, sind
solche Verstöße nicht vorgekommen. Aber wir werden
auf der Grundlage der Erfahrungen, die wir jeden Tag
oder jedenfalls jede Woche neu machen, auch sehr intensiv darüber nachdenken und reden, wie wir für die
Zukunft ausschließen können, dass sich Derartiges wiederholen kann.
Deswegen sage ich auch: Ich bin sehr dankbar, dass
sich der frühere Bundespräsident Professor Herzog, der
frühere Bundesbankpräsident Professor Tietmeyer und
der frühere Verfassungsrichter Professor Kirchhof auf
meine Bitte hin spontan bereit erklärt haben, der CDU
Deutschlands beratend zur Verfügung zu stehen, wenn
es darum geht, auf der Grundlage der durch die Wirtschaftsprüfer festzustellenden Sachverhalte und Probleme Ratschläge zu geben, wie wir für die Zukunft Wiederholungen oder Vergleichbares ausschließen können.
({16})
- Ich höre den Zwischenruf: „Einfach Gesetze beachten.“ Das ist wahr, aber ich sage Ihnen: Es wird damit
sein Bewenden nicht haben.
Ich sage Ihnen zwei Beispiele, zwei Themen, über die
dann auch geredet werden muss. Wir werden uns über
Umgehungsmöglichkeiten miteinander zu unterhalten
haben. Uns ist vorgeworfen worden - für diesen Vorwurf gibt es keinen Anhaltspunkt, aber natürlich werden
entsprechende Fragen gestellt; auch da versuchen wir,
versucht Joachim Hörster, so aufzuklären, wie es irgend
möglich ist, auch in die Vergangenheit -, dass wir Mittel, die in der Fraktion durch Beiträge der CDUMitglieder der CDU/CSU-Fraktion angesammelt worden sind, der Partei zur Verfügung gestellt haben. Das
war die Diskussion über den Jahreswechsel hinweg.
({17})
- Hören Sie einen Moment zu.
Es ist auf den Sinn der gesetzlichen Regelungen hingewiesen worden, dass gemeinnützige Organisationen,
die selber steuerbegünstigt Spenden annehmen können,
Parteien keine Mittel zur Verfügung stellen dürfen, weil
dadurch eine Umgehungsmöglichkeit geschaffen würde.
Jetzt sage ich Ihnen: Wenn das so ist, muss natürlich über die Frage von Umgehungsmöglichkeiten gesprochen
werden.
Wenn der Deutsche Gewerkschaftsbund im Jahr 1998
nach eigenen Angaben mit Eigeninitiativen bis zu
10 Millionen DM für den Wahlkampf der Sozialdemokraten ausgegeben hat, ist dies eine Umgehung.
({18})
Weil Sie sich dagegen wehren, sage ich einen zweiten
Punkt, und zwar zu Ihrem Parteivorsitzenden Schröder:
({19})
Am Tag vor der Landtagswahl in Niedersachsen im Jahre 1998 ist in großen Zeitungen von einem anonymen
Auftraggeber für einen geschätzten Betrag von, glaube
ich, 800 000 DM eine Anzeige mit seinem Bild und dem
Text geschaltet worden: „Ein Niedersachse muss Kanzler werden.“ Das war Wahlkampf für die Sozialdemokraten. Korrekt hätte dieser Anonymus der SPD eine
Spende in der Höhe der Anzeigenkosten machen müssen.
({20})
- Ich verstehe Ihre Erregung schon.
({21})
Sie steht in einem für jedermann offensichtlichen Widerspruch zu der angeblichen Betroffenheit über die
Schwierigkeiten der CDU Deutschlands.
({22})
Nein, wenn wir darüber reden, dass für die Zukunft aus
den Erfahrungen gelernt werden muss, müssen wir auch
Umgehungsmöglichkeiten bedenken und ausschließen.
({23})
Jeder Mensch in unserem Lande, der diese Debatte
verfolgt, wird nicht bezweifeln und nicht bestreiten können, dass ich in allem Ernst sage: Es gibt in der Verantwortung der CDU schwerwiegende Verstöße, für die wir
die Verantwortung tragen, für die ich mich entschuldigt
habe, die wir abschließend mit allen Mitteln, die uns zur
Verfügung stehen, aufklären werden, die uns zu einem
schmerzlichen Prozess gebracht haben, der dazu geführt
hat, dass wir keinen Ehrenvorsitzenden mehr haben,
({24})
von denen ich Ihnen sage, dass es in meiner Amtszeit für
entsprechende Verstöße keinen Anhaltspunkt gibt, und
für die ich Ihnen zusage, dass wir alles in unserer Macht
Stehende tun werden, um nicht nur aufzuklären, sondern
auch für die Zukunft auszuschließen, dass es Wiederholungen gibt.
({25})
Verehrter Kollege
Schäuble, darf ich Sie darauf hinweisen, dass Sie Ihre
Redezeit schon deutlich überschritten haben.
({0})
Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung. Geben Sie mir noch
zwei Minuten Redezeit; wenn nicht, breche ich auch an
dieser Stelle ab. Ich habe ein bisschen Redezeit verschenkt, indem ich immer, wenn Unruhe war, gar nicht
geredet habe, weil ich angesichts des Ernstes der Lage in
großer Ruhe sprechen wollte.
({0})
Ich habe mich für die Verstöße, die in der Verantwortung der CDU begangen worden sind, entschuldigt und
zugesagt, dass wir alles tun werden, dass sich so etwas
nicht wiederholen wird. Aber ich sage Ihnen auch - das
war ebenso meine Entscheidung; ich habe Ihnen von
meinen persönlichen Erfahrungen dieser Woche so offen
berichtet, wie man es vielleicht gar nicht tun sollte -: Ich
und meine Freunde leisten diesen Dienst, weil wir wissen und wollen, dass diese Christlich-Demokratische
Union auch in der Zukunft als große, zur Mitte hin integrierende Volkspartei ihren Dienst für diese unsere
Demokratie und unser Land leisten wird. Sie können
sich darauf verlassen, dass wir das tun werden. Wir werden nicht zulassen, dass der politische Wettbewerb in
unserem Lande um den richtigen Weg und die bessere
Politik auf längere Zeit ausgesetzt wird.
Das sind die Schwierigkeiten, in denen wir im Moment stecken. Ich kann verstehen, dass Sie diese
Schwierigkeiten gerne noch ein bisschen länger haben
wollen.
({1})
Einverstanden. - Ich sage Ihnen zu: Wir tun alles, was in
unseren Möglichkeiten liegt. Wir werden uns, wenn wir
dies geklärt haben, mit allem Selbstbewusstsein weiterhin dem Dienst für unser Land stellen, der in dem Wettbewerb der Parteien und Politiken über den besseren
Weg für die Zukunft unseres Landes besteht.
({2})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Preis
des Schweigens“ ist der Titel des Buches, in dem Herr
von Brauchitsch seine Sicht der Flick-Affäre im Rückblick schildert. Wenn nur die CDU, bezogen auf den
Parteispendenskandal damals wie heute, den Preis bezahlen müsste, würden wir hier eine kontroverse parteipolitische Debatte führen und könnten dann zur sachpolitischen Tagesordnung übergehen. Damals und sehr viel
mehr heute erlebten bzw. erleben wir aber einen rapiden
Schwund des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in
die gesamte Politik, in uns Politiker aller Parteien und
leider auch in unsere Demokratie, der maßgeblich verursacht wird durch Ihr Verhalten, meine Damen und Herren von der CDU.
({0})
Ich bin mir sicher, dass uns die Dimension dieser Erosion und deren Konsequenzen für die Parteiendemokratie, für Staat und Gesellschaft erst in Ansätzen und
noch lange nicht im Gesamtausmaß bewusst sind. Vor
uns liegt derzeit die vorläufige Endmoräne tiefer politischer Verwerfungen - ausgehend, Herr Schäuble, vom
Jahre 1954, dem Gründungsjahr der so genannten
Staatsbürgerlichen Vereinigung, einer frühen, getarnten
Geldwaschanlage zur illegalen Parteienfinanzierung.
Seitdem gibt es, unbeeindruckt von damaligen
Strafurteilen gegen Amts- und Mandatsträger, unbeirrt
von den eindeutigen Ergebnissen des FlickUntersuchungsausschusses, ignorant gegenüber einem
daraus folgenden neuen Parteiengesetz, nahtlos eine illegale Parteienfinanzierungspraxis bei der CDU in einem solchen Ausmaß, das einen tagtäglich Staunen
macht.
({1})
Es gibt allerdings einen Unterschied: Im Vergleich zu
früheren Zeiten wurden nicht eigenständige Tarnorganisationen, sondern wurde - wie nach vorläufiger Beurteilung der Wirtschaftsprüfer zu lesen ist - die Partei CDU
selbst in Teilen als Geldwaschanlage benutzt.
In Anbetracht des noch nicht zu ermessenden gesamtpolitischen Schadens, den die CDU zuvor verdeckt,
ab Oktober 1999 öffentlich angerichtet hat und tagtäglich von neuem anrichtet, finde ich es nicht nachvollziehbar - Herr Schäuble, auch wenn Sie dies heute wiederholt angekündigt haben -, wie die verantwortlichen,
wie die führenden Amts- und Mandatsträger der CDU
zumindest bis heute - von Ausnahmen abgesehen - mit
der Wahrheit umgegangen sind.
({2})
Vielleicht wird das ja anders, Herr Kollege Schäuble.
Aber bis heute habe ich den Eindruck: Verdrängen,
Schönreden, Abwiegeln und Abschieben der Verantwortung an die Wirtschaftsprüfer oder an eine Royal
Commission, das war bislang Ihre Devise. Statt von sich
aus, also aus freien Stücken, aktiv zu werden, haben Sie
die Karten nur dann auf den Tisch gelegt, wenn sich von
innen oder außen erpresserische Situationen entwickelt
haben, wenn vonseiten der Medien die Veröffentlichung
neuer Tatsachen drohte.
Rückhaltlose Aufklärung, das war das, was von Ihnen
in den letzten Wochen immer wieder angekündigt wurde. Ich habe zumindest bis heute den Eindruck gehabt viele empfinden das ähnlich wie ich so -: Sie klären
nicht auf, sondern Sie werden aufgeklärt, und zwar Tag
für Tag.
({3})
Nach Art. 21 des Grundgesetzes, unserer Verfassung,
müssen Parteien über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft abgeben. Es berührt mich wenig,
wenn Herrn Kohl das Schicksal seiner Partei offensichtlich egal ist. Dass einem Altbundeskanzler aber offensichtlich Recht, Gesetz und die Verfassung egal sind und
dass er sich dafür auch noch, wie gestern, Herr Kollege
Schäuble, in Hamburg geschehen, öffentlich beklatschen
lässt, ist ein nicht hinzunehmender, ist ein unglaublicher
Vorgang.
({4})
Ich halte das, was der geschätzte ehemalige Kollege
Eylmann sagt, für völlig richtig: Kohl soll endlich aufhören, irgendwelche ominösen Ehrenworte über den
Rechtsstaat zu stellen. Was bitte schön ist ehrenvoll an
einer Zusage, die man unter Bruch der Verfassung einhält?
({5})
Das hat mit Ehre nichts, aber auch gar nichts zu tun, mit
der Verhöhnung des Rechtsstaats jedoch viel. Herr
Schäuble, neben der Größe der Leistung ist die Katastrophe mindestens genauso groß.
({6})
Der letzte erfolglose Versuch der CDU-Führungsgremien, Helmut Kohl zur Aussage zu bewegen, hat erneut aufgezeigt, dass eine Aufklärung dieses Skandals
nur von außen erfolgen kann. Es wird mehr und mehr
deutlich, dass das System Kohl die CDU noch immer in
den Fängen hat, weil es zum System der Partei geworden ist. Der vorläufig abgeschlossene innerparteiliche
Machtkampf sowie viele Aussagen von Führungskräften
in den letzten Wochen legen nahe, Herr Kollege Schäuble - ich muss Ihnen das so sagen -, dass viele von Ihnen
erst wieder lernen müssen, was richtig und was falsch
ist.
({7})
Der Fall Manfred Kanther ist besonders krass. Der
ehemalige Verfassungsminister unter Helmut Kohl, der
Protagonist von law and order hat zwei Gesichter: Sich
selbst billigt er die fortgesetzte Begehung politischer
Geldwäsche zu, während er gleichzeitig „null Toleranz“
gegenüber jedem noch so kleinen Ladendieb, gegenüber
jedem noch so kranken Drogenabhängigen durchsetzen
will.
({8})
Er ist nicht Opfer einer Treibjagd, wie er meint, er ist
Täter.
({9})
Opfer des Systems Kohl sind in erster Linie die vielen
Mitglieder, die in ehrenamtlichen Aktivitäten an der Basis, in den Kommunen oder wo auch immer politische
Arbeit leisten. Ich habe es im „Focus“ gelesen, Herr
Schäuble: Auch Sie und Herr Koch sind keine Opfer.
Sie sind Teil und Teilhaber des Systems Kohl und damit
in vollem Umfang für das, was geschehen ist, verantwortlich.
({10})
Herr Kollege Schäuble, ich setze mich mit Ihrem Argument „Wir haben nichts gewusst“ auseinander. All die
Führungspersonen im unmittelbaren Umfeld von Helmut
Kohl - das sind die Herren Rüttgers und Rühe und es ist
auch, so Leid es mir tut, Frau Merkel - können sich aus
dieser politischen Verantwortung nicht mit dem Argument herausreden, sie hätten nichts gewusst. Selbst unterstellt, das würde stimmen, hätten Sie doch über Jahre
hinweg die Möglichkeit gehabt, in das System Kohl einzugreifen. Wie es funktionierte, das wussten Sie und wir
aus hundertfachen Veröffentlichungen schon lange. Sie
haben es vorgezogen, nichts zu hören und nichts zu sehen. Sie haben es nicht wissen wollen. Sie haben gekuscht und sich weggeduckt. Sie haben schlichtweg kein
Jota Zivilcourage aufgebracht, um das System Kohl
auch nur leise in Frage zu stellen,
({11})
geschweige denn es nachhaltig zur Diskussion zu stellen. Im Magnetfeld der Macht von und um Helmut Kohl
ist Ihr demokratischer Kompass völlig außer Kontrolle
geraten.
({12})
Außer Heiner Geißler gab es niemanden, der die notwendige Zivilcourage aufgebracht hat, innerparteiliche
Transparenz und die entsprechende Machtbalance einzufordern. Das war das eigentliche Versagen.
({13})
Noch einmal zu Hessen. Kein Landesverband der
CDU steckt so stark im illegalen Sumpf wie die CDU
von Koch und Kanther in Hessen.
({14})
Es ist bereits jetzt unbestreitbar, dass der Ausgang der
hessischen Landtagswahl vor einem Jahr durch die Verwendung von illegalen Millionenbeträgen verfälscht
wurde. Es ist deshalb das mindeste Gebot von Demokratie, in Hessen unter fairen Bedingungen neu anzufangen
und Neuwahlen durchzuführen.
({15})
Herr Koch überschätzt sich. Die demokratische Kultur
in Hessen kann nicht er, sondern können nur die Wählerinnen und Wähler wieder herstellen.
({16})
Gleichwohl hat die Krise der CDU aber auch gezeigt,
dass die Demokratie wehrhaft ist und niemand sich egal in welchem Amt er ist, wie lange er im Amt ist oder
welcher Mittel er sich bedient - dauerhaft den Staat zur
Beute machen kann.
({17})
Auch wenn die Selbstreinigungskräfte einer Partei bisher versagt haben: Die Stabilität unserer Demokratie
und ihrer Institutionen zeigt sich auch in der Krise. Die
Staatsanwaltschaften in Augsburg, in Frankfurt, in
Bonn, in Genf oder wo auch immer ermitteln; der Untersuchungsausschuss nimmt seine Arbeit auf. Das wird
der erste Schritt sein - das wird ein langsamer Prozess
sein -, Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Ich glaube,
wir alle haben diesbezüglich in Zukunft noch viel zu
tun.
Ich bedanke mich.
({18})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Die CDU, die hier im
Parlament vertreten ist, steht - das weiß sie selbst - in
einer der schwierigsten Phasen seit ihrer Gründung. Ihr
Ansehen leidet dramatisch unter dem Vorgang mit den
Parteispenden. Sie unternimmt Aufklärungsanstrengungen, aber das ständige Hin und Her und neu hinzukommende Sachverhalte wie der abenteuerliche in Hessen
haben bisher von einem Dilemma ins andere geführt.
Die Bewertung der F.D.P. ist völlig deckungsgleich
mit der Bewertung vieler Bürgerinnen und Bürger.
({0})
Ich sage das auch hier; wir halten damit nicht zurück,
auch nicht gegenüber einem langjährigen Koalitionspartner. Wir benennen die Wunden, die die CDU ja
selbst kennt. Aber eins füge ich hinzu: Wir sollten uns
hüten, in diese Wunden parteipolitisches Salz zu streuen.
Denn in dieser Situation geht es auch um die politische
Struktur der Bundesrepublik Deutschland und um die
Repräsentanz von Grundströmungen, die es in der Geschichte gegeben hat.
({1})
Ich sage das deshalb, weil der Vorgang doch tiefer
geht. Parteipolitische Gewinner wird es schlecht geben
und hinter den Umfragedaten leuchten viel größere Probleme auf. Die ohnehin in Deutschland verbreitete Neigung, Politik für ein schmutziges Geschäft zu halten und
die Politikerbeschimpfung geradezu als verfassungsmäßigen Auftrag zu empfinden, wird doch nur bestärkt.
Aber ich will auch feststellen - so weit, Herr Kollege
Struck, stimmen wir überein -: Dieses Land und dieser
Rechtsstaat verfügen über alle Instrumente, um solche
Sachverhalte aufzuklären: eine wache Öffentlichkeit, eine unabhängige Medienlandschaft, parlamentarische
Untersuchungsausschüsse, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, unabhängige Gerichte. Wir können, wenn
wir es wollen, Vertrauen wieder herstellen. Auch die
anderen Parteien, ebenfalls die Freie Demokratische Partei, haben ein Interesse daran, dass es der CDU gelingt,
ihre Probleme zu bewältigen. Das gilt weit über die enge
parteipolitische Situation hinaus.
Ich sage das sehr bewusst, weil meine Freunde und
ich Situationen in der Bundesrepublik Deutschland erlebt haben, in denen sich andere bei viel nichtigeren Anlässen darangemacht haben, Grundströmungen auszuradieren. Können Sie sich, Herr Kollege Struck, daran erinnern, dass Helmut Schmidt 1982 in den hessischen
Wahlkampf zog und zum Beispiel in Wetzlar die F.D.P.
„wegharken“ wollte? Welches Bewusstsein stand denn
damals dahinter? War es die Überzeugung, dass es eine
Vielfalt politischer Grundströmungen geben müsse?
({2})
Ich erinnere mich auch noch daran, dass Kurt Georg
Kiesinger 1969 in den Wahlkampf zog und, weil die
F.D.P. nicht mehr sein Partner war, meinte, man könne
sie nun beseitigen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen in welcher Partei Sie auch immer sein mögen -, es
macht keinen Sinn, nur weil man sich im Dissens mit einer Partei befindet, zu meinen, sie müsse aus dem politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland entfernt
werden. Das muss hier grundsätzlich gesagt werden.
({3})
Es wäre deshalb gut, wenn wir in dieser Debatte auch
die Grundstruktur der Bundesrepublik Deutschland erörtern würden.
({4})
Aus den Reihen der Sozialdemokraten höre ich in den
letzten Tagen, wir sollten die Regierungskoalition in
Hessen verlassen.
({5})
Ich möchte Ihnen mitteilen, dass wir das nicht tun werden.
({6})
Die hessische F.D.P. hat sich einen klaren Regierungsauftrag erkämpft und dabei ihren Wahlkampf fair finanziert. Sie hat ihre Politik zur Debatte gestellt und sie hat
ein Mandat.
({7})
Der hessische Ministerpräsident Koch weiß sehr genau, dass es auf seine Glaubwürdigkeit und Entschiedenheit bei der Aufklärung von Vorgängen innerhalb der
hessischen CDU ankommt. Jede Zusammenarbeit hat
eine notwendige Vertrauensbasis. Ich habe keinen Anlass anzunehmen, dass sich Ministerpräsident Koch über
diese Vertrauensbasis im Unklaren ist. Den Ratgebern
aus der SPD und Ihrem Vorwurf "Biedermann“, Herr
Kollege Struck, muss ich entgegnen, dass es in anderen
Bundesländern Vorgänge gibt, bei denen ich den Eindruck habe, dass die Aufklärungsbereitschaft von Vertretern Ihrer Partei bei viel geringeren Vorgängen nicht
ernsthaft im Verhältnis zur Haltung und Bereitschaft des
hessischen Ministerpräsidenten Koch steht, Sachverhalte
aufzuklären.
({8})
- Nein, ich will die Vorgänge nicht vergleichen. Derjenige aber, der behauptet, man dürfe Vorgänge in einem
anderen Bundesland noch nicht einmal eine Affäre nennen, und mich im gleichen Atemzug auffordert, meine
Freunde in Hessen zu veranlassen, eine Koalition zu verlassen, in der man sich um Aufklärung bemüht, ist für
uns kein moralisch bedeutsamer Ratgeber.
({9})
Der Untersuchungsausschuss beginnt in dieser Woche seine Arbeit. Wir müssen dafür sorgen, dass die Abgeordneten dieses Ausschusses in Distanz zu der politischen Gemeinschaft, der sie selbst angehören, arbeiten
können. Für die Atmosphäre des Ausschusses ist es sehr
wichtig, dass sie eine innere Unabhängigkeit besitzen.
({10})
Aber der Untersuchungsausschuss braucht auch nach all
den Vorgängen genau das, was meine Fraktion, die Freien Demokraten, schon zu Beginn beantragt hat: eine
Verbreiterung seines Untersuchungsauftrages.
({11})
Das ist ein Sachverhalt, den die SPD und die Grünen
sowie die PDS mit entscheiden müssen. Die PDS hatte
es damals schon, Herr Kollege Gysi, völlig zu Recht mit
entschieden. Wer nichts zu verbergen hat, kann auch den
Untersuchungsauftrag verbreitern.
({12})
Deshalb ist es wichtig, dass sich der Untersuchungsausschuss darüber klar wird. Kleine politische Münze,
nach dem Motto „Nur die einen hätten und die anderen
nicht“, glaubt niemand in der deutschen Öffentlichkeit.
({13})
Deshalb sollte der Untersuchungsausschuss diese Aufgabe auch wahrnehmen. Wir wollen als Freie Demokraten einen Beitrag zur Aufklärung leisten und werden das
im Ausschuss tun.
Neben den Aufträgen des Untersuchungsausschusses
muss man zu Beginn des Jahres 2000 sagen: Es gibt
auch noch politische Probleme, deren Lösung sich der
Bundestag zuwenden muss. Wir haben eine Beschäftigungsschwäche, wir haben eine Krise unserer sozialen
Sicherungssysteme, wir haben noch keinen Durchbruch
bei der Steuerreform und wir haben eine völlig stecken
gebliebene Bildungspolitik. Wir müssen diese Sachverhalte aufklären, aber auch politikfähig sein. Dies ist keine Staatskrise, sondern eine Vertrauenskrise, die wir zu
überwinden haben.
({14})
Meine Partei findet Rot-Grün nicht schon deshalb
besser, weil die CDU gegenwärtig schwächelt. Rot-Grün
ist eine Veranstaltung aus dem letzten Jahrhundert im
neuen Jahrtausend.
({15})
Es gibt überhaupt keinen Durchbruch auf dem Arbeitsmarkt, es gibt keinen Impulse in der Bildungspolitik, es
gibt keine Entlastung des Mittelstandes
({16})
und es gibt keinen Spielraum für die Unternehmen. Sie
regulieren und bürokratisieren das Gesundheitswesen.
Was macht denn Frau Bulmahn mit der BAföG-Reform
und der Verdoppelung des Bildungsetats?
({17})
Nein, auch die Opposition muss präsent sein. Sie bekommen uns nicht klein. Die Freie Demokratische Partei
tritt für Ziele ein, die Rot-Grün entgegenstehen. Wir bieten den Bürgerinnen und Bürgern eine klare Opposition
an. Wer anders denkt als Sie, kann uns wählen, zuallererst in Schleswig-Holstein und dann in NordrheinWestfalen.
({18})
Das ist für uns ein wichtiges Jahr. Das, worüber jetzt
viele schreiben und was viele wünschen, nämlich eine
moderne, liberale und bürgerliche Partei mit freiheitlicher Haltung, gibt es. Sie gibt es, sie wird von mir
repräsentiert und kann in Deutschland gewählt werden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ende der Bonner Republik wurde
nicht, wie oft beschrieben, durch den Umzug von Bundestag und Bundesregierung von Bonn nach Berlin eingeleitet. Die Krise der CDU und damit auch der parlamentarischen, das heißt der Parteiendemokratie bedeutet
das Ende der Bonner Republik. Es handelt sich um das
Ende eines Systems, das nicht allein von Helmut Kohl
geprägt wurde, sondern das es offensichtlich auch schon
vor ihm gab. Im Kern geht es um die Verquickung von
Politik und Geld
({0})
- ich werde dazu etwas sagen -, das heißt um Abhängigkeit oder - noch brutaler ausgedrückt - den Verdacht
der Käuflichkeit von Politik. Und es geht um die Methoden, die sich im Kalten Krieg herausgebildet haben.
Es ist kein Zufall, dass diese Krise eingeleitet wurde
über die Kenntnis einer Spende eines Waffenhändlers.
Rüstungsexport, das ist Politik und Geschäft zugleich.
Jeder, der Waffen exportiert, weiß, dass er letztlich in
irgendeiner Form Krieg exportiert. Die meisten Staaten
wollen die modernsten Waffen besitzen und sie wollen
zugleich, dass andere Staaten nicht wissen, welche Waffen sie besitzen. Deshalb vollzieht sich das alles geheimnisvoll. Und deshalb auch so viele Schmiergelder
und Provisionen in diesem Zusammenhang. Wir haben
es heute damit zu tun, dass gerade bei Rüstungsgeschäften mehr für Provision und Schmiergeld bezahlt wird als
für das Rüstungsgut selbst. Deshalb sollten wir eine
wichtige Schlussfolgerung ziehen, die auch friedenspolitisch von großer Bedeutung wäre und zugleich solche
Machenschaften einschränken könnte, nämlich hier das
Verbot von Rüstungsverboten feststellen.
({1})
Aber das fragliche Verhältnis von Politik und Geschäft gibt es ja nicht nur in der Rüstungsbranche. Leuna und Minol zeigen: Auch die Herstellung der deutschen Einheit war nicht nur Politik, sie war auch Geschäft, von beiden Seiten. Offensichtlich sind auch dort
Provisionen und Schmiergelder gezahlt worden - an
wen auch immer; das werden die Ermittlungen hoffentlich noch ergeben.
Es scheint mir auch kein Zufall zu sein, dass die jetzt
aufgefundenen ungeklärten 9 Millionen DM bei der
CDU gerade seit 1989 angelegt worden sind. Natürlich
wird bisher entschieden bestritten, dass politische Entscheidungen in irgendeiner Weise käuflich gewesen seien. Aber wo ist die Grenze, meine Damen und Herren
von der CDU, zwischen Dankbarkeit und Bestechlichkeit? Aus dem kleinen Teppichhändler Schreiber wurde
ein millionenschwerer Waffenhändler. Wie konnte es
dazu kommen? Welche Beziehungen hatte er über Jahre
zu Franz Josef Strauß? Hat nicht erst der eine den anderen groß gemacht, sodass sich der andere dankbar erweisen musste? Sie, Herr Schäuble, haben Herrn Schreiber
hier als dubiose Figur dargestellt. Aber er ist immer
noch Mitglied der CSU. Darüber lohnt es sich doch
einmal nachzudenken.
({2})
Wenn ein Ehepaar über 3 Millionen DM spendet,
nachdem gerade der Zuschlag für den Verkauf der Eisenbahnerwohnungen ergangen ist, dann zeigt das eben
die Verquickung von Politik und Geschäft. In einer
Geldwirtschaft gibt es auch einfache Tatsachen. Zu diesen gehören: Wer mal 1 Millionen DM, mal 100 000
DM, mal 50 000 DM zahlt, der macht das nur, wenn er
sich davon etwas verspricht. Und wer das Geld annimmt, der gibt in der Regel auch irgendetwas dafür.
Selbst wenn das nicht in einem direkten Sinne geschieht,
so entstehen doch in jedem Fall Abhängigkeiten, die
Herr Schreiber „politische Landschaftspflege“ nennt.
Das Problem, Herr Schäuble, besteht für mich nicht
darin, ob Sie die Verbuchung der 100 000 DM kontrolliert haben. Das verstehen ich: Wenn Sie sie abgegeben
haben an die Schatzmeisterin, ist das für Sie zunächst
einmal irgendwie erledigt. Das Problem für mich ist die
Annahme selbst.
({3})
Dabei gibt es doch Sorgfaltspflichten. Der Gesetzgeber
verlangt von Banken, die - im Unterschied zu Politikerinnen und Politikern - nun wirklich zuständig sind für
die Annahme von Geld, dass bei Bargeld ab 20 000 DM
eine hohe Sorgfaltspflicht an den Tag gelegt werden
muss dahin gehend, festzustellen: Wer ist eigentlich der
Einzahler und kann das Geld aus kriminellen Handlungen stammen, könnte also Geldwäsche vorliegen?
Wo war Ihre Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht bei
der Annahme der Spende? Sie hätten sich doch zumindest eine plausible Erklärung dahin gehend geben lassen
müssen, dass es sich nicht um eine illegale Spende handelt, sie also nicht von Dritten kommt, sie nicht aus dem
Ausland stammt, sie nicht mit politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen verbunden ist oder gar im
Zusammenhang mit Straftaten steht. Da haben Sie nichts
gefragt. Haben Sie Herrn Schreiber gefragt: Weshalb
zahlen Sie bar? Weshalb konnte er das Geld nicht überweisen? Darauf fehlen mir bisher die Antworten.
Kollege Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lengsfeld?
({0})
Ich möchte das im Zusammenhang vortragen.
({0})
Montesquieu kam darauf, dass es für eine Demokratie
wichtig ist, die Gewalten zwischen Parlament, Regierung und Justiz zu teilen. Jetzt steht aber die Aufgabe
an, die Abhängigkeit zwischen Politik und Wirtschaft
aufzuheben. Das wird sehr schwierig sein, weil es zunächst Aufklärung, dann strukturelle, personelle und gesetzgeberische Veränderungen voraussetzt.
Im Grunde genommen erleben wir gegenwärtig noch
eine weitere Zäsur. Sie wissen, dass der militante Antikommunismus für die alte Bundesrepublik identitätsstiftend war. Deshalb ist es nur logisch, dass Herr Kohl
bei seiner Erklärung im ZDF darauf kommt, seinen Verfassungs- und Gesetzesbruch mit dem Kampf gegen die
PDS zu begründen. Auch er hat nicht gemerkt, dass die
Zeit des Kalten Krieges vorbei ist, ganz abgesehen davon, dass Datum und Motiv nicht zusammenpassen wollen und dass selbst dann, wenn man Spenden annimmt,
um die PDS besonders wirksam bekämpfen zu können,
dies nicht ausschließt, dass man die Spenden deklariert.
Das ist nicht logisch.
Aber es ist ganz logisch, dass er dieses Argument in
der Hoffnung wählt, dann würde auch der Bruch von
Grundgesetz und Bundesrecht toleriert werden. Ganz
ähnlich ist, glaube ich, Herr Kanther ideologisch geprägt. Für den sind wahrscheinlich schon SPD und Grüne so etwas Ähnliches wie die fünfte Kolonne aus
Moskau. Dabei geht er davon aus: Im Kampf gegen diese ist jedes Mittel recht.
Kollege Gysi, Ihre
Redezeit ist deutlich überschritten.
Dieses „Der Zweck heiligt
die Mittel“ - lassen Sie mich das noch sagen, Herr Präsident - ist etwas, was im Kalten Krieg entstanden ist.
Dazu gehören die ganze Geheimniskrämerei, die Kungelei. Deshalb glaube ich, dass viele Politiker aus der Generation, die im Kalten Krieg das Denken gelernt hat,
heute nicht mehr geeignet sind, den Kalten Krieg zu überwinden. Ich habe seit Mitte des letzten Jahres gefordert: Diese Generation muss in Ost und West abtreten.
Sie wird es nicht packen. Wir sollten das den Jüngeren
überlassen.
Konsequenzen müssen wir, wie ich finde, beim Rüstungsexport ziehen genauso wie bei der Aufklärung,
beim Wechsel der Politikergeneration und bei der Neufassung des Parteiengesetzes, in dem es klare Regelungen geben müsste. Ich finde, Spenden durch juristische
Personen sollten ausgeschlossen werden und solche
durch natürliche Personen in ihrer Höhe pro Jahr begrenzt werden.
Kollege Gysi, Sie
haben Ihre Redezeit sehr deutlich überschritten.
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit müsste klar geregelt werden. Dann hätten
wir Konsequenzen gezeigt. Die Demokratie muss dazu
in der Lage sein. Das ist ihre Stärke gegenüber Diktaturen: Sie kann aufklären und sie kann Schlussfolgerungen
ziehen. Beweisen wir jetzt diese Stärke!
({0})
Ich erteile das Wort
zu einer Kurzintervention der Kollegin Lengsfeld,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, wie der
Vorsitzende der PDS-Fraktion seine hehren politischen
Maßstäbe in diesem Haus ausbreitet und andere Parteien
auffordert, sich nach diesen politischen Maßstäben zu
verhalten.
Ich erinnere daran, dass in der letzten Legislaturperiode, als wir in einem Untersuchungsausschuss nach den
mutmaßlichen 26 Milliarden DM verschobenen SEDGeldern recherchiert haben, derselbe Vorsitzende der
PDS-Fraktion dem Untersuchungsausschuss sein Wissen
nicht zur Verfügung gestellt hat
({0})
und dass es sich bei der PDS um eine Partei handelt, deren eigener Vorsitzender bei dubiosesten GmbHGründungen aus diesen alten SED-Geldern selbst mit
14,6 Millionen DM profitiert hat.
({1})
Ich hätte Herrn Gysi gefragt, wie er diese hehren Anforderungen, die er hier ausbreitet, mit dem eigenen
Verhalten, dem Verhalten seines Parteivorsitzenden und
dem Verhalten vieler Parteimitglieder der PDS in Übereinstimmung bringen kann. Ich hätte gefragt, ob er es
nicht für angebracht hält, die Maßstäbe, die er hier an
die CDU - berechtigterweise - anlegt, auch in seiner eigenen Partei durchzusetzen und mit der gleichen Verve,
die er hier entwickelt hat, die Aufklärung in der PDS voranzutreiben, was die verschwundenen 26 Milliarden
DM der SED betrifft.
({2})
Kollege Gysi, Sie
haben die Gelegenheit zu einer kurzen Antwort.
Frau Lengsfeld, ich stelle
zunächst fest, dass die Interpretation meiner Rede durch
Sie dafür spricht, dass Sie sie nicht verstanden haben;
sonst hätten Sie sich den politischen Inhalt erschlossen.
Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass gleiche
Anforderungen an alle gestellt werden. Ich muss nur Ihre Behauptung zurückweisen, dass Herr Bisky - Sie haben den Vorsitzenden der PDS angesprochen - 14 Millionen DM für sich - Sie haben gesagt: „zum eigenen
Vorteil“ - verwendet hätte.
({0})
- Nein, sie meinte Herrn Bisky, als Sie von der Medien
GmbH sprach. Diesen Vorgang kenne ich. Das stimmt
doch? - Ja, offenbar.
Es ist alles aufgeklärt worden. Das Geld ist zur Treuhandanstalt geflossen. Bisky selbst hat davon nie eine
Mark für sich in Anspruch genommen. Er hat das Geld
treuhänderisch verwaltet. Das war auch rechtlich sauber.
Dennoch war dies auch in einer Umbruchzeit nicht gerechtfertigt. Wir haben alles aufgelöst. Das wissen Sie.
Das ist vor Jahren alles geklärt worden. Wenn die jetzige Affäre genauso gut geklärt werden würde, wäre ich
sehr zufrieden. Sie dürfen nur nicht eine Umbruchzeit mit völlig fremden Situationen ({1})
mit einer langwierigen Entwicklung in einer so genannten Heimatgesellschaft verwechseln, die dadurch geprägt ist, dass man an der Regierung ist und die Macht
innehat.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Der damalige
Hauptstreitpunkt war die Forderung: Wer das Altvermögen übernimmt, muss auch die Altverpflichtungen übernehmen. Darauf haben wir uns durch Verzicht und einen
entsprechenden Vergleich mit der Treuhandanstalt verständigt. Dies alles können Sie nicht leugnen. Deshalb
sind die Vergleiche völlig unangebracht und unzulässig.
Sie können im Rahmen Ihrer Kurzintervention auch
nicht aus 26 Millionen DM plötzlich 26 Milliarden DM
machen. Das sind gewaltige Unterschiede. Sie wissen
auch, dass diesbezüglich Ermittlungen laufen, aber nicht
gegen Mitglieder der PDS, sondern gegen andere. Sie
werden noch Überraschungen erleben, wo welche Millionen verblieben sind.
({2})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Ludwig Stiegler, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Rede des Kollegen
Schäuble gehört hat, hat man am Ende den Eindruck
gewonnen, alle müssten Mitleid mit ihm haben, weil er
die traurige Vergangenheit der CDU aufarbeiten muss.
Er hat eine Indemnitätsdebatte begonnen, indem er versucht hat, die ganze Sache herunterzuspielen. Am Ende
werden wir es sein, die sich entschuldigen müssen. Er
hat sich natürlich gesagt - typisch Schäuble -: Angriff
ist die beste Verteidigung!
Ich halte es wirklich für eine Sauerei, eine Kampagne
für Arbeit und soziale Gerechtigkeit als Wahlkampfhilfe
für die heutigen Regierungsparteien darzustellen.
({0})
Sollen wir denn jede Demonstration des Bauernverbandes, des Beamtenbundes sowie die Broschüren des Instituts für Wirtschaft und der Arbeitgeber auch noch Ihrem
Konto anrechnen? Wenn wir das tun, dann kommen Sie
überhaupt nicht mehr auf die Beine.
({1})
Es ist unglaublich, wenn Sie behaupten, dass die Arbeit
der Verbände auf die Weise genutzt wird, nur um den
Balken vor Ihrem Auge mit vermeintlichen Splittern bezüglich anderer Sachverhalte zuzudecken. Das wird Ihnen trotz aller Rabulistik nicht gelingen.
({2})
Wir werden uns im Zusammenhang mit der jetzigen
Debatte auch noch über etwas anderes unterhalten müssen. Herr Schäuble hat sich für die Missetaten der Union
entschuldigt. Das ist in Ordnung. Aber damit ist die Sache noch nicht erledigt. Sie haben nicht angesprochen,
welche Bedeutung das Verhalten der Union für ihr Verhältnis zu ihren Mitwettbewerbern hat. Art. 21 des
Grundgesetzes soll durch die Forderung nach Offenlegung der Mittel der Parteien ein faires politisches Verfahren und Wettbewerbsgleichheit zwischen den politischen Gegnern gewährleisten. Aber Sie haben seit
Gründung der „Staatsbürgerlichen Vereinigung" im Jahr
1954 in Wahrheit einen verdeckten Kampf gegen Ihre
politischen Gegner geführt.
({3})
Sie haben illegale und unlautere Mittel eingesetzt. Sie
haben uns und andere wie Feinde behandelt, die man mit
verdeckten Mitteln bekämpfen muss. Dies müssen Sie in
Ordnung bringen. Sie müssen sich endlich in den demokratischen Prozess der Freien und Gleichen in der Bundesrepublik Deutschland einfügen. Dies muss die Union
lernen.
({4})
Es ist bitter für uns. Viele Kolleginnen und Kollegen
fühlen sich persönlich angegriffen. Führen wir uns Folgendes vor Augen: Im Haushalt, den die CDU bei der
Bundestagswahl 1990 hatte, ist die Herkunft von 30 Millionen DM noch immer ungeklärt. Wir wissen, wie die
Wahl ausgegangen ist. Die Wahl von 1994, die auch
durch Schwarzgelder beeinflusst war, ist ganz knapp
ausgegangen. Wer soll noch an Legitimität glauben,
wenn Sie wie weiland Bismarck und andere mit unlauteren finanziellen Mitteln arbeiten? Dies muss ein Ende
haben.
({5})
Herr Schäuble, deshalb ist auch eine politische Entschuldigung bei Ihren Wettbewerbern, bei allen anderen
Kolleginnen und Kollegen angemessen; denn Sie wollten unser Recht auf politische Mitbestimmung jederzeit
durch Einsatz des Geldes, das Sie aus schwarzen Quellen bekommen haben, verhindern. Das ist das eigentliche staatspolitische Thema, mit dem wir uns auseinander zu setzen haben.
Die Macht, die in Hessen errungen worden ist, ist illegitim. Herr Gerhardt, Sie sind Teilhaber einer illegitimen Macht.
({6})
Sie sind ein Abstauber und das wird Ihnen die Öffentlichkeit nicht durchgehen lassen. Die F.D.P. kann nicht
immer sozusagen wie ein Parasit von dem Schaden der
anderen leben; vielmehr müssen Sie sich Ihrer Verantwortung stellen.
({7})
Wenn Sie in Hessen eine illegitim erworbene Macht
weiterhin stützten, dann verstoßen Sie gegen den Geist
des Grundgesetzes. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({8})
Kollege Stiegler,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Wenn Sie meinen.
Herr Kollege, das gibt
Ihnen ja auch die Chance, sich wieder etwas zu beruhigen.
Sie erinnern sich sicherlich an die Pfeiffer-Affäre in
Schleswig-Holstein. Später hat sich herausgestellt, dass
Ihr damaliger Kandidat Engholm - später war er auch
Bundesvorsitzender - gelogen hat. Es war so, dass die
F.D.P. nach der Wahl knapp aus dem Landtag fiel, weil
die SPD die Wahrheit verschwiegen hatte.
({0})
Das ist Ihre Parteilegende.
Haben Sie eigentlich
damals Neuwahlen gefordert, als sich herausstellte, dass
Herr Engholm gelogen hatte und die F.D.P. aus dem
Landtag gefallen war?
({0})
Herr Koppelin, Sie wollen
Ihre eigene Legende stricken.
({0})
Ich stelle nur fest: Sie haben einen Partner, der durch
Schwarzgeld an die Macht gekommen ist. Sie haben
Teilhabe an dieser Macht. Sie wollen davon nicht lassen.
Sie verstoßen gegen den Geist und gegen den Buchstaben der demokratischen Ordnung dieses Landes.
({1})
- Verstiegen haben sich ganz andere. Wenn ich mir vorstelle, dass die Herren Kohl und Kanther hier ihre heiligen Eide geschworen haben, dass sie „So wahr mir Gott
helfe.“, gesagt haben, dass sie andere, die ohne diesen
Zusatz geschworen haben, verleumdet haben,
({2})
wenn ich mir vorstelle, dass Sie hier am Feiertag heilige
Eide geschworen haben und dass Sie im Alltag der Teufel geritten hat, dann kann ich nur sagen: Damit müssen
wir uns auseinander setzen. Der Eid eines Kanzlers oder
eines Bundesministers ist nicht von ungefähr. Herr
Schäuble, Herr Kohl soll sagen: Ich würde mich selber
der Bestechlichkeit beschuldigen, also schweige ich.
Herr Kohl soll sich aber nicht hinter einem Ehrenwort
bei gleichzeitigem Bruch der Verfassung verstecken.
({3})
Holen Sie ihn heraus! Sie waren doch sein engster
Kompagnon und Sie haben doch in dem ganzen System
mitgemacht.
Der ganze CDU-Vorstand, diese Heldenvereinigung,
besteht einerseits aus denjenigen, die Proskynese geübt
haben nach dem Motto: „Hier liegt vor deiner Majestät
im Staub die Christenschar.“, während der andere Teil
der Union gesagt hat: Ich weiß zwar, was läuft, aber ich
will es nicht so genau wissen, weil mir das Ergebnis gerade recht ist. Das ist die eigentliche Ursache. Da kann
ich auch Herrn Geißler nicht sonderlich loben; denn er
ist zu der Zeit, als er noch an der Macht war, nicht vorgetreten; vielmehr hat er nachgetreten in der Zeit, als er
nicht mehr an der Macht war.
({4})
Ein Vorbild für Mannhaftigkeit ist er wahrhaftig nicht.
Herr Schäuble, wenn hier von Aufklärung die Rede
ist, dann denken Sie mit Blick auf die Zukunft auch an
den Philosophen der Aufklärung Immanuel Kant und
sagen Sie Ihren Vorständen: Sapere aude - sie sollen
selber wagen, gescheit zu sein. Sie sollen damit aufhören, gegen den demokratischen Geist des Grundgesetzes
zu verstoßen, indem sie byzantinische Verhältnisse in
der Union aufrechterhalten. Sie haben über Jahre hinweg
das System Kohl möglich gemacht. Das ist die ganze
Geschichte. Sie kommen aus Ihrer Verantwortung nicht
heraus, das heißt, Sie haben zu arbeiten und nicht auf
Mitleid zu pochen.
Kehren Sie zurück zur verfassungsmäßigen Ordnung,
zum fairen Umgang mit Ihren politischen Wettbewerbern
({5})
und zu sauberen Verhältnissen! Das ist Ihr Auftrag.
({6})
Kollege Stiegler, ich
möchte noch eine Bitte äußern: Wir sollten auch im Eifer des Gefechts belastete Ausdrücke nicht verwenden.
„Parasit“ ist in Deutschland ein sehr belasteter Ausdruck.
({0})
Ich schließe die Aussprache und rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({1}) zu dem
Abschlussbericht der Enquete-Kommission
„Schutz des Menschen und der Umwelt - Ziele
und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“
Konzept Nachhaltigkeit
Vom Leitbild zur Umsetzung
- Drucksachen 13/11200, 14/1470 Berichterstattung:
Abgeordnete Marion Caspers-Merk
Bernward Müller ({2})
Birgit Homburger
Eva-Maria Bulling-Schröter
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Marion Caspers-Merk. Ich bitte, Platz zu nehmen, damit die Rednerin mit ihren Ausführungen beginnen kann.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser sehr tagespoliti7438
schen Debatte fällt es schwer, zu politischen Themen zurückzukehren, die sich mit langfristigen Fragen befassen. Ich glaube aber, dass es notwendig ist, heute in einer großen Debatte über das Thema Nachhaltigkeit und
Zukunftsfähigkeit zu diskutieren, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, die Parteien kümmerten sich nur
noch um ihr Geld und nicht mehr um die Zukunft unserer Kinder. Diesem Eindruck wollen wir mit dieser Debatte entgegentreten.
({0})
Wir haben bei dieser Debatte einige Dinge miteinander zu bereden. Es geht darum, wie es weitergehen soll,
wie wir gemeinsam ein Konzept für nachhaltige Entwicklung erarbeiten können und wie die Ergebnisse der
parlamentarischen Enquete-Kommission der letzten Legislaturperiode in diese Arbeiten integriert werden können. Enquete-Kommissionen sind in aller Regel runde
Tische im Parlament, die ein großes Maß an Fleißarbeit
in Form von Berichten abliefern. Hierbei gibt es zwei
Möglichkeiten, wie man mit diesen umgeht. Die eine
Möglichkeit ist, dass sie wohl geordnet auf Bücherborden stehen und Staub ansetzen. Die andere Möglichkeit
ist, diese Empfehlungen ernst zu nehmen und in politisches Handeln umzusetzen.
Die neue Bundesregierung und die sie tragenden
Koalitionsfraktionen haben sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Wir wollen, dass die Empfehlungen
der Enquete-Kommission umgesetzt werden. Im federführenden Ausschuss haben wir dazu einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir wollen, dass drei Dinge in
der Bundesrepublik Deutschland in Angriff genommen
werden.
Erstens wollen wir, dass in einem breiten Dialogprozess eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet
wird. Zweitens wollen wir Nachhaltigkeit in sämtlichen
Regierungsbereichen verankert wissen. Drittens wollen
wir sicherstellen, dass die guten Vorarbeiten, die zum
Beispiel in den Kommunen und den Ländern der Bundesrepublik Deutschland bei der Aufstellung der lokalen
Agenden geleistet wurden, aufgegriffen werden, sodass
ein Prozess der nachhaltigen Entwicklung entsteht.
Wir haben dafür schon ein gutes Stück an Vorarbeit
geleistet. Zum einen ist es gelungen, im Umweltausschuss einen parteiübergreifenden Konsens darüber herzustellen, dass diese Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet
und ein „Rat für nachhaltige Entwicklung“ gegründet
wird. Außerdem haben wir die Bundesregierung aufgefordert, entsprechende Schritte einzuleiten und dies umzusetzen. Erste Ergebnisse können auch schon vorgewiesen werden. So hat beispielsweise innerhalb der
Bundesregierung schon eine Staatssekretärsrunde getagt,
die ein Stück weit unsere Forderung übernimmt, in Form
eines „greencabinet“ dafür zu sorgen, dass Nachhaltigkeit kein isoliertes Umweltthema bleibt, sondern konkret
in alle Fachbereiche integriert wird.
Ich bin sehr froh, dass gerade bei einem zentralen
Thema dieses Enqueteberichts, nämlich dem Thema
Flächenverbrauch, schon erste praktische Umsetzungsschritte vorhanden sind. Das neue Konzept der Bundesregierung zur Wohnungsbauförderung weist bereits eine
Änderung der politischen Perspektive auf: Die neue
Bundesregierung versucht das umzusetzen, was die Enquete-Kommission erarbeitet hat, und will von der einseitigen Förderung des Neubaus weg - und zur Förderung im Bestand hinkommen. Auch das neu vorgelegte
Mietrecht orientiert sich ein Stück weit an Nachhaltigkeit. Es setzt einen Teil der von uns entwickelten Ideen
um, die besagen, dass man im Mietwohnungsbau dafür
sorgen muss, dass Verlässlichkeit und Kontinuität für
die Mieter herrschen und zugleich ein Impuls für ökologisches und flächensparendes Bauen gegeben wird.
({1})
Noch immer werden in der Bundesrepublik Deutschland täglich 120 Hektar Fläche verbraucht. Als Leitbild
wollen wir die Stadt der kurzen Wege. Erforderlich ist
eine Reduktion des Flächenverbrauchs. Dort müssen
zentrale Aspekte einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ansetzen. In diesem Zusammenhang muss auch der
Klimaschutz nach vorne gebracht werden, wobei zu beachten ist, dass die industriell hervorgerufenen CO2Belastungen sinken, während die durch Mobilität,
Raumheizung und Stromverbrauch hervorgerufenen Belastungen steigen. Wollen wir also das Klimaschutzziel
erreichen, müssen wir eine andere Form von Mobilität auch dazu brauchen wir die Bürgerinnen und Bürger sowie die Stadt der kurzen Wege und flächensparendes
Bauen erreichen. Der neue „Rat der Zukunft“ - ich würde ihn lieber so als „Rat für nachhaltige Entwicklung“
nennen - muss sich um diese zentralen Fragen kümmern.
({2})
Darüber hinaus haben wir weitere Teile des Enqueteberichts umgesetzt. Sie sind Teil der Koalitionsvereinbarung geworden. Noch nie ist es gelungen, Forderungen
so zeitnah umzusetzen. Die Vorgänger-EnqueteKommission zum Thema „Schutz der Erdatmosphäre“ viele Kolleginnen und Kollegen, die hier im Raum sitzen, haben sich um diese Kommission verdient gemacht - hat das Klimaschutzziel erarbeitet. Aber wie
lange hat es gedauert, bis es verlässlich in politisches
Handeln umgesetzt wurde? Wie lange hat es gedauert,
bis es überhaupt die Chance gab, eine strittige zentrale
Forderung, nämlich den Ausstieg aus der Atomenergie,
anzugehen? Auch hier sind wir mit dem Regierungswechsel ein gutes Stück weitergekommen. Unsere Anliegen müssen der Ausstieg aus der Atomenergie und die
Erreichung des Klimaschutzzieles sein. Letzteres ist nur
im Dialog mit den Ländern und Kommunen zu erreichen.
({3})
Die Bundesregierung hat mit dem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit einen
neuen institutionellen Rahmen geschaffen, bei dem
Maßnahmen verabredet, aber auch Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Konsens mit wichtigen gesellschaftlichen Gruppen erarbeitet werden.
Das Bündnis ist langfristig angelegt und verfolgt mit einer straffen Tagesordnung und mit Arbeitsgruppen ganz
konkrete Projekte. Genau das Gleiche muss für den Zukunftsrat gelten. Er muss auf der einen Seite die Nachhaltigkeitsstrategie beraten, auf der anderen Seite aber
auch konkret durchführbare Projekte vorschlagen, damit
am Ende des Prozesses nicht ein neues Buch steht, sondern die Tatsache, dass wir uns in Deutschland in Richtung Nachhaltigkeit bewegt haben.
Gerade wenn das Thema Wettbewerbsfähigkeit mit
all seinen Facetten Gegenstand von Verhandlungen im
„Bündnis für Arbeit“ wird, benötigt die Bundesrepublik
Deutschland einen längerfristigen Orientierungsrahmen.
Hier muss Nachhaltigkeit als ganzheitliches, ressortübergreifendes Leitbild zum Tragen kommen. Dieser
Orientierungsrahmen ist nötig, weil die Wettbewerbsfähigkeit, die wir erlangen wollen, auch zukunftsfähig sein
muss.
Beide Facetten gehören zusammen. Der Dialog, wie wir
Deutschland im 21. Jahrhundert nach vorne bringen, hat
also eigentlich zwei Standbeine.
Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Nur wer auf dem
Berg steht, kann ins Tal sehen.“ Es ist also wichtig, dass
dieser Rat Visionen entwickelt. Es ist aber auch wichtig,
dass diese Visionen umsetzbar sind. Deswegen ist eine
parlamentarische Begleitung notwendig. Parallel dazu
müssen in dem gebildeten Ausschuss, im „green cabinet“, einzelne Maßnahmen angegangen werden. Hier, so
glaube ich, sind wir auf einem guten Weg.
Ich möchte mich nochmals bei allen Kolleginnen und
Kollegen für die damalige Arbeit in der EnqueteKommission bedanken. Ich möchte mich auch bei den
Kolleginnen und Kollegen des Umweltausschusses dafür
bedanken, dass es gelungen ist, ein Zeichen für einen
Konsens in Richtung Zukunftsfähigkeit zu setzen. Denn
wir haben die Welt nicht geerbt, sondern nur von unseren Kindern geliehen. Es muss gelingen, eine Politikänderung herbeizuführen, sodass bei uns Zukunftsfähigkeit
zum neuen Leitbild der Bundesrepublik Deutschland
wird.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Christa Reichard, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Weltweit offizieller Beginn der Bemühungen um eine
wirklich nachhaltige Entwicklung, eingebracht in alle
Politikbereiche, war die Konferenz der Vereinten Nationen in Rio im Jahre 1992. Über 170 Staaten haben sich
damals an dieser Zusammenkunft beteiligt. Das dabei
verabschiedete Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert wurde unter dem leider immer noch erklärungsbedürftigen Titel „Agenda 21“ bekannt. Sieben Jahre sind
seit dieser Konferenz für Umwelt und Entwicklung vergangen. Eine Frage drängt sich manchmal angesichts aktueller weltweiter Umweltbilanzen auf: Müssen wir von
sieben verschenkten Jahren sprechen?
Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission
„Schutz des Menschen und der Umwelt“, den wir hier
und heute abschließend beraten, wurde bereits zum Ende
der 13. Legislaturperiode vorgelegt. Dieser Bericht stellt
einen der nationalen Beiträge Deutschlands im weltweiten Agenda-Prozess dar. Die Bundesrepublik und die alte Bundesregierung haben zahlreiche weitere Beiträge
geleistet, auf die ich bereits in meiner Rede in der vergangenen Debatte zum Bericht hingewiesen habe. Eine
Würdigung des Berichts der Enquete-Kommission stand
im Mittelpunkt meines ersten Debattenbeitrags.
Heute möchte ich stärker die Frage nach der Umsetzung der Empfehlungen in den Mittelpunkt meiner Überlegungen stellen, wie das vor mir meine Kollegin
Caspers-Merk schon versucht hat. Meine Sichtweise ist
etwas anders. Mehr als ein Jahr ist seit der Vorlage des
Berichts vergangen. Dieses wie auch in zahlreichen anderen Bereichen verlorene Jahr zeigt uns wieder, welchen Stellenwert die rot-grüne Bundesregierung einer
nachhaltigen Entwicklung wirklich beimisst. Wo sind
die Forderungen geblieben, die Vertreter von SPD und
Grünen zu zahlreichen Minderheitenvoten veranlassten?
Werden sie mittlerweile als Makulatur betrachtet?
Besonders die Grünen halten sich bemerkenswert zurück. Der Berliner Politologe Arnulf Baring äußerte
kürzlich in einer Diskussion die Vermutung, dass der
Bundeskanzler statt der Stilllegung eines Atomkraftwerks auch den Bau von fünf neuen genehmigen könnte;
seinen Koalitionspartner würde er dennoch nicht los.
({0})
Die im vergangenen Jahr von Bundesumweltminister
Trittin zu Fall gebrachte Altautorücknahmeverordnung
ist ein beredtes Beispiel für die Missachtung der Grundsätze der Nachhaltigkeit durch diese Bundesregierung.
„Konzept Nachhaltigkeit - Vom Leitbild zur Umsetzung“, so lautet der Titel des Abschlussberichts. Dabei
sind wir uns weitgehend einig gewesen.
Was glauben Sie, welche der im Kommissionsbericht
enthaltenen Empfehlungen an die Bundesregierung mittlerweile wirklich umgesetzt wurden? Ich habe den Eindruck, Frau Caspers-Merk, dass Sie Ihre Wünsche schon
für die Umsetzung halten.
({1})
Wo bleibt der „Rat für nachhaltige Entwicklung“? Über
Ankündigungen sind Sie bisher nicht hinausgekommen.
({2})
Und welche Gremien sind stattdessen abgeschafft worden? Die Enquete-Kommission fordert die Straffung des
bestehenden Institutionengeflechtes, verbunden mit neuen Aufgabenstellungen.
Bei einer Bestandsaufnahme bereits 1984 fanden sich
schon 528 Beratungs- und Kommissionsgremien der
Bundesregierung mit über 7000 Mitgliedern. Seither
sind es eine Reihe mehr geworden, und die Anzahl der
Berichte ist unüberschaubar. Wo bleibt die geforderte
nationale Nachhaltigkeitsstrategie, die Umwelt, Wirtschaft und Soziales integriert? -
Fehlanzeige. Wo bleiben die konkreten Änderungen
des Mietrechts, die nicht nur Mieter, sondern auch Vermieter an den Einsparungen nach Sanierungsmaßnahmen beteiligen? - Fehlanzeige!
({3})
Welche Forderungen aus dem Abschnitt „Bauen und
Wohnen“ haben im vergangenen Jahr wirklich Eingang
in die Politik der Bundesregierung gefunden? - Fehlanzeige!
Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, fragen Sie doch einmal die Regierung, was aus der geforderten Anpassung des bestehenden wohnungspolitischen
Instrumentariums und der Städtebauförderung geworden
ist. Meinen Sie etwa, dass eine Reduzierung der Mittel
für den Städtebau gerade in den neuen Ländern dazu
beiträgt, städtische Strukturen gegen das zunehmende
Wachstum in die Fläche zu stärken? Was ist im untersuchten Beispielfeld der Versauerung von Böden geschehen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, Sie ahnen die Antwort. In rot-grünen-Minderheitsvoten war
ein Nachhaltigkeitstest für Instrumente gegen Bodenversauerung gefordert worden. Wo bleiben die weiteren
dringend erforderlichen Maßnahmen zur geplanten CO2Reduktion, die auch einen Beitrag gegen eine weitere
Bodenversauerung bringen würden? Stattdessen werden
Kräfte investiert, um die klimafreundliche Atomenergie
durch klimabelastende oder landschaftszerstörende
Energieerzeugungsarten zu ersetzen.
({4})
Wo bleiben die Maßnahmen mit dem Ziel der Verringerung der Umwandlungsrate von unbebauten Flächen in
Siedlungs- und Verkehrsflächen auf zehn Prozent der
Rate für die Jahre 1993 bis 1995? Wo bleibt der lang
diskutierte Gebäudepass, wo die geforderte Änderung
der Honorarordnung für Architekten? - Fehlanzeige,
Fehlanzeige, Fehlanzeige!
({5})
Besonders bedenklich stimmt mich, dass die Notwendigkeit der weltweiten Zusammenarbeit auf dem
Gebiet der Nachhaltigkeit von dieser Bundesregierung
offensichtlich nicht ausreichend erkannt wird. Im Zuge
einer an dieser Stelle falschen Sparsamkeit werden die
Beiträge Deutschlands zu internationalen Organisationen ebenso gekürzt wie die Entwicklungshilfe. In einer
Reihe von Entwicklungsländern werden sogar Botschaften geschlossen. Gerade hier verschenken wir weit reichende Chancen, globale Politik im Sinne der Nachhaltigkeit voranzutreiben.
Was geschieht innenpolitisch? Die so genannte ökologische Steuerreform der rot-grünen Koalition hat mit
ökologischen Zielen ja nichts zu tun, meine Damen und
Herren! Herausgekommen ist eine Rentenstabilisierungssteuer unter einem Öko-Mäntelchen.
({6})
Die Enquete-Komission hat in ihrem Bericht an vielen Stellen darauf hinweisen müssen - da war sie ehrlich
-, dass die vorgeschlagenen Instrumente noch nicht bewertet werden konnten,
({7})
dass Daten fehlen und damit die Zielstellung des Einsetzungsbeschlusses der Kommission nur teilweise erreicht
werden konnte. Deshalb darf der Bericht aber noch lange nicht zu den Akten gelegt werden!
Meine Damen und Herren, ich denke, es würde sich
lohnen, einige der begonnenen Untersuchungen weiterzuführen, wie dies damals auch als Minderheitsvotum an
die Bundesregierung immer wieder gefordert wurde.
Nehmen Sie sich selbst beim Wort, meine Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen! Fordern Sie mit
uns gemeinsam von der Bundesregierung ein, dass nicht
nur in Worthülsen und mit wolkigen Ankündigungen
gesprochen wird, sondern in der politischen Praxis
Nachhaltigkeit wirklich zur Chefsache wird!
Ich danke Ihnen.
({8})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ ist das so eine
Sache. Während er im politischen Raum denen, die damit zu tun haben, ein Überdrussbegriff ist, weil er oft im
Überdruss und im Übermaß verwendet wird, ist er in der
Gesellschaft ein Begriff, mit dem viele gar nichts anfangen können. Ich finde auch, dass die Bedeutung, die im
politischen Raum dem Entwicklungskonzept oft zugeschrieben wird, im krassen Verhältnis zu dem steht, was
tatsächlich geschieht. Die Aufmerksamkeit - das konnten wir heute Morgen wieder sehen - ist immer am Aktuellen, am Spektakulären orientiert, selten am Langfristigen und Nachhaltigen.
Was heißt „nachhaltig“? Ich will dies zu Beginn
meiner Rede deutlich machen, weil man immer wieder
danach gefragt wird, wenn man sich in die Debatte einmischt. Bei den 150 oder 180 Definitionen, die es gibt mögliche oder unmögliche -, ist die, die ganz am
Anfang stand und bereits 1987 im Bericht der
Brundtland-Kommission erwähnt wurde, zutreffend.
Diese lautet: Nachhaltig ist eine Entwicklung dann,
wenn es der jetzigen Generation gelingt, ihre Bedürfnisse in jeder Hinsicht sozial, kulturell, wirtschaftlich so zu
befriedigen, dass künftige Generationen nicht in ihren
Zukunftschancen gemindert sind.
Dies ist eine sehr einfache Definition. Man könnte
auch sagen, das ist das Prinzip der Generationenverantwortung, der Wahrnehmung der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Insofern ist das ein zutiefst
ethisches Prinzip, aber es ist noch lange keine Politik. Es
ist nur ein normativer Orientierungsrahmen, an dem man
sich entlanghangelt.
In der Gesellschaft ist die Debatte noch nicht weit
fortgeschritten. Viele, auch junge Leute, fragen sich:
„Was heißt es? Was meint ihr damit?“ Einige meiner
Kollegen sagen immer wieder: „Lass dir endlich ein
besseres Wort einfallen!“ Wenn du kein besseres Wort
für Nachhaltigkeit hast, wird es dir nie gelingen, Menschen dafür zu interessieren und zu begeistern.“ Ich sage
Ihnen: „Ich glaube nicht, dass es an dem Wort liegt.“
Das Wort ist zugegebenermaßen sperrig, es ist außerdem
mehrdeutig, es gibt nachhaltige Spendenskandale, nachhaltige Wirkungen auf die Demokratie, aber das bedeutet etwas anderes. Es ist aber auch ein Wort, das zur Erklärung herausfordert. Wenn Menchen das nicht verstehen, ist es kein Sprachproblem, sondern es ist auch ein
Problem der Gesellschaft, dass die Entwicklung in der
Praxis so wenig nachhaltig ist, dass man Nachhaltigkeit
gewissermassen nicht alltäglich lernen und erfahren
kann.
Nachhaltigkeit ist also kein Begriffsproblem, sondern
es ist unsere Schwierigkeit, sie zu realisieren und umzusetzen. Es war eine Grundeinsicht der EnqueteKommission, zu sagen, dass wir endlich eine Strategie,
einen Weg, wohin wir wollen, Formen, Maßnahmen und
Schritte festlegen müssen.
Damit bin ich bei einem zentralen Element des Antrages des Umweltausschusses. Wir haben gesagt, es genügt nicht länger, wenn wir eine nachhaltige Entwicklung wollen, da und dort eine Maßnahme durchzuführen.
Wir brauchen ein Gesamtkonzept, so wie es in Rio alle
Staaten versprochen haben, wie es übrigens zahlreiche
europäische Länder bereits erarbeitet haben, schöne
Broschüren erstellt haben, die in die Gesellschaft hineingewirkt haben. Das wollen wir in der Bundesrepublik
gemeinsam erarbeiten.
Was verstehen wir unter einer Strategie? Wir müssen
langfristige Ziele formulieren, was in 10, 20, 30 Jahren
sein soll, was wir erreichen wollen, welchen Qualitätsstandard wir im Sozialen, Ökologischen, Wirtschaftlichen haben wollen. Wir brauchen dann aber auch Maßnahmen, Schritte, die dazwischenliegen, gewissermaßen
die Beschreibung des Weges und der Geschwindigkeit,
wie wir zu unseren Visionen kommen, damit diese nicht
Utopie bleiben, sondern realisiert werden. Dazu müssen
wir relevante Handlungsfelder erarbeiten, das heißt klären, was uns wichtig ist, wo wir vor allen Dingen ansetzen müssen, damit wir zu einer nachhaltigen Entwicklung kommen.
Sicherlich wird man nicht überall gleichzeitig arbeiten, aber ich will doch deutlich machen, dass es ein ganzes Spektrum, einen ganzen Themenkreis von notwendigen Aufgaben gibt, die wir im Rahmen einer solchen
Nachhaltigkeitsstrategie erarbeiten müssen. Nehmen wir
den Bereich Wirtschaft und Konsum. Wir müssen die
Frage beantworten, wie wir Produktionsweisen und Produkte zukünftig so entwickeln, dass wir unsere Bedürfnisse befriedigen können, aber auf Dauer diesem Planeten nicht schaden, auch dann nicht, wenn alle anderen
sie übernehmen, sei es das Autofahren, sei es bei anderen Konsummitteln, die wir gerade im Norden im Überfluss haben.
Wir müssen also auch über Lebensstile, Lebensformen
und Konsumstile nachdenken.
Wir müssen zweifellos den Bereich der Landwirtschaft angehen. Wir können nicht auf Dauer ein System
erhalten, das nur funktioniert, weil wir zum Beispiel
Flächen in einem ganz anderen Kontinent benutzen, um
unsere eigenen Bedürfnisse bei der Nahrungsmittelversorgung überhaupt befriedigen zu können. Wir können
uns nicht auf Dauer so ernähren, dass es zu Lasten anderer geht oder ungesund ist.
Wir können auch im Bereich des Bauens und Wohnens nicht auf Dauer so weitermachen. Dort muss man
die Frage beantworten: Wie können wir, und zwar in der
breiten Gesellschaft und nicht nur bei wenigen Elitegruppen, ein Wohnungs- und Siedlungsbedürfnis, ein
Lebensbedürfnis befriedigen, ohne permanent immer
weitere Flächen zu verbrauchen und damit Natur und
Landschaft zu zerstören?
Wir müssen im Bereich der Energie und des Klimaschutzes neue Wege einschlagen. Deswegen haben wir
auch beschlossen, eine Klimaschutzstrategie zu erarbeiten. Ich glaube, gerade wer in Süddeutschland wohnt
oder auch beobachtet hat, was in Frankreich in den letzten Tagen des alten Jahrhunderts geschehen ist, hat deutliche Zeichen sehen können, dass es höchste Zeit zur
Umkehr, höchste Zeit für eine nachhaltige Entwicklung
ist.
Ich glaube, wir müssen auch weit mehr im Bereich
Bildung tun und aufklärend in die Gesellschaft hineinwirken. Ich würde mir wünschen, dass die Nachhaltigkeitsdebatte eine Gesellschaftsdebatte wird und dass am
Ende dieses Prozesses oder in einigen Jahren tatsächlich
jeder und jede in der Gesellschaft, jedes Kind sagen
kann: „Ich weiß, was nachhaltig ist, und ich weiß, dass
dies und jenes nicht nachhaltig ist. So können und dürfen wir nicht weiterleben.“ Das müssen wir schaffen.
Wenn uns das nicht gelingt, ist diese Debatte eine akademische geblieben und hat politisch und gesellschaftlich nichts verändert.
({0})
Ich will an zwei Themenfeldern ausführen, wie eine
solche Strategie aussehen muss. Beispiel eins: Mobilität. Ich stelle mir vor, dass wir uns im Rahmen dieser
Strategie, vielleicht unter dem Motto „Deutschland bewegt sich umweltverträglich und natürlich“, überlegen,
in welchen Bereichen wir einerseits Beweglichkeit erhalten und Mobilität sichern können - das ist ein wichtiges Anliegen dieser Gesellschaft, auch ökonomisch geWinfried Hermann
sehen wichtig -, aber das nicht zu Lasten der Natur zu
tun, auch nicht zu Lasten zukünftiger Generationen.
Dies könnte zum Beispiel bedeuten, dass man sagt:
Wir wollen in fünf oder zehn Jahren den Anteil des
Fußgängerverkehrs, des Radverkehrs in den Städten etwa verdoppeln. Das wäre ein großer Schritt nach vorne
und würde klar machen, dass wir bereit und in der Lage
sind, dort, wo wir es können, auch auf das Autofahren
zu verzichten, weil wir wissen, dass das eine mehr zu
Lasten künftiger Generationen geht als das andere.
Wir müssen neue Konzepte der Mobilität entwickeln,
auch zwischen öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln. Ich spreche gerne von einem halböffentlichen Verkehr im Sinne des Carsharing, des gemeinsamen Nutzens von individuellen Fahrzeugen. Das könnte beispielsweise in zehn Jahren dazu führen, dass wir die
Zahl unserer Fahrten in diesem Bereich halbieren, weil
man mehr zu zweit oder zu dritt fährt als bisher.
Wir müssen auch einmal darüber nachdenken, welche
Instrumente der Nachhaltigkeit nicht nützen, gerade im
Bereich der Mobilität. Eine Kilometerpauschale im
Steuerrecht, die quasi das Vielfahren beim Autofahren
steuerlich belohnt, kann nicht nachhaltig sein.
(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen]
({1})
Wir brauchen also Konzepte wie zum Beispiel die Entfernungspauschale. Die Entfernungspauschale wird im
Rahmen dieser Strategie mit Sicherheit erarbeitet werden und ins Gespräch gebracht werden.
({2})
Wie kann man also erreichen, dass man das entfernte
Wohnen vom Arbeitsplatz und das Vielfahren nicht auch
noch steuerlich fördert? Das sind alles Aufgaben, die
man im Rahmen der Nachhaltigkeit bearbeiten muss.
Zum Bereich Arbeitsplätze: Auch hier geht es darum, dass man in Feldern umdenkt, die man bisher eher
unter ökologischen Gesichtspunkten gesehen hat. Mobilität und Autofahren hat man als Transportproblem angesehen, aber es ist natürlich auch ein Arbeitsplatzproblem. Lange Zeit hat man geglaubt, man könne daran
nichts ändern, weil man die deutsche Automobilindustrie für die Schlüsselindustrie mit wahnsinnig vielen Arbeitsplätzen gehalten hat. Inzwischen weiß man, dass es
in der Automobilproduktion einschließlich Zulieferer
nur noch etwa 700 000 Arbeitsplätze gibt.
Gleichzeitig haben wir etwa 700 000 Arbeitsplätze im
Bereich des öffentlichen Verkehrs. Das ist im Bewusstsein der Menschen nicht angekommen. Kein Mensch
spricht vom öffentlichen Verkehr als Bereich, in dem
Arbeitsplätze geschaffen werden können. Aber wir müssen im Rahmen einer solchen Strategie natürlich auch
ausloten, welche Konzepte Arbeitsplätze schaffen und
wo Arbeitsplätze gefährdet sind.
({3})
Ich meine, die Arbeitsplätze der Automobilindustrie
sind dann gefährdet, wenn die Automobilindustrie es
nicht schafft, zukunftsfähige Mobilitätskonzepte zu
entwickeln. Man wird auf Dauer nicht mit dem Verkauf
von teuren, schnellen, viel Sprit fressenden Autos Zukunft gewinnen können. Das geht nicht mehr lange gut.
Die Automobilindustrie kann nur überleben, wenn sie
Konzepte entwickelt, die auf Dauer in allen Regionen
dieses Planeten tragfähig sind, das heißt Schaffung von
Mobilitätskonzepten für die Verbindung von öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln.
Der nächste Bereich, den ich erwähnen möchte: Ich
glaube, eine Entwicklung, die sich nicht auch der Verantwortung bewusst ist, die darin liegt, dass wir im Verhältnis zu den Ländern und Menschen im anderen Teil
der Welt viel tun können, ist nicht nachhaltig. Ich schlage vor, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie einen Schwerpunkt
auf die Entwicklung von ökologischen und ökonomischen Partnerschaften und Patenschaften mit Ländern in
der Dritten Welt legt. Es wäre aus meiner Sicht angemessen und angebracht, Südafrika als besonderes Projekt zu nehmen. Hier hat noch die alte Regierung einen
Vertrag über eine Umweltpartnerschaft geschlossen.
Dieser kann mit Leben erfüllt werden. Sie können dabei
mitarbeiten; es war auch Ihr Impuls.
Wir könnten an diesem Beispiel zeigen, dass unser
Interesse, soziale und demokratische Entwicklungsprozesse in Afrika zu stützen, in Verbindung zu bringen ist
mit ökonomischen Impulsen und ökonomischen Möglichkeiten, auch für uns, sowie gleichzeitig mit einer
ökologischen Verantwortung, die wir übernehmen, weil
wir natürlich in vielen Bereichen technisch etwas zu bieten haben. Es geht gar nicht so sehr um Kapital, sondern
mehr um die Fähigkeiten, die wir etwa im Bereich der
Wasserwirtschaft, der Versorgung mit und Entsorgung
von Wasser, oder im Bereich der Elektrizität, der Photovoltaik und der Solartechnologie zu bieten haben. Hier
hätten wir viele Möglichkeiten, etwas anzubieten und
deutlich zu machen, wie wir uns öko-faire Entwicklungspartnerschaft vorstellen. Südafrika könnte ein Beispielland dafür sein.
Ich komme zum Schluss. Im Rahmen einer solchen
Debatte und Rede kann man nur kurz anreißen, wohin
die Reise gehen soll. Es muss uns gelingen, im Rahmen
dieser Nachhaltigkeitsstrategie zu zeigen, dass wir auch
einen neuen politischen Stil pflegen wollen. Frau Reichard, Sie haben Ihre Rede in dem Duktus gehalten:
„Sie müssen, Sie müssen, Sie müssen“. Diese Haltung
ist nicht ohne weiteres verantwortlich. Sie sagen: „Sie
müssen tun“. Aber nachhaltige Entwicklung meint: Jeder muss an seinem Platz seine Verantwortung wahrnehmen. Das heißt, auch Sie müssen Ihren Beitrag zur
nationalen Nachhaltigkeitsstrategie leisten, auch Sie
müssen klarmachen, wo Sie Ihren Impuls setzen, Sie
müssen Ihre Konzepte vorstellen. Sie müssen klarmachen, wie Sie in Ihren Bereichen etwas erreichen wollen.
Das gilt übrigens ebenso für alle anderen, für die Gewerkschaften genauso wie für die Unternehmerverbände, für die Kommunen genauso wie für die Länder und
die Bundesregierung.
Sie haben in einem Punkt Recht, Frau Reichard. Wir
haben mit dem Antrag und dem Versprechen, eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, einen Zukunftsrat einzurichten, einen neuen Stil in das Kabinett
einzuführen, der vernetzt und integrativ ist, einen hohen
Anspruch formuliert, dankenswerterweise mit Ihrer Hilfe. Wir haben jetzt auch zu zeigen, dass wir in der Lage
sind, das umzusetzen. Wir werden in den nächsten Wochen sowohl diesen Zukunftsrat berufen als auch mit der
Erarbeitung der Strategie beginnen. Ich verspreche Ihnen: Wir werden im Jahre 2002, zehn Jahre nach der
Konferenz von Rio, nicht mit leeren Händen dastehen,
sondern wir werden eine Strategie präsentieren, an deren
Umsetzung Sie mitwirken können.
Vielen Dank.
({4})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Birgit Homburger für die F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Enquete-Kommission
„Schutz des Menschen und der Umwelt“ hat in der letzten Legislaturperiode wichtige Bausteine für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet. Zur Erarbeitung und Umsetzung dieser Strategie hat sie für die Einsetzung eines Rats für nachhaltig zukunftsverträgliche
Entwicklung beim Bundeskanzleramt plädiert.
Im letzten Sommer haben wir uns dann im Umweltausschuss damit auseinander gesetzt, wie die Empfehlungen der Enquete-Kommission umgesetzt werden
können. Das Ergebnis war ein einstimmiger Beschluss,
mit dem die Bundesregierung unter anderem aufgefordert wurde, noch im Jahre 1999 einen Rat für nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung mit Querschnittsaufgaben einzusetzen.
Dies - das muss ich hier feststellen - ist Ihnen nicht
gelungen.
({0})
Bis heute hat es die Bundesregierung nicht geschafft, ein
fertiges Konzept für die Einsetzung dieses Rates vorzulegen. Ich hatte das heute eigentlich erwartet.
Zwar hatte sich der Umweltausschuss auf Antrag unserer Fraktion im Dezember letzten Jahres noch einmal
mit diesem Thema beschäftigt, aber trotz Ihrer vollmundigen Ankündigungen fiel der Bericht der Staatssekretärin eher dürftig aus. Sie haben uns weder Antworten auf
die Frage gegeben, aus wie vielen Mitgliedern der Rat
konkret bestehen soll, noch beantwortet, welche gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt werden sollen,
noch beantwortet, wo er organisatorisch eingegliedert
werden soll. Ihrerseits ist sogar noch jetzt umstritten, wo
die Geschäftsstelle anzusiedeln ist. Noch nicht einmal
darüber haben Sie sich einigen können.
({1})
Namen von Persönlichkeiten, die diesen Rat bilden sollen, werden zwar in der Gerüchteküche heiß gehandelt,
aber offiziell erhalten wir von Ihnen darüber keine Auskunft. Angesichts dessen verwundert es mich natürlich
nicht, dass von einer Straffung des Beratungswesens, die
auf unsere Initiative hin beschlossen worden ist, überhaupt nicht mehr die Rede ist.
Die F.D.P. erwartet, dass die Bundesregierung jetzt
endlich zu Ergebnissen kommt und dem Parlament Vorschläge unterbreitet.
({2})
Der einstimmige Beschluss des Ausschusses dokumentiert ja, dass wir in diesem Haus eine fraktionsübergreifende Unterstützung für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie haben. Deshalb ist mir völlig unverständlich, warum die Bundesregierung immer noch kein
Konzept zuwege gebracht hat.
Noch unverständlicher ist mir, dass das Parlament
nicht in die Überlegungen der Bundesregierung eingeweiht wird, obwohl der Ausschuss einstimmig beschlossen hat, „dass der gesamte Prozess in allen Phasen eine
intensive parlamentarische Begleitung, Beteiligung und
Beachtung erfahren soll“.
({3})
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich erwarte für den Fall, dass wir heute wieder einen einstimmigen Beschluss fassen - davon gehe ich aus -, dass Sie
Ihre Beschlüsse ernst nehmen und dass Sie das gesamte
Parlament in die weiteren Entscheidungen einbeziehen.
Ich fordere Sie an dieser Stelle auf, bei der Besetzung
des Rats darauf zu achten, dass er sowohl eine breite
Themenpalette abdeckt als auch ein weit gefasstes Meinungsspektrum repräsentiert. Nur so ist nämlich das Ziel
erreichbar, eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie unter
Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen zu erarbeiten, die am Ende auf breite Akzeptanz stößt.
({4})
Das Leitbild einer nachhaltig zukunftsverträglichen
Entwicklung kann und darf im Übrigen nicht von einzelnen Gruppen vorgegeben werden; das sollte man, so
denke ich, an dieser Stelle deutlich feststellen. Vor allen
Dingen darf - Herr Hermann sollte an dieser Stelle besser zuhören - der Nachhaltigkeitsrat kein ideologisches
Kampforgan werden.
({5})
Er muss nämlich sowohl ökologische und ökonomische
als auch soziale Fragen behandeln. Der Rat für eine
nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung ist nicht
nur als ein bloßes Diskussionsforum anzusehen.
Vielmehr muss er durch eine intensive Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Gremien eine Frühwarnfunktion übernehmen. Dabei gilt es, rechtzeitig die
Konsequenzen eingeschlagener Entwicklungspfade aufzuzeigen. Das ist eine der Aufgaben dieses Rates.
Die zuständige Parlamentarische Staatssekretärin hat
uns im Umweltausschuss erklärt, dass sie für Vorschläge
zur Benennung von Mitgliedern offen sei. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden Sie beim Wort nehmen,
wenn denn die Struktur dieses Rates endlich feststeht.
Unabhängig von einzelnen Persönlichkeiten gibt es
allerdings in Deutschland eine Organisation, die seit vielen Jahren die Diskussion über eine nachhaltige Entwicklung begleitet, eine Organisation, in der sich die
ganze Palette gesellschaftlicher Gruppierungen, und
zwar von den Unternehmen bis hin zu den Gewerkschaften, von den Umwelt- bis hin zu den Wirtschaftsverbänden und übrigens auch alle politischen Gruppierungen,
wieder findet: Das ist die Arbeitsgemeinschaft für
Umweltfragen.
({6})
Ich bin der Meinung, sie muss bei der Erarbeitung der
Nachhaltigkeitsstrategie eine besondere Berücksichtigung finden.
({7})
Ich warne davor, Ziele von oben vorzugeben, wie es
in der Enquete-Kommission von Teilen der SPD und
den Grünen geplant wurde. Eine solche Vorgehensweise
wäre nicht nachhaltig, sondern kurzsichtig und darüber
hinaus innovationsfeindlich.
Für die F.D.P. steht fest: Zur Erreichung des Ziels einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung müssen die Chancen des technologischen Fortschritts genutzt werden. Nachhaltige Entwicklung ohne Innovationen ist aus unserer Sicht nicht realisierbar.
({8})
Ebenso illusorisch ist eine Zielerreichung ohne die Nutzung der marktwirtschaftlichen Dynamik. Ich hoffe, Sie
haben das inzwischen begriffen.
({9})
Ich erinnere mich nämlich noch genau daran, als Teile
der Koalition in der Diskussion in der EnqueteKommission äußerten, dass es am besten sei, wenn es
gar keine Innovationen gäbe.
({10})
Meine Damen und Herren insbesondere von den Grünen, dies war angesichts der Erarbeitung einer Nachhaltigkeitsstrategie und der hohen Arbeitslosigkeit eine
makabere Forderung.
Nachhaltige Entwicklung setzt einen tief greifenden
Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft voraus. Nachhaltigkeit bedeutet nämlich, dass Umwelt, Wirtschaft
und Soziales gleichrangige Säulen einer nachhaltigen
Entwicklung sind. Jede dieser Säulen ist von tragender
Bedeutung für das Gesamtgebäude. In diesem Sinne ist
es vorrangige Aufgabe, nicht nur Umweltpolitik, sondern auch alle anderen Politikbereiche unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu beleuchten. Auch die Wirtschafts- und die Sozialpolitik müssen auf Dauer nachhaltig zukunftsverträglich sein.
({11})
Daher ist mit Blick auf die Integration von ökologischen, ökonomischen und sozialen Fragestellungen auf
dem Weg zu einer nachhaltig zukunftsverträglichen
Entwicklung auch die Überprüfung der bisherigen Entscheidungsstrukturen bei Staat, Wirtschaft und gesellschaftlichen Organisationen von Bedeutung.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen das ist heute schon gesagt worden -, dass die Einrichtung des Nachhaltigkeitsrats aus Sicht der F.D.P. mit der
Straffung des Beratungswesens durch die Bundesregierung, das heißt der Abschaffung anderer Beratungsgremien oder deren Zusammenlegung einhergehen muss.
({12})
Die F.D.P. hat sich in der Enquete-Kommission von Anfang an massiv dafür eingesetzt, dass die notwendigen
Umstrukturierungen nicht zu einer weiteren Aufblähung
des Beratungswesens und zur 250. Institution für arbeitslose Wissenschaftler führen. Wir wollen vielmehr,
dass eine Straffung und Zusammenführung vorgenommen wird, dass sich eine neue Konzeption daraus entwickelt. Wir freuen uns, dass sich zum Schluss unsere
Meinung aus guten Gründen in der EnqueteKommission durchgesetzt hat.
Ich fordere die Bundesregierung daher auf, bei der
Vorlage des Konzepts auch diesen Aspekt zu berücksichtigen. Herr Minister Trittin, es geht nicht nur um
Aufstocken, sondern auch um Abspecken. Es muss nicht
nur draufgesattelt, sondern auch neu geordnet werden.
Dies ist es, was geboten ist.
({13})
Sie rühmen sich, beim Thema Nachhaltigkeit gute
Arbeit geleistet zu haben. Ich bin da anderer Meinung;
denn Nachhaltigkeit ist nicht ein neues Wort dafür, alte
ökologische Steckenpferde wieder aus der Mottenkiste
zu holen. Vor allem die Grünen haben die Nachhaltigkeitsdebatte in der Vergangenheit immer auf ökologische Themen beschränkt. Ich möchte an einigen
Beispielen exemplarisch darstellen, welchen Bärendienst
Sie damit der Nachhaltigkeit bislang erwiesen haben.
Als Beispiel bestens geeignet ist die so genannte
Ökosteuer. Mit ihr haben Sie gleich alle drei Säulen,
nämlich Ökonomie, Ökologie und Soziales, mit Füßen
getreten.
({14})
Die so genannte Ökosteuer weist ökologische Brüche
auf und hat bestehende Strukturen, wie beispielsweise
die Selbstverpflichtung der Industrie, überhaupt nicht
berücksichtigt. Selbstverpflichtungen sind aber ein Instrument von Nachhaltigkeitsstrategien und müssen
ernst genommen werden.
Die Erarbeitung einer Nachhaltigkeitsstrategie daran zeigt sich Ihr Denken - lebt von der Vielfalt der
Ideen. Nur dadurch können wir eine gewisse Kreativität
freisetzen, die in einem Wettbewerb verschiedener Lösungen zu effizienten Vorschlägen führt. Das ist es, was
organisiert werden muss.
({15})
Eine Nachhaltigkeitsstrategie funktioniert erst durch
Einsicht und Engagement aller beteiligten Gruppen. Sie
basiert auf dem Prinzip der Selbstorganisation,
({16})
also der gezielten Nutzung der systemimmanenten Entwicklungsdynamik von Natur, Gesellschaft und Wirtschaft. In einer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft wie der der Bundesrepublik Deutschland muss es
zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den Akteuren
der Politik und zu Eigeninitiativen der Betroffenen
kommen. Der Kollege Hermann hat vorhin in seinen
Ausführungen gesagt, jeder müsse Verantwortung an
seinem Platz wahrnehmen. Jawohl, Herr Kollege Hermann, nehmen Sie Ihre Verantwortung endlich wahr!
({17})
Im Übrigen: Mit der so genannten Ökosteuer haben
Sie in einem für die nachhaltige Entwicklung wichtigen
Bereich, nämlich dem Verkehrssektor, mit der Belastung
des ÖPNV und der Bahn die Politik in die falsche Richtung gelenkt.
({18})
Dies und auch die Verteuerung der regenerativen Energien durch die so genannte Ökosteuer bei gleichzeitiger
Freistellung der Kohle zeigen sehr deutlich, dass es Ihnen nicht um Nachhaltigkeitsaspekte, sondern um reines
Abkassieren geht.
({19})
Eine Fokussierung auf die Ökosteuer als Steuer auf
Energie ist ökologischer wie ökonomischer Unsinn. Das
ist auch schon im Bericht des Umweltbundesamtes
„Nachhaltiges Deutschland“ festgehalten und es wird
davor gewarnt. Der Bericht fordert nämlich, dass für eine nachhaltige Politik zu einer Steuer auf Energie mindestens gleichberechtigt ein ökologischer Subventionsum- und -abbau und die Senkung der bestehenden Abgaben hinzutreten müssen. Genau das war und bleibt die
Forderung der F.D.P.
({20})
Ihre unsinnigen und unlogischen Maßnahmen, Herr
Trittin, stoßen bei den Bürgerinnen und Bürgern auf
Unverständnis und natürlich auf berechtigten Widerstand.
({21})
Damit schaden Sie der Akzeptanz der Umweltpolitik ebenso wie dem Gedanken der Nachhaltigkeit.
({22})
Man muss die Menschen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit mitnehmen und dafür braucht man verständliche,
unbürokratische und einleuchtende Regelungen.
({23})
Eine Politik - das müssen Sie sich schon anhören -, die
die Ökologie nur als Deckmäntelchen für ein reines Abkassieren verwendet, wird dem nicht gerecht und ist zudem unsozial.
({24})
Auch die von Ihnen geführte Debatte zum Ausstieg
aus der Kernenergie wird natürlich dem Nachhaltigkeitsgedanken in keiner Weise gerecht.
({25})
Sie diskutieren nämlich unter vermeintlich ökologischen
Vorzeichen nur den Ausstieg. Soziale Komponenten wie
die damit zusammenhängenden Arbeitsplatzfragen werden von Ihnen nicht einmal angesprochen
({26})
und eine nachhaltige Behandlung des Themas würde im
Übrigen auch ein klares Energie- und Entsorgungskonzept beinhalten. Sie haben Großes angekündigt - Herr
Hermann eben wieder -, aber bisher überall Fehlanzeige.
({27})
Eine Nachhaltigkeitsstrategie ohne Aussagen zur Energiepolitik wäre absolut wertlos
({28})
und deswegen fordern wir Sie heute noch einmal auf:
Legen Sie endlich Ihre Konzepte vor
({29})
und kündigen Sie nicht ständig nur an, dass Sie irgendwann einmal irgendetwas machen. Sie werden sonst so
lange brauchen, bis Sie überhaupt nicht mehr an der Regierung sind.
({30})
Diese Beispiele zeigen deutlich die Defizite und Versäumnisse Ihrer Politik in puncto Nachhaltigkeit. Es ist
ein Beweis dafür, wie wichtig ein gemäß einem breiten
Meinungsspektrum besetzter Nachhaltigkeitsrat ist, der
Sie dann bei der Erarbeitung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie unterstützen kann.
Wir fordern die Bundesregierung auf: Hören Sie endlich auf, sich in Verfahrensfragen zu verheddern! Legen
Sie ein Konzept vor, das dann diskutiert und beschlossen
werden kann, damit die konkrete Arbeit endlich anfangen kann! Lassen Sie den großen Worten endlich einmal
Taten folgen!
Vielen Dank.
({31})
Für die Fraktion der
PDS spricht nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass heute über
den Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Schutz
des Menschen und der Umwelt“ aus der letzten Wahlperiode debattiert wird, dies aus zweierlei Gründen: Zum
einen umfasst das Thema nichts Geringeres als die zentrale Aufgabenstellung für dieses Jahrhundert. Die nächsten Jahrzehnte werden entscheiden, ob es in den nächsten Jahrtausenden eine lebenswerte Zukunft für die
Menschheit geben wird oder nicht. Zum anderen gibt
uns die Debatte Gelegenheit, einmal darüber nachzudenken, wofür und wie das Instrument EnqueteKommissionen des Bundestages genutzt wird. Das ist
auch angesichts der Vielzahl solcher Kommissionen in
dieser Wahlperiode angezeigt.
Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen
und der Umwelt“ hatte den Auftrag, Umweltziele für
eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung zu erarbeiten, die notwendigen ökonomischen und sozialen
Rahmenbedingungen einer solchen Entwicklung zu
bestimmen, die Notwendigkeit gesellschaftlicher und
technischer Innovationen zu überprüfen und Maßnahmen zur Umsetzung einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung zu finden.
Man habe die Nachhaltigkeit endlich vom „Niveau
der Sprechblase“ heruntergeholt, so fasste Frau CaspersMerk im letzten Jahr das Ergebnis zusammen. Ich denke, dies entspricht nicht ganz der Realität. Denn es gab
schon vorher vielfältige Untersuchungen, die eine ziemlich präzise Beschreibung des Zustandes der natürlichen
Umwelt ablieferten sowie Umweltziele formulierten.
Ich nenne für die Bundesrepublik nur „Zukunftsfähiges Deutschland“. Es gibt darüber hinaus auch vielfältige Literatur darüber, worin die Ursachen der Nichtnachhaltigkeit, insbesondere der Industrieländer, zu suchen sind, und zwar vor allem aus sozialökonomischer
und nicht nur aus institutioneller, technischer oder rechtlicher Sicht.
Notwendig wäre hier also eine Präzisierung und Weiterentwicklung all dieser Ansätze gewesen. Davon ausgehend hätten Anforderungen an die Politik gestellt
werden müssen, die sicher streitbar und spannend gewesen wären, sofern sie die Ebene der Novellierung dieser
oder jener Verordnung oder der Installierung dieses oder
jenes Expertengremiums verlassen hätten. Doch wer will
das wirklich? Wer fragt nach den Gewinninteressen von
Automobilbranche und Mineralölindustrie? Wer fragt
nach dem Zusammenhang von Gewinnen der Nahrungsund Düngemittelmultis und deren begrenzten Interessen
an einer ökologischen Landwirtschaft?
({0})
So ist es kein Zufall, dass die von der damaligen Koalition dominierte Kommission im Bereich der Bodenversauerung lediglich neue Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickoxide und Ammoniak empfahl, und dies lediglich in dem Maße, wie sie wirtschaftlich darstellbar
waren. Dies alles geschah, obwohl klar war, welche Rolle beispielsweise der Verkehr, die Landwirtschaft oder
die Zementindustrie bei der Versauerung unserer Böden
spielen.
Den Minderheitenvoten blieb es vorbehalten, auch
auf Tempolimits, Benzinpreisverteuerung oder den
Ausbau der ökologischen Landwirtschaft zu drängen.
({1})
Ähnliches gilt für den Bereich Bauen und Wohnen.
Das von der Kommission postulierte Ziel, den zusätzlichen Flächenverbrauch von 120 Hektar pro Jahr künftig auf ein Zehntel zu reduzieren, ist, obwohl augenscheinlich immer noch nicht nachhaltig, angesichts der
traurigen Realität erst einmal als ehrgeizig zu bezeichnen.
Wer jedoch wie die Mehrheit der EnqueteKommission die Lösung lediglich im ressourcenschonenden Bauen und in der Flächensteuer sieht, greift unserer Meinung nach zu kurz. Warum fliehen die Menschen aus den Städten und zersiedeln die Landschaft?
Wie ist das zu stoppen? Warum sind Kommunen von
Unternehmen erpressbar und weisen immer wieder zusätzliches Bauland aus? Wer verdient an jedem Kubikmeter Beton, der auf Wiese oder Acker geschüttet wird?
Über welche Wege formuliert die Lobby der Baulöwen
einen Teil der Gesetzgebung? Ich erinnere nur an die
Novellierung des BauROG oder an das zahnlose Bodenschutzgesetz! Sagen Sie jetzt nicht, dies wäre kommunistische Propaganda; denn die aktuellen Spenden- und
Flugaffären sprechen zu diesem Thema Bände.
({2})
Zusammenfassend ist zum Bericht zu sagen: Es ist
eine Menge Papier voll geschrieben worden, von dem
sicherlich das meiste klug und interessant zu lesen ist.
Es finden sich in ihm und mehr noch in den Studien der
Kommission eine Fülle von Anregungen. Doch angesichts der Ansprüche, die an die immerhin dreijährige
Kommissionsarbeit gestellt wurden, erscheint das Ergebnis in Form des Abschlussberichts eher kläglich.
Die verwertbaren Standpunkte liegen wiederum bei
der Zustandsbeschreibung. Zwar wurden jeweils auch
Umwelthandlungsziele erarbeitet, doch verharren diese
meist beim Ruf nach rechtlichen und technischen Neuerungen, und auch das nur in bescheidendem Maße.
Der Zusammenhang zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Faktoren wurde schon in der Analyse auf das Verhältnis von angeblicher Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätzen und ökologischer Verträglichkeit
reduziert. Damit ist kein großer Wurf zu machen. Es
wird herumgedoktert, ohne denen weh zu tun, die
Hauptverursacher von Umweltzerstörung, Abhängigkeit
und Unterentwicklung sind:
({3})
die großen nationalen und internationalen Unternehmen,
deren Manager nicht nach der Erfüllung von Umweltplänen, sondern nach der Wertsteigerung der Unternehmen bezahlt werden, wenn ich richtig informiert bin.
Vielleicht lag das auch daran, dass ein Klima herrschte, in dem es unmöglich war, auch die Enfants terribles
der Nachhaltigkeitsdiskussion nach Bonn zu bitten. Das
betraf zum Beispiel die Buko, die Bundeskoordination
entwicklungspolitischer Gruppen, die sich seit Jahren
kritisch mit dem Nachhaltigkeitsdiskurs befasst und deren Einladung die PDS angeregt hatte.
Die Buko aber wurde für Ärger gar nicht gebraucht.
Die damalige schwarz-gelbe Mehrheit hat sich nämlich
nicht gescheut, im November 1997 den ganzen Arbeitsstand der Kommission mit einem völlig neuen Entwurf
des Abschlussberichts handstreichmäßig über den Haufen zu werfen. Wenn es zu kritisch wird, werden eben
Mehrheiten benutzt, obwohl solche Machtkämpfe eigentlich zugunsten einer Konsenssuche aus EnqueteKommissionen herausgehalten werden sollten.
Die gemeinsame Erarbeitung von Empfehlungen
durch Wissenschaft und Politik für den Bundestag, in
dem dann natürlich wieder andere Regeln gelten, soll ja
ihr Auftrag sein. Dazu gibt es Enquete-Kommissionen,
die jahrelang um Ergebnisse ringen. Sonst könnten wir
ja gleich im Plenum über Wahrheiten abstimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun hätte ja der mit
viel Zeit und Geld erarbeitete Enquete-Bericht auch
noch so revolutionär daherkommen können. Die Umsetzung seiner Empfehlungen steht auf einem anderen Blatt
- oder in anderen Blättern, beispielsweise in den Gesetzesvorlagen der Bundesregierung. Rot-Grün - damals
wenigstens zu Teilen hinter dem Minderheitsvotum stehend - hätte jetzt die Macht, einige der Ergebnisse umzusetzen. Doch wo bleibt das allgemeine Tempolimit?
Was ist mit der Flächensteuer?
Oder nehmen wir den Energiesektor: Klimaschutz ist
eines der zentralen Themen der Nachhaltigkeitsdebatte.
Insgesamt bin ich aber ein wenig skeptisch, ob die Zukunft einen durchgreifenden Wandel in der Energiepolitik bringen wird - trotz der Novelle des Stromeinspeisungsgesetzes, die hoffentlich bald kommt, trotz oder
auch wegen der irrwitzigen Konstruktion der Ökosteuer.
Herr Minister Müller sprach in seiner Rede vom 16.
Dezember davon, dass im Jahre 2005 infolge der Strompreissenkungen Einsparungen in Höhe von 15 bis 20
Milliarden DM zu erwarten sind. Dies läge weit über
den Förderprogrammen, die sich in der Summe auf etwa
4 Milliarden DM belaufen würden. Nun stellt sich mir
die Frage: Ist dies aus Sicht des Klimaschutzes und in
Anbetracht des Zeitfensters, das uns für ein dramatisches Umsteuern zur Verfügung steht, wirklich positiv
zu bewerten? Wenn der Umweltverbrauch im Energiesektor augenscheinlich immer billiger wird, welche
Chance haben dann langfristig betriebswirtschaftlich
teurere regenerative Energien? Sind wir auf der richtigen Schiene? Sind die Weichen wirklich richtig gestellt?
Es scheint also auch Rahmenbedingungen zu geben wie beispielsweise die Liberalisierung und die Globalisierung -, die nicht einfach nur hingenommen werden
können, wie es Rot-Grün, erst recht CDU/CSU und
F.D.P. tun und wie es auch die Enquete-Kommission getan hat. Diese Rahmenbedingungen sind bewusst gesetzt
worden und eben nicht vom Himmel gefallen. Sie sind
von den Verwertungsinteressen des Kapitals diktiert und
nicht eine Folge der technischen Entwicklung.
({4})
Sie laufen vielfach einer tatsächlich nachhaltigen Entwicklung diametral entgegen. Wer das nicht begreift oder begreifen will, ist weltfremd.
Genauso weltfremd scheinen mir übrigens gegenwärtig die Übungen zur Einsetzung einer EnqueteKommission „Zukunft der Energieversorgung“. Die
Koalition fightet seit Wochen nachhaltig mit Herrn Grill
darum, wer zur ersten Sitzung einladen darf. Da bisher
kein Federstrich von den Anregungen der PDS in die
zwei Entwürfe des Einsetzungsbeschlusses aufgenommen wurde und wir aufgrund „nachhaltig demokratischer Spielregeln“ auch nicht im Kopf des Einsetzungsbeschlusses auftauchen dürfen - so ist es zumindest bei den anderen Enquete-Kommissionen -, könnte
mir das eigentlich egal sein. Es ist bloß ein bisschen irritierend, sofern man daraus Schlüsse für den weiteren
Verlauf der Arbeit zieht. Denn auch diese Kommission
könnte bei eher dünnen Ergebnissen wieder eine Menge
Zeit und Geld kosten - und zwar nachhaltig.
Danke.
({5})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Michael Müller für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In dem Buch - leider nicht in
dem schönen Film - „Forrest Gump“, in dem es um einen so genannten hochgebildeten Idioten geht, gibt es
eine wunderschöne Szene. Als Forrest Gump in einer
Universität Studenten vorgeführt wird, sagt Professor
Mills: Meine Damen und Herren, schauen Sie sich ihn
an! Forrest Gump ist Mann, der mathematische Formeln
in Perfektion aufschreiben kann, aber nichts von MaEva Bulling-Schröter
thematik versteht. Forrest Gump kann wunderbar Klavier spielen, aber er hat überhaupt keine Ahnung von
Musik.
Dieses Beispiel aus dem Buch „Forrest Gump“ ist in
einer gewissen Weise ein Sinnbild für die Situation, in
die unsere Gesellschaft zunehmend hineingerät. Wir
werden immer perfekter in Teilbereichen; aber ob das
Ganze noch stimmt, wird immer fraglicher. Das ist der
eigentliche Kern der Debatte über Nachhaltigkeit.
({0})
Es geht um die Frage, ob das innere Gleichgewicht unserer Gesellschaft, ob die Mechanismen unserer Entwicklung noch mit dem, was wir heute über Zukunftsgefahren wissen, in Einklang stehen.
Das ist der eigentliche Punkt: Es geht darum, wieder
eine Gesamtlogik zu schaffen. Wir wissen, dass die
Grundmechanismen jeder modernen Industriegesellschaft, auf permanente Erweiterung der Internationalisierung, auf permanente Beschleunigung, auf eine fortgesetzte Auflösung vorgegebener Ordnungen und auf
immer größere Arbeitsteilung ausgerichtet sind. Eine
Demokratie, eine soziale Gesellschaft, kann aber nur
funktionieren, wenn diese Mechanismen immer wieder
von neuem mit der Fortentwicklung des Ganzen in Einklang gebracht werden. Ich sehe das Entscheidende der
Nachhaltigkeit darin, dass man eben nicht eine Teilantwort gibt, sondern versucht, Teilantworten wieder in ein
Gesamtbild einzuordnen, um so die Gesamtentwicklung
stimmig zu machen. Es ist ein genereller politischer
Entwurf, nicht ein fachpolitischer für Detailbereiche und
Detailantworten. Das ist der eigentliche Kern, und das
ist unsere Chance.
({1})
Deshalb ist es natürlich ein Problem, - das Thema
Nachhaltigkeit das ist auch in dieser Diskussion geschehen -, auf die Themen Ökologie und Entwicklungspolitik zu reduzieren. Die Grundidee der Nachhaltigkeit ist
zwar sehr stark von diesen beiden Polen geprägt worden,
nämlich einerseits von der Frage der Umweltzerstörung - ich denke insbesondere an die Diskussion der
70er-Jahre in den Vereinten Nationen aufgrund der Berichte über die Grenzen des Wachstums, - und andererseits auch aus der Angst der Entwicklungsländer heraus,
dass der Unterschied zwischen Nord und Süd immer
größer wird und durch eine restriktive Umweltpolitik
weiter wächst. Deshalb muß man neue Wege gehen. Aus
diesen Gründen ist der Kern der Nachhaltigkeitsdiskussion die Frage, wie unsere Gesellschaft zukunftsfähig
organisiert wird. Dies ist eine zutiefst kulturelle Herausforderung und eben nicht nur eine neue technische Antwort bei dem Versuch, das Bestehende so zu lassen und
nur irgendetwas Nachhaltiges draufzupfropfen. Dies wäre der falsche Ansatz.
({2})
Heute kommen zwei große Herausforderungen zusammen. Eine davon ist die Globalisierung, die von uns
neue Antworten in der Form verlangt, dass von neuem
soziale Stabilität erzeugt wird, die in der Vergangenheit
vor allem über den Sozialstaat nationalstaatlich organisiert wurde. Wir erleben, dass die Globalisierung dazu
führt, dass die bisherigen Gesellschaftsverträge beispielsweise zwischen Kapital und Arbeit, die an eine
feste räumliche Ordnung gebunden waren, aufgelöst
werden.
Jetzt müssen wir uns fragen: Wie bekommt man von
neuem Stabilität, Demokratie und gesellschaftlichen
Interessenausgleich hin? Die Nachhaltigkeit versucht,
eine Antwort zu geben: Einzelentscheidungen müssen
sich sozial- und umweltverträglich in das Ganze einfinden. Das ist deshalb ein sehr wichtiger Ansatz, weil er
Vielfalt und Kreativität geradezu fördert - im Gegensatz
zu der vorherrschenden Globalisierung, die alles eher
auf einfache und kommerzielle Antworten vereinheitlicht.
Der zweite wichtige Punkt ist: Es ist eine Illusion, zu
glauben, wir könnten auf absehbare Zeit eine globale
Weltregierung errichten, die von oben anordnet, wie wir
uns ökologisch, sozial oder wie auch immer zu verhalten
hätten. Die Nachhaltigkeitsidee ist umgekehrt die Herrausforderung, in jedem Land, in jeder Stadt, in jeder
Region unterschiedliche Antworten zu geben, aber sich
dabei an der Gesamtidee zu orientieren. So etwas existiert bereits: In England gibt es „Going to green“, den
New Deal „Transportation“. In den Niederlanden gibt es
das grüne Poldermodell. In Schweden wird über die Politik für zwei Generationen geredet. In den USA gibt es
den Bericht an Präsident Clinton „Nachhaltiges Amerika“. In Frankreich wird die Leitidee: „Wie sieht ein tragfähiges Frankreich aus? “ diskutiert.
Insofern tragen auch wir hier etwas zu einer weltweiten Diskussion bei, in der wir unsere spezifischen Antworten zur Nachhaltigkeit geben, aber gleichzeitig der
globalen Verantwortung gerecht werden. Das ist ein guter Ansatz. Das ist richtig verstandene Globalisierung,
nämlich Weltinnenpolitik.
({3})
Wenn man diese Kurskorrektur vornehmen will, dann
muss man natürlich auch Wahrheiten aussprechen, beispielsweise über die ökologischen Gefahren. Aber man
muss auch den Mut zu neuen Antworten, auch zu unbequemen Antworten haben. Ich möchte deshalb ein paar
Sätze zu dem Thema ökologische Steuerreform und zu
den Preisschüben sagen, die stattgefunden haben. Dabei
möchte ich nicht darauf eingehen, welche Konzepte einer ökologischen Steuerreform die heutigen Oppositionsfraktionen in der Vergangenheit entwickelt haben
und wer sie gestoppt hat. Dies erscheint ja heute in einem ganz anderen Licht.
({4})
Für viel wichtiger halte ich in diesem Zusammenhang
eine andere Frage: Im Sommer vergangenen Jahres lag
der Preis für Super bleifrei bei 1,58 DM. Darauf wurden
6 Pfennig Ökosteuer und 1 Pfennig Mehrwertsteuer aufgeschlagen. Dadurch hätte der Preis bei rund 1,65 DM
Michael Müller ({5})
liegen müssen. Tatsächlich ist er auf knapp 2 DM gestiegen. Nun sagen viele: Diese Entwicklung ist das Ergebnis der Preispolitik der Ölkonzerne. Ich möchte
nicht verschweigen, dass da etwas dran ist. Natürlich
haben sie die Gunst der Stunde genutzt. Aber dies als
einzige Erklärung anzuführen, wäre zu wenig.
Heute findet erneut - das hat viel mit dem Thema der
Nachhaltigkeit zu tun - eine Veränderung der weltweiten
Energie- und vor allem der Erdölmärkte statt. Das
Nordseeöl wird sehr viel schneller ausgebeutet als erwartet. Wir sind wieder sehr viel stärker vom Erdöl aus
der Golfregion abhängig. Diese Abhängigkeit liegt inzwischen wieder über 50 Prozent. Viele Länder dieser
Region sind hoch verschuldet. Sie bekommen jetzt den
Hebel für die Preisgestaltung wieder viel stärker in die
Hand. Zudem werden heute zunehmend die politischen
und ökonomischen Kosten der Ausbeutung neuer Erdölund Gasreserven am Kaspischen Meer und in der Kaukasus-Region in Rechnung gestellt. Daraus ergeben sich
gewagte Risiken, wenn wir nicht heute stärker mit Energieeinsparungen, mit rationeller Nutzung der vorhandenen Energien und mit der Nutzung von Solarenergie
umsteuern. Anderenfalls ist diese Entwicklung mit weltpolitischen Konflikten verbunden, die wir schon beispielsweise in Tschetschenien und bei der neuen Rolle
der Türkei erleben. Nachhaltigkeit hängt also auch mit
der Frage zusammen, ob wir eine friedliche Weltzukunft haben.
({6})
Es ist deshalb absolut unsinnig, die Erdölpreise populistisch zu behandeln; vielmehr muss man die damit zusammenhängenden Fragen auflisten, um eine verantwortungsvolle Politik zu betreiben. Wir müssen in der
Energiepolitik umsteuern. Das ist unsere Verantwortung als Industriestaat. Dazu gehört auch die Ökosteuer.
Hier kann und darf man nicht kneifen.
({7})
Ein zweiter wichtiger Punkt ist der Klimaschutz. Wir
haben sehr begrüßt, dass der Bundeskanzler auf der UNKonferenz in Bonn ein Klimaschutzprogramm angekündigt hat. Wir werden das massiv unterstützen. Wir wünschen uns den Mut, dass die Bundesrepublik für sich
und für Europa ein gutes Beispiel dafür gibt, wie Umweltverträglichkeit und ökonomische Leistungsfähigkeit
miteinander verbunden werden können.
Ich möchte einen dritten Punkt nennen. Für mich gehört zur Nachhaltigkeit zentral die Verbindung von
Arbeit und Umwelt. Ich halte es für richtig, in das
„Bündnis für Arbeit“ auch die Fragen der ökologischen
Modernisierung aufzunehmen, gerade um die Innovations- und Modernisierungsfähigkeit des Landes zu verbessern.
({8})
All dies sind Einzelelemente der Nachhaltigkeit.
Nachhaltigkeit ist nie ein starres Konzept, sondern eine
Leitidee und ein Ziel. Sie ist aus meiner Sicht ein neues
Fortschrittsmodell, das die Erkenntnisse der letzten
Jahrzehnte, nämlich die ökologischen Grenzen des
Wachstums beachtet, aber gleichzeitig die Errungenschaft des letzten Jahrhunderts, nämlich die soziale Demokratie, bewahrt und fortentwickelt. Dieses neue Fortschrittsmodell möchten wir ins Zentrum unserer Politik
stellen. Deshalb suchen wir den breiten gesellschaftlichen Dialog. Wir sehen hierin einen Schwerpunkt dieser
Regierung für die Reformfähigkeit unseres Landes.
({9})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Paul Laufs.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Künftige Generationen sollen in eine Welt hineinwachsen können, die ihnen die gleichen
guten Lebens- und Entwicklungschancen bietet, die auch
die gegenwärtige Generation vorgefunden hat. Es geht
also um eine dauerhaft gerechte Güter- und Lastenverteilung auf dieser Erde. Es geht um die langfristige
Verantwortung der heute lebenden Menschen für zukunftsfähige Wirtschafts- und Verbrauchsstrukturen.
Kollege Hermann hat beklagt, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ sehr unbestimmt ist. Das ist richtig. Ich bevorzuge deshalb in Diskussionen gerne den Begriff der
Zukunftsfähigkeit, der nicht erläutert werden muss.
Die Erfolge der bisherigen, seit Jahrzehnten intensiv
vorangetriebenen Umweltpolitik in Deutschland sind erfreulich und ermutigend, aber sie reichen nicht aus. Wir
sind von der Vision einer nachhaltig umweltverträglichen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft noch
weit entfernt. Die Politik ist in der Pflicht, alle betroffenen Akteure, Staat und Wirtschaft, gesellschaftliche
Gruppen und Endverbraucher, für nachhaltige Verhaltensweisen zu motivieren und sie zu leiten. Selbstverständlich ist die Verantwortung jedes Bürgers angesprochen; aber die Politik hat eine Führungsaufgabe, die sie
auf Bundesebene durch die Regierung gegenwärtig nicht
wahrnimmt.
Über das Leitbild der Nachhaltigkeit gibt es keinen
Streit. Wir alle haben es uns zu Eigen gemacht. Probleme gibt es bei der Umsetzung in praktisches Handeln.
„Nachhaltigkeit muss zur Chefsache werden und im
Mittelpunkt der Bemühungen des Staates stehen“,
hat die Vorsitzende, Frau Kollegin Caspers-Merk, in ihrem Vorwort zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission formuliert. Wir fragen uns heute: Wie
hat die Bundesregierung das erste Jahr ihrer Regierungszeit genutzt, um Nachhaltigkeitsprozesse anzuschieben,
konkrete Ziele zu setzen und die Akteure dafür zu gewinnen? Ist Nachhaltigkeit wirklich zur Chefsache geworden?
Wir nehmen gerne zur Kenntnis, dass eine Runde von
Staatssekretären, wie wir hier gehört haben, einmal Fragen eines Nachhaltigkeitsrates beraten hat. War das alles? Frau Kollegin Caspers-Merk konnte auch in dieser
Michael Müller ({0})
Debatte nur wieder aufzählen, was noch alles geschehen
muss. Konkrete Projekte müssen erst noch vorgeschlagen werden. Auch Kollege Hermann sprach hier von
künftigen Strategien, die erst entwickelt werden müssen.
Die etwas abgehobenen - ich bitte um Verzeihung, Herr
Kollege Müller - philosophischen Betrachtungen, die
Sie hier vorgetragen haben, helfen uns bei der praktischen Umsetzung des Konzepts Nachhaltigkeit ebenfalls
herzlich wenig weiter. Dass er wie Minister Trittin und
viele andere jetzt beklagt, dass die Benzinpreise stärker
gestiegen sind, als nach Erhebung der Ökosteuer zu erwarten war, verstehe ich nicht so recht. Sie wollten doch
hohe Ölpreise! Oder wollten Sie wirklich nur abkassieren?
({1})
Wir sehen vor allem, dass sich die rot-grüne Bundesregierung mit dem Atomausstieg und mit der Ökosteuer
befasst hat, also mit zwei Projekten, die einer nachhaltigen Entwicklung nicht dienen. Zur so genannten Ökosteuer haben die Kolleginnen Reichard und Homburger
schon gesagt, was dazu gesagt werden muss.
Zur Frage der nachhaltigen Energiebereitstellung, also auch zur Frage des Atomausstiegs, gibt es in diesem
Haus einen tief greifenden Dissens. Dazu möchte ich nur
einen Hinweis geben. Der Club of Rome hat bekanntlich
seine frühere Ablehnung der weiteren Kernenergienutzung inzwischen revidiert und spricht davon, dass wir
angesichts des schwerwiegenden Risikos einer Klimaänderung auf unserem Planeten, die ein verstärkter Einsatz fossiler Brennstoffe mit sich bringen könne, die
technischen, wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten
Vorbedingungen für ein großes Comeback der Kernenergie schaffen müssten.
({2})
Solange wir erneuerbare Energien nicht in ausreichender
Menge wirtschaftlich verfügbar hätten, sei die Kernenergie die einzige Lösung, die eine nachhaltige Entwicklung ermögliche.
({3})
Diese neue Einschätzung des Club of Rome findet
weltweit immer mehr befürwortende Stimmen. Das Dialogangebot zur einer Neubewertung der Kernenergie,
das von 560 deutschen Wissenschaftlern im September
vergangenen Jahres der Bundesregierung gemacht worden ist, wurde von Ihnen ausgeschlagen. Dies ist ein
Armutszeugnis und das Eingeständnis, sich ideologisch
verrannt zu haben,
({4})
was übrigens der jüngeren Generation - täuschen Sie
sich nicht, diskutieren Sie draußen mit den jungen Leuten - zunehmend unbegreiflich und befremdlich erscheint.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen anderen wichtigen Aspekt betrachten: Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur die Versöhnung von Ökonomie
und Ökologie, sondern umfasst auch soziale Aspekte. Es
geht um die Menschen mit all ihren Belangen. Die von
der Konferenz in Rio 1992 verabschiedete Agenda 21
hat deshalb einen besonderen Schwerpunkt auf die lokalen Entwicklungen gesetzt. Der Lokale-Agenda-21Prozess hat bereits viele Städte und Gemeinden erfasst.
Es gibt aber zahlreiche Regionen, in ländlichen Räumen
gelegene Landkreise sowie mittelgroße und viele kleine
Gemeinden, die noch nicht mit einbezogen sind. Hier
geht es ganz direkt um die praktische Umsetzung des
Leitbildes von der Nachhaltigkeit. Wir sollten alles tun,
um diesen Prozess zu fördern.
Erfolgreiche Projekte der Lokalen Agenda 21 finden
wir vor allem im Bereich von Energie- und Rohstoffeinsparungen und Klimaschutz. Hier bietet es sich an, das
Ökoaudit-System verstärkt anzuwenden und auf Liegenschaften der öffentlichen Verwaltung auszudehnen.
Es wird vorgeschlagen, Ämter, Krankenhäuser, Schulzentren usw. möglichst im Konvoi einem Ökoaudit zu
unterziehen, um Verfahrenskosten zu sparen. In meinem
Wahlkreis Waiblingen sind schon vor zwei Jahren mit
großem Erfolg das erste Landratsamt und das erste
Kreiskrankenhaus in der Europäischen Union im Rahmen des Ökoaudit-Systems zertifiziert worden.
Die bisher angelaufenen und durchgeführten Projekte
der Lokalen Agenda 21 haben ganz überwiegend Umweltprobleme behandelt, während die gleichfalls und
gleich bedeutend zu betrachtenden Aspekte der Wirtschaft und des Sozialen eine eher untergeordnete Bedeutung gehabt haben. Im Rahmen der Lokalen Agenda 21
bieten sich beispielsweise auch Projekte an, die die öffentliche Sicherheit und kommunale Kriminalprävention
berücksichtigen oder ein zukunftsfähiges Konsumverhalten in der Gemeinde zum Gegenstand haben. Hier
stehen wir vor der zentralen Aufgabe, Menschen zu bürgerschaftlichem und umweltschonendem Verhalten zu
motivieren und zu erziehen. Nachhaltigkeit bedeutet,
dass wir unsere Lebens- und Arbeitsumwelt im sozialen
Konsens umgestalten und neue Verhaltensmuster einüben. Bei der getrennten Sammlung zur Wiederverwertung von häuslichen Abfällen ist dies zum Beispiel
schon weitgehend gelungen. Kollege Hermann hat hier
den Bereich der Mobilität angesprochen. Wir teilen bei
weitem nicht alle Ihre Vorschläge, Kollege Hermann.
({6})
Dass wir aber im Rahmen der Umsetzung des Nachhaltigkeitskonzeptes hier eine große Aufgabe haben, ist uns
allen klar.
Bei der kulturellen Umweltbildung müssen künftig
neue Leitbilder für nachhaltiges Wirtschaften, soziales
Verhalten und individuelle Lebensstile im Mittelpunkt
der politischen Auseinandersetzung und der Bemühungen um eine nachhaltig umweltverträgliche Industriegesellschaft stehen. Große Aufmerksamkeit ist dem Thema
Schule und Kinder zu widmen. Durch frühzeitige Naturkontakte soll Freude an der Natur geweckt und umweltverantwortliches Handeln eingeübt werden. UmweltbilDr. Paul Laufs
dung muss allerdings mehr leisten als nur die Vermittlung von ökologischem Grundlagenwissen. Es müssen Zusammenhänge in einer Weise bewusst gemacht
werden, die emotional sensibilisiert und motiviert. Erst
dann führen Verhaltensvorschläge zu einem tatsächlich
nachhaltigen Verhalten. Bund, Länder und private Bildungsträger können mithelfen, innovative Projekte dafür
aufzulegen.
Meine Damen und Herren, als Fazit stelle ich fest:
Das erste rot-grüne Regierungsjahr war für das Konzept
Nachhaltigkeit ein verlorenes Jahr.
({7})
Wir bedauern das und würden uns freuen, wenn sich die
Bundesregierung im zweiten Jahr dieser Wahlperiode
diesen wichtigen Fragen engagiert und kreativ zuwendete.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Eigentlich alle meine Vorrednerinnen und Vorredner haben sich für die Entwicklung einer
Nachhaltigkeitsstrategie ausgesprochen. Ich freue mich,
dass auch das Konsens geworden ist, was gelegentlich
im Ausschuss noch einmal Wellen schlug und als Dissens aufkam, nämlich die Aussage, zur Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie sei es in den Industrieländern wie der Bundesrepublik Deutschland notwendig,
Veränderungen in der Wirtschafts- und Konsumweise der Gesellschaft zu erreichen. Nachhaltigkeit ist eben keine Frage einer reinen Umweltpolitik, sondern
Gegenstand sehr vieler Politikbereiche von der Landwirtschaft über Entwicklungszusammenarbeit, Verkehr
und Wirtschaft bis hin zur sozialen Gerechtigkeit.
Wir werden im Jahr 2002, zehn Jahre nach der Konferenz von Rio, Bilanz zu ziehen haben. Dann werden
sich die Fragen stellen, ob die Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Ziels der nachhaltigen Entwicklung
national hinreichend umgesteuert hat, ob sie auch international ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Produktions- und Konsumweise geleistet hat und ob die
Entwicklungschancen für alle Länder, also auch für
diejenigen Länder, die noch in Entwicklung sind, sowie
für künftige Generationen fairer geworden sind. Dies
ergibt sich ja aus der Erkenntnis, dass wir - Frau
Caspers-Merk hat das unter Bezugnahme auf ein grünes
Wahlplakat angesprochen - die Erde von unseren
Kindern nur geborgt haben. An diesen Fragen muss sich
jede Nachhaltigkeitsstrategie ausrichten. Darum werden
die Zukunftsvorsorge und die globale Dimension im
Mittelpunkt einer solchen Strategie stehen.
Gleichzeitig bietet eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie die Chance für eine ökologische Modernisierung
unserer Gesellschaft. Das hat zwei Voraussetzungen:
Erstens muss Umweltschutz zu einer Querschnittsaufgabe in allen Politikbereichen werden; Umweltschutz kann
nicht isoliert dastehen. Wenn wir hie-rüber Konsens haben wollen, müssen wir zweitens vermitteln, dass Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung nicht Verzicht
und Selbstbeschränkung bedeuten, sondern Chancen für
neue zukunftsfähige Techniken, Verfahren und Dienstleistungen und im Übrigen auch für neue Beschäftigung
eröffnen.
Als erste Arbeitsprogramme für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie haben wir uns zweierlei vorgenommen: zum einen die Frage der Energiewende und des
Klimaschutzes zu behandeln, zum anderen das Thema
„umweltgerechte Mobilität“ anzupacken. Wir haben im
Sinne der Entwicklung dieser Nachhaltigkeitsstrategie
bereits eine Reihe von Weichen gestellt. Das umfasst
dann auch Gebiete, die auf den ersten Blick vielleicht
nicht im Mittelpunkt dieser Debatte stehen, beispielsweise eine nachhaltige Finanzpolitik. Wenn wir unseren Kindern und Enkeln keinen unbegrenzt wachsenden
Berg von Schulden hinterlassen wollen, dann muss es
hier ein Umsteuern geben. Das kann erreicht werden mit
den Einsparungen von 30 Milliarden DM, mit der großen Einkommensteuerreform, mit der wir mittlere und
untere Einkommen bis zum Jahr 2002 um 45 Milliarden
DM entlasten werden, mit der Besserstellung für Familien. An diesen Punkten wird erfahrbar, was Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik heißt.
({0})
Sicherlich gehört zur Nachhaltigkeit auch die ökologische Steuerreform. Wir halten es für vernünftig - es
liegt auch im Interesse dieser Gesellschaft und insbesondere im Interesse der Menschen, die sich außerhalb
des Arbeitsprozesses befinden, weil sie arbeitslos sind -,
die Kosten für den Faktor Arbeit zu senken und im Gegenzug die Kosten für den Verbrauch von Energie und
Rohstoffen schrittweise zu erhöhen.
({1})
Dieser richtige Grundgedanke wird in ganz Europa
übernommen. Gestern haben die Franzosen Entsprechendes erklärt.
({2})
Nur in Deutschland sagt die Opposition: Wir wissen
als Einzige, wo der Weg lang geht.
Wir lassen uns diesen richtigen Gedanken, dass es
vernünftig ist, Arbeit billiger zu machen und Rohstoffe
und Energie zu verteuern - das ist gerade im Interesse
von Beschäftigung in diesem Lande wichtig - ,nicht mit
dem Hinweis kaputtreden, das sei eine reine Rentenstabilisierungssteuer.
Ich würde Ihre Argumente gegen die Ökosteuer sehr
viel ernster nehmen, wenn nicht mittlerweile Herr Teufel und Herr Brüderle Seit an Seit sagen würden: Ökologisch würde diese ökologische Steuerreform, wenn wir
die Einnahmen dazu benutzen könnten, Straßenbau zu
betreiben. - Das würde aber Flächenverbrauch durch
Zubetonieren bedeuten.
({3})
Das ist Ihre Vorstellung von einer Ökosteuer. Herr Döring und Herr Teufel haben einen entsprechenden Antrag im Bundesrat eingebracht. Das ist keine nachhaltige
Politik, sondern das glatte Gegenteil. Es handelt sich um
eine Politik, die zur Umweltzerstörung führt und die
auch verkehrspolitisch dumm ist.
({4})
Die Energiewende ist für uns für den Schutz der
Erdatmosphäre von entscheidender Bedeutung. Wir
wissen, dass die Entwicklung immer alarmierendere
Folgen hat. Es geht nicht nur um Hurrikans fernab. Auch
die hier gemessenen Sturmstärken - gerade in Süddeutschland -, die wir sonst nur von der Küste kennen,
und die Neujahrsstürme in Frankreich haben in ganz Europa darauf aufmerksam gemacht, dass wir darauf zusteuern, dass das uns vor diesen Stürmen schützende
kalte Hoch in Zentraleuropa aufgrund der Erwärmung
eine immer kleinere Ausdehnung hat.
Es ist also notwendig, umzusteuern. Es geht darum,
den besonders stark wachsenden Ausstoß von CO2 im
Verkehr und in privaten Haushalten drastisch zu senken.
Hierzu gehören Maßnahmen wie die neue Energiesparverordnung. Hierzu gehört selbstverständlich auch der
Versuch, andere Verkehrsträger zu fördern. Hierzu gehört weiterhin die schrittweise Verteuerung durch eine
kalkulierbare Anhebung der Mineralölsteuer. Wir brauchen aber auch andere Techniken. Energiesparende und
Ressourcen sparende Techniken, Kreislaufführung von
Stoffen und eine integrierte Produktpolitik bilden deshalb einen Handlungsschwerpunkt unserer Umweltpolitik.
Frau Reichard, ich höre immer gerne Äußerungen
über die Altautorichtlinie. Nur sollten Sie bei Ihren Reden im Parlament eines berücksichtigen: Die Geschichte
ist im Juni weitergegangen. Im September hat der Rat
der Europäischen Gemeinschaft beschlossen, dass es eine Rücknahmeregelung gibt. Fahrzeuge, die ab dem Jahr
2001 auf den Markt kommen, sind sowieso zurückzunehmen. Ab dem Jahr 2006 sind sämtliche Fahrzeuge
zurückzunehmen, übrigens nicht ausschließlich auf Kosten der Hersteller, aber mit einem signifikanten Anteil
für die Hersteller. Das war exakt der Beschluss, den der
deutsche Umweltminister im März dem Europäischen
Rat vorgeschlagen hat und der an der Bockbeinigkeit der
damaligen Kommission gescheitert ist.
Bevor Sie sich weiter aus dem Fenster hängen, rate
ich Ihnen dringend, Ihren Parteifreund Florenz anzurufen, der genau diesen Grundgedanken der Rücknahme
durch sein Agieren im Europäischen Parlament aufnimmt. Sparen Sie sich also Ihre Häme! Nutzen Sie die
Energie, die Sie in dieser Frage aufbringen, um einen
Dialog mit dem zuständigen Berichterstatter der Europäischen Volkspartei zu führen! Das könnte einer vernünftigen Lösung diesen, die sowohl die Interessen der Automobilindustrie, vor allen Dingen der besonders betroffenen deutschen Automobilindustrie, wie auch den
Grundgedanken der Kreislaufwirtschaft zu einem vernünftigen Kompromiss zusammenführt.
Das könnte hier wirklich hilfreich sein.
({5})
Ressourcenschonung, höhere Energie- und Flächeneffizienz, der vorsorgliche Umgang mit natürlichen Lebensgrundlagen - all dies muss zu einem selbstverständlichem Anspruch für unser Leben und Wirtschaften werden. Eine Nachhaltigkeitsstrategie lebt von
der Integration in andere Politikbereiche wie unter
anderem Energie, Wirtschaft und Landwirtschaft; in all
diesen Bereichen brauchen wir eine Zusammenführung.
Deswegen heißt nachhaltige Politik: Dies ist eine gesamtpolitische Aufgabe für die gesamte Regierung.
Deshalb werden wir einen ständigen Staatssekretärsausschuss einrichten, der die Erarbeitung und die Umsetzung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie steuern
wird. Dabei ist, weil Nachhaltigkeit keine Veranstaltung
darstellt, die der Staat alleine betreiben kann, natürlich
die Einbeziehung der Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Wir brauchen ein eigenverantwortliches Handeln
aller Akteure. Die Bundesregierung will deswegen einen
Rat für nachhaltige Entwicklung einrichten. Dieser
soll nicht die hundertfünfzigste oder fünfhundertste
Kommission von Wissenschaftlern sein - da sind wir
uns, glaube ich, alle miteinander einig -, sondern er soll
zusammengesetzt sein aus einer möglichst kleinen Zahl
von Einzelpersönlichkeiten mit hoher öffentlicher Reputation, die den Prozess der Umsetzung in die Gesellschaft hinein begleiten sollen. Er soll die Ansprüche und
Forderungen der Gesellschaft an die Politik formulieren,
aber auch die gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren,
damit das Nachhaltigkeitskonzept aktiv umgesetzt werden kann. Die Kommunikation des Grundsatzes der
Nachhaltigkeit bildet ein ganz zentrales Element dieser
Strategie.
Wenn Sie in diesem Zusammenhang die Straffung
des Beratungswesens bei der Bundesregierung anmahnen, dann freue ich mich darüber. Bei diesem Bundesumweltminister rennen Sie damit offene Türen ein,
wenngleich wir im Vergleich zu anderen Ressorts hier
vielleicht nicht so herausgefordert sind, weil wir nicht so
viele Beratungsgremien haben. Aber: Wie verträgt sich
diese Ihre Forderung heute mit Ihrem lauten - entschuldigen Sie das Wort - Geschrei, als wir die Arbeit der
Reaktor-Sicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission auf eine vernünftige Grundlage gestellt haben -
({6})
also den Wirrwarr dieser Unterkommissionen beseitigt
haben - als wir die über 100 Mitglieder endlich wieder
zu einem handlungsfähigen Organ zusammengeführt
haben? Sie müssen sich entscheiden, Herr Laufs, was
Sie wollen: Wollen Sie, dass wir das Beratungswesen
neu organisieren und straffen - dann haben Sie heute
Recht und mich auf Ihrer Seite -, oder wollen Sie Besitzstände Ihrer alten, ideologisch verbohrten Anhänger
in der Atomindustrie wahren? Da müssen Sie sich entscheiden.
({7})
Ich kann Ihnen zum Schluss eines versprechen: Wir
werden versuchen, auch die Arbeit des WBGU so zu organisieren, dass es nicht nur eine klare Arbeitsteilung
mit dem SRU gibt, sondern er von seiner Größe her auch
arbeitsfähig ist. Da gibt es inzwischen mit dem WBGU
in seiner jetzigen Zusammensetzung Einigkeit.
Ein letzter Gedanke: Ich glaube, wir können dies
nicht nur als eine Veranstaltung des Bundes betreiben.
Vielmehr stehen wir vor der Aufgabe, wenn wir die Gesellschaft einbeziehen wollen, das vielfältige Engagement von Städten und Gemeinden, von Menschen in unseren Landkreisen, in den kleinen und großen Städten
zusammenzufassen. Das heißt, der Prozess der Lokalen
Agenda 21 muss verstärkt gefördert werden. Dies ist einer der wesentlichen Beiträge, die das Bundesumweltministerium gerade bei der Unterstützung dieser Initiative, bei der Entwicklung einer - wie es so schön heißt nationalen Nachhaltigkeitsstrategie leistet, die natürlich
vor Ort anfangen muss. Hier gilt der grüne Slogan: Global denken - vor Ort handeln!
({8})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Klaus Lippold.
Herr Minister Trittin, gerade der letzte Satz ist der falscheste Satz, den Sie gesagt haben. Vielleicht denken
Sie global - was ich nicht glaube -, jedenfalls handeln
Sie nicht lokal. Das ist doch der Punkt! Die Ökosteuerdebatte wie die Kernenergiediskussion dienen der Ablenkung davon, dass Sie Nachhaltigkeit im Naturschutzbereich - ein zentraler Punkt - bislang nicht zustande gebracht haben. Diese zentrale Aufgabe der Umweltschutzpolitik ist vernachlässigt worden.
In Sachen CO2-Minderung, in der Frage der Klimakatastrophe sind Sie doch ein „Ankündigungsminister“.
Sie vollziehen noch nicht einmal das, was die Vorgängerregierung vorbereitet hat. Ich sage ganz deutlich: Das
Einzige, was Sie sagen, ist: Demnächst soll etwas kommen - ähnlich wie beim Naturschutz. Sie erreichen keine Verbindung, keine Vernetzung der Naturschutzsysteme. Das, was Sie angekündigt haben, fällt unter den
Tisch.
Ich rufe in Erinnerung, was Ihr Kollege Loske Mitte
letzten Jahres an Kritik vorgebracht hat. Da muss man
ganz deutlich sagen, dass Sie versagt haben, dass Ihre
Konzentration auf die Ökosteuer genau das Falsche
war. Er hat in Ihre Fraktion den Gedanken eingebracht,
dass dieser falsche Weg korrigiert werden müsse. Dann
ist er davon ein wenig abgelenkt worden, aber dies war
das Eingeständnis eigenen Verschuldens. Machen wir
uns doch nichts vor: In Ihrem Haus liegen die Gutachten, in denen die von Ihnen beauftragten Gutachter feststellen, dass Ihre ökologische Steuerreform keine Umweltlenkungswirkung hat. In Ihrem Haus liegen die Gutachten, in denen festgestellt wird, dass sie nicht sozial
ist.
Ich will Ihnen nochmals in Erinnerung rufen: Bei einem ständig fließenden Verkehr gibt es weniger Emissionen, als wenn Sie den Verkehr zum Stocken bringen.
Damit wir uns richtig verstehen: Die Aussagen, dass Sie
die Bahn belasten und damit ökologisch genau kontraproduktiv sind, kommen nicht von uns, sondern von der
Bahn. Dies macht deutlich, dass Ihre Politik in dem
Punkt gescheitert ist. Sie haben nicht die Erhöhung der
Attraktivität der Bahn erreicht, sondern schlicht und einfach die Attraktivität der Bahn vermindert. Das heißt:
Von dem, was Sie gesagt haben, stimmt nichts. Dort, wo
Sie etwas hätten tun sollen, haben Sie im Sinne Ihrer
Schlussaussage bislang nichts vorgelegt. Ihre Kollegen
haben Ihnen das - unter Beteiligung der Länderumweltminister - bestätigt.
Sie sollten daher in sich gehen und nicht versuchen, mit
forschen Sprüchen von Ihrem Versagen abzulenken.
({0})
Zu einer Antwort
bekommt Bundesminister Trittin das Wort.
Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Lippold, wenn der Rat für ein
zukunftsfähiges Deutschland eine pädagogische Aufgabe hätte, dann hätten Sie mit Ihrer Rede den Beweis dafür geliefert, dass er offensichtlich viel zu tun hat. Das
fängt schon beim kleinen ABC an: Wer glaubt, Verkehr
durch den Neubau von Straßen zum Fließen zu bringen, befindet sich in der verkehrspolitischen Debatte irgendwo zwischen den Jahren 1975 und 1982.
({0})
Selbst von ehemaligen VW-Managern wie Herrn
Goeudevehrt ist erkannt worden, dass mit Straßenbau,
mit Straßenwegebau dieses Problem nicht zu lösen ist.
Aber vielleicht würde es der pädagogischen Nachhilfe
gar nicht bedürfen; denn ich glaube, dass Sie in Wirklichkeit klüger sind, als Sie sich hier dargestellt haben.
Denn Sie wissen sehr wohl, dass wir im Rahmen der ökologischen Steuerreform die Bahn nur mit dem halben
Ökosteuersatz belegt haben. Wir sind uns aber einig,
dass es im Bereich der Deutschen Bahn noch Einsparreserven und Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz gibt. Wir haben beides getan: Wir haben der
Bahn den Impetus zur Erneuerung gegeben, für mehr
Effizienz zu sorgen. Gleichzeitig haben wir den öffentlichen Schienenverkehr gegenüber dem Autoverkehr besser gestellt. So wird Umweltpolitik praktische Politik.
Am allermeisten freue ich mich bei Ihnen immer darüber, wenn sich die Union für den Naturschutz stark
macht. Ich muss gar nicht lange darauf verweisen, was
wir zum Beispiel bei der Sicherstellung ostdeutscher Naturschutzgebiete, die Sie alle an Junker - oder weiß der
Teufel, an wen - verscherbeln wollten, erreicht haben.
Ich muss mich gar nicht lange darüber auslassen, wie
zum Beispiel die Landesregierungen von BadenWürttemberg und Bayern mit der Ausweisung von
Schutzgebieten umgehen. Ich brauche nur auf die
aktuellen Auseinandersetzungen im Wahlkampf in
Schleswig-Holstein zu verweisen.
({1})
Wer nach den Äußerungen von Herrn Rühe zum Nationalpark als Christdemokrat noch meint, dieser Regierung irgendwelche Versäumnisse beim Naturschutz
vorwerfen zu können, hat offensichtlich den alten Titel
„Häuptling Gespaltene Zunge“ verdient. Denn man kann
in einem Wahlkampf nicht offensiv dafür mobilisieren,
zehn Jahre Ökopause zu machen, und hier so tun, als sei
man als Ökologe in der CDU dann noch in der richtigen
Partei, Herr Lippold.
({2})
Für die SPDFraktion spricht nun die Kollegin Ulla Burchardt.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn eines neuen Jahres, insbesondere zu Beginn eines neuen Jahrtausends - auch Sie werden das vielfach erlebt haben -,
fragen die Menschen: Was bringt mir, was bringt uns die
Zukunft? Ich denke, die einzig ehrliche Antwort darauf
kann nur sein, dass man sagt: Nichts ist sicher. - Das hat
nichts mit Fatalismus, mit Schicksalsgläubigkeit zu tun,
sondern ich glaube, das ist die einzig mögliche Antwort,
in bester aufklärerischer Tradition.
Die Zukunft, wird das Ergebnis dessen sein, was wir
heute entscheiden, so wie das, war wir an Problemen,
aber auch an Erreichtem in der Gegenwart haben, eine
Folge dessen ist, was in der Vergangenheit einmal entschieden worden ist. Das macht eines ganz deutlich: Zukunft ist gestaltbar. Das bringt aber auch eine große
Verantwortung für all diejenigen mit sich, die von den
Bürgerinnen und Bürgern dafür gewählt worden sind,
dass sie die Verantwortung für ihre Zukunftsgestaltung
wahrnehmen.
Ob die Menschen in unserem Land und in der einen
Welt eine gute Zukunft haben werden, wird ganz entscheidend davon abhängen, ob es uns gelingt, die Probleme, die Krisen, die wir aus dem letzten Jahrhundert
übernommen haben, zu bewältigen und vor allen Dingen
aus den Fehlern zu lernen, die dazu geführt haben.
Wenn wir uns die Bilanz des letzten Jahrhunderts
ansehen, dann muss man sagen: Sie ist durchaus ambivalent. Mit einem gewissen Stolz kann man sagen, dass
Freiheit, Wohlstand und soziale Sicherung die Errungenschaften in den hoch entwickelten Teilen der Welt
sind. Mit dem Stabilitätspakt für Südosteuropa und der
geplanten Erweiterung der EU haben wir auch eine berechtigte Aussicht darauf, dass es in Europa im neuen
Jahrhundert keinen Krieg mehr geben wird.
Doch wenn wir uns den anderen Teil der Welt ansehen, ist es noch immer so, wie Martin Luther King es
vor Jahrzehnten einmal formuliert hat: Die reichen Länder feiern eine gewaltige Party auf Kosten der armen.
Diese befinden sich deshalb in einer Abwärtsspirale aus
Armut, Unterernährung, Ungleichverteilung und Umweltzerstörung. Wir wissen, dass dies inzwischen die
Hauptursachen für gewaltsame Auseinandersetzungen
und Kriege sind, die holen uns an der einen oder anderen
Stelle auch ein.
Dass die negativen globalen Trends ungebrochen
sind, hat vor wenigen Tagen der neueste Bericht des
World watch Institute belegt. Er zeigt in aller Deutlichkeit, wie trügerisch hier im westlichen, im reicheren Teil
der Welt Wohlstand und Sicherheit sind. Die Schattenseiten der Globalisierung sind auch in diesem Lande
spürbar.
Deswegen lassen Sie mich unterm Strich feststellen,
dass - Wahrheiten auszusprechen hilft ja auch, aus vergangenen Fehlern zu lernen - man wirklich endlich zur
Kenntnis nehmen muss, dass der alte Fortschrittsglaube
der westlichen Welt und das darauf basierende Wachstums- und Wohlstandsmodell keine Perspektive zur Lösung zukünftiger Fragen oder zur Lösung der vergangenen bieten werden. Sie bieten auch hier bei uns keine
Lösung zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und zur
Gestaltung des strukturellen Wandels.
({0})
Aber auch gerade in Zeiten des Wandels, die für die
Menschen immer Zeiten von Verunsicherung sind - ich
glaube, dass muss man ganz ernst nehmen -, brauchen
die Menschen, braucht die gesamte Gesellschaft eine
gemeinsame Perspektive zur Gestaltung der gemeinsamen Zukunft. Diese Perspektive bietet das Leitbild
der nachhaltigen Entwicklung. Welche Facetten es ausmacht, ist vom Kollegen Hermann hier im Detail dargestellt worden.
Wie jedes Leitbild ist auch dieses hinreichend unkonkret. - Das ist das Typische an Leitbildern. - Seine produktive Kraft, sein produktives Potenzial wird es dann
entfalten, wenn es als zu lösende Aufgabe angesehen
wird, wenn sich alle gesellschaftlichen Kräfte, die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen darauf konzentrieren und sagen: Das ist eine Herausforderung, der ich
mich stelle; ich schaue, was ich mit meinen Ideen, meinem Know-how, meinem Kapital, meinem Engagement
machen kann, um meinen Beitrag zur Bewältigung der
Aufgabe zu leisten - und der Lösungsmöglichkeiten sind
viele.
Ein neues Leitbild hat eine zweite Funktion - wir
kennen das von Leitbildern, die unsere Gesellschaft in
der Vergangenheit geprägt haben -: Es kann dazu führen, dass traditionelle Denkmuster aufgebrochen werden, die die Suche nach neuen Lösungen bislang verhindert haben, und dass überkommene Verhaltensweisen
überprüft werden. - Wenn ich mir die Debatte heute anschaue, muss ich sagen: Ich hatte immer die Hoffnung,
dass man damit auch alte, sinnentleerte Rituale über
Bord wirft. Aber es dauert vielleicht noch ein bisschen,
bis die Nachhaltigkeit auch hier angekommen ist.
Ein neues Leitbild heißt vor allen Dingen: Entscheidungen müssen anders getroffen werden als in der Vergangenheit. Denn wenn die alten Entscheidungen zu falschen Ergebnissen geführt haben, muss man schauen,
wie neue getroffen werden können.
Es ist unstreitig, dass wir am Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft stehen. Ich glaube,
wir können nicht mehr sagen, dass Deutschland nur eine
Industriegesellschaft ist. Diese Phase haben wir schon
ein ganzes Stück weit hinter uns gelassen. Das ist aber
eine hervorragende Voraussetzung, denn nachhaltige
Entwicklung, die große neue Herausforderung braucht
neues Wissen für neue Produkte, für neue Verfahren, für
neue Technologien, für neue Dienstleistungen, aber eben
auch neue Einstellungen, Verhaltensmuster und Konsumgewohnheiten genauso wie neue Planungs- und Entscheidungsverfahren sowie neue Partizipationsmodelle.
({1})
Damit wird eines ganz deutlich, nämlich dass der eigentliche Schlüssel für Nachhaltigkeit oder Zukunftsfähigkeit - der Begriff gefällt mir besser - Innovation
heißt, und zwar in einem sehr umfassenden Sinne. Gefragt sind natürlich technologische Innovationen. Und
ich darf, Frau Kollegin Homburger, an dieser Stelle daran erinnern, dass es meine Fraktion war, die darauf gedrängt hat, das Thema Innovation, auch technologische
Innovation, in der Kommissionsarbeit als einen Schwerpunkt zu behandeln. Das haben wir zum Teil gegen Widerstände aus Ihren Reihen gemacht; einige von Ihnen
hätten lieber eine längere Grundsatzdebatte gehabt, als
sich beispielsweise mit solchen Fragen zu beschäftigen.
Manchmal sollte man die Menschen aufklären, bevor ein
Mythos über die Kommissionsarbeit verbreitet wird.
({2})
- Ich habe mit dem Kollegen von Gleich gerade an dieser Stelle ausgesprochen gut zusammengearbeitet. Dass
wir als Beispiel das Thema Informationstechnik gewählt
haben und heute Nachmittag einen Antrag zur nachhaltigen Strategie im Bereich der Informationstechnik auf
den Tisch legen, ist das Ergebnis von rot-grüner Zusammenarbeit in der Enquete-Kommission. Dieses
Thema haben wir gegen Widerstände aus Ihren Reihen
durchgesetzt.
({3})
Sie haben mich dazu gebracht, auch über diesen Punkt
an dieser Stelle einmal die Wahrheit auszusprechen. Aber nicht nur technologische, sondern auch soziale und
institutionelle Innovation ist wichtig.
Innovation heißt jedoch, dass man neues Wissen auch
anwendet. Das hat eine ganz entscheidende Voraussetzung: dass man lernfähig ist, damit man Dinge wirklich
anders machen kann, als man sie in der Vergangenheit
betrieben hat. Nachhaltigkeit und Innovationsfähigkeit
sind zwei Seiten einer Medaille. Lernfähigkeit ist das
Bindeglied. Sie wird von der gesamten Gesellschaft erwartet, aber auch von jedem Einzelnen, egal, an welcher
Stelle er steht und Verantwortung trägt. Ressourcenschonung und Umweltschutz nicht mehr als Hemmnis,
sondern als Chance für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Stabilität und Schaffung von Arbeitsplätzen
zu begreifen, das ist der Kern der neuen Lernfähigkeit,
die gefragt ist.
({4})
Wenn wir uns im Lande umschauen, stellen wir fest,
dass viele Menschen viel gelernt haben und nun anpacken. Die Unternehmer, gerade die kleinen und mittelständischen, begreifen in zunehmender Zahl, dass Ökologie Langfristökonomie ist. In Städten und Gemeinden
arbeiten viele engagierte Menschen an der Lokalen Agenda. In Schulen, Kirchengemeinden, Vereinen, Initiativen und Gewerkschaften sind ganz engagierte Menschen dabei, zu schauen, wie sie eine Facette der Problemlösung zustande bringen können. Sie warten darauf,
und das seit vielen Jahren - das haben wir auch in der
Enquete-Kommission immer wieder erfahren müssen -,
dass „die da oben“, also die, welche in Bonn regieren
und im Parlament sitzen, endlich etwas von der Lernfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit im neuen Sinne an
den Tag legen.
Dazu kann ich Ihnen sagen: Wir in der rot-grünen Koalition, in der Bundesregierung folgen der Devise Erich
Kästners: „Es gibt nichts Gutes außer: Man tut es.“ Wir
reden nicht nur von Nachhaltigkeit und Innovationsfähigkeit, sondern wir gehen diese Grundsätze alltäglich
ganz praktisch an.
({5})
Sie haben vorhin gefragt, wo die Bundesregierung
überhaupt etwas tut. Darauf will ich Ihnen antworten:
Eine erste Neuerung ist ja schon, dass man nicht nur über Dinge redet und sie verspricht, sondern dass man
seine Versprechen auch hält. Das kannten die Menschen
in der Vergangenheit nicht unbedingt.
Die Koalitionsfraktionen haben ihre Arbeitsstrukturen
geschaffen, und die Bundesregierung hat natürlich mit
der Umsetzung der Empfehlungen der EnqueteKommission begonnen. Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie ist in Angriff genommen worden; Herr Minister
Trittin hat sich soeben dazu geäußert. Dazu will ich Ihnen sagen: Selbstverständlich gehört ein Stück weit
dazu, dass wir das, was im Bericht der EnqueteKommission steht, noch präzisieren müssen. Denn auch
das dort Niedergeschriebene ist hinreichend unkonkret.
Wir müssen sehen, wie wir die Empfehlungen so zuschneiden können, dass die Umsetzung den Anforderungen entspricht.
Die Umsetzung der Empfehlungen ist Chefsache geworden. Das ist etwas wirklich Neues; diese Forderung
ist erfüllt. Die Staatssekretärsrunde ist schon erwähnt
worden. Damit wird deutlich, dass die Umsetzung wirklich als Querschnittsaufgabe organisiert wird. Die
Fachministerien werden in die Pflicht genommen. Dabei
muss der Grundsatz gelten: so viel Ressortverantwortung wie möglich, so viel Koordination wie nötig.
An vielen anderen Stellen hat die Bundesregierung in
den vergangenen Monaten entscheidende Weichenstellungen im Hinblick auf eine Strategie der Zukunftsfähigkeit vorgenommen. Frau Kollegin Reinhardt, das
letzte Jahr war kein verlorenes Jahr. Wir sanieren die
Staatsfinanzen und die Systeme der sozialen Sicherung
in Solidarität mit den kommenden Generationen. Dies
ist eine ganz entscheidende Forderung des Leitbildes
Nachhaltigkeit. In unserer Steuerpolitik bilden sich die
drei Dimensionen der Nachhaltigkeit ab: Sie fördert soziale Gerechtigkeit, sie fördert die ökologische Modernisierung und sie fördert die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Sie ist also eine nachhaltige Steuerpolitik par
excellence. Sie sollten einfach einmal anerkennen, dass
wir an dieser Stelle unsere Hausaufgaben gemacht haben.
({6})
Die Energieversorgung wird Schritt für Schritt zukunftsfähig gemacht. Das, was den Charme der Nachhaltigkeitsstrategie ausmacht, das planvolle Handeln mit
klaren Zielen, Schritten, Maßnahmen und der Benennung von Verantwortlichkeiten, diese neue Qualität von
Regierungsarbeit können Sie auch an anderen Stellen
feststellen. Sie ist Merkmal beispielsweise unserer Beschäftigungspolitik - das können Sie erkennen, wenn
Sie sich die beschäftigungspolitischen Leitlinien ansehen -, genauso sehr aber auch Merkmal unserer Gleichstellungspolitik. Ich bin sehr froh, dass hier heute auch
das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vertreten ist.
Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Sie werden
heute Nachmittag anlässlich der Debatte zur Informationstechnik merken, dass wir bei unserem Aktionsprogramm Informationstechnik auch die Nachhaltigkeit berücksichtigt haben, also eine nachhaltige Informationsstrategie verfolgen. Wenn Sie sich genauer ansehen,
welche Eckpunkte die Justizministerin im Hinblick auf
ein neues Mietrecht vorgelegt hat, dann werden Sie feststellen, dass das Mietrecht im nachhaltigen Sinne sozial
und ökologisch gestaltet wird, weil das Erfordernis der
Energieeinsparung berücksichtigt worden ist.
Frau Kollegin, Sie
haben Ihre Redezeit weit überschritten. Ich möchte Sie
bitten, zum Schluss zu kommen.
Das ist das Neue, was wir
umsetzen.
Wenn ich sage, Sie sollten die alten Rituale aufgeben,
dann gehört dazu auch, heute nicht die Benzinpreise der
70er-Jahre zu propagieren. Das ist ein Handeln nach
dem Prinzip „Rückwärts in die Vergangenheit“. Das hat
mit Nachhaltigkeit nichts zu tun. Streiten Sie lieber mit
uns über die großen Schritte, darüber, wie wir die gesamte Gesellschaft neu organisieren können.
({0})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Georg Girisch.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! In der vergangenen
Legislaturperiode wurde die Enquete-Kommission
„Schutz des Menschen und der Umwelt“ eingerichtet.
Der jetzt vorliegende Abschlussbericht umfasst
250 Seiten. Hierzu möchte ich Ihnen einige, mir persönlich wichtig erscheinende Gesichtspunkte aufzeigen.
Der zentrale Begriff des Berichtes ist Nachhaltigkeit.
Mit dieser Übersetzung des englischen Vertragstextes
der Konferenz von Rio von 1992 griff man auf einen
Begriff aus der Forstwirtschaft des 19. Jahrhunderts zurück: Der Einschlag aus einem Waldstück sollte nicht
höher sein als der nachwachsende Bestand.
Heute bedeutet Nachhaltigkeit neue Formen der Entwicklung, wobei diese dauerhaft sowohl ökologisch als
auch ökonomisch und sozial verträglich sein soll. Nachhaltige Entwicklung heißt, den Bedürfnissen der heutigen Generation zu genügen, ohne die Möglichkeit künftiger Generationen zu behindern, ihren eigenen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Griffig formuliert bedeutet
dies: Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern
ihre Lebens- und Zukunftschancen sichern.
Der Blick über den Tellerrand hinaus ist heute notwendiger denn je. Die Maxime allen Handelns muss
sein, heute die Weichen für morgen richtig zu stellen.
Die Arbeit der Enquete-Kommission war deshalb richtig
und wichtig. Sie hat nämlich nicht nur den Begriff der
Nachhaltigkeit ausgeleuchtet, sondern auch mehrere
Themen ausführlich behandelt, von denen alle Menschen betroffen sind: erstens die Versauerung von Böden, zweitens den Bereich Bauen und Wohnen, drittens
die Informations- und Kommunikationstechniken. Dabei
ist sie zu folgenden Empfehlungen gekommen - wobei
betont werden muss, dass keine besserwisserische Bevormundung der Menschen erfolgen soll, sondern das
Prinzip der Subsidiarität gelten muss -
({0})
Erstens. Ziel ist die dauerhafte Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Bodens. Bebauung und Versiegelung
sollen vermieden, die ökologisch orientierte Landwirtschaft soll gefördert werden. Dies kann zum Beispiel
konkret durch die Festlegung eines Verhältnisses von
Tierbestandsobergrenzen zur Fläche erfolgen, das einen
Raubbau an der Natur ausschließt.
Zweitens. Angestrebt wird die Stadt der kurzen Wege. Es soll lieber saniert als neu gebaut werden. Auch
soll mit Energiekennzahlen beim Hausbau ökologisches
Bauen gefördert werden. Langfristiges Ziel ist der Ausgleich zwischen Wohnbedürfnis und Material- und Flächenverbrauch.
Drittens. Im Rahmen der technischen Entwicklung
werden einerseits die Minimierung des Energieverbrauchs und die Verringerung von Elektronikschrott
angestrebt. Andererseits muss verantwortlich mit dem
Faktor Mensch umgegangen werden. So können der
Fachkräftemangel durch neue Aus- und Weiterbildungsangebote behoben und der freie Zugang zu Informations- und Kommunikationsquellen effizienter gemacht werden.
Wie schon erwähnt, dürfen Umweltziele nicht unabhängig von ihren sozialen und wirtschaftlichen Folgen
formuliert werden. Unsere technologische Leistungsfähigkeit ist auch für den Umweltschutz Voraussetzung.
Ökologie, Ökonomie und Soziales müssen im Kontext
behandelt werden.
({1})
Wird dies versäumt, besteht die Gefahr, dass langfristige
Umweltinvestitionen kleine und mittlere Betriebe überfordern. Schon das Stabilitätsgesetz von 1967 kennt das
für die Nachhaltigkeit so bedeutende Ressort übergreifende Zusammenspiel der Kräfte. Bereits 1997 forderte
deswegen die Deutsche Bundesbank: Die Haushaltskonsolidierung muss verstärkt werden. Dies gilt unter dem
Blickwinkel der Nachhaltigkeit auch für die Systeme
unserer sozialen Sicherung.
Zur Koordinierung der Bemühungen auf diesem Gebiet
schlägt der Umweltausschuss einstimmig vor, einen Rat
für nachhaltige Entwicklung einzurichten. Er würde
von sich aus tätig werden und über die Legislaturperiode
hinaus im Amt bleiben. Hervorheben möchte ich, dass
dabei - neben einer Bestandsaufnahme - nicht verordnet, sondern angeregt werden soll. Nachhaltigkeit ist ein
fortwährender Lernprozess, der nicht befohlen werden
kann. Ein Diktat von oben wäre unweigerlich zum
Scheitern verurteilt und entspricht auch nicht unserem
Politikverständnis. Wichtiger als gesetzgeberischer Aktionismus ist die Übereinstimmung mit unserem System
der sozialen Markwirtschaft. Daher ist die Schaffung einer entsprechenden beratenden Institution notwendig.
({2})
Dem Staat bleibt es vorbehalten, Prozesse zur Mobilisierung von Verantwortung in Gang zu setzen: mit dem
Ordnungsrecht, dem Abgabenrecht oder der Einbeziehung und Bewertung von Umweltmanagement. Ich
glaube, Bayern hat hier eine Vorreiterrolle übernommen,
wie der Umweltpakt Bayern beweist. Dort ist das Ziel
ein verstärkter Umweltschutz auf der Basis von Freiwilligkeit, Eigenverantwortung und Kooperation. Dabei
handelt es sich um eine vertragsähnliche Vereinbarung
auf Gegenseitigkeit, in der sich Wirtschaft, Staat, Verbände und Organisationen zu freiwilligen zusätzlichen
Leistungen für den Umweltschutz verpflichten.
({3})
Der Pakt umfasst Finanzhilfen bei der Altlastensanierung, Umweltberatung, aber auch Deregulierung, Verringerung der staatlichen Kontrolldichte, und ein nachgewiesenes funktionsfähiges Umweltmanagement.
Nach dieser kurzen, beispielhaften Darstellung komme ich zum Schluss. Durch den Bund sollten Länder
und Kommunen mit ihren kommunalen Agenden 21
eingebunden werden. Auch bei diesem Prozess hat die
CSU in Bayern schon gute Vorarbeiten geleistet, indem
die Staatsregierung als erste Landesregierung regionale
Agenden geschaffen hat. Ich glaube, die Menschen müssen ein altes bäuerliches Prinzip, nämlich das Prinzip
„Bebauen und bewahren“, neu entdecken.
({4})
Wenn damals für dieses nachhaltige Wirtschaften die
praktische Zukunftsvorsorge für Kinder und Enkel der
Grund war, so sehen wir uns heute auch für die gesamte
Weltbevölkerung in der Verpflichtung. Ökonomie, Ökologie und soziale Verantwortung stehen nicht unweigerlich im Widerspruch, sondern können in Gleichklang
gebracht werden. Hier ist der Staat gefordert, einen
brauchbaren Rahmen zu schaffen. Vermieden werden
sollten aber zunehmende Regulierungen.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,
wird die Arbeitsgruppe der CDU/CSU im Umweltausschuss die Annahme der Beschlussvorlage in der vorliegenden Form vorschlagen.
Herzlichen Dank.
({5})
Herr Kollege Girisch, das war Ihre erste Rede im Parlament. Ich darf Ihnen dazu im Namen des Hauses gratulieren.
({0})
Nunmehr gebe ich das Wort dem Kollegen Reinhold
Hemker für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe am 5. November
letzten Jahres im Rahmen der Aussprache
zur Regierungserklärung anlässlich der
5. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention Vizepräsidentin Bläss in diesem Hause symbolisch einen Solarrechner und ein kleines Paket Kaffee
aus biologisch-organischem Anbau übergeben. Dieser
Kaffee wird im Rahmen des fairen Handels vermarktet.
Das „Transfair“-Siegel zeigt, dass Grundsätze der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden, und zwar global.
Auf die Gestaltungsaufgabe Globalisierung verweist
der heute hier diskutierte Bericht sehr nachdrücklich.
Nur wenn man das Nachhaltigkeitsprinzip als Querschnittsaufgabe weltweit für alle Bereiche von der Produktion bis zur Vermarktung für den praktischen Vollzug im Alltag begreift, kann das, was nun schon seit
Jahren immer wieder gefordert wird, Schritt für Schritt
erreicht werden.
({0})
Beispiele für engagiertes Handeln gibt es genug. Ich
nenne nur das zivilgesellschaftliche Engagement in der
Wirtschaft. Ich stelle fest: Weltweit sind immer mehr
Menschen darum bemüht, sich bei der Produktion von
Nahrungsmitteln, zum Beispiel beim Kaffee, und in der
Nutzung der erneuerbaren Energien, wie zum Beispiel
der Solartechnik, zu engagieren. Diese Menschen erwarten von uns als den politisch Verantwortlichen Glaubwürdigkeit auch und gerade in diesem Sinne. Es vergeht
bei mir in der praktischen Beratungsarbeit, die ich für
verschiedene Nichtregierungsorganisationen weltweit
wahrnehme, kein Gespräch mit Partnern aus Afrika, Asien oder Lateinamerika, in dem die Vereinbarungen der
Rio-Konferenz und der danach durchgeführten Weltkonferenzen im Hinblick auf die langfristige Tragfähigkeit
der Projekte der Entwicklungszusammenarbeit keine
Rolle spielen würden.
Dabei hatte und hat auch die Frage der Welternährung nach wie vor eine herausragende Bedeutung. Ich
stelle in diesem Zusammenhang fest: Flächen für eine
Erweiterung des Anbaus von Nahrungs- und Futtermitteln stehen nur sehr begrenzt zur Verfügung. Ferner gehen immer mehr Flächen verloren, weil der Anbau nicht
nach Grundsätzen der Nachhaltigkeit erfolgt und nach
wie vor Überweidung stattfindet, die zu weiterer Erosion
führt.
Immer noch ist für viele, insbesondere arme Länder,
der Futter- und Nahrungsmittelexport die wichtigste,
wenn nicht gar einzige Einnahmequelle für Devisen.
Wenn dies nicht über internationale Vereinbarungen, eine sinnvollere Politik der Entwicklungszusammenarbeit
und der Agrar- und Ernährungspolitik geändert wird,
werden die Armuts- und Hungerbedingungen zu weiteren Konflikten führen. Das Konfliktpotenzial wird sich
vergrößern.
Darum ist es wichtig und richtig, dass die Bundesregierung nun verstärkt versucht, Einfluss auf die Strukturanpassungsprogramme in den angesprochenen Gebieten dieser Welt zu nehmen. Was nutzt es, wenn immer mehr Mittel für die Exportförderung ausgegeben
werden, teilweise im Zusammenhang mit einer belastenden Kreditfinanzierung, und die Eigenversorgung aus
nachhaltiger Produktion und Verarbeitung zurückgeht?
Ich bin immer wieder erschrocken, wenn ich sehe, wie
viele Länder mit eigentlich fruchtbaren Böden Nahrungsmittel importieren bzw. importieren müssen und
immer wieder aus den Überschussbeständen reicher
Länder versorgt werden.
Solange diejenigen in Übereinstimmung mit der
FAO, der Ernährungs- und Agrarorganisation der Vereinten Nationen, hier nicht richtig investieren, die investieren können, wird dem Grundsatz der Nachhaltigkeit
nicht entsprochen und auch dem Grundsatz der Kohärenz nicht.
Ich verweise auf die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung zum Thema Welternährung in der letzten Legislaturperiode sowie auf die vielfältigen Hinweise, die
damals im Parlament aus Anlass des Welternährungsgipfels gegeben worden sind. Die Überlegungen zur
Weltmarktorientierung unter dem Aspekt der Liberalisierung im Hinblick auf die WTO-II-Runde sind besonders nach den eindeutigen Signalen aus Seattle kritisch
zu überdenken. Auch hier gibt der Bericht wichtige
Hinweise für die Produktionsbedingungen von Agrarprodukten.
Ich frage in diesem Zusammenhang: Wem nützt die
Weltmarkterschließung bei Landwirtschaft und Ernährung? Wir wissen zum Beispiel, dass 20 Prozent der
Weltbevölkerung immer mehr Konsumgüter aus immer
entfernter gelegenen Gebieten erhalten. Dies hat mit
nachhaltiger, schöpfungsbewahrender Entwicklung wenig zu tun, zumal für große Teile der restlichen
80 Prozent der Weltbevölkerung die Nahrungsversorgung unter den genannten Rahmenbedingungen nur unzureichend möglich ist. Genau an dieser Stelle muss die
Nachhaltigkeitsstrategie ansetzen.
({1})
Außerdem muss man sich nicht wundern, wenn die
Zerstörung der lebenssichernden Grundlagen der Natur
weiterhin betrieben wird. Wer keinen Boden zur Verfügung hat bzw. nicht mehr zur Verfügung hat, auf dem
Nahrungsmittel angebaut werden könnten, der greift
auch zu den letzten Gräsern, Baumrinden und Wurzeln,
aus denen eigentlich noch etwas wachsen sollte.
Wer keinen Zugang zu anderen Brennstoffen hat, der
versucht, das Wasser für den Maisbrei oder den Reis, oft
das einzige Nahrungsmittel, mit den letzten, oft mühsam
herbeigeschafften Holzstücken zum Kochen zu bringen.
Für eine echte Nachhaltigkeitswende - so nenne ich
es einmal - sehe ich im Augenblick noch keine wirklichen Anzeichen, zumindest was die globale Perspektive
unter Einbeziehung der meisten armen Länder in Afrika,
Asien und Lateinamerika angeht. Die im Bericht erwähnten Nachhaltigkeitsindikatoren, wie sie die Kommission für nachhaltige Entwicklung der UNO beschreibt, werden weltweit bei der praktischen Arbeit
noch zu wenig berücksichtigt.
({2})
Ich halte allerdings die Neuorientierung der Bundesregierung in diesem Bereich für richtig. Sie gibt es, auch
wenn die Sprecherinnen und Sprecher der Opposition
das wortreich ignoriert haben.
Die Bemühungen, stärker auf die Strukturanpassungsmaßnahmen von IWF und Weltbank Einfluss zu
nehmen, sind richtig; auch die deutlichen Hinweise für
die WTO-II-Runde in Richtung Verbesserung der sozialen Standards sind deswegen zu begrüßen.
({3})
Ich hoffe nur, dass sich die Bundesregierung nicht doch
von den falschen Propheten aus den Entwicklungsländern und ihren Kumpanen aus den Industrieländern verunsichern lässt, die sich um Standortvorteile und deren
jeweilige Nutznießung Sorgen machen und sich gegen
die Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit wenden.
Ich sage: Wer „sustainable development“, also eine
langfristig tragfähige Entwicklung, wirklich will, muss
die Umwelt- und Sozialverträglichkeit zur wesentlichen
Orientierung seiner politischen Arbeit machen, und zwar
weit über den Rahmen nationaler Politik hinaus, ja, sie
ist Teil des Einsatzes für die elementaren
Menschenrechte, und zwar weltweit. Die Systematik des
Berichtes - Einteilung in ökologische, ökonomische und
soziale Dimensionen - gibt wichtige Hinweise für die
Vorgehensweise in diesem Bereich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gilt, im Zusammenhang der Gespräche über „good governance“ die
sehr oft autoritären Staatsführer und Machteliten aus
Entwicklungsländern, die sich mit bestimmten Interessengruppen der Industrieländer verbünden und gegen
das Nachhaltigkeitsprinzip wenden, auf ihre Verantwortung hinzuweisen, die seit der Rio-Konferenz immer
wieder herausgestellt wurde und wird. Die Agenda 21 darauf ist hingewiesen worden - zeichnet die Handlungsperspektiven vor. Dabei gilt es, die positiven, jetzt
von der Bundesregierung eingeschlagenen Wege weiter
auszubauen und zu unterstützen.
Ich habe zum Beispiel im April letzten Jahres in Costa Rica wahrnehmen können, welche segensreichen Folgen die Umstellung des Kaffeeanbaus in mehreren Genossenschaften auf ökologische Anbau- und Verarbeitungsverfahren hat. Der Umstellungsprozess war und ist
nur möglich durch finanzielle Unterstützung im Rahmen
der Nord-Süd-Solidarität und die Vermarktungshilfen
durch den fairen Handel. Ich habe in diesem Zusammenhang Menschen auf einer Bananenplantage erlebt,
auf der nicht mehr offen mit der Giftspritze hantiert
wurde oder über die keine Sprühflugzeuge mehr flogen.
Auch hier konnte ich gelebte Nord-Süd-Solidarität im
Sinne der Nachhaltigkeit erfahren. Das „Transfair“-Siegel durfte in der Verpackungsabteilung aufgeklebt werden. Im Hochland dieses kleinen mittelamerikanischen
Landes wurde gerade ein Windpark erweitert, bei dem
die GTZ bei der Gutachtenerstellung beteiligt war und
Mittel über die Kreditanstalt für Wiederaufbau bereitgestellt wurden. Dies sind drei Beispiele, die aufzeigen,
dass die Maßnahmen der Bundesregierung in die richtige Richtung gehen und im Sinne der heute hier diskutieren Nachhaltigkeitsstrategie sind.
Es geht also um die richtige Prioritätensetzung. Es
geht aber auch um den Abbau von Vorurteilen und Vorbeurteilungen. Diejenigen, die immer wieder sagen:
„Die wollen ja nicht mit Solarenergie kochen, die wollen
an offenem Feuer brutzeln!“, die - jetzt meine ich die,
die das sagen - verweigern im Grunde einen Dialog über
die Nutzungsmöglichkeiten der verschiedenen Anwendungsformen der solaren Energie.
({4})
Sie verkürzen die mögliche Betrachtung des gesamten
Komplexes der nachhaltigen Nutzung der Sonnenkraft.
Hier wird dann zum Beispiel auch deutlich, welche interkulturellen Betrachtungsweisen im Diskurs gewählt
werden können und müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird noch viel
Fantasie und guter Wille eingesetzt werden müssen,
wenn das Nachhaltigkeitsprinzip wirklich seinen Platz
finden und sich behaupten soll im Kontext einer solidarischen Entwicklungszusammenarbeit und einer globalen Agrarwirtschaft, der die langfristig tragfähige Versorgung aller Menschen in allen Ländern der Welt umfassen kann.
Es wird seit der Rio-Konferenz viel von Handlungsrahmen und Agenden gesprochen: Agenda 21, Agenda
2000 für die EU-Politik der nächsten Jahre, Lokale Agenda. Ich gehe mit den engagierten Entwicklungs-,
Agrar- und Umweltpolitikern nicht nur meiner Fraktion
davon aus, dass die verschiedenen Agenden nicht nur
Handlungsrahmen bleiben, sondern auch unter das bereits von Minister Trittin genannte Motto „Global denken, lokal handeln“ gestellt werden.
In einer der letzten Publikationen der DEG, der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, heißt
es:
Die Eigendynamik der einzelnen Volkswirtschaften
zu fördern, bedeutet für uns auch, Umwelt- und
Ressourcenschutz aktiv zu beachten. In diesem
Sinne arbeiten wir am Einsatz umweltschonender
Technologien und Managementverfahren und beteiligen uns an der Entwicklung umweltpositiver Projektideen, um nachhaltiges Wachstum und wirtschaftlichen Erfolg in Einklang mit der Umwelt zu
fördern.
Diese Aussage bedeutet Auftrag und Verpflichtung
nicht nur für die DEG. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf entsprechende Konsequenzen.
({5})
Als letzter Redner
in dieser Debatte spricht nun der Kollege Erich Fritz für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Als jemand, der zwei
Legislaturperioden an dieser Kommission beteiligt war,
freut man sich, wenn dann später sichtbar wird, dass
Folgen aus dieser Arbeit in konkretes politisches Handeln übertragen werden. Deshalb begrüße ich es, dass
der Umweltausschuss einstimmig Empfehlungen vorträgt, über die wir heute debattieren.
Gleichzeitig fällt mir auf, dass hier überwiegend
Umweltpolitiker sprechen, dass die Angelegenheit federführend im Umweltausschuss behandelt worden ist,
dass sie beim Umweltminister ressortiert und er deshalb
hier in der Debatte das Kabinett vertritt und nicht etwa
der Bundeskanzler oder der Chef des BundeskanzleramReinhold Hemker
tes. Das heißt, es wird ganz deutlich, dass die Absicht
besteht, etwas zu ändern, dass aber die tatsächlichen
Verhältnisse dem an vielen Stellen entgegenstehen.
({0})
Nachhaltigkeit ist ein altes Prinzip. Das ist hier deutlich geworden. Aber ich glaube, es hat neue Zukunftsperspektiven. Ich sehe das deshalb nicht so pessimistisch
wie der Kollege Hermann, der sagt: Im Prinzip sind die
Leute ein bisschen zu dumm oder noch nicht so weit und
verstehen nicht, was damit zusammenhängt. Sie verstehen es nicht in Form einer wissenschaftlichen Debatte;
aber die Notwendigkeit, so zu handeln, wie es das Prinzip Nachhaltigkeit erfordert, könnensehr viele nachvollziehen.
Es sind außerdem sehr viele auf dem Weg: in der
Wissenschaft, in der politischen Debatte, in den Kommunen mit der Lokalen Agenda 21 und in den Unternehmen, in vielen, gerade neuen innovativen Unternehmen mit einer ganz neuen Generation von Führungspersönlichkeiten, die schon deshalb einen ganz anderen Zugang zu diesem integrierten Denken haben, weil sie sich
mit Medien befassen, die sie förmlich dazu zwingen und
automatisch auf diesen Weg führen.
Deshalb, denke ich, haben wir alle Voraussetzungen
dafür, dass das, was die Enquete-Kommission versucht
hat - wobei sie dann auch an ihre Grenzen gestoßen ist,
weil es nicht möglich ist, die Integration und das Zusammendenken von Sachverhalten, die eigentlich notwendig sind, zu leisten -, tatsächlich in so kompakter
Form geschehen kann. Sie war aber hilfreich. Sie hat
Begriffe und Ziele definiert, die jetzt in der weiteren
Diskussion zur Basis der Gespräche geworden sind. Sie
hat Verständigung ermöglicht. Ich denke in diesem Zusammenhang an den Beginn der Enquete-Kommission,
als wir noch vor Mauern von Leuten gestanden haben,
die gar nicht mit uns sprechen wollten, weil sie den Gedanken, mit dem wir uns da beschäftigten, für ganz absurd gehalten haben.
Für besonders wichtig halte ich die Tatsache, dass die
rein ökologisch zentrierte Frage zu einer Frage geworden ist, in der Ökonomie, Ökologie und soziales Leben
miteinander verbunden werden. Das ist die eigentliche
Aufgabe, vor der wir stehen. So verstanden ist für mich
Nachhaltigkeit ein erweitertes Verständnis von sozialer
Marktwirtschaft, weil nämlich die Frage der sozialen
Verantwortung natürlich über die jetzt Lebenden hinausgeht. Das muss eigentlich für jeden, der über die
Zusammenhänge nachdenkt, klar werden, weil soziale
Verantwortung auch Verantwortung für kommende Generationen und für deren Lebensverhältnisse verlangt.
Das heißt also, wir müssen getrennte Aspekte zusammendenken. Dies fällt schwer, wie man weiß. Auch in
dieser Debatte ist es nicht durchgängig gelungen.
Wir müssen Abhängigkeiten und Folgen besser verstehen und Wirkungszusammenhänge berücksichtigen.
Wir müssen vielleicht parteipolitische Antworten in dieser Diskussion weniger ernst nehmen, als wir dies bisher
tun, weil nämlich viele beteiligt sind, denen völlig egal
ist, von welcher Partei etwas ausgesprochen wird. Deshalb finde ich es nicht richtig, wenn in dieser Debatte alles Mögliche als nachhaltig bezeichnet wird, wenn sozusagen versucht wird, den alten Wein aus den 70er- und
80er-Jahren mit dem neuen Etikett „nachhaltig“ zu versehen und so zu tun, als sei man der Integration des
Denkens schon nahe gekommen. Das Gegenteil ist häufig der Fall: Wer das so macht, der drückt sich gerade
um die verdammte Verpflichtung und Mühe, die Aspekte zusammenzudenken. Einfach ist dieser Prozess nicht.
({1})
Die Interessen der natürlichen, der geistigen, der kulturellen und der materiellen Welt zusammenzuführen,
verlangt Nachhaltigkeit. Sie verlangt deshalb Menschen,
die frei sind. Freiheit ist die Voraussetzung dafür, sich
an solchen Prozessen zu beteiligen und die nötige Verantwortung zu übernehmen. Auf der anderen Seite verlangt dieser Prozess Verantwortlichkeit, weil Freiheit
personell, gesellschaftlich und durch die Natur begrenzt
ist und begrenzt sein muss. Genau in diesem Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortlichkeit bezüglich dieser Prinzipien muss sich die Diskussion über die Nachhaltigkeit bewegen. Deshalb verlangt Nachhaltigkeit besondere Sorgfalt bezüglich der Rahmenbildung und der
zu entwickelnden Regeln.
Die Regeln sollen möglichst im Konsens entstehen.
Es wird nie einen absoluten Konsens geben. Wir haben
festgestellt, dass wir auch in der Kommission an Stellen
gelangt sind, wo ein Konsens nicht mehr möglich war.
Zu diesem sich in der Debatte abzeichnenden Grundkonsens gehört sinnvollerweise und notwendigerweise
ein Diskurs, also die streitige Auseinandersetzung über
die richtigen Mittel und Wege. Wir müssen uns nicht
schräg anschauen, wenn es unterschiedliche Vorstellungen gibt. Dies gehört dazu. Genau die Bereitschaft, die
unterschiedlichen Vorstellungen aufzunehmen, zeichnet
heute dort, wo es funktioniert, die lokalen Agenden aus:
Menschen, die vorher zusammengekommen sind, um
aufeinander zu schimpfen, sind plötzlich in der Lage,
einander zuzuhören und nachzuspüren, ob man nicht mit
unterschiedlichen Begriffen sogar das Gleiche meinen
und denken kann.
Nachhaltigkeit verlangt im Rahmen der Regeln, dass
wir uns um Akzeptanz bemühen. Der Erfolg einer
Nachhaltigkeitsstrategie hängt vom Entstehungsprozess
ab. Deshalb habe ich geschluckt, Herr Kollege Hermann, als Sie vorhin sagten: Wir werden Ihnen eine
Strategie präsentieren. Es zeugt von großem Selbstbewusstsein, wenn Sie sagen: Die Regierungsfraktionen
werden das schon machen. Aber dies entspricht nicht
dem, was wir eigentlich wollen. Wenn wir den Menschen etwas präsentieren, das sie schlucken sollen, dann
werden wir die notwendige Eigenverantwortlichkeit und
Mitwirkung nicht erreichen.
({2})
- Nein, ich habe Ihre Aussage gar nicht gewertet. Ich
habe nur darauf hingewiesen, dass ich geschluckt habe,
als Sie es ausgesprochen haben. Ich hoffe, wir verstehen
uns.
Die zu entwickelnden Regeln werden danach bewertet werden, welche Vorteile oder Nachteile sie dem
Menschen bringen. Die an diesem Prozess beteiligten
Akteure werden das höchst unterschiedlich empfinden.
Selbst diese Akteure werden stärker als bisher gezwungen sein, jeweils die Position des anderen mitzudenken.
Dies kann nicht mehr im Zusammenwirken großer Organisationen erreicht werden, wie es jetzt im „Bündnis
für Arbeit“, das nach meiner Meinung nicht sinnvoll ist,
versucht wird, weil große Organisationen immer dazu
tendieren, den Status quo zu verteidigen, soweit er ihnen
nützt, und weil sie immer bereit sein werden, höhere gesellschaftliche Kosten für einen größeren Vorteil für ihre
Mitglieder in Kauf zu nehmen.
({3})
Wir müssen anders vorgehen und eine viel breitere Basis
für den Prozess finden, der deshalb auch immer schwieriger zu organisieren sein wird und der Geduld verlangt
und nicht das vorschnelle Auftreten nach dem Motto:
Ich habe die Antwort schon fertig. Es hat nämlich niemand - weder national noch international - eine fertige
Antwort.
Bei diesem Regelwerk entscheidet sich, ob wir bereit
sind, die Debatte darüber zu führen, ob Kurzzeit- oder
Langzeitdenken im Vordergrund steht. Wenn wir diese
Debatte führen wollen, dann wird das bei vierjährigen
Wahlperioden etc. nicht einfach sein. Es ist ein Anspruch an Politik und Politikgestaltung gestellt, der eine
hohe Herausforderung ist. Man kann über die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten nicht so einfach
hinweggehen. Ich glaube deshalb, dass es sehr entscheidend darauf ankommt, sich im weiteren Fortgang der
Debatte über Nachhaltigkeit und eine Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland darauf einzulassen - selbst
wenn es experimentell ist -, neue Kommunikations- und
Steuerungsmöglichkeiten zu erproben.
Der von der Kommission vorgeschlagene Rat für
nachhaltige Entwicklung bringt vielleicht ein erstes
Signal, aber noch nicht die Neuorientierung und schon
gar nicht die neue politische Gestaltung. Ich finde es gut,
wenn man versucht, vom spezifischen zum integrierten
Denken zu kommen.
In Zukunft kommt es aber darauf an, dass sich politisches Handeln verändert. Deshalb müssen bestimmte
Anforderungen an das Regelwerk gestellt werden. Die
Zielsetzungen, die in einem solchen Nachhaltigkeitspapier formuliert werden, müssen mit neuen, aber tendenziell weniger Regeln erreichbar sein, weil eine reine
Vermehrung der Regeln, um zusätzliche Effekte zu erreichen, von den Menschen nicht mehr akzeptiert wird.
Das merkt man in vielen anderen Politikbereichen. Die
Regeln müssen Akzeptanz finden; also müssen sie überzeugend sein und möglichst weit in die Verantwortung
des jeweils Handelnden gelegt werden. Der Einzelmensch, der Verbraucher, der Mensch in seinen unterschiedlichen Rollen - Freizeit, Beruf, Wohnen etc. - und
die gesellschaftlichen Organisationen müssen ernst genommen werden und sich dort wiederfinden.
Je weniger kompliziert diese Regelungen sind und je
mehr sie mit alternativen Handlungsmöglichkeiten ausgestattet sind, desto größer wird andererseits wieder die
Akzeptanz sein. Deshalb ist es richtig, eher Leitplanken
zu formulieren, als Verordnungen zu erlassen. Es ist
besser, freiwillige Vereinbarungen zu treffen, als Detailregulierungen zu schaffen. Man sollte Regeln, die den
Menschen Vorteile bringen, stärker berücksichtigen als
solche, die Sanktionen androhen, und Selbstverpflichtungen stärker einfordern, weil sie die Konsequenz der
freien wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Betätigung sind. „Übereinkunft vor Anweisung“ muss das
Motto sein. Freiheit, Freiwilligkeit, aber auch die Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung müssen prägende Prinzipien der Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie sein. Deshalb wird es bei einem solchen Konzept
nicht damit getan sein, alles, was einem schon mal lieb
war, zusammenzuschreiben.
Ich habe in diesem Zusammenhang eine Bitte: Achten Sie alle bei Ihren Anträgen und bei Ihren schriftlichen Verlautbarungen zu allen möglichen Politikfeldern
doch bitte darauf, dass Sie, weil wir noch kein besseres
Wort haben, den Begriff „Nachhaltigkeit“ nicht in der
Weise entwerten, dass er schließlich für alles und nichts
verwendet wird.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem Abschlussbericht der En-
quete-Kommission zum „Konzept Nachhaltigkeit - Vom
Leitbild zur Umsetzung“, Drucksache 14/1470. Der
Ausschuss empfiehlt unter Ziffer 1, den Abschlussbe-
richt auf Drucksache 13/11200 zur Kenntnis zu nehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist einstimmig angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Ziffer 2 sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/1470 die
Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 e auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Martin Mayer ({0}), Ilse Aigner,
Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Zur Nutzung und Anwendung der neuen Me-
dien in Deutschland - Chancen in der Infor-
mationsgesellschaft
- Drucksachen 14/1031, 14/1866 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen und Entwicklungen bei den neuen Informations- und Kommunikationsdiensten im
Zusammenhang mit der Umsetzung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes ({1})
- Drucksache 14/1191 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Aktionsprogramm der Bundesregierung
Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts
- Drucksache 14/1776 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({4}), Dr. Wolfgang
Gerhardt, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Offene Medienordnung für Deutschland verwirklichen
- Drucksache 14/2362 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula
Burchardt, Jörg Tauss, Klaus Barthel ({6}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell,
Matthias Berninger, Kerstin Müller ({7}),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Strategie für eine Nachhaltige Informationstechnik
- Drucksache 14/2390 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Werner
Müller.
({9})
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir befinden uns in Deutschland gegenwärtig
mitten im Wandel von der Industriegesellschaft zur Informations- und Wissensgesellschaft. Die neuen Informationstechnologien und Netze beeinflussen mittlerweile fast alle Bereiche des Privatlebens und nahezu die gesamte Arbeitswelt.
Aus ökonomischer Sicht ist in diesem Zusammenhang wichtig zu erkennen, dass die Informations- und
Kommunikationstechnologien weltweit zu den wichtigsten Impulsgebern für wirtschaftliches Wachstum und
Beschäftigung zählen. Im vergangenen Jahr erzielte in
Deutschland die informations- und kommunikationstechnische Industrie einen Umsatz von 205 Milliarden
DM. Die Informationsindustrie beschäftigt derzeit bereits 1,7 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge
können allein im Bereich von Multimedia bis zum Jahre
2002 bis zu 370 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn die Weichen richtig gestellt werden. Im
Wettbewerb der Unternehmen und der Nationen zählt
nicht mehr allein die wirtschaftliche Größe. Die Internet-Werte des Neuen Marktes zeigen deutlich, dass Flexibilität und Schnelligkeit bei der Erschließung innovativer Geschäftsfelder zu den bestimmenden Faktoren
werden.
Vor diesem Hintergrund ist es das erklärte Ziel der
Politik der Bundesregierung, Deutschland einen Spitzenplatz in der internationalen Informationsgesellschaft
zu sichern.
({0})
Diesem Ziel dient das im September letzten Jahres vorgelegte Aktionsprogramm der Bundesregierung „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft
des 21. Jahrhunderts“.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Sicherung eines hohen zukunftsfähigen Beschäftigungsniveaus in der Bundesrepublik Deutschland sind die entscheidenden Herausforderungen der nächsten Jahre.
({1})
Vizepräsident Rudolf Seiters
Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehört zwingend
auch, in unserem Land den Übergang von der Industriezur Informationsgesellschaft noch rascher als bisher zu
meistern und damit neue Beschäftigungspotenziale zu
erschließen. Für die Bundesregierung hat daher die beschleunigte Nutzung und Verbreitung moderner
Informations- und Kommunikationstechnologien wirtschafts-, forschungs-, technologie- und bildungspolitische Priorität.
({2})
Das Aktionsprogramm stellt deutlich die wirtschaftspolitischen Chancen für unser Land heraus, die
mit dem Wandel zur Informationsgesellschaft verbunden
sind. Die Verbesserung des Zugangs zu den neuen Medien und dem Internet, der weitere Ausbau der Infrastruktur und die Fortentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen, zum Beispiel im Daten- und Verbraucherschutz sind daher wichtige Handlungsschwerpunkte
des Programms.
({3})
Um Deutschland einen Spitzenplatz im digitalen Zeitalter zu sichern, haben wir das Aktionsprogramm mit
konkreten Zielmarken versehen, die wir durch gemeinsame Anstrengungen von Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft innerhalb der nächsten fünf Jahre erreichen
wollen und an denen wir uns dann auch messen lassen
wollen. Folgende konkrete Ziele möchte ich hier herausstellen:
Wir wollen die Anzahl der Internetanschlüsse in der
Bevölkerung auf einen Wert von über 40 Prozent bis
zum Jahre 2005 steigern. Dazu wollen wir unter anderem eine breit angelegte Demonstrations- und Informationskampagne „Internet für alle“ starten.
Wir wollen Vertrauen und Sicherheit durch
verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen schaffen.
Das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz hat eine wichtige Grundlage für die Entwicklung
von E-Commerce in Deutschland gelegt und die
internationale Diskussion zu EU- und weltweiten
Regelungen für die neuen Dienste maßgeblich
mitbestimmt. Die moderne Ausgestaltung des Gesetzes
hat auch zu einer breiten Akzeptanz neuer Medien in
Deutschland geführt. Damit wurden verlässliche
rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter und Nutzer
geschaffen. Wie der Ihnen im letzten Jahr vorgelegte
Evaluierungsbericht zum Informations- und
Kommunikationsdienste-Gesetz zeigt, hat sich ein
grundlegender Novellierungsbedarf hierzu bisher nicht
ergeben. Es wurde aber auch deutlich, dass in einzelnen Regelungsbereichen, insbesondere beim Verbraucherschutz
und beim Jugendschutz, gesetzlicher Anpassungsbedarf
besteht, um die Akzeptanz der neuen Dienste auf der
Nutzerseite zu erhöhen und die Bedingungen für die Informationsgesellschaft in diesem Bereich zu verbessern.
Hier möchten wir also neue Akzente setzen.
Im Datenschutz müssen die verschiedenen Regelungen besser aufeinander abgestimmt und damit mehr
Transparenz für die Anbieter geschaffen werden.
({4})
Wir wollen den Ordnungsrahmen für Information,
Kommunikation und Medien mit Blick auf die Globalisierung der Märkte und die Konvergenz der einzelnen
Branchen fortentwickeln. Hierzu werden wir in Gespräche mit den Ländern eintreten, um unter Wahrung der
jeweiligen Kompetenzen einen zukunftsfähigen Rechtsrahmen zu erarbeiten.
Die Bundesregierung will die Zahl der MultimediaUnternehmen deutlich steigern und vor allem kleinen
und mittleren Unternehmen den Einstieg in den elektronischen Geschäftsverkehr erleichtern. Hierzu werden
wir unter anderem die Beratung und Information von
kleinen und mittleren Unternehmen durch die „Kompetenzzentren Elektronischer Geschäftsverkehr“ fortsetzen.
({5})
Ferner wollen wir Anreize für eine neue Gründerwelle,
zum Beispiel mit dem „Gründerwettbewerb Multimedia“, schaffen. Die innovativen Unternehmen wollen wir
mit einem jährlichen Internet-Preis auszeichnen, der
erstmals auf der CeBIT 2000 vergeben wird.
({6})
Wir wollen die Verbreitung neuer Technologien
durch eine intelligente Regulierungspolitik fördern. Innovationen in der Telekommunikation sollen größtmögliche Entfaltungsspielräume enthalten. Für die dritte Generation Mobilfunk, UMTS, mit der auch das drahtlose
Internet möglich wird, wollen wir die Lizenzvergabe in
diesem Jahr durchführen.
Mit unserem Aktionsprogramm haben wir eine
Grundlage geschaffen, auf der auch andere Initiativen
aufbauen können. Die Diskussionen mit der Wirtschaft
und den Gewerkschaften im Rahmen des „Bündnisses
für Arbeit“ sowie die anlaufenden Projekte der im Juli
mit maßgeblicher Unterstützung des Bundeskanzlers gestarteten Initiative „Deutschland 21 - Aufbruch in das
Informationszeitalter“ sollen hier zusätzliche Impulse
erhalten.
Wir haben auch deutlich die Chancen herausgestellt,
die mit der Anwendung der neuen Technologien in Gesellschaft und Staat für Bürgerinnen und Bürger verbunden sind. Hierzu zählen zum Beispiel innovative
Anwendungen im Gesundheitswesen und in der Verkehrstelematik sowie die Verbesserung der Qualität
staatlicher Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger
und gerade auch für Unternehmen etwa durch die elektronische Steuerverwaltung.
Die Politik der Bundesregierung zielt ferner darauf
ab, die Potenziale auszunutzen, die mit der Entwicklung
und Einführung der neuen Technologien für eine
ökologische Modernisierung verbunden sind.
Hier greift das Aktionsprogramm wesentliche Vorschläge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für den
verstärkten Einsatz von Multimedia für Umweltschutz
und nachhaltige Entwicklung auf.
Die Herausforderungen der Informationsgesellschaft
werden wir aber nur meistern, wenn wir mit einer modernen Bildungs- und Forschungslandschaft einen
kompetenten Umgang mit den neuen Medien und der
Umwandlung von Information in Wissen sicherstellen;
({7})
denn - das ist vielleicht die größte Aufgabe, die wir alle
zusammen meistern müssen - es darf auf lange Sicht
keine Spaltung der Gesellschaft in Menschen mit Zugang zu den neuen Informations- und Kommunikationsangeboten und in jene geben, die nicht im Netz sind.
({8})
Dazu müssen wir alle Chancen wahrnehmen, die mit
der Anwendung der neuen Technologien in Gesellschaft
und Staat im Sinne eines lebenslangen Lernens für Bürgerinnen und Bürger verbunden sind. Wir müssen dafür
sorgen, dass die Ressource Wissen wirklich zunimmt,
und unser Bildungswesen für die dynamischen Entwicklungen unserer Gesellschaft fit machen. Meine Kollegin
Bulmahn hat mit dem „Forum Bildung“ hier einen guten
Anfang gemacht.
Die umfangreichen Initiativen und Maßnahmen zur
Förderung der Nutzung der neuen Medien auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene hat die Bundesregierung auch in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion „Zur Nutzung und Anwendung der neuen Medien in Deutschland - Chancen
in der Informationsgesellschaft“ nochmals ausführlich
dargestellt.
Mit der erfolgreichen Bewältigung des Jahr-2000Problems sind wir sicher in das 21. Jahrhundert gestartet. Lassen Sie mich an dieser Stelle allen, die bei der
Bewältigung dieses Problems bzw. bei der Vorbereitung
zur Bewältigung dieses Problems mitgewirkt haben,
herzlich danken.
({9})
Trotz der teilweise Katastrophen voraussagenden Prognosen ist der Erfolg wegen der Vorbereitung zur Bewältigung dieses Problem, die die Bundesregierung - im
Gegensatz zu der einen oder anderen laut gewordenen
Kritik - still und effizient zusammen mit allen relevanten Gruppen insbesondere in der Wirtschaft und in der
Verwaltung mit vorangetrieben hat, letztendlich so eingetreten, dass alle Katastrophenprognostiker eines Besseren belehrt wurden. Ausdrücklich noch einmal einen
herzlichen Dank an alle, die die Vorbereitungsarbeit geleistet haben, und im Übrigen an alle, die sich in dieser
Nacht in Bereitschaft gehalten haben.
({10})
Wir sind also nun im 21. Jahrhundert angekommen.
Es wird das Informations- und Wissenszeitalter werden.
Jetzt gilt es, die Chancen der neuen Medien in einer Innovationspartnerschaft zwischen Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft entschlossen zu nutzen.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Martin Mayer.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Weg ins
neue Jahrhundert ist der Weg in die Informationsgesellschaft. Die Stellung Deutschlands in der Welt und die
Wirtschaftskraft Deutschlands werden im Wesentlichen
davon abhängen, wie wir diesen Weg in Deutschland
gestalten. Das wäre Anlass genug, eine Debatte im
Deutschen Bundestag zu führen, die wahrlich mehr Zuhörer verdient. Der unmittelbare Anlass dieser Debatte
aber sind drei Dokumente, die die Bundesregierung vorgelegt hat.
Das erste Dokument ist der Evaluierungsbericht
vom Juni zum Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz von 1997. Man kann die Äußerung der
Bundesregierung ganz kurz folgendermaßen zusammenfassen: Die Bundesregierung prüft und sie wird weiter
prüfen. - Es finden sich nur marginale Änderungsvorschläge zu diesem Gesetz, das ja die frühere Koalition
auf den Weg gebracht hat. Man kann sagen, dass dies
ein sehr großes Kompliment an die unionsgeführte Regierung ist, die dieses Gesetz damals gegen den teilweisen Widerstand der SPD durchgesetzt hat.
({0})
Zum zweiten Dokument. Zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSUFraktion kann man nur sagen: Welche Antwort! Um die
entscheidenden Fragen drückt sich die Bundesregierung
herum.
({1})
Ich will mich deshalb überwiegend mit dem dritten
Dokument auseinandersetzen, nämlich mit dem Aktionsprogramm der Bundesregierung „Innovation und
Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21.
Jahrhunderts“.
({2})
- Warten Sie ab. - In diesem Papier hat die Bundesregierung ihre Ziele und Aktionen festgelegt. Herr Bundesminister, Sie haben ja wenigstens schon eine Aussage, die ich zitieren möchte, korrigiert. In dem Aktionsprogramm steht nämlich der Satz zu lesen - ich zitiere -:
Die Vision der Bundesregierung für die Zukunft ist,
Deutschland in der Informationswirtschaft in eine
europaweite Spitzenposition zu bringen.
({3})
Da kann ich nur sagen: Das ist der Anspruch auf die
zweite Liga. Wir müssen weltweit eine Spitzenstellung
einnehmen.
({4})
Bei den konkreten Zahlen wird es noch viel schlimmer. Sie haben folgende Aussage heute wiederholt - ich
zitiere -:
Steigerung des Anteils der Internetabonnentinnen
und -abonnenten an der Gesamtbevölkerung von
9 % im Jahr 1999 auf über 40 % bis zum Jahr 2005
...
Erst in fünf Jahren will die Bundesregierung den heutigen Stand der USA, Schwedens und Finnlands erreichen. Das ist ein „Anspruch“ Deutschlands auf das
Schlusslicht! So können wir doch nicht weitermachen,
das muss korrigiert werden!
({5})
Bei den bescheidenen Ansprüchen der Bundesregierung
ist es ja kaum verwunderlich,
({6})
dass sie in einer ganz entscheidenden Frage schweigt.
Ich will dazu etwas sagen, weil dieses Thema wegen
der vielen amerikanischen Ausdrücke sehr schwer zu
verstehen ist.
({7})
Die Zahl der Internetanschlüsse in Deutschland könnte
man sprunghaft erhöhen. Laut Statistischem Jahrbuch
1999 hat im Jahr 1998 die Hälfte aller Haushalte der
durchschnittlich verdienenden Vier-Personen-Haushalte
von Angestellten und Arbeitern einen PC. Alle diese
Haushalte haben auch einen Telefonanschluss. Warum
gehen sie nicht online? Sie gehen deshalb nicht ins Netz
der Netze, weil in Deutschland immer der Telefongebührenzähler tickt, und da kann natürlich jemand, der
Kinder hat, nicht sagen: „Ich lege mir einen Internetanschluss zu“, und hat nachher eine monatliche Telefonrechnung von 200 bis 300 DM. Wir haben uns ja leider
daran gewöhnt, dass der Fernseher entweder eine Monatspauschale kostet oder, wie beim Privatfernsehen,
kostenlos ist,
aber dass beim Internetzugang ständig der Gebührenzähler Minute für Minute tickt. In den USA, in Kanada, in
Australien, in Neuseeland ist das anders.
({8})
- Seit langem.
({9})
In Österreich, in Schweden und in Großbritannien beginnt sich das zu ändern. Bloß bei der Bundesregierung
herrscht Schweigen.
({10})
- Es zeigt Ihre Geisteshaltung, dass Sie in dieser
schnelllebigen Zeit immer zurückblicken, statt sich mit
der Zukunft zu befassen.
({11})
Auch bei uns in Deutschland muss es eine bezahlbare
Monatspauschale für den Internetzugang, und zwar zu
einem Preis von deutlich unter 100 DM, geben. Erst
dann kann ein Durchbruch gelingen.
Es ist unglaublich, dass die Bundesregierung zu diesem Thema - weder Sie, Herr Müller, in Ihrer Rede heute, noch in dem Aktionsprogramm - einen einzigen Satz
sagt. Wenn sich die Bundesregierung politisch endlich
für eine Monatspauschale einsetzen würde, dann könnte
die Regulierungsbehörde auch durchsetzen, dass der
Monopolist dem Internetprovider einen entsprechenden
Tarif anbieten muss.
Ich sage Ihnen eines: Mit einer solchen Maßnahme
würden Sie mehr erreichen als mit allen Ihren anderen
Maßnahmen, die Sie genannt haben. Sie brauchten dann
das Sonderprogramm für die Schulen nicht. Die Kinder
und Jugendlichen hätten dann nicht nur die Möglichkeit,
in der Schule im Internet zu surfen, wenn sie einmal
drankommen. Vielmehr könnten sie es zu Hause tun, anstatt in den Fernseher zu glotzen. Da könnten Sie einmal
aktiv werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Internet
wird gegenwärtig vorrangig zur Informationsbeschaffung genutzt. Dies ändert sich zunehmend, weil der elektronische Handel in den Vordergrund rückt. Die
Zahlen sind genannt worden. Der Umsatz in Deutschland wächst nach Schätzung der Bundesregierung von
2,6 Milliarden DM im vergangenen Jahr auf 94 Milliarden DM im Jahre 2002. Deshalb müssen wir alles tun,
um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Ein
Schwachpunkt ist ja noch die Sicherheit der Bezahlung
der Leistungen über das Netz. Dazu meine ich: Es ist
angebracht, dass die Bundesregierung mit großem
Nachdruck die Umsetzung der Europäischen Richtlinie
für digitale Signaturen betreibt.
Es gibt noch andere Rahmenbedingungen, hinsichtlich derer Rechtsbereiche an die Erfordernisse des Netzes angepasst werden müssen, wie etwa beim Datenschutz, beim Urheberrecht, beim Steuerrecht, im Zivilund Strafrecht, im Handelsrecht, im Jugendschutz und
beim Schutz der Menschenwürde. Dazu haben wir von
der Bundesregierung allerdings außer Ankündigungen
nicht sehr viel gehört.
Bei diesen Gesetzesänderungen kommt es vor allem
darauf an, dass das Netzwerk der Regelungen nicht verdichtet wird, sondern es muss ausgedünnt werden. Nirgendwo im Aktionsprogramm steht der Satz, der eigentDr. Martin Mayer ({12})
lich ein entscheidender Satz ist, dass man Regelungswerke ausdünnen muss.
({13})
Im Gegenteil: Es wird ein neues Gesetz, das Arbeitnehmerdatenschutzgesetz in einer Materie vorgeschlagen,
die viel leichter durch Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gelöst werden könnte.
Das zögerliche Handeln der Bundesregierung bei der
Umsetzung der Rechtsvorschriften ist schon schlimm
genug, aber noch schlimmer ist die Ignoranz der Bundesregierung bei den Erfordernissen des Wandelns im
Arbeits- und Sozialrecht. Immer mehr Menschen müssen im Laufe eines Arbeitslebens den Arbeitgeber, das
Unternehmen, wechseln. Immer mehr Menschen wechseln in die Selbstständigkeit und wieder zurück. Da war
doch die Gesetzgebung zur Scheinselbstständigkeit absolut kontraproduktiv.
({14})
Statt neuen Grenzen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern brauchen wir Brücken. Der Übergang von einer Form zur anderen muss erleichtert werden. Zwischenstufen sind gefordert.
({15})
Hier brauchen wir auch in der Sozialgesetzgebung Kreativität.
Ein wesentliches Hemmnis für die Informations- und
Kommunikationsdienste in Deutschland ist der Mangel
an qualifizierten Arbeitskräften. Die Bundesregierung
spricht in ihrem Bericht von 75 000 fehlenden Fachkräften in diesem Sektor.
({16})
Hier genügen Absichtserklärungen, wie sie im „Bündnis
für Arbeit“ gegeben werden, nicht. Hier darf nicht
gekleckert, hier muss geklotzt werden.
({17})
Wenn in diesem Jahr schon zusätzliche Milliarden DM
an die Bundesanstalt für Arbeit ausgegeben werden,
dann müssen sie in diesem Sektor schwerpunktmäßig
eingesetzt werden.
Völlig unverständlich ist auch, dass die Bundesanstalt
für Arbeit eine neue Dienstanweisung plant, die es Akademikern von außerhalb der EU praktisch verbietet, in
der Informations- und Kommunikationsbranche in
Deutschland zu arbeiten. Statt wie geplant Deutschland
abzuschotten, müssen wir Deutschland für diese Triebkräfte und den Motor der Entwicklung, die neue Arbeitsplätze nach sich ziehen, öffnen. Wir müssen es so
wie die USA machen, die Arbeitskräfte aus der ganzen
Welt an sich ziehen. Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, diese Dienstanweisung sofort zu korrigieren.
Insgesamt wirkt das Aktionsprogramm der Bundesregierung blutleer. Man gewinnt den Eindruck, dass die
Bundesregierung in der Internetgemeinde nicht zu Hause ist. Herr Bundesminister Müller, wenn ich Ihre Rede
gehört habe, dann frage ich mich, ob Sie wirklich schon
einmal selbst im Netz gesurft haben.
({18})
Die neuen Möglichkeiten zum interaktiven Kontakt
und zum direktem Dialog mit den Bürgern werden
zwar im Aktionsprogramm am Rande erwähnt, aber die
Bundesregierung scheint das nicht sehr zu schätzen. Wie
könnte es sonst sein, dass mich Briefe aus der ganzen
Republik erreichen,
({19})
- E-Mails, natürlich -, dass mich E-Mails aus der ganzen Republik erreichen, die beklagen, dass die Bundesregierung auf E-Mails keine Antwort gibt. Ja selbst in
Foren im Netz, wo Fragen der Politik diskutiert werden
und
({20})
die Bundesregierung um eine Stellungnahme gebeten
worden ist, erfolgt nach vier Wochen, Herr Mosdorf,
immer noch keine Antwort. Ich kann Ihnen das nachher
geben. Sie sollten diesen Dialog tatsächlich einmal führen. Die einzige Reaktion der Regierung ist Schweigen.
Mit dieser Reaktion schadet sich die Regierung selbst.
({21})
Dialog und Interaktivität sind im Vergleich zu den
herkömmlichen Medien das Neue im Internet. Sie bringen eine neue Qualität in die Beziehung zwischen Politik und Bürgern. Da reicht es nicht aus, nur vom Dialog
zu reden, man muss ihn auch führen, Herr Bundesminister.
Ich habe in Vorbereitung zu dieser Debatte eines
festgestellt: Es gibt in der Netzgemeinde viele Menschen, die sich ein enormes Fachwissen angeeignet haben und die auch gern bereit sind, dies den Politikern
mitzuteilen und es weiterzugeben. All diesen begeisterte
Ehrenamtlichen sage ich von dieser Stelle aus ein herzliches Wort des Dankes für ihre Arbeit und für ihren
Einsatz.
({22})
Insgesamt enthält das Aktionsprogramm auch eine
Reihe von Erfolg versprechenden Maßnahmen. Das ist
kein Wunder. Es knüpft doch an viele Maßnahmen an,
die die alte Regierung bereits auf den Weg gebracht hat.
({23})
Allerdings fehlen dem Programm der Schwung und die
Leitprojekte,
Dr. Martin Mayer ({24})
({25})
die eine Aufbruchstimmung erzeugen könnten. Das
hängt wohl auch damit zusammen, dass es in der Bundesregierung eine unglückliche Zuständigkeitsverteilung
gibt.
(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]
Ich fordere daher die Bundesregierung auf, die Kräfte zu
bündeln.
Aber noch wichtiger ist - Herr Bury, sagen Sie es
dem Herrn Bundeskanzler -: Internetpolitik muss Chefsache sein. Sie kann nicht aus der zweiten oder dritten
Reihe bestimmt werden, nur von ganz oben, von der
Spitze.
({26})
Auch da, meine ich, kann Berlin von München lernen.
({27})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die nächste Rednerin
aufrufe, möchte ich Ihnen bekannt geben, dass wir auf
Antrag der CDU/CSU-Fraktion von 14 Uhr bis 15 Uhr
eine Sitzungsunterbrechung haben. Der Ältestenrat wird
auf 15 Uhr einberufen.
Nun fahren wir in der Debatte fort. Die Abgeordnete
Margareta Wolf hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Mayer, ich möchte
kurz einige Punkte aus Ihrer Rede aufgreifen. Sie haben
gesagt, das Internet müsse Chefsache sein. Das ist es bei
dieser Regierung. Der Bundeswirtschaftminister hat
hierzu gesprochen.
({0})
Ich darf Sie daran erinnern, dass in Ihrer Zeit erst ein
Ministerium lediglich in den letzten Monaten im Internet
war, und zwar das BMBFT. Ich darf Sie daran erinnern,
Herr Mayer, dass der heute schon oftmals hier erwähnte
Chef der ehemaligen Regierung in einer prominenten
Talkshow einmal die Datenautobahn mit dem Bundesverkehrswegeplan verwechselt hat und eine halbe Stunde nicht realisiert hat, dass es um das Netz ging.
({1})
- Ich beschäftige mich mit der Zukunft.
Sie sagen, das Aktionsprogramm sei blutleer. Herr
Mayer, Sie sollten etwas dazu sagen, warum gerade die
Produktionsumsatzzahlen bis 1998 im Bereich der neuen
Technologien ganz weit hinten in Europa lagen. Seit Anfang 1999 steigen die Zahlen wieder.
({2})
Wir lagen ganz hinten, nur noch vor Schweden und Italien. Langsam steigt die Produktion wieder.
Sie müssen auch etwas dazu sagen, warum die Zahl
der Internet-abonnenten 1998 bei 9 Prozent lag. Inzwischen liegt sie bei über 10 Prozent. Dieser gewisse Attentismus, dem wir jetzt zu begegnen haben, ist nicht auf
uns zurückzuführen. Ich weise ungern nach hinten zurück, aber wenn Sie sagen, dies sei alles blutleer, sollten
Sie die Prozesse hier auch nicht ganz geschichtslos beurteilen, meine Damen und Herren.
({3})
Wir wissen alle, dass die Entwicklung der Informationstechnologien einer der Motoren, wenn nicht sogar
der entscheidende Motor für die Globalisierung ist. Die
Unternehmen kooperieren und konkurrieren heute weltweit. Im Netz wird die vollständige Markttransparenz zu
geringen Informationskosten Realität. Der Wettbewerbsdruck unter den Unternehmen erhöht sich rasant.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, vorhin wurde auf das Thema hingewiesen, das von Ihnen gerne
immer wieder bemüht wird, nämlich die Scheinselbstständigkeit und den Rückgang bei den Gründungen. Ich
empfehle dringend heute einen Blick in die „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“, Herr Mayer. Dort steht, dass es im
letzten Quartal 1999 64 000 Neugründungen im Bereich der wissensbasierten Dienstleister gegeben hat. Mit
diesen Zahlen machen wir deutlich, dass wir uns zügig
auf dem Weg von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft bewegen. Wir sind auf einem sehr, sehr
guten Weg. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.
Deutschland ist heute einer der größten Märkte bei
der Software, bei den Netzen, bei der Hardware und in
der Unterhaltungselektronik. Entscheidend wird es in
den nächsten Jahren darauf ankommen, dass Deutschland nicht nur verkauft, sondern dass in Deutschland
auch vermehrt produziert wird.
({4})
Die neue Bundesregierung hat unter der Federführung
des Wirtschaftsministers nach Regierungsübernahme
sehr schnell und sorgfältig ein umfassendes Aktionsprogramm zur Gestaltung des Weges in die Informationsgesellschaft erarbeitet.
Herr Mayer, wenn Sie sich einmal die Fachpresse anschauen, stellen Sie fest, dass dieses Programm eine sehr
positive Resonanz hat. Darüber können wir glücklich
sein, und zwar alle zusammen.
Meine Fraktion meint, dass mit diesem Aktionsprogramm der Tatsache Rechnung getragen wurde, dass
der informationstechnischen Kompetenz tatsächlich
eine Schlüsselrolle bei der Wettbewerbsfähigkeit der
Dr. Martin Mayer ({5})
deutschen Wirtschaft zukommt. Ziel unserer Politik ist
es, die Chancen der neuen Technologien für mehr Beschäftigung, mehr Selbstständigkeit, mehr Information
und mehr Partizipation und somit für ein zukunftsfähiges, ökologisches, modernes Wirtschaften zu nutzen.
Wir glauben, Aufgabe des Staates ist es, den Ordnungsrahmen für die neuen Medien zu gestalten, faire
Chancen für den Zugang zu diesen Medien für alle zu
garantieren sowie Qualifikation und lebenslanges Lernen auch für die heute niedrig Qualifizierten zu ermöglichen, um die schon angesprochene Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden. Für uns ist dies ein ganz zentraler
Punkt bei der Gestaltung der Informationsgesellschaft.
Darüber hinaus ist es Aufgabe von Politik, den Ausbau der notwendigen Infrastruktur zu gewährleisten, einen funktionierenden Wettbewerb sicherzustellen, die
ökologische Zukunftsfähigkeit der Informationsgesellschaft zu erreichen und den Wettbewerb, unter anderem
der Hochschulen, zu ermöglichen. Eine wichtige Voraussetzung für lebenslanges Lernen und die Kooperation
zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, gerade zur Verbesserung der Chancen der Informationsgesellschaft, ist,
dass wir die Rahmenbedingungen für eine Durchlässigkeit zwischen Hochschulen und Wirtschaft schaffen. Dies ist ein ganz zentraler Punkt, um die Wettbewerbsfähigkeit des Bildungsstandortes Deutschland zu
verbessern und die Voraussetzungen dafür zu schaffen,
dass die Menschen in unserem Land die neuen Technologien als Chance begreifen und nicht als Risiko.
({6})
Wir alle wissen, dass derjenige oder diejenige, der
oder die im Internet recherchiert, besser informiert ist
als diejenigen, die das nicht tun. Die Person, die recherchiert, hat auch bessere Bildungschancen in unserem
Land. Wir meinen, dass diese Bildungschancen nicht
ausschließlich den Akademikerinnen und Akademikern
vorbehalten bleiben dürfen. Eines der zentralen Ziele der
Grünen und auch der Bundesregierung ist es, allen Menschen der Gesellschaft den Zugang zum Netz zu erleichtern und sie dabei zu unterstützen, es sinnvoll zu nutzen.
Wir finden es gut, dass die Bundesregierung heute sagt,
dass sie bis 2005 eine Nutzerquote von 40 Prozent erreichen wolle.
({7})
Ich prognostiziere, dass wir die Nutzerquote von
40 Prozent wesentlich schneller erreichen werden.
Voraussetzung für die weitere Verbreitung des Internets - das wissen wir alle - ist allerdings auch die Entwicklung der Leistungsfähigkeit der Netzzugänge und,
Herr Mayer, natürlich der Preise.
({8})
- Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass der Telefonzähler ständig tickt. Erstens hat er schon vor dem
27. September 1998 getickt und zweitens hat er damals
sogar schneller getickt. Sie hätten hier einmal sagen
können, warum das Glasfaserkabelnetz der Telekom
noch nicht verkauft ist. Dies ist die zentrale Voraussetzung dafür, dass die Preise tatsächlich sinken können.
({9})
Sie sagen immer, wir sollten in die Zukunft schauen.
Wir tun das und regeln relativ schnell, dass die Preise
sinken. Damit wird die Voraussetzung dafür geschaffen,
dass es einen breiteren Zugang zum Internet gibt und das
Internet nicht nur ein Exklusivangebot für gut ausgebildete Leute ist.
({10})
Der Preis ist dafür eine zentrale Voraussetzung, verehrter Herr Kollege Mayer.
Eine weitere Voraussetzung für die Ausbreitung des
elektronischen Handels, des E-Commerce, ist allerdings auch die Sicherheit. Wir freuen uns darüber, dass
das Bundeskabinett am 2. Juli 1999 beschlossen hat,
dass Verschlüsselungsprodukte und -verfahren in
Deutschland künftig ohne Beschränkung hergestellt,
vermarktet und genutzt werden können.
({11})
Herr Mayer, das hätte schon viel früher geregelt werden
können. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Bundesregierung aktiv die Verbreitung kryptographischer Verfahren unterstützt.
({12})
Ein Nebeneffekt der technologischen Entwicklung ist
- darauf möchte ich in diesem Kontext hinweisen -,
dass das eine oder andere nationale Gesetz durch die
Unabhängigkeit des Raumes im Netz perspektivisch obsolet wird. Dies betrifft meiner Meinung nach aufgrund
der Existenz von E-Commerce das Rabattgesetz.
({13})
Das Netz bietet aber auch, wie ich finde, erhebliche
freiheitsfördernde Elemente. So ist es zum Beispiel China bis heute nicht gelungen, das Netz zu kontrollieren.
({14})
Herr Kollege Mayer, während des Kosovo-Krieges haben wir ebenso gelernt, dass es selbst der Führung in
Belgrad nicht gelungen ist, zu unterbinden, dass die Opposition im ehemaligen Jugoslawien mit uns hier kommuniziert hat.
({15})
Margareta Wolf ({16})
Es wurden E-Mails ausgetauscht. Insofern denke ich,
dass das Internet keine blutleere Veranstaltung ist. Das
Internet hat ein Potenzial, das weltweit Freiheit und Demokratie fördert.
Ich glaube darüber hinaus, dass die Entwicklung der
Informations- und Kommunikationstechnologien grundlegende Veränderungen der Produktion und der Struktur
der Unternehmen, aber auch der öffentlichen Verwaltung nach sich ziehen wird, wenn dies nicht schon erfolgt ist. So haben wir es heute in denjenigen Unternehmen, die diese Kommunikationsmöglichkeiten nutzen,
mit dezentralen Entscheidungsstrukturen zu tun. Zudem kommt es zu Gruppenarbeit und flachen Hierarchien. Dies alles wäre ohne diese Technologien nicht
möglich gewesen. Heute kann man dezentral und flexibel entscheiden, gleichzeitig aber zentral über alle notwendigen Informationen verfügen.
Diese Entwicklung verändert die Unternehmenskultur
in Deutschland hin zum Positiven, sprengt veraltete Hierarchiekonzepte und führt zu höherer Produktivität und
mehr Verantwortung in den Unternehmen. Dies ist eine
Entwicklung, die wir unterstützen.
({17})
Gleichzeitig bieten die neuen Medien erhebliche Potenziale gerade für Existenzgründer. Heute wird „seed
capital“ bzw. „venture capital“ vor allen Dingen über
das Netz verbreitet. Darüber hinaus wird der gesamte
Problemkomplex der Generationennachfolge bei kleinen
und mittleren Unternehmen relativiert, weil man heute
im Netz so etwas wie einen Marktplatz findet, wo sich
potenzielle Unternehmer, die Unternehmen übernehmen
wollen, treffen und sich mit Betrieben bekannt machen,
deren Chef in den Ruhestand gehen will. Ich denke, das
ist eine sehr gute Entwicklung, die gerade den Aspekt
Networking und Kommunikation ganz oben auf die Tagesordnung setzt. Solche Dinge wurden in der Vergangenheit versäumt, was dafür verantwortlich ist, dass wir
heute gerade im Bereich der Unternehmensnachfolge
sehr viel aufzuholen haben.
({18})
Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen,
der mir zentral zu sein scheint und angesichts dessen auf
den Staat erhebliche Aufgaben zukommen, wobei die
Bundesregierung schon heute auf diesem Gebiet Erhebliches leistet. Das ist der gesamte Komplex der Qualifikation und der Weiterbildung, Stichwort: lebenslanges
Lernen. In den letzten Jahren wurden im Bereich der
IuK-Technologien - bei gleichzeitig 4 Millionen Arbeitslosen; wenn ich daran erinnern darf - 75 000 Arbeitsplätze nachgefragt. Das ist ein Zustand, den man
seitens der Politik nur als unverantwortlich bezeichnen
kann. Wir haben - darauf sind wir Grünen stolz - im
"Bündnis für Arbeit" erreicht, dass 40 000 Ausbildungsplätze geschaffen werden. Dies hatte man sich bis zum
Jahre 2003 vorgenommen. Die Schaffung von 40 000
Arbeitsplätzen ist bereits erreicht worden. Darüber sollten wir sprechen, darüber sollten wir uns freuen. Ich
denke, das zeigt, dass wir auf einem guten Wege sind.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Von den Menschen wird in Zukunft wesentlich mehr Flexibilität erwartet, als wir das heute ahnen.
({19})
Sie sollten einmal die amerikanische gesellschaftspolitische Debatte verfolgen. Richard Sennett warnt ja vor
den Flexibilitätsanforderungen, die auf die Menschen
zukommen. Daher sollten wir mit solchen Anforderungen sehr vorsichtig umgehen und gerade deshalb den
Schwerpunkt auf eine qualifizierte Ausbildung legen.
Wir müssen die Menschen in die Lage versetzen, sich
schnell neues Wissen aneignen zu können. Wir sollten
das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken und
sollten gerade wegen der Verunsicherungen, die auf die
Menschen zukommen, perspektivisch eine stabile soziale Grundsicherung herstellen.
Ich glaube, wir befinden uns auf einem guten Weg.
Wir sind gewappnet und wir sind auch im Bildungsbereich wettbewerbsfähig.
Ich danke Ihnen.
({20})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Mayer das Wort.
({0})
Kol-legin Wolf, Sie haben mich mehrfach angesprochen. Ich möchte zunächst etwas richtig stellen: Ich habe
nicht gesagt, dass das Internet blutleer sei, sondern ich
habe gesagt, dass das Aktionsprogramm und die Politik
der Bundesregierung zum Internet blutleer seien.
({0})
Ich möchte aber zur Bewertung des Aktionsprogramms noch andere zu Wort kommen lassen, zum Beispiel „Spiegel Online“ vom 29. Oktober 1999. Der Untertitel lautete:
Trotz vollmundiger Absichtserklärungen fällt der
rot-grünen Bundesregierung zur „Innovation“ wenig Innovatives ein. Ein gerade vorgestelltes „Aktionsprogramm“ beweist allerhöchstens Mut zur Lücke.
Wenn Sie dem „Spiegel“ nicht glauben, will ich einen
Vertreter der Koalition zitieren:
„Es ist eigentlich ganz wie in alten Oppositionszeiten“, meint der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg
Tauss und räumt nur einen geringfügigen Fortschritt ein:
({1})
Margareta Wolf ({2})
„Während ich mit der früheren Bundesregierung zu
30 Prozent einig war, bin ich es heute mit der rotgrünen zu 50 Prozent.“
Das ist ein gewaltiger Fortschritt.
({3})
Ich bin angesprochen worden.
Lieber Kollege Mayer, ich kann Ihnen bestätigen, dass
ich an dieser Stelle korrekt zitiert worden bin. Warum
Sie aber eine Steigerung von 30 auf 50 Prozent für gering halten, ist mathematisch nicht ganz nachvollziehbar.
Ich habe in der Tat deutlich gemacht, dass die alte
Bundesregierung kläglich versagt hat. Wir haben in kürzester Zeit aufgeholt. Ich habe aber auch gesagt - im
Übrigen zu einem Zeitpunkt, als viele der jetzt angesprochenen Initiativen noch nicht auf dem Weg waren -,
dass wir mit 50 Prozent schon viel erreicht haben und
auf dem Weg zu 100 Prozent munter vorwärts schreiten
können. Die weitere Debatte wird zeigen, dass wir dies
tun. Wir werden auch noch ein bisschen Ihre Defizite
beleuchten. Ich freue mich darauf.
Jetzt hat der
Abgeordnete Hans-Joachim Otto das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr
Bundeswirtschaftsminister und Frau Kollegin Wolf, Ihre
selbstzufriedenen und unverbindlichen Worte, so schön
sie gewesen sein mögen, und auch das Aktionsprogramm der Bundesregierung dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Medienordnung in Deutschland
einer sehr grundsätzlichen Reform bedarf.
Das hat sich erst jüngst an einem handfesten Beispiel
erwiesen. Obwohl wir in Deutschland bereits jetzt mit
jährlich fast 13 Milliarden DM das teuerste öffentlichrechtliche Rundfunkprogramm der Welt unterhalten, soll
die Rundfunkgebühr erneut um satte 11,8 Prozent auf
monatlich 31,58 DM erhöht werden. Wen wundert es da,
wenn die Bereitschaft der Bürger, ihre Rundfunkgebühren zu entrichten, drastisch abnimmt? Immer weniger
Menschen verstehen, warum sie jährlich fast 400 DM
für ein Rundfunkangebot zahlen sollen, obwohl sie ein
solches in ähnlicher Form von den privaten Sendern
kostenlos bekommen. Es ist in der Tat inakzeptabel,
dass wir uns ein immer aufwendigeres öffentlichrechtliches Rundfunksystem leisten, ohne endlich dessen
spezifischen Funktionsauftrag und damit die Berechtigung des Gebührenprivileges geklärt zu haben.
Dringenden Reformbedarf gibt es aber auch aufgrund
der Tatsache, dass wir die Anbieter in Deutschland mit
der höchsten Kontroll- und Regulierungsdichte aller
demokratischen Staaten der Welt überziehen. Wir leisten
uns zum Beispiel 15 teure Landesmedienanstalten, dazu
jeweils einen Rundfunkrat bei allen neun ARDAnstalten, dazu einen ZDF-Fernsehrat, dazu eine KEF
und eine KEK, eine Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post usw. Wir dürfen auch nicht länger
hinnehmen, dass sich die Gesetzgebungszuständigkeiten
von Europa, dem Bund und den Ländern geradezu willkürlich überlappen und überschneiden. Mir hat bisher
noch niemand erklären können, weshalb zum Beispiel
für Teleshopping die Länder zuständig sind, für Telebanking aber der Bund und weshalb für die OnlineZeitungen andere Regelungen gelten als für gedruckte
Zeitungen.
Der zentrale Fehler unserer Medienordnung ist es,
dass ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen aus einer
Zeit stammen, als es in Deutschland nur ein einziges
Fernsehprogramm gab, als die Nation also noch gebannt
den Mörder im Durbridge-Krimi suchte, als es die neuen
Mediendienste noch nicht einmal in der Idee gab, vom
Internet ganz zu schweigen. Seit der Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz für den Rundfunk an die Länder
hat sich die Technik geradezu revolutionär verändert. Im
Wege der Konvergenz - das Stichwort ist schon mehrfach gefallen - verschmelzen weltweit Individual- und
Massenkommunikation zu einem medialen Gesamtangebot.
Wir in Deutschland setzen uns über diese technische
Gegebenheit hinweg, solange wir Individual- und Massenkommunikation unterschiedlich regeln. Es ist ein
Kennzeichen dieser skurrilen Situation, dass für ein Internet-Unternehmen in Deutschland bis zu 28 unterschiedliche Aufsichtsgremien und Regulierungsinstanzen zuständig sein können. Diese Überregulierung hat
ihren Preis; der Kollege Mayer hat schon darauf hingewiesen. So haben etwa die skandinavischen Länder
mehr als doppelt so viele Internetanschlüsse pro tausend
Einwohner wie wir, von den USA und Kanada ganz zu
schweigen.
In diesem Zusammenhang noch ein Hinweis, Herr
Mosdorf - Herr Müller ist nicht mehr da -: Meinen wir
wirklich, diesen Rückstand aufholen zu können, indem
wir bald auch noch jeden internetfähigen PC in Deutschland mit einer Rundfunkgebühr belegen?
({0})
Das ist doch skurril. Ich erwarte auch angesichts der
Kompetenzzuweisung - die ich kenne -, dass von der
Bundesregierung Widerstand geleistet wird. Dieser
Rückstand besteht nicht etwa - da wäre es vielleicht
noch verkraftbar - in einem Orchideenbereich; nein, er
besteht ausgerechnet im weltweit am schnellsten wachsenden Wirtschaftsbereich.
({1})
Der Regulierungs- und Kontrollwirrwarr in Deutschland ist ein Investitions- und Innovationshemmnis erster
Klasse. Der Bertelsmann-Chef Middelhoff hat zu Recht
davor gewarnt, dass im neuen Medienzeitalter nicht die
Großen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen fressen. Das gilt auch für Wirtschaftsnationen.
({2})
Dr. Martin Mayer ({3})
Nirgendwo sonst brauchen wir daher den von Roman
Herzog angemahnten Ruck so dringend wie gerade im
Bereich von Medien und Telekommunikation.
({4})
In der Analyse scheinen wir uns in diesem Hause
weitgehend einig zu sein. Auch die Bundesregierung
sieht Handlungsbedarf, wie sich aus ihrer Antwort auf
die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion ergibt. Sie
schreibt dort - ich zitiere -:
... die historisch gewachsene Aufsplitterung der
Aufsichtsbehördenstruktur ... erscheint unübersichtlich und unpraktikabel, da die Medien in technischer und ökonomischer Hinsicht konvergieren und
sich im internationalen Wettbewerb behaupten
müssen. Der Bund und die Länder stehen vor der
Aufgabe, zukunftsfähige Lösungen ... zu finden.
Gut gebrüllt, Löwe! Wir stimmen überein. Aber warum
geschieht jetzt nichts? Das Aktionsprogramm ändert an
diesen Problemen überhaupt nichts.
Exakt vor diesem Hintergrund hat meine Fraktion
jüngst die Einrichtung einer gemeinsamen KonvergenzEnquete von Bundesrat und Bundestag vorgeschlagen.
In dieser wollten wir mit den Ländern die erforderlichen
Konsequenzen aus der Konvergenz der Medien erarbeiten. Es hat sich jedoch erwiesen, dass Sie Ihren hehren
Worten wieder einmal keine entsprechenden Taten folgen lassen. Sie haben sich gegen eine KonvergenzEnquete ausgesprochen und - schlimmer noch - Sie haben keinen Gegenvorschlag unterbreitet, wie der von
uns gemeinsam festgestellte Reformstau aufgelöst werden kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mosdorf?
Wenn Sie
freundlicherweise die Uhr anhalten!
Bitte.
Herr Kollege Otto, ich
wollte Sie - angesichts der Tatsache, dass wir in Bezug
auf die Medienaufsicht tatsächlich Reformbedarf haben,
was die Länder angeht - nur fragen, worauf Sie zurückführen, dass sich in Süddeutschland zwei Sender zwar
zusammengetan haben, dass aber gleichzeitig die beiden
Landesmedienanstalten beibehalten worden sind und
dass die Landesmedienanstalt in Baden-Württemberg
mit einer Person, die aus der CDU-Fraktion stammt, besetzt worden ist. Die F.D.P. ist ja als Koalitionspartner
dort mit in der Regierung. Worauf führen Sie das zurück?
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben offensichtlich übersehen,
dass sich diese Rede nicht nur an die rotgrüne Bundesregierung richtet. Mein Anliegen ist es, einen Fehler im
System zu beseitigen.
({0})
Deswegen haben wir gesagt, wir wollen eine Konvergenz-Enquete von Bund und Ländern.
Dass hier etwas an der Grundstruktur falsch ist, hatte
ich Ihnen bereits zu erklären versucht. Ich glaube, dass
wir in der Analyse auch nicht weit voneinander entfernt
sind. Was ich jetzt aber anmahne - das ist der Sinn meiner Rede vor diesem Hause -, ist, dass wir gemeinsam,
Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen, Bund
und Länder, erkennen, dass es hier einen wirklich dramatischen Rückstand, grundlegende Probleme und einen
Reformstau gibt und wir deshalb tätig werden müssen.
Deswegen verstehe ich nicht - dabei schaue ich alle
Fraktionen dieses Hauses an -, dass wir uns nicht auf eine Konvergenz-Enquete einigen konnten. Diese hätte
Bund und Länder in die Lage versetzt, die Dinge gemeinsam anzupacken.
({1})
Meine Damen und Herren, ich sehe es als einen kleinen Schritt in die richtige Richtung an, wenn wir jetzt in
diesem Haus einen Unterausschuss „Neue Medien“ bilden werden. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber bei weitem noch nicht genug.
Nachdem Ihnen der Mut zu einer KonvergenzEnquete abgegangen ist, werden Sie, Herr Mosdorf, hoffentlich das jüngste Gutachten des wissenschaftlichen
Beirates bei Ihrem Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie als wertvolle und zielführende Anregung
lebhaft begrüßen. In diesem Gutachten weisen die renommierten Wissenschaftler überzeugend nach, dass ein
Großteil der überkommenen Regulierungen und Instanzen ersatzlos entfallen könnte, wenn man Wettbewerbs- und Fusionskontrollen als Gewähr für eine freie
und durch Meinungsvielfalt geprägte Ordnung anerkennen würde, wie es im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht bei der Presse bereits getan hat. Hunderte
von Kontrolleuren bei den Landesmedienanstalten und
anderen Behörden ließen sich durch wenige Wettbewerbshüter beim Kartellamt ersetzen.
Völlig zu Recht kritisiert der wissenschaftliche Beirat
die Expansionsstrategie und Vormachtstellung der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu Lasten eines funktionierenden Wettbewerbs. Völlig zu Recht schlägt der
wissenschaftliche Beirat vor, die Finanzierung von ARD
und ZDF durch Werbung zu beenden. Völlig zu Recht
fordert der wissenschaftliche Beirat, dass die historische
Kompetenzzuweisung des Grundgesetzes für den Rundfunk der technischen Entwicklung anzupassen ist.
Herr Mosdorf, Bund und Länder sollten gemeinsam
vorgehen. Es wird möglicherweise sogar zu verfassungsrechtlichen Anpassungen kommen. Meine Rede richtet
Hans-Joachim Otto ({2})
sich nicht nur an zwei Fraktionen dieses Hauses, sondern an wesentlich mehr.
Meine Damen und Herren, dieses wegweisende Gutachten stammt nicht etwa aus der Giftküche der F.D.P.,
nein, es kommt von einem Beraterkreis Ihrer Bundesregierung. Loben wir also den Herrn Bundesminister
Dr. Müller, sagen wir ihm, dass er einen hoch qualifizierten Beirat hat, dessen Empfehlungen unsere volle
Unterstützung und vor allem unsere Umsetzungen verdienen.
({3})
Bund und Länder, alle Fraktionen dieses Hauses tragen gemeinsam Verantwortung. Schaffen wir endlich
eine offene Medienordnung für Deutschland!
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angela Marquardt.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Bundesregierung hat ein Aktionsprogramm zur Informationsgesellschaft vorgelegt
und auch die CDU hat mit ihrer Großen Anfrage gezeigt, dass sie dem Thema „Neue Medien“ eine große
Rolle beimisst. Ich denke, sie tut das mit Recht; denn die
rasante Entwicklung im Bereich der elektronischen Medien hat unsere Gesellschaft verändert und wird das
auch weiterhin tun. Zurzeit wird jedoch das Tempo allein von der Wirtschaft bestimmt. Die politische sowie
die juristische Begleitung dieses Prozesses kann da
kaum Schritt halten.
Die tatsächlichen Auswirkungen dieser Veränderungen auf den Arbeitsmarkt sind nur wenig bekannt. Verschiedene Studien kommen zu völlig verschiedenen Ergebnissen. Die ausnahmslos positive Sicht, die in diesem
Aktionsprogramm der Bundesregierung zum Ausdruck
kommt, kann in ihrer Undifferenziertheit meines Erachtens nur als bewusste Täuschung der Öffentlichkeit bezeichnet werden.
Es ist nicht zu leugnen, dass durch die neuen Technologien Arbeitsplätze besonders für qualifizierte Kräfte
entstehen. Gleichfalls ist klar - Herr Mosdorf betont das
immer wieder -, dass die meisten Chancen auf neue
Stellen dort gegeben sind, wo besonders innovativ geforscht und produziert wird. Dennoch führt die technologische Entwicklung letztlich zu Ratio-nalisierungen in
allen Bereichen und damit netto zum Arbeitsplatzabbau.
Im Technologiebereich ist die Entwicklung eben ambivalent. Eine Studie der Zeitschrift „Capital“ kam zu
dem Ergebnis, dass durch die zunehmende Vernetzung
zwischen den Unternehmen in den nächsten zwei Jahren
100 000 Jobs verloren gehen. Trotz hoher Zuwachsraten
bei den Umsätzen ist die Zahl der Beschäftigen bei den
deutschen Herstellern von Elektronik und Informationstechnik rückläufig. Das hat eine Studie des BMBF „Dienstleistungen als Chance“ - zutage gebracht. Es
muss in meinen Augen aufhören, dass den Bürgerinnen
und Bürgern die IuK-Branche als Wunder bringende
Jobmaschine verkauft wird. Das ist einfach nicht wahr.
({0})
- Ich komme dazu.
Ein weiteres Problem sehe ich - auch das wurde hier
schon angesprochen - im Bildungsbereich. Die schlechte Ausbildungssituation führt dazu, dass viele qualifizierte Stellen unbesetzt bleiben. Auf die neuen Anforderungen sind weder Schulen noch Universitäten - ich bin
zurzeit selber in einer Universität - und Betriebe wirklich vorbereitet. Währenddessen setzt die Bundesregierung ausschließlich auf Privatisierung. Hier kündigt sich
der langsame Rückzug des Staates aus der Bildung an.
Sie kündigen großspurig die Ausstattung von Schulen
mit Computern an, überlassen die Umsetzung aber zum
Teil der Wirtschaft. Eine Schule, die für Sponsoren nicht
interessant genug ist, hat also Pech gehabt. Es gibt kein
interessenfreies Sponsoring; das wissen Sie genauso gut
wie ich. Eine Zukunft hat nur, wer da mitziehen kann.
Die Gesellschaft droht immer mehr - das haben Sie auch
schon gesagt, Kollege Tauss - in User und Loser zu zerfallen.
({1})
Richtig finde ich die Einstellung der Bundesregierung
zur Kryptographie, also der Datenverschlüsselung. Hier
hat sich - auch auf Druck der Wirtschaft; das muss man
sagen - die Vernunft durchgesetzt. Allerdings fehlt nach
wie vor eine klare Absage an so genannte Key-Recovery-Maßnahmen, deren Einsatz Sie sich vorbehalten
haben. Die Sicherung des Datenschutzes ist eine der
ganz großen Herausforderungen der nächsten Jahre. Jede
Verharmlosung der Risiken muss verhindert werden. In
der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU
schreibt die Bundesregierung, das Vertrauen aller Beteiligten in die Sicherheit der technischen Systeme sei die
wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung der Informationsgesellschaft. Nein, Kolleginnen und Kollegen, Vertrauen ist in diesem Fall genau die falsche Tugend. Sensibilisierung für die datenschutzrechtlichen
Gefahren verlangt einen kritischen und skeptischen Umgang mit den neuen Medien.
({2})
Es darf kein Vertrauen in Systeme geben, ohne dass sie
tatsächlich sicher sind.
Weil es in diesem Zusammenhang auch immer um
den Jugendschutz geht, lassen Sie mich dazu Folgendes
sagen: Ich denke, hier muss zunächst eine grundsätzliche Diskussion darüber geführt werden, wovor Kinder
und Jugendliche, aber auch Erwachsene - mit welchen
Mitteln geschützt werden müssen. Eines steht für mich
jedenfalls fest: Filtersoftware, wie sie immer wieder
propagiert wird, führt letztlich zu einer umfassenden
Hans-Joachim Otto ({3})
Zensur im Netz. Gerade bei Internetzugängen an Schulen oder in öffentlichen Einrichtungen können mit solchen Filterprogrammen die Bewegungsräume im Netz
wesentlich eingeschränkt werden. Und wer maßt sich
eigentlich an, zu beurteilen, wer was sehen darf und wer
was nicht sehen darf?
({4})
Auch die viel gepriesene freiwillige Selbstkontrolle
ist in meinen Augen keine Lösung. Nehmen wir als Beispiel nur die Selbstverpflichtungserklärung des Vereins
„Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia e. V.“, dem
auch die Telekom und Microsoft angehören. Dort wendet man sich gegen Inhalte, die zur sittlichen Gefährdung von Kindern und Jugendlichen geeignet sind oder
leidende Menschen in ihrer Würde verletzen. Die
Verbreitung von rassistischer Propaganda ist jedoch explizit nicht aufgenommen worden. Hieran sieht man
ganz deutlich den willkürlichen Charakter solcher Maßnahmen. Was wir brauchen, ist eine Debatte über Inhalte. Zensur muss - das ist eine Aufgabe der Demokratie überflüssig gemacht werden.
({5})
Darum ist eine Diskussion um neue Methoden der Zensur, so denke ich, wenig zweckdienlich.
Ich bin auch immer wieder verwundert, mit welchem
Ehrgeiz das Thema Jugendschutz im Zusammenhang
mit neuen Medien diskutiert wird. Jedoch geht die Gefahr nicht vom Internet aus, sondern von einzelnen Menschen oder gesellschaftlichen Gruppen, die das Internet
als ein weiteres Mittel für ihre Gewalt verherrlichenden,
rassistischen oder sexistischen Publikationen nutzen.
Nicht gegen das Internet, sondern gegen sie sollte sich
unser Engagement richten.
({6})
Ich komme jetzt noch zur Medienordnung und zu
dem Antrag der F.D.P. Die zunehmende Konvergenz der
Technologien ist unbestreitbar, ebenso, dass dies eine
neue Form der Regulierung im Medienbereich notwendig macht. Allerdings bedeutet dies, neue Regulierungsinstrumente zu schaffen, und nicht - wie es die F.D.P.
wünscht -, jede medienspezifische Regulierung abzuschaffen. Wenn es nach Ihnen ginge, dann würden allein
die Marktgesetze über die Medienordnung bestimmen.
Ihr Parteifreund Martin Bangemann hat das ja schon
1994 deutlich gemacht - ich zitiere -:
Die Schaffung der Informationsgesellschaft in Europa sollte dem Privatsektor und den Marktkräften
überlassen werden.
({7})
Genau in diese Kerbe stößt auch das in Ihrem Antrag
so hoch gepriesene Gutachten „Offene Medienordnung“.
Es handelt sich dabei um ein Plädoyer für die völlige
Deregulierung des privaten Rundfunks und um einen
Frontalangriff auf die öffentlich-rechtlichen Anbieter.Jener wissenschaftliche Beirat, der dieses Gutachten
gemacht hat, stellt das System des dualen Rundfunks
grundsätzlich infrage und verkennt, dass dieses System
nicht ein Zufall der Geschichte, sondern politisch und
gesellschaftlich gewollt gewesen und auch heute noch
gewollt ist. Rundfunk ist nicht einfach nur ein Marktsegment, sondern erfüllt eine gemeinwohlorientierte
Aufgabe als Kultur- und Informationsvermittler. Rundfunk ist ein fester Bestandteil der Demokratie.
Schon eher kann ich dem Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes in Sachen Medienordnung
zustimmen. Die Dreiteilung der Angebote in Teledienste, Mediendienste und Rundfunk kann nur eine
Interimslösung sein. Angesichts der sich ständig wandelnden Medienlandschaft ist zurzeit nur ein entwicklungsoffener Weg denkbar.
Die von Bund und Ländern gemeinsam entwickelte
Struktur aus Mediendienste-Staatsvertrag, Telekommunikationsgesetz und Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz ist sicher nicht der Weisheit letzter
Schluss. Dennoch weist sie eindeutig in eine andere
Richtung als die Vorstellung der Deregulierungslobby.
Das ist in meinen Augen gut so. Auch wird diese Regelung eher dem föderalen Charakter unseres Mediensystems gerecht, obwohl das angesichts der Konvergenzprozesse tatsächlich immer schwieriger wird.
Eine Debatte um künftige Regulierungsmodelle
lässt sich jedenfalls nicht dadurch ersetzen, dass man
einfach unter dem Vorwand der nationalen Wettbewerbsfähigkeit alles Bestehende über den Haufen
wirft. Eine Enquete-Kommission, wie die F.D.P. sie anstrebt, hätte vielleicht unsere Unterstützung gefunden,
wenn nicht so leicht durchschaubar wäre, welchen
Zweck Sie damit verfolgen. An der Abwicklung des dualen Rundfunksystems wird sich die PDS jedenfalls
nicht beteiligen.
({8})
Zum Schluss noch ein Satz zu dem SPD/GrünenAntrag zu „Strategie für eine Nachhaltige Informationstechnik“. Das Roadmapping-Verfahren, welches Sie
vorschlagen, ergibt insofern einen Sinn, als dass die
IuK-Branche natürlich am besten die Entwicklung in ihrem Bereich einschätzen kann. Die Frage ist nur: Was
soll dabei herauskommen? Können Sie sich ernsthaft
vorstellen, dass die Wirtschaft selbst Standards für eine
nachhaltige Entwicklung formuliert, wenn das ihren Profit beeinträchtigt?
({9})
Man sollte so ein Verfahren ausprobieren. Auch das findet wirklich meine Zustimmung. Aber wenn die praktischen Ergebnisse zu gering sind - davon gehe ich aus -,
wird letztlich doch der Gesetzgeber aktiv werden müssen.
({10})
Man kommt nicht darum herum, doch Druck auszuüben,
damit auch dort Nachhaltigkeit Einzug findet.
({11})
Danke.
({12})
Wir unterbrechen jetzt, wie gesagt, die Sitzung für eine Stunde. Um
15 Uhr werden dann die Sitzung und die Debatte fortgesetzt.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir setzen die unterbrochene Sitzung mit
der Beratung zum Tagesordnungspunkt 4 - neue Medien
und Gestaltung der Informationsgesellschaft - fort.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Wolf-Michael Catenhusen.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt uns
heute angesichts der Tatsache, dass Politik im Rahmen
einer elektronischen Mediendemokratie betrieben wird,
und angesichts des Überangebots an Informationen, das
manchmal vielleicht aus aktuellen Gründen produziert
wird, nicht immer leicht, zu beherzigen, dass wir als Politiker auch in Zeiten wie diesen Verantwortung haben,
Informationen auszuwählen und die Themen in den
Vordergrund zu rücken, deren Erörterung der Sicherung
der Zukunft unseres Landes dient. Deshalb reden wir
heute zu Recht über den Wandel der Industriegesellschaft zur Informations-, Bildungs- und Wissensgesellschaft sowie über die damit verbundenen Chancen und
Risiken, die sicherlich bestehen. Aber es ist Zeit, dass
wir nicht nur darüber reden, sondern dass die Bundesregierung und die Regierungskoalition mit neuem Tempo
und mit neuer Zielgenauigkeit einen aktiven Beitrag zur
Gestaltung des Wandels zur Informations- und Bildungsgesellschaft leisten.
({0})
In den Industrieländern lebt heute schon jeder zweite
Erwerbstätige von Tätigkeiten, deren Grundlage überwiegend Daten und Informationen sind. Wir müssen uns
darauf einstellen, dass schon bald 80 Prozent aller
menschlichen Tätigkeiten auf der Sammlung, auf dem
Umgang und auf der Verwertung von Informationen
sowie auf der Anwendung von Wissen beruhen werden.
Damit ist klar, dass die Informationswirtschaft eine der
zukunftsträchtigsten Branchen für Wachstum und Beschäftigung gerade in Deutschland darstellt und dass wir
als Politikerinnen und Politiker in besonderer Weise
auch Verantwortung dafür tragen, die Chancen entschlossen zu nutzen, die damit verbunden sind.
Nach der mutigen Rede des Kollegen Mayer möchte
ich deutlich sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der CDU/CSU, die Begrifflichkeit bezüglich Wissensgesellschaft und Globalisierung haben Sie
in den letzten Jahren durchaus eingeübt. Aber die Frage
ist, was die alte Koalition insgesamt dafür getan hat, ihre
Verantwortung für die Sicherung der Zukunft der IuKBranche wahrzunehmen.
({1})
Herr Mayer, wenn bis zur Regierungsübernahme
durch uns im Bundeskanzleramt das Prinzip „Rohrpost
statt Intranet“ galt, wenn die Rohrpost offenkundig das
wichtigste Kommunikationsnetz im Kanzleramt war und
wenn etwa der Einsatz von E-Mail unbekannt war, dann
verrät dies sehr viel darüber - das ist kein Wunder -,
wie groß der Modernisierungsrückstand der alten Koalition etwa im Vergleich zu der Staatskanzlei in München
war. Das muss man deutlich sagen.
({2})
- Nein, Sie als Bundespolitiker hätten etwas davon lernen können und hätten sich mit glänzenden Augen überlegen müssen, welchen Nachholbedarf Sie damals in
Bonn und heute in Berlin hatten.
Die Informationswirtschaft droht bei uns an die
Grenzen ihres Wachstums zu stoßen, weil sie unter einem dramatischen Mangel an qualifizierten Fachkräften leidet. Nach jüngsten Schätzungen fehlen uns mindestens 75 000, vielleicht auch 100 000 IuK-Fachkräfte,
weil die alte Bundesregierung nicht vorgesorgt hat, vor
allem weil sie nicht in der Lage war, ein Konzept der
Förderung der Informationstechnologien einzubinden in
ein Konzept der Gestaltung der Informationsgesellschaft, mit dem Forschungsförderung mit besonderen
Anstrengungen bei Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung strategisch verknüpft war.
Es war richtig, dass die neue Bundesregierung gleich
nach der Regierungsübernahme dieses Problem angepackt hat. Ich füge hinzu: Wir haben mit der gemeinsamen Federführung von Wirtschaftsministerium und Ministerium für Bildung und Forschung ein Zeichen dafür
gesetzt, dass eine technologische Entwicklung, die alle
Bereiche unserer Gesellschaft erfasst, auch als Querschnittsaufgabe in der Politik, das heißt ressortübergreifend, angenommen und aufgenommen werden muss.
Das Ministerium für Bildung und Forschung hat im
Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit gemeinsam mit den Sozialpartnern und den Bundesländern eine Reihe von Maßnahmen vereinbart, mit denen der Fachkräftemangel reduziert und die Qualifikationsstrukturen auf allen Ebenen verbessert werden.
({3})
Wir haben damit eine gute Chance, nicht nur die gegenwärtigen Lücken schnell zu schließen; vielmehr wollen wir damit auch dazu beitragen, dass junge Menschen
qualifizierte und zukunftssichere Arbeitsplätze finden.
Wir haben beispielsweise im Juli in dieser Arbeitsgruppe und ebenso im Wirtschaftsministerium vereinbart,
dass die Anzahl der Ausbildungsplätze im IT-Bereich
bis zum Jahr 2003 verdreifacht wird.
Es ist sehr gut, dass die Dynamik, die in diesem Bereich gerade im letzten Jahr sehr stark zugenommen hat,
uns schon heute die Aussage möglich macht: Wir sind
optimistisch, dass wir die Vereinbarungen vom Sommer
letzten Jahres, was den Zeitablauf angeht, sehr viel
schneller erfüllen können, als es noch im Sommer unsere Hoffnung war. Das ist ein gutes Zeichen und es zeigt,
dass etwa durch die Initiative D 21 eine breite Mobilisierung aller Verantwortlichen zum Abbau des
IT-Fachkräftemangels im Gange ist.
({4})
Angesichts aller ermutigenden Entwicklungen des
letzten Jahres möchte ich Ihnen, Kollege Mayer, Folgendes sagen: Wenn Sie wie ich seit fünf oder sechs
Jahren Internet-Nutzer wären und den Markt aufmerksam verfolgten, dann wüssten Sie zum Beispiel, dass
man solche Gesamtangebote im Bereich Internet - Tarife von 100 DM im Monat - auf dem deutschen Markt
schon findet.
({5})
Vielleicht haben auch Sie es schon einmal festgestellt.
Man muss deutlich feststellen, dass bei der Verbreitung und der Nutzung des Internets und moderner multimedialer Anwendungen andere Länder die Nase noch
vorn haben. Wir müssen vor allem feststellen, dass in
unseren Bildungseinrichtungen die Möglichkeiten von
Internet und Multimedia sehr viel stärker genutzt werden
müssen. Es ist klar, dass beispielsweise amerikanische
Hochschulen in der Multimedia-Anwendung durch Gesamtkonzepte für Hochschulen der deutschen Entwicklung um Jahre voraus sind und dass sie vor allem schon
seit längerem auch über das Internet ihre Bildungsangebote weltweit vermarkten. Das ist eine Messlatte für die
Entwicklung, die auch unser Hochschulsystem in diesem
Bereich nehmen muss.
({6})
Diese Defizite sind auch ein Ergebnis dessen, dass
die Vorgänger im Amt des Bundesministers für Bildung
und Forschung die Ausgaben auf diesem Gebiet jahrelang heruntergefahren haben. Eine Politik, die Feuerwehr spielt, wenn es brennt, ist manchmal nötig; aber alleine ist sie nicht wünschenswert. Wir brauchen vielmehr eine Politik, die den Wandel von der Industriegesellschaft zur Wissenschaftsgesellschaft vorausschauend
und aktiv gestaltet.
Unter unserer Verantwortung geht es um weitere
Grundlagenforschung, um die Entwicklung neuartiger
Anwendungen und um deren umfassende Nutzung. Es
geht aber auch um die Verklammerung der Förderung
von technischen Entwicklungen mit Fragen der Qualifizierung und Bildung; denn die Fähigkeiten und die Fertigkeiten der Menschen sind der entscheidende Faktor
dafür, ob aus elektronisch gespeicherten Daten verwertbare Informationen und vor allem Wissen werden. Deshalb brauchen wir eine Gesamtstrategie. Im Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ setzen wir uns
politische Ziele und laden alle Verantwortlichen, alle
Akteure ein, an der Realisierung dieser Ziele mitzuarbeiten.
({7})
Damit gibt es erstmals ein umfassendes Gesamtkonzept
für den Weg in die Informationsgesellschaft. Ich will aus
dem Bereich des BMBF einige Bausteine dazu vortragen.
Wir sind sehr zuversichtlich, dass schon im nächsten
Jahr bei uns alle Schulen, beruflichen Ausbildungsstätten und Weiterbildungseinrichtungen mit multimediafähigen PCs und Internetanschlüssen ausgestattet sind.
An unseren Hochschulen werden wir den Einsatz der
neuen Medien mit einem speziellen Förderprogramm
„Multimedia an den Hochschulen“, das in Absprache
mit den Ländern vorbereitet wird, unterstützen.
Wir müssen auch aufmerksam verfolgen, was sich
beim Umgang mit Wissen wie etwa Fachinformationen
tut. Wir müssen rechtzeitig Visionen entwickeln, wie
etwa im Zeitalter von Multimedia die Bibliothek der
Zukunft aussehen könnte, konkrete Wege zur Weiterentwicklung etwa von Fachinformationssystemen aufzeigen und uns vor allem auch überlegen, wie wir weiterhin den Zugang gerade von öffentlichen Einrichtungen zu diesen Informationen kostengünstig sichern können.
({8})
Die Informationsgesellschaft ist eine Bildungsgesellschaft. Wenn wir den vor uns liegenden Strukturwandel
sozialverantwortlich meistern wollen, dann müssen wir
Sorge dafür tragen, dass alle Menschen die gleichen
Chancen haben, in diese Gesellschaft integriert zu werden. Das ist die Aufgabe aller Einrichtungen des Bildungssystems, auch schon der Grundschulen. Von entscheidender Bedeutung sind dafür neue medienpädagogische Konzepte und der Einsatz von Bildungssoftware
mit hoher fachlicher und didaktischer Qualität. Deshalb
wird unser Haus spezielle Anstrengungen unternehmen,
um die Entwicklung und den Einsatz von Bildungssoftware zu fördern. Wir wollen durch ein neues Förderprogramm neue Impulse auch zur Qualitätsverbesserung von Bildungssoftware in Deutschland geben.
({9})
Es geht aber nicht nur um das technische Verständnis
der Nutzung von Hard- und Software, es geht vor allen
Dingen um die Fähigkeit, mit Informationen kompetent
umzugehen. Ich denke, dass über diesen Punkt hier im
Hause Einigkeit besteht.
({10})
Medienkompetenz muss deshalb zu einem zentralen
Bildungsinhalt werden, um allen die Chance zu geben,
aus der immer größer werdenden Informationsflut das
für sie relevante Wissen zu gewinnen. Chancengleichheit im Multimediazeitalter muss dadurch realisiert werden, dass wir nicht nur Zugang zum Wissen, sondern
auch noch Qualifikationen vermitteln, damit jeder aus
den Informationen das für seine Entwicklung wichtige
und relevante Wissen gewinnen kann.
Es macht Sinn, dass wir in unserem Hause Forschungsanstrengungen etwa zur Weiterentwicklung von
Suchmaschinen unternehmen, um eine benutzerfreundliche Suche nach für einen selbst relevanten Informationen zu ermöglichen. Neue Technologien zur Suche nach
relevantem Wissen sind auch ein Beitrag dazu, um genau diesen gesellschaftspolitischen Auftrag zu erfüllen.
Dazu gehört natürlich auch, dass wir dafür sorgen,
dass wir bei den technologischen Grundlagen der Informations- und Bildungsgesellschaft nicht an Boden verlieren, sondern unsere Position sichern und weiter ausbauen. Wir werden auch weiterhin unseren Beitrag zum
Erhalt einer bei der Entwicklung und dem Bau wichtiger
Schlüsselkomponenten wettbewerbsfähigen informationstechnischen Industrie am Standort Deutschland leisten. Dabei können wir die Anregung der Koalitionsfraktionen aufgreifen, mit einer Strategie der nachhaltigen
Informationstechnik in Zusammenarbeit mit der informationstechnischen Industrie und anderen dafür zu
sorgen, das Potenzial, das die Informations- und Kommunikationstechnik für eine nachhaltige Entwicklung
unserer Industriegesellschaft insgesamt bereithält, stärker zu nutzen. Ein zentraler Punkt ist für uns dabei auch
die Entwicklung der nächsten Internet-Generation. Wir
wollen sicherstellen, dass bis zum Jahr 2005 mobile
Kommunikationssysteme mit Zugriffsmöglichkeiten auf
multimediale Dienste zu jeder Zeit und an jedem Ort zur
Verfügung stehen. Der drahtlose breitbandige Internetzugang wird bei uns schon im Jahr 2002 möglich sein.
Wir brauchen natürlich insgesamt eine moderne und
leistungsfähige Forschungslandschaft, wenn wir die
Chancen der Informationsgesellschaft nutzen wollen.
Die Zusammenführung der Großforschungseinrichtungen Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung
und Fraunhofer-Gesellschaft ist eine wichtige forschungspolitische Weichenstellung, denn wir schaffen
damit die größte Forschungsorganisation in der Informations- und Kommunikationstechnik mit über 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Europa. Damit erreichen wir eine neue Qualität und eine neue kritische
Masse, durch die sichergestellt wird, dass auch weiterhin
Forschungsanstrengungen zur Weiterentwicklung von
Techniken und Dienstleistungen für Wirtschaft und
Bürgerinnen und Bürger am Standort Deutschland unternommen werden können.
Meine Damen und Herren, mit dem Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ haben wir ein Angebot zur Kooperation mit Wissenschaft, Gewerkschaften und Industrie begonnen. Wir wollen diese Diskussion fortsetzen und werden sie bei der Verwirklichung der
von uns vorgestellten Aktionsfelder auch verstärken.
Das heißt, dieses Aktionsprogramm ist die Grundlage
für weitere Verabredungen und für gemeinsame Maßnahmen. Es ist ein Angebot an die gesellschaftlichen
Gruppen, die Informations- und Bildungsgesellschaft
aktiv mitzugestalten. Die Gestaltung der Informationsgesellschaft ist Aufgabe aller gesellschaftlichen Gruppen. Der Staat hat hier die Aufgabe, aktive Beiträge zu
leisten, aber auch neue Vernetzungen der Akteure zu
ermöglichen, Kräfte zu bündeln und insoweit eine lebenswerte Gesellschaft zu verwirklichen.
Danke schön.
({11})
Für die CDU/CSUFraktion spricht nun der Kollege Bernd Neumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn fünf Tagesordnungspunkte miteinander verbunden sind, besteht die
Schwierigkeit darin, dass man möglicherweise thematisch aneinander vorbeiredet, wenn man sich auf einen
Tagesordnungspunkt konzentriert. Kollege Catenhusen
hat eben zur nachhaltigen Informationstechnik gesprochen. Ich möchte mich auf den F.D.P.-Antrag „Offene
Medienordnung für Deutschland verwirklichen“ konzentrieren, der sich fast ausschließlich mit der Frage der
Zukunft des Rundfunksystems befasst.
({0})
Dass alles miteinander zusammenhängt, ist richtig; aber
ich setze hier den Schwerpunkt meiner Ausführungen.
Ein Beirat des Wirtschaftsministeriums, bestehend
aus dreißig hochkarätigen Ökonomen, hat, wie bereits
gesagt, zur zukünftigen Medienordnung in Deutschland
Stellung genommen. Die F.D.P. beantragt nun, die Aussagen dieses Gutachtens sozusagen eins zu eins umzusetzen. Natürlich ist es zu begrüßen, dass wir uns mit
dieser Thematik befassen - dies ist sogar zwingend -;
denn auch für den Rundfunk, ob privat oder öffentlichrechtlich, haben Stichworte wie Digitalität und Konvergenz ungeheure Folgen. Insofern ist dieses Gutachten
eine gute Grundlage. Viele Aussagen teilen wir, manche
- im Gegensatz zur F.D.P. - nicht.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte sieben Punkte
aus diesem Gutachten herausgreifen:
Erstens. Eine wichtige Aussage dieses Gutachtens ist,
dass die Rundfunkordnung in Deutschland für Hörfunk und Fernsehen überholt und untauglich sei und daParl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
her ein radikaler Umbau erfolgen müsse. Diese Position
teilen wir nicht. Das duale System, also das Nebeneinander von privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk, für das wir die Grundlagen gelegt und geworben
haben, ist vom Prinzip her positiv zu sehen. In Deutschland insgesamt haben wir ein vielfältiges, differenziertes
Angebot von Hörfunk und Fernsehen. Hinsichtlich der
Informationsbreite kann man sogar sagen, dass wir im
Vergleich mit anderen Ländern in der Spitzengruppe
liegen.
Natürlich stellt sich die Frage, Herr Otto, wie wir die
Schnittstellen zu anderen Bereichen der Medien im
Rahmen von Multimedia regeln. Insofern ist Ihre Forderung richtig, hierfür eine Enquete-Kommission mit dem
Thema Konvergenz einzusetzen. Auch sind immer wieder Anpassung und Deregulierung insbesondere für den
privaten Bereich des Rundfunks richtig und wichtig.
Dies geschieht ja durch dauernde Veränderungen des
Rundfunkstaatsvertrages, wenn auch manchmal sehr
schleppend. Aber dies alles rechtfertigt nun nicht einen
radikalen Umbau dieses öffentlich-rechtlichen Systems
in Verbindung mit den Privaten. Im Übrigen besteht
auch keinerlei Chance zur Realisierung; darauf komme
ich gleich.
Zweitens. Die nächste Forderung lautet, aufgrund der
wachsenden Kompetenz des europäischen Wirtschaftsrechtes müsse man den Rundfunk in die wirtschaftsrechtliche Ordnung des Bundes integrieren. Anders ausgedrückt: Den Ländern soll hierfür die Zuständigkeit
genommen werden und der Bund soll die alleinige Zuständigkeit haben.
Natürlich wäre es im wirtschaftlichen Wettbewerb
manchmal hilfreich, sofort mit einer Sprache sprechen
zu können. Bloß: Diese Forderung ist bar jeder Realisierungschance, egal in welche politische Richtung Sie sehen. Die Zuständigkeit für den Rundfunk liegt bei den
Ländern. Alle Länder wollen das einvernehmlich - aus
ihrer Sicht verständlicherweise - nicht ändern. Ich füge
hinzu, Herr Kollege Otto: Vielleicht ist dies auch gut so;
denn der Föderalismus im Rundfunkbereich hat aufgrund des Wettbewerbs durchaus für Vielfalt im Angebot für den Zuschauer gesorgt.
({2})
Weil es eben unterschiedliche Ebenen gibt, müssen wir
uns die Mühe machen, zwischen Bund und Ländern die
unterschiedlichen Verantwortlichkeiten auszutarieren.
Herr Kollege Catenhusen, der alten Bundesregierung
und der alten Koalition ist es im Hinblick auf den Multimedia-Bereich mit der Schaffung des Informationsund Kommunikationsdienste-Gesetzes einerseits, welches die Zuständigkeit des Bundes betrifft, und dem parallel dazu verabschiedeten Mediendienste-Staatsvertrag
andererseits gelungen, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der immer wieder überprüft werden muss. Die Anzahl der verschiedenen Gremien ist zwar sehr groß. Aber
wir haben einen Ordnungsrahmen geschaffen, der notwendig war, um für Investoren eine gewisse Sicherheit
zu gewährleisten, und um den uns andere vergleichbare
Industrienationen zumindest in einigen Teilen beneiden.
Drittens. Es wird gefordert, dass für den Erhalt der
Meinungsvielfalt im Medienangebot keine medienrechtliche Regulierung mehr erforderlich sei. Wir sollen vielmehr alles, auch den privaten Rundfunk, ausschließlich von der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs
abhängig machen. Das bedeutet, dass im Hinblick auf
die privaten Rundfunkmedien wie für alle anderen Wirtschaftszweige nur die Missbrauchsaufsicht und die Fusionskontrolle des Kartellrechts angewendet werden sollen.
Es ist völlig unstrittig, dass einige Medienprobleme
bereits mit einer konsequenten Anwendung des Kartellrechts gelöst werden können. Richtig ist auch, dass im
Rundfunkbereich eine Reihe von Sektoren überreguliert
ist und dass man dem Markt mehr Einfluss überlassen
lassen kann als bisher. Aber Markt und Wettbewerb allein sind als Bezugsgrößen nicht ausreichend, um hinsichtlich der Qualität und Quantität des Rundfunks, also
der Entwicklung hin zu sehens- und hörenswerten Programmen, einen angemessenen Rahmen zu bilden.
({3})
Rundfunk ist mehr - ich spreche jetzt nicht von Multimedia; ich spreche vom privaten und vom öffentlichrechtlichen Rundfunk - als nur normales Wirtschaftsgut
und mehr als pure Ware, ganz abgesehen davon, dass es
für diesen Bereich eine verbindliche Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts gibt. Wenn ich sehe, wie in
manchen Talkshows bereits am Nachmittag zum Teil
Menschen verachtende, menschenfeindliche und zum
Teil auch von Rohheit und Gewalt geprägte Beiträge
vermehrt gezeigt werden - im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk, aber auch und insbesondere im privaten Bereich -,
({4})
dann wird für mich daran deutlich, dass Rundfunk und
Fernsehen doch noch andere Kriterien erfüllen müssen
als nur die des Kartellrechts wie beim Verkauf von Textilien und Zahnpasta. Es gibt noch andere Kriterien,
nämlich die des Pluralismus, der Menschenwürde und
des Jugendschutzes. Das ist eben mehr als nur Kartellrecht.
({5})
Herr Kollege Neumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Otto?
Das wird
mir nicht von der Redezeit abgezogen?
Nein.
({0})
Bernd Neumann ({1})
Herr Kollege Neumann, Sie haben die Vorschläge des Beirates
abgelehnt.
Nicht so
voreilig. Ich komme noch zur Zustimmung.
Insbesondere die Zuständigkeit des Kartellamtes, die notwendig
ist, um einen funktionierenden Wettbewerb in diesem
Bereich zu ermöglichen, haben Sie sehr skeptisch gesehen. Ihre Begründung war, es handele sich beim Rundfunk nicht um ein normales Wirtschaftsgut wie Zahnpasta oder andere Güter. Das war Ihre These.
Meine Frage ist: Sind Sie denn wirklich der Auffassung, dass beispielsweise unser sehr vielfältiges und
qualitätsvolles Angebot an Printmedien ein Wirtschaftsgut wie zum Beispiel Zahnpasta ist? Wie rechtfertigen
Sie in einer veränderten Medienlandschaft die Tatsache,
dass wir für Rundfunk etwas völlig anderes vorsehen als
für die Printmedien Zeitungen und Zeitschriften?
Eine weitere Frage: Warum gilt für Online-Zeitungen
etwas völlig anderes als für die gedruckten Zeitungen?
Meines Erachtens passt das vorne und hinten nicht zusammen. Ist es wirklich weiterführend, wenn Sie sagen,
dass Rundfunk kein Wirtschaftsgut wie Zahnpasta sei?
Der Wettbewerb gilt auch für andere Wirtschaftsgüter
als Zahnpasta.
Herr Kollege Otto, ich kenne das Argument mit den Printmedien.
Das ist so nicht vergleichbar. Warum ist es nicht vergleichbar? Der gesamte Printmedienbereich, historisch
gewachsen, befindet sich im normalen privatwirtschaftlichen Wettbewerb. Ich habe von einer Rundfunkordnung geredet, die bisher durch das duale System gekennzeichnet ist: auf der einen Seite der öffentlichrechtliche Rundfunk und auf der anderen Seite der private Rundfunk. Will ich aber in Richtung Printmedien
gehen, so bedeutet das zwangsläufig, dass ich zunehmend alles privatisiere und damit die eine Säule des dualen Systems, nämlich die des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks, am Ende liquidiere, und dies möchte ich
nicht. Ich möchte im Prinzip das duale System erhalten.
({0})
- Ich komme noch auf die Punkte, wo wir völlig einer
Meinung sind. - Wenn ich dies möchte, dann muss es
bestimmte Kriterien geben, die in etwa auch Wettbewerbschancengleichheit herbeiführen.
Wenn Sie mich nun zu einem weiteren Punkt des
Gutachtens kommen lassen. In diesem Gutachten heißt
es: Der öffentliche Rundfunk soll reduziert werden, auf
ganz bestimmte Aufgaben beschränkt werden, und er
soll zum Teil privatisiert werden. - Hier ist ein Punkt,
wo wir uns sehr nahe kommen und wahrscheinlich auch
sehr nahe sind. Ich bin im Übrigen gegen eine Teilprivatisierung. Den Vorschlag, das ZDF zu privatisieren,
halte ich für nicht angemessen, weil das die Ausgewogenheit in der einen Säule, nämlich der öffentlichrechtlichen, verändern würde.
({1})
Aber ich finde, wir müssen die Diskussion führen, inwieweit all das, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk
in seiner Quantität bietet, mit Grundversorgung zu tun
hat. Dieser Diskussion muss man sich stellen. Hierzu
sage ich, der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sich in
den letzten Jahren ausgebreitet wie eine Krake.
Eine Beschränkung auf eine kulturelle Nischenfunktion wäre allerdings auch nicht angemessen. Es ist richtig, dass zur Grundversorgung auch qualitative Angebote gehören, nicht nur in der Kultur, sondern auch im Bereich der Information, der Unterhaltung und auch des
Sports. Aber eine permanente Ausdehnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, so wie wir sie jetzt gehabt
haben oder wie wir es jetzt sehen, mit dem Ergebnis,
dass originäre Aufgaben wie Kulturangebote entweder
liquidiert oder in späte Abendstunden verlegt werden,
das kann nicht vernünftig sein.
({2})
Meine Damen und Herren, wir haben im öffentlichrechtlichen Fernsehen zwei nationale Volksprogramme,
acht dritte Fernsehvollprogramme, zwei Spartenkanäle,
zwei europäische Satellitenprogramme; wir haben jetzt
zusätzlich den Bildungskanal Alpha, wir haben den
Theaterkanal des ZDF. Wenn Sie in das neue KEFGutachten schauen, dann stellen Sie fest, dass die Sendeleistung von ARD und ZDF von 1992 bis 1997 um
65,8 Prozent, die Zahl der öffentlich-rechtlichen Programme im Hörfunkbereich von 46 auf 58 und die Sendeleistung im öffentlich-rechtlichen Hörfunkbereich um
30,4 Prozent gestiegen ist, und dies, während wir gleichzeitig ein sehr umfangreiches Angebot im privaten Bereich haben. Diese Expansion ist auch mit ein Grund für
die aus meiner Sicht uns wahrscheinlich bevorstehende
eklatante Gebührenerhöhung von über 10 Prozent. Deswegen sage ich: Diese Entwicklung muss der Bürger bezahlen. Dies alles darf nicht und kann nicht unter
„Grundversorgung“ eingeordnet werden. Wenn dies so
weitergeht, gefährdet es das Gleichgewicht im dualen
System. Deswegen sage ich: Hier müssen wir zu einer
Änderung kommen. Diese Entwicklung müssen wir
bremsen.
({3})
Ich füge hinzu, wir werden diese Entwicklung, nicht
durch mehr Selbstregulierung der Anstalten selbst bremsen, sondern nur wenn wir den Mut haben, in der Politik
im Rahmen eines so genannten Funktionsauftrages letztlich auch in Staatsverträgen zu beschreiben, was öffentlicher Rundfunk kann und nicht kann, im Sinne eines
zukunftsträchtigen dualen Systems.
({4})
Eine weitere Forderung, die ich teile, ist: Keine Werbefinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks,
weil sie den Wettbewerb verfälscht! Wir treten dafür
ein, mindestens mittelfristig private Programme durch
Werbung, öffentlich-rechtliche durch Gebühren zu finanzieren. Nun ist mir klar, dass dies nicht sofort zu machen ist, aber man muss es schrittweise anstreben.
Ein erster Schritt zu dieser Funktionsaufteilung wäre die
Abschaffung des Sponsoring, die ja klar getarnte Werbung ist.
Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung,
dass ein Programm ohne Werbung, die in Spielfilmen
für die meisten Zuschauer eher störend ist, sogar zu einem Markenartikel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
werden könnte. Damit würde gleichzeitig, wenn wir das
erreichen, ein ordentliches Gleichgewicht zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern hergestellt.
Lassen Sie mich in einem weiteren Punkt etwas zu
den verschiedenen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren und den verschiedenen Gremien sagen - der
Kollege Otto hat sie zu Recht angesproche - 15 Landesmedienanstalten, die KEK, die Regulierungsbehörde,
das Kartellamt. Es gibt unterschiedliche Forderungen.
Vonseiten der SPD wird, so von Herrn Mosdorf, gefordert, alle 15 Landesmedienanstalten zu einer zusammenzufassen. Herr Mosdorf weiß genau, dass das, wenn er
es in den Ländern, in denen die SPD regiert, vortragen
würde, nicht durchsetzbar ist. Wenn man am Anfang
wäre, müsste man in derTat die Überlegung anstellen,
ob das nicht sinnvoll wäre. Ich befürchte, obwohl ich
das in der Zielrichtung unterstütze, dass dies mit allen
Ländern leider nicht zu machen ist.
Für abwegig halte ich den Vorschlag, der auch aus
den Reihen der SPD - von Herrn Clement und auch vom
Bundestagspräsidenten Thierse - kommt, zu diesen
Gremien zusätzlich einen Kommunikationsrat zu schaffen. Meine Damen und Herren, das wird ein weiteres
Gremium, eine weitere Bürokratie. Deshalb ist dies abzulehnen.
({5})
Wir sagen: Wenn eine Abschaffung nicht möglich ist
- am ehesten könnte die KEK abgeschafft werden; ich
will das nicht im Einzelnen erläutern, aber diese Aufgabe könnte man dem Kartellamt bzw. den Landesmedienanstalten übergeben -, dann müsste eine stärkere Differenzierung der Regulierungsinstanzen möglich sein.
Wenn nicht fusioniert wird, dann sollte wenigstens koordiniert werden. Dass eine größere Koordination erfolgen muss, ist unstrittig.
Lassen Sie mich zu einem Fazit kommen: Das heutige Ja zum dualen System der Medienordnung kann immer nur eine Momentaufnahme sein. Die Veränderungen im Medienbereich über die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien zur Digitalität
und zum Internet, Konvergenz von Fernsehen, Telefon
mit Internet in einem einzigen Gerät, stellen uns natürlich - das ist auch Ihr Thema - vor eine herausragende
Aufgabe. Wenn man jetzt die Fusionspläne von AOL,
dem Online-Anbieter, und Time Warner, dem Medienkonzern, was auch ein Stück Konvergenz im wirtschaftlichen Bereich ist, sieht, wird deutlich, welche Herausforderung wir zu bewältigen haben. Aber, meine Damen
und Herren, die Politik wird - ich sehe nicht, wie es anders gehen soll - den technologischen Entwicklungen
immer ein Stück hinterherlaufen. Ich teile nicht alle
markigen Sprüche des Staatsministers Naumann, der als
Medienminister jetzt leider nicht mehr dabei ist. Mit einer Aussage hat er aber heute Recht: Wir können nicht
Konsequenzen regulieren, ehe Erfindungen gemacht
werden. Dies bedeutet, die Dinge erst einmal sich entwickeln zu lassen, um dann zu sehen, was an Ordnungsrahmen dringend nötig ist. Hier muss es heißen, den
Ordnungsrahmen so schmal wie möglich und so großzügig wie möglich zu halten, damit sich wirklich etwas
entwickeln kann.
({6})
Zum Abschluss. Dieses Gutachten, welches wir heute
auch zu diskutieren haben, leistet einen wichtigen Diskussionsbeitrag. Lieber Kollege Otto, eine Übernahme
von 1 : 1, wie Sie das vorgetragen haben, kommt für uns
nicht in Frage. Da der Wirtschaftsminister dieses Gutachten vorgestellt hat, da er einen Beirat dafür eingesetzt
hat, der sich dieses Themas angenommen hat, reicht es
nicht aus, dass wir uns mit einer Seite Presseerklärung
des Wirtschaftsministeriums abfinden, sondern ich gehe
davon aus, dass wir dies an den zuständigen Ausschuss
überweisen. Ich gehe davon aus, dass wir dann natürlich
erwarten können, dass die Bundesregierung über diese
eine Seite hinaus zu den verschiedenen Problemen dieses Themas Stellung nimmt.
({7})
Ich glaube, dass wir, wenn wir über unsere Strukturen
sprechen, immer einen realistischen Blick haben müssen, der am föderalistischen System fixiert ist, das wir
haben und das wir unterstützen, der andererseits aber so
fortschrittlich ist, dass wir Innovationen durch übermäßige Regulierungen nicht verhindern.
Vielen Dank.
({8})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Hans-Josef Fell vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologie sind unglaublich vielfältig, spannend
und faszinierend. Die Bundesregierung greift mit ihrem
Aktionsprogramm diese Chancen offensiv auf. Das Internet kann Gebäude durch Websites, es kann Papier
durch Elektronen und es kann Lastwagen durch GlasfaBernd Neumann ({0})
serkabel oder durch Satelliten ersetzen. Produkte können
auf Bestellung produziert und ausgeliefert werden, womit die Herstellung von Produkten, die in Geschäften
liegen bleiben, vermieden und der Einkaufsverkehr verringert werden können.
Die Informations- und Kommunikationstechnologie
ermöglicht potenziell eine Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Energie- und Ressourcenverbrauch. Ein qualitatives Wachstum, welches nicht
auf Kosten von Gesundheit und Umwelt geht, ist möglich, aber einen Automatismus dafür gibt es leider nicht.
Meine Damen und Herren, mit wem reden wir im
Jahre 2020 - mit unseren Mitmenschen oder nur noch
über Handy mit dem Computer? Wo lernen unsere Kinder im Jahre 2020 die Natur kennen - im Internet oder
im Wald? Verehrte Kolleginnen und Kollegen, sosehr
wir die Informations- und Kommunikationstechnik bejahen, es gilt dennoch auch auf die sozialen und ökologischen Aspekte in einer zukünftigen Informationswelt
aufmerksam zu machen und nicht jede machbare Entwicklung blind zu verfolgen.
({1})
Heutige Rahmenbedingungen werden eine nachhaltige Entwicklung bei der IuK-Technik nicht zwangsläufig
fördern. Daher legen die Regierungsfraktionen den Antrag zur Strategie für eine nachhaltige Informationstechnik vor. So bekommt der Aktionsplan der Bundesregierung auch im Sinne der Nachhaltigkeit einen zusätzlichen Pusch, wie Minister Werner Müller heute bereits
bestätigt hat.
Entscheidend hierbei ist zum Beispiel die Verhinderung des Rebound-Effekts. Er besagt im Wesentlichen,
dass jedes technische Potenzial der Dematerialisierung
infolge einer Ausdehnung von Aktivitäten doch höheren
Ressourcenverbrauch schaffen kann. So ist trotz aller
immensen Effizienzgewinne in der Vergangenheit der
Ressourcen- und Energieverbrauch bis zum heutigen
Tag gestiegen. Zum Beispiel hat in einem modernen
Büro trotz E-Mail, trotz Fax, trotz elektronischer Zeitung der Papierverbrauch drastisch zugenommen.
({2})
Die Umweltbilanz zu verbessern, gelingt zum Beispiel durch die Optimierung der technischen Produkte in
diesem Sektor selbst. Hier gibt es erhebliche Verbesserungspotenziale. Über 700 verschiedene Stoffe gehen in
einen PC ein. Obwohl der PC bislang als Grundlage der
angeblich immateriellen und Ressourcen schonenden Informationsgesellschaft gilt, werden dennoch zwischen
16 und 19 Tonnen Rohstoffe zur Herstellung eines einzigen PCs benötigt. Das sind fast zwei Drittel so viel wie
zur Produktion eines normalen Pkw ohne Elektronik.
Ursache ist unter anderem, dass sehr viel Energie in
die Herstellung geht, zum Beispiel für die Reinstluftbedingungen bei der Chipproduktion. Hinzu kommt eine
Menge Energie, die beim Antrieb der Anlagen benötigt
wird. Das Problem wird durch die kurze Nutzungsdauer
von häufig nur drei bis vier Jahren zusätzlich verschärft.
Ich möchte an dieser Stelle ein Beispiel nennen, das
aufzeigt, wie schlechte Rahmenbedingungen Umweltschutz und Arbeitsplätzen gleichzeitig schaden. Bis Mitte der 90er-Jahre waren deutsche Unternehmen bei der
halogenfreien Leiterplatte technologisch führend. Das
Problem war, dass die Preise etwas höher waren als für
das halogenhaltige Pendant. Auf dem Computermarkt
mit seinen engen Margen konnte sich die umweltfreundliche deutsche Technologie daher nicht durchsetzen.
Hätte die alte Bundesregierung gehandelt und halogenhaltige flammgeschützte Leiterplatten verboten oder
wenigstens die Markteinführung der halogenfreien Produkte unterstützt, wären wir nicht nur dieses Umweltproblem los, sondern hätten auch einige tausend Arbeitsplätze mehr. Stattdessen sahen Sie, meine Damen
und Herren von der heutigen Opposition, tatenlos zu.
Nun werfen die mittlerweile führenden Japaner diese
Technologie auf den Markt. Sie wird Erfolg haben, was
für den Umweltschutz gut ist, aber die Arbeitsplätze
werden wohl in Japan entstehen.
Ebenso wichtig wie die Produktion ist die Verwertung des Abfalls. Dort, wo recycelt wird, kann einerseits
das Material wieder in die Produktion einfließen und
können andererseits die gewonnenen Erfahrungen in die
ökologische Entwicklung neuer Produkte eingebracht
werden.
Immer wichtiger wird neben dem PC die Peripherie.
Auch hier gibt es große Chancen. Flachbildschirme
werden mehr und mehr die bekannten Bildschirme mit
ihren Energie fressenden Bildröhren ersetzen. In einem
nächsten Schritt könnten sich visualisierende Brillen
durchsetzen. Auch hier wird die Politik begleiten müssen, damit sich mögliche negative Nebenwirkungen in
Grenzen halten.
Die große Chance der Informations- und Kommunikationstechnologie ist der Einsatz der Technik für eine
nachhaltige Entwicklung in allen Bereichen der Wirtschaft. Es wird aber immer deutlicher, dass nicht die digitale Technik als solche Lösungen liefert, sondern dass
die Rahmenbedingungen, in die sie eingebettet ist, entscheidend sind. Darüber hinaus muss ein Erkenntnisgewinn wirklich in reales Handeln umgesetzt werden.
Ich möchte nur einige Beispiele nennen. Ohne Hochleistungscomputer gäbe es keine aufwendigen Klimamodelle. Der Computer selbst ist aber nutzlos, wenn die
Politik nicht zum einen umfangreiche Mittel für die
Klimaforschung ausgibt und zum anderen dann die Erkenntnisse tatsächlich in eine vorsorgende Klimaschutzpolitik umsetzt.
Ein zweites Beispiel. Die Organisation einer dezentralen Energieversorgung und die Steuerung des Energieverbrauchs über die Ausrichtung an einem natürlichen solaren Energieangebot ist dank der IuK-Technik
ein ganz leicht lösbares Problem. Die Energiepolitik
aber gegen alteingesessene Interessen zu ändern, die
dem Klimaschutz im Wege stehen, ist tausendmal
schwieriger.
An dieser Stelle möchte ich aber auch vor der
Gefahr von Scheinlösungen warnen. Hierzu zählt in
Teilbereichen die Telematik, die lediglich an Symptomen kuriert, aber die Probleme nicht wirklich anpackt.
Im schlimmsten Fall werden echte Lösungen im Verkehrssektor mit Hinweis auf die Möglichkeiten der Telematik sogar verzögert.
Ein Zitat des Verkehrsforschers Hermann Knoflacher
macht das deutlich:
Als Wunderwaffe gegen Unfälle und Verkehrsstau
wird die Telematik propagiert ... Hunderte Millionen Mark europäischer Steuergelder werden derzeit
in dieses aussichtslose Unterfangen investiert, um
lieb gewonnenes Fehlverhalten beibehalten zu können.
So weit Hermann Knoflacher.
Nachdem ich mich bisher auf die Chancen und die
Problemlösungsfähigkeit der IuK-Technik konzentriert
habe, möchte ich abschließend aber auch auf mögliche
Gefahren eingehen. Die Entwicklung des Mobilfunks
ist dabei, unsere Gesellschaft zu überrollen. Die meisten
in diesem Hohen Hause dürften die Vorzüge dieser
Technologie schätzen gelernt haben. Andererseits sind
die Mobilfunknetze de facto eine Technikfolgenabschätzung am lebenden Objekt Mensch. Die Wissenschaft ist
sich über die Unbedenklichkeit dieser Technologie noch
nicht einig.
({3})
Immer wieder werden Studien bekannt, die Gefährdungen sehen. Dessen ungeachtet boomt das Geschäft mit
dem Handy. Dies hat zu einer dichten Infrastruktur an
Mobilfunksendeanlagen geführt, die sich nicht selten
auch auf Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen befinden. Weiterhin vorhandene Forschungslücken und
sich widersprechende Erkenntnisse bereits vorliegender
wissenschaftlicher Untersuchungen verlangen zumindest
nach verstärkten Forschungsanstrengungen.
Eine nachhaltige Gesellschaft ohne freien und sicheren Informationszugang ist nicht vorstellbar. Aber auch
die Freiheit des Informationszugangs ist nicht auf alle
Tage gesichert. Monopolisierungstendenzen und Missbräuche des Monopols hat es in der IuK-Branche immer
gegeben. Ich begrüße in diesem Zusammenhang mit
Nachdruck, dass das BMWi Open-Source-Software nun
unterstützt.
({4})
Zugleich möchte ich vor Bestrebungen in der EU warnen, Software patentieren zu lassen.
({5})
Dieser Schritt würde den Zugang zu Software erschweren und die wirtschaftliche Entwicklung in Europa stark
hemmen.
({6})
Resümierend möchte ich festhalten, dass die Informations- und Kommunikationstechnologie weiterhin gewaltige Chancen bietet. Ein rein technokratischer Ansatz
würde aber zwangsläufig dazu führen, dass die Risiken
gegenüber den Chancen an Bedeutung gewinnen würden. Deshalb haben die Regierungsfraktionen den Antrag zur Nachhaltigkeit in der Informations- und Kommunikationstechnologie vorgelegt. Sie werden damit eine Verbesserung erreichen.
({7})
Ich gebe nunmehr
dem Kollegen Jörg Tauss für die SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Rexrodt, ich freue mich,
wenn Sie sich so freuen. Es ist in diesen turbulenten Tagen ja gar nicht so einfach, über Sachpolitik zu reden.
({0})
- Lichtgestalt, danke. - Statt mit der Struktur der zukünftigen Gesellschaft und ihren Kommunikationsmöglichkeiten muss man sich gegenwärtig leider mehr mit
dem Finanzgebaren der CDU in ihrer Vergangenheit beschäftigen. Die Bundesregierung hat demgegenüber in
dieser Zeit solide ihre Arbeit gemacht und mit dem jetzt
vorgelegten Aktionsplan das Tor in Richtung Zukunftsgestaltung weit aufgestoßen.
({1})
Dass Deutschland mit dem Regierungswechsel nach den
unverzeihlichen Jahren der Versäumnisse der Regierung
aus CDU/CSU und F.D.P. mit der Aufholjagd begonnen
hat, war überfällig. Herr Kollege Mayer, deshalb sollten
Sie vonseiten der Opposition helfen und nicht über die
Geschwindigkeit jammern, mit der die Beseitigung Ihrer
Defizite erfolgt. Auch mir wäre es lieber, wenn dies
schneller ginge. Aber es ist nun einmal so, wie es ist.
({2})
Die im Aktionsplan auf 155 Seiten angesprochenen
Fragen sind außerordentlich komplex und berühren alle
Arbeitsfelder der Bundesregierung von A wie Arbeit ich sehe hier den Staatssekretär im Arbeitsministerium bis Z, bis zur Zivilprozessordnung im Bereich des Justizministeriums.
All diese Themen im Rahmen einer zweistündigen
Debatte ausführlich zu erörtern, das geht nicht. Wir
schlagen Ihnen deshalb vor, Herr Kollege Otto, beim
Bundestagsausschuss für Kultur und Medien einen Unterausschuss einzurichten, mit dem wir künftig ausschussübergreifend Problemfelder aufgreifen und die
Arbeit der anderen beteiligten Ausschüsse bei der Bewertung von IuK-Technologien ein Stück ergänzen und
begleiten könnten.
Herr Kollege Mayer, gerade über solche Initiativen
wie die hinsichtlich eines ungetakteten Internettarifes,
also über Zukunftsfragen, könnte dort sehr gut diskutiert
werden. In diesem Punkt - da teile ich Ihre Auffassung pennt im Übrigen die Telekom, wenn ich das so burschikos sagen darf. Ich gehe aber davon aus, dass im
Laufe der Zeit auch dort alle Vorstandsmitglieder Anschluss an die Moderne finden werden. Dann wird dies
sicherlich einfacher zu regeln sein.
({3})
Über das Desinteresse der alten Bundesregierung an
diesem Thema ist gesprochen worden. Kollege Catenhusen hat das traurige Beispiel geschildert, dass es im
Kanzleramt statt des Internets nur die Rohrpost gab. Gehässig betrachtet - aber Sie haben es in diesen Zeiten
schwer genug - könnte man natürlich sagen: Bargeldverkehr und der Verlust von Akten wurden angesichts
dessen, dass man statt des Internets nur eine Rohrpost
hatte, leicht gemacht. Aber ich will diese Themen heute
Nachmittag nur streifen.
({4})
Auf diesem Rohrpostniveau fand damals - übrigens
in Zuständigkeit der Herren Rüttgers und Rexrodt; Herr
Rüttgers ist nicht anwesend; Herr Rexrodt, Sie scheinen
sich heute zumindest noch ein bisschen für das alte
Thema zu interessieren; das ist gut - die ganze Laienaufführung statt. Sie verzeihen mir dieses Wort; aber es war
wirklich eine Laienaufführung, die ihr da unternommen
habt.
Immerhin verbindet mich etwas mit dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, der in diesen Tagen laut
„Spiegel“ gesagt hat, er hielte nicht viel von Rüttgers.
Ich kann Herrn Schäuble an dieser Stelle wirklich nur
zustimmen. Wer Rüttgers kennt, der kann zu keiner anderen Betrachtung kommen. Das merken die Menschen
in Nordrhein-Westfalen im direkten Vergleich mit
Wolfgang Clement.
Rüttgers war als Zukunftsminister angetreten und ist
als Ankündigungsminister in Erinnerung geblieben. In
seiner Zeit sind weder wesentliche Standardsetzungen
noch eine deutsche Beteiligung bei den Weichenstellungen in Sachen Internettechnologie feststellbar gewesen,
welche übrigens allen wirtschaftspolitischen Legenden
von der neoliberalen Seite des Hauses zum Trotz ganz
wesentlich zum eigentlichen Aufschwung in den USA
beigetragen haben. Die Internettechnologie war dafür
verantwortlich, nicht irgendwelche neoliberalen Thesen,
die Sie uns auch hier gelegentlich um die Ohren schlagen.
({5})
Herr Kollege Mayer, ein Teil der Fragen Ihrer Großen Anfrage sind durchaus sehr originell. Diese Fragen
hätten Sie zu Ihrer Regierungszeit stellen müssen. Über
die Versäumnisse während seiner Amtszeit sollte besser
Herr Rüttgers sprechen.
Die Clinton/Gore-Administration machte schon vor
Jahren den Aufbau einer globalen Informationsinfrastruktur zur Chefsache, Blair und Jospin zu ihren
Schwerpunkten. In Deutschland fand zu Zeiten der ehemaligen Bundesregierung das Thema Internet lange überhaupt kein Interesse, wurde bekämpft oder als
Schmuddelecke bezeichnet.
({6})
- Jawohl, bekämpft. Sie haben es doch nahezu als Bedrohung empfunden. Ich erinnere an die Überlegungen
zur Telekommunikationsüberwachung in Ihrem Hause,
Herr Kollege Rexrodt.
({7})
- Herr Kanther und Frau Nolte hatten völlig falsche
Regulierungsansätze zur an sich richtigen Bekämpfung
der Kriminalität, was bestenfalls zu wirkungslosen,
schlimmstenfalls zu gegenteiligen Folgen führte.
Aufgrund des Aufbaus einer globalen Informationsinfrastruktur sind in den USA zahlreiche Jobs entstanden. Die bei uns auf diesem Gebiet existierenden wenigen Stellen können wir kaum besetzen. Eine der Ursachen dafür ist, dass Sie das Internet technologisch, rechtlich und in seiner gesellschaftlichen Wirkung völlig
falsch eingeschätzt haben.
({8})
Deshalb ist es gut - Herr Catenhusen hat darauf hingewiesen -, dass das Bündnis für Arbeit in einer seiner
ersten Maßnahmen die Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Bereich um rund 40 000 vorgesehen hat. Wenn dieses Ziel, Herr Staatssekretär, früher
erreicht werden kann, ist das ganz hervorragend.
({9})
Der angesprochene Internetpreis wird zusätzlich
deutlich machen, dass wir die Entwicklung des Internets
in Deutschland jetzt fördern und sie nicht wie unter
Schwarz-Gelb verschlafen wollen und dürfen. Mit diesem Preis sollen übrigens - das sage ich ausdrücklich für
den Ausschuss für Kultur und Medien - auch kulturelle
Leistungen gewürdigt werden. Medienpolitik ist nämlich
intelligente Struktur- und Wirtschaftspolitik, wie übrigens das Beispiel NRW zeigt, aber zuvörderst - und das
soll so bleiben - Gesellschafts- und Kulturpolitik. Das
ist es, worauf wir Wert legen.
({10})
Lieber Herr Kollege Otto, der Sie sich jetzt aufgeregt
mit Herrn Rexrodt unterhalten: Sosehr ich Sie auch
schätze, das ist der Grund, warum wir Ihren Antrag zu
meinem großen Bedauern ablehnen müssen. Kollege
Neumann hat bereits einige der Argumente, die ich
durchaus teile, vorgetragen.
Herr Kollege Tauss,
der Kollege Rexrodt gibt Ihnen die Möglichkeit, Ihre
Redezeit zu verlängern, wenn Sie seine Frage zulassen.
Das wäre prima, weil ich schon
knapp in der Zeit bin. Sie merken, dass ich schon immer
schneller rede. - Herr Kollege Rexrodt, gestatten Sie mir
noch einige Sätze zu Herrn Neumann. Ich komme gleich
zu Ihnen.
Ich sehe Angebote wie zum Beispiel den Kinderkanal
nicht als „Krake im öffentlich-rechtlichen Bereich;
darüber müssen wir ernsthaft reden. Ich halte auch den
Weiterentwicklungsauftrag des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks nicht generell für verwerflich. Aber lassen
Sie uns darüber reden! Wir wollen das duale System.
Dazu gehört natürlich eine faire Entwicklung des privaten ebenso wie eine faire Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Sektors. Da sind wir uns völlig einig.
({0})
Bitte schön, lieber Herr Kollege Rexrodt.
Herr Kollege Tauss,
ich nehme Bezug auf Ihre Aussage, dass das Internet
und nicht die neoliberale Wirtschaftspolitik in den USA
zu einer Veränderung der Gesellschaft geführt habe. Ist
Ihnen bekannt, Herr Kollege Tauss, dass es die alte Koalition war, vornehmlich das Wirtschaftsministerium, das
zu führen ich damals die Ehre und die Gelegenheit hatte,
die das Informations- und KommunikationsdiensteGesetz und die Telekommunikationsliberalisierung vorangebracht hat? Ist Ihnen ebenfalls bekannt, dass es,
was die Nutzung des Internet und dessen Implementierung angeht, gerade die Sozialdemokratische Partei war,
die über Jahre hinweg eine Ordnung angedacht hatte, die
darauf hinauslief, dass auf europäischer und weltweiter
Basis quasi eine Vorgabe der Staaten für die Nutzung
elektronischer Medien verabschiedet werden sollte, und
dass wir es waren, die gegen den Widerstand von Ihnen
und anderen gesellschaftlichen Gruppen dafür Sorge getragen haben, dass das Internet, der freie Umgang und
Verkehr mit Daten innerhalb bestimmter Regeln, die wir
auch vereinbart haben, möglich wurde? Ist Ihnen das
bekannt, Herr Kollege Tauss?
Das ist natürlich ein ganzer
Strauß von Fragen, die Sie mir stellen.
({0})
- Nein, ich kann nicht Ja sagen, Herr Kollege Otto.
Sie haben völlig zu Recht das Informations- und
Kommunikationsdienste-Gesetz des Bundes angesprochen. Es gab innovative und auch problematische Teile.
Der Evaluierungsbericht hat gezeigt - hier appellieren
wir ein Stück weit auch an die Bundesregierung -, dass
es in der Tat noch offene Rechtsfragen gibt, die von der
alten Bundesregierung zu verantworten sind. Herr Rexrodt, ich kann Ihnen gerne noch einmal meine Rede von
damals vortragen - als Sie mich dafür in der Kantine gelobt haben, habe ich schon gedacht, ich hätte etwas verkehrt gemacht -, die ich an dieser Stelle zum IuKDG
gehalten habe. Damals habe ich gesagt: Es muss für die
Anbieter Rechtssicherheit geben. Dies bedeutet auch eine freie Kommunikation, die durch nichts beeinträchtigt
wird. Sie werden von mir und, soweit ich mich erinnern
kann, auch nicht von einem anderen Mitglied meiner
Fraktion zu irgendeinem Zeitpunkt eine Erklärung gefunden haben, in der wir gesagt haben: Wir wollen das
Internet im Sinne einer Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit regulieren.
Diese Probleme hat es damals bei Ihnen gegeben.
Denken Sie daran, wie Sie damals im eigenen Hause im
Zusammenhang mit der Telekommunikationsüberwachungsverordnung ausgetrickst worden sind! Denken
Sie auch an die Krypto-Geschichte, die wir damals heftig miteinander diskutiert haben! Herr Kanther hat damals bis zuletzt mit allen Mitteln dafür gesorgt ({1})
- Ich weiß doch, dass ihr dagegengehalten habt. Aber ihr
habt euch doch nicht durchgesetzt. Erst mit unserer Regierungsübernahme hat sich die Bundesregierung klar
dafür ausgesprochen, dass es keine Beeinträchtigung geben soll .
({2})
Herr Rexrodt, es ist keine Schande, wenn Sie meiner
Meinung sind. Aber dass Sie dies damals nicht als Position der Bundesregierung durchgesetzt haben, sondern
als offenes Spiel mit erheblicher Verunsicherung der
Branche gehandhabt haben, ist doch bekannt.
({3})
- Nein, ich war nicht auf der anderen Seite. Aber darüber können wir bei einem Gläschen Bier reden, auch
über die Rolle von Herrn Kanther, den zwischenzeitlich
auch einige aus Ihren Reihen als Schande für das Parlament bezeichnen.
Ich glaube, all diese Beispiele zeigen: Hier ist von Ihnen schon ein Stück weit gesündigt worden. Ich erinnere
einmal an das Bundesdatenschutzgesetz. Welche Reformen haben Sie denn hier auf den Weg bekommen? Nichts! Jetzt befinden wir uns in der Situation, dass uns
die EU abmahnt. Herr Hintze von der CDU hat kürzlich
sogar noch gesagt: Datenschutz ist Täterschutz. - Nein,
meine Damen und Herren, das ist völliger Unfug. Datenschutz in der Informationsgesellschaft ist wie der gesamte Bereich Sicherheit in der Informationstechnik eine der ganz wesentlichen Voraussetzungen für die Wahrung von Bürgerrechten - das müsste Sie von der F.D.P.
interessieren - ,
({4})
für die Rechtssicherheit in der E-Commerce - auch das
müsste Sie interessieren - und für den elektronischen
Rechts- und Zahlungsverkehr insgesamt. Sie haben damals von Täterschutz geredet. Deswegen begrüßen wir
sehr, dass die Bundesregierung, das Justizministerium,
bei der digitalen Signatur einiges tut und es vorantreibt.
Auch das ist Voraussetzung für sichere Kommunikation.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine weitere Zukunftsaufgabe wurde von Wolf-Michael Catenhusen angesprochen. Ich meine die Umstellung von Papier
auf Digital. Das gilt, Herr Kollege Fell, auch dann, wenn
wir das papierlose Büro, auch im Bundestag, noch nicht
erreicht haben. Hier kommen auf Bibliotheken und auf
alle anderen Beteiligten völlig neue Aufgaben zu. Herr
Rüttgers wollte in diesem Bereich - Herr Neumann, Sie
werden sich erinnern - unverantwortlicherweise einen
Zustand schaffen, in dem die Hochschulen gezwungen
worden wären, eigene wissenschaftliche Ergebnisse von
privaten Betreibern wissenschaftlicher Datenbanken mit
öffentlichem Geld zurückzukaufen, während sie gleichzeitig aus Geldmangel Fachzeitschriften abbestellen
müssen. Herr Catenhusen, wenn Sie sagen, dass Sie in
diesem Bereich etwas tun werden - Information wird
zur Generierung von Wissen als dem Rohstoff der künftigen Gesellschaft benötigt -, wenn Sie den Zugang zu
diesem Rohstoff so umfassend und so preiswert, wie Sie
das heute angesprochen haben, garantieren, dann sind
Sie und die Ministerin - das kann ich Ihnen sagen - der
Hoffnungsträger einer ganzen Generation, zumindest
was die Gestaltung der Informationsgesellschaft anlangt.
({6})
Die Weichenstellungen des vormaligen Forschungsministers in diesem Bereich waren verheerend. Doch reden wir nicht mehr von Herrn Rüttgers; reden wir jetzt
von der Zukunft! Ich bitte die Bundesregierung, das im
Koalitionsvertrag vereinbarte Informationsfreiheitsgesetz gleichfalls rasch auf den Weg zu bringen. Auch dieses Gesetz wird ein ganz wichtiger Baustein zur Sicherung des Zugangs zu Informationen und des Rechts auf
Information sein und kann auch, gerade in diesen Zeiten,
meine Kolleginnen und Kollegen, einen wichtigen Beitrag zur Transparenz politischer Prozesse - wann war
dies nötiger als in diesen Tagen? - und zur Modernisierung des Staates leisten.
Sie sehen: Wir haben mit den Themen Informationsfreiheitsgesetz, Datenschutz, Zugang zu Informationen es sind die richtigen Themen - das Tor zur Zukunft weit
aufgestoßen. Kollege Mayer, meine Zufriedenheit liegt
nun zwischenzeitlich etwas über 50 Prozent und geht
stark auf die 70 Prozent zu - ganz einfach deshalb, weil
diese Bundesregierung handelt. Je mehr sie handelt, umso geringer wird natürlich auch die Kritik der sie tragenden Fraktionen werden. Ich kann Ihnen nur sagen: Lassen auch Sie sich von den Möglichkeiten und den Chancen dieser Technik überzeugen! Nutzen Sie beispielsweise die Möglichkeiten des bargeldlosen Verkehrs und
des Electronic Banking,
({7})
dann haben Sie viel weniger Probleme. Denn wer von
diesem Thema nichts versteht, wird auch bei anderen
Themen schwerlich den Anschluss finden.
Schlussbemerkung. Herr Präsident, ich sehe, Sie
leuchten, genauer: die Lampe hier vorn.
({8})
Wir haben vorher von Oppositionsrednern gehört, diese
Bundesregierung könne mit E-Mail nicht umgehen. Kollege Mayer, Sie haben die jungen Leute angesprochen,
die sich mit uns in Verbindung setzen. Ich zitiere aus einer der 500 E-Mails, die in den letzten Tagen das Innenministerium erreicht haben:
Hallo! Ich habe keine spezielle Frage. Ich kann nur
hoffen, dass Sie
- gemeint ist die Bundesregierung -
viel Erfolg mit Ihren Projekten haben werden, damit der verstaubte Amtsschimmel aus den deutschen Amtsstuben vertrieben wird. Vielleicht gelingt es dieser Bundesregierung. Glück auf!
({9})
Sehen Sie, das sind die Ehrenamtlichen, die Sie vorhin so gelobt haben; das ist deren Meinung von uns.
Darauf sind wir stolz.
Ich bedanke mich.
({10})
Ich hatte schon,
Herr Kollege Tauss, die Hoffnung aufgegeben, dass Sie
das leuchtende Licht sehen würden.
({0})
Denn Sie hatten Ihre Papiere so geschickt platziert, dass
sie alles verdeckten.
Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Walter Hirche.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Tauss ist ja am Schluss
derart in Begeisterung geraten, dass ich beim Verlesen
der E-Mail in der Tat den Eindruck hatte, er freut sich
heute noch darüber, dass er sie losgeschickt hat, um sie
hier im Plenum einmal vortragen zu können.
Selbst wenn das so ist, haben Sie hier zusammen mit
den meisten Rednern dieser Debatte Dinge vorgetragen,
bei denen man als überwiegenden Tenor feststellen
kann: Die Chancen der Informationsgesellschaft müssen
in Deutschland für den Arbeitsmarkt genutzt werden.
Die riesigen Chancen, die vorhanden sind und nicht
genutzt werden können, sind eine Herausforderung
für unser Bildungs- und Weiterbildungssystem. Das
ist gar keine Frage. Weitere große Chancen liegen zum
Beispiel auch im Bereich der modernen Medien. Sie
müssen genutzt werden, um Menschen, die etwa aus
Gründen körperlicher Behinderungen bzw. anderen Ursachen in das gesellschaftliche Abseits geraten sind,
wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Technik muss
also als Mittel sozialer Integration genutzt werden.
Darüber hinaus werden wir in diesem Zusammenhang
auch im Bereich „Messen, Regeln, Steuern“ über die
Möglichkeiten diskutieren müssen, wie wir mit modernen Medien und moderner Kommunikation die vorhandenen Chancen nutzen können. Ich habe, Herr Fell, ein
bisschen bedauert, dass Sie - ich will es milde sagen im Unterschied zu Ihrer Kollegin Wolf eher über die
Probleme gesprochen haben, anstatt die Chancen zu beschreiben.
({0})
Ich denke, wir sollten die Chancen nutzen und sehen,
dass wir nach vorne kommen.
Herr Kollege Hirche, gestatten Sie die Fortsetzung der Rede von Herrn
Kollegen Tauss?
({0})
Es wird natürlich keine Fortsetzung der Rede geben, aber, lieber Herr Kollege Hirche,
Sie haben mir gewissermaßen unterstellt - ich würde
meine eigenen E-Mails verlesen. Sind Sie der Auffassung, dass auch die folgende E-Mail von mir erfunden ist? Sie stammt von der F.D.P.-nahen FriedrichNaumann-Stiftung aus Seoul und ist ebenfalls heute
beim BMI eingegangen.
Die Friedrich-Naumann-Stiftung ist seit über zehn
Jahren ... mit einem kommunalpolitischen Projekt
tätig. Aspekte der Verwaltungsreform spielen bei
unserer Tätigkeit eine wichtige Rolle. Ihre Hompage - die des BMI - habe ich mit sehr großem Interesse studiert. Herzlichen Glückwunsch zu dem gelungenen Auftritt, der auch in der Ferne Beachtung
findet. Dr. Ronald Meinardus, Seoul.
Sie sehen, solche Dinge erfinde ich in der Regel
nicht. Ich wollte fragen: Ist Ihnen dies bekannt?
({0})
Das ist mir jetzt bekannt.
Sie haben einen Beweis für die Weltoffenheit, Toleranz
und Vielfalt von Liberalen vorgetragen.
({0})
Das finde ich hervorragend. Ich bedanke mich. Für eine
solche Art der Zusammenarbeit kann man in der Tat die
neuen Medien nutzen und man könnte darüber reden,
wie fehlgelaufene Entwicklungen korrigiert werden
können.
Der Herr Kollege
Seifert möchte eine Zwischenfrage stellen. Oder möchten Sie Ihre Ausführungen zu der Zwischenfrage von
Herrn Tauss noch fortsetzen?
Ich will noch einen Hinweis
an Sie, Herr Tauss, geben. Sie sollten die Dinge in der
Zukunft entsprechend darstellen: Die F.D.P. hat sich
({0})
sowohl in der letzten Legislaturperiode als auch davor
entschieden für die Liberalisierung und Öffnung der Regelwerke eingesetzt. Zu Zeiten, als Sie auf Landesebene
und im Deutschen Bundestag die Veränderungen blockiert haben, hat sich lediglich Ihr Kollege Glotz für
Öffnung und Änderung eingesetzt. Ich kann Ihnen die
von Niedersachen aus betriebenen Initiativen nennen,
mit welchen wir seinerzeit im Bundesrat aufgelaufen
sind, weil die SPD alles blockiert hat. Sie haben im
Grunde über zehn Jahre hinweg die Dinge blockiert.
({1})
Dass dies nun anders werden soll, begrüße ich. Dies
will ich ausdrücklich sagen.
Gestatten Sie nun
eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Seifert?
Ja, gerne.
Herr Kollege Hirche, Sie haben vorhin sehr verdienstvoll darauf hingewiesen, dass
behinderte Menschen unter Umständen über neue
Kommunikationsmittel Arbeits- und Kommunikationsmöglichkeiten finden, die sie sonst nicht haben.
Teilen Sie dennoch mit mir die Meinung, dass es
nicht unwichtig ist, diesen Punkt nicht zu sehr überzubetonen, sondern zu sehen, dass die interpersonelle Kommunikation dadurch verhindert werden kann? Gerade
behinderte Menschen brauchen wie alle anderen Menschen auch den persönlichen Kontakt. Man kann diesen
nicht allein über elektronische Medien herstellen.
Ich möchte Sie gern fragen, wie Sie zu diesen beiden
Seiten der Medaille stehen.
Ich würde gern das Positive
in den Vordergrund stellen. Wenn man etwas positiv
darstellt, sollte man auch nicht so tun, als ob alles in
Ordnung sei. Wo Sonnenschein ist, gibt es auch ein
bisschen Schatten. Darüber muss man reden. Man geht
dann etwas zur Seite, betrachtet die Dinge neu und hat
trotzdem die Möglichkeit, nach vorne zu gehen.
Der wichtigste Punkt, den ich hier sehe - da werden
Sie, Herr Kollege Tauss, den Beweis noch erbringen
müssen -, ist, dass wir in Deutschland einen Ordnungsrahmen haben, der den Aufbruch, den die BundesreWalter Hirche
gierung in ihrem Aktionsprogramm beschreibt, die Hilfe
für Existenzgründer und das Nach-vorne-Gehen überall
durch Schranken und Bremsen verhindert.
Jedes Mal, wenn wir in der Vergangenheit irgendwo Deregulierung versucht haben, haben Sie gesagt: Dann gehen die Menschen kaputt. - Dieses durfte nicht sein und
jenes durfte nicht sein.
Sie wissen: Es ist mehr als nur ein Scherz, wenn man
sagt, die Erfolgsgeschichte von Bill Gates hätte in
Deutschland nicht stattfinden können, weil eine Arbeit
in einer Garage ohne Fenster nicht erlaubt ist. Es gibt x
solcher Beispiele in diesem Zusammenhang. Trotzdem
halten Sie an solchen Regelungen und den Genehmigungsverfahren bis heute fest.
Denn eines ist doch klar: Wenn wir in Deutschland in
diesem Bereich im Vergleich zu anderen Ländern rückständig sind, dann liegt das nicht an der Wirtschaft in
Deutschland. Die Wirtschaft hat ihre Hausaufgaben in
weitesten Teilen gemacht. Es ist unser Staat, der auf den
verschiedenen Ebenen der Entwicklung hinterherhinkt,
der nicht dafür sorgt, dass der Ordnungsrahmen ausreichend flexibel ist, und der nicht die entsprechenden
Rahmenbedingungen für Existenzgründer schafft.
Ein kleines Beispiel - mehr ist in einem solch kurzen
Beitrag nicht möglich -: Dass der Bundeswirtschaftsminister und die Bundesbildungsministerin der Anlage
zum Entwurf des Haushaltsplans 2000 im August letzten
Jahres zugestimmt haben, in der stand, dass die Abschreibungsfrist für PCs von vier auf sechs Jahre verlängert wird, zeigt, dass bei Ihnen nicht durchgängig der
Wille herrscht, sich um die modernen Entwicklungen zu
kümmern.
({0})
Wenn Sie die Situation im Wege von Abschreibungsfristen verschlechtern, dann behindern Sie unsere Wirtschaft.
Ich finde es gut, dass die Wirtschaft mit der Initiative
D 21 vorangegangen ist. Wir werden darauf achten müssen, dass die Übertragung des „road mapping“ aus den
USA auf Deutschland, die Sie vorschlagen - vielleicht
könnten wir uns einmal auf deutsche Begriffe verständigen, damit die Bevölkerung versteht, worum es hier geht
-, nicht dazu führt, dass der Staat in allen Bereichen der
Gesellschaft Vorschriften für andere macht. Denn das ist
unser Problem: Sie lassen den wesentlichen Vorteil des
Internet nicht zu, nämlich dass globale Kommunikation,
Demokratie und Wirtschaftsaustausch von unten her
stattfinden. Sie wollen über alles ein Netz stülpen, mit
dem der Staat reguliert.
Vielleicht belehren Sie uns in den Ausschussberatungen eines Besseren. Aber bis jetzt erschöpft sich Ihr
Verhalten in Regeln und Behinderungen. Der Staat hat
seine Hausaufgaben nicht gemacht. Wir werden sehen,
ob Ihr Wortschwall, den Sie über uns ergossen haben da sind Sie wirklich ein Tausendsassa -, der Realität
Rechnung trägt. Das Ziel haben wir gemeinsam: die
Chancen zu nutzen.
({1})
Für die SPDFraktion spricht nun der Kollege Hubertus Heil.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht kennen Sie den
Werbespot, der seit einigen Wochen über den Fernseher
flimmert, in dem ein berühmter deutscher Tennisspieler
sehr verdutzt sagt: „Ich bin drin.“ - Uns geht das im
Moment ebenso: Auch wir sind mittendrin.
({0})
- „So einfach ist das!“ Genau, das hat er auch gesagt.
Manchmal ist es eben so einfach.
Ich glaube, wir alle in diesem Hause sind uns bewusst, dass wir uns mittendrin im Übergang von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft befinden und dass die Geschwindigkeit dieses Übergangs das hat keiner hier bestritten - immer rasanter wird.
Nur, ich denke, wir sollten einen realistischen Blick
auf die Dinge haben. Weder - Herr Kollege Hirche, das
sage ich an Ihre Adresse - ideologische Fixierung auf
eine Deregulierungswut, noch - das sage ich an die Adresse der PDS - das ewige Rufen nach neuen Regelungen, nach Überregulierung, bringen uns weiter. Wir
brauchen eine realistische Sicht im Sinne eines - was die
Begrifflichkeiten betrifft, sind wir uns sicher einig - flexiblen Ordnungsrahmens.
({1})
Ich denke, dass dieses Parlament in der letzten Legislaturperiode - das kann ich so unbefangen sagen, weil
ich damals noch nicht dabei war - eine sehr gute Arbeit
in der Enquete-Kommission zur Informationgesellschaft
geleistet hat.
({2})
Die Enquete-Kommission hat sowohl eine Einschätzung
der Möglichkeiten der neuen Technologien vorgenommen als auch die notwendigen Regulierungs- und Deregulierungsmaßnahmen beschrieben. Stellvertretend
möchte ich dem Kollegen Mosdorf, der die EnqueteKommission damals geleitet hat, danken. Das hat die
Grundlage für das Aktionsprogramm geboten, das wir
jetzt konsequent durchsetzen. Wir nehmen die Folgen
dieses Berichts ernst und wir setzen sie um.
({3})
Das ist ein Unterschied zu dem Stillstand, der jahrelang
in Deutschland zu verzeichnen war.
Das Aktionsprogramm der Bundesregierung - mit
vollem Titel: „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ - setzt auf
Realität, setzt auf konkrete Schritte, um ein Ziel zu erreichen, nämlich dass Deutschland weltweit in der
Spitzenliga der Informations- und Kommunikationstechnologien mitspielen kann.
Wir haben in Deutschland bereits gute Voraussetzungen. Mir ist es ziemlich egal, wer alles daran mitgewirkt
hat. Aber wir haben gute Voraussetzungen, dieses Ziel
in wenigen Jahren zu erreichen. 1,7 Millionen Beschäftigte arbeiten bereits heute im Bereich der Informationstechnik und im Medienbereich. Wir haben eine Infrastruktur von 230 000 Kilometer Glasfaserkabel, die in
Deutschland liegen. Das ist eine Infrastruktur, die, wie
gesagt, eine gute Basis bildet.
Die Evaluierung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes, das ebenfalls heute diskutiert
wird, sagt aber sehr deutlich, dass wir in bestimmten Bereichen noch sehr starken Handlungsbedarf haben; dort
ist der Fortschritt in den letzten Jahren verpennt worden.
Tatsache ist, dass in Deutschland nur 9 bis 10 Prozent
der Bevölkerung einen Internetzugang haben. Zum
Vergleich: In Großbritannien sind es bereits 14 Prozent,
in den USA 30 Prozent. Herr Kollege Mayer, ich finde
es schon ein ehrgeiziges Ziel, dies in wenigen Jahren
zumindest auf über 40 Prozent zu steigern.
({4})
100 Prozent werden wir nicht erreichen. Lassen Sie
uns doch nicht streiten. Auch ich würde mich freuen,
wenn wir mehr erreichen. Aber ich finde das etwas
kleinkrämerisch, nachdem jahrelang von Ihrer Regierung nichts getan wurde, um das nach vorne zu bringen.
({5})
- Was denn, bitte schön?
({6})
Lassen Sie uns doch gemeinsam daran arbeiten, dass wir
es schaffen; denn das hat auch etwas, mit Akzeptanz zu
tun. Wir müssen beim Zugang Chancengleichheit haben
- der Kollege Catenhusen hat darauf hingewiesen -,
damit diese neuen Technologien akzeptiert werden und
um die Gesellschaft nicht in User und Loser verfallen zu
lassen.
({7})
Wir wollen die Internet-Abonnements steigern. Dann
ist es natürlich auch wichtig, den Weg über den Bildungsbereich zu gehen. Das ist ein weites Feld. Lassen
Sie mich hier zumindest zu der Frage kommen, die vorhin diskutiert wurde: Was machen wir mit den 75 000
Fachkräften, die im IuK-Bereich in den letzten Jahren
gefehlt haben? Wenn Sie immer sagen, bei dem „Bündnis für Arbeit“ würde nichts herauskommen, dann
schauen Sie sich einmal diesen Bereich aufmerksam an.
({8})
- Hören Sie erst einmal zu, bevor Sie dazwischenrufen.
- Mit den Partnern aus Wirtschaft und Gewerkschaften
ist vereinbart worden, gerade in dem Bereich der Informationstechnik über eine Fortentwicklung des Weiterbildungssystems diesen Fachkräftemangel binnen kürzester Zeit zu beseitigen. Wir alle kennen die viel zitierten Beispiele von den indischen Programmierern, die
deutsche Software programmieren müssen. Das ist, wie
gesagt, ein Zustand, bei dem wir alle an einem Strang
ziehen müssen. Das geht nur mit den Tarifparteien und
öffentlicher Unterstützung. Das tun wir auch.
Den Rechtssicherheitsrahmen hat der Kollege Tauss
umfassend angeschnitten. Ich möchte mich auf die Frage
beschränken: Wie schaffen wir es, Unternehmen dazu zu
bringen, stärker in die Anwendung zu gehen? Ich rede
vor allen Dingen von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Tatsache ist - auch da sind wir uns einig,
Herr Kollege Hirche -, dass die Innovationen in dem
Bereich vor allen Dingen von Unternehmen getragen
werden, nicht von der öffentlichen Hand. Aber es ist
Aufgabe der öffentlichen Hand, den Rechtsrahmen, den
Orientierungs- und Entwicklungsrahmen zu geben, auch
aus kulturellen Gründen. Aber es kommt auch darauf an,
für die Wirtschaft Rechtssicherheit zu schaffen und Anstöße zu geben.
Das Aktionsprogramm der Bundesregierung wird
hierbei sehr konkret. Ich nenne in diesem Bereich Förderprogramme, Informationskampagnen und vor allen
Dingen Wagniskapital. Daran hat es in Deutschland in
den letzten Jahren vor allen Dingen gemangelt. Auch
darin unterscheiden wir uns von den USA. Warum ist es
dort schneller gelaufen? Wir müssen im Bereich von
Wagniskapital, von Venture Capital weiterkommen, um
gerade dort die Potenziale nutzen zu können.
Nach den Prognosen, die wir haben, kann es uns
durchaus gelingen, binnen zwei Jahren über 350 000
Arbeitsplätze in diesem Bereich zu schaffen. Das sind
keine Peanuts. Das muss man sehr deutlich sagen.
Konkret läuft es vor Ort so - ich kenne die Beispiele
aus Nordrhein-Westfalen, aber auch aus Niedersachsen,
aus meinem Wahlkreis -, dass über 24 Kompetenzzentren in den Regionen kleinen und mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit geben, am E-Commerce, am
elektronischen Handel teilzunehmen, und auch das notwendige Wissen und die Technik zur Verfügung stellen.
Damit soll vor allem eines erreicht werden, was gerade
heute noch bei kleinen und mittelständischen Unternehmen das Problem ist, nämlich Hemmschwellen abzubauen. Es gibt viele Handwerksmeister, die daran im
Moment noch nicht teilnehmen, aber die sowohl bei der
Beschaffung wie bei der Vermarktung ihrer Produkte
zukünftig über diesen Bereich Impulse bekommen.
Auch im Bereich der Gründungen - ich komme zu
Ihrem Garagenbeispiel, Herr Kollege Hirche - schauen
wir nicht tatenlos zu.
Wir wollen, wie gesagt, den Boom der Gründung gerade
solcher Unternehmen fördern. Wir tun dies auch. Wir
wissen, dass die Innovationen eben nicht von den großen
etablierten Unternehmen geleistet werden, sondern von
kleinen Existenzgründern, von so genannten Start-ups.
Ich möchte in diesem Zusammenhang beispielsweise
den Gründungswettbewerb des Bundesministeriums
für Wirtschaft nennen, der Anreize schafft und Öffentlichkeit erzeugt, die notwendig ist.
({9})
Wir haben das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2001 die
Zahl der Multimediaunternehmen in Deutschland zu
verdoppeln. Wenn wir uns darüber einig sind, sollten
wir uns hier auch nicht gegenseitig das Leben schwer
machen.
Zum Schluss möchte ich sagen: Wir wollen die entsprechenden Regelungen flexibel gestalten. Darauf ist
schon hingewiesen worden. Angesichts des Tempos des
technischen Fortschritts müssen wir ständig überprüfen,
ob der Orientierungs- und Handlungsrahmen, den wir
geschaffen haben, noch zeitgemäß ist. Deshalb muss
man ihn weit und flexibel gestalten. Das ist gar keine
Frage. Aber ein Orientierungs- und Regelungsrahmen ist
notwendig.
Das Kennzeichen der Informations- und Kommunikationstechnologien ist, dass vor allen Dingen Raum und
Zeit keine merklichen Grenzen mehr sind, sowohl im
wirtschaftlichen als auch im politischen Bereich. Der
Kollege Tauss hat darauf angespielt. Wir haben es über
das Ökonomische hinaus auch im Bereich der politischen Kommunikation mit Veränderungen zu tun, deren
Chancen wir nutzen müssen.
({10})
Eine Chance ist zum Beispiel, dass durch die Informations- und Kommunikationstechnologie auch der Abstand zwischen Gewählten, also beispielsweise uns, und
Wählern geringer wird, weil sich Bürgerinnen und Bürger schneller Informationen beschaffen können und weil
sie auch schneller reagieren können.
Wer sich das praktisch noch nicht vorstellen kann,
der sollte sich zwei Beispiele vor Augen führen - es ist
ganz einfach, sich das anzuschauen; um Boris Becker zu
zitieren: Da ist man ganz schnell drin: - Erstens. Das
Projekt „Virtueller Ortsverein“, das der Kollege Tauss
für unsere Partei aufgezogen hat, ist ein Beispiel für lebendige Demokratie im Netz. Wir müssen dafür sorgen,
dass daran mehr Menschen teilhaben.
Zweitens. Auf den Besucherseiten der Homepage unter der Adresse www.cdu.de wird zurzeit sehr heftig
diskutiert. Ich sage dies, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der CDU, ohne Häme. Wir werden zukünftig - das
gilt für uns alle - mit dem Internet umgehen müssen.
Dieses Forum soll nicht zensiert werden. Dafür müssen
wir einen entsprechenden Rahmen setzen.
({11})
- Das können wir gerne machen.
Das Aktionsprogramm der Bundesregierung ist ein
wichtiger Schritt nach vorne. Es ist zwar noch nicht der
Weisheit letzter Schluss, aber es ist jetzt notwendig. Wir
haben damit das angepackt, was Sie liegen gelassen haben. Wir haben die Evaluierung sehr ernst genommen
und werden daraus weiterhin unsere Schlüsse ziehen.
Zu den beiden vorliegenden Anträgen ist genug gesagt worden. Wir können sie fachlich weiter beraten,
auch den Antrag der F.D.P. Ich möchte das zwar noch
nicht in Bausch und Bogen bestätigen, aber der Kollege
Neumann von der CDU hat dankenswerterweise ein paar
sehr wichtige Takte dazu gesagt.
Ich freue mich auf die fachliche Diskussion. Wir wollen gemeinsam viel erreichen. Wir können in Deutschland in diesem Bereich Wachstum und Beschäftigung
schaffen. Ich teile die Ansicht, dass wir mehr nach den
Chancen und weniger nach den Risiken fragen sollten.
Es gibt aber auch Risiken, die nicht verschwiegen werden sollten. Aber in erster Linie stehen die Chancen im
Vordergrund. Wir können viel gewinnen, wenn wir etwas tun. Diese Bundesregierung tut etwas.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Für die CDU/CSUFraktion spricht nun der Kollege Elmar Müller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die fünf Tagesordnungspunkte zusammenfasst und einzeln bewertet, dann
spürt man regelrecht das krampfhafte Bemühen vor allem der Regierung, sich einer modernen Entwicklung
anzupassen. Dies kann man vor allem dort sehen, wo die
jetzige Regierung Berichte abliefert, die auf Gesetzen
der früheren Regierung fußen.
Im Gegensatz dazu stehen die beiden Fraktionen, von
deren Rednern wir eine ganze Reihe von Beiträgen gehört haben, die ausschließlich rückwärts gewandt waren.
Dies war eine interessante Erkenntnis der Debatte, die
heute Nachmittag stattfand. Sie, Herr Kollege, sind eine
seltene Ausnahme in diesem Reigen gewesen.
Ich möchte noch einmal an Folgendes erinnern: Alle
Gesetze, auf denen die jetzigen Programme fußen und
auf die sich alle weiteren Entwicklungen stützen, sind in
der vergangenen Legislaturperiode von der Koalition
aus CDU/CSU und F.D.P. auf den Weg gebracht worden.
({0})
Ich will die Modernisierer beim Wort nehmen. Wir
erinnern uns: Im Juni 1994 fand die entscheidende Sitzung des Bundesrates statt. Es ging darum, Privatisierung und Liberalisierung im Telekommunikationsbereich auf den Weg zu bringen. Es waren ausschließlich
die beiden Obermodernisierer dieser Regierung, nämlich
der Herr Bundesfinanzminister Eichel, damals Ministerpräsident, und Herr Schröder, damals ebenfalls Ministerpräsident, die gegen eine Privatisierung und eine Liberalisierung gestimmt haben.
({1})
Sie wollten, dass sich diese beiden Unternehmen weiterhin als Behörden entwickeln - in einem Umfeld, das in
dieser Form nun wirklich nicht mehr möglich gewesen
wäre. Man könnte die Rede des Herrn Ministers Müller
und die des Herrn Staatssekretärs in der Formel zusammenfassen: Das Ei des Damokles beschwört das Schwert
des Kolumbus.
In allen Ehren, Herr Staatssekretär: Es ehrt Sie, dass
Sie Ihre Reden möglicherweise selber schreiben. Wenn
Ihnen das, was Sie vorhin eingangs gesagt haben - ich
denke an die „flat rate“ im Internet -, ein Mitarbeiter
aufgeschrieben hat, dann bestellen Sie ihn bitte nachher
ein und bitten Sie ihn, sich auf die aktuelle Situation
etwas besser vorzubereiten.
({2})
Denn Sie hätten nicht falscher als mit diesem Satz beginnen können. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine „flat rate“. Die Engländer sind jetzt dabei,
dies im europäischen Bereich einzuführen. Bei uns in
der Bundesrepublik gibt es eine ganze Reihe von Dingen, die noch auf den Weg gebracht werden müssen. Ich
sage ausdrücklich: auf den Weg gebracht werden müssen.
Die Gesetze, die wir in der vergangenen Legislaturperiode gemacht haben - hervorragende Gesetze -, müssen
weiterentwickelt werden, auch was die Regulierungen
angeht, die es ermöglichen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland eine „flat rate“ im Internet auf den
Weg bringen.
Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Tauss?
Es macht
immer Spaß, sich mit dem Kollegen Tauss auseinander
zu setzen.
Ich weiß gar nicht, warum ihr
heute alle so liebenswürdig seid.
({0})
Übrigens habe auch ich damals in diesem Hause gegen
dieses Telekommunikationsgesetz gestimmt. Ist Ihnen
bekannt - möglicherweise ist es mit anderen Motiven zu
verbinden -, dass ich diese Ablehnung damals - ich war
einer der ganz wenigen - mit der Aussage verbunden
habe, es fehle an einem zukunftsgerichteten Universaldienst, der genau auf die Belange der Informationsgesellschaft ausgerichtet ist und sich nicht allein, wie Sie
es gemacht haben, rückwärts gerichtet an der Sprachtelefonie orientiert. Können Sie sich vorstellen, dass die
Ablehnung des TKG unter diesen Gesichtspunkten in
einigen Bereichen vielleicht doch ganz sinnvoll gewesen
ist und dass wir es damals hätten besser machen können?
Ich spüre
durch Ihre Formulierung schon, dass Ihnen nicht ganz
wohl zumute ist, wenn Sie die damalige Ablehnung heute rechtfertigen müssen, Herr Kollege Tauss. Ich habe in
all den Verhandlungen, die wir von 1992 bis 1997 geführt haben, eine ganze Menge an Rückschlägen erleiden müssen. Das gilt auch für die Kollegen, die mit
uns seinerzeit verhandelt haben. Ich denke auch an die
des Koalitionspartners F.D.P. Der frühere Minister Rexrodt war einer von denjenigen, die einige Erwartungen
zurückschrauben mussten.
Insgesamt haben wir - das wurde mehrfach zum
Ausdruck gebracht - im Spektrum der Reihe der Gesetze eine Voraussetzung geschaffen, auf deren Grundlage
wir nun in der Tat in der Lage sind - bei all den Abstrichen, die wir alle machen mussten -, eine moderne Entwicklung auf den Weg zu bringen und sie zu beschleunigen.
({0})
Dies darf aber nur mit dem geschehen, was wir uns an
Erfahrung aneignen müssen.
({1})
- In der Tat. Ich komme darauf noch zurück, wenn wir
über den Bericht der Regierung reden.
Zweifellos müssen die Grundlinien unserer Vision
deutlich machen, dass wir führend auf dem Mobilitätssektor, dynamisch in der Informationsgesellschaft und
effizient in der Produktion werden. Das gehört alles zusammen. Das Rückgrat dieser Informationsgesellschaft
ist eine leistungsfähige Kommunikationsinfrastruktur.
Hier verfügt die Bundesrepublik Deutschland als eines
von wenigen Ländern wirklich über eine hervorragende
Ausgangslage, nicht nur, was die Gesetzeslage angeht,
sondern auch in Bezug auf die Infrastruktur, die fast flächendeckend ist. Jahr für Jahr werden in die Netze in der
Bundesrepublik Deutschland Investitionen in einer Größenordnung von 4 Milliarden DM zur Verbesserung der
Technik etc. getätigt. Das ist eine hervorragende Situation, die wir nicht kleinreden sollten. Die ganze Entwicklung zielt darauf ab, dass die PC-Vernetzung auf
den Weg gebracht wird. Wenn ich mich in den Veröffentlichungen richtig informiert habe, dann ist in Bezug
auf Netz- und Ausbaukapazitäten inzwischen von Terabyte die Rede. Das deutet darauf hin, dass unsere Voraussetzungen ganz hervorragend sind.
Es gibt aber auch Nachholbedarf. Die Deutsche Telekom, die sich derzeit mit der Veräußerung oder auch
Nichtveräußerung des Fernsehkabelnetzes beschäftigt,
muss nun wirklich gezwungen werden, dieses Breitbandnetz endlich auf den neuesten technischen Stand zu
bringen und so dem Verbraucher zur Verfügung zu stellen.
({2})
Elmar Müller ({3})
Ich sage das ohne Vorwurf. Wir hatten das gleiche Problem schon einmal. Der Bund ist der Hauptaktionär bei
dieser Gesellschaft. Er muss die Verantwortlichen, die
Vorstände und die Aufsichtsräte dieser Gesellschaft,
endlich zwingen, dass sie dieses Netz dem Verbraucher
zur Verfügung stellen. Dieses Netz hat nicht die Telekom bezahlt, sondern der Bürger. Deshalb muss es ihm
auch wieder in einem Ausbaustandard zurückgegeben
werden, der interaktiven Ansprüchen gerecht wird.
Meine Damen und Herren, die Zahlen sind zum Teil
schon genannt worden: Das Verhältnis zwischen
Deutschland und den USA beim Netzzugang per PC beträgt etwa 1 : 3. Der Anteil der Haushalte mit Onlineanschluss entweder via Modem oder ISDN liegt in den
USA etwa dreimal höher als in der Bundesrepublik
Deutschland bzw. in Europa. Hier müssen wir immer
wieder nachrechnen. Gleichwohl registrieren wir, dass
die in der Bundesrepublik installierte Rechenleistung in
der Tat Jahr für Jahr um etwa 50 Prozent zunimmt. Das
ist eine hervorragende Zahl, die ich Ihnen hier nennen
kann.
Dabei ist die Furcht mancher völlig unbegründet, die
durch Angstparolen hervorgerufen wurde, die suggerierten, dass jeder in der Welt der neuen Berufe Tätige ein
kleiner Einstein sein müsse. Das ist nicht so. Ich möchte
dazu ein Beispiel nennen. Nach T-Online ist AOL
Deutschland der größte Internetanbieter. Vor vier Jahren hat diese Gesellschaft in Deutschland begonnen. Sie
beschäftigt heute etwa 1100 Mitarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland. Von diesen 1100 sind etwa 800 man höre und staune - ausschließlich in der Kundenbetreuung tätig, also in einem Bereich, den wir als
Dienstleistungssektor bezeichnen, und nur der Rest, etwa ein Drittel, ist für Verwaltung oder das Web-Design
zuständig. Neben denen, die als Informatiker, Techniker
oder Ingenieure tätig sind, gibt es also eine ganze Reihe
von Berufen, die an traditionelle Berufsfelder anknüpfen.
Ich möchte ein weiteres Beispiel nennen; es fußt auf
den Erfahrungen der letzten Wochen. Wir haben im letzten Jahr in den USA eine Entwicklung verfolgen können, die dazu führte, dass mittlerweile etwa 25 Prozent
aller Haushalte ihren täglichen Bedarf über das Internet
bestellen. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es
erst wenige Firmen, die die sich daraus ergebenden
Chancen nutzen. Dazu zählt beispielsweise das große
Versandhaus Otto, das sich als Erstes mit diesen neuen
Möglichkeiten beschäftigt hat. Wenn es stimmt, was ich
gelesen habe, ist dieses große Versandhaus das einzige,
das im letzten Jahr einen gehörigen Umsatzzuwachs erzielte. Das Gleiche gilt für einen Lebensmittelanbieter,
der zu Weihnachten ebenfalls eine Bestellmöglichkeit
via Internet mit einer Lieferung am nächsten Tag und
einer Zustellgebühr in Höhe von 10 DM seinen Kunden
angeboten hatte. Er ist, wie ich hörte, regelrecht von
Kunden überrannt worden, die ihren täglichen Bedarf
auf diese Weise abdecken wollten. Die Entwicklung
kommt also in Gang. Wir liegen aber noch weit hinter
dem zurück, was woanders bereits Standard ist.
Mit dieser Entwicklung sind aber auch Nebeneffekte
verbunden. So besteht selbst im Bereich der Zustelldienste die Möglichkeit, dass künftig neue Berufe entstehen und Einsteiger die Chance haben, ebenfalls an der
Entwicklung teilzunehmen.
Durchaus erfreut war ich, dass die Bundesregierung
in ihrem Bericht das IuKDG oder Multimedia-Gesetz
nach zwei Jahren insgesamt als gut bewertet. Dieses Gesetz, das übrigens federführend von Jürgen Rüttgers in
der vergangenen Legislaturperiode auf den Weg gebracht wurde,
({4})
stellt sich nun als so gut heraus, dass die Bundesregierung in ihrem Zwischenbericht nicht einmal die Empfehlung ausspricht, Änderungen rasch auf den Weg zu bringen. Es gibt zwar einige Dinge, die sie theoretisch auf
den Weg bringen möchte; aber sie nennt dafür keine
Termine.
({5})
- Herr Tauss, ich weiß, dass Sie einer derjenigen sind,
der darauf drängt.
Es ist in einigen Bereichen in der Tat notwendig
nachzubessern. Nicht umsonst hat der Bundestag im
Sommer 1997 festgelegt, er wolle nach zwei Jahren einen Zwischenbericht haben und werde nach Auswertung
des Zwischenberichts Überlegungen darüber anstellen,
welche Konsequenzen aus den Erfahrungen gezogen
werden müssen.
Meine Damen und Herren, in einem Punkt sind wir
uns in der Union einig - von einigen Mitgliedern der
Regierungskoalition wurde gesagt, dass dies auch für sie
gelte -: Im Hinblick auf die Medien stellen die Regulierungsinstitutionen einen Hemmschuh dar. Wir müssen
daher ohne Denkverbote an eine Reform der Landesmedienanstalten herangehen. Angesichts der Tatsache,
dass der einzelne Antragssteller dort bis zu 15- oder 16mal bestimmte Hindernisse zu bewältigen hat, ist es
schon erstaunlich, wie weit wir heute schon sind. Aber
wir könnten sehr viel weiter sein und die Entwicklung
der neuen Medien sehr viel schneller vorantreiben, wenn
es diese Bürokratie in den Ländern nicht gäbe.
({6})
Wir müssen sie auf einen modernen Stand bringen. Damit sage ich nichts gegen die im Übrigen positive Struktur in der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, zwischen IuKDG und
MDStV und dem, was die Arbeit der Medienanstalten
ausmacht, gibt es etwas, was uns Sorgen macht. Im Hinblick auf Teledienste und die allgemeine Medienversendung muss die Schnittstelle definiert werden. Dies geschieht vielfach durch Gerichte. Aber das ist zu wenig;
darauf können wir uns nicht stützen.
({7})
Wir müssen hier eine Lösung finden.
Das Gleiche gilt in der Gesetzgebung für das, was bezüglich der Hyperlinks in einem Urteil abzulesen war:
Einer der Anbieter wurde für Inhalte verantwortlich geElmar Müller ({8})
macht, für die er nicht verantwortlich gemacht werden
konnte. Gott sei Dank wurde dies im Berufungsverfahren zurechtgerückt. Aber in der Gesetzgebung muss darauf geachtet werden, dass die Anbieter im zweiten Hyperlink nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden.
({9})
Das stellt ein erhebliches Hemmnis dar; hier ist eine
Änderung notwendig.
Im Hinblick auf den Datenschutz dürfen wir nicht zu
einer Überregulierung kommen; wir sollten möglichst
sogar zu einer nur geringen Regulierung kommen. Es
kann nicht sein, dass dem Einzelnen vorgeschrieben
wird, dass er nicht irgendwelche Anbieter beauftragen
dürfe, ihm zu irgendeinem Thema Angebote zukommen
zu lassen. Das muss in der Entscheidungskompetenz des
Einzelnen liegen. Dazu brauchen wir keinen Datenschutz. Der Staat hat das Konsumverhalten des Einzelnen nicht zu regulieren.
({10})
Herr Präsident, ich komme sofort zum Schluss. - Das
Gleiche gilt, meine Damen und Herren, für die Preisauszeichnung. Ich halte es für ein positives Phänomen, dass
es in den USA seit einigen Jahren Versteigerungen über
das Internet gibt. So etwas beginnt bei uns inzwischen
auch. Dies zeigt, dass eine Preisauszeichnungspflicht
illusorisch wäre.
Abschließend weise ich darauf hin, dass das, was die
Koalitionsfraktionen mit ihrem Antrag erreichen wollen,
noch einmal überdacht werden sollte.
Herr Kollege Müller, ich bitte Sie, jetzt doch zum Schluss zu kommen. Sie
haben Ihre Redezeit bereits erheblich überschritten.
Sie dürfen
nicht heute schon sagen, dass alles reguliert werden soll.
Wer alle Risiken ausschließen will, schließt auch alle
Chancen aus.
({0})
Dieser Antrag der Koalition ist wirklich fehl am Platze.
Danke schön.
({1})
Als letzte Rednerin
in dieser Debatte spricht nun die Kollegin
Monika Griefahn für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte die gemeinsame Euphorie für die neuen Medien am Anfang des neuen Jahrtausends für ganz erfrischend. Ich will aber auf einen
Punkt hinweisen: Als ich 1990 mein Ministerium in
Niedersachsen - Sie, Herr Hirche, waren dort sehr aktiv,
um die Dinge voranzubringen - übernommen habe, habe
ich Abteilungen vorgefunden, die verschiedene Computersysteme hatten, die also noch nicht einmal Disketten
austauschen konnten, um zum Beispiel Papiere abzugleichen. Auf der anderen Seite habe ich in einer
Nichtregierungsorganisation schon 1983 ein vernetztes
Kommunikationssystem eingeführt. Insofern kann man
nicht sagen, Herr Hirche, bei Ihnen in Niedersachsen sei
schon alles prima gelaufen.
Die neuen Herausforderungen, mit denen wir uns in
der Medienpolitik im 21. Jahrhundert beschäftigen, beschränken sich eben nicht nur auf die Schaffung des
Ordnungsrahmens, der hier schon mehrfach angesprochen worden ist. Deshalb denke ich - ich möchte in diesem Zusammenhang den Kollegen Fell unterstützen -,
dass es auch um die beiden gesellschaftlichen Leitbilder
gehen muss, wie sie in unserem Antrag „Strategie für
eine Nachhaltige Informationstechnik“ dargestellt sind.
Es geht zum einen um die nachhaltige Entwicklung, über die wir schon vorhin diskutiert haben, und es geht
zum anderen darum, die Informationsgesellschaft damit so zu verbinden, dass sowohl ihre Entwicklung als
auch die nachhaltige Entwicklung weltweit politisch und
wirtschaftlich möglich sind. Wir müssen sozusagen den
Rahmen vorgeben und klare Definitionen setzen. Es ist
wichtig, dass uns dieser Prozess nicht entgleitet; ansonsten wären wir überflüssig und wir bräuchten kein Parlament mehr. Ich denke, darin liegt unsere Aufgabe.
({0})
Die in der Debatte über die Informationsgesellschaft
und über die neuen Medien viel strapazierten Begriffe
wie Multimedia, Wissensgesellschaft, virtuelle Welten,
Datenautobahn, Internet und E-Mail schweben noch für
viele Menschen - das haben wir auch an den Prozentzahlen gesehen, die hier mehrfach genannt worden sind;
Hubertus Heil hat von den 9 Prozent gesprochen, die
heute an das Internet angeschlossen sind - sozusagen im
Cyberspace.
Wenn man sieht, dass auch gestandene Intellektuelle
wie Hans Magnus Enzensberger meinen, es handele sich
um die digitalen Evangelisten, die sich jetzt in den Vordergrund schieben, dann muss man die vorgebrachten
Argumente zumindest ernst nehmen und sich mit ihnen
auseinandersetzen. Unser Aktionsprogramm leistet dies
und trägt zur Aufklärung bei. Aber ich denke, dass Hans
Magnus Enzensberger Recht hat - der Kollege von der
PDS hat das ebenfalls vorhin gesagt -: Wer Cybersex
für Liebe hält, der ist reif für die Psychiatrie.
({1})
Das kann ich nur bestätigen. Ich denke, dass wir unsere
Kommunikation und unseren Umgang miteinander nicht
nur auf das Internet und die Computertechnik beschränken können; wir müssen auch noch etwas direkt miteinander zu tun haben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, für
den diese Bundesregierung etwas tut.
({2})
Elmar Müller ({3})
- Nein, es war eindeutig Herr Seifert, der diesen Punkt
in einer Zwischenfrage angesprochen hat.
Was in der öffentlichen Debatte bei aller Euphorie
ebenfalls zu kurz kommt, ist der Aspekt der Verträglichkeit angesichts der Vielfalt der neuen Geräte, die man
sich anschaffen muss. Damit wird eine weitere Herausforderung an uns gestellt; denn es reicht nicht aus, nur
einen PC zu besitzen. Man braucht auch noch ein Modem, einen Drucker und vielleicht noch zusätzlich ein
Faxgerät. Das heißt: Man braucht zusätzliche Geräte, die
neue Ressourcen verschwenden und Energie verbrauchen.
Frau Caspers-Merk hat heute Morgen in der Debatte
zur Nachhaltigkeit deutlich gesagt, dass wir in unserer
technisierten Welt mehr Energie in Form von Strom und
Wärme verbrauchen und nicht weniger. Den Umschwung haben wir noch nicht geschafft. Darin liegt die
Herausforderung.
({4})
Es reicht eben nicht, beispielsweise Verordnungen
zur Entsorgung von Elektronikgeräten und Altautos zu
erlassen, wie sie vor Jahren diskutiert wurden. Es reicht
auch nicht, einzelne Produkte ein bisschen effizienter zu
machen. Es geht vielmehr darum, auch neue Vorstellungen und Visionen zu entwickeln, die uns helfen, das
Bewusstsein dahin gehend zu verändern, dass Multimedia und Ökologie eine Einheit bilden. Es darf nicht
sein, dass sich die einen nur um Multimedia und die anderen nur um Ökologie kümmern. Diese beiden Bereiche müssen sozusagen organisch zusammenhängen.
Das fängt eben bereits in der Ausbildung an, und
zwar schon im Kindergarten. Herr Kollege Fell hat ja
darauf hingewiesen, dass die Kinder heute zum Beispiel
denken, die Spaghettis wachsen auf den Bäumen. Die
Kinder kennen mehr Automarken oder mehr Internetadressen als zum Beispiel Pflanzennamen. Ich glaube,
beides ist notwendig, um Produkte so zu entwickeln wie wir es schon 1992 gemeinsam mit der Firma Hewlett-Packard getan haben -, dass Computer aus einem
einzigen Material bestehen und nicht geklebt oder geschraubt, sondern nur gesteckt werden und auseinander
genommen werden können.
({5})
Die Menge dessen, was trotz immer kleiner werdender elektronischer Geräte weggeschmissen wird, belastet
unsere Umwelt doch in höchstem Maße, einmal durch
den Ressourcenverbrauch und zum Zweiten durch die
Materialien, die dann in der Umwelt landen. Unterschätzen Sie das nicht: Wenn die Ressourcen weg sind, dann
ist es zu spät. Deshalb müssen wir jetzt die Designer, die
Architekten, die Menschen, die solche Produkte konstruieren, erst so ausbilden, dass sie sagen: Wir machen
ein schickes Gerät, wir machen ein ökologisches Gerät
und wir machen das, was Hartmut Vogtmann, der neue
Chef des Bundesamtes für Naturschutz, gesagt hat: Wir
kommen aus der Verbotsecke raus, es muss Spaß machen, mit den neuen Geräten im Internet zu sein. - Beides gehört zusammen und das ist, so glaube ich, der entscheidende Punkt. Dafür wollen wir uns mit unserem
Antrag einsetzen. Die Bundesregierung hat dies aufgenommen.
Dazu gehört natürlich auch noch, dass wir es gleichzeitig hinkriegen, dass der Missbrauch dieser Medien
durch Rechtsextremismus, durch organisierte Kriminalität, durch Pornografie verhindert wird. Auch das ist unser Job, den wir nicht unterschätzen dürfen.
Frau Kollegin Griefahn, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Ja, okay, nur noch ein
Satz. - Die Euphorie der Zusammenbindung, der Zusammenschluss von AOL und Time Warner wurde eben
erwähnt. Dazu kann ich nur meinen ehemaligen Kollegen aus dem Bundestag, Peter Glotz, zitieren, der ges-
tern dazu sagte: Eigentlich passen die nicht zusammen;
das ist ein Zusammenschluss wie eine Ehe zwischen
Seehund und Hund.
({0})
Das kann eigentlich nicht die alleinige Zielperspektive
sein, vielmehr müssen wir zum Ziel haben, dass die
kleinen und vielfältigen Einheiten erhalten bleiben; denn
dies schafft Arbeitsplätze. Dies ist etwas, was mit diesen
ganzen Initiativen, die im Aktionsprogramm genannt
werden, auch vorangebracht wird. Ich bin dafür auch
sehr dankbar.
({1})
Ich schließe die
Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der
Vorlagen auf den Drucksachen 14/1191, 14/1776,
14/2362 und 14/2390 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Überweisung im vereinfachten Verfahren
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes ({0})
- Drucksache 14/2498 Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf der
Drucksache 14/2498 zur federführenden Beratung an
den Verteidigungsausschuss und zur Mitberatung an den
Innenausschuss zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Beschlussfassung über Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra
Pau und der Fraktion der PDS
Sofortiger unbefristeter Abschiebestopp für
Flüchtlinge in die Türkei
- Drucksachen 14/331, 14/2391 Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Veit
Dietmar Schlee
Marieluise Beck ({2})
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/331 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN, gegen die Stimmen der PDS, bei Enthaltung der F.D.P.Fraktion.
Ich komme zu Tagesordnungspunkt 7:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens ({3})
- Drucksache 14/626 ({4})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Arbeit und Sozialordnung ({5})
- Drucksache 14/2490 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Thea Dückert
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen! - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen des Hauses bei Enthaltung der F.D.P. angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen
Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zur Änderung
des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
Ich gebe für den Antragsteller dem Kollegen Jürgen
Möllemann das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor der Bundestagswahl hat die SPD mitgeteilt, sie werde für den
Fall, dass sie mit dem Regierungsauftrag versehen werde, die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung verdoppeln.
({0})
Auf unsere interessierte Nachfrage wurde dann etwas
einschränkend gesagt, man werde die Investitionen für
Bildung, Wissenschaft und Forschung verdoppeln, allerdings ohne zu erläutern, wo der genaue Unterschied
zwischen Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung und den Investitionen liegt. Auf die Nachfrage
nach der Bundestagswahl, die von der SPD nicht zuletzt
auch mit diesem Versprechen an die junge Generation
und die am Bildungsbetrieb Interessierten gewonnen
wurde, hieß es dann, man werde die Zukunftsinvestitionen für Bildung, Wissenschaft und Forschung
verdoppeln. Man ahnte schon - ich weiß, dass ich das in
den Debatten immer wieder nachgefragt habe -, dass
nach und nach aus diesem Versprechen eine Enttäuschung werden würde.
({1})
Wenn man sich die Haushalte, die seither eingebracht
und verabschiedet wurden, anschaut, lässt sich das auch
nachlesen. Im ersten Jahr gab es zunächst eine durchaus
spürbare Steigerung.
({2})
Diese war allerdings bei weitem nicht so spürbar, dass
diese mit vier multipliziert in dieser Legislaturperiode
eine Verdoppelung ergeben hätte. Diese wurde aber
schon in der Bereinigungssitzung wesentlich reduziert.
Beim zweiten Haushalt gab es dann die große Enttäuschung, weil von einer wirklichen Steigerung keine Rede mehr sein konnte.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben den
Wahlkampf mit dem Argument geführt, die frühere
Koalition habe nicht genug getan.
({4})
- Darüber kann man streiten. Aber wer dieses Argument
vorträgt und es zum wahlentscheidenden Kriterium
macht, muss sich anschließend daran messen lassen.
({5})
Vizepräsident Rudolf Seiters
Sie haben sich nicht daran gehalten. Von einer Verdoppelung der Bildungsausgaben konnte in den ersten
beiden Jahren Ihrer Amtszeit tendenziell nicht die Rede
sein. Ich weiß nicht, von wem das Zitat ist, aber es ist
nicht so schlecht: „Gebrochene Versprechen sind gesprochene Verbrechen.“ Sie haben Ihr Versprechen gebrochen.
Das Zweite passiert jetzt. Sie - die Grünen übrigens
auch - haben vor der Wahl in Ihrem Wahlprogramm gesagt, es werde das Drei-Körbe-Modell geben. Wir bringen einen entsprechenden Entwurf hier ein, weil er mit
gewissen Modifikationen in seinen Grundstrukturen
durchaus vernünftig ist.
({6})
Sie reagieren darauf mit einer Verzögerungsargumentation, indem Sie sagen, man müsse noch den Familienleistungstungsausgleich usw. gestalten. Dann haben Sie
die Idee, dies auch umzusetzen. Ich glaube, Frau
Bulmahn, dass Sie wirklich die Idee hatten, die Investitionen zu verdoppeln. Aber Sie durften nicht, weil der
Kanzler sich nicht auf Ihre, sondern auf die Seite seines
Finanzministers gestellt hat. Dann haben Sie die Idee,
das Drei-Körbe-Modell zu machen. Aber Sie sind zur
Klausurtagung Ihrer Fraktion gekommen und haben sich
vom Kanzler sagen lassen müssen, dass es mit ihm nicht
gehe. Das kann einem passieren; aber Sie dürfen sich
nicht wundern, wenn wir hier eine Bildungsministerin
nicht mehr so ganz ernst nehmen können, die uns unablässig etwas ankündigt, was anschließend von ihrem
Kanzler mit einem Federstrich zur Seite geräumt wird.
Frau Bulmahn, Sie haben im Kabinett nichts zu sagen.
Das ist das Problem,
({7})
und das ist der Unterschied zwischen Worten und Taten,
der die jungen Menschen und auch die anderen, die daran interessiert sind, deren Eltern, deren Lehrer und
Hochschullehrer, so enttäuscht. Sie haben enttäuscht und
Sie versuchen jetzt, mit einer Scheinlösung, mit einer
kleinen Lösung,
({8})
mit einem Trick den Eindruck zu erwecken, als kämen
Sie auch nur in die Nähe dessen, was Sie versprochen
haben.
({9})
Sie tun es nicht.
In der Überschrift Ihrer heutigen Presseerklärung
sprechen Sie von 1 Milliarde DM und tun so, als würden
Sie 1 Milliarde DM zusätzlich ausgeben.
({10})
- Mit anderer Leute Geld kann ich auch gut prahlen. -
Sie sprechen von 1 Milliarde DM und meinen 500 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt und sagen, die Länder hätten gefälligst eine halbe Milliarde hinzuzutun.
({11})
Das müssen sie bei einer BAföG-Reform auch, wenn sie
zustande kommen soll, aber tun Sie nicht so, wenn Sie
die Mittel der Länder hinzuzählen, als gäben Sie das
Geld dieser Regierung aus.
({12})
Die Wahrheit ist - das ist der Grund, warum wir das
hier thematisieren; das mediale Echo ist auch so eindeutig, dass man es gar nicht weiter bekräftigen muss -: Sie
haben im Bildungsbereich erneut große Taten angekündigt und Sie passen mit Hut unter der Tür durch, die Ihnen Herr Schröder vor der Nase zugeschlagen hat. Das
ist nun wirklich eine Enttäuschung, die wir hier deutlich
ansprechen. Frau Pieper wird im Übrigen unser Modell
gleich noch erläutern.
Vielen Dank.
({13})
Ich gebe das Wort
der Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Edelgard Bulmahn.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung ({0}): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! An dem Ergebnis wird man
gemessen,
({1})
und das Ergebnis, das wir heute vorlegen, bedeutet eine
Totalsanierung der Ausbildungsförderung.
({2})
Fakt ist: Auch Sie werden an den Ergebnissen Ihrer
Regierungspolitik gemessen. Das Ergebnis Ihrer Regierungspolitik, Herr Möllemann, für das auch Sie verantwortlich waren,
({3})
ist, dass das BAföG unter Ihrer Regierung zur Bedeutungslosigkeit verkommen, war,
({4})
dass immer mehr Jugendliche aus finanziellen Gründen
sagen mussten: Ich kann nicht studieren.
({5})
Ich stand vor einem Scherbenhaufen, als ich dieses Amt
übernommen habe, und die Koalition hat gesagt: Das
werden wir so nicht weiter mitmachen,
({6})
sondern wir werden dafür Sorge tragen, dass in Zukunft
keine junge Frau und kein junger Mann mehr sagen
muss: Ich kann nicht studieren, weil meine Eltern kein
Geld dafür haben.
({7})
Genau das werden wir mit diesem Vorschlag wahrmachen.
Meine Damen und Herren, wir können es uns nicht
leisten, dass Jugendliche aus finanzschwachen Familien
vom Studium abgehalten werden.
({8})
Wir müssen alle Potenziale aus unserem Land nutzen.
Damit gibt diese Regierung und diese Koalition ein
deutliches Bekenntnis dafür ab, dass mehr Jugendliche
in diesem Land studieren sollen
({9})
und dass wir in Deutschland gut ausgebildete Menschen
brauchen, denn die Zukunft liegt in den Händen gut
ausgebildeter Menschen
({10})
und sie hängt ab von den Startchancen, die wir jungen
Menschen für ihre Ausbildung geben.
({11})
Deshalb habe ich ein neues BAföG auf den Tisch gelegt, von dem Sie, Herr Rachel, und Ihre Kollegen nur
hätten träumen können.
({12})
Dies hat der Bundeskanzler auch ausdrücklich unterstützt und ausdrücklich selbst gesagt. Ich habe ein neues
BAföG auf den Tisch gelegt, ein BAföG, das einen
wirklichen Neuanfang darstellt,
({13})
ein BAföG, das sozial gerecht ist, ein BAföG, das viele
Familien wirklich entlasten wird, ein BAföG, das die
Unterschiede zwischen Ost und West aufhebt und den
Studierenden den Weg nach Europa frei macht.
({14})
- Es ist durchaus sinnvoll, wenn ich als Studierende, die
BAföG erhält, auch die Möglichkeit habe, im Ausland
zu studieren. Wenn Sie das nicht begreifen, tut es mir
Leid.
({15})
Meine Herren und Damen, die Bundesregierung wird
für die Reform der Ausbildungsförderung jährlich zusätzlich 500 Millionen DM mehr zur Verfügung stellen.
({16})
Das hat es in Ihrer Regierungszeit nicht ein einziges Mal
gegeben.
({17})
- Ich erwarte schon von Ihnen, Herr Möllemann, dass
Sie auch lesen, und zwar richtig lesen.
({18})
So habe ich es in der Presseerklärung auch gesagt. Damit mobilisieren wir insgesamt rund 1 Milliarde DM. Es
ist sogar noch etwas mehr.Das wissen Sie genauso gut
wie ich. Mit dem Länderanteil und dem Darlehensanteil
bedeutet das im Klartext rund 1 Milliarde DM mehr für
BAföG.
({19})
- Das steht im Text. Sie müssen anscheinend noch lesen
lernen; dabei kann ich Ihnen gerne helfen.
Ich habe vorhin gesagt, so etwas habe es in den vergangenen 16 Jahren nicht gegeben. Die bisherigen Ausgaben für die Ausbildungsförderung werden damit für
die Jugendlichen erheblich verstärkt. Damit haben wir
die Grundlage für einen neuen Anfang geschaffen. Das
ist für diese Bundesregierung eine gewaltige Kraftanstrengung; das will ich gar nicht verhehlen.
({20})
Es ist eine gewaltige Kraftanstrengung, dafür so viel
mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Damit machen wir
deutlich: Bildung hat für uns Priorität.
Mehr junge Menschen werden während ihres Studiums finanziell gefördert. Das ist einer der wichtigen
Eckpunkte. Wir wollen erreichen, dass das Kindergeld
in Zukunft bei der Berechnung des BAföG nicht mehr
angerechnet wird. Diesen Vorschlag habe ich schon im
Frühjahr gemacht. Ich glaube, dass das jedem einsichtig
ist. Das bedeutet, dass wir das BAföG mit den anderen
Systemen, wie Sozialhilfe oder Rente, gleichstellen, und
das bedeutet, dass in Zukunft jede Kindergelderhöhung
in vollem Umfang auch den Familien zugute kommt, die
Kinder haben, welche studieren und BAföG erhalten.
Genau das wollen wir. Das bedeutet vor allem für Familien mit einem mittleren Einkommen eine deutliche
Verbesserung.
Wir werden über die Nichtanrechnung des Kindergeldes hinaus auch die Freibeträge deutlich anheben,
damit erheblich mehr Jugendliche BAföG-berechtigt
werden. Das ist unsere Zielsetzung. Wir wollen nicht,
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
dass das BAföG nur von den Ärmsten in Anspruch genommen werden kann. Es muss seinem Anspruch wieder gerecht werden, eine Ausbildungsförderung für Jugendliche aus einkommensschwächeren Familien zu
sein.
Wir werden die Bedarfssätze erhöhen. Der Höchstsatz des BAföG steigt von 1030 DM zurzeit auf
1100 DM. Damit haben Studierende zusammen mit dem
Kindergeld das, was sie heute tatsächlich zum Lebensunterhalt brauchen und was auch der ständigen Forderung des Deutschen Studentenwerkes entspricht.
Künftig wird es eine dauerhafte Hilfe zum Studienabschluss geben, unabhängig von den Gründen, die zur
Überschreitung der Förderungshöchstdauer geführt haben. Denn wir sind der Überzeugung, dass es wichtig ist,
den Studierenden zu ermöglichen, dass sie ihr Studium
erfolgreich abschließen können. Das werden wir damit
erreichen und wir werden damit wegkommen von den
befristeten Lösungen, die es in der Vergangenheit gab.
({21})
Wir wollen, dass Studierende aus West und Ost in der
Ausbildungsförderung gleichgestellt werden. Die noch
bestehenden Unterschiede bei der Förderung von Studierenden in den alten und neuen Bundesländern werden
aufgehoben. Auch das ist mehr als überfällig.
({22})
Damit haben wir beim BAföG endlich die notwendige
Einheit von Ost und West realisiert.
({23})
Wir wollen die Ausbildungsförderung internationalisieren. Junge Menschen haben heute eine berechtigte
Forderung an uns, wie ich finde. Sie sagen: Wir wachsen
in einem vereinten Europa auf und wir wollen unbeschränkt in Europa studieren können. Mit unserer BAföG-Reform ebnen wir genau dafür den Weg. Wer zwei
Semester in Deutschland studiert hat, kann in Zukunft in
einem anderen Land in Europa nicht mehr nur zwei Semester, wie bisher, weiterstudieren, sondern kann zum
Beispiel nach dem Vordiplom beschließen, in ein anderes Land zu gehen und dort bis zum Ende zu studieren,
also auch seinen Abschluss dort zu machen, wenn er es
für sinnvoll hält.
({24})
Ich bin davon überzeugt, dass das der richtige Weg
ist, denn wir haben inzwischen einen europäischen Arbeitsmarkt. Eine Ausbildung im Ausland hat eine immer
größere Bedeutung. Das muss auch für Jugendliche gelten, die BAföG erhalten. Wir wollen doch keine Zweiklassengesellschaft.
({25})
Wir stellen uns mit der BAföG-Reform den neuen
Anforderungen der internationalen Abschlüsse - auch
das haben Sie nicht gemacht - und des Arbeitsmarktes.
Master-Studiengänge, die auf den Bachelor-Studiengängen aufbauen, müssen künftig nicht mehr streng
fachidentisch sein, sondern werden auch dann gefördert,
wenn sie für den späteren Beruf besonders geeignet sind.
Gerade diese Mischqualifikationen werden vom Arbeitsmarkt sehr stark nachgefragt.
Deshalb will ich auch hier nicht, dass BAföGStudierende benachteiligt sind. Wir wollen erreichen,
dass sie die gleichen Chancen haben wie Kinder und Jugendliche aus Familien, die das Studium ihrer Kinder
aus eigenen Mitteln finanzieren. Das ist ein wichtiger
Punkt. Denn die Attraktivität dieser Studiengänge, die
wir alle wollten und gefordert haben, hängt natürlich
auch davon ab, ob wir die Rahmenbedingungen so verändern, dass diese Studiengänge von den Jugendlichen
gewählt werden können und dann auch tatsächlich gewählt werden.
({26})
Ein ebenso wichtiges Ziel ist für uns, eine BAföGRegelung zu schaffen, die sowohl für Studierende als
auch für Eltern ein Mehr an Transparenz und Verlässlichkeit bietet. Wir wollen daher in Zukunft klare Regelungen im Hinblick auf die Höchstförderungsdauer formulieren. In der entsprechenden Verordnung gibt es
zurzeit über 100 Sonderregelungen. Das ist nicht mehr
nachvollziehbar und durchschaubar, das ist - leider das Ergebnis Ihrer Regierungspolitik. Denn diese Sonderregelungen haben wir nach dem Regierungswechsel
so vorgefunden.
({27})
Deshalb werde ich dafür sorgen, dass dieses komplizierte System, das Sie uns hinterlassen haben, vereinfacht
wird, damit jeder erkennen kann, welche Förderungshöchstdauer es gibt.
({28})
Genauso wichtig ist es, die zurzeit existierenden fünf
verschiedenen Freibeträge für Kinder und die drei verschiedenen Freibeträge für Eltern zu vereinfachen. Ich
frage Sie, wer angesichts von acht verschiedenen Freibeträgen eigentlich noch durchblicken soll. Auch das wollen wir ändern. Deshalb wird das entsprechende Gesetz
in Zukunft so gestaltet sein, dass man es auch als normaler Mensch verstehen kann. Es wird so sein, dass man
sich das Gesetz durchliest und dann auch weiß, welche
Rechte man hat. Genau das ist unsere Zielsetzung.
({29})
- Dieses Modell hat Herr Schröder ausdrücklich unterstützt.
({30})
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
Die Länder fordern seit Jahren eine BAföG-Reform.
Ich mache Ihnen mit diesen Eckpunkten ein Angebot für
einen echten Neuanfang,
({31})
der zu einer erheblichen Verbesserung der BAföGRegelungen führen wird. Ich hoffe im Interesse der Jugendlichen, dass dieses Angebot von Ihnen aufgegriffen
werden wird.
Vielen Dank.
({32})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Angelika Volquartz
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, zum Ersten ist festzustellen: Ihr Angebot hört sich
nach einem CDU/CSU-Angebot an. Das muss man ganz
klar feststellen.
({0})
Zum Zweiten ist zu sagen: Nicht am Ergebnis wird
man gemessen, sondern an den Versprechungen. Sie haben Ihre Versprechungen, die Sie während des Wahlkampfes im Jahre 1998 gemacht haben, ganz klar gebrochen.
({1})
Es muss für Sie wirklich erdrückend sein, dass der Bundeskanzler, dessen Landesvorsitzende Sie sind, Ihnen in
den Rücken gefallen ist und die Eckpunkte der
CDU/CSU-Fraktion unterstützt. Damit hat weder in der
Öffentlichkeit noch hier jemand gerechnet.
Frau Ministerin, eine Frage: Woher kommen die von
Ihnen angesprochenen 500 Millionen DM?
({2})
- Herr Schlauch, verzichten Sie auf diese billige Bemerkung, mit der Sie von Ihren Fehlern ablenken wollen. Kommen die aus Ihrem Haushalt, und wenn ja, wo wird
gekürzt? Darauf hätten wir gerne eine Antwort.
Ich möchte noch einmal Folgendes deutlich machen:
Vor fast einem Jahr, am 26. Februar 1999, hat die Bundesbildungsministerin in diesem Hause ausgeführt - ich
zitiere -:
Wir werden eine BAföG-Reform durchführen, die
auch auf längerfristige Sicht Sicherheit für Studierende aus einkommensschwächeren Familien bietet.
Bis Ende letzten Jahres hatten Sie, Frau Bulmahn, ein
entscheidungsreifes Konzept angekündigt. Es war nicht
zu überhören - das Feuerwerk zum Jahrtausendwechsel
war von ausreichender Lautstärke begleitet -, dass dieser Termin ohne das angekündigte Konzept verstrichen
ist. Wir haben, obwohl Sie im Sommer letzten Jahres in
einer Presseerklärung noch einmal von diesem Ziel gesprochen haben, zur Kenntnis nehmen können, dass die
Bildungspolitik der Regierung offenbar weiterhin vom
Finanzminister und neuerdings auch vom Bundeskanzler
gemacht werden - wir sind gespannt, was in anderen
Fragen noch auf uns zukommt - und dass Zusagen der
Bildungsministerin in diesem Hohen Hause wenig Bedeutung haben. Bedauerlich ist, dass sich Ihre Politik
nicht mehr an den Bedürfnissen der Wählerinnen und
Wähler orientiert, wie Sie es zugesagt haben, sondern an
Haushaltszwängen. Das nächste Mal müssen Sie sich
vor einer Wahl entscheiden und deutlich sagen, was Sie
wirklich wollen. Jedenfalls dürfen Sie keine Versprechungen machen, die Sie anschließend absolut nicht halten können.
({3})
Verehrter Kollege Berninger von den Grünen, Sie haben uns in der Debatte im Dezember unsinnigerweise
vorgeworfen, dass wir als CDU/CSU-Fraktion in Bezug
auf das große BAföG-Reformwerk unflexibel seien und
eigentlich den Bremser darstellten; denn alle anderen
seien sich einig, dass es eine große Reform geben müsse.
({4})
Heute stellt sich heraus, dass wir der eigentliche Motor
dieser BAföG-Reform sind
({5})
und unsere Vorschläge die Kernpunkte der Vorstellungen des Bundeskanzlers - "der Ministerin" kann man
kaum mehr sagen - bilden. Wir haben machbare Vorschläge vorgelegt.
Wir haben Sie, Frau Ministerin, schon vor Monaten
darauf hingewiesen, dass es verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Zahlung eines Ausbildungsgeldes gibt.
Scheinbar sind es heute nicht die verfassungsrechtlichen
Bedenken, die Sie dazu bewegen, eine Veränderung
vorzunehmen; vielmehr ist es schlicht und ergreifend
das Machtwort des Kanzlers und des Finanzministers,
dem Sie sich beugen müssen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken nehmen Sie lediglich als Ausrede.
({6})
Was der Ministerin nicht vergönnt war, das zaubert
der Bundeskanzler aus dem Hut mit seiner Ankündigung
am Dienstag vor der SPD-Fraktion, den BAföG-Etat zu
erhöhen. Richtig ist, was in der gestrigen Ausgabe der
„FAZ“ stand: Das BAföG-Theater wird immer peinlicher - In der Tat!
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nach
Ihrer Kehrtwende zügig entscheiden, damit wir schnell
weniger Taxi fahrende Studenten haben und endlich Nägel mit Köpfen machen können.
({8})
Vielen Dank.
({9})
Als
nächster Redner hat der Kollege Matthias Berninger
vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man
muss, wenn man über die BAföG-Reform und die aktuelle Situation redet, zunächst einmal über den Bundeskanzler sprechen. Ich sage Ihnen in diesem Hohen Haus,
dass die Begründung des Bundeskanzlers für die Ablehnung einer BAföG-Strukturreform für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen nicht akzeptabel ist.
({0})
Die Eltern, deren Kinder studieren, erhalten die staatlichen Transfers nicht zur Finanzierung ihres Hauses,
auch nicht zur Finanzierung von Papis Passat, sondern
zur Weitergabe an ihre Kinder, damit diese studieren
können. Insoweit ist die Begründung des Bundeskanzlers zurückzuweisen. - Das vorneweg.
({1})
Kommen wir nun zur Strukturreform, und zwar zunächst zur Frage des Geldes: Frau Volquartz, wenn man
noch einmal eine Reparaturnovelle mit 200 Millionen
DM zusätzlich als Beruhigungspille in Angriff genommen hätte, würde ich heute anders reden, als ich es in
den nächsten vier Minuten tun kann. 1,2 Milliarden DM
werden zusätzlich in das BAföG fließen.
({2})
Durch Maßnahmen der Bundesregierung werden
800 Millionen DM mobilisiert, und zwar weil wir den
Zuschussanteil über den Haushalt und darüber hinaus
den Darlehensanteil über die Ausgleichsbank finanzieren werden.
({3})
1,2 Milliarden DM ist die größte Summe, die je für eine
BAföG-Novelle ausgegeben wurde.
({4})
1,2 Milliarden DM sind ein Betrag, von dem wir als
Bündnis 90/Die Grünen glauben, dass er für eine Totalsanierung des BAföG ausreicht.
({5})
Ich halte das BAföG, wie es heute ist, für bürokratisch überladen. Es erreicht nicht mehr genügend Menschen. Das kann man an der Zahl der Geförderten ablesen.
({6})
Das BAföG ist für viele ein Graus.Wir wollen es deregulieren; wir wollen Sonderregelungen abschaffen. Das
Gesetz muss schlanker, transparenter und für die Leute
attraktiver werden.
({7})
Diese Zielsetzung kann erreicht werden, wenn wir die
zusätzlichen Mittel mobilisieren.
Es ist gefragt worden: Wo kommt das Geld her? Die
Antwort darauf ist ein weiterer Grund dafür, warum diese Reform ein Schritt in die richtige Richtung ist. Dieses
Geld wird zusätzlich aufgebracht werden; es muss nicht
aus dem Etat der Bundesbildungsministerin finanziert
werden.
({8})
Die Koalitionsfraktionen haben sich darauf geeinigt,
weitere 500 Millionen DM in den Bereich Bildung zu
investieren. Damit wird auf die Zukunftsmilliarde eine
halbe Milliarde draufgelegt. Trotz Sparpaket, trotz Unternehmensteuerreform ist das ein Signal,
({9})
das deutlich macht, dass Bildung für diese Bundesregierung Priorität hat.
({10})
Ich bin deshalb den Koalitionsfraktionen für diese
Schwerpunktsetzung dankbar.
({11})
- Das wird im Jahre 2001 in Kraft treten, unter einer
Voraussetzung,
({12})
nämlich der, dass die CDU- oder CSU-geführten Länder, die nicht bereit waren, eine Strukturreform zu machen - übrigens auch ein Grund, warum sie gescheitert
ist -, willens sind, ihren Anteil zur Finanzierung beizutragen.
({13})
Eine BAföG-Reform allein wird meiner Meinung
nach nicht ausreichen. An dieser Argumentation hat sich
nichts geändert. Es gibt Studierende, die sagen: Ich
möchte meine Eltern nicht finanziell belasten, während
ich studiere; ich möchte das lieber selbst regeln. Sie sind
heute gezwungen, erwerbstätig zu sein. Die Koalition
hat sich deshalb darauf verständigt, ein neues Förderinstrument einzuführen, das vorsieht, dass den Studierenden Förderung elternunabhängig zugute kommen soll.
Mit Bildungskrediten wollen wir es allen ermöglichen,
zumindest in bestimmten Studienabschnitten ohne
Zwang zur Erwerbstätigkeit elternunabhängig zu studieren. Das ist für mich der erste Schritt hin zu einem Ziel,
das Bündnis 90/Die Grünen verfolgen werden,
({14})
nämlich die Errichtung einer Bildungsbank.
({15})
Die Deutsche Ausgleichsbank wird als Bildungsbank
künftig eine wichtige Rolle übernehmen, und die Aufgabe des Staates ist relativ klar. Der Staat wird als Ausfallbürge auftreten - denn die fehlende Bürgschaft ist
ein Grund, warum Studierende heute etwa bei Banken
keinen Kredit bekommen - und der Staat wird in der
Ausbildungsphase und der Phase des Berufseinstiegs die
Zinszahlungen übernehmen. Das werden wir zusätzlich
machen, weil wir sagen: Neben dem BAföG muss es
weitere Förderinstrumente geben.
({16})
Einen weiteren Punkt, von dem ich glaube, dass er in
die richtige Richtung geht, möchte ich hier noch ansprechen. Über die Hälfte aller Arbeitnehmer wird in 20 Jahren älter als 40 Jahre sein. Die Zahl der 30-Jährigen wird
von heute 12 Millionen auf 8 Millionen sinken. Eine
Bildungsreform wird nicht mehr nur das Thema Erstausbildung im Blick haben können; wir müssen auch auf
die Weiterbildung, auf das lebenslange Lernen schauen.
Deshalb hat sich die Koalition darauf verständigt, dass
die Bundesregierung eine Expertenkommission einberufen wird, in der über Strukturfragen, über Fragen der
Bildungsfinanzierung, die sich in Zukunft stellen, geredet wird und in der Vorschläge erarbeitet werden, die
dieser neuen Herausforderung gerecht werden.
Bündnis 90/Die Grünen schlagen vor, dass man, weil
Bildung so wichtig ist wie ein Dach über dem Kopf,
Bildungsvorsorge und Bildungssparen ähnlich fördert
wie die Vorsorge für eigenen Wohnraum, wie die Schaffung von eigenem Wohnraum. Das ist ein neuer Schritt,
eine neue Reform, von der ich glaube, dass sie jetzt erarbeitet werden muss. Da diese Koalition das Interesse
hat, über die Legislaturperiode hinaus strukturelle Reformen im Bildungsbereich voranzubringen,
({17})
bin ich sehr froh darüber, dass wir die Arbeit daran noch
in diesem Jahr aufnehmen. Auch das macht deutlich,
dass mit der BAföG-Reform die Diskussion über die
Zukunft der Bildungsfinanzierung nicht beendet ist,
sondern dass sie nur einen Anfang genommen hat und
wir damit den Scherbenhaufen aufkehren, den die
alte Koalition und auch der damalige Bildungsminister
Möllemann uns hinterlassen haben.
Ich danke Ihnen.
({18})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Maritta Böttcher von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Es bleibt dabei: Die Enttäuschung und Empörung der bildungspolitischen Öffentlichkeit über das Scheitern der geplanten BAföGReform sind enorm.
({0})
Weit über das übliche Murren sogar der Regierungsjugend hinaus ist ein regelrechter Aufschrei zu vernehmen. Schließlich musste die Bildungsministerin ihren
Offenbarungseid allein deshalb leisten
({1})
- ich komme gleich noch auf die Millionen -, weil sie
von Bundeskanzler Gerhard Schröder zurückgepfiffen
wurde - entgegen den klaren Ankündigungen in der Koalitionsvereinbarung, noch 1999 eine grundlegende Reform der Ausbildungsförderung in Angriff zu nehmen.
({2})
Derartige Versprechungen waren mit dem Rückenwind
der studentischen Protestbewegung des Winters 1997/98
auch in die Bundestagswahlprogramme von SPD und
Grünen aufgenommen worden.
Wenn nun, wie es sich abzeichnet, die Koalition anstelle einer Strukturreform eine abermalige Novelle vorbereitet, also die Bildungsmisere des 20. Jahrhunderts
bruchlos in eine Misere des 21. Jahrhunderts überführt,
so sprechen die Studierenden zu Recht von einem gebrochenen Wahlversprechen.
({3})
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kann mit unserer Unterstützung rechnen, wenn es darum geht, in der
Koalition eine Reform der Ausbildungsförderung auf
den Weg zu bringen, die diesen Namen auch verdient,
die den Erwartungen sowohl der heutigen als auch der
künftigen Studentinnen und Studenten entspricht und die
die Zahl der BAföG-geförderten Studierenden und ihre
Leistungen spürbar verbessert.
Sie, verehrter Kollege Berninger, machen sich allerdings unglaubwürdig, wenn Sie sich mit Ihrer berechtigten Kritik am Abrücken der SPD vom Koalitionsvertrag
an die Speerspitze der Reformbewegung stellen wollen.
Indem Sie die BAföG-Querelen in der SPD postwendend mit einem eigenen Vorhaben zur Errichtung einer
„Bildungsbank“ beantworten, wird unverkennbar, dass
nicht nur Kanzler Schröder, sondern auch der grüne Koalitionspartner die Bundesbildungsministerin mit ihren
ambitionierten Reformplänen im Regen stehen lässt.
({4})
Strategien zur Privatisierung und Individualisierung der
Ausbildungsförderungssysteme sind einer wirklichen
Reform im Sinne von Chancengleichheit abträglich.
Die Fraktion der PDS bedauert, dass die Koalition
vom Vorhaben einer strukturellen Reform der Ausbildungsförderung abrückt. Denn mit ihren Plänen hatte
sich die Bildungsministerin endlich Reformüberlegungen angeschlossen, die seit vielen Jahren von Organisationen wie dem DSW oder der GEW diskutiert werden
und bereits 1996 erstmals auch von der PDS in den
Deutschen Bundestag eingebracht worden sind. Kern der
bisher geführten Reformdebatte ist die Finanzierung der
Ausbildungsförderung aus verschiedenen „Körben“. Ich will dies nicht näher erläutern, da wir alle wissen,
worum es geht. Sie wissen auch, dass die angesprochenen Probleme nicht erst seit heute bestehen. - Die existenzsichernde Ausbildungsförderung hat nach den Vorstellungen der PDS-Fraktion zumindest für Kinder von
Eltern mit unterdurchschnittlichem Einkommen als Zuschuss ohne Rückzahlungspflicht zu erfolgen.
({5})
An diese Forderung möchte ich hier noch einmal erinnern.
Seit dem Herbst 1998 hatte die Bundesregierung die
Chance, endlich mit einem sozialen Numerus clausus an
den Universitäten Schluss zu machen. Die Koalition hat
wertvolle Zeit verspielt. Ich bin durchaus der Auffassung, dass die rechtlichen Unsicherheiten, die mit dem
geplanten Ausbildungsgeld verknüpft sind, ernst genommen werden müssen, wenngleich ich zu berücksichtigen bitte, dass die Kanzlerinterventionen gegen die
Ausbildungsförderungsreform in erster Linie nicht von
juristischen, sondern von politischen Bedenken motiviert waren. Außerdem sind die juristischen Probleme in
Bezug auf das Unterhalts- und Steuerrecht nicht neu.
Um die Reformpläne der Ministerin beurteilen zu
können, wäre es dringend geboten, dass diese dem Deutschen Bundestag, seinem zuständigen Ausschuss sowie
der bildungspolitischen Öffentlichkeit endlich zur
Kenntnis gegeben werden, und zwar nicht nur auf dem
Wege über die Presse, wie es heute geschehen ist. Erst
dann ist eine verantwortungsvolle Bewertung der Reformkonzeption der Ministerin für Bildung und Forschung überhaupt möglich.
Die mit einer halbherzigen Reform verbundenen auch rechtlichen - Unsicherheiten zeigen gleichwohl
schon jetzt, dass wir mittelfristig nicht - in diesem Punkt
gebe ich Herrn Kollegen Berninger wieder Recht - um
eine grundlegende Erneuerung des Ausbildungsförderungssystems herumkommen, die das bestehende BAföG in das System einer bedarfsdeckenden sozialen
Grundsicherung für alle Bürgerinnen und Bürger, also
auch für Studierende, überführt.
Lassen Sie mich zum Abschluss betonen: Es wird
entgegen den vom Kollegen Berninger geweckten Erwartungen keine kostenneutrale Reform der Ausbildungsförderung geben. Eine solche wird auch nicht nötig sein, wenn die versprochenen Gelder - jetzt wird von
anderen Summen als heute Morgen gesprochen - wirklich fließen.
Ich möchte noch eine Forderung der PDS anfügen:
Die jährlichen Darlehensrückflüsse in Höhe von rund
1 Milliarde DM müssen zur Finanzierung der Strukturreform der Ausbildungsförderung bereitgestellt werden.
Die Generation der ehemaligen Studentinnen und Studenten, die nach fünf Jahren zur Kasse gebeten wird,
darf nicht weiter zum Stopfen der Haushaltslöcher des
jeweiligen Finanzministers missbraucht werden.
Wir brauchen also schnell eine wirkliche Entscheidung
anhand der konkreten Eckwerte, die uns vorliegen, um
überhaupt eine Reform, die den Namen auch verdient,
wirkungsvoll auf den Weg bringen zu können.
({6})
Als
nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen Ernst
Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht viele von den
Oppositionsparteien machen dieses Thema zu ihrem
Herzensanliegen. Ich habe den Eindruck, Sie alle zusammen sehen ziemlich bedeppert aus.
({0})
Sie sehen deshalb bedeppert aus, weil Sie nicht einmal
mehr eine einheitliche Linie verfolgen, weil Sie merken,
dass Sie sich nur mit Worten bewegen können, aber in
der Praxis offensichtlich etwas ganz anderes läuft. Das
ist Ihr Dilemma: Sie wenden die Worte hin und her, aber
gemessen an den Taten haben Sie schmählich versagt.
({1})
Oder um es umgekehrt zu sagen: Wann gab es zuletzt
Taten, aufgrund deren in einem Haushaltsjahr - wie
1999 - 900 Millionen DM für Bildung und Wissenschaft
dazugekommen sind? Im Haushaltsjahr 2000 ist der
Verfügungsrahmen für Bildung und Wissenschaft um
mehr als 300 Millionen DM gesteigert worden. Für die
Jahre 1999 und 2000 ist ein Bildungsförderprogramm
für arbeitslose Jugendliche im Umfang von
2 Milliarden DM aufgelegt worden. Die Hochschulen
können 200 Millionen DM mehr für Baumaßnahmen
ausgeben, neben einem Investitionsanreizprogramm für
Bildungsinnovationen in Höhe von 200 Millionen DM.
Die Mittel für die Nachwuchsförderung weisen Steigerungsraten von 50 bis 60 Prozent auf. Wann hat es das
jemals gegeben?
({2})
Deshalb sagen wir aus voller Überzeugung: Was Sie
hier angreifen, ist in Wirklichkeit die Geschichte einer
Erfolgsministerin. Frau Buhlmann ist eine Erfolgsministerin,
({3})
so wie die ganze Regierung eindeutig die Bildung in den
Vordergrund stellt.
Wenn Sie es nicht glauben wollen, Herr Möllemann,
dann vergleichen Sie unsere Erfolge nicht mit Ihren eigenen. Denn dazwischen war ja noch was: die
ungenannten Bildungspolitiker der F.D.P. und dann
Rüttgers. Wenn wir das, was wir jetzt mit Blick auf Frau
Buhlmann gesagt haben, auf Herrn Rüttgers beziehen
wollten, was müssten wir dann sagen? Rüttgers war der
Minister, unter dem die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft um 1 Milliarde DM zurückgingen,
({4})
unter dem die Jugendarbeitslosigkeit gewachsen ist, unter dem die Ausgaben für die Hochschulen nicht substanziell erhöht worden sind. Rüttgers war der Minister,
der immer BAföG-Erhöhungen angekündigt hat, aber
bei einer Erhöhung der Bedarfssätze um 6 Prozent und
der Freibeträge um 12 Prozent für eine ganze Legislaturperiode stehen geblieben ist.
Rüttgers hatte ganz andere Erlebnisse, wenn es denn
darum ging, für Bildung finanziell mehr herauszuholen.
Sie erinnern sich sicher noch alle daran, als Bundeskanzler Kohl einmal nicht an das jetzt viel diskutierte Geld
dachte, sondern an die Bildung. Das war der so genannte
„Bildungsgipfel“. Wissen Sie, was daraus geworden ist?
- Null.
({5})
Rüttgers bekam überhaupt keine Unterstützung von seinem Kanzler.
Wollen wir uns denn beklagen, wenn wir uns für Bildungsinteressen einsetzen, dass mit Kanzler Schröder
eine Bildungsministerin die Chance bekam, im Bereich
BAföG eine Reform auf den Weg zu bringen, die so viele - auch strukturell wichtige - Elemente enthält, wie
Sie sich das nie haben vorstellen können?
({6})
Herr Möllemann, manchmal, wenn Sie den Mund so
spitzen, denke ich: Sie können ja auch ganz unterhaltsam sein. Aber irgendwie war Ihre Stimmung heute arg
gedämpft. Ich vermute, das hat etwas mit dem Niveau
der Plakate zur Bildungspolitik zu tun, die gegenwärtig
in Nordrhein-Westfalen hängen und auch für Sie sprechen sollen.
({7})
Es wäre ein Gebot der Ehrlichkeit, zu sagen: Wenn
wir jetzt vorankommen, dann nur, weil die gesamte Regierung - vom Kanzler über den Finanzminister bis hin
zu den Fachressorts - darin einig ist, Bildung Priorität
einzuräumen. Wir kommen voran, weil es zwischen den
Koalitionsparteien jetzt eine eindrucksvolle Geschlossenheit gibt, die in Ihrer Regierungszeit offensichtlich
nicht vorhanden war. Oder sehen Sie irgendeine Verbindung zwischen dem, was die F.D.P. beantragt, und dem,
was die CDU/CSU beantragt? Ich finde das schon frappierend.
Aber das erklärt auch, warum es unter Kohl mit
Rüttgers offensichtlich nicht vorwärts gehen konnte: Sie
hatten überhaupt keinen gemeinsamen Nenner mehr. Die
F.D.P. applaudiert für sich, genauso wie die CDU/CSU
für sich applaudiert - und SPD und Bündnis 90/Die
Grünen tun etwas für die Studenten, tun etwas für die
Auszubildenden, machen eine Bildungsreform.
({8})
Das sind strukturelle Elemente. Wo die Ausbildungsförderung unter Möllemann und Rüttgers um die Hälfte zurückging, gibt es jetzt wieder einen Weg, der nach oben
führt: deutlich mehr Geförderte, vor allem in dem Bereich, in dem es materiell wehtut. Und was die Nichtanrechnung des Kindergeldes angeht, haben wir auch noch
Übereinstimmung erzielt.
Was gibt es weiter für die Studenten? Im letzten Jahr
haben wir mit der 20. Novelle die Sauerei, dass Auslandsstudien nicht mehr gefördert wurden, zum Teil repariert. Jetzt geht es einen gewaltigen Schritt nach vorne: Das Auslandsstudium wird sozusagen anerkannt und
voll in die Förderung einbezogen. Das ist etwas strukturell Neues. Ich meine, das ist wirklich Zukunftsorientierung, die sonst von Ihnen immer nur mit Worten beschworen wird.
({9})
Schließlich gibt es endlich Fairness in Bezug auf den
Studienabschluss. Das konnte Studenten in der Vergangenheit arg beschweren. Wir werden Gelegenheit haben,
zusammen ein gutes Gesetz zu machen.
Herr Möllemann, wenn Sie schon mehr als nur Plakate lesen, dann haben Sie vorhin die Regierungspresseerklärung gelesen. Darin steht wortwörtlich:
Zusammen mit dem Anteil der Länder und der
Deutschen Ausgleichsbank können so rund
1 Milliarde Mark für die Verwirklichung des
Rechts auf Bildung mobilisiert werden.
({10})
Das ist ein Angebot. Das ist auch eine Aufforderung
zum Pragmatismus. Denn in 20 Jahren redet man nicht
mehr davon, ob es eine SPD- oder eine CDU-BAföGReform war. Man wird davon reden, ob das die Wiederbelebung des BAföG war. Wir haben jetzt die Chance,
dies mit der SPD-Regierung, den SPD-Ländern und den
CDU-Ländern gemeinsam hinzubekommen.
Deshalb ist heute ein guter Tag für die Auszubildenden und für die Studenten in Deutschland. Dies ist ein
Tag, an dem das BAföG wieder Zukunft bekommt.
Danke schön, Frau Ministerin!
({11})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Cornelia Pieper von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Die BAföG-Reform ist Chefsache, also Sache des Kanzlers. Wir führen hier eine Aktuelle Stunde und ich vermisse den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der sich als Kanzler für Innovation und Bildung
versteht.
({0})
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, was Sie heute im Deutschen Bundestag geboten haben, indem Sie die Katze aus dem Sack lassen und sagen, dass es keine Strukturreform beim BAföG geben
wird ({1})
- hören Sie ruhig zu, das wird Ihnen gut tun; vielleicht
lernen Sie noch etwas dazu -, ist, denke ich, ein Vertrauensbruch gegenüber den jungen Menschen in diesem
Land. Sie haben ihnen diese Strukturreform nicht nur
vor der Wahl, sondern auch in Ihrer Koalitionsvereinbarung und bis zuletzt versprochen. Ich bezeichne das als
Schwindelei, was hier im deutschen Parlament gegenüber den Wählern gemacht worden ist. Das können wir
so nicht hinnehmen.
({2})
Frau Ministerin, Sie haben heute in der Bundespressekonferenz erklärt, die Bundesregierung werde - das
steht hier in der Überschrift schwarz auf weiß zu lesen „insgesamt 1 Milliarde DM zusätzlich“ in die Ausbildungsförderung investieren. „Die Bundesregierung“
steht da. Sie haben dann klargestellt: 500 Millionen DM
kommen zusätzlich vom Bundesfinanzminister. Woher
die da kommen sollen, weiß ich nicht. Ich möchte Sie
daran erinnern, dass wir bei den Haushaltsberatungen
2000 die Summe von 550 Millionen DM, die ursprünglich für das BAföG eingestellt war, gestrichen haben.
({3})
Sie haben sich diese 550 Millionen DM vom Finanzminister streichen lassen. Jetzt kriegen Sie
500 Millionen DM zurück. Das ist keine zusätzliche
Bundesausbildungsförderung. Dieses Geld gehört eigentlich sowieso in diesen Haushalt; dieses Geld sollte
dem Anschub einer BAföG-Reform dienen.
({4})
Meine Damen und Herren, alle Bildungsexperten der
Bundesrepublik Deutschland sind sich über eine echte
Strukturreform bei der Bundesausbildungsförderung einig. Verfassungs- und Steuerrechtler haben die Sockelförderung, also die direkte Auszahlung eines monatlichen Betrages an die Studenten und Auszubildenden,
geprüft und für vereinbar mit dem letzten Familienurteil
des Bundesverfassungsgerichts erklärt. Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang unter anderem das Studium eines Gutachtens von Professor Dr. Wieland von der
Universität Bielefeld empfehlen -, der übrigens auch
Berater des Bildungsausschusses des Deutschen Bundestages gewesen ist -, in dem er dies klarstellt. Wir stellen
Ihnen dieses Gutachten gerne zur Verfügung. Wir bekommen von Ihnen ja keine Gutachten, also müssen wir
uns diese selber besorgen. Ich finde es schon sehr befremdlich, wenn man als Abgeordnete dieses Hohen
Hauses nicht alle Informationen zur Beratung einer Gesetzesvorlage zur Verfügung gestellt bekommt.
({5})
Meine Damen und Herren von der Fraktion der Grünen, ich wundere mich sehr: Herr Berninger macht Äußerungen, die zuerst sehr sympathisch klingen.
({6})
„Richtige Analyse, aber falsche Schlussfolgerungen“,
kann ich dazu nur sagen. Ich weiß nicht, wie viele Kröten Sie in dieser Koalition noch schlucken müssen. Eigentlich müsste sie angesichts der vielen Kröten, die Sie
geschluckt haben, schon geplatzt sein. Bis gestern haben
Sie in allen Interviews noch erklärt, dass Sie auf einer
echten Strukturreform bezüglich des BAföG insistieren
würden. Für diese Strukturreform treten Sie jetzt nicht
mehr ein. Das, was die Ministerin vorgelegt hat, ist keine Reform, auch kein Reförmchen, sondern eine Mogelpackung. Sie bleiben beim alten System.
({7})
Die Grünen sind eine Umfallerpartei. Herr Berninger
hat zu Recht gefragt: Warum werden eigentlich in dieser
Republik 27-Jährige wie 14-Jährige behandelt, und warum können sie den Sockelbetrag nicht ausgezahlt bekommen?
({8})
Ich stimme Ihnen in dieser Frage zu. Aber dann lassen
Sie es uns endlich tun. Mit 18 Jahren hat man in
Deutschland alle Rechte und Pflichten. Aber wahrscheinlich traut der Staat den jungen Menschen nicht zu,
mit einem bestimmten Betrag ihren Lebensunterhalt eigenständig zu finanzieren. Wie können Sie dann angesichts eines solch geringen Maßes an Vertrauen in die
jungen Leute in diesem Land mehr Eigenverantwortung
und Eigeninitiative verlangen?
Ich möchte Ihren Juso-Chef, Benjamin Mikfeld, zitieren.
({9})
- Man soll auch hin und wieder andere für sich sprechen
lassen. Das tut der Argumentation gut.
Ich zitiere:
Da frage ich mich dann wirklich, wie ernst die Regierung
- damit sind Sie gemeint -
junge Erwachsene eigentlich nimmt. Wir haben den
Eindruck, da wird die neue Mitte von morgen zurück an Mamas Herd und Mamas Schoß getrieben,
wenn gesagt wird, das Geld kann überhaupt nicht
den Jugendlichen direkt ausgezahlt werden ...
Ich sehe das genauso wie Ihr Juso-Vorsitzender. Ich frage mich, warum Sie nicht für einen Innovationsschub in
Ihrer Bildungspolitik sorgen.
Im Verlauf der bisherigen Debatte ist schon deutlich
geworden: Die Ministerin ist am Machtwort des Kanzlers gescheitert. Eigentlich kann man ihr selbst das gar
nicht vorwerfen. Er ist eben kein Kanzler der Jungen,
die zu Recht auf die Nutzung der Chancen in einer immer offener werdenden Welt drängen. Die jetzige Regierung macht Bildungs- und Chancengleichheit nicht zur
Priorität in der Politik. Dem Fortschritt und den Reformen kann man sich auf Dauer nicht versperren.
({10})
Frau
Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Jawohl, Herr Präsident. Deshalb rate ich Ihnen, Frau Bulmahn: Lassen Sie sich
nicht weiter unterbuttern! Überdenken Sie Ihr Vorhaben
und beschließen Sie nach einer eingehenden Expertenanhörung mit uns gemeinsam endlich eine echte Strukturreform!
Vielen Dank.
({0})
Als
nächster Rednerin gebe ich das Wort der Kollegin Antje
Hermenau vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen
und Kollegen! Erstens, Frau Pieper: Was hat Sie eigentlich so gepiekt? Es ist völlig unklar, warum Sie sich hier
so echauffieren. Ich kann es nicht nachvollziehen.
Zweitens. Wenn Sie hier schon solche Reden schwingen und piepersche Thesen zum BAföG aufstellen, dann
wäre ich Ihnen dankbar, Sie hätten sich vorher über den
Haushalt informiert. Sie kennen die Zahlen nicht. Sie
haben unterstellt, wir hätten im Haushalt 2000 500 Millionen DM für das BAföG gestrichen. Das ist lächerlich.
Wir haben es lediglich anders finanziert. Für die BAföG-Empfänger ändert sich gar nichts. Das haben Sie
nicht verstanden.
({0})
Den nächsten Punkt werden Sie wahrscheinlich auch
nicht verstehen, nämlich wie wir die 500 Millionen DM
finanzieren wollen, die wir ab 2001 für die Umsetzung
der Reform, von der wir sprechen, brauchen.
Renate Rennebach [SPD]: Hier gibt es keine
schwarzen Kassen!)
- Hier gibt es keine schwarzen Kassen. Das ist ein völlig
berechtigter Zuruf.
Ich sehe in der Finanzierung auch kein Problem; denn
wir werden die 500 Millionen DM im Rahmen des
Haushalts 2001 finanzieren, der im Herbst erst noch diskutiert wird. Dann können Sie all Ihre Einwände vorbringen. Dann können wir in Ruhe besprechen, wie die
500 Millionen DM finanziert werden. Ich sehe kein Problem; denn die Koalition hat bereits die Prioritäten für
die nächste Haushaltsberatung im Bildungsbereich gesetzt. Eines garantiere ich Ihnen: Die 500 Millionen DM
werden nicht aus Mitteln für den Hochschulbau finanziert, wie das in den letzten Jahren unter Ihrer Ägide üblich war.
({1})
Die CDU behauptet, wir machten keine Reform. Das
kann doch wohl nicht wahr sein. Natürlich werden die
jungen Leute mehr und mehr wie Erwachsene behandelt
und nicht mehr wie die armen kleinen Kümmerlinge.
Natürlich werden sie selbstbestimmter arbeiten können das werde ich gleich ausführen -, sie werden flexibler
über ihre Lebensplanung verfügen können und sie werden endlich auch internationale Studien aufnehmen können, indem ihnen ein Studium im Ausland wieder möglich ist, was ich für ganz wesentlich halte. Wir haben in
Deutschland keine Chancen, wenn wir im Bildungsbereich immer nur vor uns hinschmoren. Wir müssen ganz
einfach auch das Studieren im Ausland ermöglichen.
Vor diesem Hintergrund wundere ich mich, dass die
PDS noch einmal mit dieser abgestandenen These vom
sozialen Numerus clausus aufgetaucht ist. Ich weiß
nicht, was es mit einem sozialen Numerus clausus zu tun
hat, wenn das Kindergeld nicht mehr angerechnet wird.
Wenn die Freibeträge und die Bedarfssätze angehoben
werden, dann weiß ich ebenfalls nicht, was das mit einem sozialen Numerus clausus zu tun hat. Sie müssen
sich besser informieren.
({2})
Jetzt reden wir einmal über diese Strukturreform, die
wir - ich gebe zu: mit einer gewissen Mühe - auf die
Beine gestellt haben. Also: 500 Millionen DM kommen
dazu. Das heißt, 400 Millionen DM werden vonseiten
der Bundesregierung als Zuschuss gegeben und
100 Millionen DM wird die Deutsche Ausgleichsbank
zur Verfügung stellen müssen, um Zins und Ausfallbürgschaften zu übernehmen. Wenn man das zusammenrechnet und überlegt, was die Ausgleichsbank ungefähr finanzieren kann - in der Summe noch einmal ungefähr 400 Millionen DM -, dann kommt man locker
auf 800 Millionen DM, die zusätzlich zur Verfügung
stehen werden.
({3})
Nimmt man noch den Länderfinanzierungsanteil dazu,
dann ist man schon bei über 1,2 Milliarden DM. Das übrigens, meine Damen und Herren von der CDU, entspricht exakt der Summe, um die die BAföGFinanzierung des Bundes von 1992 bis 1998 abgesenkt
worden ist.
({4})
Wenn wir schon bei solchen Vergleichszahlen sind:
Innerhalb von zwölf Jahren, von 1982 bis 1994, ist der
Anteil der Studis aus niedrigen Einkommensgruppen
von 23 Prozent auf 14 Prozent heruntergeplumpst.
({5})
Wir werden das ändern. Es soll unabhängig vom Elterneinkommen - das war der eigentliche Diskussionspunkt
in der Koalition - jedem möglich sein, ein Studium aufzunehmen. Dass der Student dabei ein gewisses persönliches Risiko eingeht, indem er eine Mitverantwortung
für die Finanzierung seines Studiums übernimmt, indem
er kreditfähig ist, halte ich für ein Moment der Selbstbestimmung, das ich jedem jungen Menschen nur wünschen kann.
({6})
Denn junge Leute, die nicht in der Lage sind, über ihr
Leben selbst zu entscheiden, haben wir leider genug. Ich
bin sehr dankbar für alle aufmunternden und mutigen
Schritte in dem Bereich. Ich denke, wir haben ein gutes
Stück präsentiert.
Wir haben darauf hingewiesen, dass es eine Kommission geben wird. Man wird noch einmal über alle Punkte
einzeln sprechen: über die Bildungsbank und über Bildungskredite. Wir werden über das lebenslange Lernen
sprechen müssen. Sie können sich heute entscheiden, ob
Sie Abstand von dieser Diskussion nehmen wollen, ob
Sie sich aus dieser ganzen Debatte verabschieden wollen
oder ob Sie sich dafür entscheiden können an diesen
Veränderungen - auch produktiv - teilzunehmen. Ich
bin der Auffassung: Wir alle würden davon profitieren,
wenn Sie sich beteiligen.
Danke schön.
({7})
Jetzt erteile ich dem Kollegen Thomas Rachel von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rot-grün
und Bildungsministerin Bulmahn sind wortbrüchig geworden.
({0})
Im Bundestagswahlkampf haben Sie eine zügige BAföG-Reform versprochen. Im Koalitionsvertrag haben
SPD und Grüne zugesagt, ein im Bundestag und im
Bundesrat zustimmungsfähiges Konzept bis Ende 1999
vorzulegen. Beide Versprechen aus dem Wahlkampf
und aus dem Koalitionsvertrag haben Sie gebrochen.
({1})
Zu Recht schreibt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ - ich
zitiere -:
Es ist schon ein dreistes Stück, wie die Berliner
Regierung glaubt mit den Studenten umspringen zu
können.
Doch der Super-GAU für Bildungsministerin Bulmahn kam erst in diesen Tagen. Erstmalig in seiner Regierungszeit als Bundeskanzler hat Gerhard Schröder
von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und
sein Veto gegen das von der Bildungsministerin favorisierte BAföG-Modell eingelegt. Mit einer Handbewegung hat er das Sockelmodell vom Tisch gefegt. Frau
Bulmahn, das Veto des Kanzlers gegen Ihre Bildungspolitik ist eine schallende Ohrfeige für Sie als Ministerin.
({2})
Die Begründung Schröders, Kindergeld und Freibeträge seien von den Eltern zur Finanzierung ihrer Häuser
fest eingeplant und könnten deshalb nicht an die Studenten ausgezahlt werden, ist abenteuerlich. Schröder leistet
dem Missbrauch mancher Eltern Vorschub, die sich ihrer Pflichten entziehen und ihren Kindern den Unterhalt
vorenthalten. Für eine solche Begründung sollte man
sich schämen.
({3})
Wir Christdemokraten wollen eine zügige BAföGReform, mit der der Anteil der BAföG-Berechtigten auf
25 Prozent ansteigt.Schröder will 500 Millionen DM für
Verbesserungen beim BAföG im bestehenden System
zur Verfügung stellen. Wir begrüßen diese Entscheidung, im bestehenden BAföG-System zu bleiben, auch
wenn der Umfang der nun angekündigten Gelder hinter
den von Ihnen geweckten Erwartungen zurückbleibt.
({4})
Die CDU ist der eigentliche Gewinner des Streits,
den Sie innerhalb Ihrer Regierung hatten.
({5})
Von der Opposition unter Druck gesetzt haben Sie, Frau
Bulmahn, heute Mittag vor der Presse den Kurswechsel
beim BAföG angekündigt. Grundpfeiler der heute von
Ihnen vorgestellten BAföG-Reformüberlegung ist es,
das Kindergeld im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung
beim BAföG nicht mehr auf das Einkommen anzurechnen. Genau dies hat die Unionsfraktion im November
letzten Jahres mit ihrem Antrag vorgeschlagen.
({6})
Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung auf den Kurs
der CDU/CSU eingeschwenkt ist. Durch eine solche Reform werden wir die absurde Situation beseitigen, dass
jede Kindergelderhöhung den Kreis der BAföGBerechtigten verkleinert.
Wir wollen, dass die monatliche BAföGFörderleistung erhöht wird. Zehntausende Studenten
hätten bei Umsetzung unserer Vorschläge zusätzlich
Anspruch auf BAföG. Wir werden auch den Vorschlag,
die Angleichung zwischen alten und neuen Bundesländern vorzunehmen, unterstützen.
Der angekündigte Bildungskredit soll den Studenten,
die aufgrund des Elterneinkommens kein BAföG beziehen können, als verzinslicher Kredit eingeräumt werden.
Das ist offensichtlich das Trostpflaster für die Grünen.
Die BAföG-Politik der Grünen und ihr BAFF-Vorschlag
sind gescheitert. Die Grünen sind als Tiger gestartet und
als Bettvorleger gelandet.
({7})
Frau Bulmahn, wir sollten allerdings auch die Kinder
aus armen Familien entlasten. Ich vermisse in Ihrem
Vorschlag eine soziale Komponente. Die CDU/CSUFraktion hat in ihrem Antrag vorgeschlagen, die Hemmschwelle für Jugendliche aus sozial schwachen Familien,
ein Studium aufzunehmen, zu senken. Deshalb soll die
Darlehenssumme, die BAföG-Studierende aus besonders
sozial schwachen Familien nachher zurückzahlen müssen, gesenkt werden. Falsch wäre eine Reform, die die
sozial Schwächsten aus dem Blick verlöre. In dieser
Frage schlage ich Ihnen, Frau Bulmahn, eine große Koalition von CDU/CSU und SPD vor, damit auch ohne die
Grünen die BAföG-Förderung für die sozial Schwächsten verbessert wird.
({8})
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen, die
Bundesregierung ist auf den BAföG-Kurs der Union
eingeschwenkt. Das zeigt, dass man mit guten Vorschlägen auch als Oppositionspartei konstruktive Politik für
dieses Land machen und auch durchsetzen kann. Darauf
sind wir stolz.
Herzlichen Dank.
({9})
Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Peter Eckardt von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle zunächst
einmal fest, dass das, was die Frau Ministerin und die
rot-grüne Koalition organisiert haben, ein Kurswechsel
ist.
({0})
Ich stelle weiter fest, dass ich schon ein bisschen darüber erstaunt bin, wer sich jetzt als Sympathisant der
Studierenden und ihrer sozialen Lage artikuliert.
({1})
Ich habe den Verdacht, dass es auf der rechten Seite des
Hauses immer noch eine ganze Reihe von Abgeordneten
gibt, die meinen, dass zu viele und außerdem die Falschen studierten, nämlich nicht ihre eigenen Kinder.
({2})
Ich bin aber sicher, meine sehr verehrten Damen und
Herren, dass meine Studentinnen und Studenten, denen
es wirtschaftlich und sozial nicht sehr gut geht, zwar Interesse am BAföG, aber kaum Interesse an den Kritikpunkten haben, die hier von der Opposition vorgetragen
werden. Ich habe mit Verwunderung gehört, dass die
CDU in den letzten Jahren der Motor für Fortschritte in
der BAföG-Politik gewesen sei.
({3})
Wenn sich Studentinnen und Studenten überhaupt in
diesen Tagen für Politik und nicht nur Skandale interessieren, dann stehen andere Themen auf deren Stundenplan.
({4})
Wenn sich meine Studentinnen und Studenten aber
möglicherweise doch für das Thema BAföG interessieren, dann allein aus dem Wunsch heraus, 29 Jahre nach
dem In-Kraft-Treten des Bundesausbildungsförderungsgesetzes endlich ihre sozialen Bedingungen verbessert
zu sehen, um auch ihre Studienchancen zu verbessern.
Das hängt ja offensichtlich zusammen.
({5})
Die soziale Lage unserer Studierenden ist seit 1971,
als das BAföG das Honnefer Modell ablöste, von Jahr
zu Jahr schlechter geworden. Der größte Kahlschlag das sollte auch nicht vergessen werden - erfolgte zu Anfang der CDU-Regierung in den 80er-Jahren. 1989 hat
es - das muss man Herrn Möllemann zugestehen - einen
kleinen Rückzieher im Sozialabbau gegeben. Im Wesentlichen aber hat sich die Entwicklung fortgesetzt.
Die Zahl derer, die ein Studium beginnen, ist zurückgegangen. Das Durchschnittsalter der Studierenden und
ihr Hochschuleintrittsalter sind gestiegen. Das sind keine
guten Startchancen für Jugendliche.
Nach einer Untersuchung ist die Erwerbstätigkeit der
Studierenden während der Vorlesungszeit auf eine
Durchschnittsdauer von zwei Tagen in der Woche angestiegen. Deshalb werden zum Beispiel Studiengänge, bei
denen man wenig nebenher arbeiten kann, nicht mehr
von jungen Frauen ausgewählt. Erwerbsarbeit ist nachweisbar nicht, wie es der Stammtisch oft formuliert, ein
Mittel, um Luxus zu finanzieren, sondern erfolgt aus
zwingenden Gründen des Lebensunterhalts.
({6})
Die Haupteinnahmequelle der deutschen Studierenden das sollten alle bedenken, die das BAföG kritisieren - ist
in den letzten Jahrzehnten die Erwerbsarbeit geworden.
Weder BAföG noch Stipendien, weder Elternbeiträge
noch ererbtes Vermögen spielen eine wesentliche Rolle.
Die soziale Struktur der Studierenden hat im Jahre
2000 wieder die soziale Struktur der 60er-Jahre, in denen ich studiert habe, erreicht. In Fächern wie Jura und
Medizin - das ärgert mich besonders - kann man fast
schon von einer akademischen Vererbung sprechen. Eine erfreuliche soziale Ausnahme ist dabei die quantitative Bildungsbeteiligung von jungen Frauen an den Hochschulen.
Für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung
unseres Landes ist es notwendig, dass mehr Studierende
als heute bessere finanzielle Bedingungen an den Hochschulen vorfinden. Unser Land kann es sich nicht leisten, auf Begabungspotenziale zu verzichten, die aus Finanzgründen ein Studium gar nicht erst beginnen oder
ein begonnenes Studium - das kommt leider sehr häufig
vor - vor dem Examen abbrechen.
Auch neue Organisationsformen und wissenschaftliche Innovationen innerhalb des Studiums stoßen bei
Studierenden nur dann auf Akzeptanz - ich denke hier
an das Studium im Ausland oder an die Absolvierung
gestufter Studiengänge -, wenn sie dazu die notwendigen finanziellen Möglichkeiten haben.
Die finanzielle Sicherung der Studierenden kostet
Geld, für viele Zeitgenossen zu viel Geld; ich weiß das.
Aber auf eine zusätzliche Finanzierung kann man nicht
verzichten. Dies zeigt auch der Vorschlag von Edelgard
Bulmahn.
({7})
Die neue Bundesregierung hat bewiesen, dass sie dem
Ziel der Chancengleichheit nach 26 Jahren wieder nahe
kommen will. Wenn es irgendwo noch Vertrauen in die
Politik gibt, dann das von Studierenden, dass die sozialdemokratisch-grüne Regierung alles unternehmen wird,
um die soziale Situation der Studierenden während dieser Legislaturperiode zu verbessern. Dabei ist nicht
wichtig, um welches System und welches Modell es sich
handelt. Wichtig ist, dass am Ende strukturell herauskommt, dass mehr Studierende mehr BAföG bekommen.
({8})
Ich stelle fest, dass es um diese Frage, bei der es um
viel Geld geht, natürlich Konflikte gibt, sicherlich auch
zwischen dem Kanzler, dem Finanzminister und der
Bildungsministerin. Wenn Sie aber diesen Konflikt mit
den Konflikten vergleichen, die es in der Vergangenheit
bei anderen Regierungen gegeben hat, dann stellen Sie
fest, dass es ein mildes Lüftchen gewesen ist. Von dem,
was nun aus diesem Konflikt herausgekommen ist,
nehme ich an, dass ein Großteil der Studierenden damit
zufrieden sein kann.
Danke schön.
({9})
Als
nächster Redner hat der Kollege Norbert Hauser von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Ethikunterricht von Gerhard Schröder durften wir zwar
lernen, dass eine Koalitionsvereinbarung keine Bibel ist.
Aber man wird sich ja wohl noch daran erinnern dürfen,
was in ihr steht:
Für eine grundlegende Reform und Verbesserung
der Ausbildungsförderung werden wir ein im Bundestag und Bundesrat zustimmungsfähiges Konzept
bis Ende 1999 vorlegen. Dazu werden wir unter
anderem alle ausbildungsbezogenen staatlichen
Leistungen zusammenfassen.
Diese hehren Sätze stellen Ansprüche dar, vor denen Sie
kapituliert haben.
({0})
Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn ist mit
ihrem Vorschlag zur Grundförderung für jeden StudenDr. Peter Eckardt
ten endgültig gescheitert. Die „einfühlsame“ Art unseres
Bundeskanzlers hat ihre ministeriellen Träume platzen
lassen.
({1})
Frau Bulmahn, Sie sind keine Erfolgsministerin, wie
Herr Rossmann meint es darstellen zu müssen. Nein, Sie
sind neben diesem Bundeskanzler zu einer Ankündigungsministerin geschrumpft und von ihm desavouiert
worden.
({2})
Frau Ministerin, wie herablassend haben Sie sich hier
dazu geäußert, als von den Kolleginnen und Kollegen
aus den Fraktionen angezweifelt wurde, dass Sie noch
bis zum 31. Dezember des letzten Jahres ein Konzept,
die Eckpunkte, für eine BAföG-Reform vorlegen würden. Herablassend haben Sie uns mitgeteilt, am 31. Dezember würden Sie gegebenenfalls noch um 23.45 Uhr
zu einer Pressekonferenz einladen. Der Jahreswechsel ist
gekommen; auf Ihre Einladung warten wir noch heute.
({3})
Es war nicht anders zu erwarten, dass das Presseecho
vernichtend ist. In der „Süddeutschen Zeitung“ war gestern zu lesen:
Der Kanzler hat Edelgard Bulmahn abgestraft, als
sei er Niedersachsens Ministerpräsident und sie
seine Fahrradbeauftragte.
({4})
Herr Rossmann, es war nicht nur die böse Presse. Auch
Herr Berninger hat es gerade dargestellt: im Forschungsbereich zwar gut gearbeitet, aber in der Bildungspolitik zu schwach.
({5})
Man konnte fast schon den Eindruck haben, Frau
Bulmahn wäre zum Abschuss freigegeben.
({6})
Herr Berninger, es war faszinierend, wie Sie eben hier
die Kurve gekriegt haben: Nachdem Sie erst festgestellt
haben, dass ihre Politik gescheitert ist, haben Sie später
dargestellt, wie Sie sich auf den kleinsten gemeinsamen
Nenner geeinigt haben.
({7})
Nichts haben Sie erreicht. Sie haben Ankündigungen
gemacht und haben hier mitgeteilt, dass Sie einige
Kommissionen gründen werden, die es dann richten sollen.
Auch Sie, Frau Hermenau, konnten uns nicht erklären, wie die 500 Millionen DM finanziert werden. Man
werde es bei den Haushaltsberatungen sehen; man müsse mal schauen, wo etwas gestrichen wird
({8})
und wo Schwerpunkte gesetzt werden. So haben Sie sich
gerade eingelassen. Wir werden also sehen, ob Sie überhaupt in der Lage sind, die jetzigen Ankündigungen und
Versprechungen einzuhalten.
Jetzt, wo der Druck aus der Opposition, aus den eigenen Reihen und aus den Medien so groß geworden ist,
({9})
haben Sie versucht, zu retten, was zu retten ist. Nun
könnte man ja sagen: Was soll es denn? Drei Wochen zu
spät zum Unterricht erschienen.
Sie haben aber eigentlich etwas ganz anderes vorgehabt. Sie wollten rot-grüne Lehrbücher mitbringen und
mussten dann heute Zuflucht beim Eckpunktepapier der
CDU/CSU-Fraktion suchen.
({10})
Ein Eckpunktepapier, das Sie noch vor wenigen Wochen
belächelt haben: Ziel 25 Prozent Förderquote. Gut so. Eckpunktepapier der CDU/CSU. 500 Millionen DM als
Förderung angekündigt. Gut so - Eckpunktepapier der
CDU/CSU. Nichtanrechnung des Kindergeldes bei der
Bedürftigkeitsprüfung. Gut so - Eckpunktepapier der
CDU/CSU.
({11})
- Unseren eigenen Anträgen stimmen wir meistens zu,
Herr Kollege.
({12})
Die zusätzliche Förderung des Auslandsstudiums ist zu
begrüßen, keine Frage.
({13})
Nicht gefolgt ist die Koalition aber unserer Forderung
nach einer stärkeren Unterstützung für schnelles und erfolgreiches Studieren. Ebenso fehlt in Ihrem Vorschlag,
dass die Fördermittel, die über 800 DM hinausgehen, als
Zuschuss gewährt werden.
Die bulmahnsche Pirouette im Berlin Winter gab es
dann mit der Äußerung der Absicht, Studenten, die keinen Anspruch auf BAföG-Förderung haben, aber trotzdem zu wenig Geld zum Studieren haben, nunmehr ein
verzinsliches Darlehen einzuräumen. Vor ein paar Tagen, Frau Kollegin, wollten Sie diesen Studenten noch
eine Grundförderung von 400 DM auszahlen. Dann hat
Sie der Bundeskanzler zurückgepfiffen und damit noch
einmal deutlich gemacht, dass Ihre Politik gescheitert
ist.
Der Kanzler und seiner Ministerin hätten vielleicht
einmal bei Lessing nachlesen sollen: Beide schaden sich
selbst: der, der zu viel verspricht, und der, der zu viel
Norbert Hauser ({14})
erwartet. Vielleicht auch bei Hagedorn: Versprechen
macht Schuld.
Meine Damen und Herren aus den Koalitionsfraktionen, auch Sie Frau Hermenau, haben Sie doch einfach
den Mut, lassen Sie uns zusammen die Dinge, die in unserem Eckpunktepapier stehen, noch umsetzen und wir
werden eine Menge für die Studierenden in der Bundesrepublik erreichen.
Vielen Dank.
({15})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Walter Hoffmann von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Manches Argument der Interessenvertreter der Studierenden wirkt in der Tat etwas
pharisäerhaft
({0})
und paradox, wenn man sich die Mühe macht, ein wenig
in die Geschichte dieses Gesetzes hineinzuschauen. Diese Geschichte ist jetzt fast 30 Jahre alt.
({1})
- Warten Sie doch erst einmal ab. Im Jahre 1971 war es
damals die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung, die mithilfe einer damals zumindest noch regierungsfähigen F.D.P. nach jahrelangem hinhaltenden Widerstand der CDU die bundeseinheitliche Ausbildungsförderung begründete.
({2})
Das Ziel damals und heute war, dass die Förderung der
Studierenden nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig
sein darf, sondern von Neigung, Eignung und Leistung.
30 Jahre sind vorbei und wir leben in der Tat nicht von
der Geschichte. Wir müssen uns aber die Frage stellen:
Was ist eigentlich aus diesem Ausbildungsgesetz geworden?
Nun haben mehrere meiner Vorrednerinnen und Vorredner ja gesagt, welche Entwicklungen stattgefunden
haben. Ich komme aus Darmstadt, einer Stadt in Südhessen mit drei Hochschulen. Wir haben 24 600 Studierende.
(Jürgen W. Möllemann ({3})
- Das habe ich auch nicht vor. - Aber ich will Ihnen die
Entwicklung am Beispiel dieser Stadt dokumentieren.
Im Jahre 1982 waren es noch 42 Prozent der Eingeschriebenen, also der Berechtigten, die Leistungen nach
dem BAföG erhielten. Heute sind es nur noch 10 Prozent der 24 500 Studierenden. Heute ist es selbstverständlich - wir wissen das alle - dass eine Studentin oder ein Student das Studium über einen oder mehrere
Nebenjobs finanziert, und die Studienzeiten haben sich
entsprechend verlängert. Bundesweit gibt es die gleiche
Entwicklung. Seit 1982 - nur noch einmal zur Erinnerung -, dem Jahr der geistig-moralischen Wende, geht
die Zahl der nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz Geförderten kontinuierlich zurück. 1982 waren es
41,8 Prozent, die gefördert wurden, 1997 sind es nur
noch 17 Prozent.
Im selben Zeitraum sind die BAföG-Ausgaben von
Bund und Ländern trotz gestiegener Studierendenzahlen
real gesunken. Die Kürzungen waren besonders stark im
Zeitraum von 1992 bis 1997. Gegenüber 1992 ist von
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU,
der Haushaltsansatz des Bundes derart stark gekürzt
worden, dass 1997 - ich habe das noch einmal nachgerechnet und nachgelesen - nur noch 57 Prozent der Mittel des Jahres von 1992 zur Verfügung standen.
({4})
1992 waren es 2,7 Milliarden DM, 1993 2,5 Milliarden,
1994 2,27 Milliarden, 1995 2 Milliarden, 1996 nur noch
1,72 Milliarden, 1997 1,54 Milliarden DM. Die Mittel
des Bundes sanken also in sechs Jahren sage und schreibe um fast die Hälfte bei nahezu gleich bleibender Studierendenzahl.
({5})
Das ist eine schlimme Entwicklung mit leider harten
Fakten.
Uns allen, so hoffe ich zumindest, schmerzt es natürlich ganz besonders, dass der Anteil der Studierenden
aus einkommensschwachen Familien massiv zurückgegangen ist. Ich sage es noch einmal: 1982 waren es 83
Prozent, heute nur noch 14 Prozent.
Ihr Umgang mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz war in diesen 16 Jahren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine Geschichte ständiger direkter und
indirekter Kürzungen der Leistungen für die Studiererenden.
({6})
Das kann man hier an vielen Fällen darlegen. 1983 fing
es mit der Umstellung auf das Volldarlehen an. Sie haben 1990 diese Entwicklung nur stufenweise korrigiert,
als endlich 50 Prozent als Zuschuss ausgezahlt wurden.
In all diesen Jahren haben Sie die Freibeträge und
Bedarfssätze so gering erhöht, dass die Leistung pro Geförderten nicht einmal der Inflation angepasst wurde,
sondern sogar real gesunken ist. In dem Zeitablauf von
Norbert Hauser ({7})
1992 bis 1997 haben Sie weiter gekürzt. Sie haben durch
die Anrechnung von Auslandsaufenthalten auf die Förderungsdauer und die Abschaffung der Honorierung der
Gremientätigkeit indirekt gekürzt.
({8})
Das Ganze wurde fortgesetzt mit der 18. BAföGNovelle aus dem Jahre 1996,
({9})
und das unter dem so genannten Zukunftsminister Jürgen Rüttgers, der in diesem Bereich Gott sei Dank Vergangenheit ist.
({10})
Wir haben im Bundestagswahlkampf deutlich gemacht, dass wir uns für eine Stärkung der Mittel im Bildungsbereich im Interesse der Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes einsetzen, um eine Verbesserung der Qualifikation der Arbeitskräfte zu erreichen. Wir haben deutlich gemacht, dass junge Menschen
wieder nach Neigung, Eignung und Leistung gefördert
werden sollen. Konsequenterweise haben wir unverzüglich nach der Regierungsübernahme die entsprechenden
Schritte für die 20. BAföG-Novelle eingeleitet, um die
übelsten Auswirkungen zu korrigieren. Die Zahl der Geförderten wurde erhöht. Wir haben wieder finanzielle
Anreize für Auslandsstudien und vieles andere mehr geschaffen.
Herr
Kollege Hoffmann, kommen Sie bitte zum Schluss.
Mit den Eckpunkten, die Frau Bulmahn heute vorgelegt hat, führen
wir diesen wichtigen Schritt weiter. Ich freue mich, dass
neben der 1 Milliarde DM in den Eckpunkten auch verankert wurden, dass den Studierenden in Ost und West
endlich gleiche Leistungen zukommen werden.
({0})
Ich freue mich, dass in der gesamten EU in Zukunft
deutsche Studenten gleichmäßig gefördert werden sollen.
Herr
Kollege Hoffmann, Sie haben Ihre Zeit weit überschritten. Ich bitte, zum Schluss zu kommen.
Ich bitte Sie,
die Eckpunkte in Ruhe, Gelassenheit und handwerklicher Solidarität in ein Gesetz umzusetzen.
Vielen Dank.
({0})
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Ilse Aigner von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Hoffmann, es geht hier nicht darum, was wir
in den letzten Jahren, wie Sie meinen, unterlassen haben,
sondern es geht darum, was Sie im Wahlkampf versprochen haben und was Sie nicht eingelöst haben. Das ist
das Entscheidende.
({0})
Damit klar ist, was Sie versprochen haben, will ich es
Ihnen noch einmal zur Verdeutlichung sagen. Ich habe
eine mündliche Anfrage gestellt:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, die geplante BAföG-Strukturreform zu verwirklichen ...,
insbesondere angesichts der Tatsache, dass
549 Millionen DM durch die Umbuchung der BAföG-Förderbeträge im Bundeshaushalt frei geworden sind?
Ihre Antwort vom 10. November 1999 - das ist noch
gar nicht so lange her - von Herrn Staatssekretär Catenhusen lautete:
Die Bundesregierung wird - ich betone „wird“, nicht will, nicht könnte wie sie bereits mehrfach bekräftigt hat - ihre Vorschläge zu Eckpunkten einer Ausbildungsförderungsreform Ende des Jahres 1999 vorstellen.
({1})
Damit nicht gesagt wird, dass das, was Sie heute vorgelegt haben, eine Reform, wie Sie sie sich vorgestellt
haben, ist, will ich aus dem Protokoll vom 2. Dezember
1999 zitieren. Dort sagte die Kollegin Wimmer aus
Karlsruhe von der SPD - Ihnen wahrscheinlich be
kannt -:
Wir schaffen die Trendwende zu mehr Chancengleichheit und Gerechtigkeit. Dabei gehen wir als
SPD-Fraktion vom Drei-Körbe-Modell aus …
Ich weiß nicht, wo das Drei-Körbe-Modell ist. Ich sehe
es in diesem Vorschlag nicht. Herr Kollege Berninger,
glaube ich, sieht es auch nicht.
({2})
Er hat auch zugegeben, dass er mit dem, was heute vorgelegt wurde, nicht einverstanden ist.
Frau Ministerin, ich verstehe, dass Sie sich in die
Schoßwärme der SPD-Fraktion zurückziehen, weil es
Ihnen persönlich - das ist nicht ironisch gemeint - wahrscheinlich wirklich nicht gut geht: denn es war für Sie
eine anständige Watschen, wie man in Bayern sagt.
({3})
Aber einen Vorwurf kann ich Ihnen als Parlamentarierin
nicht ersparen. Wir haben mehrfach im Ausschuss disWalter Hoffmann ({4})
kutiert, was auch richtig ist. Wir haben im Parlament am
2. Dezember 1999 diskutiert. Dass Sie, bevor Sie das
Parlament darüber informieren, was Sie vorhaben, in die
Pressekonferenz gehen, ist allerdings unparlamentarisch.
Das muss ich Ihnen wirklich vorwerfen.
({5})
- Das ist nur festzustellen. Das muss man hier auch
einmal deutlich sagen dürfen.
({6})
Außerdem möchte ich noch darauf hinweisen - es
sind schon viele Punkte angesprochen worden, aber diesen habe ich zumindest noch nicht gehört -, dass eines
schon klar werden muss: Sie wollten dieses Vorhaben
möglichst schnell, möglichst rasch umsetzen. Aber das,
was Sie jetzt in Fragmenten umsetzen - was übrigens
größtenteils wir vorgeschlagen haben -, tritt erst im Jahr
2001 in Kraft,
({7})
also zweieinhalb Jahre, nachdem Sie die Regierung übernommen haben. Das muss man den Studenten auch
deutlich sagen.
({8})
Sie haben groß etwas versprochen und nichts oder nur
sehr wenig eingehalten.
({9})
Noch ein Punkt, der zwar nicht genau an diese Stelle
passt, aber auch erwähnt werden muss, weil er bei der
Debatte um die Ökosteuer immer zu kurz gekommen ist:
Die Studenten haben Sie bei der Ökosteuer voll erwischt. Auch hier kommt die Entlastung erst Monate, ja
Jahre später. Dies ist ein Punkt, den wir auch kritisieren.
({10})
Ich könnte Ihnen jetzt noch sagen, wo jene Punkte,
die Sie umgesetzt haben, in unserem Antrag stehen, den
Sie meines Wissens abgelehnt haben. Zum Beispiel
Punkt 1 in Drucksache 14/2031:
Bei einer Bedürftigkeitsprüfung im Rahmen des
BAföG wird zukünftig auf eine Anrechnung des
Kindergeldes und gleichartiger Vergünstigungen
verzichtet ...
So steht es im Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Ich hoffe, dass Sie es umsetzen werden, und bedanke mich im
Vorhinein dafür.
In Punkt 3 haben wir eine Vereinfachung vorgeschlagen. Ich hoffe, dass Sie auch hier den Ansatz übernehmen werden, wie wir ihn vorgehabt haben.
Frau Ministerin, die Angelegenheit tut mir für Sie
persönlich wirklich Leid, weil das sehr schwer für Sie
sein muss. Ich meine das jetzt wirklich nicht ironisch.
Aber wenn man im Wahlkampf den Mund zu voll
nimmt, muss man natürlich damit rechnen, dass man
sich irgendwann daran verschluckt.
Danke schön.
({11})
Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde gebe ich dem Kollegen Stephan Hilsberg von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Eckpunkte,
die wir Ihnen hier vorlegen und die wir gestern Nacht
({0})
und heute Morgen gemeinsam als Koalition erarbeitet
haben, wären nicht möglich gewesen ohne die großartige Vorbereitung und auch die Durchsetzungsfähigkeit unseres Hauses mit unserer Ministerin Edelgard
Bulmahn an der Spitze. Dafür gebührt ihr großer Dank.
({1})
Gemeinsam mit den innovativen Elementen, die dieser systemimmanenten Reform des BaföGs zugrunde
liegen,
({2})
hat unser Reformwerk eine Substanz, die den Anträgen
der Opposition zusammengerechnet überlegen ist.
({3})
Wir haben ein Angebot an eine Gruppe von Studenten gemacht, die bei Ihnen, obwohl die Probleme bekannt sind, bis jetzt überhaupt noch nicht aufgetaucht
ist.
({4})
Es ist doch eine absurde Situation in diesem Land, dass
es Studenten gibt, die bereit wären, für einen bestimmten Abschnitt ihres Studiums einen Kredit aufzunehmen,
aber keine Bank in diesem so reichen Land finden, die
ihnen dafür einen Kredit gewährt, obwohl die Investitionen in Bildung in aller Munde sind und obwohl jeder
sagt, wie wichtig das ist und welch große Bedeutung
dies für das anschließende Erwerbsbleben des Hochschulabsolventen hat.
Genau das ist doch der Punkt, weshalb wir immer
wieder an die Jugendlichen appellieren, so viel wie möglich aus sich zu machen, das heißt so viel Bildung wie
möglich für sich zu bekommen. Wir schaffen hier ein
Angebot für eine zusätzliche große Gruppe von Studenten, die mit 1 Million nicht untertrieben ist, die es vorher
so noch nicht gegeben hat. Das betrachte ich in der Tat
als einen Einstieg in eine neue Form der Finanzierung,
die Bildungskreditfinanzierung, über den wir sehr froh
sein können.
({5})
Meine Damen und Herren, wir können uns diese Gesellschaft nicht backen.
({6})
Wir können sie auch nicht mit Werten betrachten, die 30
bis 40 Jahre alt sind, denn sie verändert sich.
({7})
Wir stehen vor neuen großen Herausforderungen und die
haben Sie zur Kenntnis zu nehmen. Sie müssen sie zur
Kenntnis nehmen, wenn Sie zeitadäquate und aktuelle
Antworten auf die neue Herausforderung geben wollen.
Ich nenne zwei Beispiele dafür: Es gibt neue Verhältnisse in den Beziehungen, in den Familienverhältnissen.
Es ist überhaupt kein Geheimnis, dass bestimmte Familien immer weiter auseinander driften, dass es gar nicht
mehr selten ist, dass Kinder in zweiter oder dritter Ehe
aufwachsen und dass die Kontakte zu den leiblichen Eltern abnehmen, mit der entsprechenden Folge, dass sie
sich für den Unterhalt nicht mehr so verantwortlich fühlen, wie das in Ihrem alten Familienbild immer noch der
Fall war.
Oder was ist mit den unterbrochenen Erwerbsbiografien, zu denen bereits jetzt eine lose Schätzung sagt, dass
3 Millionen Menschen davon betroffen sind? Es kommt
zum Beispiel vor, dass Erwerbsabschnitte zwei, drei Jahre ausmachen, dann gehen die Menschen in die Weiterbildung, um etwas Neues zu erlernen, und dann gehen
sie wieder in die Selbstständigkeit. Für diese Leute
brauchen wir doch eine Antwort. Diese Antwort müssen
Sie geben. Sie müssen das doch in Ihren Projekten mit
erarbeiten. Aber gerade bei der CDU/CSU kann ich das
nicht finden.
Wir wollen an dieser Stelle voranschreiten. Deswegen werden wir eine Kommission einrichten.
({8})
- Sie lassen hier nur billig und moralisch anmutende Attitüden ab, Herr Hauser, mit denen Sie niemandem gerecht werden und mit denen Sie vor allen Dingen nicht
kaschieren können, dass Sie Eckpunkte vorgelegt bekommen haben, über die Sie eigentlich jubeln müssten,
aber stattdessen kommt von Ihnen nur billige Polemik.
Aber ich will auf das zurückkommen, worauf es
wirklich ankommt. Wir haben Probleme im Steuerrecht
und im Unterhaltsrecht. Wir haben sie in der Familienförderung und der gegenwärtigen Form der Bildungsfinanzierung. Darüber muss man reden. Darüber wird
auch weiter zu reden sein. Diese Punkte stehen auf der
Tagesordnung. Wir wollen zukunftsfähige Antworten
geben. Wir stellen uns dieser Herausforderung. Ich kann
Sie nur alle einladen, meine Damen und Herren von der
Opposition: Stellen Sie sich wie wir dieser Herausforderung, um adäquate Antworten geben zu können!
({9})
Wir liefern frisches Geld. Neben der Innovationsmilliarde sind das 500 Millionen DM zusätzlich, die wir für
den Bildungs- und Forschungshaushalt zur Verfügung
stellen.
({10})
Nun ein Appell. Sie sind ja noch immer die größte
Oppositionspartei, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, obwohl Sie sich große Mühe geben, immer
kleiner zu werden. Da kann man sich gelegentlich Sorgen um das demokratische System machen. Aber darüber will ich gar nicht reden. Ich denke schon, dass Sie,
auch gegenwärtig, eine große Verantwortung für die
Verbesserung der Finanzierung des studentischen Unterhalts haben. Gerade deshalb, weil wir in vielen Punkten gar nicht so weit voneinander entfernt sind - obwohl
ich die Urheberschaft Ihres Gesetzesentwurfs, den Sie
hier eingereicht haben, aus wohl überlegten Gründen
bezweifeln möchte -, fordere ich Sie auf: Werden Sie
sich Ihrer Verantwortung bewusst und kämpfen Sie bei
den von Ihnen geführten Ländern dafür, dass die BAföG-Reform, die wir jetzt in Angriff nehmen, auch im
Bundesrat durchgesetzt werden kann - im Interesse der
Studenten, im Interesse des Rechts auf Bildung, der
Chancengerechtigkeit und der Wissens- und Informationsgesellschaft, die für uns alle und unsere Gesellschaft
die Zukunft ist!
Vielen Dank.
({11})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
({0})
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b sowie
Zusatzpunkt 5 auf:
5 a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Hans Martin Bury, Ernst Schwanhold, Gerd
Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner
Schulz ({2}), Margareta Wolf ({3})
un der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Initiative gegen die Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise und des internationalen Subventionswettlaufs auf die deutsche
und europäische Werftindustrie
- Drucksache 14/540, 14/1233 Berichterstattung:
Abgeordenete Margareta Wolf ({4})
5 b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Rahmenabkommen vom 28. Oktober 1996 über den Handel und die Zusammenarbeit zwischen der
Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedsstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits
- Drucksache 14/1200 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirschaft und Technologie
({5})
- Drucksache 14/2064 Berichterstattung:
Abgeordneter Friedhelm Ost
ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie ({6}) zu dem Antrag
der Abgordneten Wolfgang Börnsen ({7}), Gunnar Uldall, Ulrich Adam, weitere
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Initiative gegen die Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise und des internationalen Subventionswettlaufs auf die deutsche
und europäische Werftindustrie
- Drucksachen 14/400, 14/258 Berichterstattung:
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
die Kollegin Margrit Wetzel von der SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte ist trotz
des sehr ernsten Hintergrundes, nämlich die durch Korea
ausgelöste Krise im Weltschiffbau, doch auch ein gewisser Grund zur Zuversicht für uns, und zwar aufgrund
der umfassenden Einigkeit, die bei diesem Thema besteht: Einigkeit zwischen allen europäischen Nationen,
zwischen der Werftindustrie und den Gewerkschaften,
zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages
sowie zwischen den Fraktionen und der Bundesregierung. Wir haben alle gemeinsam die feste Absicht,
unseren Werften zu helfen, die Krise nicht nur kurzfristig zu bewältigen, sondern einer tatsächlichen Lösung
zuzuführen.
Als Erstes möchte ich an dieser Stelle einen ganz besonderen Dank an unsere Haushälter richten, die für den
Haushalt 2000 trotz des eisernen Sparzwanges Produktionsbeihilfen in Höhe von 240 Millionen DM bereitgestellt haben.
({0})
Damit werden die Werften in diesem Jahr in die Lage
versetzt, die Aufträge für die nächsten drei Produktionsjahre zu akquirieren. Der prompt einsetzende Auftragseingang - zumindest bei den größeren Werften bestätigt die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Standortes.
Diese nach der EU-Vereinbarung zum letzten Mal
möglichen Produktionsbeihilfen waren aber auch deshalb notwendig, damit die deutschen Werften im
europäischen Wettbewerb bestehen können, und zwar
insbesondere gegenüber den spanischen und den
französischen Mitbewerbern, die aufgrund der
staatlichen Regie entsprechend mehr Förderung
erhalten, aber auch gegenüber den deutlich höheren
Beihilfen der anderen europäischen Schiffbaunationen.
Korea hält inzwischen 70 Prozent der Marktanteile
am Containerschiffbau. Die koreanischen Schiffbaukapazitäten sind unter geradezu abenteuerlichen finanziellen Bedingungen auf- und ausgebaut worden. Korea hat
den Schiffbau inzwischen zu einer strategischen Industrie erklärt und beabsichtigt für das Jahr 2000, die Auftragsakquisitionen um weitere 30 Prozent zu erhöhen.
Wir sind deshalb dankbar, dass die Bundesregierung
parallel zu unseren Anträgen in sozusagen vorauseilender Aktivität tätig geworden ist. Das zeigt, wie einig wir
in dieser Sache sind. Initiiert unter dem damaligen Vorsitz des Bundeswirtschaftsministers Müller im Rahmen
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat - die EUKommission koreanische Aufträge analysiert und ist in
acht von neun Fällen zu dem Ergebnis gekommen, dass
Korea eben doch Dumpingpreise verlangt hat, die zwischen 15 und 40 Prozent unter den eigenen Selbstkosten
lagen. Inzwischen sind bei weiteren Untersuchungen
49 Fälle mit ähnlichen Ergebnissen bekannt geworden.
Es ist völlig klar: Europa kann sich dieses Dumping
nicht gefallen lassen. Die europäische Werftindustrie
und die Gewerkschaften können - so wie natürlich auch
bei uns - die Politik aller europäischen Schiffbaunationen an ihrer Seite wissen.
({1})
Die Bundesregierung hat in bilateralen Gesprächen
mit hochrangigen Vertretern Koreas Fairness und Transparenz im Schiffbau angemahnt. Korea braucht uns als
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Handelspartner. Als Mitgeberland des Milliardenkredites des IWF sind wir nicht bereit, zuzusehen, wie koreanische Dumpingpreise und Überkapazitäten die deutschen und europäischen Werften in eine echte Existenzkrise führen.
({2})
Wir verlangen deshalb eine exakte Überprüfung der
Kreditbeihilfen und die Einhaltung der Kreditauflagen
des IWF. Wenn man bedenkt, dass die Halla-Werft dies soll nur ein Beispiel sein - ausschließlich Verlustaufträge abgewickelt hat und dass diese Verlustaufträge
von der staatlichen Korea-Export-Import-Bank finanziell abgesichert werden, dann können wir das in dieser
Form nicht hinnehmen. Dabei ist völlig unmaßgeblich,
ob der IWF-Kredit direkt in diese Subventionierung, in
diese Aufträge geflossen ist oder ob er der KEXIM nur
indirekt die entsprechenden Handlungsspielräume gegeben hat. Ich denke, das koreanische Finanzgebaren ist
katastrophal. Dem werden wir entschieden entgegentreten.
Die EU-Kommission, die Bundesregierung und auch
Vertreter der SPD-Fraktion haben in der Zwischenzeit in
diesem Sinne ganz eindringliche Gespräche mit Vertretern sowohl der Weltbank als auch des IWF geführt.
- Ich denke, die Regierung wird darüber noch berichten.
- An dieser Stelle richte ich an die Bundesregierung
den herzlichen Dank, dass sie so schnell und so eindeutig im Sinne unserer Werften gehandelt hat.
({3})
Der Kredit des Internationalen Währungsfonds
darf nicht zur Subventionierung der koreanischen Werften verwandt werden. Korea drohen - im Übrigen veranlasst durch Japan; ich denke, es ist gut, das zu wissen eine Klage vor der WTO, ein Antidumpingverfahren oder gegebenenfalls Strafzölle in anderen Bereichen.
Denn Schiffe werden ja bekanntlich nicht importiert.
Hier können wir auf direktem Wege leider nichts tun.
Aber wichtig ist, dass Korea, wenn es Kredithilfen des
Währungsfonds in Anspruch nimmt, ein entsprechend
unseren Maßstäben betriebliches Rechnungswesen einführt. Das können wir verlangen. Das muss auch geschehen.
({4})
Wir beschließen heute auch das EUHandelsabkommen mit Korea. Wenn wir in diesem Papier Fairness und Transparenz im Hinblick auf den
Wettbewerb fordern, dann darf das nicht nur auf dem
Papier stehen. Diese Forderung muss vielmehr der harten Realität der Konkurrenz auf dem Weltschiffbaumarkt standhalten können. Das wird den koreanischen Gesprächspartnern von der Bundesregierung und
der EU-Kommission unmissverständlich deutlich gemacht. Auf europäischer Ebene ist bereits der Begriff
Handelskrieg gefallen. Das ist ein hartes Wort. Aber ich
denke, Korea muss ernst nehmen, dass wir hinter unseren Werften stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Fairness auf dem
Weltschiffbaumarkt ist die beste Unterstützung, die es
für unsere deutschen Werften geben kann. Sie wollen
und brauchen in Wirklichkeit keine Subventionierung
und auch keine staatlichen Gelder; es muss uns nur gelingen, faire Rahmenbedingungen auf dem Weltmarkt
herzustellen. Das ist unsere politische Aufgabe. Daran
arbeitet die Bundesregierung mit Nachdruck, mit aller
Kraft und mit der Unterstützung der Fraktionen des
Deutschen Bundestages.
({5})
Wir müssen versuchen - das ist die nächste Aufgabe,
die sehr viel schwerer zu bewältigen ist -, in den drei
Jahren, die wir an Spielraum geben konnten, möglichst
zu erreichen, dass es ein neues weltweites Schiffbauabkommen gibt, weil wir festgestellt haben, dass das alte OECD-Abkommen, das sowieso nicht ratifiziert wird,
diverse Mängel aufweist. Das Abkommen muss AntiDumping-Vorschriften und Sanktionen gegen Verstöße
enthalten und die gesamten Weltschiffbaukapazitäten
umfassen. Zu erreichen, dass die europäischen Schiffbaunationen, aber auch Korea, Japan, China, Polen und
die USA dem zustimmen, wird ein hartes Stück Arbeit
sein. Aber nur so können unsere Werften sicher im internationalen Wettbewerb bestehen.
Es sind unsere Werften, die die technischen Standards setzen. Sie haben in den letzten Jahren einen enormen Personalabbau verkraften müssen, haben modernisiert, wo immer sie konnten. Die Werften sind restrukturiert worden. Die Fertigungstiefe der Werften
liegt heute nur noch bei 25 bis 30 Prozent. Hoch
automatisierte, computergestützte Fertigung mit
Genauigkeiten im Mikrometerbereich, Ultraschall und
Lasertechnik haben in der Genaufertigung, in der
Fügetechnik im Stahlbau Einzug gehalten. Man muss
sich das wirklich einmal ansehen; es ist faszinierend.
Der größte Teil der Arbeitsplätze bei den Werften liegt
heute nicht mehr in der Fertigung, - wie man es sich
landläufig vorstellt, - sondern in der Planung,
Konstruktion und Entwicklung. Unsere Stärken liegen in
der Systemtechnologie, in der Modulbauweise, in der
hoch entwickelten Technik auch der Werkzeuge, in der
Genauigkeit, in der Geschwindigkeit der Entwicklung
des einzelnen Schiffes. Unsere Stärke ist der hoch
spezialisierte Schiffbau, sind die anspruchsvollen
Kreuzfahrtschiffe, die Mega-Jachten, die schnellen
Schiffe mit höchsten Anforderungen an Schalldämpfung
und Schwingungsverhalten. Deshalb ist es ganz besonders zu begrüßen, dass es
im maritimen FuE-Bereich ein gerade aufgelegtes neues,
mit 180 Millionen DM dotiertes Forschungsprogramm
geben wird, das unsere Forschungsministerin in diesen
Tagen vorgestellt hat.
({6})
- So ist es: Erfolgsministerin. - Das ist es, was unsere
Werften langfristig zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit brauchen. Und dabei helfen wir Ihnen. Wir dürDr. Margrit Wetzel
fen nicht vergessen, dass auch Korea hochmoderne
Jachten hat, dass auch Korea in diesen Markt eindringen
will. Deshalb brauchen wir diese Unterstützung.
Ich hoffe, dass es gelingt, vor allem die praktischen
Spezifika bei der Forschung im Schiffbau zu berücksichtigen; denn die Forschung im Schiffbau unterscheidet
sich ganz grundsätzlich von der Forschung im Flugzeugbau oder in der Automobilindustrie. Prototypen gibt
es im Schiffbau kaum. Dort sind es Einzelaufträge, die
ausgesprochen schnell ganz besondere Problemlösungen
und damit natürlich auch Forschungs- und Entwicklungsleistungen verlangen. Wir müssen in diesem Bereich entsprechende Unterstützung für unsere Werften
bereitstellen. Ich denke, das Programm ist optimal dafür
geeignet.
Unsere Werft- und Zuliefererindustrie ist hochproduktiv. Sie braucht nichts anderes als faire Wettbewerbsbedingungen auf dem Weltmarkt. Dann braucht
sie langfristig keine Subventionen. Weil wir uns in dieser Frage politisch alle einig sind, bin ich zuversichtlich,
dass wir die durch Korea ausgelöste Krise bewältigen
können, und zwar mit vereinten Kräften in Europa - an
dieser Stelle ist sich Europa absolut einig - und mit
nachdrücklichem Einsatz der Bundesregierung, der wir
für die weiteren, bereits geplanten, zum Teil auch schon
terminierten Gespräche Durchsetzungsvermögen wünschen, damit unsere Werften, durch uns ermutigt, durchhalten und gestärkt in die Zukunft gehen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Börnsen von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen!
Bei diesem Tagesordnungspunkt - das ist schon deutlich
geworden - ist sich das Parlament seit Jahren im Grundsatz einig. Aber es gibt unterschiedliche Überlegungen
zu den Schwerpunkten. Einig sind wir uns auch in der
Lagebeurteilung. Auf Plattdeutsch gesagt: Dat is to Tiet
een schöön Schiet mit de Schippsbu an de Küst. Für die,
die es mit dem Hochdeutschen besser halten: Es ist zurzeit eine kritische Lage mit dem Schiffbau an der Küste.
({0})
Vor knapp zwei Monaten hatten wir den ersten europäischen Werftentag, getragen von Gewerkschaften und
Verbänden. Tausende von Beschäftigten sind damals auf
die Straße gegangen, weil die Situation im Schiffbau
wirklich dramatisch ist - nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa insgesamt. Noch nie zuvor hat es in
Europa einen solchen Aufstand von Arbeitern für eine
solche Sache gegeben. Für mehr Wettbewerbsgerechtigkeit ist man auf die Straße gegangen. Das sollten wir wie das auch meine Vorrednerin getan hat - sehr ernst
nehmen. Der Grund: unfaires Preisdumping aus Fernost.
Die Folge: extreme Auftragsrückgänge und zum Teil
Werftenschließungen mit Arbeitslosigkeit als Folge bei
uns. So darf es nicht weitergehen. Wir brauchen - das ist
zumindest die Meinung unserer Fraktion - eine ProWerften-Offensive für den Werftenstandort Deutschland
und für den Werftenstandort Europa.
Die gescheiterte Korea-Reise des ehemaligen EUKommissars Martin Bangemann hat gezeigt: mit freundlichen Worten allein änderst du überhaupt nichts. Korea
will Nummer eins im Weltschiffbau werden; dafür
scheint jedes Mittel recht zu sein. Bei Neubauaufträgen
hat Korea dieses Ziel bereits erreicht. Unterstützt durch
einen Rekordkredit des Internationalen Währungsfonds
- dem übrigens auch die Bundesrepublik angehört - bieten Koreas Werften Preisvorteile bis zu 40 Prozent an.
Subventionierte Preise, die sogar noch unter dem Materialwert liegen, zerstören den Schiffbaumarkt. Weltweit
fairer Wettbewerb ist Fehlanzeige. Die EU hat in einem
Gutachten festgestellt, dass bei acht von neun Schiffbauaufträgen in Europa systematisch Dumping betrieben wird. In mindestens vier Fällen ist nachgewiesen,
dass europäische Anbieter sicher geglaubte Aufträge
nicht erhalten haben. Über 50 weitere Projekte dieser
Preisunterbietung werden derzeit untersucht.
Die Folgen dieser Wettbewerbsverzerrungen sind
verheerend: Kostete ein koreanisches Containerschiff
vor Jahresfrist noch gut 80 Millionen Dollar, so ist das
gleiche Schiff jetzt für knapp 45 Millionen Dollar zu haben. Pleiten in Deutschland bei sicheren Arbeitsplätzen
in Korea sind eine böse Folge des unfairen Wettbewerbs. Gewachsene und erfolgreiche Strukturen in
Deutschland werden dabei zerstört. Der Betriebsrat der
erfolgreichen FSG in Flensburg hatte schon vor einem
Jahr im Flensburger Tageblatt gewarnt: „Wenn das so
weitergeht, haben wir keine Überlebenschance!“ In diesen Tagen erleben die Husumer Schiffbauer - und nicht
nur die Schiffbauer dort - das schlimme Schicksal der
Betriebsauflösung, und das, obwohl die tüchtigen deutschen Schiffbauer zu den produktivsten und innovativsten der Welt gehören; das ist eben auch gesagt worden.
Der Abwärtstrend bei uns in den letzten Jahren ist
mehr als dramatisch. Auch die Streichung der Steuervorteile hat daran einen Anteil. Korea steigerte seinen
Weltmarktanteil auf 27 Prozent. Bei uns stehen in den
Docks die Räder zum Teil still. Nach dem Einbruch im
Herbst 1998 ist die Produktion in den ersten drei Quartalen 1999 noch einmal um ein gutes Drittel auf jetzt
5,6 Prozent Weltanteil geschrumpft. Auch die Auftragseingänge haben sich in den vergangenen neun Monaten fast halbiert. Das gilt auch für die neuen
Bundesländer.
Unsere Hochkostenstruktur bringt uns auch innerhalb
Europas Nachteile. Bei den Neubauaufträgen ist England mit über 16 Prozent locker an uns vorbeigezogen.
Nur noch 4 Prozent der Neubauordern gehen noch an die
deutschen Werften. Wir sind zusammen mit Polen immer noch auf Platz zwei, aber mit absteigender Tendenz.
Weltweit ist Deutschland jetzt nur noch Nummer fünf
im Weltschiffbau hinter Korea, Japan, China und GroßDr. Margrit Wetzel
britannien. Viele Jahre, das heißt, über 20 Jahre, waren
die deutschen Schiffbauer in der Weltspitzengruppe.
Jetzt geht es leider bergab.
Ursache dafür ist nicht nur eine verzerrte Weltmarktlage, nach Ansicht eines ÖTV-Sprechers gehören auch
Regierungsfehler dazu.
Eine Industrie mit einer Wertschöpfung von rund
9 Milliarden DM jährlich ist in ihrer Existenz wirklich
bedroht. Der Handelsschiffbau mit 5 Milliarden DM gehört ebenso dazu wie der Marineschiffbau mit über
2 Milliarden DM sowie die Schiffsreparatur mit
1,75 Milliarden DM. Allein in Deutschland sind über
100 000 Arbeitsplätze in Gefahr, nämlich 30 000 auf
den Werften und 70 000 bei den Zulieferern. Von der
Flensburger Förde bis zum Spessart bangen die Beschäftigten um ihre Arbeit. Wie lange können sich die deutschen Schiffbauer noch halten, wenn der globale Preiskrieg und der deutsche Sonderweg bei Abgaben und
Steuern nicht gestoppt werden?
Diese Abwärtsspirale ist zu stoppen. Deshalb ist es
richtig, dass auf unser Drängen hin die Wettbewerbshilfe wieder aufgestockt worden ist. Staatssekretär Mosdorf
hat an ihrer Sicherung einen erheblichen Anteil. Wir halten auch die Ankündigung der Regierung, ein 180Millionen-DM-Programm aufzulegen, für richtig. Wir
stopfen damit jedoch nur die Löcher, die wir selbst in
Korea aufgerissen haben.
Während unsere europäischen Nachbarn die EUFördergrenzen voll ausschöpfen, müssen deutsche Werften mit einem Bruchteil öffentlicher Unterstützung effizient wirtschaften. Allein Spanien hat ein 300Millionen-DM-Programm aufgelegt. Damit beginnt der
Wettbewerbsnachteil für Deutschland bereits in der EU.
Hinzu kommt, dass die Dauer der Krise überhaupt
nicht absehbar ist: China droht mit einer Währungsabwertung, und Japan hat diesen Schritt bereits vollzogen.
Beide Schiffbaunationen können aus diesem Grund günstiger anbieten. Ein Abwertungswettlauf zu unseren
Ungunsten hat eingesetzt. Es geht jetzt im Grunde genommen um eine Dreifachoffensive: bei uns, in der EU
und weltweit.
Das gilt sowohl für den Bund als auch für die Küstenländer. Die Kieler Koalition ist jetzt gefordert. Nur wenn
sie und wir bei den Verpflichtungsermächtigungen kräftig nachbessern, kann das Ziel einer Auftragsförderung
von fast 3 Milliarden DM allein für den deutschen
Schiffbau erreicht werden. Gelingt dies nicht, wandern
Unternehmen und Arbeitsplätze ab. Das wäre auch wirtschaftspolitisch ein großer Verlust. 90 Prozent des
Welthandels werden über die Meere abgewickelt. Vom
Handy bis zur Banane kommen Waren aus aller Welt in
deutschen Häfen an, Produkte made in Germany verlassen auf dem Seeweg unser Land.
Deutschland erwirtschaftet jede dritte Mark in Geschäftsbeziehungen mit dem Ausland. Wir müssen deshalb über die Kompetenz verfügen, unsere Waren auch
ausliefern zu können. Das ist nicht nur strategisch wichtig, sondern macht auch ökonomisch Sinn. Es lohnt sich,
tatkräftig und entschlossen für die Menschen in der
„blauen Industrie“ einzustehen.
Wir sehen als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieben
Erfordernisse für eine nationale Werftenoffensive mit
dem Ziel der Stärkung der maritimen Wirtschaft.
Erstens. Der IWF muss endlich garantieren, dass
Südkorea seine Mittel nicht weiter gegen Europas Werften einsetzt. Die unfairen Wettbewerbsbedingungen sind
sofort aufzuheben. Wir müssen den Missbrauch der
Währungshilfen wirksam beenden. Wenn es nicht anders
geht, muss die Bundesregierung ihren Beitrag so lange
auf Eis legen, bis Korea eingelenkt hat.
Zweitens. Die Wettbewerbshilfen für die nationale
Werftindustrie sind so lange in voller Höhe fortzusetzen,
bis faire Marktbedingungen für deutsche Schiffbauer
umgesetzt worden sind.
Drittens. 70 Prozent der Wertschöpfung in der Werftenindustrie kommen aus Süd- und Westdeutschland.
Rund 9 Milliarden DM hängen bei uns von der „blauen
Wirtschaft“ ab. Wir sind der Auffassung, dass auch die
Verhältnisse zwischen Bund und Ländern, die Quotierung, neu überdacht werden müssen.
Viertens. Auch Europa muss härter handeln. Finanzielle Unterstützungen und Hilfeleistungen an Staaten,
die den Wettbewerb verzerren, müssen solange unterbleiben, bis wieder gleiche Spielregeln für alle gelten.
Fünftens. Die Bundesregierung sollte noch vor der
parlamentarischen Sommerpause im Juli dieses Jahres
einen Werftenbericht vorlegen, um auf der Grundlage
einer ungeschminkten Bestandsaufnahme weitere Handlungsschritte zu entwickeln.
Sechstens. Die überhastete Steuergesetzgebung bei
den Sonderabschreibungen ist zu überarbeiten.
Siebtens. Wir brauchen endlich ein Antisubventionsabkommen der OECD. Seine Ratifizierung ist überfällig.
Es fehlt noch die Unterschrift der Vereinigten Staaten,
um den internationalen Subventionswettlauf zu beenden.
Unfaire Wettbewerbspraktiken müssen streng und unnachgiebig geahndet werden. Deshalb gehört das Abkommen ganz oben auf die Agenda beim nächsten G-8Gipfel.
Das ist der eigentliche Schlüssel für faire Wettbewerbsbedingungen.
Der deutsche Schiffbau wie der in Europa sind in
schwerer See. Nur konsequentes Handeln auf allen Entscheidungsebenen kann eine Ausweitung der Krise und
noch mehr Arbeitslosigkeit verhindern. Die Belegschaften und die Werften selbst haben in den vergangenen
Jahren ihren Beitrag dazu in großartiger Weise geleistet.
Rationalisierung und Arbeitsoptimierung wurden bis zur
Grenze der Verantwortbarkeit ausgereizt. Die Produktivität hat sich vervielfacht, trotz reduzierter Belegschaft.
Hier ist kein Spielraum mehr. Jetzt sind politisch Verantwortliche gefordert.
Zehntausende Schiffe auf allen Weltmeeren sind
mehr als 20 Jahre alt. Neue Schiffe, neue Sicherheitsstandards, neue Konzepte „from road to sea“ werden die
Wolfgang Börnsen ({1})
Zukunft prägen und neue Märkte erschließen. Mit unserer weltweit immer noch führenden Technologie eröffnet dies größte Chancen für unseren Schiffbaustandort
Deutschland. Deshalb gilt es, diesen Standort zu stabilisieren. Denn in Qualität und Umweltorientierung sind
unsere Schiffbauer erste Klasse. Doch der Preis diktiert
die Aufträge. Wenn wir nicht von Billiganbietern ausgebootet werden wollen, brauchen wir eine gemeinsame
Werftenoffensive.
Herzlichen Dank.
({2})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Kristin
Heyne von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutschen
Werften sind technologisch hoch entwickelt, sie sind
modern und sie sind wettbewerbsfähige Betriebe. Ich
glaube, darin sind wir hier in der Debatte einig. Das finde ich einen ganz wichtigen Punkt. Sie spielen in ihren
Regionen eine wichtige wirtschaftspolitische Rolle: als
Arbeitgeber, aber auch als innovative Unternehmen, als
Systemanbieter, als Kooperationspartner und nicht zuletzt als Ausbilder in den verschiedensten Berufszweigen.
Aus grüner Sicht ist uns am Schiffbau ganz besonders
gelegen; denn hier wird ein umweltverträgliches Verkehrssystem entwickelt. Wir wünschen einen Ausbau
des Gütertransports „from road to sea“. Wir wünschen
Werften, die umweltverträgliche und vor allen Dingen
meeresverträgliche Schiffe bauen. Das genau tun unsere
deutschen Werften.
Der Kollege Börnsen hat insofern eine Einschränkung
gemacht, als unsere Werften bessere Bedingungen
bräuchten, zum Beispiel in der Frage der Abgaben. Die
in dieser Woche so viel geschmähte Ökosteuer hat die
Sozialversicherungslast - und damit die Abgaben - für
die Werften gesenkt. Ich glaube, dass das gerade für die
Werften ein wichtiger Schritt war, neben vielen weiteren, die notwendig sind.
({0})
- Lieber Kollege Austermann, Sie wissen: Die Werften
gehören zum produzierenden Gewerbe. Wenn Sie sich
noch gestern darüber beklagt haben, dass wir energieintensivere Bereiche eben nicht in den - nicht zu gewinnenden - Wettbewerb treiben, dann werden Sie heute
ganz sicher unterstützen, dass wir in diesem Bereich die
Ökosteuerreform mit maßvollem Auge eingeführt haben.
Für die Werften ist Weiteres notwendig: Heute liegt
uns die Empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie vor, dem Antrag der Regierungsfraktionen
zuzustimmen, der beinhaltet, der Schiffbauindustrie
Wettbewerbshilfen zu genehmigen. Wir halten diese
Hilfen für sinnvoll; denn es handelt sich um zeitlich befristete Hilfen und eben nicht um ein Fass ohne Boden.
Die deutsche Werftindustrie ist grundsätzlich wettbewerbsfähig. Aber - die Kollegen haben es beschrieben in den vergangenen Jahren war eine extreme Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Weltmarkt zu beobachten. Seit Mitte 1998 erhalten die deutschen Werften wie die der übrigen europäischen Länder - fast keine
Aufträge mehr. Der Weltschiffbaumarkt ist von einem
dramatischen Preisverfall gekennzeichnet. Viele Werften arbeiten trotz voller Auslastung mit Verlusten.
Der Auslöser dieser Entwicklungen sind die südkoreanischen Angebote, die bis zu 30 Prozent unter Weltmarktpreisen liegen. Südkorea hat seine Schiffbaukapazitäten innerhalb der letzten sechs Jahre verdreifacht. Fast jedes dritte Schiff entsteht inzwischen in
Südkorea. Der Wettbewerbsvorteil der südkoreanischen
Schiffbauer beruht zum einen auf der ökonomischen
Entwicklung - die durch die dramatische Abwertung des
Won im Rahmen der asiatischen Finanzkrise gekennzeichnet ist - und ist zum anderen in Lohnkürzungen
begründet. Aber trotz dieser Maßnahmen arbeiten die
koreanischen Werften zurzeit offensichtlich nicht kostendeckend. Verschiedene Studien, unter anderem von
der EU, haben gezeigt, dass aus Korea Schiffe angeboten werden, deren Preis unter den Selbstkosten liegt.
Dies ist eine Wettbewerbsverzerrung, die auf mittlere
Sicht nicht hinzunehmen ist.
Um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Schiffbaus kurzfristig zu sichern, müssen wir vergleichbare
Produktionsbedingungen gewährleisten. Hierzu hat der
Bund für die Jahre 2001 bis 2003 zusätzliche Verpflichtungsermächtigungen eingestellt. Hier gibt es eine klare
Planbarkeit für die Werften über die nächsten Jahre. Das
ist etwas anderes als die Praxis bei Herrn Wissmann, an
die ich mich gut erinnern kann. Damals mussten wir über die Hilfen jedes Jahr noch kurz vor Verabschiedung
des Haushaltes verhandeln. Sie wussten nie genau, woran sie sind. Mit dieser Bundesregierung wissen die
Werften, woran sie sind,
({1})
welche Hilfen ihnen zur Verfügung stehen.
({2})
Dieser Schritt ist notwendig, kann aber nur zur Überbrückung dienen. Ich glaube, das kann keine langfristige
Perspektive sein. Darum arbeitet die Bundesregierung
gleichzeitig an einer Korrektur der verzerrten Wettbewerbsbedingungen. Südkorea erhält ja wegen seiner Finanzkrise Unterstützung vom IWF im Volumen von
58 Milliarden DM. Es ist zu befürchten, dass genau dieses Geld in die Werftenindustrie läuft, wofür es nicht
vorgesehen war.
({3})
Wolfgang Börnsen ({4})
Deswegen drängt die Bundesregierung in allen Kontakten darauf, dass die Vorgaben des IWF strikt eingehalten
werden und dieses Dumping nicht fortgesetzt wird.
Wir müssen aber natürlich auch sehen - da gebe ich
dem Kollegen Börnsen und auch der Kollegin Wetzel
Recht -: Wie kann man langfristig zu vernünftigen
Wettbewerbsbedingungen auf dem Schiffsmarkt kommen? Das kann nur über ein Ende des internationalen
Subventionswettlaufs gehen. Schon jetzt kann man auch
bei einigen EU-Staaten erkennen, dass sie die Lösung
doch in einer dauerhaften Subventionierung der Werften
sehen. Das kann nicht unser Weg sein. Vielmehr muss
es darum gehen, zu gemeinsamen Vereinbarungen aller
Schiffbaunationen zu kommen. Es muss ein multilaterales Subventionsabkommen geben.
({5})
Das heute ebenfalls vorliegende und noch nicht angesprochene Gesetz über ein Rahmenabkommen über
Handel und Zusammenarbeit zwischen EU und Korea
ist, denke ich, ein wichtiger erster Schritt auf diesem
Weg. Das Abkommen vertieft die Beziehungen zwischen Korea und der EU. Im Zentrum stehen Handelskooperationen, handelspolitische Zusammenarbeit, wirtschaftliche, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit und der Aufbau der industriellen Kooperation.
Mit diesem Abkommen werden günstige Voraussetzungen für ein nachhaltiges Wachstum und für eine Diversifizierung des Handels geschaffen.
Wir wollen die Werften mittelfristig in die Lage versetzen, nach dem EU-weiten Auslaufen der Wettbewerbshilfen aus eigener Kraft wirtschaftlich und technologisch am Markt zu bestehen. Ich will aber auch ganz
klar sagen: Im Moment ist es eindeutig notwendig, Hilfen zu geben. Wir haben aber auch die Erwartung an die
Werften, dass sie sich auf die Bereiche konzentrieren, in
denen sie langfristig konkurrenzfähig sein können.
Der Schiffbau muss seine Produktpalette diversifizieren. Auch schiffbaufremde Produkte müssen angeboten werden. Seine Chance auf dem Markt für umweltverträgliche und innovative Transportsysteme sollte der
Schiffbau nutzen. Es hat gerade vonseiten der Betriebsräte an den verschiedenen Werften seit vielen Jahren
Vorschläge in diese Richtung gegeben, die leider oft für
lange Zeit nicht aufgegriffen wurden. Ganz sicher kann
es nicht akzeptabel sein, wenn die Betriebe sich auf Rüstungsproduktionen konzentrieren. Eine Breite des Angebots ist dringend notwendig.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Die moderne Werftindustrie ist auf
mittlere Frist wettbewerbsfähig. Sie ist unverzichtbar für
die Küstenländer und auch für die süddeutschen Zulieferer. Die Bundesregierung unterstützt die Werften finanziell und in internationalen Verhandlungen. Lassen Sie
uns den vorliegenden Anträgen und dem Gesetzentwurf
zustimmen und damit der Politik der Bundesregierung
deutlichen Rückenwind geben!
Danke schön.
({6})
Als
nächster Redner hat der Kollege Jürgen Koppelin von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Lage der deutschen Werftindustrie ist alles andere als zufriedenstellend. Der Kollege Börnsen hat schon darauf hingewiesen. Ich glaube, es ist nicht zu hoch gegriffen, von einer
sehr dramatischen Situation nicht nur bei den deutschen
Werften, sondern bei den europäischen Werften insgesamt zu sprechen.
Seit der Finanzkrise in Südkorea wird offenbar, dass
sich auf dem Weltschiffbaumarkt ein Falschspieler herumtreibt, der entsprechend agiert. Gigantische Kapazitätsausweitungen und die Preispolitik Südkoreas haben
den Werften bei uns im Lande sehr schwer geschadet.
({0})
Es ist einfach nicht hinzunehmen, dass die Koreaner erst
durch ihre eigene Subventionspolitik in die Krise geraten, der asiatische Markt praktisch kollabiert, dann der
Internationale Währungsfonds milliardenschwere Kredite nach Südkorea pumpt und wir dann zur Kenntnis
nehmen müssen, dass die Koreaner mit Staatskrediten
für den heimischen Schiffbau so weitermachen wie bisher und Dumpingangebote auf dem Weltmarkt machen.
Das kann so nicht laufen.
({1})
Diese Vorgehensweise geht eindeutig zu Lasten der
deutschen Werftindustrie und ist zu verurteilen. Wir
sollten dem auch nicht tatenlos zusehen. Sowohl die
Bundesregierung als auch alle Fraktionen hier im Hause
- das habe ich aus den Redebeiträgen herausgehört wollen und werden dem auch nicht tatenlos zusehen.
Allein bei mir in Schleswig-Holstein sind zehn Werften von der Preispolitik Südkoreas betroffen. Die Zahlen
aus den vergangenen Jahren, vor allem von 1998, belegen die Unverhältnismäßigkeit und das Ungleichgewicht auf dem Weltschiffbaumarkt. Mit Hilfe einer
künstlich niedrig gehaltenen Währung, dem Won, hat
die südkoreanische Werftindustrie im dritten Quartal
1998 ein Drittel aller Neubauaufträge bekommen. Im
vierten Quartal ging aufgrund der Preispolitik schon jeder zweite Auftrag nach Südkorea. Südkorea wird mindestens, so schätze ich, bis 2001 einen Währungsvorteil
haben, der dazu führt, dass der europäische Schiffbau
eine Preisdifferenz von etwa 20 bis 30 Prozent ausgleichen muss, um Aufträge zu erhalten. Unter Druck geraten dadurch - darauf möchte ich extra hinweisen - vor
allem unsere kleineren Werften, die es sowieso schon
schwerer haben.
({2})
Daher ist es auch richtig, der Beschlussempfehlung des
Wirtschaftsausschusses zu folgen und auf eine strikte
Einhaltung der Bedingungen für die Vergabe von Krediten an Südkorea durch den Internationalen Währungsfonds zu drängen. Die hohe Bedeutung des Schiffbaus
als strategische Industrie, der hohe Zulieferanteil aus allen Bundesländern sowie die Sorge um die Arbeitsplätze
und die Verantwortung des Bundes sind nach meiner
Meinung Gründe genug, die ein Engagement wie das
jetzt beschlossene rechtfertigen.
({3})
Angemerkt werden muss trotz aller Einigkeit mit der
Koalition allerdings auch an dieser Stelle - hier unterscheidet sich meine Position etwas von der der Kollegin
Heyne -, dass die Werften Schwierigkeiten haben, weil
die Mittel für die Marine im Verteidigungshaushalt erheblich gekürzt wurden und noch weiter gekürzt werden
sollen. Dies wird negative Auswirkungen auf die Werftindustrie haben. Vieles, was die Marine aufgrund der
Aufträge der Bundeswehr erforschen konnte, war später
ein Vorteil für den Handelsschiffbau, weil er modernere
Technik anbieten konnte und dadurch den Preisunterschied ausgleichen konnte.
({4})
Ich sehe mit großer Sorge, dass die Zahl der Ersatzbeschaffungsaufträge der Bundeswehr zurückgehen. Davon haben die kleineren und mittleren Werften ebenso
wie Reparaturbetriebe profitiert.
Herr Staatssekretär, Sie haben gestern die Richtlinien
für den Rüstungsexport angesprochen. Ich möchte auf
die Situation im U-Bootbau aufmerksam machen. Ich
akzeptiere nicht nur, sondern unterstütze auch, dass Sie
auf die Einhaltung der Menschenrechte im Zusammenhang mit Rüstungsexporten drängen.
({5})
- Stellen Sie einfach eine Zwischenfrage! - Aber haben
Sie hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte im
Zusammenhang mit dem Verkauf von U-Booten Bedenken? Ich sehe nicht die Möglichkeit, dass U-Boote Menschen beschießen. U-Boote sind ausschließlich eine Verteidigungswaffe und nichts anderes.
Die Krise im Schiffbau hat zum Beispiel dazu geführt, dass sich eine Werft in Schleswig-Holstein im UBoot-Bau mit einer schwedischen zusammentut. Wie
sollen bei einer solchen Zusammenarbeit die Bedingungen für den Export aussehen? Die Schweden, die nun
wirklich friedliebende Leute sind und deren Engagement
für den Frieden in der ganzen Welt bekannt ist, haben
nicht dieselben strengen Exportbedingungen wie wir.
Sie haben für Exportbedingungen gesorgt, die ihren
Werften helfen. Ich habe schon gehört, dass es bei dieser
Zusammenarbeit Schwierigkeiten gibt, weil die rotgrüne Koalition in Berlin regiert. Hier wäre ich für eine
Auskunft dankbar.
Es ist nur als ein Tropfen auf den heißen Stein zu bewerten, wenn bei den Beratungen des Haushalts 2000
eine Verpflichtungsermächtigung von 240 Millionen
DM in den Etat des Wirtschaftsministers eingestellt
wurde. Die Darstellung der Kollegin Heyne, die früher
Mitglied des Haushaltsausschusses war, ist natürlich
falsch gewesen. Selbstverständlich kämpfen alle Parteien - so war es auch bei der früheren Bundesregierung
üblich - teilweise, ich sage bewusst nicht: gegen den
Wirtschaftsminister, aber gegen das Wirtschaftsministerium. So war es auch bei den letzten Haushaltsberatungen. Sowohl den ehemaligen Wirtschaftsministern als
auch der jetzigen Regierung und vor allem dem Herrn
Staatssekretär - auf ihn komme ich gleich noch zu sprechen - will ich gerne zugestehen, dass sie innerlich froh
über unsere geleistete Arbeit waren und ihr zugestimmt
haben.
Die erste Botschaft des Bundesministers Müller bestand
eigentlich darin, den Beitrag für die deutschen Werften
zu streichen, damit er seinen Sparbeitrag für Herrn Eichel leisten konnte. Wir haben das verhindern können.
Wir haben andere Möglichkeiten gefunden.
({6})
Insofern zollen sich alle Fraktionen, die daran gearbeitet
haben, selbst Beifall.
({7})
Ich spreche ausdrücklich den Herrn Staatssekretär an
und ich bescheinige ihm gerne, dass er sich für die
Werften engagiert. Darauf wurde schon von dem Kollegen Börnsen in einem Nebensatz aufmerksam gemacht.
Ich finde, Herr Staatssekretär, wir müssen uns über ein
mit diesem Bereich verbundenes Problem unterhalten,
nämlich dass die norddeutschen Länder nun aus ihren
Landeshaushalten einen hohen Beitrag erbringen müssen, was zum Beispiel Schleswig-Holstein nicht immer
gemacht hat - es hat sich hin und wieder einmal verabschiedet -, obwohl 50 Prozent der Zulieferung aus Süddeutschland - mindestens 25 Prozent aus BadenWürttemberg - erfolgt.
({8})
Bei aller Einigkeit darf man einmal sagen: Die Süddeutschen sollen nicht kommen und behaupten, dort oben
werde subventioniert. Es sind teilweise ihre eigenen Arbeitsplätze - nicht nur die norddeutschen -, die davon
profitieren. In Norddeutschland wird das Schiff zusammengebaut; aber der Motor und alles andere kommen
aus Süddeutschland und sichern dort Arbeitsplätze.
Ich denke, wir sind uns insgesamt beim Thema
Schiffbau in unserem Vorgehen gegenüber Korea einig.
Wenn wir weiterhin einig sind - vom Wirtschaftsministerium will ich besonders den Herrn Staatssekretär nennen, aber auch alle Fraktionen -, dann blicken wir in eine positive Zukunft für den deutschen Schiffbau.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld.
({9})
Als
nächster Redner hat der Kollege Rolf Kutzmutz von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig: Wir sind uns im
Grundsatz einig. Wir sind uns darüber einig, was der
Schiffbau für Deutschland und seine Zukunftsfähigkeit
bedeutet. Wir sind uns darüber einig, was die Werften
für jeweilige Region bedeuten. Insofern gibt es in dieser
Frage meinerseits überhaupt keinen Widerspruch.
Wenn ich zum Sarkasmus neigen würde, dann würde
ich meinen Redebeitrag etwa so anfangen: Natürlich
sind auch wir von den zahlreichen Initiativen der Bundesregierung in den letzten Wochen und Monaten tief
beeindruckt, vor allem von ihren Erfolgen gegenüber
Südkorea.
Die messbaren Ergebnisse konnte, wer wollte, am
Dienstag bei „dpa“ unter der Überschrift „Korea jetzt
weltgrößter Schiffbauer - Deutschland auf Rang vier“
studieren. Herr Börnsen hat von Rang fünf gesprochen.
Als im Bundestag vor zehn Monaten die heute zu verabschiedenden Anträge anberaten wurden, lag Südkorea
auf Platz zwei hinter Japan und die Bundesrepublik
Deutschland lag vor China auf Platz drei der Schiffbaunationen.
Ich will überhaupt nicht die Anstrengungen kleinreden. Ich kann mir vorstellen, wie viel zähe Gespräche es
gegeben hat und noch geben muss. Aber letztendlich
muss man das Ergebnis zur Kenntnis nehmen. Für mich
ist das Ergebnis nicht verwunderlich und es sagt nichts
über hiesige nationale schiffbaupolitische Aktivität oder
Untätigkeit aus. Es liegt vielmehr an fundamentalen
weltwirtschaftlichen Entwicklungen: der weiteren
Schwächung der südkoreanischen Währung Won und an
der nach wie vor bestehenden fernöstlichen Subventionspraxis. Insofern unterstützen wir natürlich auch den
interfraktionellen flammenden Appell an die Bundesregierung, sich allerorts für verbindliche Rahmenbedingungen eines stabilen Weltschiffbaumarktes einzusetzen. Natürlich begrüßen auch wir das von Frau Bulmahn vorgestellte Programm „Schiffbau und Meerestechnik für das 21. Jahrhundert“.
Aber die Situation ist heute nicht anders als im März
des vergangenen Jahres. Deshalb will ich noch einmal
hervorheben: Ohne grundlegende Reform der Weltwirtschaftsordnung bleibt es selbst im Erfolgsfall beim
Kurieren an Symptomen, ohne die Wurzeln der Probleme tatsächlich zu berühren.
({0})
Dabei ist mir vor allem unverständlich - das will ich
hier deutlich ansprechen, weil einige Kollegen schon
darauf eingegangen sind -, wieso ausgerechnet heute
das EU-Rahmenabkommen mit Südkorea verabschiedet werden soll. Es ist für mich ein Unding, hier allseits
und wortreich das Preisdumping südkoreanischer Werften - im Einzelfall bis 38 Prozent unter den tatsächlichen Fertigungskosten - zu beklagen und dennoch ein
Abkommen ratifizieren zu wollen, in dessen Art. 8 es
wörtlich heißt:
Daher treffen die Vertragsparteien in Einklang mit
dem OECD-Übereinkommen über den Schiffbau
keine Maßnahmen zur Unterstützung ihrer Schiffbauindustrie, die den Wettbewerb verzerren würden
oder es ihrer Schiffbauindustrie ermöglichen würden, künftigen schwierigen Situationen zu entgehen.
Mag sein, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
so wie im Ausschuss gesagt, selbst auch noch Verhandlungsbedarf sehen. Sie sagen ja, mit der vertraglichen
Festlegung würde der Verhandlungsspielraum nicht eingeschränkt werden. Ich kann es mir aber einfach nicht
vorstellen, dass man ein Abkommen abschließt und bestimmte Rahmenbedingungen festlegt und anschließend
sagt, wir brechen aus diesem Rahmen aus. Namens der
PDS-Fraktion beantrage ich hiermit deshalb, den Entwurf eines Gesetzes zum Rahmenabkommen vom 28.
Oktober 1996 über den Handel und die Zusammenarbeit
zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits zur erneuten Beratung an die Ausschüsse rückzuüberweisen.
Wir haben im Oktober vergangenen Jahres im Wirtschaftsausschuss auf Vertagung gedrängt. Das wurde
damals von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Die Regierung hatte nämlich noch in der Sitzung erklärt, man
habe wegen des Subventionsproblems bei der EUKommission bereits interveniert und werde den Sachverhalt bilateral im November mit Südkorea zu klären
versuchen. Auch hierzu hat Frau Wetzel gesprochen; ich
will dazu sagen, dass ich keinen Zweifel daran habe,
dass es Bemühungen gegeben hat.
Was kam nun aber bei den Beratungen des EUMinisterrates und den wirtschaftspolitischen Konsultationen zwischen Deutschland und Südkorea heraus?
Wenn man den Wahlkampfauftritt von Bundeskanzler
Schröder vom Dienstag vergangener Woche zur Kenntnis nimmt, besteht darüber kein Zweifel. Ich zitiere hierzu eine dpa-Meldung:
Subventionen müsste man gar nicht zahlen, wenn
es anderswo einen fairen Wettbewerb gäbe. Auf einer Betriebsversammlung der größten deutschen
Werft mit mehr als 2 000 Beschäftigten kündigte
Bundeskanzler Schröder an, die europäischen Anstrengungen in der Welthandelsorganisation und
beim Internationalen Währungsfonds voranzutreiben, um den von Korea erzeugten „Teufelskreis“ zu
durchbrechen.
Das scheint vom Ergebnis her alles zu sein; Herr Mosdorf wird sicherlich noch einiges sagen. Wenn Bundeskanzler Schröder mehr gegenüber Südkorea erreicht hätte, dann hätte er, da bin ich sicher, das auch in Kiel den
Werftarbeitern gesagt.
({1})
Wer zum jetzigen Zeitpunkt das Abkommen bestätigt, obwohl er genau weiß, dass es sein Partner nicht
einzuhalten gewillt ist, der muss sich schon die Feststellung gefallen lassen: Entweder sind für ihn völkerrechtliche Verträge das Papier nicht wert, auf dem sie stehen,
oder aber er täuscht bewusst seine Wählerinnen und
Wähler in den Werftstandorten über die Möglichkeiten
und die Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen. Das wäre
fatal.
Südkorea hat das Abkommen - das muss man hier
noch einmal sagen, damit es auch alle verstehen, die sich
sonst nicht damit beschäftigen - nämlich schon im November 1996 ratifiziert, also Jahre, bevor es Milliarden
den Gläubigerbanken der Dumping-Werften zukommen
ließ. Wohlgemerkt: Auch wir sind für vertraglich garantierte Rahmenbedingungen, für weltwirtschaftliche Verflechtungen statt kommerziellen Faustrechtes, zumal im
vorliegenden Abkommen beispielsweise Zusammenarbeit beim Umweltschutz und bei nachhaltiger Entwicklung auf der Basis der von den UN angestoßenen
Prozesse vereinbart ist.
Wir brauchen aber - mein letzter Satz, Herr Präsident
- ein politisches Signal. Das darf sich nicht nur an Südkorea richten, sondern muss auch den europäischen und
deutschen Werften gegeben werden. Wenn wir aber heute ratifizieren, lautet das Signal: Wir haben die Chance
zur Auseinandersetzung vergeben; denn ein Vertragspartner, der einen Vertrag in der Hand hat, wird sich auf
Auseinandersetzungen nicht mehr einlassen.
Danke schön.
({2})
Dieser
Rücküberweisungsantrag der PDS-Fraktion würde eigentlich eine Geschäftsordnungsdebatte nach sich ziehen. Ich höre aber, dass es Einvernehmen unter den
Fraktionen gibt, auf diese Geschäftsordnungsdebatte zu
verzichten. Ist dies der Fall? - Das ist so. Damit wird im
Anschluss an die Aussprache über diesen Antrag entschieden.
Jetzt gebe ich das Wort dem Parlamentarischen
Staatssekretär Siegmar Mosdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut zu wissen,
dass das Haus - vielleicht mit ganz wenigen Ausnahmen
- eigentlich geschlossen dafür eintritt, dass alles getan
werden muss, damit der deutsche Schiffbau in einer veränderten weltwirtschaftlichen Konstellation wettbewerbsfähig bleibt, mithalten kann und damit auch erfolgreich zukunftsfähige Arbeitsplätze sichern kann. Das
ist gut zu wissen und stützt auch die Haltung der Bundesregierung bei vielen komplizierten Verhandlungen.
Die Lage auf dem Schiffbaumarkt ist weltweit in der
Tat dramatisch und hat sich sehr zugespitzt. Das hat natürlich auch etwas mit der Finanzkrise in Asien zu tun.
Die Ursachen dafür liegen insbesondere bei den südkoreanischen Werften. Es wurde hier auf viele Fragen eingegangen. Wir haben in mehreren Stufen versucht, das
Problem einzugrenzen: Zunächst einmal ließen wir Aufträge genau untersuchen. Dabei kamen wir zu dem Ergebnis - das wurde hier schon mehrfach zitiert -, dass es
immerhin achtmal Angebotspreise von südkoreanischen
Werften gab, die deutlich, nämlich 15 bis 40 Prozent,
unter den Gestehungskosten lagen. Die Durchführung
dieser Untersuchungen hatten wir bei der Europäischen
Kommission veranlasst.
Es war auch wichtig, dass diese Untersuchungen angestellt worden sind, denn dadurch sind wir argumentationsfähig geworden.
Des Weiteren haben wir Initiativen bei der Europäischen Kommission ergriffen, weil sich die Lage des
Schiffbaus in Deutschland dramatisch zugespitzt hatte.
Die deutschen Werften haben in den letzten Jahren
allergrößte Modernisierungsanstrengungen unternommen. Es waren schmerzliche Anstrengungen, die
auch den Abbau von Arbeitsplätzen beinhalteten. Würde
dies durch den Markt nicht honoriert, wären diese Anstrengungen vergebens und es käme zu einer nicht akzeptablen Situation.
Bei den Containerschiffen, vor kurzem noch der
meistverkaufte Schiffstyp deutscher Werften, gehen zurzeit 60 bis 70 Prozent aller Aufträge an südkoreanische
Werften. Die südkoreanischen Werften haben insbesondere auf dem Sektor Containerschiffe alles getan, um
sich auf dem Weltmarkt Dominanz zu verschaffen. In
Deutschland wie auch in anderen europäischen Schiffbauländern konzentrieren sich die Unternehmen daher
zurzeit auf den Bau von Fährschiffen und Passagierschiffen, also auf qualitativ hochwertige Wertschöpfungsketten. Dieser Sektor reicht jedoch nach Darstellung der Schiffbauindustrie langfristig nicht aus. Deshalb brauchen wir auch weiterhin andere Ansatzpunkte.
({0})
Die in dem Antrag enthaltenen Forderungen decken
sich mit den von der Bundesregierung gesehenen Handlungserfordernissen, zu deren Umsetzung in den vergangenen Monaten bereits zahlreiche größere Initiativen unternommen worden sind. Wir haben zu diesem Zweck auch ich kann bestätigen, dass wir das einvernehmlich
getan haben - Verpflichtungsermächtigungen in Höhe
von 240 Millionen DM in den Bundeshaushalt 2000
eingestellt, um in diesem Jahr akquirierte Aufträge fördern zu können. Mit der üblichen Kofinanzierung der
Länder in Höhe von zwei Dritteln des Programms kann
damit ein Auftragsvolumen von zirka 10 Milliarden DM
unterstützt werden.
Ich füge hinzu - das ist von Frau Wetzel bereits angesprochen worden -, dass es aufgrund der europäischen
Situation wahrscheinlich die letzte Möglichkeit war, etwas zu tun, sofern sich auf dem Weltmarkt nicht dramatische Zuspitzungen ergeben. Herr Börnsen hat darauf
hingewiesen, dass es nicht darum gehen kann, Dauersubventionen zu erreichen. Es geht um die Frage, wie
man in dieser spezifischen Situation helfen kann. Auch
die französischen und spanischen Kollegen haben im
Ministerrat in Brüssel dieselbe Frage aufgeworfen. Deshalb haben wir diese Schritte unternommen.
Die Bundesregierung sieht allerdings keine Möglichkeiten, ihren Anteil zu erhöhen. Wir wollen ja gerade
versuchen, von diesen Subventionen weg zu kommen.
Aber wir haben alles getan, um in dieser prekären Situation die Werften zu unterstützen, und werden weiterhin
darauf drängen, dass es auf internationaler Ebene zu
Verträgen kommt.
({1})
- Das ist für die Rahmenbedingungen entscheidend.
In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, Herr
Kutzmutz - in diesem Punkt waren Sie auch nicht ganz
eindeutig -, daß Ihre Ablehnung des heutigen Vertrages
natürlich dazu einlädt, dann, wenn man keine Vertragsbindungen hat, das zu tun, was man selber für richtig
hält. So war es bisher, und das kann man Raubtierkapitalismus ohne Spielregeln nennen. Das ist der Grund, warum wir sehr darauf drängen, dass möglichst viele
Volkswirtschaften in der WTO und in der OECD sind.
({2})
Die Zahl der OECD-Mitgliedstaaten hat deutlich zugenommen. Das ist auch der Grund, weshalb wir diese bilateralen Verträge machen.
In einer Zentralverwaltungswirtschaft funktioniert die
Wirtschaft nach Kommandos von der Kommandobrücke
aus. Im Raubtierkapitalismus ist es wie im Dschungel.
Wir hingegen wollen eine Art von sozialer Marktwirtschaft in der Tradition von Ludwig Erhard und Karl
Schiller, die einen Ordnungsrahmen hat und trotzdem
die Effizienzvorteile der Marktwirtschaft nutzt. Wir versuchen, einen solchen Ordnungsrahmen zu schaffen.
Leise füge ich hier aber hinzu, dass es nicht ganz einfach
war, während der Zeit des Stand-still-Abkommens bei
den Ostwerften eine Zweitprivatisierung vorzunehmen.
Das haben auch die Koreaner moniert. Es werden ja auf
beiden Seiten Kritikpunkte gesehen. Die andere Seite
registriert so etwas ja auch sehr genau. Deshalb muss
man alles fair im Auge behalten. Wir sind aber entschlossen, alles zu tun, damit die Werften auch in Zukunft eine reale Fertigungsbasis haben; denn es soll
niemand glauben, wir könnten auf Werften verzichten.
({3})
Wir brauchen diese reale Fertigungsbasis auch in Zukunft nicht nur für die Arbeitsplätze, sondern auch für
unsere hochentwickelte Volkswirtschaft. Deswegen
werden wir die Anstrengungen auf diesem Gebiet fortsetzen.
Übrigens wird dieses Thema auch Gegenstand der
Gespräche sein, die vom 9. bis 11. März geführt werden,
wenn der koreanische Präsident die Bundesrepublik
Deutschland besucht. Der Bundeskanzler hat die Absicht, auch bei dieser Gelegenheit auf diese Themen sowohl in Sachen Werften als auch in Sachen Automobile
zu sprechen zu kommen. Wir werden diese Punkte im
Klartext ansprechen und deutlich sagen, welche Erwartungen wir hier haben.
Die harschen Töne, die wir - auch ich selber auf der
Ministerratskonferenz in Brüssel - gefunden haben, waren neben der Aufforderung an die EU-Kommission,
selber initiativ zu werden, notwendig, weil sich die Koreaner sonst nicht bewegt hätten. Wenn die Koreaner
jetzt auf einen Teil der letzten Tranche des Weltbankdarlehens in Höhe von 1 Milliarde DM verzichtet haben,
dann ist das ein Zeichen dafür, dass sie registriert haben,
dass es nicht ganz so einfach geht, wie sie es sich gedacht haben. Von den 58 Milliarden DM haben sie einen
Teil abgerufen; jetzt sind sie dabei, auf Teile zu verzichten. Das hat etwas damit zu tun, dass die EUKommission ernsthaft - jedenfalls ernsthafter, als es
vorher gemacht worden ist - interveniert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss kommen. Neben dieser aktuellen Auseinandersetzung mit den Koreanern haben wir darüber hinaus das
grundsätzliche Interesse, dass der maritime Standort
gestärkt wird. Das ist der Grund, warum wir eine Konferenz des Bundeskanzlers am 13. Juni zum Thema „Maritimer Standort“ vorbereiten. Das ist auch der Grund, warum wir weiter konzeptionell an der Entwicklung in dieser Branche arbeiten. Man muss dazu sagen: Wir tun
dies einvernehmlich sowohl mit den Gewerkschaften
wie mit der Wirtschaft. Wir haben nämlich alle ein Interesse daran, dass der Standort in diesem Bereich gesichert wird. Wir müssen alles tun, damit die Arbeitsplätze krisenfest und so leistungsfähig und wettbewerbsfähig sind, dass sie sich im internationalen Wettbewerb
behaupten können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Dietrich Austermann.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es ist eine seltene Situation,
dass man in einer Debatte den Eindruck hat, es seien
sich - zumindest nach der Situationsbeschreibung - alle
einig. Dieser Eindruck umfasst die Darlegungen des Parlamentarischen Staatssekretärs aus dem Wirtschaftsministerium und die Beschreibung, die von der SPD, von
der F.D.P. und vom Kollegen Börnsen gegeben worden
ist.
Einigkeit besteht auch darüber, dass wir in Deutschland Werften dringend brauchen. Dazu müssen auf europäischer Ebene Entscheidungen getroffen werden. Das
ist richtig. Ich brauche jetzt nicht zu wiederholen, was
über die schädlichen Auswirkungen der besonderen
Vorgehensweise der Koreaner zutreffend gesagt worden
ist. Wenn man sich allerdings anschaut, wie die Bewertung dessen aussieht und welche Schlussfolgerung aus
diesen Entscheidungen gezogen werden, dann kommt
man zu dem Schluss, dass es in der Tat doch wieder die
eine oder andere Differenz gibt. Ich sage das nicht im
Hinblick auf die vorgelegten Anträge, sondern im Hinblick auf die Realität und die Entscheidungen, die daraus
praktisch folgen.
Wir sind uns einig darüber, dass die koreanischen
Werften ihre Position brutal ausgebaut haben und damit
dazu beigetragen haben, dass deutsche, europäische und
japanische Werften im Vergleich zu ihnen ins Hintertreffen geraten sind. Sie haben durch Dumping, durch
Preisunterbietung den Wettbewerb kaputtgemacht.
Das hat dazu geführt, dass sich die Annahme einzelner Aufträge zum Teil kaum noch rechnet. Wir erleben
in Schleswig-Holstein eine Diskussion bei HDW. Dort
hat man einen Auftrag für den Bau eines Kreuzfahrtschiffes mit einem Volumen von 1,3 Milliarden DM
hereingeholt. Jetzt rechnet der neue Eigentümer des Unternehmens nach, ob denn überhaupt noch Geld übrig
bleibt.
Wir wissen in der Tat, dass sich in den vergangenen
Jahren Schiffbauaufträge nur noch dann gerechnet haben, wenn die Werft Möglichkeiten hatte, an anderer
Stelle einen Ausgleich zu schaffen. Das wurde beispielsweise durch Aufträge aus dem Marineschiffbau
erreicht. Die Aufträge für U-Boote, für Fregatten und für
sonstiges Gerät der Bundesmarine konnten offensichtlich besser abgerechnet werden, als das bei den Spannen
im Handelsschiffbau möglich ist.
Diese Möglichkeit scheint jetzt nicht mehr gegeben
zu sein, auch wenn ich nicht bestreiten will, dass man
den U-Boot-Bau unterstützen soll - das geschieht mit
unserer Zustimmung - und dort, wo es nötig ist, mit entsprechenden Partnern auch Export betreiben soll. Der
Kollege Börnsen hat darauf hingewiesen. Es ist ja ganz
interessant an der Situation Schleswig-Holsteins, dass,
nachdem es einmal einen Blaupausen-Untersuchungsausschuss gab - da ging es um U-Boote für Südafrika die Bundesregierung ja inzwischen genehmigt hat, dass
U-Boote und Korvetten nach Südafrika geliefert werden.
Aber es ist vielleicht bloß ein Schmankerl, wenn man
manchmal sagt: Manches wäre nicht passiert, wenn ...
Ich behaupte heute, der Kollege Gansel wäre nie Oberbürgermeister in Kiel geworden, wenn es diese Blaupausen-Affäre nicht gegeben hätte. - Nun gut.
Die Werften sind in einer schwierigen Situation. Sie
kommen mit den Preisen nicht mehr zurecht, und wir
erwarten, dass die Europäische Union, unterstützt von
der Bundesregierung, alle Schritte unternimmt, aus dem
Bericht, den die Europäische Union im Oktober 1999
über die Situation des Weltschiffbaues vorgelegt hat, die
entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
({0})
Dazu gehören für uns Anti-Dumping- oder Ausgleichsmaßnahmen, die geprüft werden müssen, genauso, wie
sich die Möglichkeit bietet, internationale Vereinbarungen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen
der Welthandelsorganisation, die bisher im Schiffbau
noch nicht angewendet wurden, einzusetzen und ein
Streitschlichtungsverfahren zu betreiben.
({1})
Wenn man das in Deutschland vorhandene Knowhow erhalten will, reicht es nicht aus, den Blick nur auf
die europäische Szene und auf den Weltmarkt zu richten; dann muss man sich angesichts der Tatsache, dass
das Jahr 2000 nach meiner Beurteilung ein Schicksalsjahr des europäischen Schiffbaus wird, auch fragen: Wie
sieht es aus mit den nationalen Maßnahmen, die wir treffen können oder die wir manchmal vielleicht auch besser unterlassen? Hier gibt es bei einzelnen Punkten wohl
doch Anlass zu einer deutlichen Differenz.
Wir haben im Haushaltsausschuss gemeinsam
240 Millionen DM für Wettbewerbshilfe beschlossen.
Es gibt eine Lobby über Parteigrenzen hinweg zwischen
Haushaltsausschuss und Wirtschaftsausschuss - meinetwegen nehme ich den Wirtschaftsausschuss auch zuerst -, wenn es darum geht, die Werften zu fördern. Aber jeder weiß - da fängt dann der Unterschied schon an
-, dass im Regierungsentwurf dort Mittel nicht vorgesehen waren. Jeder weiß auch - hier kommt der Punkt, wo
wir alle miteinander aktiv werden müssen, wenn wir
entsprechende Ergebnisse erreichen wollen -, dass es
zurzeit wieder ein Gerangel zwischen Finanzminister
und Wirtschaftsminister in der Frage gibt, wann denn
nun die Sperre, die ja noch verhängt worden ist und die
wir nicht wollten, nämlich die Sperre über die Verpflichtungsermächtigungen, aufgehoben wird.
({2})
Wenn man sich das Auftragsvolumen von 10 Milliarden
DM anguckt - Staatssekretär Mosdorf hat darauf hingewiesen - und dann feststellt, die Mittel sind bis heute
nicht freigegeben, es bedarf einer zusätzlichen Einvernahme des Parlaments, dann fordere ich Sie ausdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass möglichst schnell der Entsperrungsantrag von der Regierung vorgelegt wird, damit die Mittel auch für diese Maßnahmen zugunsten der
Werften bereitgestellt werden können.
({3})
Ich sage aber auch, dass es noch andere Gründe gibt,
aus denen man einen Einbruch befürchten muss, der
zum Teil sogar schon eingetreten ist. Ich habe in meinem Wahlkreis eine kleine Werft. Die Werft hat seit der
Bundestagswahl, wenn man der Presse glauben darf,
keinen einzigen Auftrag bekommen. Beim letzten Besuch der Werft haben wir nachgefragt, woran das denn
wohl liegen kann. Man hat uns gesagt, es fing an mit einer neuen steuerrechtlichen Regelung durch das so genannte Steuerentlastungsgesetz vom Frühjahr 1999.
Damals wurde ein Paragraph eingeführt, der heute bei
den Steuerberatern den Titel „Fallenstellerparagraph“
trägt. Es ist Paragraph 2 b des Einkommensteuergesetzes. Er verhindert die Einwerbung von Beteiligungskapital für den Schiffbau.
({4})
Die Verhinderung der Einwerbung von Beteiligungskapital heißt, dass gerade die kleinen und mittleren Werften durch diese Regelung nicht mehr in der Lage sind,
Kapital zu sammeln, um über ihre Werft, wie das früher
üblich war, möglichst viele gute Schiffe zu bauen und zu
verkaufen.
Ich habe damals als im Vermittlungsausschuss noch
einmal über dieses Thema geredet wurde - es war im
Herbst letzten Jahres -, Frau Simonis angeschrieben und
sie gebeten, sie möge doch initiativ werden und habe einen Gesetzentwurf beigefügt, mit dem man die schädlichen Wirkungen des Paragraphen 2 b insbesondere für
kleinere und mittlere Werften wieder ausmerzen könnte.
Sie hat bis heute darauf nicht geantwortet.
Das passt übrigens zu dem, was über den Besuch von
Gerhard Schröder in Kiel berichtet wurde. Herr
Schröder hat dort gesagt - und hat sich damit auf das berufen, was Frau Simonis immer über Schleswig-Holstein
sagt -: Das Land hat einen weiten Weg gemacht, weg
von der Ausrichtung der Wirtschaft auf Landwirtschaft
und Werften -. Dies übersieht vielfache Entwicklungen
in den letzten Jahren. Damit sollte wohl suggeriert werden, dass für Hightech besonders viel getan wird, was sicher falsch ist. Aber es übersieht die Tatsache, die hier
mit Recht beschrieben worden ist, dass eine Fülle unserer Werften bei der Schiffsproduktion Hightech machen.
Das neue 180-Millionen-Programm ist die dritte Fortsetzung von Programmen, die es früher immer
({5})
- ich komme gleich dazu, Herr Ronsöhr - für Förderungen gab, die wir im Bereich der Meerestechnik vorgenommen haben und die leider oft, weil die Werften nicht
mehr die eigene Kraft hatten, nicht ausgeschöpft worden
sind. Es nutzt überhaupt nichts, neue große Programme
zu machen, die sich an Adressaten richten, die damit
nichts anfangen können. Das ist natürlich auch bei der
Landwirtschaft mit ihren Produktivitätssteigerungen der
Fall, bei den Anwendungsmethoden in vielen Bereichen,
auch bei der Umsetzung von Energie- und Biotechnologie in einer modernen Betriebswirtschaft.
Ich nenne einen weiteren Punkt, der zu kritischen
Bemerkungen Anlass gibt. Die Unsicherheiten über Abschreibezeiten für Schiffe führen zur Zurückhaltung bei
der Bestellung von Neubauten. Wer moderne, sichere,
umweltfreundliche Schiffe will, muss es bei angemessenen Abschreibezeiten lassen.
({6})
Das muss beachtet werden, wenn wir jetzt über die Unternehmensteuerreform und die Lohn- und
Einkommensteuerreform reden. Es hat sicher auch eine
Wirkung für den Schiffbau, gerade für kleine und
mittlere Werften, wenn die degressive AfA verändert
werden soll, wenn Sonderabschreibungen für kleine und
mittlere Unternehmen und nach § 32 c EStG abgeschafft
werden sollen. Dies hat zwangsläufig Wirkungen und
kann nicht so einfach weggewischt werden. Die
Wirkungen sind in den Werften bei den Arbeitsplätzen
ohne weiteres leider sofort zu sehen.
Ich will ein Weiteres zum Thema Wettbewerbshilfe
sagen. Es muss darauf gedrängt werden, dass die ständigen Nadelstiche, die an der einen oder anderen Stelle
angesetzt werden, endlich aufhören. Ich sage das deshalb, weil die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über das Programm 1999 erst in den letzten Tagen
des Jahres 1999 unterzeichnet wurde - aber nicht vom
Land Schleswig-Holstein. Die Landesregierung hat erst
am 3. Januar 2000 das Programm für 1999 unterschrieben. Hier höre ich von der KfW, dass das ein absoluter
Negativrekord ist. Wie will ich denn dynamisch unterstützen, wenn die Mittel, die wir hier im Parlament bereitstellen, nicht an den Mann bzw. an die Werften
kommen? Das muss endlich aufhören.
({7})
Es ist fahrlässig und Unfug, wenn durch interne Diskussionen - auch zwischen den Regierungsbehörden - die
Inkraftsetzung des Programmes lange hinausgezögert
wird.
Ich sage das auch, damit man sieht, was die Steuergesetzgebung bedeutet, was die Tätigkeit in einzelnen
Bundesländern bedeutet, was die Schwierigkeiten der
Finanzierung bedeuten. Mancher, der meint, die Werften
seien allesamt gesunde Betriebe, verkennt, dass die
Rahmenbedingungen, über die wir uns gern unterhalten,
besser gestaltet werden können, als das zurzeit der Fall
ist. Meines Erachtens gehört auch dazu, dass mancher
Schiffbauauftrag, wie ich vorhin gesagt habe, nur über
zusätzlichen Marineschiffbau überhaupt vernünftige Erträge gewährleistet.
Besonders schlecht geht es - dies möchte ich zum
Schluss sagen - den Werften in Schleswig-Holstein.
Das Land hat seit 1996 107 Millionen DM Komplementärmittel verweigert und dadurch Bundesmittel
von weiteren 53 Millionen DM ausgeschlagen. Das Ergebnis: Ein Auftragsvolumen von 2,2 Milliarden DM ist
an den Werften des Landes Schleswig-Holstein vorbeigegangen. Wenn also die Kieler Landesregierung - wie
wir alle - mit dem Zeigefinger nach Korea zeigt, weisen
vier Finger auf das eigene rot-grüne Versagen in Kiel
hin. Wer nicht die Mittel bereitstellt, um Angebote des
Bundes zu komplettieren, kann sich hinterher nicht darüber beklagen, dass die Situation so ist, wie sie ist. Unsere Werften brauchen die Unterstützung einer tatkräftigen EU-Kommission,
({8})
einer handlungsfähigen Bundesregierung, die vom Parlament beschlossene Hilfen rasch umsetzt, verbesserte
steuerliche Rahmenbedingungen und Bundesländer, die
ihren Anteil bei der Erfüllung der Aufgaben im Bereich
der regionalen Wirtschaftspolitik wahrnehmen. Dann
kann damit gerechnet werden, dass die Produktionslücken, die zurzeit vorhanden sind, bis zum Jahre 2003
weitgehend gefüllt werden und der deutsche Schiffbau
eine Zukunft hat.
({9})
Für die SPDFraktion spricht der Kollege Thomas Sauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schade, dass am Ende der Debatte nun durch Herrn Austermann in erster Linie landtagswahlpolitische Argumente hier Eingang gefunden
haben. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten die sehr sachDietrich Austermann
liche und in weiten Teilen in Übereinstimmung geführte
Debatte auch so zu Ende bringen können.
Die Bundesregierung wie auch die schleswigholsteinische Landesregierung tun alles, um die Arbeitsplätze auf den Werften und bei der Zulieferindustrie zu sichern und zu erhalten.
({0})
Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Die Arbeitsplatzzahlen auf den Werften sind seit vielen Jahren
rückgängig. Die Produktivitätssteigerungen errechnen
sich ja auch daraus, dass in erheblichem Umfang Personal abgebaut wurde. Das ist ein sehr schmerzlicher Prozess, und ich finde es nicht besonders anständig, die
Versprechungen, die wir auch im Haushaltsplan 2000
machen, bei den Werftarbeitern und in der Werftindustrie jetzt sozusagen als unglaubwürdig darzustellen. Die
Werften und die Werftarbeiter können sich auf die deutsche Sozialdemokratie verlassen.
({1})
Immerhin geht es noch um rund 26 000 Beschäftigte in
den Werften und um rund 70 000 Beschäftigte bei den
Zulieferindustrien. Das ist kein unwesentlicher Bereich,
und man sollte mit den Ängsten dieser Menschen nicht
spielen.
Durch die Einstellung der Produktionsbeihilfen in
den Haushalt 2000 ist - ich erwähnte es eben - die Auftragslage der Werften für die nächste Zeit gesichert.
Diese politische Leistung zugunsten der Beschäftigten in
der maritimen Wirtschaft war trotz der Konsolidierungsanstrengungen im Haushalt möglich und zeigt, dass wir,
wie ich eben schon sagte, den deutschen Schiffbau nicht
im Regen stehen lassen. Wir wollen die Zukunftsmöglichkeiten der maritimen Industrie stärken.
Bei den kleineren und mittleren Werften ist die Situation nach wie vor insgesamt schwieriger. Wir müssen
deshalb die ökonomische Situation gerade der kleineren
und mittleren Werften ganz besonders im Auge behalten. Ich sage dies auch vor dem Hintergrund der Insolvenz der Husumer Schiffswerft in meinem Bundesland
Schleswig-Holstein. Ich hoffe, dass sich über den Bau
von Windkraftanlagen weitere neue Beschäftigungschancen für die Kolleginnen und Kollegen bei der Husumer Schiffswerft ergeben.
Meine Damen und Herren, die Abwertung des Won
war schon in mehreren Wortbeiträgen Gegenstand der
Diskussion. Die Abwertung um 30 Prozent stand natürlich im Zusammenhang mit der Krise der asiatischen
Finanzmärkte. Das hat auch Preisvorteile für Korea
geschaffen, die ganz exemplarisch in der Werftindustrie
dazu führen, dass Arbeitsplätze und Wachstumschancen
in Europa gefährdet sind. Die Instabilität der internationalen Finanzarchitektur, die sich in der asiatischen Finanzkrise gezeigt hat, muss meines Erachtens auch politische Konsequenzen haben.
Eine engere internationale Kooperation auch in der
Währungspolitik ist meines Erachtens notwendig, um
währungspolitische Stabilität zu erreichen. Das scheint
mir eine wichtige makroökonomische Forderung zu
sein. Eine moderne Wirtschaftspolitik muss dafür sorgen, dass die Währungsbeziehungen zwischen den großen Währungsräumen stabil sind, denn ohne stabile
Weltfinanzmärkte gibt es keine stabilen Wechselkurse.
Zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen im
Schiffbau mit Südkorea müssen die ruinösen Wettbewerbspraktiken endlich abgebaut werden. Dazu hat Frau
Dr. Wetzel ausführlich Stellung genommen. Ich kann
dies für meine Person hier nur noch einmal bestätigen.
Es ist unsere politische Aufgabe, gemeinsam mit den
Unternehmen und den Gewerkschaften der maritimen
Industrie eine Zukunftsperspektive für diese Branche zu
eröffnen. Dazu brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen. Sie betreffen zum einen die Stabilisierung der
Währungsräume, aber auch den Abbau von Lohndumping und den Abbau von Beistandskrediten zum Erhalt
von Überkapazitäten, wie es zum Beispiel in Korea der
Fall ist.
Andere Maßnahmen betreffen notwendige Anpassungen in Europa und beim deutschen Schiffbau über die
bereits gemachten Anstrengungen hinaus. Denn bei aller
richtigen Kritik: Der asiatische Raum und Südkorea
bleiben natürlich selbst unter fairen Wettbewerbsbedingungen starke Mitbewerber, denen der europäische
Schiffbau mit Produktivität und hoher Qualität begegnen
muss. Ich glaube, gerade in Schleswig-Holstein, Herr
Austermann, zeigen sich viele positive Beispiele, wie
Unternehmungen, wie Werften und auch die Landesregierung versuchen, in die Zukunft zu schauen und diese
Wettbewerbsbedingungen anzunehmen.
({2})
Positive Beispiele finden sich bei der Unternehmenskooperation, wie sie etwa Lindenau in Kiel und Büttner
aus Bremen praktizieren, die für sich damit Synergievorteile realisieren. Sie zeigen sich ebenso in einer effektiven Förderung von Innovation und Forschung, die
natürlich auch für diese Branche notwendig ist. Das
wurde schon von einigen hier angesprochen.
Als Abgeordneter aus Schleswig-Holstein freue ich
mich, dass gerade in meinem Heimatland neben den
Wettbewerbshilfen des Landes, die komplementär geleistet werden, und den Landesbürgschaften gerade in
diesem Bereich viel für die Werften getan wird. Für
Schleswig-Holstein hat der letzte Bericht zur Lage der
Schiffbauunternehmen festgestellt, dass ein dichtes
Netzwerk der Kooperation zwischen Schiffbauunternehmen und Forschungseinrichtungen entstanden ist.
Das ist eine erfreuliche, weil wichtige positive Entwicklung. Ich erwähne hier exemplarisch, aber nahe liegend,
weil aus meinem Wahlkreis kommend, die Kooperation
der schleswig-holsteinischen Werften mit dem GKSSForschungszentrum in Geesthacht im Bereich neuer Materialien und ihrer Verarbeitung.
Insbesondere freue ich mich natürlich - ich muss das
hier zum dritten Mal positiv erwähnen - über das jüngst
angekündigte 180-Millionen-DM-Forschungsprogramm
für Schiffbau und Meerestechnik. Auch das wird helfen,
die Produktivität in unseren Werften zu steigern und
neue Innovationsprozesse zu realisieren. Ich glaube,
dass die maritime Industrie mit gemeinsamen Anstrengungen und mit einem bisschen guten Willen eine gute
Chance hat zu bestehen. Dazu braucht sie faire Wettbewerbsbedingungen auf den Weltmärkten. Die Bundesregierung ist aufgefordert, wie von Herrn Mosdorf hier
angekündigt und bestätigt, diese fairen Wettbewerbsbedingungen herzustellen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 5 a: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem
Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen zu einer Initiative gegen die Auswirkungen
der asiatischen Finanzkrise und des internationalen Subventionswettlaufs auf die deutsche und europäische
Werftindustrie; Drucksache 14/1233. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/540 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 b: Zweite Beratung und
Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Rahmenabkommen vom 28. Oktober
1996 über den Handel und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits; Drucksache 14/1200. Die Fraktion der PDS hat die
Rücküberweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie beantragt. Wir stimmen
zunächst über diesen Antrag ab. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag auf
Rücküberweisung an den Ausschuss ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Wir stimmen deshalb jetzt über den Gesetzentwurf
ab. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/2064, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
PDS angenommen.
Zusatzpunkt 5: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU zu einer Initiative gegen die
Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise und des internationalen Subventionswettlaufs auf die deutsche und
die europäische Werftindustrie; Drucksache 14/2538.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/400 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Dann ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten KurtDieter Grill, Gunnar Uldall, Dr. Klaus W.
Lippold ({0}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Deutschland muss weiterhin in der Reaktorsicherheitsentwicklung eine führende Rolle
einnehmen - Zusagen an Frankreich müssen
eingehalten werden
- Drucksache 14/1212 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Dr. Paul Laufs für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der schwerste Reaktorunfall in der
westlichen Welt geschah am 28. März 1979 in Harrisburg, USA. Der 1 000-Megawatt-Druckwasserreaktor
des Kraftwerks wurde bei diesem weit über die Auslegungsstörfälle hinausgehenden Kernschmelzunfall völlig
zerstört. Personen- oder Umweltschäden waren nicht zu
beklagen. Die inhärenten und passiven Sicherheitsvorkehrungen verhinderten wirksam eine Umweltkatastrophe.
Der Reaktorunfall in Harrisburg war der Anlass für
eine aufwendige und intensive Erforschung und Verbesserung der kerntechnischen Sicherheit in den 80er- und
90er-Jahren. Heute kann man feststellen, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Reaktorunfalls, vergleichbar dem Ereignis von Harrisburg, bei den Leistungsreaktoren westlicher Bauart um den Faktor 1 000 gesunken
ist. Für die Kernkraftwerke der westlichen Industriestaaten liegt eine Erfahrung mit über 6 000 Anlagenbetriebsjahren vor.
Die deutschen Kernkraftwerke sind durch umfangreiche Nachrüstungen, die Investitionen in Höhe vieler
Milliarden DM erforderten, auf ein ständig verbessertes,
sehr hohes Sicherheitsniveau gebracht worden. Deutsche
staatliche Stellen, deutsche Wissenschaftler und Kraftwerksbetreiber waren immer ganz vorne bei den Vorkämpfern eines höchstmöglichen Sicherheitsstandards.
Wir in der CDU/CSU wollen, dass dies im Interesse der
Sicherheit unserer Bevölkerung so bleibt.
({0})
Viele Hundert deutsche Wissenschaftler haben in ihrem Memorandum zum geplanten Kernenergieausstieg
gesagt,
({1})
dass angesichts der enormen Fortschritte der
Sicherheitstechnik alte Parteitagsbeschlüsse auf ihre
heutige Berechtigung überprüft werden müssten. Die
rot-grüne Mehrheit lehnt dies ab, weil sie nicht zwischen
Fakten und Meinungen unterscheiden will. Für sie ist die
Kerntechnik grundsätzlich nicht beherrschbar und
deshalb der sachlichen Auseinandersetzung nicht wert.
Neue Erkenntnisse über inhärent sichere
Hochtemperatur-, Siedewasser- und Druckwasserreaktorlinien interessieren sie grundsätzlich nicht mehr.
Dies ist töricht und unverantwortlich.
({2})
Bei diesen neuen Reaktortechniken kann der größte
denkbare Unfall, die Kernschmelze, entweder aus
Gründen der Physik nicht mehr eintreten oder durch
bauliche und technische Vorkehrungen sicher beherrscht
werden. Wir sind überzeugt, dass die Kernenergie im
Hinblick auf den ungeheuren Energiebedarf der Menschen in den Entwicklungsländern ebenso wie in den Industriestaaten und angesichts der Herausforderungen des
Klimaschutzes eine Renaissance erfahren wird.
Es wird ja nicht bestritten, dass heute und in den
kommenden Jahren angesichts des auf den liberalisierten
Märkten der Europäischen Union bestehenden Überangebots an elektrischem Strom kein Bedarf an einem
neuen Kernkraftwerk besteht. In etwa zehn Jahren werden aber Entscheidungen über die Errichtung neuer
Kraftwerke anstehen. In Japan, in Frankreich, in den
USA und in vielen anderen Ländern denkt man nicht
daran, die Kernenergie als Energieträger der Zukunft
abzuschreiben. Neue weiterentwickelte Reaktoren sind
übrigens durchaus wettbewerbsfähig mit Kohle und Gas,
wenn man Abschreibungszeiten von 20 Jahren ansetzt.
Die Option der Kernenergienutzung muss auch für
Deutschland offen gehalten werden. Dazu gehört, dass
ausreichender Nachwuchs für die nukleare Wissenschaft
und Forschung sowie für das Fachpersonal in den kerntechnischen Anlagen ausgebildet wird. Wir müssen in
diesem Bereich jungen qualifizierten Menschen eine
Zukunftsperspektive bieten.
({3})
Selbst bei einem Ausstiegsszenario sind zahlreiche
Fachkräfte für den Betrieb und die Entsorgung kerntechnischer Einrichtungen erforderlich.
Aber der Ausstieg ist keine Lösung. Auch wenn in
absehbarer Zeit keine neuen Kraftwerke gebaut werden:
Der Weiterbetrieb der bestehenden Kraftwerke ist sicherheitstechnisch auch auf lange Zeit kein Problem.
Durch Nachrüstungen kann der aktuelle Stand der fortgeschrittenen Technik für lange Zeit praktisch aufrechterhalten werden. Lebensdauerverlängerungen von 40 auf
60 Jahre sind sicherheitstechnisch kein Problem.
({4})
Sie haben eigentlich nur betriebswirtschaftliche Grenzen.
Wenn gegenwärtig der Streit darum geht, ob eine
Laufzeit von 25, 30 oder 35 Jahren politisch akzeptabel
ist, bestehende Kernkraftwerke also noch für viele Jahre
betrieben werden können, kann eine grundsätzlich unbeherrschbare Reaktorsicherheit den Atomausstieg nicht
begründen. Wir haben auch noch keinen grünen Umweltminister erlebt, der eine Betriebsgenehmigung nach
§ 17 Abs. 5 des Atomgesetzes wegen einer erheblichen
Gefährdung widerrufen hätte. Das ist mir bis jetzt nicht
bekannt.
Meine Damen und Herren, der CDU/CSU geht es um
die Erhaltung einer wichtigen Zukunftsoption und um
die weitere Verbesserung des Sicherheitsstandards
deutscher Kernkraftwerke.
({5})
Dazu bedarf es im gegenwärtigen politischen Umfeld
der Zusammenarbeit mit Frankreich.
Deutsche und französische Unternehmen haben gemeinsam ein neues, inhärent sicheres Reaktorsicherheitskonzept für den Europäischen Druckwasserreaktor,
den EPR, entwickelt.
({6})
Die Entscheidung über die Errichtung einer Prototyps
auf einem französischen Standort in absehbarer Zeit erscheint möglich.
({7})
Für eine weitere deutsch-französische Kooperation muss
die deutsche Seite ihre Zusagen gegenüber Frankreich
einhalten, also auch die Zusagen der deutschen Bundesregierung zur Beurteilung der EPR-Auslegung und die
Erarbeitung gemeinsamer Leitlinien für die Sicherheit
künftiger Druckwasserreaktoren.
({8})
Durch die Vereinbarung der früheren Bundesumweltministerin Merkel mit dem französischen Industrieministerium ist ein gemeinsames deutsch-französisches
EPR-Gutachterverfahren eingerichtet worden.
({9})
Zum ersten Mal wurde länderübergreifend gemeinsam
an Regeln, Richtlinien und Vorschriften zur Reaktorsicherheit gearbeitet. Dies ist eine einzigartige Chance,
deutsches und französisches Sicherheitsdenken zusammenzuführen und für ganz Europa und darüber hinaus
Maßstäbe zu setzen. Diese Chance und das deutsche
Mitspracherecht bei der zukunftsweisenden neuen Entwicklung eines EPR dürfen nicht verspielt werden.
In der Sitzung des Deutsch-Französischen Direktoriums vom 16. Dezember vergangenen Jahres hat der Vertreter des Bundesumweltministeriums mitgeteilt, dass
der deutsche Bundesumweltminister nicht mehr bereit
sei, die gemeinsamen Arbeiten an neuen Sicherheitsanforderungen fortzuführen,
({10})
die bereits durch die Entlassung der früheren RSK außerordentlich erschwert worden waren. Die rot-grüne
Bundesregierung hat das deutsch-französische Verhältnis bereits durch ihr unerhörtes Verhalten im Zusammenhang mit den Wiederaufarbeitungsverträgen und der
Rückführung von Glaskokillen mit deutschen radioaktiven Abfällen außerordentlich belastet.
({11})
Mit dem vorliegenden Antrag fordert die Fraktion der
CDU/CSU die Bundesregierung auf, deutsche Regierungszusagen und Vereinbarungen gegenüber Frankreich einzuhalten. Es ist bedrückend, dass solche Anträge überhaupt gestellt werden müssen.
({12})
Für die SPDFraktion spricht nunmehr der Kollege Horst Kubatschka.
({0})
Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir behandeln heute
in erster Lesung einen kurzen, nicht knackigen, dafür
aber dürftigen Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Es geht
um die Entwicklung des Europäischen Druckwasserreaktors und um den Traum einer Renaissance der Kernenergie, wie wir gerade gehört haben. Um es klar zu sagen: Zusagen der rot-grünen Regierung an Frankreich
werden natürlich eingehalten. Genauso aber dürfte in
Frankreich bekannt sein, dass die rot-grüne Koalition
den Ausstieg aus der Kernenergie durchführen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der EPR hätte bei
uns keine Chance, genehmigt zu werden, dies nicht nur
deswegen, weil wir den Einstieg in den gesetzlichen
Ausstieg noch in diesem Jahr vollziehen werden, sondern auch, weil wir keinen Europäischen Druckwasserreaktor brauchen. Wir brauchen den Einsatz von erneuerbaren Energien.
({0})
Deswegen haben wir das Gesetz über erneuerbare Energie in den Bundestag eingebracht.
Der EPR wäre in Deutschland nicht genehmigungsfähig,
und zwar wegen des novellierten Atomgesetzes.Ich darf
Sie nur an § 7 - Genehmigung von Anlagen - Abs. 2 a
verweisen. Im Gesetz - es wurde von Ihnen auf den
Weg gebracht und beschlossen - heißt es an der Stelle,
dass bei einem Unfall, selbst bei einem GAU, keine Radioaktivität aus einem geschlossenen Gebäudegelände
austreten darf. Dies wäre der absolut sichere Kernreaktor. Es hat ihn bisher nicht gegeben und es wird ihn auch
in Zukunft - selbst bei den jetzigen technischen Lösungen - nicht geben. Aus diesem Grund wird der Europäische Druckwasserreaktor in Deutschland nicht genehmigungsfähig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland erfolgt der Ausstieg bereits; darauf wurde bereits hingewiesen. Seit vielen Jahren wird kein neues Kernkraftwerk mehr gebaut. Grund ist nicht nur die enorme Überkapazität in Deutschland und in der EU. Die Bürgerinnen und Bürger wollen mehrheitlich nach wie vor den
Ausstieg. Auch den Stromherstellern ist klar: Bei den
geltenden Sicherheitsstandards für Neuanlagen wird der
Atomstrom zu teuer. Einen niedrigeren Sicherheitsstand
werden Sie ja nicht befürworten, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU. Ein „Atomkraftwerk light“
werden Sie nicht befürworten.
({1})
- Weil du gerade die 60 Jahre genannt hast, Monika: Ein
Kraftwerk wäre dann ein Oldtimer und normalerweise
fährt niemand einen Oldtimer im Verkehr. Das wird uns
als technische Lösung empfohlen.
Auch die Hersteller der Atomkraftwerke ziehen inzwischen die Konsequenzen. Die Firma Siemens trennt
sich von ihren Nuklearaktivitäten und bringt sie mit der
Firma Framatome in eine gemeinsame Tochter ein. Die
Nuklearaktivitäten gehören nicht mehr zum Kerngeschäft.
({2})
Auch die Firma ABB trennt sich von ihren Nuklearaktivitäten, man will sie verkaufen. Das heißt auch für
die Firma ABB: Nukleartechnik gehört nicht mehr zum
Kerngeschäft, und dies, obwohl man sich zusammen mit
Südafrika in einer hoffnungsfrohen Entwicklung beim
Hochtemperaturreaktor wähnt. Zwei Weltkonzerne ziehen sich aus der Kernenergietechnik zurück. Sie wollen
das Risiko vermindern, sie trennen sich von der nicht
mehr zukunftsfähigen Kernenergie.
Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt hinweisen.
Wir sollten eigentlich die Menetekel beachten. Die
Sturmkatastrophe um die Jahrtausendwende war so ein
Menetekel. Dabei ist klar, der Zeitpunkt war rein zufällig und so etwas kann sich leider jederzeit wiederholen.
Diese Naturkatastrophe hat belegt, dass die Megastrukturen der Stromversorgung zu anfällig sind. Sie sind in
bestimmten Situationen nicht mehr einsatzfähig und beherrschbar.
({3})
Werden sie massiv gestört, dauert es zu lange, bis sie
wieder einsatzfähig sind. Ein Katastrophensturm hat die
Menschen im wahrsten Sinne des Wortes frieren lassen.
Von dem verheerenden Sturm war vor allem Frankreich
betroffen: 3,5 Millionen Menschen saßen im Dunkeln.
Der Stromausfall hat aber auch klargemacht, in welcher
totalen Abhängigkeit von dieser Energieform wir uns
befinden. Ohne Strom geht gar nichts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, die
französischen Erfahrungen einmal auf unser Leben, auf
Sie persönlich zu übertragen. Ich habe das bei mir überprüft: Ich säße in meiner Wohnung - das Dunkle wäre
gar nicht so schlimm - und würde erbarmungslos frieren, weil meine Heizung nicht funktionieren würde. Ich
habe einmal durchgespielt, wie es bei meinen Freunden
ausschaut und ob ich bei denen Unterschlupf finden
kann: Ebenfalls Fehlanzeige, sie alle sind auf die Stromversorgung angewiesen. Kein Einziger hat Heizungen,
die nicht auf Elektrizität angewiesen wären.
({4})
- Ja, aber ich appelliere nicht, jetzt plötzlich Kachelöfen
zu bauen. Vielmehr appelliere ich, dezentrale Stromstrukturen aufzubauen, die nicht so anfällig sind.
({5})
Es ist klar, dass diese dezentralen Produktionsstrukturen
miteinander vernetzt werden müssen.
Manche mögen sagen, dieser Sturm sei ein einmaliges Ereignis gewesen. Ich hoffe auch, dass der Sturm
Lothar für lange Zeit ein einmaliges Erlebnis sein wird.
Aber das ist auch nur Prinzip Hoffnung. Die Klimaforschung zeigt ganz klar: Die bereits stattgefundene Temperaturerhöhung hat als erste Folge, dass die Windgeschwindigkeiten deutlich angestiegen sind. Sturmkatastrophen treten häufiger auf; das beweisen die Statistiken
der Versicherungsunternehmen.
Ich möchte auch ganz kurz auf die beiden Forderungen des Antrages eingehen - es sind ja nur zwei.
Die erste Forderung beinhaltet, dass die gegebenen Zusagen eingehalten werden. Hier ist natürlich zu fragen,
um welche Zusagen es sich handelt?
Es ist klar: Die rot-grüne Koalition wird kein Kernkraftwerk mehr genehmigen. Genauso klar ist: Wir werden noch heuer ein Ausstiegsgesetz in den Bundestag
einbringen und beschließen. Der Bundesrat wird dieses
Gesetz nicht verhindern können.
({6})
Dieses Gesetz wird entweder im Konsens oder im Dissens mit den Betreibern der Kernkraftwerke beschlossen
werden. Ein Dissensgesetz ist machbar und wird anders
aussehen als ein Konsensgesetz. Ich hoffe, dass ein
Konsens noch möglich ist, obwohl wir nicht mehr viel
Zeit dafür haben.
({7})
Selbstverständlich werden wir aber auch den Franzosen kein Sicherheits-Know-how verweigern, denn jede
Maßnahme, die zur Erhöhung von Anlagensicherheit
führt, ist sinnvoll. Die erste Forderung dieses Antrags
läuft also total ins Leere.
Die zweite Forderung finde ich interessant. Man muss
sich auch hier wieder fragen: Was bedeutet die vage
Formulierung „Vereinbarung“? Trotzdem finde ich die
Forderung sehr interessant. Dieser Bericht hätte aber nur
dann Neuigkeitswert, wenn das berichtende Ministerium
Einblick in die Verträge zwischen der Cogema und den
EVUs bzw. den britischen Aufbereitern hätte nehmen
können. Dann wäre ein solcher Bericht sinnvoll.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Unionsparteien, Sie hätten die Möglichkeiten, auf die Betreiber der
Atomkraftwerke einzuwirken, damit diese die Verträge
veröffentlichen.
Trotzdem stellt sich eine spannende Frage: Wird in
Frankreich der Europäische Druckwasserreaktor gebaut?
Dies ist nicht unsere Entscheidung. Er wird nur dann
gebaut, wenn er wirtschaftlich ist. Dies ist dann der Fall,
wenn hohe Subventionen fließen, um die Wirtschaftlichkeit zu erreichen. In Frankreich sind diese hohen
Subventionen nur deswegen möglich, weil der französische Markt nicht liberalisiert ist und die Liberalisierung
auch in naher Zukunft nur schleppend vorangehen wird.
({8})
Beim liberalisierten europäischen Strommarkt, auf dem
sich die EdF voll dem Wettbewerb stellen müsste, wäre
der Europäische Druckwasserreaktor chancenlos.
Es ist eigentlich schon erstaunlich, mit welcher
Langmut die Europäische Union die so genannte Liberalisierung in Frankreich hinnimmt. Nach wie vor hat
ein Stromkonzern als Monopolist das alleinige Sagen,
und jede ernsthafte Liberalisierung wird im Keim erstickt. Dieser Staatskonzern nützt unsere Liberalisierung, um in den deutschen Strommarkt zu drängen. Übrigens, in Frankreich zahlen die kleinen Verbraucher dafür die Zeche in Form von hohen Preisen. Darüber hinaus bietet die baden-württembergische Landesregierung
den Franzosen die Möglichkeit, auf dem deutschen
Strommarkt Leistungen anzubieten, indem sie privatisiert.
({9})
Bei uns wird diskutiert, welche Farbe der Strom hat
und welcher Preis dafür gezahlt werden muss. Die Diskussion über die Qualität des Stroms, über Versorgungssicherheit, über Kundennähe und über den Service bei
eintretenden Pannen findet bei uns nur am Rande statt.
Vor allem wäre es wichtig, zu verhindern, dass es zu
längeren Stromausfällen kommt, wie sie zum Beispiel
durch Sturmkatastrophen, die wir in Frankreich erlebt
haben, verursacht werden können.
Es ist schon erstaunlich, dass die Erfahrungen in
Neuseeland, wo die Hauptstadt über mehrere Monate
ohne eine sichere Stromversorgung war und die Erfahrungen aus Buenos Aires, wo Ähnliches geschah, bei
uns keinen Widerhall finden. Es wird Zeit, dass wir die
Liberalisierung des Strommarktes auch unter diesen Gesichtspunkten ernsthaft diskutieren.
Die Unionsparteien haben mit ihrem Antrag wieder
einmal bewiesen, dass sie die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben. Atomkraft ist nur eine Übergangsenergie. Zu dieser Meinung hatte sich unter den Eindrücken
von Tschernobyl auch einmal die CDU durchgerungen.
Auch damals hieß es, die Atomkraft sei nur eine Übergangsenergie. Aber inzwischen wird sie wieder von den
Unionsparteien gepuscht. Die Rede vorhin hat es bewiesen. Sie setzen damit das falsche Signal.
Es ist wichtig, dass wir in eine andere Energieversorgung mit dezentralen Strukturen und erneuerbaren Energien einsteigen.
({10})
Wir müssen eine Zeit einläuten, die den erneuerbaren
Energien eine Chance gibt. Deswegen erfolgt der Einstieg in den Ausstieg.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Für die F.D.P.Fraktion spricht die Kollegin Birgit Homburger.
Herr Präsident! Meine
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst ein
paar grundsätzliche Bemerkungen zu diesem Antrag
machen, der ja ein paar Tage alt ist,
({0})
an dem man aber sehr deutlich die Situation, in der sich
die Bundesregierung befindet, aufzeigen kann.
Es bestehen einige Grundlagen für eine Wirtschaftspolitik, die sich erfolgreich den Herausforderungen der
Gegenwart stellt, und zwar den Herausforderungen an
die Weltwirtschaft im Wandel. Berechenbarkeit, Zuverlässigkeit und Stabilität, das sind die Grundsätze, die zu
gelten haben. Deswegen haben Global Player auf der
nationalen und auf der internationalen Ebene zu Recht
Anspruch auf eine berechenbare und zuverlässige Politik. Sie entscheiden über Investitionen und damit auch
über Arbeitsplätze in Deutschland. Deswegen haben die
Unternehmen Anspruch auf Vernunft, Berechenbarkeit
und Zuverlässigkeit, und zwar auch gegenüber dieser
Bundesregierung.
({1})
Dies gilt auch dann, wenn es um den Bereich der Kernenergie geht - gerade hier, denn der bereits entstandene
Vertrauensschaden ist hoch.
Monatelang beraten Staatssekretäre der Bundesregierung über die verfassungsrechtlichen Konsequenzen des
Atomausstiegs. Gestern sollte das Ergebnis nun endlich
vorliegen. Eine verunsicherte Öffentlichkeit hat gespannt auf das Ergebnis gewartet - nichts! Nichts soll
über die Ergebnisse der Beratungen bekannt gemacht
werden, mit denen die Bundesregierung in 14 Tagen die
von ihr so titulierten Gespräche zum Energiekonsens in
Deutschland führen will. Es handelt sich also um geheimnisumwitterte Vorbereitungen auf einen faulen
Kompromiss.
Was ist mit den Energieversorgern? Sie dürfen weiter
rätseln. Plant die Bundesregierung eine verfassungswidrige Enteignung? Auf wie lange Restlaufzeiten dürfen
sie eigentlich hoffen? Oder müssen sie fürchten, demnächst von ihren Aktionären verklagt zu werden?
In Bezug auf die Genehmigung von Atommülltransporten zeigt sich dasselbe Bild: Müssen sich die Atomkraftwerksbetreiber weiterhin auf rechtswidrige Schikanen einstellen? Droht etwa eine Verstopfung der Kernkraftwerke? Der Bundeskanzler höchstpersönlich hat ja
schließlich bei früheren Konsensgesprächen gesagt, dass
er nicht zulassen werde, dass eine solche Verstopfungsstrategie gefahren werde. - Alles nur Schall und Rauch.
Die F.D.P. erwartet, dass sich die Energieversorger
kein zweites Mal ins Boot ziehen lassen, wenn es der
Regierung wieder einmal darum geht, ihr rot-grünes Gesicht zu wahren.
({2})
Wir fragen die deutsche Öffentlichkeit, ob es sinnvoll
sein kann, die Kraftwerksbetreiber zu zwingen, strahlenden Müll auf ihrem Gelände abzulagern, obwohl unter Tage Lagerstätten erschlossen sind, die eine weitaus
größere Sicherheit bieten,
({3})
oder Atommüll auf Halde zu legen, obwohl seit langem
rechtskräftige Vereinbarungen zur Wiederaufarbeitung
vorliegen. Dies kann energiepolitisch nicht vernünftig
sein.
({4})
Im Deutschen Bundestag fand eine entsprechende
Anhörung statt,
({5})
die ergeben hat, dass es keine sachlichen Gründe mehr
gibt, Transportgenehmigungen zu verweigern.
({6})
Deswegen fragen wir die Bundesregierung: Wann
und zu welchen konkreten Bedingungen werden eigentlich wieder Transportgenehmigungen erteilt?
({7})
Wo bleibt das Entsorgungskonzept? Was sollen wir unseren Partnern im Ausland sagen, wenn sie uns nach der
Verlässlichkeit der deutschen Bundesregierung fragen?
({8})
Uns allen ist die Peinlichkeit noch schmerzlich in Erinnerung. Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit der Politik nach Lesart der Bundesregierung hieß seinerzeit:
Seht her, liebe Freunde in Europa! Wenn wir meinen,
aus der Atomenergie aussteigen zu müssen, dann ist dies
höhere Gewalt, die euch in der Gestalt des deutschen
Umweltministers gegenübertritt. Briten und Franzosen
mussten die deutsche Bundesregierung daran erinnern,
dass Verträge eingehalten werden müssen, ob auf nationaler oder auf internationaler Ebene, ob es einem passt
oder nicht.
({9})
Und der Bundeskanzler ruderte zurück. Dies war allerdings vergebens; denn der Vertrauensschaden, der seinerzeit entstanden war, konnte kaum mehr beseitigt
werden. Die Bundesregierung weiß aber ganz genau:
Nicht einmal einer von vier Wählern in Deutschland unterstützt die Attitüde von Rot-Grün.
({10})
Der Atomausstieg soll um jeden Preis vollstreckt werden, obwohl die Bundesregierung auf die entscheidenden Fragen der energiepolitischen Zukunft keine Antwort weiß.
Das CO2-Ziel von Kioto - kein Konzept. Energetische
Versorgungssicherheit - kein Konzept. Entsorgung kein Konzept.
({11})
Damit ergibt sich selbst jenseits der gravierenden verfassungsrechtlichen Probleme auch aus umwelt- und energiepolitischer Sicht der klare Befund: Der sofortige
Atomausstieg ist nicht zu verantworten.
({12})
Frau Kollegin
Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Peter Dreßen?
Ja, bitte.
Frau Kollegin Homburger, Sie
haben gerade erzählt, es sei niemand außer Rot-Grün
ernsthaft gegen die Kernenergie. Sie stammen ja aus
Baden-Württemberg. Könnten Sie vielleicht einmal einen kleinen Unterricht bei Ihrem Parteifreund Dr. HansErich Schött nehmen, der acht Jahre im Landtag saß,
und sich mit ihm einmal über Gefahren und Risiken von
Atomkraftwerken unterhalten? Denn er war einer der
führenden Männer aus der F.D.P., der damals das Kernkraftwerk Wyhl verhindert hat. Wären Sie bereit, sich
einmal mit einem Ihrer Parteifreunde darüber zu unterhalten?
Herr Kollege, ich unterhalte mich pausenlos mit meinen Parteifreunden,
({0})
durchaus auch sehr kontrovers, ob Sie sich das vorstellen können oder nicht. Wir haben uns intensiv mit diesen Fragen auseinander gesetzt.
Sie sagen, Atomenergie solle Übergangsenergie sein.
Darin kann ich Ihnen dann zustimmen, wenn man ein
klares Konzept für energetische Versorgungssicherheit
in Deutschland hat, wenn man sagen kann, wie man die
CO2-Minderung bei abgeschalteten Atomkraftwerken in
den Griff kriegen will, und wenn man sagen kann, wie
die Steigerung bei den regenerativen Energien, die Sie
anstreben, tatsächlich erfolgen soll, wenn man also ein
Konzept hat, das funktioniert. Das haben Sie in keiner
Weise. Solange man ein solches Konzept nicht hat, kann
man nicht einfach sagen: Wir steigen aus der Atomenergie aus.
({1})
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, ihre
Haltung zum Europäischen Druckwasserreaktor zu überdenken. Es handelt sich nämlich in diesem Fall um
ein deutsch-französisches Entwicklungsprojekt mit zukunftsweisenden Impulsen für den weltweiten technischen Fortschritt bei der Reaktorsicherheit. Nur durch
konstruktive Mitarbeit an internationalen Projekten kann
Deutschlands Vorreiterrolle, kann der Einfluss auf die
Entwicklung kerntechnischer Sicherheit weltweit erhalten bleiben. Ich denke, das müssen wir als Bundesrepublik Deutschland tun.
({2})
Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit der Politik, das
ist die Gretchenfrage für jede Investition und erst recht
für jede Forschungsinvestition im europäischen Binnenmarkt.
({3})
In politischer Verantwortung auch für den Arbeitsmarkt
geht es letztlich immer um die Qualität Deutschlands als
Wirtschaftsstandort und als Vertragspartner in einer globalisierten Welt. Dabei ist die Bundesregierung auf dem
besten Wege, das Ansehen Deutschlands gänzlich zu
ruinieren.
({4})
Die F.D.P. unterstützt den vorliegenden Antrag. Wir
fordern die Bundesregierung auf, endlich darüber zu berichten, wie sie in der Frage des Transports abgebrannter
Brennelemente weiter zu verfahren gedenkt. Wir wollen
von der Bundesregierung auch wissen, wie sie den auf
nationaler und auch auf internationaler Ebene entstandenen Vertrauensschaden zu begrenzen gedenkt.
Schaffen Sie die Voraussetzungen dafür, dass
Deutschland seinen Beitrag zum internationalen technischen Fortschritt im Bereich der Reaktorsicherheit weiterhin leisten kann! Reichen Sie trotz aller Ideologie der
übrigen Welt die Hand als kooperativer Partner mit einem Bewusstsein für globale Verantwortung! Lassen Sie
die Gelegenheit zu einem deutsch-französischen Projekt
nicht zum Opfer Ihres Verständnisses von höherer Gewalt werden!
Danke.
({5})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Michaele
Hustedt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind
heute wieder zu später Stunde unter uns. Die Presse hat,
glaube ich, schon Feierabend gemacht. „Phoenix“ läuft
auch nicht mehr. Das ist eine Chance, eine ehrliche Debatte über den Stand der „Zukunftstechnologie“ Atomkraft zu führen.
Allerdings muss ich sagen, dass ich mir nicht sicher
bin, ob Sie von der CDU zurzeit in der Lage sind, eine
solche ehrliche Debatte zu führen.
({0})
Bei der Ökosteuerkampagne, die Sie im Augenblick fahren, sinken alle, selbst die so genannten Modernisierer
wie Rühe und Merkel, auf Hintzes Rote-Socken-Niveau
hinab. An einer sachlichen Politik sind Sie anscheinend
zurzeit nicht interessiert.
Sie betreiben mit der Ökosteuerkampagne einen absolut
dreisten Populismus. Sind Sie sich nicht zu schade, die
Bevölkerung gegen den Umweltschutz in Stellung zu
bringen?
({1})
Das werden wir mit uns nicht machen lassen. Vor diesem Hintergrund habe ich meine Befürchtung geäußert sie ist die durch die Redebeiträge bestätigt worden ist,
ich bedauere das -, dass trotz der späten Stunde leider
keine ernsthafte Debatte über die Frage „Hat der EPR
eine Zukunft oder nicht?“ möglich ist.
Ich möchte noch etwas zu einigen Punkten Ihres Antrags sagen. Der erste Punkt betrifft Folgendes: Die
Bundesregierung hat keinerlei Zusagen für den Bau des
EPR gegeben. Wenn Sie das behaupten - dies tun Sie in
Ihrem Antrag -, dann müssen Sie dies belegen.
({2})
Dies haben Sie bisher nicht getan. Es stimmt, dass sich
die Betreiber vor langer Zeit - noch vor Einführung des
Wettbewerbs - darauf verständigt haben, in beiden Ländern einen Antrag zu stellen. Aber dies haben sie nicht
getan. Auch eine Vereinbarung zwischen den Industrievertretern würde eine Bundesregierung in keiner Weise
binden. Ich weiß nicht, ob die damalige, von Ihnen gestellte Bundesregierung da irgendwie herumgemauschelt
hat. Aber selbst eine solche Mauschelei würde die jetzige rot-grüne Bundesregierung nicht daran binden, sich
für den Bau des EPR einzusetzen. Deswegen werden wir
es auch nicht tun.
({3})
Zweiter Punkt. Herr Laufs hat wieder die Mär von
dem inhärenten Reaktor erzählt. Sie sind anscheinend
nicht auf dem Laufenden. Der EPR hat die Erwartungen
bei weitem nicht erfüllt. Der EPR ist nicht inhärent.
Während der laufenden Erforschung des Reaktors ist
festgestellt worden, dass bei diesem Reaktor eine Kernschmelze nicht verhindert werden kann. Man hofft, dass
man eine Kernschmelze auf die örtliche Schutzzelle begrenzen kann. Das Öko-Institut kommt in seiner Analyse zu einer desaströsen Aussage über die tatsächliche Sicherheitstechnik dieses neuen Reaktors. Ich glaube nach
wie vor: Der Störfall in Deutschland ist normal. Das gilt
auch für die laufenden AKWs. Daran wird sich auch
durch den Bau des EPR nichts ändern. Das Betreiben
von Atomkraftwerken ist unverantwortlich, auch das
von EPRs. Das ist ein unverantwortbares Risiko, das wir
nicht eingehen werden.
({4})
Drittens. Sie suggerieren in Ihrem Antrag, der EPR
sei eine Zukunftstechnologie mit großen Marktchancen.
({5})
- Ihre Rede über die großen Möglichkeiten, die wir versäumen, und über die weltweite Entwicklung der Atomkraft usw. ist ein Beleg dafür.
({6})
In Deutschland - dies ist klar - wird der EPR nicht
gebaut. Es ist kein Antrag gestellt worden. Die Stromkonzerne haben überall erklärt, dass sie trotz merkelscher Atomnovelle in absehbarer Zeit keinen Antrag auf
Bau eines Reaktors stellen werden.
Jetzt zur Ehrlichkeit: Selbst wenn Sie weiter regiert
hätten - Gott bewahre uns davor -, würde kein Antrag
auf Bau eines EPR in Deutschland gestellt werden. Das
ist die absolute Wahrheit.
({7})
Viertens. Sie verweisen auf Frankreich und hoffen,
dass Frankreich den Bau eines EPR übernimmt. Ich sage
Ihnen Folgendes: Auch in Frankreich wurde ein solches
Projekt bisher nicht beantragt. Auch in Frankreich hat
sich die französische Regierung bisher nicht für dieses
Projekt ausgesprochen. Auch in Frankreich haben die
Grünen den Bau des EPR zu einer Koalitionsfrage erklärt. Auch in Frankreich ist die Wahrscheinlichkeit
ausgesprochen groß, dass dieser Reaktor nicht gebaut
wird, und zwar auch aus wirtschaftlichen Gründen.
Die EdF steht vor der Herausforderung - auch wenn
der französische Markt noch abgeschottet wird -, sich
dem Wettbewerb öffnen zu müssen. Wenn Sie sich die
Zukunftsplanungen der EdF anschauen, dann stellen Sie
fest, dass sie als Ersatz für die veralteten Atomkraftwerke keinen Neubau von Atomkraftwerken plant, auch
keinen von EPRs; vielmehr plant die EdF den Neubau
von GuD-Kraftwerken, weil sie sich ökonomisch wesentlich besser rechnen.
({8})
Das bedeutet für die nächsten Jahre erst einmal - lassen Sie uns nicht über eine Zeitraum von 10 oder
15 Jahren reden -, dass ein Bau dieses Reaktors weder
in Deutschland noch in Frankreich - das ist Ihre Hoffnung - geplant ist. Wahrscheinlicher ist sogar, dass der
EPR überhaupt nicht realisiert wird; vielmehr bedeutet
die mit dieser Dinosauriertechnologie verbundene Forschung eine endlose Fortsetzung einer Sackgasse. Der
EPR ist keine Zukunftstechnologie.
Die Nukleartechnologie ist eine Auslauftechnologie.
Das sehen im Übrigen nicht nur wir, sondern das sieht
auch - Herr Kubatschka hat es angesprochen - Siemens
so. Siemens hat seine Nuklearabteilung im Prinzip an
Framatome verscherbelt. Anders kann man das nicht bezeichnen. Warum? Weil Siemens unter Ihrer Bundesregierung jahrelang keine Aufträge mehr zum Neubau von
Reaktoren bekommen hat!
({9})
- Gott sei Dank aus unserer Sicht, natürlich.
Die Nuklearabteilung von Siemens ist sowieso ein relativ kleiner Zweig mit etwas über 3 000 Beschäftigten.
Im Vergleich dazu: Auf dem Gebiet der Windenergie
haben wir schon über 30 000 Arbeitsplätze geschaffen.
Im Bereich der Biomasse und dergleichen mehr wird ein
Vielfaches neu geschaffen werden.
({10})
Die Sparte Nukleartechnologie von Siemens ist in
den Jahren 1998 und 1999 mit einem Minus von
132,5 Millionen Euro noch tiefer in die roten Zahlen gerutscht. Aus diesem Grund verabschiedet sich Siemens
schnell vom Nukleargeschäft. Die Analysten geben
Siemens darin Recht, dass dieser Schritt eine richtige
Maßnahme zur Weiterentwicklung des Unternehmens
ist. Sie haben anlässlich dieser so genannten Fusion gesagt, dass das Nukleargeschäft seit Jahren eindeutig
rückläufig ist.
Anscheinend hat die Industrie die Zeichen der Zeit
verstanden. Nukleartechnologie, auch der EPR, ist keine
Zukunftstechnologie, auf die man bauen kann; im Gegenteil: Der EPR stellt eine technologische Sackgasse
dar. Die Industrie tritt deswegen auf die Notbremse. Die
Einzigen, die das Fähnchen noch hochhalten, sind die
CDU/CSU und die F.D.P. Vor dem Hintergrund dieser
Zahlen und Fakten geschieht das aus ideologischen
Gründen; anders kann es nicht sein.
({11})
Ich warne Sie. Ich nenne als Beispiel Wackersdorf.
Dort war es haargenau so.
({12})
Irgendwann hat die Industrie gesagt: Wir verzichten
auf dieses Projekt. Einen Tag vorher hat man Kohl angerufen und Kohl ist damals im Dreieck gesprungen - ich
weiß es noch, als wenn es heute gewesen wäre -,
({13})
weil er bis zum letzten Tag für Wackersdorf gekämpft
hat - ohne Wenn und Aber und mit großem Engagement. Die Industrie war aber der Ansicht: Nein, das
rechnet sich nicht; wir gehen. Passen Sie auf, dass Ihnen
das beim EPR nicht genauso geschieht!
({14})
Das Thema „Weiterentwicklung der Sicherheitstechnik“ ist eine ernsthafte Angelegenheit. Wenn wir es
ernst nehmen, dann sollten wir uns auf etwas anderes
konzentrieren. Wie gesagt, wenn die Nuklearindustrie
überhaupt noch internationale Aufträge bekommt, dann
geht es meistens um Nachrüstungen oder Umrüstungen
und nicht um Neubautechnologien.
In Deutschland laufen die Atomkraftwerke - aus
Sicht der Grünen leider - wahrscheinlich noch einen
längeren Zeitraum. Unter Ihrer Regierung gab es auch
eine indirekte Subvention der laufenden AtomkraftwerMichaele Hustedt
ke, weil es nicht zu regelmäßigen Sicherheitschecks der
bestehenden Atomkraftwerke gekommen ist.
({15})
Wir werden uns bei der Atomgesetznovelle auch diesen Punkt vornehmen und regelmäßige Sicherheitschecks vorschreiben. Dabei kommt immer einiges heraus. Nehmen wir einmal das Beispiel Biblis A. Bei Biblis A wurde einmal ein solcher Sicherheitscheck durchgeführt und es sind weit über 100 Mängel aufgetaucht.
Jetzt befinden wir uns in der Diskussion, wie diese
Mängel behoben werden können; denn sie müssen behoben werden.
({16})
Das muss dann zu Nachrüstungen führen. Auf dieser
Ebene - Sicherheitstechnologie entwickeln, die bestehenden Mängel der in Deutschland vorhandenen AKWs
beseitigen - könnten wir zusammenkommen. Das könnten wir in der Zukunft tatsächlich etwas tun.
({17})
Ich glaube, dass man Ihren Antrag kaum ernst nehmen kann.
({18})
Er gehört in die Kategorie, alte ideologische Grundprinzipien immer und immer wieder zu wiederholen
Ich glaube, wir sind für unsere Wirtschaft auf dem
richtigen Weg, wenn wir den Einstieg in eine umweltverträgliche Energieversorgung forcieren - das werden
wir tun - und den Atomausstieg in Deutschland voran
treiben.
Danke.
({19})
Ich gebe für die
Fraktion der PDS das Wort der Kollegin Eva BullingSchröter.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag der
CDU/CSU-Fraktion reiht sich nahtlos in die Energiepolitik der alten Bundesregierung ein. Ich kann Ihnen nur
sagen: Durch ständige Wiederholungen werden Ihre Argumente auch nicht besser.
({0})
Die Atomenergie ist und bleibt eine Dinosauriertechnik,
({1})
die es so schnell wie möglich abzuschaffen gilt.
({2})
Eine Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland lehnt die
Atomkraft ab und wünscht sich den Einsatz von regenerativen und zukunftsfähigen Energien. Auch wenn von
Ihnen immer wieder das Gegenteil behauptet wird, bleibe ich dabei: Das was Sie sagen, stimmt nicht; es verhält
sich wirklich so. Ich glaube, dass Ihre Wahrnehmungsfähigkeit gerade in den letzten Wochen stark
nachgelassen hat. Als Volkspartei sollten Sie aber auch
den Zeitgeist wahrnehmen. Vermutlich spielt auch hier
die Atomlobby eine große Rolle. Schauen wir einmal,
was bei den weiteren Skandalen noch alles herauskommt.
Wie Teile Ihrer Fraktion zu AKWs stehen, wurde in
einer der letzten Umweltausschusssitzungen im letzten
Jahr so richtig deutlich, als eine Kollegin von Ihnen sagte: Ich liebe mein Kernkraftwerk.
({3})
Ich persönlich würde andere Liebeserklärungen machen;
auf alle Fälle zeigt aber auch das etwas.
({4})
Jetzt zu Ihrem Antrag: Klar ist, dass, solange nicht alle Atomanlagen abgeschaltet sind,
({5})
für die größtmögliche Sicherheit gesorgt werden muss.
Das ist unbestreitbar. Ich bin nur der Meinung, dass
Deutschland eine Vorreiterrolle in Fragen regenerativer
Energien übernehmen sollte und nicht bei der Sanierung
abgewrackter Atomanlagen, wie zum Beispiel in Mochovce.
({6})
Erinnert sei auch an unsere Auseinandersetzung um die
Kredite für den Ausbau der beiden Atomkraftwerke
K2/R4 in der Ukraine, wo es andere Möglichkeiten gegeben hätte und meiner Meinung nach eine Chance verspielt wurde.
({7})
Nach Ihrer Einschätzung verbindet der Europäische
Druckwasserreaktor ein fortschrittliches, modernes
Reaktorsicherheitskonzept mit einer zusätzlichen Sicherheitsstufe und effizienten Brennstoffnutzung. Umwelt- und Anti-AKW-Initiativen sehen das ganz anders.
Nach ihrer Meinung kann der EPR nach dem neuen § 7
Abs. 2 a Atomgesetz nicht genehmigt werden. Ich brauche ihn nicht zitieren, Kollege Kubatschka hat das schon
getan. Bis heute konnte von Seiten der Antragsteller der
geforderte Beweis nicht erbracht werden. Nach wie vor
gibt es große Sicherheitsbedenken. Es ist nämlich klar,
dass die Folgen von Kernschmelzen in Hochdruckreaktoren nicht auf die Anlage begrenzt werden können.
Kann der Beweis erbracht werden, dass die Integrität
des Sicherheitsbehälters weder durch Wasserstoffexplosion noch durch Dampfexplosion gefährdet wird? Nein!
Oder der Beweis, dass der teilweise oder ganz geMichaele Hustedt
schmolzene Kern sicher aufgefangen wird und seine
Nachkühlung gewährleistet ist? Nein! Der EPR schließt
solche Schadensereignisse nicht aus. Eine bloße Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit wird den Maßgaben des deutschen Atomgesetzes nicht gerecht.
Im Übrigen möchte ich noch einmal die Forderungen
des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1978
zitieren. Sie lauten:
Es muss diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird.
Lässt sie sich technisch noch nicht verwirklichen,
darf die Genehmigung nicht erteilt werden; die erforderliche Vorsorge wird mithin nicht durch das
technisch gegenwärtig Machbare begrenzt.
So das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Ich frage Sie also: Was wollen Sie mit einem Atomkraftwerk, das in der Bundesrepublik nicht genehmigungsfähig ist?
Noch ein Aspekt ist wichtig: Die Atomindustrie
steckt mit dem EPR in einem Dilemma, denn großtechnische Anlagen, zu denen auch Atomkraftwerke gehören, können heute auf dem internationalen Markt nur
noch abgesetzt werden, wenn potenzielle Käufer im
Herstellerland eine funktionsfähige Anlage besichtigen
können. Vergleichen Sie das mit dem Transrapid, da
gibt es ja ähnliche Probleme. Daher ist es folgerichtig,
dass die Genehmigungskooperation über das DeutschFranzösische Direktorium gestoppt wird. Das ist das
Mindeste, was diese Bundesregierung machen kann.
Nichtsdestotrotz wird jetzt schon der Bau des EPR
mit einer Leistung von 1 750 Megawatt am westrussischen Standort Smolensk geplant. Der superteure Großreaktor soll durch Stromlieferungen nach Deutschland
finanziert werden. Die PDS hält derlei Geschäfte für ökonomisch unsinnig und ökologisch kontraproduktiv.
Wir halten den EPR nicht für eine „richtungsweisende
Zukunftstechnologie“, wie in Ihrem Antrag formuliert,
sondern für eine rückwärts gewandte Technologie, die
auch allen Nachhaltigkeitskriterien widerspricht.
Zum Schluss möchte ich nur noch etwas zur
Verhandlungslinie sagen, die gestern Abend
anscheinend beschlossen wurde. Natürlich wird auch die
PDS weder ein Ausstiegsszenario von 30 Jahren noch
dezentrale Zwischenlager, noch die beabsichtigte
Genehmigung von Schacht Konrad unterstützen. Das
alles ist dem Atomausstieg nicht dienlich. Ihr solltet da
wesentlich nachbessern.
({8})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Franz Obermeier.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Debatte
hier verfolgt, fällt einem allerhand ein. Aber am besten
passen doch ein paar Redewendungen wie „Das Kind
mit dem Bade ausschütten“, „Jemandem einen Bärendienst erweisen“ oder „Den Ast absägen, auf dem man
sitzt“. Das sind überlieferte Volksweisheiten, die ihre
Berechtigung dadurch erfahren, dass sie in ihrem Kern
durchaus Weisheit beinhalten. Sie beruhen auf gemachten Erfahrungen und Überlegungen, sie beinhalten Erkenntnisse und Wahrheiten. Aber manche meinen, sie
seien immun: nicht nur gegen diese Wahrheiten, sondern
auch gegen Fakten, Prognosen und gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse. Dabei brauchen wir gerade
heute Weitsicht, um unser Land in eine gute Zukunft zu
führen.
({0})
Der Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie
ohne vernünftige Alternativen und ohne Konzept, wie es
derzeit passiert, hätte für unser Land weit reichende negative Konsequenzen. Davon betroffen wären vor allem
die Bereiche Wirtschaft - und damit Arbeitsplätze -,
Umwelt sowie Technologieentwicklung. Auch der Beitrag Deutschlands zur Verbesserung des internationalen
Sicherheitsniveaus würde mit einem Ausstieg unnötig
aufs Spiel gesetzt. Sicherheitspartnerschaften zwischen
deutschen Kernkraftwerken und derartigen Anlagen in
anderen, vor allem osteuropäischen Ländern wären gefährdet.
Man muss es einfach immer wieder betonen: Die
deutschen Kernkraftwerke sind die sichersten der Welt.
({1})
Dies belegen allein schon die 38 Jahre Betriebszeit in
Deutschland. Auch die Analyse der Berichte des Bundesamtes für Strahlenschutz über „Meldepflichtige Ereignisse in Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen
in der Bundesrepublik Deutschland“ lässt nur den
Schluss zu, dass sich die deutschen Anlagen durch ein
sehr hohes Sicherheitsniveau auszeichnen.
({2})
Der deutsche Sicherheitsstandard gilt als Motor für
die internationale Entwicklung der nuklearen Sicherheit.
Dies gilt gerade im Hinblick auf die Staaten Osteuropas.
Eine wichtige Rolle hierbei spielt die gute und enge
deutsch-französische Kooperation. Beispielsweise arbeiten Anlagenbetreiber und -hersteller aus beiden Ländern
gemeinsam daran, das bereits sehr hohe Sicherheitsniveau in Frankreich und Deutschland weiterzuentwickeln und zu verbessern. Zum Ausdruck kommt die
Qualität der Zusammenarbeit unter anderem darin, dass
die beiden erfahrensten europäischen Kernkraftwerkehersteller, Framatome und Siemens, ihre nuklearen Aktivitäten in einer Firma bündeln wollen.
({3})
Die Verbesserung des Sicherheitsstandards war lange
Zeit auch Ziel der deutschen und französischen Sicherheitsbehörden, Beratergremien und Sachverständigen.
Sie haben sich in der Vergangenheit darauf verständigt,
Sicherheitsanforderungen für zukünftige Kernkraftwerke
zu formulieren. Die Kooperation auf Sachverständigenebene zwischen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit
und dem französischen Partner funktioniert nach wie vor
hervorragend.
Bedauerlicherweise wurde jedoch mit dem Regierungswechsel im September 1998 von deutscher Seite
die gute Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden aufgekündigt. Während sich die Ministerien für
Industrie und Umwelt in Frankreich weiterhin aktiv für
eine Verbesserung der Sicherheitsstandards einsetzen,
hat das deutsche Bundesumweltministerium an dieser
Stelle bedauerlicherweise schon einmal den Ausstieg
geprobt. Leider ist diesem Schritt auch die - inzwischen
neu besetzte - Reaktorsicherheitskommission gefolgt.
Das Ansehen Deutschlands, das wegen seiner Berechenbarkeit und wegen seiner Zuverlässigkeit über einen
ausgezeichneten Ruf in der Welt verfügt, wurde durch
diesen Schritt der Bundesregierung erheblich beschädigt.
Dass sich der ursprüngliche Ansatz einer Länder übergreifenden Zusammenarbeit zwischen Behörden und
Industrieunternehmen bewährt hat - nicht nur in puncto
Sicherheit -, zeigt sich am Europäischen Druckwasserreaktor, am EPR. Die Auslegungskriterien für den
EPR sind im Wesentlichen von drei hoch gesteckten
Zielen geprägt: Es sind erstens die Verbesserung des Sicherheitsniveaus gegenüber den existierenden Anlagen,
zweitens die Beherrschung hypothetischer Störfälle, sodass deren Auswirkungen auf die Anlage selbst beschränkt bleiben, und drittens die Konkurrenzfähigkeit
der Stromerzeugungskosten im Vergleich zu Anlagen
auf der Basis anderer Primärenergiequellen.
Hier irren Sie, Frau Hustedt: Es ist den Konstrukteuren durch eine Vielzahl von Maßnahmen zur Beherrschung von Kernschmelzunfällen und zur Verhinderung
von großen Aktivitätsfreisetzungen tatsächlich gelungen,
mit dem EPR die anspruchsvollen Ziele, mit denen ein
deutlich verbessertes Sicherheitsniveau angestrebt werden soll, zu erreichen.
Ich möchte ein paar Maßnahmen nennen: Das sind
erstens die Vermeidung des Kernschmelzens unter hohem Druck durch Maßnahmen zur Druckentlastung, ergänzt durch zuverlässige Wärmeabfuhrsysteme, zweitens die Vermeidung von Wasserstoffdetonationen durch
frühzeitige Reduzierung der Wasserstoffkonzentration
im Sicherheitsbehälter, drittens die Vermeidung der
Schmelze-Beton-Wechselwirkung durch Ausbreitung
der Schmelze in einem eigens dafür vorgesehenen
Raum, dessen Flächen mit Schutzschichten versehen
sind. Weiter ist die Sammlung aller Leckagen und die
Vermeidung jeglicher Freisetzungen unter Umgehung
des Sicherheitsbehälters durch einen doppelten Sicherheitseinschluss vorgesehen. Durch all diese Maßnahmen
werden die Aktivitätsfreisetzungen derart begrenzt, dass
einschneidende Gegenmaßnahmen, wie eine Evakuierung oder Umsiedlung der Bevölkerung, nicht mehr nötig sind.
({4})
Auch in einem weiteren Punkt irren Sie, liebe Vertreter der Regierungsfraktionen: Die Wettbewerbsfähigkeit des EPR ist tatsächlich gegeben; das wird durch die
neuesten Zahlen belegt. Die Stromerzeugungskosten des
EPR liegen deutlich unter denen von Steinkohlekraftwerken auf Importkohlebasis. Zudem halten sie auch einem Vergleich mit den Stromerzeugungskosten von
GuD-Grundlastanlagen, bei denen es in den letzten Jahren deutliche technische Fortschritte und daraus resultierende Kostensenkungen gegeben hat, stand.
Dabei ist zu bedenken, dass beim Gaspreis, der sich
noch vor einem halben Jahr auf einem sehr niedrigen
Niveau befand, eine eindeutige Tendenz nach oben ähnlich wie beim Ölpreis - feststellbar ist. Der Anstieg
zwischen dem zweiten und vierten Quartal 1999 beträgt
rund 40 Prozent. Das bedeutet schlicht und einfach, dass
mit der Erhöhung der Preise für die fossilen Primärenergieträger die Wettbewerbsfähigkeit einer derartigen
Technologie entsprechend steigt.
({5})
Die Argumente sprechen aus meiner Sicht für sich.
Sobald die Notwendigkeit für den Bau einer neuen
Grundlastanlage gegeben ist, ist der EPR in der Tat eine
echte Option. Die bisherigen Veröffentlichungen über
den EPR sind - wie mir die Hersteller versicherten - bereits auf großes Interesse gestoßen, nicht nur bei den
Energieversorgern in Frankreich und Deutschland, sondern beispielsweise auch in Russland. Offensichtlich hat
man erkannt, dass trotz steigender Nachfrage nach
Grundlasterzeugungsanlagen auf Gasbasis der EPR ein
Kraftwerkstyp ist, der sich am Wettbewerb beteiligen
kann.
Wenn ich die Reden der Vertreter der Regierungsparteien verfolge, dann fällt mir auf, dass Worte wie „Wettbewerb“, „Kosten“, „Wirtschaftlichkeit“ und Ähnliches
überhaupt nicht vorkommen.
({6})
Die deutschen Energieversorgungsunternehmen und
Herstellerfirmen haben aufgrund der durchwegs positiven Bilanz der Kernenergie zu Recht immer wieder ihr
Interesse an Kernkraftwerken bekundet. Für die Kernkraftwerksbetreiber ist der Wettbewerbsmarkt nicht der
größte Unsicherheitsfaktor, vielmehr ist dies die Politik
unter Rot-Grün.
({7})
Sie hat die Möglichkeit, die Kernenergie ins Abseits
zu drängen. Dies kann weder aus ökonomischen noch
aus ökologischen Gründen, noch unter Sicherheitsaspekten im Sinne Europas sein. Die rot-grüne Regierung sollFranz Obermeier
te ihre Position überdenken und nach ihrem Gesellenstück der ökologischen Steuerreform mit dem Ausstieg
aus der Kernenergie nicht auch noch ihr Meisterstück
unsinniger Energiepolitik abliefern.
({8})
Im Interesse unseres Landes muss der politische
Rahmen so festgelegt werden, dass wir alle Optionen der
Energieerzeugung offen halten, die die Wirtschaft im
Wettbewerb stärken. Darüber hinaus müssen wir mehr
Mittel für Forschung und Entwicklung auf dem Sektor
der Energieerzeugung und der Energiespeicherung zur
Verfügung stellen. Wir wollen die erneuerbaren Energien zum Schutz von Klima und Ressourcen voranbringen, aber dies darf nicht solche Auswirkungen auf die
Energiepreise haben, dass die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft nachhaltig beeinträchtigt wird.
Danke schön.
({9})
Als letzter Redner
in dieser Debatte spricht nun der Kollege Rainer
Brinkmann für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem uns vorliegenden Antrag geht es nach meinem Dafürhalten nur
vordergründig um die Verbesserung der Reaktorsicherheit, speziell um den Bau eines Europäischen Druckwasserreaktors EPR, der, so wird ja pauschal behauptet,
eine richtungsweisende Zukunftstechnologie verkörpere.
So wie ich Ihren Antrag verstehe, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, wollen Sie nur den Versuch
machen, den hierzulande schon längst beschlossenen
Ausstieg aus der Kernkraft auszuhebeln.
Herr Kollege Obermeier, Sie haben vorhin eine alte
Volksweisheit bemüht. Ich sage Ihnen, es gibt auch eine
andere Volksweisheit, die lautet: Wer versucht, mit dem
Kopf durch die Wand zu gehen, hat hinterher einen
Dachschaden.
({0})
Sie sollten versuchen, dies auf alle Fälle zu verhindern.
In Ihrem Antrag findet sich zum Beispiel der Satz:
„eine Welt ohne Kernenergie wird es auf absehbare Zeit
nicht geben.“ - Ob Sie damit Recht haben werden, hängt
natürlich zunächst einmal davon ab, wie Sie diesen unbestimmten Begriff „auf absehbare Zeit“ überhaupt definieren. Sicher ist jedoch, dass es in durchaus absehbarer Zeit eine Bundesrepublik Deutschland ohne Kernkraft geben wird. Die Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU glauben anscheinend immer noch nicht, dass
wir es mit unserem Beschluss ernst meinen, dass wir die
angestrebte Energiewende erreichen werden. Lassen Sie
es sich gesagt sein: Wir schaffen den Einstieg in eine
zukunftsfähige Energieversorgung.
({1})
Die Nutzung der Kernenergie ist gesellschaftlich
nicht akzeptiert und sie ist auch volkswirtschaftlich nicht
vernünftig. Das ist der Grund dafür - der Bundeskanzler
hat im Übrigen darauf in seiner Regierungserklärung
vom 10. November 1998 hingewiesen -,
({2})
warum wir sie geregelt auslaufen lassen werden. Das ist
auch der Grund, warum nach unserer Einschätzung Projekte wie der EPR keine Zukunft haben werden. Wir
werden eben nicht in die AKW-Technologie investieren.
Dabei ist doch auch sowieso alles sozusagen solarklar.
Was wir dort investieren - um nicht zu sagen: verschleudern - würden, würde uns in anderen Bereichen
fehlen, um ökologisch sinnvolle und zukunftsträchtige
Technologien zu fördern.
({3})
Nun haben Sie ja immerhin eingesehen - das ist ein
Fortschritt -, dass es in Deutschland keine neuen Reaktoren mehr geben wird. So propagieren Sie nun etwas
nebulös, Deutschland müsse in der Kernenergiewirtschaft und -technologie eine „führende Rolle“ behalten
und sich aktiv an der verbesserten Reaktorsicherheit in
Europa und anderen Kontinenten beteiligen. Da verfahren Sie nach dem Motto: Wenn wir schon die gefährliche Kernenergietechnologie bei uns nicht mehr durchsetzen können, wollen wir wenigstens am Export verdienen. Das ist der eigentliche Hintergrund Ihres Antrages.
Das Vehikel dazu soll der EPR mit einer thermischen
Leistung von 4 250 Megawatt und einer elektrischen
Leistung von 1500 Megawatt sein. Dabei verschweigen
Sie geflissentlich, dass auch beim EPR die gefürchtete
Kernschmelze konstruktiv und reaktorphysikalisch keinesfalls ausgeschlossen wird. Sie soll lediglich mit Hilfe
einer doppelten Außenhaut, einem Keramikbecken und
einem über dem Reaktor angeordneten, „stabilisierend“
wirkenden Wasserbassin „beherrschbar“ gemacht werden. Das erscheint mir, gelinde gesagt, überaus anmaßend. In jedem Fall aber ist auch dieses EPR-Konzept
nicht der technologische Durchbruch, der geeignet wäre,
unsere Vorbehalte - und auch die der Menschen in unserem Land - gegen die Kernenergie zu zerstreuen,
({4})
von der weiterhin ungelösten Entsorgungsproblematik ganz zu schweigen.
Ich komme nun, meine Damen und Herren, zu den
wirtschaftlichen Fragen, die sich im Zusammenhang
mit diesem angeblichen „Zukunftsprojekt“ stellen. Sie
wissen doch ganz genau, welche Überlegungen aufseiten
der Industrie im Raum stehen, falls es zum Bau eines
EPR zum Beispiel im westrussischen Smolensk käme.
Da soll Russland seinen Anteil an den Investitionskosten
mit Stromlieferungen in den Westen bezahlen. Im Klartext: Wir sollen Atomtechnologie exportieren und uns
dies mit dem Import von Atomstrom bezahlen lassen.
Das, meine Damen und Herren, werden wir von der Regierungskoalition nicht mitmachen - ganz abgesehen
davon, dass wir als Verfechter einer wirklich zukunftsträchtigen und nachhaltigen Energiewirtschaft kein Interesse daran haben können, die Marktchancen erneuerbarer Energien geradezu sehenden Auges zu verschlechtern.
({5})
Wir wollen genau das Gegenteil. Nein, die auch in diesem Antrag von Ihnen verfolgte Argumentation ist mehr
als fragwürdig, Ausdruck eines rückwärts gewandten
Denkens und durchaus durchsichtig.
Noch einmal zu dem Argument ohne die Option auf
die Kernenergie stehe die technologische Zukunft
Deutschlands auf dem Spiel. Dazu kann ich nur sagen:
Es steht den interessierten deutschen Unternehmen
durchaus frei, sich am Bau eines EPR in Frankreich oder
anderswo zu beteiligen, wenn es sich denn für sie rechnet. Das ist eine Entscheidung, die die Stromwirtschaft
dann selbst zu fällen hätte. Die wahren Probleme, meine
Damen und Herren, sind aber ganz andere. Wenn Sie
selber einmal - der Kollege Obermeier ist am Montagabend auf dem Empfang des BEE gewesen - mit Anlagenbauern reden und deren Vertretern und Verbänden
sprechen, stellen Sie fest, dass Sie mit ganz anderen Fragen konfrontiert werden. Da wird zum Beispiel gefragt:
Wann schaffen Sie es endlich, das Einspeisegesetz umzusetzen? Denn, dort liegen ganz erhebliche Investitionspotenziale. Es sind Investitionen in Milliardenhöhe,
die dort zurzeit auf Eis liegen, und weit über 30 000 Arbeitsplätze, die allein dort in den nächsten vier Jahren
geschaffen werden könnten.
Nun lassen Sie uns an dieser Stelle einen kurzen Augenblick über Arbeitsplätze reden. Denn die Beseitigung der Arbeitslosigkeit ist immer noch das Kernthema
der deutschen Politik. Wenn wir uns den Bereich der
Windenergie anschauen - die Windenergie hat in
Deutschland zurzeit einen Marktanteil von etwas mehr
als 1 Prozent -, so stellen wir fest, dass die Windenergie
bereits heute weit über 15 000 gesicherte Arbeitsplätze
zur Verfügung stellt. Rechnen Sie einmal mit was es für
die Schaffung neuer Arbeitsplätze bedeuten würde,
wenn es uns gelänge, den Anteil der Windenergie von
etwas über 1 Prozent auf 5 oder gar 10 Prozent zu erhöhen.
({6})
Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, herzlich bitten: Hören Sie endlich auf, mit
immer neuen Anträgen eine Diskussion anzufachen, die
Sie schon längst verloren haben,
({7})
die Sie schon deshalb verloren haben, weil die Mehrheit
der Bevölkerung, die Mehrheit in der Bundesrepublik
Deutschland einen anderen Weg beschreiten will.
Liest man allerdings die Presseverlautbarungen der
CDU/CSU-Fraktion der letzten Wochen und Monate,
fällt einem eines sofort ins Auge: Sie beklagen immer
wieder und monoton das angeblich fehlende energiepolitische Konzept der Bundesregierung.
({8})
Gleichzeitig lehnen Sie aber natürlich - sachlich und inhaltlich demagogisch - die Vorschläge ab, die von unserer Seite auf den Tisch kommen.
({9})
Natürlich wenden Sie dabei einen Trick an: Diese
beiden Pressemitteilungen werden immer schön voneinander getrennt, weil Sie natürlich nicht zugeben wollen
- und aus Ihrer Sicht auch nicht zugeben können -, dass
wir sehr wohl zukunftsweisende technologische Energievorstellungen haben.
({10})
Ich kann Ihnen wirklich nur raten: Schneiden Sie Ihre
alten Zöpfe ab, verabschieden Sie sich von der AKWTechnologie. Denn wenn man einmal mit Mitgliedern
und Funktionären Ihrer Partei vor Ort spricht,
({11})
stellt man ganz schnell fest: Sie wenden sich schon
längst mit Grauen von Ihnen ab - und das nicht nur wegen der anderen Probleme, die Sie haben,
({12})
sondern durchaus wegen der anachronistischen Energiepolitik in Ihren Köpfen.
Was die Einhaltung angeblicher Zusagen gegenüber
Frankreich angeht, ist vorhin schon einiges gesagt worden. Ich will das nicht wiederholen, aber durchaus unterstreichen, dass diese Bundesregierung den Ausstieg
aus der Kernenergie entschädigungsfrei regeln wird.
({13})
Wir werden uns für die energiepolitischen Weichenstellungen der alten Bundesregierung nicht in Haftung nehmen lassen. Das gilt selbstverständlich auch für das
EPR-Projekt.
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass die Bundesrepublik Deutschland eine führende Rolle bei der
Weiterentwicklung der Energietechnologie spielt, aber
dies wird nicht auf dem Feld der Kernenergie geschehen. Wir sind sicher, dass auch unsere französischen
Rainer Brinkmann ({14})
Partner diesen Weg im Sinne einer Harmonisierung der
europäischen Energiepolitik mit uns gemeinsam gehen
werden. Wir stehen jedenfalls für Gespräche mit dieser
Zielrichtung zur Verfügung.
Vielen Dank.
({15})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/1212 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Renè
Röspel, Heino Wiese, Dr. wolfgag Wodarg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Hans-Josef
Fell, steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Biosicherheit-Protokoll erfolgreich abschließen
- Drucksache 14/2520 Die Redner geben ihre Reden zu Protokoll. Anlage 2
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag auf
Drucksache 14/2520 ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0}) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Zweiter Bericht der Bundesregierung über
den Anteil von Frauen in wesentlichen Gremien
im Einflussbereich des Bundes
- Drucksachen 13/10761, 14/272 Nr. 113,
14/1610 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Gradistanac
Irmingard Schewe-Gerigk
Maria Eichhorn
Ina Lenke
Christina Schenk
Die Rednerinnen und Redner geben ihre Reden zu
Protokoll.*) Damit kommen wir zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend zu dem Bericht der Bundesregierung über den
Anteil von Frauen in wesentlichen Gremien im Einflussbereich des Bundes, Drucksache 14/1610. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 1, den Bericht auf
Drucksache 13/10761 zur Kenntnis zu nehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit
einstimmig angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nummer 2
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/1610
die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition und der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 sowie Zusatzpunkt 7
auf:
10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Georg
Brunnhuber, Dirk Fischer ({1}), Dr.-Ing.
Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Transrapid-Projekt zügig realisieren
- Drucksache 14/2359 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Winfried Wolf, Eva-Maria Bulling-Schröter,
Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Gesetzliche Verpflichtung zum Bau der
Transrapid-Strecke Berlin - Hamburg aufheben
- Drucksache 14/2524 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertel stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner dem Kollegen Dirk Fischer für die CDU/CSUFraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Der Transrapid ist eine bestechende und umweltfreundliche Technologie, die unbedingt auf der Referenzstrecke Hamburg - Berlin zur Anwendung kommen muss.
({0})
Die Planung ist durchgeführt. In der nächsten Woche
ergeht der erste Planfeststellungsbeschluss. Man ist kurz
______
*) Anlage 3
Rainer Brinkmann ({1})
vor dem Ziel; ein klares politisches Bekenntnis ist notwendig. Das fordert der Antrag der CDU/CSUBundestagsfraktion. Stimmen Sie ihm also zu.
({2})
Sie haben monatelang ein unverantwortliches
Schwarzer-Peter-Spiel getrieben.
({3})
In der Koalitionsvereinbarung von SPD und Grünen
steht, Grundlage für die Realisierung des Projekts sei
das Eckpunktepapier von 1997. Kostenobergrenze:
6,1 Milliarden DM. Dann kam der Vorschlag des damaligen Verkehrsministers Müntefering für eine einspurige
Trassenführung. Ich gehe einmal davon aus, dass das seriös gemeint war
({4})
und im Ministerium sowie mit dem 100-prozentigen
Bundesunternehmen DB AG abgestimmt worden ist. Es
war schon eigentümlich, dass der Koalitionspartner
Grün in der damaligen Debatte sofort angekündigt hat,
dieser Vorschlag des Ministers sei das Todesurteil für
den Transrapid.
({5})
Dafür 6,1 Milliarden DM auszugeben, sei nicht machbar.
Da fragt sich die Opposition: Wo bleibt hier politische Führung durch Bundeskanzler Schröder? Er hat
offenbar kein Rückgrat, die in Planung befindliche Strecke Hamburg - Berlin zu verwirklichen. Seine Haltung
ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Nette Worte hier, nette
Worte dort, Besuch in China, Unterschreiben des „Letter
of intent“, Einladung des Ministerpräsidenten zur EXPO, wo man sich dieses Wunderprodukt anschauen
kann, große Hoffnung in Peking/Schanghai, dann die
Mehdorn-Visite: Schröder: Wir halten am Transrapid
fest. - Aber Konkretes erfährt man nicht.
Ich meine in aller Deutlichkeit sagen zu müssen: Herr
Bundeskanzler Schröder, hier geht es nicht um den Bau
einer Dorfstraße in Niedersachen, sondern es geht um
ein Zukunftsprojekt deutscher Industrie!
({6})
Es geht um eine Standortfrage für unser Land. Es geht
um die EXPO und darum, ob wir uns in diesem Zusammenhang weltweit lächerlich machen oder als Industrienation weltweit zusätzliche Anerkennung einfahren. Das
ist die Frage, um die es hier geht.
({7})
Kostenobergrenze: 6,1 Milliarden DM, ausgerechnet bei einer völlig neuen Technologie, bei der ersten
Anwendung, ohne Langzeiterfahrung. Dies ist eine krasse Benachteiligung. Nach dem gleichen Maßstab wäre in
Deutschland kein Projekt des Schienenbaus realisiert
worden. Es gäbe kein Projekt Köln - Rhein/Main. Erste
Schätzkosten: 3,35 Milliarden DM, Vergabepreis:
7,75 Milliarden DM, Endpreis: über 10 Milliarden DM.
Es wird gebaut, koste es, was es wolle. Es gäbe keine
Autobahn in Deutschland, es gäbe keine vierte Elbtunnelröhre, es gäbe keinen Lehrter Bahnhof, es gäbe kein
Kanzleramt, es gäbe keinen Reichstagsumbau, wenn für
diese Projekte die gleiche Messlatte angelegt worden
wäre.
({8})
Ausgerechnet bei der ersten Anwendung einer völlig
neuen Technologie legen Sie diese Messlatte an. Das ist
eine vom Ansatz her total destruktive Position. Schätzpreis gleich Endpreis hat es bei keinem Infrastrukturprojekt der Weltgeschichte oder in Deutschland gegeben.
({9})
Ich verlange für den Transrapid das gleiche Recht wie
für alle Infrastrukturmaßnahmen, nicht mehr und nicht
weniger.
({10})
Ich will gar nicht von der Verweigerungspolitik der
Grünen reden. Herr Schmidt, Sie wissen genau um die
besonders gute Umweltverträglichkeit des Transrapids:
sensationell niedrige Lärmemission, Energiesparsamkeit. Aber Sie verschweigen das. Sie zerstören hier ein
ökologisches Spitzenprodukt. Es ist wirklich jammerschade, dass die Grünen so heruntergekommen sind,
dass sie sich dies leisten.
({11})
Meine Damen und Herren, Sie haben nur deswegen
immer mit dem Haushalt, über den ich soeben schon etwas gesagt habe, argumentiert, weil Sie in Wahrheit
krampfhaft nach Gründen gesucht haben, Ihre ideologisch verbohrte ablehnende Haltung zu rechtfertigen.
Schlimmer noch: Sie plädieren für den Ausbau der
vorhandenen IC-Strecke Hamburg - Berlin zu einer
Hochgeschwindigkeitsstrecke - durch Städte und Gemeinden mit Hochgeschwindigkeit! -, mit all den Lärmbelastungen für die Anrainer und einer Kostenentwicklung, die Sie überhaupt nicht unter Kontrolle haben. Es
wird, wenn Sie diese Alternative wählen, nicht zum
Schätzpreis abgerechnet. Es wird nicht zu dem Preis abgerechnet, den Sie jetzt planen und mit dem Sie den
Menschen den Mund wässrig machen. Vielmehr wird
gebaut und nochmals gebaut, koste es, was es wolle.
({12})
Dies ist nach meiner Auffassung eine krasse Ungleichbehandlung.
({13})
Dirk Fischer ({14})
Auch mir ist völlig rätselhaft, wie die Deutsche Bahn
AG so verantwortungslos sein kann, die längst fällige
Entscheidung für die Referenzstrecke wieder und wieder
zu verzögern, am Ende sogar ganz zu verhindern. Sie
kündigen das Eckpunktepapier auf. Dieses aber ist Inhalt
Ihrer Koalitionsvereinbarung.
({15})
Ist es denn möglich, dass ein Unternehmen, über dessen
Aktien der Bund zu 100 Prozent verfügt, diametral entgegengesetzt zur Koalitionsvereinbarung handelt? Ich
meine, hier hat der Bund, also Verkehrsminister Klimmt
und Bundeskanzler Schröder, die Führungsaufgabe, dieses Unternehmen an die Einhaltung des Eckpunktepapieres zu erinnern und zu ermahnen.
({16})
Es ist jammerschade: Die Bahn sperrt sich schon viel
zu lange gegen ihre eigene technische und betriebswirtschaftliche Erneuerung. Sie könnte damit in Europa das
modernste Hochgeschwindigkeitsverkehrsunternehmen
werden. Diese Chance macht sie kaputt.
Ganz andere Worte von Herrn Vogel und Herrn
Mehdorn habe ich erlebt, als sie noch in der Industrie tätig waren. Als Herr Mehdorn für Airbus verantwortlich
war, als ganz Deutschland geschrien hat: „Macht
Schluss mit den Airbus-Subventionen!“ und Airbus Absatzschwierigkeiten hatte, da saß er in Finkenwerder und
wir haben ihm politisch den Rücken gestärkt. Damals
befürchteten wir im Hinblick auf Boeing ein Weltmonopol. Im letzten Jahr wurden jedoch 55 Prozent der gesamten Flugzeugbestellungen der Welt bei Airbus geordert und nicht bei Boeing. Damals musste man Mut haben, da brauchte man Franz Josef Strauß, der dies in Europa durchgesetzt hat.
({17})
Das war ein großartiger Einsatz für ein europäisches
technologisches Spitzenprodukt.
Das wäre auch beim Transrapid der Fall. Sie haben
jedoch nicht den erforderlichen Mut und die Risikobereitschaft. Das ist der politische Skandal, den wir Ihnen
in den nächsten Jahren links und rechts um die Ohren
hauen werden. Sie werden noch lange darunter leiden.
({18})
Wenn Sie sich als Koalition technik- und innovationsfeindlich zeigen, dann wird das zu entsprechenden Resultaten führen.
Der Transrapid ist eine Antwort auf die globalen
Herausforderungen des Hochgeschwindigkeitsverkehrs.
Er setzt Impulse für den Arbeitsmarkt. Er bietet der
Bahn die Möglichkeit, Leistungsfähigkeit nachzuweisen,
und der deutschen Politik die Chance, Durchsetzungsfähigkeit zu beweisen. Schon andere Dinge, zum Beispiel
die Telefaxtechnik, das Humaninsulin und die LCDAnzeige, wurden entwickelt - und später die jeweiligen
Patente verkauft -, ohne dass die Entwickler das Geld
gemacht hätten. Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie den
Transrapid kaputtmachen, werden die Patente verkauft.
Dann werden wir dereinst im Ausland den Transrapid
für teures Geld wieder zurückkaufen.
Der Transrapid ist Werbung für Deutschland, insbesondere im EXPO-Jahr 2000. Es ist nicht auszudenken,
dass Chinas Ministerpräsident als potenzieller Kunde
nach Deutschland kommt, um eine Referenzstrecke zu
besichtigen, und wir ihm mitteilen müssen: Die Teststrecke im Emsland wird gerade abgebaut. - Das ist eine
nicht vorstellbare Lachnummer.
Lächerlich sind auch Überlegungen, eine sehr viel
kürzere Referenzstrecke zu bauen. Der Transrapid als
Vorortbahn! Ich denke, das sind aberwitzige Vorstellungen.
Deshalb am Schluss meiner Rede mein Appell an die
Bundesregierung, an die beteiligten Bundesländer, an
die Industrie, an die Banken und an die DB AG, das Projekt des Transrapids, das gerade in der strukturschwachen Norddeutschen Tiefebene durch die Verknüpfung
der beiden größten deutschen Städte ein hervorragendes
Einsatzprofil bietet, nicht scheitern zu lassen. Die bestehenden Probleme sind lösbar. Der Nutzen für unser
Land wäre immens. Wir werden die Bundesregierung
aus ihrer zentralen Verantwortung für unser Land, für
dieses Projekt nicht entlassen.
({19})
Glauben Sie ja nicht, dass Sie sich durch taktisches Finassieren aus der Verantwortung stehlen können. Die
wird Sie noch einholen.
({20})
Für die SPDFraktion spricht die Kollegin Angelika Mertens.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, wie sehr
sich ein einzelner Mensch so aufplustern kann. Ich überlege schon - es gibt nämlich demnächst Organisationswahlen in Hamburg -, ob Sie einen Gegenkandidaten
bekommen haben oder was Sie sonst dazu bewogen hat,
hier so zu reden.
Ende November haben wir im Deutschen Bundestag
den überaus wegweisenden Antrag der F.D.P. diskutiert,
nach dem sich die Bundesregierung für den Bau der
Transrapid-Referenzstrecke zwischen Berlin und Hamburg einsetzen soll. Heute debattieren wir den etwas radikaleren Antrag der CDU/CSU, das Projekt zügig zu
realisieren. Die PDS hat auch etwas beizutragen; sie will
den Transrapid gar nicht. Dann fragen wir uns natürlich:
Was machen wir mit dem Zwischenstopp in Schwerin?
Dirk Fischer ({0})
Sehen wir uns das Anliegen der früheren Koalition
einmal an: Auf eine ziemlich billige Art und Weise entdeckt sie hier mal wieder ihre eigene Langsamkeit. Sie
hätten all das vor dem Regierungswechsel in Angriff
nehmen können. Das aber haben Sie nicht getan. Es
stellt sich die Frage, warum. Seit 1992 ist die Strecke im
Bundesverkehrswegeplan. Seit 1994 gibt es das Magnetschwebebahnbedarfsgesetz. Seit 1996 warnt übrigens
auch der Rechnungshof. Wenn Ihnen der Transrapid so
am Herzen gelegen hätte, wie Sie es heute vorgeben,
dann hätten Sie vor der letzten Bundestagswahl alles in
trockene Tücher bringen können.
({1})
Sie haben 1998 kalte Füße bekommen und nicht unterschrieben, weil viele Details nicht geklärt waren und Sie
sich das Projekt schöngerechnet haben.
({2})
Zwischen politischem Willen und Realisierung eines
Projektes besteht eben doch ein Unterschied; das ist
nicht nach Gutsherrenart zu lösen. Das hat übrigens
nichts damit zu tun, dass Politiker kein Risiko eingehen
sollten, aber sehr viel damit, wie eine Regierung mit
dem Geld der Steuerzahler umgeht.
({3})
Hier geht es nicht um ein paar Milliönchen, womit Sie
vielleicht Erfahrung haben könnten, sondern um Milliarden. Sie hatten in der Vergangenheit viele Gelegenheiten, das Projekt entscheidungsreif vorzubereiten.
Das haben Sie versäumt und das musste jetzt nachgeholt
werden.
Der Bund hat einen festen Kostenrahmen von
6,1 Milliarden DM zugesagt. Die Bahn hat offenbar
festgestellt, dass die erwarteten Fahrpreiseinnahmen
nicht ausreichen werden, um dem Herstellerkonsortium
die gewünschte Garantie für ein festes Nutzungsentgelt
geben zu können.
Frau Kollegin
Mertens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dirk Fischer?
Ja, bitte.
Frau Kollegin
Mertens, können Sie mir in dem Zusammenhang die
Frage beantworten, warum nach den Grundsätzen, die
Sie aufgestellt haben, bei der Neubaustrecke Köln Rhein/Main, einer Strecke mit Rad-SchieneTechnologie, die halb so lang ist wie die TransrapidStrecke, Mehrkosten in Höhe von fast 3 Milliarden DM
völlig klaglos und problemlos hingenommen werden?
({0})
„Klaglos“ haben wir dies
sicherlich nicht hingenommen. Keine Kostensteigerung
wird klaglos hingenommen, weder von dieser Regierung, noch hat das die vorhergehende getan. Wir alle bedauern, dass dies so ist. - Ich denke, damit ist Ihre Frage
beantwortet.
({0})
Was ist das überhaupt für eine Frage? Hören Sie am besten einfach zu!
Die Bahn hat also festgestellt, dass sich das alles vielleicht doch nicht rechnet. Nunmehr sind die privaten
Hersteller am Zuge. Ihre Aufgabe ist es, innerhalb dieses
festen Finanzrahmens und bei einem festen Nutzungsentgelt, das voraussichtlich nicht sehr hoch sein wird,
ein schlüssiges, wirtschaftlich darstellbares Fahrwegund Betriebskonzept auf der Strecke Hamburg - Berlin
vorzulegen. Eines muss klar sein: Einen dauerhaften Ersatz von fehlender privatwirtschaftlicher Rentabilität
durch öffentliche Gelder wird es mit Rot-Grün nicht geben.
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt den Bundesbauminister/Bundesverkehrsminister in seiner Absicht,
wirklich alles auszuloten, um eine Lösung für das Projekt zu finden. Meine Fraktion erwartet jetzt aber auch
eine zügige Entscheidung von den Beteiligten.
({1})
Sollten alle Bemühungen zu keiner Lösung für diese
Strecke führen, so erwarten wir, dass das verkehrspolitische Problem der angemessenen Schienenverbindung
zwischen Hamburg und Berlin unverzüglich gelöst
wird. - Ich selbst bewege mich auf dieser Strecke. Es ist,
gelinde gesagt, eine Katastrophe - das sollte man vielleicht auch einmal Herrn Mehdorn sagen -, zwei Städte
so miteinander zu verbinden.({2})
Erstens. Wir brauchen auf dieser Strecke eine erstklassige Verbindung für den Personenverkehr, die eine
Fahrzeit von höchstens 90 Minuten - mit möglichst sinkender Tendenz, also bis hinunter auf 70 Minuten - garantiert. Nach allem, was wir wissen, würde dies ungefähr 500 Millionen DM kosten und müsste - sollte der
Transrapid auf dieser Strecke nicht realisiert werden
können - sofort in Angriff genommen werden. Ferner
muss es eine überzeugende Lösung für den Güterverkehr
geben, die den Personenverkehr nicht behindert. Zweitens. Unverzüglich müsste dann mit der Suche nach einer vernünftigen Alternativstrecke begonnen werden.
Drittens. Es muss ein Konzept für eine vernünftige Zukunft der Versuchsanlage Lathen her.
Frau Kollegin
Mertens, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des
Kollegen Friedrich?
Ja.
Liebe Frau
Kollegin Mertens, Sie haben hier soeben von Fahrzeiten
von 90 bzw. 70 Minuten gesprochen, die mit herkömmlicher Rad-Schiene-Technik erreicht werden sollen. Was
für eine Geschwindigkeit muss der klassische ICE auf
dieser Strecke dann nach Ihrer Meinung erreichen?
({0})
Ist Ihnen bekannt, dass das Eisenbahnbundesamt dem
ICE eine maximale Betriebsgeschwindigkeit von
200 Stundenkilometern erlaubt und dass mit diesen
200 Stundenkilometern die von Ihnen genannten Fahrzeiten auf dieser Strecke niemals zu erreichen sind?
({1})
Ich nehme Sie vielleicht
einfach einmal mit auf dieser Strecke - es sind
294 Kilometer, Sie können sich die Fahrzeit ja selbst
ausrechnen -, dann können Sie feststellen, dass wir mit
den 90 Minuten sehr gut liegen. Ich gehe auch davon
aus, dass sich die Technik insgesamt weiterentwickelt
und dass es daher bei der Fahrzeit noch Spielraum nach
unten gibt.
({0})
Letzte Anmerkung: Welche Entscheidung auch immer von den drei Beteiligten getroffen werden wird, sie
wird zu den gründlichst gewogenen Entscheidungen in
der industriepolitischen Geschichte Deutschlands gehören. Wenn alle Beteiligten klug bleiben, wird es dabei
weder Gewinner noch Verlierer und schon gar keine
schwarzen Peter geben. Jeder wird diese Entscheidung
respektieren und das Ergebnis - wie auch immer es ausfällt - zum Wohle Hamburgs und Berlins umsetzen.
({1})
Nun spricht für die
F.D.P.-Fraktion der Kollege Hans-Michael Goldmann.
({0})
Lieber Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber
„Adi“ Schmidt, wir werden demnächst wahrscheinlich
das eine oder andere noch austauschen. Ich will heute
Abend aber eine Rede zum Transrapid halten: relativ
leise, umweltverträglich und zukunftsorientiert.
({0})
Lassen Sie mich deswegen erst einmal ein paar Worte
vorweg sagen.
Ich denke, liebe Frau Kollegin Mertens, dass der
CDU-Antrag ein guter Antrag ist. Das „TransrapidProjekt zügig realisieren“ - wer könnte etwas dagegen
haben?
({1})
- Nein, nicht nur zügig, das lässt sich auch wirklich realisieren. - Ich denke, wir müssen das einmal ganz ruhig
betrachten. Da gibt es seit vielen Jahren die Erprobung
im Emsland. Nun muss es endlich zu einer vernünftigen
Anwendung kommen, die der Technologie dieses ganzen Projekts Rechnung trägt. Ich bin mit allen anderen
völlig einer Meinung: Dabei kann nicht ein Vorort mit
einem Hauptort oder irgendein Flughafen mit einem anderen Flughafen auf kurzer Strecke verbunden werden.
Vielmehr müssen zwei Metropolen miteinander verbunden werden. Ich finde, es ist eine sehr gute Idee, eine
Stadt wie Hamburg, die sich zum Norden öffnet, zu einem Wirtschaftsraum, der demnächst eine hervorragende Entwicklung haben wird - man braucht nur an die
wirtschaftliche Entwicklung im Ostseeraum zu denken -,
mit einer Stadt wie Berlin zu verbinden, die ja unter
unseren Augen und mit unserer Hilfe eine Entwicklung
nimmt, die uns jeden Tag wieder fasziniert. Diese beiden Metropolen sollen mit einer Technologie verbunden
werden, die unstrittig umweltverträglich ist, die auf dieser Verbindung auch unstrittig wirtschaftlich ist und jetzt komme ich zurück auf „zügig“ - die auch im Verfahren und im Hinblick auf Arbeit, Aufwand und Kosten
schon weit vorangeschritten ist. Angesichts dessen wäre
es nun wirklich eine hochgradige Dämlichkeit, sich aus
diesem Projekt zu verabschieden.
({2})
Sie wissen es selbst: 18 von 20 Planfeststellungsabschnitten sind schon ganz weitgehend auf den Weg gebracht; die ersten können umgesetzt werden. In dieser
Situation müssen wir schlicht und ergreifend sagen: Wir
müssen mit aller Kraft - und das vermisse ich bei den
Sozialdemokraten, bei den Grünen sowieso
({3})
- Frau Mertens, ich vermisse das, dies werden Sie mir
doch wohl noch zugestehen - daran festhalten und darauf
hinarbeiten, dieses Projekt zu realisieren.
({4})
Sie müssen einmal zu den Unternehmen gehen und mit
ihnen darüber verhandeln, ob sie bereit wären, die
Transrapid-Technologie in der Anwendungsstrecke zu
fördern. Aber das tun Sie ja nicht.
({5})
Ich habe schon sehr stark den Eindruck, dass Sie ein
bisschen in der Gegend herumquaken und dabei nicht
unbedingt mit Herzblut und Engagement auf eine Technologie setzen, von der alle sagen: Mensch, das ist wirklich eine Technologie, um die man die Deutschen beneidet.
({6})
Wenn die Japaner die Diskussion, die wir hier führen,
verfolgen würden, würden sie sich kaputtlachen.
({7})
Die Japaner haben ein zentrales Problem - und das wissen wir -, und wir haben die Lösung für dieses Problem:
Der Transrapid ist in der Lage, Menschen sicher, schnell
und umweltverträglich über große Entfernungen hinweg
zu befördern.
Auch Sie können doch rechnen. Sie haben vorhin etwas von Schönrechnen gesagt. Sie wissen doch, dass
das, was Herr Mehdorn sagt, nicht stimmt. Es ist
schlicht und ergreifend falsch. Seine Zeitberechnung ist
falsch. Die von ihm vorgenommene Relation zwischen
Milliarden und Zeitersparnis ist falsch. All diejenigen,
die sich mit diesem Thema beschäftigt und sich dazu geäußert haben, haben klipp und klar gesagt: verrechnet!
({8})
- Herr Schmidt, Sie können gleich den Gegenbeweis antreten. Sie kennen doch auch die Pressemeldungen von
„ADN“, in der Peter Mnich als Bahntechnikexperte genannt wird.
({9})
- Sie können doch nicht bestreiten, dass er ein Fachmann ist. Herr Schmidt, ich finde es nicht besonders
fair, dass Sie unendlich weiterreden. Ich finde, es gehört
zur Höflichkeit zuzuhören. Melden Sie sich zu einer
Zwischenfrage. Dann habe ich eine Chance, mit Ihnen in
dieser Frage fachlich umzugehen. Aber die Art und
Weise Ihres ständigen Dazwischenredens ist der Sache
nicht angemessen und trägt der Kollegialität nicht Rechnung.
({10})
Lassen Sie uns fachlich über das streiten, was Herr
Mnich gesagt hat. Liefern Sie den Beweis, dass Ihre Berechnung richtig ist. Ich sage, der Transrapid ist ein riesiger Gewinn bei der Verbindung der beiden Metropolen
und damit ein riesiger Gewinn für unser Land. Ich finde
es einfach grottenschlecht, wenn wir diese Technologie
hier nicht zur Anwendung bringen.
Ich bin auch ein bisschen darüber traurig, dass man in
der aktuellen Diskussion über fehlende Verkehrsinfrastrukturen an der einen oder anderen Stelle hört: Beerdigt doch den Transrapid! Da denke ich: Wir hier im
Plenum haben die Verpflichtung, wirkliche Weichenstellungen vorzunehmen. Wir reden immer vom Zeitalter der Mobilität. Wir sagen immer: Mobilität ist die
Trumpfkarte der Zukunftsgesellschaft. Sie wissen genauso gut wie ich, dass das Fliegen von der ökologischen Seite her nicht ganz so unproblematisch ist, wie
der eine oder andere es darstellt.
({11})
Deswegen lassen Sie uns doch gemeinsam an einem
Strang ziehen. Lassen Sie uns daher gemeinsam darauf
hinarbeiten, das Transrapid-Projekt zwischen Hamburg
und Berlin schnellstmöglich und zügig zu realisieren.
Lassen Sie uns in dieser entscheidenden Frage im Bereich der Verkehrsinfrastruktur eine Zukunftsweiche
stellen, an der sich die nachfolgenden Generationen
mindestens freuen werden. Ich denke, auch wir würden
es wirklich genießen, uns mithilfe dieser Technologie
zu bewegen. Das wäre ein Beitrag für die Zukunft unseres Landes.
Herzlichen Dank.
({12})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Albert
Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir beim Transrapid für einen Zeitvorteil von schlappen 20 Minuten auf der Strecke von Hamburg nach Berlin 12 Milliarden DM ausgeben sollen, will uns einfach nicht so richtig in den Kopf,
führte der Bahnchef Hartmut Mehdorn vor einigen Tagen aus.
({0})
Der Mann hat Recht!
({1})
- Herr Kollege Fischer und Herr Kollege Goldmann,
wenn der Mann nicht rechnen kann, muss ich ihn einmal
fragen, wie er es trotzdem geschafft hat, als Chef der
Heidelberger Druckmaschinen AG innerhalb von fünf
Jahren den Umsatz zu vervierfachen und den Gewinn
sowie die Belegschaft zu verdoppeln. Das ist eine tolle
Leistung für jemanden, der nach Ihrer Einschätzung
nicht rechnen kann.
({2})
Dasselbe gilt übrigens für Herrn Eckrodt von
Adtranz, der vor wenigen Tagen - das können Sie nachlesen - in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt
hat: Lassen Sie uns das Abenteuer beenden.
({3})
Ich komme zu Hartmut Mehdorn zurück. Sein Vorschlag ist ein ICE-Ausbau, ein hochgeschwindigkeitstauglicher Ausbau der vorhandenen Bahnstrecke von
Hamburg über Büchen - Wittenberge bis nach Berlin.
({4})
Er sagt, dies sei zu einem Bruchteil der Kosten machbar.
({5})
- Jetzt revanchiert er sich. Das verstehe ich ja. Herr Fischer, ich verstehe, dass Sie sich vorhin aufgeregt haben.
Aber kommen Sie langsam wieder herunter. Lesen Sie
mehr Zeitungen und hören Sie wieder einmal zu. Dann
können wir in aller Ruhe darüber diskutieren.
({6})
Herr Mehdorn sagt: Lasst uns die ICE-Verbindung
Hamburg - Berlin für einen Bruchteil der Kosten ausbauen und wir schaffen eine um 90 Minuten kürzere
Fahrzeit. Dies ist innerhalb kurzer Zeit möglich. Der
Mann hat wieder Recht.
({7})
Das Allerschönste an seinem Vorschlag ist, dass wir genau dies schon vor vielen Jahren gesagt haben.
({8})
Herr Goldmann, wir könnten schon heute im ICE zwischen Hamburg und Berlin in 90 Minuten fahren, wenn
wir nicht Jahre durch sinnlose, fruchtlose und überteuerte Transrapid-Planspiele verloren hätten.
({9}) -
Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!)
Herr
Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Goldmann?
Ja.
Bitte
schön, Herr Goldmann.
Herr Kollege
Schmidt, wie schnell wollen Sie zwischen Hamburg und
Berlin mit einem ICE fahren und was kostet der Ausbau,
der notwendig ist, um die von Ihnen genannte Geschwindigkeit zu erreichen?
({0})
Für Ihre Zwischenfrage bin ich sehr dankbar; denn sie gibt mir die Gelegenheit, auch noch das
operationale Konzept vorzustellen, das im Hintergrund
steht. Die Bahnstrecke Hamburg - Büchen - Wittenberge, die etwas über 300 Kilometer lang ist, unterliegt heute einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Das ist vom Kollegen vorhin in der Zwischenfrage richtig gesagt worden. Diese Geschwindigkeitsbegrenzung beträgt aber
nicht 200 km/h, wie Sie gesagt haben, sondern
160 km/h.
({0})
- Beim ICE 3, Herr Kollege. Es muss ja nicht der ICE 3
fahren; es kann ja der ICT oder der ICE 2 fahren.
Diese Geschwindigkeitsbegrenzung, die das Eisenbahnbundesamt verhängt hat, gilt deshalb, weil höhengleiche Bahnübergänge existieren, die nur mit Halbschranken abgesichert sind.
({1})
- Ich sage Ihnen doch gerade, warum heute nur so langsam gefahren werden darf. Dann sage ich Ihnen, wie
schnell wir fahren müssen.
Entweder müssen wir die höhengleichen Bahnübergänge beseitigen, was Geld kostet - ich sage Ihnen
gleich, wie viel -, oder wir müssen aus den Halbschranken, was kostengünstiger ist, Vollschranken machen.
Dann könnte man - das lässt die Infrastruktur schon
heute zu - 200 km/h und in gewissen Abschnitten sogar
schneller fahren. Wenn Sie also mit dem ICT, dem
ICE 2 oder auch, Kollege Friedrich, mit dem ICE 3 wenn die vorläufige Geschwindigkeitsbegrenzung auch
noch aufgehoben wird - mit der Höchstgeschwindigkeit
von 230 km/h und der Durchschnittsgeschwindigkeit
von 200 km/h zwischen Hamburg und Berlin fahren,
dann brauchen Sie 90 Minuten. Das wollten Sie wissen.
({2})
Was das kostet, sage ich Ihnen jetzt auch noch. Wenn
Sie die Bahnübergänge in Gänze beseitigen und durch
Überführungs- und Unterführungsbauwerke ersetzen
wollen, würde das zwischen 500 und 600 Millionen DM
kosten.
Albert Schmidt ({3})
({4})
Herr Kollege Fischer, wenn Sie aber aus den Halbschranken Vollschranken machen, dann müssen Sie diese Bauwerke gar nicht ausführen. Dann kommen Sie mit
einem Bruchteil dieser Kosten zurecht. Genau das ist der
Wirtschaftlichkeitsvorteil, den der Transrapid zwischen
Hamburg und Berlin niemals haben wird.
({5})
Herr Kollege Goldmann, jetzt will ich Ihnen zeigen,
dass das, was ich hier vortrage, keine Spinnerei der Grünen ist.
({6})
Ich zitiere aus der Hauspostille der Bündnisgrünen, aus
dem „Handelsblatt“, den Kommentar des heutigen Tages
zum Thema Transrapid. Die Überschrift lautet: „Die
Vernunft siegt“. Nach all den Jahren der Diskussion
müssen Sie sich den folgenden Satz schon anhören:
({7})
„Aus der Sicht des Steuerzahlers ist die unumgängliche
Entscheidung gegen das Projekt ein später Sieg der Vernunft.“
({8})
Sie Hohepriester der Marktwirtschaft bei der F.D.P.,
das schreiben Leute im „Handelsblatt“, die rechnen
können, über andere, die auch rechnen können, denen
Sie aber vorwerfen, dass sie eins und eins nicht zusammenzählen können.
({9})
Ich könnte Ihnen den Rest des Kommentars noch weiter
vorlesen. Das erspare ich Ihnen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Technologie sagen: In Wahrheit führen Sie mit Ihrem Antrag eine ideologische Debatte. Sie behaupten, diese Technologie sei
zukunftsfähig. Darüber kann man streiten.
({10})
Ich möchte Folgendes zu bedenken geben: Die Technologie Transrapid, also Magnetschwebebahn, wurde in
der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelt.
({11})
1937 wurde dieses Patent angemeldet, von dem Sie sagen, es werde sich schnell verkaufen wie beim Faxgerät
usw.
({12})
Dass dieses Patent sich bis heute weltweit nirgends
marktfähig durchgesetzt hat, sollte uns sehr zu denken
geben, Herr Fischer.
({13})
Zum Zweiten ist die Geschwindigkeitslücke - -
({14})
- Herr Kollege, ich glaube, es wird nicht besser durch
mehr Zwischenfragen.
Herr
Kollege Schmidt, erlauben Sie die Zwischenfrage oder
erlauben Sie sie nicht?
Wenn Sie mir versprechen, dass Sie mir
auch zuhören, wenn ich sie beantworte, dann erlaube ich
sie Ihnen gerne.
Also,
bitte schön, Herr Fischer, stellen Sie Ihre Frage.
Herr Schmidt,
können Sie mir Auskunft darüber geben, wie oft das von
Ihnen angepriesene Produkt ICE bis zum jetzigen Zeitpunkt weltweit verkauft worden ist?
Ich kann Ihnen, Herr Fischer, sagen, dass
die Franzosen sich in den 70er-Jahren von der Magnetschwebebahntechnik verabschiedet und auf den TGV
gesetzt haben, zehn Jahre früher auf dem Weltmarkt waren und mehr verkauft haben, weil wir mit dem ICE um
zehn Jahre zu langsam waren. Diesen Fehler sollten wir
nicht wiederholen. Vielmehr sollten wir die Technologie, die wir entwickelt haben, jetzt wirklich weltweit
vermarkten, und das ist die schnelle Rad-SchieneTechnik.
({0})
- Jetzt reicht es, glaube ich.
Herr
Kollege Schmidt, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Fischer?
Ich glaube, jetzt sollten wir das Spielchen
beenden.
Albert Schmidt ({0})
({1})
Wir wollen auch noch abstimmen -
Das ist
Ihre Entscheidung.
- und nachher nach Hause gehen.
Es ist Ihre Entscheidung.
Gut.
({0})
Nein,
Herr Fischer, er will keine weitere Zwischenfrage zulassen.
Nein, danke.
({0})
Die Geschwindigkeitslücke, für die das Konzept einmal entwickelt wurde ({1})
Die Geschwindigkeitslücke -
({2})
- Herr Präsident, ich kann keinen Satz zu Ende sprechen.
({3})
Meine
lieben Kollegen, der Redner kann die Antwort geben,
die er für richtig hält. Sie können sie dann bewerten.
Sie können ja eine Kurzintervention machen
Sie können ihn nicht zwingen, eine Antwort zu geben.
- oder was immer Sie wollen. Okay?
({0})
Ich wollte Ihnen nur sagen: Die Geschwindigkeitslücke zwischen dem Zug und dem Flugzeug, für die die
Magnetschwebebahntechnik einst entwickelt wurde,
existiert nicht mehr. Die schnelle Rad-Schiene-Technik
hat diese Geschwindigkeitslücke im Wesentlichen geschlossen.
Wir haben in Mitteleuropa das dichteste Bahnnetz der
Welt, mit dem Ergebnis, dass Sie überall, wohin Sie mit
dem Transrapid gehen, schon eine Bahnstrecke finden,
die mindestens entwicklungsfähig ist. Das ist das Problem. Deshalb spreche ich nicht gegen diese Technik an
sich - dass wir uns da richtig verstehen. Ich bin sehr dafür, dass jede Alternativstrecke unvoreingenommen geprüft wird. Aber ich bin persönlich sehr skeptisch, ob
Sie in Mitteleuropa eine attraktive, eine konkurrenzfähige, eine wettbewerbsfähige Strecke finden werden.
({1})
In den USA, wo wir kein Bahnnetz haben, ist die Situation wesentlich anders.
({2})
Nun komme ich aber zum Schluss. Ich will Ihre Geduld nicht über Gebühr strapazieren. Es gab einmal einen Verkehrsminister der CDU/CSU in diesem Haus,
der Matthias Wissmann hieß.
({3})
Er war ein Befürworter der Transrapidtechnologie. Er
hatte die folgende Position, die er - Herr Fischer, wenn
Sie ehrlich sind, müssen Sie das zugeben - im Verkehrsausschuss mehrfach vorgetragen hat:
({4})
Wir wollen den Transrapid, aber nicht um jeden Preis.
Diese Position verlassen Sie mit Ihrem Antrag. Sie
sagen: Wir wollen den Transrapid, egal, was es kostet,
({5})
egal, wie viel es der Bahn schadet, egal, ob es unwirtschaftlich ist.
({6})
Was Sie hier vertreten, ist nicht mehr Politik, sondern
Dogmatismus.
({7})
Solche miserablen Epigonen wie Sie hat selbst Matthias
Wissmann nicht verdient!
({8})
Sie sollten wieder zu seriöser Politik zurückkehren.
({9})
Ich bin froh, dass Sie heute bei einer Entscheidung über
6 Milliarden DM nichts zu sagen haben. Das kann ich
Ihnen deutlich sagen.
Sie haben das Eckpunktepapier von April 1997 angesprochen. Lesen Sie die Ziffer 10 nach! Ich sage das
dem Hohen Hause heute zum dritten Mal. Darin steht:
Wenn die Kosten explodieren, wenn die Daten nicht
mehr stimmen, treten alle Beteiligten zusammen, bewerten gemeinsam die Situation neu und treffen eine abschließende Entscheidung. - Genau das wird geschehen.
Ich sage Ihnen heute zum dritten Mal - vielleicht
glauben Sie es mir ja heute -: Ich schwöre Ihnen, es
wird die richtige Entscheidung dabei herauskommen.
({10})
Als
nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Dr. Winfried
Wolf von der PDS-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU
schlägt uns allen Ernstes vor, in einer aussichtslosen Lage den Transrapid auf der Verbindung Hamburg - Berlin doch zu bauen. Da könnte man mutmaßen, dass hier
nicht nur Technikgläubigkeit, sondern auch ThyssenHörigkeit im Spiel ist, zumal das Unternehmen Thyssen
nicht nur führend beim Bau des Transrapids, sondern
auch führend im Parteispendenskandal der CDU ist. Wir
haben alle gelacht, als Sie, Herr Fischer, am Anfang Ihrer Rede die freudsche Fehlleistung begangen haben, indem Sie erklärt haben, der Transrapid sei eine bestechende Technologie. Nun schien der gestrige CDUAntrag auch aus anderen Gründen von vorgestern zu
sein.
Gemeldet wurde, die Bundesregierung habe die Pläne
für den Transrapid auf Eis gelegt. Doch die Haltung der
Regierung ist nicht so eindeutig. Fast ein Jahr haben wir
damit verloren, das Modell einer einspurigen Magnetbahn zu propagieren, eine Provinzposse, wie dies auch
im „Handelsblatt“ bezeichnet wurde und die dort mit
dem Satz kommentiert wurde:
Langsam entsteht der Eindruck, dass die Bahnindustrie jeden noch so unsinnigen Sparvortrag abnickt.
Das Hin und Her ist nicht nur unsinnig, sondern kostet
auch viel Geld. Allein seit der Regierungsübernahme
durch SPD und Grüne wurde für die Transrapid-Strecke
in die Haushalte 1999 und 2000 rund 1 Milliarde DM
eingestellt.
Nun hat der Bundesverkehrsminister eine neue Runde
im Transrapid-Eiertanz eröffnet. Er sucht nach neuen
Referenzstrecken. Im Gespräch sind TransrapidVerbindungen der Flughäfen München und BerlinSchönefeld mit den jeweiligen Stadtzentren. Dazu ist
festzustellen:
Erstens. Wer bisher für den Transrapid argumentierte,
der hat stets die hohe Geschwindigkeit und die Zeitersparnis angeführt. Jetzt werden als Alternativen Kurzstrecken empfohlen. Es ist richtig, Herr Fischer: Das
sind keine Alternativen, die Zeitersparnisse bringen;
vielmehr wären das Totgeburten.
Zweitens. Zu den beiden genannten Flughäfen gibt es
bereits gute S-Bahn- bzw. Regionalbahnverbindungen.
Vorgeschlagen wird also allen Ernstes, doppelt zu investieren.
Drittens. Die beschlossenen Mittel und die Magnetbahngesetze sind ausdrücklich auf die Strecke HamburgBerlin bezogen. Wer jetzt nahtlos die hierfür vorgesehenen 6 Milliarden DM für eine andere TransrapidStrecke verplant, der ist unseriös und undemokratisch.
Auch das angeführte Arbeitsplatzargument, Herr Kollege Fischer, ist im Zusammenhang mit dem Transrapid
nicht seriös. Herr Goldmann, den wenigen Arbeitsplätzen, die der Bau einer Magnetschwebebahnstrecke
brächte, stehen Verluste von Arbeitsplätzen bei der
Bahn und in der Bahnindustrie gegenüber. Der Transrapid ist auch ein Verkehrsmittel, das direkt mit der Bahn
konkurriert. Alle zur Debatte stehenden Stre-cken, auch
die Referenzstrecken, führen zum Abbau des Schienenverkehrs und damit auch zu einem Abbau der Belegschaft bei der Bahn.
({0})
Parallel zum Spitzengespräch Schröder/Mehdorn
wurde gestern bekannt: Das Unternehmen Zukunft will
insgesamt 70 000 weitere Jobs streichen. Solch ein Aderlass nach der Halbierung der Belegschaft in den 90erJahren gefährdet nach meiner Ansicht den Schienenverkehr existenziell. Dazu hören wir von den TransrapidBefürwortern kein Wort.
Wir haben mit unserem schlichten Antrag das Angebot gemacht, aus dem Magnetschwebebahnbedarfsgesetz auszusteigen, und damit allen Parteien die Möglichkeit gegeben, aus der Transrapid-Technologie, zumindest aus den Planungen für die Strecke, auszusteigen;
denn dieses Gesetz verpflichtet zum Bau der Magnetbahnstrecke Hamburg - Berlin. Es untersagt sogar, den
Bedarf für diese spezifische Strecke auch nur zu hinterfragen. Das Gesetz ist schlicht anachronistisch. Es müssAlbert Schmidt ({1})
te aufgehoben werden, und zwar hier und heute. Die
dann frei werdenden Gelder könnten sinnvoll umgewidmet werden und wären sinnvoll in den Ausbau des
gesamten Schienenverkehrs investiert, unter anderem
auch in die Verbesserung der Strecke Hamburg - Berlin.
Wer will, könnte mit seiner Zustimmung zum Aus des
Transrapids auf der Strecke Hamburg - Berlin auch einen Anstoß für die Verbesserung des gesamten Schienenverkehrs und für die Zukunft der Schiene geben.
Danke schön.
({2})
Als
nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen
Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hamburger
Abgeordnete hat mit dem Hinweis geschlossen, dass es
eine gute Entscheidung für Hamburg geben soll. Angelika Mertens, das erweckt Hoffnung. Sie haben zwar
nicht dafür gesprochen, aber auch nicht dagegen. Auch
das erweckt die Hoffnung, dass wir doch noch zu einer
Entscheidung gelangen, die ein Ja zur Technik und auch
ein Ja zur Referenzstrecke bedeutet.
Herr Schmidt, wir haben uns ein wenig festgefahren.
Der Transrapid ist zur Weltanschauung geworden. Man
kann nicht mehr so richtig hinter seine Position zurück.
Das gilt für uns genauso wie für die Gegner. Aber Befürworter und Gegner wechseln inzwischen. Dazu
möchte ich etwas sagen:
({0})
Mein Kollege Goldmann hat nach meiner Meinung sehr
wohl deutlich gemacht, dass es ihm nicht um einen
Showeffekt, sondern dass es ihm wie Dirk Fischer um
die seriöse Beantwortung der Frage geht, ob wir in
Deutschland eine Zukunftstechnologie einsetzen können.
Die Situation hat in diesem Jahr einen ganz besonderen Charme. Der Charme besteht darin, dass wir die
EXPO 2000 vor uns haben. Einige sagen: Das setzt uns
unter Zugzwang. Wollen wir uns vor der Weltöffentlichkeit mit diesem - gewissermaßen symbolischen Projekt als Zauderer oder als Befürworter einer Technik,
die ganz ungewöhnlich ist und deshalb über fast sechs
Jahrzehnte ihre Schwierigkeiten gehabt hat, vorstellen?
Ich glaube sehr wohl, dass die EXPO eine Chance sein
kann, unser Land als zukunftsfähig und fortschrittsbereit
vorzustellen.
Wovon geht der Transrapid aus? Der Transrapid geht
davon aus, dass wir in Zukunft überall in der Welt einen
zunehmenden Massenverkehr zu bewältigen haben.
Der Transrapid ist eines der geeignetsten Verkehrsmittel, um diesem Massenverkehr auch zwischen großen
Zentren zu begegnen.
({1})
Alleine für Europa rechnet man mit einer Steigerung
des Straßenverkehrs um 30 Prozent. Beim Schienenverkehr rechnet man mit einer Steigerung um 70 Prozent
und beim Flugverkehr mit einer Steigerung um das
Doppelte. Zwischen der Ost- und der Westverbindung in
Europa - mit Deutschland als Haupttransitland - wird es
eine Verdreißigfachung geben. Damit sollen wir fertig
werden. Wir sollten uns wirklich ganz ernsthaft verschiedene Alternativen überlegen, wenn wir diese Zukunftsentwicklung in den Griff bekommen wollen.
({2})
Wir haben doch eine Politik auch für die nächsten Generationen zu betreiben.
({3})
Warum hat Herr Schröder in China einen Vertrag unterschrieben? Warum sind die Vereinigten Staaten bereit, auf fünf staatlich ausgewiesenen Anwendungsstrecken den Transrapid umzusetzen?
({4})
Warum gibt es in den Vereinigten Staaten zwei Betreiber, die es privatwirtschaftlich machen wollen? Warum
wollen die Niederlande zwischen Hamburg und Amsterdam eine solche Strecke umsetzen? Warum planen die
Schweiz, die Vereinigten Staaten und Japan mit dieser
Technologie? Sie tun das, weil sie wissen: Das ist eine
große Chance, zu einem wirklich umweltschonenden
Verkehrsträger zu kommen, der Zukunft verspricht.
Ich glaube sehr wohl, dass es richtig ist, sich ganz
ernsthaft damit auseinander zu setzen. Man sollte unserer Meinung nach in sieben Punkten ein wenig darauf
hinweisen, wie man doch noch zu einem Ja für die
Technik und für die Referenzstrecke kommt. Die herkömmliche Rad-Schiene-Technik ist ausgereizt. Der
TGV und der ICE stehen am Ende ihrer Entwicklung.
Das sagen alle Technikexperten. Der Transrapid steht
am Anfang. Der Transrapid schafft Arbeitsplätze, auch
wenn seine Gegner das Gegenteil behaupten. Aber er
schafft tatsächlich Arbeitsplätze und er schafft vor allen
Dingen Exportchancen.
({5})
Exportchancen hat man nur dann, wenn man eine
glaubwürdige und überzeugende Referenzstrecke hat,
die zeigt, dass der Massenverkehr zwischen großen
Zentren übersetzt werden kann. Man kann keine überzeugende Anwendungsstrecke in Vororten mit Kleinstlösungen schaffen. Nein, es muss eine wirklich große
Lösung zustande kommen.
({6})
Wir haben in Deutschland, was Entwicklung angeht,
zwei besonders dynamische Städte: Hamburg und Berlin. Ich glaube sehr wohl, dass es richtig ist, gerade hier
bzw. dort und nicht woanders anzusetzen.
({7})
Der Transrapid befindet sich auf einer Zielgeraden.
Über 90 Prozent der 300 Kilometer langen Strecke sind
bereits planungsrechtlich abgesichert und damit ist eine
Umsetzung möglich. Nach Einschätzung der Bundesanstalt für Medizin gibt es kein sichereres Verkehrsmittel.
Denken Sie einmal an die Hunderttausende, die pro Jahr
verunglücken.
({8})
Das ist ein wichtiges Argument, auf neue, sichere
Verkehrsmittel zu setzen. Auch bei der Bahn gibt es leider noch zu viele Verkehrsunfälle. Der Transrapid ist
umweltfreundlich. Es hat lange gedauert, bis viele Fraktionen in diesem Hause bereit waren, das mitzutragen.
Der Transrapid kann ferner umgesetzt werden.
Die hier diskutierte Alternative, auf der Strecke
Hamburg - Berlin auf die Rad-Schiene zu setzen, hat
deutlich gemacht, dass es keinen Kostenvorteil für die
Rad-Schiene-Technik gibt.
({9})
Im Gegenteil: Zu den jetzt schon in die Rad-SchieneTechnik auf der Strecke Hamburg - Berlin investierten
5,5 Milliarden DM müssten noch einmal 7 Milliarden
DM hinzukommen, wenn man diese Strecke auf eine
Geschwindigkeit auf 200 km/h ausbauen wollte. Das
bedeutet, dass die Strecke teurer wird als beim Transrapid.
({10})
1931 fuhr man auf der Strecke zwischen Hamburg nach
Berlin schneller als heute.
Ich glaube schon, dass es unabhängig von den Finanzierungsbedenken richtig ist, jetzt einmal über die eigentlichen Ansatzpunkte nachzudenken, die für eine
Entscheidung sprechen. Herr Bundesverkehrsminister,
Sie haben jetzt die Chance dazu. Ihre Parteigenossen
sind dafür: Herr Schröder ist dafür, Herr Stolpe ist dafür,
Ihr Vorgänger, Herr Müntefering, ist dafür, Herr Clement ist dafür, Herr Runde ist dafür.
({11})
Deren Überlegung ist doch richtig, dass sich diese Technik lohnt. Sie sagen auch nicht Nein zur Referenzstrecke. Auch der Bundesfinanzminister, der vorher Ministerpräsident in dem Land war, wo Thyssen zu Hause ist,
hat für den Transrapid plädiert, ohne irgendwie von
Thyssen abhängig zu sein.
Warum plädieren denn Spitzenpolitiker der SPD in
großer Zahl und aller Deutlichkeit für den Transrapid
und sprechen sich nicht gegen die Referenzstrecke aus?
Sie wissen, dass sie nach den Wahlen in SchleswigHolstein, das als einziges Bundesland eine Verfassungsklage dagegen eingereicht hatte, keinen Widerstand
mehr zu befürchten haben. Damit wird sich das Problem
lösen. Auch Sie, Herr Schmidt, haben doch jetzt zurückgezogen.
({12})
Fünfmal hat die Regierung in den letzten Monaten
angekündigt, sich zu entscheiden. Fünfmal hat sie nicht
entschieden. Warum denn eigentlich nicht? Man sollte
ehrlich sein und sagen, dass man sich nach den Wahlen
in Schleswig-Holstein entscheiden wird.
({13})
Es wäre sehr hilfreich, wenn der Bundesverkehrsminister endlich sagen würde, dass er bereit ist, das, was seine
sozialdemokratischen Vorgänger vor 30 Jahren auf den
Weg gebracht haben, zu verwirklichen. Das ist doch
keine Frage der politischen Ausrichtung von CDU/CSU,
F.D.P., SPD oder den Grünen.
({14})
Es ist eine Frage, ob Deutschland fähig zum Fortschritt
und risikobereit ist. Das können wir doch jetzt noch
einmal zeigen.
({15})
Herr
Börnsen, bitte.
Haben
Sie Mut und überqueren Sie diese Zielgerade! Wir können es schaffen. Der Transrapid lohnt sich als Zukunftsprojekt für unser Land.
Danke schön.
({0})
Als
nächster Redner hat der Bundesminister Reinhard
Klimmt das Wort
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der aktuellen, teilweise
recht hitzig geführten Diskussion ist es notwendig, noch
einmal den Stand des Verfahrens darzustellen und in eiWolfgang Börnsen ({0})
ner sachlichen Debatte aus der Sicht der Bundesregierung zu reflektieren.
({1})
Natürlich sind wir der Auffassung, dass wir stolz sein
können, dass diese Technologie in Deutschland entwickelt worden ist.
({2})
Dank des deutschen Ingenieurgeistes liegen wir bei dieser Technologie klar und eindeutig vor den Japanern, die
mit ihrem System erhebliche Schwierigkeiten haben. Sie
versuchen ja, auf dem gleichen Gebiet annähernd so gute Ergebnisse zu erzielen, wie wir sie bei uns erreicht
haben.
({3})
Es besteht auch gar kein Zweifel daran, dass über diese Technologie bei Politikern verschiedener Parteien
immer Konsens geherrscht hat. Das geschah aus dem
Wissen, dass Innovation eine der Voraussetzungen ist,
wenn wir uns ökonomisch auf den Weltmärkten behaupten wollen. Es war in der Tat Georg Leber, der den
Transrapid mit anderen zusammen auf die Spur gebracht
hat und einen Plan entwickelt hat.
({4})
Damals bestand noch das Ziel, daraus eine Technologie
zu machen, die praktisch dauerhaft in die Verkehrskonzepte der Bundesrepublik integriert und eingesetzt werden könnte.
Allerdings ist dann die Entwicklung in dieser Frage
anders gelaufen. Zwar müssen wir jetzt aus technologieund industriepolitischen Gründen die Angelegenheit intensiv und mit aller Sorgfalt weiter betreiben;
({5})
aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass
es für uns momentan verkehrspolitisch nur, wenn überhaupt, eine Ergänzung sein kann. Falls der Transrapid in
Deutschland oder im dicht besiedelten Europa insgesamt
überhaupt jemals eine Rolle spielen wird, dann jedenfalls nicht in den nächsten 20, 30 Jahren. Die Entscheidung - man mag das bedauern, man kann es aber auch
ganz realistisch zur Kenntnis nehmen - ist sowohl in der
Bundesrepublik - von deutscher Seite waren daran meine Vorgänger von Ihrer Couleur beteiligt - als auch in
Frankreich zugunsten der Rad-Schiene-Technik gefallen. Die ICE-Technik und die ICE-Strecken sind ja nicht
von uns ausgebaut worden, sondern der Ausbau ist von
den Verkehrsministern vorangetrieben worden, die von
der Union gestellt worden sind,
({6})
weil man wusste, dass es seinerzeit dazu keine praktische Alternative gab.
Den Transrapid muss man als mögliche Zukunftstechnologie auch für Europa jetzt vorantreiben; aktuell
aber ist das eine Ergänzungstechnologie und vor allem das ist ja völlig richtig - eine Exportchance für uns, sofern ein ernsthaftes Interesse an anderer Stelle erkennbar
wird. Allerdings muss sich das dann auch ökonomisch
umsetzen lassen. Natürlich haben sich schon sehr viele
Ingenieure oder Staatsmänner und Staatsfrauen - die
letzte war die niederländische Verkehrsministerin - in
Lathen das System angeschaut, sind damit gefahren und
haben es bewundert. Aber es ist noch nie - weder mit
China noch mit den USA noch mit den Niederlanden zu irgendeiner konkreten Verhandlung gekommen, aus
der erkennbar gewesen wäre, dass man bereit ist, das
System zu kaufen. Hier bleibt es leider im Vagen.
Selbstverständlich hat China Interesse an einer Transrapidverbindung von Schanghai nach Peking, die rund
60 Milliarden DM kostet. Die Chinesen werden sie allerdings nur bauen, wenn wir sie ihnen bezahlen. Das ist
sicherlich nicht im Sinne der deutschen Politik. Dieses
Problem muss dabei mit bedacht werden.
({7})
Es gab eine lange andauernde Überlegung, in welcher
Weise man eine Referenzstrecke einrichtet. Die Wahl
ist nach einer ganzen Reihe von Untersuchungen - die
Entscheidung fiel unter Ihrer Verantwortung - auf die
Strecke Hamburg - Berlin gefallen. Anschließend ist eine Umsetzungsvereinbarung getroffen worden; in dieser
Eckpunktevereinbarung ist festgelegt, dass die Bundesregierung für die Finanzierung des Fahrweges zuständig
ist, während sich das Industriekonsortium und die DB
AG darauf verständigt haben, in welcher Weise die
sonstigen Investitionen und die Betriebskosten aufgebracht werden.
Dabei sind eine Reihe von Daten in Ansatz gebracht
worden, von denen man nicht unbedingt sagen kann,
dass sie sich als haltbar erwiesen hätten. So ist in der
Analyse zum Beispiel die Zahl der Beförderungsfälle so nennt man das - reduziert worden. Momentan sind
8,6 Millionen so genannter Beförderungsfälle Berechnungsgrundlage.
({8})
- Ich weiß, dass die Argumente, die ich jetzt vortrage,
Ihnen nicht schmecken.
({9})
Wir brauchen uns aber um diese späte Zeit wirklich
nicht mehr mit Polemik zu beharken. Angesichts der geringen Präsenz und der geringen Aufmerksamkeit sollten wir uns lieber den Luxus leisten, miteinander zu argumentieren. Ich bin immer noch der Meinung, dass Sie
sehr wohl in der Lage sind, sich in diesem Hause rational zu verhalten,
({10})
und dass Sie das Haus nicht nur als eine Bühne für irrationale Verhaltensweisen nutzen.
Fest steht, dass wir momentan auf der Strecke
2,2 Millionen Fahrgäste haben. Somit müsste mit der
neuen Technologie eine Vervierfachung durchgesetzt
werden. Ich nenne das nur als Kriterium, damit deutlich
wird, dass nicht alles von vornherein so eindeutig und
klar ist, dass es verantwortbar wäre, die Strecke auf jeden Fall zu bauen. Sie kann nicht um jeden Preis gebaut
werden, sondern nur zu vernünftigen und vertretbaren
Konditionen.
({11})
Es ist doch völlig klar: Die Bedingungen sind von uns
festgelegt worden; wir geben 6,1 Milliarden DM dazu.
Das ist weiß Gott nicht wenig. Man muss nämlich bedenken, dass aus Forschungsgeldern bereits 2,2 Milliarden DM in dem Projekt stecken.
({12})
Wenn man das System bauen, aber auch mögliche Risiken abdecken will, muss man davon ausgehen, dass
nicht immer die Forderungen an den Bund gerichtet
werden, sondern dass sich auch diejenigen, die auf das
System setzen und die an ihm verdienen wollen, einmal
etwas stärker in dieser Frage engagieren.
({13})
Auf keinen Fall darf man die Bahn in dieser Frage in
ein Abenteuer zwingen. Wir haben sie gerade erst - ich
möchte sagen - von der Gängelung durch die öffentliche
Hand befreit, damit sie frei und wirtschaftlich entscheiden kann. Es ist also nicht sinnvoll, wenn man ihr
jetzt wieder politisch eine Aufgabe aufdrückt, die ökonomisch nicht zu lösen ist. Deswegen müssen wir abwarten, wie sich die Bahn zu diesem Thema äußert. Wir
wollen und können uns kein weiteres Zuschussgeschäft
leisten. Die Bahn würde ein solches Geschäft nicht verkraften können.
({14})
Herr
Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fischer?
({0})
Ja, natürlich.
Bitte
schön, Herr Fischer.
Herr Minister, Sie haben gesagt, wir müssten abwarten, wie sich
die Bahn entscheidet. Können Sie mir bestätigen, dass
der Brief, den Herr Mehdorn geschrieben hat und der öffentlich bekannt geworden ist, mit Ihnen abgestimmt
war?
Nein, der Brief ist nicht mit
mir abgestimmt gewesen. Diesen Brief hat er von sich
aus an Herrn Posch geschrieben.
({0})
Ich habe gesagt, dass der
Brief nicht mit mir abgestimmt war. Zu Ihrem Versuch,
sozusagen ein Zusammenspiel zwischen Bundesregierung und Bahn herzustellen, um einen negativen Eindruck zu erzielen, sage ich Ihnen: Das ist eine Unterstellung, die keine Grundlage und keinen realistischen Hintergrund hat.
({0})
Wir haben selbstverständlich auch versucht, beim
Transrapid Partner zu finden. Die Partnerschaften waren
aber etwa auf der französischen und der niederländischen Seite nicht zu finden. Das heißt, auch in diesem
Punkt muss man realistisch an die Frage herangehen, ob
zu den vonseiten der Bahn genannten Konditionen dieses Projekt wirtschaftlich zu fahren ist. In diesen Gesprächen befinden wir uns momentan.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:
Auch ich habe mich nicht in irgendeiner Weise von der
Strecke Hamburg - Berlin verabschiedet. Diese Strecke
ist doch die Grundlage aller Verhandlungen und Gespräche gewesen. Es gab ja auch den Versuch von Franz
Müntefering, durch das Vorschlagen der Einspurigkeit
eine Lösung zu finden, die in einem vernünftigen Rahmen realisierbar gewesen wäre. Aber Franz Müntefering
konnte nicht und auch Reinhard Klimmt kann nicht feststellen, ob die Bahn zu diesen Konditionen wirtschaftlich arbeiten kann. Diese Frage muss von der Bahn
selbst beantwortet werden.
Es muss auch vonseiten des Industriekonsortiums klar
gesagt werden, ob die beteiligten Unternehmen bereit
sind, auf die im Eckpunktepapier vereinbarte Rückzahlungsverpflichtung zu verzichten, was man vom Bund
unter der Hand schon erwartet hat. All diese Punkte sind
eindeutig bekannt. Darüber muss noch gesprochen werden; in diesem Diskussionsprozess befinden wir uns
jetzt. Ich lasse mich aber nicht in Hudeleien verstricken,
indem man versucht, uns durch eine zugespitzte Debatte
zu Aussagen hinsichtlich Sachverhalten zu zwingen, über die man momentan noch keine Aussage machen
kann. Das werden Sie auch heute Abend nicht schaffen.
({1})
Wir wollen erreichen, dass diese Technologie bei uns
im Lande durchgesetzt wird. Dabei ist völlig klar - darüber sind wir uns einig -, dass man diese Technologie
anderen nicht anbieten kann, wenn ihre Funktionsfähigkeit nicht in irgendeiner Weise auf einer Referenzstrecke
nachweisbar ist. Man muss also nachweisen, dass diese
Technologie im Alltagsbetrieb wirklich funktioniert. Die
Strecke allein in Lathen zu betreiben reicht nicht aus.
Darüber sind wir uns völlig im Klaren. Es geht darum,
zu prüfen, ob das System im aktiven Betrieb wirklich
funktioniert. Man braucht nur in die Koalitionsvereinbarung hineinzuschauen, in der eindeutig steht, dass Alternativstrecken zu prüfen sind, wenn die Strecke
Hamburg - Berlin nicht zu realisieren sein sollte.
Das ist eine Frage, an die wir jetzt noch gar nicht herangehen, weil sich die Strecke Hamburg - Berlin immer noch in der Debatte befindet und diskutiert werden
muss. Aber ein Punkt ist dabei auch noch klar. Sie haben
gefragt, warum man so viele Anläufe gebraucht hat -:
Vor Weihnachten ist gesagt worden, die Länder seien
bereit, Risiken mit abzudecken. Aber es hat sich hinterher herausgestellt, dass die Länder nicht bereit sind, ein
Betriebsrisiko durch Bürgschaften mit abzudecken.
({2})
Deswegen hat sich die Situation dadurch für die Bahn in
keiner Weise verändert und verbessert. Man muss prüfen, welche Strecke alternativ eingesetzt werden kann.
Das werden wir dann tun, falls die Gespräche es ergeben. Wenn man die Strecke Hamburg - Berlin zu vertretbaren Bedingungen nicht realisieren kann, dann muss
man in der Tat - dazu bitte ich dann auch um Ihre Unterstützung, falls das eintreten sollte - zusammen im Interesse der Technologie nach einer Alternativstrecke suchen, damit wir das Technologieprojekt als solches nicht
beerdigen müssen, sondern ihm eine Chance geben können. Das ist der Auftrag, den wir, glaube ich, haben,
wenn es um den technologiepolitischen Ansatz unserer
Arbeit geht.
({3})
Es gibt eine Reihe von Vorschlägen. Von Herrn
Mehdorn ist vorgeschlagen worden, Schönefeld mit der
Stadt zu verbinden. Es gibt schon länger die Diskussion,
ob es eine Verbindung zwischen München und der Innenstadt geben soll. Es wäre auch denkbar, noch einmal
die Idee eines Shuttles zwischen den Flughäfen Düsseldorf und Köln zu prüfen. Es gibt also eine ganze Reihe
von Varianten, um die man sich kümmern sollte. Denn
eines ist klar, um es noch mal zu sagen: Es geht darum,
im Betrieb zu prüfen. Dafür ist die Länge der Strecke
nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass man deutlich
macht, dass der Betrieb des Systems auch im täglichen
Gebrauch mit Passagieren funktioniert.
({4})
Darum geht es und dafür können wir dann, wenn dies
eintritt, auch eine andere Strecke suchen.
Meine Damen und Herren, wir werden jetzt die nächsten Schritte in aller Ruhe mit den Partnern beraten, die
einen Anspruch darauf haben, dass wir mit ihnen darüber reden, wie wir den Schritt weiter nach vorne weiter
gemeinsam gehen, nachdem sie so viel Engagement und
teilweise auch so viel Geld eingesetzt haben. Ich freue
mich, dass ich dabei die Unterstützung der Sozialdemokraten und der Bündnisgrünen in diesem Hause habe
und ich hoffe, dass Sie uns auch auf diesem Wege
positiv und nicht nur mit nicht ganz so gut gemeinten
Ratschlägen begleiten werden.
({5})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU
betreffend die zügige Realisierung des
Transrapidprojektes auf Drucksache 14/2359. Die
Fraktion der SPD hat beantragt, den Antrag zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und zur
Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den
Haushaltsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, den Ausschuss für Angelegenheiten der Neuen Länder, den Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technologiefolgenabschätzung, den
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung und an den Ausschuss für Tourismus. Die
Fraktion der CDU/CSU verlangt hingegen sofortige
Abstimmung. Nach ständiger Übung geht die
Abstimmung über den Überweisungsvorschlag vor.
Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag
der Fraktion der SPD zuzustimmen wünschen, um das
Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich?
-Dann ist der Überweisungsvorschlag angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen aller Oppositionsfraktionen. In der Sache stimmen
wir dann nicht mehr ab.
Es folgt der Antrag der Fraktion der PDS zur Aufhebung der gesetzlichen Verpflichtung zum Bau der Transrapidstrecke Berlin - Hamburg auf Drucksache 14/2524.
Die Fraktion der SPD hat auch hierzu beantragt, den Antrag an die gleichen Ausschüsse zu überweisen, an die
wir soeben den CDU/CSU-Antrag zum Transrapidprojekt überwiesen haben. Die Fraktion der PDS verlangt
eine sofortige Abstimmung. Jetzt wird wie zuvor erst
über den Überweisungsvorschlag abgestimmt.
Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag
der Fraktion der SPD zuzustimmen wünschen, um das
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Dann ist der Überweisungsvorschlag bei Zustimmung
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDSFraktion und bei Enthaltung der CDU/CSU- und der
F.D.P.-Fraktion angenommen. Auch hier wird in der Sache nicht mehr abgestimmt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 sowie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
11. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Burchardt, Monika Griefahn, Heinz Schmitt ({1}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer,
Matthias Berninger, Hans-Josef Fell, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS
90/Die Grünen
Förderung der Friedens- und Konfliktforschung
- Drucksachen 14/1963, 14/2419 Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Schmitt ({2})
Hans-Josef Fell
Maritta Böttcher
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula
Burchardt, Monika Griefahn, Heinz Schmitt
({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Angelika
Beer, Matthias Berninger, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN
Gründung einer Stiftung zur Friedens- und
Konfliktforschung
- Drucksache 14/2519 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Lensing, Eckart von Klaeden, Dr. Andreas
Schockenhoff, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Vorbereitung auf neue Herausforderungen
an Deutschlands Sicherheitspolitik - Stärkung der Friedens- und Konfliktforschung
als Teil der politikberatenden Forschung
- Drucksache 14/2521 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als ersten Redner dem Kollegen Heinz Schmitt von der SPD-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit den beiden
vorliegenden Anträgen zur Förderung der Friedens- und
Konfliktforschung und zur Einrichtung einer Deutschen
Stiftung Friedensforschung will die Regierungskoalition
einen Forschungsbereich stärken, dessen wachsende Bedeutung durch die Ereignisse des letzten Jahres noch
einmal unterstrichen wurde.
Wir haben im Kosovo wieder einmal erfahren müssen, dass die Möglichkeiten von Krisenprävention und
gewaltfreier Konfliktbewältigung weiterhin unzureichend sind, auch wenn im Falle des Kosovo natürlich
das ideologische und Menschen verachtende Regime in
Belgrad das Scheitern der diplomatischen Bemühungen
zu verantworten hat.
Eine nüchterne Bilanz des Krieges auf dem Balkan
zeigt, dass die internationale Staatengemeinschaft mit
ihren Militäroperationen und dem großen diplomatischen Engagement der deutschen Außenpolitik zwar ihre Ziele erreicht hat, nämlich die Menschenrechtsverletzungen und die Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo beendet wurden und ein Friedensabkommen erzwungen wurde. Wir wissen aber auch,
dass sich im Verlauf der Militäroperation die Vertreibungen der Zivilbevölkerung verstärkten und Hunderttausende von Menschen unter schlimmsten Bedingungen
auf der Flucht waren. Die ganze Region war in einem
kritischen, instabilen Zustand geraten.
Wie nicht anders zu erwarten, steht am Ende auch
dieser Maßnahme zur Friedenserzwingung die Notwendigkeit, auf Jahre hinaus Truppen zu stationieren, um
den Frieden abzusichern, das Aufflammen neuer Gewalt
zu verhindern sowie beim Wiederaufbau der zerstörten
Infrastruktur zu helfen. Die Kosten für Militäreinsätze,
für humanitäre Hilfe und für Wiederaufbaumaßnahmen
werden voraussichtlich einen Beitrag in dreistelliger
Milliardenhöhe erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es steht fest, dass
angesichts der erwähnten Unwägbarkeiten, angesichts
der großen Folgeprobleme und -kosten die militärische
Friedenserzwingung immer nur die Ultima Ratio, das
letzte Mittel bei der Bewältigung von Konflikten sein
kann. Krieg ist und bleibt immer ein Scheitern der Politik.
({0})
Daher müssen wir nach Alternativen Ausschau halten, mit denen die Konfliktspirale schon früher unterbrochen werden kann. Die kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan sind beispielhaft für eine
neue Form von Konflikten in der internationalen Politik,
mit denen wir in den 90er-Jahren zunehmend konfrontiert worden sind. In Zukunft werden immer öfter Konflikte entstehen, in denen ethnische, religiöse und kulturelle Hintergründe eine Rolle spielen. Es sind bürgerkriegsähnliche Konflikte zu erwarten im Kampf um
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ressourcen, aufgrund von Bevölkerungswachstum, aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit. Hinzu
kommen ökologische Ursachen wie die Klimaveränderung und vieles mehr.
Wenn wir also Entwicklungen wie im Kosovo zukünftig vermeiden wollen, müssen wir versuchen, früher
einzugreifen, müssen wir verhindern, dass aus Konfliktund Krisensituationen kriegerische Auseinandersetzungen werden.
({1})
Wir müssen daher einerseits Konsequenzen ziehen für
die Außen- und Sicherheitspolitik; denn auch hier gilt
die Binsenweisheit: Vorbeugen ist immer besser als heilen. Für die Verrechtlichung von Konflikten und für die
Fortentwicklung des Völkerrechtes brauchen wir eine
Stärkung der Vereinten Nationen, der OSZE und anderer
Regierungsorganisationen. Hier sind die staatlichen Akteure, hier sind Politik und Diplomatie gefordert.
Auf der anderen Seite möchte die Regierungskoalition aber auch stärker als bisher auf externen wissenschaftlichen Sachverstand zurückgreifen. Es gilt, die Instrumente der Friedens- und Konfliktforschung zu stärken und besser in die politischen Entscheidungsprozesse
einzubeziehen. Hierzu gehören die Konfliktfrüherkennung, die Ursachenanalysen und die friedliche Konfliktbearbeitung.
Das Potenzial der Friedens- und Konfliktforschung
mit ihrem breitem Spektrum an Forschungsansätzen und
-ergebnissen wurde von der alten Bundesregierung eher
gering geschätzt. Die alte Bundesregierung hatte ja die
Mittel für die Friedens- und Konfliktforschung zunächst
drastisch reduziert und zum Schluss de facto eingestellt.
({2})
Wir haben bereits im Koalitionsvertrag den Aufbau
einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen
Konfliktbearbeitung vereinbart. Bereits für das Jahr
1999 wurden daher auch die Mittel für die Friedens- und
Konfliktforschung im Haushalt wieder eingestellt. Mit
der nachdrücklichen Förderung dieser Disziplin geht es
uns darum, den Transfer der wissenschaftlichen Ergebnisse hin zur Politik sicherzustellen und die Erkenntnisse
friedlicher Konfliktbearbeitung nahe bei der Politik zu
verankern.
Aus diesem Grunde befürworten wir daher auch die
Gründung einer mit ausreichenden Mitteln ausgestatten
Deutschen Stiftung Friedensforschung, die ihre Aufgaben weitgehend unabhängig von wechselnden politischen Interessen wahrnehmen kann.
({3})
Die Stiftung wird mit einem Stiftungsvermögen von
50 Millionen DM ausgestattet und wird am Anfang als
unselbstständige Stiftung beginnen. Sie wird ab dem
Jahre 2001 als selbstständige Stiftung ihre Arbeit fortsetzen. Die Stiftung hat einen Stiftungsvorstand, einen
Stiftungsrat, dem Vertreter des Bundestages, der Bundesregierung und renommierte Friedensforscher angehören werden.
Die Stiftung soll wissenschaftliche Vorhaben stärken,
den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern und sie soll
auch die Vernetzung vorhandenen Wissens und neuester
Erkenntnisse organisieren. Sie soll Anstöße geben und
dafür Sorge tragen, dass die wissenschaftlichen Resultate zeitnah bei den Verantwortlichen ankommen und in
die politischen Entscheidungen einfließen können.
Wir gehen davon aus, dass die Stiftung auch vom
neuen Stiftungsrecht profitieren wird und dass private
Mittel hinzukommen werden. Wir wollen sicherstellen,
dass die politischen Entscheidungsträger auf eine wissenschaftliche Unterstützung und professionelle Beratung bei der Konfliktbearbeitung zurückgreifen können
und über die klassischen Mittel des staatlichdiplomatischen Instrumentariums hinausreichende Möglichkeiten haben und durch dieses Instrumentarium neue
Handlungsansätze erhalten. Wir versprechen uns von
dem Rückgriff auf das vorhandene Fachwissen einen
Anstoß zur Stärkung einer neuen, präventiv agierenden
und nicht reagierenden Konfliktbewältigung in der Außen- und Sicherheitspolitik.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir sind uns
einig, dass nichts unversucht bleiben darf, was ein neues
Kosovo zu verhindern hilft.
({4})
Die Stärkung der Friedens- und Konfliktforschung ist
deshalb unerlässlich. Ich bitte Sie herzlich um Unterstützung unserer Anträge.
Vielen Dank.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Eckart von Klaeden
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Dass die
Friedens- und Konfliktforschung einer besseren Förderung bedarf, ist zwischen uns Konsens, glaube ich. Umso mehr sind wir von dem enttäuscht, was die Regierungskoalition hier vorlegt.Wir können feststellen, dass
es in Wirklichkeit gar nicht darum geht, eine unabhängige wissenschaftliche Friedens- und Konfliktforschung
zu schaffen und zu unterstützen, sondern dass es im
Grunde um Schmerzensgeld für diejenigen geht, die sich
von dieser Bundesregierung aus ideologischen Gründen
enttäuscht fühlen.
({0})
Heinz Schmitt ({1})
Ich möchte den Gedanken einmal auf die Zeit lenken,
als die Grünen noch in der Opposition waren. Zur Zeit
des Bosnien-Krieges waren die Grünen der Ansicht,
dass man den Konflikt nicht mit militärischen Mitteln,
sondern allein mit dem wissenschaftlichen Ergebnis der
von ihnen präferierten Friedens- und Konfliktforschung
lösen müsste. Damals war der heutige Staatsminister
Ludger Volmer als Bundestagsabgeordneter Gast in der
Sendung „Talk im Turm“. Als ihm die Frage gestellt
wurde, was man denn machen solle, wenn eine aggressive Macht wie Serbien unter Milosevic einfach die
Nachbarn überfalle, hat er geantwortet, dann dürfe man
nicht militärisch eingreifen, sondern müsse die Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung nutzen. Diese
habe jetzt herausgefunden, dass man Chemikalien ausstreuen könne, die dafür sorgten, dass sich bei den militärischen Radfahrzeugen die Bereifung auflösen würde,
wodurch das militärische Vorrücken der serbischen
Truppen empfindlich gestört würde.
({2})
Nun hat man von diesen bedeutenden Erkenntnissen
und wissenschaftlichen Früchten der den Grünen und
anderen nahe stehenden Friedens- und Konfliktforschung im Kosovo-Krieg und generell, seitdem die Grünen und die SPD an der Regierung sind, nichts mehr gehört. Gleichwohl soll jetzt mit Steuergeldern ein ideologischer Biotop geschaffen werden. Dabei geht es mehr
um die Versorgung bewährter Parteigänger als um eine
wissenschaftlich fundierte Forschung und außeruniversitäre Politikberatung.
({3})
Gerade diese Regierung, Herr Kollege Schmidt, hat diese Beratung bitter nötig.
Es besteht kein Zweifel, dass in einer unübersichtlicher gewordenen Welt von heute Friedens- und Konfliktforschung ihren Platz hat. Sicherheit lässt sich heute nicht mehr rein territorial definieren und ausschließlich militärisch bestimmen. Dem Stabilitätstransfer, der
Krisenvorsorge und der Konfliktprävention kommen in
Zukunft immer größere Bedeutung zu. Nur gemeinsam
und in enger Abstimmung mit unseren internationalen
Partnern lassen sich die vor uns liegenden Aufgaben
meistern.
Deutschland muss vor diesem Hintergrund seine sicherheitspolitischen Ziele und Wege neu definieren, seine Instrumente überprüfen und, wo nötig, an die neue
Lage anpassen. Praxisorientierte Politikberatung kann
dazu neben der Administration einen wertvollen Beitrag
leisten. Eine Friedens- und Konfliktforschung, die sich
nicht im akademischen Elfenbeinturm verkriecht, sondern die Nähe zur praktischen Politik sucht, hat dabei ihren Platz.
Mit der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen, mit dem Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien und mit der Deutschen
Gesellschaft für Auswärtige Politik verfügen wir allerdings über renommierte Institutionen, die Friedens- und
Konfliktforschung zum Gegenstand haben und aus Bundesmitteln gefördert werden. Dazu kommen eine Reihe
kleinerer Institute, wie die Hessische Stiftung Friedensund Konfliktforschung, das Institut für Theologie und
Frieden, die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft oder das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, die sich ebenfalls, mehr oder weniger praxisrelevant, ganz plural mit Fragen der Friedens- und Konfliktforschung beschäftigen.
Die Bundesregierung hat sich unlängst in den gemeinsamen Leitlinien und im Beschluss, die Stiftung
Wissenschaft und Politik sowie das Bundesinstitut für
ostwissenschaftliche und internationale Studien unter einem Dach in Berlin zu vereinen, zur Bündelung der
Kräfte und Stärkung der politikberatenden Forschung
bekannt. Eine neue Stiftung zur Friedens- und Konfliktforschung, wie sie Bundesministerin Bulmahn jetzt dem
Bundestag zum Beschluss vorlegt, ist deshalb überflüssig wie ein Kropf.
({4})
Sie würde neue bürokratische Strukturen schaffen, die
zusätzliches Geld von der Forschung abziehen, und sie
würde die allfälligen Bekundungen von Bundeskanzleramt und Auswärtigem Amt zur Stärkung der
außeruniversitären politikberatenden Forschung Lügen
strafen.
({5})
Bereits im Zusammenhang mit dem Umzug von SWP
und BIOST hat die Bundesregierung ein tieferes Verständnis für die Bedeutung einer außenpolitischen Politikberatung vermissen lassen. Der Beitrag von Bundeskanzler Schröder im Auswärtigen Ausschuss ist allen
geläufig. Als er gefragt wurde, wie es denn mit der außeruniversitären Politikberatung stehe, hat er gesagt:
Wieso, ich habe doch hier meinen Steinmeier.
({6})
Nur auf massiven Druck des Deutschen Bundestages
und dankenswerterweise auch der Fraktion der SPD ist
es gelungen, das Bundeskanzleramt von seinen abwegigen Vorstellungen hinsichtlich der Verschiebung des
Umzugs abzubringen.
Dies hätte im Resultat den Todesstoß für das neue Berliner Institut bedeutet.
Um so verwunderlicher ist es, wenn Bundesministerin Bulmahn in ihrem Haushalt auf einmal 50 Millionen
DM zur so genannten Stärkung der Friedens- und Konfliktforschung findet. Wer sich die Liste der Mitglieder
der Struktur- und Findungskommission für die Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung ansieht, wird
mit einiger Verwunderung feststellen, dass es gelungen
ist, bei der Auswahl ausschließlich altbekannte Vertreter
ein und derselben politischen Schattierung zusammenzubringen: Von Egon Bahr bis Ulrich Albrecht, von Dieter Lutz bis Herbert Wulf, von Eva Senghaas-Knobloch
bis Volker Rittberger
({7})
haben wir es ausschließlich mit Wissenschaftlern zu tun,
die bislang vor allem durch parteinahe wissenschaftliche
Äußerungen von sich reden gemacht haben.
({8})
Wenn Sie sich diese Liste einmal ansehen, werden Sie
feststellen, dass nur Marion Gräfin Dönhoff wirklich
rechts außen steht. Das ist, so finde ich, ein bemerkenswerter Beitrag an Einseitigkeit.
Damit kein Missverständnis entsteht: Es handelt sich
nicht um ein Kuratorium beim Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Es handelt sich um
die Mitglieder der Struktur- und Findungskommission
einer zu gründenden Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, die, wie es im Antrag von SPD und Bündnis
90/Die Grünen heißt, „Anregungen und Anstöße“ geben
sollen, „insbesondere für die multidisziplinäre und internationale wissenschaftliche Kooperation sowie für die
Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis“. Man
muss kein Prophet sein, um zu vorauszusagen, dass bei
so viel Parteilichkeit die wissenschaftliche Unabhängigkeit auf der Strecke bleiben wird.
Gegen die Förderung der Friedens- und Konfliktforschung ist nichts einzuwenden. Die Bundesregierung
hätte allerdings gut daran getan, die jetzt zur Verfügung
gestellten Mittel dem neuen Institut in Berlin, das aus
der Stiftung „Wissenschaft und Politik“ und aus dem
Bundesinstitut für Ostwissenschaftliche und Internationale Studien gebildet wird, zu übertragen, damit
von dort aus in engem fachlichen Austausch mit den anderen auf dem Gebiet der Friedens- und Konfliktforschung tätigen Instituten Ergebnisse erzielt werden können, von denen auch Bundestag und Bundesregierung
profitieren können.
Die Vorstellungen, die in dem vorliegenden Antrag
dargelegt werden, und die, die in der Liste von Bundesministerin Bulmahn zum Ausdruck kommen, triefen
hingegen vor Parteilichkeit und lassen eine „hidden agenda“ vermuten.
Deutschland, will es seiner gewachsenen internationalen Verantwortung gerecht werden, muss auch in
der Sicherheitspolitik mit Blick auf eine Vielzahl von
neuen Herausforderungen andere Wege gehen. Denn die
Aufgaben der deutschen und der atlantischen Sicherheitspolitik haben sich sowohl geographisch als auch
funktional verändert. Dazu kann auch eine verstärkte politikberatende Forschung einen Beitrag leisten.
({9})
Mit den Vorstellungen der Bundesregierung zur Friedens- und Konfliktforschung, wie sie in den beiden Anträgen der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck kommen, ist dieser Weg kaum gangbar. Es wäre deshalb angebracht, wenn die Bundesregierung ihre bisherigen Vorstellungen überdenkt und im
Lichte unseres Antrages noch einmal überarbeitet. Ich
kann ja verstehen, dass man in einer Koalition, in der die
Vorstellungen über die Außen- und Sicherheitspolitik so
weit auseinander gehen wie bei Ihnen, zu absurden
Tauschgeschäften kommt, zum Beispiel dazu, dass man
vereinbart, einen Testpanzer an die Türkei zu liefern
Herr Kollege von
Klaeden, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
- ich komme sofort zum Schluss - und umgekehrt 50 Millionen DM für
die Pflege der eigenen Klientel zur Verfügung zu stellen.
({0})
Das Einzige, was uns hier noch hoffnungsfroh stimmt,
ist, dass Sie wenigstens den abwegigen Weg gewählt
haben, dass das Stiftungskapital sich selber aufzehrt.
Man kann nur hoffen, dass dieser Spuk bald zu Ende ist.
({1})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Winfried Nachtwei.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal zu dem Antrag der CDU/CSU-Opposition zur
Stärkung der Friedens- und Konfliktforschung. Diesen
haben Sie mit der wachsenden Bedeutung von Krisenvorsorge und Konfliktprävention begründet. Als ich ihn
durchlas, war ich nach der Überschrift und der Einleitung zunächst einmal etwas erfreut. Denn damit sind Sie
immerhin von Ihrer bisherigen Position, der Friedensund Konfliktforschung gegenüber pauschal Ignoranz zu
zeigen und nur politische Verdächtigungen auszusprechen, abgerückt
({0})
Wenn man sich dann allerdings Ihre konkreten Forderungen ansieht und die Rede von Herrn von Klaeden berücksichtigt, muss man sagen: Von dieser Positionsänderung ist real nichts übrig geblieben.
Die Vorwürfe einer Klientelpolitik laufen auf die Beleidigung verschiedenster Wissenschaftler und Institute
hinaus. Sie setzen im Grunde darauf, nur den Teil der
bisher Ihrer Regierung nahe stehenden Politik der beratenden Forschung zu fördern, der bislang schon gefördert wurde.
({1})
Wer so selektiv vorgeht, hat offensichtlich den tatsächlichen Handlungsbedarf in der internationalen Politik in
keiner Weise verstanden.
({2})
Ich möchte zwei aktuelle Hinweise geben. Erstens.
Heute war in der Zeitung „Die Woche“ ein Kommentar
des Kommandeurs der KFOR-Friedenstruppe zur bisherigen Politik der internationalen Gemeinschaft bezüglich
des Kosovo zu lesen. Dort hieß es:
Das gesamte Kosovo-Budget der UN lag für 1999
bei 125 Millionen Mark: Das ist ein Viertel dessen,
was die Nato an einem Tag an Geld verbombt hat.
Es ist abenteuerlich dumm,
- so General Reinhardt dass wir damals die Finanzen aufbrachten, doch
jetzt, wo es um den Wiederaufbau geht, fehlen sie.
Die internationale Gemeinschaft hat erstmals in der
Geschichte die Verpflichtung übernommen, ein
Land vorübergehend zu regieren - da genügt es
nicht, ein paar Beamte herzuschicken und ihnen zu
sagen: Macht mal!
Der zweite aktuelle Hinweis: Die Jugendoffiziere der
Bundeswehr schilderten in ihrem letzten Bericht, dass
nichtmilitärische Ansätze der Sicherheitspolitik unter
Schülern „ohne Bedeutung“ seien, dass die Vereinten
Nationen wenig bekannt seien. In einem vorherigen Bericht hieß es:
Die Fähigkeit von Streitkräften zur Konfliktlösung
wird allgemein falsch beurteilt und oft überschätzt.
Schüler sehen sie selten als „ein Element unter anderen“ zur Eindämmung eines Krieges oder Konfliktes, sondern als „Allround-Medizin“ an.
Das sind nur zwei aktuelle Belege für eine ausdrückliche Beschränktheit des politischen Denkens, nach dem
Sicherheitspolitik, Schaffung von Frieden und Krisenbewältigung überwiegend nur in ihrer militärischen Dimension wahrgenommen werden. So ist es kein Wunder,
wenn die zivile Implementierung von Friedensabkommen, sei es das Abkommen von Dayton, sei es das Abkommen zum Kosovo, notorisch vernachlässigt und damit die Verewigung von Krisen provoziert wird.
({3})
Diese sicherheits- und friedenspolitische Engstirnigkeit kommt nicht von ungefähr. Sie hat erheblich zu tun
- das ist keineswegs die einzige Ursache, es gibt eine
ganze Reihe - mit der marginalen Rolle, die die Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland einnimmt.
Diese Marginalisierung hat die alte Regierung Kohl im
Laufe der 16 Jahre aktiv betrieben:
({4})
1983 beendete die damalige Bundesregierung die Förderung der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung; die damalige Jahresförderung betrug ungefähr 4 Millionen DM. Einzelne Länder, Hamburg und
Hessen, sind eingesprungen. 1994 stellte die Bundesregierung die Förderung der Sonderforschung für Friedens- und Konfliktforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein, trotz offenkundig gewachsener sicherheitspolitischer Probleme und Herausforderungen. 1997 - daran müssten Sie alle sich noch erinnern - brachte der Bund gerade einmal 371 000 DM an
institutioneller Förderung für die Friedens- und Konfliktforschung auf.
Die Koalition von SPD und Bündnisgrünen bemüht
sich entsprechend der Koalitionsvereinbarung vom
Oktober 1998 - das war also noch vor den Konflikten
des letzten Jahres - diesen politisch äußerst gefährlichen
Rückstand in der Friedens- und Konfliktforschung aufzuholen. Deshalb wurden dafür 1999 4 Millionen DM
und für das Jahr 2000 6 Millionen DM in den Etat des
Bildungsministeriums eingestellt.
Nun geht es an den Aufbau der Stiftung für Friedensund Konfliktforschung, wofür insgesamt 50 Millionen
DM vorgesehen sind. Zur Stärkung der Friedens- und
Konfliktforschung reicht es nicht, unstrittig bewährte,
Politik beratende und regierungsnahe Institute zu fördern. Wir brauchen die gesamte Landschaft der Friedens- und Konfliktforschung, ihre Grundlagenforschung
ebenso wie die empirischen Untersuchungen zur operativen Politik. Eine Stiftung ist nötig, um die stetige Förderung der Friedens- und Konfliktforschung, vor allem
aber ihre politische Unabhängigkeit sicherzustellen nicht nur, falls es wieder zu einem Regierungswechsel
kommen könnte, sondern auch - da sind wir nüchtern,
aber plural - gegenüber der Regierung, die wir jetzt stellen. Sie muss in jeder Richtung unabhängig sein.
({5})
Wenn Sie bei Ihren Klientelvorwürfen einmal berücksichtigen würden, welche Stellungnahmen aus der Friedens- und Konfliktforschung im letzten Jahr angesichts
des Kosovo-Krieges gegenüber der Politik der Bundesregierung abgegeben wurden, dann würden Sie nicht
mehr diese beleidigenden Äußerungen mit „Parteigängern“ usw. machen.
({6})
Kritische Unabhängigkeit soll schließlich einhergehen
mit einem besseren Austausch zwischen Politik und
Praxis.
Eine Schlüsselerfahrung in der Politik der Krisenvorbeugung und -bewältigung der letzten Jahre ist, dass sie
ohne gute Kooperation ihrer verschiedenen Akteure
von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Das gilt
auch für dieses Forschungsfeld, in dem die bisherige Distanz zwischen Friedens- und Konfliktforschung auf der
einen Seite und außen- und sicherheitspolitischer Forschung auf der anderen Seite abgebaut werden sollte.
Die künftige Stiftung für Friedens- und KonfliktforWinfried Nachtwei
schung wird ein wesentliches Element für die Infrastruktur für zivile Konfliktbearbeitung sein, mit der die rotgrüne Koalition endlich zu einer Politik der effektiven
internationalen Krisenprävention beitragen will.
Danke schön.
({7})
Der Kollege Jürgen
W. Möllemann, F.D.P.-Fraktion, gibt seine Rede zu Protokoll. Deshalb erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen
Dr. Heinrich Fink für die PDS-Fraktion.
Sehr verehrte Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist für mich
eine besondere Freude und ein Ereignis, zu diesem
Thema sprechen zu dürfen, haben wir es doch am Ende
der DDR an der Humboldt-Universität noch geschafft,
ein Institut für Friedens- und Konfliktforschung zu
gründen. Dieses ist aus verschiedenen Gründen abgewickelt worden. Grund war natürlich das fehlende Geld.
Deshalb ist es besonders zu begrüßen, dass jetzt wieder
Mittel für die Friedens- und Konfliktforschung vom
Bund bereitgestellt werden.
Auch die Idee, die Forschung auf diesem wichtigen
Feld der Politik mittels einer Stiftung zu verstetigen und
möglichst unabhängig zu organisieren, unterstützt meine
Fraktion nachhaltig. Es ist an der Zeit, dass eine solche
Einrichtung geschaffen wird, die von der Nachwuchsförderung über die wissenschaftliche Projektinitiierung
bis zur Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und politischer Praxis Friedensarbeit wieder breit unterstützt.
Wir stimmen daher dem Antrag der Regierungsfraktionen gern zu.
({0})
Hingegen offenbart die Union mit ihrem Gegenantrag
nicht nur, dass sie von Friedens- und Konfliktforschung
wenig versteht, vor allem aber auch wenig hält. Vielmehr zeigt der Antrag auch ein mehr als merkwürdiges
Wissenschaftsverständnis. Die Union will Forschung
auf staatstragende Politberatung reduzieren, eine Politberatung, die zudem noch auf Zuarbeit aus der Wissenschaft angewiesen ist und die zu einer nationalen Strategie der Sicherheitspolitik verkürzt wird. Den Antrag der
CDU/CSU lehnen wir entschieden ab, schon deshalb das sage ich nicht ohne Erfahrung -, weil es die Freiheit
der Forschung zu verteidigen gilt.
Wenn wir uns die heutigen gewaltförmigen Konflikte
in der Welt ansehen, dann wird schnell deutlich, welch
breites Feld hier der wissenschaftlichen Bearbeitung bedarf. Dies reicht von der interdisziplinären Grundlagenforschung über die Forschung nach den Ursachen von
Gewalt und über die Regionalforschung bis zu Überlegungen, wie die globalen Umwelt- und Verteilungsfragen angegangen werden müssen.
Wir erwarten von einer unabhängigen Friedens- und
Konfliktforschung erstens, dass sie mehr Erkenntnisse
über die Ursachen der Konflikte und der Gewalt zutage
fördert. Dabei gehen wir von einem breiten Gewaltbegriff aus. Zu nennen ist hier das Stichwort eines Nestors
der Friedensforschung, Johan Galtung: strukturelle Gewalt.
Es käme also darauf an, auch die strukturellen gesellschaftlichen Voraussetzungen von Gewalt und Gewaltfreiheit in den Blick zu nehmen. Man muss zweitens die
Beiträge zu friedlichen, das heißt präventiven Konfliktlösungen liefern und sich drittens kritisch mit den Militär- und Rüstungspotenzialen in der heutigen Welt auseinander setzen sowie Vorschläge für künftige Rüstungskontrolle und Abrüstung unterbreiten.
Das wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der
Konfliktprävention ist, wenn sie ihren Namen verdient,
immer zugleich auch Friedenserziehung; dies sei hier
nur am Rande erwähnt. Mir ist wichtig zu betonen, dass
sich künftige Friedensforschung nicht allein auf Europa
beschränken kann. Die Zunahme weltweiter, gewaltträchtiger Probleme und Krisen verlangt eine global
ausgerichtete Forschung, die weit über die Themen der
klassischen Außenpolitik hinaus geht.
Ich habe das Stichwort Umwelt genannt und erwähnt,
dass zum Beispiel die Frage der Ressourcenverteilung
heute und zukünftig eine wachsende Quelle von Konflikten ist und sein wird, wird von niemandem mehr
bestritten. Dies verlangt eine Forschung, die wirklich interdisziplinär angelegt ist. Zu den genannten Fragestellungen müssen Sozialwissenschaften, Psychologie, Pädagogik, Ökonomie und Jura ebenso Beiträge liefern
wie die Naturwissenschaften. Dies sollte als Herausforderung für Universitäten und andere wissenschaftliche
Einrichtungen sowie als Ermutigung für Wissenschaftler
und Studenten verstanden werden, jetzt die Chance zu
nutzen, die die Einrichtung der Stiftung bietet, und sich
verstärkt den Fragen der Friedens- und Konfliktforschung zuzuwenden.
Eine Schlussbemerkung: Es ist natürlich schön, wenn
jetzt 15 bis 20 Millionen DM jährlich für die Friedensforschung zur Verfügung gestellt werden. Keiner sollte
aber vergessen, dass im Bereich von Rüstung und Militär für Forschung und Entwicklung 2,5 Milliarden DM
ausgegeben werden. Dies zeigt die nach wie vor bestehenden Diskrepanzen nachdrücklich auf.
Wer die Priorität wirklich auf zivile Krisenvorbeugung und friedliche Konfliktbearbeitung setzen will,
muss diese Prioritätensetzung unmittelbar und nachhaltig verändern, sonst bleibt die Friedensforschung nur ein
schönes Feigenblatt inmitten einer Welt, die von Gewalt
und großen Rüstungsapparaten, das heißt von militärisch
gestützter Machtpolitik geprägt ist.
Vielen Dank.
({1})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Wolf-Michael Catenhusen.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, dass
wir in dieser Debatte auch daran erinnern müssen, dass
die wissenschaftliche Disziplin der Friedens- und Konfliktforschung weltweit als Reflex in der Wissenschaft
auf neue Dimensionen von Konflikten in der Phase des
Ost-West-Gegensatzes und der atomaren Hochrüstung
entstanden ist. Damals wurde klar, dass neue Bedrohungen und Gefährdungen sorgfältige Analysen verlangten,
die nicht nur mit den traditionellen Methoden der Wissenschaftsdisziplin möglich schienen, sondern die neue
Fragestellungen und das Überschreiten traditioneller
Wissenschaftsdisziplinen erforderte.
Es ist von Anfang an deutlich gewesen, dass neben
der klassischen politikwissenschaftlichen, auf Politikberatung organisierten Forschung in diesem Bereich vor
allem auch Naturwissenschaftler maßgebliche Anstöße
zur Belebung des internationalen Diskurses über die
Gestaltung und Perspektiven von Frieden und Konfliktverhütung gegeben haben. Ich denke hier etwa an die renommierte Pugwash-Konferenz.
Ich erinnere heute daran, dass dies 1970 für den damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann der
Grund war, die Gründung der Deutschen Gesellschaft
für Friedens- und Konfliktforschung zu initiieren und
damit in Deutschland den Anstoß zur Entwicklung einer
Forschungslandschaft zu geben, aus der wertvolle Beiträge zur Etablierung eines erweiterten Sicherheitsbegriffs entstanden sind, die mit zeitlicher Verzögerung jetzt nach Ende des Ost-West-Konflikts auch Eingang in die Sicherheitsdoktrin selbst der NATO gefunden haben. Die Friedens- und Konfliktforschung hat
die Grundlage für diese Entwicklungen gelegt.
Das gesellschaftliche Umfeld für Friedens- und Konfliktforschung hat sich seitdem dramatisch gewandelt.
Wir erleben heute eine beispiellose Verkettung politischer, sozialer, kultureller, religiöser und ökologischer
Konfliktlagen innerhalb von Gesellschaften und in der
Beziehung zwischen den Staaten. Es geht auch darum,
langfristig Perspektiven für die künftige Rolle etablierter
politischer Institutionen in Gesellschaften und im globalen Kontext zu definieren.
Mit der Entscheidung der alten Bundesregierung aus
dem Jahre 1992, die Sonderförderung für Friedensforschung Ende 1994 durch ein Sonderprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft auslaufen zu lassen,
stellte sich die Frage nach den Perspektiven einer leistungsfähigen Friedens- und Konfliktforschung.
Herr von Klaeden, zu Ihrer Rede möchte ich anmerken, dass Sie sich überlegen sollten, ob Ihr Versuch, Ihren ramponierten Ruf eines „jungen Wilden“ an diesem
Objekt zu retten, vielleicht das falsche Sujet als Grundlage hat.
({0})
Auch Sie, Herr von Klaeden, sollten zur Kenntnis
nehmen, dass diese Senatskommission in ihrem vom
Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft einstimmig gebilligten Abschlussbericht Ende 1994 feststellte, dass die Bedeutung der Friedens- und Konfliktforschung nach Überwindung des Ost-WestGegensatzes durch die Ereignisse seit 1989 nicht geringer, sondern deutlich größer geworden ist.
Diese Wissenschaftler der Senatskommission der
Deutschen Forschungsgemeinschaft - Herr von Klaeden, ich hoffe, dass Ihnen klar ist, was das bedeutet ({1})
empfahlen, dass die Schwerpunktbildung und Sonderförderung auf diesem Gebiet wieder hergestellt und ausgebaut werden sollten. Es müsste „alles getan werden,
um auf diesem Gebiet den Anschluss an die internationale Forschung voll zu halten“. Zwei Jahre später haben
zwei der renommiertesten Friedensforscher, Ernst-Otto
Czempiel, der langjährige Direktor der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, ein - unabhängig von politischen Mehrheiten - geschätzter Gesprächspartner aller hessischen Landesregierungen, und
Volker Rittberger, der frühere Vorsitzende der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in
einer gemeinsamen Denkschrift für die Gründung einer
deutschen Stiftung für Friedensforschung plädiert. Diese
sollte nach ihren Vorstellungen die Aufgaben haben,
„Forschungsarbeiten anzuregen und zu finanzieren, die
vorhandenen Expertisen zu vernetzen, zügig zu mobilisieren und verfügbar zu machen“.
Meine Damen und Herren, wir haben aufgrund dieser
Stimmen der Wissenschaft, die sich einer Bewertung auf
der Ebene Ihrer Polemik, Herr von Klaeden, entziehen,
in unserer Koalitionsvereinbarung Ernst gemacht und
uns diesem Plädoyer angeschlossen.
({2})
Mit dem Beschluss des Haushaltsausschusses im November 1999 ist die Grundlage dafür geschaffen worden, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung zügig an die Errichtung dieser Stiftung gehen
kann.
Was sind ihre Aufgaben und was ist aus Sicht der
Forschungspolitik und der Forschungsförderung dazu zu
sagen? Die deutsche Stiftung für Friedensforschung soll
die Friedensforschung insbesondere in Deutschland dauerhaft stärken und zu ihrer politischen und finanziellen
Unabhängigkeit beitragen. Sie soll keine wissenschaftlichen Untersuchungen selbst durchführen, sondern durch
ihre Arbeit und durch ihre Förderung die vorhandenen
Potenziale stärken und neue Kapazitäten an Hochschulen und an außeruniversitären Forschungseinrichtungen
aufbauen.
Dazu wird sie wissenschaftliche Vorhaben fördern
und initiieren, den wissenschaftlichen Nachwuchs unterstützen und wissenschaftliche Konferenzen durchführen.
Sie hilft damit bei der Vernetzung von Forschungsinstitutionen, die sich national und international mit Fragen
der Friedensgestaltung befassen und die sich im Gespräch zwischen Wissenschaft und Politik sowie bei der
Vermittlung der Forschungsergebnisse engagieren.
Herr von Klaeden, für Ihre nächste Auslandsreise rate
ich Ihnen, vielleicht einmal in die nahe Schweiz zu fahren und sich dort am Beispiel der Arbeit der Schweizer
Stiftung für Friedensforschung Ihre Zähne der Polemik
in dieser Auseinandersetzung ziehen zu lassen. Denn die
Schweizer Stiftung leistet seit Jahren mit genau demselben Ansatz eine bewährte und dort von allen politischen
Parteien mittlerweile sehr akzeptierte Arbeit. Herr von
Klaeden, auch bei Ihnen schließe ich nicht aus, dass Sie
in ein oder zwei Jahren verstehen, dass Ihre Rede vielleicht nicht nur zum falschen Zeitpunkt, sondern vielleicht auch zum falschen Gegenstand gehalten worden
ist.
({3})
Lassen Sie mich zu der Frage der Forschungspolitik
eines deutlich sagen: Wir versuchen, die Friedens- und
Konfliktforschung mit den bewährten Methoden der
Forschungsförderung dauerhaft als Forschungsfeld in
Deutschland zu verfestigen und damit Friedensforschung als einen normalen Bestandteil unseres deutschen Forschungssystems zu behandeln.
Was tun wir? Erstens. Wir wollen, wie auch auf anderen Feldern, einen Dualismus von Ressortforschung, die
in den Zuständigkeitsbereichen etwa des Auswärtigen
Amtes und des Verteidigungsministeriums arbeitet, und
einer breiter angelegten, in der universitären und außeruniversitären Forschungslandschaft angesiedelte Friedensforschung fördern.
Es käme niemand auf die Idee, im Bereich der Umweltpolitik zu sagen, wir bräuchten nur Ressortforschung und nicht eine breite, auf langfristige und Grundlagenfragen orientierte Forschungslandschaft zu fördern.
Wir brauchen Ressortforschung und Grundlagenforschung. Es kommt keiner auf die törichte Idee, im Bereich der Landwirtschaftspolitik zu meinen, dass es unsinnig wäre, neben der Ressortforschung des BML auch
eine breite, auf Grundlagenfragen orientierte und längerfristig angelegte Forschungsförderung durch das BMBF
zu betreiben.
Diesen Dualismus brauchen wir auch im Bereich der
Friedens- und Konfliktforschung. Wer wie Sie, Herr von
Klaeden, aus vielleicht verständlichem Interesse - weil
die SWP zurzeit eigene Interessen auf diesem Gebiet an
die Politik heranträgt -, auf die Idee kommt, dass es besser wäre, Ressortforschungsinstitutionen dieses Geld
zukommen zu lassen, versteht nicht den notwendigen
Dualismus.
Forschungsinstitute mit hohem Qualitätsstandard
können durch Wettbewerb begünstigt werden. Das ist
mein zweiter Punkt. Wir verknüpfen institutionelle Förderung mit Projektförderung, die im Wettbewerb vergeben werden soll. Wir führen damit das Wettbewerbselement im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung
ein und beschränken uns nicht darauf, einzelne Forschungseinrichtungen institutionell zu fördern und dann
zu hoffen, dass diese in irgendeiner Weise zu einer vernünftigen Arbeitsteilung und Vernetzung kommen.
Meine Damen und Herren, durch Projektförderung
im Wettbewerb den Leistungsgedanken zu fördern und
damit auch die Innovativität von Friedens- und Konfliktforschung der wissenschaftlichen Bewertung auszusetzen, das ist der richtige Weg. Sie werden sehen, dass alleine durch die Entscheidung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Stiftungsrat auf jeden Fall Vertretung zu gewähren, alle Ihre Vorurteile, Herr von
Klaeden, sehr schnell zusammenbrechen werden. Wir
setzen darauf, dass wir mit den etablierten Methoden
von Forschungsförderung auch diesen Bereich fruchtbar
weiterentwickeln werden.
({4})
Herr von Klaeden, ich will einen dritten Gesichtspunkt ansprechen. Ich habe den Eindruck, es ist wichtig
für Sie, dass Sie so etwas zum ersten Mal hören.
({5})
- Das ist alles Quatsch, was Sie jetzt erzählen. Das
könnten Sie von Herrn Polenz lernen.
Es geht auch darum, dass die vorhandenen Einrichtungen der Friedensforschung in Deutschland durch übergreifende Projekte zu einem Kompetenznetzwerk
verknüpft werden. Wir bemühen uns um Kompetenznetzwerke in der Nanotechnologie, also im Hochtechnologiebereich, ebenso wie im Bereich der Biowissenschaften und der Medizintechnik. Das ist natürlich auch
für die Friedens- und Konfliktforschung eine sinnvolle
Strategie.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und
Herren, damit will ich verdeutlichen: Ihr Versuch der
Politisierung dieser Förderanstrengung des Bundes geht
ins Leere. Im Gegenteil: Wir versuchen auf der einen
Seite, durch die Konstruktion dieser Stiftung sicherzustellen, dass der Abstand zur Politik gehalten wird. Wir
erwarten auf der anderen Seite auch, dass die Forschungsfragestellungen in enger Interaktion mit der Politik festgelegt werden, aber - das sollten Sie nicht vergessen - nicht nur mit der Politik im engeren Sinne, den
Institutionen der Bundesregierung, sondern auch mit all
den gesellschaftlichen Gruppen, die sich in Fragen der
Zukunftsgestaltung, der Konfliktverhütung engagieren.
Wir brauchen auch den Beitrag der Forschung zum
breiten gesellschaftlichen Diskurs, und dazu brauchen
wir den Dualismus von Ressortforschung, die in direkter
Rückkoppelung mit der Regierung und der Politik arbeitet, und einem breiter angelegten, grundlagenforschungsorientierten Förderinstrument. In diesem Sinne
bin ich zuversichtlich, dass die Zustimmung auch hier
im Hause durch die praktische Arbeit dieser Stiftung
steigen wird. Wir gehen davon aus, dass die Stiftung
Deutsche Friedensforschung in diesem Jahr ihre Arbeit
beginnen wird.
Schönen Dank.
({7})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Werner Lensing für die
Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr
Staatssekretär Catenhusen, Ihr Redebeitrag war zumindest kein Beitrag zur Stabilisierung des inneren Friedens. Denn - ohne das hier zu stark bewerten zu wollen
- die Arroganz, mit der Sie meinen Kollegen von Klaeden für sachlich berechtigte Aussagen abgefertigt haben,
({0})
lässt jeden Ansatz von Friedensbereitschaft im parlamentarischen Umgang vermissen.
({1})
Nun zur Sache: Zweifel bestehen am Folgenden aber
nicht:
({2})
Wir haben gelernt, dass angesichts der gewandelten Lage im internationalen System Sicherheit und Sicherheitspolitik heutzutage mehrdimensional verstanden
werden müssen. Neben politischen und militärischen
Aspekten spielen vor allem auch diverse wirtschaftliche,
ökologische und soziale Faktoren eine wesentliche Rolle
im Umgang mit den aktuellen und zukünftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen.
Niemand, glaube ich, hat Zweifel, dass eine stärkere
Berücksichtigung wissenschaftlichen Sachverstandes in
Form von praxisorientierter Politikberatung notwendig
ist. Zweifel dürften auch nicht darüber bestehen, dass
der Gedanke der Friedensforschung nicht erst ein Gedanke dieses Jahrhunderts ist, sondern seit mindestens
vier oder fünf Jahrhunderten existiert. Durch ihn konnten politische und militärische Aspekte kaum so aufgearbeitet werden, dass Kriege vermieden wurden. Im Gegenteil: Manche apokalyptische Voraussagen bestimmter Friedensforscher haben dem Weltfrieden überhaupt
keinen Dienst erwiesen.
Ich möchte Ihnen noch Folgendes sagen: Der Eindruck, den Sie, Herr Schmidt, Herr Nachtwei und Herr
Catenhusen, heute zu erwecken versucht haben, nämlich
dass sich die CDU nicht ausreichend dem Gedanken des
Friedens verschrieben habe,
({3})
lässt sich in keiner Weise belegen; denn die alte Regierung hat das realisiert, was wir alle für wichtig erachtet
haben, nämlich „Frieden zu schaffen mit deutlich weniger Waffen“.
({4})
Das ist nicht das Ergebnis von Theorien, sondern von
praktischer Politik.
Zu den Zahlen, die immer wieder gerne - zumindest
von einigen - bemüht werden, muss ich deutlich sagen,
dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die damals mit der Koordination betraut war, im Jahre 1985
immerhin 1,2 Millionen DM erhalten hat, 1986
3,3 Millionen DM und 1987 5 Millionen DM. Nach der
Integration der verschiedenen Bereiche der Friedensforschung erhielt die Deutsche Forschungsgemeinschaft
1995 immerhin noch fast 2 Millionen DM und 1998 sogar 3,1 Millionen DM. Das heißt also, dass die These,
die Sie hier verbreiten, durch Fakten widerlegt werden
kann.
Jetzt bereitet uns Folgendes große Sorge: Seit einem
Jahr trägt sich das Bundesministerium für Bildung und
Forschung mit dem Gedanken einer Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Wir müssen feststellen,
dass es in der Vergangenheit eine Reihe von Versäumnissen und Schlampereien gegeben hat. Insofern müssen
Sie verstehen, dass wir etwas vorsichtig gegenüber diesem Anliegen sind, obgleich wir uns im Grundsatz darauf verständigen können und wollen, dass die Friedensforschung ungemein wichtig ist. Für die Gründung der
Deutschen Stiftung Friedensforschung wurden bekanntlich - man muss es so nennen - in einer Nachtund Nebel-Aktion während der Haushaltsplanberatungen im Herbst 50 Millionen DM an Steuergeldern mobilisiert.
Die Einsicht in die Gutachten, auf deren Grundlage
die Einrichtung der Friedensstiftung beschlossen werden
sollte, verweigerte man mir mehr als acht Wochen. Erst
auf wiederholtes Nachfragen gab es einen höchst unbefriedigenden Zwischenbescheid, der sich mehr oder weniger in dem Rat erschöpfte: Rufen Sie noch einmal an!
Dass wir vor diesem Hintergrund durchaus Zweifel haben, ob das wirklich alles so objektiv ist, wie Herr
Nachtwei meint und Herr Catenhusen glaubt beweisen
zu können, müssen Sie doch bitte schön verstehen.
Sie müssen auch verstehen, dass uns die Aussage von
Herrn Dr. Fink, er sehe sich in der Tradition Ihres Antrags, sehr stutzig macht. Wir sind der Meinung, die Besetzung dort ist sehr einseitig. Dies hat mit Polemik
nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Wir lehnen die Einrichtung einer eigenständigen Stiftung aber auch aus folgendem Grund ab: Da die in der
Bundesrepublik Deutschland bereits vorhandenen Institutionen - das kann keiner bestreiten - seit langem einen
wertvollen und unverwechselbaren Beitrag zur praktischen Politikberatung leisten, ist es nicht erforderlich,
auch nicht vor dem Hintergrund des Gedankens des Dualismus, der eben beschworen wurde, zusätzliche Einrichtungen mit dem Auftrag der Friedens- und Konfliktforschung aufzubauen.
({5})
Die Einrichtung einer Stiftung Friedensforschung
muss daher, auch vor dem Background dessen, was ich
eben erläutert habe, als Versuch gewertet werden - diese
Feststellung hat mit Polemik gar nichts zu tun -, einseitige Klientelpflege betreiben zu wollen. Es sind nicht die
CDU-Vertreter, sondern renommierte Wissenschaftler,
die erklärt haben, dass sich das wie eine Form von
Selbstbedienungsladen darstellte und sich überdies wie
ein - Zitat - „linkes SPD-Biotop“ ausmache.
({6})
Von dem - von der Koalition selbst eingeforderten unabhängigen wissenschaftlichen Sachverstand kann bei
den Mitgliedern der Struktur- und Findungskommission - mein Kollege von Klaeden hat unter Beifügung von
Namen schon darauf verwiesen - wirklich nicht die Rede sein. Gerade ein Verzicht auf den Rückgriff auf die
anerkannten Think Tanks deutscher Außen- und Sicherheitspolitik bedeutet eine Vergeudung nicht genutzter
Ressourcen.
Wir möchten das Anliegen mitverfolgen. Wir möchten aber auch, dass die Mittel nicht einseitig zur Verfügung gestellt werden, sondern in das integrierte Berliner
Institut Wissenschaft und Politik einfließen, das sich ich wiederhole es gerne - als eine Form des Dualismus
darstellt, weil sich dort unter anderem Institutionen wie
die Stiftung Wissenschaft und Politik oder das Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien vereint haben.
Nur auf der Basis fundierter wissenschaftlicher
Grundlagen und der Nutzung eines möglichst breiten
Spektrums unterschiedlicher grundlagen- und anwendungsorientierter Forschungsansätze kann die Friedensund Konfliktforschung für die Politik bzw. die Politikberatung sinnvollen Nutzen erbringen.
Ich möchte vor allen Dingen darum bitten, dass wir
dann, wenn es geht, auch in den uns noch bevorstehenden Diskussionen gemeinsam darauf setzen, dass eine
der wesentlichen zukünftigen Aufgaben die gezielte
wissenschaftliche Nachwuchsförderung ist. Um eine
sinnvolle Politikberatung zu gewährleisten, werden
dringend Wissenschaftler benötigt, die über ein hohes
Maß an Kontakten und persönlichen Beziehungen verfügen. Nur durch eine systematische und durchdachte
Förderung unserer Doktoranden und Habilitanden besteht die Chance, angesichts der anstehenden sicherheitspolitischen Herausforderungen unseren nationalen
Interessen gerecht zu werden.
({7})
Mir macht es Sorge, dass in Deutschland ein krasses
Missverhältnis besteht zwischen der Förderung von Natur-, Technik- und Wirtschaftswissenschaften einerseits
sowie der praxisbezogenen politischen Forschung auf
der anderen Seite. Während die so genannten Realwissenschaften bekanntlich über eigene und große anwendungsorientierte Organisationen verfügen, haben die Politikwissenschaften dem quantitativ nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Insofern erkenne ich hier einen
Handlungsbedarf. Ich bitte einmal zu überlegen, ob es
sinnvoll wäre, gegebenenfalls die Gründung eines eigenen Dachverbandes für politikberatende Aktivitäten über die Friedens- und Konfliktforschung hinaus - zu
veranlassen.
Herr Kollege
Lensing, Sie sind schon weit über die Redezeit.
Frau Präsidentin, Sie
sind sicherlich damit einverstanden, wenn ich noch einen letzten Satz spreche.
Wenn er nicht so
lang ist wie der Letzte, ja.
Der von der
CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Antrag sieht eine ausgewogene Gesamtkonzeption vor, die einen Beitrag dazu leisten kann, Forschungsergebnisse der Friedens- und
Konfliktforschung in die praktische Politikberatung einfließen zu lassen.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen für die gerade bewiesene Geduld.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Zunächst kommen wir zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen zur Förderung der Friedensund Konfliktforschung, Drucksache 14/2419. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1963
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P. angenommen.
Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Gründung einer
Stiftung zur Friedens- und Konfliktforschung auf Drucksache 14/2519. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Antrag
ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
F.D.P.-Fraktion angenommen.
Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion der
CDU/CSU zur Stärkung der Friedens- und Konfliktforschung als Teil der politikberatenden Forschung auf
Drucksache 14/2521. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt,
Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Harmonisierung der gastgewerblichen
Mehrwertsteuersätze in der Europäischen
Union - Drucksachen 14/294, 14/1899 Berichterstattung:
Abgeordneter Dieter Grasedieck
Klaus-Peter Willsch
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der
CDU/CSU hat zunächst der Kollege Ernst Hinsken das
Wort.
({1})
Werte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue
mich zunächst, dass Frau Kollegin Hustedt und Frau
Kollegin Scheel da sind. So können Sie meinen Ausführungen lauschen, um daraus notwendige Konsequenzen
zu ziehen und uns zu unterstützen, wenn wir vernünftige
Vorschläge hier in den Deutschen Bundestag einbringen.
Meine Damen und Herren, gerade bei der Harmonisierung der gastgewerblichen Mehrwertsteuersätze in
der Europäischen Union zeigt sich wieder, dass bei dieser Bundesregierung Reden, Ankündigen und Handeln
weit auseinander liegen.
({0})
Ich erwähne ganz kurz, dass vor ungefähr einem Jahr
Bundeswirtschaftsminister Müller im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung der ITB - es waren viele Hoteliers und Gastwirte zugegen - lautstark gefordert hat,
dass die Mehrwertsteuersätze im Beherbergungsgewerbe
europaweit harmonisiert werden sollten. Er wollte sich
nachhaltig dafür einsetzen, dass diese in der Bundesrepublik Deutschland halbiert werden.
({1})
Zwischenzeitlich hat sogar die Europäische Union die
Hand ausgestreckt und gesagt, man sei bereit, den einzelnen Staatsregierungen die Möglichkeit zu eröffnen,
im Dienstleistungsbereich die Mehrwertsteuersätze zu
senken oder sonstige Regelungen vorzunehmen, die dem
genannten Problem Rechnung tragen.
({2})
Ich frage: Was hat denn Bundesfinanzminister Eichel
- im Gegensatz zu Herrn Bundesminister Müller - getan?
({3})
Er höchstpersönlich hat es vereitelt, dass das Gaststättengewerbe in der Bundesrepublik Deutschland in Zukunft nur noch den halben Steuersatz bezahlen muss.
Das zeigt für mich, dass in dieser Bundesregierung Müller „Hü!“ und Eichel „Hott!“ rufen können. Wir alle
wissen zu guter Letzt nicht, was das Ganze bedeuten
soll. Niemand weiß, wo es langgeht.
({4})
Ich weiß sehr wohl, meine Damen und Herren, dass
insbesondere auch Kolleginnen und Kollegen aus der
SPD-Fraktion, die ebenso in diese Richtung gedacht haben, immer wieder den Kollegen Brähmig, aber auch
mich und den Kollegen Burgbacher gebeten haben, ihnen ein bisschen Zeit zu lassen, weil die Vernunft ja
wachsen könne und man es doch in die richtige Richtung bringen könne. Aber das Warten hat sich unsererseits nicht gelohnt. Die Mehrheit hat ja im Parlament das
Sagen. Man hat dieses Vorhaben im Ausschuss und auch
schon bei der Einbringung zunichte gemacht. Damals
hat Frau Hendricks eine andere Meinung vertreten als
ihre Kollegen im Bundeskabinett, Herr Mosdorf und
Herr Müller, den ich vorhin schon genannt habe.
({5})
Das heißt für mich: Wettbewerbsverzerrungen sind
innerhalb der Europäischen Union im Bereich des Hotelund Gaststättengewerbes nach wie vor gegeben.
({6})
Niemand kann doch von der Hand weisen, dass wir alles
unternehmen müssen, um den Tourismusstandort
Bundesrepublik Deutschland zu stärken.
({7})
Wir können keine Sonne importieren; aber wir können
den Urlaub vergünstigen. Das können in erster Linie Sie
gewährleisten.
({8})
- Wenn Sie von der SPD das Stichwort „Straubing“
einwerfen, dann sage ich Ihnen, dass das eine Urlaubsregion ohnegleichen ist. Dort ist Deutschland mit am
schönsten. Man ist in Straubing übrigens auch bereit,
tüchtige Sozialdemokraten zu beherbergen und Ihnen zu
einem schönem, erlebnisreichen Urlaub zu verhelfen.
Vizepräsidentin Petra Bläss
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben derzeit weltweit
650 Millionen touristische Ankünfte. Bis zum Jahr 2020
wird eine Verdreifachung auf fast 2 Milliarden erwartet.
Kollege Brähmig weist zu Recht immer darauf hin, dass
es sich beim Tourismus um eine Leitökonomie der Zukunft handelt.
({10})
Bis zum Jahr 2010 - das ist auch wissenschaftlich begründet - dürften in der EU 2,2 bis 3,3 Millionen neue
Arbeitsplätze in diesem Bereich entstehen. Deutschland
wird, wenn vernünftige Rahmenbedingungen geschaffen
werden, mit zirka 400 000 bis 450 000 Arbeitsplätzen
dabei sein. Das heißt, die Bundesregierung und wir alle
sind gefordert, vernünftige Rahmenbedingungen zu
schaffen, damit wir von diesem Kuchen - es geht immerhin um eine Leitökonomie der Zukunft - etwas abbekommen. Es wird aber nur dann vermehrt Urlaub in
Deutschland gemacht werden, wenn es finanziell einigermaßen interessant ist.
Mit den Maßnahmen, die Sie, meine Damen und Herren, von den Regierungsfraktionen in den letzten Monaten ergriffen haben, ist dies jedoch nicht zu erreichen.
Neben der Nichteinführung der Halbierung des Mehrwertsteuersatzes denke ich vor allen Dingen an jene
Maßnahmen, die die Gastronomie nicht entlasten, sondern belasten. Damit bewirken Sie genau das Gegenteil.
Ich wiederhole: Die Rahmenbedingungen für die Gastronomie, für das Hotel- und Gaststättengewerbe,
müssen insgesamt stimmen.
Aber es gab zuletzt eine zusätzliche Belastung nach
der anderen. Das 630-DM-Gesetz belastet insbesondere
das gastronomische Gewerbe.
({11})
Darüber hinaus belastet die Ökosteuer einen Betrieb mit
50 Betten mit zirka 20 000 DM zusätzlich. Ferner wurde
die Mineralölsteuer erhöht. Mit dem Auto in den Urlaub
nach Deutschland zu fahren, wird also auch verteuert.
Der Gastronomiebetrieb ist ebenfalls betroffen. Darüber
hinaus haben Sie beim Lohnfortzahlungsgesetz wieder
den alten Zustand herbeigeführt. Sie haben die Lohnfortzahlung wieder auf 100 Prozent hochgeschraubt.
({12})
- Nein, Herr Kollege Kubatschka, ich bin hier völlig anderer Meinung. Gehen Sie einmal zu betroffenen Unternehmen; dann wird Ihnen etwas anderes gesagt.
Schließlich haben Sie die volle Besteuerung bei der
Betriebsveräußerung zu verantworten. Frau Kollegin
Hendricks, ich schätze Sie ja als Staatssekretärin sehr
und weiß auch, dass Sie viel von Finanzpolitik verstehen. Aber hier haben Sie einen Schritt in die falsche
Richtung getan. Deshalb bitte ich Sie, darum besorgt zu
sein, dass dies möglichst bald wieder korrigiert wird.
Herr Kollege Hinsken, Sie müssen zum Schluss kommen.
Als Letztes: Auch die
enorme Bürokratie - Sie haben sie nicht abgebaut, sondern vergrößert - macht unserer Gastronomie zu schaffen. Deshalb die herzliche Bitte an Sie alle, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Sehen wir die Probleme der Gastronomie und leisten wir unseren Beitrag,
dass die Wettbewerbsbedingungen nicht verschlechtert,
sondern verbessert werden! Das Hotel- und Gaststättengewerbe braucht das dringend.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Nächster Redner ist
der Kollege Horst Schild für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Verehrter Herr Kollege Hinsken,
Ihr Anliegen, steuerliche Belastungen zu senken und
Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, ist durchaus
ehrenwert. Wir befinden uns da zurzeit in einem edlen
Wettstreit. Die Frage ist nur, welchen Weg man beschreitet.
Wir müssen uns auf jeden Fall davor hüten, überzogenen
Forderungen einzelner Branchen Rechnung zu tragen,
({0})
weil sie letztlich neue Wettbewerbsverzerrungen in
den verschiedenen Wirtschaftsbereichen zur Folge haben.
({1})
Jetzt geht es um ermäßigte Mehrwertsteuersätze für
das Gastgewerbe. Beim nächsten Tagesordnungspunkt
geht es um ermäßigte Mehrwertsteuersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen. Im Übrigen hat die Europäische Kommission - man muss zu Recht darauf hinweisen - nur den Bereich des Gastgewerbes geöffnet.
({2})
Die Frage ist nur, ob man dadurch nicht wieder neue
Probleme schafft. Wir haben schon über die immensen
Abgrenzungsprobleme diskutiert.
Damit wäre die Liste aber nicht zu Ende. Morgen
steht das Handwerk und übermorgen steht das Baugewerbe auf der Tagesordnung. Wo ist eigentlich ein sinnvolles Abgrenzungskriterium, wenn man willkürlich jeErnst Hinsken
weils einen Wirtschaftsbereich herausgreift, dem man
sozusagen aus einer aktuellen Situation heraus helfen
will?
({3})
Viele Argumente sind bei der Einbringung schon
ausgetauscht worden. Wir haben gesagt, dass wir aus finanzpolitischer Sicht, aus Gründen der Steuersystematik
und der Gleichbehandlung unterschiedlicher Wirtschaftsbereiche, aber letztlich auch aus haushaltswirtschaftlichen Gründen Ihrem Antrag nicht folgen können.
Sie gehen davon aus, dass sich eine Senkung der
Mehrwertsteuersätze mittelfristig durch Umsatzsteigerungen wieder ausgleichen würde. Selbst wenn man
einmal unterstellt, dass diese Senkung Umsatzsteigerungen zur Folge hat, muss man doch sagen, dass die Ihrem
Antrag zugrunde liegenden Annahmen deutlich überzogen sind.
({4})
Es ist auch schon häufig genug gesagt worden, dass sich
die Steuermindereinnahmen im Gast- und Hotelgewerbe auf 5 Milliarden DM summieren würden.
Nun ist es ja nicht so, dass wir nicht auch die mittelständische Wirtschaft - dazu gehört auch dieser Bereich
- deutlich entlasten wollen. Aber die Möglichkeiten, die
es in der Vergangenheit gegeben hätte, diesem Antrag
Rechnung zu tragen, sind seit 1993 nicht mehr gegeben.
Sie selbst haben den Zug verpasst.
({5})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Äußerung
Ihres damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs, der
1997 ermäßigte Umsatzsteuersätze für das Beherbergungsgewerbe aus steuersystematischen Gründen, aber
auch aus haushaltswirtschaftlichen Gründen abgelehnt
hat.
Herr Kollege Schild,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Schild,
sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Bundesrepublik Deutschland in der ersten Hälfte des Jahres
1999 die EU-Ratspräsidentschaft besaß und dass sie damit die Möglichkeit hatte, darauf Einfluss zu nehmen,
dass es in diesem Bereich endlich zu einer Harmonisierung kommt? Das ist aber versäumt worden.
Zudem hatte der damalige Präsident der Europäischen
Kommission, Santer, gesagt, er sei durchaus bereit, in
den einzelnen Ländern eine Mehrwertsteuersenkung zuzulassen. Aber man hat diese Chance nicht ergriffen.
Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass es in diesem Bereich in Frankreich einen Mehrwertsteuersatz
von 5,5 Prozent, in der Schweiz von 3 Prozent und in
Österreich von 10 Prozent gibt. Aber in der Bundesrepublik Deutschland beträgt der Mehrwertsteuersatz
16 Prozent. Das ist eine Benachteiligung. Geben Sie mir
Recht, wenn ich sage, dass diese Benachteiligung beseitigt werden muss?
({0})
Herr Kollege Hinsken, niemand
in diesem Hause - auch wir nicht - bestreitet, dass die
Umsatzsteuersätze in dem angesprochenen Bereich innerhalb der Europäischen Union unterschiedlich sind.
Ich erinnere daran, dass die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Hendricks bei der Einbringung durchaus
darauf hingewiesen hat, dass Bemühungen unternommen werden müssen, um zu einer Angleichung zu kommen. Wenn ich mich recht erinnere, hat sie damals aber
auch gesagt, dass es während der kurz bemessenen Zeit
der deutschen Ratspräsidentschaft natürlich auch andere
bedeutsame Probleme zu lösen galt. Sie hat gleichermaßen darauf hingewiesen - diesen Punkt will ich gern
wiederholen -, dass wir uns nicht zu große Hoffnungen
machen dürfen.
({0})
- Ja, aber Sie wissen doch, dass sich die damalige genauso wie die jetzige Regierung vehement darum bemüht haben - um nur ein Beispiel zu nennen -, in der
Frage der Besteuerung von Zinserträgen zu einer Harmonisierung zu kommen.
Sie wissen alle, wie schwierig es ist, in solchen Fragen
zu einer Übereinkunft unter den europäischen Partnern
zu kommen. Die Bundesregierung hat hier bei der Einbringung gesagt, sie werde sich weiterhin dafür einsetzen. Ich gehe davon aus, dass dieses Wort gilt.
({1})
Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist eine
Unternehmensteuerreform, die alle mittelständischen
Betriebe entlastet. Und diese Vorschläge liegen auf dem
Tisch. Sie werden in Bälde in diesem Haus beraten und
auch verabschiedet.
({2})
Diese Unternehmensteuerreform wird für den Mittelstand weitere Entlastungen in einer Größenordnung
von 12 Milliarden DM bringen.
({3})
Davon sind auch das Gastgewerbe und das Hotelgewerbe betroffen.
Eines möchte ich noch kurz ansprechen, Herr Kollege
Hinsken, weil Sie auf Belastungen durch die Ökosteuer
verwiesen haben: Für das arbeitsintensive Gastgewerbe
ist die Frage der Lohnnebenkosten sicherlich von zentraler Bedeutung. Sie haben 16 Jahre lang in diesem Bereich nichts getan. Sie werden nicht bestreiten können,
dass auch bei Belastung durch die Ökosteuer durch die
Senkung der Lohnnebenkosten in diesen arbeitsintensiven Betrieben eine erhebliche Entlastung erfolgt ist.
({4})
- Nein, das ist eindeutig eine Entlastung. Wenn diese
Betriebe natürlich keine sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigten haben, dann ist das eine andere Geschichte. Uns geht es darum, durch die Senkung der Lohnnebenkosten personalintensiven Betrieben mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eine Entlastung zukommen zu lassen.
({5})
Und das geschieht in diesen Bereichen.
({6})
Meine Damen und Herren, wir werden den von uns
eingeschlagenen Weg weiterhin beschreiten. Wir werden den gesamten Mittelstand entlasten und damit auch
die von Ihnen angesprochenen Wirtschaftsbereiche,
({7})
unabhängig von dem Bemühen der Bundesregierung, zu
einer Harmonisierung der Mehrwertsteuersätze zu
kommen. Aber dem Anliegen, von den vielfältigen
Wirtschaftsbereichen isoliert nur diesen einen Bereich
zu bevorzugen, werden wir nicht Rechnung tragen.
({8})
Es spricht jetzt der
Kollege Ernst Burgbacher für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Schild, das Problem besteht genau darin, dass Sie Ihren
eingeschlagenen Weg weiter verfolgen wollen und nicht
zur Umkehr bereit sind.
({0})
Das Problem besteht auch darin, dass Sie die Beschäftigten in der Tourismuswirtschaft heute mit Worten trösten
wie „ehrenwert“ und „edler Wettstreit“. Sie sagen, Frau
Staatssekretärin Hendricks habe angekündigt, Bemühungen zu unternehmen. Nur, das reicht eben nicht. Ich
habe in dieser Woche in einer bekannten Fachzeitschrift
gelesen, dass eine Vertreterin des Bundeswirtschaftsministeriums gesagt hat, dass noch kein Bundeswirtschaftsminister im ersten Amtsjahr so häufig zu touristischen Themen Stellung bezogen habe wie Werner Müller. Das ist das Problem: Es wird Stellung bezogen und
angekündigt, aber nachher wird das Gegenteil gemacht.
({1})
Herr Kollege Burgbacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber bitte, Kollege
Brähmig!
Lieber Kollege Burgbacher, sind Sie mit mir der Meinung, dass man dieses
wichtige Thema für die Sicherung von Arbeitsplätzen in
der Bundesrepublik Deutschland nicht in einer Debatte
um 23 Uhr, sondern möglichst um 9 oder 10 Uhr früh
behandeln sollte? Sind Sie mit mir des Weiteren der
Meinung, dass man dieses ganz konkrete Problem der
Harmonisierung der Mehrwertsteuer nicht fiskalisch lösen kann, wie das leider im Finanzministerium versucht
wird, sondern nur gesamtwirtschaftlich?
Lieber Herr Kollege
Brähmig, ich stimme Ihnen im ersten Teil zu. Das gilt
übrigens nicht nur für diese heutige Debatte: Der Bereich des Tourismus wird in der Parlamentsarbeit meiner
Ansicht nach nicht ernst genug genommen.
({0})
Ich sage auch, dass ich den Wirtschaftsminister bei allen
Debatten, die wir hier zu diesem Thema geführt haben,
höchstens einmal gesehen habe.
Das Zweite - das ist richtig und das ist der Kern - ist:
Wir müssen hier mit anderen Maßnahmen herangehen.
Ich will das noch einmal an einem Beispiel erklären.
Herr Kollege Schild, Sie haben von Wettbewerbsverzerrungen geredet. Ich komme aus einem Gebiet, liebe Frau
Kollegin Scheel, wo man durchaus über die Grenze zum
Friseur geht. Das ist dort gar nicht unüblich.
Herr Kollege Burgbacher, es gibt eine weitere Frage der Kollegin Hustedt.
Aber bitte schön.
Glauben Sie nicht, dass es ein bisschen verlogen ist, über die Anwesenheit des Wirtschaftsministers zu reden,
da doch die Anwesenheit Ihrer Fraktion belegt, dass Ihre
Fraktion in keinster Weise an dem Thema interessiert
ist? Sehen Sie einmal auf unsere Seite des Hauses. Zumindest gibt es hier ein Interesse.
({0})
Vielleicht ist der
Grund, dass wir diese Debatte immer zu so später Zeit
führen. Ich glaube aber, dass wir das Geplänkel lassen
sollten und zum Inhalt kommen sollten.
({0})
Wir sollten zum Inhalt kommen. Das ist mir sehr ernst.
Hier geht es um ein großes Potenzial, denn Experten
schätzen, dass 400 000 bis 500 000 neue Arbeitsplätze
betroffen sind. Es ist ein Potenzial, das im Augenblick
nicht annähernd ausgeschöpft wird.
({1})
Lassen Sie mich noch einmal zu dem Vergleich
kommen. Im Schwarzwald sagen die Hoteliers im
Grenzbereich, dass für den einzelnen Urlaubsreisenden
der Preisunterschied keine große Rolle spielt. Aber für
den Geschäftsreisenden oder den Organisator von Busreisen spielt es sehr wohl eine Rolle, ob er in Kehl für
ein Zimmer, das 100 Euro kostet, 116 Euro zahlt und in
Frankreich 105,50 Euro oder ob er in Maastricht 103
und in Aachen 116 Euro zahlt. Das, Herr Kollege
Schild, ist die Wettbewerbsverzerrung, die wir ansprechen müssen.
({2})
Sie müssen begreifen, dass sich die Zeit verändert
hat. Wir leben zunehmend in einer Dienstleistungsgesellschaft. Hier müssen wir bereit sein, über Schatten zu
springen. Wir müssen bereit sein, in manchen Bereichen
umzudenken.
({3})
Ich möchte noch etwas anderes sagen. Ich habe das
Gefühl, dass viele das nicht begriffen haben oder nicht
begreifen wollen: Wir haben den Euro. Ich sage: Zum
Glück haben wir den Euro. Wir Liberale waren immer
vorbehaltlos dafür. Wir waren auch dafür, dass der
Wettbewerb durch den Euro hergestellt wird. Allerdings
hatten die Franzosen -
Herr Kollege Burgbacher.
- darf ich noch diesen
Satz beenden? - Angst vor der starken D-Mark. Man hat
nicht gewechselt. Man wusste nicht, wie sich der Wechselkurs entwickelt. Das ist weg. Deshalb sind die Leute
bereit, über die Grenze zu gehen. Deshalb vergleicht der
Organisator von Reiseveranstaltungen heute die Kosten
in Kehl, in Straßburg, in Aachen und in Maastrich. Das
müssen wir begreifen. Darauf müssen wir in diesem Parlament reagieren.
({0})
Bitte schön, Frau Kollegin Roth.
Herr Kollege Burgbacher, Sie haben zweimal die Reiseveranstalter genannt;
das sind Unternehmer. Für Unternehmen ist die Mehrwertsteuer aber ein reiner Durchlaufposten. Stimmen Sie
mir da zu?
({0})
Ich bin überhaupt nicht
sprachlos. Ich sage Ihnen: Reden Sie mit den Betroffenen! Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen aus diesem Bereich. Reden Sie mit ihnen, wie unterschiedlich
die Konkurrenzsituation ist! Gehen Sie zu den Hoteliers
am Rhein, angefangen in Basel und dann flussabwärts.
Reden Sie mit denen und lassen Sie sich erklären, wie
unterschiedlich die Wettbewerbsbedingungen sind und
wie sich das seit der Einführung des Euro auf dem
Markt auswirkt. Das hat sich vorher tatsächlich nicht
ausgewirkt.
Lassen Sie mich noch zu zwei anderen Punkten
kommen. Es wurde mehrfach die Ökosteuer angesprochen. Meine Damen und Herren, hören Sie mit dem
Märchen auf, in der Tourismuswirtschaft würden die
Betriebe entlastet. Genau die sind es nicht. Wir haben
hier noch die schöne Situation von vielen Familienbetrieben. Genau die werden belastet und nicht entlastet.
Das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen.
({0})
Ein zweiter Punkt. Ich bin es wirklich langsam leid,
({1})
in der Tourismusdiskussion die Ankündigungen des
Wirtschaftsministers und seines Staatssekretärs zu hören. Das Ergebnis ist nur ist heiße Luft. Es folgt überhaupt nichts.
Es ist richtig, dass Herr Müller hier Stellung genommen
hat, aber sagen Sie mir eine einzige Maßnahme, die bisher konkret zur Förderung des Tourismus durchgeführt
wurde.
({2})
- Sie haben bald Gelegenheit dazu, liebe Bruni Irber. Ich
hoffe, dass wir da vielleicht einen Schritt weiterkommen.
Es gibt einen anderen Punkt, den die SPD vor der
Wahl versprochen hat. Auch der Bundeskanzler hat es
vor der Wahl versprochen; ich kann Ihnen das Datum
nennen. Es geht um eine Sache, die für unsere Dienstleistungsgesellschaft sehr wichtig ist: die Abschaffung
der Trinkgeldbesteuerung. Ich bin gespannt, ob Sie da
wieder mauern.
Ich bin gespannt, wie lange Sie das Spiel weitermachen, bis die Tourismuswirtschaft es nicht mehr erträgt,
nämlich nur Ankündigungen und Versprechungen zu
machen und dann vor den Finanzpolitikern zu kuschen.
Ich sage: Das ist die falsche Politik. Sie können die
Branche nicht weiter so belasten. Es geht um die Arbeitsplätze. Wir dürfen den Jobmotor Tourismus nicht
abwürgen. Wir müssen ihn endlich anwerfen und dazu
müssen wir die richtige Politik machen.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Hinsken, Ihr Hinweis auf die Möglichkeit anderer EULänder, im Zusammenhang mit aktuellen Diskussionen
Mehrwertsteuersätze im unteren Umfang nutzen zu können, bezieht sich - Herr Kollege Schild hat es bereits
angedeutet - auf den Dienstleistungsbereich und dort
wiederum nur auf einen ganz, ganz begrenzten Bereich,
und das auch nur als Pilotvorhaben, wozu ein Antrag
verschiedener Länder vorliegt, der in der EUKommission übrigens noch einstimmig genehmigt werden muss. Da geht es um Schusterbetriebe, also Einzelpersonen, die Reparaturarbeiten durchführen,
({0})
und zwar regional ganz begrenzt
({1})
und nicht so, wie Sie es hier versucht haben darzustellen, als ob in allen möglichen Bereichen plötzlich Probleme bei uns auftauchen würden, weil einige EUMitgliedstaaten die Mehrwertsteuersätze für Einzelne
nach unten setzen. So ist es nicht.
({2})
Es war ein ganz zentrales Anliegen der Bundesregierung, natürlich auch der Koalitionsfraktionen, dass wir
gesagt haben: Das Hauptproblem, wenn man schon über
Wettbewerbsverzerrungen redet, ist die Frage des Verhaltenskodexes. Dies ist unter der deutschen Ratspräsidentschaft wahrlich sehr weit nach vorne gebracht worden. Das ist das, was letztendlich für die deutsche Wirtschaft wesentlich ist, und nicht die Frage, ob man hier
eine neue Ausnahmegenehmigung schafft.
({3})
- Sofort, Herr Hinsken
Ein weiterer Punkt betrifft die Attraktivität bestimmter Regionen für den Tourismus. Ob jemand nach Oberbayern oder nach Straubing zum Urlaubmachen fährt,
liegt doch mit Sicherheit nicht darin begründet, wie hoch
die Mehrwertsteuersätze sind, sondern ob das eine
schöne Gegend ist, ob das Hotel ansprechend ist und ob
es bestimmte Dienstleistungen gibt, die für die Freizeitgestaltung der Leute attraktiv sind. Das ist doch der
Grund, warum ich irgendwohin in Urlaub fahre.
({4})
Da schaut doch kein Mensch darauf, ob die Mehrwertsteuersätze bei 16 Prozent oder irgendwo anders
liegen.
Bitte schön.
Frau Kollegin Scheel,
ich habe mich gemeldet, weil das, was Sie eben gesagt
haben, einfach nicht stimmt. Ich habe mich einzig und
allein auf die Mehrwertsteuersätze im Beherbergungsgewerbe bezogen. Ich habe ausdrücklich nochmals gesagt, dass in ganz Frankreich der Mehrwertsteuersatz bei
nur 5,5 Prozent und bei uns bei 16 Prozent liegt.
Sie müssen deshalb doch sicherlich meine Meinung
teilen, dass es für eine vierköpfige Hamburger Familie,
die zum Beispiel den Urlaub in Oberbayern verbringt
und 1 000 DM Übernachtungskosten zahlen muss, ein
Unterschied ist, ob sie den niedrigen Mehrwertsteuersatz, zum Beispiel 70 DM, oder den vollen Satz von
16 Prozent, also 160 DM, bezahlen muss.
Das wäre für mich eine Politik für den kleinen Mann.
Denn nicht jeder kann es sich leisten, seinen Urlaubsort
nur nach der Schönheit der Landschaft auszusuchen und,
wie Sie es können, nicht auf das Geld zu achten.
({0})
Herr Hinsken, ich kann sehr gut nachvollziehen, dass
Sie sich jetzt, da Sie in der Opposition sind, in diesem
Punkt nach vorne wagen. Ich wundere mich nur ein
bisschen darüber, weil unser verehrter Kollege und ehemaliger Finanzminister Waigel, der ja auch aus Bayern kommt, in diesem Punkt nichts, aber auch gar nichts
unternommen hat, und zwar aus ganz bestimmten Gründen. Denn wenn man das Argument anführt, dass im
grenznahen Bereich in bestimmten Zusammenhängen
niedrigere Steuersätze, in diesem Fall Mehrwertsteuersätze, im Gastgewerbe vorliegen, muss man sich, wenn
man das konsequent weiterdenkt, auch all das anschauen, was es im grenznahen Bereich, in Tschechien,
Frankreich und überall um die Bundesrepublik Deutschland herum und sogar darüber hinaus - denn manchmal
durchqueren die Leute ja ein Land - an Steuerbelastungen gibt.
Dann spielt zum Beispiel auch die Diskussion, die
wir gestern zum Thema Ökosteuer hatten, bei diesem
Thema eine Rolle, denn ein großer Teil der umliegenden
Staaten hat beispielsweise eine wesentlich höhere Mineralölsteuer als wir. Es gibt auch andere Bereiche, auf
die das zutrifft, zum Beispiel die Lohnsteuer. Wenn man
all das herauspicken würde, dann würden wir in der
Bundesrepublik ein Steuerdumping betreiben, dass es
nur so knallt. So geht es nicht. Aus diesem Grunde bleiben wir in unserer Systematik.
({0})
Wenn wir schon bei der Ökosteuer sind, möchte ich,
weil Sie das angesprochen haben, noch ein Wort zu den
Belastungen im Hotel- und Gaststättengewerbe sagen.
Ich kenne ein Unternehmen in Unterfranken - es gibt
auch andere Unternehmen dieser Art, auch in Bayern -,
das Solaranlagen produziert und montiert, das sehr viele
Aufträge zum Beispiel in Österreich und in der Schweiz
hat. Wenn ein Hotelgewerbe das Interesse hat, gerade
bei Neubauten im gastgewerblichen Bereich, Solaranlagen zu montieren, ergibt sich bei ihm natürlich eine
ganz andere Bilanz hinsichtlich des Energieverbrauchs
als bei denjenigen, die Sie angesprochen haben und die
im Einzelfall auf ökologische Komponenten nicht zurückgegriffen haben. Das ist übrigens auch ein Anreiz
für die Schaffung von Arbeitsplätzen, weil man gerade
in diesem Zusammenhang, beispielsweise wenn
Schwimmbäder vorhanden sind, auf Solaranlagen zurückgreift. Das ist das, was diese Regierung im Prinzip
insgesamt verfolgt.
({1})
Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass der
Vorschlag, der jetzt kommt, immer so angesehen wird,
als ob wir eine Not leidende Branche des Gaststättenund Beherbergungsgewerbes in Deutschland hätten.
Auch davon kann keine Rede sein. Zum einen ist es so diese Fakten sind die Ergebnisse der Untersuchungen -,
dass in Deutschland zirka die Hälfte des so genannten
Deutschland-Tourismus auf Geschäftsreisende entfällt,
die wohl nicht gerade zur zahlungsunfähigsten Gruppe
der Gesellschaft gehören. Zum anderen waren beispielsweise nach Aussage des deutschen Tourismusverbandes im deutschen Tourismusgeschäft in den ersten
zehn Monaten des Jahres 1999 durchaus Zuwächse zu
verzeichnen.
({2})
Kollegin Scheel, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Gerne.
({0})
- Doch, gerne.
Kolleginnen und
Kollegen, mit Blick auf die Uhr möchte ich dann von
weiteren Zwischenfragen abraten.
Ich gebe mir Mühe,
ganz kurz zu fragen.
Erstens würde mich interessieren, woher Sie die Zahlen haben, verehrte Kollegin Scheel, dass die Tourismusbranche und vor allem die Hotellerie - Sie haben
das ja zu Protokoll gegeben - nicht Not leidend ist. Ich
habe da ganz andere Zahlen, die das Gegenteil belegen.
Diese Branche ist in ganz besonderem Maße von den
Belastungen und nicht von den Entlastungen betroffen.
Da werden auch die sozialdemokratischen Kollegen und
sogar die Kollegin Voß, wenn sie hier wäre, nicht widersprechen.
Zweitens würde mich interessieren, woher Sie die anderen Zahlen haben, die Sie heute Abend gebracht haben. Sie können weder vom Statistischen Bundesamt
noch von irgendeinem Landesamt sein. Mich würde
wirklich interessieren, wer Ihnen diese Zahlen aufgeschrieben hat.
Herr Kollege, zum Ersten muss ich feststellen: Ich bin in
der Lage, mir die entsprechenden Zahlen selber aufzuschreiben. - Das nur als Vorbemerkung.
({0})
Zum Zweiten muss ich Ihnen sagen: Diese Zahlen
stammen von Jürgen Linde, vom Vorsitzenden des deutschen Tourismusverbands, der auf einer Tagung im Vorfeld der Tourismusmesse CMT, die übrigens vom 15.
bis zum 23. Januar dieses Jahres in Stuttgart stattfindet,
({1})
gesagt hat, dass in den ersten 10 Monaten des Vorjahres
5,3 Prozent mehr Touristen nach Deutschland gekommen seien als 1998.
({2})
Damit hätten 87,8 Millionen Menschen Deutschland
1999 bereist. Gleichzeitig sei bundesweit die Zahl der
Übernachtungen um 4,4 Prozent auf 271,5 Millionen gestiegen. Ich denke, das ist sehr aussagekräftig - das ist
immerhin die Aussage des Vorsitzenden des Tourismusverbandes; dem glaube ich - und keine nur von uns vorgenommene Interpretation.
({3})
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen und Ihnen in Erinnerung rufen, dass wir in der Unternehmensteuerreform einen Hebel für eine bessere
wirtschaftliche Entwicklung sehen und nicht in der
Schaffung neuer branchenbezogener Mehrwertsteuersätze. Wir haben auch im Einkommensteuerbereich niedrige Steuersätze vorgelegt. Dadurch wird selbstverständlich auch diese Branche entlastet. Die jetzige Bundesregierung ist es doch - auch das sollte einmal betont werden -, die erstmals politisch und auch fachlich in der
Lage war, die Lohnnebenkosten zu senken. Dadurch
wurde die Mehrbelastung im Tourismusgewerbe gesenkt. Das ist durch die Leistung der jetzigen Bundesregierung zustande gekommen.
({4})
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Heidemarie Ehlert für die PDS-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zusätzlich zu den
Zahlen, die Frau Scheel genannt hat, gab es gestern in
der „Berliner Morgenpost“ unter der Überschrift „Hitparade der Berliner Hotellerie“ eine Veröffentlichung über
die Umsätze der Top Ten der Berliner Hotels für 1999.
Trotz der noch immer geringen Bettenauslastung im
Vergleich zu 1991 - da lag sie noch bei 60 Prozent; jetzt
beträgt sie 47 Prozent - sind die Umsätze nicht nur bei
den großen Hotels, sondern auch bei den kleineren gestiegen - und das bei einem Mehrwertsteuersatz von
16 Prozent. Sicher, Berlin boomt und ist deshalb nicht
unbedingt vergleichbar mit anderen Gegenden. Auf jeden Fall aber schrecken die sehr hohen Übernachtungspreise weder die Touristen noch die Geschäftsreisenden
davon ab, in Berlin zu nächtigen.
Ausgangspunkt des Antrages der CDU/CSU-Fraktion
ist die Wettbewerbssituation des Hotel- und Gaststättengewerbes in Deutschland im Zuge der Globalisierung.
Das deutsche Gastgewerbe sei insbesondere im Vergleich zu den anderen EU-Mitgliedstaaten durch die
Anwendung des vollen Umsatzsteuersatzes gravierend
benachteiligt.
Nun weiß ich aber aus eigener Erfahrung, dass die
Preise in unseren Nachbarländern, die Sie in dem Antrag
anführen, zum Beispiel die in Österreich, kaum unter
den Preisen der Bundesrepublik liegen. Meist sind die
Übernachtungskosten sogar höher.
Deutschland ist ein weitgehend preiswertes, aber kein
billiges Reiseland. Es ist jedoch ein Reiseland voll landschaftlicher Schönheiten und kultureller Schätze und,
wie die Zahlen belegen, eine Reise wert. Entgegen aller
Unkenrufe gibt es generell einen Aufwärtstrend im Hotelgewerbe. Der soeben schon einmal zitierte Präsident
des deutschen Tourismusverbandes sagte, dass die Gästezahlen seit den letzten fünf Jahren kontinuierlich steigen und dass es bei den Übernachtungszahlen in nahezu
alle Bundesländern ein Plus gibt, allein in den ersten
zehn Monaten des vergangenen Jahres ein Plus von
4,4 Prozent. Thüringen konnte dank Goethe sogar einen
Zuwachs von 12,1 Prozent verzeichnen. Die Umsatzsteuer ist zwar ein Faktor, der preisbestimmend wirkt,
aber nur in den wenigsten Fällen ausschlaggebend ist für
die Entscheidung, wo jemand Urlaub macht.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Probleme; das will ich nicht verheimlichen.
In meiner Heimatstadt ist die Zahl der Übernachtungen
von 1993 bis 1999 um 100 000 gesunken. Parallel dazu
aber stieg die Zahl der angebotenen Betten auf das Dreifache. Das heißt: Es wurde am Bedarf vorbeigebaut, um
Fördermittel abzufassen. Die Goldgräberzeiten sind vorüber, und jetzt rufen Sie nach einer Senkung der Mehrwertsteuersätze im Interesse der Lobbyisten.
Sicher, es ist notwendig, im Rahmen der EU über eine weitere Harmonisierung der Steuern nachzudenken.
Die Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes
im Beherbergungsgewerbe wäre aber schon längst möglich gewesen. Oder haben Sie die 6. EU-Richtlinie des
Anhangs nicht gelesen? Meine Damen und Herren von
der CDU, Sie haben Ihre Chancen vertan. Sie hätten sie
nutzen können.
({0})
Selbstverständlich könnten wir einer Erhöhung des
Freibetrages für freiwillige Trinkgelder - das haben Sie
noch in Ihren Antrag aufgenommen - zustimmen. Plötzlich aber schwenken Sie um: Das Gastgewerbe soll bevorteilt werden und zwischen den Berufen sollen Unterschiede gemacht werden. Erklären Sie mir doch bitte
einmal den Unterschied zwischen einer Kellnerin und einer Friseuse! Wenn die Letztere nicht qualifiziert ist,
dann möchte ich einmal manche Köpfe in diesem Raum
sehen. Wenn, dann müsste diese Frage durchgängig neu
geregelt werden. Wir aber plädieren für eine Anhebung
der bisherigen Niedriglöhne in diesem Dienstleistungsbereich, also für gesicherte Einkünfte der Beschäftigten
statt steuerfreie Trinkgeldgeschenke.
({1})
Es spricht jetzt der
Kollege Thomas Dörflinger, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will die Arbeitslosigkeit deutlich senken; daran will ich mich messen lassen. Mit diesem einen von vielen mehr oder weniger denkwürdigen
Sätzen hat sich Bundeskanzler Schröder vernehmen lassen. Das aber, was bis heute in Sachen Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit festzustellen ist, verdanken wir
einzig und allein der Tatsache, dass mehr Personen aus
dem Erwerbsleben ausgeschieden sind als neue hinzukommen. Das ist also Resultat der Bevölkerungsentwicklung, nicht Resultat der Politik der Bundesregierung.
In den Leitlinien der Europäischen Kommission zur
Beschäftigungspolitik steht - diese haben wir gestern im
Ausschuss beraten -, dass der Anteil des Dienstleistungssektors am Arbeitsmarkt in Deutschland im Vergleich zur EU und erst recht im Vergleich zu den USA
unterentwickelt ist.
({0})
Genau diese Tatsache hat die Unionsfraktion zum Anlass genommen, einen Schritt in die richtige Richtung
vorzuschlagen,
({1})
nämlich eine Harmonisierung der gastgewerblichen
Mehrwertsteuersätze in der EU und in der Übergangszeit
einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz in Höhe von
7 Prozent.
Worum geht es? Betrachten wir einmal die Situation
beispielsweise in Baden-Württemberg mit der speziellen
Grenzsituation. Für deutsche Beherbergungsbetriebe beträgt die Mehrwertsteuer 16 Prozent, im benachbarten
Österreich 10 Prozent, in Frankreich 5,5 Prozent und in
der Schweiz sogar nur 3 Prozent.
({2})
Dazu muss man wissen, dass die Schweiz den Mehrwertsteuersatz im Beherbergungsgewerbe aus Gründen
des Wettbewerbs, vor allem aber aus Gründen des Arbeitsmarktes von 6,5 auf 3 Prozent gesenkt hat.
({3})
Richtet man den Blick auf die Europäische Union,
dann wird das Ausmaß der Wettbewerbsverzerrung
für deutsche Unternehmen erst richtig deutlich. Für
Gaststättenumsätze gelten in acht von 15 EU-Staaten
ermäßigte Steuersätze, für Umsätze aus Beherbergung
ist dies ebenfalls in acht von 15 EU-Staaten so. Deutschland aber gehört weder im einen noch im anderen Fall
dazu.
Ich habe von einem Schritt in die richtige Richtung
gesprochen, den wir unternehmen wollen. Freilich müssen dem weitere folgen. Nachdem die Bundesregierung
aber schon viele Schritte unternommen hat, die allerdings alle in die falsche Richtung liefen, wären wir
schon zufrieden, wenn es wenigstens diesen einen
Schritt gäbe.
({4})
Was aber hat die Bundesregierung getan?
({5})
Sie hat den Vorsteuerabzug für Geschäftsreisende abgeschafft. Wen trifft das? Das trifft die Betriebe im Tourismus und in der Gastronomie.
({6})
Sie haben die 630-Mark-Jobs weitgehend abgeschafft.
({7})
Wen trifft das? Die Betriebe im Tourismus und in der
Gastronomie. Sie haben eine Ökosteuer eingeführt, die
jährlich auch noch erhöht wird. Wen trifft das? Die Betriebe im Tourismus, die Betriebe in der Gastronomie.
Und dann kommen Sie, insbesondere auch von der Regierungsbank,
({8})
in Festtagslaune zu den großen touristischen Kongressen
und sprechen von den schönen Geschenken der Tourismusförderung. Ich kann davon nichts erkennen, denn
Ihnen fehlt ein schlüssiges Konzept.
({9})
Ich zitiere aus der Rede des Bundeswirtschaftsministers Werner Müller zur Eröffnung der ITB am 6. März
des vergangenen Jahres hier in Berlin:
({10})
Auf europäischer Ebene sind für die deutsche Touristikbranche die zum Teil gewaltigen Unterschiede
bei den Mehrwertsteuersätzen der Mitgliedstaaten
ein großes Handicap.
- Stimmt das oder stimmt es nicht? - Es stimmt. Müller
fährt fort:
Diesen speziellen tourismuswirtschaftlichen Aspekt
habe ich besonders im Auge, denn er ist ein handfester Wettbewerbsnachteil für das deutsche Geschäft.
Zwei Tage vorher, in der Tourismusdebatte am
4. März, hatten Sie, Frau Staatssekretärin, sich ähnlich
geäußert. Sie haben das festgestellt, das ist lobenswert;
danach gehandelt haben Sie aber nicht. Sie haben etwas
ganz anderes getan. Der Wirtschaftsminister hatte etwas
im Auge, aber offensichtlich hatte er in den Verhandlungen mit dem Bundesfinanzminister eine aufs Auge
bekommen, denn sonst würde er die Situation heute
noch genauso sehen wie damals.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob Sie dieses spezielle Thema nehmen, ob Sie das „Bündnis für Arbeit“
nehmen - Sie können beinahe jeden politischen Bereich
herausgreifen -: Schlussendlich folgt immer einer
großmündigen Ankündigung das große Nichts. Das ist
Ihre Politik nach Art der Teletubbies: Wenn das Licht
angeht, wenn die Sonne aufgeht, dann ist „winke, winke“. Wenn es dann an die Inhalte geht, dann kommt nur
noch „oh, oh“.
({12})
- Herr Schmidt, Sie sollten sich nicht so aufregen. - So
eine Politik hat keine Substanz, so eine Politik zielt nur
auf Showeffekte. Deswegen kommen wir damit in
Deutschland auch nicht weiter.
Schönen Dank.
({13})
Letzte Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Brunhilde Irber.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Zwischenrufe unter anderem des Herrn Vorsitzenden ehren
mich, aber ich bin nicht nur Tourismuspolitikerin für
Ostbayern, sondern für ganz Deutschland.
({0})
Ich könnte es mir heute sehr einfach machen und meine
Rede zur Einbringung dieses Antrages jetzt bei der
Schlussdebatte erneut vortragen. Lieber Herr Brähmig,
Ihre Fraktion hat die Ausschussberatungen leider nicht
dazu genutzt, den Antrag etwas näher an die Wirklichkeit heranzubringen. Um es vorwegzunehmen: Auch aus
tourismuspolitischer Sicht muss Ihr Antrag abgelehnt
werden.
({1})
- So ist es.
({2})
Zu den Fakten: Die Branche boomt. Wir verzeichnen
seit Jahresbeginn 1999 eine Steigerung der Übernachtungszahlen in Deutschland von 4,4 Prozent. Die Frau
Kollegin Scheel hat vorhin in ihrem Beitrag die „Passauer Neue Presse“ zitiert, das Organ, das auch Herr
Hinsken bestens kennt. Vielleicht ist es ihm nicht mehr
ganz so lieb, weil die Berichterstattung etwas kritischer
geworden ist. Seit die Maßnahmen der neuen Bundesregierung zur Verbesserung der Kaufkraft wirken, hat sich
eine deutliche Steigerung der Übernachtungszahlen im
deutschen Tourismus eingestellt. Die Auslastung der
Bettenkapazitäten steigt, die Zahl der Konkurse ist zurückgegangen. Es passiert also all das, was nach Ihrem
Antrag doch erst passieren sollte, wenn der Staat die
Mehrwertsteuer senkt. Das alles passiert, weil die Bundesregierung mit den richtigen Instrumenten in diesem
Wirtschaftsraum aktiv wurde.
({3})
Herr Brähmig, Sie tun mir schon direkt Leid. Ich erhöre Sie.
({4})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir hatten uns auf Zuruf verständigt, dass
wir angesichts der fortgeschrittenen Zeit keine Fragen
mehr zulassen.
({0})
Es gab reichlich Diskussionsgelegenheit in dieser Debatte.
Ich wiederhole: Es passiert also all das, was nach Ihrem Antrag erst dann passieren sollte, wenn der Staat die
Mehrwertsteuer senkt. Das alles passiert, weil die
Bundesregierung mit den richtigen Instrumenten im
Wirtschaftsraum aktiv wurde,
({1})
weil wir eine aktive Wirtschafts- und Sozialpolitik
machen, die die Arbeitskosten verringert, die Einkommen- und Unternehmensteuern senkt, die Kaufkraft bei
den Verbrauchen stärkt,
({2})
und weil wir eben die Gesamtverantwortung wahrnehmen und uns nicht mit einzelnen, zugegebenermaßen
populären, aber unwirksamen Maßnahmen verheben.
({3})
Zweiter Fakt - Herr Brähmig, wenn Sie ein bisschen
aufpassen und zuhören würden, könnten Sie jetzt vielleicht etwas lernen -:
({4})
Deutschland hat die niedrigste Mehrwertsteuer in der
EU. Sie kommen daher und fordern, diese weiter zu
senken. Ihnen ist doch klar, dass dann der normale
Mehrwertsteuersatz so weit unten nicht mehr haltbar ist.
Das würde alle anderen Branchen belasten.
({5})
Richtig ist sicherlich, dass auch wir Tourismuspolitiker zu Beginn der Legislaturperiode zusammen mit dem
Wirtschaftsminister ein Modell zur Verringerung der
Mehrwertsteuer für das Gaststättengewerbe in die Diskussion gebracht haben und mit einer probeweisen Senkung einverstanden gewesen wären. Damals aber waren
die gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen der Bundesregierung noch nicht abgestimmt.
({6})
Heute sind zwei Tatsachen gegeben: Die betroffene
Branche wird durch die Unternehmensteuerreform
weit mehr entlastet, als alle bisherigen ernst zu nehmenden Pläne es erwarten ließen.
({7})
Die Verbraucher, insbesondere die Familien, die für den
Deutschlandtourismus wichtig sind, haben deutlich mehr
Geld in der Tasche.
({8})
- Herr Brähmig, eine Regierung müsste mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn sie für eine Branche im
Wachstum die Mehrwertsteuer verringern würde. Es
handelt sich wohlgemerkt um eine Steuer, deren Ausfälle die Allgemeinheit zu tragen hätte. Mit Recht würden
alle anderen Branchen aufschreien, weil man dann dem
Fluss des Geldes weiteres Geld hinterherwerfen würde.
Außerdem befindet sich die Branche in einem harten
Wettbewerb - das ist klar -, der ohnehin schon massiv
auf die Preise drückt. Mit einer Mehrwertsteuersenkung
zu einem Zeitpunkt des allgemeinen Preisverfalls würde
man nur den Druck auf die Betriebe erhöhen und die
Folge wären zunehmende Konkurse. Fragen Sie doch
einmal einen Hotelier, wie er seine Preise bildet. Die
Antwort ist: nach der Marktlage und nicht nach den Gewinnerwartungen. Die Marktlage zeigt im Hinblick auf
die Preise nach unten. Es ist eine ähnliche Entwicklung
wie bei den Reiseveranstaltern, über die wir uns gestern
unterhalten haben.
Die richtige Logik ist, dass die Bürger mehr Urlaub
machen, wenn es in ihre eigene Gesamthaushaltslage
passt, und nicht, wenn die Hotels allgemein etwas billiger werden. Wir haben daher das Richtige gemacht,
während Sie nur der Branche gefällig sein wollten.
({9})
Es stimmt halt doch: Sie wollen der Branche erst jetzt
gefällig sein, da Sie in der Opposition sind.
({10})
Herr Brähmig, Ihr Minister Waigel hat kurz vor der
letzten Bundestagswahl das Umsatzsteuergesetz so geändert, dass die Gastronomie jetzt immer den vollen
Mehrwertsteuersatz abführen muss, auch wenn die Familie in der eigenen Gastwirtschaft isst. Er hat damit für
die Gastronomie die Tür zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz zugeschlagen, weil er aus der bisherigen steuerrechtlichen „Lieferung“ eine „Dienstleistung“ gemacht
hat. Diese wird immer mit dem vollen Mehrwertsteuersatz berechnet. Er hat dies getan, um ein paar Pfennige
mehr in seinen Haushalt zu bekommen.
Noch ein paar Sätze zu dem Vorschlag in dem Antrag
der CDU, den Freibetrag für die Trinkgeldbesteuerung anzuheben.
Frau Kollegin, Sie
müssen nun zum Schluss kommen.
Ich komme sofort zum
Schluss, Frau Präsidentin.
Nur dies möchte ich noch ausführen: Die rechtlichen
Probleme, die mit der Erhöhung des Freibetrages verbunden sind, stellen keine Lösung dar.
({0})
Die Prüfungspflicht der Finanzämter und der Sozialversicherungen bleibt auch bei einem höheren Freibetrag
erhalten.
({1})
- Richtig; das ist etwas anderes.
({2})
Ich möchte Ihnen nur noch eines sagen: Bei Ihnen
merkt man, dass Sie mit populären Vorschlägen den
Beifall der Branche erreichen wollen, und Sie hoffen,
dass Sie so wieder an die Macht kommen. Ich bedaure,
dass die Branche auf diese populistischen Vorschläge
eingeht und so tut, als hätten Sie noch die Gesamtverantwortung in diesem Land.
({3})
Aber die haben wir und aus dieser Gesamtverantwortung
heraus lehnen wir Ihren Antrag ab. Da diese Sitzung
zwar nicht mehrwertsteuerpflichtig ist und, wie ich hoffe, auch nicht vergnügungsteuerpflichtig wird, möchte
ich meine Ausführungen jetzt beenden.
Danke schön.
({4})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Harmonisierung der
gastgewerblichen Mehrwertsteuersätze in der Europäischen Union auf der Drucksache 14/1899.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/294 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. und bei Enthaltung der PDS angenommen.
Jetzt rufe ich den letzten Tagesordnungspunkt, Tagesordnungspunkt 12, auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,
Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen
- Drucksachen 14/64, 14/1333 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Barbara Höll
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
PDS-Fraktion die Kollegin Dr. Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir den
heutigen Sitzungstag auch noch am heutigen Tag beschließen. Allerdings muss ich sagen, dass ich schon etwas erstaunt bin, insbesondere wenn man hier im Plenum die letzte Debatte gehört hat. Es wurde das Fehlen
von Abgeordneten beklagt. Beim allerletzten Debattenpunkt allerdings, der nach der üblichen Praxis in diesem
Parlament - so wird es im Ältestenrat immer vereinbart
- ein Punkt der PDS ist, sprechen nicht einmal Vertreter
aller Fraktionen, weil es ihnen oftmals einfach zu spät
ist. Damit entziehen sie sich einer öffentlichen Diskussion hier im Plenum. Das finde ich, schlicht gesagt, wirklich scheinheilig, wenn man so unterschiedlich verfährt.
Nun komme ich zum Thema: Wir haben über dieses
Anliegen der PDS, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Dienstleistungen auch in der
Bundesrepublik Deutschland einzuführen, schon öfter
diskutiert, zum Beispiel bereits in der letzten Legislaturperiode. Damals lehnten die Fraktion der CDU/CSU und
die Fraktion der F.D.P. diesen Vorschlag ab.
({0})
Inzwischen muss ich sagen, dass der Inhalt unseres
Vorschlages -wir wollten die vorherige Regierung bereits vor Jahren dazu bewegen, in dieser Richtung initiativ zu werden - von der Geschichte eingeholt worden
ist. Das ist bereits Wirklichkeit geworden. Am Anfang
des Jahres 1998 hat auf Initiative des Europaparlamentes
die EU-Kommission die Initiative ergriffen und dieser
Prozess ist gegen Ende des vergangenen Jahres zum Abschluss gekommen.
Entsprechend der Initiative des Europaparlamentes ist
es möglich, Reparaturarbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen,
({1})
Renovierungs- und Reparaturarbeiten im Wohnungsbau
- außer Neubau - und arbeitsintensive Leistungen, zum
Beispiel Pflegeleistungen in Wohnungen, Pflege von
Kindern, alten Menschen und Behinderten, tatsächlich
mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen.
Darüber haben wir im Ausschuss diskutiert. Es kamen verschiedenste Argumente. Unter anderem wurde
das Argument angeführt, für diese Möglichkeit würden
sich - wenn überhaupt - höchstens zwei Staaten in Europa interessieren. Bis zum 1. November 1999 - an diesem Tag war Antragsschluss - haben sich aber tatsächlich neun Staaten der EU dafür entschieden, dieses Instrument zum Abbau von Arbeitslosigkeit wenigstens
auszuprobieren, und zwar in dem Maße, wie es im Rahmen des Vorschlages der EU-Kommission möglich ist.
Es fiel das Argument: Würden damit tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen? Das wissen wir sicher nicht. Aber wenn wir es nicht ausprobieren, haben wir auch keine Chance, es zu erfahren. Nur die Praxis wird es beweisen.
({2})
Gerade im Bereich der Dienstleistungen an Menschen
bedeutet es einen Unterschied, wenn man den Mehrwertsteuersatz signifikant senkt. Eine Senkung bis auf
5,5, 6 Prozent - das sind die Vorschläge der europäischen Staaten, die von dem Instrument Gebrauch machen werden - macht sich schon im Portemonnaie bemerkbar.
Auch zum Beispiel bei der Renovierung von Wohnungen ist mit einer Senkung der Kosten für denjenigen,
der seine Wohnung renovieren lässt, ein Vorteil verbunden. Die Kosten auf dem offiziellen Markt wären zwar
trotzdem höher, als wenn man eine solche Dienstleistung schwarz erledigen lässt; aber man hat damit auch
den Vorteil, gewisse Garantieleistungen zu erhalten. Ich
glaube, gerade in diesem Bereich ist das ganz wesentlich.
Ein weiteres Argument war, es würde Milliarden kosten. Guckt man aber einmal in die Unterlagen der EUKommission nach der Beantragung durch die einzelnen
europäischen Staaten, so stellt man fest, dass die einzelnen Länder eben nicht mit Mindereinnahmen in Milliardenhöhe rechnen. Vielmehr findet man Aussagen wie
bei Luxemburg: keine nennenswerten Auswirkungen.
Griechenland spricht davon, dass die finanziellen Auswirkungen nicht sehr groß sein werden.
Ganz wichtig sind die ökologischen Faktoren, die
wir hoffen mit einem solchen Instrument verwirklichen
zu können. Denn es geht darum, Reparaturdienstleistungen zu einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz möglich
zu machen.
({3})
Dann stellt sich nicht immer gleich die Frage: Lohnt sich
eine Reparatur überhaupt noch oder zahle ich ein paar
Mark drauf und kaufe mir dann etwas Neues?
Es ist kein Zufall, dass die Mehrzahl der Staaten, die
einen Antrag an die EU-Kommission gestellt haben, sich
tatsächlich für eine Steuersenkung im Reparaturbereich ,
bei der Reparatur von Fahrrädern, entschieden hat. Ich
muss aber sagen, dass die PDS das als unzureichend ansieht. Wir würden uns wünschen, dass auch Reparaturen
an Autos zu ermäßigtem Steuersatz möglich wären.
Denn auch das wäre ein ökologischer Faktor.
Wir meinen, dass die Notwendigkeit, im Arbeitsmarkt aktiv zu werden, gegeben ist. Das wissen wir alle.
Da wie bereits in der vorigen Debatte sicher auch jetzt
wieder darauf abgehoben wird, dass Sie eine tolle Unternehmensteuerreform planen und umsetzen werden,
muss man natürlich sagen, dass nach dem, was uns bisher vorliegt, die Unternehmensteuerreform eine massive
Tarifentlastung für ertragsstarke Kapitalgesellschaften
und Steuerpflichtige mit sehr hohem Einkommen, die
wieder doppelt entlastet werden, bedeuten wird. Kleine
Gewerbetreibende, auf die unser Antrag zielt, werden
kaum profitieren, weil sie nicht ausreichend Gewinne
haben und von den Steuertarifsenkungen nur marginal
betroffen sind.
({4})
Abschließend möchte ich das „Handelsblatt“ zitieren,
dem man sicher Objektivität zugute halten kann.
({5})
Es lobt die Unternehmensteuerreform und sieht in ihr
die „sympathische Entwicklung“, dass die SPD endlich
zu einer Shareholder-Value-Partei wird. Sie wollen auch Originalton „Handelsblatt“ - „großkapitalistische
Produktivvermögen“ entlasten. Die kleinen Handwerker,
um die es in diesem Antrag geht, beziehen Sie nicht ausreichend in Ihre Politik ein.
Ich denke, es ist einfach kurzsichtig, ein Modell, für
das sich neun europäische Staaten entschieden haben,
nicht wenigstens auszuprobieren.
({6})
Danke.
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dieter Grasedieck.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Höll, auch wir
wollen Arbeitsplätze schaffen. Das ist natürlich auch unser wichtigstes Ziel. Aber wir haben einfach bessere
Wege dazu.
({0})
Wir schaffen Arbeitsplätze.
({1})
Wir schaffen Arbeitsplätze im Mittelstand. Wir schaffen
Arbeitsplätze auch bei Kleinbetrieben. Wir legen Wert
darauf, dass Betriebe mit Ausbildungsplätzen gefördert
werden.
Sie wissen doch ganz genau, dass wir eine große
Steuerreform planen.
Diese Steuerreform wird sehr viele Familien und Betriebe entlasten. Es werden nicht nur die Industriebetriebe
berücksichtigt. Die Gesamtentlastung der Steuerreform beträgt bis zum Jahr 2002 42,5 Milliarden DM.
({2})
Dies wird bis zum Jahre 2005 auf 72,5 Milliarden DM
gesteigert. Von einer solchen Entlastung hat die
CDU/CSU immer nur geträumt.
({3})
Wir sind gegen die Minilösung eines ermäßigten
Mehrwertsteuersatzes. Wir wollen die große Steuerreform. Diese bringt sehr viel an Entlastung. Familieneinkommen bis zu einer Höhe von 40 000 DM werdem im
Jahr 2005 steuerfrei sein. Das sind Ziele und Signale.
Eine Familie mit zwei Kindern wird im Jahre 2005 sogar
um 4 050 DM netto entlastet. Diese Entlastung muss im
Rahmen der gesamten Steuerbelastung berücksichtigt
werden.
({4})
Sie, meine Damen und Herren von der PDS, stellen
heute Ihren Antrag zum dritten Mal, soweit ich mich
daran erinnern kann. Aber die Politik hat sich weiterentwickelt und hat sich im letzten Jahr verbessert. Sie ist
verändert worden. Ihr Antrag ist eigentlich überholt. Sie
handeln nach dem Motto: Meine Meinung steht fest, bitte verwirren Sie mich jetzt nicht mit Tatsachen. Aber die
große Steuerreform ist eine Tatsache.
({5})
Sie sind doch sonst so flexibel, Frau Dr. Höll und
Frau Ehlert. Stellen Sie Ihren Antrag einfach zurück und
loben Sie unsere große Steuerreform!
({6})
Lob hat diese Steuerreform wirklich verdient.
({7})
- Sie müssen doch nur einmal den Anstieg der Normaleinkommen im letzten Jahr betrachten. Das ist schon
eine Auswirkung unserer Steuerreform.
({8})
Die Normaleinkommen sind im letzten Jahr von 4 900
DM auf 5 020 DM gestiegen. Wenn Sie das nachlesen,
werden Sie feststellen, dass ich Recht habe. Von 2001
bis 2005 wird die Körperschaftsteuer von 40 Prozent auf
25 Prozent reduziert. Das ist ein gewaltiger Schritt. Dadurch werden auch die kleineren Betriebe unterstützt.
({9})
Auch der Eingangssteuersatz ist gewaltig reduziert
worden. Sie haben vorhin behauptet, nur die großen Betriebe profitierten davon. Das ist nicht der Fall. Die Familien und die Kleinverdiener werden entlastet.
({10})
Der Eingangssteuersatz sinkt von 26 Prozent auf 15 Prozent, das ist unser Zielpunkt.
({11})
Ich kann mir denken, dass Sie davon total überrascht
sind. Auch der Spitzensteuersatz ist wesentlich gesenkt
worden. Unsere Zielprojektion ist ,den Steuerfreibetrag
auf 14 500 DM anzuheben. Wir entlasten also den Bürger von 1998 bis 2005 um 72,5 Milliarden DM. Das sind
wichtige Ziele.
({12})
- Um 72,5 Milliarden DM, Herr Hinsken. Das ist alles
berechnet. Wenn Sie das nachlesen, dann werden Sie erkennen, dass wichtige Signale für die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit und für die Förderung des Wachstums
ausgesendet werden. Investoren können sicher planen,
weil sie ganz genau wissen: In jedem Jahr werden die
Steuern weiter reduziert.
({13})
- Nein, nicht belastet. Sie scheinen etwas aus dem
Rhythmus geraten zu sein. - Wir schaffen Sicherheiten,
Arbeitsplätze werden abgesichert.
Der PDS-Antrag könnte höchstens - wenn überhaupt
- für zwei Jahre umgesetzt werden. Wir müssten dann
ein Gesetzeswerk entwickeln und viele Erlasse auf den
Weg bringen; denn in Ihrem Antrag verbergen sich viele
Fragen. Was meinen Sie denn mit Renovierungsarbeiten? Handelt es sich um Renovierungs- und Reparaturarbeiten, wenn zum Beispiel ein Wintergarten gebaut
wird? Handelt es sich um Renovierungsarbeiten im
Hausbereich, wenn der Dachboden ausgebaut wird? Wo
ziehen Sie die Grenzen? Liegt die Grenze bei
200 000 DM oder bei 400 000 DM? Für den Freizeitbereich ist es so ähnlich aufgeführt.
Ich komme zum Schluss. Wir könnten hier Fragen
über Fragen stellen, wenn wir den Antrag einmal im Detail betrachten. Würde man Ihrem Antrag folgen, würde
das Umsatzsteuerrecht wesentlich komplizierter und ein
neues Paradies der Steuerschlupflöcher würde geöffnet.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der PDS,
unsere Politik braucht mutige Antworten. Streichen Sie
Ihren Antrag und unterstützen Sie unsere Steuerreform!
({14})
Die Abgeordneten
Jochen-Konrad Fromme, CDU/CSU-Fraktion, Klaus
Müller, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, sowie Gisela
Frick, F.D.P.-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.1) Ich setze das Einverständnis des Hauses voraus und schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der
Fraktion der PDS zur Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für arbeitsintensive Leistungen auf Drucksache 14/1333. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/64 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus der CDU/CSUFraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 21. Januar 2000,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen allen eine angenehme Nachtruhe.
Sie ist notwendig.
Die Sitzung ist geschlossen.