Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/19/1998

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Zur Beratung des Tagesordnungspunktes 3 haben die Fraktionen der CDU/CSU und der PDS eigene Anträge zur Wirbelsturmkatastrophe in Mittelamerika eingebracht, die Ihnen in einer Zusatzpunktliste vorliegen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um diese Anträge erweitert werden: ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Christian Ruck, Dr. Norbert Blüm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Nach der Wirbelsturmkatastrophe in Mittelamerika: Hilfsmaßnahmen koordinieren, Schuldendienst aussetzen, Schulden erlassen und Wiederaufbau unterstützen - Drucksache 14/56 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Carsten Hübner, Heidi Lippmann-Kasten, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Soforthilfe, Wiederaufbaumaßnahmen und Entschuldung für Mittelamerika - Drucksache 14/57 Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an möglichen NATOOperationen zum Schutz und Herausziehen von OSZE-Beobachtern aus dem Kosovo in Notfallsituationen - Drucksachen 14/47, 14/51 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel Karl Lamers Dr. Werner Hoyer Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über diese Vorlage namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Minister Fischer das Wort, bitte.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 13. November 1998 der Entsendung von deutschen Kräften zur Teilnahme an der NATO-Luftüberwachungsoperation über dem Kosovo zugestimmt. Heute bittet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag - wir haben dies in der vorangegangenen Debatte bereits angekündigt; es wurde auch schon im Zusammenhang politisch diskutiert -, einer deutschen Beteiligung an einer in Mazedonien zu stationierenden NATO-Notfalltruppe zum Schutz und zur Rettung von OSZE-Beobachtern aus dem Kosovo in Notfallsituationen zuzustimmen. Alle unmittelbaren militärischen Fragen wird der Kollege Scharping ansprechen, während ich noch einmal auf den politischen Begründungszusammenhang eingehen möchte. Daß wir in der vergangenen Woche keine Entscheidung in einem Zuge hinbekommen haben, lag nicht an der Bundesregierung, sondern am Verfahren bei der NATO. Wir hätten uns eine einheitliche Entscheidung im Deutschen Bundestag gewünscht; denn in der Tat gibt es hier einen nicht auflösbaren Sachzusammenhang. Dieser Sachzusammenhang ergibt sich aus dem Abkommen, das Holbrooke mit der Regierung in Belgrad geschlossen hat. Durch den Abschluß dieses Vertrages ist es gelungen, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, worüber wir sehr froh sind. Die dauerhafte Abwendung einer humanitären Katastrophe setzt aber voraus, daß es zu einer friedlichen Entwicklung kommt, hoffentlich eines Tages auch zu einer Entwicklung hin zu einem substantiellen Frieden, so daß man nicht nur von einer Abwesenheit von Krieg sprechen kann. ({0}) Eine ganz wesentliche Bedingung der Umsetzung ist, daß der Prozeß des Rückzugs der militärischen Einheiten sowie der Einheiten der Sonderpolizei auf jugoslawischer Seite überwacht wird und daß es gleichzeitig eine Vertrauensgrundlage für die Menschen im Kosovo gibt, die es ihnen ermöglicht, in ihre zum großen Teil beschädigten oder gar zerstörten Häuser zurückzukehren Vertrauen in den Wiederaufbau zu finden und so insgesamt zu einer friedlichen Entwicklung beizutragen. Für die Überwachung dieses Prozesses werden unbewaffnete, nichtmilitärische OSZE-Verifikateure - Beobachterinnen und Beobachter - eingesetzt. Deutschland beteiligt sich mit bis zu 200 unbewaffneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die OSZE an diesem Programm. Dabei handelt es sich um einen zwar zivilen, jedoch alles andere als ungefährlichen Auftrag. Damit die Risiken dieses Auftrags minimiert werden können, bedarf es nicht nur einer unbewaffneten militärischen Luftraumüberwachung - diese hat der Deutsche Bundestag bereits beschlossen -, sondern auch einer entsprechenden Notfallmaßnahme. Diese Maßnahme bezieht sich ich wiederhole es - allerdings nur auf den Notfall. Mit dem Beschlußvorschlag der Bundesregierung ist nicht die militärische Durchsetzung, ist nicht die militärische Begleitung der OSZE-Mission gemeint. Dazu wären die ausgesuchten Einheiten weder von der Größenordnung noch von der Zusammensetzung her geeignet. Das muß klar sein. Ich denke, das ist bei der Bewertung der heutigen Entscheidung wichtig. Es handelt sich also um eine Truppe für den äußersten Notfall, wenn es zur Abwehr eines Schadens für Leib, Leben und Gesundheit zu einer beschleunigten Evakuierung der unbewaffneten OSZE-Beobachter, die im Kosovo in einem gefahrvollen und zugleich wichtigen Einsatz sind, kommt. Darum geht es in der Entscheidung, die heute zu treffen ist. Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen sagen, ich finde es gut und richtig, daß es im Deutschen Bundestag eine breite Zustimmung zu dieser OSZE-Mission gibt. Was ich allerdings nicht begreifen kann, ist: Wenn man weiß, daß diese unbewaffneten, zivilen OSZEBeobachterinnen und -Beobachter in einen gefahrvollen Einsatz gehen, warum hat man dann nicht den Mut, die Konsequenz daraus zu ziehen und auch zur letzten Sicherheitsreserve Ja zu sagen, damit diese Menschen, falls sie in eine lebensbedrohliche Situation kommen, schnell evakuiert werden können und die Gefahr für Leib und Leben abgewehrt werden kann? ({1}) Das begreife ich nicht; ich glaube, Sie begreifen es selbst nicht. Wenn ich diesen OSZE-Einsatz unterstütze und die Menschen dort hinschicke, kann ich ihnen, selbst wenn ich tausend Bedenken habe, diesen Schutz doch schon von der Logik her nicht verwehren. ({2}) Dennoch ist es mir sehr wichtig, Herr Kollege Breuer, heute noch einmal festzuhalten, daß sich die Bundesrepublik Jugoslawien vertraglich verpflichtet hat, für den Schutz, für die Sicherheit und für die Bewegungsfreiheit der OSZE-Beobachter zu garantieren. Wir werden sehr sorgfältig darauf achten, daß diese Verpflichtung entsprechend realisiert wird. ({3}) Wir haben über alle umfassenden Fragen zu diesem Thema bereits in der vorangegangenen Debatte diskutiert: über die Grundlagen der politischen Bewertung des Vertrages und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben; die Gespräche, die wir mit der kosovo-albanischen Seite geführt haben, und das Insistieren darauf, daß die UCK ihre Gewaltaktionen einstellen muß, wenn es zu einem dauerhaften Frieden im Kosovo kommen soll; ({4}) über die Bedeutung, die der WEU-Polizeimission in Albanien unter dem Gesichtspunkt der Stabilisierung der innenpolitischen Verhältnisse vor allen Dingen in Nordalbanien zukommen kann - was am Rande der WEURatstagung in Rom eine Rolle gespielt hat -, denn auch insofern gibt es ein Instrument, das fortentwickelbar ist. Ich möchte all das heute nicht mehr vertiefen. Wir haben uns entschieden - ich finde diese Entscheidung richtig und alternativlos -, bis zu 200 unbewaffnete, zivile OSZE-Beobachter in eine gefahrvolle Mission in den Kosovo zu schicken. Ich bitte den Deutschen Bundestag darum, dem Beschlußvorschlag der Bundesregierung zuzustimmen, damit es eine Letztversicherung, eine Sicherheitsreserve für diese Menschen in ihrem gefahrvollen Einsatz gibt. Danke. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Schmidt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Überbetonung der OSZE als europäisches Sicherheitsinstrument kann man in der Koalitionsvereinbarung der neuen Regierung nachlesen. Dort heißt es: Die OSZE ist die einzige gesamteuropäische Sicherheitsorganisation. Das macht sie unersetzlich. Meine Damen und Herren, unersetzlich für die europäische Sicherheit - das haben uns nicht erst die letzten Jahre gelehrt - ist vor allem die NATO. Sie ist die einzige voll einsatzfähige, durchsetzungsfähige und damit wirkungsvolle Sicherheitsorganisation in Europa. Niemandem nützt es, beim Thema Sicherheit Fakten nicht zur Kenntnis zu nehmen und der OSZE mehr andichten zu wollen, als sie sein kann, nämlich ein Instrument der Krisenwarnung und der friedlichen Streitschlichtung. Der Tagesordnungspunkt, über den wir heute zu befinden haben, macht denn auch in aller Deutlichkeit klar: Die von Herrn Außenminister Fischer erhoffte neue Operabilität der OSZE ist nur machbar, wenn die NATO der OSZE Deckung gibt. Wie schwer diese nüchterne Einsicht einigen gefallen sein muß, kann man daran erkennen, wie lange die Regierung für eine Kabinettvorlage gebraucht hat, in der es letztendlich nur um Selbstverständlichkeiten geht. Zudem hat sie gestern auf Fragen im Plenum und in den verschiedenen Ausschüssen höchst bemerkenswerte unterschiedliche Interpretationen geliefert. ({0}) Eine Selbstverständlichkeit aus unserer Sicht ist es, den notwendigen militärischen Schutz für zivile Beobachter zur Verfügung zu stellen, die wir in ein Gebiet entsenden, in dem ausschließlich die zynische Sprache der Gewalt gilt und in dem zur Zeit wohl niemand die Hoffnung der Grünen teilt, man könne die entfesselte Gewalt eines Krieges oder die menschenverachtende Politik eines Tyrannen ohne militärische Abschreckung stoppen. Herr Außenminister, Sie appellieren an dieses Haus an welche Seite appellieren Sie denn eigentlich mit Ihrer Vorlage? -, der NATO die Möglichkeit zum Schutz der unbewaffneten OSZE-Beobachter zu geben. Bei uns brauchen Sie keinerlei Sorge zu haben. Aber es ist schon Ball paradox, wenn die eigene Fraktion in beschwörenden Worten angesprochen werden muß, damit sie vielleicht gnädigerweise von einer ablehnenden Haltung zur Enthaltung kommt. ({1}) Wir werden da noch einiges erleben, und wir werden da noch einiges zu kommentieren haben. ({2}) Um Milosevics Propagandamaschine, die schon wieder läuft, von hier aus nicht unkommentiert zu lassen, sollten wir eines feststellen - ich finde, hierin treffen wir uns wieder -: Wenn aus Belgrad bereits jetzt wieder Einschüchterungsversuche zu beobachten sind, die darauf hinauslaufen, die in Mazedonien zu stationierende Truppe und das Stationierungsland zu kritisieren, dann setzen wir dem klar entgegen, daß wir der mazedonischen Regierung für ihre Bereitschaft außerordentlich danken und daß wir der Überzeugung sind, daß diese Notfalltruppe alleine durch ihre Präsenz zur Stabilisierung der Situation Mazedoniens im komplizierten Geflecht Südosteuropas beitragen wird. Ganz wohl kann sicherlich keinem von uns bei dem Gedanken sein, daß wir 2 000 unbewaffnete Beobachter in dieses unsichere Gebiet schicken. Aber das war wohl das Optimale, was Herr Holbrooke hat herausholen können. Allerdings bleibt schon die Erinnerung an die in weiße Overalls gekleideten EU-Monitore zu Beginn des Jugoslawien-Konflikts, die nur Statistiken des Grauens führen konnten und die man dann schließlich vor Angriffen schützen mußte. Mir wäre es lieber gewesen, eine SFOR-ähnliche Truppe hätte im Kosovo stationiert werden können. Nachdem das nicht so ist, muß Milosevic klargemacht werden, daß erstens der militärische Druck, den wir auch und gerade durch den Beschluß des 13. Bundestages vom 16. Oktober dieses Jahres deutlich gemacht haben, im Grundsatz aufrechterhalten bleibt ({3}) und daß zweitens eine effiziente Notfalltruppe für die OSZE-Beobachter bereitsteht. Gerade deswegen ist es dringend notwendig, nicht nur auf die OSZE, sondern auch auf die NATO zu setzen, ich darf hinzufügen: erfreulicherweise mit einer sehr starken, ja führenden Beteiligung unserer französischen Partner. So kann man denn mit Verlaub auch nicht glauben, daß die so späte Vorlage des Antrages, die ich schon angesprochen habe, alleine durch Hinweis auf NATOEntscheidungsprozesse zu entschuldigen sei. Mein Vertrauen in den militärischen Apparat der Hardthöhe ist sehr groß, und ich bin sicher, daß die Aufstellung der Schutztruppe keine schwierige, unlösbare Aufgabe ist. Man muß beim Nachdenken über die Schwierigkeiten nicht lange grübeln, um zu der Vermutung zu kommen, daß es eigentlich darum gegangen ist, politische Ungereimtheiten innerhalb der Koalition zu überdecken. ({4}) Sie werden sich noch mehrfach anhören müssen: Wir alle haben noch die kritischen Anmerkungen von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Aufstellung der sogenannten „Kommando-Spezialkräfte“ im Ohr. Es handelt sich um ein Kommando, das damals aus der Situation in Afrika heraus politisch entstanden war, als deutsche Rundfunkjournalisten von belgischen Fallschirmjägern entsetzt werden mußten. Gerade da ging es um die Befähigung zur Geiselbefreiung - eine Option, die in Szenario 2 des NATO-Operationsplans für die Notfalltruppe vorgesehen ist. Um so verwunderlicher ist es, daß diese Spezialeinheit jetzt nicht zum Einsatz kommen soll. Ich kann nur sagen: Hört, hört, Hohes Haus! ({5}) - Frau Beer hat sich mit dem Zwischenruf sofort zu Wort gemeldet. Sie weiß, wer gemeint ist. Wir werden sicherlich gewundene Versuche der Erklärung von ihr hören. Ich will nicht die Sinnhaftigkeit militärischer Planungen diskutieren. Herr Verteidigungsminister, wir gehen davon aus, daß die unbenommen dem Antrag gefundenen vieldeutigen Worte die am besten geeigneten - Wo ist denn der Herr Verteidigungsminister? Gestern bei der Regierungsbefragung war er auch nicht da. ({6}) Christian Schmidt ({7})Christian Schmidt ({8})Christian Schmidt ({9}) - Da ist er. Ich grüße Sie, Herr Verteidigungsminister. ({10}) - Ich habe gestern in der Regierungsbefragung zu diesem Thema Fragen gestellt, und kein Vertreter des Verteidigungsministeriums war anwesend. Herr Verteidigungsminister, ich bin sicher, daß Ihnen daran gelegen ist, diesen Verdacht zu zerstreuen, und zwar nicht den Verdacht, daß Sie gestern die Regierungsbefragung versäumt haben, sondern daß parteiideologische Überlegungen in die Praxis der militärischen Operationsplanung hineingespielt haben könnten. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Antrag zu; aber wir werden im Sinne der Betroffenen die weitere Entwicklung sehr genau unter die Lupe nehmen. Dazu werden wir auch bei den Beratungen für den Haushalt 1999 Gelegenheit haben, wenn es um die Frage geht, ob Unterstützungsmissionen, die die Bundeswehr auszuführen hat, im Rahmen des Einzelplans 14 oder von anderer Seite finanziert werden. Das sei nur am Rande gesagt. Wir haben ein großes Interesse daran, daß alle diejenigen, die an der Beobachtermission teilnehmen, optimal geschützt sind. Deswegen unsere Sorge, deswegen unsere Fragen an die Regierung. Den Soldaten, die in den Einsatz im Kosovo gehen, der hoffentlich nicht stattfinden muß, wünschen wir alles Gute. Ich stimme mit Ihnen, Herr Außenminister, überein: Es ist kein ungefährlicher Einsatz; deswegen muß alles mit Bedacht, aber auch im Sinne der besten Lösung - das heißt für uns, die besten Kräfte dorthin zu schicken - getan werden. Wir werden sehr genau beobachten, was hierzu in der nächsten Zeit noch passiert. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Verteidigungsminister Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht sollte ich allen Kolleginnen und Kollegen im Hause noch einmal ins Gedächtnis rufen, daß der NATO-Rat am Freitag, dem 13. November den Operationsplan für diese Notfall- und Risikovorsorge gebilligt hat. Es handelt sich um den Freitag der vergangenen Woche. Es wird für die Beurteilung durch das Haus vielleicht auch von Interesse sein, daß die Rules of Engagement gestern im NATO-Rat gebilligt worden sind. Wenn vor diesem Hintergrund - mehr oder weniger künstlich - ein Vertreter der CDU/CSU-Fraktion den Vorwurf erhebt, die Bundesregierung habe zögerlich gehandelt, ({0}) wo sie doch ihren Antrag in der ersten Sitzung des Bundeskabinetts, unmittelbar nach der Verabschiedung des Operationsplanes und vor der Billigung der Rules of Engagement gestellt hat, dann finde ich das einigermaßen erstaunlich. Dahinter kann ich nur das Bedürfnis erkennen, in einer Frage, die hinsichtlich der politischen Beurteilung unstreitig ist, noch wenigstens ein Minimum von Streit vom Zaune zu brechen. Das aber ist in diesem Fall alles andere als angebracht. ({1}) Es ist deshalb nicht angebracht, weil wir einen der ganz wenigen Fälle haben, in denen in einer hochrisikoreichen Situation OSZE und NATO in einer klugen Arbeitsteilung zusammenwirken, auf der Grundlage internationaler Abkommen, auf der Grundlage von Resolutionen der Vereinten Nationen, auf der Grundlage von Beschlüssen des Ständigen Rates der OSZE. Deshalb glaube ich, daß es der Sache mehr dient, Sie darüber zu informieren, daß der Operationsplan vorsieht, in Notfallsituationen das Personal der OSZE mit militärischen Kräften aus dem Kosovo herausziehen zu können, wenn die Bundesrepublik Jugoslawien ihren eingegangenen Schutzverpflichtungen nicht nachkommt oder nicht nachkommen kann, was sich hier und da wegen des Verhaltens der UCK im Kosovo durchaus als Risiko ergeben kann. Eine solche Notfallsituation wäre beispielsweise vorhanden, wenn Leib oder Leben einzelner Verifikateure gefährdet wäre oder wenn diese mit Gewalt an ihrer Bewegungsfreiheit gehindert würden und eine Evakuierung durch die OSZE selbst ausgeschlossen wäre. So ist es ausdrücklich in den entsprechenden Unterlagen vorgesehen. Der Einsatz der Streitkräfte ist im übrigen in drei Szenarien abgestuft. Szenario eins geht von einer graduellen Zunahme bewaffneter Zwischenfälle und der Evakuierung in einem relativ friedlichen Umfeld trotz des einen oder anderen bewaffneten Zwischenfalls aus. Szenario zwei geht davon aus, daß es direkte Übergriffe in einem begrenzten Gebiet geben könnte, aber möglicherweise - das zeigt die Erfahrung in Bosnien und Herzegowina - verbunden mit Geiselnahmen. Ein drittes Szenario geht davon aus, daß das vollständige Herauslösen des Verifikationspersonals und übrigens auch, soweit das irgend möglich ist, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zivilen Hilfsorganisationen notwendig werden könnte. Auch da will ich mit Blick auf die Bemerkungen, die gerade gemacht wurden, sagen, daß der deutsche Beitrag bei allen diesen Szenarien sichergestellt ist. Die Bundesrepublik Deutschland wird sich mit Hilfe der Bundeswehr an allen drei Optionen dieser möglichen Operation mit einer verstärkten Kompanie und den dazugehörigen Kräften beteiligen, einschließlich des notwendigen Hafenpersonals, Luftumschlagkräften etc. Dazu zählt auch das Personal für die internationalen Hauptquartiere und für die Beteiligung an der NATO-Luftüberwachung. Sie wissen, das deutsche Kontingent wird zunächst bis zu 250 Soldaten umfassen, wovon zur Zeit 190 Dienstposten ausgeplant sind. Das muß ich Ihnen deshalb sagen, weil Frankreich dankenswerterweise nicht nur die Rolle der sogenannten „lead nation“ übernimmt und damit die Hauptlast der ganzen Operation trägt, was Christian Schmidt ({2}) ein bedeutsamer politischer Fortschritt ist, sondern weil die Planungen im einzelnen auch noch gar nicht abgeschlossen sind, so daß wir uns hier zum Teil auf einem Boden bewegen, der es notwendig macht, zu sagen: Wir haben zur Zeit 190 Leute ausgeplant, aber wir beantragen bis zu 250, um im Hinblick auf die Verhandlungen und Gespräche einen gewissen Spielraum zu haben. Übrigens: Die Vereinbarung mit Mazedonien wird hoffentlich bald getroffen, denn nach dem Ausgang der Wahlen und der Nachwahlen kann man hoffen, daß die Regierung bald gebildet ist. Sollte es beispielsweise im Zusammenhang mit einem entsprechend risikoreichen und gefährlichen Szenario notwendig werden, aus Deutschland oder aus anderen Ländern weitere Kräfte zur Verfügung zu stellen, dann erfordert das selbstverständlich erneut eine entsprechende Zustimmung des Deutschen Bundestages. Ich möchte Ihnen aber sagen, daß wir auch darauf vorbereitet sind. Insgesamt ist meine Bitte, daß das Haus mit großer Mehrheit, wie sich das Gott sei Dank auch bei den früheren Entscheidungen abgezeichnet hat, dem Antrag der Bundesregierung zustimmt ({3}) und daß wir uns im übrigen die Versuchung versagen, in einer Situation, in der wir Menschen, sowohl die Verifikateure der OSZE als auch die Soldaten der Bundeswehr, in einen sehr risikoreichen, möglicherweise gefährlichen Einsatz schicken, hier in vordergründige parteipolitische Kleinkrämerei zu verfallen. Das nutzt den Menschen und übrigens auch dem Auftrag nicht. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günther Friedrich Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die F.D.P.Bundestagsfraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Nur, Herr Außenminister Fischer, es hätte Ihrer Überzeugungskünste wahrlich nicht bedurft, damit die F.D.P. hier heute zustimmt. Sehen Sie es mir nach: Wenn ich Sie heute hier reden höre, komme ich mir vor wie im falschen Film. ({0}) Aber ich gratuliere Ihnen, daß es Ihnen gelungen ist, Ihre eigene Fraktion zu überzeugen, und ich hoffe im Interesse des gesamten Hauses, daß es Ihnen auch noch gelingen wird, die PDS zu überzeugen. Sie haben ja hier, wenn ich es richtig gesehen habe, überwiegend in Richtung der linken Ecke gesprochen. Meine Damen und Herren, 2 000 OSZE-Beobachter werden in Kürze eine unbewaffnete Mission beginnen. Deutschland beteiligt sich an dieser bedeutenden Aufgabe mit zirca 200 Beobachtern. Herr Außenminister, wir sind mit Ihnen einig: Dies ist eine schwierige Aufgabe, eine bedeutende Aufgabe. Es ist aber keine ungefährliche Aufgabe, sondern eine äußerst gefährliche. Die Bundesrepublik Jugoslawien ist zwar auf Grund ihrer Vereinbarung mit der OSZE zum Schutz dieser Beobachter verpflichtet. Aber wissen wir, ob sich Milosevic und sein unberechenbares Regime an die eingegangene Verpflichtung halten werden? Haben wir nicht in den vergangenen Jahren allzuoft erlebt, daß Vereinbarungen gebrochen oder umgangen wurden, bevor die Tinte der Unterschrift getrocknet war? Deshalb sind wir gezwungen, vorbeugende Maßnahmen zu treffen, Maßnahmen, die uns ein eigenständiges und äußerst wirkungsvolles Handeln erlauben. Unter keinen Umständen dürfen wir Leib und Leben der OSZE-Beobachter in die Disposition des Belgrader Regimes stellen. Wir dürfen sie nicht zum Spielball der Launen und des - häufig genug - menschenverachtenden Handelns von Milosevic werden lassen. Ich wiederhole an dieser Stelle: Die Bundesrepublik Jugoslawien hat sich auch ausdrücklich verpflichtet, eine Evakuierung der OSZE-Verifikateure im Notfall zu gestatten. Soldaten aus Frankreich, aus Italien, aus Großbritannien und den Niederlanden werden gemeinsam mit Soldaten der Bundeswehr die sogenannte Extraction Force bilden, die in Mazedonien stationiert wird. Hoffentlich sorgt allein ihre Präsenz dafür, daß alle OSZEBeobachter ihre wichtige Arbeit unbeeinträchtigt und sicher durchführen können. Herr Minister Scharping, Sie haben davon gesprochen, hier werde ein Streit vom Zaun gebrochen. Wir wollen Soldaten nach Mazedonien schicken, die bestens ausgebildet sind, die bestens ausgerüstet sind, und dazu gehören für uns auch Soldaten von KSK. Wir haben uns ja im Verteidigungsausschuß darüber unterhalten, und Sie haben dort nicht ausgeschlossen, daß auch Soldaten von KSK eingesetzt werden. Sie sprechen hier von Streit. Dazu will ich Ihnen sagen: Wir hätten uns gefreut, wenn die frühere Opposition uns so unterstützt hätte, wie wir dies heute hier im Parlament tun werden. ({1}) Meine Damen und Herren, wir haben gestern ja auch im Verteidigungsausschuß über dieses Thema diskutiert. Ich habe mich gefreut - das sage ich ganz offen -, daß es dort eine einhellige Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung gibt. Ich denke, die OSZE-Beobachter und auch unsere Soldaten brauchen diese breite Zustimmung, und sie haben diese breite Zustimmung zweifellos verdient. Ich denke, dies trifft auch für die Einsätze der vergangenen Jahre zu. Deshalb sage ich auch an dieser Stelle, daß die bisherige Verweigerung der Grünen falsch war. Ihre Behauptung, die sie noch bis zum 27. September dieses Jahres aufgestellt haben, es handle sich um die Militarisierung der Außenpolitik, ist geradezu abwegig, geradezu abstrus. ({2}) Ich denke, dieser Gesinnungswandel ist auch die nachträgliche Anerkennung - ich sage: die verdiente Anerkennung - der Richtigkeit der Außenpolitik der liberalen Außenminister Scheel, Genscher und in den letzten sechs Jahren vor allem Klaus Kinkel. ({3}) Ich will mich für diese Unterstützung noch einmal ausdrücklich auch bei den Grünen bedanken. Erlauben Sie mir zum Abschluß, noch darauf hinzuweisen, daß es der Kollege Ulrich Irmer aus der F.D.P.Bundestagsfraktion war, der gesagt hat, wir bräuchten ein Abkommen für den Kosovo analog zum DaytonAbkommen. Herr Minister Fischer, ich denke, Sie sind hier gefordert, solch eine Initiative zu ergreifen. Auch hierbei sichern wir Ihnen unsere Unterstützung zu. Vielen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helmut Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schmidt und Herr Nolting, es ist schon bemerkenswert, wenn Sie dem Außenminister unterstellen, er rede nur zu uns, und wenn Sie, Herr Schmidt, nicht sehen, daß es bei der Grundentscheidung vom 16. Oktober, über deren Folgen wir hier reden, auch in Ihrer Fraktion immerhin zwei Enthaltungen gab. Auch bei uns hat es einige Enthaltungen gegeben. Hier muß also wirklich mit Überzeugungskraft geredet werden. Außerdem finde ich es schon erstaunlich, Herr Schmidt, daß Sie, wenn Sie hier den Streit darüber, ob NATO oder OSZE, vom Zaun brechen, die NATO in der Tat so verinnerlicht haben, daß Sie die Entscheidungsgänge schon schneller vornehmen, als sie sich in den NATO-Gremien selbst abspielen. Ebenso erstaunt mich, daß Sie dabei nicht bemerken, daß wir heute über den bedeutendsten OSZE-Einsatz und dessen Absicherung sprechen. Wir sprechen jetzt nicht über die wirklich hoffnungslosen Situationen, in denen es immer hieß: Wir verhandeln. - Aber dann passierte nichts, und das Militär mußte eingreifen. Wir sprechen hier über eine Politik, bei der wir mit der OSZE versuchen, einen Konflikt im Konflikt mit zivilen Mitteln zu bewältigen. Ich denke, das ist ein ganz großer Fortschritt in der Außenpolitik. Es ist bemerkenswert, wie sehr sich Herr Schmidt in unseren Begriff der „Militarisierung der Außenpolitik“ verliebt hat, den wir sehr gern benutzen. Wir sind jetzt auf einem anderen Wege. Das sollte man begrüßen. Wir wollen hoffen, daß auch Sie solche Wege nachvollziehen können, damit wir uns hier einen überflüssigen Streit ersparen können. ({0}) Wir als Deutsche antworten heute auf das dringende Ersuchen des polnischen Außenministers - auch das ist zu erwähnen -, der gleichzeitig der amtierende Präsident der OSZE ist, auf Schutz der 2 000 OSZE-Beobachter. Meine Fraktion wird dem Stattgeben des Ersuchens zustimmen. ({1}) - Das kommt noch hinzu: Wir sprechen über Extraction in speziellen Notfällen. Deshalb ist die Diskussion über den Einsatz von Soldaten der KSK an dieser Stelle völlig überflüssig. Sie selbst wissen, daß in den Operationsplänen noch ganz andere Dinge angedacht sind, die man aber, so denke ich, nicht beschließen muß, bevor die Notwendigkeit dazu besteht; denn sonst wird durch solche Beschlüsse die politische Flexibilität vermindert, die wir für die Erstikkung eines Konfliktes mit friedlichen Mitteln dringend brauchen. Schlußwort: Vieles bleibt offen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir jetzt zwei oder drei Wintermonate lang Atempause haben. Wir wissen, daß sowohl die serbische Seite - also die serbische Armee wie auch die albanische Seite die Zeit zur Regruppierung nutzen. Um so dringender ist natürlich der Appell, diese Monate intensiv politisch zu nutzen, um so dringender der Appell, den wir auch an die albanische Seite richten sollten, endlich eine verantwortliche Führung, die sowohl die militärische als auch die politisch legitimierte Seite umfaßt, einzusetzen, so daß es keine einseitigen Erklärungen mehr gibt, sondern Verträge auch mit dieser Seite möglich sind. Um so dringender ist die Ermahnung an die serbische Seite, nicht immer nur zu sagen: Wir wollen ja verhandeln, aber wir wollen keine Dritten dabeihaben bzw. wir stellen sie in die Kulisse. Verhandlungen zwischen Albanern und Serben sind nur möglich, wenn eine dritte Seite da ist und wenn diese von der serbischen Seite nicht kleingeredet wird. Wir hoffen sehr, daß die Serben über ihren Schatten springen können, so daß wir zu wirklich vertrauensaufbauenden Verhandlungen kommen, und die Wintermonate dazu genutzt werden. Deshalb ist nach der Unterstützung für die Sicherheit der OSZE-Beobachter, die wir heute geben, die politische Seite wieder um so dringender gefordert. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem der Bundesaußenminister, wie mir schien, versucht hat, meiner Fraktion ins Gewissen zu reden, ({0}) will ich zu Beginn meiner Ausführungen sagen, daß ich einige der Gründe, die der Außenminister genannt hat, verstehen kann, wenn ich sie auch für falsch halte. Vielleicht ist es umgekehrt möglich, die Sorge anderer zu verstehen, auch wenn man sie für falsch hält. Im übrigen ist meine Auffassung von einem Meinungsaustausch nicht, daß man mit einer Meinung hineingeht und mit der des anderen wieder herauskommt. Das heißt, man muß sich schon auf eine Debatte einlassen. Die Bundesregierung begründet ihren Antrag unter anderem damit, daß die Entsendung unbewaffneter Beobachter im Rahmen der OSZE auch deren Schutz im Notfall nach sich zieht. Daß zivile OSZE-Beobachter geschützt werden müssen, steht für mich außer Frage. Diesen Schutz hat vertraglich in vollem Umfang die Republik Jugoslawien übernommen. Aus dieser Verpflichtung können und wollen wir sie nicht entlassen. Die Sicherheit der OSZE-Beobachter kann letztlich nur durch Jugoslawien selbst gewährleistet werden. Ich befürchte, daß die Stationierung von NATOEinheiten in Mazedonien nicht mehr Schutz bietet, sondern das Risiko erhöht. Es gibt im Kosovo politische Kräfte, deren erklärte Strategie und Wunsch es ist, eine NATO-Intervention zu provozieren. NATO-Truppen in der unmittelbaren Nachbarschaft - welch eine wunderbare Steilvorlage für diese Kräfte. Zusätzlich wird mit der NATO-Stationierung in Mazedonien ein weiteres Land auf dem Balkan destabilisiert. Die Bundesregierung - auch der Außenminister sprach darüber - versucht, den Eindruck zu erwecken, als gäbe es zwischen der Entsendung unbewaffneter OSZE-Beobachter und der Stationierung von NATOVerbänden einen zwingenden inneren Zusammenhang. Dies ist aus meiner Sicht mitnichten der Fall. ({1}) Mit der Stationierung wird hintenherum das Militärbündnis NATO doch noch ins Geschäft gebracht, nachdem es politisch der zivilen OSZE das Feld überlassen mußte. Liegt es da so fern, in diesem Umstand die eigentliche Begründung zu sehen? Wenn ich dann noch lese, daß der Verteidigungsminister gerade diese Truppenstationierung als Ermutigung für seine WEU-Pläne sieht, habe ich den Eindruck, daß es bei der Stationierung nicht nur um die Sorge für die OSZE-Beobachter geht. ({2}) Die Truppenstationierung in Mazedonien hat unübersehbar eine militärische Drohfunktion. Wir debattieren hier nicht nur über den Einsatz von 250 Mann, sondern für den Fall, daß der Notfall tatsächlich eintritt, über den möglichen Einsatz des gesamten SFOR-Kontingents, über eine Dimension von mehreren tausend deutschen Soldaten; so steht es jedenfalls im Regierungsantrag. Ich glaube sagen zu können: Man sieht, Militärbündnisse sind für nichtmilitärische Lösungen nicht geeignet. ({3}) Dünn ist aus meiner Sicht auch die rechtliche Argumentation der Bundesregierung. Das Notwehrrecht nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen kann völkerrechtlich nicht herangezogen werden. Im Vertrag mit Jugoslawien ist die Stationierung von NATOTruppen nicht verankert. Vertragliche Vereinbarungen mit Mazedonien und der OSZE liegen bis zur Stunde nicht vor. Der von der Regierung benutzte Ausdruck, sie befänden sich im Regelungsprozeß, kann darüber nicht hinwegtäuschen. Nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ wird seitens der NATO das Gewaltmonopol des UN-Sicherheitsrates ausgehöhlt. Das wollen wir nicht mitmachen. ({4}) Es ist tragisch, daß sich auch die neue Regierung auf den ausgetretenen Wegen einer alten Politik fortbewegt, gehetzt von einer außenpolitischen Krise zur anderen, und nicht die Kraft findet, aus diesem Teufelskreis von immer neuer Gewalt auszubrechen. Sie täuschen sich, Herr Außenminister, wenn Sie glauben, daß die Drohung mit Gewalt oder mit dem Einsatz derselben letztlich doch erfolgreich sei, auch dann, wenn einzelne Entscheidungen einen solchen Eindruck rechtfertigen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gehrcke, ich bräuchte viel Zeit, wenn ich die Anträge Ihrer Fraktion zur Unterstützung einer größeren Rolle, die die OSZE im internationalen Leben spielen soll, aufzählen würde. Können Sie dem Hohen Haus einmal erklären: Was für eine Logik besteht darin, daß Sie auf der einen Seite diese Anträge einbringen, daß Sie aber auf der anderen Seite keinen Vorschlag machen, wie man OSZEVertreter dafür gewinnen soll, unbewaffnet in eine gefährliche Region zu gehen, und was eigentlich passieren soll, wenn sie dort in Gefahr geraten? Können Sie einmal Ihren Standpunkt erklären? ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das Angebot, das wir unterbreiten, ist, sich auf zivile Konfliktlösung zu konzentrieren und vertragliche Vereinbarungen ernst zu nehmen. ({0}) Wenn man mit der Bundesrepublik Jugoslawien einen Vertrag abschließt, in dem nichts von Entsendung einer NATO-Truppe steht, muß man diesen Vertrag auf der eigenen Seite so ernst nehmen, wie man es vom Vertragspartner erwartet, sonst wird aus dem Völkerrecht ein Schweizer Käse, der für die Weltgemeinschaft unverdaulich ist. ({1}) Die Bundesregierung ist auf einem falschen Wege, wenn sie glaubt, daß diese Probleme mit Gewalt zu lösen sind, auch wenn Einzelerscheinungen einen solchen Eindruck rechtfertigen mögen. Jeder auf diese Weise „gelöste“ Konflikt zieht einen neuen Konflikt nach sich, auf den dann wieder mit Gewalt reagiert wird. Ich komme zum Schluß. Es ist für mich bedrückend, daß wir in fast jeder Sitzungswoche gefordert sind, deutsche Soldaten und Kriegsgerät in die Welt hinauszuschicken. ({2}) Aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag ab und hoffen, daß sich auch Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktionen zu einer solchen Gewissensentscheidung durchringen können. Schönen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christoph Zöpel.

Dr. Christoph Zöpel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002604, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute fassen wir seit Mitte Oktober den dritten Beschluß, um einen Beitrag zur inneren Sicherheit des Kosovo zu leisten. Diese innere Sicherheit des Kosovo ist allerdings auch in einer Weise gefährdet, die durch den Strom von Flüchtlingen, überwiegend albanischer Herkunft, Auswirkungen auf andere Teile Europas hat. Ursache für dieses humanitäre Desaster im Kosovo ist das Zusammentreffen von zwei historischen Entwicklungen, die den demokratisch-zivilgesellschaftlichen Werten Europas widersprechen: dem Zusammentreffen von Elementen eines totalitären politischen Systems, das aus der Zeit vor 1989 in die Gegenwart hineinragt, und den Auswüchsen eines extremen Nationalismus auf beiden Seiten, der sich in Gewalt gegen andere ethnische Gruppen niederschlägt. Gegen einen Teil dieser Gewalt, gegen die Gewaltanwendung durch serbische Streitkräfte, half nur - dieses Vorgehen ist leider weiterhin ohne Alternative - die Androhung von überlegener militärischer Gewalt durch die NATO. Wie von allen gewünscht, mußte die Gewalt nicht angewendet werden. Ein weiteres Mal hat, wie im kalten Krieg, die Androhung mit Gewalt gereicht, um sie nicht anwenden zu müssen. ({0}) Da der Bundestag zwar verpflichtet ist, dem Einsatz von Soldaten zuzustimmen, er aber nicht verpflichtet ist, dem Einsatz von Friedenskräften zuzustimmen - mir liegt daran, diesen Punkt deutlich zu machen -, komme ich auf das eigentliche Ereignis, um das es geht. Die Folge war die historisch erstmalige Vereinbarung, daß unbewaffnete Kräfte der OSZE eingesetzt werden, um einen Konflikt einzudämmen und vielleicht zu beenden. Ich glaube, ohne Übertreibung sagen zu können: Wir stehen hier in einer historisch neuen Situation. ({1}) Durch das Abkommen von Helsinki im Jahre 1975 wurde erträumt - damals wohl nur von den westlichen Signatarstaaten - und 1989 durch die Charta von Paris wurde deklarativ vereinbart, zu einer europäischen Zivilgesellschaft zu kommen, in der sich alle Europäer gemeinsam um ihre innere Sicherheit bemühen. Dieser Einsatz ist ein erster Schritt der OSZE, zu prüfen, wie das umgesetzt werden kann. ({2}) Indem dieser Einsatz vertraglich vereinbart wurde, stellt sich nun eine neue konkrete Frage: Wie kann die persönliche Sicherheit von Menschen garantiert werden, die sich bereit erklären, unbewaffnet in ein Konfliktgebiet zu gehen? Da machen abstrakte Überlegungen wenig Sinn. Ich glaube, kaum jemandem wird man vermitteln können, er müsse, solle oder dürfe in ein Krisengebiet gehen, wobei nicht ausgeschlossen werden könne, daß es weiterhin zu Gewaltanwendung komme, wenn man ihm nicht sagt, was im Krisenfall zur Gewährleistung seiner persönlichen Sicherheit geschieht. Das muß man sagen. Dazu hat es Überlegungen gegeben. Darüber wird heute eine Entscheidung getroffen. Ich sehe sie als alternativlos notwendig an. ({3}) Die Sicherheitskräfte, die in der Republik Mazedonien stationiert sein werden, kommen aus fünf Ländern: aus Frankreich, das die militärische Führung übernimmt, aus Großbritannien, aus Italien, aus den Niederlanden und aus Deutschland, also nur aus europäischen Ländern. Darüber wird diskutiert. Es wird die Frage gestellt, warum sich die Vereinigten Staaten nicht beteiligen. Meine Bewertung dazu lautet: Es liegt in der Logik der OSZE, daß diese Aufgabe allein von Europäern übernommen wird. ({4}) Offenkundig bleibt eines erforderlich: Wo als Voraussetzung für die Vermeidung militärischer Gewalt weiterhin die Androhung überlegener Gewalt notwendig ist, geht dies nur innerhalb der NATO unter Beteiligung der Vereinigten Staaten. Dazu benötigen wir dieses Bündnis. Aber die Frage, wie die europäische Zivilgesellschaft dauerhaft gemeinsam ihre innere Sicherheit regeln kann, können letztlich nur die Europäer gemeinsam beantworten. ({5}) Insoweit halte ich es für historisch richtig - das sollte von uns so aufgefaßt werden -, daß dieser Einsatz nur von Europäern unternommen wird. Sie werden sich natürlich weiter auf die Vereinigten Staaten verlassen können. Der Einsatz in Mazedonien, den wir hier beschließen, ist ja gekoppelt an die Mission der SFOR-Truppe, der die Vereinigten Staaten angehören. Manche diskutieren über diese Situation abstrakt. Dazu trägt aus meiner Sicht falsches Vokabular im Rahmen europäischer Sicherheitspolitik bei. Das Bild von der europäischen Sicherheitsarchitektur, die entworfen und geplant werden muß, führt in die Irre. Wir sollten in diesen Monaten und Jahren gelernt haben: Der Weg zu einer gemeinsamen Sicherheit - ich wiederhole diese Vokabel: zu einer gemeinsamen inneren Sicherheit - einer mehr und mehr vernetzten europäischen Zivilgesellschaft ist ein Prozeß, den man nicht planen kann. Dies ist ein Prozeß, den man, orientiert an Werten, leiten kann. Das ist das, was wir tun. Wir brauchen für ganz Europa die Werte der Demokratie und der Zivilgesellschaft. Sie bestimmen den Prozeß, in immer wieder neuen Situationen und durch immer neue Entscheidungen festzustellen, wie die Instrumente, die wir besitzen, möglichst häufig die OSZE und möglichst selten die NATO - aber es geht weiterhin offenkundig nicht ohne die NATO -, eingesetzt werden können. Das ist der Weg. Keiner wird planen können, wie die Garantie innerer Sicherheit in Gesamteuropa zum Schluß aussieht und wann dieser Prozeß zu Ende ist. Er wird nur gelingen, wenn wir uns an den Werten orientieren, um die es mir geht, wenn wir an der Ablehnung von totalitären Systemen und übertriebenem Nationalismus festhalten und versuchen, Schritt für Schritt mit den der OSZE zur Verfügung stehenden Mitteln - also möglichst ohne militärische Lösungen - irgendwann einmal in die Lage versetzt zu werden, daß es in Europa nur noch normale Polizisten gibt, die unvermeidbare Konflikte lösen. ({6}) Weil wir diesen Prozeß für immer wieder unvorhersehbare Ereignisse wollen, stimmen wir, die SPDBundestagsfraktion, heute der Vorlage der Bundesregierung zu. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Christian Schwarz-Schilling.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002128, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die deutsche Beteiligung an der OSZEMission im Kosovo beschlossen. Der Schutz der zivilen Mitarbeiter, die in einer Notsituation unbewaffnet in ein gefährliches Krisengebiet gehen, ist eine moralische Verpflichtung aller, die diese Entscheidung getroffen haben. ({0}) Auch diejenigen, die diese Entscheidung nicht mitgetragen haben, müßten heute zu dem Schluß kommen: Da dies so entschieden wurde, muß ich für den Schutz dieser Leute als Zivilisten aufkommen. Das sollten Sie sich noch einmal sehr genau vor Augen führen, Herr Gehrcke. ({1}) Die CDU/CSU-Fraktion ist deswegen uneingeschränkt für die Drucksache 14/51, wie gestern auch vom Ausschuß beschlossen. Die Historie zu diesen Beschlüssen ist nicht nur erfreulich. Bis zum Herbst waren es verbale Reaktionen der westlichen Staatengemeinschaft auf die sich aufheizende Lage im Kosovo: verzweifelte Appelle der Betroffenen und der internationalen Hilfsorganisationen sowie die Dauerreisen von Herrn Rugova, der verzweifelt versuchte, uns den Ernst der Lage klarzumachen und damit die immer stärkere Bedeutung der bewaffneten Kräfte der UCK, weil nichts geschehen ist. Es ist leider nicht fünf Minuten vor zwölf, sondern zehn Minuten nach zwölf. Es gab in den letzten Monaten mehr als 300 000 Flüchtlinge. Ein Drittel aller Häuser ist total zerstört, ein weiteres Drittel schwer beschädigt, also nur noch ein Drittel bewohnbar. Wieviel Geld das kostet, kann sich jeder ausrechnen. Es war ein Fehler, diese Maßnahmen nicht schon im Frühjahr einzuleiten. Wir alle, die wir die Verhältnisse dort kannten, haben das gefordert. Erst als der Winter nahte und sich der Schrecken breitmachte, welche Bilder es wieder im Fernsehen zu Weihnachten geben könnte, gab es eine gewisse Erregung unter den Politikern: Das können wir ja wohl nicht zulassen. Und so wurden dann die Sicherheitsratsresolutionen 1199 vom 23. September und 1203 vom 24. Oktober verabschiedet. Auf dieser Grundlage ist das Drohpotential der NATO aufgebaut worden, und durch ein Bündel von Maßnahmen ist bei den Verhandlungen von Herrn Holbrooke einiges erreicht worden. Das ist erfreulich. Die Verhinderung eines erneuten Genozids, einer total verbrannten Erde und riesiger Flüchtlingsströme, die unausweichlich gewesen wären, wenn diese Maßnahmen nicht getroffen worden wären, wurde nur durch die militärische Drohung möglich. Durch nichts anderes wäre dieser Erfolg erreicht worden. ({2}) Meine Damen und Herren, welcher Erfolg ist dies auch in der deutschen Bewußtseinslage, wenn ich einmal an die Situation in Bosnien im Jahre 1992/93 denke, als wir zuschauten und nur durch Argumente, warum Deutsche nicht beteiligt sein dürfen, erklärt haben, daß wir eine entsprechende internationale Intervention für uns nicht als gegeben ansehen. Die CDU/CSU war noch am mutigsten, indem sie die Möglichkeiten, die sich boten, ergriffen hat. Über die F.D.P. will ich nicht weiter sprechen; dort gab es eine gewisse Verwirrung. ({3}) Die SPD war weit von einer Position wie jener der CDU/CSU entfernt. Sie hat Prozesse gegen die Bundesregierung angestrengt wegen einiger Schiffe in der Adria - das muß man sich einmal vorstellen -, mit denen wir ein wenig bei der Beobachtung geholfen haben. Lieber Herr Lippelt, die Grünen waren noch in einer Fundamentalopposition. Ich muß Ihnen natürlich eines zugestehen: Wenn Sie mit diesem Tempo bei der Veränderung Ihrer Positionen weitermachen, könnten Sie hier einmal die Spitze sein. Dazu herzlichen Glückwunsch. ({4}) Aber wir dürfen die Gefahren für die Zukunft nicht vergessen. Durch diesen Auftrag der OSZE und durch unseren Beschluß ist keine militärische Absicherung gegeben. Es ist eine schlechtere Ausgangslage als in Bosnien, wo es noch vor Ort UNPROFOR-Kräfte zum Schutz der UNHCR-Mitarbeiter gab. Hier gibt es keine bewaffneten Kräfte vor Ort. Das ist natürlich ein Ergebnis der Holbrooke-Verhandlungen. Die Menschen dort werden nicht geschützt. Es liegt genau der gleiche Fehler wie in Bosnien-Herzegowina vor. Da hat man Friedenszonen etabliert, und die Mitarbeiter der internationalen Organisationen sind, als es brenzlig wurde, mit ihren Hubschraubern verschwunden, und das Massaker in Srebrenica konnte beginnen. Das ist hier vielleicht noch eher möglich als in Bosnien. Deshalb müssen der Verteidigungsminister und der Außenminister, bevor es zum Einsatz der Extraction Force kommt, schon darüber nachgedacht haben, für welche Begleitmaßnahmen Vorbereitungen getroffen werden müssen - etwa NATO-Luftangriffe -, um dort Massaker zu verhindern. Wir dürfen nicht nur unsere eigenen Leute schützen, vielmehr müssen in einem entsprechenden Fall schnellstens neue Beschlüsse gefaßt und umgesetzt werden, um etwas Ähnliches wie das, was in Srebrenica passierte, nicht wieder eintreten zu lassen. Die „local police“ muß eine ausreichende Exekutivgewalt bekommen. Denn wie sollen die Flüchtlinge, die in die Gebiete zurückkehren sollen, von denen sie wissen, daß dort serbische Polizei ist, ein Gefühl der Sicherheit bekommen, wenn nicht die lokale Polizei eine entsprechende Exekutivgewalt erhält? Es müssen Verwaltungshilfen und Finanzhilfen in großem Umfang für das Kosovo und die es umgebenden Staaten zur Verfügung gestellt werden. Wir müssen Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit bei Herrn Milosevic mit Nachdruck einklagen - und zwar jede Woche, täglich. Sonst stehen wir auf einer schiefen Bahn zum Abgrund; das muß uns klar sein. ({5}) Herr Bundeskanzler, Sie haben in der Debatte am 16. Oktober gesagt: Die Umsetzung des von Holbrooke erreichten Verhandlungsergebnisses wird uns vor weitere schwierige Aufgaben und Entscheidungen stellen. Sehr wahr! Sie wollen „Frieden und Stabilität in diesem Teil Europas“ schaffen. Meine Fraktion wird Ihnen sicherlich in dieser Frage jede Unterstützung zukommen lassen. Auch ich werde meine Funktion als internationaler Streitschlichter weiter intensivst ausüben und werde Ihnen natürlich in gleicher Weise wie der vorherigen Regierung zur Verfügung stehen. Sie haben das Glück, das Amt des Bundeskanzlers zu einem Zeitpunkt übernommen zu haben, in dem es einen großen Konsens in diesem Hause gibt. Nutzen Sie ihn schnell! Es könnte auch wieder anders werden. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Schwarz-Schilling, ich möchte Ihnen im Namen des Hauses zu Ihrem heutigen Geburtstag gratulieren. Ich habe das gerade erfahren. Ich wünsche Ihnen alles Gute. ({0}) Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Der Kollege Volker Kröning hat eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung ab- gegeben, die ich mit Ihrer Zustimmung zu Protokoll ge- be.*) Wir kommen zur Abstimmung über die Be- schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Be- teiligung an möglichen NATO-Operationen zum Schutz und Herausziehen von OSZE-Beobachtern aus dem Ko- sovo in Notfallsituationen, Drucksachen 14/47 und 14/51. Der Ausschuß empfiehlt, dem Antrag zuzustim- men. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Ich eröffne damit die Ab- stimmung. - Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Damit schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu be- ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen spä- ter bekanntgegeben.**) ------------ *) Anlage 2 **) Seite 433 Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf: 3. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schuldenerlaß und Aufbaumaßnahmen in Mittelamerika nach der Wirbelsturmkatastrophe - Drucksache 14/54 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausJürgen Hedrich, Dr. Christian Ruck, Dr. Norbert Blüm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Nach der Wirbelsturmkatastrophe in Mittelamerika: Hilfsmaßnahmen koordinieren, Schuldendienst aussetzen, Schulden erlassen und Wiederaufbau unterstützen - Drucksache 14/56 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Carsten Hübner, Heidi LippmannKasten, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Soforthilfe, Wiederaufbaumaßnahmen und Entschuldung für Mittelamerika - Drucksache 14/57 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Ministerin Frau Heidemarie Wieczorek-Zeul. ({1}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nicht anfangen, wenn nicht Ruhe einkehrt. Ich bitte darum, die Debatten nach draußen zu verlegen. - Das gilt auch für den Mittelgang. Ich bitte Sie, sich auf die Plätze zu setzen, damit wir anfangen können.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieser Debatte möchte ich noch einmal zum Ausdruck bringen, daß uns die Menschen in Honduras und in Nicaragua auf unserer Reise in der letzten Woche immer wieder ihre Dankbarkeit gezeigt haben. Die häufigsten Sätze, die man hörte, wenn man mit den Menschen in Honduras sprach, waren zum Beispiel: Ihr Deutschen wißt doch, wie schlimm es ist, in einem zerstörten Land zu leben. Ihr wißt auch, wie wichtig es ist, daß man Hilfe von Freunden erhält. Ich sehe Bilder von Schulen vor mir, in denen Hunderte von Kindern, die ohne Obdach sind, in engsten Klassenzimmern zusammengedrängt sind und dort auch noch längere Zeit leben müssen. Ich sehe auch das Bild eines Mannes vor mir, der mit den Füßen und Beinen im Schlamm stehend dabei ist, mit seinen Händen seine Werkstatt wiederaufzubauen. Solche Bilder bleiben mir immer vor Augen. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Wir stehen zu unserer Verpflichtung. Wir danken allen deutschen Entwicklungshelfern und Entwicklungshelferinnen sowie allen Vertretern der Nicht-Regierungsorganisationen vor Ort. ({0}) Sie haben dazu beigetragen, daß die deutsche Soforthilfe schnell und unbürokratisch geleistet werden konnte, daß das Leid der Menschen gemildert worden ist und daß weniger Opfer und Tote zu beklagen waren. Wir danken aber auch allen Menschen in Deutschland, die mit ganz großem Engagement gespendet haben und nach wie vor spenden. Diese Hilfsbereitschaft zeigt, daß unser Land engagiert ist, zum Wiederaufbau der Länder in Mittelamerika beizutragen. Ein herzliches Dankeschön auch an sie. ({1}) Es ist vielleicht noch zwei, drei Wochen Soforthilfe zu leisten. Gleichzeitig geht es aber auch schon um den Wiederaufbau. Wir haben in unseren Gesprächen die Bereitschaft der Bundesregierung erklärt, kurzfristig, aber auch über einen längeren Zeitraum aktiv beim Wiederaufbau zu helfen. Vor allem geht es auch darum, Fehlinvestitionen zu verhindern. Schon in dieser Woche werden den Menschen in einer Region Nicaraguas, im Bosawas-Bereich, von der GTZ beschaffte Saatgutmittel zur Verfügung gestellt, damit sie ihre Grundnahrung schnell wieder selber produzieren können und nur ganz kurze Zeit auf Nahrungmittelhilfe angewiesen sind. Es gilt noch einmal deutlich zu machen: In Nicaragua gibt es eine außerordentlich hilfreiche Arbeit der Städtepartnerschaften aus Deutschland. Wir haben diese Arbeit auch vor Ort außerordentlich schätzengelernt; wir haben sie gelobt. Wir haben die nicaraguanische Regierung unter Präsident Alemán aufgefordert, die Behinderung der Arbeit dieser Städtepartnerschaften zu unterlassen und sich mit allen Hilfsorganisationen an einen Tisch zu setzen, damit die Hilfe aus dem Ausland den Menschen in Nicaragua auch wirklich zugute kommt. Die leidende Bevölkerung braucht diese Hilfe, und zwar schnell und unbürokratisch. Dabei muß es völlig gleichgültig sein, welche Farbe, auch politische Farbe diese Hilfe hat. ({2}) Wir müssen daran arbeiten, daß beim Wiederaufbau endlich auch die Interessen der armen Bevölkerung, die besonders gelitten hat, und der Schutz der Natur berücksichtigt werden. Es ist ganz klar, daß die Vernachlässigung dieser beiden Aspekte eine wichtige Ursache für das Ausmaß der Katastrophe war. Diese Fehler dürfen sich nicht wiederholen; sie müssen beim Wiederaufbau vermieden werden. ({3}) Was den deutschen Beitrag anbelangt: Wir haben aus den unterschiedlichsten Finanzquellen rund 40 Millionen DM für die Region zur Verfügung gestellt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Sie werden eingesetzt zum Beispiel zum Wiederaufbau von kleinen und mittleren Unternehmen, von Wohnungen, von Energieversorgung, von Straßen, von Wasserversorgung, von nachhaltiger Forstwirtschaft. Wir werden immer Wert darauf legen - zum Beispiel auch bei den Regierungsverhandlungen mit Honduras, die Anfang Dezember in Bonn stattfinden werden -, daß die Partnerländer selbst Anstrengungen unternehmen, in diese Richtung zu arbeiten. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß wir den Nichtregierungsorganisationen aus Anlaß dieses Besuches und dieser Regierungsverhandlungen Zuschüsse für ihre Arbeit vor Ort anbieten. Soweit das 1998 nicht möglich ist, wollen wir das 1999 mit Präferenz tun. ({4}) Die Umwidmung von Mitteln reißt natürlich ein Loch in die betroffenen Kassen. Deshalb sage ich mit Blick auf den Bundesfinanzminister, der jetzt nicht anwesend ist: Wir haben beim Bundesfinanzminister beantragt, 30 Millionen DM aus den 1998 für andere Bereiche zugesagten Finanzmitteln, die nicht gebraucht werden, für den finanziellen Wiederaufbau, für die Finanzielle Zusammenarbeit, für Wiederaufbauvorhaben in Zentralamerika freizugeben. Meine Bitte ist, daß diesem Antrag entsprochen wird. ({5}) Nachdem sich Ende November ein EU-Entwicklungsministertreffen mit diesen Fragen beschäftigt haben wird, wird am 10. und 11. Dezember 1998 eine Sitzung der Interamerikanischen Entwicklungsbank, zu der bereits einberufen worden ist, stattfinden. Wir haben gegenüber deren Präsidenten Iglesias, der gestern zu Gesprächen in der Bundesrepublik war, klargemacht, daß Wiederaufbauprogramme für diese Region notwendiger als für viele andere Regionen, die manchmal bezuschußt werden, sind und daß sie eine nachhaltige soziale und ökologische Entwicklung zur Konsequenz haben müssen. Das sind wir den Menschen dort, aber auch den Menschen bei uns schuldig. Schließlich geht es hier um Steuermittel, die so effektiv wie möglich und im Interesse der großen Mehrheit der Bevölkerung in diesen Ländern eingesetzt werden müssen. ({6}) - Soweit ich es sehen konnte, hat er scharf nachgedacht. Vielleicht muß man dem Nachdenken noch etwas nachhelfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schuldenerlaß, der in der Diskussion eine große Rolle spielt, möchte ich noch einmal die Position der Bundesregierung darstellen. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in seiner Regierungserklärung von letzter Woche unseren Willen zum Ausdruck gebracht, einen internationalen Schuldenerlaß für die Länder der Region, vor allem für Honduras und Nicaragua, zu verwirklichen. Nicaragua und Honduras sind bereits, ohne daß es schon entschieden wäre, Kandidaten für die Initiative von Weltbank und IWF zugunsten der ärmsten und am höchsten verschuldeten Länder. Ich möchte an dieser Stelle meine persönliche Auffassung zum Ausdruck bringen, daß wir beiden Staaten eine schnelle Teilnahme an dieser Initiative von Weltbank und IWF ermöglichen sollten, weil sie dadurch am schnellsten einen wirklichen Schuldenerlaß erhalten. Deshalb bitte ich um Ihre Unterstützung gerade auch für eine solche Initiative. ({7}) Des weiteren geht es darum, den bilateralen Schuldendienst - bis hin zum Schuldenerlaß - auszusetzen. ({8}) Die Bundesregierung tritt für ein Moratorium bei den laufenden Schuldendienstverpflichtungen ein und möchte möglichst viele Teilnehmer, die im Pariser Club als bilaterale Gläubiger vertreten sind, für eine solche Initiative gewinnen. Ich bitte auch hier um die Unterstützung des ganzen Hauses. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung stimmt dem Antrag von SPD und Grünen sowie dessen Ausführungen zur Verschuldung zu. Das habe ich hier deutlich gemacht. Zum Schluß möchte ich aber noch eine eindringliche Bitte an alle Fraktionen in diesem Hause richten. Angesichts des Themas, um das es heute geht, ist es schade, daß sich eine Fraktion von dem interfraktionellen Antrag mit der Begründung zurückgezogen hat, daß ihn auch die PDS unterschrieben habe. Das finde ich deshalb schade und schlecht, weil es hier um die Hilfe für Menschen geht. Dabei zählt nur, daß Leid gelindert und geholfen wird; aber es zählt nicht, nach Farbe zu sortieren. ({10}) Wir dürfen doch niemanden zurückstoßen, der sich an dieser Hilfe beteiligen will. Deshalb appelliere ich an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsparteien: Tragen Sie bei der Schlußabstimmung über den Antrag der Koalitionsfraktionen dazu bei, daß es ein breites, vielleicht sogar einstimmiges Votum gibt, das nachdrücklicher ist und in Mittelamerika von der leidenden Bevölkerung auch gehört wird. Ich appelliere an Sie, diesem Antrag zuzustimmen und damit ein Signal der Solidarität und Unterstützung zu setzen. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an möglichen NATO-Operationen zum Schutz und Herausziehen von OSZE-Beobachtern aus dem Kosovo in Notfallsituationen bekannt: Abgegebene Stimmen 598. Mit Ja haben gestimmt 555, mit Nein haben gestimmt 36. Es gab 7 Enthaltungen. Die Beschlußempfehlung und damit der Antrag der Bundesregierung sind angenommen worden. ({0}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 595 ja: 553 nein: 35 enthalten: 7 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Rainer Arnold Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({4}) Bernhard Brinkmann ({5}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({6}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({7}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Peter Friedrich ({8}) Lilo Friedrich ({9}) Harald Friese Anke Fuchs ({10}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({11}) Angelika Graf ({12}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({13}) Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({14}) Walter Hoffmann ({15}) Iris Hoffmann ({16}) Frank Hofmann ({17}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({18}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({19}) Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({20}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Dr. Jürgen Meyer ({21}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Michael Müller ({22}) Jutta Müller ({23}) Christian Müller ({24}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({25}) Gerhard Neumann ({26}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({27}) Birgit Roth ({28}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({29}) Ulla Schmidt ({30}) Silvia Schmidt ({31}) Dagmar Schmidt ({32}) Wilhelm Schmidt ({33}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({34}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({35}) Brigitte Schulte ({36}) Reinhard Schultz ({37}) Volkmar Schultz ({38}) Ilse Schumann Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({39}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Joachim Stünker Joachim Tappe Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Günter Verheugen Simone Violka Ute Vogt ({40}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({41}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({42}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Hans-Joachim Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({43}) Jürgen Wieczorek ({44}) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({45}) Engelbert Clemens Wistuba Barbara Wittig Verena Wohlleben Hanna Wolf ({46}) Waltraud Wolff ({47}) Heidemarie Wright Uta Zapf Peter Zumkley CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Sylvia Bonitz Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Hartmut Büttner ({48}) Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({49}) Hubert Deittert Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({50}) Axel Fischer ({51}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({52}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({53}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Michaela Geiger Georg Girisch Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Gottfried Haschke ({54}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({55}) Hansgeorg Hauser ({56}) Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers ({57}) Dr. Norbert Lammert Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({58}) Eduard Lintner Dr. Klaus Lippold ({59}) Dr. Manfred Lischewski Dr. Michael Luther Erich Maaß ({60}) Dr. Martin Mayer ({61}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({62}) Elmar Müller ({63}) Bernd Neumann ({64}) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({65}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Christa Reichard ({66}) Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Dr. Klaus Rose Kurt Rossmanith Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Heinz Schemken Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({67}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({68}) Andreas Schmidt ({69}) Hans Peter Schmitz ({70}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Clemens Schwalbe Wilhelm - Josef Sebastian Heinz Seiffert Rudolf Seiters Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Dr. Hans-Peter Uhl Gunnar Uldall Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({71}) Gerald Weiß ({72}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({73}) Hans-Otto Wilhelm ({74}) Klaus-Peter Willsch Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({75}) Angelika Beer Matthias Berninger Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({76}) Joseph Fischer ({77}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Kristin Heyne Michaele Hustedt Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Klaus Wolfgang Müller ({78}) Kerstin Müller ({79}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({80}) Christine Scheel Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({81}) Werner Schulz ({82}) Christian Sterzing Jürgen Trittin Sylvia Ingeborg Voß Helmut Wilhelm ({83}) Margareta Wolf ({84}) F.D.P. Hildebrecht Braun ({85}) Ernst Burgbacher Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({86}) Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({87}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich Leonhard Kolb Gudrun Kopp Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Günter Friedrich Nolting Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Nein SPD Uwe Hiksch BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Monika Knoche PDS Monika Balt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Fred Gebhardt Dr. Klaus Grehn Dr. Gregor Gysi Dr. Barbara Höll Ulla ({88}) Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann-Kasten Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Angela Marquardt Manfred Müller ({89}) Rosel Neuhäuser Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Enthalten SPD Renè Röspel CDU/CSU Manfred Carstens ({90}) Willy Wimmer ({91}) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Irmingard Schewe-Gerigk Christian Simmert Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE und der IPU Abgeordnete({92}) Behrendt, Wolfgang, SPD Irmer, Ulrich, F.D.P. Bühler ({93}), Klaus, Siebert, Bernd, CDU/CSU CDU/CSU Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus-Jürgen Hedrich.

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Hurrikan „Mitch“ ist eine der schwersten Katastrophen der letzten Jahrzehnte über die Menschheit hereingebrochen. Daß die Meteorologen Wirbelstürmen auch noch menschliche Namen geben, ist wohl ein hilfloser Versuch, das Schreckliche gedanklich und emotional zu erfassen. Eine besondere Tragik ist natürlich, daß diese Katastrophe Länder getroffen hat, die heute schon zu den ärmsten auf der Erde gehören und die in ihrer Entwicklung wahrscheinlich - das Ausmaß kann man ja noch nicht völlig überblicken - um Jahrzehnte zurückgeworfen sind. Das heißt, sie brauchen unsere Solidarität. Ich möchte mich dem anschließen, was die Frau Ministerin vorgetragen hat: Ein Dank an diejenigen, die auch aus Deutschland unmittelbar geholfen haben! Ich glaube, wir können auf unsere Entwicklungshilfeorganisationen - ob sie nun staatlicher oder kirchlicher Natur sind, ob es politische Stiftungen oder private NichtRegierungsorganisationen sind - ein bißchen stolz sein. Es wird eine tolle Arbeit geleistet. ({0}) Man kann wohl hinzufügen - jemand, der den Wahlkreis vertritt, in dem das schreckliche Unglück von Eschede passiert ist, darf das sagen -: Die oft beschriebene und beschworene Kälte in unserer Bevölkerung ist in Notfällen eben doch nicht vorhanden. Vielmehr sind unsere Bürger in solchen Notsituationen zu einer überdurchschnittlichen - auch finanziellen - Hilfe bereit. Auch dafür sollten wir an dieser Stelle ein Dankeschön sagen. ({1}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Die internationale Gemeinschaft hat unmittelbar zu helfen begonnen. Der französische Präsident Jacques Chirac hat den Ländern Mittelamerikas einen Schuldenerlaß zugesagt. Insgesamt sollen den Ländern Guatemala, Nicaragua, Honduras und El Salvador Schulden in Höhe von 255 Millionen DM erlassen werden. Darüber hinaus forderte er die anderen Länder auf, dem Beispiel Frankreichs zu folgen. Die Vereinigten Staaten haben für Hilfsmaßnahmen im Katastrophengebiet eine erste Tranche in Höhe von 210 Millionen DM zugesagt. Der Direktor des IWF, Camdessus, hat Nicaragua und Honduras in der letzten Woche bereits einen 80prozentigen Schuldenerlaß zugesagt. Er wies ausdrücklich darauf hin, daß sich diese Hilfe nicht auf Soforthilfe beschränken soll, sondern von Nachhaltigkeit geprägt ist. ({2}) Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, hat das Instrument des Schuldenerlasses für die betroffenen Länder als Tat echter Nächstenliebe begrüßt. Wir freuen uns darüber und unterstützen, daß die Bundesregierung ausdrücklich erwähnt hat, diesem Beispiel folgen zu wollen. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, den Schuldendienst unverzüglich auszusetzen und sich international für einen Erlaß der Schulden auf allen Ebenen einzusetzen. ({3}) Mit einem Schuldenerlaß alleine ist es aber nicht getan. Darüber hinaus ist die internationale Koordinierung aller Maßnahmen, die zum Wiederaufbau der betroffenen Länder beitragen können, notwendig. Die französische Regierung hat daher eine Initiative zu einer internationalen Mittelamerika-Aufbaukonferenz gestartet, die am 10. und 11. Dezember 1998 in Washington stattfinden soll. Wir erwarten von dieser Konferenz entscheidende Impulse für den Wiederaufbau der betroffenen Region. Das vorrangige Ziel der Wiederaufbaumaßnahmen muß natürlich in der Wiederherstellung der agrarischen Produktion, also der Ernährungssicherung, und der Basisinfrastruktur liegen. In diese Maßnahmen sind die Aktivitäten der Kirchen, der politischen Stiftungen, der Organisationen der Wirtschaft und der anerkannten privaten Nicht-Regierungsorganisationen einzubeziehen. Bei der entwicklungsorientierten Nothilfe handelt es sich um Maßnahmen, die erst einmal das reine Überleben sichern, aber auch um Maßnahmen, die auf Langfristigkeit angelegt sind. Ich wiederhole: Zu diesen Maßnahmen gehört auch das Instrumentarium des Schuldenerlasses. Ich darf daran erinnern, daß die VorgängerBundesregierung von CDU/CSU und F.D.P. bereits im August dieses Jahres ein umfangreiches Umschuldungsabkommen mit Nicaragua unterzeichnet hat, welches auf Handelsforderungen einen Schuldenerlaß von 67 Prozent gewährt. Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen, daß der größte Teil der Schulden Nicaraguas auf die Mißwirtschaft der sandinistischen Diktatur zurückzuführen ist. Davon hat sich das Land bis heute nicht erholt. ({4}) Deshalb sage ich auch: Der Schuldenerlaß ist auch ein Beitrag zur Demokratisierung der Region, ({5}) weil er den in demokratischen Wahlen legitimierten Regierungen das Leben erleichtert. Das ist ganz entscheidend. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolf?

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne. ({0})

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Abgeordneter Hedrich, Sie sagen, Nicaragua sei eine Diktatur gewesen. Ist Ihnen bekannt, daß dieses Land einem Bürgerkrieg ausgesetzt war, daß die Contras von den USA finanziert waren und daß der Gerichtshof in Den Haag die USA unter anderem deshalb verurteilt hat, weil sie Minen gelegt haben, weil sie die Häfen Nicaraguas vermint haben? Sagen Sie trotzdem, daß die Schulden dieses Landes vor allem auf „Mißwirtschaft“ zurückzuführen seien?

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann nur bestätigen, was Sie in Ihrer Frage andeuten. Die sandinistische Diktatur hat eine absolute Mißwirtschaft im Lande geführt, ({0}) die dazu beigetragen hat, die wirtschaftlichen Grundlagen dieses Landes zu ruinieren. Das ist um so bedauerlicher, als nach dem Sturz der Somoza-Diktatur, an dem sich übrigens alle politischen Kräfte Nicaraguas außerhalb dieser Diktatur beteiligt haben, eine große, euphorische Aufbruchstimmung in diesem Land vorhanden war, die zur Demokratisierung und zur Freiheit der Menschen in Nicaragua hätte beitragen können. Schritt für Schritt das wissen Sie doch - haben sich Demokraten aus der sandinistischen Regierung zurückgezogen, weil sie erkannt haben, daß dort ein ganz anderer Kurs verfolgt wird. ({1}) Das hat das Land dann ruiniert. Unter den Folgen leidet Nicaragua bis heute. Das sind die Fakten. ({2}) Die Ministerin hat noch einen anderen Punkt der Hilfe angesprochen, - möglicherweise treffe ich damit wieder mehr Ihre Stimmungslage, vielleicht auch nicht -: Wir haben mit Skepsis zur Kenntnis genommen, daß die Regierung Alemán - übrigens eine demokratisch gewählte Regierung ({3}) ein Hilfsprogramm auf den Weg gebracht hat und dabei im Begriff ist, die Spenden, die von der internationalen Gemeinschaft gekommen sind, sehr einseitig an die Bevölkerung zu verteilen. Das findet - ich sage das mit großem Nachdruck - unsere Mißbilligung. ({4}) Deshalb möchte ich die Bundesregierung bitten, bei allen Hilfsmaßnahmen darauf zu achten, daß die Hilfe wirklich bei den Betroffenen ankommt. Ich darf Sie zitieren, Frau Ministerin: Nicht die Farbe und schon gar nicht die politische Farbe ist entscheidend. Hilfe darf nicht nur jenen gegeben werden, die einem politisch nahestehen. Nein, hier geht es darum, der Bevölkerung im ganzen Lande zu helfen. ({5}) Eine letzte Bemerkung: Die Ministerin hat an das Haus appelliert, dem Antrag von SPD und Grünen zuzustimmen. Der Grundtendenz dieses Antrages stimmen wir in der Tat zu. Wenn Sie unseren Antrag nachlesen, dann werden Sie feststellen, daß er einige ergänzende Punkte enthält; aber in der Tendenz unterscheiden sich unsere Anträge nicht. ({6}) - Immer mit der Ruhe. - Das Interessante ist nur: Sie appellieren an uns, es sollte hier einen interfraktionellen Antrag geben, und gleichzeitig beschweren Sie sich darüber, daß wir keinen Antrag unterstützen wollen, in dessen Kopf auch „PDS“ steht. Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, daß Sie bei Ihrer alten Marschrichtung nicht geblieben sind; vielmehr legen Sie jetzt einen eigenen Koalitionsantrag vor. Wenn Sie einen solchen Antrag vorgelegt hätten und uns gebeten hätten, ihn mitzutragen, dann bin ich ziemlich sicher - das gilt auch für die Kollegen von der F.D.P. -, daß wir das getan hätten. ({7}) - Bitte keine Aufregung! - Das sind die Fakten. ({8}) Ich kann uns nur ermutigen, uns bei den gegenseitigen Anträgen zu unterstützen. Ich biete folgendes Verfahren an: Wir werden uns bei Ihrem Antrag enthalten; Sie enthalten sich bei unserem Antrag. Wenn das geschieht, dann kommen beide Anträge durch, und die Bundesregierung hat eine solide Grundlage für die weitere Arbeit in der Region. Es geht in der Tat nicht darum, sich möglicherweise gegenseitig mit parlamentarischen Vorwürfen zu überziehen; vielmehr geht es darum, in diesem Parlament deutlich zu machen: Den Menschen in der betreffenden Region in Mittelamerika gehört unsere Solidarität. In dieser Frage sollten wir uns nicht durch Streit in diesem Hause auseinandertreiben lassen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Ströbele?

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, geben Sie mir recht Klaus-Jürgen Hedrich ({0}): Das weiß ich noch nicht.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- es ist ja auch eine Frage -, daß in Ihrem Antrag die Forderung nach Schuldenerlaß fehlt? Geben Sie mir recht, ({0}) daß in Ihrem Antrag insbesondere das fehlt, was im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und SPD enthalten ist, nämlich daß die Bundesregierung den einseitigen Schuldenerlaß der Bundesrepublik Deutschland nicht nur prüfen, sondern dieses Ziel auch erreichen soll?

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da ich den Antrag selbst mitformuliert habe, würde es mich sehr wundern, wenn das fehlt. Wenn Sie den Antrag nachlesen, dann sehen Sie, daß wir uns ausdrücklich dafür aussprechen, daß die Bundesregierung unverzüglich den Schuldendienst aussetzen soll ({0}) - das ist Ziffer 3 - und daß sie sich in den internationalen Gremien um einen allgemeinen Schuldenerlaß für die Region bemühen soll. ({1}) Ich wiederhole ausdrücklich: Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie den betroffenen Ländern der Region die Schulden erläßt. Dazu gehört auch, dies in den entsprechenden internationalen Gremien - wie es üblich ist - in einem normalen Verfahren abzustimmen. Genau dasselbe fordern Sie; wir liegen da nicht auseinander. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Angelika Köster-Loßack.

Dr. Angelika Köster-Loßack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002704, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind erschüttert über die Folgen der furchtbaren Naturkatastrophe in Mittelamerika: Es gab Zehntausende Tote, und ein Fünftel der Bevölkerung in Honduras ist obdachlos geworden. Wir sind uns einig, daß alles getan werden muß, um den betroffenen Ländern beim Wiederaufbau zu helfen. Vor allem Honduras und Nicaragua - das ist gesagt worden -, die zu den ärmsten Ländern der Welt gehören, sind in ihrer Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen worden. Es gibt große Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung, und die bereits bestehenden Partnerschaften von Kirchengemeinden, Städten und NichtRegierungsorganisationen, aber auch insbesondere die Städtepartnerschaften sind eine tragfähige Basis für die engen und fundierten Beziehungen, die jetzt für eine schnelle und effektive Hilfe genutzt werden. Ich möchte allen Menschen in diesem Bereich dafür danken, daß sie sich sofort auf den Weg gemacht haben und geholfen haben. ({0}) Für die Überlebenden der Katastrophe ist eine ganz schnelle Hilfe nötig. Krankheiten und Seuchen haben sich ausgebreitet, viele Kinder haben ihre Eltern verloren, sie sind traumatisiert, und für die Gesamtbevölkerung ist die Ernte vernichtet. Was das für die nähere Zukunft bedeutet, ist noch nicht absehbar. Wir begrüßen es deswegen ausdrücklich, daß die Bundesregierung schnell und unbürokratisch ein Sofortprogramm an Hilfen für die Länder Mittelamerikas beschlossen hat. Die Nicht-Regierungsorganisationen leisten dabei einen unverzichtbaren Beitrag. ({1}) Es muß durch Vereinbarungen mit den Regierungen sichergestellt werden - das gilt vor allem für Nicaragua -, daß die Arbeit der NROs nicht behindert wird. Ich danke auch der Frau Ministerin, daß sie dazu klare Worte gesagt hat. ({2}) Als Soforthilfe muß auch der Schuldendienst für die Länder der Region, insbesondere für Honduras und Nicaragua, ausgesetzt werden, wobei uns allen klar ist, daß diese Länder sowieso absolut zahlungsunfähig sind und das eine Bedienung der Schuldenlast nicht möglich ist. ({3}) Schon vor den Verwüstungen war die Situation Nicaraguas katastrophal. Über die Hälfte der Einwohner sind arm und haben auch keinen Zugang zu sauberem Wasser. Vor diesem Hintergrund wollen wir, daß die bilateralen und internationalen Schulden beider Länder erlassen werden. Der Schuldenerlaß ist nicht alles, aber ohne einen Schuldenerlaß ist keine Lösung der gegenwärtigen und auch der mittelfristigen Probleme möglich. ({4}) Dabei kommt den bilateralen Schulden Nicaraguas und der Verschuldung gegenüber Deutschland eine Schlüsselrolle zu. ({5}) Vor allem auch für die DDR-Altschulden Nicaraguas weit über 300 Millionen DM - muß eine Lösung gefunden werden. ({6}) Honduras hingegen hat 60 Prozent seiner Schulden bei multilateralen Gläubigern. Bilaterale und multilaterale Lösungen müssen aber Hand in Hand gehen, und in jedem Land ist eine spezifische Vorgehensweise erforderlich. Durch die aktuell nachvollziehbare Konzentration auf die Katastrophenländer Mittelamerikas darf es nicht zu einer Vernachlässigung der anderen hochverschuldeten armen Länder kommen. Deren Problem besteht in der permanenten Unterfinanzierung entscheidender gesellschaftlicher Bereiche wie Gesundheitsversorgung und Armutsbekämpfung. Wir müssen deswegen unverzüglich an die Umsetzung eines gezielten Schuldenerlasses für alle hochverschuldeten Länder gehen. ({7}) Dabei wird die Bundesregierung nicht ohne jegliche Konditionen Schulden erlassen, wie es manchmal von falscher Kritik suggeriert wird. Es muß sichergestellt werden, daß durch Entschuldung freiwerdende Mittel den Ärmsten in diesen Ländern auch zugute kommen. ({8}) Ein wirksamer Schuldenerlaß muß letztendlich international abgestimmt sein. Wenn Deutschland mit gutem Beispiel vorangeht, besteht die große Chance, dies auch international durchzusetzen. Frankreich und Österreich haben angekündigt, die Schulden von Honduras und Nicaragua zu erlassen. Das konservativ regierte Spanien will einen Teil erlassen, und auch die USA und Großbritannien wollen ihren Beitrag leisten. Wir erwarten von IWF und Weltbank ein klares, konkretes Zeichen für die Entschuldung der Länder Mittelamerikas. Zwar ist die Bereitschaft dazu schon erklärt worden, aber eine Umsetzung ist notwendig. Die Gründung eines Hilfsfonds für den multilateralen Schuldendienst der betroffenen Länder ist ein erster sinnvoller Schritt. Dabei müssen auch von beiden internationalen Finanzinstitutionen mehr Gelder für eine Gesamtentschuldung bereitgestellt werden. In diesem Sinne hoffe ich auch, daß unsere deutschen Exekutivdirektoren in diesen Institutionen initiativ werden. Über Soforthilfe und Entschuldungsprogramme hinaus wird es auch darauf ankommen, daß international langfristig abgestimmte Konzepte entwickelt werden, die in den betroffenen Ländern eine ökonomisch und ökologisch nachhaltige Entwicklung begründen. Ein besserer Schutz gegen die Folgen von Naturkatastrophen kann nämlich nur durch eine Umsteuerung in den sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geleistet werden. Die hohen Schuldendienste haben in den betroffenen Ländern zur Fortführung einer einseitigen Exportorientierung beigetragen, insbesondere bei Agrarprodukten. Die für den einheimischen Markt produzierende Landwirtschaft wurde vernachlässigt. Landreformen stehen weiterhin aus. Gerade hier aber liegt der Schlüssel zur Hilfe für die ärmsten Bevölkerungsgruppen. Die bisherige ungleiche Verteilung von Land hat dazu geführt, daß viele Menschen in den am stärksten betroffenen Ländern in ihrer Not dort siedeln mußten, wo sie auch gegen die Wassermassen keinen Schutz finden konnten. Auf Grund der landwirtschaftlichen Monokulturen ist die Bodenerosion eine große Gefahr. Jedes Jahr werden in Mittelamerika bis zu 400 000 Hektar Wald vernichtet. Gerade diese Abholzung und die Bodenerosion waren aber entscheidende Faktoren bei den extremen Folgen der Überschwemmungen und der Erdrutsche. Zukünftig müssen die mittelamerikanischen Länder die sozialen und ökologischen Probleme ins Zentrum ihrer Politik stellen. Die krasse soziale Ungerechtigkeit, eine mangelnde Grundversorgung in bezug auf Gesundheit und soziale Dienste schaffen für die ärmsten Menschen bisher einen Teufelskreis, aus dem sie sich aus eigener Kraft nicht befreien können. Wir können diesen Teufelskreis jetzt durchbrechen helfen, wenn die Auslandsschulden zum Beispiel in Fonds umgewidmet werden, mit denen eine soziale und ökologische Entwicklung angeschoben werden kann. Damit wir diese Ziele insbesondere einer Armuts-bekäpfung und nachhaltigen Entwicklung befördern können, müssen alle westlichen Industrieländer ihren Beitrag leisten. Die rot-grüne Koalition hat sich auf eine globale Strukturpolitik verpflichtet, die die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verhältnisse in den Entwicklungsländern verbessern hilft. Unverzichtbar ist auch eine andere Klimapolitik. Es ist unbestritten, daß die zunehmenden Naturkatastrophen der letzten Jahre im engen Zusammenhang mit Klimaveränderungen stehen. Deshalb müssen in erster Linie wir, die westlichen Industrienationen, die größten Klimaverschmutzer, unsere Energie- und Verkehrspolitiken ändern. ({9}) Nur dadurch sind die Klimaschutzziele erreichbar. Nur durch gemeinsame Anstrengungen in Nord und Süd können wir verhindern, daß in immer kürzer werdenden Abständen solche vermeintlich nur naturgegebenen Katastrophen diese schrecklichen Folgen haben. Zum Schluß möchte ich sagen, daß ich es sehr bedauere, daß es nicht zu einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen gereicht hat. Wir lehnen in der jetzigen Situation die von den Oppositionsfraktionen eingebrachten Anträge ab, denken aber, daß es notwendig ist, gerade auch im Hinblick auf die betroffenen Menschen, daß wir einstimmig unsere Zustimmung zu dem Antrag der Koalition geben. Ich glaube, angesichts des menschlichen Elends in dieser Weltregion müssen parteipolitische Gesichtspunkte wirklich ganz in den Hintergrund treten. ({10}) Ich bitte Sie darum! ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Günther.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Wirbelsturm „Mitch“ hat verheerende Zerstörungen bisher unbekannten Ausmaßes angerichtet, und die katastrophalen Regenfälle und Überschwemmungen haben vor allem in Honduras und Nicaragua viele Tausende von Menschenleben gekostet. Hunderttausende Sturmopfer haben ihr Obdach verloren und benötigen dringend überlebensnotwendige Hilfsgüter. Die Seuchen sind bereits ausgebrochen. Auch in Guatemala, Belize, El Salvador und Costa Rica sind Sturmschäden und unzählige Opfer zu vermelden. Die Infrastruktur hat in den betroffenen Ländern schwerste Schäden erlitten. Unsere Partner und Freunde in Zentralamerika sind dringend auf unsere Unterstützung zur Linderung der schlimmsten Not und zur Beseitigung der Sturmschäden und auf den Wiederaufbau angewiesen. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion begrüßt es daher, daß die Bundesregierung, die Europäische Union, aber auch viele andere Länder und Organisationen sowie viele deutsche und internationale Nichtregierungsorganisationen umgehend umfassende humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt haben. ({0}) Der Dank dafür wurde ja von meinen Vorrednern bereits ausgesprochen. Wir möchten uns diesem Dank anschließen. Wir begrüßen es, daß die deutschen Hilfsleistungen, auch dank der deutschen Experten vor Ort und der Projekte vor Ort - die übrigens von dieser Katastrophe auch betroffen wurden -, schnell anliefen. Es wäre aber aus unserer Sicht nützlich gewesen, wenn man bei der Abwicklung zum Beispiel auch auf die Lufttransportkapazitäten der Bundeswehr zurückgegriffen hatte. Die Transportlogistik der Bundeswehr hat sich in der Vergangenheit in Katastrophensituationen hervorragend bewährt. Die Übernahme derartiger Aufgaben im Rahmen der deutschen humanitären Nothilfe befindet sich nach unserer Auffassung auch im Einklang mit dem Auftrag der Bundeswehr, gemeinsam mit unseren Partnern einen konstruktiven Beitrag zur Behebung derartiger Notfälle zu leisten. ({1}) Mein Kollege Werner Hoyer hat bereits am 4. November mit Schreiben an Bundesaußenminister Fischer und Innenminister Schily die Entsendung von Einheiten des Technischen Hilfswerks und Unterstützung durch Lufttransportkapazitäten der Bundeswehr angemahnt. Aber außer der Antwort, ein Hilfsteam erkunde derzeit vor Ort, welcher Hilfsbedarf bestehe, ist noch keine Initiative erkennbar. Es ist bedauerlich, daß unser Vorschlag in dieser Richtung keine Zustimmung gefunden hat. Wir begrüßen dennoch, daß die Hilfsmaßnahmen nunmehr schrittweise umgesetzt werden und besonders in den Bereichen der Nahrungsmittelversorgung und der Seuchenvorbeugung bereits Wirkung zeigen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die betroffenen Staaten durch weitere Mittel und Aufbaumaßnahmen zu unterstützen. Ich hoffe, daß auch die von Ihnen, Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, gestern im Ausschuß aufgezeigten Maßnahmen schnell und unbürokratisch umgesetzt werden. Die Zusagen für konkrete Maßnahmen wie Straßenund Wasserleitungsbau sowie Pionierbrücken sind aus unserer Sicht unproblematisch. Sie müssen aber an der Selbsthilfe der betroffenen Menschen und Gemeinden ansetzen. ({2}) Die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen sowie der Forstwirtschaft sollte über die momentane Hilfe hinausgehen und dann in mittelfristige Programme eingebunden werden. ({3}) Dabei sollte - so sieht es eigentlich auch der Antrag vor - auf eine enge Koordinierung mit den Maßnahmen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen geachtet werden. Mit den für den Wiederaufbau der Region vorgesehenen Mitteln und Projekten soll ein Beitrag sowohl zur Schaffung von Frühwarnsystemen als auch zur Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und zur Stärkung der Eigeninitiative der Partnerländer geleistet werden. Diese Entwicklungsorientierung ist für unsere Hilfe ganz entscheidend. Die Menschen Mittelamerikas sind durch die Naturkatastrophe in den Entwicklungsbemühungen um Jahrzehnte zurückgeworfen worden. Ein Wiederaufbau der Region darf nicht durch Altlasten zusätzlich erschwert werden. Ein umfassender Schuldenerlaß für die meisten betroffenen Länder ist daher dringend erforderlich. Wir fordern deshalb vor allem, daß Nicaragua und Honduras die Schulden, die aus der Entwicklungszusammenarbeit entstanden sind, umgehend erlassen werden. Darüber hinaus ist es erforderlich, daß sich die Bundesregierung - das haben Sie, Frau Ministerin, eben bestätigt - in allen internationalen Gremien - auch im Pariser Club - für einen möglichst umfassenden Schuldenerlaß auf multilateraler Ebene einsetzt. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat aktiv an der Formulierung eines interfraktionellen Antrags zur Wirbelsturmkatastrophe in Mittelamerika mitgewirkt. Dabei wurden die von mir genannten Aspekte im wesentlichen eingearbeitet. Angesichts der dramatischen Situation in Mittelamerika hätten wir es begrüßt, wenn der Bundestag in dieser Frage über Parteigrenzen hinweg einen Konsens gefunden hätte. ({4}) Dies wäre unserer Meinung nach auch ein richtiges Signal der Solidarität an die mittelamerikanischen Partner und Freunde gewesen. Um so bedauerlicher ist es nun, daß der interfraktionelle Ansatz, nachdem sich die Fraktionen eigentlich schon auf einen gemeinsamen Text geeinigt hatten, ({5}) offensichtlich aus innerpolitischen Gründen von der CDU/CSU kurzfristig aufgegeben wurde. ({6}) Welche Ergebnisse so etwas nach sich zieht, kann man am besten am PDS-Antrag sehen, der jetzt unter dem Motto „Koste es, was es wolle; wir fordern mal 100 Millionen DM“ völlig falsche Dimensionen und völlige Unberechenbarkeit auf den Weg bringen soll. ({7}) Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Fraktion steht zu ihrer einmal eingenommenen Haltung. Wir Liberalen stimmen dem von uns mit formulierten Antrag der Koalition zu. ({8}) Joachim Günther ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Carsten Hübner.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach einer Meldung der Nachrichtenagentur IPS vom 17. November, also von vorgestern, müssen allein die beiden am schwersten vom Hurrikan „Mitch“ verwüsteten Länder Honduras und Nicaragua täglich rund 2,2 Millionen US-Dollar, also mehr als 3,5 Millionen DM, zur Bedienung ihrer Auslandsschulden aufbringen - täglich, meine Damen und Herren, also auch heute und gestern, als wir noch über den interfraktionellen Antrag verhandelt haben. Ich möchte das hier deshalb so deutlich unterstreichen, weil der Antrag der PDS-Fraktion inzwischen der einzige ist, der von der Bundesregierung einen sofortigen bilateralen Schuldenerlaß für die betroffenen Staaten verlangt und diese inzwischen von vielen Seiten erhobene Forderung nicht verwässert oder die angebliche Notwendigkeit einer Entscheidung des Pariser Clubs vorschiebt. ({0}) Länder wie Frankreich, Österreich oder selbst das hochverschuldete Kuba sind uns hierbei bereits weit voraus. Wir sollten uns dieser auch aus der Sicht des IWF vorbildlichen Initiative schleunigst anschließen, ({1}) was natürlich die dringend notwendige Initiative einschließt, endlich zu multilateralen Vereinbarungen über einen generellen Schuldenerlaß für die ärmsten und am wenigsten entwickelten Staaten zu kommen. Angesichts der hier gemachten Äußerungen denke ich, daß wir uns darin ziemlich einig sind. Darüber hinaus ist die PDS-Fraktion der Überzeugung, daß die von der Bundesregierung angekündigten und zum Teil bereits ausgereichten Mittel in Höhe von rund 40 Millionen DM mit Blick auf die verheerende Situation gerade in Honduras und Nicaragua keineswegs ausreichen, sondern daß eine deutliche und vor allem verbindliche Aufstockung der Mittel für Soforthilfe und Wiederaufbau auf 100 Millionen DM erfolgen muß. Was die scheinheilige Frage von eben angeht, so muß ich sagen: Natürlich sind die 50 Millionen DM eine Verhandlungsposition gewesen. Es ist doch selbstverständlich, daß man in solche interfraktionellen Verhandlungen mit einer Summe geht, die zunächst konsensfähig zu sein scheint. Ein Betrag von 100 Millionen DM ist angesichts der Gesamtschäden von mehreren Milliarden Dollar aus unserer Sicht durchaus nicht überhöht, sondern trägt einer Situation Rechnung, in der neben der drohenden Gefahr von Hunger auch die Gefahr von Epidemien besteht, ganz abgesehen von der massenhaften Obdachlosigkeit, der weitgehend zerstörten Infrastruktur und den vielen, zum Teil noch nicht geborgenen Toten. Auch diesbezüglich könnten andere Länder durchaus ein Ansporn für uns sein; das ist bereits erwähnt worden. Selbst die dringend erforderliche Aussetzung des Schuldendienstes soll - so sieht es der Antrag der Regierungskoalition vor - allein für Nicaragua und Honduras erfolgen. Von den - wenn auch nicht in vergleichbarer Weise - betroffenen Staaten El Salvador und Guatemala ist hier nicht einmal mehr die Rede. Die PDS-Fraktion verkennt nicht, daß die neue Bundesregierung bereits erste Schritte unternommen hat, um die Situation in Mittelamerika lindern zu helfen. Wir begrüßen das ganz ausdrücklich. Gleichzeitig müssen wir aber feststellen, daß diese Schritte längst nicht weit genug gehen, daß sie außerordentlich zaghaft sind und daß die vorhandenen Spielräume nicht ausgeschöpft werden. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, in Notsituationen wie dieser beweist sich, ob ein Kurswechsel, ob ein wirklich substantieller Politikwechsel tatsächlich gewollt ist oder ob das inzwischen omnipräsente Wort „Kontinuität“ auch in dieser Frage zur treffenden Situationsbeschreibung taugt. Erlauben Sie mir, zum Abschluß noch meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck zu bringen, wie mit dem von meiner Fraktion am Dienstag letzter Woche angeregten interfraktionellen Antrag verfahren wurde. Enttäuschend ist nicht nur, daß die CDU/CSU erst im Rahmen der gestrigen Beratung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung öffentlich ihren Rückzug vom ausgehandelten Kompromiß erklärte und einen eigenen Antrag ankündigte. Das war das Ende des interfraktionellen Verständigungsversuchs und damit ein äußerst bedenkliches Zeichen in dieser wichtigen Frage. Sie können dazu gern einmal den Kommentar im Berliner „Tagesspiegel“ lesen, Herr Hedrich. Das Zeichen ist ein deutliches. Zusätzlich enttäuscht hat mich jedoch, daß sich, als Ministerin Wieczorek-Zeul gestern im Ausschuß noch für den interfraktionellen Antrag warb, SPD und Grüne längst darauf verständigt hatten, den eigentlich interfraktionellen Antrag nun ganz als den ihren auszugeben und so einzubringen, als hätte es nicht weiterhin die Möglichkeit gegeben, ihn als interfraktionellen Antrag einzubringen, wenn auch ohne die CDU/CSU; auch die F.D.P. wäre dazu ja bereit gewesen. ({2}) Das ist ein Umgang, meine Damen und Herren, der nicht nur Ihre Aussagen über ein gemeinsames und einvernehmliches Signal gegenüber den Betroffenen konterkariert - wenn Sie sich erinnern, Frau Ministerin, waren Sie es, die gestern davon sprach, daß in den verwüsteten Gebieten niemand ein derartig kleinkariertes Vorgehen verstehen würde -, sondern der auch Ihre Ankündigung konterkariert, zu neuen Formen des Umgangs, der Transparenz und der Kooperation in Sachfragen kommen zu wollen. Ich hoffe deshalb sehr, daß dieses Handeln eine Ausnahme bleiben wird und daß wenigstens in Zukunft mit offenen Karten gespielt wird, gerade dann, wenn es sich um so dramatische und bedeutende Fragen wie diese handelt. Sie taugen nämlich nicht für Profilierungsspielchen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Sie haben Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Es ist üblich, daß wir Ihnen vom Haus aus dazu gratulieren. Das tue ich hiermit. ({0}) Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Adelheid Tröscher.

Adelheid Tröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, daß bei diesem Thema das Haus relativ gut besetzt ist. Ich hoffe doch, daß dies auch in Zukunft so sein wird. Hurrikan „Mitch“ hat uns alle sehr betroffen gemacht. Diese Katastrophe ruft uns auf, nicht nur kurzfristig zu helfen, sondern uns auch längerfristig Gedanken über Entwicklungspolitik zu machen. Das ist wohl das einzig Gute an diesem schrecklichen Naturereignis. ({0}) Entwicklungspolitik ist globale Strukturpolitik. Ich glaube, auch Abgeordnete in diesem Hause müssen das noch lernen. Wir dürfen nicht immer nur bei den Themen des eigenen Ausschusses verharren. Wir müssen vielmehr schauen, welche Themen in anderen Ausschüssen behandelt werden. Wir müssen dabei sehen, welche schlimmen Zustände hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen und mangelnder Demokratie auf dem Globus, vor allem auf der Südhalbkugel, herrschen. Dort gibt es noch sehr viele Diktaturen und korrupte Regimes, die die Lage der Menschen erschweren, weil sie ihnen noch mehr Unglück bringen, als es ohnehin schon der Fall ist. Den Betroffenen hilft es nicht, wenn wir in diesem Punkt nur politisch-ideologisch denken. Wir müssen alle ein bißchen über unseren Schatten springen. Es geht um Menschen, denen wir helfen müssen. Deswegen ist es wichtig, daß wir unsere Hilfsmaßnahmen in Mittelamerika zunächst auf die unmittelbare Katastrophenhilfe konzentrieren: die Rettung von Menschen, die noch immer in Lebensgefahr sind, die Bereitstellung von Lebensmitteln, die Vermeidung von Seuchen durch die Bereitstellung provisorischer Unterkünfte sowie die Bereitstellung sauberen Trinkwassers und die Wiederherstellung eines Minimums an öffentlicher Ordnung. Es war gut, daß die Bundesregierung den betroffenen Ländern, vor allem Honduras und Nicaragua, Soforthilfe für die Nahrungsmittelversorgung und die Seuchenvorbeugung zur Verfügung gestellt hat und daß die Bereitstellung weiterer Mittel für Aufbaumaßnahmen in den betroffenen Gebieten vorbereitet wird. Es war weiterhin gut, daß die Ministerin in die entsprechenden Gebiete geflogen ist und an Ort und Stelle mit Regierungen und NGOs, aber vor allem mit den betroffenen Menschen gesprochen hat. ({1}) Dies war ein gutes Zeichen, Frau Ministerin, für unsere Solidarität und unser Mitgefühl. Ihr Handeln war mutig und unkonventionell. Ich möchte Ihnen daher an dieser Stelle unseren großen Dank für Ihr Handeln aussprechen. ({2}) Über diese unmittelbaren Maßnahmen hinaus besteht Handlungsbedarf bei der mittelfristigen Wiederherstellung einer grundlegenden Infrastruktur sowie der Produktionskapazitäten, insbesondere im Hinblick auf die für die Selbstversorgung wichtige Landwirtschaft. Der Naturkatastrophe folgt nun nämlich ein wirtschaftliches Fiasko. Nach vorläufigen Schätzungen beträgt der Schaden des Wirbelsturms insgesamt mehr als 5 Milliarden DM - weit mehr als zum Beispiel das jährliche Bruttosozialprodukt Nicaraguas. In weiten Teilen der Region existieren heute weder Straßen noch Telefonleitungen. Es sollen allein 180 Brücken zerstört worden sein. Ich glaube, dieses Ausmaß können wir uns in unserem hochzivilisierten Land gar nicht vorstellen. Die Landwirtschaft existiert in Honduras praktisch überhaupt nicht mehr. Der Exporterlös der Bananenernte von 1,4 Milliarden DM ist weggefallen. Kaffee-, Zukker- und Reisernte fallen in diesem Jahr aus. Wo Nutztiere den Hurrikan überlebten, finden sie nun kein Futter mehr. Dies ist die Bilanz, die der Hurrikan „Mitch“ hinterlassen hat. Die internationale Staatengemeinschaft ist nun gefragt, in den betreffenden Regionen zu helfen. Es geht nicht mehr allein um die Frage, wie wir kurzfristig die Not- und Katastrophenhilfe, Nahrungsmittellieferungen, Wiederaufbauprogramme und die Flüchtlingsversorgung sicherstellen können. Hinzu kommt auch, welche bisher geleisteten Investitionen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit der Hurrikan vernichtete. Ein zusätzliches Problem liegt in der Nothilfe auf der einen Seite und in der Entwicklungszusammenarbeit auf der anderen Seite. Beide werden weltweit aus den gleichen Töpfen finanziert, und zwar aus den knapper werdenden Etats für internationale Zusammenarbeit. Das Problem aber ist: Im Nothilfebereich explodieren die Kosten; für die Entwicklungszusammenarbeit bleibt immer weniger übrig. ({3}) Gaben etwa Anfang der 80er Jahre die Geberländer noch weniger als 2 Prozent ihrer Entwicklungsmittel für die Nothilfe aus, so hat sich dieser Anteil inzwischen auf 11 Prozent erhöht. Allein die GTZ erhielt 1985 rund 20 Aufträge zur Katastrophenbewältigung; Mitte der 90er Jahre waren es 250. Für Frauenförderung bleibt dann überhaupt nichts mehr übrig. Überschuldung ist zu einem entwicklungshemmenden Problem geworden. Selbst die Weltbank, neben dem IWF, privaten Geschäftsbanken und einzelnen Staaten Hauptgläubiger vieler Entwicklungsländer, fordert mittlerweile neue Initiativen ein, um zumindest die Verschuldung der allerärmsten Länder, der „highly indebted developing countries“, in den Griff zu bekommen. Der von der Weltbank einschlagene Weg, einen internationalen Fonds zur Entschuldung der multilateralen Forderungen zu schaffen, könnte wegweisend auch für die Entschuldung privater und bilateraler Forderungen sein. ({4}) Die bisherigen Bemühungen von IWF und Weltbank gegenüber den hochverschuldeten armen Ländern sind kleine Schritte in die richtige Richtung. Dennoch sind beide auch weiterhin gefordert, innovative Maßnahmen zu ergreifen, um die Belastungen der armen Schuldnerländer auf ein tragbares Niveau zu reduzieren. Eine volle Aufrechterhaltung der Finanzforderungen ist nicht zu rechtfertigen. Wir könnten bei der Lösung dieser Fragen weiter sein, als wir es heute sind. Leider aber hat die alte Bundesregierung auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene Chancen und Möglichkeiten in diesem Bereich vertan, was auch von Mitgliedern des Pariser Clubs kritisch angemerkt wurde. ({5}) Schon auf den letzten Jahrestagungen von IWF und Weltbank hätte die alte Bundesregierung die Möglichkeit gehabt, umfassende Initiativen zur Lösung der Verschuldungskrise zu ergreifen. Versäumnisse dieser Art dürfen nicht wieder vorkommen. Die Bundesregierung muß in diesem Zusammenhang eine aktivere Rolle auf dem internationalen Parkett spielen. ({6}) Ich begrüße es daher außerordentlich, daß die jetzige Bundesregierung den bilateralen Schuldendienst für die betroffene Region, vor allem für Honduras und Nicaragua, zunächst aussetzen will, und zwar mit dem Ziel, einen Erlaß der Auslandsschulden zu erreichen, und daß sie sich in den internationalen Gremien für einen gezielten internationalen Schuldenerlaß einsetzen wird. Ebenso wichtig ist die Bereitschaft der Bundesregierung, sich auf internationaler Ebene an der Einrichtung eines Hilfsfonds für multilateralen Schuldendienst für die betroffenen Länder zu beteiligen. Vor allem ist wichtig, einen Beschluß des Pariser Clubs zu initiieren - Frau Ministerin Wieczorek-Zeul hat schon darauf hingewiesen -, in dem sich die Gläubigerstaaten zu einer massiven Minderung der Schuldenlast bis hin zu einem völligen Schuldenerlaß bekennen. ({7}) - Auch die bekommen wir vielleicht noch mit ins Boot. Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits in der letzten Legislaturperiode Vorschläge zur Lösung der Entschuldungsproblematik erarbeitet und in den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir hatten seinerzeit die Vorschläge der Weltbank begrüßt, einen internationalen Fonds zur Entschuldung der ärmsten 40 Länder einzurichten. Über diesen Fonds sollte unseres Erachtens unverzüglich auf einer internationalen Schulden-konferenz diskutiert und dessen Umsetzung und Konzeption geprüft werden. Wir hatten dazu eine Reihe von Fragen formuliert, die auf dieser Konferenz behandelt werden sollten und die auch heute noch ihre Aktualität besitzen. Hierzu gehören die Fragen, gegenüber welchen Ländern der Fonds Entschuldungen durchführen könnte, welche Kriterien den Entschuldungsmaßnahmen zugrunde gelegt werden und ob im Zuge von Entschuldungen Gegenwertfonds für entwicklungspolitische Maßnahmen in den betreffenden Ländern eingerichtet werden sollten. Hierzu gehört die Sicherstellung, daß die Entschuldungsprogramme der breiten Bevölkerung zugute kommen und nicht den korrupten Eliten, die eine große Verantwortung für die Misere der Bevölkerung tragen. ({8}) Hier warne ich ausdrücklich vor einer Geschichtsklitterung, wie sie Herr Hedrich vorhin vorgetragen hat. Ich denke, zum Beispiel die Regimes Somoza usw., die lange, lange Jahre unter anderem auch von Nordamerika unterstützt worden sind, haben den Grundstein für die Entwicklung in diesen Ländern gelegt, die für die breite Bevölkerung höchst negativ ist und zu diesem Ausmaß der Katastrophe geführt hat. ({9}) Wir wollen weiter eine ausreichende Finanzierung des Fonds, wobei der Fonds von der Weltbank insgesamt auf ein langfristiges Volumen von 11 Milliarden US-Dollar veranschlagt wird und in den ersten drei Jahren über zirka 1,5 Milliarden US-Dollar verfügen müßte, und müssen überlegen, welche Anteile am Fonds durch Einlagen der internationalen Finanzinstitutionen - vor allem von IWF, Weltbank und regionalen Entwicklungsbanken - selbst, durch einen Teilverkauf der IWFGoldreserven, durch eine Erhöhung der Sonderziehungsrechte und gegebenenfalls durch bilaterale Einlagen abgedeckt werden können. Hinzu kommt, daß es sinnvoll ist, in bestimmten Fällen der Entwicklungsfinanzierung diese nur noch in Form von Zuschüssen zu unterstützen oder mit niedrigverzinslichen und langfristigen Krediten zu flankieren. Darüber hinaus, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir prüfen, wo wir noch mehr Spielräume bei Entschuldungsmaßnahmen haben, vor allem dann, wenn der Schuldendienst armer Entwicklungsländer nicht ihrer Leistungsfähigkeit entspricht und deshalb Investitionen in Entwicklung verhindert. Auf deutsch: Mit neuen Krediten werden alte Schulden bezahlt. Das kann nicht so weitergehen. Das kann nicht Sinn von Entwicklungspolitik sein. ({10}) Zum Schluß: Auch ich finde es sehr bedauerlich, daß die CDU/CSU-Fraktion nicht über ihren Schatten springen konnte und unseren Antrag, der interfraktionell schon abgesegnet war, nicht mittragen konnte. Es wäre gerade vor dem Hintergrund der katastrophalen Lage in Mittelamerika ein positives Zeichen gewesen, wenn das Haus geschlossen hinter diesem Antrag gestanden hätte. Sie haben diese Chance leider vertan. Vielleicht gelingt es Ihnen aber doch noch, einen kleinen Schritt zu tun und, nachdem wir über die Anträge der Opposition abgestimmt haben, unserem Antrag zuzustimmen. Das wäre ein schönes Zeichen von gemeinsam gezeigter Solidarität für diese Länder. Herzlichen Dank. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat die Kollegin Erika Reinhardt, CDU/CSU-Fraktion.

Erika Reinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, noch nie haben uns so viele schreckliche Nachrichten über Naturkatastrophen erreicht wie in diesem Jahr: Überschwemmungen in China, Bangladesch und Nordamerika, Waldbrände und Smog in Asien, Hunger im Sudan. Besonders schlimm aber ist es, wenn solche Naturkatastrophen Entwicklungsländer treffen. Der Wirbelsturm „Mitch“ hat in den Ländern Mittelamerikas eine Schneise der Verwüstung hinterlassen und insbesondere die Länder Nicaragua und Honduras in ihrer Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen und die Menschen in Not und Elend gestürzt. Verheerende Überschwemmungen haben fast 350 000 Häuser zerstört oder schwer beschädigt. Dem Hurrikan sind möglicherweise bis zu 30 000 Menschen zum Opfer gefallen. Viele Tausende Kinder haben ihre Eltern verloren. Das menschliche Leid und Elend, das durch den Wirbelsturm und die Überschwemmungen angerichtet worden ist, ist unermeßlich. Die Menschen in dieser Region brauchen unsere Hilfe und Unterstützung; da sind wir uns einig. In diesem Moment darf ich vielleicht gleich anfügen: Ich habe wenig Verständnis, wenn Sie jetzt der CDU ankreiden, daß sie einen eigenen Antrag formuliert. Sie, SPD und Grüne, würden aber diesen Antrag, der in der Sache genauso lautet wie Ihr Antrag - beiden Anträgen geht es um Entschuldung und Soforthilfe -, ablehnen. Glauben Sie tatsächlich, daß der Bürger draußen dies versteht? ({0}) Sie wissen, warum wir den gemeinsamen Antrag abgelehnt haben. Auch Sie haben sich nämlich jetzt plötzlich von der PDS distanziert. ({1}) Lieber Herr Kollege, Sie sollten sich das schon sehr genau überlegen. Ich mache Ihnen ein Angebot: Stimmen Sie unserem Antrag zu! ({2}) Wir werden kein Problem damit haben, auch Ihrem Antrag zuzustimmen. Es werden beide zur Abstimmung gestellt. Überlegen Sie es sich; Sie haben noch Zeit! ({3}) Der bilaterale Schuldendienst für Honduras, Nicaragua und Guatemala muß ausgesetzt werden, um den Menschen überhaupt eine Chance zu geben, aus diesem Dilemma herauszukommen. Die Bundesregierung sollte sich deshalb in den internationalen Gremien für einen umfassenden Schuldenerlaß einsetzen, um einen nachhaltigen Wiederaufbau der verwüsteten Regionen zu fördern. Was das Instrumentarium des Schuldenerlasses betrifft, so sage ich: Man muß darüber von Fall zu Fall entscheiden. Die durch eine Naturkatastrophe hervorgerufene Situation in Guatemala, Nicaragua und Honduras ist eine besondere und sollte nicht zum Anlaß genommen werden, einen bedingungslosen Schuldenerlaß plötzlich für alle Entwicklungsländer zu fordern. ({4}) Als Entwicklungspolitikerin habe ich gelernt, Probleme pragmatisch anzugehen und sie grundsätzlich nicht um ihrer selbst willen zu sehen. Die Situation in Mittelamerika ist außergewöhnlich. Durch die bittere Not und die existenzbedrohende Armut durch das furchtbare Wüten des Wirbelsturms in der Region sind Leben und Zukunft von 2,5 Millionen Menschen gefährdet. Hier müssen wir ohne Wenn und Aber helfen. ({5}) Der in unserem Antrag geforderte Schuldenerlaß für Guatemala, Nicaragua und Honduras ist ein wichtiger Weg, um den Menschen nicht nur zu helfen, sondern ihnen auch eine Chance zu geben. Aber der Schuldenerlaß ist eben nur die eine Sache. Darüber hinaus müssen auch Sofortmaßnahmen in die Wege geleitet werden, um zumindest die drängendsten Probleme lösen zu können. In den verwüsteten Ländern sind die hygienischen Verhältnisse nach der Hochwasserkatastrophe - dies ist nicht verwunderlich - verheerend. Sauberes Trinkwasser fehlt überall. Dies begünstigt die Ausbreitung von Krankheiten. Insbesondere in den schwer zugänglichen Dörfern werden die Infektionsrisiken immer höher. Verseuchter Schlamm, übergelaufene Latrinen und Kadaver führen zur Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen. Die Trinkwasserversorgung ist fast völlig zusammengebrochen. In ihrer Verzweiflung schöpfen die Menschen das Wasser aus verseuchten Flüssen und Tümpeln. Die Seuchenspirale dreht sich immer schneller. Im Zusammenhang mit dem Wirbelsturm wurden in Honduras 115 000 Krankheitsfälle registriert; in Nicaragua waren es annähernd 60 000. Mehrere hundert Fälle von Cholera, DenguefieAdelheid Tröscher ber und Malariaerkrankungen wurden bereits gemeldet. Hier ist dringend medizinische Hilfe erforderlich. Deshalb fordern wir auch die Bundesregierung auf, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen und in den Katastrophengebieten einzusetzen. Denkbar wäre zum Beispiel der Einsatz des Technischen Hilfswerks. Das THW hat Erfahrung und verfügt über die modernste technische Ausstattung; es könnte vor allem bei der Trinkwasseraufbereitung und der Reparatur von lebensnotwendiger Infrastruktur wie dem Wiederaufbau von Brücken und Straßen helfen. ({6}) Neben sauberem Trinkwasser fehlen den Menschen Nahrungsmittel. Trotz aller internationaler Hilfsbemühungen droht in Honduras immer noch eine Hungersnot. Ähnlich schwierig ist die Situation in Nicaragua. Die Ernten sind nach den verheerenden Überschwemmungen vernichtet. Für ein Agrarland wie Honduras, in dem drei Viertel der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten, ist dies eine doppelte Katastrophe. Zum einen fehlen Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung, zum anderen fallen exportfähige Produkte wie Bananen, Zuckerrohr, Zitrusfrüchte als Hauptdevisenbringer weg, was die Situation im Land natürlich wesentlich verschlimmert. Wenn nicht schnellstens Nahrungsmittel und Saatgut zur Verfügung gestellt werden, dann ist die Abwärtsspirale geschlossen, möglicherweise auch mit Folgen für die Industrieländer. Mehr und mehr Menschen werden in den Ländern Zuflucht suchen, die ihnen ein relativ sicheres Leben garantieren. Honduras und Nicaragua sind durch die Naturkatastrophe in ihrer Entwicklung um mindestens zwei Jahrzehnte zurückgeworfen. 20 verlorene Jahre bedeuten auch den Verlust von 20 Jahren Entwicklungshilfe. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter Minister Spranger hat noch in den Jahren 1997 und 1998 300 Millionen DM in diese Region gegeben; ein großer Teil davon ist jetzt unter dem Schlamm begraben. Dies ist um so tragischer, als diese Länder sowieso zu den ärmsten der Welt gehören. Wir müssen den Menschen dort Hoffnung geben und ihnen durch Solidarität und Anteilnahme beweisen, daß uns ihr Schicksal nicht gleichgültig ist. Nur rasche und unbürokratische Hilfe ist Garant für effektive Hilfe. Langfristig müssen aber auch Gelder für den Wiederaufbau der Infrastruktur bereitgestellt werden. Dazu bedarf es vor allen Dingen der Koordination unterschiedlicher Politikbereiche, aber auch der Koordination bilateraler und multilateraler Entwicklungszusammenarbeit. Dabei müssen wir im Blick behalten, daß Hilfe immer Hilfe zur Selbsthilfe sein muß. Das heißt, wir müssen die Menschen vor Ort verstärkt in den Wiederaufbau einbinden. Ziel muß es sein, eigene Ressourcen vor Ort zu entwickeln bzw. zu mobilisieren. ({7}) Wir fordern die Regierung auch auf, im Ausschuß zur gegebenen Zeit einen Bericht über die durchgeführten Aktivitäten zu geben. Im übrigen beweisen nicht nur Politikerinnen und Politiker Solidarität und Hilfsbereitschaft gegenüber den Notleidenden in Nicaragua, Guatemala und Honduras. Auch die deutsche Bevölkerung zeigt sich solidarisch mit den Opfern in Mittelamerika. Viele private Organisationen und Initiativen haben in den vergangenen Tagen Spendenkonten eingerichtet. Viele große deutsche Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz, das Diakonische Werk oder die Caritas haben Nothilfeaktionen gestartet, um den Menschen in Mittelamerika beizustehen. Ihnen allen, vor allem den Helfern vor Ort, möchte ich für diese Solidarität mit den Menschen in Not von dieser Stelle aus ganz herzlich danken. ({8}) Diese Signale der Mitmenschlichkeit und des Mitleidens sind für die Betroffenen vor Ort wichtig; denn sie machen ihnen Mut und deutlich, daß sie trotz ihrer Verzweiflung nicht alleine sind. Nun bitte ich Sie noch einmal: Stimmen Sie dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu! ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu Hilfsmaßnahmen, Schuldenerlaß und Wiederaufbau in Mittelamerika nach der Wirbelsturmkatastrophe, Drucksache 14/56. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Damit ist der Antrag abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der PDS zu Soforthilfe, Wiederaufbaumaßnahmen und Entschuldung für Mittelamerika, Drucksache 14/57. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Nun kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zum Schuldenerlaß und zu Aufbaumaßnahmen in Mittelamerika nach der Wirbelsturmkatastrophe auf Drucksache 14/54. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltungen ist dieser Antrag angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P. Haltung der Bundesregierung zu einem Umfrageergebnis, nach dem nur 13 % der Unternehmen die bisherigen 620/520-Mark-Jobs in reguläre Arbeitsverhältnisse überführen, demgegenüber aber 20 % der Firmen diese bisherigen geringfügigen BeschäftigungsverErika Reinhardt hältnisse streichen und 23 % lieber freie Mitarbeiter einstellen wollen, wenn die bisherigen rot-grünen Pläne zu einer Neuregelung verwirklicht werden Dazu eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Herr Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde, die die F.D.P. beantragt hat, hat offensichtlich erste, und zwar nachhaltige Wirkung gezeigt. ({0}) Die Agenturen melden: Der Bundeskanzler, so der Regierungssprecher, beabsichtigt, heute in dieser Aktuellen Stunde seine neueste Variante zu dem Thema „620-DMVerträge“ vorzulegen. Es ist höchste Zeit, diese wirtschaftspolitische Geisterfahrt bei den 620-DM-Verträgen zu beenden. ({1}) Das Chaos und das Wirrwarr, die hier inszeniert wurden, haben Ängste beim Mittelstand um seine Marktstellung und bei den Arbeitnehmern Ängste um ihre Arbeitsplätze ausgelöst. ({2}) Dies war alles überflüssig, weil die ganze Argumentation unaufrichtig, ideologisch und falsch war. ({3}) Was wurde denn mit bebender Stimme von den Regierungsfraktionen vorgetragen? Erstens. Der soziale Schutz soll verbessert werden. Zweitens. Die soziale Absicherung der Frauen soll verbessert werden. Drittens. Es werden viele Arbeitsplätze in Vollerwerbsarbeitsplätze umgewandelt. ({4}) Viertens. Die Parzellierung der Arbeitsverhältnisse wird damit eingestellt. - Nichts wird geschehen. Es bleibt, wie es war. Das ist auch vernünftig. Es wird zur Gesichtswahrung jetzt ein Bankkonto durch ein anderes ersetzt. ({5}) Sie hätten zur Verwaltungsvereinfachung gleich die 4,5 Milliarden DM aus dem Staatshaushalt an die Sozialversicherung zur Finanzierung Ihrer Wahlversprechen überweisen können. Aber diese ganzen Tricks waren doch nicht nötig, genauso wenig wie Ihr Gesetzentwurf, der in der Tat elementare Ängste ausgelöst hat, ergänzt um den Fehlstart Ihrer Regierung, ergänzt um die unaufrichtige Debatte um Ökosteuern, die mit Öko und Lenkung überhaupt nichts zu tun haben, sondern nur ein Abkassieren der Bevölkerung bedeuten. ({6}) Sie legten uns dieses hochbürokratische Modell vor, das kaum umsetzbar ist. Was hat Ihnen eigentlich der Mittelstand getan, daß Sie so mit den Ängsten und Sorgen der kleinen Handwerker, der kleinen Einzelhändler und der kleinen Gastronomen spielen? Das ist unanständig, was Sie gemacht haben. ({7}) Sie wissen, daß Sie gerade diesen Bereich brauchen, weil hier am ehesten Chancen bestehen, Arbeitsplätze zu erhalten und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Was Sie an Horrorinstrumenten auf den Weg gebracht haben, sitzt tief im Bewußtsein der Menschen. Sie leisten mit diesem Wirrwarr und mit diesen falschen Konzepten einen Beitrag zur tiefen Verunsicherung der deutschen Wirtschaft. ({8}) Die Fünf Weisen haben es Ihnen gestern ins Stammbuch hineingeschrieben. Die Beschäftigungslage ist zu ernst, um mit solchen unausgegorenen und nicht durchdachten Konzepten als Gesetzentwürfen draußen diese Ängste hochzuzüchten und um anschließend die Notbremse zu ziehen, weil man erkennt, daß das, was man vorhat, ökonomischer Unsinn ist. ({9}) Deshalb kommt die Revision. Es wäre besser, Sie hätten uns dies gleich erspart, aber immerhin ist es der zweitbeste Weg, heute den Rückzug anzutreten. Vielleicht nutzen Sie, Herr Bundeskanzler, auch die Gelegenheit, sich ein Stück beim Mittelstand und bei den Arbeitnehmern, die in diesem Bereich beschäftigt sind, für die Ängste, die Sie ausgelöst haben, zu entschuldigen. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler Gerhard Schröder. ({0})

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bessere ist des Guten Feind. Herr Brüderle, ich glaube, Sie haben sich künstlich aufgeregt. ({0}) Deswegen zurück zur Sache. Vizepräsidentin Anke Fuchs Drei Ziele gilt es zu realisieren. Erstens. Wir müssen und wir wollen die Erosion der Finanzierungsgrundlagen der Sozialversicherung stoppen. ({1}) Das sollte ein Ziel sein, das uns verbindet. Denn niemand hat etwas davon, wenn es so weitergeht wie bisher, wenn zum Beispiel - das muß doch klar sein; das sollte selbst Ihnen von der Opposition klar sein - große deutsche Handelsketten ein Vollerwerbsarbeitsverhältnis, das zu finanzieren sie sehr wohl in der Lage sind, in drei 620-DM-Jobs umwandeln. ({2}) Das hilft doch keinem. Das hilft weder der deutschen Wirtschaft, noch hilft es im entferntesten den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, noch hilft es den sozialen Sicherungssystemen, auf die wir alle angewiesen sind. Das zweite Ziel, das es bei dieser gewiß schwierigen Frage anzustreben gilt, ist: Die Belastungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um die es mir, uns allen in diesem Zusammenhang geht, jedenfalls gehen sollte, dürfen nicht zunehmen. Drittens. Es gibt ganz viele Menschen, die auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse angewiesen sind. ({3}) Es gilt zu erkennen, daß Familien damit beispielsweise ihren Urlaub finanzieren. Auch um die geht es mir, geht es uns. ({4}) Auf der einen Seite will ich nicht, daß Mißbrauch betrieben wird, indem Vollerwerbsarbeitsverhältnisse systematisch auch da, wo es nicht nötig ist, in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden. Auf der anderen Seite gilt es Rücksicht auf diejenigen zu nehmen, die einen solchen Job brauchen, aus welchen Gründen auch immer. ({5}) Alle drei Ziele müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Wir haben das in den vergangenen Tagen mit den betroffenen Verbänden, vor allen Dingen aber auch mit den Fachleuten der Koalition, mit den Fraktionsführungen der Koalition diskutiert. ({6}) - Warten Sie doch erst einmal ab, ehe Sie weiter herumschreien! ({7}) Ich glaube, wir haben eine Lösung gefunden, die sich sehen lassen kann und die wir umsetzen werden. Ich will Ihnen gerne die Elemente dieser Lösung nennen. Das erste Element sind die Arbeitsverhältnisse im Bereich der geringfügigen Beschäftigung bis 620 DM, und zwar im Westen wie im Osten; die Unterschiede werden aufgehoben. ({8}) Diese Arbeitsverhältnisse bleiben steuerfrei, und zwar unabhängig von weiteren Einkünften. Die Bundesregierung wird prüfen, wie eine verfassungsrechtlich saubere Lösung in diesem Bereich aussehen kann. Wir werden eine solche Lösung finden. ({9}) Eine Dynamisierung findet nicht mehr statt. ({10}) Dies bedeutet: Das wird festgeschrieben. Zweitens. Für die Sozialversicherung hat der Arbeitgeber folgende Pauschsätze zu leisten: 10 Prozent an die Krankenversicherung, 12 Prozent an die Rentenversicherung. Drittens. Aus diesen Leistungen heraus entstehen keine zusätzlichen Ansprüche ({11}) - Sie sollten wenigstens einmal lernen zuzuhören, Herr Hirche; sonst bekommen Sie dazu, wie schon in Niedersachsen, wieder Gelegenheit -, ({12}) es sei denn, daß zum Beispiel der betroffene Arbeitnehmer oder die betroffene Arbeitnehmerin die Beiträge zur Rentenversicherung aus eigenen Mitteln so aufstockt wozu Gelegenheit gegeben werden wird -, daß der Rentenbeitragssatz von zukünftig 19,5 Prozent erreicht wird. Tut er das, dann erwirbt er eigene Ansprüche im Rahmen seiner Beitragsleistungen. Viertens. Mehrere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse werden zusammengerechnet. Die zuvor genannten steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen gelten nur - das ist wichtig -, sofern 620 DM insgesamt nicht überschritten werden, denn wir wollen Mißbrauch ausschließen. ({13}) Meine Damen und Herren, um das noch einmal klarzumachen: Wir werden festlegen, daß die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen nicht für Nebenbeschäftigungen beim selben Arbeitgeber gelten. Fünftens. Alle Arbeitsverhältnisse im Bereich der Geringfügigkeit müssen der Sozialversicherung gemeldet werden. Sie sind auf der Lohnsteuerkarte zu vermerken, und zwar - auch dies sage ich ausdrücklich - mit dem Ziel, stattgefundenen Mißbrauch in Zukunft jedenfalls einzuschränken, wo wir ihn nicht verhindern können, was besser wäre. Aber wir müssen den Versuch machen, zu Einschränkungen zu kommen; denn alles, was in diesem Bereich an Mißbrauch geschieht, geht letztlich zu Lasten derer, die die sozialen Sicherungssysteme finanzieren, also derer, die als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt sind. ({14}) Sechstens. Die Regelung soll zum 1. April 1999 in Kraft treten. ({15}) Die Beitragsabsenkung in der Rentenversicherung auf 19,5 Prozent erfolgt ebenfalls zum 1. April 1999. Siebtens. Die dargestellte Lösung wird in einem eigenständigen Gesetzentwurf geregelt werden. Das Parlament wird Gelegenheit erhalten, ihn zu diskutieren. Wir gehen davon aus, daß er im Januar, Februar 1999 verabschiedet wird. Meine Damen und Herren, damit haben wir, wie ich glaube, einen Beitrag dazu geleistet, daß auf der einen Seite der Mißbrauch der 620-DM-Jobs eingeschränkt wird, daß auf der anderen Seite jene betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die auf solche Jobs angewiesen sind, nicht zusätzlich belastet werden und daß zum dritten berechtigten Forderungen insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen Rechnung getragen wird - unberechtigten Forderungen, mit denen wir in diesen Tagen zuhauf konfrontiert wurden, naturgemäß nicht. Ich habe die Bitte, daß Sie, wenn es soweit ist, dieser Regelung zustimmen, und ich gehe davon aus, meine Damen und Herren von der Opposition, daß auch Sie, wenn Sie es mit der Sorge für die Beschäftigten, die darauf angewiesen sind, und mit vernünftigen Regelungen zugunsten des Mittelstandes ernst meinen, zustimmen werden. Ich freue mich schon darauf, wenn Ihre Hände bei den entsprechenden Gesetzentwürfen - diesmal an der richtigen Stelle - nach oben gehen. ({16})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat der Kollege Julius Louven, CDU/CSU-Fraktion.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Ihr telegenes Lächeln vergeht Ihnen langsam. ({0}) Gestern waren es die verheerenden Ergebnisse der Wirtschaftsweisen, heute ist es das Eingeständnis, daß Sie eine Regelung bei 620-DM-Arbeitsverhältnissen nicht so, wie angekündigt, hinbekommen. Dabei müssen Sie wissen, daß uns Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion - allen voran Ottmar Schreiner - in der letzten Legislaturperiode immer wieder vorgeworfen haben, wir hätten nicht die Kraft zu handeln, ({1}) obwohl doch alles so einfach sei. ({2}) Nun erleben Sie, wie schwierig es ist. Man sieht es Ihnen ja an Ihrem Gesicht an, welche Probleme Sie in Ihrer Fraktion gehabt haben. ({3}) Wenn die Lösung der Probleme so einfach wäre, dann hätten Sie doch nur Ihren Gesetzentwurf auf Drucksache 13/3301 wieder vorlegen müssen. Aber Sie haben sich nicht getraut, dieses Machwerk noch einmal auf den Tisch zu legen. ({4}) Zu Ihren Vorschlägen, Herr Bundeskanzler, will ich nur sagen, daß es - Sie haben es selbst eingeräumt Verfassungsprobleme geben könnte. Das werden wir natürlich prüfen. Ich möchte zudem feststellen, daß Ihr Vorschlag äußerst kompliziert ist. Wie soll das in der mittelständischen Wirtschaft denn überhaupt gehandhabt werden? ({5}) Uns interessiert natürlich, was mit den Einnahmen passiert. Frau Fischer hat bereits 1,4 Milliarden DM eingeplant, um ihre läppische Reform zu finanzieren; 2,1 Milliarden DM für die Rentenversicherung - wir werden gespannt sein, wie das weitergeht. Nun zur Sache selbst und auch zur F.D.P., zu Ihnen, Herr Brüderle: Selbst wenn die Ergebnisse der Umfrage, die Sie zum Gegenstand des Antrages einer Aktuellen Stunde gemacht haben, richtig sind, bleibt es Tatsache, daß erstens die Sozialversicherungssysteme mit zunehmender Tendenz unterlaufen werden - wobei ich weiß, daß die Unternehmen das tun, weil sie einem besonderen Kostendruck unterliegen; das hat natürlich Folgen für die Sozialversicherungssysteme -, daß zweitens viele Arbeitnehmer, insbesondere Frauen, in dieser Beschäftigung keinen ausreichenden Altersschutz erreichen darüber müssen wir reden ({6}) und daß drittens Unternehmen und auch Freiberufler sich Wettbewerbsvorteile verschaffen und andere zwingen, das gleiche zu tun, womit eine Welle in Bewegung kommt, der wir nicht tatenlos zusehen dürfen. Vor diesem Hintergrund sieht meine und im übrigen, Herr Brüderle, auch Ihre Fraktion Handlungsbedarf. Denn wir haben am 11. Dezember 1997 in einer gemeinsamen Entschließung festgestellt, daß für schutzwürdige Personen ein ausreichender Versicherungsschutz sichergestellt werden muß. ({7}) Dieses Instrument wurde geschaffen, um es der mittelständischen Wirtschaft zu ermöglichen, Auftragsspitzen abzufangen. Ich hätte meinen Betrieb - ein Ausflugscafé - ohne dieses Instrument überhaupt nicht führen können. In mancher Landesvertretung bekämen Sie abends kein Glas Bier gebracht, wenn es dieses Instrument nicht gäbe. ({8}) Deshalb ist für uns als CDU/CSU-Fraktion folgendes wichtig: Erstens. Der flexible Zugriff auf Arbeitnehmer, die ad hoc bereit sind, auch zu unpopulären Arbeitszeiten tätig zu werden, muß möglich bleiben. Zweitens. Die Arbeitsverhältnisse dürfen sich nicht wesentlich verteuern - weder für die Arbeitnehmer noch für die Arbeitgeber. Drittens. Der Einstieg in normale Teilzeitbeschäftigung, die jetzt an der 620-DM-Mauer endet, muß mit einer Neuregelung erleichtert werden. Viertens. Wir müssen alles vermeiden, was Arbeitnehmer und Arbeitgeber in die Illegalität treibt. Fünftens. Wir brauchen Regelungen, die einfach handhabbar sind. Deshalb rate ich auch zur Vorsicht bei Ausnahmen. Meine Damen und Herren, das alles geht, wenn Sie nicht Geldquellen suchen, mit denen Sie andere Löcher schließen. Die soziale Absicherung der Menschen muß im Mittelpunkt stehen und nicht die Suche nach Einnahmequellen. ({9}) Die Löcher, die Sie leichtfertig und gegen jede Vernunft aufreißen, dürfen Sie nicht auf Kosten des Mittelstands zu schließen versuchen. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat Frau Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie die Aktuelle Stunde eingeleitet worden ist, war gewiß ein ungewöhnlicher Vorgang in diesem Hohen Hause. Daran, Herr Kollege Brüderle, sehen Sie eins: Es bleibt eben nichts, wie es war. Ich glaube, das ist es, was bei Ihnen Ängste auslöst. ({0}) Meine Damen und Herren, in der gebotenen Kürze der Zeit kann ich nur eine erste Bewertung vornehmen und sicherlich auch nicht alle Punkte ansprechen, die der Herr Bundeskanzler soeben vorgestellt hat. Erster zentraler Punkt. Ab der ersten Mark wird die Sozialversicherungspflicht eingeführt. ({1}) Das, meine Damen und Herren, wollten wir als Grüne immer, und das, Herr Kollege Brüderle, ist keine komplizierte, sondern eine einfache, klare und übersichtliche Regelung. ({2}) Wir wollten das unter anderem deshalb, weil sich in den letzten fünf Jahren gezeigt hat, daß es eine unsoziale und gesellschaftlich gefährliche Tendenz gibt, Vollzeitund sozialversicherungspflichtige Jobs immer mehr durch nicht sozialversicherungspflichtige Jobs zu ersetzen. ({3}) - Ja, freilich. Die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse ist in den letzten fünf Jahren um 30 Prozent angestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Jobs um 6 Prozent gesunken. Hieran sieht man die Substitution. Mit dieser Regelung wird genau diesem Prozeß, der insbesondere Frauen in prekäre Beschäftigungsverhältnisse drängt, ein Riegel vorgeschoben. Ich denke, das ist eine vernünftige Entwicklung. Zweitens: keine Lohnsteuer bis 620 DM. Dies bedeutet natürlich eine Entlastung der kleinen Einkommen. Aber ich sage an dieser Stelle auch: Wir müssen hierüber noch weiter diskutieren, weil es auch um Nebenjobs geht. Der Herr Bundeskanzler hat dies angesprochen. Wir müssen hinsichtlich der Besteuerung eine auch verfassungsrechtlich haltbare Lösung finden. Drittens. Es läuft darauf hinaus, daß die geringfügig Beschäftigten, also jene, die unter 620 DM monatlich verdienen, keine zusätzlichen Belastungen haben, weil die Arbeitgeber den Sozialversicherungsbeitrag leisten müssen. Aber es ist auch richtig, daß Frauen und Männer, wenn sie ihren eigenen Rentenanteil nicht zahlen, auch keine zusätzlichen Ansprüche erwerben. ({4}) Das muß man sehr ausgewogen diskutieren. Das ist vollkommen klar. Aber wir müssen eines sehen: Wir haben zum erstenmal und endlich für alle und insbesondere für Frauen ab der ersten Mark Verdienst die Möglichkeit geschaffen, sich überhaupt einen Rentenanspruch zu erwerben. Das müssen wir einfach sehen. ({5}) Wäre die Grenze bei 300 DM festgesetzt worden, hätte ein großer Teil der Frauen diese Möglichkeit nicht bekommen. Auch das müssen wir in diesem Zusammenhang sehen, und hierüber werden wir diskutieren. Auf alle Fälle besteht mit dieser Regelung die auch für die Frauen schlechte Möglichkeit nicht mehr, 620DM-Jobs beispielsweise in nicht sozialversicherungspflichtige Jobs unter 300 DM aufzusplitten. Denn das lohnt sich für die Arbeitgeber nicht. Wir werden also die Tendenz, Arbeitsverhältnisse immer weiter aufzuJulius Louven splitten, aufhalten können. Das ist eine positive Entwicklung. Viertens: die Pauschalbesteuerung. Die Aufregung, die hierüber in der letzten Zeit entstanden ist, habe ich nicht verstanden. Auch bisher war ja die Pauschalbesteuerung eine Kann-Lösung. Wer in diesem Hause kann mir einen Unternehmer oder eine Unternehmerin nennen, die freiwillig eine Doppelbesteuerung vorzieht? Ob und in welcher Weise sie abgeschafft wird, ist also kein zentraler Punkt. Zum Schluß möchte ich eine vorläufige Bewertung abgeben, die wie folgt lautet: Es ist ein Fortschritt, daß die Sozialversicherungspflicht ab der ersten verdienten Mark eingeführt wird. ({6}) Es ist ein richtiger Weg, daß Frauen endlich die Möglichkeit haben, sich einen Rentenanspruch zu erwerben. ({7}) Aber - auch das sage ich -: Die Armut in dieser Gesellschaft ist immer noch weiblich. Dieses Problem werden wir weder mit der Geringfügigkeit noch mit einer neuen Grenze abschaffen können. Deswegen besteht an dieser Stelle der politische Auftrag an Rotgrün, unter anderem mit einer großen Steuerreform das Problem der weiblichen Armut grundsätzlich neu anzugehen. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat Dr. Klaus Grehn, PDS-Fraktion.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nichts Neues, daß die F.D.P. die sozialversicherungsfreien Jobs protegiert. Nach den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers könnte ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der F.D.P., sagen: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. ({0}) Bisher waren diese Jobs ein probates Mittel, um die Misere am Arbeitsmarkt zu verschleiern - eine Misere, für die die rechte Seite in höchstem Maße Verantwortung trägt. ({1}) Am Entgelt und an der Arbeitszeit festgemacht, handelte es sich um ein in den vergangenen Legislaturperioden ständig gewachsenes Defizit an regulären existenzsichernden Arbeitsplätzen. Dies haben Sie in all Ihren Diskussionen niemals einbezogen. Sie haben von 400 000 Arbeitsplätzen gesprochen, die geschaffen worden sind; Sie sehen aber nicht, daß in diesem Bereich bei 6 Millionen prekär Beschäftigten nahezu 3,5 bis 4 Millionen reguläre Arbeitsplätze fehlen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., als Begründung für Ihren Antrag Umfrageergebnisse herangezogen haben, dann muß ich Ihnen sagen, daß Sie im Verlaufe Ihrer Regierungszeit vieles hätten ändern müssen, wenn Sie schon damals auf Umfrageergebnisse reagiert hätten. ({2}) Es scheint mir auch bei Ihnen zuzutreffen, daß dann, wenn man hinter dem Schalter sitzt, die Gegend anders aussieht, als wenn man vor dem Schalter sitzt. Zunächst hat die PDS-Fraktion festgestellt, daß die Verlautbarungen, die in der Vergangenheit zu 620Mark-Jobs und 520-Mark-Jobs gekommen sind, nicht auf unsere Zustimmung gestoßen sind. Herr Bundeskanzler, ich gratuliere Ihnen dazu, daß Sie mit Ihren jetzigen Aussagen Ungereimtheiten in den Diskussionen 300 DM oder 200 DM als Untergrenze für die Sozialversicherungspflicht bzw. 20 Prozent Abzug als Lohnkostenpauschale für die Unternehmen? - beseitigt haben. Sie haben hier eine Klarheit geschaffen, die auch die PDS-Fraktion weitestgehend mittragen kann. Das betrifft insbesondere die Äußerung, daß von der ersten Arbeitsstunde und von der ersten verdienten Mark an die Sozialversicherungspflicht eintritt. Das findet unsere Zustimmung. ({3}) - Sie haben jahrelang Zeit gehabt, sich das zu überlegen und einen Neuanfang zu wagen. Jetzt können Sie nur herummosern. Daß Ihnen das nicht vorher eingefallen ist! ({4}) Wir hätten allerdings gern gewußt, ob die prekär Beschäftigten, die 520- bzw. 620-Mark-Jobs haben, einen Anspruch auf Sozialleistung erwerben ({5}) oder ob sie ihren Anspruch erhöhen können, wenn sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden. Das, was die Regierung hier vorgestellt hat, bedarf einer tiefergehenden Betrachtung. Eines darf nicht passieren: Es dürfen keine Veränderungen erfolgen, die dazu führen, daß einerseits der Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe wächst und damit den Kommunen weitere Kosten zugeschoben werden und daß andererseits die Armut in unserem Lande wächst. Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie, zu überlegen, ob man in der Tat so stark von Leistungsmißbrauch reden kann. Die ehemalige Regierungskoalition hat sich in der Diskussion um den Leistungsmißbrauch unter anderem bei den Empfängern von Arbeitslosenhilfe hinreichend blamiert. Ich hoffe nicht, daß uns ähnliches passiert, imdem wir von zu hohen Zahlen hinsichtlich des Mißbrauchs in diesem Bereich ausgehen. Die Menschen wollen Arbeit. Sie können arbeiten. Was ihnen geboten werden muß, ist Arbeit, die menschenwürdig ist und sie vor Ausgrenzung und Armut schützt. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Grehn, das war Ihre erste Rede. Im Namen des Hauses gratuliere ich Ihnen dazu. ({0}) Das Wort hat jetzt Dr. Peter Struck, SPD-Fraktion.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was dieser alten Regierungskoalition jahrelang nicht gelungen ist, wird diese neue Koalition innerhalb eines halben Jahres erledigen. ({0}) Wir werden den Mißbrauch bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen beenden. Wir werden soziale Sicherheit für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schaffen, ({1}) und wir werden nicht die mittelständische Wirtschaft belasten, ({2}) so wie Sie es falsch an die Wand gemalt haben, Herr Kollege Brüderle. ({3}) Die SPD-Bundestagsfraktion wird die vom Herrn Bundeskanzler vorgetragenen Eckpunkte in einer ersten Beratung heute in einen Gesetzentwurf umgießen. Herr Kollege Louven, Ihre Rede bringt mich zu der optimistischen Erwartung, daß die CDU/CSU-Fraktion, endlich aus der Gefangenschaft mit der F.D.P. befreit, unsere Vorstellungen mittragen wird. ({4}) Wir werden einen Gesetzentwurf vorlegen. Selbstverständlich werden wir die Einwände, insbesondere auch die Einwände, die von Betroffenen kommen, sehr sorgfältig im Anhörungsverfahren erörtern. Die SPDBundestagsfraktion und die Koalitionsfraktion der Grünen werden selbstverständlich berechtigte Einwände aufgreifen. Wir sind jetzt noch nicht soweit, daß wir hier eine ausführlichere Debatte über die Einzelheiten führen könnten. Deshalb erkläre ich für die SPD-Fraktion: Wir werden uns an der im übrigen einen unsinnigen Titel tragenden Aktuellen Stunde, Herr Kollege Brüderle, nicht mehr beteiligen. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Aber es wäre schön, wenn Sie im Saal blieben, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Das Wort hat Kollege Thomas Strobl, CDU/CSUFraktion.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute in dieser Aktuellen Stunde über die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, weil die rotgrüne Koalition zu diesem Thema ein heilloses Durcheinander verursacht hat. ({0}) Die betroffenen Menschen müssen wissen, was auf sie zukommt. Das wissen sie auch nach der Rede des Herrn Bundeskanzlers leider nicht, ({1}) wiewohl wir anerkennen müssen, daß es dem Herrn Bundeskanzler in nächtlicher Sitzung gelungen ist, die Regierungskrise wegen der 620-DM-Jobs abzuwenden. ({2}) Aber ich glaube, Sie werden noch einige nächtliche Sitzungen haben. Vielleicht nehmen Sie auch den grünen Koalitionspartner in diese Sitzungen mit, damit wenigstens der Koalitionspartner weiß, was Sie hier oben verkünden, und es versteht. Dies ist bei den Ausführungen der Kollegin von der grünen Fraktion deutlich geworden. ({3}) Es ist wahr, Herr Bundeskanzler, daß es bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen Mißbrauch gibt. Genau diesen Mißbrauch müssen wir bekämpfen. Handlungsbedarf besteht vor allem dort, ({4}) wo die Flucht aus den Sozialversicherungsbeiträgen gesucht wird oder wo die Umwandlung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigung betrieben wird. Aber diese Probleme löst man nicht durch Umverteilung von der einen Tasche in die andere Tasche, ({5}) von der Sozialversicherungskasse in die Steuerkasse und umgekehrt. Richtig wären strukturelle Reformen, damit die reguläre Teil- und Vollzeitarbeit durch die Senkung von Steuern und Abgaben wieder attraktiver wird. ({6}) Meine Damen und Herren, wie die rotgrüne Koalition, eher der rote Teil der Koalitionsfraktionen, an die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse herangeht, zeigt sehr deutlich, daß es nicht um strukturelle Maßnahmen für mehr Beschäftigung geht, sondern daß sie offensichtlich nur Gelder für die Sozialkassen sucht, die anderwärtig leichtfertig ausgegeben werden. ({7}) Meine Damen und Herren, so etwas nennt man Abkassieren, auch wenn jetzt der Finanzminister mit abkassiert wird. ({8}) Klar ist: Wir werden nur eine Lösung mittragen können, die nicht zur Verteuerung von Arbeit führt. Meine Damen und Herren, es ist immer gesagt worden, es gehe um die Absicherung von Frauen im Alter. Da haben wir jetzt eine seltsame Lösung: Es werden Beiträge zur Sozialversicherung bezahlt, aber Ansprüche hat man keine. ({9}) Ich finde dies schon seltsam. Ich finde es auch nicht in Ordnung, daß Sie damit den Schwarzen Peter den Frauen zuschieben, indem Sie sagen: Ihr könnt ja jetzt ein bißchen weniger verdienen, indem ihr noch mehr in die Sozialversicherungskasse einzahlt, um einen Anspruch zu erwerben. ({10}) Meine Damen und Herren, ich möchte auch ein Wort zum Ehrenamt sagen. Sie haben viel Verunsicherung auch in die Vereine und in den ehrenamtlichen Bereich hineingetragen. ({11}) Ich möchte für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sagen: Wir werden keine Lösung mittragen können, die zu Lasten kleiner Sportvereine und kultureller Einrichtungen geht. Diese fühlen sich dem Gemeinwohl verpflichtet. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse für Platzwarte, Geschäftsführer, Jugendbetreuer, Trainerinnen und Trainer, Chorleiter sind die existentielle Basis vieler Vereine und kultureller Einrichtungen. ({12}) Diese Arbeitsverhältnisse sind häufig Voraussetzungen für das millionenfache Ehrenamt. Die Einführung einer Sozialversicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte wird sämtliche vorgegebenen Ziele verfehlen: kein einziger neuer Arbeitsplatz, geringe Mehreinnahmen in der Sozialversicherung, auf der anderen Seite riesige Steuerausfälle. Und ein Letztes: Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, alle Maßnahmen dieser Regierung sollen daran gemessen werden, ob mehr Beschäftigung entsteht. Durch diese Aktion, die Sie hier planen, entsteht im Zweifel nicht mehr, sondern weniger Beschäftigung. Vielleicht geht es Ihnen in Wahrheit um etwas ganz anderes. Die Einführung der Sozialversicherungspflicht führt nämlich zweifellos dazu, daß statistisch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze zunimmt und auf der anderen Seite Leute aus der Arbeitslosenstatistik herausfallen. ({13}) Wenn die Regierung durch solcherlei teure kosmetische Operationen die Statistik schönen will, würde dies auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen. Wir wollen mehr Beschäftigung in diesem Lande, keine kosmetischen Operationen. Diese lehnen wir ab. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Strobl, das war Ihre erste Rede; ich darf Sie dazu beglückwünschen. ({0}) Ich erteile das Wort dem Kollegen Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann sehr gut verstehen, daß sich die SPD-Fraktion an der Diskussion nicht weiter beteiligen darf. Sie durfte sich ja auch an der Lösungsfindung nicht beteiligen, weil der Bundeskanzler diese Lösung heute hier vorgestellt hat und die Fraktion sich erst heute abend zusammensetzt. ({0}) Herr Bundeskanzler, ich glaube, es ist das erste Mal in der Geschichte dieses Hauses, daß ein Kanzler innerhalb von vier Wochen nach Regierungsantritt seine eigene Regierungserklärung zurücknimmt und etwas ganz anderes als das behauptet, was er in der Regierungserklärung gesagt hat. Da sprachen Sie noch von 300 DM, von nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen in diesem Bereich. Jetzt gilt die Versicherungspflicht von der ersten Mark an. Es wird Sie nicht wundern, wenn ich Ihnen sage: Die F.D.P. ist die Partei der sozialen Verantwortung. ({1}) - Ja, das gefällt Ihnen nicht. - Denn sie erlaubt es den Menschen, daß diese für ihren Lebensunterhalt selber sorgen. Ihre Pläne dagegen, Herr Bundeskanzler, sind unsozial, weil dadurch den Menschen die Arbeit weggenommen wird. ({2}) Sie, Herr Bundeskanzler, versuchen allen Ernstes, diesem Hohen Haus eine reine Umbuchung als Ei des Kolumbus zu verkaufen. Erklären Sie mir doch bitte einmal, wie Sie 4,5 Milliarden DM Steuerausfälle finanzieren wollen. ({3}) Wer 620-Mark-Beschäftigungsverhältnisse versicherungspflichtig macht, will die Sozialkassen füllen. Das ist eine gute Idee, wenn man sich die Situation der Sozialkassen ansieht, eine schlechte Idee aber, wenn man die ökonomischen Folgen betrachtet. Glauben Sie denn wirklich, daß Arbeitslosigkeit so bekämpft werden kann? Damit schaffen Sie Arbeitslosigkeit. Durch Ihre Politik werden Arbeitnehmer verunsichert, Arbeitsplätze vernichtet und ist Schwarzarbeit vorprogrammiert. Sie werden die Verwaltungen aufblähen. ({4}) Sie sollten lieber konstruktive Vorschläge machen, um die Arbeitslosigkeit abzubauen, anstatt das letzte bißchen Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu beseitigen. ({5}) Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind seit Jahr und Tag Thema von Plenardebatten. 93 Prozent der Personen, die diese Arbeiten ausüben, sind mit der Arbeit und der Entlohnung zufrieden. Vergessen Sie nicht die engagierten Kräfte in den Wohlfahrtsverbänden, in Sportvereinen, ganz besonders im Breitensport, oder auch in den Parteien. Eine Versicherungspflicht wird eine Verschlechterung des Angebots dieser Institutionen zur Folge haben. Nach der Emnid-Umfrage vom Oktober werden 13 Prozent der Betriebe, die heute 620Mark-Kräfte beschäftigen, keine Vollzeitjobs schaffen. 20 Prozent werden diese Arbeitsplätze sogar abschaffen. Das ist für mich kein Abbau von Arbeitslosigkeit, sondern Abbau von Arbeitsplätzen, für den Sie verantwortlich sein werden. ({6}) Meine Damen und Herren, fünf Jahre Rentenbeitrag während einer geringfügigen Beschäftigung führt zu sage und schreibe 28 DM Rente. Nach 25 Jahren hat man immerhin die Anwartschaft auf stattliche 140 DM monatlich erworben. Jetzt erzählen Sie uns, daß man einzahlen darf, aber dafür gar nichts bekommt. Das ist doch wohl nicht in Ordnung! ({7}) Mit Sicherheit ist das kein Rezept zur Bekämpfung der Altersarmut, ganz besonders nicht der von Frauen. Diese beziehen Sie jetzt noch nicht einmal in die Krankenversicherung ein. Wer 620-Mark-Jobs verteuert, nimmt Zigtausenden Arbeitnehmern den Arbeitsplatz. Das ist das Gegenteil von Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. An diesem Kriterium wollten Sie, Herr Bundeskanzler, sich messen lassen. ({8}) Die Verschiebung der Vorlage Ihres Gesetzentwurfes im Vorfeld der heutigen Debatte zeigt wieder einmal ganz deutlich, daß Sie die Sache nicht im Griff haben. Sie besetzen Überschriften, ohne inhaltliche Substanz dahinter zu haben - mit anderen Worten: Sie arbeiten schlampig. ({9}) Die Ziele, Herr Bundeskanzler, die Sie sich gesetzt haben, werden durch die Regelung, die Sie uns heute hier als Kompromiß verkaufen, nicht erreicht werden. Sie werden kläglich scheitern, und in der nächsten Regierungserklärung werden Sie das zugeben müssen. Vielen Dank. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Niebel, das war Ihre erste Rede in diesem Parlament. Im Namen des Hauses gratuliere ich Ihnen sehr herzlich dazu. ({0}) Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es muß schon ein großes Maß an Zerstrittenheit in der SPDFraktion herrschen, ({0}) wenn der Bundeskanzler das Forum einer Aktuellen Stunde nutzen muß, um Befriedungsarbeit vor allem bei den eigenen Leuten zu leisten. ({1}) Weil Sie sich offensichtlich nicht sicher sind und fürchten, daß hier auch andere Meinungen vertreten werden könnten, dürfen sich die Mitglieder der SPD-Fraktion überhaupt nicht mehr zu Wort melden. ({2}) Statt Klarheit und Berechenbarkeit herrschen bei Ihrer Reform Unsicherheit und Verwirrung vor. Das kennzeichnet geradezu alle Ihre Bemühungen. Das mag ja noch angehen, wenn die Verwirrung in Ihren Reihen bliebe. Aber angesichts der Tatsache, daß 3, 4 oder 5 Millionen Menschen in diesen Beschäftigungsverhältnissen sind, deren finanzielle Sicherheit von einer NeuDirk Niebel regelung entscheidend berührt wird, und angesichts der Tatsache, daß dadurch auch zahlreiche Angehörige dieser Menschen betroffen werden, führen Sie hier ein schlimmes Spektakel auf. Mit der Angst dieser Menschen spielt man nicht. Das, was Sie hier aufführen, ist ein trauriges Schauspiel in drei Akten: Ich erinnere zunächst einmal an das, was der jetzige Bundeskanzler noch im vergangenen Jahr selbst an Vorschlägen zur Neuregelung gebracht hat. Auf dem Innovationskongreß der SPD im Oktober 1997 in Dortmund haben Sie, Herr Bundeskanzler, beispielsweise vorgeschlagen, diese Jobs auf höchstens 10 Prozent in einem Unternehmen zu begrenzen. Der Parteivorsitzende der SPD schrieb vor Jahresfrist im Informationsdienst der SPD: Ein Weg wird die Befreiung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber von Sozialversicherungsbeiträgen für gering bezahlte Arbeiten sein. In der Regierungserklärung haben Sie die 300-DMGrenze - das ist der zweite Akt - ins Gespräch gebracht. Heute nun, also bereits nach wenigen Tagen, bringen Sie ein völlig neues Konzept, indem Sie erklären, daß die Pauschalbesteuerung entfallen, aber dafür eine Sozialversicherungspflicht eingeführt werden soll. Herr Bundeskanzler, was kommt als vierter Akt? Was ist der nächste Akt? Darauf sind wir gespannt. ({3}) Das, was Sie heute hier vorgestellt haben, bedeutet im Klartext, daß es ein Zwei-Klassen-System von Sozialversicherungspflichtigen geben wird: die einen, die einzahlen und etwas bekommen, die anderen, die nur einzahlen und keine Gegenleistung erhalten. ({4}) Diejenigen, die sich von ihrem Rentenanspruch etwas erwarten, werden am Schluß enttäuscht sein, weil nämlich die Höhe dessen, was sie zu erwarten haben, in keiner Weise geeignet sein wird, das Existenzminimum abzusichern, sondern etwa der Höhe des Betrages entsprechen wird, für den man sich täglich eine Leberkässemmel leisten kann. Die Pauschalbesteuerung soll entfallen. Dies aber wird bei Ihrem Modell eben nicht zu mehr Effizienz, sondern zu mehr Bürokratie führen; denn wenn die geringfügigen Einkommen der Sozialversicherungspflicht unterworfen werden, dann müssen diese Beiträge auch verwaltet werden. Das bedeutet letztendlich mehr Bürokratie und ein neues Feld von Mißbrauchsmöglichkeiten, das Sie hiermit eröffnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Handlungsbedarf besteht bei den 620-DM-Jobs. Aber dem Handlungsbedarf können Sie nicht dadurch gerecht werden, daß Sie eine Jacke falsch einknöpfen. Sie wissen, wenn Sie eine Jacke falsch einknöpfen, dann müssen Sie sie irgendwann einmal ganz von oben her ausknöpfen. Genau das wird mit Ihrem Vorschlag passieren. Wir brauchen eine Reform bezüglich der 620-DMJobs, die mehr Beschäftigung bringt, aber keine Reform, die ein Beschäftigungsprogramm für mehr Bürokratie darstellt. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat der Kollege Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe einmal, daß ich den Vorschlag richtig verstanden habe. Er ist ja relativ einfach und schlicht vorgetragen worden. Ich erinnere mich an unseren Wahlkampf, den wir alle miteinander gemacht haben. Da ist uns in jeder Podiumsdiskussion von den Kollegen der SPD, der Grünen und der PDS gesagt worden: Die 620-DM-Jobs sind ein Übel. Sie müssen entschieden bekämpft werden. Am besten schafft man sie ganz ab. - Damit haben Sie in den Podiumsdiskussionen Zustimmung bekommen. Die Menschen haben gesagt: Jawohl, hier werden Gerechtigkeit und Verbesserung entwickelt. Das ist etwas. Der Mittelstand hat sich gefürchtet. Die Sozialpolitiker haben sich gefreut, insbesondere Sie, die Sie es vorgetragen haben. Jetzt wollen wir einmal gucken, was da passiert. Das mit den 620-DM-Jobs ist also schlecht. Es ist so schlecht, daß man die Bemessungsgrundlage für die neuen Bundesländer jetzt erhöht, damit sie nicht ungerecht behandelt werden - mit einer schlechten Sache, das muß man sich einmal vorstellen! ({0}) Der Mißbrauch soll eingedämmt werden. Es ist kein einziger Ansatz zur Eindämmung des Mißbrauchs erkennbar, kein einziger! ({1}) Es ist keine Eindämmung zu erwarten - nichts, Fehlanzeige. Soziale Sicherheit für Frauen, damit sie im Alter etwas haben, sollte geschaffen werden. ({2}) Absolute Fehlanzeige! Der Arbeitgeber darf zahlen, und die Frauen kriegen keinen Pfennig. ({3}) Bei der Krankenversicherung sollte der Schutz erhöht werden. - Null! Ob sie mitversichert sind oder nicht, 10 Prozent werden abgeführt. Es ist kein Krankenversicherungsschutz zu erwarten. Bei diesen beiden Bereichen sehe ich eine verfassungsrechtliche Problematik allererster Ordnung, ({4}) denn ich halte es für nicht durchführbar, daß auf Dauer Beiträge ohne jede Leistungsäquivalenz, wie das bei den Steuern der Fall ist, in das Sozialversicherungssystem gezahlt werden. Deswegen gibt es in diesem Punkt ein großes verfassungsrechtliches Problem. ({5}) Die Arbeitslosigkeit ist auch ein Problem. Sie wird natürlich nicht - das wußten wir vorher - mit Ihren Maßnahmen gelöst werden. Die Pflegeversicherung, auch ein Problem, kann so ebenfalls nicht gelöst werden. Sieben Ziele, die den Menschen im Wahlkampf versprochen wurden, werden absolut verfehlt. Es ist nichts geschehen: erst versprochen und dann nichts gehalten, heiße Luft, nur heiße Luft. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPDFraktion, ich wundere mich über das, was Sie mit sich machen lassen. ({7}) Sie müssen vor Ihre Wähler treten und ihnen sagen: Entschuldigung, alles, was wir euch hinsichtlich der 620Mark-Jobs versprochen haben, tritt nicht ein - Fehlanzeige. ({8}) Bei dieser Operation passiert nichts anderes, als daß die 22 Prozent Pauschalsteuer, die bisher die Arbeitgeber gezahlt haben, jetzt in zwei Teilen - einmal 12 und einmal 10 Prozent; addiert: 22 Prozent - nicht mehr an Oskar, sondern an Riester überwiesen werden. Nichts anderes passiert. ({9}) Das ist also der Reformansatz für ein zentrales Wahlkampfthema, mit dem Sie uns bedrängt, bedrückt und beschimpft haben. Sie sollten sich schämen, daß Sie das mit sich machen lassen. ({10}) Wenn wir so gehandelt hätten und so wenig Kreatives für die Lösung des Problems getan hätten, würden Sie eine viel bösartigere Rede halten, als ich sie heute halte. ({11}) Ich komme noch einmal auf den Bundeskanzler zurück: Es wäre besser gewesen, Sie hätten von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und hätten Oskar Lafontaine gesagt: Schick dem Riester einen Scheck! - Damit wäre alles klar gewesen. Sollten Sie allerdings auf diesem Weg die Grundlage für Ihre Eröffnungsbilanz verändern wollen, indem Sie sagen, diese Menschen seien jetzt sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und damit sei die Beurteilungsgrundlage ungenau, dann muß ich Ihnen sagen: Bei diesem Mogelversuch werden wir Sie stoppen. Damit kommen Sie nicht durch. Ihre Politik ist eine Enttäuschung und Fehlanzeige. ({12}) Die vier bis fünf Millionen Menschen, die betroffen sind, wurden in Unruhe versetzt. Geboten wurde ihnen wegen der Verschiebung noch nichts. Wissen Sie, warum? Ein taktisch und strategisch ganz wichtiger Punkt ist: Nachdem durch die Berichterstattungen in den Zeitungen und im Fernsehen die Stimmung umgekippt war - Frauen riefen: Laßt uns unsere Verdienste! -, hat doch tatsächlich einer von den Strategen im Kanzleramt erkannt: Wir haben in wenigen Wochen in Hessen eine Landtagswahl. Wenn wir unser Vorhaben bis zur Wahl in Hessen umsetzen, dann werden etwa 800 000 hessische Wähler von dieser Entwicklung betroffen sein. Diese Betroffenen hätten Ihnen die Quittung gegeben. Deswegen sind Sie vor der Lösung des Problems in die Knie gegangen. Wenn auf diese Weise Ihre Reformen fortgesetzt werden sollten, dann wird noch nicht einmal alles anders, geschweige denn besser. Herzlichen Dank. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Aktuelle Stunde ist beendet. ({0}) - Das finde ich auch. Ich hätte mich zu diesem Thema gerne geäußert, wie Sie sich vorstellen können. Aber ich bin zur Zeit Präsidentin. ({1}) Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatzpunkt 5 auf: 9. Überweisungen im vereinfachten Verfahren Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze ({2}) - Drucksache 14/49 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({3}) Finanzausschuß ZP5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({4}) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die politischen Parteien ({5}) - Drucksache 14/41 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({6}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 4. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Widerstand gegen die Aufhebung des Exportverbots für britisches Rindfleisch durch die EU-Kommission - Drucksache 14/31 ZP6 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Widerstand gegen die Aufhebung des Exportverbots für britisches Rindfleisch durch die EU-Kommission - Drucksache 14/42 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste hat Frau Bundesministerin Andrea Fischer das Wort.

Andrea Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11002652

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute kommen Lebensmittel aus der ganzen Welt auf den Tisch der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland. Deswegen brauchen wir weitestgehende Sicherheit, daß diese Lebensmittel gesundheitlich unbedenklich sind. Deshalb hat für mich der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren beim Verzehr von Lebensmitteln einen hohen Stellenwert. Nationale Maßnahmen allein können angesichts des großen Ausmaßes des internationalen Handels mit Lebensmitteln den Verbraucherschutz nicht mehr gewährleisten. Er kann in einem Europa der offenen Grenzen nur im Zusammenwirken von europäischen Institutionen, von Bundestag und Bundesrat gestaltet werden. Mir ist klar, daß es schwierig sein wird, für diese Politik gleichermaßen in Brüssel wie auch in Bonn stets Zustimmung zu finden und diese Auffassung durchzusetzen. Ich will deutlich machen, von welchen Prinzipien des gesundheitlichen Verbraucherschutzes sich die neue Bundesregierung bei ihrer Politik leiten lassen wird. Es ist völlig klar - ich bin mir sicher, daß wir hier in diesem Haus in diesem Punkt Konsens haben -, daß es darum geht, die Sicherung und die Stärkung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes zu gewährleisten. Mein erstes Prinzip dabei lautet, daß der gesundheitliche Verbraucherschutz, das heißt der Schutz vor Gesundheitsgefährdungen durch Lebensmittel in Deutschland, im Europa des Binnenmarkts und in Drittländern absoluten Vorrang vor allen anderen Interessen, vor allen Dingen auch vor wirtschaftlichen Interessen, haben muß und haben wird. Beim zweiten Prinzip geht es darum, daß der vorbeugende gesundheitliche Verbraucherschutz in Deutschland verstärkt werden muß und künftig auch in der Europäischen Union Vorfahrt haben muß: Wir dürfen auch bei nur denkbaren Gefahren - sowohl mit staatlichem als auch mit gesellschaftlichem Handeln nicht warten, bis der letzte wissenschaftliche Beweis einer Gesundheitsgefährdung erbracht ist, bis es eventuell zu spät ist und wir es bereits mit kranken oder gar toten Verbraucherinnen und Verbrauchern zu tun haben. ({0}) Ich bin mir bewußt: Auch die verantwortlichste Gesundheitspolitik wird keine hundertprozentige Sicherheit garantieren können. Risiken lassen sich selbst bei bester Vorsorge nie vollkommen ausschließen. Aber das entbindet uns nicht von der Verpflichtung, alles Menschenmögliche beim vorbeugenden Gesundheitsschutz zu tun. ({1}) Wohin eine Politik führt, die den vorbeugenden Gesundheitsschutz nicht sehr ernst nimmt, konnten wir am Umgang mit der heute zur Diskussion stehenden BSEProblematik in Großbritannien lernen. Erst als Fälle einer neuartigen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit im Frühjahr 1996 in Großbritannien beschrieben wurden und überhaupt erst ein Zusammenhang mit dem Rinderwahnsinn BSE hergestellt wurde - denn es gab keine anderen Erklärungen -, hat die Europäische Union die, wie ich meine, richtige Konsequenz gezogen. Erst zehn Jahre nach Entdeckung der Rinderseuche BSE wurde von der Europäischen Kommission ein absolutes Ausfuhrverbot für britisches Rindfleisch erlassen; drastische Vermarktungsbeschränkungen für Fleisch sowie Maßnahmen zur Bekämpfung und Beseitigung des Rinderwahnsinns in Großbritannien wurden eingeleitet. Ich meine, es darf sich nicht wiederholen, daß damit so lange gewartet wird. ({2}) Der dritte Grundsatz, von dem ich mich leiten lassen werde, ist der Grundsatz der Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz bei der Verbraucherinformation. Denn gerade weil wir uns darauf einstellen müssen, daß es uns nicht immer gelingen wird, die sehr strengen deutschen Vorschriften im Hinblick auf den vorbeugenden Gesundheitsschutz in der Europäischen Union durchzusetzen, brauchen wir eine offene, ehrliche und transparente Verbraucherinformation, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher auf der Grundlage umfassender Information darüber entscheiden können, was sie kaufen und welche Produkte sie verzehren wollen. Vor dem Hintergrund dieser von mir soeben skizzierten Prinzipien des gesundheitlichen Verbraucherschutzes möchte ich mich zum Thema der heutigen Debatte äußern. Vizepräsidentin Anke Fuchs Der Europäische Rat hat im Zuge der Aufarbeitung der BSE-Problematik im Juni 1996 in Florenz die Bedingungen definiert, unter denen eine schrittweise Lokkerung des absoluten Ausfuhrverbots für britisches Rindfleisch und andere vom Rind gewonnene Materialien ins Auge gefaßt werden kann. Die erste Bedingung lautet, daß die wissenschaftliche Bewertung in den zuständigen Gremien der Gemeinschaft vorliegen muß, daß die von Großbritannien jeweils vorgeschlagenen Schritte zur Lockerung des Ausfuhrverbots und die einzuhaltenden Anforderungen den gesundheitlichen Verbraucherschutz nicht beeinträchtigen. Die zweite Bedingung ist, daß Sachverständige der Gemeinschaft vor Ort geprüft haben müssen und weiter überprüfen können, daß die bei der Lockerung des Ausfuhrverbots einzuhaltenden Anforderungen in der Praxis dauerhaft eingehalten werden können und auch eingehalten werden. Der Vorschlag für eine weitere Lockerung des Ausfuhrverbotes, um den es jetzt geht und der heute hier debattiert wird, soll am 23./24. November 1998 im EUAgrarministerrat beraten werden. Er betrifft das Fleisch von Rindern aus ganz Großbritannien, die nach dem 1. August 1996 geboren worden sind und die zusätzlich weitere Anforderungen erfüllen müssen. Dieser Vorschlag wirft aber mit Blick auf die zweite Bedingung, die in Florenz vereinbart wurde, große Fragezeichen auf. Diese Einschätzung wird auch vom Bundeslandwirtschaftsministerium geteilt. Die Anforderungen, die von Großbritannien bei einer Lockerung des Ausfuhrverbotes eingehalten werden müssen, sind im Interesse des gesundheitlichen Verbraucherschutzes außerordentlich komplex. Ich räume ein, daß Großbritannien in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte bei der Lösung der BSEProblematik erzielt hat. Diese Kraftanstrengungen verdienen unseren ganzen Respekt. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, daß die in dem Lockerungsvorschlag vorgesehenen Anforderungen im täglichen Routinebetrieb wirklich konsequent und lückenlos durchgesetzt werden können. Selbst ein absolutes Ausfuhrverbot ist, wie einzelne Vorfälle illegaler Ausfuhren britischen Rindfleisches im vergangenen Sommer gezeigt haben, nur schwer durchsetzbar. Jede Lockerung „mit Auflagen“ weckt daher Zweifel. Daß diese Zweifel berechtigt sind, hat sich bislang bei der Beratung des Entwurfes für eine Lockerung des Ausfuhrverbots auf Beamtenebene gezeigt. Die Kommission hat als wichtiges Element zur Sicherung des Gesundheitsschutzes vorgeschlagen, daß die Ausfuhr von Fleisch von nach dem 1. August 1996 geborenen Rindern erst dann aufgenommen werden darf, wenn zuvor alle Rinder dieser Altersgruppe, deren Mütter an BSE erkrankt sind, getötet worden sind und deren Fleisch dauerhaft aus der Nahrungsmittelkette entfernt worden ist. Dies ist wegen der Möglichkeit der BSE-Übertragung von der Kuh auf das Kalb notwendig. Prüfungen durch Sachverständige der Kommission vor Ort haben aber ergeben, daß diese Anforderung nicht hundertprozentig erfüllt werden kann. Selbst die britischen Vertreter haben dies im Ständigen Veterinärausschuß eingeräumt. Meine Damen und Herren, wenn diese von der Kommission selbst aufgestellten Forderungen nicht erfüllt werden können, dann kann die Konsequenz nur heißen, daß der Entwurf von der Europäischen Kommission zurückgezogen werden muß. ({3}) Hierüber besteht zwischen dem Bundeslandwirtschaftsminister und mir völliges Einverständnis. Die vorgesehene Lockerung ist im übrigen so konzipiert, daß zunächst lediglich die Anforderungen an die Lockerung unter Beteiligung der Mitgliedstaaten bestimmt werden sollen. Der Zeitpunkt der Lockerung selbst soll dagegen von der Europäischen Kommission ohne förmliche Befassung der Mitgliedstaaten nach einer erneuten Überprüfungsreise festgesetzt werden. Damit werden die Mitgliedstaaten auf Gedeih und Verderb der Einschätzung der Europäischen Kommission ausgeliefert. Ich bin deswegen dafür, daß die Lockerung erst dann beschlossen wird, wenn sich die Mitgliedstaaten ein Bild davon machen konnten, daß das Ergebnis befriedigend ist. Eine solch schwerwiegende Entscheidung sollte nicht von der Europäischen Kommission allein, sondern gemeinsam mit den Mitgliedstaaten im Ständigen Veterinärausschuß und gegebenenfalls im zuständigen Ministerrat getroffen werden. Vor diesem Hintergrund wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, daß das gemeinschaftsrechtliche Ausfuhrverbot für britisches Rindfleisch aufrechterhalten bleibt. Nur gemeinschaftsrechtliche BSERegelungen, bei deren Durchsetzung und Kontrolle die Europäische Kommission und alle Mitgliedstaaten ihren Beitrag leisten, sind im vereinten Binnenmarkt geeignet, den gesundheitlichen Verbraucherschutz wirksam sicherzustellen. Unabhängig davon muß gegen BSE in der gesamten Europäischen Union weiter vorgegangen werden. Einen wichtigen Beitrag hierzu könnte die systematische Anwendung geeigneter Untersuchungsverfahren zur Feststellung von BSE bei geschlachteten Rindern leisten. Derartige Verfahren werden derzeit auf Veranlassung der Europäischen Kommission evaluiert. Sobald eine sichere, routinemäßig anwendbare Untersuchungsmethode vorliegt, mit der auch klinisch gesunde - aber mit BSE infizierte - Rinder ermittelt werden können, sollte die obligatorische Anwendung dieses Verfahrens im Vereinigten Königreich im Gemeinschaftsrecht verankert werden. ({4}) Wir haben Beispiele dafür, daß ein solches systematisches Vorgehen erfolgreich ist. Ich nenne die systematische Untersuchung geschlachteter Schweine auf Trichinen. Das sollte uns Ansporn sein, in den nächsten Jahren die Vorbeugung durch eine vorangehende Untersuchung stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Ich gehe - nicht zuletzt auf Grund der vorliegenden Entschließungsanträge - davon aus, daß diese Politik der Bundesregierung die Unterstützung des gesamten Hauses findet. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wodarg, SPD-Fraktion.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um zu Anfang hervorzuheben, daß wir alle gemeinsame Ziele haben. Wir haben erstens das Ziel, den Gesundheitsschutz der Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern, und wir haben zweitens das Ziel, die Produktion hochwertiger Lebensmittel bei uns in Deutschland zu sichern. Ich möchte außerdem die Gelegenheit dazu nutzen, etwas über die gegenwärtige Lage zu sagen. Was wissen wir? Was wissen wir nicht? Was ist sicher? Was ist nicht sicher? Denn das muß schließlich die Basis für das Handeln der Bundesregierung und für die Stellungnahmen der Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission und auch gegenüber Großbritannien sein. Erstens. Der Erreger von BSE ist immer noch nicht identifiziert. Obwohl inzwischen fast 150 000 registrierte BSE-Fälle in Großbritannien bekannt sind, wissen wir nicht, wie er aussieht, und dieser Erreger ist auch noch nicht nachgewiesen worden. Wir können bei den verstorbenen Tieren lediglich die Krankheitsfolgen feststellen. Es gibt noch keinen Infektionsnachweis am lebenden Tier, das keine Krankheitszeichen aufweist. Wenn sich das Tier also unauffällig verhält, dann können wir eine BSE-Infektion nicht nachweisen. Zweitens. Die Inkubationszeit ist sehr lang. Die Inkubationszeit beim Rind beträgt mindestens 20 Monate; im Durchschnitt liegt sie bei 50 Monaten. Drittens - jetzt nenne ich ein sehr wichtiges Faktum -: Nur wenige Rinder in Großbritannien werden älter als 30 Monate. Angesichts der Tatsache, daß die Inkubationszeit so sehr lang ist, bedeutet das, daß selbst bei den Rindern, die infiziert sind, keine Krankheitssymptome beobachtet werden können, weil sie vorher geschlachtet werden, um dem Verbraucher zur Verfügung zu stehen. In Großbritannien sollen Rinder, die älter als 30 Monate werden, getötet werden. Dafür gibt es ein Programm; das OTMS-Programm, das Over-ThirtyMonths-Slaughter-Programm. Dieses Programm hat dazu geführt, daß inzwischen 2,5 Millionen Rinder geschlachtet und dann zu Tiermehl verarbeitet worden sind, das, bevor es verbrannt wird, zwischengelagert wird. Das ist zur Zeit die Situation in Großbritannien. Ich hoffe, daß angesichts der Tatsache, daß die Kennzeichnung von Tiermehl nur schlecht möglich ist - es wird nicht eingefärbt und kann daher auch leicht mißbraucht und verschoben werden; das ist meiner Meinung nach ein großes Sicherheitsrisiko -, dieses Tiermehl tatsächlich verbrannt worden ist und auch in Zukunft verbrannt werden wird. Bei den in diesem Jahr beobachteten 1 600 BSEFällen in Großbritannien - so viele sind es bisher etwa - handelt es sich überwiegend um Rinder, die älter als 30 Monate sind. Natürlich braucht man auch Rinder, die älter als 30 Monate werden, zum Beispiel zu Zuchtzwecken. Bei den anderen Rindern - wenn sie denn älter als 30 Monate geworden wären, wären wahrscheinlich zusätzliche BSE-Fälle zu erwarten gewesen. Sie gehen aber nicht in die Statistik ein. Es ist sehr deutlich zu sehen, daß mit Einführung dieser Tötungsaktion der Rinder, die älter als 30 Monate sind, sich die Statistik plötzlich zum Positiven wendet. Das heißt, es kann sich dabei um einen künstlichen Effekt handeln, der wenig über die Inzidenz, das heißt die Krankheitshäufigkeit, von BSE in Großbritannien aussagt. ({0}) Es gibt eine weitere Unwägsamkeit: Wir wissen letztlich immer noch nicht, wie die Übertragungswege im Detail aussehen. Was wir wissen, ist, daß das Verfüttern von Tiermehl ein großes Risiko darstellte. Ich denke, daß es auf diesem Gebiet noch eine Menge zu forschen gibt. Bei der Forschung, die mit europäischen Mitteln gefördert wird, handelt es sich - das ist auch in Deutschland so - überwiegend um Prionenforschung. Die Forschung und die dahinterstehenden Geldgeber haben ein großes Interesse daran, eine Methode zu finden, wie man BSE beim lebenden Tier nachweist. Wem das gelingt, der kann damit sehr viel Geld verdienen. Diese Forschung ist durchaus nützlich und wichtig, aber sie ist eben auch sehr attraktiv. Die epidemiologische Forschung ist dagegen, weil man damit nicht so viel verdienen kann, weniger attraktiv. Diese sieht so aus, daß man Tiere künstlich infiziert, um festzustellen, auf welche Weise und wann diese Tiere ihre Infektion auf andere Tiere übertragen können. In England hat man versucht, die Frage der maternalen Übertragung zu klären. Es hat dort Testreihen gegeben, es sind Populationen beobachtet worden. Doch diese Versuche sind zum Teil viel zu früh abgebrochen worden; ihre Ergebnisse sind immer noch strittig. Es gibt viel zu wenige ernsthafte Versuche, dies zu verifizieren, erneut zu überprüfen. Von Scrapie, der entsprechenden Erkrankung bei Schafen, wissen wir, daß eine Übertragung der Krankheit über den Weidegrund, über die Wiese, auf der diese Schafe gestanden haben, möglich ist. Dies ist bei Scrapie unstrittig und steht in den Lehrbüchern. Darüber, wie das bei BSE aussieht, gibt es keinerlei Forschung. Auch da fehlt die nötige Sicherheit, die wissenschaftlich begründet sein muß. Ich mache in diesem Hause noch einmal - ich habe das schon zweimal getan - auf einen weiteren, ganz wichtigen Unsicherheitsfaktor aufmerksam: Neugeborene Kälber werden den Mutterkühen meistens weggenommen. Nur in wenigen Fällen bleiben die Kälber bei den Muttertieren und trinken deren Milch. Alle anderen Kälber bekommen Milchaustauscher. Milchaustauschern werden verschiedene Zusatzstoffe beigemischt, unter anderem auch tierisches Fett. Noch bis zum voriBundesministerin Andrea Fischer gen Jahr ist - dies ist unbestritten - auch tierisches Fett aus Tierkörperbeseitigungsanstalten verwendet worden, um es dieser Kälbernahrung zuzumischen. Es kann sehr gut sein, daß die Prionen gerade lipophil sind, das heißt, daß sie besonders in fetthaltigen Substanzen zu finden sind. Dieses Risiko ist nicht geklärt. Wenn dem tatsächlich so ist, dann ist es verständlich, daß immer noch, wie in diesem Jahr, 1 600 Rinder in Großbritannien erkrankt sind, obwohl vorher so viele getötet worden sind. Ich finde, das sind beängstigende Zahlen, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Die epidemiologische Situation ist nicht ausreichend untersucht. ({1}) Daher müssen wir darauf bestehen, daß das Verbot des Exports von Tieren von der Insel weiter aufrechterhalten bleibt. Das sind wir unseren Verbrauchern schuldig, und das sind wir auch unseren Landwirten schuldig. Denn allzu leicht verwechseln die Verbraucherinnen und Verbraucher die Waren und nehmen sich gar nicht die Zeit, sich anzuschauen, woher sie kommen. Wir wollen weiterhin sagen können: Das Fleisch, was sie bei uns kaufen können, ist sicher. Da kommt nichts Risikobehaftetes aus England über den Kanal. Ich bin froh, daß wir uns hier einig sind - obwohl ich eben, als die Ministerin das gleiche vorgeschlagen hat, den Beifall der rechten Seite vermißt habe. Ich freue mich, daß wir einer Meinung sind und wir heute gemeinsam an die Regierung appellieren, der Aufhebung des Exportstopps zu widersprechen. Ich danke Ihnen. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat der Kollege Gerhard Scheu, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Gerhard Scheu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001962, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die Bundesministerin in ihrer Absicht, die Lokkerung des Exportverbots abzulehnen. ({0}) Die Kommission hat einen Vorschlag unterbreitet, den der Rat annehmen soll. In den Vorbemerkungen zu diesem Vorschlag heißt es, daß nunmehr wissenschaftlich gesichert von der Möglichkeit maternaler Übertragungen auszugehen ist. Dies verändert die Risikoannahmen, die bisher zugrunde gelegt worden sind, und es verändert auch das Unverdächtigkeitsalter von sechs Monaten; denn die jungen Tiere unter sechs Monate, die maternale Übertragungen erfahren hatten, sind asymptomatisch infiziert, weil sie die Infektion nicht über Futtermittel erhalten haben. Somit erscheint schon der Parameter „sechs Monate“ fragwürdig; denn eine Garantie kann das Vereinigte Königreich nicht in dem Sinne geben, wie sie in der Erwägung unter Punkt 6 formuliert ist: Das Vereinigte Königreich muß gewährleisten, daß die Muttertiere von zur Ausfuhr freigegebenen Rindern zum Zeitpunkt der Schlachtung dieser Tiere nicht BSE-infiziert waren. Diese Garantie und diese Gewährleistung kann das Vereinigte Königreich nicht geben. Wie Herr Dr. Wodarg schon ausgeführt hat, gibt es keine Möglichkeit, den Erreger am lebenden Tier festzustellen. Die Kommission führt weiter aus: Mit diesen Maßnahmen wird das Risiko der materiellen Übertragung des BSE-Erregers auf ein freigegebenes Tier angemessen behandelt. „Angemessen“ heißt hier, daß ein Risiko eingegangen wird. Wenn man dabei noch berücksichtigt, daß es in der Wissenschaft nach wie vor definitiv ungeklärt ist, welches Risiko mit Muskelfleisch verbunden ist, dann bedeutet dies, daß die Kommission uns zumutet, ein Risiko - wie quantifiziert es auch sein mag - einzugehen. Daß asymptomatisch infizierte Tiere vorkommen können, ist seit eh und je Stand der Wissenschaft und Forschung. Die Frage war wohl immer, ab wann sie infektiös sind und die Krankheit übertragen können. Der nächste Parameter, der vorgeschlagen wird, ist, daß die Tiere, die von einer infizierten Mutter abstammen und vor oder nach dem 1. August 1996 geboren wurden, getötet werden. Nach wie vor bleiben die Kommission und das Vereinigte Königreich bei dem Programm der selektiven Keulung. Der klinische Verdacht, der hinsichtlich des Muttertieres bestehen muß, unterscheidet sich wesentlich vom deutschen tierseuchenrechtlichen Verdacht. Wenn in einem Bestand ein Tier an BSE erkrankt ist oder klinische Anzeichen von BSE zeigt, dann besteht wohl die Vermutung, daß auch andere Tiere dieses Bestandes den Erreger über das Transportmittel aufgenommen haben könnten. Das führt bei der überwiegenden Zahl der Mitgliedstaaten dazu, daß der gesamte Bestand gekeult wird. Das Vereinigte Königreich wendet diese Methode nach wie vor nicht an, sondern bleibt nach dem Prinzip der minimalistischen Risikobegrenzung bei selektiver Keulung bei bestätigtem BSE-Verdacht oder bei klinischen Anzeichen für einen Verdacht. Das ist ein anderer Verdachtsbegriff als in unserem Seuchenrecht. Die weitere Zumutung des Vorschlages der Kommission besteht darin, daß diese nach dem 1. August 1996 geborenen Tiere aus Risikoherden stammen dürfen; denn anders als gegenüber Nordirland wird nicht vorausgesetzt, daß die zur Ausfuhr freigegebenen Tiere aus risikofreien Herden stammen, in denen nachweislich seit mindestens acht Jahren kein BSE-Fall aufgetreten ist. Es werden nach diesem Vorschlag Tiere exportiert, die aus Risikoherden stammen können. Der nächste Punkt. Die Vorschläge und Parameter sind komplex. Sie setzen eine Vielzahl von Vorschriften voraus, die auch beachtet werden müssen. Hier möchte ich die Wissenschaftler daran erinnern, daß der Faktor Mensch in der Einschätzung, die die Fachwissenschaftler der Veterinärwissenschaft haben, wohl anders gesehen wird, als ihn die Wissenschaft von den angewandten Menschenkenntnissen betrachtet, nämlich die Politik. Man muß bei solchen komplexen Vorschriften, die voraussetzen, daß es auf der Welt wie in einem wissenschaftlichen Labor zugeht, prüfen, ob sie in der Realität hinreichend verläßlich eingehalten werden. Wenn ich mich an die Vorschriften der Kommission erinnere, die vorsahen, jeweils das Datum zu verändern, dann frage ich, welche Garantie für eine größere Sicherheit heute gegeben ist. Erinnern Sie sich: Ursprünglich ging man davon aus, daß ab Juli 1989 keine futtermittelbedingten Übertragungen mehr stattfinden können und alle Tiere, die nach diesem Datum geboren wurden, exportiert werden könnten. Das war der Stand Juli 1989: Die Gefahr betrifft nur die Rinder, die vor dem 18. Juli 1989 geboren wurden. Im Juli 1994 haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Krankheit bei einem Tier auftrat, das nach 1989 geboren wurde. Dann wurde die Frist bis zum 1. Januar 1991 verlängert. Am 3. November 1994 mußte man zur Kenntnis nehmen, daß bei einem 1991 geborenen Tier - ,,wider jedes Erwarten“ wurde formuliert - BSE aufgetreten war. Dann wurde die Frist durch Kommissionsentscheidung auf den 1. Januar 1992 verlegt. In der amtlichen Begründung dazu hieß es damals: Nach dieser Empfehlung hat das britische Verbot der Verfütterung von Wiederkäuertiermehl an Wiederkäuer wirksam gegriffen. Die Gefahr einer Übertragbarkeit wird als vernachlässigbar eingestuft. Damit ist das Risiko, daß der BSE-Erreger über das Fleisch britischer Tiere, die nach dem 1. Januar 1992 geboren wurden, übertragen wird, praktisch ausgeschlossen. Im Juni 1995 mußte die Kommission zur Kenntnis nehmen, daß es bei Tieren, die nach dem 1. Januar 1992 geboren worden waren, zu BSE-Erkrankungen gekommen ist. Konsequent hat man - minimalistisch - die Frist auf 1992 geborene Tiere ausgedehnt. Im Oktober 1995 schließlich wurden wir unterrichtet, daß es auch bei Tieren mit Geburtsjahrgang 1993 zu BSE-Fällen gekommen war. Immer haben die Aussagen der Wissenschaftler auf der Annahme gefußt, die Vorschriften aus den Gesetzund Verordnungsblättern würden wie in einem wissenschaftlichen Labor erfüllt. ({1}) Die Beurteilung, ob eine Vorschrift von den Adressaten auch eingehalten wird, und zwar kraft freiwilliger Übereinkunft, ist eine politische Beurteilung. Hierfür sind Veterinärwissenschaftler keine Experten. Deshalb ist der Vorschlag, Frau Ministerin, völlig richtig, daß über die endgültige Freigabe ein parlamentarisch verantwortliches Organ, nämlich der Rat, entscheiden muß und nicht die Kommission. ({2}) Ein weiterer Punkt. Bei der Frage, ob man den Export zulassen kann, möchte ich die Bundesregierung daran erinnern, welche Anforderungen im Hinblick auf Arzneimittel gelten. Stellen Sie sich bitte einmal vor, ein „british beef“ sei ein Arzneimittel und werde vom Arzt verordnet. Wenn die Sicherheitskriterien des BfArM und des Bundesgesundheitsamtes, die Exponentensumme 20, von der an Unbedenklichkeit angenommen wird, auch für das ,,british beef“ gelten, muß ich bei Annahme des günstigen Falles hinsichtlich der Anwendung der Kriterien für die Arzneimittel sagen, daß höchstens eine Exponentensumme von 19 erreicht wird. Das heißt, wäre britisches Fleisch ein Arzneimittel, wäre es ({3}) bedenklich, und es bestünde ein gesetzliches Verkehrsverbot. Ich komme zum letzten Punkt. Wir hatten bei der Kommission und beim Vereinigten Königreich eine Risikoabwehr nach dem Prinzip: Es muß wahrscheinlich sein, daß eine Gefahr eintritt. Der Grad der Wahrscheinlichkeit eröffnet weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten. Im WTO-Hormonstreit hingegen ging die Kommission der Europäischen Gemeinschaften noch davon aus, es gelte das Vorsichtsprinzip. Im Falle wissenschaftlicher Ungewißheit muß aber das Prinzip gelten: In dubio pro securitate. ({4}) Daran sollte man die Kommission erinnern, die mit ihren Entscheidungen über Leib und Leben von Bürgern der Europäischen Gemeinschaft bestimmt. Daß BSE als „human spongiform encephalopathy“ auf den Menschen übertragbar ist, steht fest. Deutschland ist bislang frei von originärem BSE und frei von HSE. Das Ziel der CDU/CSU-Fraktion und ihres Antrages ist: Dabei soll es und muß es bleiben. Deshalb lehnen wir den Vorschlag der Kommission ab. Danke. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt ein interfraktioneller Antrag, den wir gerne gehabt hätten, leider nicht vor. Vielleicht gehört es noch zu den Übungsschritten der frischgebackenen Opposition, bei so viel Konsens einmal einen interfraktionellen Antrag zu stellen. Auch könnte die Opposition in einem solchen Fall der Regierung - und ebenso umgekehrt - durchaus Beifall spenden. ({0}) Die neue Bundesregierung bleibt bei ihrem Nein zu einer Aufhebung des Exportverbots für britisches Rindfleisch. Das Aufflammen der Krankheit in den verschiedenen europäischen Ländern zeigt die Gefahr der schleichenden Verbreitung, aber auch die Tatsache, daß die Kontrollen bisher mangelhaft und die durchgeführten Schutzmaßnahmen halbherzig waren. Die Fehler, die bislang gemacht worden sind, dürfen sich wahrhaftig nicht wiederholen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Entwicklung der BSE-Tests zu beschleunigen. Es stimmt, was Herr Wodarg gesagt hat: Es ist einerseits wichtig, die Blut- und Lebendtests zu entwickeln; soweit ich es erkennen kann, stehen wir auch nahe davor. Andererseits dürfen die epidemiologischen Untersuchungen nicht vernachlässigt werden. Die Tests müssen so bald wie möglich in Deutschland und in Europa standard- und routinemäßig eingeführt werden. Ich unterstütze hier das, was Andrea Fischer gesagt hat: Es muß zu Routineuntersuchungen kommen, wie es im Hinblick auf Trichinen bei den Schweinen schon längst der Fall ist. Auch wenn Großbritannien seine Anstrengungen zur Bekämpfung von BSE verstärkt hat, was wir durchaus anerkennen wollen, gibt es dennoch nichts an den beschriebenen Problemen zu rütteln. Verbraucherschutz muß den Vorrang haben, zumal 99,7 Prozent aller bekanntgewordenen Fälle in Großbritannien aufgetreten sind. Gleichwohl gilt auch für Portugal und andere Länder, in denen BSE-Fälle aufgetreten sind, daß entsprechende Schutzmaßnahmen angewandt werden müssen. In den letzten zwei Wochen hat es vier neue Fälle in Frankreich, in Belgien und in Portugal gegeben; diese Zahl ist durchaus bedenklich. In Frankreich wurden übrigens alle betroffenen Herden geschlachtet - eine Maßnahme, die, wie ich meine, nicht vom Tisch sein sollte. ({1}) Die Rindfleischproduktion muß in Deutschland wie in Europa dem Bedarf an hochwertigem Fleisch angepaßt werden; wir alle wissen, daß dieser Bedarf wegen des mangelnden Vertrauens der Verbraucher zurückgegangen ist. Tierhaltung hat sich in Deutschland wie in Europa zukünftig an den Grundsätzen der artgerechten Tierhaltung zu orientieren. Fälle wie die, über die wir heute reden, dürfen sich nicht wiederholen. Sehr geehrte Damen und Herren, zur aktuellen Diskussion: Solange die BSE-Freiheit des Rindfleischs in den Lagerhäusern der EU nicht geklärt ist - in ihnen lagern ja erhebliche Mengen -, darf dieses Fleisch nicht in den Verkauf gegeben werden, weder in Deutschland noch in Europa, noch - im Rahmen der Lebensmittelhilfe - in der dritten Welt. Das wäre unverantwortlich, und wir können nur darauf hoffen, daß es nicht aus kurzsichtiger Betrachtungsweise zu einer solchen Handhabung kommen wird. ({2}) Leider können Verbraucher an der Ladentheke immer noch nicht erkennen, woher das Fleisch stammt, das sie kaufen möchten. Die Einführung von Herkunftsbezeichnungen und Etikettierungen muß beschleunigt werden. Das ist ebenfalls ein Versäumnis der alten Bundesregierung. Es gilt, den Verbraucherschutz auch im Bereich der Kennzeichnung weiter voranzutreiben. Vielen Dank. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich dem Kollegen Ulrich Heinrich, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man kann ja sehr befriedigt feststellen, daß sich alle Fraktionen gegen die Aufhebung des Exportverbotes von Fleisch von britischen Rindern, geboren nach dem 1. August 1996, ausgesprochen haben. Diese Tatsache sollte für die EUKommission sowie für die Mitgliedstaaten, die das Embargo aufheben wollen, ein deutlicher Hinweis darauf sein, daß sie ihren verbraucherfeindlichen Kurs korrigieren sollten. Vor dem Hintergrund der vielen Ungereimtheiten bei der Bekämpfung der Rinderseuche, für die nicht zuletzt die Kommission selbst verantwortlich ist, kann ich die EU-Kommission nur davor warnen, wieder zu ihrer alten Gefälligkeitspolitik zurückzukehren. ({0}) Die geplante Aufhebung des Exportverbots ist mit einem vorbeugenden Gesundheits- und Verbraucherschutz nicht zu vereinbaren. Im Ständigen Veterinärausschuß der EU, also im verantwortlichen Expertengremium für Verbraucherschutzfragen bei BSE, ist Anfang November keine qualifizierte Mehrheit für eine Aufhebung des Embargos zustande gekommen. Eben wegen der wissenschaftlichen Zweifel besteht meiner Meinung nach auch kein politischer Spielraum, sich in dieser Frage anders zu entscheiden. Viele Fakten sprechen gegen die Aufhebung. In Großbritannien werden Monat für Monat rund 150 BSEFälle registriert. Diese Zahl erfaßt nur die Tiere, die tatsächlich krank geworden sind, und beinhaltet noch nicht die Tiere, die automatisch mit notgeschlachtet werden, weil sie in der gleichen Herde waren; insofern muß man unterscheiden. Die Kontrollmaßnahmen in England greifen immer noch nicht in der erforderlichen Weise. Ich kann nur das unterstreichen, was die Frau Ministerin und die Kollegen schon ausgeführt haben: Es ist ein eklatanter Fehler, daß dort die Kennzeichnung noch nicht in der Form durchgeführt wird, wie wir sie haben. Vor allen Dingen ist nicht zu tolerieren und zu akzeptieren, daß nicht nachgewiesen werden kann, ob die Kälber von infizierten Kühen abstammen oder nicht. Illegale Fleischimporte nach Sachsen, Bayern und Niedersachsen haben die deutsche Öffentlichkeit sehr verunsichert. Solange wissenschaftlich noch nicht völlige Sicherheit besteht, ob der BSE-Erreger nicht doch vom Muttertier auf das Kalb übertragen werden kann, muß dem vorbeugenden Gesundheits- und dem Verbraucherschutz absoluter Vorrang eingeräumt werden. ({1}) Unter diesem Blickwinkel können wir im Falle einer Aufhebung des Exportverbotes nun wirklich nicht von der notwendigen Sicherheit für die deutschen Verbraucher ausgehen. Trotz aller Versicherungen der britischen Regierung, der britischen Landwirte und der britischen Fleischwirtschaft, die Rinderseuche BSE sei in Großbritannien ausgerottet, belegt die Statistik der EUKommission das genaue Gegenteil: Über 1 500 BSEFälle allein im Jahre 1998 sind keine zu vernachlässigende Größe. Jeder, der vor dem Hintergrund dieser Fakten behauptet, BSE stelle keine Gefährdung für die Verbraucher mehr dar, ignoriert die Wirklichkeit und gefährdet Menschenleben. ({2}) Insgesamt sind 30 Menschen an der durch die Rinderseuchen verursachten neuen Variante der CreutzfeldtJakob-Krankheit gestorben, davon 29 in Großbritannien und einer in Frankreich. ({3}) Die in beiden Anträgen aufgeführten Schutzmaßnahmen gegen BSE werden von der F.D.P. ausdrücklich unterstützt. Neben diesen verbraucher- und gesundheitspolitischen Aspekten sprechen auch agrarpolitische Gesichtspunkte gegen eine verfrühte Aufhebung. Jede Schlagzeile über Pannen und kriminelle Machenschaften im Zusammenhang mit BSE in Großbritannien führt unweigerlich zu einem erneuten dramatischen Rückgang des Fleischkonsums in Deutschland. ({4}) Gerade der deutsche Verbraucher reagiert auf Lebensmittelskandale ausgesprochen sensibel. Auch wenn von den 175 772 BSE-Fällen nahezu alle - immerhin 99,7 Prozent - auf Großbritannien entfielen, bleibt die deutsche Veredelungswirtschaft von den Nachlässigkeiten und kriminellen Machenschaften, die vor allem in England stattgefunden haben, nicht verschont. Meine Damen und Herren, wir müssen uns das vorstellen: Wir sind in der Bundesrepublik Deutschland auch auf Grund unserer sehr guten gesetzlichen Grundlage und der korrekten Handlungsweise der Landwirte und der Tiermehlproduzenten - man muß einmal sagen, daß Tiermehl seit eh und je in der Bundesrepublik Deutschland unter hohen hygienischen Standards produziert wurde - von dieser Seuche verschont geblieben. ({5}) Deutsche Landwirte haben dieses Tiermehl nie an ihre Wiederkäuer verfüttert. Trotzdem ist der Markt in seiner Gesamtheit stark beeinträchtigt worden. Das hat der deutschen Landwirtschaft hohe wirtschaftliche Verluste zugefügt. Auch diesen Aspekt muß man in der Debatte erwähnen, obwohl ich noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck bringen will, daß bei den Maßnahmen, die die Kommission jetzt vorgeschlagen hat, die gesundheitsgefährdenden Auswirkungen weit überwiegen. Wir bitten daher die Bundesregierung, den Antrag, den die Kommission vorgelegt hat, abzulehnen. Ich bedanke mich, daß wir hier auf einer Linie arbeiten. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Kersten Naumann, PDS-Fraktion, das Wort.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Als neue Abgeordnete muß ich sicherlich noch viel über das Parlamentsgeschäft im Bundestag lernen. Aber ein großes Problem habe ich unter anderem mit der Verfahrensweise der Regierungsparteien. Mir ist unbegreiflich, warum dem Antrag der CDU/CSU eine Woche später ein in den entscheidenden Passagen gleicher Antrag der Regierungskoalition nachgeschoben werden mußte. Ich kann dahinter nur taktische Spielchen vermuten, die weder der Sache noch den Menschen dienen. Dem Anliegen des CDU/CSU-Antrages werden - das wurde hier schon signalisiert - alle Abgeordneten zustimmen. Was sollen da solche formalen Spielchen? So sieht für mich eine souveräne Regierungsarbeit auf jeden Fall nicht aus. ({0}) Auch für die PDS gilt: Über allen Entscheidungen muß der Schutz der Gesundheit der Verbraucher stehen. Zwar ist die Abschätzung des Risikos, das von BSE ausgeht, außerordentlich schwierig; denn die Erreger bzw. die Ursachen und die genauen Übertragungswege sind nicht bekannt, und die Übertragbarkeit auf den Menschen ist noch nicht erwiesen. Doch solange die Übertragung auf den Menschen nicht ausgeschlossen werden kann, muß der Eintritt von Teilen BSEerkrankter Tiere in die Nahrungskette völlig verhindert werden. ({1}) Deshalb wird die PDS den Forderungen des CDU/CSUAntrages und somit auch den Forderungen des Antrages der Regierungskoalition zustimmen. Allerdings bleiben bei den vorliegenden Anträgen zwei Aspekte ausgeklammert. Erstens. Leider gab es in der letzten Zeit in anderen EU-Staaten wieder mehrere BSE-Fälle, so zum Beispiel in Frankreich - 43 Fälle -, in Belgien, besonders aber in Portugal, wo 67 Tiere betroffen waren. Zu fragen wäre deshalb, was getan werden kann, um mit noch größerer Konsequenz in allen Ländern gegen die Krankheit vorUlrich Heinrich zugehen. In einem Exportverbot sehe ich nicht die Lösung. Zweitens gehört die Produktion von Tiererzeugnissen generell auf den Prüfstand. Überschüsse von Rind- und Schweinefleisch überschwemmen den europäischen Markt. Mit höheren Exporterstattungen übt die EUKommission Druck auf die Weltmarktpreise aus. Sinkende Weltmarktpreise zerstören die Produktion in den nicht konkurrenzfähigen Entwicklungsländern, zu denen inzwischen auch Rußland gehört. Kurz gesagt: Die EUAgrarpolitik produziert Hunger auf der Welt. Es besteht die Gefahr, daß der Schutz von Verbraucherinteressen dazu mißbraucht wird, Agrarmärkte zu erobern und zu sichern. Die PDS fordert deshalb, in den bevorstehenden WTO-Verhandlungen nicht nur über Umwelt- und Hygienestandards zu verhandeln, sondern auch deren Durchsetzung zu regeln. ({2}) Diese Standards in den wirtschaftlich schwachen Ländern einzuführen kostet viel Geld, das diese Länder nicht haben. Im Kampf gegen BSE hat die EU den britischen Bauern mit mehreren Millionen DM geholfen. Die geforderten Standards dürfen nicht zu einem Instrument der Abschottung der europäischen Märkte werden. Die Verhandlungen über Hygienestandards müssen die Bereitschaft einschließen, die eigene Entwicklungshilfe auf mindestens 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes zu erhöhen und darüber hinaus den wirtschaftlich schwachen Agrarstaaten gezielte Hilfe für die Modernisierung der Produktion von Agrargütern und für deren Verarbeitung zu gewähren. ({3}) Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung wird es mit einer Liberalisierung, für die die reichen Staaten des Nordens die Bedingungen formulieren, nicht geben. Statt Liberalisierung brauchen Deutschland und alle Länder stabile Handelsbeziehungen zum gegenseitigen Vorteil. Sie brauchen eine stärker regional orientierte Produktion, die es der Landwirtschaft ermöglicht, ihre spezifischen Standortvorteile zu nutzen und damit auch ihre umweltschützende Funktion zu erfüllen. ({4}) Wer BSE bekämpfen will, muß den Herkunftsnachweis sichern, was global kaum realisierbar ist. Wer Agrarüberschüsse vermeiden will, muß für die Nachfrage auf einem bekannten Markt produzieren. In einem Satz gesagt, heißt das: Ein neues europäisches Modell der Agrarproduktion ist dringend erforderlich. ({5}) In diesem Sinne greifen die vorliegenden Anträge zu kurz. Setzt man sie in Beziehung zu dem engagierten Einsatz von CDU/CSU und SPD für die Anwendung der Gentechnologie in der Landwirtschaft, dann entstehen erhebliche Zweifel hinsichtlich des tatsächlichen Risikobewußtseins und des Versprechens, die Gesundheit der Verbraucher zu schützen. Wir mahnen zu einer Versachlichung der BSEDiskussion; denn ängstliche Verbraucher werden noch weniger Rindfleisch essen und den Werbeslogan der Bauern „Unser Rindfleisch ist sicher!“ ignorieren. Unsere Zustimmung zu den Anträgen der CDU/CSU und der Regierungskoalition verbinden wir mit der Forderung nach politischer Ehrlichkeit und keinen politischen Plänkeleien. Danke schön. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat die Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Nur Insider bringen mit der Abkürzung BSE die medizinische Krankheitsbezeichnung „bovine spongioforme Enzephalopathie“ in Verbindung. Otto Normalverbraucher würde dafür sehr schnell ein anderer Ausdruck einfallen: besonders schreckliches Ereignis! Der Volksmund bezeichnet diese Krankheit mit dem Wort „Rinderwahnsinn“. Das Sündenregister der BSE-Problematik ist sowohl in seiner zeitlichen Ausdehnung wie auch in der großen Anzahl der falschen politischen Entscheidungen, insbesondere zu Beginn dieses besonderen schrecklichen Ereignisses, kaum zu übertreffen. ({0}) Wir erinneren uns: Vor mehr als einem Dutzend von Jahren, genau: 1985, traten die ersten Fälle des Rinderwahnsinns in Großbritannien auf. Schon ein Jahr später konnte der Nachweis geführt werden, daß die Verfütterung von verseuchtem Tiermehl die Krankheitsursache ist. An Scrapie verendete Schafe wurden zu Tiermehl verarbeitet. Dabei ist eine falsche thermische Behandlung vorgenommen worden. Bei dieser thermischen Behandlung, in der Eiweißverbindungen nur unvollständig inaktiviert wurden, hat sich der Scrapieerreger einer Wandlung unterzogen, die ihn befähigte, die Artenbarriere zu überspringen. Damit war nicht mehr ausgeschlossen, daß auch Menschen von diesem Erreger infiziert werden, insbesondere dann, wenn sie rohes oder nicht gut gegartes oder durchgebratenes Rindfleisch essen. In der Humanmedizin wird diese Krankheit als Creutzfeldt-Jakob-Syndrom bezeichnet. Lasche Bekämpfungs- und Überwachungspraktiken sowohl auf nationaler wie auch auf EU-Ebene haben BSE damit zu einer Bedrohung im Rindfleischbereich von europäischem Ausmaß wachsen lassen, die ihren Höhepunkt in den Jahren 1996 und 1997 erreichte. Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Schweiz und in den letzten Tagen auch Portugal haben BSEErkrankungen bei im eigenen Land geborenen Kälbern festgestellt und die Herden ausgemerzt. Bis heute gibt es noch keine sichere Antwort, ob diese lokale Maßnahme ausreicht, das Auftreten von neuen Fällen zu verhindern. Erst spät hat die Bundesregierung Mitte der 90er Jahre auf die zunehmenden Fälle der BSE-Seuche reagiert. ({1}) Es waren die Agrar- und Gesundheitsminister der SPDregierten Länder unter der Federführung von Frau Gesundheitsministerin Martini in Rheinland-Pfalz sowie die SPD-Opposition im Deutschen Bundestag, die die Bundesregierung im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal zum Jagen haben tragen müssen. ({2}) Erst danach hat Gesundheitsminister Seehofer die notwendigen Dringlichkeitsverordnungen erlassen, die einen ordnungsgemäßen Verbraucherschutz gewährleisteten. ({3}) Eine Keulungsaktion gegen alle Rinder britischen Ursprungs in Deutschland mit Zahlung von Entschädigungen an die betroffenen Tierhalter, angeordnet durch den damaligen Bundeslandwirtschaftsminister, hat Deutschland bisher seinen Status als BSE-freies Land erhalten. Der Verbraucher hat auf die seit 1991 verstärkt erfolgten Presseveröffentlichungen in seiner Weise mit Konsumverzicht reagiert. Noch heute hat der Rindfleischverzehr nicht den Stand des Jahres 1990 erreicht, als die ersten Alarmzeichen von BSE bekanntgeworden sind. Wenngleich die Fachexperten den Rückgang des Rindfleischverzehrs auf Grund der BSE-Problematik nicht in Tonnen quantifizieren können, so sind doch alle der einhelligen Meinung, daß dadurch die Abnahme des Rindfleischverbrauchs in der Europäischen Union beschleunigt wurde. Die Rindfleischproduktion der BSEfreien Mitgliedstaaten, zu denen auch die Bundesrepublik gehört, wurde ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Die Spezialbetriebe der Bullenmast und der Fleischrinderhaltung bedurften zahlreicher Stützungsmaßnahmen durch die Europäische Union, aber auch der nationalen Parlamente, damit sie die Durststrecken des Rindfleischabsatzes, nachdem der Markt mehrmals zusammengebrochen war, überstehen konnten. Wenngleich die Statistiken der letzten Jahre uns zeigen, daß die Zahlen der Erkrankungen EU-weit jährlich zurückgehen, so machen auch die Neuerkrankungen in anderen europäischen Mitgliedstaaten, wie jetzt in Portugal, deutlich, daß ein definitives Ende des Seuchenzuges noch nicht absehbar ist. Vor diesem Hintergrund ist eine Aufhebung des Exportverbotes für britisches Rindfleisch aus deutscher Sicht nicht zu verantworten. Der letzte monatliche Bericht der britischen Regierung an die EU-Kommission führt für das Jahr 1998 bis Ende September 1 619 neu registrierte Fälle an BSE-Erkrankungen auf. Gleichzeitig weist dieser Bericht auf insgesamt 29 bestätigte oder wahrscheinliche Creutzfeldt-Jakob-Erkrankungen der neuen Variante hin. Mehrere Faktoren erschweren damit auch heute noch die Bekämpfung der BSE außerordentlich: Das sind erstens die lange Inkubationszeit der Krankheit von der Ansteckung bis zum Ausbruch von vier bis fünf Jahren und darüber, zweitens die wahrscheinlichen maternalen Effekte, drittens die schwierige Bestimmungsmethodik am lebenden Tier, da der bisherige Nachweis nur durch die Sezierung von Gehirn und Rückenmark möglich ist, und viertens die Verstöße in einzelnen Mitgliedstaaten gegen die Kennzeichnung und Deklarierung von Fleisch und Risikomaterial. ({4}) Der bereits zitierte britische Bericht gibt auch Hinweise auf falsche Tierpässe und nicht vorgenommene Kennzeichnungen von Risikomaterialien. Zu den letzteren gehören zum Beispiel Schädel mit Gehirn, Lymphgewebe und Knochen. So positiv die Kontrolldichte der britischen Behörden zu bewerten ist, so negativ müssen aber auch Verstöße gegen die Kennzeichnungsrichtlinien der EU im Mutterland der BSE gesehen werden. Die Bundestagsfraktion der SPD wird daher die Bundesregierung und besonders den Bundeslandwirtschaftsminister in seinem Veto gegen die Aufhebung des Exportverbotes für britisches Rindfleisch unterstützen. ({5}) Wir halten es für erforderlich, die wissenschaftliche Entwicklung von einfachen Bestimmmungsmethoden der Krankheit am lebenden Tier finanziell zu unterstützen und auf EU-Ebene zu koordinieren. Es ist ein Versäumnis der EU, daß trotz dieser bekannten Problematik die wissenschaftlichen Bemühungen nicht verstärkt wurden, um bei einer solch langen Inkubationszeit die Erkennungsdiagnostik zu verbessern. Es ist für mich unverständlich, weshalb die EUKommission, die durch ihre lasche Handlungsweise kurz vor der Entlassung durch das Europäische Parlament stand, bis heute keine nennenswerten Erfolge außerhalb der strikten Kontrolle vorweisen kann. Es hat den Anschein, daß sie das Problem eher aussitzen will und darauf hofft, daß es bei den Fleischkonsumenten in Vergessenheit gerät. Solange jedoch die Infektionskette nicht unterbrochen wird und die Neuerkrankungen nicht auf Null zurückgegangen sind, kann ein Exportverbot nicht aufgehoben werden. ({6}) Das berühmte „Landgraf, bleibe hart“ gilt für den Bundeslandwirtschaftsminister ganz besonders in dieser Frage. Die Koalitionsfraktionen des Deutschen Bundestages werden ihn dabei unterstützen. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat der Kollege Wilhelm Dietzel, CDU/CSU-Fraktion.

Wilhelm Dietzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002641, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verbraucherschutz hat höchste Priorität, und vorbeugender Gesundheitsschutz ist ein hohes Gut. Meine Damen und Herren, das sehen wir von der CDU/CSU so, das sehen die deutschen Landwirte so, und ich freue mich, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages dies ebenso sehen und daß wir einheitlich gegen das vorgehen können, was diesen Tatsachen widerspricht. Um so unverständlicher ist es, daß der Ständige Veterinärausschuß der EU den Exportstopp gegen englisches Rindfleisch mit acht zu fünf Stimmen bei zwei Stimmenthaltungen aufheben will. In der Begründung heißt es, daß hier nicht politisch, sondern wissenschaftlich entschieden werden soll. Diese Begründung ist eigentlich richtig, aber sie ist doch gerade in diesem Fall doch zumindest anzuzweifeln. Denn es soll entbeintes Fleisch von Tieren, die nach dem 1. August 1996 geboren worden sind, exportiert werden können. So meint es der Ständige Veterinärausschuß. Wenn ich sehe, daß allein in Großbritannien 1997 4 334 Tiere an BSE erkrankten und bis zum 13. Oktober dieses Jahres 1 435 neue Fälle aufgetreten sind, dann meine ich, daß wir dem so nicht folgen können. Wenn ich weiterhin sehe, daß die maternale Übertragung, die Übertragung von der Mutterkuh auf das Kalb, zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dann frage ich mich, wer diesen Satz, daß eine Ausfuhr möglich ist, geschrieben hat. Ich will den Text hier zitieren: „Ferner muß durch amtliche Kontrolle bestätigt werden, daß die Muttertiere nicht an BSE erkrankt waren und die Geburt wenigstens sechs Monate überlebt haben.“ Meine Damen und Herren, als ich diesen Satz gelesen habe, fand ich ihn doch etwas makaber, und zwar vor allem deshalb, weil wir inzwischen wissen, daß in der Schweiz und auch in Großbritannien je Jahrgang 200 bis 300 Tiere an BSE erkrankt sind, äußerlich aber nicht erkennbar war, daß sie erkrankt waren. In Deutschland ist BSE ein sehr sensibles Thema. Als im März 1996 das Gutachten des englischen Sozialministers auf den Tisch kam, in dem es hieß, daß es möglich ist, daß diese Krankheit auf den Menschen übertragen wird, gab es in Deutschland eine heftige Diskussion. Bis dahin hatten wir in Deutschland vier Tiere, die an BSE erkrankt waren. Alle vier Tiere wurden importiert, alle vier Tiere hatten die Krankheit mitgebracht, und alle vier Tiere wurden entsorgt, ohne daß ein Verbraucher mit ihnen in Verbindung kam. Sie wurden geschlachtet und verbrannt. Dies hat in Verbindung mit der Diskussion dazu geführt, daß wir in der Landwirtschaft bei Rindfleisch einen Einbruch von 30 Prozent hatten. Zur gleichen Zeit gab es in Großbritannien insgesamt 160 000 Fälle BSEerkrankter Tiere. Das hat dazu geführt, daß in Großbritannien der Umsatz an Rindfleisch um 3 Prozent nach oben gegangen ist unter dem Motto: So billig war Rindfleisch noch nie! Meine Damen und Herren, sicherlich gibt es hier eine gewisse Hysterie, die auch von Medien geschürt wurde. Und die Überschrift einer großen deutschen Illustrierten „Unser tägliches Gift gib uns heute“ trägt nicht dazu bei, daß Verbraucher über dieses Problem aufgeklärt werden. Trotzdem meine ich, daß es eine der wichtigsten Aufgaben ist - auch für mich als Bauer -, das Vertrauen der Verbraucher wiederzugewinnen. Wir bieten an: „Schwein von hier“ oder „Rind von hier“ und versuchen, dem Verbraucher zu zeigen, wo die Tiere herkommen. Ich glaube, daß die Landwirte in Europa, vor allen Dingen hier in Deutschland, stark unter diesem Preiseinbruch gelitten haben, der Milliardenverluste für deutsche und europäische Bauern gebracht hat, der den einen oder anderen Bullenmäster in den Ruin getrieben hat. Ich selbst weiß - ich habe etwa 120 Rinder in meinem Stall stehen -, wie die Preisentwicklung in diesen Bereichen war, daß es fatale Einbrüche auf diesem Markt gab, die von uns ausgehalten werden mußten. Meine Damen und Herren, ich darf mich hier bei ExMinister Jochen Borchert bedanken, der hier konsequent gegengehalten hat, im Interesse der Bauern und der Verbraucher. ({0}) Er hat bei der Europäischen Union mit das Exportverbot für Rindfleisch aus Großbritannien und ein Programm zur Tilgung von BSE in Europa durchgesetzt. Die Herstellung von Fleischmehl wurde auf dem hohen deutschen Niveau standardisiert, durch Herauskauf wurden die Preise gestützt, und durch Werbemaßnahmen in Deutschland und innerhalb der Europäischen Union wurde der Absatz wieder angekurbelt. Ich denke, wir haben durch Minister Borchert auch mit auf den Weg gebracht, daß in Zukunft die Herkunft lückenlos nachweisbar ist. Denn der Verbraucher hier wird erst dann wieder langfristig Vertrauen zu Rindfleisch haben, wenn er weiß, wenn er vor der Ladentheke steht, wo das Rind geschlachtet wurde, wo es gemästet wurde, wo es aufgezogen und geboren wurde. Das schafft Vertrauen. Deswegen ist zum 1. Januar 1998 in der Bundesrepublik Deutschland der Tierpaß eingeführt worden, der in einigen Bundesländern schon im Jahre 1995 eingeführt wurde. Ich denke, daß das der richtige Weg war. So schaffen wir bis zum Jahre 2000 eine zentrale Datenbank, mit deren Hilfe wir, wenn es Probleme gibt, diese Tiere finden können. Das Rindfleischetikettierungsgesetz, das durchaus heftig diskutiert wurde und im Augenblick noch auf freiwilliger Basis umgesetzt werden kann, aber ab dem 1. Januar 2000 obligatorisch gelten soll, ({1}) trägt sicherlich mit dazu bei, daß der Verbraucher selbst entscheiden kann, welches Rindfleisch er haben will. Er kann nämlich an Hand dieser Rindfleischetikettierung erkennen, woher dieses Rindfleisch kommt, also ob es sich zum Beispiel um deutsches Rindfleisch handelt oder ob es aus anderen Ländern - hoffentlich nicht aus Großbritannien - kommt. Auffallend ist, daß bei dieser Frage in der gesamten Politik - auch innerhalb der Europäischen Union - offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen wird. Auf der einen Seite ist Portugal ein Exportverbot von Rindfleisch auferlegt worden. Das finde ich richtig, weil der Schlendrian, der gerade in diesem Land eingerissen ist, meiner Meinung nach auch geahndet werden sollte. Auf der anderen Seite erkrankten in Portugal in diesem Jahr 66 Tiere und in Großbritannien 1 400 Tiere an BSE. Deshalb verstehe ich nicht so ganz, daß der Exportstopp, der über Portugal verhängt wurde, für Großbritannien aufgehoben werden soll. ({2}) Meine Damen und Herren, Herr Minister Funke, ich hoffe, daß Sie beim Agrarrat am 23. und 24. November mit aller Macht und mit vollem Gewicht für die deutschen Verbraucher und für die deutschen Landwirte eintreten, damit über uns nicht wieder eine katastrophale Talfahrt der Preise, die durch Fehlverhalten anderer hervorgerufen wurde, hereinbricht. Ich wünsche Ihnen Erfolg und auch das notwendige Durchsetzungsvermögen, denn nationale Lösungen sind meiner Meinung nach nicht so hilfreich wie EG-weite Entscheidungen. Deutsche Verbraucher wollen kein Hormonfleisch und auch kein BSE-Fleisch. Der deutsche Verbraucher hat recht. ({3}) Deswegen hat die CDU/CSU-Fraktion diesen Antrag eingebracht. Unser Antrag, Frau Höfken, vom 11. November 1998 erlebte eine wundersame Kopie: Alle vier Punkte tauchen fast wortgleich im Antrag von SPD und Grünen vom 17. November wieder auf. Deswegen bitte ich Sie, meine Damen und Herren, dem CDU/ CSU-Antrag zuzustimmen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zum Widerstand gegen die Aufhebung des Exportverbots für britisches Rindfleisch auf Drucksache 14/31. Wer stimmt für diesen Antrag? Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt. Nunmehr folgt die Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zum Widerstand gegen die Aufhebung des Exportverbots für britisches Rindfleisch durch die EUKommission auf Drucksache 14/42. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P. und der PDS sowie einigen Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre - Drucksache 14/30 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({0}) Rechtsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktionen der F.D.P. und der PDS jeweils fünf Minuten erhalten sollen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die SPD-Fraktion Ludwig Stiegler.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf möchte die Koalition die Handlungsfähigkeit des Bundes-kanzlers bei der Berufung von Parlamentarischen Staatssekretären erweitern. Sie alle wissen, daß sich die Institution der Parlamentarischen Staatssekretäre bewährt hat. Sie war am Anfang umstritten. Sie ist ein Ergebnis der Großen Koalition aus dem Jahre 1967. Alle damaligen Bedenken sind von der Praxis widerlegt worden. Heute kann sich niemand mehr vorstellen, daß wir einen ordnungsgemäßen Parlamentsbetrieb - das gilt sowohl für die Regierungsfraktionen als auch für die Oppositionsfraktionen - aufrechterhalten könnten, wenn nicht die Parlamentarischen Staatssekretäre und -sekretärinnen die Aufgabe der Vermittlung zwischen Parlament und Regierung, aber auch die Vermittlung in der Öffentlichkeit wahrnehmen würden. Diese Möglichkeiten sollen mit dem Gesetz verbreitert werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Stiegler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn er meint.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Er meint. - Bitte schön.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich habe das, was Sie eben gesagt haben, mit großem Interesse gehört. Können Sie mir erklären, wie es kommt, daß Kolleginnen bzw. Kollegen wie Ingrid Matthäus-Maier oder Karl Diller, der jetzt Parlamentarischer StaatsWilhelm Dietzel sekretär geworden ist, früher gerade bei den Haushaltsberatungen der alten Koalition immer vorgeworfen haben, sie hätte zu viele Parlamentarische Staatssekretäre? Können Sie mir bei der Gelegenheit einmal sagen, wieviel Parlamentarische Staatssekretäre und Staatsminister es unter der alten Koalition gab und wieviel es jetzt gibt, damit ich in etwa das Zahlenverhältnis weiß und sehen kann, ob Sie das verwirklicht haben, was Sie in der Opposition immer gesagt haben?

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die neue Koalition ist, was den Regierungsapparat angeht, viel bescheidener als Sie; das wissen Sie. ({0}) - Ja, das Kabinett ist kleiner. Hier haben wir uns gegenseitig nichts vorzuwerfen. ({1}) Von der Qualität will ich gar nicht reden. Zahlen sind Schall und Rauch. Sie wissen, daß wir weniger Regierungspersonal haben als Sie. Schauen Sie sich an, was Sie an Regierungspersonal bestellt haben und was die neue Koalition bestellt hat. Von daher haben die Haushälter keinen Grund, die Stirn zu runzeln. Sie haben als jemand, der im Glashaus sitzt, wirklich keinen Grund, einen Stein auch nur anzufassen, geschweige denn zu werfen. ({2}) Meine Damen und Herren, bisher war es Praxis, daß die Parlamentarischen Staatssekretäre aus den Reihen des Bundestages bestimmt worden sind. So steht es im Gesetz, und so ist es bisher gehandhabt worden. Es gibt aber keinen Grund, nicht auch Personen mit den Aufgaben eines Parlamentarischen Staatssekretärs zu betrauen, die nicht oder noch nicht Mitglied des Bundestages sind. Wir wollen dem Bundeskanzler die Möglichkeit und den Spielraum geben, ins Kanzleramt auch Persönlichkeiten zu berufen, die dem Parlament nicht oder noch nicht angehören. Sie wissen, wie sich die Verhältnisse inzwischen weiterentwickelt haben. Sie wissen, wie die Aufgabenspektren gewachsen sind. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt und notwendig, dem Bundeskanzler hier mehr Handlungsspielraum zu geben. Diesen Handlungsspielraum wollen wir ihm mit dieser Gesetzesänderung verschaffen. ({3}) Meine Damen und Herren, Sie wissen auch, daß ein erster konkreter Fall zur Entscheidung ansteht. Alle Seiten des Hauses haben den neuen Beauftragten der Bundesregierung für Kultur mit großem Beifall bedacht. Alle haben seine Aufgabe für richtig und wichtig gehalten. ({4}) Jetzt geht es darum, daß wir auch die institutionelle Verankerung dieser Persönlichkeit im Parlament richtig vornehmen. ({5}) Dazu gehört die Berufung in das Amt eines Parlamentarischen Staatssekretärs. Wenn wir es so gemacht hätten, wie die alte Koalition es getan hat, so hätten wir schlicht einen neuen Minister bestellt. Das war bei Ihnen die Praxis. Sie hätten einen zusätzlichen Bundesminister berufen und hätten die Probleme, die wir jetzt mit diesem Gesetz lösen wollen, gar nicht gehabt. Sie wissen aber genauso gut wie wir, daß wir im Kulturbereich mit Rücksicht auf die Länder, ({6}) mit Rücksicht auf den Föderalismus zurückhaltend im Sinne eines kooperativen Föderalismus vorgehen müssen. Die Rede des Beauftragten war in dieser Hinsicht sehr wohltuend, weil er gesagt hat, daß die Kulturhoheit der Länder eben nicht tangiert wird, sondern daß nur Aufgaben erfüllt werden sollen, die die Länder nicht alleine bewältigen können. In Sachen Kulturhoheit braucht mir als Bayer keiner Nachhilfeunterricht zu geben. ({7}) Es geht eben nicht darum, einfach einen Bundesminister, so wie Sie es getan hätten, zu bestellen. Wir wollen vielmehr dem neuen Beauftragten mit der Berufung zum Parlamentarischen Staatssekretär die Möglichkeit eröffnen, daß er Staatsminister werden kann und daß er die zunehmenden europäischen und internationalen Verpflichtungen angemessen erfüllen kann. Ich wäre Herrn Kinkel sehr dankbar, wenn er seiner Fraktion beibringen würde: ({8}) Es ist notwendig - gerade in bezug auf die neue Medienpolitik -, daß derjenige, der mit unserer Zustimmung die neue Aufgabe erfüllen soll, den Titel und die protokollarische Stellung hat, die es ihm ermöglichen, daß er seine Aufgaben in unser aller Interesse erfüllt. ({9}) Liebe Kollegen aus Oberbayern, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß wir nicht mehr in Krähwinkel leben. Es genügt nicht mehr, sich allein im Großraum München aufzuhalten, sondern der Beauftragte für Kultur muß seine Aufgaben europa- und weltweit erfüllen können. ({10}) - Wir Oberpfälzer sind offenkundig viel weiter als Sie. Das sieht man daran, daß ich die Internationalität in diesem Bereich unterstütze. ({11}) Wir wollen, daß er seine Aufgabe international angemessen erfüllen kann. Schauen Sie sich einmal an, was allein im Urheberrecht an internationalen Aufgaben auf ihn zukommt und was im Bereich des Internets durch internationale Verhandlungen zu klären ist! Wenn Sie die Medienpolitik in ihrer vollen Breite und im Rahmen unserer kulturpolitischen Diskussionen betrachten, die europa- und weltweit und nicht nur in Krähwinkel stattfinden sollen, dann erkennen Sie, daß es notwendig ist, daß der Beauftragte für Kultur mit der notwendigen Statur und Titulatur für unser Land auftreten kann. ({12}) Statt hier herumzumäkeln, sollten Sie uns dabei helfen, daß er die vom Parlament angenommene Aufgabe - auch auf Ihrer Seite ist die Art, wie er sich vorgestellt hat, gerühmt und bejubelt worden; einen solchen Kandidaten hatten Sie all die Jahre nie aufzubieten - erfüllen kann. ({13}) Vor diesem Hintergrund müssen Sie auch den zweiten Schritt tun. Wir haben A gesagt; jetzt müssen wir auch B sagen. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Hartmut Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Sitzung des 14. Deutschen Bundestages am 12. November hat die amtierende Vizepräsidentin dem Beauftragten der Bundesregierung für Kunst, Kultur und Medien, Michael Naumann, das Wort erteilt. In der zweiten Sitzung des neu gebildeten Bundestagsausschusses für Kultur und Medien am gestrigen Tage stand ein Bericht des Beauftragten der Bundesregierung für kulturelle Angelegenheiten und Medien auf der Tagesordnung. Beide Vorgänge zeigen, wie absurd und überflüssig der heute in erster Lesung zu beratende Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre ist. ({0}) Alleiniger Zweck dieses Gesetzes ist, daß dem im Organisationserlaß von Bundeskanzler Schröder genannten Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheit der Kultur und Medien der schmückende Titel eines Staatsministers im Bundeskanzleramt verliehen werden kann. ({1}) Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, es ist ja bezeichnend, daß die Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen Ihren Gesetzentwurf zwar mittragen, aber bei Ihrer Einlassung, Herr Stiegler, nicht geklatscht haben und die Aufregung, die jetzt bei meinem Redebeitrag in Ihren Reihen herrscht, nicht teilen. ({2}) Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPDFraktion, Sie müssen natürlich zur Kenntnis nehmen, daß durch die deutsche Medienlandschaft bereits der Begriff „Lex Naumann“ geistert. ({3}) Friedrich Karl Fromme hat in der „Welt am Sonntag“ vom 15. November dieses Jahres diesen Skandal in die treffenden Worte gekleidet: „Was nicht paßt, wird angepaßt.“ ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, mich erinnert dieser Vorgang an den schönen bayerischen Satz: Wollen haben wir schon gekonnt, aber dürfen haben wir uns nicht getraut. ({5}) Mitglied des Deutschen Bundestages konnte oder wollte Herr Naumann nicht werden. Für die Ernennung zum Bundesminister - Herr Stiegler, das haben wir gerade von Ihnen gehört - fehlte der rotgrünen Regierung aber die Courage, weil man seitens der SPD-Mehrheit im Bundesrat Zoff befürchtete. Denn ein Bundesminister in diesem Bereich steht natürlich nicht mit der beschworenen Wahrung der Kulturhoheit der Länder in Einklang. ({6}) - Lieber Herr Stiegler, da irren Sie. Es wird nicht der Bundesbeauftragte oder, wenn Sie den Gesetzentwurf hier durchpeitschen, der Staatssekretär Naumann sein, der die Bundesrepublik Deutschland in kulturellen Belangen auf EU-Ebene vertritt, sondern gemäß Lindauer Abkommen und Briefwechsel der Vertreter der KMK. ({7}) Der Titel eines Beauftragten reicht also nicht, und die Ernennung zum Bundesminister geht nicht. ({8}) Im schönen alten Österreich gibt es den Spruch: Ein schöner Titel möcht's schon sein. Deshalb muß jetzt dieser Kunstgriff vorgenommen werden, um Herrn Naumann zum Staatsminister zu machen. Ich war sowohl bei Ihrem Redebeitrag, Herr Naumann, den Sie letzte Woche hier im Plenum gehalten haben, als auch bei Ihrer gestrigen Vorstellung im Ausschuß für Kultur und neue Medien dabei. Ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Herr Naumann, ich hatte den Eindruck - das will ich ganz ehrlich sagen -: Es ist nicht der Titel, der Ihnen Probleme macht, sondern es sind die Mittel, angefangen von der - wie Sie uns gestern im Ausschuß berichtet haben - völlig unzureichenden Büroinfrastruktur - es ist wirklich bedauerlich, mit welchen Dingen Sie sich abzuplagen haben, um mit Ihrer Arbeit in die Gänge zu kommen - bis hin zu der Frage, wie viele Mittel aus welchen Ressorts der neue Kulturbeauftragte letztendlich zu verwalten haben wird. ({9}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion jedenfalls wird einer Lex Naumann nicht zustimmen. Es ist eine Zumutung der rotgrünen Bundesregierung und der rotgrünen Koalition, dem Deutschen Bundestag die Zustimmung zu einem Einzelfallgesetz abzuverlangen, das dem einzigen Zweck dient, eine fragwürdige Zusage von Bundeskanzler Schröder zu erfüllen. Es ist Sache der rotgrünen Bundesregierung und der rotgrünen Koalition, wie sie mit dem schon gebrochenen Wahlkampfversprechen einer deutlichen Verkleinerung der Bundesregierung zurechtkommen und gleichzeitig in einem bislang nie gekannten Ausmaß Beamte wegen eines fehlenden oder nicht genehmen Parteibuchs entlassen oder versetzen. ({10}) Wir alle haben noch die vollmundige Ankündigung des damaligen Fraktionsvorsitzenden und jetzigen Verteidigungsministers Scharping im Ohr, der noch im Sommer dieses Jahres die Absicht von Gerhard Schröder begrüßte - ich zitiere -, „die künftige Bundesregierung deutlich zu verkleinern“, und dies als „ein Signal für effiziente Regierungsarbeit, für einen sorgfältigen Umgang mit Steuergeldern und für eine Absage an jede Art von Vetternwirtschaft“ bezeichnete. Was ist aus dieser vollmundigen Ankündigung von Herrn Scharping geworden, ({11}) wenn man Ihre Regierungsbildung, Ihre Entlassungsund Versetzungspraxis sowie den Coup, Herrn Naumann zum Staatsminister zu machen und nur für ihn ein Gesetz zu ändern, betrachtet? ({12}) Sie sollten sich wirklich noch einmal überlegen, ob Sie dem Deutschen Bundestag die Änderung dieses Gesetzes zumuten wollen, ({13}) ob Sie also an diesem abstrusen Gesetzentwurf festhalten wollen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie das durchziehen, dann sichern Sie zwar Herrn Naumann nicht einen Platz am Kabinettstisch von Herrn Schröder - Sie kennen die Situation noch immer nicht -, aber einen Platz im Kuriositätenkabinett deutscher Rechtsgeschichte. ({14}) In der Aussprache zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers hat die CDU/CSU-Fraktion klar zum Ausdruck gebracht, daß sie an der beabsichtigten und von der neuen Bundesregierung teilweise vollzogenen Neuordnung der Organisation der Bundesregierung im Kulturbereich kritisch-konstruktiv mitarbeiten wird. Dies haben wir auch gestern in der ersten Aussprache im zuständigen Ausschuß gegenüber Herrn Naumann zum Ausdruck gebracht. Mit diesem Gesetzentwurf - das belegt die Kommentierung in den Medien - erweisen Sie der Kulturpolitik des Bundes und dem dafür vom Bundeskanzler Beauftragten einen Bärendienst, ja, Sie geben ihn ein Stück der Lächerlichkeit preis. Wir fordern Sie auf, noch einmal in sich zu gehen und den Gesetzentwurf zurückzuziehen. Wir würden auch mit einem Beauftragten des Herrn Bundeskanzlers für Kultur und Medien - ohne Titel, aber mit den entsprechenden Mitteln - kritisch-konstruktiv als Opposition zusammenarbeiten. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Ekin Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützt die Einrichtung des Amtes eines Beauftragten für Kultur im Kanzleramt. ({0}) Die Kulturpolitik ist ein wichtiger Bestandteil der Koalitionsvereinbarung. Die Stelle des Kulturbeauftragten, die Bündelung der kulturpolitischen Kompetenzen, bietet uns eine große Chance, nämlich die Chance, daß die Kulturpolitik in der neuen Regierung den Stellenwert erhält, der ihr nach unserer Überzeugung zusteht. ({1}) Das allein wäre an sich schon eine schöne Neuerung: eine neue Kultur im Umgang mit der Kultur, die jahrelang von der jetzigen Opposition mit schönen Worten abgespeist wurde. ({2}) In der Öffentlichkeit und, wie ich jetzt höre, auch von Teilen der Opposition wurde und wird immer noch spöttisch von einer Lex Naumann gesprochen, weil Herr Naumann den Rang eines Parlamentarischen Staatssekretärs bekleiden soll, ohne selbst Mitglied des Parlaments zu sein. Hier gilt es folgendes zu bedenken: Es ist im internationalen Umfeld ganz einfach so, daß ein Kulturbeauftragter protokollarisch nicht den Rang eines Referenten haben kann, wenn er zum Beispiel neben einem französischen Kulturminister ernst genommen werden soll. ({3}) Deshalb mein Appell an die Opposition, sich nicht nur hinter billiger Polemik zu verschanzen, ({4}) sondern mit uns gemeinsam für eine angemessene Verankerung des Kulturbeauftragten in der Regierung zu sorgen. Stimmen Sie unserer Vorlage zu! ({5}) Es gibt aber noch einen weiteren Gesichtspunkt, der mir als Grüne besonders wichtig ist: Daß Herr Naumann als Regierungsmitglied nicht dem Parlament angehört, hat im Sinne der Gewaltenteilung auch seine Vorteile. ({6}) Die Verquickung von Exekutive und Parlament ist ein Problem, das wir schlichtweg zur Kenntnis nehmen müssen. Dies wird nicht nur von den Grünen so gesehen. Auch Sie von der F.D.P. haben sich in Ihrer bürgerrechtlichen Vergangenheit bereits einmal dafür ausgesprochen, daß die verschiedenen staatlichen Ebenen zu trennen seien. Und Sie hatten damals auch Ihre Gründe dafür. ({7}) - Dürfte ich einmal weiterreden? ({8}) - Es ist die mangelnde Kultur. Deshalb sind Sie ja auch abgewählt worden. ({9}) Bei der praktischen Umsetzung des Ganzen ist natürlich einiges zu bedenken. Es stärkt durchaus die Unabhängigkeit der Ministerinnen und Minister in einem Kabinett, wenn sie ihr Abgeordnetenmandat im Hintergrund haben. Es tut den Ministerinnen und Ministern sicherlich auch ganz gut, wenn sie neben ihrem Amt die Wahlkreisarbeit als Abgeordnete weiterführen können. Andererseits fällt mir kein zwingender Grund ein, warum die Ministerinnen und Minister zusätzlich zu ihren Bezügen als Amtsträger und zusätzlich zu ihren Sachund Personalmitteln einen Teil ihrer persönlichen Bezüge als Abgeordnete behalten müssen. Doppelversorgung muß nicht sein. Hier sind längst Reformen überfällig! ({10}) Natürlich weiß auch ich: Es gibt für das Problem der Verquickung von Amt und Mandat keine Patentlösung, und übertriebene Hektik wäre für die Interessen des Parlaments ebenso schädlich wie das bisherige Aussitzen. Lassen Sie mich deshalb am Schluß meiner ersten Rede im Bundestag noch einen Gedanken formulieren. Wir stehen jetzt am Anfang einer neuen Wahlperiode. Wir haben als Parlament die Möglichkeit, ein neues Selbstbewußtsein gegenüber der Regierung zu entwikkeln. Weder wollen die neuen Regierungsfraktionen demütige Befehlsempfänger sein, ({11}) noch müssen die neuen Oppositionsfraktionen als pauschale Neinsager und Verweigerer dastehen. ({12}) Ich möchte deshalb mit meinem Beitrag einen Anstoß dafür geben, daß wir Probleme ehrlich benennen und einen intensiven Reformdialog über die Fraktionsgrenzen hinweg beginnen. Ein solches konstruktives Miteinander wird an der Schwelle zum 21. Jahrhundert einer aufgeklärten und weltoffenen Bundesrepublik Deutschland gut zu Gesicht stehen. In diesem Sinne, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, freue ich mich auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit. Danke schön. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dies war die erste Rede der Kollegin Deligöz. Auf weitere gute Reden von Ihnen! ({0}) Das Wort hat jetzt für die Fraktion der F.D.P. der Kollege Edzard Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt alles, was man sich vom ersten Schritt einer neuen Kulturpolitik nur erwarten kann: Er ist hintergründig, er ist ein wenig frivol, er ist feinsinnig und geheimnisvoll. ({0}) Hintergründig kommt schon die unscheinbare Schlußzeile auf dem Deckblatt daher, wo es heißt „Kosten: Keine“. Man hört noch die Versprechungen, daß die neue Regierung bei der Regierungsbildung ganz fürchterlich sparen wolle, daß es also keine neuen Pöstchen und keine weiteren Kosten geben werde. Aber der gute Herr Naumann, den man sich als Beauftragten der Bundesregierung für die Angelegenheiten der Kultur und der Medien - eigentlich ist der Titel so ja auch schon eindrucksvoll genug - ausersehen hat, muß doch irgendwie entlohnt und besoldet werden. Was macht man schließlich mit einem Kulturbeauftragten, wenn er nichts kosten soll? Macht er dann keine Politik? Macht er keine Kultur? Und was ist eigentlich - jetzt einmal wieder ein bißchen juristisch gefragt - mit dem neuen § 40 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, den wir uns vor zwei Jahren gegeben haben und der doch immerhin Ehrlichkeit bei der Kostenangabe verlangt? Also Fragen über Fragen. Ich finde, es ist hintergründig. Der Gesetzentwurf gibt sich dann aber auch ein bißchen frivol - finde ich jedenfalls -, weil er eben eine sonst allenthalben schamhaft verhüllte Neigung des Menschen bedienen soll, nämlich das Streben nach Titeln, besserem Dienstrang, Ehrenbezeugungen und angemessener Anrede, versteht sich. ({1}) Einfach nur für die Bundeskultur zuständig sein und dafür einen schlichten Anstellungsvertrag zu haben, das reicht nicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne. Wenn sie der Wahrheitsfindung dient, immer. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie dient der Wahrheitsfindung. Darf ich Sie, Herr Bundesminister a. D. und lieber Herr Kollege Schmidt-Jortzig, fragen, ob Sie sich noch an die letzte Legislaturperiode erinnern ({0}) - Sie beklagen hier jetzt lautstark, daß, berechtigterweise, die Stelle eines Staatsministers eingerichtet werden soll -, als wir den bemerkenswerten Vorgang erleben konnten, daß ein verdientes Mitglied dieses Haus verlassen mußte und Staatssekretär werden durfte, damit der hochverehrte Kollege Westerwelle überhaupt in dieses Parlament einziehen konnte, und sind Sie nicht der Auffassung, daß dieser Vorgang Sie vielleicht dazu bringen müßte, das, was Sie heute so vehement kritisieren, mit etwas größerer Zurückhaltung zu kommentieren? ({1})

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Tauss, daß Sie jetzt so freundlich mit mir kommunizieren, ist wohl auch eine Ausgeburt dieser neuen Kulturpolitik. Ich kenne Sie sonst immer nur als intensiven Zwischenrufer. ({0}) So haben wir Gelegenheit, die Dinge einmal zu beäugen. Dabei stelle ich fest, daß das Justizministerium - wahrscheinlich immer noch, auch unter der neuen Leitung heftig davon beeindruckt ist, daß Sie es mit Kulturpolitik in Verbindung bringen. All das, was Sie so schön geschildert haben, ({1}) hat sich nämlich im Justizministerium abgespielt. Nun müssen wir feststellen, daß das offenbar die richtige Kultur gewesen zu sein scheint. Weshalb wir jetzt einen richtigen Beauftragten für Kultur haben, weiß ich nicht so genau. Aber offensichtlich müssen schöne Künste, müssen Literatur und Theater, müssen denkmalerische Erinnerung, musische Aufgeschlossenheit und angenehme Lebensart - einleuchtenderweise - mit einem respekterheischenden Titel, mit einer hübschen Visitenkarte vertreten werden. Die Menschen sind eben so - man weiß das ja -, und das muß natürlich bedacht werden. Also: Das schöne Etikett „Staatsminister“ müßte her. Aber so deutlich darf dieser Zug nun auch wieder nicht werden. Also deklariert man das ganze Stück nicht da, wo es eigentlich hingehört hätte - in das Ministergesetz, wo man „Juniorminister“ einführen könnte -, sondern man versteckt es, ein bißchen schamhaft, in dem eher beamtenmäßig, unaufwendig und unauffällig klingenden Gesetz über die Parlamentarischen Staatssekretäre. Richtig feinsinnig ist - mir ist es jedenfalls so vorgekommen - die Zielbeschreibung des gesetzgeberischen Schrittes gelungen. Wir lesen da: Im Einzelfall kann es im Bundeskanzleramt im Hinblick auf die Aufgabenstellung erforderlich werden, eine ganz spezifische personelle Sonderausstattung vorzusehen. Auf diese exquisiten Ausnahmegründe ist man richtig gespannt. Das nenne ich gelungene Dramaturgie; das steigert die Spannung, die Höhepunkte werden erwartet. Schrecklich schnöde ist dann leider die rauhe Wirklichkeit, vor allen Dingen auch die Juristerei. Da hat im Wahlkampf einfach einer einem Mitstreiter handfeste Versprechungen gemacht, ohne die Rechtslage zu kennen. Nun soll das Ganze möglichst elegant - gesetzgeberisch - geradegerückt werden. ({2}) Wie demgemäß die Dinge hübsch formuliert, ummalt und verziert werden, das ist wahrlich einer Kulturinitiative würdig. Schließlich sprechen wir hier - auch das muß man einmal anmerken - von Gesetzgebungskultur. ({3}) Zuletzt wird alles noch ganz geheimnisvoll: Da soll das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre geändert werden. Man erinnert sich doch, daß diese Figur extra geschaffen wurde, um einen Minister in der parlamentarischen Einbindung zu unterstützen oder zu vertreten. Irgendwie also - so denkt sich das jedenfalls ein argloses Gemüt müßten die Parlamentarischen Staatssekretäre, auch wenn sie auf den schönen Titel „Staatsminister“ hören, etwas mit Parlament zu tun haben. Nicht aber diese Gesetzesoperation! Denn dieser ganze Kraftakt wird ausdrücklich unternommen, um jemanden zu inkorporieren, der gerade nichts mit dem Parlament zu tun hat und haben soll: Er ist weder selbst Parlamentsmitglied, noch soll er einen politischen Vormann in dessen parlamentarischer Einbindung stärken - ein Fisch also, der gar kein Fisch ist, aber doch wie ein Fisch behandelt werden soll, obwohl er eigentlich für seine Aufgabe auch gar nicht Fisch sein müßte. Also ziemlich dubios das Ganze. Die F.D.P. wird dieses Meisterstück kulturpolitischer Innovation jedenfalls mit großem Interesse auf seinem weiteren Diskussionsgang verfolgen. ({4}) Der neue Kulturausschuß wird sicherlich heftig und angestrengt beraten, aber, so nehme ich an, wahrscheinlich auch nicht all die vielen Fragen ehrlich klären können. Deshalb lehnen die Liberalen diese künstlerische Camouflage ab ({5}) und hoffen nur - auch das möchte ich gezielt an Ihre Adresse, Herr Naumann, sagen -, daß das, was Sie als der neue Wundermann sachpolitisch leisten mögen, überzeugender ausfällt. Dann werden wir Sie auch unterstützen. Danke sehr. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat der Kollege Roland Claus, PDS-Fraktion.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle mir jetzt einmal vor, wie es den Autorinnen und Autoren des vorliegenden Gesetzentwurfes nach der Rede meines geschätzten Kollegen geht, der vor mir gesprochen hat. Sie werden eine Art Ehrfurcht vor dem eigenen Produkt bekommen haben, die Sie vorher bestimmt noch nicht hatten. Wieviel ist in diesen Entwurf doch hineininterpretiert worden! Aber ich will zunächst an die Adresse der Koalition sagen: Die Kritik der Opposition läßt sich heute nicht ganz so leicht abtun wie sonst. Bisher haben Sie jede Kritik der Opposition damit abgetan, daß sie nicht so richtig gehaltvoll sei, weil der Wählerwille das alles anders bestimmt habe. Ich kann Sie nur daran erinnern: Die alte Regierung hatte 25 Parlamentarische Staatssekretäre, die neue hat es bisher schon auf 22 gebracht. Als unmittelbaren Wählerwillen können Sie das wohl nicht interpretieren. Wir merken uns an dieser Stelle: In der Schamfalle ist die neue Koalition schwer zu fangen. Es stört sie offenbar nicht sonderlich, mit eigenen Aussagen aus Reden früherer Legislaturperioden konfrontiert zu werden. ({0}) Nur soviel zum Beweis. Gerade die Abgeordneten Rezzo Schlauch und Wilhelm Schmidt ({1}) haben zum Thema „Parlamentarische Staatssekretäre“ im Bundestag sehr viele regierungskritische Fragen gestellt. ({2}) Ich hätte nicht übel Lust, Ihnen Ihre eigenen Anfragen vorzutragen. Die Redezeit verwehrt mir diesen Lustgewinn und damit Ihnen leider auch. Aber Drucksachen sind Tatsachen. Allerdings ist es richtig, daß die CDU/CSU aus ihrem Glashaus heraus nicht mit Steinen werfen sollte. ({3}) Ich komme nun zur jähen Wende in meiner Rede; denn es gibt Gründe, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. ({4}) - Ich weiß wohl, daß ich mich hier zwischen alle Stühle rede; aber auch zwischen allen Stühlen kann man es sich gemütlich einrichten. Ich will Ihnen sagen, warum wir für den Gesetzentwurf der Koalition stimmen wollen. Das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs - bisher vorwiegend, sagen wir einmal, als Posten eingerichtet, um Nachteile auszugleichen; sozusagen ein saisongebundener Monchéri-Posten ({5}) soll nun für eine neue Aufgabe eingerichtet werden und für einen ganz neuen Mann. Wir alle wissen: Naumann heißt der neue Mann. Wir stehen jetzt gemeinsam vor der Frage: Wollen wir ihn im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens, mit dem wir es jetzt zu tun haben, hier reinlassen oder nicht? Ich will für meine Fraktion sagen: Ja, wir wollen ihn reinlassen. ({6}) Wir stimmen zu, weil wir durchaus meinen, daß die Bundespolitik originelle und kreative Entscheidungen braucht - was man vielleicht auch als eine gewisse Selbstkritik der Koalition an der Regierungserklärung verstehen kann -, und weil wir meinen, daß die Fixierung auf Bundestagsabgeordnete bei der Besetzung der Posten von Parlamentarischen Staatssekretären eine behutsame Öffnungsklausel braucht. Es wäre auch ein ganzes Stück Selbstüberschätzung, wenn wir meinten, daß Bundestagsabgeordnete nun für jede Aufgabe geeignete Leute in ihren eigenen Reihen finden könnten. Mit unserer Zustimmung öffnen wir kein breites Tor, sondern nur ein Fensterchen, wenngleich ich meine, daß Herr Naumann nicht der einzige Nutznießer der Lex Naumann bleiben muß. Wir stimmen zu, weil es schließlich darum geht, von dem wenigen, was der Kanzler anders machen will, einiges besser zu machen. Wenn der Kanzler schon etwas Neues mit seiner Koalition ausprobieren will, dann soll er dafür auch eine Reformchance bekommen. Deshalb werden wir zunächst der Überweisung und dann auch diesem Gesetzesvorhaben zustimmen. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun drängt es den Kollegen Ludwig Stiegler noch einmal zum Mikrophon. Er hat sich vorhin von seiner Redezeit viereinhalb Minuten aufgehoben.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Wer beizeiten spart, hat in der Not. ({0}) Ich freue mich, daß wir Herrn Schmidt-Jortzig ein kulturelles Erlebnis verschafft haben. Ich muß Ihnen aber zu Ihrer Rede sagen: Wenn Detlef Kleinert dagewesen wäre, hätte er sie wenigstens in Versen vorgetragen. Hier müssen Sie noch etwas üben. Am interessantesten war das, was Herr Professor Schmidt-Jortzig nicht gesagt hat. Er hat nämlich Herrn Koschyk nicht bestätigt. Hier hat ein Staatsrechtslehrer gesprochen. Herr Koschyk wollte uns mit dem „FAZ“Guru vorhalten, wir hätten ein Maßnahmegesetz beschlossen. ({1}) Hier wird eine generell abstrakte Regelung beschlossen. ({2}) Jeder generell abstrakten Regelung folgt ein erster Schritt. Und jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne. Das müssen Sie bitte zur Kenntnis nehmen. ({3}) Es ist gerade kein Maßnahmegesetz, sondern ein erster Schritt. Was mir auch nicht gefallen hat, Herr SchmidtJortzig, ist, daß hier ausgerechnet ein Liberaler, der immer sagt, Wirtschaft und Politik sollten Austausch betreiben, die Finanz- und die Besoldungsfrage anspricht. Ich verrate hier keine Geheimnisse und verletze nicht den Datenschutz, wenn ich sage: Herr Naumann verzichtet auf erhebliche Einkommen, um sich unserem Land zur Verfügung zu stellen. Er hat nicht Mäkelei, sondern Dank und Anerkennung verdient. ({4}) Die Opportunitätskosten dieses Amtes - um es liberal anzusprechen - sind ganz erheblich. ({5}) - Herr Westerwelle, an das, was Herr Naumann woanders machen könnte, würden Sie nie herankommen; das ist völlig klar. ({6}) Ich finde es unglaublich, daß man einem, der bereit ist, diesem Land zu dienen, auch noch Vorhaltungen macht. So geht es nicht. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Stiegler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Marschewski?

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, mit Vergnügen.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Stiegler, wäre es nicht möglich, aus diesem Einzelfallgesetz ein „Zweifallgesetz“ zu machen? Sie könnten beispielsweise Frau Christa Müller in das Gesetz einbeziehen, ({0}) damit sie in Zukunft nicht als Privatperson, sondern als Amtsperson, als Staatssekretärin ihre Dinge zum besten gibt.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, lieber Kollege Marschewski, auch Sie haben Anlaß, Ihr Verhältnis zum Zusammenleben von Frau und Mann zu überprüfen und hier auf eine neue Partnerschaft aus zu sein. ({0}) Ein Letztes: Der Kollege Koschyk möchte mit dem Lindauer Abkommen heute Kulturpolitik machen. Manchmal habe ich den Eindruck, Sie sind in irgendeinem Einödhof steckengeblieben. ({1}) Wer bei den vielfältigen Verschränkungen heute mit dem Lindauer Abkommen Kulturpolitik machen will, dem kann ich nur sagen: Herr Naumann, nehmen Sie ihn ein paarmal mit auf die Reise, damit der Bub was lernt! Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/30 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der PDS Kein Bau einer Magnetschwebebahn Hamburg-Berlin - Transrapid-Förderung einstellen - Drucksache 14/38 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuß für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktionen der F.D.P. und der PDS jeweils fünf Minuten erhalten sollen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Winfried Wolf.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Großprojekte nach Art des Transrapid scheinen, den Katzen gleich, sieben Leben zu haben. Den Katzen sollten wir diese Langlebigkeit gönnen. Bei der Magnetbahn wäre eine solche Weitherzigkeit jedoch fehl am Platz. Doch offensichtlich ist hier von keiner Bundesregierung, gleich welcher Farbtönung, zu erwarten, nach Vernunft zu entscheiden. Das hat Tradition. So war es beim Schnellen Brüter Kalkar, bei der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf und beim Atomendlager Gorleben: Immer wollten Bund und die jeweilige Landesregierung diese Großprojekte gegen alle Vernunft durchsetzen. Sie scheiterten aber am Widerstand vor Ort. So ist es auch beim Transrapid. Investiert wurden in diese Technologie bereits 2,2 Milliarden DM. Gestorben sind in den 80er Jahren bereits die Magnetbahnprojekte München-Hamburg, Hannover-Berlin und Düsseldorf-Köln. Seit Anfang der 90er Jahre wird die Strecke Berlin-Hamburg konkret projektiert, obgleich der Transrapid alles andere als perfekt durchs Emsland zuckelt. Dennoch ließ die vorausgegangene Bundesregierung die gesetzlichen Grundlagen für den Bau der Strecke Hamburg-Berlin verabschieden. Diese beinhalten unter anderem ein Gesetz, bei welchem der undemokratische Charakter bereits durch jede Zeile seiner zwei Paragraphen schimmert. Zu diesem Magnetschwebebahnbedarfsgesetz äußerte ich in diesem Haus bereits einmal: Das für das Projekt Magnetbahn gewählte Verfahren ist feudal. Der Satz des französischen Sonnenkönigs „L'État c'est moi!“ - „Der Staat, das bin ich“ wird hier von Betonbolschewisten ... mit „Den Bedarf bestimmen wir selbst“ aktualisiert. In diesem Gesetz wird in § 1 schlicht festgestellt: Es besteht Bedarf für den Neubau einer Magnetschwebebahnstrecke von Berlin nach Hamburg über Schwerin. Die Feststellung des Bedarfs ist für die Planfeststellung ... verbindlich. In § 2 heißt es: Die Durchführung der in dieses Gesetz aufgenommenen Maßnahme und deren Finanzierung bedürfen einer Vereinbarung zwischen dem Bund und den privaten Projektträgern . . . Bleibt es bei diesem Gesetz, dann ist klar: Der Bedarf der Strecke kann gar nicht mehr hinterfragt werden. Mit dem Bau kann durch einfache Vereinbarung losgelegt werden, die zum Beispiel der Bundesverkehrsminister mit dem Transrapid-Konsortium trifft. Nun ist all das eine Erblast von Kohl, Riesenhuber, Krause und Wissmann. SPD und Bündnisgrüne haben vor der Wahl wiederholt erklärt, sie lehnten eine Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin ab. Noch im Protokoll des Verkehrsausschusses vom 29. April dieses Jahres wird festgehalten, daß die SPD für einen entsprechenden Antrag der Bündnisgrünen stimmte. Den Antrag las ich heute nochmals, und fürwahr, Kollegin Gila Altmann - heute Staatssekretärin - und Kollege Albert Schmidt - alle Achtung - , es handelt sich um einen ausgesprochen sophistischen - auf bayerisch: hinterfotzigen - Antrag. Nach diesem Antrag sind Trassenpreise, die laut EU vorgeschrieben sind, in das Finanzierungskonzept des Transrapid einzubeziehen. Damit käme eine Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin jedoch rund 4 Milliarden DM teurer und wäre mit offiziell 10 Milliarden DM allein deswegen schon gestorben. Das Ja der SPD zu diesem Antrag begründete damals es war vor sieben Monaten - im Ausschuß die SPDKollegin Elke Ferner, heute, von meinen besten Wünschen begleitet, ebenfalls als Staatssekretärin in Amt und Würden. Nun entstand nach der Wahl in der Öffentlichkeit tatsächlich der Eindruck, daß es mit Rotgrün keine MaLudwig Stiegler gnetschwebebahn Hamburg-Berlin geben werde. Doch dieser Eindruck trügt. Dies belegen drei Tatsachen: Erstens wird im Koalitionsvertrag die Magnetbahntechnologie explizit als „hochentwickelte Technologie“ begrüßt. Zweitens laufen seit der Wahl die Planfeststellungsverfahren entlang der Strecke ungebremst weiter. Drittens wurde im „Bundesausschreibungsblatt“ vom 2. November 1998, also von vor gut zwei Wochen, der „Transport der Überbauten für den Magnetbahn-Fahrweg von deren Fertigungsstätten ... an die Einbauorte in der Trasse der Magnetschnellbahn“ ausgeschrieben. Wenn mir angesichts dessen jemand - wie Freund Ali Schmidt in der vergangenen Woche - kommt und sagt, diese Ausschreibung diene der Verfeinerung der Kalkulation, dann höre ich förmlich den Amtsschimmel im Verkehrsministerium wiehern. Aber es kommt noch besser. Gestern bekannte sich Bundesverkehrsminister Müntefering im Ausschuß mündlich und schriftlich ein weiteres Mal zum Transrapid und sagte explizit: „Hamburg-Berlin ist die Strecke, die ich anstrebe.“ ({0}) Kurzer Rede kurzer Sinn: Auch die neue Regierung will den Transrapid. Sie will nach Möglichkeit die Strecke Hamburg-Berlin bauen und dort mindestens 6,1 Milliarden DM in Beton gießen. All die guten Argumente gegen die Strecke werden nicht gehört. Damit setzt Rotgrün auch hier auf Kontinuität. Meine Damen und Herren, es entspräche jetzt durchaus dem feudalen Politstil des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes, wenn wir an Herrn Müntefering, Schillers „Don Carlos“ abwandelnd, lediglich appellierten: „Sire, gewähren Sie transrapide Freiheit und wenden Sie § 2 des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes nicht an.“ ({1}) Doch die PDS schwört, wie Sie ja spätestens seit der Regierungsbildung in Schwerin wissen, auf das Grundgesetz und somit auf Einsicht im gesetzgeberischen Verfahren. Daher unser Antrag, ({2}) der, Herr Friedrich, strikt auf bündnisgrüner und zum Teil auch auf SPD-Linie liegt, bezogen allerdings auf die Zeit vor dem 27. September. Wir gestatten uns jedoch auch, zumindest aus der Verkehrsgeschichte zu lernen, und sagen daher ergänzend: Dieses Projekt kann und wird offensichtlich nur vor Ort gestoppt werden. In diesem Sinne sind wir mit denen solidarisch, die in Berlin und Brandenburg mehr als 200 000 Unterschriften gegen den Transrapid gesammelt haben. ({3}) Zusammen mit diesen Menschen werden wir weiter vor Ort gegen dieses Monster und gegen die Verschwendung von Steuergeldern protestieren. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat die Kollegin Angelika Mertens, SPD-Fraktion.

Angelika Mertens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002734, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt ja immer einmal Anträge, über die man sich richtig freut, wie es auch immer wieder welche gibt, über die man sich überhaupt nicht freut. Ich bin jedenfalls nicht unglücklich über diesen PDSAntrag, denn er bietet uns erneut Gelegenheit, der Öffentlichkeit und der PDS Klarheit über die Zukunft des Transrapid und vor allem auch Klarheit über die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten von Bund und privaten Herstellern zu verschaffen. Für die SPD war immer klar, daß die Magnetschwebetechnik eine unbestrittene Attraktivität hat: hohes Beschleunigungsvermögen, hohe Geschwindigkeit, und bei bis zu 250 km/h ist sie vergleichsweise leise. Auch begeisterte Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer können sich einem Charme nicht entziehen: Man gleitet und kann sich anderen Dingen, als Kaffeebecher festzuhalten oder sich für unleserliche Schriftstücke zu entschuldigen, widmen. Absolute Spitzengeschwindigkeiten, die auf der Schiene in Deutschland noch nicht realisiert wurden, werden mit dieser Technik möglich. In diesem Hause haben Vertreterinnen und Vertreter meiner Partei in den letzten Jahren mehrfach dargelegt, daß sie gleichwohl die ausgewählte Magnetschwebebahnreferenzstrecke Hamburg-Berlin für keine glückliche Wahl gehalten haben. Denn sie verläuft parallel zu einer bestehenden Schienenverbindung und ist mit dem dauerhaften Verzicht auf die Einbindung dieser Strecke in das europäische Hochgeschwindigkeitsschienennetz verbunden. Unsere Skepsis, ob es möglich sein wird, diese Strecke nicht nur zu realisieren, sondern auch wirtschaftlich darzustellen, ist während der letzten Jahre im Parlament immer wieder zum Ausdruck gebracht worden. Diese Skepsis ist nicht kleiner geworden. Wir haben der damaligen Bundesregierung statt dessen empfohlen, die Magnetschwebetechnik auf einer kurzen Anwendungsstrecke zu erproben, möglichst in Form einer Flughafenanbindung. Mit ziemlicher Verärgerung hat die SPD während der letzten Jahre verfolgt, daß aus einem rein privatwirtschaftlichen Projekt ein Projekt wurde, das zunehmend auf öffentliche Mittel aus dem Bundeshaushalt angewiesen war. Die Leichtfertigkeit, mit der Vorgängerregierungen den Wünschen der Transrapidhersteller nach weiteren Bundesmitteln nachgegeben haben, haben wir häufig kritisiert. Das kann jeder nachlesen; ich brauche das nicht zu wiederholen. Der letzte Sachstand, der uns hinterlassen wurde, war die sogenannte Eckpunktevereinbarung von April 1997: 6,1 Milliarden DM öffentliche Mittel für den Fahrweg und 3,7 Milliarden DM privat aufzubringende Mittel für das Betriebssystem. Die endgültige Risikoaufteilung sollte einer noch zu schließenden Finanzierungsvereinbarung überlassen werden. Jeder weiß, daß es zu dieser Vereinbarung zwischen Bund, Deutscher Bahn AG und privaten Herstellern nicht gekommen ist. Nun hat die SPD-geführte Bundesregierung - namentlich Verkehrs- und Bauminister Müntefering - dieses Projekt geerbt. Mit dem Erben ist es manchmal nicht so einfach, zumal wenn das Instrument eines Ausschlagens einer Erbschaft nicht zur Verfügung steht. Deshalb gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder machen wir das Beste daraus, oder wir machen das Schlechteste daraus. Mit ihrem Antrag, das Transrapidprojekt sofort abzubrechen, empfiehlt uns die PDS, das Schlechteste daraus zu machen, nämlich das Scheitern der Verhandlungen vorwegzunehmen und alle Vorarbeiten ohne Rücksicht auf Verluste in den Wind zu schreiben. Im Moment sind aber weder die Vertragsverhandlungen endgültig ausgelotet, noch sind Finanzierungs- und Risikoverteilung geklärt. In anderen Bereichen des Lebens würde die PDS übrigens wahrscheinlich nach der letzten Chance greifen, etwa wenn es um Menschen geht, die - aus welchen Gründen auch immer - Schwierigkeiten haben, sich an Grenzen zu halten. In diesem Fall gibt es so etwas wie eine letzte Chance. Es wäre wirklich der falsche Zeitpunkt, jetzt so zu tun, als hätte es in diesem Land nie eine nähere Beschäftigung mit der Magnetschwebetechnik gegeben. Die Koalitionsparteien und der Verkehrs- und Bauminister haben in der Koalitionsvereinbarung deutlich gemacht, daß sie in der gegebenen Situation wünschen, das beste Ergebnis für die Zukunft dieses Projektes zu erzielen. Dazu gehört als allererstes die klare Festlegung für alle Beteiligten: Es gibt für die Bundesmittel einen festen Kostenrahmen, der einzuhalten ist. Alle Kosten, die darüber hinausgehen, sind von der privaten Industrie zu tragen. Es liegt nun an den privaten Herstellern, in diesem festen Finanzrahmen ein schlüssiges, wirtschaftlich darstellbares Fahrweg- und Betriebskonzept auf der Referenzstrecke Hamburg-Berlin vorzulegen. Denn eines ist klar: Nur wenn sich die öffentlichen Finanzbeiträge auf dieser Referenzstrecke in überschaubaren Grenzen halten, kann aus der technischen Attraktion Magnetschwebebahn auch so etwas wie eine wirtschaftliche Attraktion - der sogenannte Exportschlager - werden. Ein dauerhafter Zuschußbetrieb hätte notwendigerweise zur Folge, daß sich kein Land der Welt für dieses Verkehrssystem interessierte. Insofern liegt der feste Finanzierungsdeckel, den die Regierungskoalition verordnet hat, im Interesse aller Beteiligten, ich wiederhole: im Interesse aller Beteiligten, einschließlich der herstellenden Industrie. Mit dem Regierungswechsel ist die Frage, ob in diesem Land eine Magnetschwebebahn-Referenzstrecke realisiert werden soll, von großem Ballast befreit worden. Dies ist nun nicht mehr länger eine Prestigefrage der Bundesregierung, und dies ist auch keine Frage mehr der Ideologie zur Unterscheidung zwischen Technologiefeinden und Technologiefreunden. Diese Frage unterliegt nun ganz allein der wirtschaftlichen und der verkehrspolitischen Rationalität. Ich halte das für eine gute Entwicklung. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Georg Brunnhuber, CDU/CSU-Fraktion.

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag der PDS wäre es eigentlich nicht wert, ausführlich diskutiert zu werden, da die Argumente dieses Antrages in diesem Hause schon zum wiederholten Male widerlegt wurden. ({0}) Dennoch ist der Antrag interessant. Denn alle in ihm enthaltenen Argumente sind solche, die hier von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schon wortwörtlich vorgetragen wurden. ({1}) Dies ist insofern interessant, als die Grünen jetzt nicht mehr in der Opposition, sondern in der Regierung sind. Da freuen wir uns natürlich schon, ({2}) heute zu hören, wie sie denn jetzt zu diesen Argumenten stehen. Wenn ich den Redebeitrag der Frau Kollegin Mertens richtig ausgelegt habe, so ist sie sehr viel skeptischer, als der Herr Minister gestern im Ausschuß war und als er auch in seinen öffentlichen Äußerungen zum Transrapid ist. Herr Staatssekretär Ibrügger, wenn es um den Transrapid geht, werden Sie sich wahrscheinlich viel mehr auf die CDU/CSU-Fraktion verlassen können ({3}) als auf Ihre eigene. Denn wir stehen uneingeschränkt zu diesem Projekt. Ich bin dem Minister wirklich dankbar, daß er bei diesem Projekt in der Kontinuität seines Vorgängers Matthias Wissmann bleibt. Er hat nämlich nicht so oberflächlich gesprochen wie die Frau Kollegin Mertens, sondern er hat in einer ganz hervorragenden Pressemeldung erklärt, nach zwei Jahrzehnten Skepsis der Sozialdemokraten gegenüber technischen Fortschritten dürfe die innovative Technologie nicht aus ideologischen Gründen verschüttet werden. Genau diese Position hat die CDU/CSU jahrelang vertreten. Es ist schön, daß sich der Minister dieser Position nunmehr anschließt. ({4}) Immer dann, wenn Zahlen neu auftauchen, gibt es Probleme. In diesem Zusammenhang hat der Minister auch noch darauf hingewiesen, daß diese neuen, immer höheren Zahlen nicht amtlich seien, daß sie einer Prüfung nicht standhielten, und vor allem hat er gesagt, die neuen Zahlen, die immer höhere Kosten darstellten, seien nur aufgebracht worden, um das Gesamtprojekt zu stören oder es zu Fall zu bringen. Auch hierzu kann ich nur sagen: Das ist ausschließlich die Position, die wir von der CDU/CSU-Fraktion schon seit Jahr und Tag zu diesem Projekt einnehmen. Vielleicht trägt die Debatte heute dazu bei, endgültig Klarheit zu schaffen. Der Herr Staatssekretär wird hierzu vielleicht noch Stellung nehmen. Klarheit ist notwendig, und zwar sowohl für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger entlang des Planungsbereiches als auch für die Investoren. Denn auf Dauer kann es nicht so sein, daß die Verantwortlichen ständig wackeln und die SPD in jedem Land eine andere Position zu diesem Projekt vertritt. Hierzu muß eine Entscheidung fallen. Heute besteht auch die Chance, nochmals darauf hinzuweisen, was der Transrapid kann und welche technische Möglichkeiten vorhanden sind. Insofern sind wir für diese Debatte dankbar; denn sie ermöglicht es, deutlich zu machen, welch tolle Technik von uns eingeleitet worden ist und von Minister Müntefering - zusammen mit uns - hoffentlich zu Ende gebracht wird. ({5}) Erstens. Der Transrapid hat, wie wir auch schon durch die Äußerungen von Ihnen, Frau Kollegin Mertens, gehört haben, eindeutig technische und umweltrelevante Vorteile. Zweitens. Der Transrapid bietet Möglichkeiten für den wirtschaftlichen Einsatz bei Geschwindigkeiten zwischen 300 und 500 km/h. Drittens. Der Transrapid ist - das sollten sich diejenigen, die ständig für die Umwelt eintreten, hinter die Ohren schreiben - bei einer Geschwindigkeit von 400 km/h leiser als ein IC bei 160 km/h. Auch das muß man sich einmal vor Augen führen. ({6}) Viertens. Der Energieverbrauch des Transrapid bei 400 km/h liegt in etwa bei dem Wert eines ICE bei 300 km/h, und er verbraucht 30 Prozent weniger als ein Airbus auf der Strecke Hamburg-Berlin. ({7}) Das sind Zahlen, die Sie, Herr Schmidt, eigentlich dazu bewegen müßten, auf diesen Transrapid aufzuspringen, weil dies doch eigentlich in Ihrem Sinne sein müßte. Offensichtlich haben Sie ein unterschiedliches Bewußtsein, was Umweltstandards angeht: Wenn Sie ein Projekt, das technisch hervorragend ist, nicht mögen, dann kommen Sie mit allen möglichen Argumenten, und das Umweltargument wird plötzlich unter den Tisch gekehrt. ({8}) Fünftens. Durch die engen Kurvenradien, die der Transrapid aufweist, ist der Flächenverbrauch nur halb so groß wie der beim Ausbau einer konventionellen Schienenstrecke. Sechstens. Der Transrapid wird das sicherste Verkehrsmittel der Zukunft sein. Der Transrapid zwischen Hamburg und Berlin ist im übrigen das erste echte Modell einer privaten partnerschaftlichen Finanzierung in Deutschland. Wir vom Bund bauen die Strecke; ({9}) das Wagenmaterial und den Betrieb bezahlen Private ohne eine einzige Mark aus öffentlichen Kassen. So etwas hat es in Deutschland noch nie gegeben. Ich finde, das ist etwas, was wir herausheben sollten; denn auch dies ist ein Zeichen moderner Verkehrspolitik. ({10}) Siebtens. Der Transrapid ersetzt zwischen Hamburg und Berlin den überflüssigen Luftverkehr. Achtens. Ich nenne ein Argument, das in diesem Hause offensichtlich nur gelegentlich eine Rolle spielt Sie sind doch aber mit dem Willen angetreten, mehr Arbeitsplätze zu schaffen -: Allein in der Bauphase des Transrapid werden 18 000 neue Arbeitsplätze gesichert, und auf Dauer werden nur auf dieser kleinen Strecke Hamburg-Berlin 4 500 neue Arbeitsplätze geschaffen. Wenn es hier darum geht, über moderne Technik, über Zukunft und über neue Arbeitsplätze zu reden, dann kann man dieses Argument nicht einfach vom Tisch wischen. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Brunnhuber, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Brunnhuber, Sie haben soeben die wünschenswerte Verlagerung des Luftverkehrs auf den Schwebeverkehr angeführt. Ist Ihnen bekannt, wie viele Menschen täglich zwischen Hamburg und Berlin im Flugzeug unterwegs sind? Ist Ihnen bekannt, daß es lediglich 200 Menschen sind, daß wir aber im Jahr 14 Millionen Gäste bräuchten, damit sich der Transrapid einigermaßen rechnete? ({0})

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Schmidt, wenn es nur ein Flugzeug wäre, das durch den Transrapid ersetzt werden könnte, dann wäre das schon eine Idee. ({0}) Wir haben im Ausschuß schon vor vier Jahren - Herr Schmidt, Sie müssen noch immer stehen bleiben ({1}) eine Anhörung und eine Diskussion. Auch schon vor acht Jahren hatten wir eine ähnliche Anhörung und eine ähnliche Diskussion. Damals waren Sie noch nicht dabei. ({2}) Sie sollten sich in einem Punkt über folgendes im klaren sein: Damals, bei der ersten Anhörung 1990, wurde darüber gesprochen, daß die Strecke Paris-Lyon mit dem schnellen Zug TGV ursprünglich mit etwa drei bis vier Millionen Fahrgästen pro Jahr geplant war. Heute, acht Jahre danach, sind es 16 Millionen Menschen, die pro Jahr zwischen Paris und Lyon fahren. Sämtliche Prognosen sind um ein Mehrfaches übertroffen worden. Insofern können Sie sich auch hier darauf verlassen. Die Institute waren doch nicht im Sinne der Bundesregierung tätig, sondern es waren objektive und neutrale Institute. Sie haben doch diese Zahlen von 14 Millionen Fahrgästen errechnet. Ab 10 Millionen Fahrgästen macht sich der Transrapid schon bezahlt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Brunnhuber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Deichmann?

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir haben auf dem heiß umkämpften Milliardenmarkt der Hochgeschwindigkeitsverkehre mit dem Transrapid eine Chance, hier dauerhaft für die Bundesrepublik Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen und mit dieser Referenzstrekke Hamburg-Berlin auch Kunden im Ausland anzuwerben. Alles in allem möchte ich zusammenfassen, daß der Transrapid ein Symbol für die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft des Standorts Deutschland ist. ({1}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition und insbesondere meine sehr verehrten Vertreter der Bundesregierung, wir fordern Sie auf: Handeln Sie schnell, verzögern Sie nicht weiter, wakkeln Sie nicht weiter! Kommen Sie zu Entscheidungen! Sie haben bei diesem Projekt die volle Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion. Wir lehnen deshalb den Antrag der PDS ab. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr Antrag, lieber Kollege Wolf, ist ein zwar leicht mißglückter, aber trotzdem ziemlich abgebrühter Zweitaufguß vieler früherer besserer bündnisgrüner Anträge. Er hat natürlich auch den Zweck, uns hier vorzuführen. Dafür habe ich größtes Verständnis. Ich würde es an Ihrer Stelle ganz genauso anpacken. Der Kern Ihres Antrags aber ist windelweich. Der Kern ist die Kritik an der Koalitionsvereinbarung. Sie schreiben, das, was in der Koalitionsvereinbarung enthalten ist, sei keine klare Aussage. Stellen wir uns das Wahlergebnis einmal umgekehrt vor: 41 Prozent Grün, 6,7 Prozent Rot. ({0}) Dann stünde an dieser Stelle natürlich etwas anderes in der Koalitionsvereinbarung. Trotzdem haben wir dieser Passage letztendlich sehr gern zugestimmt, denn entscheidend ist - um es einmal mit Helmut Kohl zu sagen -, was auf Grund dieses weisen Textes hinten rauskommt. Das ist die intelligente Art des Siegens, die manchmal besser ist, als eine vordergründige Schlacht zu kämpfen. ({1}) Ich will gern auf den Text des Koalitionsvertrages zu sprechen kommen. Da heißt es im ersten Satz: „Die Magnet-Schwebebahn Transrapid ist eine hochentwickelte Technologie.“ Wer sollte dem widersprechen? Natürlich ist es eine hochentwickelte Technologie. Das ist also abgehakt. Dann geht es weiter: „Grundlage für die Realisierung des Projekts sind die Vereinbarungen im Eckpunktepapier zwischen dem Bund, der Deutschen Bahn AG und der Industrie vom April 1997.“ Das wurde von den drei Beteiligten rechtsverbindlich unterschrieben. ({2}) Dann heißt es weiter: „Darüber hinausgehende“ jetzt kommt das, was ich schon als eine klare Aussage bezeichnen würde - „Kosten hinsichtlich Investition und Betrieb wird der Bund nicht übernehmen.“ Das ist eine klare Aussage. Das bedeutet im Klartext, daß bei 6,1 Milliarden DM ein Deckel drauf ist. Mehr Geld ist vom Bund nicht zu haben. Gleiches hat inzwischen die Deutsche Bahn AG in Gestalt ihres Vorstandsvorsitzenden Dr. Ludewig erklärt, der gesagt hat: Von der Bahn gibt es nicht mehr Geld. Angesichts der Verteuerung tritt nun das Eckpunktepapier in Ziffer 10 in Kraft. Wenn die Kosten erheblich höher werden, muß neu entschieden werden, heißt es dort. Jetzt müssen die drei Partner sich treffen, und dann muß einer von den Dreien diese 2 oder 3 Milliarden DM Mehrkosten auf den Tisch legen, oder die Strecke Hamburg-Berlin kann nicht gebaut werden. So einfach ist die Situation.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf?

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gern, ja.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Kollege Schmidt, ist Ihnen bekannt, daß gerade die Passage, die die Kostenbegrenzung betrifft, und die Koalitionsvereinbarung dazu von der Industrie, das heißt dem Konsortium von Siemens, Thyssen und Adtranz, begrüßt wurde? Und ist Ihnen klar, daß unser Antrag nicht darauf hinausläuft, irgend etwas Großartiges zum Koalitionsabkommen zu sagen, sondern schlicht und einfach darauf, zu sagen, daß die gesetzgeberischen Voraussetzungen geschaffen werden sollen, um das Magnetschwebebahnbedarfsgesetz aufzuheben? Ich frage Sie: Was spricht Ihrer Meinung nach dagegen - aus Ihrer grünen Sicht von vor dem 27. September und danach -, daß nicht länger gesagt wird: erstens besteht Bedarf für die Magnetbahnstrecke Hamburg-Berlin, und zweitens kann das erledigt werden, indem Herr Müntefering sagt „Jetzt geht's los“? Was spricht dagegen, das aufzuheben?

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es spricht dagegen, daß wir eine intelligente Lösung gefunden haben, eine Lösung nämlich, die beiden Partnern gerecht wird und ganz klar sagt: eine beliebige Kostensteigerung ist nicht vertretbar. Der Trichter, auf den jetzt die Magnetbahnplanungsgesellschaft und das Konsortium zu kommen glauben, indem sie sagen, man könnte ja jetzt vielleicht mal abschnittsweise nur eingleisig bauen, um die Kosten zu senken, oder den Halt in Schwerin weglassen - das wollen die sowieso nicht -, um Kosten zu senken, oder man könnte vielleicht die Takte verlängern, um Kosten zu senken, dieser Trick funktioniert nicht. Denn das Eckpunktepapier und das ist ja das Gute daran, daß das in dem Koalitionsvertrag steht - gilt natürlich in allen Teilen, inklusive der ganzen Parameter, die darin enthalten sind hinsichtlich Vertaktung, hinsichtlich der Zweigleisigkeit und hinsichtlich der Haltepunkte. Genau das ist der Punkt, warum die Strategie des Konsortiums an dieser Stelle nicht aufgehen wird.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Schmidt, es gibt einen weiteren Wunsch zu einer Zwischenfrage, nämlich des Kollegen Niebel von der F.D.P. Er möchte etwas fragen. - Rechts!

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aha! - Der Kollege Niebel ist mir noch nicht bekannt; deswegen habe ich jetzt in die falsche Richtung gesehen.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hoffe, das wird sich ändern. - Stimmen Sie mir zu, daß, gesetzt den Fall, alles das, was Sie soeben geschildert haben, tritt nicht ein und die Finanzierung ist gesichert, daß es sich dann nicht mehr, wie Sie uns glauben zu machen versuchen, um einen Sieg der Bündnisgrünen handeln würde, und stimmen Sie mir weiter darin zu, daß Sie im Endeffekt den Transrapid nicht wollen?

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich stimme Ihnen in dem zweiten Punkt vollständig zu. Das ist für uns eine Verkehrstechnik wie jede andere Verkehrstechnik auch. Sie muß sich entlang den Kriterien der Wirtschaftlichkeit und der Umweltverträglichkeit ausweisen, die wir bei dieser Technik noch nie gegeben sahen und auch weiterhin nicht gegeben sehen. Das ist überhaupt nicht der Punkt. ({0}) Zur ersten Frage, die Sie gestellt haben, was denn nun geschähe, wenn diese Kosten durch ein Wunder Gottes irgendwie bei 6,1 Milliarden DM gedeckelt werden könnten: Das ist für mich so, als würden Sie fragen: Was werden Sie tun, wenn in diesem Jahr am 24. Dezember Weihnachten nicht eintritt? Ich verspreche Ihnen: Weihnachten wird eintreten. Diese Kostensteigerungen, mit denen wir es jetzt zu tun haben, sind eben nicht, wie vorhin gesagt worden ist, nichtamtliche Zahlen. Das sind amtliche Zahlen. Ich will es Ihnen präzise sagen, Herr Kollege Niebel. Es war die Magnetbahnplanungsgesellschaft selbst, die bereits im August Fahrwegkosten von 7,2 Milliarden DM statt 6,1 Milliarden DM ausgerechnet hat. Es war das Eisenbahnbundesamt, die nachgeordnete Behörde des Bundesverkehrsministers, das im Oktober darauf hingewiesen hat: Die Kosten explodieren auf 7,7 bis sogar 8,9 Milliarden DM. Und wissen Sie, woher diese Kostensteigerungen stammen? Aus Ausschreibungsergebnissen, Herr Kollege Dr. Wolf! Das sind keine Plandaten, sondern man hat ausgeschrieben und bei der Ausschreibung festgestellt, daß es noch teurer wird. Deshalb sehe ich weiteren Ausschreibungen gelassen entgegen. Ich bitte sogar darum auszuschreiben, denn das wird zeigen, daß das Ganze noch viel, viel teurer ist, als wir bisher annehmen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Schmidt, es gibt noch einen weiteren Zwischenfragewunsch. Herr Brunnhuber möchte etwas fragen.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, immer, Herr Brunnhuber. Es ist immer witzig, wenn sich die Bayern und die Württemberger über den Transrapid unterhalten.

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmidt, würden Sie mit Ihrer Ausführung, daß diese neuen Zahlen auf Ausschreibungsergebnissen beruhen, sagen wollen, daß der Herr Minister gestern den Ausschuß belogen hat?

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Herr Minister hat nichts anderes gesagt. Ich war wie Sie in der Ausschußsitzung.

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Herr Minister hat in einer amtlichen Presseerklärung darauf hingewiesen ({0}) - Minister Müntefering -, daß diese Zahlen schon deshalb absurd seien, weil noch keine Ausschreibungen erfolgt seien.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Diese Aussage, Herr Brunnhuber, habe ich so nicht gehört, obwohl ich in derselben Ausschußsitzung war. Ich weiß aber aus dem Ministerium, daß diese Zahlen genauso, wie ich sie vorgetragen habe, dort vorliegen. Insofern sehe ich den weiteren Entwicklungen dort sehr gelassen und beruhigt entgegen. Ich glaube, auch Sie können sich da ganz entspannt zurücklehnen. ({0}) - Er hat eine Behauptung seitens des Ministers unterstellt, die ich nicht bestätigt habe. Ich finde übrigens, der Minister hat auch noch in einem anderen Punkt völlig recht, nämlich wenn er sagt: Das einzige Projekt, um das wir noch ernsthaft und seriös diskutieren sollten, ist Hamburg-Berlin. Wenn ich höre, was da alles inzwischen auf dem Markt gehandelt wird: Berlin-Schönefeld oder jetzt Köln-Düsseldorf, wo doch gerade die ICE-Verbindung im Bau ist und der Transrapid seine Geschwindigkeitsfeatures überhaupt nicht entfalten kann, dann muß ich sagen: Das ist wirklich nicht seriös. Wenn schon, dann sollten wir über die Strecke sprechen, die ernsthaft zur Diskussion steht, nämlich Hamburg-Berlin, und über nichts anderes. ({1}) Aber eine Transrapidverbindung Hamburg-Berlin - das wird die abschließende Bewertung erweisen, die nach Ziffer 10 des Eckpunktepapiers vorgesehen ist - ist die falsche Antwort auf eine richtige Frage. Die richtige Frage lautet: Wie bekommen wir eine moderne Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Hamburg und Berlin? Im Rahmen dieser weiteren Beratungen wird sich als richtige Antwort erweisen - da bin ich sehr gelassen -, daß wir eine ICE-Verbindung von Hamburg nach Berlin brauchen. Diese führt am besten über Uelzen und Stendal, denn im ersten Drittel und im letzten Drittel haben wir fertige ICE-Strecken, und nur die 103 Kilometer zwischen Uelzen und Stendal müßten noch hochgeschwindigkeitstauglich ausgebaut werden. Das verursacht einen Bruchteil der Kosten, die für den Transrapid nötig sind, bringt auch Arbeitsplätze und verkürzt die Fahrzeit zwischen Hamburg und Berlin auf 82 Minuten. Diese Lösung wird sich von alleine durchsetzen, denn bei allen Unterschieden in den Positionen, die es noch geben mag, liebe Kolleginnen und Kollegen in der SPD, eint uns alle die Tatsache, daß wir sehr wenig Geld zu verteilen haben. Deshalb sollten wir die Verkehrsinvestitionen dort bündeln und konzentrieren, wo es Sinn macht, und uns finanzielle Abenteuer unkalkulierbarer Art schenken. Ich bin überzeugt, daß sich diese Position letztlich auch in der Bundesregierung durchsetzen wird. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort für die F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Hans-Michael Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie können sich sicherlich vorstellen, daß ich mich als Emsländer, der fast aus Lathen bzw. Dörpen kommt, besonders freue, daß ich meine erste Rede über den Transrapid halten kann. Ich will hier auch überhaupt keinen Hehl daraus machen, daß ich ein großer Fan dieser Technologie und ihrer Anwendung bei uns vor Ort bin. Ich kann Ihnen, geschätzter Kollege Wolf, nur sagen: „Kommen Sie mal, schauen Sie es sich mal an, steigen Sie mal ein, und fahren sie mal mit! Hinterher werden Sie das Glücksgefühl des Schwebens erlebt haben und bekehrt sein.“ ({0}) Wissen Sie, Herr Kollege Wolf, Ihre Vergleiche gehen nicht nur haarscharf an der Sache vorbei, sondern es fehlen Transrapidbreiten zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was der Realität entspricht. ({1}) Er zuckelt nicht, er schwebt bei 450 Kilometer pro Stunde. Das macht er jede Woche in der Erprobung und jede Woche in der Anwendung. Hunderttausende kommen jedes Jahr in das Emsland, um mitzufahren. ({2}) Es hat Probleme gegeben. Es ist wohl völlig normal, daß in einer neuen Technologie - deswegen wird er ja erprobt - auch Kinderkrankheiten stecken. Aber das, was Sie beschreiben, ist lange her. Was Sie in Ihrem Antrag zum Ausdruck bringen, ist schlicht und ergreifend falsch.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Goldmann, Sie werden schon bei Ihrer ersten Rede mit einer Zwischenfrage beehrt. Genehmigen Sie diese? ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist mir eine Ehre, wie Sie sagen.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Goldmann, zunächst danke ich Ihnen. Es stimmt, mein Wunsch, eine Frage zu stellen, ist etwas frech, aber Sie haben es genehmigt. Ist Ihnen bekannt - das kann Ihnen zwar nicht bekannt sein, aber ich muß den Satz als Frage formulieren -, daß ich zweimal versucht habe, mit dem Transrapid zu fahren, davon einmal im Auftrag des „Spiegel“; beide Male wurde die Probefahrt kurzfristig abgesagt, weil der Transrapid nicht fuhr, ({0}) und ist Ihnen bekannt, daß noch vor einem Jahr, am 17. Mai 1997, ein Transrapid-Befürworter, ein Ingenieur, in der „Frankfurter Rundschau“ feststellte: Mit dem Auftrag, einen neuen, besseren Fahrweg für den Transrapid [im Emsland] zu entwickeln, hatte unser Team die Möglichkeit, eine Probefahrt auf der Versuchsstrecke mitzumachen. Die Fahrt ... mußte bei Tempo 220 km/h abgebrochen werden, da am Fahrwerk Probleme aufgetreten waren. Deswegen sprach ich von „zuckeln“. ({1})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wolf, natürlich hat es solche Fälle gegeben. Das ist doch überhaupt kein Thema. Wer würde das denn bestreiten wollen? Allerdings hat es eine Entwicklung dieser Technologie vor Ort gegeben, die meiner Meinung nach außerordentlich beeindruckend ist. Die Zahl derjenigen, die mittlerweile schon vom Transrapid transportiert wurden und von dieser Technologie begeistert sind, ist wirklich riesengroß. Lassen Sie uns über Dinge reden, die sicherlich noch zu lösen sind, bis der Transrapid wirklich von Hamburg nach Berlin fährt! Lassen Sie uns aber nicht über Dinge reden, die einfach an der Sache vorbeigehen! ({0}) Die Beschreibung in Ihrer Begründung ist absolut realitätsfremd. Ich nehme sonst die Ausführungen der PDS sehr wohl wahr und ernst. Es hat mir schon imponiert, wie Sie bei bestimmten Dingen argumentiert haben. Aber hier liegen Sie schlicht und ergreifend völlig daneben. Ich will, gerade weil es Ihr Antrag ist, auf einen besonderen Sachverhalt eingehen und Ihnen sagen: Ich kann nicht mehr verstehen, was Sie machen. Ich habe hier eine Skizze der Bietergemeinschaft Mittelstand zur Realisierung der Transrapidstreckenführung. Sie können dieser Skizze entnehmen, daß es bezüglich der Betonelemente, die in dieser Trassierung realisiert werden können, eine mittelständische Bietergemeinschaft gibt, die das gesamte Konzept ungefähr 1 Milliarde DM günstiger anbietet. Lieber Kollege von den Grünen, Sie wissen wahrscheinlich, daß für die ICE-Strecke KölnFrankfurt ein Angebot in Höhe von 11 Milliarden DM vorlag und daß diese Strecke für 7,7 Milliarden DM durch mittelständische Unternehmen realisiert wird. Es sind also noch Kostenreserven vorhanden. ({1}) Ich möchte Ihnen einmal vorlesen, Herr Dr. Wolf, wo die Produktionsstandorte zum Erstellen der Betonplatten, der Hybridträger sind - sie kennen das wahrscheinlich: das ist ein Element, das Stahlbeton miteinander verbindet und eine unendlich gute Präzision erreicht; es ist mit Blick auf die Umweltverträglichkeit hochinteressant und unter dem Gesichtspunkt der Kostenminderung toll -: Potsdam, Magdeburg, Dessau, Leipzig, Dresden, Gera, Erfurt, Schwerin und Rostock. Das sind die Standorte, an denen die 6,1 Milliarden DM, von denen Sie vorhin sprachen, nicht in Beton gegossen werden sollen, sondern in Arbeitsplätze vor Ort fließen. ({2}) Ich kann Ihnen nur sagen: Diese Technologie ist eine riesige Chance gerade für einen Bereich, in dem wir uns besonders um Arbeitsplätze bemühen müssen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, daß die rotrote Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern dieser Zukunftstechnologie in einer Situation, in der dieses Land ohne jeden Zweifel Probleme hat, nicht positiv und engagiert gegenübersteht. Das ist eine riesige Chance für dieses Land. Ich meine, wir sollten diese Chance wirklich gemeinsam nutzen, und wir sollten endlich Nägel mit Köpfen machen. ({3}) Es waren auch andere in Lathen. Die Chinesen waren da. Sie wollen jetzt eine Kurzstrecke bauen. Die Amerikaner - überlegen Sie das bitte einmal! - bringen 1 Milliarde Dollar in die Planung ein - dazu gibt es einen Kongreßbeschluß -, um eine Strecke zu bauen. Die Australier waren da und sagten, daß das Verkehrsproblem um Sydney herum mit dem Transrapid gelöst werden soll. ({4}) Ich denke, daß da riesige Chancen vorhanden sind, die wir nutzen sollten. Die Transrapidtechnik ist eine zukunftsorientierte Technik. Herr Kollege von den Grünen, lassen Sie mich noch eines sagen. Ich finde es - um ein Wort zu gebrauchen, das parlamentarisch ist - bescheiden, wenn Ihre Parlamentarische Staatssekretärin bei uns vor Ort erklärt, das faktische Aus für die Referenzstrecke sei in den Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben. Ich finde es zynisch, wenn Ihre Parlamentarische Staatssekretärin erklärt: Lathen ist als Demonstrationsstrecke nicht überflüssig, wenn selbst Bundeskanzler Schröder nach der Fahrt zum glühenden Befürworter geworden ist. Ich kann mir also auch eine touristische Vermarktung vorstellen, damit keine Bauruine übrigbleibt. ({5}) Wenn das die Antwort für die Menschen sein soll, die in dieser Technologie hochqualifiziert ausgebildet werden bzw. arbeiten, ({6}) wenn die Antwort Ihrer Partei bzw. von Frau Altmann sein soll, daß Menschen bei einem Gesamtprojekt zu Freizeitgestaltern im touristischen Bereich werden sollen, von dem Sie genau wissen, daß es über den touristischen Sektor überhaupt nicht zu unterhalten ist, dann finde ich das zynisch. Ich meine, damit sind Sie von dem, was Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben haben - von mir aus: Aufbruch für mehr Arbeit in Deutschland -, zukunftsdumm meilenweit entfernt. Das mache ich Ihnen zum Vorwurf. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letzter Redner in der Debatte hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Lothar Ibrügger das Wort.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der PDS-Fraktion gibt dem Bundesverkehrsministerium Anlaß, Standpunkte aufzuzeigen und Hinweise zum Fortgang der weiteren Beratungen, Erörterungen und Entscheidungen auch des Bundesverkehrsministers Müntefering zu geben, und zwar einmal, soweit es die Technologie angeht, zum anderen, soweit es das Projekt angeht. Da Herr Präsident Thierse hinter mir sitzt, spreche ich von der Strecke Berlin-Hamburg und nicht wie andere Kolleginnen und Kollegen - von der Strecke Hamburg-Berlin. Am 16. November sind - das kann ich Ihnen versichern, Herr Kollege Dr. Wolf - Mitglieder einer Kommission des Staates Kalifornien auf der Anlage mit dem Transrapid bei einer Geschwindigkeit von 350 Kilometern pro Stunde über 60 Kilometer ohne Störungen und ohne Probleme gefahren. Ich will die hochentwickelte Technologie des Transrapid kurz erwähnen: das berührungsfreie Schweben auf dem Trag- und Führungssystem, der berührungsfreie Antrieb und das berührungsfreie Bremsen sowie das neue Energiekonzept. Dies sind Verbesserungen gegenüber hergebrachten Technologien, die den Anspruch verdeutlichen, daß die Magnetschwebebahntechnik eine hochentwickelte und, wie Herr Minister Müntefering sagt, auch eine zukunftsträchtige und exportfähige Technologie ist. Grundlage für die Bundesregierung - Herr Kollege Schmidt hat dies schon angesprochen - ist das Eckpunktepapier vom April 1997. Die Koalition - auch das ist schon häufig gesagt worden - hat zu diesem Papier einen klaren Standpunkt eingenommen. Dieser Standpunkt ist Grundlage für unsere gemeinsame Arbeit in der Regierung. Ich nenne einen Satz aus der Koalitionsvereinbarung: Darüber hinausgehende Kosten für Investitionen und Betrieb sind nicht von der Bundesregierung zu tragen. Andererseits wollen wir die Option gegebenenfalls anderer Referenzstrecken offenhalten, falls sich das Projekt Berlin-Hamburg nicht verwirklichen läßt. Die spurgeführte Magnetschwebebahntechnologie ermöglicht, wie schon zum Ausdruck gebracht wurde, eine Geschwindigkeit bis zu 500 Kilometern in der Stunde. Ich räume als früherer Berichterstatter des Deutschen Bundestages für die Magnetschwebebahntechnik im Jahre 1978 ein - Kollege Catenhusen, der im Moment auf der Regierungsbank sitzt, bekleidete das gleiche Amt -, ({0}) daß es angesichts der Siedlungsstruktur der Bundesrepublik Deutschland schwerfällt, Strecken zu finden, die für diese hohen Geschwindigkeiten geeignet sind. Die Fahrgäste müssen in Deutschland schon die Möglichkeit haben, eine gewisse Strecke zurückzulegen, bevor sie aussteigen. Wir sehen den Transrapid als eine zukunftsträchtige und exportfähige Technologie an. Wir wollen sie im eigenen Land nutzen, wenn - ich wiederhole dies - der Kostenrahmen so, wie vereinbart, gehalten wird. Über die Einhaltung kann heute niemand verläßliche Aussagen treffen. Die Magnetschwebebahntechnik erfüllt Anforderungen an ein modernes, sicheres und umweltfreundliches Verkehrssystem des 21. Jahrhunderts. Japan hat sich vergleichbar mit der Bundesrepublik Deutschland schon vor Jahrzehnten bemüht, diese Technologie voranzubringen. Das Beispiel USA wurde gerade angesprochen. Eine Milliarde Dollar sind dort vom Kongreß zur Verfügung gestellt worden. Ich darf in diesem Zusammenhang Bundeskanzler Schröder erwähnen, der in seiner Regierungserklärung die Mobilisierung aller schöpferischen Kräfte für neue Produkte und neue Märkte erwähnte und zum Ausdruck brachte: Auch diese Technologie kann schöpferische, innovative Kräfte für den Export und für die Verbesserung der Verkehrssituation auch in anderen Teilen der Erde freisetzen. Mit dem Bau der Strecke in Deutschland sind Chancen und natürlich auch Risiken verbunden. Es gilt jetzt, die Chancen zu nutzen. Grundlage sind die Vereinbarungen zwischen Bund, der Deutschen Bahn AG und der Industrie vom April 1997. Auf dieser Basis wollen wir das Projekt angehen. Es ist völlig klar: Es liegt auch im Interesse der Industrie, daß der Staatsanteil an einem solchen Projekt kalkulierbar gehalten wird, um die Exportfähigkeit dieser Technologie im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Diese Kalkulierbarkeit ist und bleibt der Maßstab, wie im Eckpunktepapier verabredet wurde. In diesem Sinne wird die Bundesregierung die Gespräche mit der Industrie führen. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/38 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 20. November, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.