Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/15/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ heute im Anschluß an die Fragestunde erfolgen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Außerdem mache ich Sie darauf aufmerksam, daß morgen um 9 Uhr eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Helsinki mit einer anschließenden 90minütigen Aussprache stattfinden wird. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über die Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst des Bundes sowie Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des im Jahre 1996 in Kraft getretenen Änderungsgesetzes zum Ladenschlußgesetz. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Gerd Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat sich heute - erstens - mit der Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst des Bundes und darüber hinaus im gesamten öffentlichen Dienst sowie in der Privatwirtschaft befaßt. Zuerst die gute Nachricht: Die Beschäftigungsquote in bezug auf Schwerbehinderte im öffentlichen Dienst des Bundes lag Ende Oktober 1998 bei 6,6 Prozent. Damit ist im Bereich des Bundes auch 1998 die Beschäftigungspflicht erfüllt worden. Das BMA - ich sage das nicht ohne Stolz - hat einschließlich des nachgeordneten Bereichs mit 9,6 Prozent und ohne diesen Bereich sogar mit 9,8 Prozent wieder das beste Ergebnis erzielt. Eine Beschäftigungsquote von 6,6 Prozent im öffentlichen Dienst des Bundes bedeutet im Vergleich zum Vorjahr - Oktober 1997 - einen Rückgang um 0,1 Prozentpunkte. Diese Entwicklung, die sich auf den Zeitraum von November 1997 bis Oktober 1998 bezieht, haben wir zwar nicht zu verantworten. Aber sie ist für uns Veranlassung, uns intensiver mit diesem Thema zu befassen, als dies unter der Verantwortung der alten Regierung geschehen ist. Die erreichte Beschäftigungsquote muß nicht nur langfristig gesichert, sondern auch wieder erhöht werden. Dazu bedarf es verstärkter Anstrengungen aller Ressorts. Jedes einzelne Ressort muß mit allen Mitteln darauf hinwirken, daß in seinem Bereich, insbesondere auch in seinem nachgeordneten Bereich, die heute erreichte Beschäftigungsquote gesteigert wird, und zwar auch über die Mindestquote von 6 Prozent hinaus. Fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten in einigen Bereichen müssen durch verstärkte Bemühungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden. Nur so läßt sich gewährleisten, daß die einzelnen Bundesressorts ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen und daß der Bund insgesamt auch weiterhin einen Schwerbehindertenanteil von deutlich über 6 Prozent erreicht. Die Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst des Bundes ist nur ein Teil der Gesamtproblematik. Die in der Vergangenheit - bis zum Jahre 1998 angewachsene, überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen ist besorgniserregend. Überhaupt nicht zufriedenstellend ist der Beschäftigungsanteil Schwerbehinderter bei den privaten Arbeitgebern. Er hat mit 3,4 Prozent im Jahre 1997 seinen tiefsten Stand seit Jahren erreicht. Der Anteil der Arbeitgeber, die beschäftigungspflichtig sind und trotzdem keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigen, liegt inzwischen bei 37,5 Prozent. Das kann nicht so bleiben. Die Verpflichtung, im Rahmen solidarischer Verantwortung einen bestimmten Teil der Arbeits- und Ausbildungsplätze für schwerbehinderte Menschen bereitzustellen, muß wieder ernst genommen werden. Das Problem der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter erscheint durchaus lösbar. Wenn jeder der 71 200 beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber, der heute keinen Schwerbehinderten beschäftigt, nur einen Schwerbehinderten einstellen würde, dann wäre das Problem schon entschärft. Wenn jeder der 189 300 beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber nur einen Schwerbehinderten zusätzlich einstellen würde, dann hätte sich das Problem der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter erledigt. Um die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter zu bekämpfen und die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen nachhaltig zu verbessern, haben wir in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, daß die spezifischen beschäftigungsfördernden Instrumente zur Eingliederung Schwerbehinderter verbessert und weiterentwickelt werden sollen. Dabei geht es um eine ganze Reihe von Punkten, von denen ich einige herausgreifen will: die Erhöhung der Wirksamkeit des Systems von Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe, die Verbesserung der Einstellungschancen von Schwerbehinderten durch eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Personalverantwortlichen und den Betriebs- und Personalräten, eine Stärkung der Rechte der Schwerbehinderten und ihrer Vertretungen, die Intensivierung der Dienstleistungen der Bundesanstalt für Arbeit und der Hauptfürsorgestellen mit Unterstützung durch sogenannte Integrationsfachdienste, um zum Beispiel durch möglichst frühzeitige präventive Maßnahmen zur Erhaltung von Arbeitsplätzen und zur Vermeidung von Kündigungen beizutragen. Wir wollen deshalb unverzüglich eine Gesetzesinitiative zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf den Weg bringen. Die Gespräche hierzu mit allen Beteiligten sind auf einem guten Weg. Ich bin zuversichtlich, daß wir mit allen Beteiligten ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten erzielen. Das Kabinett hat sich - zweitens - mit dem Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Ladenschluß beschäftigt. Der Bericht behandelt die Auswirkungen der im Jahre 1996 in Kraft getretenen Änderungen des Ladenschlußgesetzes. Wichtige Grundlagen für den Bericht sind die empirischen Befunde der beiden in Auftrag gegebenen Gutachten zum Ladenschluß. Das Gutachten der Sozialforschungsstelle Dortmund hat untersucht, wie sich die verlängerten Öffnungszeiten auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen im Einzelhandel ausgewirkt haben. Das Ifo-Institut behandelt in seinem Gutachten die Auswirkungen für den Einzelhandel und für das Verbraucherverhalten. Die empirischen Ergebnisse der beiden Gutachten zeigen keinen unmittelbaren Handlungsbedarf für den Gesetzgeber auf. Die große Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher ist mit den seit 1996 geltenden Ladenöffnungszeiten sowohl während der Woche als auch am Samstag zufrieden. Das gilt auch für die Verkaufsstellen im Einzelhandel. Nahezu alle Beschäftigten des Einzelhandels sind gegen eine weitere Verlängerung der Öffnungszeiten. Mit der Einführung der neuen Ladenöffnungszeiten im Jahre 1996 wurde die Erwartung verbunden, durch die Erweiterung würden zahlreiche neue Arbeitsplätze entstehen. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Beschäftigtenzahlen im Einzelhandel sind insgesamt zurückgegangen. Zugenommen hat nur die Anzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. Außerdem sind die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten nach den Ergebnissen der Untersuchung der Sozialforschungsstelle Dortmund schlechter geworden. Die Arbeitszeiten sind ungünstiger; die Arbeit hat sich verdichtet. Der Erfahrungsbericht enthält keinen Vorschlag zur Änderung des Ladenschlußgesetzes. Vor der Erstellung des Berichtes hat die Bundesregierung mit den Ländern, den beteiligten Gewerkschaften, Verbänden und Kirchen gesprochen. Dabei ist die große Vielfalt von Meinungen und Interessen zum Ladenschluß deutlich geworden. Die große Mehrheit der Beteiligten hat vorgeschlagen, die begonnenen Gespräche fortzuführen. Diesem Wunsch wird die Bundesregierung nachkommen. Vielleicht können weitere Gemeinsamkeiten ausgelotet werden. Ladenschluß ist ein Symbolthema. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß dieses Thema nur auf einer breiten Grundlage behandelt werden kann. Zur Sonn- und Feiertagsöffnung haben die Gespräche eine bereits weitgehende Übereinstimmung ergeben. Die Öffnungsmöglichkeiten an diesen Tagen sollen sehr restriktiv gehandhabt werden. Die Bundesregierung steht zur Sonn- und Feiertagsruhe. Eine Kommerzialisierung der Sonn- und Feiertage wird es mit der Bundesregierung nicht geben. Herzlichen Dank. Frau Präsidentin, ich habe eine Bitte: Da es zwei sehr komplizierte Themen sind, bitte ich darum, daß die Fragen nicht zwischen den Themen hin- und herspringen. Vielmehr sollten die Fragen nur einem bestimmten Block gelten, um immer nur ein Thema zu diskutieren.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, zunächst Fragen zum ersten Themenbereich zu stellen. Die erste Wortmeldung kommt von der Kollegin Claudia Nolte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben eine Gesetzesinitiative angekündigt, um, wie Sie sagten, die Effizienz der bestehenden Instrumente zu verbessern. Welche Bereiche sollten Ihrer Meinung nach gesetzlich geändert werden? Wann sollen diese Änderungen in Kraft treten? Sieht die Bundesregierung beispielsweise vor, Integrationsfachdienste künftig gesetzlich abzusichern? Soll durch das vorgesehene Gesetz die Ausgleichsabgabe angehoben werden? Oder soll vielleicht der prozentuale Ansatz für die Beschäftigungsquote verändert werden?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Nolte, Sie wissen aus der Debatte vom 3. Dezember 1999 in diesem Hause, daß wir sehr nachdrücklich an diesen Fragen arbeiten. Wir sind der Meinung, daß wir nicht nur ein SGB IX schaffen müssen, sondern daß auch hinsichtlich der beschäftigungspolitischen Situation Behinderter dringender Handlungsbedarf besteht. Dazu laufen auch schon eine Reihe von Gesprächen, die allerdings noch nicht abgeschlossen sind. Ich bin gegenwärtig nicht in der Lage, auf alle Ihre Fragen zu den jeweiligen Einzelthemen eine abschließende Antwort zu geben. Ich kann Ihnen aber sagen, in welche Richtung unsere prinzipiellen Überlegungen gehen. Ich habe eben schon darauf hingewiesen, daß in der Koalitionsvereinbarung festgelegt worden ist, daß die spezifischen beschäftigungsfördernden Elemente zur Eingliederung von Schwerbehinderten verbessert und weiterentwickelt werden müssen. Ich halte eine unverzügliche Gesetzesinitiative zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten für geboten und für vordringlich. Dabei muß eine Reihe von Punkten berücksichtigt werden, die ich ganz kurz benennen möchte: Es geht erstens um die Erhöhung der Wirksamkeit des Systems von Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe - bezüglich der Erhöhung kann ich Ihnen jetzt keine konkreten Zahlen nennen -, zweitens um die Schaffung von Anreizen zur Beschäftigung Schwerbehinderter, drittens um die Stärkung der Rechte von Schwerbehinderten und ihren Vertretungen, viertens um eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Personalverantwortlichen in den Betrieben und Verwaltungen und den Betriebs- und Personalräten, fünftens um die Intensivierung der Dienstleistungen der Bundesanstalt für Arbeit und der Hauptfürsorgestellen, die durch sogenannte Integrationsfachdienste unterstützt werden sollen, und sechstens um möglichst frühzeitige präventive Maßnahmen zum Erhalt von Arbeitsplätzen und zur Vermeidung von Kündigungen. Ich will noch einmal darauf hinweisen - ich sage das hiermit ausdrücklich -, daß wir gegenwärtig noch mit allen beteiligten Verbänden und Organisationen entsprechende Gespräche führen, so daß ich die beabsichtigten Änderungen nicht im einzelnen nennen kann.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Nachfrage, bitte, Frau Kollegin Nolte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, durch Wiederholung wird eine Antwort nicht konkreter. ({0}) - Ich bedanke mich, daß Sie mir in diesem Punkt recht geben. Im Bereich der Neueinstellungen gibt es ja im öffentlichen Dienst bezüglich unseres Anliegens erhebliche Schwierigkeiten. Die Schwerbehindertenquote liegt dort nämlich bei zirka 3 Prozent. Sie sprachen nun von Anreizen, um die Einstellungsquote zu erhöhen. Welche Anreize kann der öffentliche Dienst schaffen? Haben Sie eine Vorstellung davon, wie der öffentliche Dienst es schaffen könnte, auf Bundesebene die Schwerbehindertenquote bei den Neueinstellungen einzuhalten?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich habe ja dargestellt, daß wir die Quote auf Bundesebene erfüllen und teilweise sogar übererfüllen. Es gibt da sicherlich Differenzen in den einzelnen Bereichen. Um die Quote aber auf Dauer zu halten, müssen wir uns nachdrücklich dafür einsetzen, daß Schwerbehinderte bei Neueinstellungen entsprechend berücksichtigt werden. Wenn kaum Neueinstellungen stattfinden, ergibt sich hier schon ein großes Problem. Man muß also im einzelnen genau hinschauen. Für die Bundesregierung kann ich sagen, daß wir die Absicht haben, Initiativen, die Erfolg zeigen, auch in den nächsten Jahren verstärkt fortzusetzen. Im übrigen verweise ich auf meine Antwort zu Ihrer ersten Frage.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorgetragen, daß insbesondere Unternehmen der Privatwirtschaft ihre Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter eher zögerlich und zurückhaltend erfüllen. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, welche Gründe es für diese Zurückhaltung gibt, bzw. planen Sie, vor einer gesetzgeberischen Initiative durch entsprechende Datenerhebungen die Motive der Unternehmen zu erfassen, die zu dieser Zurückhaltung führen? ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Wir führen ja regelmäßig sehr umfangreiche und umfassende statistische Erhebungen und Untersuchungen durch und können es daher durchdeklinieren, wie die Beschäftigungssituation in einzelnen Branchen und Bereichen aussieht. Man wird zugestehen müssen, daß durch eine schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt die Beschäftigungssituation Schwerbehinderter zusätzlich erschwert wird. Wenn Sie einzelne Bereiche unter dem Gesichtspunkt von Mehrfach-Handicaps - also Alter, geringe Qualifikation usw. - untersuchen, stellen Sie fest, daß die Beschäftigungssituation um so schwieriger wird, je mehr dieser Positionen zutreffen. Nichtsdestotrotz sind wir der Auffassung - ich habe es vorgetragen -, daß wir es nicht hinnehmen können, daß ein Großteil der beschäftigungspflichtigen Unternehmen überhaupt keinen Schwerbehinderten beschäftigt. In anderen Bereichen könnte man nach unserer Vorstellung die Quote ebenfalls entsprechend anheben. Ich verweise darauf, daß wir hinsichtlich der Abgabe und der Instrumentarien, die damit zusammenhängen, Überlegungen anstellen, wie eine einvernehmliche Regelung zustande zu bekommen ist. Die Gespräche, die wir in diesem Zusammenhang bisher geführt haben, geben uns zu großer Hoffnung Anlaß, mehr Beschäftigung zu erreichen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Kolb, Ihre Zusatzfrage, bitte.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, daß Sie regelmäßig Untersuchungen durchführen. Liegen Ihnen auf Grund dieser Untersuchungen Erkenntnisse vor, daß gerade kleinere Unternehmen bei der Einstellung Behinderter sehr zögerlich sind, ({0}) weil es im Falle rückläufiger Beschäftigung sehr schwer ist, ein Beschäftigungsverhältnis, das man mit einem Schwerbehinderten eingegangen ist, wieder aufzulösen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Hinsichtlich kleiner Unternehmen liegt uns dazu kein Befund vor.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Peter Dreßen. ({0})

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, aus Ihrem Bericht ging hervor, daß die Schwerbehindertenquote bei der Gesamtzahl der Arbeitslosen sehr hoch ist, auch wenn der öffentliche Dienst erfreulicherweise auf diesem Gebiet einiges tut. Uns ist aber bekannt, daß sich die privaten Arbeitgeber von der Erfüllung der Pflichtquote weit entfernt haben. Aus den Berichten, die die Bundesregierung in den letzten Jahren vorgelegt hat, geht zum Beispiel hervor, daß - das ist mir aufgefallen die Sparkassen und die Volksbanken beinahe das Schlußlicht darstellen, wenn es darum geht, die Pfichtquote zu erfüllen. Was tut die Bundesregierung bzw. was hat sie sich vorgenommen, um die Arbeitslosigkeit bei den Schwerbehinderten zu bekämpfen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Dreßen, Ihre Frage geht ein Stück weit in die Richtung, die Herr Kolb bereits angesprochen hat. Ich weise darauf hin, daß wir keine gesonderten Befunde haben, aus denen etwa hervorginge, warum es bei Banken und Sparkassen so ist, wie es ist. Dazu werden keine Erhebungen durchgeführt. Wir kennen die Quote und können möglicherweise das eine oder andere Motiv vermuten, das einem hinter vorgehaltener Hand gelegentlich auch genannt wird. Als Beispiel nenne ich das Argument Publikumsverkehr. Diese Motivationen müssen aber nach meiner Auffassung nicht weiter erforscht werden. Umgekehrt müssen wir Anstrengungen unternehmen, die dazu führen, daß mehr Schwerbehinderte auch in diesen Bereichen beschäftigt werden. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß es sehr viele unterstützende und fördernde Maßnahmen gibt. Wir haben die Ausgleichsabgabe, und wir müssen uns anschauen, wie diese Ausgleichsabgabe sowie die Integrationshilfen - Beratungsinstrumente, Fachinformationsdienste u. ä. - in einer bestimmten Art und Weise effektiver gestalten kann. Dazu wollen wir im nächsten Jahr gesetzgeberische Schritte einleiten. Dabei kommt es darauf an, zu unterstützen, daß mehr Schwerbehinderte beschäftigt werden, und nicht so sehr darauf, Motivsuche zu betreiben, warum in bestimmten Bereichen die Quote nicht erfüllt wird. Entsprechende Befunde für den Bankenbereich liegen uns, wie gesagt, nicht vor. Ich weise auch noch darauf hin - das hätte ich schon in meiner Antwort auf die Frage von Herrn Kolb tun können -, daß es viele mittelständische und kleine Unternehmen gibt, die Behinderte beschäftigen und mit diesen Mitarbeitern sehr zufrieden sind. Sie grämen sich überhaupt nicht hinsichtlich der Frage, ob sie einen Behinderten, den sie einstellen, wieder loswerden. Es scheint also auch umgekehrt zu gehen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Dr. Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, ich empfinde es als außerordentlich erfreulich, daß sich die Bundesregierung jetzt im Rhythmus von vier bis sechs Wochen mit Behindertenfragen befaßt. Ich hoffe, daß dies so bleibt und daß es zum Nutzen der Menschen ist. Allerdings kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie seit einem Jahr formelhaft immer dieselben Worte benutzen. Was Sie heute gesagt haben, hat wieder einen verhältnismäßig geringen Neuigkeitswert. Ich nehme an, daß das auch den Kolleginnen und Kollegen im Kabinett nicht verborgen geblieben sein wird. Aber es nützt nichts, immer wieder zu sagen, man wolle die bestehenden Instrumente, also die Ausgleichsabgabe und die Beschäftigungspflichtquote, optimieren. Sagen Sie uns doch bitte, welche Überlegungen es in Ihrem Hause gibt, auf andere Methoden, hinsichtlich derer es durchaus positive Erfahrungen gibt, zurückzugreifen? Ich denke hier zum Beispiel an geschützte Betriebsabteilungen, die Menschen mit geringerer Qualifikation eine sehr gute Möglichkeit böten, ebenfalls in einem Segment des ersten Arbeitsmarktes arbeiten zu können. Man könnte damit auch höherqualifizierten Menschen mit Behinderung mehr Möglichkeiten bieten, erwerbstätig zu werden. Beispielsweise könnte man die Selbsthilfegruppen, die Beratungen durch Betroffene durchführen wollen, so ausstatten, daß sie dies leisten können, ohne jedes Jahr vor der Aufgabe zu stehen, sich neue Projekte ausdenken zu müssen, die dann vielleicht auf sehr wackeligen Füßen stehen. Gibt es in Ihrem Hause irgendwelche Überlegungen in diese Richtung? Wenn ja, wie weit sind sie gediehen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Seifert, zunächst einmal will ich Ihren Eindruck, den Sie hier vermittelt haben und den ich Ihnen nicht nehmen kann, ganz entschieden zurückweisen. Die neue Bundesregierung ist ein Jahr im Amt. Wir arbeiten mit Hochdruck an Eckpunkten zur Schaffung eines neuen SGB IX, die das Kabinett schon zur Kenntnis genommen hat. Ich habe eben vorgetragen, daß wir Maßnahmen vorbereiten, um insbesondere im Hinblick auf die Beschäftigungssituation von Behinderten unmittelbar gesetzgeberisch zu handeln, weil wir das für notwendig halten. Sie wissen auf Grund Ihrer Tätigkeit auf den entsprechenden Verbandsebenen, daß wir uns mit den Betroffenenverbänden, den Gewerkschaften und den Arbeitgebern in sehr konkreten Gesprächen darüber befinden, wie wir das Instrumentarium so weiterentwickeln können und zwar einvernehmlich -, daß es zu einer deutlichen Zunahme der Beschäftigung von Behinderten kommt. Es hat am vergangenen Freitag bei uns im Hause eine Gesprächsrunde des Beirates für die Rehabilitation der Behinderten gegeben, an der faktisch alle Behindertenverbände, die Gewerkschaften und die Arbeitgeber beteiligt waren. Dort haben wir im einzelnen folgende Fragen erörtert: Wie gehen wir mit der Ausgleichsabgabe um? Welche integrationsfördernden Instrumente können wir uns zusätzlich vorstellen? Wie können beispielsweise Pools gebildet werden, mit deren Hilfe man Behinderten einen erleichterten Zugang zur Beschäftigung gewähren kann? Ich bitte einfach um Verständnis dafür, daß ich jetzt nicht in der Lage bin, einzelne konkrete Positionen zu benennen. Ich kann Ihnen aber zusagen, daß wir unmittelbar zu Beginn des neuen Jahres handeln und entsprechende Maßnahmen auf den Weg bringen werden. Wenn Sie der Meinung sind, Sie würden immer nur die gleichen Formulierungen hören, dann kann ich Ihnen diese Einschätzung zwar nicht nehmen. Ich will Ihnen aber sagen, daß sie nicht zutreffend ist.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Dr. Seifert, bitte Ihre Nachfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, natürlich lese ich Ihre Dokumente sehr aufmerksam. Sie sagten selbst, daß ich an den Gesprächen zum Teil beteiligt bin. Aber das ist hier nicht die Frage.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Deshalb müßten Sie es aber besser wissen, Herr Abgeordneter.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Dennoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß immer nur gesagt wird, es müsse etwas verändert werden, daß eine Richtung aber nicht erkennbar ist. Das ist schon ein wenig problematisch. Sie haben leider auch meine Frage nach den geschützten Betriebsabteilungen und nach der Unterstützung von Selbsthilfegruppen nicht beantwortet. Ich möchte deswegen eine weitere Frage anschließen, weil ich davon ausgehe, daß Sie im Kabinett darüber geredet haben. Ich möchte gerne wissen, ob Sie in diesem Zusammenhang Ihre Kabinettskolleginnen und -kollegen auch darüber informiert haben, welche Möglichkeiten und Probleme es bezüglich der Arbeitsassistenz gibt. Es ist ja erwiesenermaßen so, daß viele Menschen mit Behinderung auch der Assistenz am Arbeitsplatz bedürfen. Wie könnte diese Assistenz geregelt werden?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Seifert, über das Thema Arbeitsassistenz ist im Kabinett nicht gesprochen worden. Zu Ihren anderen Fragen möchte ich Ihnen folgendes sagen - ich hoffe, Sie können diese Aussage auf Grund Ihrer politischen Erfahrung richtig einschätzen -: Wenn die Bundesregierung sagt, sie habe ein großes Interesse daran, Maßnahmen im Konsens mit allen Beteiligten auf den Weg zu bringen - nur so könne es funktionieren -, dann schließt das bestimmte Konstruktionen aus. Ich kann mir schlicht und einfach nicht vorstellen, daß wir beispielsweise auf gesetzgeberischem Wege zur Einrichtung von geschützten Betriebsabteilungen kommen. Aber ich kann mir vorstellen, daß wir in gemeinsamen Gesprächen zu ganz anderen Maßnahmen kommen können, die darauf hinauslaufen, eine deutlich bessere Beschäftigungsquote Behinderter zu erreichen. Hinsichtlich Ihrer Äußerung zu den Selbsthilfegruppen will ich nur darauf hinweisen, daß wir im Rahmen der Gesundheitsstrukturreform entsprechende Maßnahmen vorgesehen haben, um die Förderung von Selbsthilfegruppen zu verstärken und diese Gruppen zu unterstützen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Silvia Schmidt.

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie wissen, daß die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland besonders hoch ist. Ich hätte gerne ein paar Angaben: Wie sieht es mit den schwerbehinderten Arbeitslosen in Ost und West aus? Wo sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Zunächst will ich folgendes sagen: Die privaten Arbeitgeber haben im Bundesdurchschnitt eine Beschäftigungsquote von nur noch 3,4 Prozent, die öffentlichen Arbeitgeber eine Quote von 5,2 Prozent. ({0}) - Ich bedanke mich bei den Damen für den Hinweis. Der Bund ist mit einer Beschäftigungsquote von 6,6 Prozent vorbildlich. Bei den Ländern waren 1997 nur das Saarland mit 7,3 Prozent und Hessen mit 6,3 Prozent vorbildlich. Es gibt insofern - damit komme ich auf Ihre Frage zurück - deutliche Unterschiede zwiParl. Staatssekretär Gerd Andres schen Ost und West; das ist schon klar. Im Westen ist Bayern mit 4,8 Prozent Schlußlicht; im Osten - in den neuen Ländern ist es durchaus verständlich, daß das alles mit sehr viel größeren Schwierigkeiten verbunden ist - haben wir durchgängig niedrigere Quoten. 1997 war Sachsen mit 3,8 Prozent das Schlußlicht. Die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter hat insgesamt einen überdurchschnittlich hohen Stand erreicht. 1998 waren im Jahresdurchschnitt im Westen 17 Prozent arbeitslos; die allgemeine Arbeitslosenquote lag bei 9,3 Prozent. Im Osten betrug die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter 24,5 Prozent; die allgemeine Quote lag bei 18,1 Prozent. Es gibt also eine deutliche Differenz zwischen Ost und West, die auch am allgemeinen Arbeitsmarkt festzustellen ist, sich bei den Schwerbehinderten aber noch sehr viel deutlicher auswirkt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine zweite Frage, bitte, Frau Kollegin.

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, die Beschäftigungspflichtquote im Bund ist ja erfüllt; aber wir merken, daß der Anteil behinderter Beschäftigter sinkt. Müssen wir erwarten, daß er in den nächsten Jahren noch weiter zurückgeht und daß die Beschäftigungspflichtquote nicht mehr erfüllt wird?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich habe ja schon deutlich gemacht, daß wir im Vergleich der letzten Jahre feststellen können, daß die Quote im Bund leicht absinkt. Ich habe zugesagt, daß die Bundesregierung alle Maßnahmen ergreifen wird, um ein weiteres Absinken dieser Quote zu verhindern. Das ist kompliziert und schwierig, aber wir erklären das ausdrücklich zu unserer Zielsetzung.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Birgit Schnieber-Jastram, Ihre Frage bitte.

Birgit Schnieber-Jastram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002785, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie über spezielle Maßnahmen, über spezielle Initiativen in diesem Bereich nichts sagen konnten oder wollten, möchte ich zunächst die Frage stellen, ob Sie an einen grundsätzlichen Wechsel denken, also den Vorschlag diskutieren und auch in die Richtung gehen, den behinderten Mitmenschen ein Budget zur Verfügung zu stellen, anstatt sie auf bestimmte Leistungen zu verweisen.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Entschuldigung, das habe ich nicht ganz verstanden.

Birgit Schnieber-Jastram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002785, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Denken Sie darüber nach, den behinderten Mitmenschen ein Budget zur Verfügung zu stellen, damit sie sich aus diesem Budget eigenständig die Beschäftigungsmaßnahmen heraussuchen können, die sie für adäquat und sinnvoll halten? Meine nächste Frage betrifft die Gespräche, die Sie führen. Sind das interne Überlegungen? Gibt es - außer den Eckpunkten zum SGB IX - schon Gesetzesinitiativen, zu denen Sie bereits Verbände anhören? Was ist der Charakter der Gespräche, von denen Sie immer reden?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Zunächst zum zweiten Teil Ihrer Frage. Charakter der Gespräche ist, mit den Beteiligten Konsens herzustellen. ({0}) Denn unserer Erfahrung nach ermöglichen im Konsens gefundene Lösungen nicht nur, zu einer raschen gesetzgeberischen Umsetzung zu kommen. Vielmehr setzt sich das, was im Konsens gefunden wurde, auch in der Praxis besonders gut durch. Wir haben noch nicht über Gesetzesformulierungen geredet. Wie denn auch? Wir haben über bestimmte Vorstellungen geredet - das habe ich schon dreimal gesagt, und konkreter kann ich beim besten Willen nicht werden -, wie wir bestimmte Instrumente in der Art und Weise umgestalten, daß wir zu einer deutlich besseren Beschäftigungsquote bei Schwerbehinderten kommen. Zum ersten Teil Ihrer Frage möchte ich sagen: Wir sind nicht der Meinung, ihnen eigenständige Budgets zur Verfügung stellen zu sollen, damit sie losgehen und suchen können oder etwas anderes machen können. Das werden wir nicht tun.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Schnieber-Jastram, bitte. Ich möchte Sie alle daran erinnern, daß es noch ein paar Fragen zum Thema Ladenschluß gibt.

Birgit Schnieber-Jastram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002785, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich habe noch eine Nachfrage. Nachdem Sie weder über den Inhalt noch über den Charakter der Gespräche etwas Konkretes sagen können, sondern nur etwas Verschwommenes über das Ziel sagen, möchte ich gern wissen, ob Sie in zwei anderen Punkten konkret werden können, nämlich in der Frage: Wann sollen diese Gespräche abgeschlossen sein? und in der Frage: Stehen auch diese Maßnahmen unter einem Finanzierungsvorbehalt wie das SGB IX?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich will noch einmal darauf hinweisen: Ich habe hier schon eine ganze Menge gesagt. ({0}) Weil ich weder etwas über den Inhalt noch über den Charakter der Gespräche sagen kann, will ich Ihnen noch einmal darstellen: Am vergangenen Freitag hat in unserem Hause eine Runde getagt, und zwar der Beirat für die Rehabilitation der Behinderten unter Beteiligung der Behindertenverbände, der Gewerkschaften und der Arbeitgeber. Es ist das Ziel, zu rechtlichen Regelungen zu kommen - weil Sie sagen, ich würde nie etwas über das Ziel sagen -, mit denen die Beschäftigung Behinderter nachhaltig und deutlich gesteigert werden kann. Das ist das eine. ({1}) Das zweite ist: Sie haben gefragt, ob über konkrete Gesetzesformulierungen gesprochen worden ist. Nein, es ist nicht über konkrete Gesetzesformulierungen gesprochen worden, sondern wir haben darüber gesprochen, welche Möglichkeiten es gibt, beispielsweise die Ausgleichsabgabe so umzugestalten, daß sie als Instrument genutzt werden kann, um zu mehr Beschäftigung von Behinderten zu kommen. Ich habe weiter gesagt, daß wir die Absicht haben, unmittelbar gesetzgeberisch tätig zu werden. Wenn die Bundesregierung dazu eine Position hat, wird sie das dem Hause durch entsprechende Formulierungen selbstverständlich mitteilen. Man wird dann in der Lage sein, sich im einzelnen mit den Positionen zu befassen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Kurt Bodewig.

Kurt Bodewig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben von den Quoten gesprochen. Jetzt sind Quoten das eine, aber absolute Zahlen das andere. Mich würde interessieren, wieviel Schwerbehinderte wir haben und wieviel davon in Erwerbsarbeit sind. Mich würde weiter interessieren, ob es hier regionale Unterschiede gibt. Ich möchte die Frage stellen: Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Form von Produktion und industriellen Strukturen und der Anzahl der Schwerbehinderten in Beschäftigung?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich habe gerade nachgefragt, ob es eine Tabelle gibt, weil es hier um größere Zahlenwerke geht. Ich will zunächst einmal sagen: Wir haben die Situation, daß rund 8 Prozent der Bevölkerung Schwerbehinderte sind. Das sind rund 6,6 Millionen Menschen, von denen nach unseren Erkenntnissen rund 1,1 Millionen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Bundesweit haben wir 188 652 Schwerbehinderte, die im November 1999 arbeitslos waren. Das entspricht einer Quote von 17,6 Prozent. Ich bitte um Verständnis, daß ich Ihnen ihre Frage bezüglich regionaler oder industrieller Unterschiede so nicht beantworten kann. Diese Informationen kann man sehr gut dem Zahlenkonvolut, das mit dem Behindertenbericht vorgelegt wird, im einzelnen entnehmen. Über die Zahlen der Arbeitgeber, die sich nicht an dem Ganzen beteiligen, habe ich etwas gesagt. Auch über unsere Zielsetzung habe ich etwas gesagt. Ich bitte Sie um Verständnis, daß ich hier die ganzen Zahlen nicht darstellen kann.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es verbleiben uns jetzt noch fünf Minuten Regierungsbefragung. Ich möchte jetzt das Thema Ladenschluß aufrufen. Der Kollege Günter Rexrodt hat sich schon eine ganze Weile gemeldet.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär Andres, Sie haben eben den wegweisenden Satz gesagt: Die Bundesregierung sehe beim Ladenschluß keinen Handlungsbedarf. ({0}) Meine Frage ist: Haben Sie, bevor Sie diesen wegweisenden Satz gefunden haben, zur Kenntnis genommen, daß die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, daß 80 Prozent der befragten Verbraucher und daß die mittelständisch strukturierte Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, die immer eine andere Position hatte, jetzt dafür eintreten, daß es weitere Liberalisierungsschritte gibt? Haben Sie, bevor Sie diesen wegweisenden Satz gefunden haben, denn auch zur Kenntnis genommen, daß eine Aufhebung des Ladenschlußgesetzes dazu führen könnte, daß Länder und Kommunen ganz individuelle, auf die Gemeinde zugeschnittene Regelungen für die Öffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen finden könnten? Und haben Sie im übrigen bei Ihrer Aussage, die bisherige Liberalisierung habe keinen Beschäftigungseffekt gehabt, zur Kenntnis genommen, daß im Einzelhandel insgesamt ein Abbau der Beschäftigung stattfindet und daß eine verläßliche, wissenschaftlich fundierte Aussage, ob die Liberalisierung tendenziell mehr Beschäftigung und Umsatz geschaffen habe oder nicht, gar nicht möglich ist? Sind Sie bereit, ({1}) vor dem Hintergrund dieser Fakten sobald wie möglich in eine Prüfung der zusätzlichen Liberalisierung des Ladenschlusses einzutreten?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Rexrodt, ich bemühe mich immer, wegweisende Sätze zu formulieren. ({0}) Wenn Sie wahrgenommen haben, daß ich einen solchen formuliert habe, bin ich darüber sehr froh. Ich hoffe, das gelingt mir häufiger. Ich fange mit dem letzten Punkt an. Wenn Sie genau zugehört haben, haben Sie gemerkt, daß ich dargestellt habe, daß die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Ergebnisses der beiden Untersuchungen keinen unmittelbaren Handlungsbedarf sieht. Ich habe zweitens deutlich gemacht, daß die Bundesregierung mit den Beteiligten gesprochen hat. Dazu gehören auch die Verbände, die Sie genannt haben, ebenso die Länder, Gewerkschaften und Verbraucherschutzorganisationen. Ich habe deutlich gemacht, daß die Bundesregierung die Absicht hat, mit diesen Beteiligten weitere Gespräche zu führen, um möglicherweise zu Regelungen zu kommen. Ich habe übrigens auch gesagt, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß insbesondere der Sonn- und Feiertagsschutz für sie einen sehr hohen Wert darstellt. Es gab hier eben den Zwischenruf: „Der kommt nicht aus Berlin!“ Ich habe natürlich registriert, was in Berlin stattgefunden hat, und muß Ihnen sagen, daß es eine Reihe von Entwicklungen gegeben hat, die schlicht einen Rechtsbruch bedeuten. ({1}) Von daher ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß man in diesem Bereich tätig werden muß. Nun haben Sie Zahlen genannt. Sie kennen als ehemaliger Bundesminister natürlich auch die Gepflogenheit, daß die Häuser einen wunderbar präparieren. Ich kann die Zahlen, die Sie hinsichtlich der Verbraucher, die eine Änderung wünschen, genannt haben, nicht bestätigen. Mir sind dazu ganz andere Zahlen aufgeschrieben worden. ({2}) Wenn Sie in die beiden Gutachten schauen, werden Sie meine Zahlen dort finden. Die große Mehrheit der Verbraucher wünscht keine weitere Verlängerung der Ladenöffnungszeiten. 74 Prozent wünschen keine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten an den Werktagen Montag bis Freitag, 66 Prozent wollen keine längeren Öffnungszeiten an Samstagen. Da Sie den Handel angesprochen haben, will ich Ihnen sagen, daß sich eine überwiegende Mehrheit der Verkaufsstellen gegen eine weitere Verlängerung der Ladenöffnungszeiten an Werktagen ausspricht. Hinsichtlich der Werktage Montag bis Freitag sind dies rund 71 Prozent und hinsichtlich der Samstage 65 Prozent der Verkaufsstellen. Nun zu Ihrer ersten Frage, die ich selbstverständlich außerordentlich ernst nehme. Ich habe noch den damaligen Bundeswirtschaftsminister, Herrn Rexrodt, im Ohr, der bei der seinerzeitigen Gesetzesänderung glorreiche Zahlen an die Wand gemalt hat, wie sehr das der Beschäftigung im Einzelhandel dienen werde. Ich muß Ihnen leider sagen: Es sind die Gutachten, die Ihre Bundesregierung noch in Auftrag gegeben hat, die das Ergebnis gebracht haben, daß die Liberalisierung selbst keinerlei Beschäftigungseffekte zeige. Nun muß man zugestehen, Herr Rexrodt - ich gestehe das sehr wohl zu -, daß die Liberalisierung in einem Zeitraum stattgefunden hat, in dem sich der Einzelhandel in großen Strukturveränderungen befand. Diese Strukturveränderungen müssen natürlich auch in Relation zur Beschäftigungsentwicklung gesehen werden. Aber eines stimmt: Das große Ziel, mit dem Sie diese Liberalisierung angekündigt haben, daß sie nämlich zu deutlich mehr Beschäftigung führen würde, ist genau nicht erreicht worden. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eigentlich sind wir nun am Schluß der Regierungsbefragung. Angesichts der Tatsache, daß ich eine Unmenge von Wortmeldungen vorliegen habe, lasse ich jedoch jetzt noch die ersten zwei Fragen zu, und zwar der Kolleginnen Kopp und Nolte. Dann brechen wir die Regierungsbefragung ab, denn sonst steigert sie sich wirklich ins Unermeßliche. Ich bitte um kurze Fragen und auch um kurze Antworten, Herr Staatssekretär. Frau Kollegin Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, können wir uns darauf einigen, daß das Ifo-Gutachten im Ergebnis dem Bundestag die Aufhebung der bestehenden Ladenschlußzeiten an Werktagen empfiehlt? Sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Bundesregierung im Rahmen der Globalisierungsdebatte - wir werden darüber im Plenum heute noch sprechen - dem Image einer modernen, weltoffenen Gesellschaft gerecht werden muß? ({0}) Dazu gehört eben auch die freie Entscheidung über Ladenöffnungszeiten. ({1}) Ist es richtig, daß Bundeskanzler Schröder, wie es vor kurzem in der Presse dargestellt worden ist, derzeit keinen Handlungsbedarf sehe und über diese Frage im nächsten Frühjahr entscheiden wolle, bzw. wie sieht der Zeitplan der Bundesregierung im Hinblick auf die Lösung dieser gesamten Problematik aus?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich kann Ihnen zum einen bestätigen, daß im Ifo-Gutachten Empfehlungen gegeben werden, die jedoch unserer Auffassung nach durch die empirischen Befunde, die das Ifo-Gutachten liefert, in keiner Weise begründet und belegt sind. Ich kann Ihnen zum anderen sagen - das trage ich hier als Vertreter der Bundesregierung vor -, daß die Bundesregierung gegenwärtig unter Zugrundelegung der beiden vorliegenden Gutachten keinen unmittelbaren Handlungsbedarf für den Gesetzgeber sieht. Was Sie ansonsten im Hinblick auf den Bundeskanzler gefragt haben, kann ich nicht beantworten. Ich gebe hier Erklärungen für die gesamte Bundesregierung ab. - Frau Präsidentin, ich hoffe, meine Antwort ist damit ausreichend kurz.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine letzte Frage von der Kollegin Claudia Nolte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie uns hier darstellen, welche Auffassung das Wirtschaftsministerium zu dem Thema Ladenöffnungszeiten an Werktagen in Wirklichkeit hat?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich kann Ihnen hier erklären, was die abgestimmte Position der Bundesregierung ist. Die habe ich soeben vorgetragen. Auf der Basis dieser Position hat die Bundesregierung die beiden Berichte zur Kenntnis genommen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Regierungsbefragung ist beendet. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 14/2325 Die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Dr. Martin Mayer zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit werden schriftlich beantwortet. Ebenso schriftlich beantwortet werden die Fragen 3 und 4 des Kollegen Hans-Joachim Otto zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Lothar Ibrügger zur Verfügung. Die Frage 5 des Kollegen Börnsen wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 6 der Abgeordneten Anke Hartnagel, SPD, auf: Inwieweit ist die Bundesregierung tätig geworden, um auch vor der Veröffentlichung des Abschlußberichtes zum „Pallas“Unglück bereits Maßnahmen zu ergreifen, die die Sicherheit in Nord- und Ostsee erhöhen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Frau Kollegin Hartnagel, die Bundesregierung hat nach dem Unfall der „Pallas“ Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit in Nord- und Ostsee zu erhöhen. Von den im Bericht des BMVBW „Havarie des Frachters ,Pallas‘ in der Nordsee - Bergung, Schadensbegrenzung und Bekämpfung der Ölverschmutzung“ vom 8. März 1999 enthaltenen Schlußfolgerungen wurden einige umgesetzt bzw. wurde deren Umsetzung eingeleitet: Erstens. Der Chartervertrag des Hochseeschleppers „Oceanic“ wurde bis zum Frühjahr 2000 verlängert. Zweitens. Die Einsatz- und Alarmpläne wurden von der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes überarbeitet. Drittens. Der Abstimmungsprozeß hinsichtlich des verbesserten Zusammenwirkens der Küstenländer und des Bundes beim Unfallmanagement in der Küstenregion steht vor dem Abschluß. Viertens. Technische und organisatorische Maßnahmen: Der Notschleppeinsatz und die Dienstanweisung der Ortsinstanzen der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung wurden entsprechend ergänzt. Zur Zeit steht eine mit den Niederlanden abzuschließende Verwaltungsvereinbarung über die gegenseitige Unterstützung auf dem Gebiet der Notschleppkapazität vor dem Abschluß. Schleppgeschirr: Im Frühjahr 1999 wurden die Mehrzweckschiffe „Mellum“ und „Neuwerk“ der Wasserund Schiffahrtsverwaltung mit leicht handhabbaren, schwimmfähigen und hochfesten Schleppleinen ausgerüstet. Allwettertaugliche Hubschrauber: Ein Vertrag mit einer Privatfirma über den Einsatz von Hubschraubern wird zur Zeit vorbereitet. Zusätzliche Mannschaften: Der Chartervertrag für den Hochseeschlepper „Oceanic“ ist um die Bereitstellung zusätzlichen Personals als Bergemannschaft an Bord ergänzt worden. Wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin, möchte ich die zweite Frage gleich mit beantworten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Dann rufe ich auch Frage 7 auf: Zu welchen Ergebnissen ist die vom Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen eingerichtete Expertenkommission zur Untersuchung der „Pallas“-Havarie bisher gekommen, und bis zu welchem Zeitpunkt ist mit einem Abschlußbericht zu rechnen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Über den Inhalt des Abschlußberichtes der unabhängigen Expertenkommission über die Havarie der „Pallas“ sowie über die Art der zu erwartenden Empfehlungen ist noch nichts bekannt. Der Abschlußbericht mit den Empfehlungen wird dem Bundesministerium für Verkehr, Bauund Wohnungswesen Ende Februar 2000 vorgelegt werden, Frau Kollegin Hartnagel.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur ersten Zusatzfrage, Frau Kollegin Hartnagel, bitte.

Anke Hartnagel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003138, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung meiner beiden Fragen. Sie haben eben vieles dargestellt. Ich habe eine Zusatzfrage. Die Kommandostrukturen und die Kompetenzaufteilung haben sicherlich zum Teil zu Problemen geführt. Inwieweit ist die Bundesregierung der Meinung, daß eine bundesdeutsche oder sogar eine europäische Küstenwache sinnvoll wäre?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Frau Kollegin, die Bundesregierung will im Lichte der Empfehlungen der unabhängigen Kommission auch schlußfolgern, wie die Zusammenarbeit noch besser organisiert werden kann. Der Kern Ihrer Frage berührt allerdings ein ganzes Bündel unterschiedlichster Bereiche: verfassungs-, staats- und völkerrechtliche Fragestellungen, aber auch Fragestellungen zum Verhältnis zwischen den Ressorts - allein bei der Bundesregierung sind fünf Ressorts be7130 teiligt - sowie zum Verhältnis zu den Ländern und deren Ressorts. Darauf kann ich Ihnen heute auf Anhieb keine Antwort geben. Dies wird im Lichte der Empfehlungen der Kommission von Parlament und Regierung zu erörtern sein. Im Grundsatz zielen wir darauf ab - das habe ich gerade schon am Beispiel Niederlande beschrieben -, mit Dänemark und den Niederlanden, gleichzeitig aber auch mit dem gesamten Ostseeraum zu ähnlichen Vereinbarungen bzw. Verbesserungen zu kommen, wie wir es im Westen eigentlich schon gewohnt waren. Hier gilt es aber, noch Ergänzungen vorzunehmen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Haben Sie eine zweite Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Es gibt aber noch eine Zusatzfrage des Kollegen Hans-Michael Goldmann. Bitte.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben zu Recht gesagt, daß man für viele Antworten zunächst den Abschlußbericht abwarten muß. Sie sagten auch, daß dieser Ende Februar vorliegen wird. Bis man aber Schlüsse aus diesem Bericht ziehen kann, wird sicherlich noch ein bißchen Zeit ins Land gehen. Ist sichergestellt, daß der Hochseeschlepper „Oceanic“ über den von Ihnen genannten Zeitraum hinaus zur Verfügung steht, um eine gewisse Sicherheit in diesem Seeraum zu gewährleisten?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Kollege Goldmann, es wird sichergestellt, daß die Notschleppkapazität in der Deutschen Bucht vorgehalten wird. Wir sind gegenwärtig dabei - Sie kennen ja den Charterzeitraum für die „Oceanic“; die Charter läuft im April aus -, europaweite Ausschreibungen vorzubereiten, um eine Anschlußregelung zu gewährleisten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Da die Fragen 8 und 9 des Kollegen Dehnel schriftlich beantwortet werden, rufe ich jetzt die Frage 10 des Kollegen Klaus Hofbauer auf: Warum hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen untersagt, die Haushaltsansätze beim Bundesfernstraßenbau bei Hauptbautiteln für den Straßenbau aus den Ansätzen für nicht einzeln im Bundeshaushalt veranschlagte Kleinmaßnahmen zu verstärken?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Hofbauer, es gibt keine Vorgabe seitens des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen an die Bundesländer, nach der die Haushaltsansätze der Hauptbautitel „Bedarfsplanmaßnahmen“ im Rahmen der haushaltsmäßigen Deckungsfähigkeit des Bundesfernstraßenhaushaltes - Kapitel 1210 - nicht verstärkt werden dürfen. Die Möglichkeiten hierzu sind jedoch auf Grund des zunehmenden Mittelbedarfs für die Erneuerung und Instandsetzung des vorhandenen Bundesfernstraßennetzes eingeschränkt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hofbauer, haben Sie eine Zusatzfrage? - Nein. Die Frage 11 des Kollegen Hollerith wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Wir kommen jetzt zur Frage 12 des Kollegen Gehb: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß mögliche Landesbürgschaften für den Transrapid als EU-rechtlich unzulässige Beihilfen anzusehen sind ({0}), und wenn nicht, wie begründet sie dies?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Gehb, der Bund hat mehrfach erklärt, daß er zu seiner Zusage, für den Bau der Transrapidtrasse einen Betrag von 6,1 Milliarden DM bereitzustellen, steht. Angesichts der zu erwartenden höheren Kosten haben einige Bundesländer ihr Interesse bekundet, die Finanzierung durch eigenes Engagement sicherzustellen. Das Konzept für die Beteiligung einiger Bundesländer an der Gesamtfinanzierung des Mangnetschnellbahnprojektes Berlin-Hamburg ist der Bundesregierung noch nicht bekannt. Sollte es sich dabei um Länderbürgschaften handeln, wird möglicherweise der EU-rechtliche Beihilfetatbestand erfüllt. Durch ein Notifizierungsverfahren bei der EU-Kommission wäre dann eventuell festzustellen, ob die Beihilfe auf Grund eines entsprechenden Ausnahmetatbestandes mit dem EU-Recht vereinbar ist.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Gehb, bitte, zur Zusatzfrage.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe in einer Presseerklärung gelesen, daß der Verkehrsminister Klimmt den Vorstoß der Länder begrüße. Die Grünen halten diesen Vorstoß für unglaublich, der Minister begrüßt ihn aber gleichzeitig. Wie wollen Sie vor diesem Hintergrund eigentlich den von Ihnen eben wieder bekundeten Willen, das Projekt Transrapid nicht sterben zu lassen, mit einem Partner realisieren, der geradezu der Totengräber dieses Projektes ist?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Gehb, das bleibt jetzt der weiteren Erörterung dieses Projekts vorbehalten. Sie wissen, daß Bundesminister Klimmt die Partner zu einem Gespräch eingeladen hat und daß man sich darauf verständigt hat, daß im Frühjahr alle Beteiligten, nämlich Betreiber, Industrie und Bundesregierung, erneut ihre Schlüsse ziehen, ob dieses Projekt zu verwirklichen ist. Aber an unserer Absicht halten wir fest. Es sind drei Partner beteiligt, die jeder für sich in eigener Verantwortung ihre Entscheidung zu treffen haben. Die Bundesregierung hat sich erklärt. Es ist jetzt an den anderen Partnern, sich gleichfalls zu erklären.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Gehb, die zweite Zusatzfrage, bitte.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund der Hilfe für Holzmann frage ich Sie: Wie sehen Sie die Einschätzung der Grünen in ihrer Presseerklärung, daß sie das Ganze für einen unglaublichen Vorgang hielten, daß private Projekte öffentlich auf diese Art und Weise gefördert werden sollten?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Gehb, zu Pressemitteilungen von Kolleginnen und Kollegen der Grünen gebe ich für die Bundesregierung keine Erklärung ab.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Goldmann, bitte.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, zu dem angestrebten Koordinierungsgespräch, das Sie im Hinblick auf die Transrapidfinanzierung ansprachen: Sind dabei auch die bürgschaftgebenden Länder beteiligt, zum Beispiel Hessen, um die Bürgschaft Realität werden zu lassen, wenn sie sich als notwendig erweist?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Goldmann, angesichts der von Ihnen angesprochenen Länder, die mit diesem Projekt seit vielen Jahren sehr vertraut sind, bin ich sicher, daß sie sich in den direkten Gesprächen mit dem Betreiber, also dem Konsortium, der Industrie, aber auch der Deutschen Bahn AG informiert haben. Sie sind nicht unmittelbar beteiligt. Wir warten ab, welches Konzept die Bundesländer, die ja ein Sondierungsverfahren begonnen haben, ob und in welcher Weise sie sich beteiligen könnten, ausarbeiten. Diese Frage zu beantworten ist aber jetzt verfrüht, weil wir dieses Konzept bisher nicht kennen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Goldmann, es ist immer nur eine einzige Zusatzfrage für den möglich, der nicht die ursprüngliche Frage gestellt hat. Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Koschyk sowie die Fragen 15 und 16 des Kollegen Hohmann zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes werden schriftlich beantwortet. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär, Fritz Rudolf Körper, zur Verfügung. Die Frage 17 des Abgeordneten Uhl und die Frage 18 des Kollegen Gerald Weiß werden schriftlich beantwortet. Ich rufe jetzt die Frage 19 des Kollegen Norbert Hauser auf. Wie hoch wäre die finanzielle Mehrbelastung des Bundes, die sich aus der vollständigen Angleichung der Besoldung und der Gehälter für die Beamten und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes des Bundes mit Dienstsitz in Berlin an das Besoldungsund Vergütungsniveau in den alten Bundesländern ergeben würde, und sind der Bundesregierung Zahlen für das Bundesland Berlin bekannt, aus denen sich ein unterschiedlicher Preisstandard für den West- und Ostteil der Stadt ergibt, der eine unterschiedliche Bezahlung der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes des Bundes in Berlin rechtfertigt?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Hauser, ich antworte wie folgt: Die finanzielle Gesamtbelastung der vollen Anpassung des Tarifgebietes Ost, nach der Sie fragen, würde nach unseren Schätzungen rund 9 Milliarden DM betragen. Davon entfielen ungefähr 700 Millionen DM auf den Bund. Allein für Berlin würden sich für den Bund zusätzliche Kosten in Höhe von zirka 100 Millionen DM ergeben. Das Preisniveau ist für die weitere Anpassung der Bezahlung in Ostdeutschland nach unserer Auffassung nicht der ausschlaggebende Faktor. Entscheidend ist die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im gesamten Tarifgebiet Ost. Nur in diesem Rahmen kann innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes eine weitere Anpassung der Gehälter und Löhne erfolgen. Bekanntlich liegt das Niveau der Effektivlöhne im Osten im gewerblichen Bereich bei zirka 75 Prozent der Westbezahlung. Es darf auch nicht übersehen werden, daß Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes im Osten derzeit netto - darauf dürfte es ankommen - durchschnittlich 95 Prozent ihres Gehaltes verbleiben. Wenn man also einen Vergleich herstellt, muß man immer die Differenz zwischen Brutto- und Nettolohn beachten. Das liegt an den geringeren Abzügen insbesondere durch die Zusatzversorgung. In Einzelfällen werden heute bereits 100 Prozent überschritten. Bei Beamtinnen und Beamten liegen die Nettobeträge steuerlich bedingt ebenfalls über 86,5 Prozent, nämlich bei durchschnittlich rund 90 Prozent.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Hauser, eine Zusatzfrage, bitte.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt - weder im gesamten Gebiet der neuen Bundesländer noch in Berlin -, eine Angleichung vorzunehmen? Daran möchte ich die Frage anknüpfen: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, daß die Unterschiede in der Bezahlung in Berlin - denen die Mitarbeiter des Bundestages dadurch entgangen sind, daß wir eine Westadresse haben -, in denselben Büros, am selben Schreibtisch, zu Reibungsverlusten, also zu negativen Auswirkungen auf das Arbeitsklima, geführt haben?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Hauser, zu Ihrer letzten Frage kann ich sagen: Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, daß dies zu „Reibereien“ geführt hätte. Daß dies im Einzelfall eine unbefriedigende Situation sein kann, brauche ich Ihnen nicht näher zu erläutern. Da sprechen die Tatsachen eine deutliche Sprache. Ich glaube, es ist wichtig, in dem Zusammenhang Ihrer ersten Frage darauf hinzuweisen, daß das nicht nur und nicht in erster Linie eine Frage des Bundes und der Bundesregierung ist. Deswegen haben Sie ja auch nach den Fakten gefragt, und ich habe Ihnen diese genannt: Es würde sich um eine Größenordnung von 9 Milliarden DM handeln, wobei 8,3 Milliarden DM auf die Bundesländer und die Gemeinden entfallen würden. Von diesem Aspekt her ist dies für den Bund das kleinere Problem. Ich wäre ganz dankbar, wenn Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen ermuntern könnten, beispielsweise im Landtag von Sachsen eine ähnliche mündliche Anfrage zu stellen. ({0}) Denn Sie kennen die Stellungnahmen aus diesen Ländern. Sie machen die Schwierigkeit deutlich. Letztendlich wird diese Frage bei den Tarifverhandlungen eine Rolle spielen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Zusatzfrage des Kollegen Peter Dreßen.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten hätte denn die alte Bundesregierung gehabt, diese Angleichung vorzunehmen? Können Sie mir sagen, warum die alte Regierung das nicht verwirklicht hat, jetzt aber nach 13 Monaten diese Forderung stellt? Gibt es dafür irgendwelche Beweggründe?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Lieber Herr Kollege Dreßen, ich habe den Eindruck, daß manche Forderung ganz wesentlich dadurch beeinflußt ist, welche Rolle man nun einnimmt. Sie haben völlig recht: Es gäbe dieses Problem nicht, wenn die alte Bundesregierung es beseitigt hätte.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt kommen wir zur Frage 20 des Kollegen Norbert Hauser: Hält es die Bundesregierung für politisch sinnvoll, für die Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes in Berlin eine unterschiedliche Bezahlung vorzunehmen, obwohl das Land Berlin bereits 1995 auf diese Trennung verzichtet hat?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Hauser, es ist unzutreffend, daß das Land Berlin seinen Beamten und Arbeitnehmern jeweils 100 Prozent Westbezüge zahlt. Vielmehr gilt auch für das Land Berlin die 2. Besoldungs-Übergangsverordnung, wonach den 13 000 Beamtinnen und Beamten im Ostteil Berlins 86,5 Prozent gezahlt werden. Berlin zahlt seinen Arbeitnehmern im Osten seit Oktober 1996 100 Prozent. Berlin wurde wegen dieser Entscheidung - ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist - aus den Arbeitgeberverbänden ausgeschlossen. ({0}) - Es ist so, wie ich es gesagt habe, Kollege Niebel.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Nachfrage des Kollegen Hauser, bitte.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, könnte die Tatsache, auf die der Kollege Dreßen hingewiesen hat - daß die alte Bundesregierung eine entsprechende gesetzliche Regelung nicht vorgelegt hat -, auch damit zusammenhängen, daß sich der Umzug von Bonn nach Berlin erst im Laufe dieses Jahres vollzogen hat und daß sich die Probleme am Arbeitsplatz Berlin erst in diesem Jahr gestellt haben? ({0})

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Das kann ich verneinen; denn das Problem, das sich durch den Umzug stellt, war bekannt. Ich weise noch einmal mit Ernst darauf hin, daß das Ganze nicht nur eine Frage der Bundesregierung ist, sondern ganz wesentlich auch der anderen Beteiligten, insbesondere der betroffenen Bundesländer und Gemeinden. Einen solchen Beschluß, wie den des Landes Berlin 1996, zu fassen ist relativ einfach, vor allem, wenn man andere heranziehen will, um diese Entscheidungen und Beschlüsse zu finanzieren.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Hauser, bitte noch eine Zusatzfrage.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, müssen wir davon ausgehen, daß die Bundesregierung - abgesehen von dem Hinweis, wir möchten in gewissen Landtagen ähnliche Anfragen stellen - ihrerseits keine Versuche unternimmt, um dieses Problems Herr zu werden, und auch nicht darüber nachdenkt, auszuloten, ob es möglicherweise Sonderregelungen auf diesem Sektor speziell für Berlin geben könnte, da dieses Problem speziell bei den Mitarbeitern des Bundes in Berlin auftaucht?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Hauser, wenn ich mich richtig erinnere, gibt es eine Frage zu der besonderen Situation Berlins. Ich denke, eine isolierte Entscheidung in dieser Frage ausschließlich für Berlin wäre ein falscher Weg. Wir müssen vielmehr die Entwicklung in dem gesamten Bereich beobachten. Ich bin mir sicher - das werden Sie genausogut wissen wie ich -, daß dies bei den anstehenden Tarifverhandlungen eine Rolle spielen wird. Ich sage noch einmal ganz deutlich: Wir spielen hier nur eine Rolle im Zusammenhang mit der finanziellen Belastung insgesamt. Die Fakten und Zahlen sprechen hier eine klare Sprache. Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Köper

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wir kommen jetzt zu den Fragen 21 und 22 des Kollegen Siegfried Helias. Der Kollege ist nicht im Saal. Ich rufe die Frage 23 der Abgeordneten Edeltraut Töpfer auf: Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, dass bereits Probleme in den Bundesministerien und -behörden aufgrund der unterschiedlichen Bezahlung zwischen den Kollegen aus den neuen und alten Bundesländern auftreten?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Diese Frage habe ich im Grunde genommen schon vorhin im Dialog mit dem Kollegen Hauser beantwortet. Ich will es hier aber noch einmal deutlich sagen: Probleme bei der fachlichen und persönlichen Zusammenarbeit zwischen Kolleginnen und Kollegen aus den alten und den neuen Ländern auf Grund der derzeit unterschiedlichen Gehälter sind der Bundesregierung nicht bekannt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Zusatzfrage der Kollegin Töpfer, bitte sehr.

Edeltraut Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003245, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist geplant, hinsichtlich der Bundeswehr im Verteidigungshaushalt Änderungen in Richtung einer Angleichung vorzunehmen? Dort sind die Unterschiede ganz massiv. Teilweise bekommen die gleichen Bundeswehrsoldaten von heute auf morgen unterschiedliche Gehälter, je nachdem, wo sie stationiert sind. Wie sieht das in diesem Bereich aus?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Hinsichtlich der Auslandseinsätze im Bereich der Bundeswehr haben wir eine Klärung herbeigeführt. ({0}) - Nein. Herr Hauser, ich habe gesagt, was geregelt ist. Im übrigen verweise ich darauf, Frau Kollegin Töpfer, daß alle Regelungen ausschließlich für diesen Bereich im Grunde genommen in eine Sackgasse führen müssen. Wir müssen das Problem in Gänze beobachten. Wir müssen es mit den Tarifpartnern besprechen. Wir müssen auch eines deutlich machen, nämlich daß wir gerade im öffentlichen Dienst nicht auf einer Insel der Glückseligen leben.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Norbert Geis auf: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung hinsichtlich des Verdachtes auf Verstoß gegen Geheimhaltungsvorschriften im Zusammenhang mit Entscheidungen des Bundessicherheitsrates seit der Behandlung in der Fragestunde vom 3. November 1999 ({0}) ergriffen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Geis, Sie haben zu diesem Themenkomplex mehrere Fragen gestellt. Ich bin leider nur für eine Frage zuständig, die ich Ihnen ganz kurz beantworten möchte: Im Rahmen einer vertraulichen Sitzung haben sich die Beteiligten erneut über essentielle Grundsätze der Verschlußsachenanordnung, abgekürzt VSA, verständigt. Wegen der Vertraulichkeit der Sitzung sind mir Angaben zu weiteren Maßnahmen nicht möglich. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Professor Dr. Eckhart Pick zur Verfügung. Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Norbert Geis auf: Ist mit dem Verdacht des Geheimnisverrats im Zusammenhang mit Entscheidungen des Bundessicherheitsrates wegen Kriegswaffenexporten inzwischen eine Staatsanwaltschaft befaßt?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege Geis, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß eine Staatsanwaltschaft bereits damit befaßt ist. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Dann rufe ich die Frage 26 des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten auf: Welches ist im Hinblick auf den Verdacht auf Verstoß gegen Geheimhaltungsvorschriften im Zusammenhang mit Entscheidungen des Bundessicherheitsrates der für eine etwaige Erteilung der Verfolgungsermächtigung gemäß § 353b Strafgesetzbuch ({0}) zuständige bzw. federführende Bundesminister?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege von Stetten, ich darf folgendermaßen antworten: Zuständig für die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 353 b Abs. 4 des Strafgesetzbuches ist die oberste Bundesbehörde, in deren Bereich der Täter bei Erlangung des Geheimnisses tätig war. Auf die Herkunft des Geheimnisses oder die Dienstherreneigenschaft zur Zeit der Tat kommt es nicht an. Vielmehr wird darauf abgestellt, welcher Behörde gegenüber die Verpflichtung zur Geheimhaltung besteht. Diese Zuständigkeit für die Erteilung der Ermächtigung bleibt auch bestehen, wenn der Täter aus dem Dienst ausscheidet oder in einen anderen Dienstbereich wechselt. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe die Frage 27 des Kollegen von Stetten auf: Sieht die Bundesregierung im Falle des Verdachtes eines Verstoßes gegen § 353 b StGB in diesem Zusammenhang die Verpflichtung, dem Verdacht einer Straftat nachzugehen bzw. nachgehen zu lassen?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege von Stetten, zuständige Verfolgungsbehörde im Falle des Verdachts einer Straftat ist die Staatsanwaltschaft, die dem Legalitätsprinzip verpflichtet ist. Die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens ist von Amts wegen möglich. Ist der Täter unbekannt, kann die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zunächst ohne die Verfolgungsermächtigung nach § 353b Abs. 4 StGB aufnehmen. ({0}) Gerät eine bestimmte Person in Verdacht, ist die Ermächtigung von Amts wegen bei der zuständigen obersten Bundesbehörde einzuholen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Zusatzfrage bitte, Herr Kollege von Stetten.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, hat die Bundesregierung irgend etwas unternommen, daß Ermittlungen eingeleitet wurden, vielleicht eine Anzeige gegen Unbekannt oder ähnliches?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Mir ist nicht bekannt, daß die zuständige oberste Bundesbehörde in dieser Angelegenheit in der von Ihnen angesprochenen Weise tätig geworden ist.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nicht nach der obersten Bundesbehörde gefragt, sondern ob die Bundesregierung als solche irgendwelche Maßnahmen ergriffen hat.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Ich darf Sie noch einmal auf den Wortlaut des § 353b Abs. 4 des Strafgesetzbuches hinweisen. Dort ist von der obersten Bundesbehörde die Rede. Diese ist zuständig, nicht die Bundesregierung als solche. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barabara Hendricks zur Verfügung. Die Fragen 28 und 29 des Kollegen Hinsken werden schriftlich beantwortet. Deshalb rufe ich jetzt die Frage 30 des Kollegen Hofbauer auf: Ist der Vertrag zwischen der Republik Tschechien und der Bundesrepublik Deutschland über den Bau einer zweiten Straßenbrücke am Grenzübergang Furth i. W. abgeschlossen und, wenn ja, wann ist mit dem Beginn der Baumaßnahme zu rechnen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Hofbauer, der Vertrag ist noch nicht unterzeichnet. Der deutsche Gegenentwurf, der im wesentlichen mit dem tschechischen Vorentwurf identisch ist, wurde dem tschechischen Ministerium für Verkehr und Fernmeldewesen Anfang November dieses Jahres übermittelt. Im Interesse eines frühestmöglichen Baubeginns der Grenzbrücke sollen die Bestimmungen des Vertrags bereits ab dem Tag seiner Unterzeichnung und damit noch vor seinem Inkrafttreten nach Maßgabe des jeweiligen innerstaatlichen Rechts vorläufig angewandt werden. Soweit die tschechische Seite dem deutschen Vorschlag zustimmt, eine etwa noch erforderliche Expertenbesprechung auf den Sprachenvergleich zu beschränken, wäre die Vertragsunterzeichnung kurzfristig möglich.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Hofbauer, bitte, Ihre Zusatzfragen.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie stimmen mir, glaube ich, zu, daß es hier ganz erhebliche Verzögerungen gibt, die unverständlich sind. Können Sie mir die Verzögerungen sagen und die Hintergründe aufzeigen, warum es so lange dauert, diesen Vertragsabschluß zu vollziehen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Zunächst, Herr Kollege Hofbauer, kann ich Ihnen sagen, daß wir davon ausgehen, daß das Bauvorhaben noch im Jahre 2000 fertiggestellt wird. Es gab aber Probleme mit dem Arbeitsrecht der tschechischen und der deutschen Seite. Es hat Abstimmungsnotwendigkeiten zwischen der tschechischen und der deutschen Seite gegeben, welches Arbeitsrecht auf welcher Seite wie angewandt werden sollte. Das hat zu diesen Verzögerungen geführt. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Gudrun Kopp auf: Auf welche Artikel ({0}) des EG-Vertrages hat sich die Bundesregierung in ihrem Schreiben an die EU-Kommission im Zusammenhang mit der Sanierung der Philipp Holzmann AG berufen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Kopp, die Bundesregierung hat eine Genehmigung der für die Philipp Holzmann AG vorgesehenen Beihilfen auf der Grundlage des Art. 87 Abs. 3c des EG-Vertrages in Verbindung mit den Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten beantragt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollegin Kopp, Ihre Zusatzfragen, bitte.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, gibt es bestimmte Auflagen - Sie zitierten eben einen Artikel -, die mit einer solchen Genehmigung verbunden sind, und, wenn ja, würden Sie uns diese bitte nennen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, in dem Artikel heißt es folgendermaßen: Als mit dem gemeinsamen Markt vereinbar können angesehen werden Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Das ist die Grundsatzbedingung, die beachtet werden muß.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zweite Zusatzfrage, Kollegin Kopp, bitte.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Beurteile ich es richtig, daß dieser Artikel, auslegungsfähig ist: Was ist zur Unterstützung nötig oder was nicht? Ist das also, wie man salopp sagen könnte, ein Gummiparagraph?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Es ist natürlich kein Gummiparagraph, aber wie jeder Rechtsgegenstand ist er natürlich auslegungsfähig. Die Notifizierung, die die Bundesrepublik Deutschland über ihre Ständige Vertretung am 10. Dezember der EU-Kommission zugeleitet hat, ist als Umstrukturierungsbeihilfe angemeldet worden, was im Rahmen des von mir eben genannten Artikels des EG-Vertrages möglich ist.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Solms, eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, wie wird die Bundesregierung darauf reagieren, wenn - was nicht ganz unerwartet wäre - die Europäische Kommission Einwendungen gegen diese Art der Subventionierung eines Einzelbetriebes hat?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Solms, zunächst gibt es dieses Instrument der Umstrukturierungsbeihilfe ja ausdrücklich, und die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß es sich in diesem Zusammenhang eben um eine solche handelt und daß es deswegen auch genehmigungsfähig ist. Selbstverständlich ist nicht vollständig auszuschließen, daß die EU-Kommission zu einer anderen Auffassung kommt. Die Notifizierung läuft ja, wie Sie wissen, immer so, daß zunächst angemeldet wird und die EUKommission natürlich noch Rückfragen stellen und auch weitere Bedingungen formulieren kann, so daß die Bundesregierung in diesem Fall dann dazu veranlaßt wäre, die weiteren Rückfragen der EU wohl hoffentlich zur vollständigen Zufriedenheit zu beantworten. Deswegen sind wir zuversichtlich, daß die Genehmigung am Abschluß dieses Verfahrens stehen wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, können Sie vielleicht einmal an einem Beispiel aus Vergleichsfällen im europäischen Raum darlegen, welcher Art solche Auflagen sein könnten?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Goldmann, es tut mir leid, ich kann aus dem Kopf Vergleichsfälle aus dem europäischen Raum nicht zitieren. Ich bin aber gerne bereit, jedenfalls zu versuchen, dies beizutragen, sofern uns solche Vergleichsfälle zugänglich sind.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wir kommen zur Frage 32 der Kollegin Gudrun Kopp. Liegt mittlerweile eine Genehmigung der EU für die Subventionen der Bundesregierung an die Philipp Holzmann AG vor, und wann ist mit einer Zustimmung der EU zu rechnen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Kopp, eine Genehmigung der Europäischen Kommission hinsichtlich der in Aussicht gestellten Hilfen des Bundes liegt bis jetzt nicht vor. Die Bundesregierung hat die nach europäischem Recht erforderliche Anmeldung der Beihilfen in der letzten Woche - ich sagte es eben schon -, am 10. Dezember, bei der Europäischen Kommission eingereicht. Die Bundesregierung wird alle Anstrengungen unternehmen, um der Europäischen Kommission eine möglichst rasche Entscheidung zu ermöglichen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Zusatzfrage, bitte, Frau Kollegin.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Stimmen Sie der Beurteilung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank zu, der gesagt hat, daß diese Unterstützung der Philipp Holzmann AG eine Belastung für den Euro darstellen könnte?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ich will die Aussagen des Präsidenten der Europäischen Zentralbank in diesem öffentlichen Raum nicht werten. Es ist, glaube ich, eine gute Übung, wenn sich Politiker mit Wertungen der Äußerungen von Vertretern entweder der Nationalbanken oder jetzt der Europäischen Zentralbank zurückhalten, aber umgekehrt wäre es sicher genausogut.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollegin Kopp, zweite Zusatzfrage.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine zweite Frage, die Sie sicher aus Ihren eigenen Reihen beantworten können: Ist die Bundesregierung auch im nachhinein der Ansicht, daß diese zugesagte Beihilfe erforderlich war, oder sehen Sie nicht im Rückblick auch, daß es die Möglichkeit gegeben hätte, die jetzt in Rede stehenden Gelder im Rahmen des Sanierungsplans von Banken oder anderen Geldgebern aufzubringen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ich will, Frau Kollegin Kopp, nicht vollständig ausschließen, daß dies hätte möglich sein können - wir reden da sehr im Konjunktiv -, aber die Bundesregierung ist auch zum jetzigen Zeitpunkt davon überzeugt, daß die von ihr ergriffenen Maßnahmen richtig und zielführend sind. Sie hat gerade durch ihre Bereitschaft signalisiert, daß sie den Banken nicht zuviel zumuten will. Es ist überhaupt nicht von der Hand zu weisen, daß die Banken in großem Umfang zur Sanierung des Konzerns beitragen. Die Bundesregierung wollte ihrerseits das notwendige Signal nicht verweigern.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Solms, eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Hinsichtlich Ihrer Bewertung bzw. Nichtbewertung der Aussagen des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, möchte ich Sie fragen, ob Sie es für einen reinen Zufall halten, daß im Zusammenhang mit der Intervention des Bundeskanzlers zugunsten der Sanierung eines einzelnen Unternehmens, die möglich oder nicht möglich sein kann, der Euro auf einen historischen Tiefstand gefallen ist. Das ist ja nun einmal eine Tatsache.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Solms, diese zeitliche Koinzidenz vermag ich nicht zu bewerten. Es handelt sich in der Tat um eine zeitliche Koinzidenz. Es steht uns nicht zu, die Kausalität zu bewerten. Ich denke, hier ist Zurückhaltung geboten. Aber prinzipiell sollte man von einem ausgehen: Die reine marktwirtschaftliche Lehre gibt es in dem Wirtschaftssystem, in dem wir arbeiten, nicht. Wenn es tatsächlich immer nur nach der reinen marktwirtschaftlichen Lehre ginge, dann dürften alle diejenigen, die jetzt die Fahne dieser Lehre hochhalten, zum Beispiel auch nicht für öffentliche Bürgschaften im Rahmen des Auslandsgeschäfts eintreten. Dies müßte dann auch nach den Regeln der reinen marktwirtschaftlichen Lehre ablaufen. Seltsamerweise haben sich alle Unternehmen, die sich jetzt in dieser Weise äußern, noch nie dagegen gewehrt, Hermesverbürgte Geschäfte im Ausland zu machen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Funke, eine Zusatzfrage.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, Sie haben den Antrag an die Europäische Kommission auf der Grundlage des alten Konzeptes für die Sanierung der Philipp Holzmann AG gestellt. Inzwischen ist evident, daß dieses Sanierungskonzept nicht mehr gültig ist und daß es sogar in wesentlichen Teilen verändert werden muß. Wird Ihr Antrag auf Beihilfe an die Europäische Kommission geändert werden müssen und - wenn ja wie?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Darf ich Sie zunächst fragen, worin Sie diese Evidenz begründet sehen, Herr Kollege?

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich sehe die Evidenz in der Aussage des Vorstandsvorsitzenden der Commerzbank AG, die maßgeblich an der Philipp Holzmann AG beteiligt ist, begründet, daß das jetzige Sanierungskonzept nicht mehr schlüssig sei.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Wenn der Vorstandsvorsitzende der Commerzbank AG dies so gesagt hat, mag man bitte nicht vergessen, daß die Commerzbank in wesentlichem Maße an einem Konkurrenten der Philipp Holzmann AG beteiligt ist, nämlich an Hochtief. Es mag dies also eine interessengeleitete Aussage sein. Ich möchte nicht behaupten, daß es so ist. Aber ich kann nicht völlig ausschließen, daß es so ist. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß das vorliegende Sanierungskonzept von mehreren Unternehmensberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften testiert worden ist. Sollte tatsächlich die Notwendigkeit bestehen, Wesentliches zu ändern, dann sind wir natürlich bereit, dies der EU-Kommission zu melden. Bis jetzt gibt es keinen Anlaß dazu.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Konrad Gilges.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage die Bundesregierung, ob sie meine Meinung teilt, daß an Hand der Zusatzfragen der F.D.P.-Abgeordneten deutlich wird, daß es ihnen eigentlich lieber gewesen wäre, wenn 60 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik arbeitslos geworden wären und wenn es eine Katastrophe für viele Menschen gegeben hätte, als die Rettung des Konzerns durch die Mithilfe der Bundesregierung und insbesondere des Bundeskanzlers, was wahrlich sehr schwierig war, weil dieser Konzern vor einer selbstverschuldeten Beinahepleite stand. Aber manchmal gehen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer denen des Kapitals vor.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Gilges, die Ihrer Frage zugrundegelegte Analyse teile ich. Welche Zielrichtung die F.D.P. verfolgt, vermag ich für die Bundesregierung nicht zu beurteilen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung zum überwiegenden Teil zugunsten mittelständischer Unternehmen eingegriffen hat. Deswegen war es sicherlich gerechtfertigt, so zu handeln. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Doris Barnett, Ihre Zusatzfrage, bitte.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage die Frau Staatssekretärin: Gewährt nur die Bundesregierung in Bedrängnis geratenen Unternehmen Beihilfen? Oder können Sie sich vorstellen, daß auch das Land Hessen eine Beihilfe hätte gewähren können? Hätten dann nicht auch die Kriterien der EU-Kommission gegolten?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Solche Beihilfen können selbstverständlich auch Bundesländer gewähren. Ich kann nicht beurteilen, ob das Land Hessen Beihilfen in der Größenordnung hätte gewähren können, wie es der Bund getan hat. Aber alle Beihilfen - auch die der Bundesländer - müssen von der EU genehmigt werden. Eine ganze Reihe von vergleichbaren Aktionen der Länder gehen weit über das hinaus, was die Bundesregierung jetzt getan hat. Ich erinnere an den Fall Maxhütte, in dem das Land Bayern die Hütte kurzerhand gekauft hat.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Frage vom Kollegen Dirk Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, die Ausgangsfrage war, inwieweit das Sanierungskonzept von der Europäischen Union genehmigungsfähig ist. Da nun absehbar ist, daß das Sanierungskonzept nicht haltbar sein wird und daß auch die Zahl der Arbeitskräfte nicht gehalten werden kann - wir hören heute von 5 000 Arbeitsplätzen, die wegfallen; bisher waren 3 000 im Gespräch -, und da am Freitag die Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden - so heißt sie, glaube ich, mittlerweile ({0}) von Herrn Wiesehügel entscheiden wird, ob dieses Sanierungskonzept mit dem Eigenanteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach ihrem Dafürhalten überhaupt rechtmäßig ist - sie entscheidet darüber, obwohl Herr Wiesehügel bei dem Kanzlerspektakel dabei gewesen ist -, möchte ich gern von Ihnen wissen, inwieweit die Bundesregierung ihren Eigenanteil am Sanierungskonzept eventuell noch verändern wird, wenn diese Zahl der Arbeitskräfte und wenn der Eigenanteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr möglich sind.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Niebel, zunächst möchte ich einige in Ihrer Frage enthaltenen Unterstellungen zurückweisen. Wie ich auf die Frage des Kollegen vorhin schon ausgeführt habe, ist es nicht so, daß das Sanierungskonzept nicht mehr tragfähig sei. Wenn sich Änderungen ergeben sollten, so würde das natürlich gegenüber der EU-Kommission gemeldet werden. Aber daß das Sanierungskonzept nicht mehr tragfähig sei, weise ich zurück. Dies ist nicht der Fall. Herr Kollege, es ist nicht gut, wenn dies im öffentlichen Raum dieses Parlamentes so behauptet wird; denn - wie der alte Hermann Abs immer gesagt hat - Geld ist ein scheues Reh. Man sollte als Parlamentarier nicht dazu beitragen, daß es in die falsche Richtung läuft. ({0}) Darüber hinaus ist die Behauptung, daß 5 000 Arbeitsplätze wegfallen würden, durch eine Sprecherin der Philipp Holzmann AG zurückgewiesen worden. Diese Sprecherin hat heute ausdrücklich erklärt, daß es sich, wie bisher immer angegeben, um 3 000 Arbeitsplätze handelt und daß weitere 1 800 oder 1 900 Arbeitsplätze durch den Verkauf von Tochtergesellschaften in andere Hände gehen, also aus dem Konzern ausscheiden, ohne als Arbeitsplätze wegzufallen. Wenn Sie im übrigen auf einen Bericht meines Kollegen Karl Diller an den Haushalt- und an den Wirtschaftsausschuß dieses Hauses Bezug nehmen, dann darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß dieser mit „vertraulich - nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichnet worden ist. Ich möchte Sie bitten, in Ihrem eigenen Interesse, darauf keinen Bezug zu nehmen. Ich könnte sowieso nicht darauf antworten. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Uwe Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, die Vermutung, daß der Wechselkurs zwischen Euro und Dollar durch die Sanierungsbemühungen der Bundesregierung negativ tangiert wurde, wurde nicht nur vom Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Herrn Duisenberg, sondern auch vom Präsidenten des Bundesverbandes deutscher Banken, Herrn Kohlhaussen, geäußert. Ich darf hinzufügen: Ich halte das wirklich für eine etwas gewagte Vermutung und für höchst zweifelhaft. Ich wollte Sie fragen: Können Sie sich vorstellen, wie der Wechselkurs tangiert worden wäre, wenn der Konkurs eingetreten wäre und 60 000 Arbeitnehmer zusätzlich auf die Straße gekommen wären? Hätte das möglicherweise auch Auswirkungen auf den Wechselkurs zwischen Euro und Dollar gehabt? Wenn ja, welche hätte es gehabt?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Jens, es ist jedenfalls nicht auszuschließen, daß ein solch großer Konkurs auch Einfluß auf die Wechselkursparität ausgeübt hätte. Wie und in welcher Art und Weise dies geschehen wäre, vermag ich nicht einzuschätzen. Aber keinesfalls hätte es zu einem Anstieg des Euro geführt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Frage, Kollege Weiermann, bitte.

Wolfgang Weiermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002447, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, Sie wissen, daß es schon in den letzten Jahren unter der Regierung aus CDU/CSU und F.D.P. vielfach Insolvenzen gegeben hat, deren volkswirtschaftlicher Schaden jährlich mehr als 60 Milliarden DM betragen hat. Ist es angesichts dieser Realität der vergangenen Jahre nicht zwingend notwendig, daß sich der Staat, wie durch die jetzige Bundesregierung geschehen, stärker, als es in der Vergangenheit geschehen ist, für die Gesundung der wirtschaftlichen Abläufe engagiert?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Weiermann, es ist selbstverständlich richtig, daß die Bundesregierung bei der Philipp Holzmann AG eingegriffen hat. Das steht nicht in Frage. Ich darf in dem Zusammenhang aber darauf hinweisen, daß wir auf den normalen Instrumentenkasten der Wirtschafts- und Finanzpolitik des Bundes zurückgegriffen haben: einen Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die, wie wir alle wissen, eine bundeseigene Bank ist, und die Verbürgung eines Kredites. Das sind völlig selbstverständliche Instrumentarien. Darauf muß in diesem Zusammenhang hingewiesen werden, weil die Bürgerinnen und Bürger durch die Fragen der F.D.P. so verunsichert sind, daß sie dieses vielleicht nicht mehr wissen. Es handelt sich jedenfalls nicht um Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt, die für diesen verloren sind.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Goldmann, Ihre Frage bitte.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Staatssekretärin, können Sie mir erklären, wie es kommt - Sie äußerten in diesem Zusammenhang ja einen Vorwurf gegen meinen Kollegen Niebel -, daß ({0}) - skandalöser Einwurf - der Bericht an den zuständigen Ausschuß des Bundestages von Ihrem Kollegen, Herrn Finanzstaatssekretär Karl Diller, in dem von einem „Kapazitätsabbau in Deutschland durch Verminderung der Niederlassungen von 37 auf 13/14 ({1})“ die Rede ist, der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ nach einer ADN-Meldung vorliegt? ({2}) Die Sperrfrist war 5 Uhr, es war aber eine Arbeitsleistung von Dienstag, und nicht mehr vom heutigen Tag. Somit müßte das auch Ihrem Hause bekannt sein.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, der Bericht - ich habe ihn dabei, auch wenn ich nicht aus ihm zitieren darf, weil er ja vertraulich ist ({0}) ist mit Datum vom 7. Dezember - also vor 8 Tagen den zuständigen Ausschüssen, nämlich dem Haushaltsausschuß und dem Wirtschaftsausschuß, mit der Kennzeichnung „VS - vertraulich“ zugegangen. Wenn man die Mitglieder des Haushalts- und Wirtschaftsausschusses summiert, kommt man nach meiner Kenntnis auf zirka 75 Personen. Hier mag es irgendwo eine undichte Stelle geben.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Kolb, Ihre Frage bitte.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Sie haben davon gesprochen, daß man bei der Hilfe auf den ganz normalen Instrumentenkasten zurückgegriffen habe. Da Sie den KfW-Kredit angesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob dieser auch ganz normal durch Sicherheiten gedeckt ist. Wenn ja, in welchem Umfang und wie ist das geschehen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, ich bin da überfragt. Ich weiß nicht, ob diese Frage mein Kollege Mosdorf beantworten könnte. Ich gehe aber davon aus, daß dieses auf die übliche Weise geschehen ist. Ich werde dem aber nachgehen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Siegmar Mosdorf zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 33 der Kollegin Marita Sehn: Worin bestehen nach Ansicht der Bundesregierung die Gründe für die wirtschaftliche Schieflage bei der Philipp Holzmann AG, und ergeben sich aus dem Engagement der Bundesregierung für die Philipp Holzmann AG Risiken für den Bundeshaushalt?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau KolDr. Uwe Jens legin Sehn, zu den Ursachen der wirtschaftlichen Schieflage und der notwendigen Verbesserungen der Risikovorsorge liegen externe Analysen renommierter Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer vor, die Eingang in das Restrukturierungskonzept der Philipp Holzmann AG gefunden haben. Demnach sind insbesondere mangelhafte Analysen und fehlende Vorsorge für Drohverluste als Ursachen der Krise zu benennen. Hinzu kamen ein Kapazitätsüberhang im Inland, wenig auskömmliche Wettbewerbspreise bei erheblichem Angebotsdruck durch ausländische Niedriglohnanbieter und unzureichende Führungsstrukturen im Unternehmen selber. Zum Risiko für den Bundeshaushalt - das haben Sie auch angesprochen - ist mitzuteilen: Das Engagement der Banken, das sich jetzt insgesamt auf 3,1 Milliarden DM addiert hat, belegt die Realisierbarkeit des Restrukturierungskonzeptes. Das Engagement der Bundesregierung besteht in einem nachrangigen Darlehen der KfW in Höhe von 150 Millionen DM und einer Bürgschaft von 100 Millionen DM „on top“ zu dem vorgenannten Engagement der Banken. Ich betone das ausdrücklich, weil es darüber Diskussionen gegeben hat. Es kommt also oben drauf. Ich möchte nun, wenn ich es darf, Ihre zweite Frage gleich mit beantworten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe dann auch Frage 34 der Kollegin Marita Sehn auf: Mit welchem Beitrag hat sich die Bundesregierung an der Sanierung der Philipp Holzmann AG beteiligt, und in welchem Haushalt wird dieser Beitrag berücksichtigt?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Es geht in Ihrer Frage darum, welchen Beitrag die Bundesregierung an der Sanierung der Philipp Holzmann AG leisten will und wie dieser im einzelnen aussieht. Dazu sagte ich eben schon, daß wir mit dem KfW-Kredit in Höhe von 150 Millionen DM und einer Bürgschaft in Höhe von 100 Millionen DM „on top“ agieren werden. Die Initiative der Bundesregierung war ausschlaggebend dafür, daß die Banken selbst das Restrukturierungskonzept auf privatwirtschaftlicher Grundlage überhaupt zustande bekommen haben. Sie wissen, daß man sich bei 2,43 Milliarden DM geeinigt hatte und daß dann noch eine Lücke bestand. Durch die Initiative der Bundesregierung ist es gelungen, das Restrukturierungskonzept auf der privatwirtschaftlichen Grundlage umzusetzen. Das nachrangige Darlehen ist ein KfW-Darlehen, aus dem keine unmittelbaren haushaltsmäßigen Belastungen resultieren werden. Die Übernahme der Bundesbürgschaft erfolgt innerhalb des Gewährleistungsermächtigungsrahmens des § 12 Nr. 1 Haushaltsgesetz 1999 bzw. 2000. Eventuelle Zahlungen aus der Bundesbürgschaft, mit denen bei der Bürgschaftsübernahme aber nicht gerechnet wird, würden im Einzelplan 32 des BMF abgedeckt werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollegin Sehn, Ihre erste Zusatzfrage, bitte.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung ihr finanzielles Engagement an Bedingungen geknüpft und, wenn ja, an welche?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Die Bundesregierung hat die Zusage auf der Grundlage erster Entwürfe eines Sanierungskonzepts gemacht. Das Team von Roland Berger hat, wie Sie wissen, schon am 5. November gemeinsam mit Wirtschaftsprüfungsgesellschaften begonnen, die Altrisiken und die neuen Risiken des Geschäftsjahres 1999 zu überprüfen. Auf der Grundlage dieser Untersuchungen ist Roland Berger zu dem Ergebnis gekommen, daß das Unternehmen sanierungsfähig sei. Das war eine wichtige Voraussetzung.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Sehn, bitte.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, daß offensichtliche Managementfehler durch Steuergelder geheilt werden?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Die offensichtlichen Managementfehler, die Sie sehen, und auch die offensichtlichen Aufsichtsfehler, die gemacht worden sind, sieht die Bundesregierung ebenfalls. Es ging um die Frage, ob die Selbstblockade der Banken aufgelöst werden kann, die dazu geführt hätte, daß dieses Unternehmen, das 125 Jahre alt ist und über viele Jahrzehnte einen guten Ruf hatte, gescheitert wäre, indem wegen einer Finanzierungslücke von 200 bis 250 Millionen DM ein Insolvenzverfahren ausgelöst worden wäre. Das war der Grund, warum wir uns veranlaßt gesehen haben, dort initiativ zu werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Goldmann zu einer Zusatzfrage.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen in Ihrer ersten Antwort auch die Überkapazitäten an, die in diesem Markt vorhanden sind. Teilen Sie die Sorge vieler mittelständischer und auch kleinerer Unternehmen, daß die Hilfe des Bundes bei dem Großunternehmen Philipp Holzmann im Grunde genommen dazu führt, daß zukünftig eine große Zahl kleiner und mittlerer Unternehmen wegen des Arbeitsplatzverdrängers Philipp Holzmann - so bezeichne ich ihn einmal; er wird sich ja weiter auf dem Markt ausbreiten - in existentielle Not geraten wird?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege, diese Auffassung kann ich so nicht teilen. Auch Sie wissen, daß allein 500 ostdeutsche Unternehmen mit 2 000 Geschäftsbeziehungen an den Philipp-HolzmannAktivitäten direkt beteiligt waren. Viele ostdeutsche mittelständische Unternehmen - ich rede hier von UnParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf ternehmen, die weniger als 20 Beschäftigte haben - wären mit dem Großunternehmen untergegangen. Das war von uns ebenfalls abzuwägen. Insofern muß man sehr differenziert anschauen, wie die Wirkungen im einzelnen aussehen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Solms, Ihre Frage, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund, daß in diesem Jahr bereits einige tausend mittelständische Bauunternehmen in Konkurs gegangen sind, das Verhalten der Philipp Holzmann AG, die bekanntlich durch besonders aggressives Preisverhalten viele Mittelständler aus dem Markt herausgedrückt und Angebotspreise zweifelsfrei unter Kosten gebildet hat? Anderenfalls wäre die Firma ja nicht in die schwierige Lage gekommen, in der sie sich befindet. Ist das nach Ihrer Einschätzung ein Verhalten, das die Unterstützung des Steuerzahlers verdient?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Es ist überhaupt keine Frage, daß die Philipp Holzmann AG schwere Managementfehler begangen hat. Diese führten übrigens dazu, daß bei den ersten Sanierungsentwürfen - Roland Berger hat sie Grobkonzepte genannt - die Frage im Mittelpunkt steht, was man tun kann, damit dieses große Unternehmen von lokalen Bauvorhaben sozusagen abläßt, so daß mittelständische Unternehmen wieder ins Spiel gebracht werden können. Dies hat auch etwas mit dem Verkauf von Tochtergesellschaften zu tun. Das ist eben schon erwähnt worden. Man möchte nämlich - die Sanierer sind jetzt dabei, dies dem Management klar zu machen -, daß die Philipp Holzmann AG ihren Schwerpunkt nicht in lokalen Bauvorhaben sehen darf, weil sie viel zu hohe OverheadKosten hat. Sie wissen ja, daß Philipp Holzmann zum Beispiel in Amerika bei großen Infrastrukturprojekten sehr erfolgreich ist. Es ist aber ein großes Problem - Sie haben es bereits angesprochen -, daß dem Mittelstand durch die Beauftragung von Subunternehmen im Rahmen von kleinen Bauvorhaben Konkurrenz gemacht werden kann. Aus dem Sanierungskonzept muß hervorgehen, daß das nicht passiert.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich habe eben Ihre Aussage mit Interesse gehört, daß es unter anderem ein Mangel gewesen sei, daß die Gesellschaft nicht genügend Drohverlustrückstellungen gebildet habe. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis möchte ich fragen: Ist die Bundesregierung vielleicht dazu bereit, die Einschränkung der steuerlichen Berücksichtigung der Drohverlustrückstellungen im Rahmen des sogenannten Steuerentlastungsgesetzes 1999 zu überdenken und gegebenenfalls zurückzunehmen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Solms, ich kann Ihnen versichern, daß wir wegen der Philipp Holzmann AG unser aktives Konzept zur Steuerreform und zur Steuerentlastung nicht verändern werden. Ich bitte Sie um Verständnis.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Jens, Ihre Zusatzfrage, bitte.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß auf Grund der politischen Zwänge die jetzige Opposition, wenn sie an der Regierung gewesen wäre, mit höchster Wahrscheinlichkeit genauso wie die Regierung gehandelt hätte? Können Sie mir bestätigen, daß es zwischen den kleinen und mittleren Unternehmen und dem Unternehmen Holzmann zweifellos einen Unterschied dergestalt gibt, daß kleine und mittlere Unternehmen auf dem heimischen Markt tätig sind - ich muß betonen, daß dies ein schrumpfender Markt ist -, während Holzmann, wie Sie es bereits angedeutet haben, sehr stark im internationalen Geschäft mit vielen Bauvorhaben engagiert ist? ({0})

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Professor Jens, ich kann dem zweiten Teil Ihrer Frage, daß die Philipp Holzmann AG international erfolgreich tätig ist, nur zustimmen. Was aber den ersten Teil Ihrer Frage angeht, daß die alte Regierung genauso gehandelt hätte, bin ich mir nicht so sicher. Ich habe nämlich nicht den Eindruck, daß die alte Regierung die Situation in gleicher Weise mit Sorge beurteilt hätte. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Funke, bitte.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, auf Grund des Sanierungsplanes ist deutlich geworden, daß bei Philipp Holzmann ein Defizit in Höhe von 1,1 Milliarden DM entstanden ist, weil Mietgarantien für geschlossene und offene Immobilienfonds gegeben worden sind. Im Falle der Insolvenz wäre Philipp Holzmann von den Mietgarantien befreit gewesen, und damit hätte es für die Anleger Ausfälle bei den Mieteinnahmen gegeben. Beabsichtigt die Bundesregierung in Zukunft einen ähnlichen Anlegerschutz bei größeren Pleiten auf dem Kapitalmarkt oder im Immobilienbereich?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Nein. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Türk, Ihre Frage bitte.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, es ist ja bekannt, daß auf dem Bau kein Wettbewerb besteht. Vielmehr herrscht ein unsäglicher Preiskrieg der Großen zu Lasten der Kleinen. Wird die Bundesregierung die Holzmann-Affäre zum Anlaß nehmen, insbesondere auf dem Bau wieder faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen bzw. ihren Beitrag dazu zu leisten? ({0})

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege Türk, ich möchte Sie an einen berühmten Satz eines berühmten Wirtschaftsministers erinnern: „Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt“. Die Bundesregierung sieht es nicht als ihre Aufgabe an, die Praktiken, die Sie vorgeschlagen haben, umzusetzen. Ihre Analyse ist aber richtig: In der Baubranche gibt es einen sehr heftigen Wettbewerb, der stark durch Großunternehmen dominiert wird. Die mittelständischen Unternehmen leiden unter diesen Verfahren oftmals sehr. Ich glaube übrigens - ich will das nicht vertiefen, weil wir insofern auch im Wirtschaftsausschuß schon intensiv im Gespräch sind -, daß die Frage, wie man Vergaberegeln formuliert und inwieweit man Luft für die lokalen Märkte läßt, in Zukunft sehr wohl überlegt werden muß.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Weiermann ist der nächste Fragesteller.

Wolfgang Weiermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002447, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie wissen sicherlich, daß in den letzten Jahren der ehemaligen Regierung eine Vielzahl von Insolvenzen festzustellen waren. Sie wissen sicherlich auch, daß die damalige Bundesregierung nichts getan hat, um insbesondere auf dem Bausektor der Verletzung der Tarifvertragstreue und - was noch schwerer wiegt - der Verletzung der Gesetzestreue Einhalt zu gebieten, und daß sie damit an einer Entwicklung in dieser Branche schuld ist, wegen der man fast mafiaähnliche Strukturen beklagen muß. Ich sage das mit allem Bedacht, aber auch knallhart. Darf ich davon ausgehen, daß Sie wissen, daß in den letzten Jahren der alten Regierung in der Spitze rund 500 000 Arbeitsplätze im Jahr verlorengegangen sind, was unweigerlich mit dem Abstieg der ehemals Beschäftigten nicht nur in die Arbeitslosigkeit, sondern auch in die Sozialhilfe zu tun hat?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Verehrter Kollege Weiermann, es ist richtig, daß es in den letzten Jahren Mißstände in großem Umfang gegeben hat. Ich möchte aber den Eindruck vermeiden, daß Management und Aufsichtsgremien selber keine Fehler gemacht haben. Es gab ein erhebliches Managementversagen, was, addiert mit den Mißständen, die Sie genannt haben, zu dieser dramatischen Situation bei Philipp Holzmann geführt hat. Im übrigen ist mir ein Satz von Ferry Porsche in nachhaltiger Erinnerung, der ja nun wirklich unverdächtig ist, was seine Einschätzung der marktwirtschaftlichen Verhältnisse angeht. Er hat gesagt: „Banken sind immer Regenschirmverleiher, die die Schirme wieder einsammeln, wenn es regnet.“ Die Bundesregierung hat es für notwendig angesehen, zu vermeiden, daß die Selbstblockade der Banken dazu führt, daß nicht geholfen wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Kolb, Ihre Frage bitte.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben einen berühmten Satz eines berühmten Wirtschaftsministers zitiert. Ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung sich die Auffassung „Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt“ zu eigen macht oder ob sie gegebenenfalls auch in Zukunft in Not geratenen Bauunternehmen helfen will. Ab welchem Schwellenwert - ab wieviel Beschäftigten, ab welcher Bilanzsumme - soll das in Zukunft geschehen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kolb, die Bundesregierung knüpft an die Wirtschaftspolitik von Ludwig Erhard und Karl Schiller an und ist der Auffassung, daß wir soviel Markt wie möglich und soviel Staat wie nötig haben müssen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Michelbach zu einer weiteren Frage, bitte.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Mosdorf, welche Erkenntnis hat die Bundesregierung in dem Fall Philipp Holzmann, daß das KonTraG mißachtet wurde? Welche Erkenntnisse zieht sie aus der Tatsache, daß die Deutsche Bank als Hauptgesellschafter bei Mißachtung des KonTraG schon frühzeitig versucht hat, sich zu entschulden? Ist diese Entschuldungsmaßnahme nicht erst dadurch gelungen, daß der Steuerzahler durch den Staat - in diesem Fall durch den Bundeskanzler erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt hat?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege, ich darf Sie daran erinnern, daß die Wirtschaft und die Banken am Sanierungskonzept mit 3,1 Milliarden DM beteiligt sind und die Bundesregierung ein Darlehen von 150 Millionen DM sowie eine Bürgschaft in Höhe von 100 Millionen DM vorgesehen hat.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege van Essen, bitte.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wie steht die Bundesregierung zu der Feststellung, daß das neue Insolvenzverfahrensrecht eigentlich eine Sanierung und eine Rettung der Arbeitsplätze ermöglicht hätte, ohne daß es des Eingreifens der Bundesregierung und des Einsatzes von Steuergeldern bedurft hätte?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Das neue Insolvenzverfahrensrecht ist seit dem 1. Januar 1999 in Kraft. Wir halten es für ein Konzept, das in die richtige Richtung geht. Ich würde aber nicht so kühn sein und behaupten, wir hätten bei Holzmann alle Probleme gelöst.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Rauen, Ihre Frage bitte.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es wurde in einer Frage von mafiaähnlichen Zuständen am Bau gesprochen. Können Sie bestätigen, daß die alte Bundesregierung überhaupt keinen Einfluß darauf nehmen konnte, daß die großen deutschen Baukonzerne im wesentlichen gewerbliche Arbeitnehmer entlassen und die Subunternehmer gezwungen haben, zu Subunternehmerpreisen zu arbeiten, die es überhaupt nicht erlaubt haben, mit deutschen Arbeitnehmern zu kalkulieren?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege, ich habe, wahrscheinlich ähnlich wie Sie, mit einer gewissen Sorge in den letzten Jahren beobachtet, wie sich die Baubranche, was den Arbeitnehmerbereich angeht, entwickelt hat. Darauf hat der Kollege Weiermann mit seiner Feststellung gezielt, daß es hier eine bestimmte Form der Fehlentwicklung gegeben hat. ({0}) - Nicht nur bei den Großen, aber überwiegend bei den Großen. Lassen Sie mich sagen: Wir haben in der Baubranche vier große Unternehmen - Hochtief, Philipp Holzmann, Walter, Bilfinger + Berger -, die in aller Regel, wenn ich einmal von den aktuellen Problemen bei Philipp Holzmann absehe, einen guten Ruf haben und auch gut geführt sind. In der Baubranche bilden diese vier Unternehmen zusammen, anders als in anderen Branchen, keine Mehrheiten, sondern sie steuern bis in die mittelständischen Unternehmen mit Subunternehmerstrukturen hinein. Das ist das Problem, das bestanden hat, nämlich daß sich die mittelständische Struktur erst gar nicht behaupten konnte. Das ist angesprochen worden. Dort wurde mit Generalunternehmern, mit Subunternehmern und auch mit ausländischen Unternehmen operiert. Dann kommt der Punkt hinzu, der gerade angesprochen worden ist, nämlich die Frage der Mietgarantien. Das ist der eigentliche Kern in der Holzmann-Bilanz 1999 gewesen. Die Altprobleme waren vorhanden, waren bekannt. Dafür hat man vor zwei Jahren einen neuen Vorstandsvorsitzenden angeheuert. Das, was jetzt brennend ist, die 2,4 Milliarden DM, sind die Mietgarantien, wo offensichtlich leichtfertig Verträge gemacht worden sind und die jetzt nicht realisiert werden. Das ist bei Holzmann eine ganz dramatische Entwicklung in den letzten Monaten gewesen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu diesem Themenkomplex gibt es nicht nur eine Fülle von Nachfragen, sondern auch den Antrag der F.D.P.-Fraktion auf eine Aktuelle Stunde. Diesem Antrag wird stattgegeben. Die Aktuelle Stunde findet im Anschluß an die Fragestunde statt. Ich rufe jetzt die Fragen 35 und 36 des Kollegen Dr. Hermann Otto Solms auf: Stimmt die Bundesregierung der Auffassung des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes zu, daß die Philipp Holzmann AG durch den teilweisen Lohn- und Gehaltsverzicht der Beschäftigten, das zur Abwendung der Überschuldung gewährte Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von 150 Mio. DM und die vom Bund übernommene Ausfallbürgschaft in Höhe von 100 Mio. DM einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen, auch mittelständischen Wettbewerbern in der Baubranche erhält? Wie beurteilt die Bundesregierung die Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden der Philipp Holzmann AG, wonach der sechsprozentige Lohnverzicht und die Überstundenzusage der Belegschaft nicht für Dumpingpreise bei zukünftigen Aufträgen genutzt werden sollen und welche Möglichkeiten der Überprüfung sieht die Bundesregierung hierbei, so daß Wettbewerbsverzerrungen zulasten mittelständischer Unternehmen zukünftig vermieden werden können?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Ich beantworte die Frage gern noch einmal, obwohl ich dachte, wir hätten die Frage schon mitbehandelt. Die Philipp Holzmann AG steht in wesentlichen Geschäftsfeldern mit kleinen und mittelständischen Unternehmen in direkter Verbindung. Daher gibt es auch die Struktur der Nachunternehmen, die von diesen Aufträgen betroffen sind. Deshalb muß man sich ein differenziertes Bild machen, wie die Wirkung auf den Mittelstand ist. Ich habe eben auf die 500 ostdeutschen Unternehmen hingewiesen, die mit 2 000 Geschäftsbeziehungen auch unmittelbar von einer Insolvenz betroffen wären. Man muß sich das sehr differenziert anschauen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Bürgschafts- und Kreditzusage der Bundesregierung nicht zur Ausfüllung einer Finanzlücke gewährt wird. Das betone ich ausdrücklich noch einmal. Wir haben das übrigens gestern noch einmal dem Aufsichtsratsvorsitzenden schriftlich mitgeteilt. Gestern hat das Kanzleramt wunschgemäß bestätigt, daß „das KfW-Darlehen und die Bundesbürgschaft auf ein zuvor von den Banken beschlossenes Finanzierungskonzept aufsetzen“. Dies wird auch in den Berichten an den Haushaltsausschuß und den Wirtschaftsausschuß, die ich heute morgen gegeben habe, ausdrücklich begründet. Als Hauptargument für diese Haltung der Bundesregierung wird der volkswirtschaftliche und mittelstandspolitische Gedanke herausgestellt. Zur Frage 36, Herr Kollege Solms. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Mittel, die im Rahmen der Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite zugesagt worden sind, zur Sanierung beitragen. Dies wird auch von Roland Berger in einem bestimmten Volumen angenommen. Aber Sie wissen ebenso wie ich, daß erstens die Gewerkschaft IG Bauen - Agrar - Umwelt gegenwärtig dabei ist, mit Hilfe von Arbeitsrechtlern dieses gemeinsam verabredete Paket zu überprüfen. Zweitens ist der Bundesregierung bekannt, daß es sich um eine zeitlich limitierte Reduzierung handelt. Es gibt, soweit wir wissen, auch eine Verabredung, daß nach dieser zeitlichen Limitierung bei entsprechenden Gewinnentwicklungen eine Refinanzierung vorgesehen wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die erste Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich hatte in meiner Frage darauf abgehoben, daß der mittlerweile abgesetzte Vorstandsvorsitzende der Philipp Holzmann AG, Herr Binder, zugesagt hatte, daß die Betriebsvereinbarung, die mit den Inhalten einer sechsprozentigen Lohnkürzung und Mehrarbeitsverpflichtung für die Arbeitnehmer zustande gekommen ist, nicht dazu führen wird, daß die Philipp Holzmann AG den Preis anderer Wettbewerber unterbietet. Deswegen will ich nachfragen: Erstens. Welchen Grad von Glaubwürdigkeit hat die Aussage von Herrn Binder, der nicht mehr im Amt ist? Zweitens. Wie wollen Sie überprüfen, daß dies nicht geschieht?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Ich will nicht bewerten, wie diese Meinung des früheren Vorstandsvorsitzenden einzuordnen ist. Ich weise aber noch einmal darauf hin, daß es in der Verabredung sowohl eine zeitliche Limitierung als auch eine beabsichtigte Umstellung und Refinanzierung für den Fall gibt, daß nach dieser zeitlichen Befristung das Unternehmen Gewinne macht. Sollte dies der Fall sein, gäbe es auch keine Wettbewerbsverzerrung. Das muß man allerdings in diesem Kontext sehen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Solms, zweite Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die folgende Aussage von Thomas Schleicher - das ist der Vorsitzende des Verbandes der Bauindustrie Nordbaden - in einem direkten Brief an den Herrn Bundeskanzler: Der „Verzicht“ der Holzmann-Belegschaft auf Entlohnung nach dem Tarifvertrag führt darüber hinaus zu einer Reduzierung der Arbeitskosten um bis zu 15%. So ist bereits in einem konkreten Fall von Philipp Holzmann eine Preiskorrektur eines bereits abgegebenen Angebots in Höhe der Einsparungen am Lohn erfolgt. Leidtragende sind auch hier die übrigen Wettbewerber, die eine solche Kostensenkung nicht weitergeben können und damit nicht mehr konkurrenzfähig sind. Wie beurteilen Sie in dem Zusammenhang mit dem, was wir gerade besprochen haben, diese Aussage?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Wir gehen davon aus, daß die Verabredung der Belegschaft mit dem Vorstand erstens auf die akute Situation des Unternehmens zurückgeht, das heißt auf die bestehende defizitäre Situation, und zweitens darauf, daß sie zeitlich limitiert ist und Refinanzierungen vorgesehen sind.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Dritte Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich nehme Ihnen gerne Ihr Mitgefühl mit den Arbeitnehmern von Philipp Holzmann, die vor einer möglichen Arbeitslosigkeit gestanden haben, ab. Alle empfinden dieses Mitgefühl. Haben Sie auf der anderen Seite auch Verständnis für die Arbeitnehmer und Unternehmer im Mittelstand, die auf Grund der Machenschaften von Philipp Holzmann in den Konkurs getrieben worden sind oder davorstehen? ({0})

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Ich maße mir nicht an, zu beurteilen, ob Unternehmen wegen der Vorgänge bei Philipp Holzmann in Konkurs geraten sind. Über das Verhalten in der Vergangenheit haben wir gesprochen. Aber ich gebe Ihnen recht, daß es ungewöhnlich ist, daß sich Bauunternehmen darüber beklagen, daß bei einem anderen Bauunternehmen die Kosten gesenkt werden. Das ist ein ungewöhnliches Unternehmerverhalten. ({0}) - Ja, ich weiß das. Ich habe ja darauf geantwortet. - In diesem speziellen Fall sind Kostensenkungen deshalb in Angriff genommen worden, weil man das Unternehmen retten möchte.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Zusatzfrage, Kollege Türk, bitte.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich muß noch einmal nachfragen: Es wird ja immer darauf abgehoben, daß es bei der Holzmann-Aktion hauptsächlich um die Rettung von Arbeitsplätzen ging. Hätten Sie sich als Alternative vorstellen können, den wettbewerbsunfähigen Holzmann-Konzern durch eine Gruppe von Mittelständlern abzulösen, wie das zum Beispiel bei Schneider erfolgt ist?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Sanierungskonzepte, über die gegenwärtig nachgedacht wird, wobei es - das wissen Sie wahrscheinlich - verschiedene Szenarien gibt, die sich nicht nur auf die bekannten konzentrieren, müssen dazu beitragen, daß sich dieses Unternehmen in Zukunft auf dem Markt behaupten kann. Wenn dies mit solch einer Konzeption möglich gewesen wäre, hätten wir kein Problem damit gehabt. Die Banken, die Eigentümer und die Aufsichtsgremien haben sich für einen anderen Weg entschieden - zumindest bis jetzt; denn das endgültige Sanierungskonzept von Roland Berger wird ja erst im Februar nächsten Jahres vorliegen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Baumeister, Ihre Frage bitte.

Brigitte Baumeister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wo zieht die Bundesregierung die Grenze im Hinblick auf eine mögliche Unterstützung von in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen, und könnten Sie sich vorstellen, daß die Stella AG, die sich ja auch in Schwierigkeiten befindet, ebenfalls auf eine Unterstützung der Bundesregierung hoffen kann?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Kollegin, ich kenne eine Reihe von Stuttgarter Unternehmen, die im Moment Probleme haben. Bei einem konkreten Projekt sind Sie selber betroffen. Ich kann jetzt nicht anbieten, daß die Bundesregierung auch in diesen Fällen hilft. Ich will aber ausdrücklich feststellen, daß es eine Phase gegeben hat - dies weiß ich von Heinz Dürr -, in der die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und F.D.P. - ich glaube, Graf Lambsdorff, den ich sehr schätze, war damals Wirtschaftsminister der AEG mit einer Bürgschaft in Höhe von 1 Milliarde DM geholfen hat. Diese Bürgschaft ist nicht ausgezahlt worden. Aber sie hat dazu beigetragen, daß damals die Umsetzung eines Sanierungskonzeptes gelungen ist. Vielleicht gelingt es uns jetzt auch in diesem Fall, die Auszahlung der Bürgschaft zu vermeiden und eine Sanierung zustande zu bringen, die sonst gescheitert wäre.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Kopp, Ihre Zusatzfrage, bitte.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, als eine der wenigen Mittelständlerinnen hier in diesem Parlament gestatten Sie mir folgende Frage: Sie stellten gerade die von der Bundesregierung geleistete Hilfe an die kleinen und mittelständischen Betriebe heraus, und zwar an 500 Unternehmen allein in den neuen Bundesländern. Wie wäre es gewesen, wenn Sie sich im Rahmen der von der Bundesregierung vorgesehenen Sanierungshilfen auf diese Betriebe konzentriert hätten und nicht auf einen Großkonzern?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Kollegin Kopp, ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß die Banken mit 3,1 Milliarden DM am Sanierungskonzept beteiligt sind und die Bundesregierung mit einer Bürgschaft von 100 Millionen DM und einem KfWKredit von 150 Millionen DM. Sie können sicher sein, daß im Hinblick auf das Restrukturierungskonzept die Beantwortung der Frage, inwiefern die Holzmann AG lokale Märkte im Sinne des Schaffens von Luft für mittelständische Unternehmen freigibt, eine wichtige Rolle spielen wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Zusatzfrage kommt vom Kollegen Hans Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie will die Bundesregierung die durch die Subventionierung von Philipp Holzmann entstandenen Wettbewerbsverzerrungen gegenüber der Wettbewerbskommission der EU eigentlich begründen? Wann erwarten Sie hierzu eine Notifizierung? Wie wollen Sie dagegen vorgehen, daß diese Subventionierung in Zukunft nicht zu weiteren Angeboten bei Philipp Holzmann führt, die unter den Einstandspreisen liegen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege Michelbach, ich habe volles Verständnis für jede Frage. Aber diese Frage hat vorhin schon meine Kollegin beantwortet. Deshalb möchte ich Sie auf das Protokoll verweisen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der nächste Fragesteller ist der Kollege Peter Rauen.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich habe volles Verständnis für jede Kostensenkung, die man den Betrieben erlauben kann. Ich möchte nur wissen, wie die Regierung oder die Gewerkschaft sicherstellen kann, daß zum Beispiel auch in einem Handwerksbetrieb mit zehn Mitarbeitern, der um das Überleben kämpft, die Mitarbeiter vier Stunden pro Woche mehr arbeiten, und zwar bei einem um 6 Prozent verringerten Lohn.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege, ich sage es noch einmal: Es handelt sich hier um ein Notprogramm, das die Belegschaft mit dem Vorstand angesichts dieser speziellen Krisensituation verabredet hat. Die Verabredung ist auf die dramatische Defizitsituation des Unternehmens in diesem Jahr und in den letzten Jahren zurückzuführen. Die Gewerkschaft ist gerade dabei, dies arbeits- und tarifrechtlich zu überprüfen. Damit es aber völlig klar ist und Ihre Frage von mir richtig beantwortet wird: Dies ist eine absolute Ausnahme- und Notsituation und kann nicht als Normallfall angesehen werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der nächste Fragesteller ist der Kollege Konrad Gilges.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung die Beträge beziffern, die jährlich durch die Länder, die Gemeinden und den Bund in Form von zum Beispiel Bürgschaften und Krediten an mittelständische Unternehmen gezahlt werden? Nach meinem Kenntnisstand müssen es einige Milliarden Mark sein, die die mittelständische Wirtschaft darüber bekommt. Können Sie das hier darstellen und vielleicht mit einigen Zahlen belegen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege, es ist richtig, daß es vielfältige Formen der Unterstützung des Mittelstands gibt; darauf ist vorhin schon hingewiesen worden. Die jetzige Bundesregierung hat die Anstrengungen noch erhöht, den Mittelstand zu fördern. ({0}) Wir haben gemeinsam mit dem Handwerk und dem Mittelstand - unterhalten Sie sich einmal mit Herrn Schleyer - ein Technologietransferprogramm und viele andere Programme aufgelegt. ({1}) Im übrigen, Frau Baumeister: Die Stella AG ist durch die Landesregierung mit einer Bürgschaft in Höhe von 50 Millionen DM unterstützt worden. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hilft der Philipp Holzmann AG mit einem eigenkapitalersetzenden Darlehen und einer Bürgschaft; das sind immerhin 250 Millionen DM. Beabsichtigt die Bundesregierung, Einfluß auf die Besetzung des Aufsichtsrats und des Vorstands zu nehmen, und wie sichert sie personell, daß das Geld, das sie in die Philipp Holzmann AG steckt, auch richtig verwandt wird?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Die Bundesregierung wird keinen Einfluß auf die Besetzung des Aufsichtsrats und des Vorstands nehmen. Ich glaube, das ist in Ihrem Sinne, Herr Funke. Im übrigen versuchen wir, alles zu tun, damit die Mittel gar nicht erst abgerufen werden - ähnlich wie im Fall Graf Lambsdorff.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe Frage 37 des Kollegen Hans-Michael Goldmann auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Weigerung der IG BAU, den Arbeitnehmeranteil des Sanierungskonzeptes zur Rettung der Philipp Holzmann AG nicht mitzutragen, und welche Folgen hat diese Weigerung für die Bundesbürgschaft?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege Goldmann, die Bundesregierung geht davon aus, daß der durch die Betriebsvereinbarung geregelte Beitrag der Holzmann-Mitarbeiter in einer Form zustande gekommen ist, die auch für die Tarifvertragsparteien akzeptabel ist. Das wird, wie gesagt, gegenwärtig überprüft. Der Beitrag der Holzmann-Arbeitnehmer ist Inhalt des Restrukturierungskonzeptes insgesamt. Dieses ist auch Grundlage der Vereinbarung mit der Bundesregierung über die Bürgschafts- und Kreditgewährung durch die KfW nach Genehmigung durch die EU-Kommission. Ich würde gerne Frage 38 mit beantworten, Herr Präsident.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Fragesteller ist einverstanden. - Dann rufe ich auch Frage 38 auf: Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tätigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, die von den Banken und von den Gewerkschaften in den Aufsichtsrat entsandt worden sind?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Diese Frage beantwortet die Bundesregierung wie folgt: Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseignerseite werden nur in Ausnahmefällen auf Grund satzungsrechtlichen Entsenderechts in den Aufsichtsrat entsandt. In der Regel werden sie von der Hauptversammlung gewählt. Die dem Aufsichtsrat angehörenden Gewerkschaftsvertreter werden nach § 16 des Mitbestimmungsgesetzes von den Unternehmensangehörigen entweder direkt oder von ihren Delegierten gewählt. Mit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich - das ist eben schon von mehreren Kollegen angesprochen worden - sind vielfältige Verbesserungen der Kontrolltätigkeit und Effizienz des Aufsichtsrates eingeführt worden. Das im Jahre 1998 in Kraft getretene Gesetz kam allerdings für ein Unternehmen - es handelt sich um einen in der jüngsten Zeit aufgetretenen Fall - zu spät. Das gilt auch für die anderen Novellierungen. Die Bundesregierung wird in der kommenden Zeit sorgfältig prüfen, ob aus der jüngsten Unternehmenskrise weitere gesetzliche Schlußfolgerungen zu ziehen sind. Denn eines ist klar: Es gibt hier ganz eindeutig auch ein Versagen im Aufsichtsbereich.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie die Wirtschaftsprüfverordnung verschärfen wollen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Sie können daraus keine konkreten Schlüsse ziehen. Sie können nur davon ausgehen, daß die Bundesregierung die Frage, wie Aufsichtsformen verbessert werden können, weiterhin prüfen wird, weil solche Fälle ja häufiger auftreten. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Aufsichtsverfahren verbessern können.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Kolb, eine Zusatzfrage.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung sicher, daß der Arbeitnehmeranteil, der in der Frage des Kollegen Goldmann angesprochen ist, im Rahmen der geltenden Regelungen des § 77 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes erbracht werden kann, oder plant die Bundesregierung gegebenenfalls eine Änderung der entsprechenden Vorschrift?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Nein, wir planen keine Änderung der Vorschrift und werden uns in dieses Verfahren, das Unternehmen und Betriebsrat ausgehandelt haben, auch nicht einmischen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Fragen 39 und 40 des Abgeordneten van Essen werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 41 des Kollegen KlausJürgen Hedrich. Ich rufe dann die Frage 42 des Kollegen Günther Friedrich Nolting auf. Beabsichtigt die Bundesregierung der Türkei mitzuteilen, daß trotz der Teilnahme des Kampfpanzers Leopard 2 am Auswahlwettbewerb einem eventuell folgenden Wunsch auf Lieferung von 1 000 Panzern nicht entsprochen werden kann, da die Beschlußlage beider Koalitionsparteien dieses verbietet, oder sieht sich die Bundesregierung nicht an die Beschlußlage der Parteitage der Koalitionsparteien gebunden?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege Nolting, die Frage einer möglichen Lieferung von Kampfpanzern Leopard 2 an die Türkei stellt sich erst nach Abschluß der Vergleichstests mit Panzern anderer Länder und der dann von der türkischen Regierung getroffenen Auswahlentscheidung. Dies wird voraussichtlich nicht vor dem Jahr 2001 geschehen. Die zu diesem Zeitpunkt in der Türkei bestehenden politischen Verhältnisse, vor allem die Menschenrechtslage, und die neugefaßten politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden diese Entscheidung maßgeblich beeinflussen. Diese Haltung ist der türkischen Seite auch hinlänglich bekannt. Die weitere Frage, die Sie gestellt haben, beantwortet die Bundesregierung wie folgt: In diesem Fall wird die Bundesregierung der türkischen Seite mitteilen, daß die Entscheidung von den dann bestehenden politischen Verhältnissen in der Türkei abhängig sein wird.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, es gibt nun einen Parteitagsbeschluß der SPD, der größten Regierungsfraktion, die dem absolut widerspricht. Sind Sie bereit, der türkischen Regierung auch mitzuteilen, daß die Partei, die diese Regierung stellt, einer solchen Lieferung nicht zustimmen wird, gleichgültig, wie der Test ausgehen wird?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege, erstens ist es nicht nur die größte Regierungsfraktion, sondern die größte Fraktion im Deutschen Bundestag überhaupt, die einen Parteitag hinter sich gebracht hat. Zweitens war es ein sehr erfolgreicher Parteitag. Drittens gehe ich davon aus, daß die türkische Regierung auch deutsche Tageszeitungen liest. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, trotzdem frage ich noch einmal. Ich meine die Frage sehr ernst, und Sie sollten sie auch ernst nehmen und genauso beantworten. Ich denke, es ist das Recht des Parlamentes, solche Fragen hier zu stellen, die dann auch beantwortet werden sollten. ({0}) Ich frage Sie deshalb noch einmal: Teilt die Bundesregierung der Regierung in der Türkei offiziell mit, ({1}) wie die Beschlußlage der SPD aussieht, nach der es vollkommen ausgeschlossen ist, daß Panzer in die Türkei geliefert werden?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege Nolting, damit das klar ist: Die Bundesregierung teilt immer den Standpunkt der Bundesregierung mit. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, würden Sie uns dann bitte darüber informieren, inwieweit sich der Standpunkt der Bundesregierung mit dem Parteitagsbeschluß der SPD deckt oder diesem widerspricht?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Ich habe dazu schon eben - auf die Frage von Herrn Nolting Stellung genommen, indem ich mitgeteilt habe, daß es dazu ein Verfahren gibt und sich an der Haltung der Bundesregierung zu diesem Verfahren nichts geändert hat.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Mosdorf, ich danke Ihnen. Bevor ich den nächsten Geschäftsbereich aufrufe, will ich darauf hinweisen, daß nur noch wenige Fragen mündlich zu beantworten sind. Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder unterbrechen wir bis 15.35 Uhr, oder die Fraktionen verständigen sich darauf, daß wir im Anschluß an die Fragestunde unmittelbar in die Aktuelle Stunde eintreten. Ich wäre also dankbar, wenn man mir ein entsprechendes Signal geben würde. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung. Die Frage 43 des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 44 der Kollegin Cornelia Pieper auf: Ist es wahr, daß die Zahl der Jugendlichen, die durch das Sofortprogramm der Bundesregierung gegen Jugendarbeitslosigkeit tatsächlich gefördert worden sind, nur 133 000 beträgt, wie in der Ausgabe 48/1999 des Magazins „Der Spiegel“ behauptet wird?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich beantworte die Frage 44 wie folgt: Nein. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit sind bis Ende November 1999 209 543 Eintritte von Jugendlichen in Maßnahmen des Sofortprogramms der Bundesregierung zu verzeichnen gewesen. Ein Teil der Jugendlichen hat im Laufe des Jahres an mehr als an einer Maßnahme teilgenommen und wurde bei jedem Eintritt in eine Maßnahme gezählt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit hat im Rahmen seiner Begleitforschung zum Sofortprogramm festgestellt, daß die bis Ende Oktober 1999 registrierten 199 000 Eintritte auf rund 163 000 unterschiedliche Jugendliche entfallen. Diese beträchtliche Förderleistung hat zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit und zur Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt erheblich beigetragen. Die von Ihnen zitierte Zahl von 133 000 Jugendlichen ist nach den Feststellungen der Begleitforschung die Zahl der verschiedenen Jugendlichen, die bis Ende August 1999 durch das Sofortprogramm gefördert wurden. Daß ein Teil der Jugendlichen an mehr als einer Maßnahme des Sofortprogramms teilnimmt, entspricht dem Konzept des Sofortprogramms. So dienen die Trainingsmaßnahmen sowohl der Vorbereitung auf eine betriebliche Ausbildung oder die Aufnahme einer Arbeit als auch der Vorbereitung auf eine außerbetriebliche Ausbildung im Rahmen des Sofortprogramms. Im Einzelfall kann es auch vorkommen, daß ein Jugendlicher in drei Maßnahmen eintritt. Dies macht auch Sinn, wenn es zum Beispiel über Art. 11 der Richtlinien zur Durchführung des Sofortprogramms gelingt, einen Jugendlichen, der abgetaucht war, durch Mitarbeiter von Bildungsträgern mit Erfolg für eine Maßnahme zu motivieren - das wäre der erste Eintritt -, der Jugendliche dann an einer Trainingsmaßnahme teilnimmt - das wäre der zweite Eintritt -, um eine paßgenaue Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt oder die Einweisung in eine passende Qualifizierungsmaßnahme - das wäre der dritte Eintritt - zu ermöglichen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage, Frau Pieper.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ist der Bundesregierung bekannt - wie es meines Wissens der Fall ist -, daß mehr als 30 000 Jugendliche, die ein Jahr lang im Rahmen des Sonderprogramms gefördert worden sind, bereits wieder arbeitslos sind?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Der Bundesregierung sind dazu Zahlen bekannt. Ob es sich dabei um 30 000 handelt, kann ich so nicht bestätigen, weil - das ist das Problem - das Programm ja noch läuft. Es können zum Ende des Programms auch mehr sein. Ich weiß nicht, auf welche Zahl Sie sich berufen. Ich habe Ihnen ja schon in meiner Antwort auf Ihre Frage gesagt, daß sich die Zahl, die Sie in der Frage genannt haben, auf Ende August bezogen hat. Es ist ganz schwierig - das sage ich ganz offen -, zwischendurch Bilanzierungen vorzunehmen. Die Bundesregierung empfiehlt dringend abzuwarten, bis das Programm abgeschlossen ist und die endgültige Evaluierung stattgefunden hat. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben erwähnt, daß das Programm weiterläuft. Es ist um ein weiteres Jahr verlängert worden. ({0}) Ist Ihnen bekannt, daß die Träger, die dieses Programm umzusetzen haben, zum Teil noch nicht wissen, wie sie dies im einzelnen tun sollen? Das Programm hatte im ersten Jahr Anlaufschwierigkeiten. Wie werden Sie als Bundesregierung dazu beitragen, daß es diese Anlaufschwierigkeiten nicht mehr gibt bzw. daß die Steuergelder in der Tat effizient eingesetzt werden?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich weiß nicht, auf welche Anlaufschwierigkeiten Sie sich beziehen. Ich kann nur festhalten, daß dieses Programm, nachdem die Bundesregierung es im Dezember des vergangenen Jahres auf den Weg gebracht hat, außerordentlich erfolgreich war. Wir haben schon im Juni Zahlen erreicht, von denen wir gedacht haben, daß sie erst im Verlauf des Jahres überhaupt zu erreichen sind. Die neuen Richtlinien sind vom Bundeskabinett verabschiedet worden. Es gibt einige Veränderungen. Bei einem ganzen Teil des Maßnahmenpakets bleibt es bei dem, was bisher Praxis ist. Ich gehe davon aus, daß die Träger in der Lage sind, die Veränderungen, die wir vorgenommen haben, relativ schnell umzusetzen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Peter Rauen.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, bei der Handwerkskammer Trier, in deren Vorstand ich Mitglied bin, gibt es eindeutige Hinweise darauf, daß in diesem Jahr die Zahl der Auszubildenden zurückgegangen ist, weil mehrere Jugendliche es vorgezogen haben, die staatlichen Programme in Anspruch zu nehmen. Gibt es Kenntnisse über bundesweite Entwicklungen dieser Art?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich kann Ihnen gegenwärtig nichts zum Stand in Trier sagen. Dafür bitte ich um Verständnis. ({0}) - Das ist Ihr gutes Recht. Aber ich kann im Namen der Bundesregierung nicht dazu Stellung beziehen. Im übrigen will ich Sie darauf hinweisen, daß wir im Rahmen des Bündnisses für Arbeit im Zusammenhang mit den Umsetzungspositionen darüber diskutiert haben, daß es bei Einzelpositionen mögliche Effekte gibt, die wir nicht wollen. Diese sind mit den Bündnispartnern, also mit dem DIHT, mit dem Handwerk und anderen, auch in den Bündnisrunden am letzten Freitag und am letzten Sonntag besprochen worden. Wir wollen durch eine Veränderung der Maßnahmen möglichen Fehlentwicklungen, die es in einzelnen Bereichen geben könnte, gegensteuern. Ich will ein konkretes Beispiel nennen - dabei kann ich auch ruhig Roß und Reiter nennen, weil dies auch öffentlich diskutiert wurde -: Wir waren uns schon zu Beginn dieses Jahres beispielsweise mit Herrn Schoser völlig einig darüber, daß man aufpassen muß, daß die Wirtschaft nicht durch Angebote, die im Programm gemacht werden, in ihren Bemühungen nachläßt, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Dieses Programm darf keine Konkurrenz zu dem Ausbildungskonsens sein, den wir im Bündnis erreicht haben. Deswegen haben wir in bestimmten Bereichen gegengesteuert. Wir beobachten auch sehr genau, was dort abläuft.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen gegenüber meiner Kollegin Frau Pieper von der Schwierigkeit der Bilanzierung, sagten aber einen Satz später, daß das Programm besonders erfolgreich sei. Können Sie vielleicht den von mir empfundenen Widerspruch ein wenig auflösen? ({0}) - Bei dem Thema höre ich schon sehr genau zu. Ich war in diesem Bereich sehr lange tätig. Können Sie mir vielleicht auch aufzeigen, welche Mittelbereitstellung erforderlich ist, um den von Ihnen vorhin genannten Dreiereinstieg finanziell zu begleiten, und was ein ganz normal in dualer Ausbildung befindlicher Auszubildender - zum Beispiel eine Bäckereiverkäuferin - an Ausbildungsvergütung in der gleichen Zeitphase monatlich zu erwarten hat?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Erstens, Herr Abgeordneter Goldmann, bin ich jetzt nicht in der Lage, Ihnen eine Mittelbilanzierung für die drei Maßnahmen zu geben. Das geht aus dem Stand einfach nicht. ({0}) - Darf ich weiter antworten, Herr Präsident? - Danke. Ich bin nicht in der Lage - das war Ihr konkretes Ansinnen -, eine Bilanzierung dahingehend zu machen, was es kostet, wenn ein junger Mensch an den von mir geschilderten drei Maßnahmen teilnimmt. Ich bin aber in der Lage, Ihnen etwas zur Gesamtbilanzierung zu sagen: Wir haben in diesem Jahr für das Programm 2 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Bis Ende November - der ganze Dezember kommt noch hinzu - haben an diesem Programm schon über 200 000 junge Menschen teilgenommen. Wenn Sie nun eine einfache Division vornehmen, können Sie die Größenordnung des Betrages für jeden einzelnen jungen Menschen errechnen. ({1}) Wenn ich in diesem Zusammenhang die Effekte betrachte, die wir mit diesem Programm erzielt haben, dann denke ich, daß das eine stolze und gute Bilanz ist, die man auch vorzeigen kann. Die Antwort, die ich eben Ihrer Kollegin gegeben habe, bezog sich auf die Zahl der Abbrecher im Programm. Dazu kann man noch keine endgültige Aussage treffen. Man kann sagen, wieviel in das Programm eingetreten sind, wieviel in welchen Maßnahmen gewesen sind. Ansonsten habe ich empfohlen, abzuwarten, bis die Begleitforschung vorliegt. Dann können wir das genauer sehen. Es gibt schon einzelne Zwischenberichte, beispielsweise von Ende Oktober, in denen man das ein bißchen verfolgen kann. Mehr kann ich Ihnen gegenwärtig hier nicht sagen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben gerade angeraten, eine einfache Division vorzunehmen. Ich habe mich bemüht, das schnell nachzuvollziehen. Bei 2 Milliarden DM Einsatz und ungefähr 200 000 geförderten Fällen komme ich auf rund 9 000 bis 10 000 DM je nachdem, wie viele Jugendliche über 200 000 hinaus gefördert werden. In dem hier geschilderten Fall von drei Maßnahmeeintritten bedeutet das 30 000 DM pro Person. Der „Stern“ der vorletzten Woche schreibt von bis zu sieben Maßnahmeeintritten von Einzelpersonen. Sind Sie mit mir der Ansicht, daß man dieses Geld eventuell effektiver hätte einsetzen können? ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich will Ihnen zunächst auf Ihren „Stern“-Hinweis antworten: Auch wir haben zur Kenntnis genommen, daß einzelne Jugendliche bis zu siebenmal in das Sofortprogramm eingetreten sein sollen. Ich sage Ihnen, daß das schlicht Unsinn und nicht möglich ist. ({0}) Die Zahl sieben beruht darauf, daß das IAB beim Aufbau seiner Datenbank bis zu sieben Datensätze pro Jugendlichen vorfand, zum Beispiel durch Korrekturmeldungen, durch Adressenänderungen und ähnliches. Ich habe, weil so etwas schon mehrfach vorgekommen ist, die herzliche Bitte, nicht immer alles zu glauben, was in den Zeitungen steht. Wir haben diese Frage schon mehrfach auf unterschiedlichen Veranstaltungen beantwortet, zum Beispiel im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, im Haushaltsausschuß oder jetzt auch hier. Durch Wiederholung wird das nicht wahrer; sie macht nur eine bestimmte Absicht deutlich. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich bedanke mich herzlich. Ich will noch einmal sagen, daß wir davon ausgehen, daß dieses Programm auf Grund der Effekte, die wir erzielt haben, außerordentlich sinnvoll ist. In einem solchen Fall, den ich hier aufgezeigt habe - junge Leute, die abgetaucht sind, sind in bestimmte Motivierungsprogramme gegangen, wobei möglicherweise erreicht wurde, daß sie eine Beschäftigung oder einen Ausbildungsplatz haben -, die Frage zu stellen, ob man das Geld nicht besser oder effektiver ausgeben könnte, ({0}) das halte ich schlicht für zynisch. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Peter Dreßen.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sehe ich es richtig, daß sich dieses Programm nur an Jugendliche gewandt hat, die sonst bei der Eingliederung in Ausbildungsberufe oder in sonstige Maßnahmen Probleme gehabt hätten? ({0}) Ich will nur noch einmal klarstellen, ({1}) weil Sie das einfach nicht zur Kenntnis nehmen -, daß dieses Programm für Jugendliche aufgelegt worden ist, die sonst Probleme gehabt hätten, Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Herr Staatssekretär, mich würde interessieren, was die damalige Bundesregierung unternommen hat, um den Jugendlichen, die Probleme auf dem Arbeitsmarkt hatten, in irgendeiner Art und Weise entgegenzukommen und zu helfen, damit ihnen überhaupt der Start ins Berufsleben ermöglicht wurde.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich will zunächst einmal festhalten - das haben wir schon häufiger in öffentlichen Debatten, in Aktuellen Stunden, im Ausschuß und sonstwo dargelegt -: Dieses Programm ist ausdrücklich kein Benachteiligtenprogramm. ({0}) Dieses Programm hatte vielmehr einerseits das Ziel, die in den letzten Jahren Jahr für Jahr angestiegene Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen unter 25 Jahren entschiedener zu bekämpfen. Es hatte andererseits das Ziel, den im vergangenen Jahr zu einem bestimmten Stichtag noch nicht versorgten jungen Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchten, eine Chance zu eröffnen. Wer sich die Richtlinien zur Durchführung des Programms mit seinen unterschiedlichen Artikeln genauer anschaut, wird feststellen, daß wir eine ganze Bandbreite von Maßnahmen in diesem Jugendsofortprogramm vorgesehen haben. Das reicht von der Beratung über Trainingsmaßnahmen und Lohnkostenzuschüsse, über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit Sonderqualifizierungsanteilen bis hin zu den Positionen, daß wir über dieses Programm ganz reguläre zusätzliche Ausbildungsplätze finanziert und unterstützt haben oder daß wir über dieses Programm auch ermöglicht haben, daß junge Menschen den Hauptschulabschluß nachholen konnten. Man sieht daran, daß es ein sehr differenziertes Angebot ist, das sich an ganz unterschiedliche Zielgruppen wendet und auch die zwei entscheidenden Schwellen beachtet. Zum einen eröffnet es jungen Leuten, die aus dem allgemeinbildenden Schulsystem kommen, eine Chance, und zum anderen unterbreitet es den jungen Menschen, die aus einer Ausbildung oder Beschäftigung kommen und dann arbeitslos geworden sind, die sozusagen vor der zweiten Schwelle stehen, ein entsprechendes Angebot. Ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Wir sind der Auffassung, daß dieses Jugendsofortprogramm außerordentlich erfolgreich war. Deswegen hat die Bundesregierung auch beschlossen, es für das nächste Jahr fortzusetzen. Deswegen haben wir die entsprechenden Richtlinien in einzelnen Positionen korrigiert. Wir beobachten das genau, legen Rechenschaft darüber ab und lassen das Programm begleiten und evaluieren. Wir beobachten genau die Auswirkungen und wollen möglicherweise auftretenden Fehlentwicklungen entgegensteuern. Im Kern ist das ein außerordentlich erfolgreiches Programm. Es führt dazu, daß die Jugendarbeitslosgikeit - ich wiederhole: seit 1993 ist die Zahl arbeitsloser Menschen unter 25 Jahren Jahr für Jahr angestiegen geringer wird. Wir haben jetzt einen deutlichen Rückgang der registrierten Jugendarbeitslosigkeit, und das ist ein toller Erfolg. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 45 der Kollegin Cornelia Pieper auf. Ist es wahr, daß die Anzahl der Jugendlichen, die den Sprung aus diesem Programm in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis geschafft haben, nicht einmal 25 000 beträgt?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Bei der Beantwortung dieser Frage ist sowohl die Zahl der Jugendlichen, die aus Maßnahmen des Sofortprogramms ausgeschieden und in ein Beschäftigungsverhältnis gewechselt sind, als auch die Zahl der Jugendlichen, die zur Zeit mit Lohnkostenzuschüssen in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden, zu berücksichtigen. Die zuletzt genannte Gruppe zählt so lange zu den Teilnehmern des Sofortprogramms, wie Lohnkostenzuschüsse gewährt werden. Ende November 1999 waren dies 22 182 Jugendliche, deren Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt mit Lohnkostenzuschüssen gefördert wurde. Insgesamt wurden bislang für 26 500 Jugendliche Lohnkostenzuschüsse gewährt. Frau Pieper, Sie merken schon, es geht nur um eine einzige Maßnahmensparte in diesem Zusammenhang. Wenn ich mir Ihre Frage noch einmal anschaue, so wird allein schon durch diese eine Maßnahme die von Ihnen genannte Zahl von 25 000 Jugendlichen deutlich übertroffen. Nach Hochrechnungen, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufungsforschung der Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen seiner Begleitforschung zum Sofortprogramm durchgeführt hat, waren im Oktober 1999 von den Teilnehmern, die das Sofortprogramm wieder verlassen haben, 22 000 erwerbstätig, 20 000 haben eine berufliche Ausbildung aufgenommen, ({0}) ein Teil davon auch eine außerbetriebliche Ausbildung im Rahmen des Sofortprogramms. ({1}) Wenn Sie allein diese drei Zahlen addieren, Frau Pieper, liegen Sie schon ganz deutlich und drastisch über den von Ihnen genannten 25 000 Jugendlichen. ({2}) Außerdem möchte ich erwähnen, daß durch nach Art. 2 der Richtlinien zur Durchführung des Sofortprogramms geförderte Projekte 8 110 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze gewonnen werden konnten. Wenn Sie also allein diese Bilanz nehmen, dann liegt diese Zahl deutlich höher als das, was in Ihrer Frage enthalten ist.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage, Frau Pieper.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann die Kritik des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, ({0}) der ganz andere Zahlen vorgelegt und deutlich gesagt hat, daß die Anzahl der Ausbildungsplätze gerade im Handwerk in diesem Jahr zurückgegangen ist und auch die Kostenbelastung gerade für das Handwerk und die kleinen und mittleren Unternehmen so hoch geworden ist, daß sie zum Teil keine Ausbildungsplätze mehr schaffen können? Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz in den Aussagen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich habe schon bei der Beantwortung einer anderen Zusatzfrage darauf hingewiesen, daß es darüber ausführliche Diskussionen gibt. Ich möchte ausdrücklich sagen: Man muß nicht jede Zahl glauben, die in der Zeitung steht. Man muß auch nicht jede Zahl glauben, die von den Verbänden in die Welt gesetzt wird. ({0}) Ich kann Ihnen Monat für Monat die Bilanz der Bundesanstalt für Arbeit vorlegen. Jede einzelne MaßnahmeParl. Staatssekretär Gerd Andres position wird überprüft. Zu dieser Bilanz stehen wir in der Fragestunde und im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Rede und Antwort. Ich hatte das große Vergnügen, das Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit schon dreimal im Haushaltsausschuß erläutern zu dürfen. Ich gehe dort auch jederzeit wieder hin, weil ich der Überzeugung bin, daß das, was wir machen, sehr erfolgreich ist. Ich habe Ihnen gerade erklärt, daß die Zahl, die Sie genannt haben, schon deswegen nicht stimmen kann, weil bereits durch eine einzige Maßnahme, nämlich Lohnkostenzuschüsse, die Zahl der Beschäftigten im ersten Arbeitsmarkt deutlich stärker gestiegen ist, als Sie gemeint haben. Es tut mir leid, ich weiß nicht, wie ich dann andere Zahlen bewerten soll. Ich weiß natürlich auch, daß es im politischen Geschäft bestimmte Interessen gibt und daß die auch ausgetragen werden. Ich kann Ihnen keine anderen Zahlen nennen als die, die ich vorgetragen habe. Diese Zahlen wiederhole ich bei jeder Zusatzfrage immer wieder gerne.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine zweite Zusatzfrage.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wollten Sie damit zum Ausdruck bringen, daß die Bundesanstalt für Arbeit die Unternehmens- und Geschäftsbilanzen besser kennt als die Handwerks- und mittelständischen Betriebe selbst?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich habe Ihre Frage nicht verstanden. Vielleicht können Sie sie mir erklären.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Weil Sie die Zahlen und Aussagen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks in Frage gestellt haben, habe ich Sie gefragt, ob Ihrer Meinung nach das Handwerk selbst über die Situation in den eigenen Firmen schlechter Bescheid weiß als die Bundesanstalt für Arbeit. Das haben Sie behauptet.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Das hat nichts mit Geschäftsbilanzen zu tun; vielmehr wird im Handwerk und in den IHKs nach bestimmten Regeln das gezählt, was man selbst zählen kann. Es geht um Ausbildungsordnungen und ähnliches mehr. Sie haben danach gefragt, wie viele junge Menschen einen Arbeitsplatz im ersten Beschäftigungssektor erhalten haben. ({0}) Ich habe Ihnen die Zahlen, die die Bundesanstalt für Arbeit hieb- und stichfest vorlegen kann, genannt. ({1}) Woher Sie irgendwelche anderen Zahlen, mit denen Sie Vergleiche anstellen, hernehmen, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich kann Ihnen nur das vorlegen, was die Bundesanstalt für Arbeit - abgestimmt Arbeitsamtsbezirk für Arbeitsamtsbezirk - jeden Monat bilanziert. Ich werde Ihnen hier auch nichts anderes vorlegen. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 46 des Kollegen Dirk Niebel auf: Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Hauptverbände der Deutschen Holz- und Möbelindustrie, dass die geplanten Lohnkürzungen bei gleichzeitiger Mehrarbeit der Beschäftigten der Philipp Holzmann AG zu einer Flucht aus der Tarifbindung führen könnten, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Es gibt bisher keine Erkenntnisse darüber, daß Bauunternehmen aus den Arbeitgeberverbänden austreten. Davon abgesehen, steht es den Tarifvertragsparteien frei, auf Verbands- oder Unternehmensebene flexible Regelungen zu treffen. Arbeitsrechtliche Hemmnisse stehen dem nicht entgegen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Auf Grund des Sanierungskonzeptes hat die Firma Holzmann - zumindest bis zum Zeitpunkt der letzten Tickermeldung - die Gelegenheit bekommen, mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung über weniger Lohn, mehr Arbeit und geringeres Urlaubsgeld einzugehen. Das führt dazu, daß andere Betriebe das Gefühl haben, im Wettbewerb schlechter gestellt zu werden, weil sie diese Möglichkeit nicht haben. Beabsichtigt die Bundesregierung generell eine Lockerung des Flächentarifvertrags?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich habe auf Ihre eingereichte Frage schon geantwortet, daß arbeitsrechtliche Hemmnisse dem nicht entgegenstehen. Wir beabsichtigen dies nicht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine zweite Zusatzfrage.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kann ich Ihre Antwort so verstehen, daß das Günstigkeitsprinzip nach Auffassung der Bundesregierung auch dahin gehend zu interpretieren ist, daß Lohnverzicht für den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer günstiger sein kann als der Verlust desselbigen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter, Sie können meine Antwort verstehen, wie Sie wollen. ({0}) Sie können meiner Antwort nur das entnehmen, was ich gesagt habe. Wir sind der Auffassung, daß es keine arbeitsrechtlichen Hemmnisse gibt. Ansonsten schreiben das Tarifvertragsgesetz und andere Gesetze bestimmte Bedingungen vor. Nach denen haben Sie nicht gefragt. Ich kann Ihnen nur sagen, daß einer solchen Entwicklung gegenwärtig keine rechtlichen Hemmnisse entgegenstehen. Wir haben nicht die Absicht, das Günstigkeitsprinzip zu ändern.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Niebel auf: Eröffnet die geplante Vereinbarung über Lohn- und Gehaltskürzungen und längere Arbeitszeiten der Mitarbeiter der Philipp Holzmann AG die Chance zur Flexibilisierung der Tarifverträge auch im Westen, und ist die Bundesregierung bereit, gegebenenfalls gesetzliche Rahmenbedingungen dafür herbeizuführen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Welche Schlußfolgerungen die Tarifvertragsparteien aus dem Fall Holzmann ziehen, bleibt ihnen überlassen. Gesetzliche Hemmnisse zur Umsetzung von Flexibilisierung gibt es nicht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie in Ihren beiden letzten Antworten sehr pauschal und ohne auf die wirklichen Fragen einzugehen geantwortet haben, möchte ich Sie fragen, ob es nicht doch, wie am Beispiel Holzmann ersichtlich, ein massives Hemmnis ist, daß in einer Situation, in der sich Betriebsrat, Arbeitnehmer und Arbeitgeber darüber einig sind, daß eine bestimmte Abweichung vom Tarifvertrag für sie günstiger ist, weil das ihren Arbeitsplatz erhalten kann, gleichwohl das Arbeitsrecht trotz dieser übereinstimmenden Auffassungen von Arbeitnehmern, Arbeitgeber und Betriebsrat dies nicht als günstiger zuläßt. Ist dies nicht doch ein Hemmnis? ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Göhner, Ihre Bewertung meiner Antworten als pauschal teile ich natürlich nicht. Ich bin der Meinung, daß ich knapp und präzise geantwortet habe. Wenn man sich anschaut, was der Abgeordnete Niebel gefragt hat, dann stellt man fest, daß er diejenigen Antworten erhalten hat, die seinen Fragen angemessen sind. Ob man Hemmnisse sieht oder nicht, hängt davon ab, wie man bestimmte Tatbestände - Günstigkeitsprinzip und andere Dinge - bewertet. Dazu habe ich hier sehr präzise geantwortet. ({0}) - Doch, lesen Sie es nach. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Göhner, Sie haben leider keine weitere Zusatzfrage mehr. Eine andere Zusatzfrage möchte Herr Kolb stellen, bitte schön.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie wollen konkret gefragt werden, damit Sie konkret antworten können. Sind Sie der Auffassung, daß § 77 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes einer Vereinbarung auf Betriebsebene über die Lohnhöhe nicht entgegensteht? Gehen Sie davon aus, daß der jetzige § 77 Abs. 3 es zuläßt, daß eine Betriebsvereinbarung bei Holzmann über nach unten abweichende Löhne getroffen werden kann? Ja oder nein?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Nein. ({0}) - Nein.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Staatssekretär hat auf die Frage geantwortet. Weitere Zusatzfragen sind nicht zulässig. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich hätte jetzt gern noch der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Brigitte Schulte das Wort gegeben; aber nachdem bereits der Abgeordnete Werner Siemann um schriftliche Beantwortung der Fragen 50 und 51 gebeten hat, hat sich dem auch der Kollege Roland Claus von ihm stammen die Fragen 48 und 49 - angeschlossen. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, daß Sie dennoch hier waren. Damit ist die Fragestunde beendet. Zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 31 bis 40 zur Sanierung der Philipp Holzmann AG hat die Fraktion der F.D.P. eine Aktuelle Stunde verlangt. Ich rufe also auf: Aktuelle Stunde Sanierung Holzmann AG Als erster Redner hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms das Wort.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die teilweise unbefriedigenden und unklaren Antworten in der Fragestunde haben erwiesen, daß die Intervention des Bundeskanzlers bei der Sanierung des Konzerns Philipp Holzmann einer genauen Betrachtung bedarf. Die Intervention des Bundeskanzlers Gerhard Schröder bei diesem Sanierungsversuch wird nämlich täglich - jetzt muß man schon sagen: stündlich bzw. minütlich - fragwürdiger. Heute morgen ist die Meldung bekanntgeworden, daß nicht 3 000 Arbeitnehmer bei Philipp Holzmann ausscheiden müssen, sondern 5 000. Es sind also 2 000 mehr; die Zahl hat sich nahezu verdoppelt. ({0}) Mit Ticker-Meldung von 14.42 Uhr, also vor etwa einer Stunde - schauen Sie einmal auf die Uhr -, kommt die Nachricht, daß der Präsident des Verbandes der Bauindustrie, Herr Walter, sagt, daß ihm keine anderen Möglichkeiten blieben, als gegen die Betriebsvereinbarungen bei Philipp Holzmann - die bis heute ein wesentlicher Baustein dieses Sanierungskonzeptes sind - zu klagen. Um 15.13 Uhr, also vor etwa einer halben Stunde, kommt die Ticker-Meldung, daß der Vorsitzende der Bauarbeitergewerkschaft, unser Bundestagskollege Wiesehügel, ({1}) ankündigt, daß er ebenfalls beabsichtige, gegen den Betriebsrat und die Geschäftsführung von Philipp Holzmann zu klagen. ({2}) Nun höre ich - das ist auch eine Ticker-Meldung -, daß der Bundeskanzler persönlich telefonisch versucht hat, Herrn Walter zu überreden, von der Klage Abstand zu nehmen. ({3}) Das ist nun Vergangenheit. Er wollte wohl versuchen, seine mißlungenen Sanierungsbemühungen am Leben zu erhalten. ({4}) Zu dieser Intervention des Bundeskanzlers gibt es Fragen über Fragen. Grundsätzlich ist es immer so, daß dann, wenn sich der Staat in den Wettbewerb einmischt, Wettbewerbsverzerrungen entstehen, ({5}) und zwar in aller Regel zu Lasten der kleinen und mittleren und zugunsten von großen Unternehmen. ({6}) Wenn 20 000 Arbeitnehmer entlassen werden sollen, kommen der Bundeskanzler, der Ministerpräsident, die Oberbürgermeisterin und noch einige Pastoren. Wenn bei 100 mittelständischen Unternehmen mit jeweils 200 Mitarbeitern die Not groß ist und die Insolvenz bevorsteht, dann kommt keiner. ({7}) Die läßt man ohne Rührung über die Klinge springen. ({8}) Was hat denn nun den Bundeskanzler veranlaßt, gerade im Fall Philipp Holzmann zu intervenieren? ({9}) Philipp Holzmann war doch bekannt dafür - hören Sie sich das bitte an -, am Bau- und Wohnungsmarkt wie der Hecht im Karpfenteich zu agieren. Dieses Unternehmen hat in besonderer Weise die kleinen und mittleren Unternehmen aus dem Markt gedrückt, indem es mit Dumpingpreisen den Wettbewerb verzerrte. ({10}) Es wurden Bilanzmanipulationen begangen und falsche Darstellungen gemacht. Das Unternehmen hat unter Preis angeboten und dadurch Defizite eingefahren. Nun kommt der Bundeskanzler und will mit dem Geld der Steuerzahler diese Defizite ausgleichen, die ja in Kauf genommen wurden, um Mittelständler vom Markt zu drängen. So darf der Staat nicht mit dem Geld der Steuerzahler umgehen. ({11}) Hier wird Mißmanagement belohnt, mangelnde Aufsicht im Aufsichtsrat sanktioniert und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die ebenfalls ihre Aufgaben nicht erfüllt hat, in Schutz genommen. Das geht so nicht, meine Damen und Herren. Der Staat hat nicht die Aufgabe, falsche Unternehmenspolitik zu korrigieren. ({12}) Es müssen vielmehr die Beteiligten die Suppe auslöffeln, die sie sich selbst eingebrockt haben. ({13}) Ich frage die Bundesregierung: Was tut sie, wenn die Betriebsvereinbarung nicht zustande kommt und das gesamte Sanierungskonzept platzt, ({14}) mit Ihrer Zusage in Höhe von 250 Millionen DM? Im übrigen möchte ich wissen, was eigentlich passiert, wenn die Europäische Union die Beihilfe nicht genehmigt. Was gilt dann die Zusage des Bundeskanzlers? Steht er dann blamiert da? Schließlich stellt sich die Frage, wie sich diese Intervention auf das allgemeine Ansehen der deutschen Wirtschaftspolitik auswirkt. Ist es denn ein Zufall - dazu habe ich ja auch eine Frage gestellt -, daß der Euro-Kurs gerade im Zusammenhang mit dieser Intervention auf ein historisches Tief gefallen ist? Der Präsident der Europäischen Zentralbank hat ja Gleiches gesagt. Meine Damen und Herren, die ganze Sache stinkt. So geht es nicht. ({15}) Es bleibt der wirklich traurige Eindruck, daß der Bundeskanzler, indem er sich die Sorgen der Bauarbeiter von Philipp Holzmann zunutze gemacht hat, ({16}) das Schauspiel der Zustimmung vieler Bauarbeiter vor den Fernsehkameras nutzen wollte, um seinen Parteitag gut vorzubereiten und dort eine Mehrheit zu erzielen, ({17}) anstatt seiner Verantwortung als Chef der deutschen Bundesregierung gerecht zu werden, indem er sich ({18}) an die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft gehalten, den Wettbewerb nicht verfälscht und Holzmann dem Insolvenzverfahren überlassen hätte. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Solms, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das Kapitel ist heute noch nicht beendet. Es wird auch so nicht durchgehen. Es kann nicht angehen, daß ein Großunternehmen, in dem Mißwirtschaft betrieben wurde, auf Kosten der Steuerzahler saniert wird, während viele Mittelständler und die Arbeitnehmer bei vielen mittelständischen Unternehmen sang- und klanglos untergehen müssen. So kann in Deutschland keine Wirtschaftspolitik betrieben werden. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die SPD-Fraktion gebe ich dem Kollegen Dr. Ditmar Staffelt.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Solms, es hätte eigentlich nur noch gefehlt, daß Sie Ihre Rede um die These ergänzt hätten, zunächst habe die rotgrüne Koalition den Zusammenbruch des Holzmann-Konzerns herbeigeführt, um im Anschluß daran einen ordentlichen Showauftritt für den Herrn Bundeskanzler zu inszenieren. ({0}) Ich muß ehrlich sagen, daß ich Ihnen - Sie behaupten ja immer, etwas von Wirtschaft zu verstehen - zugetraut hätte, sich ein wenig stärker an den Tatsachen zu orientieren ({1}) und sich mit dem auseinanderzusetzen, worum es hier eigentlich geht. Niemand in diesem Hause verteidigt die Praktiken des Vorstandes des Holzmann-Konzerns. ({2}) Es konnte auch nicht der Eindruck entstehen - das gilt ebenso für die Fragestunde -, der Parlamentarische Staatssekretär sei der heimliche Vorstand der Holzmann AG. ({3}) Nein, wir sind diejenigen, die den Vorgang, um den es hier geht, zu analysieren haben. ({4}) Wegen der Haltung der Banken und der Nichtzurverfügungstellung ausreichender finanzieller Mittel ist ein Stück Hilfe von seiten der öffentlichen Hand gegeben worden. Ich erinnere mich an die allererste Debatte zu Holzmann in diesem Hause. Man konnte gar nicht so schnell schauen, wie die CDU/CSU und die F.D.P. darauf hinwiesen, nicht nur der Kanzler, sondern auch Ministerpräsident Koch und Oberbürgermeisterin Roth hätten an der Rettung des Konzerns mitgewirkt, was nicht in Vergessenheit geraten dürfe. ({5}) Heute erklären Sie, der Weg sei völlig falsch und der Kanzler habe wegen des bevorstehenden SPD-Parteitages nur eine Show abziehen wollen. ({6}) Dies ist allein schon gegenüber den Zehntausenden betroffener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schofelig. ({7}) Sie machen es sich hier viel zu einfach, zumal dieser Vorgang nichts Neues ist. Es ist der Zwischenruf „Lambsdorff und AEG“ gemacht worden. Herr Rexrodt war damals als Senator in Berlin an der AEG-Sanierung beteiligt. ({8}) Die F.D.P. hat in dieser Frage also auch eine sehr konkrete Geschichte. Das kritisieren wir gar nicht. Worum geht es? Die Zielsetzung war, daß wir wenigstens den Versuch unternehmen, eine Grundlage für eine Sanierung zu schaffen. Dieser Sanierungsversuch sollte in allererster Linie Arbeitsplätze retten helfen. ({9}) Genau diesen Ansatz haben Sie auch bei den Fällen Maxhütte und Bremer Vulkan verfolgt, die in Ihre Regierungszeit fielen. ({10}) Ich glaube, auch bei Leuna war es so. ({11}) Bei Leuna konnte nur nicht direkt subventioniert werden; da ist es dann über die Treuhand gelaufen. Die Frage nach den Details kann wahrscheinlich nur die CDU/CSU-Fraktion beantworten. ({12}) Wir tun recht daran, uns mit den Fakten sehr ruhig und sachlich auseinanderzusetzen. Dazu gehört, Herr Solms, daß wir festhalten, daß es offensichtlich erhebliche Managementfehler gegeben hat. Dazu gehört auch, daß es offensichtlich Versäumnisse bei der Wahrnehmung der Aufsichtspflichten gegeben hat. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, daß in der letzten Legislaturperiode ein Gesetzesvorschlag der SPD-Fraktion, mit dem Änderungen der Aufgaben der Aufsichtsräte herbeigeführt werden sollten, von Ihnen nicht hätte abgelehnt, sondern angenommen werden sollen. Dann wären wir heute ein ganzes Stück weiter. ({13}) Wir werden uns dieser Frage erneut annehmen. Ich gebe auch zu, daß es ein großes Problem ist, wenn der Vertreter einer Bank, die zweitgrößter Anteilseigner an einem solchen Unternehmen ist, gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender ist, weil er dadurch möglicherweise zwei Loyalitäten hat, in so kritischen Situationen aber natürlich nur zugunsten einer Loyalität entscheiden kann. Auch darf man - hier müßten Sie etwas differenzierter argumentieren - die mittelständische Wirtschaft nicht in der Weise, wie Sie es getan haben, als Opfer in die Diskussion einführen. ({14}) Für einen erheblichen Teil kleiner und mittlerer Unternehmen ist es die Rettung gewesen, weil sie jetzt für ihre Leistungen bezahlt werden können. ({15}) - Sie können so laut grölen, wie Sie wollen. Mit dem Mikrophon kann ich lauter sprechen. ({16}) Ich sage Ihnen eines: Vergessen Sie bitte nicht - und erzählen Sie in diesem Zusammenhang keine Märchen -, daß wir gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen eine Vielzahl von Instrumenten haben: die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Deutsche Ausgleichsbank und viele landeseigene Institute. Diese Institutionen stärken das Eigenkapital und können Liquiditätsengpässe ausgleichen. Tun Sie doch nicht so, als würden wir nur etwas für die großen Unternehmen tun und die kleinen Unternehmen einfach hängen lassen! Das ist unwahr und entspricht nicht den politischen Zielen unserer Koalition. ({17}) Ich will zum Schluß um eines bitten: Tun Sie uns selbst den Gefallen - uns selbst, weil es um das Ansehen der Politik geht und weil es darum geht, daß wir die Zusage einhalten, die wir alle gemeinsam gegeben haben -, ({18}) alles daran zu setzen, daß ein Versuch der Sanierung dieses Unternehmens möglich wird und daß dieser Versuch nicht durch waghalsige und durch gegenüber der Arbeitnehmerschaft zum Teil ziemlich miese Behauptungen kaputt geredet wird! Das würde der Sache und insbesondere den Menschen nicht helfen. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Gunnar Uldall.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragestunde, die wir heute erlebt haben, und die Rede unseres Kollegen Staffelt, die wir gerade gehört haben, zeigen doch, daß das Thema Holzmann für die SPD kein Jubelthema, so wie sie es vor 14 Tagen präsentiert hat, mehr ist. ({0}) Jubel hätte es drei Tage vor dem Parteitag der SPD bei dem wohlinszenierten Fernsehauftritt von Gerhard Schröder in Frankfurt nicht gegeben, wenn er von vornherein die Wahrheit gesagt hätte. ({1}) Wenn Schröder gesagt hätte, es tue ihm fürchterlich leid, aber es müßten 5 000 Arbeitnehmer von Holzmann entlassen werden, ({2}) dann hätte es keinen Jubel, sondern angesichts dieser Ehrlichkeit Pfiffe gegeben. ({3}) Diese Situation liegt aber jetzt vor. - Frau Staatssekretärin, es handelt sich doch nicht um geheime Informationen, die hier aus Verschlußsachen zitiert werden müßten. Wenn Sie so reden, dann machen Sie alles nur noch viel dramatischer. - Herr Staatssekretär Mosdorf hat heute morgen im Ausschuß berichtet - er läßt sich ja gerne zitieren -, daß 5 000 Arbeitnehmer von Holzmann in den nächsten zwei Jahren das Unternehmen verlassen müssen. ({4}) 5 000 Arbeitnehmer heißt 30 Prozent der inländischen Arbeitnehmer von Holzmann. Es ist daher absolut falsch, eine große Jubelveranstaltung abzuhalten. ({5}) Gerhard Schröder hatte sich selbst unter Erfolgsdruck gesetzt. Am Mittwochmorgen stand in allen Zeitungen Deutschlands als Aufmacher: Schröder erklärt Holzmann zur Chefsache. - Wenn der Kanzler etwas zur Chefsache erklärt, dann weiß man, daß er zum Erfolg kommen muß. ({6}) Dieser Erfolgsdruck ist ausgenutzt worden. Der Steuerzahler muß das erreichte Ergebnis mit 250 Millionen DM sehr teuer bezahlen. ({7}) Weil es eine unnötige Hektik und Eile wegen des selbstgesetzten Erfolgsdrucks gegeben hat, wurde eine Hauptursache für die Gefährdung von Holzmann nicht beseitigt. ({8}) Die Mietgarantien existieren nämlich auch in der Zukunft. Das Fortbestehen der Mietgarantien bedeutet, daß Holzmann an die Bauträger hohe Summen zahlen muß. Wenn man aber ein ordentliches Insolvenzverfahren eingeleitet hätte, hätten diese Mietgarantien nicht fortbestanden. Jetzt müssen wir aber leider feststellen, daß durch diese Mietgarantien für die Bauträgergesellschaften ein großer Teil der aus Steuermitteln aufgewendeten 250 Millionen DM verzehrt werden. Dieses Geld hätten wir zum Wohle des Steuerzahlers einsparen können. ({9}) Wir konnten in den vergangenen Wochen den Statistiken entnehmen, daß im letzten Jahr 8 000 Baubetriebe durch Insolvenz gefährdet worden sind. Von diesen 8 000 Baubetrieben wurde 7 999 nicht geholfen. Einem einzelnen Baubetrieb wurde geholfen. Da fragt man sich, nach welchen Auswahlkriterien die Bundesregierung in einem solchen Fall vorgeht. ({10}) Der kleine Mittelständler zählt nicht. Der große Fall, der sich in den Medien gut vermarkten läßt, löst die entsprechende Unterstützung durch den Bund aus. Deswegen frage ich Sie: Nach welchem Kriterienkatalog wird die Bundesregierung denn vorgehen, Herr Staatssekretär, wenn in den nächsten Tagen - was Gott verhüten möge - ein ähnlicher Fall auftauchen würde? Sie können dann nicht nein sagen, denn Sie haben jetzt einen Präzedenzfall geschaffen. Deswegen müssen Sie dann erneut mit viel Geld aus der Staatskasse helfen. ({11}) Dabei hat doch Philipp Holzmann durch seine Niedrigstpreise andere in Schwierigkeiten, andere an den Rand des Insolvenzverfahrens gebracht. ({12}) Nun werden die vorhandenen Überkapazitäten nicht durch ein Insolvenzverfahren von Philipp Holzmann abgebaut, sondern durch den Ruin einer Vielzahl kleiner und mittelständischer Betriebe, denen nicht in entsprechender Form geholfen wird. ({13}) Sie können mit 250 Millionen DM nicht den Strukturwandel bei uns in Deutschland aufhalten. Dieses Geld wird nicht zum Erfolg führen. Die Politik, die von der Bundesregierung ergriffen wird, ist eine interventionistische Politik der 70er Jahre. ({14}) Sie paßt nicht mehr in das jetzige Zeitalter hinein; sie darf so nicht laufen. Ich möchte diesen Fall deswegen abschließend so bewerten, wie es die „Financial Times“ beschrieben hat: „Einer der Jobs, die Schröder gerettet hat, war sein eigener.“ Dem habe ich nichts hinzuzufügen. ({15})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Margareta Wolf.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nunmehr verfolge ich die Debatte schon seit ihrem Beginn um 9.30 Uhr im Ausschuß. Ich frage mich zunehmend, was diese Inszenierung soll. Ich finde sie unerträglich. ({0}) Verehrter Herr Kollege Uldall, Sie haben gerade gesagt, es handele sich um Interventionismus, und haben das mit den 70er Jahren verglichen. Vielleicht ist Ihnen entgangen, daß in dieser Republik - und zwar von der „FAZ“ über das „Handelsblatt“ bis zur „Zeit“ - inzwischen eine Debatte im Anschluß an die WTO-Konferenz unter der Überschrift läuft, die Leute hätten Angst vor der Globalisierung, sie hätten Angst vor dem Turbokapitalismus und sie befürchteten, daß nationale Politik keinen Einfluß mehr auf wirtschaftliche Prozesse und auf den Arbeitsmarkt habe. ({1}) - Das hat damit sehr viel zu tun! ({2}) Ich glaube, es ging in diesem Fall darum, das Vertrauen in die Politik zu stärken. ({3}) Das hat die Bundesregierung mit dieser Intervention gemacht. Sie hat die Banken in die gesamtgesellschaftliche Verantwortung gezwungen. Die Banken hätten das sonst nicht getan. Ich denke, daß es sich bei dieser Geschichte insofern nicht um einen ordnungspolitischen Sündenfall, sondern um eine gesellschaftspolitisch, ordnungspolitisch und strukturpolitisch notwendige Initiative handelt. ({4}) Verehrter Herr Kollege Uldall, Sie argumentieren nicht stringent. Sie sagen dem Kollegen Mosdorf, man habe vor ein paar Tagen noch davon gesprochen, daß bei Holzmann vermutlich 3 000 Arbeitnehmer entlassen werden müßten. Bei Holzmann handelt es sich nicht um einen Staatsbetrieb. Die Firma Holzmann wird im Moment von Roland Berger begutachtet; es wird ein Sanierungskonzept erstellt. Sie wissen ganz genau, daß Sie erst nach Fertigstellung dieses Sanierungskonzeptes relativ definitiv sagen können, wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebes entlassen werden müssen. ({5}) Meine Damen und Herren, Sie argumentieren heute schon den ganzen Tag damit, den Großen würde geholfen und die Kleinen müßten in die Röhre schauen. ({6}) Das ist eine absolute Volksverdummung. Das wissen Sie genau! ({7}) Der Kollege Mosdorf hatte darauf hingewiesen, daß an dem Betrieb Holzmann 500 ostdeutsche Kleinstunternehmen hängen, die als leistungsstark gelten, die aber, wenn Holzmann dichtmachen müßte, auch dichtmachen müßten. ({8}) Zum zweiten, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich Ihnen aus einer AP-Meldung vorlesen, die noch gar nicht so alt ist. ({9}) Sie sollten einmal zuhören, das soll manchmal helfen. In dieser AP-Meldung zum Thema kleine und mittlere Unternehmen, Hilfe des Bundes heißt es: Der Bund, die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau ({10}) und die Deutsche Ausgleichsbank … stellten zusammen pro Jahr - 1998, 1999 mehr als 30 Milliarden Mark für die Mittelstandsförderung bereit … - Es handelt sich bei Holzmann, um daran zu erinnern, um Bürgschaften in einer Größenordnung von 250 Millionen DM. Ferner würden für kleine und mittlere Unternehmen Bürgschaften bis jeweils 1,5 Millionen Mark gewährt. Darüber hinaus gebe es für die neuen Länder ein Bürgschaftsprogramm der DtA bis zu 20 Millionen Mark und gemeinsame Bundes- und Landesbürgschaften. Kredite für den Mittelstand seien in der Größenordnung von 2,6 Milliarden DM verbürgt worden. Zur Überwindung von Liquiditätsengpässen seien Liquiditätshilfen in der Größenordnung von 1,1 Milliarden DM zur Verfügung gestellt worden. Das sind vorrangig Programme ({11}) - hören Sie einmal zu! -, die Sie in den letzten Jahren aufgelegt haben und die wir jetzt für die kleinen und mittleren Unternehmen aufgestockt haben, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({12}) Soviel zu Ihrem populistischen Argument - das nur Angst verbreitet und sonst gar nichts -, die kleinen Unternehmen würden hier ständig in die Röhre gucken. Sie haben jetzt ein Thema gefunden, von dem Sie glauben, daß Sie damit endlich wieder aus Ihrem Loch herauskommen. Nur darum geht es Ihnen doch! Sie langweilen uns mit einer Debatte, der Fragen zugrunde liegen, die der Kollege Mosdorf in der Fragestunde heute schon zweimal beantwortet hat. Wir führen hier eine Aktuelle Stunde zu den Fragen 33 bis 40, die bereits ausführlich beantwortet wurden. Sie machen das hier alles nur, damit Sie wieder eine positive Performance haben - die Sie aber nicht haben, Herr Kollege; es ist nur eine vermeintlich positive Performance. Trotzdem müssen wir uns - gerade vor dem Hintergrund der Pleiten, die wir in der Vergangenheit in Großunternehmen hatten: MG, Balsam, Schneider, AEG; es wurde schon darüber geredet - Gedanken darüber machen, ob die Rahmenbedingungen, die wir im Aktienrecht festgelegt haben, tatsächlich noch tauglich sind: im Interesse der Betriebe, im Interesse der Aktienkultur in Deutschland und im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir sollten uns gerade unter dem Gesichtspunkt der Aufsichtspflicht darüber Gedanken machen, ob eine wechselseitige Präsenz der Gläubigerbanken in den Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen tatsächlich zuträglich ist. Ich glaube, nicht. Wir sollten - über das KonTraG hinaus - gesetzlich festschreiben, daß die Einführung eines verbindlichen Risikomanagements für jede AG gilt. Das haben Sie in der Vergangenheit versäumt. Man muß die Prüfberichte allen Aufsichtsratsmitgliedern aushändigen, Herr Solms, sonst sind sie nicht in der Lage, die Unternehmen wirksam zu kontrollieren. Wir müssen - das sagen uns Goldman Sachs und ausländische Banken - die Verflechtungen zwischen Banken und Unternehmen entzerMargareta Wolf ({13}) ren. Hier muß mehr Transparenz herrschen. Diese Bundesregierung wird sich darum kümmern. Hier müssen wir Versäumtes nachholen, was auf Ihre Untätigkeit in den letzten Jahren zurückzuführen ist. Danke schön. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht der Kollege Rolf Kutzmutz.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe keinen Grund, etwas an meiner grundsätzlichen Haltung, die ich am 25. November 1999 zu Holzmann und zur Rettung von Arbeitsplätzen dort dargelegt habe, zu ändern. ({0}) - Herr Tauss, es war eine richtige Entscheidung. Vielleicht können Sie hier auch zustimmen. Es war in einer konkreten Situation, an einem bestimmten Tag im November die richtige Entscheidung, wobei ich damit ausdrücklich die wirtschaftliche Situation eines in einer schwierigen Branche tätigen Unternehmens, die Chance des Erhalts von konkreten Arbeitsplätzen vor dem Hintergrund der Gefahr kurzfristiger Verwerfungen in einem ganzen Wirtschaftszweig meine und nicht etwa, wie es hier zum Ausdruck gebracht worden ist, die politische Situation des Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden der SPD. Politik kann und darf nicht beiseite stehen, wenn es um die Abwehr der beschriebenen akuten Gefahren geht, die eine ganze Volkswirtschaft getroffen hätten. Hier, Herr Kollege Uldall, habe ich eine andere Einschätzung als Sie. Warum ist Herr Ministerpräsident Koch, warum ist die Oberbürgermeisterin Frau Roth denn in die Gespräche hineingegangen? Warum hat Herr Koch, fast resignierend, festgestellt, daß er das Ziel nicht erreichen konnte? ({1}) Was hätten wir heute für eine Diskussion, wenn Herr Koch und Frau Roth schon in der ersten Runde ohne das Sich-Einschalten des Bundeskanzlers Erfolg gehabt hätten? Ich glaube nicht, daß Sie das mit der Vehemenz beklagt hätten, wie Sie es hier jetzt getan haben. ({2}) Ich will auch sagen - Herr Kollege Staffelt hat es angesprochen; manchmal muß man es wiederholen, damit es deutlich wird -: Holzmann ist kein Einzelfall, kein „ordnungspolitischer Sündenfall“ nur dieser Bundesregierung. Es hat in der Ära Kohl den Bremer Vulkan gegeben. Es hat die bayerische Maxhütte in der Ära Stoiber gegeben, und es hat die AEG in der Ära Lambsdorff gegeben. Natürlich können Sie nun sagen, jetzt sei eine andere Zeit; das sei früher gewesen und gehe jetzt nicht mehr. Aber ich denke, es gibt eine Verantwortung der Politik, in dieser Situation Einfluß zu nehmen. ({3}) Ob und welche Effekte die Viertelmilliarde Steuergelder tatsächlich haben wird, ob sie eine Chance oder letztlich ein Fluch für viele der Zehntausende von Arbeitsplätzen im Holzmann-Konzern und für Hunderttausende von Arbeitsplätzen in der ganzen Baubranche sein wird, werden wir alle nach dem heutigen Stand der Dinge frühestens im Februar 2000, wenn das versprochene Sanierungskonzept tatsächlich vorliegt, seriös einschätzen können. Diese Zeit sollten wir uns dann auch nehmen. Was wir aber schon heute beurteilen können, sind wirtschaftspolitische Konsequenzen aus dem Fall Holzmann. Diesen Forderungen muß sich die Regierung schon heute stellen, weil sie diese schon als Opposition ernsthaft und lautstark vertreten hat. ({4}) Erstens. Holzmann wurde Opfer seines eigenen Preisdumpings. Holzmann trieb das Subunternehmerunwesen auf die Spitze. Konsequenzen für die öffentliche Auftragsvergabe müssen endlich gezogen werden, und zwar nicht nur unter dem Aspekt, daß das billigste Angebot in den seltensten Fällen das preiswerteste und wirtschaftlichste Angebot ist, sondern auch dahin gehend, daß endlich mit der bevorzugten Vergabe von Teil- und Fachlosen Ernst gemacht wird. Auch wenn sich damit die öffentlichen Investitionen erst einmal verteuern: Die Kosten für die öffentlichen Hände werden langfristig und dauerhaft geringer. ({5}) Zweitens. Egal, was Staatsanwälte, Zivilrichter oder Journalisten im Fall der mit Holzmann verbundenen Vorstände, Aufsichtsräte, Banker und Wirtschaftsprüfer irgendwann abschließend herausgefunden haben werden: Die rechtlichen Regelungen hinsichtlich Konzentration und Transparenz im Unternehmensbereich gehören auf den Prüfstand. Denn schon jetzt ist klar, daß seit der letzten Gesetzesänderung im Mai 1998 Dinge nicht so gelaufen sind und nicht so gelaufen sein können, wie sie unter ordentlichen Kaufleuten hätten ablaufen müssen. Drittens. Auch wenn sich die Bundesregierung heute früh habe ich das erlebt - hinter der Tarifautonomie versteckt, um nicht zu der Lohn- und Arbeitszeitvereinbarung zwischen dem Management der Holzmann AG und dem Betriebsrat Stellung nehmen zu müssen: Holzmann darf nicht das Einfallstor für die endgültige Aushebelung von Flächentarifverträgen werden. ({6}) Das ist nicht nur eine tarifpolitische, sondern vor allem auch eine wettbewerbspolitische Frage. Schon heute zahlen 8 Prozent der Baufirmen weniger als die festgesetzten Mindestlöhne, wie die Arbeitsämter und Hauptzollämter bei ihren Kontrollen herausgefunden haben, ganz zu schweigen von Tariflöhnen. Wenn über Holzmann das gesamte Gefüge ausgehebelt wird, konkurriert sich langfristig die gesamte Baubranche zu Tode. Dieser Virus wird sich - mit fatalen gesellschaftlichen Folgen auf die gesamte Wirtschaft ausbreiten. Wer die Tickermeldungen der letzten Tage aufmerksam verfolgt hat Margareta Wolf ({7}) davon bin ich bei allen Kollegen, die sich bisher dazu geäußert haben, überzeugt -, wird auch gesehen haben, daß es in dieser Richtung viele Diskussionsbeiträge gibt. Wir müssen der aufgezeigten Gefahr gemeinsam entgegentreten. ({8}) Denn sonst wären zu schlechter Letzt alle Unternehmen „Holzmänner“. In diesem Fall wäre die jetzt gewährte Hilfe tatsächlich denkbar schlecht angelegt. Gerade wenn sie es mit der Tarifautonomie ernst meint, muß die Bundesregierung in dieser Frage ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Danke schön. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPDFraktion spricht der Kollege Konrad Gilges. ({0})

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die erste Frage, die ich mir angesichts dieser Aktuellen Stunde stelle, ({0}) ist: Wo liegt eigentlich das Interesse der F.D.P.? Herr Solms, man kann doch nicht aus ideologischen Gründen, die Sie hier vorgetragen haben, 60 000 Menschen in die Arbeitslosigkeit und einige tausend Kleinstunternehmer in den Bankrott schicken. ({1}) So weit kann doch keine Ideologie der Welt gehen. Oder Sie neiden - Sie haben ja den Erfolg des Bundeskanzlers hier beklagt - dem Bundeskanzler diesen Erfolg. Sie behaupten ja immer, wir seien Neidhammel, weil wir etwas für die Gerechtigkeit tun wollen. Aber da, glaube ich, sind Sie näher an Ihrem eigenen Spruch, als wir das je sein können. Ich glaube, diese Leistung des Bundeskanzlers war eine gute Leistung. Wir müssen dem Bundeskanzler danken, daß er erreicht hat, daß 60 000 Menschen ihren Arbeitsplatz behalten konnten. ({2}) Zweiter Punkt: Es ist ganz interessant, was Herr Uldall dazu gesagt hat. - Ich habe gehört, auch Herr Laumann wird dazu nachher noch das Wort ergreifen. Herr Uldall ist, wenn ich ihn richtig verstanden habe, gegen Staatsinterventionismus. Sie wissen doch, daß das ein wichtiger Eckstein der sozialen Marktwirtschaft ist. Sie sollten einmal Müller-Armack bzw. Erhard - ich will nicht alle anderen Vertreter dieser Lehre zitieren nachlesen. Dann wüßten Sie, daß sie sich zur Intervention in den Wirtschaftsprozeß bekannt haben, daß sie es sogar für notwendig erachtet haben, daß Regierung, Staat und Gesellschaft in den Wirtschaftsprozeß, und zwar sowohl auf der Kapitalseite als auch auf der Arbeitnehmerseite, regulierend eingreifen. Bei mir ist heute der Eindruck entstanden, daß Sie seitens der CDU/CSU der sozialen Marktwirtschaft abgeschworen haben. ({3}) Wenn das so ist, dann sollten Sie auch sagen, daß Sie mit der sozialen Marktwirtschaft nichts mehr zu tun haben wollen und daß Sie nur noch für eine freie Marktwirtschaft sind. Dann weiß ich, woran ich bin. ({4}) - Herr Uldall hat das so gesagt. Das war so zu verstehen. Die nachfolgenden Redner können das ja korrigieren. Dagegen habe ich nichts. ({5}) - Herr Westerwelle, Sie haben überhaupt keine Ahnung von diesen schwierigen Fragen. Bleiben Sie bei Ihrer Juristerei. Vom Bau und von der Wirtschaft verstehen andere Leute mehr. ({6}) Jetzt zu Philipp Holzmann selber: Es geht uns überhaupt nicht um den Konzern Philipp Holzmann. Vielmehr geht es uns um die 17 000 Arbeitnehmer, die in diesem Konzern arbeiten müssen, und um die zirka 40 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie um die Masse von Kleinunternehmen, die von dem Generalunternehmer Holzmann direkt abhängig sind. ({7}) - Herr Rauen, Sie wissen das doch viel besser als ich. Die Firma Holzmann ist kein Bauunternehmen im traditionellen Sinne, wie Sie das noch sind, also kein kleiner Baukrauter. Philipp Holzmann ist vielmehr ein Generalunternehmer, der weit über das hinaus, was Bauunternehmer machen, Aufträge annimmt. Er betreibt zum Beispiel die Köln-Arena. Die Firma Philipp Holzmann macht in den nächsten 20 Jahren allein hier einen Verlust von 500 Millionen DM. Das ist ja einer der Gründe dafür, weshalb die Firma in Schwierigkeiten geraten ist. Mit dem vorgesehenen Sanierungskonzept wird überwiegend den Arbeitnehmern und Kleinunternehmern, zum Beispiel Elektromeistern, Fliesenlegermeistern ({8}) - jetzt hören Sie einmal zu -, Kleinunternehmern in den Bereichen Straßenbau und Metallbau etc., also all denjenigen, die für Philipp Holzmann als Subunternehmer gearbeitet haben, geholfen. Herr Solms hat angezweifelt, daß der im Rahmen der Sanierung vorgesehene Beitrag der Arbeitnehmer zustande kommt. Man merkt es Ihnen an, daß Sie sich schon fast wünschen, daß der von den Arbeitnehmern zu leistende Beitrag in Höhe von 300 Millionen DM nicht zustande kommt. Ich gehe jedoch nach wie vor davon aus, daß eine Lösung gefunden wird, damit die Arbeitnehmer ihren Beitrag dazu leisten können, daß diese Firma saniert werden kann. Ich sage Ihnen zum Schluß: Aus meinen Erfahrungen weiß ich, daß die Tatsache, daß Arbeitnehmer dazu beitragen, daß eine Firma über Wasser gehalten wird und nicht bankrott geht, ({9}) heute eine normale Erscheinung ist - manchmal zum Ärger der Gewerkschaften, manchmal unter Beteiligung der Gewerkschaften. Es gibt in Köln ein großes Unternehmen, das sich vor fünf Jahren in einer Krise befunden hat. Da haben die Arbeitnehmer pro Jahr auf 5 000 bis 10 000 DM Lohn verzichtet, was eine schwierige Sache war. Was bei Philipp Holzmann passiert und was die Arbeitnehmer dort tun, ist keine Ausnahmesituation, sondern üblich. Ich bedauere das manchmal. Ich halte das für nicht sehr glücklich. Aber ich finde es gut, daß sie es tun. Denn es geht letztlich um ihre Arbeitsplätze. Wir gehen davon aus, daß ihre Arbeitsplätze durch das, was zwischen dem Bundeskanzler, den Banken und den Gewerkschaften vereinbart worden ist, gesichert werden. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Hansjürgen Doss.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Kurz vor Weihnachten ist es sicher gut, wenn die Arbeitnehmer bei Holzmann eine Chance haben, daß ihr Unternehmen saniert wird. ({0}) Wenn wir heute darüber reden, dann müssen wir nachfragen, ob sie wirklich eine Chance haben oder ob die Öffentlichkeit getäuscht worden ist. ({1}) - Sie sind bekannt für Ihre Zwischenrufe. Es ist fast schon ein Mangel, wenn Sie nicht dazwischenröhren. ({2}) Herr Staffelt, Sie haben gesagt, wir sollten die Sanierung nicht kaputtreden. Ich weise das mit Entschiedenheit zurück. Wir haben hier die Pflicht, über das zu reden, was die Bundesregierung tut, und auch darüber, ob dies verantwortbar ist. ({3}) Insofern lassen wir uns dies von Ihnen nicht ausreden da können Sie soviel blöken, wie Sie wollen -: Wir wollen, daß Holzmann eine Chance hat, daß die Arbeitsplätze erhalten bleiben, daß die Subunternehmer weiter Arbeit haben und die Menschen eine Hoffnung auf Sanierung. ({4}) Diese Hoffnung ist allerdings stark getrübt. - Das ist die eine Seite. Zur anderen Seite: Frau Wolf hat hier vom Vertrauen in politisches Handeln gesprochen. Aber was hier geschieht, löst im Mittelstand Attentismus aus. Die Mittelständler sagen: Du mußt nur groß genug sein, dann wird dir geholfen. Sie kommen zum Teil zu uns in den Wahlkreisen und sagen: Hilf mir, du hast doch die Macht dazu! Guck dir doch an, was Schröder gemacht hat. Du mußt doch auch in der Lage sein, der Bank zu sagen, daß sie mir helfen soll. - Aber wir können nichts tun. Die mittelständischen Unternehmen sterben leise. Durch die Wettbewerbsverzerrungen, die Sie durch Lohnabschlag und 10 Prozent längere Arbeitszeiten in die Wege geleitet haben, werden in der Konsequenz eine ganze Reihe mittelständischer Betriebe vor die Hunde gehen. Dies wird allerdings nicht in der Öffentlichkeit geschehen; denn Mittelständler sterben im Regelfall leise. ({5}) Das Schicksal der Mittelständler ist nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Problem. Der Mittelständler haftet nämlich mit seinem gesamten Vermögen - mit seiner Lebensversicherung und seinem Häuschen; nicht selten muß er die Kinder von der Schule nehmen; das sind richtige Schicksale - , während bei den großen Unternehmen lediglich Positionen gewechselt werden. Das ist der qualitative Unterschied. ({6}) Deswegen ist das, was hier passiert ist, kurz vor dem Parteitag der Sozialdemokraten, so skandalös. Meine Damen, meine Herren, der Bau befindet sich in einer Strukturkrise; das weiß jeder. In die Bereinigung dieses Wirtschaftszweiges, der ganz wichtig ist, hat der Bundeskanzler mit geöffneter Geldbörse eingegriffen. ({7}) - Herr Gilges, da wir von der Sozialen Marktwirtschaft sprechen: Dies ist ein Verstoß gegen die Soziale Marktwirtschaft, wie er schlimmer nicht sein könnte. ({8}) In dem Bericht der Bundesregierung, der nicht geheim ist, steht: Die Vermeidung einer Insolvenz der Firma Holzmann AG lag dabei im Interesse der Abwendung eines ansonsten nicht mehr beherrschbaren volkswirtschaftlichen Schadens. ({9}) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch den 15. Dezember 1999 7161 Wissen Sie, was das bedeutet? Alle großen Unternehmen in Deutschland arbeiten mit Subunternehmern zusammen; und deren Arbeitsplätze sind natürlich gefährdet, wenn es den großen Unternehmen nicht gut geht. Der Aussage der Bundesregierung folgend - ich kann aus Zeitgründen nicht weiter aus ihrem Bericht zitieren -, könnte kein großer Betrieb in Deutschland mehr kaputtgehen, da sie demnach alle Anspruch auf staatliche Unterstützung hätten. Nennen wir sie also gleich Kombinate! Dann wissen wir wenigstens, woran wir sind. ({10}) In diesem Sinne: Schröders Hilfe war gut für Holzmann und für die Banken, insbesondere aber für seine Wiederwahl. ({11}) Sie war schlecht für Tausende von mittelständischen Betrieben und deren Mitarbeiter, ({12}) denen kurz vor Weihnachten ein Stück staatsdirigistische Realität vor Augen geführt wurde. Das wird sie in einem hohen Maße verunsichern, den Attentismus in Deutschland steigern, Arbeitsplätze kosten und für unsere gesamte Volkswirtschaft schädlich sein. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.Fraktion spricht der Kollege Dirk Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute schon eine ganze Menge über Ordnungspolitik und über staatlichen Interventionismus in der Fragestunde und auch in der Aktuellen Stunde gehört. Keiner, egal aus welcher Fraktion, hat behauptet, daß Holzmann nicht massive Managementfehler begangen, durch Dumpinglöhne kleine und mittlere Betriebe kaputt gemacht und sich selbst dadurch, daß sie unter Preis am Markt agiert hat, an den Rand des Grabes gebracht hätte. ({0}) Das ist aber gar nicht der Punkt, um den es hier geht. Hier geht es vielmehr um die Frage: Welches Maß an Verlogenheit in der Politik müssen wir uns hier eigentlich noch bieten lassen? ({1}) Ich erinnere mich noch ganz genau, wie der Bundeskanzler mit dem Abgeordneten Wiesehügel beim Medienspektakel vor der Firma Holzmann vor die Kameras getreten ist, kurz vor dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Da hatten wir ihn wieder, unseren Spaßkanzler! Er hatte wieder Spaß am Regieren. Neben ihm stand das Mitglied des Deutschen Bundestages, unser Kollege Wiesehügel, der heute leider nicht hier ist. Wahrscheinlich schreibt er gerade an seiner Klage. Ich erinnere mich noch daran, wie der Spaßkanzler dem großen Dicken - so hat er ihn genannt, nicht ich - auf die Schulter klopfte und sagte: Dem großen Dicken müßt ihr danken. Er hat dafür gesorgt, daß eure Arbeitsplätze sicher sind. Ich frage Sie: Wie verlogen soll Politik denn noch werden? Das kann doch wohl nicht wahr sein! ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Tikkermeldung, die Hermann Otto Solms vorhin zitiert hat, hat Herr Wiesehügel als Vorsitzender der IG BAU angekündigt, daß er gegen die Vereinbarung des Betriebsrates mit dem Vorstand von Holzmann rechtliche Schritte einleiten, daß er dagegen klagen werde. Das ist in der jetzigen Situation im Grunde ganz okay. Denn diese Vereinbarung führt dazu, daß der Kleine und Mittlere nicht die gleichen Chancen bekommt wie der große Dicke, daß der Kleine und Mittlere nicht die Möglichkeit hat, wenn der Betrieb kurz vor dem Konkurs steht, durch Absenkung von Lohn, durch Mehrarbeit ohne Lohnzuschläge, durch Absenkung von Urlaubsgeld für den Erhalt der eigenen Arbeitsplätze zu sorgen. Genau das ist doch das Problem! Das Problem ist, daß die Menschen in diesem Land für ihre eigenen Arbeitsplätze kämpfen wollen, ({3}) daß sie bereit sind, Mindereinnahmen in Kauf zu nehmen, daß sie bereit sind, Mehrarbeit zu leisten. Das geltende Recht, Herr Gilges, verhindert, daß die Menschen in die Lage versetzt werden, für ihre eigenen Arbeitsplätze zu kämpfen. ({4}) § 4 Abs. 5 des Tarifvertragsgesetzes muß geändert werden. ({5}) Das Günstigkeitsprinzip im deutschen Arbeitsrecht wird gerade von seiten der Regierungsfraktionen immer so dargestellt, als sei es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur günstig, wenn sie weniger arbeiten, wenn sie mehr Lohn sehen. Nein, ich sage Ihnen: Es ist günstiger für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einen Arbeitsplatz zu haben, als in die Arbeitslosigkeit gejagt zu werden, weil sie nicht für ihre eigene Beschäftigung kämpfen dürfen. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Hauptverband des Deutschen Baugewerbes geht davon aus, daß in diesem Umstrukturierungsprozeß noch mindestens 40 000 Arbeitsplätze verloren gehen werden. Bei der Kanzlerveranstaltung war die Rede davon, daß 17 000 „Holzmänner“ gerettet werden könnten. 5 000 Arbeitsplätze, so haben wir heute vernommen - von Herrn Diller übrigens -, gehen verloren. Es bleiben also noch 12 000 Arbeitsplätze. Diese angeblich geretteten 12 000 Arbeitsplätze fallen jetzt im Zweifelsfall woanders weg. Was bedeutet das, wenn es ganz dumm läuft? Das bedeutet im Zweifelsfall: 240 Betriebe mit jeweils 50 Arbeitnehmern können ihren Laden zumachen. Da kommt dann kein Kanzler, da kommt auch kein Wiesehügel. Da kommt vielleicht noch der F.D.P.-Abgeordnete des Wahlkreises, aber mit Sicherheit kommt der Gerichtsvollzieher. ({7}) Meine Damen und Herren, Sie können mit Ihrer staatsinterventionistischen Politik keine Sicherheit am deutschen Arbeitsmarkt schaffen. Sie müssen Flexibilität zulassen. Der Flächentarifvertrag ist eindeutig veraltet. Sie müssen dafür sorgen, daß wir als deutscher Gesetzgeber - um Arbeitsplätze zu schützen - die Voraussetzung dafür schaffen, daß Menschen, die dazu bereit sind, für ihre Arbeitsplätze selbst kämpfen können. ({8}) Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat sich die Vorgänge um Holzmann sehr zu Herzen genommen, weil es uns darum geht, daß sowohl die Beschäftigten am Bau als auch die der kleinen Zulieferbetriebe nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Deswegen werden wir aus dieser Sache lernen. Wir werden für eine Modernisierung des deutschen Tarifrechts in diesem Hause streiten. Vielen Dank. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPDFraktion spricht der Kollege Wolfgang Weiermann.

Wolfgang Weiermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002447, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das, was wir gerade vernommen haben, war der unverhüllte Angriff der F.D.P. in diesem Hohen Hause auf Anstand und Sitte im Bereich der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes. ({0}) Unverblümter hat es hier noch keiner gesagt - auch in der Vergangenheit in Bonn nicht -, worauf es der F.D.P. ankommt: Weg mit dem, was wir Schutzrechte nennen, was in Verordnungen geregelt ist. Nach Ihrem Verständnis und dem Verständnis gewisser Arbeitgeber sind das Hemmnisse, die weg müssen - aber nicht mit uns! ({1}) Das einzige Hemmnis, dessen Beseitigung aus diesem Parlament wir begrüßen würden, sind Sie. Als ich 1987 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, hätte ich es nicht für möglich gehalten, was man hier so alles sagen kann. Man kann hier ungestört - das ist keine Kritik an Sie, Herr Präsident - von „Verlogenheit“ und ähnlichem sprechen. Ich finde, das ist hier keine Aktuelle Stunde, sondern ein beschämendes Beispiel dafür, wie Parlamentarier untereinander nicht streiten sollten. ({2}) Man hat das Gefühl, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben 16 Jahre lang regiert und haben es gar nicht gemerkt. ({3}) Denn all das, was Sie uns gegenwärtig als Fehler ankreiden, hätten Sie in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit - zumindest in den letzten zwölf Monaten - erledigen können. ({4}) Denn es gab Insolvenzen en masse in Deutschland. Deswegen nützt es nichts, wenn wir in Sonntagsreden den Mittelstand und das Handwerk loben und darauf hinweisen: Auf diesen Bereich entfielen immerhin 45 Prozent der Innovationen, 46 Prozent der steuerpflichtigen Umsätze und mehr als die Hälfte der Bruttowertschöpfung. Das ist wahr - wir als Sozialdemokraten begrüßen das auch -, aber genauso wahr ist, daß die Zahl der Firmenpleiten in Ihrer Regierungszeit massiv zugenommen hat. Trotzdem haben Sie noch im letzten Jahr Ihrer Regierungsverantwortung, 1998, den entsprechenden Einzelplan des Haushalts immer weiter heruntergefahren. Wenn wir schon von Lügen und Betrug reden: Das ist die Wahrheit, die an dieser Stelle festgehalten werden muß. ({5}) Die hohe Zahl der Insolvenzen war auch für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung gravierend; denn der volkswirtschaftliche Schaden infolge von Insolvenzen beträgt jährlich mehr als 60 Milliarden DM. In der Spitze haben deswegen fast eine halbe Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Um ebendiese halbe Million Menschen geht es: daß sie nicht das Schicksal der Arbeitslosigkeit erleiden, daß sie nicht durch Mängel der Politik bis in die Sozialhilfe durchgereicht werden. Das wollen Sozialdemokraten und Grüne verhindern, und das werden wir auch verhindern. ({6}) Trotz dieses Wissens wagen Sie es - anders kann man es gar nicht mehr nennen -, dem amtierenden Bundeskanzler vorzuwerfen, daß er Arbeitsplätze gerettet hat. Meine Damen und Herren von der Opposition auf der rechten Seite dieses Hauses, Sie sollten sich schämen für solche Ausführungen. ({7}) Der unwiderrufliche Verlust von Arbeitsplätzen trifft in erster Linie jene, die abhängig beschäftigt sind und die den Abstieg zu Sozialhilfeempfängern zu verkraften haben. Wie weltfremd und arrogant muß man eigentlich sein, um den Vorwurf zu erheben, es gehöre sich nicht, in die Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch den 15. Dezember 1999 7163 Kräfte des freien Marktes einzugreifen, der Markt regle das alles schon richtig? Ich sage Ihnen mit Unterstreichung jeden Satzes und jeden Wortes: Dies ist der Einbruch der CDU/CSU- und F.D.P.-Opposition, der sozialen Marktwirtschaft in unserem Lande endgültig abzuschwören und den Garaus zu machen. So wird es draußen verstanden. ({8}) Der Konzernbetriebsrat hat sich durch den Verzicht auf einen Teil der Einkommen bereit erklärt, die Summe von rund 245 Millionen DM einzubringen. Das ist schmerzlich genug. Es ist unverschämt, in diesem Zusammenhang ausschließlich von Wettbewerbsverzerrung zu reden. Diese Handlung zeugt vielmehr von der Solidarität der Arbeitnehmer und ihrer Verantwortung gegenüber 17 000 bzw. 60 000 - wenn man die Handwerker und Zulieferer dazu nimmt - inländischen Arbeitsplätzen. Das ist eine solidarische Leistung. Diese muß in diesem Hohen Hause gelobt und nicht beschimpft werden. ({9}) Ich hatte ursprünglich ein Konzept, nach dem ich etwas viel Freundlicheres - zumindest in der Sache - gesagt hätte. Aber Sie, meine Damen und Herren, haben damit angefangen. Sie bringen das Faß zum Überlaufen. Ich sage an die Adresse der F.D.P.: Mitbestimmungselemente - Sie sind ja immer die eifrigsten Verfechter von Deregulierungsmaßnahmen - sind in unserem Land keine Hemmnisse, sondern ein notwendiges Element des sozialen Ausgleichs und ein notwendiges Instrument, damit sich Kapital und Arbeit in Augenhöhe begegnen können. So soll es auch bleiben. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Weiermann, Sie haben Ihre Redezeit schon weit überzogen. Ich möchte Sie bitten, jetzt zum Schluß zu kommen.

Wolfgang Weiermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002447, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann darf ich mich an dieser Stelle recht herzlich für die Aufmerksamkeit bedanken und hoffe auf Ihre Einsicht, damit wir in Zukunft davor gefeit sind, solche beschämenden Aktuellen Stunden ertragen zu müssen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Karl-Josef Laumann.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begreife die Nervosität bei der SPD, wenn man über dieses Thema redet, nicht. Es ist völlig klar - es passiert natürlich auch auf regionaler Ebene über Wirtschaftsförderungsgesellschaften oder Sparkassen -, daß die öffentliche Hand ab und zu behilflich ist, Engpässe in Unternehmen zu überwinden, wenn man eine Perspektive für dieses Unternehmen sieht. ({0}) Aber daß wir darüber eine Debatte führen, hängt damit zusammen, daß die Sanierungsgespräche in Sachen Holzmann von den Medien in übelster Art und Weise zelebriert worden sind ({1}) und daß man die Situation bei Holzmann politisch instrumentalisiert hat. ({2}) Wenn man das so macht, muß man sich nicht wundern, daß es im ganzen Land eine Diskussion darüber gibt, die ich auch in meinem Wahlkreis wahrnehme. Du mußt nur groß genug werden, dann kannst du gar nicht mehr pleitegehen. Aber was passiert eigentlich bei den Kleinen? ({3}) Dies hören doch auch Sie in Ihren Wahlkreisen. An dem, was die Leute sagen, ist auch etwas dran. Wenn man das so öffentlich zelebriert, ist es normal, daß auch wir im Parlament darüber reden wollen, ({4}) zumal es immer deutlicher wird, daß es sehr fraglich ist, ob die Sanierung von Holzmann überhaupt auf soliden Füßen steht. Wir hören, daß Subunternehmer schon seit November kein Geld mehr bekommen haben. Um es mit den Worten des Betriebsratsvorsitzenden von Holzmann zu sagen: Auch deren Arbeiter sollen Weihnachten etwas auf dem Tisch haben. ({5}) Dann gibt es eine Entwicklung, die jedem von uns Sorgen machen muß: Bei dem Sanierungskonzept von Holzmann ist eine Seite der Medaille, daß die Belegschaft - soweit ich das aus den Zeitungen entnehmen konnte - mit 385 Millionen DM an dieser Sanierung beteiligt ist. ({6}) Als ehemaliger Betriebsrat, der von dieser Sache ein bißchen versteht, frage ich mich natürlich: Wie soll das ein Betriebsrat, wie soll das die Belegschaft bei Holzmann organisieren? Sie kann es doch nur so organisieren, daß Ansprüche, die sie tarifvertraglich zugesichert bekommen hat, aufgegeben werden und daß man bei Holzmann bewußt unter Tarifverträge geht. Wenn die Holzmänner statt 39 Stunden - was bei der IG BAU Tarif ist - 43 Stunden pro Woche arbeiten, dann entspricht das einer Reduzierung um 10 Prozent bei den Lohnkosten. Wenn die Beschäftigten weiterhin auf 6 Prozent Lohn verzichten, sind das insgesamt 16 Prozent weniger. Jetzt sage ich Ihnen, was passiert: Holzmann wird sich unter diesen Bedingungen am Markt beteiligen, ({7}) man wird Aufträge bekommen, und die Konkurrenz von Holzmann wird in einem halben Jahr den eigenen Betriebsräten vortragen: Wir haben hier eine Ausschreibung gegen Holzmann verloren, wir haben dort eine Ausschreibung gegen Holzmann verloren; bitte, Betriebsrat, räume du uns in unserem Unternehmen ebenfalls die Konditionen ein, die der Betriebsrat von Holzmann eingeräumt hat. ({8}) Herr Kollege Weiermann, so, wie Sie das jetzt machen, sind Sie dabei, die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und Flächentarifverträgen mächtig ins Gerede zu bringen. Ich bin sehr gespannt, wie das Recht gebeugt wird, um den § 77 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes einzuhalten. Ich weiß keine Lösung. Wenn der Betriebsrat so etwas vereinbart, ist das auf jeden Fall gegen das Betriebsverfassungsgesetz. Gibt es kollektive Einzelverträge - dazu haben wir ein Gerichtsurteil -, ist das ebenfalls gegen das Betriebsverfassungsgesetz. Ich bin sehr gespannt, wie Herr Wiesehügel, wie die Gewerkschaften, wie die SPD und wie der Bundeskanzler, der Sie in diese Verlegenheit gebracht hat, da herauskommen. ({9}) Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß Sie mit dem, was Sie jetzt veranstalten, nicht Wasser auf die Mühlen derjenigen gießen, die glauben - deren Meinung teile ich nicht -, daß wir tarifliche Öffnungsklauseln brauchen. Ich will keine, weil ich glaube, daß Tarifverträge eine ordnende Funktion haben. ({10}) Dazu gibt es auch andere Meinungen; das akzeptiere ich. Aber wenn Sie in so großen Firmen das Recht in dieser Art und Weise beugen, werden Sie denjenigen Vorschub leisten, die die Tarifverträge am liebsten ganz aushebeln würden. Dafür tragen Sie und Ihr Bundeskanzler die Verantwortung. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Es spricht der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf. ({0})

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Laumann, erlaube ich mir, Ihren letzten Satz, der Bundeskanzler habe die Holzmänner in die Verlegenheit gebracht, zurückzuweisen. Nicht der Bundeskanzler, sondern ein falsches Management, riesige Managementversagen und riesige Aufsichtsratsversagen haben das Unternehmen in diese Verlegenheit gebracht. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich überlege mir die ganze Zeit: Was wäre eigentlich heute, neun Tage vor Heiligabend, gewesen, wenn wir das gemacht hätten, was offensichtlich einige von Ihnen - keineswegs alle wollen. Dann hätte man die Situation gehabt, daß sich ein paar Vorstände, ein paar Darlehensgeber vor einigen Tagen in einem Glaskasten eines Bankhauses in Frankfurt getroffen, kühl gerechnet und gesagt hätten: Das Unternehmen ist nicht mehr zu retten; wir nehmen unser Geld heraus; wir lassen das Unternehmen fallen. Das Management wäre abgefunden worden, und die 16 000 Holzmänner hätten auf der Straße gestanden. ({1}) Ich stelle mir einmal vor, wie das unter dem Christbaum bei Kerzenlicht ausgesehen hätte. Sie hätten die Menschen allein gelassen. Wir Sozialdemokraten werden die Menschen nie allein lassen; wir werden immer an ihrer Seite stehen. ({2}) Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wir jedenfalls wissen, wie wir uns verhalten müssen, wenn es darum geht, Menschen zu helfen und die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen. Wir reagieren nicht mit Kälte, sondern versuchen, auf sie zuzugehen. Übrigens - das will ich klar sagen, damit wir uns nicht in irgendeinem Schema verhaspeln - hat es ja auch viele von Ihnen gegeben, die gesagt haben: Laßt uns schauen, was man in einer solch verfahrenen Situation tun kann. Herr Laumann hat das eben zu Beginn seiner Rede noch einmal gesagt, übrigens auch Herr Doss, wie ich der Fairneß halber sagen muß. Die Situation ist nicht durch die Politik verfahren, sondern durch ein Unternehmensmanagement, und zwar seit Jahren. Das ist kein Ergebnis des Handelns im Jahr 1999. Im Jahr 1999 sind die 2,4 Milliarden DM Defizit vor allem deshalb entstanden, weil man Mietgarantien gegeben hat, die kein Mensch halten konnte. Aber die alten Krisen, die alten Belastungen bestanden vorher, weil das Unternehmen schlecht geführt war. In einer solchen Situation, aber nur in einer solchen Situation erinnere ich an einen Satz von Ludwig Erhard, der einmal gesagt hat: Ab und zu ist es nicht zu vermeiden, daß man aus guten Gründen gegen die ordnungspolitischen Grundsätze verstößt: Man muß nur wissen, daß man es tut. Ludwig Erhard gehörte zu denjenigen, die wußten, in welcher Krisensituation man eingreifen muß und daß soziale Marktwirtschaft etwas anderes ist als Marktradikalismus, daß man in manchen Situationen nicht den Standpunkt vertreten kann: Uns ist alles egal, der Markt wird es schon richten. Es gibt Situationen, in denen man helfen muß. ({3}) Aber jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal zur Sache. Wir haben in der Fragestunde vorhin auch schon über viele Details geredet. Ich will es nur noch einmal sagen. Wenn sich ein Mann wie Roland Berger zusammen mit Wirtschaftsprüfern die Details und die Bilanzen ansieht und feststellt, das Unternehmen ist sanierungsfähig, dann ist es doch entscheidend, welche Schlußfolgerungen man daraus zieht. Wenn sich dann die Banken, wie es passiert ist, nicht einigen können - wir alle wissen, daß einige Banken andere Unternehmensinteressen hatten, die mit Holzmann gar nichts zu tun hatten - und es nach einer Einigungsrunde und nach vielen Verhandlungen um die Frage geht, was man tun kann, damit die letzte Lücke von 200 Millionen DM bei einem Paket geschlossen werden kann, das inzwischen 3,1 Milliarden DM für die Sanierung umfaßt, dann stellt sich doch die Frage, ob man einfach sagen kann, man läßt dies laufen, zumal wenn die Menschen die Politik bitten zu intervenieren. Herr Protzner erhält nach mir das Wort. Ich habe mir gerade noch einmal den Fall Maxhütte genau angesehen. Ich weiß, daß der bayerische Ministerpräsident dort interveniert hat, und zwar auch wegen der Sorgen der Menschen in der Oberpfalz. Dort gibt es viele Unternehmen, bei denen auch wir unmittelbar eingeschaltet sind, die massiv betroffen sind. Wissen Sie, da gibt es dann Situationen, in denen man helfen muß. Das hat der Bundeskanzler getan. Ich muß sagen, ich finde es richtig, daß er den Hebel genutzt hat, um die Banken zu zwingen, eine Lösung zu finden; denn das ist doch die eigentliche Intervention gewesen. Das ist ja der Punkt, der gegenwärtig auch bei den konkreten Diskussionen im Detail eine Rolle spielt. Wir haben immer gesagt, der KfW-Kredit geht in Ordnung. Es gibt viele andere Fälle, in denen wir ebenfalls laufend KfW-Kredite und auch DtA-Kredite geben. Bei der Bürgschaft haben wir festgelegt, daß sie am Ende hinzukommt. Das heißt, die Banken müssen erst einmal ihr Konzept liefern. Das ist übrigens ein Punkt, der in den letzten Tagen sehr umstritten war, weil die Banken meinten, sie bekämen die 100 Millionen DM. Aber nur dann, wenn sie ihr Geld liefern, dann kommt es on top oben drauf. Das war der Hebel, den der Bundeskanzler genutzt hat. Wenn es gelingt, Holzmann zu sanieren, dann nicht wegen des außerordentlich großen Engagements der Banken, sondern weil der Bundeskanzler das Heft in die Hand genommen und verlangt hat, sie sollten sich noch einmal zusammensetzen und versuchen, diese Lücke zu schließen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt muß man eines allerdings ebenfalls klar sagen: Wir machen das nicht nur mit einem Augenaufschlag, sondern wir haben harte Bedingungen. Wir haben Erwartungen an die Sanierung. Es ist eben gesagt worden - die Kollegin Hendricks hat es vorhin in der Fragestunde dargestellt -, daß auch Holzmann bei Sanierungsschritten und ganz konkreten Unternehmensentscheidungen harte Konsequenzen ziehen muß. Die Zahl 5 000 ist genannt worden, und das sind - damit das klar ist - 3 000 Stellen im HolzmannKonzern, und 1 900 Personen sind unmittelbar betroffen, weil man Töchter abgibt. Ich habe die Erwartung an die Sanierer, daß sie im Sanierungskonzept klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß sie sich aus lokalen Märkten, aus lokalen Strukturen herausziehen und Mittelstand und Handwerk vor Ort mehr Luft lassen, weil sie mit ihren großen Bauprojekten und großen Infrastrukturprojekten möglicherweise erfolgreich sind. ({5}) - Herr Doss, Sie wissen, daß Holzmann zum Beispiel in Amerika sehr erfolgreich ist. Aber der entscheidende Punkt ist: Die Holzmänner müssen jetzt loslassen. Sie müssen - konkret - Handwerk und Mittelstand, die sie früher unter Druck gesetzt haben, wieder mehr Luft lassen, und zwar auch auf den regionalen Märkten. Auch dies erwarten wir von einem Sanierungskonzept. Das muß klar sein. Dies muß auch jeder von den Holzmännern wissen, wenn die Sanierung jetzt durchgeführt wird. Ein anderer Punkt muß genauso deutlich gemacht werden: Wir werden alles tun, um die Diskussion, die wir seit vielen Jahren führen und die leider nie zu einer Entscheidung geführt hat, darüber fortzusetzen, wie die Aufsicht bei Unternehmen verbessert werden kann. ({6}) Ich erinnere daran, daß wir die Frage thematisiert haben: Kann jemand, der acht, neun oder zehn Aufsichtsratsposten hat und noch nebenbei einem ordentlichen Beruf nachgeht, überhaupt Kontrolle ausüben? Wir sind auf eine Wand gestoßen. ({7}) - Auch Graf Lambsdorff hat dies kritisiert. Dies muß man der Fairneß halber zugeben. Graf Lambsdorff hat nämlich so viele Aufsichtsratsmandate, daß er selber weiß, daß es nicht möglich ist. ({8}) Er ist ein Praktiker. Deshalb hat er gesagt: Es geht so nicht weiter. Aber wir müssen jetzt daraus Schlußfolgerungen ziehen; denn eines kann nicht sein: Es kann nicht sein - das hat der Bundeskanzler immer deutlich gemacht -, daß das Management Unternehmen in den Sand setzt, daß die mit der Aufsicht Betrauten schlafen und daß die Politik hinterher intervenieren muß. Die InParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf tervention der Politik muß eine absolute Ausnahme bleiben. Es kann nicht sein, daß sich die Banken in entsprechenden Situationen immer der Verantwortung entziehen. Es darf nicht so sein wie in dem Satz von Ferdinand Porsche, den ich vorhin zitiert habe, nämlich: Banken sind Regenschirmverleiher, die ihre Regenschirme einsammeln, wenn es zu regnen anfängt. ({9}) Wir erwarten von den Vertretern der Banken und von den Leuten, die im Aufsichtsrat sitzen, daß sie wissen, wie man Verantwortung buchstabiert, und daß sie Verantwortung tragen. Man kann sich nicht verabschieden, wenn eine Krise entsteht. So sah die konkrete Situation in einem Weltunternehmen aus, das jahrzehntelang einen guten Ruf hatte und von dem wir jetzt einen harten Sanierungskurs erwarten. Wir sollten den Arbeitnehmern Respekt dafür erweisen, daß sie selber einen Beitrag zur Sanierung ihres Unternehmens leisten und daß sie nicht höhnisch oder kalt darüber hinweggegangen sind. ({10}) In diesem Sinne war es richtig, daß die Politik geholfen hat, damit dieses Unternehmen nicht kaputtgeht und damit nicht viele Mittelständler von der Krise von Holzmann mitgerissen werden. Deshalb war der Schritt richtig. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Bernd Protzner. ({0})

Dr. Bernd Protzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001756, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich stehen wir zu dem, was wir von der CSU getan haben. Soziale Marktwirtschaft mißt sich an der Zahl der Arbeitsplätze. Dies habe ich vor drei Wochen während der Haushaltsdebatte gesagt. Wir werden auch Sie daran messen, was Sie für die Schaffung von Arbeitsplätzen getan haben. Die Rettung und Sicherung von Arbeitsplätzen ist eine Aufgabe der sozialen Marktwirtschaft. Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft. ({0}) Allerdings wundert mich schon, was heute geschehen ist: Als damals Herr Schröder aus den Verhandlungsräumen herauskam - so berichten die Zeitungen -, fing Ihr Fraktionskollege und IG-BAU-Chef Wiesehügel an, „Gerhard, Gerhard!“ zu rufen. Heute verklagt er ihn wegen seines Lösungsversuchs. Das ist die Wahrheit. ({1}) Auch die Arbeitnehmer von Holzmann haben einen Beitrag geleistet. Sie sind endlich bereit, eine andere Tarifpolitik zu machen. Offensichtlich gelten ab sofort Tarifkorridore bezüglich des Entgelts und der Arbeitszeit. Der Parlamentarische Staatssekretär Andres hat vorhin in der Fragestunde erklärt, die Lösung des Bundeskanzlers widerspreche nicht den Gesetzen. Daher fordere ich: Passen Sie doch endlich die Gesetze der Praxis der Gewerkschaften an, damit nicht nur Holzmann die entsprechende Möglichkeit hat, ({2}) sondern damit die vielen Tausend kleinen Holzmänner die gleichen Möglichkeit bekommen! ({3}) Damit wir uns nicht mißverstehen ({4}) - hören Sie mir doch erst einmal zu! -: Über Flächentarife habe ich schon lange vor Ihnen diskutiert. ({5}) Zu Flächentarifen gibt es Gesetze: das Tarifvertragsgesetz und das Betriebsverfassungsgesetz. Flächentarife haben eine Schutzfunktion für Arbeitnehmer - darauf hat der Kollege Laumann ausdrücklich hingewiesen ({6}) und auch für die Wettbewerber, damit sie unter gleichen Bedingungen konkurrieren. Nur, wenn diese Schutzfunktion bei Großunternehmen ständig unterlaufen wird, dann muß es auch erlaubt sein, für Kleinunternehmen vernünftige Regelungen zu finden. ({7}) Die Alternative ist nicht die Abschaffung, sondern die Modernisierung von Flächentarifen. Über moderne Tarifverträge ist sogar auf verschiedenen Kongressen der IG Metall sehr breit diskutiert worden. Allerdings ist der Tarifkorridor in den Auseinandersetzungen der letzten Tarifverhandlungen für des Teufels erklärt worden. Dagegen ist man vorgegangen. Jetzt, wo Probleme anstehen, sind Sie endlich bereit, auf Tarifkorridore einzugehen. Dazu muß ich sagen: Dann machen Sie auch die entsprechenden Gesetze, Herr Weiermann! Ihr Nachredner - auch er ist ein Gewerkschafter - muß erklären, ob endlich die verkommene Frontstellung in der Bundesrepublik Deutschland fortbestehen kann: Nach außen werden die kleinen Betriebe gezwungen, die Vorschriften einzuhalten - es gibt die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen, die Überprüfungen und die Kontrollen -, und bei Großbetrieben werden Ausnahmen gemacht. ({8}) Machen Sie eine moderne Politik! Setzen Sie einfach das um, was die Arbeitnehmer in den Betrieben - nicht nur die in den Großbetrieben - wollen! Schaffen Sie vernünftige Tarifrechts- und Arbeitsrechtsregelungen! Wenn das geschieht, werden wir weiterkommen, mit der sozialen Marktwirtschaft wird es vorangehen, und es wird in unserem Land mehr Arbeitsplätze geben. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPDFraktion spricht der Kollege Hans-Günter Bruckmann.

Hans Günter Bruckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003058, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Schlußredner habe ich das Vergnügen, das wiederholen zu dürfen, was in Teilen schon gesagt worden ist. Ich will gern auf die Fakten zurückkommen. Fakt ist, daß das Bauunternehmen Philipp Holzmann durch das Fehlverhalten eines früheren Vorstandes, durch mangelnde Wahrnehmung der Aufsichtspflicht von Aufsichtsratsgremien und durch Fehlentscheidungen der Bank in eine existenzgefährdende Situation geraten ist. Fakt ist auch, daß dieses Fehlverhalten Konsequenzen haben muß. Der Parlamentarische Staatssekretär Mosdorf ist darauf schon eingegangen, als er sagte, daß auch Banken und Aufsichtsratsgremien in die Verantwortung einbezogen werden müssen. Diese müssen genauso an den Ergebnissen von Mißmanagement beteiligt werden, wie sie an Erfolgen beteiligt werden. ({0}) Fakt ist ferner, daß ohne die Intervention der Bundesregierung die gesamte Firma Holzmann mit all ihren Subunternehmen - Zulieferern und weiten Kreisen der deutschen Bauwirtschaft - im negativen Sinne betroffen gewesen wäre. Das bedeutet ganz konkret: Der Konkurs des Unternehmens Philipp Holzmann mit 17 000 Beschäftigten hätte allein im Inland eine existenzbedrohende Situation bedeutet. Darüber hinaus wären weitere 40 000 Menschen in Unternehmen, die unmittelbar oder mittelbar von Philipp Holzmann abhängen, betroffen gewesen. Der Bauminister von Sachsen-Anhalt, Jürgen Heyer, hat erzählt, daß kleinere und mittelständische Betriebe mit knapper Kapitaldecke gerade in Ostdeutschland betroffen gewesen wären. ({1}) Wir reden über 60 000 Menschen, für die wir eine Lösung finden mußten. Das politische Ziel war und ist es, erstens die Arbeitsplätze der Menschen im Unternehmen zu retten, zweitens die eingebundenen mittelständischen Unternehmen nicht in einen Folgekonkurs zu bringen ({2}) und drittens mit den beteiligten Partnern, Banken und Unternehmen, ein kurz- und mittelfristiges Sanierungskonzept für den Konzern und für die anderen Unternehmen auf die Reise zu schicken. Das Verhalten der Frankfurter Oberbürgermeisterin und der hessischen Politiker, des hessischen Ministerpräsidenten und seines F.D.P.-Wirtschaftsministers, ({3}) ist genauso zu loben wie das Krisenmanagement unter Gerhard Schröder ({4}) und das Verhalten der beteiligten Betriebsräte, die darum bemüht waren, einen Konsens in der Sache zu erzielen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Für die betroffenen Familien ist es wie ein Befreiungsschlag, daß eine Perspektive eröffnet worden ist. Wenn wir in einem solchen Fall politisch agieren, dann müssen wir den Menschen in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Genau das war die Absicht und das Ergebnis der Intervention der Bundesregierung in dieser Frage. Auf die Kritik, die ich hier gerade von seiten der F.D.P. gehört habe, der Wettbewerb werde verzerrt, Grenzkostenangebote würden dazu benutzt, um ein Unternehmen nach vorne zu bringen, ({5}) und es würden Arbeitsplätze in anderen Bereichen abgebaut, und zu der Diskussion darüber, ob 3 000 oder 5 000 Menschen von einem Sanierungskonzept betroffen sind, sage ich: Hier geht es um 60 000 Menschen, um das große Ganze und nicht um etwas Kleinteiliges. ({6}) Erst stand in meiner Rede: Ich glaube, daß Sie bereit gewesen wären, genauso zu handeln, wie es die Bundesregierung getan hat. - Nach dem, was ich hier in der Aktuellen Stunde mitbekommen habe, habe ich mich dazu entschlossen, diesen Satz aus meiner Rede zu streichen. ({7}) Meine Damen und Herren, wir wissen eines: Es bleibt nichts so, wie es ist. Wir wissen, daß es um 60 000 Menschen geht. Wir wissen auch, daß dieser Kompromiß, der von den unterschiedlichen Partnern und durch die Intervention der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden ist, richtig ist, weil so 60 000 Menschen etwas auf der Habenseite verbuchen können. ({8}) Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt des Ganzen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche allen Beteiligten ein gutes Gelingen in dieser Sache. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ - Drucksache 14/2013 ({0}) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto, Dr. Wolfgang Gerhardt, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gründung einer „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ - Drucksache 14/1996 ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({2}) - Drucksache 14/2349 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Griefahn Dr. Antje Vollmer Hans-Joachim Otto ({3}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die SPD-Fraktion zunächst der Kollegin Elke Leonhard.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ernst Bloch sagte einmal: Nur jenes Erinnern ist fruchtbar, das zugleich an das erinnert, was noch zu tun ist. In der heute zur Debatte stehenden Frage ist noch viel zu tun. Einen weiteren Schritt, der auf dem Weg bis zur Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas noch zu gehen ist, legen wir heute mit der Beratung und Beschlußfassung über die vorliegenden Gesetzentwürfe zurück. Der Deutsche Bundestag delegiert damit die Verantwortung, die das Parlament übernommen hat. Ich bin sicher, daß der Bundestag - das heißt wir, verehrte Kolleginnen und Kollegen - die Tätigkeit der Stiftung und das Ergebnis ihrer Beratungen mit größter Aufmerksamkeit verfolgen wird. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist uns am 25. Juni dieses Jahres gelungen, auf breiter Basis - über Fraktionsgrenzen hinweg - zu einer Entscheidung zu kommen. Dies war und ist, wenn man diese Entscheidung nicht als historisch qualifizieren will, zumindest ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer neuen Konzeption gegen das Vergessen. Dieser Beschluß - das möchte ich unterstreichen - ist bindend. Wir haben das in praktische Politik umsetzen können, was Willy Brandt - sensibel in der Wahrnehmung und treffend in der Formulierung - einst nicht nur gesagt, sondern vielmehr bleibend gültig postuliert hat: In der Kraft der Erinnerung drückt sich der Lebenswille der Demokratie aus. ({0}) Daß Parlamentarier nie wieder erbärmliche Jasager werden, ist Garant für das „Nie wieder“. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, seit jenem 25. Juni ist ein halbes Jahr vergangen. Seither ist - das muß auch einmal gesagt werden - erst ein halbes Jahr vergangen. Aber einmal mehr hegen Skeptiker und Zweifler Befürchtungen unterschiedlichster Art. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsfraktionen, obwohl ich, wie jeder weiß, ein kontrollierender und äußerst kritischer Menschen bin, verstehe ich das offenkundige Fehlen jeglichen Vertrauens in die Tragfähigkeit unseres eigenen, mit breiter Mehrheit gefaßten Beschlusses nicht. Ich habe der unselbständigen Stiftung von Anfang an das Vertrauen entgegengebracht, das sie verdient. Sie ist gleichsam unser „Netz und doppelter Boden“ und gibt uns die Möglichkeit, unsere Zielsetzung vor allem mit Blick auf den 27. Januar, den Tag der geplanten Grundsteinlegung des Denkmals bzw. einer anderen symbolischen Handlung, unter keinen Umständen zu gefährden, um auch hier unsere Verantwortung für das Einhalten selbstgesetzter Fristen wahrzunehmen. Diese Verantwortung wahrzunehmen ist wesentlich, um zerstörtes Vertrauen in die Politik wieder aufzubauen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es war und ist der Sinn der unselbständigen Stiftung, jeglichen Zeitverzug zu vermeiden oder ihn wenigstens aufzufangen nicht mehr und nicht weniger. ({1}) Daß diese Entscheidung weise war, ist keine Frage. Ich denke nur, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, an den Zeitablauf bis zu Ihrer Unterzeichnung der Beschlußempfehlung. Ich drücke es einmal platt aus: Gestern mußte ich - in Person meines Ausschußsekretärs - den ganzen Tag hinter Ihnen herlaufen, und wir hätten beinahe die Abgabefrist verpaßt. So sehr scheint es Ihnen nicht gedrängt zu haben. Insofern war es wichtig, daß wir dieses „Netz“ und diesen „doppelten Boden“ eingebaut haben. Sollten Sie jedoch mit Blick auf die Umsetzung unseres Beschlusses Zweifel an der Lauterkeit der Bundesregierung oder gar an der des Staatsministers für Kultur hegen, so kann ich nur an die neutestamentliche Weihnachtsbotschaft erinnern: „Fürchtet euch nicht.“ Das bedeutet in moderner Sprache: Vertrauen. Nur wer vertraut, kann auch delegieren. Darauf kommt es an. Ich bin sicher, daß Differenzen sachlicher Art immer wieder bestehen werden. Daß wir sie aber ausräumen werden, daran habe ich keinen Zweifel. Vieles bleibt zu tun: zum Beispiel die kognitive Erfassung der autoritären Charakterstruktur; die Fähigkeit zu trauern, die Übernahme der Verantwortung für die Gegenwart und die Verantwortung für das „Nie wieder“, die nicht enden darf. Die Stiftung wird zunächst das beschlossene Denkmal auf der Grundlage des Entwurfs Peter Eisenman II realisieren. Sie wird sich im Rahmen der Konzeption gegen das Vergessen intensiv auch mit der Erinnerung an die nichtjüdischen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft befassen. Ihren Gremien werden die im Beschluß genannten Vertreter der Verfassungsorgane, Institutionen und Personenkreise angehören. Wir werden ihre Arbeit intensiv und aufmerksam verfolgen. Gestatten Sie mir noch eine Erklärung in eigener Sache. Viele haben mich gefragt, warum ich dem Kuratorium der Stiftung nicht angehören möchte. Das möchte ich schon; aber eine Güterabwägung hat mich bewogen, nein zu sagen. Wir haben uns im Ausschuß ehrgeizige Ziele gesetzt. Das eine war zunächst - dies waren wir uns schuldig - die Konzeption gegen das Vergessen. Wir haben den Beschluß des Bundestages vorangetrieben; er ist gefaßt worden. Jetzt werden wir uns dem Stiftungsrecht zuwenden. Es ist wichtig, intelligente Strategien des Staates zu finden, um mehr als 5 Billionen Mark privaten Geldvermögens zu binden. Auch das kommt der Kultur zugute. Wir werden uns der auswärtigen Kulturpolitik widmen müssen. Und: Wir haben mit dem Bereich Informations- und Wissensgesellschaft einen wichtigen Gegenstand. All das lenkte meine Entscheidung. Aber ich sage noch einmal: Ich werde den Prozeß argumentativ weiter begleiten. Lassen Sie uns auf der Grundlage des Gesetzes, das wir heute beschließen, am 27. Januar den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, daß wir fähig sind, Brücken zu bauen und Verantwortung zu übernehmen! Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Dr. Norbert Lammert von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Leonhard, wir fürchten uns nicht - falls wir mit dem gutgemeinten Ratschlag überhaupt gemeint waren -, aber wir machen uns schon Sorgen. Wir machen uns nämlich begründete Sorgen darüber, was aus einem Projekt wird, das viele Kolleginnen und Kollegen von Ihnen und von uns nicht nur mit viel gutem Willen, sondern auch mit beachtlichem persönlichem Engagement und mit der Bereitschaft zu einer im konstruktiven Sinne kritischen Auseinandersetzung über Wochen und Monate begleitet haben. Die heutige abschließende Lesung der Gesetzentwürfe ist zugleich die letzte Chance, den breiten politischen Konsens für ein besonders schwieriges und zugleich besonders wichtiges Anliegen herbeizuführen. Denn die Absicht zur Errichtung eines Mahnmals für die ermordeten Juden Europas und die angemessene Würdigung anderer Opfergruppen, für die es eine ähnlich verbindliche Entscheidung noch nicht gibt, erfordert diesen Konsens noch mehr als irgendein anderer politischer Streitgegenstand. Ich habe für meine Fraktion - auch bei der Einbringung der Gesetzentwürfe - mehrfach erklärt, daß wir unbeschadet der ganz unterschiedlichen persönlichen Überzeugungen und Präferenzen einzelner Mitglieder der Fraktionen in dem damaligen Entscheidungsprozeß zu der vom Deutschen Bundestag getroffenen Entscheidung vom 25. Juni dieses Jahres stehen. Wir legen allerdings großen Wert darauf, daß dieser Beschluß weder verändert noch erweitert oder verkürzt wird. Der Gesetzentwurf der Koalition erleichtert die Umsetzung dieses Beschlusses nicht. Vielmehr erschwert er sie. Neben der völlig unnötigen Errichtung einer unselbständigen Stiftung, die - wie von uns vorausgesagt ihre Arbeit aufnehmen wird, nachdem das Gesetzgebungsverfahren im Deutschen Bundestag abgeschlossen ist, ist insbesondere die Zusammensetzung der Beratungs- und Entscheidungsgremien dieser Stiftung gründlich mißglückt. Die Zusammensetzung des Kuratoriums, so wie sie von der Koalition vorgesehen ist, ist - wir glauben: unnötig - weit gefaßt, weil sie vor allen Dingen ohne jede Not und auch ohne jede für uns nachvollziehbare Begründung über den Kreis der Stifter hinaus ausgeweitet worden ist, wobei gleichzeitig eine nach unserer Beurteilung willkürliche Einbeziehung und Ausgrenzung unterschiedlicher Opfergruppen stattfindet. Damit wird schon jetzt absehbar, daß das Kuratorium in der Wahrnehmung der wichtigsten Aufgabe, nämlich die offenen Fragen abschließend zu entscheiden, nicht gestärkt, sondern geschwächt wird. Ich würde mir sehr wünschen, wenn ich mit meiner - zugegebenermaßen skeptischen - Prognose nicht recht behalten würde. Ich will das, was ich in diesem Zusammenhang bei den Ausschußberatungen vorgetragen habe, jetzt in öffentlicher Rede nicht unbedingt wiederholen. Dagegen ist die Funktion des Beirats - übrigens schon in der Formulierung des Gesetzentwurfs der Koalition - bezüglich seiner Aufgaben bis zur Banalität begrenzt. Aus dem Gesetzentwurf geht eigentlich nicht viel mehr hervor, als daß es den Beirat geben soll, daß ihm Mitglieder angehören sollen und daß das Kuratorium Näheres zu regeln hat. Eine originäre und nicht entziehbare Aufgabe ist dem Beirat in diesem Gesetzentwurf nicht zugedacht. Aus der Zusammensetzung des Kuratoriums und aus der sich daraus spiegelbildlich ergebenden Zusammensetzung des Beirates ergibt sich aber eine faktische Diskriminierung derjenigen Opfergruppen, die im Kuratorium als Entscheidungsorgan der Stiftung keinen Platz finden sollen, obwohl gerade das Kuratorium die Entscheidung darüber wird treffen müssen, an welcher Stelle und in welcher Gestaltung der übrigen Opfergruppen gedacht werden soll. Diese Opfergruppen sind nach Ihrem Vorschlag allesamt nicht im Kuratorium vertreten - im Unterschied zu der einzigen Opfergruppe: über deren Mahnmal wir hinsichtlich Standort und Gestaltung bereits eine Beschlußfassung haben. Eine überzeugende Begründung für diese Unterscheidung haben wir bis heute auch in den Ausschußberatungen nicht gehört. Diese Besetzung taugt zur Konsensbildung weder nach innen noch nach außen. Sie sichert allerdings - das ist nicht zu bestreiten - die Mehrheit, die die Koalition für ihre Gestaltungsabsichten offensichtlich durch nichts und niemanden gefährden will. Die Beratungen im Fachausschuß haben den Eindruck bestätigt, den wir bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfes vorgetragen haben. Das, was vorgeschlagen wird, ist sicher gut gemeint, aber es ist nicht gut durchdacht. Zusätzliche Probleme werden einem Anliegen aufgebürdet, das schon jetzt nicht unter einem Mangel an Schwierigkeiten zu leiden hat. Die CDU/CSU-Fraktion hat in den Ausschußberatungen konkrete Alternativvorschläge gemacht, die wir heute in zweiter Lesung erneut zur Abstimmung stellen, die an der Sache orientiert sind und sich um genau das bemühen, was ich vorhin mit Blick auf die Entscheidung des Bundestages im Juni dieses Jahres reklamiert habe, nämlich diesen Beschluß so umzusetzen, wie er gefaßt wurde - in seinem Wortlaut und in seinem Geist -, ohne ihn zu erweitern oder ihn gar zu verkürzen. Wir schlagen vor, daß das Kuratorium aus dem Präsidenten oder der Präsidentin des Deutschen Bundestages, vier weiteren vom Bundestag zu wählenden Vertretern, je zwei Vertretern des Landes Berlin, der Bundesregierung und des Initiativkreises sowie dem von dessen Mitgliedern gewählten Vorsitzenden des Beirats besteht. Durch eine solche Besetzung wäre sowohl sichergestellt, daß die besondere Verantwortung der Stifter bzw. der Initiatoren zum Ausdruck gebracht wird, als auch, daß die gewünschte Einbeziehung der Vertreter der zu ehrenden Opfer und der Gedenkstätten in die Entscheidungsprozesse gewährleistet ist. Durch die gleichmäßige und faire Berücksichtigung aller im wörtlichen und im übertragenen Sinne betroffenen Gruppierungen und Organisationen im Beirat vermeiden wir die Diskriminierung, die im Koalitionsgesetzentwurf leider in der unterschiedlichen Berücksichtigung und Ausgrenzung einzelner Gruppierungen festgeschrieben wird. Wir bedauern sehr, daß die Koalition von der ersten offiziellen gemeinsamen Beratung an bis zum heutigen Tag zu keinem Zeitpunkt die Bereitschaft oder gar die Absicht hat erkennen lassen, über eine solche Alternative mit dem Ziel einer gemeinsamen Lösung nachzudenken. Es ist uns - was ich formal nicht kritisiere - gleich bei der ersten Sitzung erklärt worden, dazu gebe es keinen gemeinsamen Weg. ({0}) Bei dieser glasklaren Position ist die Koalition bis zum Ende geblieben. Ich bestreite keinen Augenblick die Legitimation dafür, lege aber für meine Fraktion großen Wert auf die Feststellung, daß dies ein Thema ist, das man besser nicht mit Koalitionsmehrheiten beschließt. ({1}) Wir werden, meine Damen und Herren, uns dennoch nicht der Mitwirkung in der Stiftung verweigern. Aber wir können und wir wollen nicht die politische Verantwortung für eine gründlich mißlungene gesetzliche Stiftungskonstruktion übernehmen, mit der ein Projekt, das wir alle gemeinsam für dringend notwendig halten, von dem wir aber auch alle miteinander wissen, daß es in hohem Maße umstritten ist, leider nicht gefördert, sondern zusätzlich erschwert wird. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Antje Vollmer vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um Form, Gestalt und Bedeutung des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas hat vier Phasen durchlaufen. Ich finde, daß man in dem, was wir in der Stiftung an konkreter Gestalt haben, die vier Phasen auch gut sehen kann. Die erste Phase war die eines unglaublichen bürgerschaftlichen Engagements ganz besonderer Art. Als vor zehn Jahren Lea Rosh mit nur wenigen Mitstreitern begann, für diese Idee zu werben, gab es dafür in der bundesrepublikanischen Gesellschaft noch keine Mehrheit. Es ist der besonderen Intensität gerade dieser kleinen Gruppe von Bürgern, ihres besonderen Bürgerbewußtseins und den vielen Unterstützern, die sie gefunden haben, zu verdanken, daß wir am Ende davon reden können, daß es eine Mehrheit für diese Idee gegeben hat. ({0}) Deswegen ist diese Initiative nach unserem Vorschlag mit drei Plätzen im Kuratorium berücksichtigt, was die Opposition anders sieht. Ich denke, daß in der Bedeutung dieser Gruppe für diese erste Phase eine Berechtigung für unseren Vorschlag liegt. Die zweite Phase ist die der parlamentarischen Debatte. Hier war die Diskussion an einen Punkt gekommen - viele von uns erinnern sich sehr gut -, wo wir gewußt haben, es muß nach über zehn Jahren endlich entschieden werden, weil die Gefahr bestand, zu keiner Entscheidung zu kommen. In dieser Situation hat der Deutsche Bundestag mit der Unterstützung vieler Personen aus allen Fraktionen diese Entscheidung vorangetrieben. Deswegen ist der Deutsche Bundestag im Kuratorium mit so vielen Plätzen vertreten. Ich finde, auch das hat seine Berechtigung. Denn wir wissen alle, die Entscheidung mußte fallen. ({1}) Es gab natürlich Diskussionen über die Frage, ob es zunächst zu einer unselbständigen oder gleich zu einer selbständigen Stiftung kommen sollte. Es ist schon gesagt worden: Es gab Mißtrauen von seiten der Opposition. Ich denke, die Tatsache, daß wir heute bereits über die selbständige Stiftung entscheiden, ist ein Beleg dafür, daß unser Weg nicht ganz verkehrt war. Wir sind davon ausgegangen, daß wir in der parlamentarischen Phase keine zusätzliche Verlängerung des Debattenprozesses brauchen können. Es wird in der dritten Phase, nämlich wenn das Kuratorium arbeitet, neue Debatten in Form und Gestalt sowie um den Zusammenhang des Mahnmals mit dem Ort des Erinnerns geben. Dies ist auch sinnvoll. Aber jetzt die parlamentarische Debatte zu verlängern, das hätte - glaube ich - niemand verstanden. Deswegen sollte die Opposition zugeben, daß unser Wille, sehr schnell zu einer selbständigen Stiftung zu kommen, ernst war, daß er realisiert worden ist. Das Vorgehen, das wir gewählt haben, erst eine unselbständige Stiftung zu schaffen, hat die Beschleunigung bewirkt. Deswegen stehe ich auch dazu. Dritte Phase: die Realisierung des Mahnmals für die ermordeten europäischen Juden. Das Kuratorium der Stiftung wird sich morgen zum erstenmal treffen. Es wird, wie ich wohl ahne und alle Beteiligten wissen, die sehr schwierige Debatte geben, wie wir das richtige Verhältnis finden. Jetzt ist wieder gefragt worden: Mußten nicht gerade in der dritten Phase die anderen Opfergruppen beteiligt werden? Rita Süssmuth zum Beispiel hat dies gefragt. Ich möchte noch einmal betonen - und deswegen spiegelt die Zusammensetzung des Kuratoriums auch die dritte Phase richtig wieder -, daß wir gemeinsam entschieden haben: Wir wollen ein Mahnmal für die europäischen Juden. Wir haben uns aus guten und wichtigen Gründen für diesen besonderen Charakter des Mahnmals entschieden. Deswegen gehören auch die Vertreter der jüdischen Organisationen in dieses Kuratorium hinein. ({2}) Denn wir haben die politische Entscheidung gefällt, daß es ein Mahnmal für die ermordeten europäischen Juden sein soll. Das heißt nicht, daß diese Stiftung insgesamt nicht die Frage vorantreiben sollte, wie wir in würdiger Form der anderen Opfer gedenken. Aber die Entscheidung beinhaltet die besondere Bedeutung der Beteiligung der Vertreter der jüdischen Organisationen im Kuratorium, über die wir uns ungeheuer freuen. Ich halte es für einen Riesenfortschritt der Debatte, daß diese Bereitschaft uns gegenüber signalisiert wird. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Vollmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Vollmer, wenn Sie, wie Sie gerade ausgeführt haben, auf die Beteiligung der anderen Opfergruppen am Entscheidungsprozeß großen Wert legen - woran ich nicht zweifeln will -, warum haben Sie dann bei den Ausschußberatungen unseren Antrag abgelehnt, die Opfergruppen mindestens in dem Fall mit Stimmrechten im Kuratorium zu beteiligen, wenn über deren Anliegen und die Gestaltung von deren Mahnmalen oder welcher Art von Erinnerungsstätten auch immer entschieden werden soll?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Weil wir nicht eine Hierarchisierung der verschiedenen Gremien der Stiftung wollen. ({0}) - Diese Stiftung hat nur eine Zielgruppe: Das Mahnmal soll den ermordeten Juden Europas gewidmet werden. ({1}) Mit dieser Entscheidung konnte eine Einladung an die Vertreter der jüdischen Organisationen, an diesem Kuratorium teilzunehmen, verbunden sein, wobei wir nicht wissen konnten, ob sie sie annehmen würden. Indem sie sie angenommen haben, haben wir den besten Berater für die ausschließliche Aufgabe dieser Stiftung. ({2}) Daß diese Stiftung, und zwar auch auf Beschluß des Deutschen Bundestages vom Sommer, darüber hinaus überlegt, wie wir der anderen Opfer würdevoll gedenken können, ist eine zusätzliche Aufgabe. Deswegen gibt es den Beirat, in dem auch die Vertreter anderer Opfergruppen sitzen. Sie wissen genau: Wenn wir die Vertreter all der anderen Gruppen mit in das Kuratorium genommen hätten, hätten wir ein Kuratorium von 40 oder 50 Leuten. Das geht in dieser Form nicht. Aber die Begründung liegt in dem Bundestagsbeschluß. Ich weiß, daß gerade an diesem Bundestagsbeschluß Vertreter Ihrer Fraktion ganz entschieden und entschlossen beteiligt waren, und zwar mit der ausdrücklichen Widmung für die ermordeten Juden Europas. Rita Süssmuth zum Beispiel war eine von denen, die dafür sehr gestritten haben. Ich meine, wenn man das eine entscheidet, muß man auch die formalen Konsequenzen dieser Entscheidung mit umsetzen. Das haben wir versucht. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Vollmer, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Frau Professor Süssmuth? - Bitte schön.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, es macht keinen Sinn, daß wir unseren Streit immer wiederholen. Wir sind in diesem Punkt unterschiedlicher Auffassung. Mir geht es nur um eine Klarstellung. Das ist zugleich eine Frage, zu der ich Ihre Bestätigung haben möchte. Der Beschluß des Deutschen Bundestages lautet, wie Sie, Frau Vollmer, gerade noch einmal gesagt haben, ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europas zu errichten. Da haben wir als Fraktion der CDU/CSU eine andere Auffassung hinsichtlich der Besetzung der Gremien. Aber eines möchte ich so, wie Sie es dargestellt haben, nicht stehenlassen: Wenn man sagt, es gebe noch einen zweiten Teil des Beschlusses, nämlich daß diese Stiftung auch das Konzept für die anderen Opfergruppen erarbeitet, dann darf man diese anderen Opfergruppen nicht schlechter stellen als die Opfergruppe, um die es beim ersten Mahnmal geht. Das betrifft auch den Änderungsantrag, den wir im Ausschuß gestellt haben. Wir sollten, ob in den Kolloquien in Berlin oder während unserer Beratungen, darauf achten - das ist meine persönliche Überzeugung -, keine Hierarchisierung der Opfergruppen vorzunehmen. Das müßte dann auch Konsequenzen im Hinblick auf das Stiftungsgesetz und die Besetzung der Gremien haben. Deswegen meine Frage: Stimmen Sie mir zu, daß eine solche Hierarchisierung der Opfer problematisch ist?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Kollegin Süssmuth, ich stimme Ihnen erstens zu, daß eine Hierarchisierung der Opfer problematisch ist. Ich stimme Ihnen zweitens zu, daß es problematisch ist, im Zusammenhang mit dem vorliegenden Beschluß überhaupt von möglicher Hierarchisierung zu sprechen. Denn jeder weiß, daß niemand mit diesem Beschluß etwas Ähnliches intendiert hat. Aber angesichts einer so ernsten Sache sollten wir nach vorne schauen und über die Phase diskutieren, die ich die dritte Phase genannt habe und die schwierig genug umzusetzen sein wird, nämlich darüber, wie man gemeinsam zu formalen Entscheidungen kommt. Jeder weiß, daß das Kuratorium vor allen Dingen ein Ziel hat, nämlich die konkrete Form des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas umzusetzen. Danach wird die nächste Phase kommen, nämlich die, in welcher Form man der anderen Opfer würdevoll gedenkt. Ich finde es sinnvoll - in diesem Sinne möchte ich Ihre Anregung positiv aufgreifen -, daß man darüber in möglichst großer Gemeinsamkeit und auf eventuell gemeinsamen Sitzungen von Beirat und Kuratorium entscheidet. Denn selbstverständlich ist die Meinung der anderen Opfergruppen zu diesem Bereich für die Arbeit von Kuratorium und der gesamten Stiftung wichtig. So wird es, wenn Vernunft in den Gremien herrscht, auch in Zukunft sein. Wir sollten unseren gemeinsamen Willen ausdrücken, daß dies so sein soll. ({0}) Es bleibt mir jetzt nur noch wenig Zeit, über die vierte Phase zu sprechen; ich gehe nur kurz auf sie ein. Keiner von uns weiß nach dem, was wir hier in teilweise sehr quälenden Debatten beschlossen haben, welche Wirkungsgeschichte dieses Mahnmal im Hinblick auf zukünftige Generationen hat. Darüber können wir nur begrenzt entscheiden. Den Ernst der Verantwortung, daß man ein Mahnmal so bauen muß, daß zukünftige Generationen dessen Sinn verstehen können, spürt, so glaube ich, jeder. Was wir wissen, ist, daß wir sie mit diesem Mahnmal an einen zentralen Gedächtnispunkt unserer Demokratie heranführen. Wir alle können nur hoffen, daß das Mahnmal diese Wirkung haben wird. Das gibt den Debatten im Kuratorium den nötigen Ernst. Danke. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Hans-Joachim Otto von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Dr. Leonhard, verehrte Frau Kollegin Dr. Vollmer, Sie haben in Ihren Reden den Geist der Gemeinsamkeit beschworen. Zu Recht! Denn es gibt im Vergleich zu diesem Holocaust-Mahnmal kaum ein anderes Vorhaben, bei dem es so sehr auf eine stilbildende konsensuale Umsetzung hier im Bundestag ankommt. Um so weniger verstehe ich es, daß Sie das vielfache Angebot der Oppositionsfraktionen, bei der Umsetzung des Stiftungsgesetzes Gemeinsamkeit walten zu lassen, nicht aufgegriffen haben, sondern es - ich sage das in aller Klarheit - schnöde zurückgewiesen haben. ({0}) Es wäre doch auch für Sie sehr einfach gewesen, wenn man die drei Träger, die das gesamte Verfahren über zehn Jahre betrieben haben, den Förderkreis um Lea Rosh, den Bund und das Land Berlin, in Form einer Drittelparität im Stiftungsrat bzw. Kuratorium verankert hätte. Das wäre überzeugend gewesen. Das wäre eine Lösung gewesen, die in Einklang mit Geist und Buchstaben des Beschlusses vom Juni dieses Jahres gestanden hätte. ({1}) Wenn schon die Kollegen von SPD und Grünen überraschenderweise die Bürgerinitiative von Lea Rosh nicht goutieren und sagen, das sei kein Verfassungsorgan und dürfe nicht gleichbehandelt werden - es ist bedenklich genug, daß Sie dieses bürgerschaftliche Engagement, das Sie sonst immer loben und für das Sie sich zu Recht bedanken, dann, wenn es darum geht, es umzusetzen, nicht konsequent unterstützen -, ({2}) wenn Sie also Mißtrauen gegen Frau Rosh haben, dann hätten Sie wenigstens den Kompromißvorschlag der CDU/CSU-Fraktion aufgreifen können. Vieles spricht dafür - Frau Professor Süssmuth hat soeben darauf hingewiesen -, ihn anzunehmen. Statt dessen präsentieren Sie uns einen Gesetzentwurf, der eine Gremienbesetzung vorsieht, die nicht nur in hohem Maße willkürlich, sondern auch mit dem Geist und dem Buchstaben des Beschlusses vom Juni dieses Jahres kaum in Einklang zu bringen ist. Ich will jetzt aus Zeitgründen nicht auf die Details eingehen, zum Beispiel auf die Übergewichtung des Bundes, die Nichtbeteiligung des Abgeordnetenhauses von Berlin und vieles mehr, sondern mich auf einen Punkt konzentrieren, auf die Beteiligung jüdischer Organisationen im Stiftungskuratorium. Ignatz Bubis hatte recht, indem er immer davor warnte mit dem zutreffenden Hinweis, dieses Denkmal sei ein Denkmal für die ermordeten Juden und nicht ein Denkmal der Überlebenden. ({3}) Ich räume ohne weiteres ein, daß es auch Gesichtspunkte gibt, die für eine Beteiligung von Opfergruppen sprechen können; darüber sind wir uns nicht uneinig. Nur, verehrte Frau Kollegin Dr. Leonhard und Frau Dr. Vollmer, die Überlegung der Einbeziehung von Opfergruppen darf nicht auf eine Opfergruppe beschränkt werden. Ich teile vollständig die Meinung der Kollegen Lammert und Süssmuth: Das ist in der Tat eine Hierarchisierung, und das halte ich für sehr unglücklich. Um Ihre Argumentation aufzugreifen, Frau Dr. Vollmer: Es ist ganz klar und unstreitig, daß das Kuratorium auch über sehr wichtige Fragen zu entscheiden hat, die andere Opfergruppen betreffen - auch wenn es „Denkmal für die ermordeten Juden“ heißt. Meine Damen und Herren, ich möchte auf eine weitere Hierarchisierung oder sogar Diskriminierung hinweisen. Sie haben - und das ist wirklich töricht - von den zwei jüdischen Gemeinden in Berlin nur eine übernommen, nämlich die größere. Die kleinere jüdische Gemeinde, Adass Jisroel, die ihre Mitarbeit genauso angeboten hat wie der Zentralrat der Juden und die Jüdische Gemeinde in Berlin, schließen Sie aus. Ihr schlagen Sie die Tür vor der Nase zu. In aller Vorsicht: Das ist wirklich nicht gut. Sie tun dies ohne Not; denn nach Ihrem Gesetzentwurf haben Sie für die jüdischen Organisationen drei Plätze vorgesehen. Sie könnten sie also beteiligen; sie ist eine der beiden gleichberechtigten jüdischen Gemeinden Berlins. Wir fragen uns alle: Warum gehen Sie diesen steinigen Weg? Warum erfolgt die Zusammensetzung so willkürlich? Herr Dr. Lammert hat zu Recht darauf hingewiesen: Hintergrund ist ganz offensichtlich ein besonderer Gestaltungswunsch von Herrn Dr. Naumann. Herr Dr. Naumann, das Mißtrauen - das wurde vorhin angesprochen - wird natürlich dadurch genährt, daß Sie, bevor sich die Gremien überhaupt konstituiert haben, bereits in Zeitungsanzeigen für die Personalbesetzung dieser Stiftung werben. Das halte ich wirklich für sehr unglücklich. Sie haben schon eine Vollzeitstelle für diesen Ort der Information ausgeschrieben; sie ist genau beschrieben, auch mit Besoldungsgruppe. Ich meine, man hätte warten können, bis sich morgen die Gremien konstituieren; man hätte nicht in dieser Weise vorpreschen sollen. Diese Zurückhaltung hätte im Zusammenhang mit konsensbildend und vertrauensbildend können, Herr Dr. Lammert hat bereits darauf hingewiesen. ({4}) - So kann man das durchaus sehen, Herr Kollege Hirche. ({5}) Dennoch sage ich Ihnen, Frau Dr. Leonhard, Frau Dr. Vollmer und Herr Dr. Naumann: Wir werden uns selbstverständlich an der Stiftungsarbeit beteiligen. Obwohl ich über die Ereignisse der letzten Monate etwas sauer bin, werde ich mich persönlich einbringen, mich engagieren. Das ist mein Beitrag zur Wiedergewinnung des Vertrauens; denn letztendlich kommt es nicht darauf an, wenn wir uns hier untereinander streiten; denn es steht ein großes Ziel im Hintergrund. Ich möchte dazu beitragen, daß wir gegenüber der deutschen Bevölkerung ein überzeugendes Signal setzen. Ich möchte dazu beitragen, daß wir ein Denkmal schaffen, das von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes angenommen und von ihnen häufig besucht wird, ein Mahnmal, das seine Wirkung entfaltet. Deswegen werden wir unter Hintanstellung unserer Bedenken in dieser Stiftung mitarbeiten. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Heinrich Fink von der PDS-Fraktion das Wort.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich würde gern frei reden, aber leider habe ich nur drei Minuten Redezeit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sie können auch in drei Minuten frei reden. ({0})

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Freude zum Ausdruck geben, daß wir heute, noch im alten Jahr am Ende dieses blutigen Jahrhunderts, zu einem Abschluß der Diskussion über das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung für das HolocaustMahnmal kommen werden. Ich bin nicht überzeugt, daß die offene Feindschaft beendet ist und die verdeckt operierenden Verzögerer es aufgegeben haben, das Denkmal zu verhindern. Aber die Spitze ist diesen Versuchen nach dem heutigen Tage wohl abgebrochen. ({0}) Hans-Joachim Otto ({1}) Das sieht die PDS als Erfolg für alle Menschen in diesem Lande, die sich seit Jahrzehnten um eine ehrliche Erinnerungsarbeit bei einem der finstersten Kapitel der deutschen Geschichte bemüht haben. Wenn ich sage Erfolg, so gebührt das Verdienst dafür in ganz besonderem Maße den Mitgliedern des Förderkreises zur Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas, besonders Lea Rosh. Diese haben sich seit über elf Jahren nicht entmutigen lassen, ihre Idee mit Beharrlichkeit in die Tat umzusetzen. Dafür herzlichen Dank. ({2}) Der symbolischen Grundsteinlegung genau morgen in sechs Wochen sollte nun nichts mehr entgegenstehen. Gleichwohl möchte ich nicht so verstanden werden, daß nun etwa alle Diskussionen, die wir gerade in den letzten Wochen um den Status der Stiftung sowie um die Zusammensetzung von Kuratorium und Beirat geführt haben, unnötig gewesen wären. Nach wie vor vertrete ich den Standpunkt, daß es der Sinnhaftigkeit der Stätte - nämlich einem Denkmal der Täter, der nichtjüdischen Deutschen, für die Opfer, die Juden - entsprochen hätte, die genannten Gremien entsprechend zu besetzen. Das heißt, es wäre für mich logisch gewesen, das Kuratorium ausschließlich aus Vertreterinnen und Vertretern des Bundestages, des Berliner Abgeordnetenhauses und des Förderkreises zu besetzen. Der Zentralrat der Juden und die Jüdische Gemeinde von Berlin - für mich gehört zur Vielfalt jüdischen Lebens in Berlin auch die leider nicht berücksichtigte Synagogengemeinde Adass Jisroel ebenso wie die weiter im Gesetzentwurf aufgeführten Mitglieder des zu gründenden Kuratoriums, auf deren Stimme gerade die PDS nicht verzichten will, hätten ihre Mitwirkung dann im Beirat einbringen können. Doch es liegt uns fern, daraus nun eine Nagelprobe für das Gesamtvorhaben machen zu wollen. Da bei den Genannten offensichtlich Einverständnis vorliegt, wird die PDS dieser Zusammensetzung zustimmen. Jegliches kleinliche Gezänk um Bebauungsplanung, sicherheits- und städtebauliche Fragen, das in dieser Stadt leider alltäglich ist, würde unserem Land ein Armutszeugnis besonderer Art ausstellen. Das betrifft in gleicher Weise die Finanzierung des Projektes. Hier wie in so vielen anderen Fällen nach der jeweiligen Kassenlage entscheiden zu wollen - die Formulierung in § 3 Abs. 2 des Gesetzentwurfes rückt diese Gedanken jedenfalls in den Bereich des Möglichen - hielte die PDS für einen an politischer Peinlichkeit kaum zu überbietenden Fauxpas. In der Hoffnung, daß es dazu niemals kommen wird, stimmt die PDS dem vorliegenden Gesetzentwurf zu. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Michael Roth von der SPD-Fraktion.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es ein ganz klein wenig schade, daß wir mit dem heutigen Tage diese Debatte im Deutschen Bundestag beenden; denn ich habe sie als einen sehr wichtigen Akt der Selbstvergewisserung empfunden. Ich stimme Herrn Lammert auch ausdrücklich zu: Wir haben uns von Beginn an - ich bin ja erst seit einem Jahr dabei - über vieles Wichtige gestritten. Es ist auch ein Teil der Geschichte dieses Mahnmals, daß es die unterschiedlichen Positionen gibt. Es lag nun am Deutschen Bundestag, die Rolle verantwortungsvoll wahrzunehmen. Ich befürchte, wir werden den Streit im Kuratorium und auch in den anderen Gremien der Stiftung sicherlich nicht zu einem Abschluß bringen. Aber wir sollten heute zumindest das Verfahren mit Würde abschließen, so daß wir damit gute Startvoraussetzungen für das Kuratorium erbringen; denn die Arbeit - auf die ich mich freue - mit Herrn Otto, mit Frau Widmann-Mauz und mit vielen anderen ist ganz, ganz schwierig, aber auch sehr verantwortungsvoll. ({0}) Ich möchte aus dem Beschluß vom 25. Juni einen einzigen Satz zitieren: „Die Stiftung nimmt noch in diesem Jahr ihre Arbeit auf.“ Von diesem Satz haben wir, die Koalition, uns leiten lassen. Es war uns wichtig, dieses Ziel zu erreichen. Das hat uns auch dazu veranlaßt, das Verfahren möglichst zügig abzuschließen. Daher findet morgen die erste, die konstituierende Sitzung des Kuratoriums statt. Denn wenn wir nicht über den Weg der unselbständigen Stiftung gegangen wären, hätten wir die Sitzung nicht schon auf morgen anberaumen können. Wir beschließen zwar heute - hoffentlich! -, aber dann muß das noch dem Bundesrat zugeleitet werden, und es müssen noch weitere Verfahrenspflöcke eingeschlagen werden, so daß, davon gehe ich aus, die konstituierende Sitzung wahrscheinlich erst Ende Februar über die Bühne gegangen wäre.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Roth, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Otto.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Roth, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir in der Obleutebesprechung des Ausschusses für Kultur und Medien einen ganz detaillierten und präzisen Zeitplan verabredet hatten, sogar unter Einbeziehung des Bundesrates, nach dem wir das Gesetz noch dieses Jahr in volle Rechtskraft hätten setzen können. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß dieses Verfahren jäh unterbrochen wurde durch die Einschaltung des stellvertretenden Vorsitzenden Ihrer Fraktion, der es uns nicht möglich gemacht hat, darüber in einer Sitzung im September zu beraten, obwohl dies übereinstimmender Beschluß der Obleute war. Das sind nüchterne Fakten. Wir hätten schon am heutigen Tage eine gesetzlich veranDr. Heinrich Fink kerte Stiftung. Nehmen Sie das bitte freundlicherweise zur Kenntnis, Herr Roth?

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann es, Herr Kollege Otto, nur bedingt zur Kenntnis nehmen, weil ich den Obleuten nicht angehöre. Ich möchte aber meiner großen Freude Ausdruck verleihen, daß wir heute so weit sind und die Arbeit morgen beginnen können. Das ist Ergebnis der Bemühungen seitens der Koalition. ({0}) Ich will noch einen Aspekt ansprechen, der mich sehr berührt. In den vergangenen Jahren - nicht erst seitdem ich dem Deutschen Bundestag angehöre - hatte ich ein erhebliches Problem im Umgang mit Deutschen jüdischen Glaubens, wenn es um die Vergangenheit, wenn es um den Holocaust geht. Ich glaube nicht, daß es unsere Aufgabe ist, Herr Otto, Herrn Bubis recht zu geben. Ob sich Jüdinnen und Juden an dieser schwierigen Entscheidung beteiligen, das müssen sie selbst klären. Sie haben es geklärt, und sie haben uns die Hand zum Dialog gereicht. Ich finde das ein sehr ermutigendes Zeichen auch im Hinblick darauf, wie wir für die Zukunft in unserem Lande unter Einschluß von Menschen jüdischen Glaubens mit dieser Frage umgehen. Deswegen finde ich es ein ganz hervorragendes Ergebnis der zahllosen Debatten der vergangenen Monate, daß wir zu diesem Ergebnis gekommen sind. ({1}) Frau Süssmuth, ich kann wirklich nicht verstehen, warum wir uns darüber nicht gemeinsam freuen. Es geht auch nicht um eine Hierarchisierung - ich mag dieses Wort sowieso nicht - verschiedener Opfergruppen; denn auf den Beirat wartet die ganz entscheidende Aufgabe, einen weiteren Teil unseres Beschlusses umzusetzen, nämlich wie wir den anderen Opfern würdig gedenken. Dafür brauchen wir den Sachverstand. Ich hoffe, daß wir im Kuratorium eine einvernehmliche Lösung darüber erzielen werden, wer in diesem Beirat sitzt. Ich kann an der Zusammensetzung des Beirates - an dem Beirat insgesamt - nichts Unbedeutendes sehen. ({2}) Vielmehr handelt es sich um ein ganz wichtiges Organ dieser Stiftung. Deshalb sollten wir diesen Beirat nicht kleinreden. Damit machen wir unsere Arbeit der vergangenen Monate schlecht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so kurz vor Weihnachten - damit greife ich das auf, was Frau Kollegin Leonhard gesagt hat - sind wir bestrebt, mit friedvollen Botschaften in das kommende Jahrtausend zu ziehen. Ich würde mich deshalb freuen, wenn wir heute mit möglichst großer Mehrheit einen tragfähigen Beschluß fassen. Auf uns warten nämlich Entscheidungen, die wir konstruktiv und mutig auf den Weg bringen müssen. Ich wünsche uns dafür alles Gute und hoffe, daß wir uns endlich einmal zusammenreißen und diesen konstruktiven Weg gemeinsam, über Fraktionsgrenzen hinweg, beschreiten werden. Denn auf uns schauen immer noch viele Menschen, die sich für dieses Thema seit vielen, vielen Jahren interessieren und viel Arbeit und Zeit investiert haben. Enttäuschen wir sie nicht! ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Errichtung einer „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in der Ausschußfassung, Drucksache 14/2013 und 14/2349 Buchstabe a. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/2357 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der F.D.P. zur Errichtung einer „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ auf Drucksache 14/1996. Der Ausschuß für Kultur und Medien empfiehlt auf Drucksache 14/2349 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der F.D.P. auf Drucksache 14/1996 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Einsetzung einer Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten“ - Drucksache 14/2350 Hans-Joachim Otto ({0}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker von der SPDFraktion das Wort.

Dr. Ernst Ulrich Weizsäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fast alle Fraktionen des Hohen Hauses haben diesem Gesetzentwurf in der Vorphase ihre Zustimmung gegeben. Es ist für mich ein Grund zum Feiern, daß es über diese zentrale Frage „Globalisierung der Weltwirtschaft Herausforderungen und Antworten“ fraktionsübergreifende starke Gemeinsamkeiten gibt. Für mich persönlich ist es ein Grund, denjenigen zu danken, die sich in den letzten Monaten mit großem Erfolg um diesen Konsens bemüht haben. ({0}) Ich möchte als erstes unseren stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Ernst Schwanhold nennen, der in gewissem Sinne als der Architekt des neuen Gebäudes gelten kann, welches wir als Kommission betreten und mit Leben füllen wollen. Ich möchte ebenso meinen großen dankbaren Respekt dem Herrn Kollegen Schauerte, Herrn Schwanholds Partner von der CDU, für die konstruktive Kooperation aussprechen. ({1}) Das gleiche gilt für die Kolleginnen Buntenbach, Kopp und Lötzer sowie nicht zuletzt für meine Fraktionskollegin Sigrid Skarpelis-Sperk, Vorsitzende unserer Arbeitsgemeinschaft Weltwirtschaft und jetzt Sprecherin unserer Fraktion in der neuen Enquete-Kommission. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit all den Genannten und den anderen Mitgliedern des Hohen Hauses sowie den Experten, die noch zu berufen sind. Die Globalisierung der Weltwirtschaft war die erwünschte Folge des freudigsten Ereignisses der deutschen Nachkriegsgeschichte, nämlich der deutschen Wiedervereinigung. Indem ich das sage, gebe ich eine zeitliche Terminierung vor, mit welcher ich all denen widerspreche, die die Globalisierung als ein uraltes Phänomen bezeichnen, welches schon bei den Seefahrern früherer Jahrhunderte begonnen hat. Natürlich gab es früher schon internationalen Handel und vielfältige Verflechtungen, gelegentlich auch ruinösen Wettbewerb. Aber die Integrität und die autonome Handlungsfähigkeit der Staaten standen nie in Frage, gleichgültig, ob es das Florenz der Medici war oder das viktorianische England oder die Bundesrepublik Deutschland unter der Kanzlerschaft von Konrad Adenauer. Bei Konrad Adenauer werden jetzt manche von Ihnen stutzen und denken: Der hat doch sehr viele autonome Handlungsmöglichkeiten des Staates preisgegeben: in der Montanunion, in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in der Westintegration. Und doch wird dieses dem Phänomen Globalisierung noch nicht gerecht. Wir haben durch die Politik der Westintegration zunächst einmal etwas erreicht, was man auf nationalstaatlicher Ebene gar nicht erreichen konnte, nämlich ein nicht dagewesenes Gefühl von Sicherheit und Friedensentwicklung. Dieses war die Basis unserer 100prozentigen Zustimmung zur Wirtschaftsintegration. Der Glücksfall Europa, das Erfolgsmodell Europa hat uns gerade nach dem Fall der Mauer beflügelt, die Wirtschaftsintegration zu betreiben und fortzusetzen - und nunmehr weltweit und ohne ideologische Schranken. Aber nun erst, wenige Jahre nach dem Fall der Mauer, nach der großen bejubelten Befreiung, schlich sich auf einmal vielerorts das Gefühl ein, daß wir unversehens viel mehr Autonomie preisgegeben hatten, als Konrad Adenauer oder auch Willy Brandt je preiszugeben bereit gewesen wären. Diesmal haben wir die Autonomiebestandteile nicht abgegeben an die immerhin noch dingfest zu machende Europäische Union, sondern an das internationale Kapital, welches für viele von uns überhaupt nicht faßbar ist, zum Beispiel auch an amerikanische Pensionsfonds, von denen vor 1990 kein Mensch auch nur gehört hat. So verbindet sich mit dieser Preisgabe von Autonomie ein Gefühl der Beklemmung und gleichzeitig eine Assoziierung von neoliberal, Globalisierung, Preisgabe von nationaler Sozialpolitik und Umweltpolitik und vielem anderen. Es ist meine persönliche Interpretation, daß sich im Verhältnis zwischen Schwachen und Starken mit dem Jahr 1990 und mit der dann einsetzenden Globalisierung Zentrales verändert hat: Bis 1990 mußten die Starken den Ausgleich mit den Schwachen suchen; denn es bestand immer latent die Gefahr, daß ein Land in Richtung sozialistischer Experimente abdriftet, wenn es einer breiten Mehrheit zu schlecht ging. Der breite gesellschaftliche Grundkonsens war ein erklärter Standortvorteil von Ländern wie Schweden, Deutschland, Schweiz, Japan und anderen. Nun plötzlich, nach 1990 - in Nord- und Südamerika übrigens etwa zehn Jahre früher - war der Ausgleich kein hohes gesellschaftliches Ziel mehr. Sozialistische Experimente brauchte keiner mehr zu befürchten, und fast über Nacht verwandelte sich der ehemalige Standortvorteil in einen Kostennachteil und damit in einen Standortnachteil, denn der Konsens war natürlich mit ziemlich viel Geld erkauft worden. Ich gebe auch zu, daß die Konsensgesellschaft ein Stück weit behäbig geworden war, und auch Behäbigkeit ist teuer. Der Konsensgesellschaft wurde der Standort Deutschland entgegengestellt - ebenfalls ein Wort, das es vor 1990 nicht gab. Die Stichworte Globalisierung oder Standort Deutschland finden Sie in keinem Brockhaus oder Langenscheidt vor 1990. Das vor 1990 frohgemut gefeierte Konsensdenken wurde nun auf einmal von einer Seite der Gesellschaft als Konsensgesülze diskreditiert. So stieg die BefürchVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms tung in vielen hoch, daß das internationale Kapital, auf das man ja für die Schaffung von Arbeitsplätzen angewiesen war, auf einmal viele Regeln selbst bestimmte und nicht mehr die demokratisch gewählten Parlamente. Sehr verstärkt wurde das Unbehagen, als sich herausstellte, daß der Abschied von der Konsensgesellschaft weltweit zu einem dramatischen Aufklaffen der Lücke zwischen Arm und Reich führt. Seit 1980 hat sich der Abstand zwischen dem ärmsten Zehntel und dem reichsten Zehntel glatt verdoppelt. Die Demokratie kann sich natürlich nicht einfach damit abfinden, daß sie die Regeln nicht mehr setzt und daß der Abstand zwischen Arm und Reich dauernd zunimmt. In der Folge wurden die Globalisierung, das neoliberale Denken und die Standort-Deutschland-Kampagne zunehmend als Gegensatz zur Demokratie wahrgenommen. Die Folge dieses Konfliktes war - so sehe ich das - der breite Linksruck bei fast allen Wahlen in Europa. Doch mit diesen durch demokratische Wahlen geschaffenen Veränderungen ist natürlich noch keines der vor uns liegenden Probleme gelöst. Im übrigen verdeckt jener karikaturhaft genannte Konflikt die Tatsache, daß die Globalisierung und der Druck des internationalen Kapitals ja auch sehr segensreiche Auswirkungen hat. Viel Ineffizienz und Schlendrian ist überwunden worden, und weltweit setzte sich eine staatliche Ausgabendisziplin durch, die die Inflation auf Werte unter 2 Prozent drückte. Das war vor zehn Jahren noch kaum vorstellbar, nicht einmal in Amerika, wo damals ja noch die Republikaner herrschten. Wo liegen aber denn nun die Lösungsansätze? - Sie liegen, ob Sie es glauben oder nicht, in der Wiederherstellung eines breiten politischen Konsenses. Natürlich haben die Rechten recht, wenn sie von der friedenssichernden Rolle der Wirtschaftsverflechtung sprechen. Diese kommt auch denen zugute, die zwar in Armut leben, aber wenigstens nicht im Krieg. Natürlich haben die Linken recht, daß es nicht angeht, daß ständig die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Natürlich haben die Rechten recht, daß wir uns in Deutschland ähnlich wie vor uns die Niederländer und die Skandinavier mit unseren Sozialsystemen und unseren Arbeitszeitmustern in vielen Hinsichten anpassen müssen. Aber natürlich haben die Linken recht, daß die Deregulierung auf nationaler Ebene nur dann gutgeht, wenn sie von einer Regulierung auf internationaler Ebene ergänzt wird. Natürlich haben die Rechten recht, daß der Wettbewerb der Standorte bis zu Provinzen und Kommunen hinunter im marktwirtschaftlichen Entdeckungsverfahren wichtige und lehrreiche Innovationen auslöst. Aber natürlich haben die Linken recht, daß die gegenseitige Solidarität der Regionen dieser Entdekkungsschlingerfahrt moralische Grenzen setzen muß. Schließlich haben natürlich beide Seiten recht, daß ein exportabhängiges Land wie Deutschland von der Globalisierung insgesamt profitiert und sich nicht einfach mit einem ärztlichen Attest krank melden kann. Wenn hier etwas krank ist, dann ist es die Unwilligkeit der streitenden Parteien, aufeinander zuzugehen, wie das in den Niederlanden der Fall war. Nach einer ForsaUmfrage vom August sind über 70 Prozent der Deutschen der Meinung, wir sollen die großen, vor allem durch die Globalisierung sichtbar gewordenen Probleme im breiten nationalen Konsens angehen. Nur 10 Prozent der Bevölkerung meinen, wir sollen im wesentlichen die Konflikte austragen. In Seattle, im Westen der USA, hat sich vor zwei Wochen bezüglich der Globalisierung eine Art Zeitenwende vollzogen. Der unaufhaltsam erscheinende Zug in Richtung einer immer weitergehenden Handelsliberalisierung ist überraschend - vorerst - zum Stehen gekommen. Gestoppt haben ihn die Vertreterinnen und Vertreter des nichtstaatlichen, zivilgesellschaftlichen Sektors. Die französischen Kulturschaffenden, die amerikanischen Teamsters, die indischen Landfrauen und die Schildkrötenschützer aller Länder haben in Seattle höchst überraschende Gemeinsamkeiten entdeckt. Präsident Clinton konnte es sich einfach nicht leisten, die weitgehend aus seiner Wählerschaft kommenden Demonstranten zu verprellen. So ließ er seine eigene Verhandlungsführerin Charlene Barshefsky im Regen stehen und ließ die Konferenz ohne Ergebnis zu Ende gehen. Für unser Land und für die Arbeit der EnqueteKommission ist das Signal von Seattle höchst bedeutsam. Die zivilgesellschaftlichen Akteure haben nicht nur lokale Bedeutung, sondern auch starke internationale Muskeln. Zusammen mit Parlamenten und Regierungen von Nationalstaaten können sie wesentlich dazu beitragen, daß der Ausgleich zwischen Starken und Schwachen wiederhergestellt wird. Gemeinsames Ziel sind in erster Linie Regeln der Fairneß für die Weltmärkte, Regeln der Fairneß gegenüber den Schwächeren, gegenüber der Vielfalt, gegenüber der Natur und gegenüber den nach uns kommenden Generationen. Die Starken und die Märkte sind von sich aus auf diesem Auge blind. Erst dann, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher, die ja die eigentlichen Zielpersonen des Marktes sind, Fairneß verlangen, wird der Markt dem folgen, und erst dann - um mit Gräfin Dönhoff zu sprechen - wird der Markt gezähmt. Aber damit sich die Konsumenten für die Fairneß entscheiden können, brauchen sie vor allem verläßliche Informationen. Transparenz ist das allerwichtigste Stichwort für die zu entwickelnden Regeln der Weltmärkte. Das muß auch die Leitvokabel für die internationale Finanzarchitektur werden, von der so viel geredet wird. Transparenzregeln für internationale Konzerne zu formulieren könnte eine schöne Hausaufgabe für uns in der Enquete-Kommission werden. Verbraucherinnen und Verbraucher weltweit sollen sich nämlich ein eigenes Urteil bilden und ihre Kaufentscheidung danach ausrichten können. Das war jetzt ein Beispiel von vielleicht 20 für Hausaufgaben der Enquete-Kommission. Viele andere wird die Kommission auf der Basis des von Ernst Schwanhold und seinen Partnern sehr gut formulierten Mandats noch genauer definieren. Herr Präsident, meine Damen und Herren, haben Sie mit der Enquete-Kommission, die wir heute gründen wollen, noch ein wenig Geduld. Wir müssen dicke Bretter bohren. Aber ich bin sehr zuversichtlich, daß wir in zweieinhalb Jahren dem Bundestag spannende und weiterführende Vorschläge unterbreiten können. Ich bedanke mich auch namens unserer Fraktion für das Mandat, das wir mit dieser Kommission übernehmen. Ich danke Ihnen für das Vertrauen und für Ihre Geduld. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Hartmut Schauerte von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag zur Einsetzung der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten“ liegt Ihnen vor. Er ist abgestimmt und soll nun verabschiedet werden. Er ist wie jeder Kompromiß auch mit Schwächen behaftet. Insbesondere im zweiten Teil können wir feststellen, daß er der Gefahr unterliegt, sehr in die Breite zu gehen. Dieses Problem werden wir in der Kommission vielleicht rein technisch haben: Wir müssen uns davor hüten, zu sehr in die Einzelheiten zu gehen und uns darin zu verlieren. Das Thema Globalisierung ist so gewaltig und so umfassend, daß man darin ertrinken kann. Herr Vorsitzender, wir müssen es schaffen - das bedarf bei aller Vielfältigkeit der Problematik unserer gemeinsamen Anstrengung -, uns auf Kernbereiche zu konzentrieren. Unser Thema lautet: Globalisierung der Weltwirtschaft. Ein zentraler Kernbereich muß sein: Auswirkungen auf Deutschland und Antworten der deutschen Politik auf diese Auswirkungen. ({0}) Diese Antworten können auch international sein; aber der Kern muß im Fokus bleiben. Wir dürfen uns nicht verzetteln. Die Globalisierung wird das zentrale Thema des 21. Jahrhunderts sein, weil Begriffe wie „eine Welt“, „Die Welt ist ein Dorf“ und „Alles hängt mit allem zusammen“ sehr real geworden sind. Fusionen und Konzentrationen beherrschen die Schlagzeilen der Wirtschaftszeitungen. Gleichzeitig werden Tausende von kleinen Unternehmen neu gegründet. Beides sind Antworten auf dieselbe erstaunliche Veränderung und Entwicklung. Die unglaublichen Veränderungen auf dem Feld der Kommunikation in Wort und Bild, aber auch der Kommunikation bei Technologie, bei Transfer, bei Transport und bei Wanderung von Menschen sind im übergeordneten Sinne kommunikativ und verändern das Antlitz der Erde. Es entwickeln sich neue Größenordnungen; es entwickeln sich neue politische Strukturen. Herr Kollege Weizsäcker, an dieser Stelle bin ich entschieden anderer Auffassung als Sie. Ich will das Datum 1990 nicht kleinreden. Wer hat mehr Glück und Freude an dieser Entwicklung als wir? Aber nicht die Politik formt die Strukturen; vielmehr formen die Strukturen die Politik. Nicht das Kapital hat zu diesen Veränderungen beigetragen, über die wir reden wollen, sondern die Technologien haben die Welt verändert. Die Politik ist in der Teilung der Welt zusammengebrochen, weil die Kommunikation unaufhaltsam geworden ist. Die Geschehnisse des Jahres 1990 sind eine Konsequenz der vorangegangenen technologischen Veränderungen. ({1}) Die Überbetonung des Kapitals erscheint mir unangemessen. Wir sollten auf die technologischen Zwänge achten. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Menschen und ihr Wissen die Politik und die Strukturen entscheidend prägen - nicht umgekehrt. In der Vergangenheit waren es immer die konkreten, gestaltbaren und beherrschbaren Lebensumstände und Lebensräume, aus denen politische Handlungsfelder entwickelt wurden. Die Größenordnung entstehender Königreiche, Staaten und Staatenbünde bestimmte sich im Prinzip danach, wie man kommunizieren konnte - in des Wortes übergeordneter Bedeutung. Es ging nicht nur darum, wie man Briefe verschicken konnte, sondern auch darum, wie man Güter, Waren und Menschen miteinander verbinden konnte. In dieser Hinsicht haben wir eine ganz neue Dimension erreicht. Das, was jetzt passiert, ist schon die Fortsetzung eines anhaltenden Globalisierungsprozesses von Beginn an hin auf einen Weg in e i n e Welt - nur mit einem viel höheren Tempo. Wir sind nicht der Auffassung, daß man nach der Jahrhundertwende zu dem Ergebnis kommen könnte: Jetzt haben wir den größten Schub hinter uns, ab jetzt wird es bequemer. Ich glaube, daß das Tempo mindestens anhält, wenn nicht sogar noch zunimmt. Unser Ansatz, um auf diese Veränderungen zu reagieren - ich wäre da gar nicht so bescheiden -, ist einer der erfolgreichsten Ansätze in der Welt: die richtig verstandene soziale Marktwirtschaft. Sie im Rahmen dieses Prozesses zu globalisieren und in das Bewußtsein aller Teilnehmer an diesen Geschehnissen auf der Welt zu heben wäre eine außerordentlich wichtige und wirklich richtige Antwort. Wir wollen, daß die großen und kleinen Unternehmen dieser Welt nach fairen Spielregeln in einen möglichst machtfreien Wettbewerb zueinander treten können. Dieser Wettbewerb spornt sie zu Höchstleistungen an, schont Ressourcen, begünstigt den Verbraucher und bringt insgesamt hohen gesellschaftlichen Nutzen. Zugleich wissen wir, daß es gesellschaftliche Bereiche und einzelne Mitglieder dieser Gesellschaft gibt, die durch Wettbewerb und Markt überfordert werden. Ihnen muß geholfen werden. Wenn wir diese beiden Pole intelligent miteinander kombinieren, werden wir die Antworten finden, nach denen wir in dieser Kommission suchen. ({2}) Es bleibt gerade im Prozeß der Globalisierung die Aufgabe, mit großer Intelligenz daran zu arbeiten, daß sich die Wirtschaft möglichst klar und eindeutig dem Wettbewerb unterwirft. Das, was früher in nationale Zuständigkeiten fiel, spielt sich heute insbesondere bei Fusionen und Konzentrationen nicht mehr nur nach nationalen, in einigen Fällen sogar nur noch nach internationalen Regeln ab. Deswegen müssen die Regeln miteinander in Einklang gebracht werden, um Verschiebungen wegen falscher Regelauslegung zu vermeiden. Das ist eine unserer größten Aufgaben. In Europa sind wir da gut vorangekommen, wir müssen aber auch über Europa hinausgehen. Ich finde es deshalb schade, daß die WTO-Verhandlungen gescheitert sind. Es klang bei Ihnen ein wenig so durch, als sei das Scheitern normal gewesen. Jeder Rückschlag bei der Entwicklung von Regeln für die gemeinsame weltweite wirtschaftliche Tätigkeit ist ein Rückschritt; ich denke dabei an Seattle, wo dieses durch intelligente Kommunikationsmethoden, nämlich durch das Internet, verhindert wurde, oder auch an populistische Ansätze. Mir tut es leid, wenn sich dieser Prozeß verlangsamt. Wir sollten ihn vielmehr beschleunigen. Ich darf in dem Zusammenhang noch einmal auf ein Bild zurückkommen, über das möglicherweise auch in der Kommission unterschiedliche Ansichten bestehen. Ich glaube nicht, daß die Politik Herrin des Verfahrens ist. Ich glaube vielmehr, daß die Gesellschaften ein Eigenleben haben und die Politik gut beraten ist, diesen gesellschaftlichen Prozessen zu folgen. Ich möchte das an Hand eines Bildes verdeutlichen: Man kann die technologischen Veränderungen und vieles andere ebensowenig wie einen großen Fluß anhalten; man kann diesen allenfalls einfrieden und Dämme bauen, damit er nicht über die Ufer tritt, und ihn für Landwirtschaft und Energiegewinnung nutzbar machen. Wenn man ihn aber anhält, dann staut er sich so lange auf, bis der Staudamm bricht, und dann ertrinken Menschen. Ähnlich wie mit einem Fluß müssen wir mit diesem Prozeß umgehen. Wir müssen ihn intelligent und mutig begleiten und auf Lösungen hinweisen, damit es nicht zu bruchhaften Entwicklungen kommt. Wir sollten aber nicht versuchen, ihn anzuhalten. Die Globalisierung der Wirtschaft - auch das ist mir sehr wichtig - vollzieht sich in natürlicher Parallele zur Entwicklung von Freiheit und Freizügigkeit von Menschen, Informationen und Kapital. So, wie wir in der Vergangenheit gelernt haben, daß freie marktwirtschaftliche Teilhabe eine wichtige Basis für freie demokratische Gesellschaften ist, so ist auch bei dem Prozeß der Globalisierung darauf zu achten, daß wir ihn nicht in einer solchen Weise diffamieren, einengen und verkürzen, daß darunter die Freiheit leidet. Wir müssen bereit sein, das, was wir bisher staatlich zur Begründung von Freiheit und Demokratie getan haben, weltweit zu übertragen und zur Akzeptanz zu verhelfen. Es gilt, die freien Ansätze zu schützen und gleichzeitig extrem negative Auswirkungen zu vermeiden oder wenigstens abzumildern. Es gilt - das wird sicherlich eine Erkennungsmelodie unserer Arbeit in der EnqueteKommission sein, Herr von Weizsäcker -, die soziale Marktwirtschaft weltweit zu implementieren. ({3}) Wenn uns das durch wirklich mutiges Vorangehen, durch Erklären und durch eine vernünftige Außenpolitik gelingt, dann haben wir einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet. Die globale Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft wäre die beste Antwort auf die Globalisierung. ({4}) Wir sollten keine Angst vor den Veränderungen haben, die jetzt vor uns liegen. Es war vor 100 Jahren nicht gottgegeben, daß 60 Prozent der Menschen in Deutschland Bauern waren. Hätten wir ihnen gesagt, daß es im Jahr 1980, also nach 80 Jahren, noch 2 Prozent sein werden, hätte es die Gesellschaft gesprengt; das hätte niemand akzeptiert. Vor einigen Jahren haben noch 50 Prozent der Menschen Güter produziert. Heute wissen wir, daß es in wenigen Jahren noch 20 Prozent sein werden. Immer hat es solche massiven Veränderungen gegeben. Es gilt, diese Veränderungen zu erkennen und mutig anzupacken. Nur so können Brüche vermieden werden. Je länger wir notwendige Entwicklungsprozesse verzögern, desto höher steigt der Fluß, bis die Dämme brechen. Dann hätte die Politik wirklich versagt. Über diese notwendigen Zumutungen und Veränderungen, die keine bequemen, aber wohl unseren Lebensumständen immanente sind, müssen wir mit den Menschen reden und sie ihnen erklären. Ich hoffe, wir können dieser Aufgabe mit der Enquete-Kommission in einem Teilabschnitt einigermaßen gerecht werden. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In dieser Woche hat das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen den Bericht zur Lage der Kinder in der Welt vorgestellt. Die UN-Organisation schätzt, daß derzeit 600 Millionen Kinder in extremer Armut aufwachsen. Ihnen steht pro Tag weniger als ein Dollar zum Leben zur Verfügung. Dieses Beispiel macht eine zentrale Herausforderung deutlich, vor der Politik in Zeiten der Globalisierung steht, nämlich die Bekämpfung der absoluten Armut in der Welt. Damit ist eine Kernfrage benannt, die aus grüner Sicht im Mittelpunkt der Arbeit der Enquete-Kommission stehen muß: Wie wirkt sich die Globalisierung auf die Lebensverhältnisse der Menschen aus? Wie kann durch politisches Handeln einer Verschlechterung dieser Verhältnisse entgegengewirkt werden? Wie kann verhindert werden, daß die Schere zwischen Arm und Reich weltweit immer weiter auseinanderklafft? Daß die Produktion materiellen Reichtums in den letzten Jahren in einem unglaublichen Tempo beschleunigt worden ist und insofern der materielle Reichtum insgesamt gesehen größer geworden ist, stellt um so dringender die Frage auf die politische Agenda, wer denn an diesem Reichtum teilhat. Jeremy Rifkin verweist darauf, daß das zusammengelegte Vermögen der 358 reichsten Menschen der Welt dem der ärmsten 40 Prozent der Menschheit auf der Erde entspricht; das sind 2,5 Milliarden Menschen. Der Wohlstand wächst keineswegs für alle: nicht im internationalen Maßstab, aber auch nicht in den einzelnen Ländern. Ein zweites grünes Kernthema für die Enquete ist die Umweltpolitik. Auch hier stelle ich heute ganz bewußt den internationalen Aspekt in den Vordergrund; denn Auswirkungen für Deutschland sind ja auch Auswirkungen für eines der wichtigsten Industrieländer, für einen der zentralen Akteure im internationalen Kontext. Gerade bei der Umweltpolitik muß man erkennen, daß Globalisierung zu steigenden Transportaktivitäten, zur Verlagerung von Umweltbelastungen in Staaten mit geringeren Umweltstandards und zum Kahlschlag der globalen Ressourcen - zum Beispiel zur Abholzung der Regenwälder - führt. Dieser Raubbau an der Umwelt entzieht zum einen den Menschen anderer Regionen ihre Lebensgrundlagen, und zum anderen wirken die ökologischen und sozialen Folgen über jede Staatsgrenze hinweg. Die Frage ist doch, wie verhindert werden kann, daß der Prozeß der Globalisierung weiterhin auf Kosten der natürlichen Lebensgrundlagen und der endlichen Ressourcen geht. Ich spreche einen dritten Punkt an: Wesentlich ist außerdem die Frage der internationalen Finanzmärkte, die inzwischen erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Ich will hier nur einige der in diesem Zusammenhang drängenden Fragen nennen: Mit welchen institutionellen Änderungen lassen sich größere Transparenz und bessere Kontrolle der Finanzströme erreichen? Wie können internationale Arrangements von Finanztransaktionen wirksam, dauerhaft und umfassend durchgesetzt werden? Wie kann dabei die Funktion für internationale Organisationen wie IWF oder Weltbank aussehen? Mit diesen Fragen werden wir uns beschäftigen müssen. Zu Beginn der Arbeit möchte ich einen „Globalisierungsmythos“ aus dem Weg räumen, der da lautet: Globalisierung ist etwas, was quasi schicksalhaft über uns hereingebrochen ist, was sich der politischen Bearbeitung entzieht und in dem mächtige und unsichtbare Kräfte wirken - eine Art globaler Sachzwang. Ich möchte dagegenhalten, daß die Art und Weise, wie wir zusammenleben, von Menschen organisiert ist und daher auch von Menschen verändert werden kann. Was Globalisierung ausmacht, wie zum Beispiel die explosionsartige Ausweitung der internationalen Finanzmärkte, ist politisch gewollt und politisch beeinflußbar. Die zentrale Herausforderung nationaler wie internationaler Politik besteht darin, die ungebremsten Handelsund Finanztransfers durch die Setzung verbindlicher Regeln in eine soziale und ökologisch verträgliche Richtung zu beeinflussen. Ich weiß, daß die Einschätzungen darüber, ob und wie diese Aufgabe zu bewältigen ist - das hat eben auch der Beitrag von Herrn Schauerte klargemacht - in diesem Hause und in der Gesellschaft weit auseinander gehen. Um so wichtiger ist es, mit der Einrichtung dieser Enquete-Kommission die Chance zu einer sachlich fundierten Auseinandersetzung über dieses Thema zu nutzen. ({0}) Das Thema Globalisierung verführt in seiner Vielschichtigkeit und Differenziertheit dazu, sich schnell in Detail- und Spezialfragen zu verlieren und zu einer additiven Ansammlung von Fragestellungen zu Themen zu kommen, die dann unverbunden nebeneinanderher erforscht werden. Auch der vorliegende Mandatsentwurf, über den wir heute zu befinden haben, ist der Spiegelstrichvielfältigkeit ein wenig erlegen. Deshalb ist es um so wichtiger, sich zu Beginn der Arbeit Klarheit über die Leitfragen und Zielsetzungen zu verschaffen, unter denen man das Thema angehen will. Für Bündnis 90/Die Grünen stehen folgende Leitfragen im Vordergrund: Erstens: Wohlfahrtsentwicklung. Auf die Tatsache, daß nicht alle Länder und Regionen in der gleichen Weise an positiven Globalisierungswirkungen partizipieren, habe ich schon hingewiesen. Zweitens: Menschenrechte. Politische Antworten auf die Globalisierung sind dem Prinzip der Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Zu diesem Prinzip gehören auch die Verwirklichung und die Gewährleistung von menschenwürdigen sozialen Mindeststandards. Drittens: internationale Öffentlichkeit. Hier brauchen wir unter dem Gesichtspunkt demokratischer Legitimation einen gemeinsam geteilten Kommunikationszusammenhang. Die wesentliche institutionelle Grundlage dazu bilden die Netzwerke nationaler, transnationaler und regionaler Interessenverfolgung. Viertens: Demokratie. Demokratie darf bei der Verlagerung aus der Sphäre nationaler Politik auf die internationale Ebene nicht auf der Strecke bleiben. Ein Aspekt demokratischer Partizipation liegt dabei auch in der Weiterentwicklung von Beteiligungs- und Informationsrechten im Rahmen der nationalen und transnationalen Arbeitsbeziehungen. Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen. Die Auseinandersetzung mit der Globalisierung im Sinne einer Wiedergewinnung bzw. Entwicklung politischer Handlungsspielräume ist ein wichtiger Beitrag gegen die Politikverdrossenheit. Wer das Gefühl nicht los wird, Unbeeinflußbarem ausgeliefert zu sein, neigt zu Rückzug oder Forderungen nach autoritärem DurchgreiAnnelie Buntenbach fen von oben, was immer das sein mag. Wenn Globalisierung als Dumpingwettbewerb nationaler Volkswirtschaften diskutiert wird, was schon dank dem internationalen Agieren vieler Konzerne der Grundlage entbehrt, besteht die Gefahr der Nationalisierung von Marktkonflikten, der Konkurrenz nicht nur auf Baustellen entlang von Sprache und Herkunft. Das Ergebnis wäre eine Nationalisierung und Abgrenzung in den Köpfen statt einer weltoffenen Haltung. Ich freue mich auf fruchtbare und sachliche Diskussionen in der Enquete-Kommission. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Gudrun Kopp von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Die Vorredner haben eben deutlich gemacht, daß das, was wir in dieser Enquete-Kommission zu bewältigen haben, kein einfaches Werk sein wird. Ich möchte die Sicht in Deutschland voranstellen. Wir wissen alle: Die Globalisierung ist in aller Munde. Das heißt: Der Zug rollt im Alltagsgeschehen längst im dem internationalen Gefüge. Die Frage ist, ob die Menschen in Deutschland mithalten können. Ich fand sehr interessant, was heute in einer „Emnid“-Umfrage über die Einstellung der Menschen in unserem Land zur Zukunft druckfrisch veröffentlicht wurde. Danach machen sich 70 Prozent der deutschen Bevölkerung große Sorgen um unsere Zukunft. Noch in den 80er Jahren waren es lediglich 20 Prozent, die Zukunftsängste hatten. Das beweist: Wir tragen mit dieser Enquete-Kommission ein großes Stück Verantwortung, weil wir es schaffen müssen, das Thema Globalisierung mit aktivem politischem Handeln zu begleiten, Orientierungshilfen anzubieten und bei dem, was zu tun ist, zu agieren anstatt zu reagieren. ({0}) „Enquete-Kommission zur Weltwirtschaft“ - das ist auch hinsichtlich des Kompromißvorschlags, dem wir als F.D.P.-Fraktion mit Blick auf ganz große Schwierigkeiten zugestimmt haben, ein Mammutwerk. Es stellt sich die Frage, ob wir das überhaupt leisten können. Gut zwei Jahre stehen uns zur Verfügung. Dieses Mammutwerk umfaßt insgesamt neun Themenbereiche mit fünf Leitlinien: von der Warenwirtschaft, von der Finanzwirtschaft, von Gütermärkten über Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt, Kultur bis zur Gesellschaft. Das ist ein sehr weites Feld. Deshalb bin ich der Meinung, daß uns eine Konzentration auf Schwerpunkte gelingen muß. Der Titel lautet - ich nenne ihn noch einmal - „Enquete-Kommission zur Weltwirtschaft“. Ich finde, wir müssen zunächst Teilbereiche herausgreifen und diese erfolgreich bearbeiten. Nach liberalem Verständnis gibt es folgende drei Teilbereiche: Erstens brauchen wir ein europäisches und internationales Wettbewerbsgefüge; wir brauchen ein Regelwerk für den Weltwirtschaftshandel. Zweitens müssen wir die Entwicklung der internationalen Finanzmärkte mit entsprechender Arbeit begleiten. Drittens muß es - das ist mir ein ganz besonders großes Anliegen - Ziel sein, national, europäisch und international die Stärkung des flexiblen, innovativen Mittelstandes zu erreichen. ({1}) Wenn wir nur diese drei Punkte erfolgreich bearbeiten, so daß wir am Ende dieser Legislaturperiode ein Ergebnis vorlegen können, haben wir viel erreicht. Es muß uns gelingen, die Bevölkerung hinsichtlich dieser Entwicklung zu motivieren. Herr von Weizsäcker und Frau Buntenbach sprachen die gesellschaftspolitischen Fragen und die Umweltfragen an. Das sind wichtige Themen, aber sie alle stehen im Zusammenhang mit dem internationalen Wirtschaftsgefüge; da haben sie ihre große Bedeutung. Wenn wir insofern Fehler machen und wenn wir es versäumen, unsere Gesellschaft auf diese neuen und unvermeidbaren Entwicklungen, die auch viele Chancen bringen - man darf das nicht zu negativ sehen -, vorzubereiten, dann werden wir alle Verlierer sein. Dann ist es müßig, über Umweltstandards und über arbeitsmarktpolitische Standards zu sprechen. Dann wird das alles nicht zu leisten sein. Wir müssen uns auf die wichtigsten Punkte konzentrieren, damit die Enquete-Kommission „Globalisierung“ auch wirklich ein Erfolg wird. Ein Erfolg wird sie dann, wenn wir uns auf zentrale weltwirtschaftspolitische Punkte einigen können. Ich sehe voraus, daß wir viel Arbeit vor uns haben, um in diesem Gremium Konsens herzustellen. Ich freue mich sehr auf diese Arbeit und hoffe, daß es uns gelingen wird, uns zu einigen. Das wird zum Besten für Finanzmärkte und für wirtschaftliche Abläufe sowie zum Wohle der Menschen sein, die sich von unserem politischen Agieren Arbeit und Wohlstand erhoffen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Lötzer von der PDS-Fraktion das Wort.

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das Scheitern der WTO-Runde in Seattle - Sie haben auch darauf hingewiesen - ist ein Signal, das die Notwendigkeit und Bedeutung einer solchen Enquete-Kommission noch einmal deutlich unterstrichen hat. Die Hauptverantwortung sei in erster Linie auf das Fehlen jeglicher Flexibilität der USA zurückzuführen, den Interessen der EU, aber auch der EntwickAnnelie Buntenbach lungsländer auf Grund des Wahlkampfes entgegenzukommen, sagt die Bundesregierung in ihrer Einschätzung. Das ist sicher ein Teil der Antwort, aber auch nur ein Teil. Auch der letzte Tag in Seattle war noch einmal durch eine Großdemonstration von Gewerkschaften, Kirchen, Umweltbewegung und NGOs gekennzeichnet. Sie formierten sich auf der Straße eindrucksvoll zum Wort Demokratie. - Reaktion und Ausgangspunkt einer ganzen Woche Auseinandersetzung auf der Straße und im Verhandlungszentrum. Ausgangspunkt, weil die zivilgesellschaftlichen Kräfte und viele Entwicklungsländer von Beginn an deutlich gemacht hatten, daß eine neue WTO-Runde unfähig sei, zur Lösung der Probleme der Globalisierung beizutragen: der sich öffnenden Wohlstandsschere zwischen armen und reichen Ländern, der Macht der Finanzmärkte, ganze Länder in die Krise zu stürzen, der zunehmenden Verteilungsungerechtigkeit in allen Ländern, der Zerstörung der Umwelt, der Unfähigkeit zu einer Demokratisierung des Globalisierungsprozesses. Reaktion, weil leider auch die WTO-Runde selber in der letzten Verhandlungswoche genau dies noch einmal drastisch unter Beweis gestellt hat. Entgegen gegenteiliger Beteuerung der Sympathie wurden die Demonstrationen in einer völlig unangemessenen und überzogenen Reaktion im Tränengas erstickt, ziviler Notstand gegen die Anliegen ausgerufen und eine Ausgangssperre verhängt. Die Delegationen der Entwicklungsländer wurden weitgehend von den entscheidenden Verhandlungen ausgeschlossen. In ihrem Versuch, die Verhandlungsrunde zu retten, machte die EU-Kommission weitgehende Zugeständnisse in bezug auf Ökologie und soziale Fragen, auch gegen den Willen von Delegationen. Das Scheitern macht auch deutlich: Weder die Entwicklungsländer noch viele Kräfte der Zivilgesellschaft lassen sich diesen Ausschluß weiter gefallen. Jetzt bei Verhandlungen in Hinterzimmern in Genf die Probleme der Globalisierung unter Ausschluß der politischen Öffentlichkeit weiterzuführen und am Ziel einer umfassenden Runde festzuhalten, nimmt dies nicht ausreichend zur Kenntnis. Wir dagegen sollten das Scheitern als Chance nutzen, in einer umfassenden gesellschaftlichen Diskussion die Evaluierung der Auswirkungen hinsichtlich sozialer und ökologischer Folgen, der Entwicklungsperspektiven der Länder vorzunehmen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Einrichtung der Enquete-Kommission kann und sollte für uns ein Schritt dazu werden. Deshalb stimmen wir ihrer Einrichtung und den benannten Handlungsfeldern in vollem Umfang zu. Ich hoffe, sie wird hinsichtlich der Ergebnisse und Konsequenzen auch in die folgenden WTO-Gespräche einbezogen. Noch ein Wort zur Demokratie in diesem Hause. Leider zwingen Sie uns trotz inhaltlicher Zustimmung zum Antrag zu einer Enthaltung, weil die CDU/CSU mit einem „Die oder wir“ wieder einmal durchgesetzt hat, daß wir von der Antragseinreichung ausgeschlossen werden und die SPD sich leider dafür entschieden hat, diesen Schritt mitzugehen. Ich habe mich ausdrücklich darüber gefreut, Herr Kollege von Weizsäcker, daß Sie vorhin in der Aufzählung dieses Bild korrigiert haben und diesen Schritt nicht mitgegangen sind. Dafür bedanke ich mich. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich dem Kollegen Thomas Rachel von der CDU/CSUFraktion das Wort.

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Globalisierung der Weltwirtschaft verändert die Welt und ist zugleich Teil einer veränderten Welt. Die Globalisierung ist aber nicht die Ursache dieser Veränderungen, sondern Folge des Übergangs von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Manche meinen, Globalisierung sei nichts Neues, es sei nur Export und Import mit anderen Mitteln. Aber Globalisierung ist kein Kind von Import und Export, sondern ein Kind der Kommunikation. Die neue Dimension dieser Kommunikation und die Offenheit der Märkte lassen diese Form der internationalen Arbeitsteilung erst zu. So lösen sich die nationalen Volkswirtschaften zunehmend auf. Die weltwirtschaftliche Integration zu einem „Weltbinnenmarkt“ mit global operierenden Unternehmen ist der Kern dessen, was wir als Globalisierung bezeichnen. Die Folge sind Wettbewerbsintensität und engere Vernetzung. Daraus ergeben sich größere Wachstumschancen, aber auch strukturelle Umbrüche. Welche Wirkung wird das auf unsere Gesellschaft haben? Globalisierung ist ein weltumspannender Prozeß. Er entzieht sich bisher weitgehend der politischen Gestaltung. Kann das so bleiben? All dies sind Fragen, die wir in der Enquete-Kommission beraten wollen. Dabei darf die Politik die Globalisierungsängste nicht als irrational abtun. Die Sorgen vieler Menschen, ohnmächtig vom Tempo der wirtschaftlichen Veränderung überrollt zu werden, führt zu Verunsicherung. Die Menschen haben Angst vor dem Verlust der Arbeitsplätze, vor Abwanderung von Forschung und Produktion ins Ausland. Es ist allerdings völlig verfehlt, wenn die PDS fordert, die weitere Liberalisierung des Welthandels zu stoppen. Denn der Verzicht auf weiteren Welthandel bedeutet den Verzicht auf Wohlstandszuwachs für die Menschen. Das können wir nicht wollen. Ein Bereich, der schon immer international war, ist die Wissenschaft. Man könnte sagen: Die Forschung ist der Vorreiter der Globalisierung. Exzellente Forschung ist ohne globale Kooperation heute nicht mehr denkbar. Jeder dritte Beschäftigte eines deutschen Unternehmens in der Technologiebranche arbeitet heute bereits im Ausland. Die Wissenschaftsorganisationen arbeiten gloUrsula Lötzer bal zusammen. Die Fraunhofer-Gesellschaft hat längst Außenstellen in Asien und in den USA etabliert. Die großen Forschungsprojekte der Menschheit sind nur durch globale Zusammenarbeit zu bewältigen. Die Forschung zeigt, daß man vor Globalisierung keine Angst haben muß. Sie ist das beste Beispiel dafür, daß Globalisierung durch Offenheit angegangen werden kann. Erst dadurch entsteht Spitzenqualität. Abschottung gegen Globalisierung würde den Forschungsstandort Deutschland in Kürze in die Bedeutungslosigkeit katapultieren. ({0}) Die Globalisierung und der Weg in die Wissensgesellschaft haben in den letzten 30 Jahren in den entwikkelten Volkswirtschaften zu einer zunehmenden Beschäftigung hochqualifizierter Personen geführt. Auf der anderen Seite sind allerdings in den Jahren 1991 bis 1995 in Deutschland 1 Million Arbeitsplätze für unqualifizierte Arbeitskräfte verlorengegangen. Damit ist die Frage nach Gewinnern und Verlierern im Prozeß der Globalisierung auch die Frage nach Bildung und Qualifikation. ({1}) Wie kann es also gelingen, die Menschen im Zeitalter der Globalisierung an der Wissensgesellschaft zu beteiligen? Diese Frage wird um so wichtiger, als sich das Tempo der Wissensvermehrung beschleunigt. Alle fünf Jahre verdoppelt sich das weltweit vorhandene Wissen. Dies ist eine Herausforderung für die Bildungspolitik, die der jungen Generation einen vernünftigen Umgang mit der Datenflut ermöglichen muß. Bildungspolitik ist ein Schlüssel dafür, wie wir aus der Herausforderung der Globalisierung den maximalen Nutzen ziehen können. Die derzeitige Situation ist in der Menschheitsgeschichte ohne Beispiel. Im Zeitalter von Wissensgesellschaft und Globalisierung werden nicht mehr in erster Linie Grund und Boden sowie Kapital über die Zukunftschancen unserer Gesellschaft entscheiden, sondern Individuen mit ihrem Wissen. „Wissen ist Macht.“ Der englische Philosoph Francis Bacon hat diesen Satz vor 400 Jahren geprägt. Er ist noch nie so wahr gewesen wie in unserer Zeit. Die Globalisierung birgt viele Risiken. Diese gilt es zu bewältigen. Sie birgt auch eine Menge Chancen. Diese gilt es zu nutzen. Wir wollen die Menschen in die Lage versetzen, auch die positiven Seiten der Globalisierung zu erkennen, anstatt in Angst vor ihr zu verharren. Hierzu soll die Enquete-Kommission des Bundestages einen wichtigen Beitrag leisten. Globalisierung erfordert eine Antwort der Vernunft ({2}) statt ideologischer Grabenkriege. Sie ist unsere erste große Herausforderung im beginnenden 21. Jahrhundert. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/2350 zur Einsetzung einer Enquete-Kommission? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. Damit ist die Einsetzung einer Enquete-Kommission beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen SPD, CDU/ CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ - Drucksache 14/2351 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine dreiviertel Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Michael Bürsch von der SPDFraktion.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn eine EnqueteKommission eingesetzt wird, werden vom Bundestag Antworten erwartet, Antworten auf wichtige, über den Tag hinausgehende Fragen. Solche Fragen stehen deshalb am Anfang unserer Arbeit, zum Beispiel Fragen wie die: Wohin steuert unsere Gesellschaft? Was sorgt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einem demokratischen Gemeinwesen am Ausgang dieses und zu Beginn des neuen Jahrhunderts? Mit solchen Fragen muß sich ein Parlament beschäftigen, wenn es seiner politischen Verantwortung jenseits der Tagesaktualität gerecht werden will. Eine beunruhigende Beschreibung des Zustands unserer Gesellschaft stammt von dem Soziologen Richard Sennett. Ihm zufolge leben wir in einer globalen Ellenbogengesellschaft, die den flexiblen Menschen fordert: jederzeit bereit, Arbeit und Wohnort zu wechseln, aber immer weniger in der Lage, verläßliche Bindungen und Verpflichtungen einzugehen. Nicht mehr eingebunden in solidarische Gemeinschaften, ist der Alltag des flexiblen Menschen geprägt durch ein „zielloses Dahintreiben“. Die Menschen leben heutzutage - so Sennetts Diagnose - zunehmend unverbunden nebeneinander her. Dies ist eine Entwicklung, die langsam, aber sicher die Grundlagen von Sozialstaat und Demokratie bedroht. In dieser Beschreibung liegt sicher mehr als nur ein Funken Wahrheit. Gleichwohl ist sie einseitig und vor allem unvollständig. Ein Beispiel aus SchleswigHolstein und Rheinland-Pfalz mag die übersehene, die andere Seite der Medaille illustrieren: Seit sieben Jahren gibt es in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein die Initiative „Schüler helfen leben“. Sie ist tätig, um in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo junge Kriegsopfer zu unterstützen. Mittlerweile wurden von dieser Initiative über 7 Millionen DM gesammelt. Dieses Engagement wird inzwischen nicht mehr nur von einigen wenigen Idealisten getragen, sondern hat viele Mitwirkende, viele Mitstreiter gefunden. 1998 wurde ein „Sozialer Tag“ organisiert, an dem 35 000 Schülerinnen und Schüler teilgenommen haben. So war es auch 1999. Für das nächste Jahr ist etwas Ähnliches geplant. Es gibt also das Engagement junger Leute, und zwar tausendfach und unverzichtbar. „Schüler helfen leben“ ist nur ein herausragendes Beispiel unter vielen. Das heißt, der flexible Mensch der Moderne lebt entgegen anderslautenden Diagnosen im realen Leben durchaus nicht bindungslos und allein für sich. Er engagiert sich auch für andere und knüpft damit jenseits traditioneller Bindungen neue zivilgesellschaftliche Bande. So zeigt sich bei genauerem Hinsehen, daß in Deutschland eine durchaus beeindruckende Vielfalt bürgerschaftlichen Engagements existiert. Eine im Auftrag des Bundesfamilienministeriums durchgeführte Erhebung, die gerade veröffentlicht worden ist, zeichnet ein beeindruckendes Bild des praktizierten bürgerschaftlichen Engagements in unserem Lande. Nach dieser Erhebung ist heute jeder Dritte der über 14jährigen ehrenamtlich tätig. Es sind also rund 22 Millionen Bundesbürger, die durch ihre Arbeit die Zivilgesellschaft tragen. Die Bürgerinnen und Bürger nehmen ihre Verantwortung für die Gesellschaft durchaus wahr, und zwar nicht nur in den klassischen Bereichen wie der Feuerwehr, als Jugendtrainer im Sportverein, als Freiwilliger in der Altenarbeit oder als Leiter eines Kirchenchores. Allerdings, das Erscheinungsbild des Ehrenamts bzw. des bürgerschaftlichen Engagements wandelt sich. In den letzten Jahren wurden viele neue Begriffe wie Freiwilligenarbeit, neues Ehrenamt, Volunteering, Bürgerarbeit oder dritter Sektor geprägt. Ihre Bedeutung ist noch vage. Dies aber wird deutlich: Die Strukturen des ehrenamtlichen Engagements sind in Bewegung geraten, und die Übergänge vom freiwilligen, unentgeltlichen Engagement zur Erwerbsarbeit werden fließend. Die Worte Ehre und Amt - das wird in Gesprächen mit Ehrenamtlern immer wieder deutlich - haben für manche Menschen schon einen etwas antiquierten Klang. Joachim Ringelnatz wußte schon: Willst du in Ruh und Frieden leben, laß kein Ehrenamt dir geben. Diese gutgemeinte Warnung wird immer noch von vielen Bundesbürgern in den Wind geschlagen. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, daß trotz aller Unkenrufe die Zivilgesellschaft in Deutschland noch immer höchst lebendig ist. Das ist auch gut so; denn angesichts der großen Herausforderungen, vor denen sich die Gesellschaft in Deutschland, aber auch in Europa befindet, kann der Staat nicht alles alleine machen. Vielleicht kann er das sogar weniger als früher. Eine neue Balance zwischen Staat und Gesellschaft zu finden darf allerdings nicht bedeuten, der Gesellschaft einfach alle Aufgaben aufzubürden, die der Staat nicht mehr erfüllen kann oder nicht mehr erfüllen will. Ehrenamtliches Engagement darf auch nicht in Form billiger Arbeitskraft als Lückenbüßer für dringende Aufgaben mißbraucht werden. Doch werden an die Stelle fürsorglicher Systeme meiner Einschätzung nach neue Modelle treten, die das Schwergewicht auf Förderung und Befähigung zur Selbstorganisation legen. Was soll, was kann die Enquete-Kommission, die wir einsetzen wollen, mit ihrer Arbeit bewirken? Wir verfolgen im wesentlichen zwei Hauptziele. Zunächst einmal geht es um eine Bestandsaufnahme: Wie sehen die Rahmenbedingungen bürgerschaftlichen Engagements heute eigentlich aus? Was fördert, was behindert ein solches Engagement? Noch wichtiger jedoch ist der zweite Teil unserer Aufgabenstellung, nämlich aus diesem Wissen Konsequenzen zu ziehen. Die Kommission soll praktische Handlungsempfehlungen für die Bundes-, Landes- und Kommunalebene geben. Wir müssen vor allem Mittel und Wege finden, wie ein gesellschaftliches Klima erreicht werden kann, das Engagement fördert und pflegt, statt immer neue Hemmnisse aufzubauen. Gerade junge Leute müssen wir motivieren, Verantwortung zu übernehmen. ({0}) Die Einsetzung der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ bietet große Chancen. Jenseits des schnellebigen politischen Tagesgeschäfts und zusammen mit der Wissenschaft und den Praktikern ehrenamtlichen Engagements können wir die Vision einer solidarischen Zivilgesellschaft entwerfen und, darauf aufbauend, Vorschläge erarbeiten, wie wir dieser Vision Stück für Stück näher kommen können. Jedes demokratische Gemeinwesen ist auf die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger angewiesen, auch ohne staatlichen Zwang füreinander einzustehen. Um Richard Sennett zu zitieren: Ein Staatswesen, das Menschen keinen tiefen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, kann seine Legitimität nicht lange aufrechterhalten. Unsere Demokratie braucht einen Kernbestand an gemeinsam geteilten Werten und Überzeugungen. Unsere Demokratie braucht auch die Bereitschaft jedes einzelnen Gesellschaftsmitglieds, diesen gemeinsam geteilten Werten und Überzeugungen im alltäglichen solidarischen Handeln gesellschaftliche Wirklichkeit und Wirksamkeit zu verleihen. Ein solches Ethos des Engagements halte ich für eine der entscheidenden Voraussetzungen, um die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor uns liegen, erfolgreich bestehen zu können. Dafür brauchen wir meiner Einschätzung nach eine Art neuen Gesellschaftsvertrag. ({1}) Sicherlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir uns in der Kommission nicht über alles einig sein. Sicherlich werden wir über manche Fragen heftig diskutieren. Aus meiner Sicht muß aber eines klar sein: Das Thema „bürgerschaftliches Engagement“ eignet sich nicht für Parteien- oder Fraktionskonflikte. Die uns gestellte Aufgabe, den Zusammenhalt in der Gesellschaft und die solidarische Zivilgesellschaft voranzubringen, ist hochpolitisch. Diese Aufgabe ist nur gemeinsam und überparteilich zu lösen. Dazu sind wir alle aufgefordert. ({2}) - Dieser Beifall ist ermunternd. Nachdem wir uns fraktionsübergreifend relativ rasch auf den Antrag zur Einsetzung der Enquete-Kommission einigen konnten, bin ich guter Hoffnung, daß wir in der Kommission in den kommenden zweieinhalb Jahren erfolgreich und konstruktiv zusammenarbeiten werden. Zu dieser konstruktiven und erfolgsorientierten Zusammenarbeit lade ich alle Fraktionen in diesem Bundestag herzlich ein. Für die Unterstützung bei der Vorbereitung der Kommission bedanke ich mich an dieser Stelle stellvertretend bei drei Kolleginnen bzw. Kollegen. Ich bedanke mich bei der Kollegin Ilse Aigner aus der CDU/CSUFraktion. ({3}) Wir haben keine Mühe gehabt, uns auf diesen Antrag zu einigen. Uns trennte zuletzt nur noch ein Adjektiv, das wir dann durch ein anderes ersetzt haben. ({4}) - Das war das Adjektiv „unentgeltlich“. Wir haben es durch eine Umschreibung ersetzt. Auf unserer Seite stand dahinter die Idee, „unentgeltlich“ würde vielleicht ausschließen, daß wir genau den geschilderten Übergängen vom Ehrenamt klassischer Art zur Erwerbsarbeit nicht auf die Spur kommen. Uns liegt sehr daran, daß wir all das, was inzwischen im Bereich des Erwerbslebens angesiedelt ist, eigentlich aber der ehrenamtlichen Tätigkeit zuzurechen wäre, in den Aufgabenkatalog der Enquete-Kommission aufnehmen. Dank also an Frau Aigner und Ihre Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Ich habe auf der Arbeitsebene auch mit dem Kollegen von der F.D.P. gesprochen. Ich bedanke mich im übrigen bei Herrn Christian Simmert von den Grünen. Auch seine Unterstützung war eine sehr erfolgreiche Vorbereitung, die Freude auf die Kommissionsarbeit gemacht hat. ({5}) - Das war damit gemeint, Herr Kollege. Ich danke schließlich auch Wilhelm Schmidt aus meiner Fraktion. Er hat in den letzten fünf Jahren mit der Arbeitsgruppe „Ehrenamt“ die entscheidenden Weichen für die Arbeit, die wir jetzt beginnen wollen, gestellt. Dafür sage ich ihm und der Arbeitsgruppe in der SPD-Fraktion einen herzlichen Dank. ({6}) Ich blicke mit großer Freude und Erwartung auf die Arbeit, die vor uns liegt. Ich weiß, daß es viel zu tun gibt. Ich kann von mir aus sagen: Ich bin bereit. Auch die Kommissionsmitglieder sind bereit. Wir können beginnen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ilse Aigner von der CDU/CSU-Fraktion.

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach eingehender kritischer, aber auch fruchtbarer Diskussion mit dem künftigen Ausschußvorsitzenden, Herrn Dr. Bürsch, haben wir uns dann doch fraktionsübergreifend auf einen gemeinsamen Antrag zur Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ einigen können. Ich glaube, daß es allen Parteien in der Sache grundsätzlich um das gleiche Ziel geht, nämlich um die Stärkung und Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit. Die Unterschiede werden wahrscheinlich im Detail zu finden sein. Die erste Schwierigkeit kristallisierte sich - wie schon von Herrn Dr. Bürsch angesprochen - in der Definition des Begriffes heraus, um den es bei dieser EnqueteKommission geht. Die CDU/CSU-Fraktion wollte es ursprünglich eigentlich mit dem alten Begriff Ehrenamt umschreiben, weil dieser im Sinn und im Ohr der Bürger ist und weil er sich auch im Wortgebrauch hier im Hause schon eingebürgert hat. Wir konnten hier keine Einigung erzielen. Letztendlich haben wir uns dann auf den Begriff des bürgerschaftlichen Engagements geeinigt. Für uns ist nach wie vor wichtig, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Das sind nämlich drei Eckpunkte: Der erste ist die Freiwilligkeit, der zweite ist das gemeinwohlorientierte Engagement und der dritte ist die heißumstrittene Formulierung „nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet“. Dabei werden sich bei uns vielleicht in dem einen oder anderen Punkt unterschiedliche Ausprägungen ergeben. Auf diese Begriffsdefinition haben wir uns letztendlich parteiübergreifend geeinigt. Ich begrüße das im Namen der CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich. ({0}) Ich möchte deutlich machen, daß es uns um das gesamte Spektrum der verschiedenen Formen von ehrenamtlichen Tätigkeiten und freiwilligen Diensten geht, die in unserer heutigen Zeit eben auch über das sogenannte traditionelle Ehrenamt hinausgehen - wenn es sich nach den vorher beschriebenen Kriterien dadurch definieren läßt. In erfolgreicher Fortsetzung unserer bisherigen Arbeit in der Arbeitsgruppe „Ehrenamt“ unter Leitung des Kollegen Riegert von der CDU/CSU-Fraktion begrüßen wir die Einsetzung dieser Enquete-Kommission, die sich künftig mit allen Facetten ehrenamtlicher Tätigkeit befassen wird. Neben einer umfangreichen Bestandsaufnahme der veränderten gesellschaftlichen und sozialen Strukturen - in der Familie, in der Arbeitswelt, aber auch beim Freizeitverhalten - wird sie helfen, den Wert, die Bedeutung und die Leistung ehrenamtlich Tätiger für unsere Gesellschaft festzustellen. ({1}) Als Abschluß ihrer Arbeit soll die Enquete-Kommission Handlungsempfehlungen in Form eines Berichts geben, wie die Rahmenbedingungen für das Ehrenamt bzw. für das bürgerschaftliche Engagement verbessert werden können. Eines möchte ich ganz deutlich unterstreichen: Unsere Gesellschaft ist auf die Leistung ehrenamtlicher Arbeit angewiesen. Die Ausübung eines Ehrenamtes ist praktizierte und gelebte Demokratie und entspricht unserem gesellschaftlichen Grundgedanken, daß sich als erstes jeder selbst helfen muß und erst dann nach dem Staat rufen sollte. Der Bedarf an ehrenamtlichem Engagement in den verschiedenen Lebensbereichen zeigt einen kontinuierlichen Anstieg. Jedoch sinkt in vielfältiger Hinsicht die Bereitschaft, etwas für die Allgemeinheit zu tun. Die Frage „Was habe ich davon?“, aber auch die Feststellung „Außer Spesen nichts gewesen!“ drückt diese ambivalente Entwicklung und den gesellschaftlichen Wandel aus. Eine zunehmende Individualisierung des Menschen, die Reizüberflutung durch Medien, die Verluste an religiösen Bindungen und der schnelle Ruf nach der Rundumversorgung durch den Staat - all dies sind Entwicklungen, die unmittelbare Auswirkungen auf die ehrenamtlichen Tätigkeiten haben. Es gibt in Deutschland Millionen offiziell bekannter ehrenamtlich Tätiger und darüber hinaus mit Sicherheit noch viele, die in der Verborgenheit ehrenamtlich tätig sind und kein großes Aufheben darum machen. Ihnen allen gilt an dieser Stelle unser Dank. ({2}) Für ihre Arbeit benötigen sie einen gut funktionierenden Rahmen, der das freiwillige, gemeinwohlorientierte und nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtete Engagement erst ermöglicht. Sie sollen durch die staatlichen Rahmenbedingungen nicht belastet, sondern entlastet werden. Sie sollen sich mit ihrem ganzen Engagement ihrem eigentlichen Ziel, nämlich zu helfen und sich in die Gesellschaft einzubringen, widmen können und nicht durch bürokratische Regulierungen davon abgehalten bzw. von ihnen überflutet werden. Aber auch eine vermehrte Professionalisierung hat die Bereitschaft zur Ausübung von ehrenamtlichen Tätigkeiten eingeengt, vielleicht sogar schon reduziert. Wenn immer mehr ursprünglich ehrenamtliche Tätigkeiten hauptamtlich übernommen werden, wirkt das auf die verbleibenden Ehrenamtlichen in der Regel eher demotivierend. Die ehrenamtlich Tätigen waren und sind ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Viele Einrichtungen wären ohne den Einsatz von freiwilligen Helfern nicht denkbar. Es sind interessante, verantwortungsvolle und anspruchsvolle Tätigkeiten, die in den unterschiedlichsten Bereichen ehrenamtlich durchgeführt werden: im Bereich von Kultur und Sport, der Jugend-, Alten- und Behindertenarbeit, bei Erziehung und Betreuung von Kindern, im Gesundheitswesen und der Pflege, im Katastrophenschutz und beim Rettungswesen, in der Politik, in den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden und nicht zuletzt gerade auch in den Kirchen. In einigen dieser Bereiche stellt die Ehrenamtlichkeit schlicht die tragende Säule dar. Darüber hinaus hilft das freiwillige ehrenamtliche Engagement vielen Menschen, sich in das Gemeinwesen einzugliedern bzw. zu integrieren. Leider fehlt es jedoch oft an dem nötigen Respekt und der Anerkennung für das freiwillige Engagement in der Gesellschaft. Denn seien wir ehrlich: Wenn jemand heutzutage bei der Einstellung in einem Betrieb sagt, man sei ehrenamtlicher Helfer, wirkt sich das nicht zwangsläufig für ihn bzw. sie vorteilhaft aus. ({3}) Es darf aber nicht sein, daß jemandem Nachteile durch freiwilliges gesellschaftliches Engagement entstehen. Denn schließlich ist die ehrenamtliche Tätigkeit der Mitarbeiter auch ein Vorteil für das Unternehmen selbst, nämlich ein Gewinn an sozialer Kompetenz. Wer sich über sein eigenes Wohlergehen hinaus in der Freizeit engagiert, ist in der Regel auch ein engagierter und motivierter Mitarbeiter und verfügt über die so oft beschworenen Schlüsselqualifikationen wie zum Beispiel Teamfähigkeit und Zuverlässigkeit. Ein häufiger Grund für die Ablehnung von ehrenamtlicher Tätigkeit ist der Zeitfaktor. Vielen erscheint in der heutigen Zeit der Job oder die individuelle Freizeitgestaltung wichtiger als das ehrenamtliche Engagement, als das Sicheinbringen für die Gesellschaft und für andere. Aber letztlich ist eine solche Tätigkeit auch ein Gewinn für sich selbst und eine Erweiterung des Horizonts, die man auf andere Art und Weise vielleicht gar nicht erhalten kann. Deshalb gilt: Ehrenamtlich tätige Menschen müssen bestärkt und ermutigt werden. Aus diesem Grund halte ich und halten mit mir die Kollegen aus der CDU/CSUFraktion die Einsetzung der Kommission für angebracht, sinnvoll und notwendig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die einzusetzende Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ hat sich ein großes und breitgefächertes Aufgabengebiet gestellt. Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken und unser Anliegen stark und nachhaltig im öffentlichen Bewußtsein verankern. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Christian Simmert vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Freiwilliges Engagement ist eine entscheiIlse Aigner dende Säule für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Es spiegelt wichtige gesellschaftliche Entwicklungen wider. Es ist daher richtig und notwendig, eine Bestandsaufnahme als ersten Arbeitsauftrag der Enquete-Kommission zu benennen. Nur wenn wir einen Überblick über die Vielfalt freiwilliger Arbeit in unserer Gesellschaft haben, können wir den staatlichen Regelungsbedarf abschätzen und entsprechende Handlungsoptionen erarbeiten. Im Wandel der Zeit hat sich das freiwillige Engagement von der klassischen Ehrenamtsdefinition in die unterschiedlichsten Richtungen entwickelt. Sie werfen Fragestellungen auf, denen wir uns zentral stellen müssen: Wie soll das Verhältnis zwischen staatlichem Handeln und zivilgesellschaftlicher Aktivität aussehen? Wie kann eine von dieser Gesellschaft getragene Balance zwischen den vom Staat zu regelnden sozialen Sicherungssystemen und der freiwilligen, von Bürgerinnen und Bürgern getragenen Arbeit für das Gemeinwohl aussehen? Wo ist die Grenze zwischen einem Abschieben staatlicher Verantwortung und eventuell sogar einer Bevormundung von Bürgerinnen und Bürgern? Für uns Bündnisgrüne gilt: Wir wollen alle freiwilligen, am Gemeinwohl orientierten Aktivitäten unterstützen und auch gezielt mit rechtlichen Regelungen fördern. Wir werden aber nicht die Zivilgesellschaft als Ausfallbürgen für soziale Aufgaben des Staates in Zeiten leerer Kassen akzeptieren. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine weitere wichtige Frage lautet: Wie will unsere Gesellschaft in Zukunft die gesamte anfallende Arbeit bewerkstelligen? Ich meine hiermit die gesamte Arbeit, die Erwerbsarbeit wie die gesellschaftlich notwendige und meist leider immer noch unentlohnte Arbeit. Wie soll also die bezahlte und die unbezahlte Arbeit zwischen den Geschlechtern, aber auch zwischen den Generationen verteilt werden? Für Bündnis 90/Die Grünen ist klar, daß immer mehr Menschen - Frauen wie Männer - an den verschiedenen Aufgaben beteiligt werden wollen. Sie wollen sich gesellschaftlich engagieren, sie wollen aber auch die Erwerbsarbeit zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Identität machen. Deshalb sehen wir die Aufgaben der Politik darin, allen Menschen den Zugang sowohl zur Erwerbsarbeit als auch zum bürgerschaftlichen Engagement zu ermöglichen. So wollen wir erwerbstätige Männer und speziell Migrantinnen und Migranten als Zielgruppe für freiwillige Arbeit gewinnen und motivieren. ({1}) Bündnis 90/Die Grünen werden sich in ihrer Arbeit in der Kommission besonders auf neue Formen der freiwilligen Arbeit konzentrieren, so zum Beispiel auf Freiwilligenagenturen, die ganz neue Zielgruppen von potentiellen Freiwilligen erreichen und vielfältige Aufgabenbereiche für Freiwillige erschließen können. Immer mehr Menschen werden leider auch heute noch gegen ihren Willen von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen. Waren sie klassischerweise nur Objekte ehrenamtlicher Tätigkeit, engagieren sie sich heute zum Teil im Rahmen von freiwilligem Engagement. In Tauschringen zum Beispiel versuchen einige von ihnen, Dienstleistungen informell zu tauschen. Ich sage hier deutlich: Das Prinzip der Freiwilligkeit ist für uns für jegliche Form bürgerschaftlichen Engagements essentiell. Deshalb gilt es, in der EnqueteKommission das Verhältnis zwischen klassischer unentgeltlicher freiwilliger Arbeit und sämtlichen Formen der entlohnten Arbeit zu klären. Ein Blick über den Tellerrand in die benachbarten Niederlande, aber auch in die USA, wird uns sicherlich neue und spannende Perspektiven eröffnen. Wir haben uns darauf verständigt, in der EnqueteKommission Fördermöglichkeiten bürgerschaftlichen Engagements zu entwickeln. Hier wird es für meine Fraktion auch um die Chancen und die Risiken gesellschaftlicher Aufgaben als freiwilliger Bereiche zum Beispiel für Langzeitarbeitslose oder für junge Erwerbslose gehen. Freiwillige Arbeit fördert soziale, kommunikative, emotionale und - im europäischen Kontext und darüber hinaus - auch interkulturelle Kompetenzen. Diese sind besonders wichtig für die junge Generation. Für tendenziell marginalisierte Gruppen bietet das freiwillige Engagement auch Integrationshilfe, so zum Beispiel für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler. Doch ganz generell gilt: Selbst die staatlichen Freiwilligenprogramme sprechen hauptsächlich nur junge Menschen mit höherem Schulabschluß an. Das müssen wir ändern, indem wir die Freiwilligendienste zu einer wichtigen Option für alle jungen Menschen in der Orientierungsphase nach ihrem Schulabschluß machen. Der Zugang muß also allen eröffnet werden, ({2}) Freiwilligendienste dürfen aber nicht zu Warteschleifen werden, vor allem dann nicht, wenn kein qualifizierter Ausbildungsplatz vorhanden ist. Das kann nicht Sinn freiwilliger Arbeit sein. Sinn bürgerschaftlichen Engagements ist es auch nicht, die Grenzen zum dritten Sektor einzureißen; Freiwilligenarbeit kann keine Alternative zur Integration aller Menschen in den ersten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sein. Bürgerschaftliches Engagement kann allerdings durchaus helfen, Menschen sozial in die Gesellschaft zu integrieren. Deshalb sehe ich die rein staatlichen Modellprojekte der Bundesregierung wie beispielsweise das soziale Trainingsjahr im Rahmen des E- und C-Programms des Familienministeriums, das als freiwilliges Jahr durchaus beschäftigungsfördernde Anteile hat, durchaus positiv. Allerdings müssen diese dann auch sorgfältig evaluiert werden. Doch nicht nur diese Projekte drängen uns, uns grundsätzlich über den staatlichen Regelungsbedarf in diesem wichtigen Bereich unserer Gesellschaft zu verständigen. Die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen stehen seit geraumer Zeit in der öffentlichen Diskussion. Mit dem Stiftungsförderungsgesetz hat die rotgrüne Bundesregierung bereits einen wichtigen Schritt getan. Weiterer Regelungsbedarf besteht aus meiner Sicht und aus der Sicht der Kolleginnen und Kollegen - so haben wir das im Einsetzungsantrag formuliert - im Steuer-, Vereins-, Sozial- und Gemeinnützigkeitsrecht. Ich freue mich auf die Arbeit in der EnqueteKommission, auf fruchtbare Diskussionen und manchmal auch auf Streit. Ich denke, in der Sache werden wir gut diskutieren und das Thema als solches voranbringen. Das zeigt allein schon die Einsetzung der EnqueteKommission heute im Deutschen Bundestag. Danke. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.Fraktion spricht der Kollege Gerhard Schüßler.

Gerhard Schüßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003232, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ,,Unser Gemeinwesen lebt von der Mitwirkung und Mitgestaltung seiner Bürgerinnen und Bürger“, sagte der damalige Bundespräsident Herzog vor ziemlich genau zwei Jahren auf dem Internationalen Tag des Ehrenamtes in Bonn. Viele Millionen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind auf irgendeine Weise ehrenamtlich tätig. Man muß einmal fragen: Wie sähe es ohne dieses Engagement in unserem Lande wohl aus? Soziales, freiwilliges und ehrenamtliches Engagement muß in unserem Lande sehr viel deutlicher sichtbar werden als bisher. Der ehrenamtliche Einsatz von Menschen verdient ein weit höheres Maß an Anerkennung durch die Gesellschaft, als das aktuell der Fall ist. ({0}) Zwölf Millionen Bürgerinnen und Bürger sind ehrenamtlich tätig. Das ist eine beeindruckende Zahl. Dennoch ist festzustellen, daß in vielen Bereichen die Bereitschaft, Verantwortung für andere zu übernehmen, drastisch abnimmt. Durch einen als Egoismus mißverstandenen Individualismus wird Bequemlichkeit nach dem Motto ,,ohne mich“ zu einer leider weithin akzeptierten Haltung. Ein sich ständig beschleunigender Werteverfall ist deutlich erkennbar. Ausgeprägtes Besitzstandsdenken führt dazu, daß man Engagement nur noch dort findet, wo es um die Verteidigung von Ansprüchen und von Besitzständen geht. Wir verzeichnen einen Wertewandel für das individuelle und soziale Handeln weg von ideellen Gemeinschaftsmotiven hin zu Motiven des materiellen persönlichen Vorteils. Wir werden uns auch zu fragen haben, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, inwieweit auch der Staat selbst für diese Entwicklung Verantwortung trägt. Die Entmündigung des Bürgers durch den Staat ist nicht mehr zeitgemäß und schon gar nicht sinnvoll. Der über Jahre praktizierte Aufbau von bürokratischen Hemmnissen, die die Ausübung bürgerschaftlichen Engagements behindern, muß beendet und beseitigt werden. Es ist Zeit für einen Wechsel. Es ist der Staat, der überfordert ist, es sind nicht die Bürger, die in diesem Staat leben. ({1}) Der Staat eignet sich schon lange nicht mehr als Moderator für die kreative Gestaltung des dringend Gebotenen. Die Bürger können das durch Engagement vor Ort und das aktive Leben und Gestalten einer liberalen Bürgergesellschaft viel besser, meine Damen und Herren. Das Verhältnis von staatlicher Aufgabenwahrnehmung einerseits und bürgerschaftlichem Engagement andererseits bedarf einer drastischen Veränderung und Zuwendung hin zum bürgerschaftlichen Engagement. Aber Gemeinsinn zu beschwören nutzt wenig. Er muß auch ermöglicht werden. Freiheit und Recht sind Staatsziele, die auf neuen Wegen zu suchen wichtiger sein muß als eine Klientel zu bedienen oder sich ängstlich an alte Konzepte zu klammern. ({2}) Meine Damen und Herren, eine kultur- und gesellschaftspolitische Diskussion um das bürgerschaftliche Ehrenamt und Engagement, zum Beispiel im Kulturund in anderen Bereichen, duldet keinen Aufschub mehr. Der freiwillige bürgerschaftliche und ehrenamtliche Einsatz für unser Gemeinwesen ist der Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft. Nur in einem Miteinander und Füreinander kann der einzelne seine Individualität und Sozialität entwickeln. Bürgerschaftliches Engagement wirkt dadurch, daß Bürgerinnen und Bürger Dinge tun, die sonst der Staat tut oder tun müßte, staatsentlastend, und die staatsentlastende Wirkung ist von einer ungeheuren Dimension. Eine vermehrte Deregulierung und Privatisierung staatlicher Aufgabenwahrnehmung eröffnet große Handlungsspielräume und Betätigungsfelder und ist von daher dringend geboten. ({3}) Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Bundestagsfraktion begrüßt die Einsetzung der Enquete-Kommission ausdrücklich. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein. ({4}) Jeder von uns wird Antworten finden, die ihm gefallen, aber auch solche, die ihm nicht so sehr in das eigene Konzept passen. Das ist voraussehbar, glaube ich. Das Ziel aber, bürgerschaftliches Engagement in die gesellschaftliche Wirklichkeit einzubinden, sollte ein gemeinsames Ziel des gesamten Hauses sein, und ich sage mal ganz locker: Machen wir uns an die Arbeit! ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht Kollege Dr. Klaus Grehn.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Bürsch, Sie haben hier festgestellt, daß sich das Thema bürgerschaftliches Engagement nicht für Parteien- oder politische Konflikte eignet. Diesen Satz möchte ich dreimal unterstreichen, aber zugleich auch feststellen, daß angesichts dieser Aussage die Ausgrenzung der PDS-Fraktion bei Einbringung dieses Antrages unverständlich ist. ({0}) Ich habe diesen Umgang nicht in den Spielregeln dieses Hohen Hauses gefunden, und ich halte es auch für nachdenkenswert, daß eine solche Verhaltensweise nicht in erster Linie die PDS-Fraktion brüskiert; vielmehr brüskiert sie Zehntausende von Wählern der PDS, die ebenfalls im Ehrenamt tätig sind. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Bürsch?

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, bitte.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie haben zu Recht betont, daß wir - und ich als künftiger Vorsitzender der Enquete-Kommission lege großen Wert darauf -, das fraktions- und parteiübergreifend angehen und daß alle daran mitwirken sollen. Ich habe deshalb schon vor mindestens sechs Wochen Ihre Kollegin Ulla Jelpke, mit der ich eine Türkeireise gemacht habe, auf dieses Thema angesprochen. Haben Sie vielleicht in Ihrer Fraktion von meinem Bemühen gehört oder nicht? Mir lag auch daran, etwas von Ihrer Seite zu hören. Aber bis vor einer Woche habe ich noch nicht einmal den Namen des Abgeordneten Ihrer Fraktion genannt bekommen, der in der Enquete-Kommission mitwirken soll.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Bürsch, Ihre Bemühungen sind mir nicht bekannt. Sie haben meinen Hinweisen entnehmen können - ich hoffe, daß Sie es konnten -, daß wir und ich als Person in Vertretung der PDS willens sind, in der Enquete-Kommission sachlich und inhaltlich mitzuarbeiten. Dafür bin ich lange genug im Ehrenamt tätig. Trotz des hohen bürgerschaftlichen Engagements gibt es zahlreiche Hemmnisse, dieses Engagement in unserem Leben auszuüben. Vielleicht war dies die Ursache für die Feststellung von Hans Tirsch: Was sind das für Zeiten, in denen das Reden über bürgerschaftliches Engagement und Selbsthilfe problematisch ist, weil es das Faktum eines ordinären Kapitalismus mit seinen Entsozialisierungsstrategien verdeckt und damit gegenläufige Tendenzen überdeckt werden. Bürgerschaftliches Engagement erscheint als ungehobener Schatz, bei dessen Hebung sich die EnqueteKommission Verdienste erwerben kann. Bürgersinn und bürgerschaftliches Engagement können nicht nur dort von Interesse sein, wo es um kostengünstige Antworten auf das zu beobachtende Staats- und Marktversagen geht. Es reicht auch nicht aus, die engagementbereiten Bürger angesichts von sozialen Leistungskürzungen als Ausfallbürgen und quasi als Lückenbüßer zu entdecken. Bürgerliches Engagement muß in seiner Vielfalt als sinnstiftende Chance gefördert und gefordert werden. ({0}) Es bereichert die politische Kultur und hat eine nicht zu überschätzende Bedeutung für die demokratische Qualität und den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Bürgerschaftliches Engagement wächst vor allem dort, wo zivile, politische und soziale Bürgerrechte gesichert sind. Diese Erkenntnis wird im Rahmen der Arbeit der Enquete-Kommission weitgehend zu beachten sein. Ich habe dies auch vor dem Hintergrund gesagt, daß es jenen, die sozial ausgegrenzt werden, schwerer fällt, bürgerliches Engagement an den Tag zu legen. Es wird genauso zu beachten sein, daß vielfach staatliche Programme und gesetzliche Regelungen die verschiedenen Formen bürgerlichen Engagements fördern oder begrenzen. Ich denke an Renten- und Steuergesetze, an Gemeinnützigkeitsregelungen oder an das Verbot umfangreicher ehrenamtlicher Arbeit, wie es im § 27 SGB III festgelegt ist. Bürgerschaftliches Engagement ist aber auch Widerspruch und Protest, auch jener, den wir häufig am Brandenburger Tor erleben. Er bleibt auch dann bürgerliches Engagement, wenn seine Ursache die Tatsache ist, daß die da oben nicht mehr so weitermachen können und daß die da unten nicht mehr so weitermachen wollen. Viele der mehr als 12 Millionen bürgerlich engagierten Menschen in unserem Land werden Hoffnungen in die Tätigkeit der Enquete-Kommission setzen. Sie werden sie und ihre Ergebnisse mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort der Kollegin Karin Kortmann, SPD-Fraktion.

Karin Kortmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An Besuchern kann man nur noch einen begrüßen; guten Abend! ({0}) Wenn wir heute im Parlament über die Einsetzung der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ entscheiden, dann verbinden damit vor allem rund 22 Millionen engagierter Bundesbürger - das ist nämlich die neueste Zahl - sicherlich auch viele Hoffnungen. Zum einen denken sie, daß sie als Personen endlich die notwendige gesellschaftspolitische Anerkennung erhalten. Gleichzeitig, zum zweiten, halten sie die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit für verbesserungswürdig. Zum dritten denken sie sicherlich auch daran, daß neu entstandene Zusammenschlüsse und Aufgabenfelder die gleiche Wertschätzung erhalten, wie sie die traditionellen Verbände haben, die aber zugleich darunter leiden, daß sie als traditionell, antiquiert und damit als wenig flexibel bewertet werden. Diese Erwartungen zeigen, daß in dem Bereich der ehrenamtlichen und freiwilligen Tätigkeiten persönliches Engagement und öffentliche Anerkennung längst noch nicht übereinstimmen. Auch die Kirchen haben vor zwei Jahren in ihrem Sozial- und Wirtschaftswort gemahnt - ich zitiere -: Es droht in Vergessenheit zu geraten, daß gesellschaftliche Gruppen und Institutionen, die weder dem Staat noch dem Bereich des Marktes zuzuordnen sind, einen eigenständigen Beitrag zur Erhöhung der gesellschaftlichen Wohlfahrt leisten. Recht haben sie, und wir wollen es verändern. Unser Auftrag für die Enquete-Kommission ist es aber, den Blick zu weiten; denn bürgerschaftliches Engagement ist mehr als Ehrenamt. Zunächst werden unter dem Titel des bürgerschaftlichen Engagements vor allem die freiwilligen und unentgeltlichen sozialen Leistungen der Bürgerinnen und Bürger verstanden. Es beinhaltet die verschiedensten Wege zur Mitwirkung und Übernahme von Mitverantwortung für das Gemeinwesen. Dabei ist festzustellen, daß die Übergänge zwischen verbindlichem, längerfristigem Dienst und informellem, spontanem Engagement fließend sind. Gemeinsam ist diesen verschiedenen Formen des Engagements, daß sie freiwillig und ohne unmittelbare monetäre oder reale Gegenleistung erbracht werden. Die Übernahme von Aufgaben durch Personen bedeutet, daß sie sich nicht nur durch eine vorausgegangene spezielle Ausbildung qualifizieren mußten. Es darf nicht übersehen werden, daß das bürgerschaftliche Engagement eng mit dem Bürgersinn zusammenhängt, der sich dann einstellt, wenn die Bürgerinnen und Bürger an den politischen Belangen des Gemeinwesens in gemeinwohlorientierten Einstellungen teilnehmen. Die Grundlage der modernen Gesellschaft ist eine Integration von Freiheitsrechten und Verantwortung. Vor diesem Hintergrund ist die Debatte um das bürgerschaftliche Engagement eng mit der Debatte um die bürgerschaftliche Partizipation verknüpft und muß ein Fokus der Arbeit der Enquete-Kommission sein. Vereinseitigt man nämlich die Debatte auf Fragen des sozialen Ehrenamtes und der Freiwilligenarbeit, so ist man nicht in der Lage, die gemeinwohlorientierten Motive bürgerschaftlichen Handelns in der erforderlichen Breite zu thematisieren. Wie der Name „Bürgerschaftliches Engagement“ schon sagt, fließen Motive der Individuen als Bürger ein. Nur wenn Partizipation Sinn macht, dann wird dieser Sinn gepflegt. Anders ausgedrückt: Gemeinwohlorientierte Einstellungen setzen institutionelle Bedingungen voraus, die bürgerschaftliches Engagement fördern und fortentwickeln und insofern als Ermöglichungsbedingungen gelten können. Daher sind von vornherein die Debatten um die Zivilgesellschaft, die politische Partizipation und eine weitergehende Demokratisierung liberaler Demokratien - was die institutionelle Seite einschließt - mit Diskussionen über das neue Ehrenamt und über Freiwilligenarbeit zusammenzudenken. Eine Vereinseitigung ausschließlich auf die soziale Seite wäre der falsche Ansatz. So stellt beispielsweise die neuere Zivilgesellschaftsdiskussion den Fokus auf die politische Seite, während in der Diskussion über den non-profit-orientierten dritten Sektor die soziale Seite in den Blick genommen wird. Derartige Engagements werden von Individuen getätigt, die sich als Bürgerinnen und Bürger mit eigener Gemeinwohlorientierung ökonomisch oder sozial engagieren. Im Sinne des sozialen und ökonomischen Handelns ist da nicht der Gewinn - im Sinne des Profits -, sondern der spezifische Sinn der ausgeübten Tätigkeit unter Gesichtspunkten des Gemeinwohls ausschlaggebend. Moralische Interessen sind auch nicht mit Nutzenmaximierung im Sinne des „rational choice“ und der ökonomischen Theorie gleichzusetzen. Sowohl „der dritte Sektor“ als auch „Zivilgesellschaft“ meinen einen Bereich jenseits von Markt und Staat. Das heißt aber nicht, daß von beiden Bereichen nicht entscheidende Impulse auf die sozialen und politischen Aspekte bürgerschaftlichen Engagements einwirken. Diese Ausführungen machen deutlich, mit welcher Aufgabenstellung sich die Enquete-Kommission - jenseits von allen Spiegelstrichen - zu befassen hat und wie wichtig es gerade bei der Bestandsaufnahme ist, sich auf die politischen Bedingungsfaktoren zu beziehen. Mit aufzunehmen ist aber auch die sogenannte Dritte-SektorForschung; auch die Zivilgesellschaft und die politische Bürgerbeteiligung dürfen nicht außer Blick geraten. Zu berücksichtigen sind auch die Gegenläufigkeiten. So ist etwa eine Modernisierung von Verwaltungen und Organisationen am Vorbild der Kunden orientiert, die es effizient und effektiv zu bedienen gilt, während das bürgerschaftliche Engagement am Vorbild der Eigentätigkeit und den entsprechenden, nicht konsumorientierten Motiven orientiert ist. Diese Spannung gilt es zu berücksichtigen. Letztendlich sind auch die Motive von Organisationen, ehrenamtliche Arbeit zu nutzen, nicht unbedingt kompatibel mit den Interessen der sich in dieser Arbeit engagierenden Personen. Wir können für unsere Arbeit auf breites Datenmaterial und auf Ergebnisse zurückgreifen. Ich möchte mich gerne der Zielsetzung der baden-württembergischen Zukunftskommission „Gesellschaft 2000“ anschließen, die nach Wegen zur Förderung von Engagement und Mitverantwortung sucht. ({1}) Dies tue ich deswegen, weil sie sagt: Wir müssen den Menschen in unserer Gesellschaft nicht als Betroffenen sehen, sondern als Beteiligten verstehen. Ich denke, wenn wir es schaffen, diesen Gedanken in unserer Enquete-Kommission umzusetzen, dann sind wir einen Schritt weiter. ({2}) Weil ich noch eine Minute der Redezeit von Michael Bürsch geschenkt bekommen habe, möchte ich gern mit einer kleinen Geschichte schließen - ich denke, in diesem kleinen Rahmen darf ich das heute abend tun -: Vor einigen Jahren hat die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg, ein katholischer Jugendverband mit 80 000 Mitgliedern, eine Untersuchung zum ehrenamtlichen Engagement in Auftrag gegeben. Ein Bereich befaßte sich mit der Frage, welche Gratifikationen die ehrenamtlich Tätigen für ihre Arbeit bekommen. Einer der Befragten antwortete, daß für ihn nicht die Frage von Aufwandsentschädigung und dergleichen von Wichtigkeit sei, sondern daß für ihn der größte Dank das Leuchten in den Augen der Kinder sei. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen frohe Festtage, gesegnete Weihnachtstage und das Leuchten in den Augen Ihrer Wählerinnen und Wähler. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ja, das wäre schön. Ich gebe dem Kollegen Klaus Riegert, CDU/CSUFraktion, das Wort.

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSUBundestagsfraktion begrüßt nachhaltig - unsere Obfrau Ilse Aigner hat dies hier nachdrücklich deutlich gemacht - die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“. Wir haben uns interfraktionell auf diesen Begriff verständigt. Wir verstehen darunter das freiwillige, gemeinwohlorientierte, nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtete bürgerschaftliche Engagement. Dies ist wichtig, damit jeder weiß, wovon und worüber wir sprechen. Seit Jahren erleben wir in der Öffentlichkeit verstärkt eine Diskussion über das bürgerschaftliche Engagement. Diese Diskussion wird durchaus unterschiedlich geführt. Verbände und Organisationen klagen über ein nachlassendes Engagement. Sie fordern zunehmend Hilfe von außen, weil sie sich in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gefährdet sehen. Auf der anderen Seite registrieren wir eine zunehmende Bereitschaft von Bürgern, sich in Initiativen unterschiedlicher Art zu engagieren. Hier geht es oftmals um Interessenvertretungen, um die Lösungen und Einforderungen aktueller Bedürfnisse. Diese Widersprüchlichkeit zwischen nachlassendem und zunehmendem Engagement ist Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels. In dieser Widersprüchlichkeit liegt auch Verbindendes: Bürgerinnen und Bürger wollen sich engagieren. Viele verspüren, daß ohne dieses freiwillige Engagement in unserem Staate so gut wie nichts läuft - nicht in Organisationen, Verbänden, Vereinen, Selbsthilfegruppen, Initiativen und nicht im tagtäglichen Umfeld. Deshalb gilt unser Dank den Bürgerinnen und Bürgern, die sich freiwillig und selbstlos für andere einsetzen. Dieser Dank ist Anerkennung ihres täglichen Einsatzes. Diese Bürger haben verstanden, daß eine freie demokratische Gesellschaftsordnung nur Bestand haben kann, wenn sie sich für diese Ordnung einsetzen. ({0}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat zu Beginn der 13. Legislaturperiode einen Arbeitskreis „Ehrenamt“ gebildet. Dieser Arbeitskreis hat über 60 Vertreter von Organisationen, Verbänden, Vereinen und Selbsthilfegruppen angehört. Er hat eine Große Anfrage an die Bundesregierung in den Bundestag eingebracht. Die Ergebnisse der Anhörungen und die Antwort der Bundesregierung geben einen Überblick über das vielfältige Engagement unserer Bürger. Dann haben wir am Tag des Ehrenamtes, am 5. Dezember 1997, zum ersten und einzigen Mal eine Parlamentsdebatte zum Thema Ehrenamt geführt und einen Entschließungsantrag verabschiedet. Dennoch hat eine Enquete-Kommission mehr Möglichkeiten, die Facetten ehrenamtlichen Engagements auszuleuchten. Es wird Aufgabe sein, zu prüfen, unter welchen Bedingungen bürgerschaftliches Engagement stattfindet und welche Veränderungen sich in unserer Gesellschaft wie auf die Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern auswirken. Was bewegt unsere Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen, was hält sie ab? Wir müssen fragen, wie sich Tätigkeitsfelder von bürgerschaftlichem Engagement zu neben- und hauptberuflicher Tätigkeit verschoben haben, ob die Qualifikationen noch ausreichen, um im hauptund nebenberuflichen Gefüge mitzuhalten, und wie es um die Zusammenarbeit von haupt-/nebenberuflichem und bürgerschaftlichem Engagement aussieht. Ist es symptomatisch, daß zum Beispiel die Wohlfahrtsverbände die größten Arbeitgeber sind und daß auf einen hauptamtlich Tätigen ein bürgerschaftlich Engagierter kommt? Vor 30 Jahren war dieses Verhältnis 1 : 4. Wie steht es um die Strukturen der Organisationen und Verbände? Entsprechen sie noch den Bedürfnissen unserer Zeit? Wie sieht es mit den Rahmenbedingungen für den ehrenamtlich Tätigen selbst aus? Wir werden untersuchen müssen, inwieweit staatliche Reglementierungen dem bürgerschaftlichen Engagement förderlich sind oder Freiräume bürgerschaftlichen Engagements durch behördliche Regelungen eingeschränkt werden. Wie sieht es mit der Verantwortung, Haftung und Versicherung engagierter Bürger aus? Sie müssen bei ihrer Tätigkeit Sicherheit haben. Wir werden in diesem Zusammenhang über die Novellierungen gesetzlicher Vorschriften - unter anderem im Vereinsrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht - entscheiden müssen und Fragen von Haftung und Verantwortung klären. Ein ehrenamtlich tätiger Vereinsvorsitzender muß heute teils schwierige Entscheidungen treffen. Ich denke zum Beispiel an die Neuregelung der 630-DM-Jobs. Hier muß ein Vereinsvorsitzender über den sozialversicherungsrechtlichen Status eines Übungsleiters entscheiden, worüber selbst bei den Behörden Unsicherheit herrscht. Er muß 56 Fallbeispiele werten. Dafür setzt er nicht nur seine freie Zeit ein, er haftet auch dafür, wenn ihm hier eine Fehleinschätzung unterläuft. Hier ist eine Änderung umgehend angesagt, hier ist der Gesetzgeber gefordert. ({1}) Deshalb sollten wir bei Gesetzesvorhaben fragen, wie sich die Regelungen auf bürgerschaftliches Engagement auswirken. Das betrifft rund 15 Millionen Menschen in unserem Land. Auch dies wäre ein Zeichen der Anerkennung ihrer Leistungen. Meine Damen und Herren, wir werden prüfen müssen, ob es der Funktionsfähigkeit und Lebendigkeit einer freien demokratischen Gesellschaft guttut, immer mehr Tätigkeiten der freien Entscheidung von Bürgern zu entziehen und sie neben- und hauptberuflichen Tätigkeiten zuzuordnen. Wir müssen nachdenken, welche Werte bürgerschaftlichen Engagements heute in Familien und in Schulen gelebt werden. Die Arbeitgeber sind gefordert, mehr Verständnis und Einsicht für dieses Engagement aufzubringen. Es muß gefragt werden, was Medien leisten, um bürgerschaftliches Engagement transparenter zu machen. Hier sehe ich eine große Aufgabe für alle Medien. Wir müssen aus den Erkenntnissen Schlußfolgerungen ziehen, um die Attraktivität des bürgerschaftlichen Engagements zu erhalten und dort, wo es nachläßt, durch Maßnahmen zu fördern. Dies wird nicht leicht sein. Steuerliche oder materielle Anreize werden wenig oder nichts bewirken; sie können es auch nicht. Wir müssen den Mut aufbringen, Wege aufzuzeigen, Bürokratisierung und behördliche Regelungen durch Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten zu ersetzen. Bürgerschaftliches Engagement ist Teil der Lebensgestaltung, gibt Lebenssinn und Lebensinhalt. ({2}) Anerkennung ist eine wesentliche Voraussetzung jeglichen Engagements. Wo Anerkennung fehlt, kommt es schnell zu Routine, Gewohnheit und Gleichgültigkeit. Wir müssen sehen, welche Möglichkeiten es gibt, bürgerschaftliches Engagement im täglichen Umgang mehr anzuerkennen. Dies kann nicht verordnet werden. Umfragen zeigen, daß sich unsere Bürger engagieren und einsetzen wollen. Es müssen Wege zum Engagement aufgezeigt und erleichtert, Hindernisse abgebaut und Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen bürgerschaftliches Engagement unsere Gesellschaftsordnung mitgestalten kann. In diesem Sinne soll die Enquete-Kommission mithelfen, ein positives Klima für bürgerschaftliches Engagement zu schaffen. Nur wenn bürgerschaftliches Engagement zum Selbstverständnis und zur Selbstverständlichkeit einer freien Gesellschaft gehört, wird diese auf Dauer lebensfähig und lebenswert sein. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein! Danke. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag auf Einsetzung der Enquete-Kommission auf Drucksache 14/2351? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. Die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ ist damit eingesetzt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes - Drucksache 14/2235 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss Haushaltsausschuss Ich höre, daß sich die Fraktionen und die Redner dar- auf verständigt haben, die Redebeiträge zu Protokoll zu geben.*) Ich möchte ihnen dafür im Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses danken, vor allen Dingen aber im Namen der Mitarbeiterinnen an den Garderoben, die gegenwärtig nicht den angenehmsten Arbeitsplatz haben. Ich glaube, sie werden sich darüber freuen. ({1}) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur- fes auf Drucksache 14/2235 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes - Drucksachen 14/2292, 14/2355 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit Auch bei diesem Tagesordnungspunkt werden die Redebeiträge zu Protokoll gegeben.**) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksachen 14/2292 und 14/2355 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuß sowie an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Dezember 1999, 9 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.