Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Aktionsplanes
der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Dr. Christine Bergmann.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben
heute im Kabinett den Aktionsplan zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen beschlossen. In diesem Aktionsplan sind alle beabsichtigten Maßnahmen der Ressorts
zur Bekämpfung von Gewalt dargestellt. Er gibt damit
über die Aktivitäten der jeweiligen Bundesministerien,
die diese zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in
den nächsten Jahren durchzuführen gedenken, umfassend Auskunft.
Ich bin meinen Kolleginnen und Kollegen für ihr Engagement bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sehr dankbar. Ich gehe davon aus, daß diese gute Zusammenarbeit bei der Umsetzung aller Vorhaben fortgesetzt wird. Unser gemeinsames Ziel ist die Ächtung und
die Verminderung der Gewalt gegen Frauen in unserer
Gesellschaft.
Wenn man Gewalt gegen Frauen wirkungsvoll und
nachhaltig bekämpfen will, dann bedarf es eines umfassenden Gesamtkonzeptes. Es hat in der Vergangenheit
immer wieder einmal die eine oder andere Maßnahme
gegeben, die nicht zur Folge hatte, daß diese Gewalt
drastisch verringert wird. Deswegen wollen wir mit diesem Aktionsplan auch strukturelle Veränderungen erreichen. Sie betreffen insbesondere die Bereiche Prävention, Recht, Kooperation zwischen Institutionen und Projekten, bundesweite Vernetzung von Hilfsangeboten,
Täterarbeit, Sensibilisierung von Fachleuten und Öffentlichkeit und internationale Zusammenarbeit.
Ein solches Gesamtkonzept schließt notwendigerweise nicht nur die unterschiedlichen Bundesressorts, sondern auch die Länder ein. Ich verweise hinsichtlich der
polizeilichen und gerichtlichen Praxis nur auf die Gesetzgebungskompetenzen, die bei den Ländern liegen.
Wir werden zu Beginn des Jahres zusammen mit den
Ländern - das ist bereits abgesprochen - eine Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt, von
Gewalt gegen Frauen installieren. Dabei geht es darum,
die notwendigen Maßnahmen festzulegen und deren
Umsetzung zu begleiten. Wir werden in diese Arbeitsgruppe auch Nichtregierungsorganisationen aufnehmen
und von ihren Erfahrungen profitieren.
Ich will ein paar Punkte benennen.
Im Bereich der Prävention geht es um Maßnahmen,
die geeignet sind, ein gesamtgesellschaftliches Klima zu
schaffen, in dem Gewalt gegen Frauen geächtet wird. Es
geht darum, den Kreislauf der Gewalt über die Generationen hinweg zu durchbrechen. Das beginnt mit dem
Recht auf gewaltfreie Erziehung - eine entsprechende
Vorlage befindet sich schon im Gesetzgebungsverfahren - und endet bei dem Schutz der Älteren vor Gewalt.
Wir sehen einen anderen Schwerpunkt der gesetzgeberischen Maßnahmen darin, den zivilrechtlichen Schutz
der von familiärer Gewalt betroffenen Frauen zu verbessern und abzusichern. Die Bundesministerin der Justiz
wird in Kürze den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz
vor Gewalt vorlegen. Dieser Entwurf wird neben der
vereinfachten Zuweisung der Ehewohnung auch ausdrückliche gesetzliche Regelungen für ein Kontakt-,
Belästigungs- und Näherungsverbot enthalten. Wir haben darüber schon an der einen oder anderen Stelle berichtet.
Um konkrete Gefahrensituationen zu beenden, muß
das Polizeirecht, das in der Kompetenz der Länder liegt,
greifen. Dies ist ein wichtiges Beispiel für die notwendige Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, die
jetzt vorangetrieben wird. Die Umsetzung der bestehenden und der neuen Rechtsvorschriften in diesem Ge6864
samtkonzept ist sehr wichtig. Dazu gehört eine entsprechende Fortbildung der jeweils zuständigen Stellen. Das
ist nötig, wenn man die Umsetzung der vorhandenen gesetzlichen Regelungen erreichen will. Es geht um gezielte Schulung und Fortbildung sowie um Handlungsanweisungen und Richtlinien, wie bei Gewaltdelikten
vorzugehen ist. Sie gibt es zum Beispiel schon in dem
einen oder anderen Land - auch in Form polizeilicher
Richtlinien. Es geht um den Einsatz spezialisierter
Fachleute oder von Sondereinheiten, wie zum Beispiel
um die Sonderanwaltschaft für häusliche Gewaltdelikte
in Berlin. Es geht auch um institutionalisierte Kooperationsformen zwischen den beteiligten Institutionen und
Projekten, also um runde Tische, damit alle zusammenarbeiten und damit es Ketten von der Polizei über die
Staatsanwaltschaft bis hin zu den Richtern gibt, um die
Gewalt wirksam zu bekämpfen.
Wir haben in diesem Gesamtkonzept auch die Täterarbeit in den Blick genommen. Es geht zum einen darum, Täter ordnungsgemäß strafrechtlich zu verfolgen das war bisher nicht immer der Fall -, also darum, das
Recht stringent umzusetzen. Aber es geht zum anderen
auch darum, bei den Tätern einen Prozeß zur Änderung
ihres gewalttätigen Verhaltens einzuleiten, also darum,
auch psychosoziale Trainingskurse für Täter anzubieten
und ihnen im Zuge eines Verfahrens die Auflage zu machen, an solchen Kursen teilzunehmen, damit das Gewaltpotential reduziert wird. Wir unterstützen diesen
Ansatz der Täterarbeit, für den es auch schon Konzepte
gibt, sehr nachdrücklich.
Wir haben in diesem Gesamtpaket auch nicht den
Schutz ausländischer Frauen vor Gewalt vergessen. § 19
des Ausländergesetzes wird so geändert, daß das eigenständige Aufenthaltsrecht von Frauen erweitert wird und
daß Frauen durch entsprechende Härtefallregelungen in
Gewaltsituationen besser geschützt sind.
Letzter Punkt: Auch die Bekämpfung des Frauenhandels spielt in diesem Gesamtkonzept eine bedeutende
Rolle. Das heißt, wir werden - in Zusammenarbeit mit
den Ländern - mit speziellen Zeuginnenschutzprogrammen versuchen, diese Form der organisierten Kriminalität besser zu bekämpfen und wirksamer in diesem
Bereich zu arbeiten. Ich denke, daß das, was wir hier
vorgelegt haben, breite Unterstützung bei den Ländern
und Kommunen finden wird. Ich erwarte dies eigentlich
auch von der Opposition; denn wir wollen erreichen, daß
Gewalt in der gesamten Gesellschaft abgebaut wird und
daß die Opfer von Gewalt besser geschützt werden.
({0})
Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, der eben aufgerufen worden ist.
Das Wort hat die Abgeordnete Maria Eichhorn.
Frau Ministerin, ein
großer Teil der angesprochenen künftigen Maßnahmen
betrifft, wie Sie auch selber gesagt haben, die Zuständigkeit der Länder und Kommunen. Ich frage Sie: Reichen die Einrichtung eines Präventionsgremiums und
die Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe aus,
um die von Ihnen angesprochenen Ziele zu erreichen?
Welche weiteren Instrumente haben Sie, um Ihre Forderungen auch tatsächlich umsetzen zu können? Die Umsetzung erfordert natürlich auch Geld, also Ausgaben
von Bund und Ländern. Haben Sie dafür Sorge getragen,
daß die zusätzlichen Ausgaben auch vom Bund mitfinanziert werden? Wenn ja: In welchem Haushaltsansatz
wurde dies berücksichtigt? Wenn nein: Welche Gründe
gibt es dafür, daß die Kosten nur von Ländern und
Kommunen getragen werden bzw. auf diese abgeschoben werden?
Frau Ministerin
Bergmann, bitte.
Frau Abgeordnete Eichhorn, die einzusetzende Arbeitsgruppe ist ein
Steuerungs- bzw. Lenkungsgremium. Die Vorsitzenden
der Innenminister-, Frauenministerinnen- und Justizministerkonferenz setzen in ihren jeweiligen Gremien die
entsprechenden Dinge um. Es gibt auch noch die Nichtregierungsorganisationen. Ich denke, mit diesem Gremium läßt sich gut arbeiten.
Wir fangen mit diesem Thema auch nicht jetzt erst
an. Der Bund und das Land Berlin haben zum Beispiel
ein Modellprojekt zur Intervention durchgeführt. Dadurch haben wir viele Erfahrungen gesammelt - auf sie
können wir zurückgreifen -, wie auch vor Ort runde Tische installiert werden können. Das gibt es mittlerweile
auch schon in anderen Ländern und in einigen Städten.
Ich habe mir gerade in dieser Woche in Unna angesehen, wie es dort funktioniert. Wir fangen also nicht ganz
von vorne an. Es gibt die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Wir haben mit den Ländern schon viele Gespräche
geführt. Wir werden das gemeinsam durchführen. Wir
haben auch jetzt schon einige Dinge finanziert, wie zum
Beispiel diese Modellprojekte. Wir werden natürlich
auch die aus unserer Sicht notwendige Öffentlichkeitsarbeit mitfinanzieren und in dem einen oder anderen Fall die Einrichtung von Interventionszentralen unterstützen.
Frau Eichhorn, bitte
Ihre zweite Frage.
Ich möchte noch einmal auf den zweiten Teil meiner Frage zurückkommen:
Haben Sie in Ihrem Haushalt berücksichtigt, daß auf
Bund, Länder und Kommunen zusätzliche Aufgaben zukommen? Wenn ja, frage ich: In welchem Haushaltsposten haben Sie diese Ausgaben eingestellt? Wenn
nein, frage ich Sie: Warum haben Sie diese nicht berücksichtigt? Durch die von Ihnen angesprochenen
Maßnahmen wie Therapieeinrichtungen usw. kommen
ja hohe finanzielle Belastungen auf die Länder zu.
Ich will die Frage
gerne noch einmal beantworten. Ich sagte ja, daß wir
jetzt schon für die Finanzierung einiger Bereiche gesorgt
haben. Wir werden auch das eine oder andere aus Bundesmitteln mitfinanzieren können. Dafür wurde Vorsorge getroffen. Es handelt sich dabei allerdings nicht um
Milliardensummen; auch das möchte ich klarstellen. Die
Länder und die Kommunen sind natürlich auch an einer
Zusammenarbeit in diesem Bereich interessiert. In vielen Ländern gibt es zum Beispiel in diesem Bereich
schon Fortbildungsmaßnahmen für die Polizei.
Wir müssen die notwendige Infrastruktur flächendekkend installieren. Nicht alles ist mit ungewöhnlich hohen Zusatzkosten verbunden. Wichtig ist, daß diese
Aufgabe von allen gemeinsam angegangen wird. Wir
werden sehen, welche Maßnahmen wir zusätzlich noch
unterstützen können. Es ist aber die Bereitschaft bei
Ländern und Kommunen vorhanden, hier auch mitzumachen.
Herr Kollege Gerald
Weiß, Ihre Frage bitte.
Frau Ministerin, ich möchte die Frage der Kollegin Eichhorn in
anderer Form noch einmal stellen. Sie haben Ihr Konzept ja als umfassendes Gesamtkonzept bezeichnet und
es den „punktuellen Maßnahmen“ Ihrer Amtsvorgängerin gegenübergestellt. Prävention kostet Geld. Gibt die
Bundesregierung denn mehr Geld für präventive Maßnahmen im nächsten Jahr gegenüber dem laufenden oder
dem letzten Haushaltsjahr aus? Wenn es nicht mehr
Geld für Prävention gibt, ist es ja nur Schall und Rauch.
Herr Abgeordneter,
es ist typisch, daß Sie bei diesem wirklich wichtigen
Thema, das uns alle angeht, ausschließlich über Geld reden. Ich hätte mir gewünscht, daß auch die eine oder andere inhaltliche Frage von Ihrer Seite gekommen wäre.
({0})
Ich möchte einmal ein paar Dinge aufzählen, die wir
in bezug auf Prävention schon unternommen haben:
Das Recht auf gewaltfreie Erziehung: Eine Leitbildänderung in der Gesellschaft oder eine Rechtsänderung
in dieser Frage kosten zunächst einmal kein Geld. Erst
wenn wir die Leitbildänderung bezüglich des Rechts auf
gewaltfreie Erziehung mit entsprechenden Kampagnen
begleiten, kostet es Geld. Dafür haben wir in meinem
Haushalt im bescheidenen Umfang Vorsorge getroffen.
Wir sind schon im Gespräch mit den Verbänden vor Ort.
Für die Einrichtung eines Eltern-Krisen-Telefons
wird es von uns eine Finanzierungshilfe geben. Mit Sicherheit muß ein Teil der Finanzierung von Bund und
Ländern getragen werden. Das ist klar.
Zur Prävention gehört auch, endlich Ernst damit zu
machen, daß Täter zur Verantwortung gezogen werden.
Damit setzen wir geltendes Recht um. Die Hemmschwelle bei den Tätern liegt nämlich höher, wenn sie
merken, daß die Anwendung häuslicher Gewalt kein
Kavaliersdelikt und keine Privatsache ist. Für die Umsetzung geltenden Rechtes müssen in meinem Haushalt
keine Gelder vorgesehen werden. Wir wollen in den
Köpfen eine ganze Menge verändern. Ich hoffe, Sie ziehen dabei kräftig mit.
Auch die Koordinierung und Vernetzung zwischen
Frauenhäusern und Beratungsstellen werden von uns in
dem einen oder anderen Fall finanziert. Diese Vernetzung ist sehr wichtig im Rahmen dieses Gesamtpaketes,
weil beide Einrichtungen Anlaufstellen für Frauen sind.
Hierfür finden Sie Ansätze in meinem Haushalt.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß noch weit über zehn Wortmeldungen vorliegen. Ich bitte um etwas Rücksichtnahme auf die anderen
Fragesteller. Jetzt noch eine Zusatzfrage des Kollegen
Weiß.
Frau Ministerin, die Hauptziele sind ja völlig unstrittig. Es geht
doch um die Frage, ob es bei der Erklärung einer guten
Absicht bleibt oder ob diese Vorhaben mit materiellen
Mitteln unterfüttert sind. Deshalb die Frage: Was geben
Sie mehr für Präventionsmaßnahmen als im laufenden
Haushalt aus? Das ist sehr wohl ein inhaltlicher Aspekt.
Herr Abgeordneter,
ich habe Ihnen zu erklären versucht, daß Prävention
nicht nur eine Sache von Geld ist, sondern daß wir uns
zum Beispiel schon mit den Rechtsänderungen im präventiven Bereich bewegen. Diese Rechtsänderungen
werden wir durch entsprechende Kampagnen begleiten.
Ich kann Ihnen jetzt nicht in Mark und Pfennig sagen,
was wir im Jugendplan oder im Frauenplan dafür vorgesehen haben; das kann ich Ihnen gern noch nachliefern.
Aber wir verhandeln natürlich auch mit den Ländern
darüber, welche zusätzliche Kampagne ins Leben gerufen werden kann und wer dabei was finanziert. Ich kann
Sie alle nur auffordern, kräftig mitzumachen. Wir werden vielleicht auch noch den einen oder anderen Sponsor finden, der uns bei einer schönen Aktion hilft. Beispielsweise sind wir mit Sportverbänden im Gespräch,
um Partner zu gewinnen.
All diese Dinge sind sehr viel mehr als heiße Luft;
das gilt ja bereits für die Rechtsänderung. Denken Sie
auch an das, was wir für ausländische Frauen oder zur
Bekämpfung von Frauenhandel tun. All dies sind sehr
konkrete und handfeste Sachen. An dem nationalen Aktionsplan, den wir heute beschlossen haben, waren,
glaube ich, neun Ressorts beteiligt.
({0})
Jeder wird seinen Teil dazu beitragen, und auch die
Länder sind bereit, ihren Teil beizutragen.
Frau Christel Humme, Ihre Frage, bitte.
Frau Ministerin, wodurch
unterscheidet sich das jetzige Programm von eventuellen
Aktivitäten der früheren Regierung?
({0})
Falls es früher Defizite gab, welche führten zu den heutigen Überlegungen?
Frau Abgeordnete
Humme, es gab bereits in der Vergangenheit das eine
oder andere Projekt, die eine oder andere Maßnahme. Es
gibt auch heute schon rechtliche Möglichkeiten, um im
Falle ehelicher Gewalt der Frau die gemeinsame Wohnung zuzuweisen. Allerdings war das alles leider nicht
sehr wirksam. Wir wissen, daß in der Vergangenheit
normalerweise die mißhandelten Frauen mit ihren Kindern die Wohnung verlassen mußten, und woanders
Schutz suchen mußten. Wir nehmen jetzt Rechtsänderungen vor und bauen das in ein Gesamtkonzept ein.
Wir wissen ja auch, wie sehr die jetzige Opposition immer gegen das Recht auf gewaltfreie Erziehung gewettert hat.
Wir sehen das Thema Bekämpfung von Gewalt an
Frauen nicht nur unter dem Aspekt, wie wir die Täter
aus der Wohnung schaffen, sondern auch im Hinblick
darauf, was wir in der Gesellschaft ändern können - beispielsweise am Leitbild der Erziehung hin zu mehr gewaltfreier Erziehung -, wie wir den Opfern rechtlich
besser helfen können oder was im Bereich der ausländischen Frauen notwendig ist, damit sie nicht gezwungen
sind, über lange Zeit in Gewaltsituationen auszuharren,
weil sie sonst ihr Aufenthaltsrecht in diesem Lande verlieren. Hier hat es in der Vergangenheit Defizite gegeben. Es hat auch keine intensive Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gegeben, wie wir sie jetzt installieren werden. Wir haben schon viele Vorarbeiten
dazu geleistet, und ich bin mir sicher, daß dies in vielen
Bereichen funktionieren wird.
({0})
Frau Kollegin Ilse
Falk, Ihre Frage, bitte.
Frau Ministerin, Sie haben
hoffnungsvoll die Frage gestellt, ob dies ein Projekt sei,
das wir fraktionsübergreifend gemeinsam tragen können. Natürlich begrüßen wir es, wenn Aktionen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf den Weg gebracht werden. Es schließt ja an das an, was wir in vielen Jahren schon angestoßen und auf den Weg gebracht
haben. Deswegen haben wir mit besonderem Interesse
diesen Aktionsplan aufgenommen.
Nachdem aber nun schon vieles vorliegt - Sie selbst
sagen ja auch, daß es Vorarbeiten gegeben habe -, stellt
sich die Frage, warum der Plan jetzt nicht konkreter
wird bzw. wann er konkreter wird. An welchen konkreten Hindernissen scheitert der Gesetzentwurf, den Sie
seit längerem angekündigt haben? Liegt es an den Absprachen mit den Ländern? Machen nur die Polizeibehörden und die Innenminister Schwierigkeiten? Warum
können nicht jetzt schon ganz konkrete Hilfen sowohl
für betroffene Frauen als auch für damit befaßte Behörden auf den Weg gebracht werden? Aus den Erfahrungen mit Projekten wie etwa dem Interventionsprojekt in
Berlin könnte man ja schon Handlungsanleitungen für
die anderen Länder machen, die als Anregungen an
Stellen ausgelegt werden könnten, die von Frauen aufgesucht werden; ich denke da zum Beispiel an Arztpraxen oder Ämter. Hier könnten sie dann auch erfahren,
wo sie Hilfe erhalten können. Zum anderen könnte man
der Polizei und den anderen zuständigen Ämtern
Checklisten und ähnliches an die Hand geben, um
schneller Hilfe leisten zu können. Es geht also nicht darum, noch weitere Gremien zu bilden, sondern darum,
den Frauen und den mit Gewalt an Frauen befaßten Behörden konkret zu helfen.
Frau Abgeordnete
Falk, ich freue mich, daß Sie das Berliner Interventionsprojekt angesprochen haben. Ich denke, dies ist ein gutes
Beispiel dafür, wie es in den Ländern funktionieren
kann. Es hat ein paar Jahre gedauert - dahinter steckt eine Menge Arbeit -, dieses Projekt ins Leben zu rufen.
Diese Erfahrungen werden in die Arbeitsgruppe einfließen und auch den anderen Ländern zur Verfügung stehen.
Ich will einmal die polizeilichen Richtlinien nennen.
Das Berliner Interventionsprojekt hat Richtlinien für die
Polizei erarbeitet, die in Berlin schon in Kraft gesetzt
sind. Jeder Polizist und jede Polizistin wissen an Hand
der entsprechenden Broschüre - das Stichwort „häusliche Gewalt“ ist Bestandteil dieses Katalogs -, wie sie
sich zu verhalten haben, unter welchen Umständen sie
den Täter mitnehmen müssen und wie sie die Beweisaufnahme durchzuführen haben. Hier ist schon viel gute
Erfahrung, auch Erfahrung im Bereich der Fortbildung,
vorhanden. In Schleswig-Holstein macht man sich diese
Erfahrung in dem einen oder anderen Punkt zunutze.
Der Sinn dieser Arbeitsgruppe, dieser Steuerungsgruppe, ist auch, diese Richtlinien der Innenministerkonferenz mit dem Ziel vorzustellen, sich darauf zu verständigen, daß diese Richtlinien in allen Ländern - Polizei
ist ja Ländersache - Anwendung finden. Die von uns
gesammelte Erfahrung mit der Fortbildung der Polizisten soll als Empfehlung an alle anderen Bundesländer
weitergegeben werden.
Auf diese Weise sind die Umsetzungsschritte vorgesehen. Wenn sich in den Ländern niemand diesen
Schritten verschließt, wird die Umsetzung funktionieren.
Weil alle Länder in diesem Bereich die gleichen Probleme haben, gehe ich davon aus, daß all das, was sich
bewährt hat, aufgegriffen und umgesetzt wird. Eine ganze Menge ist schon da und wird verteilt und verschickt.
Die Materialien sind schon in allen Ländern bekannt.
Wir fangen also nicht bei Null an.
Es geht jetzt darum, über die Innenminister- und
Justizministerkonferenzen alle Länder ins Boot zu holen,
so daß entsprechende Maßnahmen nicht nur in Berlin
und Schleswig-Holstein durchgeführt werden, sondern
daß bundesweit diese Richtlinien eingeführt und Fortbildungen veranstaltet werden. Es bringt nämlich nichts,
wenn man nur an einer Stelle das Recht ändert, wenn
man zum Beispiel nur die Polizei schult, auf der anderen
Seite aber die Staatsanwaltschaft solche Taten nicht
konsequent verfolgt oder die Richter nicht die Möglichkeit, die sie haben, nutzen, die Täter in psychosoziale
Trainingskurse zu schicken.
Alle diese Maßnahmen müssen Hand in Hand umgesetzt werden. Dazu brauchen wir eine Steuerungsgruppe.
Die Zahl ihrer Mitglieder ist nicht allzu groß. Dazu
brauchen wir auch die Bereitschaft der Länder, sich daran zu beteiligen.
Wann liegt der Gesetzentwurf
vor?
Diese Frage möchte
ich eigentlich an den Parlamentarischen Staatssekretär
vom Justizministerium weitergeben. Ich kann nämlich
nicht genau sagen, wann der Gesetzentwurf vorliegt. Ich
weiß nur, daß es in Kürze der Fall sein wird.
({0})
Eine Menge Vorarbeiten sind ja schon gemacht worden.
({1})
Die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Sabine Jünger.
Frau Ministerin, zunächst
eine Frage noch einmal zur Bund/Länder-Arbeitsgruppe:
Wird die Bundesregierung im Rahmen dieser Arbeitsgruppe darauf hinwirken, daß es in Deutschland in allen
Bundesländern zu einer ähnlichen Regelung wie der
„Wegweis“-Regelung in Österreich kommt?
Eine zweite Frage zu Ihrem Aktionsplan: Lesbische
Frauen sind alltäglicher Gewalt - sowohl verbaler
sexualisierter als auch körperlicher Gewalt - ausgesetzt.
Dies bestätigt erneut eine jetzt vorgelegte Studie „Gewalt gegen lesbische Frauen“ des Frauenforschungszentrums der Universität Bielefeld.
({0})
Inwieweit plant die Bundesregierung zielgruppenspezifische Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen
lesbische Frauen in ihrem Aktionsprogramm?
Frau Abgeordnete,
zu Ihrer ersten Frage. Die österreichische Regelung, auf
die Sie anspielen, findet sich in den Eckpunkten des nationalen Aktionsplans wieder. Dieser Aktionsplan hat
einen zweistufigen Charakter: Es geht zum einen um
bundesrechtliche Regelungen, auf Grund derer die Täter
aus der Wohnung verwiesen und Schutzanordnungen für
Frauen - ich nenne zum Beispiel die Kontaktsperre getroffen werden können. Wir brauchen zum anderen
- damit komme ich wieder zur Bund/Länder-Arbeitsgruppe - die Bereitschaft der Länder, das Polizeirecht so
zu ändern und so anzuwenden, daß es mit Hilfe polizeilicher Intervention möglich ist, den Täter sofort der
Wohnung zu verweisen. Nach der jetzigen Praxis, so
glaube ich, läuft die Vollstreckung über den Gerichtsvollzieher.
Wir brauchen auch die Polizeigesetze der Länder.
Wir haben eine andere Struktur als Österreich, und wir
können das nicht alles auf einer Ebene regeln. Aber da
sind die Justizministerin und der Innenminister bereits
mit den entsprechenden Landesministern im Gespräch.
Zu Ihrer Frage hinsichtlich der Zielgruppen. Wir gehen strukturell vor. Wir haben nicht einzelne Zielgruppen herausgenommen, sondern überlegt: Was müssen
wir im Bereich der Prävention, im Bereich der Rechtsänderung, im Bereich der Kooperation und im Bereich
der Vernetzung tun? Wir denken, daß diese Vorgehensweise alle Bereiche umfaßt.
Sollte sich herausstellen - auch dazu gibt es die Bund/
Länder-Arbeitsgruppe -, daß es an der einen oder anderen
Stelle Regelungsbedarf gibt, sind wir frei, das aufzunehmen. Wir haben ein Arbeitsprogramm; das heißt, wir
können verschiedene Erfahrungen aufnehmen, das eine
oder andere zusätzlich tun oder variieren. Das ist ein Arbeitsprogramm für die gesamte Legislaturperiode.
Frau Kollegin Bärbel
Sothmann, Ihre Frage, bitte.
Frau Ministerin, ich
habe eine ganz kurze Frage an Sie. Nicht alles anders,
aber vieles besser machen - nach diesem Motto sind Sie
alle angetreten. Ist Ihnen das Aktionshandbuch bekannt,
das 1996 in Ihrem Hause verabschiedet worden ist, und
haben Sie es mit in Ihren Aktionsplan einfließen lassen?
Frau Abgeordnete,
natürlich ist mir bekannt, was in meinem Haus erarbeitet
wurde. Wir haben auch nicht alle Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ausgewechselt,
({0})
das heißt, es steht mir ein entsprechender Erfahrungsschatz zur Verfügung. Wir beziehen uns natürlich auf
Erfahrungen, die gemacht wurden.
Aber ich sage noch einmal ganz klar, was das Neue
an diesem Gesamtkonzept ist. Wir haben jetzt ein Konzept, das sich auf alle Bereiche, auch auf den rechtlichen
Bereich, bezieht. Das war bisher nicht der Fall. In der
Vergangenheit hat man nur überlegt - das ist selbstverständlich auch wichtig; das war in den Ländern zum Teil
ebenfalls so -, wo die Frauen Hilfe bekommen können.
Sie kennen die Frauenhaus-Arbeit, die sehr wichtig war
für Frauen, die aber nicht bewirkt hat, daß Gewalt in der
Gesellschaft abgebaut oder reduziert wurde. Deshalb
haben wir gesagt, wir müssen an das Thema noch einmal anders herangehen. Wir können nicht nur schauen:
Wo gibt es Beratungsstellen für Frauen? Wo gibt es
Frauenhäuser? Wie können wir Frauen schützen? Das
alles ist sehr wichtig, aber es geht auch darum: Wie
können wir präventiv arbeiten? Welche rechtlichen
Regelungen brauchen wir, damit der Schutz wirksam
wird?
Es ist nicht alles, was schon einmal erarbeitet wurde,
unberücksichtigt geblieben. Wir haben das natürlich
weiterentwickelt.
Zusatzfrage, Frau
Kollegin Sothmann?
Sie sagten vorhin,
wir sollten nicht immer nur nach der Finanzierung fragen. In dem angesprochenen Aktionsprogramm waren
Information und Aufklärung der Öffentlichkeit ganz
wichtig. Deswegen habe ich danach gefragt. Ich hoffe,
daß in Ihrem Aktionsplan Entsprechendes enthalten ist.
Sie haben jetzt von der Arbeitsgruppe von Bund und
Ländern gesprochen. Im Juni dieses Jahres haben Sie eine EU-Konferenz in Köln durchgeführt. Dort wurde davon gesprochen, eine gemischte Gruppe mit allen europäischen Ländern aufzubauen, die sich mit diesen Fragen befassen sollte. Haben Sie auch diese Ergebnisse in
Ihren Aktionsplan einfließen lassen? Wie sieht es mit
der gemischten Gruppe aus? Wird so etwas auch noch
kommen, oder konzentrieren Sie sich zunächst auf die
Arbeitsgruppe von Bund und Ländern?
Zum ersten Teil Ihrer Frage. Natürlich brauchen wir Informations- und Öffentlichkeitsarbeit. Ich kann nur an alle appellieren, uns
dabei kräftig zu unterstützen. Das können auch ungewöhnliche Formen sein. Ich habe vorhin schon Sportvereine genannt. Wir suchen vor allen Dingen Männer,
die sich ganz klar gegen diese Form von Männergewalt
aussprechen. Ich sage das allen Ernstes, weil es, wenn
man Gewalt in der Gesellschaft ächten will, wichtig ist,
daß sich alle dazu bekennen, damit wir diese Gewalt aus
dem privaten Bereich herausbekommen und sie in der
Gesellschaft wie jede andere Form der Gewalt verfolgen.
Zum zweiten Teil der Frage. Die Kölner Konferenz
war der Auftakt des Aktionsjahres der Europäischen
Union zur Bekämpfung von Gewalt. Diese Tagung war
sehr erfolgreich. Es wurden auch Leitlinien ausgearbeitet, die natürlich in unseren Aktionsplan Eingang gefunden haben, wie umgekehrt auch unsere Erfahrungen in
die Leitlinien. Das ist ja immer ein Wechselspiel.
Das Thema bleibt weiter auf der Tagesordnung der
Europäischen Union. Hier haben sich die Frauenministerinnen der europäischen Mitgliedstaaten verständigt, daß
zunächst einmal jede in ihrer Ratspräsidentschaft versucht, das Thema weiter zu verfolgen, weil man das
Ganze innerhalb eines halben Jahres nicht bewältigen
kann. Es wird in der finnischen Ratspräsidentschaft noch
eine Veranstaltung dazu geben. Wir Ministerinnen sind
hier in engem Kontakt. Es gibt noch keine spezielle Arbeitsgruppe innerhalb der Europäischen Union, die sich
mit diesem Thema beschäftigt, aber wir behandeln es in
jeder Ratspräsidentschaft in mindestens einer Veranstaltung.
Ich halte dies für sehr wichtig. Wir hatten auch eine
Frauenministerinnenkonferenz zu diesem Thema. Es hat
sich in Europa etwas bewegt. Es sind schon die österreichischen Erfahrungen angesprochen worden. Jedes Mitgliedsland versucht in der ihm gemäßen Weise, mit diesem Thema umzugehen und Gewalt an Frauen abzubauen. Es ist natürlich immer wichtig, daß man voneinander
lernt, untereinander Erfahrungen austauscht und das
Thema immer am Kochen hält.
Die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Hildegard Wester.
Frau Ministerin, ein
Schwerpunkt der Gewalterfahrung von Frauen ist der
häusliche Bereich. Sie haben eben schon dargestellt, daß
im präventiven Bereich von Ihnen und unter Mitwirkung
der anderen Ministerien vorgesehen ist, einen Gesetzentwurf durchzubringen, der die Erziehung mit Hilfe
von Gewaltmitteln ächten soll. Sie haben außerdem von
dem Vorhaben gesprochen, die Zuweisung der Ehewohnung zu erleichtern.
Das sind zwei Maßnahmen, die kein Geld kosten und
lange überfällig sind. Haben Sie eine Erklärung dafür,
warum die Opposition heute in dieser Regierungsbefragung von Ihnen konkrete Schritte und finanzielle Bereitstellungen anmahnt, wo sie die Notwendigkeit dieser
beiden Maßnahmen auch schon in ihrer Regierungszeit
gesehen hat und sie diese auch hätte umsetzen können,
da sie auf breite Bereitschaft im Hause gestoßen wäre
und die Maßnahmen zudem auch finanziell ohne Auswirkungen geblieben wären?
Noch eine Frage zur erleichterten Zuweisung der
Ehewohnung. In welchem Zusammenhang kann ich das
mit den existierenden Frauenhäusern bzw. mit der weiter
bestehenden Notwendigkeit von Frauenhäusern sehen?
Frau Abgeordnete
Wester, zu Ihrer ersten Frage kann ich nur sagen: Es ist
mir unerklärbar, weshalb man das Thema „Recht auf
gewaltfreie Erziehung“ nicht längst schon einmal gemeinsam in diesem Hause hätte behandeln können. Ich
denke, daß das Thema „Bekämpfung von Gewalt an
Frauen“ eines ist, bei dem man auch parteiübergreifend
gut zusammenarbeiten kann, wenn einem das Thema
wirklich am Herzen liegt. Nun haben wir die Sache angepackt. Wir machen ja, wenn auch nicht alles anders,
alles besser.
({0})
Ich denke, in diesem Bereich treten wir den Beweis dafür gerade an.
({1})
Zum Thema Frauenhäuser: Die Erfahrungen aus
Österreich haben gezeigt - wir haben mit einem solchen
Gewaltschutzgesetz Erfahrungen bisher nur aus Österreich -, daß das Gesetz leider nicht dazu geführt hat, daß
Frauenhäuser überflüssig sind. Frauenhäuser braucht
man nach wie vor, auch wenn man bessere rechtliche
Regelungen hat, die Frauen besser schützt und die Frauen eher in der gemeinsamen Wohnung halten kann, als
das vorher der Fall war.
Das zeigt natürlich auch, wie groß in diesem Bereich
die Dunkelziffer ist. Sie wissen alle, wenn Sie sich mit
diesem Thema befassen, was Frauen zum Teil über Jahre in Gewaltbeziehungen aushalten müssen, weil sie
nicht ins Frauenhaus gehen wollen, weil sie nicht
anderweitig Hilfe in Anspruch nehmen wollen und es
ihnen einfach unangenehm ist, zuzugeben, in welcher
Situation sie leben. In dem Moment, wo es Hilfsangebote gibt, kommt natürlich vieles von diesen wirklich
schlimmen Tatbeständen sehr viel mehr an die Öffentlichkeit. Frauen werden ermutigt, sich aus einer Gewaltbeziehung herauszubegeben, Anzeige zu erstatten und
das Ganze für sich besser zu regeln. Deshalb brauchen
wir Frauenhäuser nach wie vor.
Frau Kollegin Lenke,
Ihre Frage bitte.
Frau Ministerin, ich denke, Sie
erwarten aus gutem Grund eine Zusammenarbeit mit
uns, und ich bin auch gerne bereit, für meine Fraktion
diese Zusammenarbeit zuzusagen. Aber sie muß auch
kollegial sein. Ich muß Ihnen sagen: Wenn wir heute
morgen um 11 Uhr diesen Plan auf den Tisch bekommen und dann um 13 Uhr Ihre Befragung ist, dann weiß
ich nicht, was da noch an Kollegialität und Unterstützung übrigbleibt. Ich finde, das sollte beim nächstenmal
wirklich geändert werden.
({0})
Ich sehe darin auch ein bißchen einen Affront: Sie
haben die Meinungsführerschaft, Sie wissen, was auf
den 40 oder mehr Seiten Ihres Programms steht. Wir
aber müssen mit unseren Terminen hinkommen. Daher
würde ich, wenn Sie eine Zusammenarbeit wollen, bitten, auch alles dafür zu tun, damit es zu dieser Zusammenarbeit kommt.
Dann möchte ich etwas zur Täterarbeit sagen. Ich habe mir diesen Abschnitt durchgelesen. Es ist eine Beschreibung von Tatsachen, eine Beschreibung dessen,
was schon da ist. Ich habe wenig Neues erkennen können. Ich denke aber, wenn Sie als Regierung einen solchen Plan machen, dann dürfen Sie in diesem Fall nicht
nur beschreiben, sondern müssen auch zumindest ganz
konkrete Ansatzpunkte geben. Das aber haben Sie in
dem Punkt 5 - Täterarbeit - nicht getan.
Ich komme zum Thema „häusliche Gewalt“. Sie haben die Unterstützung der F.D.P.-Fraktion, daß Täter,
die ihre Kinder, ihre Ehefrau schlagen, aus der Wohnung gewiesen werden. Denn wir empfinden es als ganz
wichtig, daß die Kinder und nicht die Täter ihr persönliches Umfeld behalten. Daher werden wir Sie in diesem
Punkt unterstützen. Ich habe dazu aber noch zwei Fragen.
Wird es nach Ihren Vorstellungen in ganz besonders
schlimmen Fällen auch eine sofortige Ausweisung des
Täters geben, und zwar beim Eintreffen der Polizei, also
unmittelbar nach dem Hilferuf? Und ist dann nach erfolgter Ausweisung des Täters auch eine kurzfristige
Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung - von Amts
wegen oder auf Antrag - vorgesehen? Denn wir wissen
ja: Auch in einem so emotionalen Bereich müssen wir
als Staat den klaren Blick behalten und müssen im Interesse des Täters, aber auch der Geschädigten innerhalb
kurzer Zeit, denke ich, prüfen, was Sache ist, damit es
nicht zu Ungerechtigkeiten kommt.
Zum Schluß möchte ich noch etwas sagen. Sie haben
von Polizeirichtlinien, von Fortbildung der Polizei gesprochen. Ich komme aus Niedersachsen und kenne dort
die Verhältnisse. Ich weiß, daß die niedersächsische
Landesregierung die Finanzen der Polizei beschnitten
hat, daß sie die Bezahlung der Polizei beschnitten hat
und daß es viele Überstunden gibt. Wenn wir nun sehr
blauäugig von der Bundesebene her solche Wünsche
zum Beispiel jetzt an Niedersachsen richten, dann weiß
ich nicht, ob Sie nicht auf ein gewisses Unverständnis
der Polizei treffen werden -
Frau Kollegin, ich
muß Sie daran erinnern, daß Sie Fragen stellen sollten.
Gut, ich mache jetzt Schluß. Das
ist auch mein letzter Satz: Aus der Sicht der Polizei gibt
es allerdings nur wenige Möglichkeiten; denn zusätzliche Überstunden können Sie zum Beispiel der niedersächsischen Polizei nicht zumuten.
Frau Abgeordnete,
ich denke, wir werden noch viel Zeit haben, uns mit diesem nationalen Aktionsplan auseinanderzusetzen. Ich
sage das in allem Ernst. Es ist doch ein normaler Vorgang, wenn wir relativ schnell informieren. Das ist für
Sie doch auch eine Möglichkeit zu einer ersten Aussprache darüber. Aber ich denke, wir werden sehr kollegial
hier noch über vieles miteinander reden können.
Sie haben das Thema „Ausweisung aus der Wohnung“ angesprochen. Ich kann natürlich noch nicht im
einzelnen sagen, wie die Regelungen am Ende aussehen
werden, aber ich kenne die Vorarbeiten. Wenn man die
Frauen wirklich schützen will, muß man erreichen, daß
die Täter die Wohnung sofort verlassen, daß es Schutzanordnungen gibt und daß auch schnell, in einer bestimmten Frist, entschieden wird. Denn sonst schützen
wir Frauen nicht, weil wir genau wissen, daß die Gewalt
eher zunimmt, wenn der Täter am nächsten Morgen
wieder da ist und dann sagt: „Was hast denn du jetzt mit
mir angestellt?“ Derartige Regelungen müssen also getroffen werden, sowohl auf Bundesebene als auch über
die Polizeigesetze der Länder.
Wir haben natürlich nicht alles, was wir im Moment
schon vorliegen haben, in diesen Aktionsplan hineinpacken können. Natürlich gibt es Konzepte für die psychosoziale Arbeit mit Tätern. Sie liegen vor. Es gibt die
ersten Kurse in Berlin, in die jetzt eingewiesen wird.
Das steht zur Verfügung, damit machen wir jetzt die ersten Erfahrungen. Das kann also verwendet werden. Wir
können Ihnen Material darüber auch gern einmal zustellen, wenn Sie das interessiert. Das kann ich Ihnen
anbieten. Da liegt schon viel vor, ohne daß wir das jetzt
im einzelnen in diesen Plan hineingepackt haben, der
zunächst einmal nur Rahmendaten enthält.
Zur Polizei kann ich nur sagen: Wir leben hier in einem armen Land. Berlin ist ein armes Land, hat viele
Schulden, muß viele Stellen abbauen usw., auch bei der
Polizei. Trotzdem haben wir es in den letzten Jahren
wirklich geschafft, in die normale Fortbildung in Führungskursen, die die Polizei sowieso macht, das Thema
„häusliche Gewalt“ aufzunehmen. Es sind kompetente
Frauen, die zum Beispiel dieses BIG-Projekt begleitet
haben. Sie sind hingegangen, haben entsprechend informiert und haben Unterricht gemacht. Die Polizistinnen und Polizisten haben das als sehr hilfreich empfunden. Auf der anderen Seite haben wir mittlerweile - jetzt
gibt es ja auch die Spezialstaatsanwaltschaft - natürlich auch sehr viel mehr Anzeigen und Verurteilungen. Die Polizei geht mit diesem Thema ganz anders
um. Das werden wir in allen Bundesländern erreichen
müssen.
Wie ich schon sagte, war ich diese Woche in Unna.
Auch dort macht die Polizei das; auch dort wird versucht, mit diesem Thema anders umzugehen, eben um
Frauen besser schützen zu können. Natürlich erwarten
wir, daß die Kette weitergeht. Deshalb muß es in der
Justiz die gleiche Fortbildung geben. Die Staatsanwaltschaft muß handeln; die Richter müssen handeln. Sie
müssen wissen, daß sie die Täter in diese psychosozialen
Trainingskurse einweisen können und sie nicht nach
Hause schicken müssen. Aus diesen Gründen ist die
Kooperation so wichtig.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Ihre Frage bitte.
Frau Ministerin Bergmann, zunächst
möchte ich Sie beglückwünschen. Die EU-Konferenz
hat im März 1999 beschlossen, daß alle Mitgliedstaaten
Konzeptionen gegen häusliche Gewalt erarbeiten sollen.
Heute liegt uns das vor. Offensichtlich sieht die Opposition nur das Kostenargument. Deshalb möchte ich Sie
dazu gerne etwas fragen. Aus einer Antwort der Bundesregierung geht hervor, daß häusliche Gewalt den Staat
jährlich 29 Milliarden DM kostet. Ich frage Sie: Glauben
Sie nicht, daß die Maßnahmen, die Sie uns heute vorgeschlagen haben - nämlich Prävention, Opferschutz, Bestrafung der Täter, Veränderung des Verhaltens -, dazu
geeignet sind, diese Kosten sogar zu senken?
Da kann ich
schlicht und einfach mit Ja antworten.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir sind schon etwas über der Zeit. Ich
möchte aber allen Fragestellerinnen und Fragestellern
die Chance geben, Ihre Frage zu stellen. Ich bitte aber
sowohl die Fragestellenden als auch die Ministerin um
kurze Statements. Frau Kollegin Gradistanac, Sie sind
dran.
Frau Ministerin, Sie
haben schon einiges zur Täterarbeit ausgeführt. Das fällt
unter den Begriff Sekundärprävention. Können Sie uns
noch etwas zum Thema Primärprävention - zum Beispiel Stärkung für Mädchen - sagen?
Gewalt gegen Frauen ist nicht nur in der Bundesrepublik ein Thema, sondern auch ein europäisches und ein
internationales Thema. Gibt es insofern Gedanken oder
Ausführungen, die Sie uns kurz mitteilen könnten?
Ich will versuchen,
es kurz zu machen. Die Primärprävention fängt schon
bei der Umsetzung des Rechtes auf gewaltfreie Erziehung an. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt,
wenn es um Primärprävention geht.
({0})
Das geht weiter: Sie haben Mädchenarbeit angesprochen. Man versucht bereits - dafür gibt es Beispiele und
Modelle -, Mädchen in die Lage zu versetzen, sich
selbst zu behaupten, und gleichzeitig, Jungen in die Lage zu versetzen, Konflikte anders als mit Gewalt auszutragen. Ich denke, das sind zwei Beispiele in diesem Bereich.
Sie haben die internationale und die europäische Zusammenarbeit angesprochen. Wir sind dabei, bei den
Vereinten Nationen in einer Unterkommission der Menschenrechtskommission Punkte aufzugreifen. Denn das
Thema „Frauenrechte sind Menschenrechte“ muß auf
allen Ebenen verankert werden. Natürlich geht es dabei
auch um das Recht der Unversehrtheit der Person. Übrigens kann ich allen die erfreuliche Mitteilung machen Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
das Recht nehme ich mir einfach einmal -, daß wir das
Zusatzprotokoll zur CEDAW zeichnen werden.
({1})
Nach zehn Jahren ist es endlich gelungen, ein Übereinkommen zu erzielen. Wir werden das am 10. Dezember
zeichnen. Ich denke, das ist ein gutes Beispiel -, wenn
es auch langwierig war. Aber wir machen es wieder
einmal besser als Sie; Sie haben das nie hinbekommen,
sondern in diesem Bereich immer gebremst. Wir haben
es aber geschafft. Denn es ist ganz wichtig, daß Frauen,
deren Rechte verletzt werden, über diese Frauenrechtskommission die Möglichkeit einer Individualbeschwerde haben, sich also dorthin wenden können. Ich denke,
das ist ein Erfolg für Frauen. Da sollten wir uns einmal
freuen!
({2})
Herr Kollege Dehnel,
Ihre Frage bitte.
Frau Ministerin, auf
Seite 11 Ihres Aktionsplans steht, daß es Ihnen darum
geht, das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. An welche Bereiche denken Sie da im
besonderen?
Auf Seite 22 kündigen Sie an, daß Ende 1999 der
Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Gewalt vorgelegt wird. Welcher Termin stimmt nun: „in Kürze“ oder
„Ende 1999“? Kann man sich auf das verlassen, was in
dem Aktionsplan steht?
Herr Dehnel, wir
sind uns darüber im klaren, daß auch eine vernünftige
Gleichstellungspolitik präventiv wirkt. Wenn Frauen
ökonomisch unabhängig sind, wenn sie über gleiche
Möglichkeiten verfügen wie Männer, dann ist dies eine
Gewaltprävention im weitesten Sinne. Das sage ich hier
in allem Ernst.
Sie haben auch noch auf die Terminstellung hingewiesen. „Ende des Jahres“ ist auch „in Kürze“. Ich kann
Ihnen das genaue Datum nicht nennen; ich habe es nicht
vorliegen. Aber der Entwurf kommt; wir werden uns
noch gut darüber unterhalten können.
Kollege Thomas
Dörflinger, Ihre Frage bitte.
Frau Ministerin,
in der Inhaltsbeschreibung des Aktionsplans der Bundesregierung findet sich der für meine Begriffe bemerkenswerte Satz:
Gewalt wird gelernt: in den Familien, in den Medien, im allgemeinen gesellschaftlichen Umgang.
Stimmen Sie mir zu, daß diese undifferenzierte und pauschalierende Darstellung unzutreffend ist, weil in all den
genannten gesellschaftlichen Bereichen Gewaltanwendung nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist, und
daß es deswegen angesagt wäre, sich zu diesem Thema
etwas differenzierter zu äußern?
({0})
Ich freue mich, daß
Sie sozusagen all das, was wir zu diesem Thema auf
dem Tisch haben, von uns haben wollen. Das können
wir gerne machen.
Ich stimme Ihnen aber nicht zu. Dafür will ich nur einen Punkt anführen: Es ist bekannt, daß Menschen, die
in ihrer Kindheit Gewalt erfahren haben, eher dazu neigen, Gewalt anzuwenden, als diejenigen, die diese nicht
erfahren haben. Das ist natürlich nicht zwangsläufig so.
Aber eine solche Aussage ist durchaus berechtigt.
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Norbert Geis.
Frau Ministerin, Sie setzen sich für die gewaltfreie Erziehung ein und wollen
diese auch in das Gesetz aufnehmen. Meinen Sie nicht,
daß diese Formulierung viel zu weit, viel zu unpraktikabel und letztlich sogar absurd ist?
Denken Sie an folgenden Fall: Ein Kind will morgens
nicht in die Schule gehen, sondern im Bett liegenbleiben
und wird von der Mutter auch nicht auf die Füße gestellt, weil sie gewaltfrei erziehen will. Dann muß die
Polizei kommen und das Kind gewissermaßen mit Polizeigewalt zur Schule bringen, weil wir eine allgemeine
Schulpflicht haben. Meinen Sie nicht, daß die von Ihnen
so propagierte Formulierung im Grunde genommen absurd ist? Meinen Sie nicht, daß die Formulierung, die die
damaligen Koalitionsparteien in der letzten Legislaturperiode nach einer langen Diskussion gefunden haben
- es ist nicht wahr, daß wir darüber nicht diskutiert hätten -, daß nämlich die Erziehung nicht gegen die Würde
des Kindes verstoßen darf, daß also unzählige Erziehungsmaßnahmen verboten sind, viel eher das trifft, was
Sie im Grunde genommen erreichen wollen?
({0})
Ich bin nicht Ihrer
Meinung, Herr Geis. Ich denke, daß ganz klar gesagt
werden muß: Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie
Erziehung,
({0})
weil jede Form von Gewalt für Kinder schädlich ist, sie
in ihrer Würde verletzt. Wir wollen damit, wie Sie wisBundesministerin Dr. Christine Bergmann
sen, die Eltern nicht kriminalisieren. In unserer Gesellschaft, in den Köpfen der Eltern gibt es noch immer die
Meinung: Eine Tracht Prügel hat noch keinem Kind geschadet! oder: Die Ohrfeige ist nicht so schlimm! Wir
wollen klarmachen, daß wir mit unseren Kindern anders
umgehen müssen. Wenn uns dies gelingt, werden wir in
einigen Jahren vielleicht nicht mehr die Gewaltspirale in
der Gesellschaft beklagen müssen.
({1})
Frau Kollegin
Rönsch, Ihre Frage bitte.
Frau
Ministerin, ist es Ihnen möglich, innerhalb der Bundesregierung abzuklären, wann dieser Gesetzentwurf vorgelegt wird? Herr Staatssekretär Pick kann Ihnen das
Datum bestimmt in einem kurzen Zuruf mitteilen, damit
Sie diese Frage beantworten können, die hier schon
mehrfach gestellt worden ist.
Frau Kollegin Lenke, Sie haben dieses Heftchen in
nur zehn Minuten durchgelesen. Wenn man nämlich die
Koalitionsvereinbarung, die vor einem Jahr getroffen
wurde, kennt, findet man darin nichts Neues.
Ich hätte mir gewünscht, Frau Ministerin, wenn Sie
dieses Jahr genutzt hätten. Denn in den Koalitionsvereinbarungen ist genau das gleiche festgeschrieben. Ich
frage Sie sehr nachdrücklich: Was tun Sie - außerhalb
der Belastung und der Zusammenarbeit mit den Kommunen und den Ländern - ganz konkret, um die Bevölkerung zu mobilisieren, um die Nachbarschaft zu sensibilisieren, damit Gewalt gegen Frauen wahrgenommen
und ihr begegnet wird? Was tun Sie für den Schutz der
Kinder in diesen Familien? Ich konnte sehr wenig davon
lesen, daß die Kinder, wenn Gewalt in der Familie, Gewalt gegen die Mutter wahrgenommen wird, davor bewahrt werden.
Zur ersten Frage.
Die Eckpunkte des Gesetzes liegen vor. Ich freue mich,
daß Sie so ungeduldig auf dieses Gesetz warten. Es wird
in Kürze kommen.
({0})
Lange wird es nicht mehr dauern. Wir werden uns dann
darüber auseinandersetzen können.
({1})
Zum anderen will ich Ihnen etwas sagen, Frau
Rönsch. Wir haben dieses eine Jahr gut genutzt. Wir haben in diesem einen Jahr mehr auf den Weg gebracht als
Sie in den vergangenen 16 Jahren.
({2})
Dies muß man auch einmal sagen. Wir hätten sonst nicht
so viel Gewalt in der Gesellschaft, und die Frauenhäuser
wären sonst nicht permanent voll. Wir wären weiter,
hätten Sie das, was Sie mich fragen, immer ordentlich
gemacht und gesagt, in allen Bereichen der Gesellschaft
wollen wir die Gewalt abbauen, wir wollen die Polizei
schonen. Dies alles steht in unserem Programm. Sie wissen - das habe ich gerade gesagt -, daß wir das Thema
„gewaltfreie Erziehung“ mit Informationsarbeit, mit
Aufklärungsarbeit, mit einem Elterntelefon verbinden
und daß wir mit dem Kinderschutzbund und mit Verbänden zusammenarbeiten. Wir nehmen uns dazu für
das nächste Jahr eine ganze Menge vor. Ich kann Sie nur
bitten, kräftig daran mitzuwirken - jeder in seinem Bereich -, denn das ist ein gesamtgesellschaftliches Thema.
(Beifall bei der SPD]
Ich beende jetzt den
Themenbereich der heutigen Kabinettssitzung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der fortgeschrittenen Zeit lasse ich jetzt nur eine freie Frage an
die Bundesregierung zu.
Herr Kollege Koppelin, bitte.
Nachdem am Wochenende zu lesen war, daß der Herr Bundeskanzler einem
Unternehmen in Bayern erhöhte Forschungsmittel zugesagt hat, frage ich, wo diese Mittel hergenommen werden. Wird der Sockel für Forschungsmittel aufgestockt,
oder werden andere dabei zu kurz kommen? Es geht um
die Firma Adtranz. Ist das heute im Kabinett besprochen
worden?
Wer beantwortet die
Frage für die Bundesregierung? Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Catenhusen, bitte.
Lieber Kollege Koppelin, das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereitet ein Forschungsprogramm
zur Frage der Mobilitätsforschung mit einem festen
finanziellen Rahmen vor. Ich gehe davon aus, daß jede
Art von Projekten, die im Bereich Mobilität in den nächsten Monaten auf das Haus zukommen, unabhängig von
der Herkunft des Empfängers nach Qualitätszielen geprüft und im Rahmen des vorgesehenen Budgets auch
bewilligt wird.
Eine Zusatzfrage.
Dann ist die Regierungsbefragung endgültig zu Ende.
Dann frage ich noch
einmal, weil die Frage nicht beantwortet wurde: Wie
kann der Bundeskanzler am Wochenende von sich aus
verkünden, daß ein bestimmtes Unternehmen erhöhte
Forschungsmittel des Bundes bekommt? Der Etat steht
ja fest. Dann müssen andere offensichtlich zu kurz
kommen. Die finanziellen Mittel, die der Bundeskanzler
versprochen hat, müssen zuerst einmal an dieses Unternehmen fließen. Ist diese Zusage des Bundeskanzlers
mit Ihrem Hause besprochen worden?
Zunächst, Herr Koppelin, es ist immer interessant, daß Sie
sich nicht einmal die Mühe machen, irgend etwas als
angebliche Aussage des Bundeskanzlers zu zitieren,
sondern daß Sie in offenkundig freier Formulierung aus
Ihrer Sicht eine Interpretation vornehmen.
Der zweite Punkt. Es ist richtig, daß im Haushalt des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung im
nächsten Jahr ein Steigen der Mittel vorgesehen ist. Es
ist richtig, daß die für den Bereich der Verkehrstechnik
und Mobilität wichtige Industrie darauf aufmerksam
gemacht worden ist und gemacht wird, daß wir einen
neuen Förderschwerpunkt setzen, daß jede Art von Unternehmen in diesem Bereich die Möglichkeit hat, sich
mit qualifizierten Projekten einzubringen, und daß die
neue Bundesregierung dem Bereich Mobilität und Verkehr eine erhöhte Aufmerksamkeit schenken wird.
Die Regierungsbefragung ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 14/2207, 14/2222 Wir kommen zunächst zu den Dringlichen Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Lothar Ibrügger zur Verfügung.
Ich rufe auf die Dringliche Frage 1 des Abgeordneten
Georg Brunnhuber:
Trifft der Bericht im „Spiegel“ vom 29. November 1999 zu,
wonach dem Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Reinhard Klimmt, zu einem Zeitpunkt, als er noch
nicht Bundesminister war, antiquarische Bücher im Wert von ca.
25 000 DM von einem Geschäftsmann, der einst Geschäftsführer
einer Sportagentur war, finanziert worden sind?
Lieber
Kollege Brunnhuber, die Bundesregierung hat keine
eigenen Kenntnisse über den in der Frage dargestellten
Sachverhalt. Ansonsten wird auf die Erklärung des Landesverbandes Saar der SPD, dessen Vorsitzender Herr
Klimmt ist, verwiesen. Danach trifft der erwähnte Bericht so nicht zu, sondern es ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Seit Jahren engagiert sich Herr Klimmt zusammen
mit weiteren Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft
und Wissenschaft für den Aufbau eines Zentrums für
Druck- und Buchkultur in der saarländischen Gemeinde
Wadgassen. Im Rahmen seines Engagements hat Herr
Klimmt für dieses Projekt in den letzten Jahren zahlreiche Druckmaschinen und Bücher gesammelt und teilweise auch selbst erworben. Anfang der 90er Jahre hat
er für Rechnung eines Geschäftsmannes für das Projekt
antiquarisch zirka 1 500 politische und zeitgeschichtliche Bücher zum Preis von 25 000 DM ausgesucht. Der
Inhaber des Antiquariats, bei dem die Bücher ausgesucht
worden sind, hat diesen Sachverhalt schriftlich bestätigt
und nachgewiesen. Die Bücher sind nach Gründung der
Gesellschaft zur Förderung der Buchkultur in deren Besitz übergegangen.
Eine Zusatzfrage? Bitte, Herr Kollege.
Letzteres hätte ich
gern noch einmal bestätigt. Es gibt eine eindeutige Erklärung des Herrn Ministers, wenn ich Sie recht verstanden habe, daß eine Eigentumsübergabe mit klarer Beurkundung vorhanden ist. Gibt es eine eindeutige Aussage
dazu, wo die Bücher derzeit lagern?
Herr Kollege Brunnhuber,
ich wiederhole den Eingangssatz für die Bundesregierung: Die Bundesregierung hat keine eigenen Kenntnisse über den in der Frage dargestellten Sachverhalt. Sie
beziehen sich auf einen Bericht der „Spiegel“Redaktion. Erster Teil der Antwort.
Zweiter Teil. Ich stelle Ihnen gern den vollen Wortlaut der Erklärung des Landesverbandes Saar zur Verfügung, auf den sich auch in diesem Fall die Antwort der
Bundesregierung bezieht, da sie keine eigenen Erkenntnisse besitzt.
Ich rufe auf die
Dringliche Frage 2 des Kollegen Brunnhuber:
Um welche Bücher mit welchem Wert handelt es sich?
Frau Präsidentin, die Frage
ist bereits im Zusammenhang mit der Nennung der Zahl
der Bücher beantwortet worden.
Zusatzfrage? - Kollege Brunnhuber, bitte eine kurze Zusatzfrage.
Ich habe noch
eine Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung nicht darum bemüht, eigene Erkenntnisse
zu gewinnen?
({0})
Herr Kollege Brunnhuber,
die Bundesregierung ist tätig geworden, nachdem Sie
eine Dringliche Frage im Parlament gestellt haben. Sie
haben als Abgeordneter das Recht auf eine Antwort
durch die Bundesregierung. Diese Antwort habe ich
Ihnen eben gegeben. Die Bundesregierung selbst hat
keine eigenen Erkenntnisse über den dargestellten Sachverhalt. Aber ich stelle Ihnen darüber hinaus gern den
Text der Erklärung des Landesverbandes Saar zur Verfügung, auf den die Antwort der Bundesregierung abhebt.
Bitte, Kollege
Brunnhuber.
Da es direkt den
Herrn Bundesminister Klimmt betrifft, frage ich Sie, ob
er selbst eine Erklärung dazu abgegeben hat und ob man
diese Erklärung auch bekommen kann.
Herr Kollege Brunnhuber,
ich habe Ihnen für die Bundesregierung geantwortet und
kann Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt, nachdem wir
in der Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen unsere Arbeit erfüllt haben, nicht sagen, ob es eine Erklärung dazu gibt oder nicht. Ich habe
Ihnen für die Bundesregierung den Sachverhalt dargelegt und erklärt, worauf die Kenntnisse der Bundesregierung beruhen.
Die Frage des Kollegen Koppelin, bitte.
Herr Staatssekretär, da
die Bundesregierung so wenige Erkenntnisse darüber
hat, möchte ich Sie fragen: Hat denn die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, daß die Meldung stimmt, der
Geschäftsmann, von dem die Schenkung kommt, sei im
April 1997 wegen Untreue und Beihilfe zur Bilanzmanipulation zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten auf
Bewährung sowie zur Zahlung einer Geldstrafe von
30 000 DM an eine gemeinnützige Organisation verurteilt worden?
Herr
Kollege Koppelin, ich nehme Ihre Information zur
Kenntnis und wiederhole hier: Die Bundesregierung hat
auf Dringliche Fragen der Kollegen geantwortet. - Sie
haben jetzt weitere Informationen eingebracht, die nicht
unmittelbar Gegenstand der Fragen der Kollegen waren.
Wir kommen zur
Dringlichen Frage 3 des Abgeordneten Norbert Königshofen:
Trifft der Bericht des „Spiegel“ vom 29. November 1999 zu,
daß die Feier des 50. Geburtstages von Bundesminister Reinhard
Klimmt in großem Umfange von einem Geschäftsmann gesponsert wurde, und wie steht die Bundesregierung dazu?
Herr
Kollege Königshofen, die Bundesregierung hat keine
eigenen Kenntnisse über die Durchführung eines vor
sieben Jahren stattgefundenen Geburtstagsempfangs einer Landtagsfraktion für ein jetziges Regierungsmitglied.
Ansonsten wird auf die Erklärung des Landesverbandes Saar der SPD, dessen Vorsitzender Herr Klimmt
ist, verwiesen. Danach hat die SPD-Landtagsfraktion
im August 1992 einen Empfang aus Anlaß des
50. Geburtstags von Herrn Klimmt ausgerichtet und war
Herr Klimmt in die Organisation des für ihn ausgerichteten Geburtstagsempfangs nicht eingebunden.
Herr Kollege, Frau Präsidentin, jetzt zur zweiten Frage des Kollegen Königshofen.
Dann muß ich vorher
die Dringliche Frage 4 des Abgeordneten Königshofen
aufrufen:
Gibt es geschäftliche Beziehungen zwischen der Bundesregierung einschließlich ihr nachgeordneter Behörden einerseits
und der in dem „Spiegel“-Bericht genannten Sportagentur andererseits?
Soweit
der Bundesregierung bekannt ist, bestehen derartige geschäftliche Beziehungen nicht. Ob die alte Bundesregierung solche geschäftlichen Beziehungen hatte, ist der
jetzigen Bundesregierung nicht bekannt.
Kollege Königshofen, haben Sie Zusatzfragen?
({0})
- Dann der Kollege Hörster, bitte.
Herr Staatssekretär,
ist die Bundesregierung in Anbetracht des gegenwärtig
offenbar mangelhaften Erkenntnisstandes bereit, diesen
durch weitere Nachforschungen zu verbessern und gegebenenfalls den Bundesminister über eine dienstliche
Erklärung zu veranlassen, hierüber Auskunft zu geben?
({0})
Herr
Kollege Hörster, Ihre Qualifizierung als „mangelhaften
Erkenntnisstand“ des Sachverhaltes - er beruht auf Presseerklärungen und einem Bericht des „Spiegel“ - kann
ich nicht nachvollziehen. Die Bundesregierung hat keine
eigenen Erkenntnisse.
({0})
Auf diesen Sachverhalt, der seit einigen Tagen in der
Öffentlichkeit bekannt ist, hat sie hingewiesen.
({1})
- Ich habe keinen Anlaß, dazu eine Aussage zu treffen.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit
auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Christa Nickels zur Verfügung. Ich rufe
die Frage 1 der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs auf:
Wie stellt sich für die Bundesregierung die im Verlaufe des
Jahres 1999 auf der Grundlage der Regelungen des Psychotherapeutengesetzes vom 16. Juni 1998 sowie der entsprechenden
Änderungen bzw. Ergänzungen im GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz vom 19. Dezember 1998 entstandene Situation hinsichtlich der Vergütung der Psychotherapeuten dar, und teilt die
Bundesregierung die Einschätzung, daß die Existenz der Psychotherapie-Praxen akut bedroht ist?
Frau Kollegin Fuchs, Ihre
Frage beantworte ich wie folgt: Die geltenden gesetzlichen Regelungen zur Vergütung psychotherapeutischer
Leistungen im Jahr 1999 und deren Auswirkungen sind
am 23. Juni 1999 im Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages sowie mit Vertretern verschiedener
psychotherapeutischer Berufsgruppen im Bundesministerium für Gesundheit am 16. Juni 1999 eingehend
erörtert worden. Dabei ist deutlich geworden, daß die
vorhandenen Daten nicht ausreichen, um weiterführende
politische Entscheidungen unter Berücksichtigung der
regionalen Besonderheiten treffen zu können.
Das Bundesministerium für Gesundheit hat deshalb
die Kassenärztliche Bundesvereinigung aufgefordert, die
zur Zeit verfügbaren Daten zur Vergütungssituation der
Psychotherapeuten in den Regionen der einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen vorzulegen. Auf Grund regional sehr unterschiedlicher Rahmenbedingungen sind
solche differenzierten Daten erforderlich, um den bestehenden Handlungsbedarf einschätzen zu können.
Eine Nachfrage der
Kollegin Fuchs, bitte.
Frau Staatssekretärin, danke
für Ihre Antwort. - Die Situation ist bekannt - in einigen
neuen Bundesländern sind die entsprechenden Daten
jetzt auch bestätigt -: Die Budgets sind aufgebraucht.
Mit welchem Zeitraum darf man rechnen, bis die Bundesregierung konkrete Vorschläge macht, um dieses
Problem entsprechend in einem gesetzlichen Rahmen zu
lösen?
Frau Kollegin Fuchs, ich
sagte schon: Wir haben die KBV dringlich gebeten, uns
die Daten zu übermitteln, und zwar aufgeschlüsselt nach
regionalen Besonderheiten. Es gibt ja 23 KVen. Als Abgeordnete, die aus den neuen Bundesländern kommt,
wissen Sie ja selber, daß gerade in den neuen Bundesländern Besonderheiten bestehen und daß man eine adäquate Regelung nur dann treffen kann, wenn man die
genaue Datenlage kennt. Wenn man auf die spezifische
Situation eingehen will, kann man das nicht regeln, indem man nach dem Gießkannenprinzip verfährt. Wir tun
alles, was wir können, damit wir die Daten - aus den
genannten Gründen aufgeschlüsselt nach regionalen Besonderheiten - bekommen. Herr Kirschner, Vorsitzender
des Gesundheitsausschusses, dessen Mitglied Sie ja
sind, hat die Bundesregierung gebeten, die erforderlichen Zahlen, sobald sie vorliegen, zu übermitteln. Er
möchte dieses Thema sofort im Januar auf die Tagesordnung des Gesundheitsausschusses setzen. Wir begrüßen das. Wir brauchen wirklich handfestes Material,
damit wir aus Sicht der Bundesregierung - abgesehen
von der Auffangregelung, von der Sie wissen, daß sie
besteht - einschätzen können, ob und, wenn ja, was hier
noch getan werden muß.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Seifert.
Frau Staatssekretärin, Ihrer
Antwort entnehme ich, daß Sie das Problem durchaus
ernst nehmen, aber jetzt warten wollen, bis sich die Datenlage verändert. Unabhängig davon muß es aber doch
in Ihrem Haus schon gewisse Vorarbeiten für den jeweiligen Fall geben, so daß dann - je nachdem, wie die
Daten ausfallen - nur noch entschieden werden muß,
welche Variante gemacht wird. Sie könnten vielleicht
schon einmal die drei oder vier wichtigsten Eckpunkte
nennen, die für die jeweilige Situation gelten.
Herr Kollege Seifert, das
kann ich nicht. Der Sachverhalt ist der, daß hier etwas
über die Auffangregelung getan werden kann, wenn
akuter Handlungsbedarf besteht. Ob hier weiterer
Handlungsbedarf besteht, ist erst ersichtlich, wenn wir
die nach regionalen Besonderheiten spezifizierten Daten
haben. Wir können - wie ich schon gesagt habe - hier
nicht alles über einen Leisten scheren. Wir müssen
schauen, wo sich in den Regionen unter Umständen spezielle Probleme - wir wissen es nicht genau - ergeben.
Dazu müssen wir die Daten haben. Alles andere ist Kaffeesatzleserei. Das tun wir in unserem Ministerium
nicht.
Ich rufe jetzt Frage 2
der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die bisherigen Aktivitäten
und Positionen der Verbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen sowie der Aufsichtsbehörden der
Länder in Bezug auf eine Verbesserung der Vergütung der Psychotherapeuten, und welche eigenen konstruktiven Lösungsansätze - ggf. auch gesetzliche Maßnahmen - verfolgt die Bundesregierung, um eine angemessene Finanzierung der psychotherapeutischen Versorgung zu gewährleisten?
Zur Beantwortung der
Frage 2 möchte ich folgendes ausführen: Zu den in der
aktuellen Diskussion vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Inhalt und zu den Konsequenzen der
geltenden gesetzlichen Regelungen zur Vergütung psychotherapeutischer Leistungen im Jahre 1999 möchte
ich zunächst folgendes feststellen: Für die Vergütung
der Psychotherapeuten steht im Jahre 1999 für die jeweilige Versorgungsregion - das sind, wie gesagt, 23,
und ein Problem ist, daß wir die Daten aus allen 23 Regionen brauchen - der Kassenärztlichen Vereinigungen
ein Ausgabenvolumen jeweils für die einzelne KVVizepräsidentin Petra Bläss
Region zur Verfügung, welches sich aus folgenden
Komponenten zusammensetzt: den Ausgaben der Krankenkassen im Jahre 1996 für psychotherapeutische Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
und den Ausgaben für psychotherapeutische Leistungen
außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung im Jahre
1997.
Durch das am 1. Januar 1999 in Kraft getretene
GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz ist dieses Ausgabenvolumen noch erhöht worden, weil die neue Bundesregierung der Auffassung war, daß die Regelungen, die
damals gerade von der alten Regierung erlassen waren,
voraussichtlich nicht reichen würden. Also haben wir
dieses Ausgabenvolumen noch wie folgt erhöht: Erstens.
Die Summe, die für psychotherapeutische Leistungen
außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung zugrunde
zu legen ist, wurde um 40 Prozent erhöht. Zweitens. Das
Ausgabenvolumen, das für psychotherapeutische Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
einzustellen ist, erhöht sich um den Prozentsatz der Honorarsteigerungen für das Jahr 1999.
Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Vorgaben haben die Verbände der Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen das Vergütungsvolumen für
die psychotherapeutische Versorgung in der jeweiligen
Region im Jahre 1999 zu vereinbaren. Für den Fall, daß
die tatsächliche Entwicklung in den verschiedenen Vertragsregionen in einer vom Gesetzgeber nicht gewollten
Weise verläuft, greift eine sogenannte Auffangregelung.
Danach haben die Vertragspartner geeignete Maßnahmen zur Stützung des Punktwertes für psychotherapeutische Leistungen zu ergreifen, wenn dieser Punktwert
den für die ärztliche Beratungs- und Betreuungsleistungen geltenden Punktwert um mehr als 10 vom Hundert
unterschreitet.
Diese Auffangregelung nach Art. 11 Abs. 2 des Psychotherapeutengesetzes wird unterschiedlich interpretiert. Das Bundesministerium für Gesundheit vertritt dazu folgende Auffassung: Der Gesetzgeber verfolgt mit
der für das Jahr 1999 geltenden Übergangsregelung zur
Vergütung psychotherapeutischer Leistungen das Ziel,
die Vergütung dieser Leistungen in das vertragsärztliche
Vergütungssystem auf der Grundlage der oben angegebenen Vergütungsniveaus zu integrieren. Die Auffangregelung flankiert diesen Einstieg in das vertragsärztliche Vergütungssystem dahin gehend, daß eventuelle,
nicht gewollte Auswirkungen dieses Verfahrens auf die
Höhe der Vergütung psychotherapeutischer Leistungen
durch geeignete Maßnahmen für den Fall eines Absinkens des Punktwerts für diese Leistungen unter einen
bestimmten Grenzwert vermieden werden. Bei einer
Unterschreitung dieses Schwellenwertes sind nach der
gesetzlichen Regelung geeignete Maßnahmen zu treffen.
Eine Erhöhung der ärztlichen Gesamtvergütungen bei
Unterschreitung des Schwellenwertes ist auf Grund der
in Art. 14 GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz abschließend bestimmten Höhe der Gesamtvergütungen im Jahr
1999 nicht zulässig. Eine Begrenzung der Punktwertdifferenz kann darum nur durch Maßnahmen zur Stützung
des Punktwerts für psychotherapeutische Leistungen im
Rahmen des Honorarverteilungsmaßstabs erreicht werden. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind nach der
Auffassung des Gesundheitsministeriums hier im Rahmen der Auffangregelung verpflichtet, entsprechende
Maßnahmen durchzuführen.
Die Prüfung, ob die Vereinbarungen zur Festlegung
des Vergütungsvolumens für psychotherapeutische Leistungen den geltenden rechtlichen Vorgaben entsprechen, ist Aufgabe der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde.
Das ist strittig; darum habe ich es gleich gesagt. Es
gibt dazu auch die Stellungnahme von Herrn Dr. Hess.
Das ist aber ein Punkt, zu dem die Rechtsauffassungen
unterschiedlich sind.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Simone Probst zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Paul Laufs
auf.
Wann kann mit dem Abschluß der gegenwärtig noch laufenden Prüfung der Unterlagen für Atomtransporte und mit der Erteilung von Beförderungsgenehmigungen durch das Bundesamt
für Strahlenschutz gerechnet werden?
Herr Kollege Laufs, Sie fragen danach, wann
mit dem Abschluß der gegenwärtig noch laufenden Prüfung der Unterlagen für Atomtransporte und mit der Erteilung von Beförderungsgenehmigungen durch das
Bundesamt für Strahlenschutz gerechnet werden kann.
Ich kann diese Frage nicht pauschal beantworten,
denn beim Bundesamt für Strahlenschutz liegen Anträge
auf Erteilung von Beförderungsgenehmigungen für drei
verschiedene Transporttypen vor. Die erste Gruppe von
Anträgen betrifft innerdeutsche Transporte von den
Kraftwerken in das Zwischenlager Ahaus. Die zweite
Gruppe betrifft die Transporte von Glaskokillen von der
Wiederaufarbeitung in Frankreich nach Gorleben, und
das dritte sind Anträge für Transporte von deutschen
Kraftwerken zu den Wiederaufarbeitungsanlagen in
England und Frankreich.
Eine Begutachtung der geplanten Schutzmaßnahmen
gegen das Überschreiten der zulässigen Kontaminationsgrenzwerte erfolgte getrennt nach diesen drei Transporttypen. Deshalb möchte ich Sie über die einzelnen
Transporttypen informieren.
Zum ersten Bereich: Das Gutachten für die innerdeutschen Transporte wurde am 10. Mai 1999 fertiggestellt
und ist eine Grundlage für die Entscheidung der zuständigen Behörden zur Erteilung der entsprechenden Genehmigungen.
Um deutlich zu machen, welche Behörden daran beteiligt sind, zähle ich diese einmal auf: Zum einen ist das
Bundesamt für Strahlenschutz für die Beförderungs- und
Einlagerungsgenehmigung sowie für die verkehrsrechtParl. Staatssekretärin Christa Nickels
liche Zulassung der Behälter unter Hinzuziehung der
Bundesanstalt für Materialprüfung und -forschung als
Gutachter zuständig, zum anderen das Eisenbahnbundesamt für die Beförderungsgenehmigungen leerer Behälter und schließlich die Landesbehörden für die Beladung der Behälter. Für die Einlagerung selbst ist die abschließende Zustimmung der Länderaufsichtsbehörden
und für den Transport die der Länderinnenbehörden erforderlich.
Zum zweiten Bereich: Das Gutachten für die Glaskokillentransporte wurde am 24. Juni dieses Jahres fertiggestellt und ist ebenfalls eine Grundlage für die Entscheidung der zuständigen Behörden. Die Vorgehensweise stimmt mit der bei den innerdeutschen Transporten überein.
Es gibt eine etwas andere Situation bei den Genehmigungen für die Transporte zu den deutschen Zwischenlagern. Vielleicht kann ich zu diesen beiden Punkten
ganz konkret auf Ihre Frage bezüglich der Transportgenehmigung sagen: Die Genehmigungen für die Transporte zu den deutschen Zwischenlagern werden erteilt,
sobald die Forderungen der Gutachten umgesetzt sind
und die übrigen Voraussetzungen, die ich eben erwähnte, bei den Behörden vorliegen.
Es gibt für den dritten Bereich das Gutachten, das am
22. November dieses Jahres vom EBA veröffentlicht
wurde. Dies ist das „Gutachten zur Beförderung abgebrannter Brennelemente in die Wiederaufarbeitungsanlagen“. Mit der Abarbeitung der in diesem Gutachten für
die Wiederaufarbeitungstransporte enthaltenen und von
den Betreibern akzeptierten Empfehlungen werden den
verkehrs- und atomrechtlich zuständigen Behörden die
notwendigen Voraussetzungen für eine entsprechende
Bescheidung vorliegen.
Vor der abschließenden Klärung, daß die Kontaminationsüberschreitungen während des gesamten Zyklus
mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sind, können Beförderungsgenehmigungen zu den Wiederaufbereitungsanlagen nicht erteilt werden. Wann diese abschließende Klärung herbeigeführt sein wird, hängt von
der Bereitstellung der für die Abarbeitung der Empfehlungen notwendigen Unterlagen durch die Betreiber ab.
Kollege Laufs, eine
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
nachdem der Vertreter des Bundesamtes für Strahlenschutz bei der Anhörung des Umweltausschusses am
Montag dieser Woche festgestellt hat, daß zum Beispiel
für die innerdeutschen Transporte alle technischen und
radiologischen Fragen auf Bundesebene am 19. November dieses Jahres abgearbeitet waren, frage ich Sie: Welche Sachgründe halten Sie davon ab, eine konkrete
Antwort zu geben, nachdem die Bundesregierung in der
Fragestunde vom 8. September festgestellt hat, daß nach
Vorlage aller Unterlagen maximal vier Wochen gebraucht werden, bis eine Genehmigung für solche
Transporte erteilt wird?
Herr Kollege Laufs, Sie haben aus der Anhörung nur einen Teil der Antwort des Bundesamtes für
Strahlenschutz zitiert. Das Bundesamt für Strahlenschutz ist die Genehmigungsbehörde. Ich verweise auf
die sehr ausführliche Antwort des Vertreters des Bundesamtes für Strahlenschutz. Um nur einen Punkt zu
nennen: Das Bundesamt für Strahlenschutz hat die Innenbehörden der Länder und auch das Bundesinnenministerium auf dem vorgesehenen Weg um Stellungnahmen gebeten. Dies ist wesentlich bei der Frage - ich
möchte nicht für das Bundesamt für Strahlenschutz
sprechen; ich gebe nur das wieder, was auch in der Anhörung deutlich geworden ist -, ob das Bundesamt für
Strahlenschutz diese Genehmigung erteilt hat.
Wir haben in der Anhörung sehr ausführlich über die
Einzelvoraussetzungen - aus Sicht der Polizei und aus
Sicht der Innenbehörden - debattiert. Es ging auch um
andere Bereiche. Ich erinnere an die Moderatorproblematik aus technischer Sicht, die zwischenzeitlich aufgetreten war. Dies alles muß vom Bundesamt für Strahlenschutz geprüft werden. Wenn die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen, werden die Genehmigungen für die
Transporte erteilt.
Zweite Zusatzfrage,
Kollege Dr. Laufs, bitte.
Es ist richtig, daß der
Vertreter des Bundesamtes für Strahlenschutz einen
Hinweis auf die öffentlichen Interessen nach § 4 Abs. 2
Nr. 6 des Atomgesetzes gegeben hat. Aber im Hinblick
auf frühere Genehmigungen möchte ich Sie noch einmal
fragen, warum Sie nicht konkrete Zeiträume benennen
können, bis diese Routineprüfungen abgeschlossen sind
und eine Transportgenehmigung, zum Beispiel für innerdeutsche Transporte, erteilt werden kann.
Die Frage ist sehr einfach zu beantworten, verehrter Kollege Laufs: Es müssen natürlich die Stellungnahmen der Innenbehörden vorliegen. Ich verweise darauf, daß das Bundesamt für Strahlenschutz die Innenministerien der Länder um Mitteilung gebeten hat, ob Tatsachen bekannt sind, die im Hinblick auf alle beantragten Transporttypen im Einzelfall überwiegend öffentliche Interessen - Sie haben es eben in Ihrer Frage genannt: § 4 Abs. 2 Nr. 6 des Atomgesetzes - begründen
könnten und die der Wahl der Art, der Zeit und des Weges der Beförderung entgegenstehen. Die Frage nach
diesen Prüfungen des Bundesamtes für Strahlenschutz,
das als Genehmigungsbehörde das Verfahren nach
Recht und Gesetz durchführt, kann ich hier nicht mit
konkreten Zeitangaben beantworten, weil alle Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sein müssen.
Ich verweise auf eine Debatte aus dem Landtag von
Sachsen-Anhalt - sie ist Ihnen sicherlich sehr gut bekannt -, in der es um die Frage des Weges ging. Der
Landtag von Sachsen-Anhalt hat am 12. November dieses Jahres in seiner 30. Sitzung einen sehr knappen, aber
auch sehr eindeutigen Beschluß gefaßt: Der Landtag von
Sachsen-Anhalt lehnt Castor-Transporte durch SachsenAnhalt ab. Das deutet darauf hin, daß sicherlich nicht
alle Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind.
Frau Kollegin Lippmann zu einer Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, kann
ich Ihre Ausführungen dahin gehend interpretieren, daß
es im nächsten Jahr, während in Hannover die EXPO
2000 stattfinden wird, keine Castor-Transporte nach
Gorleben geben wird?
So können Sie meine Antwort nicht interpretieren; denn ich habe gesagt, daß die Genehmigungsbehörde das Bundesamt für Strahlenschutz ist. Sobald alle
Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen, werden die
Transporte genehmigt.
Damit kommen wir
zur Frage 4 des Kollegen Dr. Paul Laufs:
Wird der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit der Aufforderung des niedersächsischen
Umweltministers Wolfgang Jüttner nachkommen, eine Weisung
auf Nichterteilung der Betriebsgenehmigung für die Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben auszusprechen?
Herr Kollege Laufs, auf Ihre Frage, ob der
Bundesumweltminister der Aufforderung des niedersächsischen Umweltministers Jüttner nachkommt, eine
Weisung auf Nichterteilung der Betriebsgenehmigung
für die Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben auszusprechen, könnte ich mit einem einfachen Nein beantworten. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß das niedersächsische Umweltministerium in der Verantwortung steht, das atomrechtliche
Genehmigungsverfahren für die Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben im Sinne des § 71 a ff. des Verwaltungsverfahrensgesetzes zu führen und zum Abschluß zu
bringen. Wir haben keinen Anlaß, daran zu zweifeln,
daß dies von niedersächsischer Seite nicht nach Recht
und Gesetz geschieht.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Dr. Laufs, bitte.
Kann Ihre Antwort dahin gehend interpretiert werden, daß mit einer dritten
Teilgenehmigung durch das Land Niedersachsen für die
Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben um die Jahreswende gerechnet werden kann?
Ich freue mich, daß hier anscheinend eine
große Interpretationsfreudigkeit herrscht. Aber ich bitte
doch, auf meine Antworten zu achten. Die Genehmigungsbehörde ist das Land Niedersachsen. Wir haben
keinen Zweifel daran, daß dieses Verfahren nach Recht
und Gesetz durchgeführt wird.
Wir kommen nun
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr. Uschi Eid zur Verfügung.
Ich rufe Frage 5 des Abgeordneten Günter Nooke auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung im Vorfeld der Preisverleihung an einen ehemaligen Oberst der Staatssicherheit durch
das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen ({0})
beteiligt bzw. unterrichtet worden, vergleiche „Morgenpost“
vom 21. Oktober 1999, und was hat die Bundesregierung gegebenenfalls im nachhinein in dieser Angelegenheit unternommen?
Herr Kollege Nooke, die Antwort auf Ihre
Frage lautet wie folgt: Die Bundesregierung hat Professor Dr. Fischer weder für die Preisverleihung vorgeschlagen oder einen solchen Vorschlag weitergeleitet,
noch war sie an der Auswahl des Preisträgers beteiligt.
Die Vereinten Nationen konsultieren weder bei Vorschlag noch bei Auswahl von VN-Preisträgern deren
Heimatregierungen, sondern teilen lediglich den Tatbestand einer Auszeichnung mit.
Am 3. August 1999 unterrichtete der Direktor für Öffentlichkeitsarbeit der Vereinten Nationen unsere Ständige Vertretung bei den Vereinten Nationen in New
York schriftlich davon, daß das zuständige VNAuswahlkomitee Professor Dr. Fischer als einen von
sechs Preisträgern für die UNDP-Auszeichnung 1999
„Wettlauf gegen Armut“ bestimmt hat. Weder UNDP
noch unsere Ständige Vertretung in New York hatten
vor der Preisverleihung am 8. September 1999 Kenntnis
über die frühere Zugehörigkeit des Preisträgers zum Ministerium für Staatssicherheit. Im nachhinein hat sie
UNDP hierüber unterrichtet.
Kollege Nooke, eine
Zusatzfrage, bitte.
Darf ich Ihre Antwort
so interpretieren, daß der Name der Ständigen Vertretung sehr wohl bekannt war, daß sie aber nicht nachgefragt und recherchiert hat, was sich hinter dem Lebenslauf von Oberst Fischer verbarg und daß es bezüglich
seiner beruflichen Ausbildung in der DDR in diesem
Lebenslauf falsche Angaben gab?
Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung: Die Ständige Vertretung wurde über die
Tatsache unterrichtet, daß die Vereinten Nationen einen
Preisträger ausgewählt haben. Dies hat die Ständige
Vertretung erst einmal zur Kenntnis genommen. Sie hat
vor dem 8. September nicht gewußt, daß er Mitglied des
Ministeriums für Staatssicherheit war.
Herr Kollege Nooke,
eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Mich würde interessieren, ob der Prozeß, den Sie eben geschildert haben, gängige Praxis ist und inwieweit die Bundesregierung Vorschläge erarbeitet, um dies zu verändern. Auch meine
zweite eingereichte Frage weist darauf hin. Ich würde
dann noch einmal eine Zusatzfrage stellen.
Um Ihnen gleich die Möglichkeit für die
zwei Zusatzfragen zu lassen, möchte ich einfach antworten, daß eine Stasi-Verbindung des Preisträgers nicht
bekannt war und daß eine Auszeichnung durch die Vereinten Nationen nicht Anlaß für eine Personalüberprüfung durch die Bundesregierung sein kann.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Lippmann.
Frau Staatssekretärin, angesichts der Tatsache, daß Herr Professor Fischer als ehemaliges Mitglied des Ministeriums für Staatssicherheit
im Rahmen seiner Mitgliedschaft in der nationalen Armutskonferenz der Bundesrepublik Deutschland mit
einer Urkunde für sein ehrenamtliches Engagement gegen Armut ausgezeichnet wurde, frage ich Sie: Plant die
Bundesregierung, um in ähnlichen Fällen künftig internationale Auszeichnungen zu verhindern, Gesetzesrichtlinien zu erlassen, die ehrenamtliche Tätigkeiten von
ehemaligen, auch im Ruhestand befindlichen Mitgliedern des Ministeriums für Staatssicherheit untersagen?
Ich betone noch einmal, daß die Tatsache,
daß die Vereinten Nationen jemanden zum Preisträger
erwählen, nicht dazu führt, daß die Bundesregierung eine Personalüberprüfung in Gang setzt.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Ostrowski, bitte.
Frau Staatssekretärin,
gehe ich also recht in der Annahme, daß die Vereinten
Nationen den Preis für gezeigte Leistungen verliehen
haben? Andersherum gefragt: Können Sie sich vorstellen, daß die Vereinten Nationen einen Preisträger auswählen, der keine Leistungen erbracht hat?
Da müssen Sie den Generalsekretär der
Vereinten Nationen fragen. Ich habe nicht das Mandat,
hier für ihn zu sprechen.
({0})
Ich rufe die Frage 6
des Kollegen Nooke auf:
Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die nationalen Regierungen in den Entscheidungsprozess des UNDP
über Preisverleihungen stärker eingebunden werden, und wie
begründet sie ihre Haltung?
Die Antwort auf Ihre zweite Frage lautet
folgendermaßen: Die Bundesregierung wird sich nicht
dafür einsetzen, daß die nationalen Regierungen vor
VN-Auszeichnungen an einzelne Personen oder Organisationen der Zivilgesellschaft offiziell konsultiert werden. Bei 158 Mitgliedsländern mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen bezüglich der Gewährung von Meinungsfreiheit ist das bisherige Verfahren der Vereinten
Nationen sinnvoll, denn bei Auszeichnungen der Vereinten Nationen für den Einsatz zum Beispiel für Menschenrechte, Armutsbekämpfung oder andere VNAufgaben treffen die Geehrten nicht immer auf vorbehaltlose Unterstützung und Wohlwollen ihrer Heimatregierungen.
Kollege Nooke, bitte
Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
ist Ihnen bekannt, daß das zuständige UN-Büro in Genf
die Auszeichnung nachträglich in der Form kommentiert
hat, daß man, wenn man darüber informiert gewesen
wäre, daß Herr Fischer früher in Potsdam-Golm den
Lehrstuhl für politische Untergrundtätigkeit innehatte
und dort gelehrt hatte, diese Auszeichnung nicht verliehen hätte? Wie wollen Sie in Zukunft solche Fälle verhindern, wenn Sie sich jetzt auf die Position zurückziehen, daß Sie sich darum nicht weiter kümmern wollen?
Meines Erachtens müßte hier noch einmal ganz klar
gesagt werden, wie Sie in Zukunft Schaden vom Land
abwenden wollen, wenn Deutschland als einziges Land
- er war der einzige Europäer, der ausgezeichnet wurde -,
sich nicht darum kümmert, daß die UN umfassend informiert werden - wie es ja anscheinend im Interesse der
UN liegt.
Es ist mir bekannt, daß UNDP auf Grund
dieser Informationen, die unsere Ständige Vertretung
den UN gegeben hat, am 20. Oktober 1999 eine Presseerklärung mit folgendem Wortlaut abgegeben hat:
UNDP had no indication of Prof. Fischer's alleged
involvement with Stasi. Had such information been
offered to UNDP and confirmed to be true, UNDP
would not have considered Prof. Fischer as a candidate in its annual poverty awards ceremony.
Soweit die Antwort auf den ersten Teil Ihrer Frage.
({0})
- Okay: UNDP hatte keine Hinweise darauf, daß Professor Fischer angeblich in eine Stasi-Tätigkeit involviert
war. Hätte UNDP eine solche Information gehabt und
sich diese als wahr herausgestellt, hätte UNDP Professor
Fischer nicht als Kandidaten für diesen jährlichen Armutspreis aufgestellt.
({1})
Ihre Frage richtet sich nicht an uns. Ich könnte
sie allenfalls in Form eines Wunsches an die UNOrganisationen weitergeben, daß sie die nationalen Regierungen fragen, wenn sie jemanden aus einem bestimmten Land auswählen und es Anhaltspunkte geben
könnte, daß mit dem Ausgewählten etwas nicht stimmt.
Aber ich wiederhole: Wir werden keine Schritte unternehmen, die dazu führen könnten, daß dies zur Regel
wird, weil es genügend Länder auf dieser Erde gibt, die
beispielsweise gar kein Interesse daran haben, daß Oppositionelle, die sich besonders in Sachen Menschenrechte hervortun, einen solchen Preis bekommen. Wir
wollen verhindern, daß nationale Regierungen Menschen möglicherweise denunzieren.
({2})
Kollege Nooke, eine
letzte Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
wenn Sie jetzt das Hohelied von Nichtregierungsorganisationen und deren Freiheit singen, dann frage ich Sie,
ob die Bundesregierung eine Beziehung zur Förderung
des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes oder des Landesverbandes Brandenburg oder Sachsen des Arbeitslosenhilfeverbandes sieht. Diese Förderung aus öffentlichen
Kassen führt ja letztlich dazu, daß Leute überhaupt erst
in der Öffentlichkeit agieren können und für solche
Auszeichnungen in Frage kommen.
({0})
Das ist nun nicht mein Ressort. Wir begrüßen immer, wenn Organisationen, die sich im entwicklungspolitischen Bereich ehrenamtlich betätigen,
entsprechende Auszeichnungen bekommen.
({0})
Frau Kollegin Lippmann, Sie haben eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ich
gehe davon aus, daß die Bundesregierung nicht plant,
eine Richtlinie zu erlassen, die ehemaligen Mitarbeitern
des Ministeriums für Staatssicherheit oder anderen Menschen, die in entsprechenden Positionen gearbeitet haben, ausdrücklich verbietet, sich in der Bundesrepublik
Deutschland ehrenamtlich zu engagieren.
Ich vertrete das Entwicklungspolitikressort. Von daher haben wir auch nicht solche Gesetze anzuregen. Ihre Frage müßte daher von einem anderen
Mitglied der Bundesregierung beantwortet werden. Ich
kann Ihnen allenfalls eine schriftliche Antwort zusagen,
sofern Sie darauf bestehen.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Ostrowski.
Frau Staatssekretärin,
in Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit, die im Osten
Deutschlands herrscht, frage ich Sie, ob Sie - im Gegensatz zu meinem verehrten Kollegen Nooke - meiner
Meinung sind, daß die Arbeit von Menschen, die sich
beispielsweise in Vereinen und Verbänden engagieren,
um Arbeitslosen zu helfen, im öffentlichen Interesse
liegt und der Staat demzufolge dafür auch öffentliche
Gelder bereitstellen sollte, wie er ja auch andere Vereine
und Verbände wie etwa die Caritas fördert.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich mache darauf aufmerksam, daß die
Kollegin Eid hier als Staatssekretärin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Verfügung steht. Ich erlaube gleichwohl
eine kurze Antwort; aber dann werden wir dieses Thema
beenden.
Zunächst einmal ist zu begrüßen, wenn
sich Menschen ehrenamtlich betätigen. Was mein Ressort angeht, so ist dies zum Beispiel bei der Stiftung
„Nord-Süd-Brücke“ oder bei den „Eine Welt“-Läden der
Fall. Ich habe viele von ihnen in den neuen Bundesländern besucht. Allerdings handelte es sich bei dem hier in
Rede stehenden Preisträger um einen Einzelfall, von
dem im nachhinein bekanntgeworden ist, daß er ein
Stasi-Mitglied war. Nun ist es das Recht von UNDP, zu
sagen, er hätte den Preis nicht bekommen, wenn man
dies vorher gewußt hätte. Das habe ich erst einmal gar
nicht zu kommentieren.
({0})
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf.
Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Eckhart Pick zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Michelbach auf:
Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Vorgänge um die Philipp Holzmann AG die derzeitigen Regelungen des
Aktienrechts und insbesondere des Gesetzes zur Kontrolle und
Transparenz im Unternehmensbereich ({0}) für ausreichend, um die Haftung der Vorstände und Aufsichtsräte bei
Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht sicherzustellen, und wenn nein,
welche gesetzlichen Änderungen zieht sie in Erwägung?
Die Frage des Herrn Kollegen
Michelbach bezieht sich aktuell auf die Verantwortlichkeit von Organen von Aktiengesellschaften, speziell der
Holzmann AG.
Ich darf wie folgt antworten: Die Bundesregierung das gilt übrigens für die alte wie auch für die neue Bundesregierung - ist immer dafür eingetreten, daß Gesellschaftsorgane bei Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten
scharf in die Haftung genommen werden. Dies hat auch
die damalige Opposition schon im Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im
Unternehmensbereich - kurz: KonTraG - in der letzten
Wahlperiode deutlich gemacht. Allerdings muß man sagen, daß nach dem deutschen Aktiengesetz kein Problem mit den Haftungstatbeständen besteht. Die Haftung
von Vorständen und Aufsichtsräten ist in unserem Recht
sehr scharf, insbesondere nach § 93 Abs. 2 Aktiengesetz
sogar mit einer Beweislastumkehr verbunden.
Das Nadelöhr liegt nicht im Tatbestand, sondern bei
der Geltendmachung. Die Haftungsansprüche stehen
nämlich der Gesellschaft zu, da zunächst die Gesellschaft geschädigt ist. Wenn aber das jeweils andere Organ der Gesellschaft nicht bereit ist, einen Haftungsanspruch geltend zu machen und sich auch in der Hauptversammlung keine Mehrheit hierfür findet, so stellt sich
die Frage, wie eine Minderheit die Klageerhebung erzwingen kann.
Hierzu sieht § 147 Aktiengesetz ein Klageerzwingungsverfahren vor, das durch das KonTraG vor gut anderthalb Jahren noch einmal verschärft worden ist. Nach
Abs. 3 haben auch Minderheiten, die nur ein Zwanzigstel des Grundkapitals oder 500 000 Euro an Nennbetrag aufbringen, eine solche Klageerzwingungsmöglichkeit.
Im Falle Holzmann ist es wohl nicht so, daß die
Hauptversammlungsmehrheit eine Inanspruchnahme
früherer Vorstandsmitglieder verhindern möchte und
daß es jetzt ein Problem des Minderheitenschutzes geben würde. Soweit der Bundesregierung bekannt ist, haben offenbar der neue Vorstand und der neue Aufsichtsrat nach 1997 mehrere Rechtsgutachten eingeholt und
Sonderprüfungen vorgenommen, um die Frage der Verantwortlichkeit des Altvorstandes zu prüfen. Auch ist
die Entlastung dieser Vorstandsmitglieder in den letzten
Hauptversammlungen nicht erteilt worden.
Gegenwärtig sieht die Bundesregierung keinen
Handlungsbedarf. Die Bundesregierung wird die weitere
Entwicklung jedoch sehr genau beobachten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, ob sich die im KonTraG
vorgesehenen Instrumente bewähren oder nicht.
Kollege Michelbach,
bitte Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
wurde im Falle Holzmann im Rahmen des Steuergeschenks an die Deutsche Bank auch die Frage etwaiger
Verstöße und die Eingrenzung des dort vorhandenen
Überschneidungsgeflechtes bei Entscheidungen von
Vorstand - auch dem neuen Vorstand -, dem Aufsichtsratsvorsitzenden und der Deutschen Bank angesprochen? Mit diesen Personen ist ja offen verhandelt worden. Stellt sich nicht auch Ihnen die Frage, ob man in
diesem Zusammenhang nicht auch die Haftungsfrage
und die Verstöße gegen das KonTraG hätte ansprechen
und klären müssen?
Herr Kollege, haben Sie Verständnis dafür, daß ich über diese Verhandlungen - Sie
haben sie so bezeichnet - keine authentischen Aussagen
treffen kann. Ich gehe davon aus, daß es im Interesse der
jetzt geretteten Gesellschaft ist.
({0})
- ich denke, wir alle hoffen, daß dieses Unternehmen
gerettet ist -, daß das Unternehmen in eigener Verantwortung eventuelle Schadenersatzansprüche gegen frühere Organe sehr ernsthaft und gründlich prüft.
Kollege Michelbach,
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß schon mehrere Monate die Insolvenz und die Überschuldung offenkundig
sind - diese sind nicht erst durch Sonderprüfungen zutage getreten -, frage ich Sie, ob Sie nicht auch der
Meinung sind, daß hier insbesondere die Aufsichtspflicht des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Aufsichtsrates erheblich verletzt wurde. Sind Sie ferner mit
mir der Auffassung, daß im Rahmen des KonTraG und
des Aktiengesetzes die Zahl der Aufsichtsratsmandate
von zehn auf drei zu reduzieren wäre, daß Vertreter
von Banken nicht in den Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen sitzen dürften und daß eine Verquikkung von Kreditgebern und Mitgliedern von Aufsichtsräten nicht mehr statthaft ist? Sehen Sie angesichts dieser Entwicklung die Möglichkeit - ein Kollege hat dies
bereits angesprochen -, das Aktiengesetz zu verschärfen?
Herr Kollege Michelbach, Sie
werden Verständnis dafür haben, daß ich mich einer
Bewertung des Verhaltens einzelner Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrates des betreffenden Unternehmens enthalten muß. Auf der anderen Seite erinnere
ich daran, daß wir gerade diese von Ihnen, Herr Michelbach, angesprochenen Punkte vor gut anderthalb Jahren
beim Erlaß des KonTraG - wir waren damals in der Opposition, und ich war Berichterstatter - zusammen mit
der Regierungskoalition behandelt haben. Es gab seinerzeit weitergehende Vorschläge, und zwar von beiden Seiten. Wir haben uns damals nicht durchsetzen
können.
Man wird in der Tat überprüfen müssen, ob man im
Lichte der Erfahrungen mit dem KonTraG in den letzten
anderthalb Jahre weiteren Handlungsbedarf sieht. Die
Bundesregierung wird, wie ich schon betont habe, sehr
sorgfältig beobachten, ob die Anzahl der Aufsichtsratsmandate sowie die möglichen Verflechtungen zwischen
Banken und anderen Wirtschaftsunternehmen überprüfungsbedürftig sind.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Technologie auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Siegmar Mosdorf zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Ralf
Brauksiepe auf:
Welcher Unterschied ergibt sich aus der Kenntnis der
Bundesregierung, wenn für den Wirkungsgrad einer Anlage
mit Gasturbinen und nachgeschalteten Dampfturbinen ({0}) der elektrische Wirkungsgrad im Sinne des Quotienten
aus der Brutto-Stromerzeugung vermindert um den Betriebseigenverbrauch und der zeitgleich technisch zugeführten Energie
aus Mineralöl festgelegt wird im Vergleich zur Festlegung auf
den Jahresnutzungsgrad als Quotienten aus der Summe der in
das elektrische Netz nach Abzug des Eigenverbrauchs für das
Kraftwerk abgegebenen elektrischen Energie und der Summe
der zugeführten nutzbaren Energie in einem Jahr, wenn der
Zeitpunkt des so erstmalig ermittelten Jahresnutzungsgrades auf
das Erreichen der viertausendsten Vollastbenutzungsstunde festgelegt wird?
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
elektrische Wirkungsgrad einer Anlage bezeichnet ihre
Leistungsfähigkeit zur Ausnutzung der eingesetzten
Brennstoffe zu einem bestimmten Zeitpunkt. Im Unterschied dazu können für die Ermittlung des Nutzungsgrades unterschiedliche Zeiteinheiten gewählt
werden, zum Beispiel jährliche Nutzungsgrade. Der
Nutzungsgrad ist damit eine zeit-/raumbezogene Größe. Wegen der unterschiedlichen Fahrweise eines
Kraftwerkes im Zeitraum eines Jahres wird der Jahresnutzungsgrad in der Regel immer niedriger sein als ein
unter definierten Bedingungen ermittelter Wirkungsgrad.
Im Mineralölsteuergesetz in der ab 1. Januar 2000
gültigen Fassung wird für die Steuerbefreiung von
Gas- und Dampfkraftwerken jedoch vom Wirkungsgrad
und nicht vom Jahresnutzungsgrad ausgegangen. Auf
diese Weise wird das Erreichen der 4 000. Vollastbenutzungsstunde für die Steuererhebung keine Rolle
spielen.
Kollege Brauksiepe,
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie vor dem Hintergrund dessen,
was im Gesetz steht, und vor dem Hintergrund, daß das
RWE in seinem Schreiben an den Ministerpräsidenten
des Landes Nordrhein-Westfalen vom Jahresnutzungsgrad ausgeht, die Absicht dieses Unternehmens, an seiner Zusage für die Durchführung seines Kraftwerkserneuerungsprogramms nur dann festzuhalten, wenn auf
den Jahresnutzungsgrad abgestellt wird?
Herr Kollege, mir liegt ein Schreiben des Vorstandes der RWE
an den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen,
Herrn Clement, vom 23. November vor, in dem der
RWE-Vorstand ausdrücklich betont - das ist jetzt bezogen auf die vereinbarte Grundlage -:
Wenn dieses Artikelgesetz im ersten Halbjahr 2000
im Rahmen der Novellierung des Energiewirtschaftsrechts in Kraft tritt und auch keine zusätzlichen Förderungen von Kraft-Wärme-Koppelungen
erfolgen, die über die in dem vorher erwähnten
Schreiben hinausgehen, werden wir an den geplanten Investitionen in Braunkohle und dem Ausbauprogramm wie bisher festhalten.
Das ist eine klare Zusage des RWE-Vorstandes auf der
Grundlage dessen, was wir vereinbart haben.
Eine zweite Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu und entspricht es auch Ihrer Kenntnis, daß das von Ihnen zitierte Schreiben im
Anschluß an die von Ihnen zitierte Stelle wie folgt
lautet:
Hinsichtlich des Wirkungsgrades von 57,5 Prozent
als Voraussetzung für die vorgesehene Mineralölsteuerbefreiung für neue Gaskraftwerke gehen
wir davon aus, daß für die Messung folgendes verbindlich festgelegt wird: Es ist auf den Jahresnutzungsgrad abzustellen.
Können Sie mir zustimmen, daß in dem von Ihnen
zitierten Zusammenhang von der RWE genau dies als
Bedingung genannt wird?
Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Einschätzung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, daß, obwohl Sie den elektrischen Wirkungsgrad
im Gesetz definiert haben, die Frage des Maßstabes auf
dem Verwaltungswege zu regeln wäre?
Parl. Staatssekretär Dr. Eckhardt Pick
Erstens
kann ich Ihnen zustimmen, daß das, was Sie eben zitiert
haben, in dem Schreiben des RWE-Vorstandes enthalten
ist. Zweitens ist das Haus bemüht, eine entsprechende
Regelung auf dem Verwaltungswege zu erreichen.
Herr Kollege Paziorek, Sie haben auch noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Meinung der Koalitionsfraktionen, geäußert während der Beratungen zu diesem Gesetz im Finanzausschuß am 5. November 1999,
wonach in diesem Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform bei der Festlegung der steuerlichen
Begünstigung für die GuD-Kraftwerke eine klare gesetzgeberische Entscheidung zugunsten des elektrischen
Wirkungsgrades getroffen worden sei und nicht zugunsten eines sogenannten Jahresnutzungsgrades? Wie sehen Sie vor dem Hintergrund dieses Beratungsganges
des Parlamentes überhaupt noch eine Möglichkeit, innerhalb von Verwaltungsvorschriften zwischen den verschiedenen Nutzungsgraden hin- und herzuspringen?
Verehrter
Herr Kollege, ich bitte Sie um Verständnis, daß ich nicht
von Ihnen mir gegenüber berichtete Äußerungen von
Kollegen aus der Finanzausschußsitzung vom 5. November 1999 kommentieren möchte. Dazwischen lag
nämlich noch eine Verhandlungsrunde, wie Sie wissen.
Der Brief vom RWE-Vorstand, den Ihr Kollege vorhin
zitiert hat, bezog sich auf ein späteres Ergebnis.
Herr Kollege Klinkert, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär,
wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkung der
Erdgassteuerbefreiung in der Verstromung auf die Arbeitsplätze in der Braunkohlenförderung und Braunkohlenverstromung? Teilt die Bundesregierung meine
Sorge, daß der Erhalt von vielleicht wenigen hundert
Arbeitsplätzen, die zum Beispiel im Kraftwerk Lubmin
als dem von dieser Regelung am meisten begünstigten
Kraftwerk entstehen können, zum Verlust von Tausenden an Arbeitsplätzen in der Lausitz, im mitteldeutschen
oder auch im rheinischen Revier führen könnte? Eine
Sorge übrigens, die auch in einem Brief Ihres Ministeriums zum Ausdruck kommt, in dem es heißt, daß eine
Befreiung von GuD-Anlagen von der Mineralölsteuer
mittel- und langfristig folgenschwere Konsequenzen
insbesondere für die ostdeutsche Braunkohlenwirtschaft
und -verstromung haben kann. Weiter heißt es in dem
Brief: Für den Fall einer Steuerbefreiung muß die Politik
die Frage beantworten, wie entsprechende Arbeitsplatzverluste kompensiert werden können.
Herr Kollege, ich weiß
nicht, von wann dieses Schreiben stammt.
({0})
Sie wissen, daß wir seit September mehrere Verhandlungsrunden hatten. Wir hatten die Sitzung am 5. November, dann gab es noch einen weiteren Termin. Inzwischen haben wir eine Konditionierung vorgenommen. Diese Konditionierung besagt, daß GuDKraftwerke mit einem elektrischen Wirkungsgrad von
57,5 Prozent, die zwischen dem 1. Januar 2000 und dem
31. März 2003 in Betrieb genommen werden, für zehn
Jahre vollständig von der Mineralölsteuer befreit werden. Diese Konditionierung ist erst nach diesem Schreiben vorgenommen worden, wie Sie wissen. Das führt
dazu, daß wir die Sorge, die Sie jetzt vorgetragen haben,
daß es zu tausendfachen Belastungen der Braunkohlenwirtschaft in Ostdeutschland und im Rheinland kommt,
nicht teilen. Wir glauben, daß die Braunkohle auch in
Zukunft ein wichtiger Träger unserer Energieversorgung
sein wird.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär,
birgt die Regelung, die Sie gerade angesprochen haben,
nicht die Gefahr, daß sie wegen einer einzelfallbezogenen Sonderregelung nicht verfassungskonform ist?
Ich kann
diese Frage jetzt nicht verfassungsrechtlich beurteilen da bitte ich Sie um Verständnis -, aber das ist eine Regelung, die wir einvernehmlich getroffen haben - wie
Sie wissen, hat der Bundesrat dem inzwischen zugestimmt -, so daß ich davon ausgehe, daß diese Regelung
jedenfalls tragfähig ist.
({0})
Wir kommen jetzt zu
der Frage 9 des Abgeordneten Dr. Martin Mayer:
Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung der Pauschalierung der Telefongebühren für Internetzugänge ({0}) im
Hinblick auf eine im Aktionsprogramm der Bundesregierung
„Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft
des 21. Jahrhunderts“ angestrebte schnelle Verbreitung der Internetanschlüsse in Deutschland bei?
Frau Präsidentin, Herr Kollege Mayer, wenn Sie einverstanden
sind, möchte ich die Fragen 9 und 10 zusammen beantworten.
Ich rufe also auch
noch die Frage 10 auf:
Wird die Bundesregierung die Einführung dieser Pauschalpreise in Deutschland fördern, und wenn ja, mit welchen Maßnahmen?
Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Mayer, die von der Bundesregierung vorangetriebene wettbewerbsorientierte Telekommunikationspolitik hat maßgeblich zur starken Absenkung der Preise für die Internetnutzung beigetragen.
Die Minutenpreise für den Internetzugang sind seit Anfang dieses Jahres um mehr als die Hälfte abgesunken;
ich spreche jetzt von der Hauptverkehrszeit. Auch die
Internet-Service-Provider haben in den letzten Monaten
ihre Preise deutlich reduziert.
Diese Preissenkungen haben zur derzeit beobachtbaren Wachstumsdynamik im Bereich der Internetnutzung
beigetragen. Ende 1998 hatten 7,5 Millionen Deutsche
oder 9 Prozent der Bevölkerung einen Internetzugang.
Für dieses Jahr wird mit einem weiteren kräftigen Zuwachs auf mindestens 11 Millionen Nutzer gerechnet.
Sie wissen, daß das ein sehr dynamischer Markt ist und
daß die Dynamik stark von den Preisen abhängt. Bis
2002 sollen nach unseren Voraussagen etwa 27 Millionen Nutzer einen Internetzugang haben.
Aus der Sicht der Bundesregierung sollte auch für
den Bereich des Internetzugangs der Grundsatz der Kostenorientierung gelten, da anderenfalls mit einer ineffizienten Nutzung knapper Ressourcen oder mit Wettbewerbsverzerrungen zu rechnen ist.
Nicht oder wenig ausdifferenzierte Flat-rate-Systeme
hätten die Wirkung, daß Wenignutzer Vielnutzer subventionieren würden. Ob hierdurch einer noch schnelleren Verbreiterung des Internets gedient wäre, ist unsicher.
Herr Kollege Mayer,
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr
Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Einführung
pauschaler Telefongebühren für den Internetzugang in
den USA zu einer wesentlichen Ausweitung der Internetwirtschaft insgesamt geführt hat und damit auch einem Ziel dienen würde, das die Bundesregierung für
Deutschland hat?
Das ist
mir durchaus bekannt. Sie wissen aber, daß es in den
USA andere Abgrenzungen, Abgrenzungen regionaler
Art, im Telefonbereich gibt als in Deutschland. Deshalb kann man das nicht ganz genau vergleichen. Aber
ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Es spricht
überhaupt nichts dagegen, wenn sich die Provider oder
die Diensteanbieter auf Flat rates einigen, zum Beispiel
in der Frage, ob man Bibliotheken oder Schulen günstige Zugänge erlaubt. Das kann man einem Monopolisten nicht gestatten, denn dann würde ein verzerrter Wettbewerb entstehen. Aber wenn sich alle Anbieter darauf verständigen könnten, ein solches besonderes Angebot zu machen, würde dagegen nichts sprechen.
Herr Kollege Mayer,
Ihre zweite Frage, bitte.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Einführung von Pauschalpreisen für Telefongebühren im
Zusammenhang mit Internetzugängen - Flat rate - in
Deutschland an der Haltung der Deutschen Telekom AG
scheitert, die für diesen Bereich, nämlich den Ortszugang, noch Monopolist ist, und daß es daher dringend
notwendig ist, daß von seiten der Bundesregierung
Maßnahmen ergriffen werden, um den Monopolisten
dazu zu bringen, diese Möglichkeit auch für andere Telefongesellschaften zu öffnen?
({0})
Lieber Herr
Kollege, Sie wissen, daß wir uns in einem sehr filigranen Prozeß der Liberalisierung befinden und daß wir auf
diesem Gebiet schon große Fortschritte erreicht haben.
Ich komme gerade vom Telekommunikationsrat der
Europäischen Union, der gestern in Brüssel getagt hat,
wo diese Fortschritte, vor allem auch in Deutschland,
gewürdigt worden sind. Ich glaube, wir sind einen
wichtigen Schritt vorangekommen.
Ich will das noch einmal ausdrücklich sagen: Die
Bundesregierung hat nach der Verabschiedung ihres
Aktionsprogramms, ihres Masterplans „Deutschlands
Weg in die Informationsgesellschaft“, zusammen mit
der Wirtschaft - die Deutsche Telekom und viele andere
Partner sind dabei - die Initiative „Deutschland 21“ gestartet. Inzwischen beteiligen sich an dieser Initiative
mehr als hundert Unternehmen. Das Ziel ist, gezielt
günstige Bedingungen für Schulen und Bibliotheken zu
erreichen. Zum Beispiel hat die Initiative die Absicht,
20 000 Patenschaften für Schulen zu organisieren, damit
wir das Ziel, alle Schulen zu tragbaren Bedingungen ans
Netz zu bekommen, möglichst schnell erreichen. Insofern sind wir, glaube ich, gemeinsam daran interessiert,
uns auf die Internet-Economy, auf die digitale Ökonomie, vorzubereiten und alle Voraussetzungen dafür zu
schaffen. Über die feinen Instrumentarien muß man jedesmal wieder neu beraten. Klar ist aber: Wir haben ein
Interesse daran, daß die Preise weiter sinken, damit sich
diese digitale Ökonomie verbreitern kann.
Sie haben noch zwei
Zusatzfragen, Herr Kollege Dr. Mayer. Bitte.
Darf
ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung
- auch im Interesse von Schulen und beispielsweise von
Haushalten, in denen es Kinder gibt, die im Internet surfen wollen - die Einführung einer Flat rate grundsätzlich
für richtig hält, daß sie dieses deshalb unabhängig von
den filigranen Fragen der Regulierung als politisches
Ziel erklärt und daß sie gegebenenfalls im Aktionsprogramm nachträglich nachbessert, um Telefongesellschaften in Deutschland die Möglichkeit zu eröffnen,
Internetzugänge zu Pauschalpreisen für das Telefon anzubieten?
Lieber Herr
Kollege, die Bundesregierung bessert nicht nach, sondern liefert gute Handwerksarbeit ab.
({0})
Das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Vorbereitung, „Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“, gehört sicher zu den guten Programmpunkten. Dieses Programm kann sich - wie Sie wissen - sehen lassen. Wie ich von Ihnen weiß, sehen Sie das auch
so.
Ich will noch einmal auf eines hinweisen: Wir dürfen
beim Vergleich mit dem amerikanischen Markt nicht
leichtfertig sein. Amerika hat ein anderes Telekommunikationssystem. Deshalb sind die Flat rates nicht einfach übertragbar. Aber noch einmal: Wenn sich die
Wettbewerber wettbewerbsneutral auf solche Flat rates
für bestimmte Einheiten - man kann das ja nur für bestimmte Einheiten, wie zum Beispiel Schulen und Bibliotheken, machen - einigen, dann wäre das nur zu begrüßen. Denn das würde die Verbreiterung der digitalen
Plattform erheblich erhöhen, und damit würden wir erheblich vorankommen. Das geht aber, wie gesagt, nur
wettbewerbsneutral. Man kann das nicht von einem
verlangen, der dann einen Vorteil gegenüber den Wettbewerbern hat. Man kann es auch nicht von bestimmten
Wettbewerbern - etwa über Lizenzauflagen - verlangen.
Es geht nur auf der dargestellten Basis. Wenn man das
im Rahmen der Initiative „D 21“ erreichen kann - warum nicht? Es würde jedenfalls helfen.
Die Bundesregierung ist daran interessiert, die Preise
insgesamt weiter herunterzubringen. So ist auch unsere
Regulierungspolitik angelegt.
Kollege Mayer, Ihre
letzte Frage. Bitte.
Sind
Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Flat rates in
den USA nicht nur bestimmten Gruppen, wie beispielsweise Schulen, sondern generell allen Endverbrauchern
gegeben werden? Ist die Bundesregierung politisch bereit, die Regulierungsbehörde zu unterstützen, wenn sie
daran arbeitet, daß alle Telefongesellschaften - selbstverständlich wettbewerbsneutral - die Möglichkeit erhalten, Pauschalpreise für Telefongebühren im Zusammenhang mit dem Internet anzubieten? Dazu ist selbstverständlich notwendig, daß die Deutsche Telekom AG
entsprechende Angebote an die übrigen Telefongesellschaften für die Nutzung des Ortsnetzes, das ja zu 99
Prozent noch der Deutschen Telekom AG gehört, macht.
Denn ohne deren Preisgestaltung gegenüber den Wettbewerbern können die Wettbewerber keine Pauschalpreise anbieten.
Lieber
Kollege Mayer, ich will nur darauf hinweisen - Sie
wissen es, aber ich möchte es noch einmal öffentlich
sagen -, daß die Flat rate in den USA nur für regionale,
also sehr begrenzte, örtliche Märkte gilt. Weil die
Systeme verschieden sind, kann man sie nicht ohne
weiteres vergleichen.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht: Ich hatte
schon in Beantwortung Ihrer vorhergehenden Frage gesagt, daß, wenn es eine wettbewerbsneutrale Initiative
der Wettbewerber gäbe, die Preise für bestimmte Bereiche weiter zu senken oder vielleicht sogar Flat rates vorzusehen, nach meiner Auffassung nichts dagegen spräche. Dies muß aber wettbewerbsneutral sein.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und
Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher zur Verfügung.
Da die Fragen 11, 12, 13 und 14 der Kollegen Niebel
und Zierer schriftlich beantwortet werden sollen, rufe
ich die Frage 15 des Kollegen Thomas Strobl auf:
Wie vereinbart es die Bundesregierung, Kapitallebensversicherungen als private Altersversorgung zu besteuern, mit ihrem
Ziel, die private Altersversorgung zu fördern?
Herr Abgeordneter Strobl, Sie haben nach den Belastungen durch
die sogenannte Rente mit 60 und der notwendigen Entlastung unseres Rentenversicherungssystems gefragt.
Hierzu ist zunächst anzumerken, daß die Bezeichnung „Rente mit 60“ mißverständlich ist. Anders als bei
den früheren Vorruhestandsregelungen gehen die Überlegungen zum vorzeitigen Ausscheiden jetzt von der
Voraussetzung aus, daß die gesetzliche Rentenversicherung nicht belastet wird, sondern daß dies durch Tarifvertrag aus dem Verteilungsspielraum des jeweiligen
Tarifbereichs zu finanzieren ist. Aus Sicht der Bundesregierung kann es deshalb nur darum gehen, für die Tarifvertragsparteien die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Deswegen wird der angesprochene
Sachverhalt durch die Bezeichnung „vorgezogene Tarifrente“ zutreffender erfaßt.
Wegen der geforderten Belastungsneutralität der vorgezogenen Tarifrente für die Rentenversicherung ist ein
Widerspruch zu der im Haushaltssanierungsgesetz enthaltenen Rentenanpassung nach der Preisveränderungsrate für die Jahre 2000 und 2001 nicht erkennbar. Diese
Übergangsregelung für zwei Jahre stellt den notwendigen Beitrag der Rentnerinnen und Rentner zur Konsolidierung und Stabilisierung des Rentensystems dar. Im
Gegensatz zur Rentenanpassung mit demographischem
Faktor, die die Rentenreform der alten Bundesregierung
vorgesehen hatte, wird dadurch die Rentenanpassung
nur für einen eng begrenzten Zeitraum, nicht aber auf
Dauer von der Lohn- und Gehaltsentwicklung abgekoppelt.
Dr. Martin Mayer ({0})
Langfristig bewirkt die zweimalige Rentenanpassung
nach der Preisveränderungsrate für die Rentenversicherung dennoch, daß bereits kurzfristig und dauerhaft rund
60 bis 70 Prozent der Einsparwirkung erreicht wird, die
der demographische Faktor der alten Bundesregierung
erst auf längere Sicht entfaltet hätte.
Frau Staatssekretärin, ich gehe davon aus, daß damit auch die Frage 16 beantwortet ist.
Nein, Frage
16 werde ich noch beantworten.
Dann rufe ich zunächst den Kollegen Strobl zu einer Zusatzfrage auf.
Frau
Staatssekretärin, teilen Sie meine Auffassung, daß der
Personenkreis, der auf Grund dieser Regelung früher in
Rente geht und damit keine Rentenversicherungsbeiträge
mehr zahlt, durchaus zu weniger Einnahmen in der Rentenkasse beiträgt und daß die Rentenkasse dadurch sehr
wohl belastet wird?
({0})
Nein, Herr
Strobl, diese Auffassung teile ich nicht. Wir haben bei
unseren Überlegungen hinsichtlich einer vorgezogenen
Tarifrente sehr eng auch mit dem Verband Deutscher
Rentenversicherungsträger, insbesondere mit dessen Geschäftsführer, Herrn Professor Dr. Ruland, zusammengearbeitet und ein Konzept entwickelt, durch das durch
eine Art Vorfinanzierung eine Belastung der Rentenversicherung ausgeglichen wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, gilt das gleiche für die Arbeitslosenund die Krankenversicherung? Wie sehen Sie das Problem der Steuerausfälle, da von diesem Personenkreis
nur vermindert Steuern gezahlt werden?
Ich habe
mich jetzt zur Rentenversicherung geäußert. Sie haben
auch nach der Rentenversicherung gefragt. Ich kann Ihnen sagen: Für die Rentenversicherung ist es aufkommensneutral.
Dann rufe ich die
Frage 16 des Kollegen Strobl auf:
Wie vereinbart es die Bundesregierung, auf der einen Seite
die Rentenanpassung auf das Inflationsniveau zurückzuschrauben und die Rentenversicherung damit zu entlasten und auf der
anderen Seite die „Rente mit 60“ zu befürworten und damit
weitere Belastungen, etwa durch Beitragsausfälle, für die gesetzliche Rentenversicherung zu akzeptieren?
Bei der Frage
16 fragen Sie nach den Auswirkungen des Steuerbereinigungsgesetzes für die Kapitallebensversicherungen.
Die Antwort des Arbeitsministeriums ist, daß das Ziel,
die private Altersvorsorge zu fördern, bei den angesprochenen Maßnahmen nicht gefährdet ist. Nach wie vor
bleiben Lebensversicherungen, bei denen man typisierend davon ausgehen kann, daß sie der Altersvorsorge
dienen, steuerlich begünstigt. Daher können Beiträge zu
reinen Rentenversicherungen und zu langlaufenden
Rentenversicherungen mit Kapitalwahlrecht weiterhin
als Sonderausgaben steuermindernd geltend gemacht
werden. Soweit sie als Rente ausbezahlt werden, bleiben
die Erträge aus der Ansparphase steuerfrei. Lediglich die
in der Auszahlungsphase der Rente zusätzlich erwirtschafteten rechnerischen Zinsen, der sogenannte Ertragsanteil der Rente, werden wie bereits nach geltendem Recht besteuert.
Lebensversicherungen, die nicht typisierend der Altersvorsorge dienen, sollen jedoch im Vergleich mit anderen Kapitalanlagen künftig steuerlich nicht mehr begünstigt werden. Daher ist im Steuerbereinigungsgesetz 1999
vorgesehen, den Sonderausgabenabzug und die Steuerfreiheit von langlaufenden Kapitallebensversicherungen
zu streichen. Bei dieser Versicherungsform überwiegt der
Charakter einer frei verfügbaren Kapitalanlage.
Zusatzfrage.
Sind Sie,
Frau Staatssekretärin, der Auffassung, daß die Besteuerung von Lebensversicherungen ein geeignetes Instrument ist, die Menschen zu mehr privater Vorsorge zu
bewegen?
Ich habe gerade ausgeführt, daß es nicht um die generelle Besteuerung der Lebensversicherung geht, sondern daß es sehr
differenziert zu betrachten ist, daß die eigentlichen Altersvorsorgeprodukte nach wie vor steuerlich so behandelt werden wie bisher und daß die Lebensversicherungen, die primär der Kapitalanlage dienen, jetzt wie andere Kapitalanlageformen besteuert werden.
Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Strobl.
Dann will
ich, Frau Staatssekretärin, die Frage umgekehrt stellen:
Sind Sie der Auffassung, daß die Besteuerung dieser Art
von Lebensversicherung und auch die Halbierung des
Sparerfreibetrages keinerlei Auswirkungen auf die Bereitschaft der Menschen haben, private Altersvorsorge
zu betreiben?
Herr Strobl,
Sie wissen, daß der Arbeitsminister initiativ geworden
ist, um die private Zusatzvorsorge auf eine noch breitere
Basis zu stellen, daß er Vorschläge entwickelt hat, wie
man das für Gruppen, die bisher wirtschaftlich nicht dazu in der Lage waren, fördern will. Ich denke, daß hier
eine ganz neue Initiative zur Schaffung privater Altersvorsorge ergriffen wird.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Reinhardt.
Frau Staatssekretärin,
es trifft doch zu - da werden Sie mir recht geben -, daß
viele Menschen die Lebensversicherung dazu verwendet
haben, Eigentumswohnungen zu erwerben. Bedeuten Ihre Ausführungen, daß dies zukünftig nicht mehr möglich
sein soll bzw. eine hohe Besteuerung erfolgt?
Selbstverständlich ist es möglich. Es erfolgt keine hohe Besteuerung, wohl aber eine gewisse Belastung.
Ich rufe die Frage
17 des Kollegen Dr. Heinrich Fink auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um den Bestand der Künstlersozialkasse dauerhaft zu sichern und deren
auch von Experten vorausgesagter Gefährdung durch das Inkrafttreten des Haushaltssanierungsgesetzes ({0})
ab Januar 2000 zu begegnen?
Herr Dr.
Fink, Sie fragen nach den Auswirkungen des Haushaltssanierungsgesetzes auf den Bestand der Künstlersozialkasse. Die Künstlersozialkasse wird durch die Regelungen des Art. 17 des Haushaltssanierungsgesetzes nicht
gefährdet. Mit der Absenkung des Bundeszuschusses
von 25 Prozent auf 20 Prozent der Ausgaben der Künstlersozialkasse wurde der Verminderung des Selbstvermarktungsanteils Rechnung getragen und damit lediglich eine Anpassung an geänderte Verhältnisse entsprechend der gesetzlichen Zweckbestimmung vorgenommen.
Der Betrag, um den sich der Bundeszuschuß vermindert, ist zusätzlich von den abgabepflichtigen Verwertern aufzubringen. Dadurch erhöht sich der Satz der
Künstlersozialabgabe im Jahr 2000 im Durchschnitt um
0,8 Prozentpunkte. Für das Jahr 2000 ergibt sich ein einheitlicher Abgabesatz von vier vom Hundert. Die soziale
Absicherung der versicherten Künstler und Publizisten
wird durch die Absenkung nicht berührt.
Die Einführung des einheitlichen Abgabesatzes verändert auch nicht die Gesamthöhe der Künstlersozialabgabe, sondern nur die Lastenverteilung innerhalb
der verschiedenen Verwertergruppen. Maßnahmen zur
Sicherung des Bestandes der Künstlersozialkasse sind
daher nicht erforderlich.
Zusatzfrage.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Bedingungen für die soziale Sicherung der
Künstlerinnen und Künstler im Rahmen der Novellierung zu verbessern?
Herr Dr.
Fink, die soziale Sicherung ist durch die Einführung der
Künstlersozialkasse erheblich verbessert worden. Wenn
Sie einen Vergleich zu den anderen sozialen Sicherungssystemen ziehen, dann stellen Sie fest, daß den Künstlern durch die Künstlersozialkasse die Möglichkeit eröffnet wird, für das Alter, gegen Krankheit und im
Rahmen der Pflegeversicherung vorzusorgen, und zwar
- wenn ich den einheitlichen Hebesatz heranziehe - zu
einem Beitragssatz von 4 Prozent für die Künstler und
von 4 Prozent für die Verwerter, während es sich in der
gesetzlichen Rentenversicherung, Krankenversicherung
und Pflegeversicherung um einen Gesamtbeitrag von 34
Prozent handelt, der hälftig jeweils vom Arbeitgeber und
dem Beschäftigten aufzubringen ist. Wir haben also eine
soziale Absicherung, die der besonderen sozialen Situation der Künstler Rechnung trägt.
Ich meine, es ist ein großer Fortschritt für die Bundesrepublik, daß wir diese Künstlersozialkasse haben.
Sicherlich gibt es andere Bereiche, in denen die soziale
Lage der Künstler - zum Beispiel im Bereich der bildenden Künste die Ausstattung mit Ateliers - noch verbesserungswürdig ist. Aber ich sehe keine Notwendigkeit, bei der Künstlersozialkasse Veränderungen vorzunehmen, und meine, wir sollten alles tun, um diese
soziale Einrichtung zu stabilisieren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist der vorhandene Zeitplan zur Erarbeitung eines Berichts und zur Novellierung der Regelungen für die Künstlersozialkasse überhaupt realistisch?
Der Haushaltsausschuß hat im Rahmen der Beratungen gefordert,
daß bis zum 31. März des nächsten Jahres ein Bericht
über die soziale Lage der Künstler erstellt wird. Wegen
der dazu notwendigen Erhebung von Daten wird dies bis
zu diesem Zeitpunkt kaum möglich sein. Das Arbeitsministerium könnte an Hand der Unterlagen der Künstlersozialkasse diesen Bereich, was die soziale Lage der
Künstler angeht, in einem Bericht darstellen. Alles, was
darüber hinausgeht, würde eine umfangreiche Datenerhebung erfordern und wäre eine Aufgabe, die über den
Verantwortungsbereich des Arbeitsministeriums hinausgeht.
Ich rufe die Frage
18 des Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl auf.
Wie hoch war in den Jahren 1994, 1995, 1996, 1997 und
1998 der von Bund, Ländern und Kommunen und Körperschaften des öffentlichen Rechts erbrachte Gesamtaufwand beim Arbeitslosengeld, bei der Arbeitslosenhilfe, bei der Sozialhilfe und
bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für
Nichtdeutsche ({0})?
Herr Dr. Uhl,
zunächst zur Höhe der Sozialhilfe und der Leistungen
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für Nichtdeutsche. In der amtlichen Sozialhilfestatistik werden die
Ausgaben nach Hilfearten und nicht für einzelne Personengruppen getrennt erfaßt, somit auch nicht getrennt
nach Deutschen und Nichtdeutschen. Nur in der Empfängerstatistik werden die Anteile der nichtdeutschen
Empfänger ausgewiesen. Ich kann Ihnen, wenn Sie es
möchten, jetzt gern die Zahlen vorlesen. Aber vielleicht
wäre es besser, wenn ich sie Ihnen schriftlich gebe, weil
das die Kollegen sonst etwas ermüden würde.
({0})
Beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe
ist es ähnlich: Angaben über die Höhe der an Nichtdeutsche ausgezahlten Leistungen im Rahmen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe liegen der Bundesanstalt
für Arbeit nicht vor. Bei der Buchung der Auszahlungen
an die Empfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe werden die Auszahlungen an nichtdeutsche Leistungsbezieher nicht getrennt erfaßt.
Für das Jahr 1998 liegen jedoch erstmalig Angaben
über die Anzahl der nichtdeutschen Leistungsbezieher
von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe vor. Im Jahr
1998 betrug der Anteil der nichtdeutschen Leistungsbezieher an der Gesamtzahl der Bezieher von Arbeitslosengeld 7,9 Prozent; bei der Arbeitslosenhilfe lag der
Anteil bei 13,1 Prozent .
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ich gehe davon aus, daß die Zahlen dem Protokoll
beigefügt werden, so daß ich darüber verfügen kann.
({0})
Sind die bei den EU-Partnern anfallenden migrationsbedingten Kosten wesentlich niedriger als in Deutschland,
und was tut die Bundesregierung, um eine Harmonisierung auf diesem Gebiet zu erreichen?
Herr Dr. Uhl,
da muß ich Sie bitten, mir Zeit zu lassen, Ihnen das
schriftlich zur Verfügung zu stellen. Ich habe Vergleichszahlen aus anderen europäischen Ländern weder
im Kopf noch heimlich in der Tasche, weil ich aus Ihrer
Frage geschlossen habe, daß Sie vor allen Dingen die
deutschen Zahlen interessieren. - Ich höre gerade, daß
die EU-Kommission einen solchen Vergleich vorbereitet.
Eine zweite Zusatzfrage.
Stimmt die Bundesregierung und insbesondere das von Ihnen vertretene
Ministerium der Erklärung des Bundesinnenministers
Otto Schily zu, wonach die Lasten der Wanderungsbewegungen innerhalb der Europäischen Union nur dann
gerechter verteilt werden können, wenn sich Deutschland im Einwanderungs- und Asylbereich den Standards
der anderen europäischen Rechtsstaaten anpaßt?
Bei der Verteilung der Lasten durch die Wanderungsbewegungen
geht es nicht nur um die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder der Sozialhilfe, sondern es
stehen sehr viel umfassendere Leistungen in Rede. Ich
denke, es muß sicher darum gehen, innerhalb der EU zu
einer gerechten Lastenverteilung zu kommen. Zur Beantwortung der Frage, ob dazu eine Änderung unseres
Asylrechtes notwendig ist oder ob nicht eine Verständigung auf Mindeststandards in der EU, die nationale
Ausprägungen möglich machen, der richtige Weg ist, ist
der Innenminister oder sein Staatssekretär die richtige
Adresse. Das liegt nicht im Verantwortungsbereich des
Arbeitsministeriums.
Ich rufe die Frage
19 der Kollegin Christine Ostrowski auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Sozialämter in den
Kommunen bereits heute Schreiben an Sozialhilfeempfänger
versenden, in denen sie die Empfänger auffordern, ihre Unterkunftskosten zu senken, da die Kommune die Wohngeldkosten
ab 2000 nicht mehr in der bisherigen Höhe übernehmen könne,
und welche Folgerungen zieht sie daraus?
Frau Kollegin
Ostrowski, Sie fragen, ob der Bundesregierung bekannt
sei, daß Sozialämter in den Kommunen bereits heute
Schreiben an Sozialhilfeempfänger versenden, in denen
sie die Empfänger auffordern, ihre Unterkunftskosten zu
senken. Die klare Antwort der Bundesregierung lautet:
Nein, das ist uns nicht bekannt.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
zunächst möchte ich Sie bitten, den zweiten Teil meiner
ersten Frage zu beantworten: Welche Folgerungen ziehen Sie daraus?
({0})
- Gut. - Dann stelle ich Ihnen folgende Zusatzfrage: Sie
wissen, daß die Änderung des Wohngeldgesetzes im
Bundesrat zunächst abgelehnt wurde und jetzt in den
Vermittlungsausschuß geht. Der Grund dafür ist vorrangig der, daß die Kosten des Pauschalwohngelds - das sind
zirka 2,5 Milliarden DM - nun auf Länder und Kommunen überwälzt werden sollen. Ihnen ist sicherlich auch
bekannt, daß die Sozialausgaben der Kommunen in den
letzten Jahren ohnehin gewachsen sind. Es handelt sich
also um eine Zusatzbelastung für Länder und Kommunen.
Können Sie die Schlußfolgerungen, die die Verbände
- zum Beispiel der Deutsche Städtetag oder der Deutsche Städte- und Gemeindebund -, die Länder und die
Kommunen ziehen, nachvollziehen: Durch die Überwälzung der Kosten des Pauschalwohngeldes erhöht sich
der Druck auf die Kommunen weiter und werden die
Sozialausgaben bei den Kommunen so hoch, daß sie ein
Interesse daran haben müssen, Sozialhilfeempfänger in
möglichst preiswerten - im Klartext: in billigeren Wohnungen unterzubringen?
Es ist selbstverständlich im Interesse der Kommunen, Sozialhilfeempfänger in möglichst preiswerten, aber adäquaten
Wohnungen unterzubringen. Darüber hinaus ist es eine
Streitfrage zwischen der Bundesregierung, insbesondere
dem Bundesfinanzminister, und den Kommunen, wie
ausgeglichen die Bilanz bei Belastung und Entlastung
der Kommunen ist. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die Kommunen hierdurch nicht unzumutbar
belastet werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
ich möchte noch etwas zur Angemessenheit fragen.
Nach der Regelsatzverordnung in Verbindung mit dem
Bundessozialhilfegesetz sind Empfängern von laufender
Hilfe zum Lebensunterhalt die Unterkunftskosten in tatsächlich entstandener Höhe zu ersetzen. Dabei ist eine
Angemessenheitsprüfung vorzunehmen. Geben Sie mir
recht, daß der Begriff „angemessen“ im Bundessozialhilfegesetz bzw. in der Regelsatzverordnung nicht exakt
definiert, also auslegbar ist?
Mit dem Begriff der angemessenen Mietkosten arbeiten die Sozialhilfeträger seit vielen Jahren, und er hat in der Praxis
durchaus eine Konkretisierung erfahren. Ich halte es
auch nach wie vor für den richtigen Maßstab, im Einzelfall darüber zu entscheiden, welches angemessene
Wohnkosten sind.
Ich rufe die Frage
20 der Kollegin Ostrowski auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass in manchen Gemeinden 16 bis 40 % der Sozialhilfeempfänger bereits heute höhere
Wohnkosten haben als nach den künftig geltenden Höchstbetragstabellen als angemessen anerkannt werden, und wie wird
sich das auf die Sozialhilfekosten der Kommunen auswirken?
Frau Kollegin
Ostrowski, die bisherigen Pauschalwohngeldempfänger
werden durch die Wiederherstellung des Gleichgewichts
zwischen Pauschal- und Tabellenwohngeld in ihrer Gesamtheit zum Umstellungszeitpunkt gleich viel Wohngeld erhalten wie zuvor, da der Einführung von Miethöchstbeträgen allgemeine Leistungsverbesserungen gegenüberstehen. Die Umstellung bringt es naturgemäß
mit sich, daß der künftige besondere Mietzuschuß für
bisher pauschalwohngeldberechtigte Sozialhilfeempfänger im Einzelfall höher oder niedriger sein kann als das
bisherige Pauschalwohngeld. Diese Abweichungen heben sich aber im Durchschnitt auf. Für die Kommunen
in ihrer Gesamtheit entstehen daher zum Umstellungszeitpunkt keine zusätzlichen Sozialhilfeausgaben.
Der Bundesregierung liegen im übrigen keine Daten
aus einer amtlichen Statistik vor, die die Aussage bestätigen, „daß in manchen Gemeinden 16 bis 40 Prozent
der Sozialhilfeempfänger bereits heute höhere Wohnkosten haben, als nach den künftig geltenden Höchstbetragstabellen als angemessen anerkannt werden“.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
bisher wurden die laufenden Unterkunftskosten dergestalt erstattet, daß zirka jeweils die Hälfte über das pauschale Wohngeld und über die Sozialhilfe abgedeckt
wurde. Im Wohngeldgesetzentwurf ist folgende Änderung vorgesehen: Das pauschale Wohngeld richtet sich
nicht mehr nach der Höhe der Unterkunftskosten, sondern erstens nach dem jeweiligen normierten Gesamteinkommen des Empfängers und zweitens nach den
Miethöchstgrenzen, bis zu denen Wohngeld bemessen
wird. Das heißt, daß der pauschale Wohngeldzuschuß in
Zukunft einfach begrenzt wird.
Ich frage noch einmal nach: Der Bundesverband
Freier Wohnungsunternehmen hat an die wohnungspolitischen Sprecher aller Fraktionen - ich nehme an, daß
der Bundesregierung das bekannt ist - auf Grund der
Wohngeldstatistik folgende Überschreitungen feststellt,
und zwar zum Beispiel bei Wohnungen, die ab 1992 bezugsfertig geworden sind, also bei der höchsten Stufe.
Ich nehme jetzt die Mietstufe III als Beispiel. Die Überschreitungen betragen dort bei Einpersonenhaushalten
über 16 Prozent, bei Zweipersonenhaushalten 26 Prozent
und bei Dreipersonenhaushalten 18 Prozent.
Sind auch Sie meiner Auffassung, daß diese Personen
- hierbei geht es mir um den individuellen Anspruch -,
sollte das Wohngeldgesetz so, wie es entworfen ist, in
Kraft treten, bezogen auf ihren Anspruch auf das pauschale Wohngeld quasi zurückgestuft werden, gemessen
an der jetzigen Gesetzeslage?
Die Systematik der Finanzierung der Wohnungskosten ändert sich
dadurch möglicherweise. Aber im Sozialhilferecht ist es
so, daß jeder Sozialhilfeempfänger einen Anspruch darChristine Ostrowski
auf hat, die tatsächlich entstehenden angemessenen Kosten der Unterkunft erstattet zu bekommen. Wenn hierzu
das pauschale Wohngeld nicht ausreicht, muß dies durch
die Sozialhilfe entsprechend ergänzt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich habe Sie also richtig verstanden, Frau Staatssekretärin: Wenn in Zukunft,
falls dies Gesetz wird, der Anteil des Pauschalwohngeldes an den Unterkunftskosten sinkt, dann würde die Differenz zu den tatsächlichen Unterkunftskosten über die
Sozialausgaben trotzdem dem Empfänger zugute kommen?
Das heißt also, die Kommunen hätten trotzdem die
Unterkunftskosten insgesamt zu zahlen, aber der Anteil
des Sozialhilfebeitrages würde steigen und von den
Kommunen bezahlt werden, und darauf hätte der Sozialhilfeempfänger einen Anspruch?
Ja, soweit es
sich hier um die angemessenen Kosten einer Unterkunft
handelt.
Wir sind damit am
Ende Ihres Geschäftsbereiches, Frau Parlamentarische
Staatssekretärin. Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Walter Kolbow bereit.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Hartmut Koschyk
auf.
Welche Auswirkungen haben die vom Bundeskabinett beschlossenen Sparmaßnahmen auf das Standortkonzept der Bundeswehr und verfügt die Bundesregierung nunmehr über konkrete Informationen zum Standortkonzept, nachdem beispielsweise vom Bundesministerium der Verteidigung ein Baustop für
die Sanierung des Wirtschaftsgebäudes und der Truppenküche in
der Markgrafenkaserne Bayreuth verfügt wurde, obwohl bereits
erste Aufträge hierfür vergeben wurden ({0})?
Herr Kollege Koschyk, Auswirkungen der beschlossenen Sparmaßnahmen für das
Jahr 2000 für die Bundeswehr werden derzeit untersucht. In diesem Zusammenhang prüfen wir zunächst
die Wirtschaftlichkeit der sogenannten Kleinststandorte
mit weniger als 50 Dienstposten.
Inwieweit sich aus dem für Mai kommenden Jahres
vorzulegenden Bericht der Kommission „Gemeinsame
Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ Auswirkungen
auf einzelne Standorte ergeben werden, kann heute verständlicherweise noch nicht prognostiziert werden. Auf
Grund der abzuwartenden Empfehlungen der Kommission und der Sparmaßnahmen sind gesicherte Aussagen
zur Realisierung von geplanten Infrastrukturvorhaben
zur Zeit nicht möglich. Baubeginne für große Baumaßnahmen der Bundeswehr konnten bzw. können in den
Jahren 1999 und 2000 jedenfalls nur noch bei wenigen
Vorhaben von hoher Priorität erfolgen.
Das Bundesministerium der Verteidigung hat sich für
Infrastrukturvorhaben in seinem Bereich vorbehalten,
vor Ausschreibung und Vergabe der Bauleistungen die
Zustimmung hierzu zu erteilen.
Für die Sanierung des Wirtschaftsgebäudes in der
Markgrafenkaserne Bayreuth, die Sie verständlicherweise ansprechen, sind insgesamt Kosten in Höhe von
8,5 Millionen DM veranschlagt. Das Vorhaben ist in
zwei Abschnitte unterteilt. In einem ersten Abschnitt erfolgte die Aufstellung der Containerküche und der Containerspeiseräume. Mit der Übergabe der Container im
November 1999 ist die ordnungsgemäße Verpflegung
des in der Kaserne stationierten Luftwaffenausbildungsbataillons bis auf weiteres sichergestellt.
Angesichts der Mittelknappheit und der Tatsache, daß
durch die Containerlösung zunächst der dringendste Bedarf gedeckt werden konnte, wurde der Baubeginn für
die Sanierung des Altbaus in den Herbst 2000 verschoben. Die zuständige Bauverwaltung wurde angewiesen,
Herr Kollege, die zur Erstellung der Containerlösung
notwendigen Maßnahmen abzurechnen und vor Einleitung von Ausschreibungen für den zweiten Bauabschnitt
die Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung einzuholen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Koschyk.
Herr Staatssekretär,
können Sie, nachdem nach meiner Kenntnis auch für das
weitere Bauvorhaben bereits Aufträge vergeben worden
sind, die dann durch den plötzlichen Stop von seiten des
BMVg unterbrochen werden mußten, sagen, auf welche
Beträge sich die Auftragnehmeransprüche für entgangene Gewinne, die abgegolten werden müssen, belaufen
und in welcher Höhe der plötzliche Abbruch dieser Sanierungsmaßnahmen zu Buche schlägt?
Herr Kollege, da ich der offensichtlich irrtümlichen Annahme war, daß Ihre Frage
in Richtung des Bestandes des Standortes Bayreuth
zielte, bin ich nicht so gut vorbereitet, wie ich es sein
sollte. Ich schicke Ihnen die Antwort auf Ihre letzte Frage gern schriftlich.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
ist in diesem Zusammenhang dem Bundesverteidigungsministerium eigentlich eine Studie der Universität
der Bundeswehr München bekannt, wonach die Bundeswehr bei einem unveränderten Finanzrahmen in den
kommenden Jahren von 340 000 auf 230 000 Mann verkleinert werden müsse und wonach bei der Bundeswehr
zwischen 120 000 und 170 000 Arbeitsplätze verloren
gehen würden? Wie bewertet die Bundesregierung diese
Studie?
Diese Studie ist bekannt. Sie
ist von dem früheren stellvertretenden Generalinspekteur
Professor Dr. Schnell, dem Lehrstuhlinhaber, schon in
der Anhörung des Haushaltsausschusses vorgetragen
worden. Sie geht von nicht gesicherten Annahmen aus
und ist insoweit spekulativ.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Werner Siemann.
Herr Staatssekretär,
schließen Sie aus, daß im Bundesverteidigungsministerium schon jetzt, ohne daß die Ergebnisse der Arbeit der
Kommission abgewartet würden, konkrete Planungen
hinsichtlich der Auflösung bestimmter Großverbände in
Bataillons-, Brigade- bzw. Divisionsstärke angelaufen
sind?
Ich schließe autorisierte Planungen aus. Im Gegensatz zur Vorgängerregierung verbieten wir nicht das Denken.
({0})
Ich bitte um Verständnis, daß ich keine zweite Zusatzfrage gewähre. Nur
der Fragesteller hat das Recht dazu.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Günther Friedrich
Nolting auf:
Wie hoch war die Zahl der Weiterverpflichtungen bei den
Soldaten auf Zeit der Bundeswehr in den ersten neun Monaten
dieses Jahres ({0}), und wie sind
diese Zahlen im Vergleich zum Zeitraum des Vorjahres zu werten?
In den ersten neun Monaten
des Jahres 1999 befanden sich durchschnittlich, lieber
Herr Kollege Nolting, 131 625 Soldaten auf Zeit im
Dienst der Streitkräfte. Davon haben sich 9 045 Soldaten
- ich gebe es Ihnen gleich schriftlich; Sie müssen nicht
mitschreiben - zu einer längeren Dienstzeit weiterverpflichtet. Das entspricht einem Anteil von 6,9 Prozent
der durchschnittlichen Ist-Stärke der Soldaten auf Zeit.
Im gleichen Zeitraum des Vorjahres befanden sich
durchschnittlich 133 188 Soldaten auf Zeit im Dienst.
Davon haben sich 10 657 Soldaten weiterverpflichtet.
Das entspricht einem Anteil von 8 Prozent.
Damit haben sich 1999 1 612 Soldaten auf Zeit weniger als im Vorjahr weiterverpflichtet. Dies entspricht
einem Rückgang der absoluten Zahlen um 15,1 Prozent.
Vergleicht man jedoch den Rückgang der prozentualen
Anteile der Weiterverpflichtungen mit den jeweiligen
Ist-Stärken der Soldaten auf Zeit, so ergibt sich ein
Rückgang um 1,1 Prozent.
Dieser Rückgang der Weiterverpflichtungen erfordert
Maßnahmen, auf die in der Beantwortung der folgenden
Frage eingegangen wird. Darf ich die Beantwortung dieser Frage gleich anschließen, Herr Präsident?
Dann rufe ich Frage 23 des Abgeordneten Günther Friedrich Nolting auf:
Treffen die Aussagen des Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes e.V. zu, daß die Anwerbung von freiwillig
länger Dienenden unter den Wehrpflichtigen mit einem Minus
von 20% den größten Rückgang in der Geschichte der Bundeswehr erfahren hat, und wie gedenkt die Bundesregierung dem
entgegenzuwirken?
Die Planung der Streitkräfte
sah, wie Sie wissen, für das Jahr 1999 vor, daß bis einschließlich Oktober 1999 insgesamt 9 810 Soldaten, die
auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten, als Soldaten auf Zeit gewonnen werden sollten. Es gelang jedoch nur, 8 115 Soldaten als sogenannte Statuswechsler
zu verpflichten. Das Fehl von 1 695 dieser Statuswechsler entspricht 17,3 Prozent vom Soll der Planung der
Streitkräfte. Zur Zeit werden für das Jahr 1999, einschließlich der Monate November und Dezember, für
die Streitkräfte 10 305 Statuswechsler prognostiziert.
Dies entspricht gegenüber der Planung der Streitkräfte
einem Fehl von rund 13 Prozent.
Im Jahr 1998 wurden 10 372 Statuswechsler für die
Streitkräfte gewonnen. Der Rückgang gegenüber dem
Vorjahr um 67 Statuswechsler liegt damit unter
1 Prozent.
Zur Verbesserung der Nachwuchsgewinnung für die
Streitkräfte hat die Bundesregierung die Personalwerbung durch zunächst zwei Maßnahmen intensiviert.
Weitere Maßnahmen werden folgen. Mit der Werbemaßnahme „Berufsstart 1999“ sollen junge Männer und
Frauen nach Abschluß ihrer Berufsausbildung für den
Dienst in den Streitkräften gewonnen werden. Mit der
Aktion „Offizier 2000“ sollen vor allem die Abiturienten
des Jahres 2000 auf den Offizierberuf angesprochen
werden. Es ist beabsichtigt, diese Maßnahmen der
Nachwuchswerbung auch im Jahr 2000 fortzusetzen.
Zusätzlich soll die Attraktivität der Laufbahn der
Unteroffiziere - hier gibt es ein beachtliches Fehl - verbessert werden. Hierzu ist eine Untersuchung beim Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr eingeleitet worden. Wir wollen zukünftig eine bessere Verflechtung der Werdegänge der Soldaten auf Zeit mit der
Wirtschaft erreichen und die Werdegänge im Beruf des
Feldwebels neu ordnen. Hierzu wurden bereits Verbindungen mit Verbänden der Wirtschaft aufgenommen.
Außerdem werden, Herr Kollege Nolting, zur Zeit
Modelle der regionalen Zusammenarbeit zwischen
Truppe, Berufsförderungsdienst, Wirtschaft und Arbeitsverwaltung erprobt. Ziel ist es, den Beruf des Soldaten auf Zeit attraktiver zu machen und die Wiedereingliederung in das zivile Berufsleben deutlich zu verbessern. Aber all diese Maßnahmen dienen vor allem der
Verbesserung der Nachwuchsgewinnung.
Herr Kollege Nolting, Sie haben nun die Möglichkeit, zu beiden von Ihnen schriftlich eingereichten Fragen Zusatzfragen zu
stellen.
Herr Staatssekretär, gibt es eine ähnliche Entwicklung im Bereich der
Grundwehrdienstleistenden, die sich freiwillig verpflichten, länger Grundwehrdienst zu leisten?
Sie fragen wohl nach der
Einstellung ungedienter junger Männer. Im Jahre 1999
sollten bis einschließlich Oktober nach der Planung der
Streitkräfte insgesamt 13 294 Soldaten auf Zeit eingestellt werden. Es konnten jedoch nur 10 653 Soldaten
auf Zeit gewonnen werden. Das Fehl von 2 641 Einstellungen entspricht rund 20 Prozent vom Soll der Planungen der Streitkräfte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte speziell danach fragen, ob es auch im
Bereich der freiwillig länger dienenden Grundwehrdienstleistenden ein Fehl gibt.
Herr Kollege Nolting, wir
erwarten auf Grund des Trends des Jahres 1999 für das
Jahr 2000 einen weiteren Rückgang der Zahl der Statuswechsler. Eine wesentliche Ursache hierfür ist die
Verringerung des Bewerberpotentials - jetzt wird der
Zusammenhang mit Ihrer Frage deutlich -, weil die Jahresdurchschnittsstärke der GWDL von rund 116 000 im
Jahr 1999 auf rund 105 000 im Jahr 2000 zurückgeführt
wird. Dies ist ein Minus von 9,5 Prozent. Eine genaue
Aufschlüsselung der Zahlen für den Übergang kann ich
Ihnen gerne nachreichen.
Die Fragen 24 und
25 des Kollegen Dr. Werner Hoyer werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe Frage 26 des Kollegen Jörg van Essen auf:
Wird angesichts der unzureichenden Auslastung der Bundeswehrkrankenhäuser durch Soldaten und der knappen Ressourcen im Einzelplan 14 über den Abbau der überschüssigen
und durch Zivilpatienten, die nicht der Bundeswehr angehören,
genutzten Bettenkapazität in Höhe von 30 bis 40% nachgedacht,
um mit dem frei werdenden Sanitätspersonal die angespannte
Versorgungslage im Bereich des Truppensanitätsdienstes zu
verbessern?
Herr Kollege van Essen, eine
unzureichende Auslastung der Bundeswehrkrankenhäuser durch Soldatenpatientinnen und -patienten ist nicht
gegeben. 1998 betrug die Bettenauslastung der Bundeswehrkrankenhäuser knapp 80 Prozent. Diese Belegungsquote ist mit der im zivilen Gesundheitswesen
vergleichbar und enthält rund 60 Prozent Soldaten und
40 Prozent Zivilpatienten. 80,5 Prozent aller stationären
Behandlungen von Soldaten werden in Bundeswehrkrankenhäusern durchgeführt. Die verbleibenden
19,5 Prozent der Soldaten werden in zivilen Einrichtungen behandelt, und zwar überwiegend im Rahmen von
nicht beeinflußbaren Noteinweisungen oder aus sozialen
Gründen, wie zum Beispiel der Entfernung des Bundeswehrkrankenhauses vom Wohnort des Soldaten bei länger dauernder Behandlung.
Auf Grund der Rahmenbedingungen ist eine Reduzierung des Anteils der Betten für Zivilpatienten nicht
möglich, da ansonsten die Möglichkeiten zur Aus-, Fortund Weiterbildung sowie der In-Übung-Haltung - gerade im Rahmen der Einsatzvorbereitung - sowohl für das
Personal der zentralen Sanitätsdienststellen der Bundeswehr als auch für das Personal des Truppensanitätsdienstes der Teilstreitkräfte zum Beispiel im Fachbereich
Rettungsmedizin nicht hinnehmbar eingeschränkt würden.
Eine Verlagerung von Personal der Bundeswehrkrankenhäuser in den Truppensanitätsdienst wäre darüber
hinaus auf Grund des hohen Anteils an Zivilpersonal
und unterschiedlicher Qualifikationsanforderungen nur
in begrenztem Umfang möglich.
Soweit meine Antwort auf Ihre erste Frage.
Wir kommen zur
Frage 27 des Kollegen van Essen. Danach ist die Fragestunde zu Ende.
Welche Erkenntnisse liegen vor, die den Schluß zulassen,
daß die Bundeswehrkrankenhäuser zur Wahrnehmung ihres
Auftrags die Versorgung unterschiedlichster Patientengruppen
aller Altersgruppen durchführen müssen, und worauf beziehen
sich diese möglicherweise vorliegenden Kenntnisse?
Die Anforderungen, lieber
Kollege van Essen, an einen einsatzfähigen Sanitätsdienst erfordern auf Grund des begrenzten Alters- und
Krankheitenspektrums bei Soldaten eine ausreichende
Zahl mitzuversorgender Zivilpatienten in Bundeswehrkrankenhäusern. Nur so steht ein hinsichtlich Alter und
Geschlecht uneingeschränktes Patienten-, Krankheitsoder Verletzungsspektrum zur Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie In-Übung-Haltung zur Verfügung. Die
hierfür erforderliche Bettenzahl wurde bereits vor dem
Rechnungsprüfungsausschuß der 13. Wahlperiode mit
842 von insgesamt 2 290 Betten beziffert. Eine Erhöhung dieses Bettenanteils ist derzeit nicht beabsichtigt.
Qualitative und quantitative Bemessungsgrundlage
für die Versorgung unterschiedlicher Patienten- und Altersgruppen in Bundeswehrkrankenhäusern sind dabei
die für den Erwerb der Facharztqualifikation maßgebliParl. Staatssekretär Walter Kolbow
chen Vorgaben der Weiterbildungsordnung der Ärztekammern. Entsprechende Kennzahlen wurden auch dem
Bedarf an In-Übung-Haltung im Sinne einer Qualitätssicherung zugrunde gelegt. Hierzu wurden zum Beispiel
in den operativen Fächern an Hand der sogenannten
„Operationskataloge“ beziehungsweise an Hand der
zahlenmäßigen Vorgaben für bestimmte Untersuchungsund Behandlungsmethoden der Gesamtbedarf an weiterbildungsrelevanten Operationen und Untersuchungen
ermittelt und entsprechend dem statistisch nachgewiesenen Krankheitsaufkommen bei Zivilpatienten die jeweils
erforderliche Bettenzahl berechnet.
Ich lasse noch eine
kurze Zusatzfrage verbunden mit der Bitte um kurze Beantwortung zu.
({0})
Herr Staatssekretär, kann
ich Ihren Antworten entnehmen, daß das Bundesministerium der Verteidigung kurz- und mittelfristig nicht plant,
die bestehende Struktur der Bundeswehrkrankenhäuser
zu ändern und insbesondere kleinere Bundeswehrkrankenhäuser zu schließen?
Sie schließen richtig.
Ich danke Ihnen,
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Ich gehe allerdings davon aus, daß
Sie uns noch als Redner in der nachfolgenden Aktuellen
Stunde zur Verfügung stehen. Die Fragen 28 bis 51 und
57 bis 72 werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 52
bis 56 wurden zurückgezogen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Unsicherheit über die weitere Entwicklung der
Bundeswehr nach der Rede des Bundeskanzlers vor der Kommandeurstagung
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das
Wort dem Kollegen Thomas Kossendey für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil die Kommandeurstagung
der Bundeswehr eigentlich immer eine Art Seismograph
für das Stimmungsbild innerhalb unserer Bundeswehr
ist. Die Rede des Bundeskanzlers auf dieser Kommandeurstagung ist sozusagen die Meßlatte, an der wir die
Stimmung konkret ablesen können.
Aus unserer Sicht gibt es hierbei einigen Nachfragebedarf. Ein - man möchte sagen: fast nebensächlicher Punkt ist, daß in der Rede des Bundeskanzlers der Name
Scharping nicht einmal gefallen ist, höchstens einmal
indirekt, als der Bundeskanzler davon gesprochen hat,
wie es in Zukunft mit der Finanzierung der Bundeswehr
aussieht. Minister Scharping versucht ja, uns, aber eigentlich nicht der CDU/CSU, sondern mehr den Grünen
und der SPD, klarzumachen, daß sich der, der in der
Champions-League spielen will, nicht auf Kreisklassenniveau finanzieren darf. Der Bundeskanzler sagte dazu,
daß er das für völlig abwegig halte. Den Verteidigungshaushalt alleine könne man nicht zum Maßstab nehmen,
um sicherheitspolitische Aktivitäten zu messen. Wer das
tue, greife zu kurz. - So scharf ist eigentlich selten ein
Verteidigungsminister von seinem Kanzler auf einer
Kommandeurstagung gerügt worden.
({0})
Der Kanzler hat sogar deutlich gesagt, er wolle weiter
nach der uns allen bekannten Rasenmäher-Methode sparen. Das halten wir für vollkommen falsch.
({1})
Der Verteidigungshaushalt ist eben kein beliebiger
Einzelplan in unserem Bundeshaushalt. Es besteht doch
ein Unterschied, ob wir am BAföG, am Wohngeld oder
beim Sozialhilfegesetz etwas ändern oder eine Straße
bauen oder nicht oder ob wir die Aufwendungen für die
äußere Sicherheit unseres Landes, für die Sicherheit des
Bündnisses und letztendlich für den Frieden in Europa
verringern. Das hat doch eine ganz andere politische
Qualität. Es wäre wichtig, wenn der Bundeskanzler
etwas mehr bedächte, daß die Aufwendungen für die
äußere Sicherheit unseres Landes vor die Klammer des
Bundeshaushaltes gezogen werden müssen.
Wir erwarten die politische Kraft des Bundeskanzlers, dies seinen Koalitionsfraktionen klarzumachen.
Unsere große Sorge ist aber, daß sich hier zwei Linien
rotgrüner Politik treffen, die in dieser Kombination sehr
verhängnisvoll sein könnten: der strikte Sparkurs von
Bundesminister Eichel einerseits und der Wille der Grünen andererseits, die Bundeswehr so zu beschneiden,
daß sie kein taugliches Element für Landes- und Bündnisverteidigung sowie für die Herstellung des Friedens
in Konflikten mehr sein kann.
({2})
Diese unheilige Allianz macht uns und übrigens auch
den Kommandeuren der Bundeswehr Sorge.
({3})
Der Bundeskanzler hat die Kommandeure im unklaren
gelassen, wie seine Sicherheitspolitik in Zukunft aussehen und wieviel Beer und wie wenig Scharping darin
vorkommen soll.
Immerhin hat er auch die Opposition angesprochen
und das Ziel genannt, bei der zukünftigen Gestaltung der
Bundeswehr mit der Opposition mehr Gemeinsamkeit
zu erreichen. Gerne, kann ich sagen, Herr Bundeskanzler, wir sind immer dabei.
({4})
Das wichtigste Ziel aus unserer Sicht ist auch aus
leidvoller Erfahrung in der Vergangenheit, daß wir eine
Verstetigung und Verläßlichkeit des Verteidigungshaushaltes brauchen. Man kann sich nicht darüber beklagen,
daß bei der Bundeswehr ein Investitionsstau in ungeahnter Höhe hinterlassen worden sei, und als Antwort
darauf den Verteidigungshaushalt um 3,5 Milliarden
DM kürzen. Man kann nicht in Köln die europäischen
Verteidigungsinitiativen gemeinsam mit den europäischen Partnern beschwören und dann zu Hause der Bundeswehr die materiellen Grundlagen für die Erfüllung
dieser Versprechen entziehen. Man kann nicht immer
mehr Aufgaben anpacken - das reicht von Osttimor bis
zu den Versprechen, die gestern auf dem Pariser Gipfel
gegeben worden sind - und dann Lösungen für die finanziellen Engpässe in der Bundeswehr erst für das
übernächste Jahr in Aussicht stellen.
Mein Vorschlag ist, daß wir uns bemühen, zwischen
den großen Parteien eine Übereinstimmung darüber zu
erzielen, wie die Finanzausstattung der Bundeswehr in
Zukunft aussehen soll. Dabei kommt es mir gar nicht so
sehr auf die Höhe der Mittel an, sondern auf die Stetigkeit. Warum ist es nicht möglich, zwischen den großen
Parteien ein Einverständnis darüber herbeizuführen, einen gewissen Prozentsatz am Bundeshaushalt oder am
Bruttoinlandsprodukt dafür vorzusehen?
({5})
Da wir alle so viel von Europa und von der verteidigungspolitischen Perspektive Europas reden, wäre das
übrigens auch ein Kriterium, nach dem all die Europäer,
die sich jetzt auch in Helsinki verteidigungspolitisch
wieder tief in die Augen schauen und manches beschwören werden, verpflichtet werden könnten. Das machte
dann auch den jeweiligen nationalen Finanzministern
den Griff in die Verteidigungskasse etwas schwerer, als
es in der Vergangenheit der Fall war.
Um die Redezeit von 5 Minuten nicht zu überschreiten, möchte ich nur noch einen letzten Aspekt ansprechen: das Stichwort Rationalisierung und Outsourcing.
Der Bundeskanzler als Globalwirtschaftspolitiker hat
natürlich darauf hingewiesen, daß hier etwas zu tun sei.
Weil das so sehr nach Wirtschaft klingt, fühlte sich der
Bundeskanzler geradezu in seinem Element. Aber warum gilt bei Holzmann etwas, was bei der Bundeswehr
auf einmal nicht gelten soll? Wer sanieren und rationalisieren will, muß erst einmal Geld in die Hand nehmen
und investieren. Wer das nicht tut, hilft der Bundeswehr
nicht.
({6})
Unser Vorschlag, für das nächste Jahr 1,7 Milliarden DM
mehr in den Verteidigungshaushalt einzustellen, wäre
hilfreich gewesen. Sie haben diese helfende Hand ausgeschlagen. Nachdem aber das erste Jahr Rotgrün für die
Bundeswehr geradezu ein Jahr im Stau gewesen ist,
sollten Sie mehr auf unsere Vorschläge eingehen, damit
die folgenden Jahre für die Bundeswehr wenigstens
nicht ganz verloren sein werden.
Schönen Dank.
({7})
Ich gebe das Wort
für die SPD-Fraktion dem Kollegen Peter Zumkley.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Rede des Bundeskanzlers vor
der 37. Kommandeurstagung der Bundeswehr findet
man keine Passage, die man ernsthaft und seriös als Unsicherheit für die Bundeswehr interpretieren oder in eine
solche ummünzen kann.
({0})
Die Tatsache, daß Sie von der CDU/CSU eine Aktuelle
Stunde zu einer Rede vor den Bundeswehrkommandeuren beantragt haben, zeugt von mangelnder Sensibilität
für die Bundeswehr selbst.
({1})
Wie schon bei den Gelöbnissen neigen Sie erneut zur
parteipolitischen Effekthascherei.
({2})
Selbstverständlich haben Sie das Recht, den Bundeskanzler und andere zu kritisieren.
({3})
Meiner Auffassung nach zeugt es aber von mangelndem
Gespür, dies an einer Tagung des Generalinspekteurs,
dessen Gast der Bundeskanzler war, festzumachen.
Im übrigen, Herr Kossendey: Stimmungsbilder bekommt man am besten, wenn man wie ich weitgehend
an der Tagung teilnimmt und dort die Gesprächsmöglichkeiten mit den Kommandeuren gelegentlich auch
wahrnimmt. Lassen Sie uns deshalb - ich will jetzt dieses Stichwort aufnehmen - mit größtmöglichem Konsens die Aufgaben und Herausforderungen der Bundeswehr parlamentarisch begleiten und unterstützen.
({4})
Das Thema der Kommandeurstagung lautete: „Bundeswehr im Einsatz - Bilanz und Perspektive“.
({5})
Die Bundeswehr im Einsatz findet dank der guten Ausbildung und des großen Engagements der Soldatinnen
und Soldaten sowie der zivilen Mitarbeiter hohe Anerkennung. Für die friedenssichernden Aufgaben verfügen
die Streitkräfte über die entsprechende Ausrüstung, einschließlich der Ausrüstung für den Schutz der Soldaten.
Daran haben auch Sie, werte Kollegen von der
CDU/CSU - wer wollte das bestreiten -, Ihren Anteil.
Die Bilanz fällt wegen der Versäumnisse in Ihrer Regierungszeit allerdings sehr mäßig aus. Defizite gibt es
in viel zu vielen Bereichen. Daran haben Sie nun wieder
wesentlichen Anteil. Ihre augenblicklichen öffentlichen
Äußerungen lassen den Schluß zu, daß Sie mit dem
Gang in die Opposition auch an verteidigungspolitischer
Kompetenz verloren haben.
({6})
Das bedauere ich sehr.
An den Perspektiven der Bundeswehr - das ist doch
nichts Neues - wird derzeit gearbeitet, zum einen durch
die Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft
der Bundeswehr“, zum anderen durch die Erarbeitung
der Eckwerte für die Weiterentwicklung der Streitkräfte
durch den Generalinspekteur. Die Entscheidungen darüber erfolgen rechtzeitig vor Festlegung des Haushaltes
2001.
({7})
Über diese Perspektiven, werter Kollege Breuer, sind
- neben vielen anderen wichtigen sicherheitspolitischen
Zusammenhängen - Ausführungen vom Generalinspekteur, danach vom Bundeskanzler und heute morgen
vom Bundesverteidigungsminister gemacht worden, die
allesamt keinerlei Unsicherheiten erzeugten. Vielmehr
ließen die Überlegungen und Standpunkte auf begründete Erfordernisse der Zukunft, wie zum Beispiel die Erfordernisse bezüglich verschiedener und angemessener
Fähigkeitsprofile der Streitkräfte im Bündnis, schließen.
({8})
Wir werden dafür sorgen, daß eine reformierte Bundeswehr den von Deutschland erwarteten, angemessenen
und verläßlichen Beitrag im Bündnis wird leisten können. Wir haben erfolgreich mit der Konsolidierung der
Staatsfinanzen begonnen. Gleiches werden Sie bei der
Bundeswehr erleben, die endlich planerische und soziale
Sicherheit, verbunden mit qualitativen Verbesserungen
ihrer Fähigkeiten, erhalten wird.
({9})
Wir laden Sie dazu ein, an diesem Prozeß mitzuwirken; denn es ist nicht die Bundeswehr einer Partei oder
einer Fraktion, sondern es ist die Bundeswehr des ganzen Parlamentes. Die Bundeswehr ist und bleibt ein
Parlamentsheer.
Vielen Dank.
({10})
Für die F.D.P.Fraktion spricht der Kollege Günther Nolting.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Zumkley,
offensichtlich sind die Kommandeure etwas anderer
Meinung.
({0})
Sie konnten selbst verfolgen, daß es nur höflichen Beifall für die Rede des Kanzlers gegeben hat.
({1})
Wenn Sie mit Soldaten sprechen - wie Sie wissen, mache ich wahrlich genug Truppenbesuche -, dann können
Sie erfahren, daß die Soldaten zutiefst verunsichert sind.
Die Aussagen des Bundeskanzlers vor der Kommandeurstagung haben die schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
({2})
Wir halten heute diese Aktuelle Stunde ab, weil sich
der Kanzler in der Öffentlichkeit zu dieser Frage nicht
mehr äußert. Ich sage Ihnen, daß hier ein verantwortungsloses Spiel auf dem Rücken unserer Soldatinnen und
Soldaten und der zivilen Mitarbeiter ausgetragen wird.
({3})
Es gibt hier offensichtlich einen Machtkampf zwischen dem Bundeskanzler auf der einen Seite und dem
Verteidigungsminister auf der anderen Seite.
({4})
Ich zitiere aus einer Ticker-Meldung:
Scharping betonte zwar, seine Aussagen seien sehr
eng mit Bundeskanzler Gerhard Schröder ({5})
abgestimmt. Mit Blick auf die Ermunterung Cohens
an ihn, sich weiter für die nötigen Haushaltsmittel
für die Bundeswehr einzusetzen, fügte Scharping
aber hinzu, dabei sei ihm jede Unterstützung willkommen.
Hier zeigt sich doch offensichtlich, welch ein Zwiespalt
zwischen den Versprechungen des Bundeskanzlers auf
der einen Seite und den Forderungen des Verteidigungsministers auf der anderen Seite besteht. Ich habe
Ihnen bereits in der letzten Woche gesagt: Der Kanzler
hat sein Wort in dieser Frage gebrochen, und daran müssen Sie sich messen lassen.
({6})
Der Bundeskanzler hat es in seiner Rede auf der
Kommandeurstagung auch abgelehnt, den Verteidigungshaushalt von Deutschland mit den Verteidigungshaushalten anderer NATO-Länder zu vergleichen; der
Kollege Kossendey hat darauf hingewiesen. Dies könne
nicht einziger Maßstab für die Sicherheitsvorsorge eines
Landes sein.
({7})
Ich sage Ihnen: Diese Sicherheitsvorsorge ist aber ein
entscheidender Maßstab. Sie ist der Indikator, mit dem
wir zeigen, wozu wir noch bereit und in der Lage sind.
({8})
Es war Minister Scharping, der die Statistik der NATO-Haushalte als erster in die Diskussion gebracht hat,
als er gesagt hat: Deutschland ist in Fragen der Sicherheitspolitik auf dem Wege, in die dritte Liga abzusteigen. Das sind doch nicht Aussagen der Opposition, sondern das sind Aussagen Ihres Verteidigungsministers.
Auch daran müssen Sie sich messen lassen.
({9})
Der Verteidigungsminister stellt sich hier hin und
sagt: Der Haushalt für die nächsten Jahre steht in der
mittelfristigen Finanzplanung unter Vorbehalt. Der
Kanzler hat am Montag vor der Presse etwas ganz anderes gesagt, lieber Kollege Zumkley. Kanzler Schröder
hat gesagt: Die mittelfristige Finanzplanung bis zum
Jahr 2003 steht. Das können Sie in der „Berliner Zeitung“ von gestern nachlesen.
({10})
Es ist doch verwunderlich, daß der Verteidigungsminister seine Forderung hinsichtlich der mittelfristigen
Finanzplanung heute nicht wiederholt hat. Offensichtlich ist der Verteidigungsminister - lassen Sie es mich
so sagen - in dieser Frage eingenordet, also wahrscheinlich vom Kanzler zurückgepfiffen worden.
({11})
Angesichts dieser unterschiedlichen Aussagen muß
bei den Betroffenen doch Unsicherheit aufkommen. Bei
dieser Regierung gibt es kein Konzept für die Zukunft
der Bundeswehr, weder beim Verteidigungsminister
noch gar beim Kanzler. Es gibt nur massive und vor allem konzeptlose Kürzungen im Verteidigungshaushalt.
Ich habe wahrlich den Eindruck, Sie wollen sich hinter den Ergebnissen der Zukunftskommission verstekken, nach dem Motto: Hier haben wir Ergebnisse von
Externen, und die werden wir übernehmen.
({12})
Aber Sie sind als Politiker gefragt, was Sie wollen,
({13})
und Sie werden dafür zur Verantwortung gezogen. Egal,
welches Konzept Sie vorlegen: Es wird Geld kosten, und
dieses Geld werden Sie zur Verfügung stellen müssen.
({14})
Die Bundeswehr ist kein Selbstzweck, wie es immer
wieder dargestellt wird. Sie erhält ihren Auftrag von der
Politik. Die Bundeswehr steht für die höchsten Werte,
nämlich für Frieden und Freiheit, und die müssen immer
wieder verteidigt werden.
({15})
Es nützt auch überhaupt nichts, wenn der Kanzler
sagt - wie er es wieder getan hat -, daß für die im Einsatz befindlichen Soldaten alles getan werde. Die Bundeswehr ist nicht nur in den Einsatzgebieten tätig. Sie
leistet dort hervorragende Arbeit, aber sie leistet auch
hier im Inland hervorragende Arbeit. Deshalb braucht
sie eine gute Ausrüstung und einen gut motivierten
Rückhalt in Deutschland. Sie braucht Reserven und eine
Grundorganisation.
Wir werden doch in der Öffentlichkeit, auch innerhalb der NATO, an dem gemessen, Herr Kollege
Zumkley, was wir in der Zukunft für Krisenerkennung,
Konfliktverhinderung und -bewältigung tun wollen und
tun können. Ich frage Sie: Wie soll sich Deutschland in
internationalen Organisationen wie NATO, OSZE und
UNO noch sinnvoll engagieren, wenn dazu die Mittel
fehlen?
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Die geplanten
Einsparungen werden somit nicht nur zu radikalen
Strukturveränderungen in der Bundeswehr und zu Arbeitsplatzvernichtung in der wehrtechnischen Industrie,
sondern auch zu einem enormen internationalen Ansehensverlust führen.
({16})
Hier wird immer der Konsens angemahnt. Wir sind
gerne dazu bereit, auch auf der Grundlage unseres Positionspapieres, das wir im März vorgelegt haben. Nur,
dazu müssen Sie Ihre Politik ändern.
Vielen Dank.
({17})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese
Aktuelle Stunde ist überflüssig wie ein Kropf.
({0})
Das mindeste wäre doch gewesen, Herr Kossendey und
Herr Nolting - die Sie, im Gegensatz zu anderen Kollegen, gar nicht auf der Tagung waren -, daß Sie sich die
Reden besorgt, sie gelesen und ordentlich analysiert
hätten.
({1})
Ich will Ihnen auch sagen, warum: Sie machen hier ein
Schaulaufen. Sie haben Ihre Reden abgelesen, die Sie in
der letzten Woche in der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 14 gehalten haben.
({2})
- Ich war - im Gegensatz zu Ihnen - auf der Kommandeurstagung. ({3})
Sie versuchen hier die Bundeswehr parteipolitisch zu
mißbrauchen, um zu verdecken, daß Sie in den letzten
16 Jahren kein Konzept hatten. Das ist bekannt und weiß
Gott keine Sternstunde dieses Parlaments.
({4})
Herr Kollege Breuer, mit Verlaub: Ich habe wirklich
Zweifel an Ihren Bekundungen eines neu erwachten Reformwillens. Das einzige, was wir dazu gehört haben, ist
einem Interview in der „Welt“ von heute zu entnehmen,
das ansonsten jeder verteidigungs- und sicherheitspolitischen Logik widerspricht und zudem mit vollkommen
absurden Unterstellungen arbeitet wie der, es gebe keine
mittelfristige Finanzplanung dieser Regierung.
({5})
Wir haben sehr wohl eine mittelfristige Finanzplanung.
Wir haben es darüber hinaus geschafft, die Defizite auszugleichen, die entstanden sind, weil Sie keine Vorsorge
für den Bosnieneinsatz und dessen Kosten getroffen
haben. Wir haben mit 2 Milliarden DM über den Einzelplan 60 den aktuellen Einsatz im Kosovo sichergestellt.
({6})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen.
({7})
Wer hat denn die Bundeswehr in den letzten Jahren
als Steinbruch benutzt, ohne Reformanpassungen vorzunehmen? Wer hat denn die sicherheitspolitischen Veränderungen, die es - Gott sei Dank - nach dem Ende des
Ost-West-Konfliktes in Europa gibt, verschlafen und
weitergemacht wie bisher? Wie kommt es denn, daß wir
jetzt im Heer und in den anderen beiden Teilstreitkräften
Strukturen haben, die noch an der Ost-West-Verteidigung ausgerichtet sind und mit denen man überhaupt nicht in der Lage ist, internationale Friedenseinsätze adäquat durchzuführen? Das hat doch Ihre Fraktion zu verantworten. Wer hat denn den Kürzungen im
finanziellen Rahmenplan für den Bereich der Bundeswehr unter Waigel und Rühe zugestimmt?
({8})
Das waren doch Ihre Mehrheiten! Jetzt stellen Sie sich
hierhin und beklagen sich über Sachen, die Sie nicht
verstehen.
({9})
- Entschuldigung, Herr Raidel, hier laut zu brüllen ist
noch kein Politikkonzept. Da müssen Sie sich ein bißchen mehr einfallen lassen.
({10})
Der Bundeskanzler, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat in seiner Rede sehr konsequent auf die anstehenden Probleme der Bundeswehr und der Strukturreform hingewiesen. Ich darf Ihnen ganz klar sagen: Erste
Anforderung an Planungssicherheit sind der offene Umgang miteinander und das Benennen von Problemen.
Sonst verfährt man weiter nach dem Prinzip: Decke drüber, alles unter den Teppich. Wenn Sie jetzt unter Ihren
Teppich schauen, dann bekommen Sie überhaupt keine
Luft mehr vor lauter Staub.
({11})
Die Rede von Bundeskanzler Schröder war viel mehr.
Sie war ein Beitrag zur zukünftigen Entwicklung der
Bundeswehr, ein Beitrag, der zeigt, daß diese Bundesregierung die Probleme erkannt hat, daß wir gemeinsam
nach Wegen suchen müssen, um die Probleme zu lösen - zusammen mit den Kommandeuren.
({12})
Der Bundeskanzler hat klargemacht, daß - dies ist bei
Ihnen offensichtlich noch nicht angekommen - Sicherheit
in Europa und in Deutschland heute nicht bedeutet, zu
schauen, wieviel Mark im Einzelplan 14 veranschlagt
sind, sondern daß Sicherheit und Stabilität zu tun haben
mit der Stärkung von Demokratien, mit der Verstärkung
der Konfliktprävention, um Situationen wie in Bosnien
und im Kosovo zukünftig zu verhindern, und mit einer
Modernisierung der Bundeswehr, die im multinationalen
Konsens im Rahmen der Vereinten Nationen, der OSZE,
aber auch der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Zukunft ihre Verantwortung zu tragen
bereit ist.
Diese Diskussion - das haben Sie ja nun leider in
Hamburg nicht verfolgt - war eine positive Diskussion.
Wenn Sie mit den Kommandeuren gesprochen haben,
wissen Sie, daß sie gesagt haben: Endlich ist der Mief
weg, endlich sagt einer, wo es langgeht.
({13})
Den Weg mitzugehen sind wir bereit.
({14})
Das will ich hier unterstreichen, weil Sie immer so tun,
als wären Sie die ersten, die die Interessen der Bundeswehr verträten. Der Generalinspekteur von Kirchbach
hat sehr eindrucksvoll klargemacht - und davor gewarnt -, daß es das Falscheste wäre, jetzt im Rahmen
von Besitzstandsdenken der Teilstreitkräfte die notwendige, akzeptierte gemeinsame Reform zu blockieren
oder zu verhindern. Das, meine verehrten Kollegen und
Kolleginnen von der Opposition, sollten Sie wirklich
beherzigen.
({15})
Für die PDSFraktion spricht die Kollegin Heidi Lippmann.
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wir Deppen von der Opposition saßen heute vormittag
im Verteidigungsausschuß, während die anderen auf der
Kommandeurstagung waren. Sie sagten, die Kommandeurstagung sei Ihnen wichtiger; daran wäre Ihr Antrag
zur Friedens- und Konfliktforschung heute morgen im
Ausschuß beinahe gescheitert.
({0})
Zu guter Letzt wurde er dann noch doch angenommen.
Ich kann Ihnen aber gern erklären, weshalb ich heute
morgen nicht zugestimmt habe.
({1})
Lesen Sie das Protokoll nach! Wenn Sie solche nichtssagenden Anträge in den Ausschuß einbringen, dann
müssen Sie auch schon mal hinterfragen, weshalb ihnen
nicht zugestimmt wird.
({2})
- Ich habe mich enthalten, Herr Opel, und ich habe das
heute morgen begründet.
({3})
Wären die Regierungsfraktionen in größerer Zahl anwesend gewesen, dann wäre der Antrag möglicherweise
leichter durchgegangen.
Kommen wir zurück zu dem Thema des Tages: Der
Opposition von rechts wird vorgeworfen, die Kommandeurstagung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Dem muß natürlich auch ich zustimmen. Aber in diesem
Haus instrumentalisiert mittlerweile jede Fraktion - bis
auf die unsere - die Bundeswehr für ihre Zwecke.
({4})
- Genau, wir wollen sie abschaffen. Sie kennen unsere
Position, daher brauche ich dazu keine weiteren Ausführungen zu machen.
Ich war nicht auf der Kommandeurstagung; das Damenprogramm, das dort angeboten wurde, hat mir nicht
so zugesagt. Auch das mag als Grund gelten. Ich habe
mich aber aus der Presse informiert, der man ja in Friedenszeiten Gott sei Dank wieder mehr Glauben schenken kann als in Kriegszeiten. Auch habe ich die
14seitige Rede des Bundeskanzlers nachgelesen. Sie
können die Anmerkungen gern überprüfen. Da wird von
„maßvollem Auftreten“, „mehr Verantwortung übernehmen“, „Neugestaltung“ und „Aufbruch“ geredet. Der
Kanzler appelliert an die „Loyalität der Soldaten“. Er
bezeichnet den Vergleich des Verteidigungsetats als unzureichend, und er weist am Ende seiner Rede - auf der
letzten Seite - darauf hin, daß die aktuelle Situation der
Bundeswehr heute vergleichbar sei mit der der 50er Jahre, als Deutschland verteidigungsfähig gemacht werden
mußte. Und dementsprechend muß heute genau überlegt
werden, wo es langgehen soll. Doch im Gegensatz zu
dem, was Sie uns jetzt hier vorgetragen haben, habe ich
in dem Papier keine konkreten Aussagen lesen können,
wo es langgehen soll. Ich denke, genau das ist der
Grund, weshalb die CDU hier die Aktuelle Stunde beantragt hat.
Der ständige Widerspruch, den wir jetzt seit gut einem Jahr erleben, zwischen den außenpolitischen Gestaltungsansprüchen - der gestrige Besuch des Kanzlers
in Paris war wieder ein glorreicher Beweis dafür, welche
langfristigen Verpflichtungen man auf internationaler
Ebene eingehen will, daß zum Beispiel die Krisenreaktionskräfte auf 50 000 bis 60 000 Mann ausgebaut werden
sollen, daß zum Beispiel neue Satellitenprogramme geschaffen werden sollen usw.; das alles kennen wir ja aus
den bisherigen Debatten - und der tatsächlichen Ausgestaltung der Bundeswehr ist nach wie vor genauso nebulös, wie ihn Offiziere - laut „dpa“, sage ich dazu bezeichnet haben sollen. Die Rede des Bundeskanzlers
wurde laut „dpa“ gerade mal mit elf Sekunden Beifall
bewertet.
({5})
Ich habe das nicht gestoppt, aber „dpa“ hat das anscheinend getan.
Ich denke, den Offizieren sind die Widersprüche zwischen den außenpolitischen Ansprüchen, zwischen dem,
was sie in Zukunft alles leisten sollen, und dem tatsächlichen Istzustand deutlich geworden. Diese Widersprüche haben wir hier schon mehrfach diskutiert. Ich denke,
Sie kommen aus diesem Widerspruch nur heraus, indem
Sie sich tatsächlich an das erinnern, was Sie einmal in
Ihrer Koalitionsvereinbarung verabredet haben. Darin
stand unter anderem: Die Bundesregierung wird sich
von der Verpflichtung zur weiteren Zivilisierung, zur
Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, zu einem ökonomischen, ökologischen und sozial gerechten Interessenausgleich leiten lassen.
({6})
Wir fordern Sie auf: Lassen Sie sich bei Ihrer künftigen
Politik, gerade auch gegenüber der Bundeswehr und geAngelika Beer
genüber den Wählern und Wählerinnen, von den in dieser Koalitionsvereinbarung - zumindest partiell - richtig
formulierten Ansprüchen leiten und instrumentalisieren
Sie nicht länger die Soldaten für Ihre eigenen Zwecke!
Kolleginnen und Kollegen von der rechten Seite, zum
Schluß sei mir noch ein Wort an Sie gestattet: Zur Konsolidierung des Haushalts hätte es in den vergangenen
Jahren auch andere Möglichkeiten gegeben. Wie wir
jetzt erfahren haben, sind viele Millionen in die Unterstützung der eigenen Partei geflossen.
({7})
Vielleicht hätten Sie auch einmal überlegen können, ob
die Gewinne, die aus dem Panzerdeal mit Saudi-Arabien
herausgekommen sind, bei der Bundeswehr nicht besser
aufgehoben gewesen wären.
Danke.
({8})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat die Kollegin Verena Wohlleben.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es war einmal ein Kanzler, der versprach: „Die Bundeswehr bekommt, was sie verdient.“ In der Tat kannte sich Herr
Kohl mit Verdiensten aus; mit schwarzen Konten kannte
er sich wohl gut aus.
({0})
Aber nicht so ein ehemaliger Generalsekretär: Herr
Rühe.
({1})
Ihn kommandierte der Kanzler ab auf die Hardthöhe.
Der Generalsekretär wußte von nichts, und dieses Unwissen setzte er auf der Hardthöhe wohl fort.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist gut,
daß unser Bundeskanzler Gerhard Schröder nun auf die
Soldaten zugeht und ihnen sagt, wohin die Reise geht.
({3})
Das ist der Unterschied zu den Mauscheleien der Union.
({4})
Der griechische Philosoph Epiktet wußte schon: Menschen werden nicht durch die Dinge, die passieren, beunruhigt, sondern durch die Gedanken darüber. So ist es,
meine sehr verehrten Herren und Damen von der Opposition, auch mit Ihren Gedanken über die Rede unseres
Bundeskanzlers Gerhard Schröder vor der Kommandeurstagung. Unsicher, ja verunsichert war die Bundeswehr insbesondere durch einen Minister,
({5})
den Sie in Ihrer Regierungszeit gestellt haben: durch
Herrn Rühe. Er hat den Soldatinnen und Soldaten nämlich untersagt, über die Zukunft der Bundeswehr nachzudenken
({6})
und Vorschläge zu Verbesserungen und Veränderungen
zu machen.
({7})
Herr Rühe hat ganz einfach bestimmt, wie umstrukturiert wird, wann umstrukturiert wird und wie das Sparen
gestaltet werden soll.
({8})
Mitdenken war verboten.
({9})
Bitte nur nicht den Maulkorb ablegen, den ich bei meinem Amtsantritt den Soldatinnen und Soldaten ausgehändigt habe - das war doch die Devise Ihres Ministers.
({10})
Ich darf Sie noch einmal daran erinnern: Seit die
Bundeswehr besteht, haben die SPD und ihre Repräsentanten in den verschiedenen Aufbauphasen und in den
unterschiedlichsten Funktionen einen wesentlichen Anteil an der positiven Entwicklung unserer Streitkräfte.
({11})
Ab 1969 haben drei Verteidigungsminister der SPD
- Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel - ihren
maßgeblichen Anteil daran gehabt,
({12})
daß den Streitkräften in Struktur, Ausbildung und innerem Gefüge ein modernes und gesellschaftlich angemessenes Gewicht gegeben wurde.
({13})
- Ich komme noch dazu. - Unter Führung sozialdemokratischer Bundeskanzler wurde die gesellschaftliche
Integration der Bundeswehr vollzogen. Viele Reformen
sind umgesetzt worden, zum Beispiel bei den Universitäten. Auch bei der Modernisierung der Ausrüstung der
Bundeswehr wurden in dieser Zeit die Weichen gestellt:
Leopard-Panzer, Tornados und Fregatten
({14})
sind unter sozialdemokratischen Verteidigungsministern
entwickelt und beschafft worden.
({15})
- Ich kann selber schreiben, Herr Breuer. Das wissen Sie.
- Das heutige materielle Rückgrat der Bundeswehr ({16})
wenn Sie zuhören würden, bräuchte ich nicht so laut zu
sein - geht also auf SPD-Minister zurück.
({17})
Haben Sie das etwa vergessen? Ich glaube, daß ich nicht
übertreibe, wenn ich die sozialdemokratische Regierungsleistung jener Zeit als strukturprägenden und traditionsbildenden Abschnitt in der Entwicklung der Bundeswehr bezeichne.
({18})
Was haben wir nach Ihrer 16jährigen Regierungszeit
vorgefunden? Was haben Ihre Minister hinterlassen?
Skandale, Probleme und einen finanziellen Scherbenhaufen. Darüber will ich mich nicht weiter auslassen.
Ich bleibe dabei: Die einzigen Minister, die die Bundeswehr auch zum Mitdenken aufforderten, waren sozialdemokratische Minister.
({19})
An diese Tradition knüpft auch der jetzige Minister, Rudolf Scharping, an.
Meine sehr verehrten Herren und Damen von der
CDU/CSU, mit dieser Aktuellen Stunde in diesem Hohen Hause erreichen Sie Verunsicherung bei der Bundeswehr - ausgelöst von Ihnen. Sie betreiben eine unangemessene Aufwiegelung und Scharfmacherei. War das
Ihre Absicht? Ich hoffe, nicht. Ihre Absicht ist es, ein
Ablenkungsmanöver zu inszenieren, damit die Öffentlichkeit und auch die Bundeswehr über Ihre delikaten
Parteispenden getäuscht werden.
({20})
Ich empfehle Ihnen: Kehren Sie zum gepflegten Stil
in unserem Haus zurück! Bekennen Sie sich zu Ihren
Fehltritten, damit die Glaubwürdigkeit der Politik und
vor allen Dingen die Ehre der Politik wiederhergestellt
werden! Ich bitte Sie im Interesse unserer Bundeswehr
und auch unserer Bürgerinnen und Bürger: Kehren Sie
zur Sachlichkeit zurück!
Ich danke Ihnen.
({21})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Paul Breuer.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Nach den Reden der Kolleginnen
und Kollegen der SPD und auch der Grünen, frage ich
mich: Wofür soll Herr Scharping Verantwortung tragen?
Für die Vergangenheit, sagen Sie, sei Volker Rühe zuständig, für die Gegenwart wohl auch, und für die Zukunft soll es die Wehrstrukturkommission richten. Zu
der Substanz dessen, was Sie wollen, haben Sie hier
überhaupt nichts gesagt. Null Verantwortung!
({0})
Ich habe mir am Montag im Rahmen der Kommandeurstagung Zeit genommen und einige Gespräche mit
den Kommandeuren geführt. Dabei habe ich eines festgestellt: Das, was der Generalinspekteur in seiner Rede
zum Ausdruck gebracht hat, nämlich daß das vergangene Jahr ein verlorenes Jahr war und daß es für die Soldaten der Bundeswehr, aber auch für diejenigen, die die
politische Führung innehaben, schwer wird, auf die Entscheidungen in drängender Lage - so seine Formulierung - zu warten, gibt die Stimmung in der Bundeswehr
wieder. Von Ihnen höre ich, was die Zukunft angeht,
überhaupt nichts. Alles soll die Wehrstrukturkommission richten. Das ist schwach!
({1})
Frau Beer, Sie haben gesagt, die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und F.D.P. habe nicht genügend
Vorsorge für internationale Einsätze geleistet. Damit
versuchen Sie, die Geschichte auf den Kopf zu stellen.
Sie waren doch immer gegen diese Einsätze, Sie haben
die Leute aufgewiegelt.
({2})
Die SPD ist vor das Verfassungsgericht gezogen. Vorbereitung auf internationale Einsätze? Sie haben von Blauhelmen gefaselt und versucht, den Eindruck zu erzeugen, man könne mit dem Röschen im Gewehrlauf in die
Einsätze gehen. Die Vorbereitung mußte doch zuerst
einmal in Ihrem Kopf stattfinden! Und ich stelle fest: Sie
sind bis zum heutigen Tag nicht angekommen, Frau
Kollegin Beer.
({3})
Meine Damen und Herren, die sicherheitspolitische
Lage hat sich verändert.
({4})
Daß wir darauf vorbereitet sind - und die Bundeswehr,
auch mental -, Frau Kollegin Beer, verdanken Sie insbesondere der Standhaftigkeit der CDU/CSU; denn sie hat
klar gesagt, daß das Grundgesetz auch eine Verteidigung
außerhalb des NATO-Territoriums zuläßt. Das ist nicht
Ihr Verdienst, sondern eindeutig das Verdienst der damaligen Bundesregierung von CDU/CSU und F.D.P.
({5})
Wenn Sie Volker Rühe dieses Verdienst absprechen
wollen, dann ist das absurd. Er ist der deutsche Verteidigungsminister, dem zwei Verdienste zuzurechnen sind:
erstens die Änderung der NATO-Strategie und zweitens
die Öffnung der NATO nach Osten. Das weiß jeder
seriöse deutsche Außen- und Sicherheitspolitiker.
({6})
Meine Damen und Herren, mir ist aufgefallen, daß
der Bundeskanzler in seiner Rede, deren Genuß ich
allerdings ausgelassen habe
({7})
- ich habe die Rede gelesen, habe mich also von den
Showeffekten nicht beeindrucken lassen; allerdings haben sich auch die Kommandeure davon nicht beeindrukken lassen -, den Verteidigungsminister abgewatscht
hat. Ich zitiere daraus: Gelegentlich höre ich, der Verteidigungshaushalt müsse deshalb erhöht werden, weil
viele unserer NATO-Partner deutlich mehr Geld für ihre
Sicherheitsvorsorge ausgeben und Deutschland im Vergleich zu den Verteidigungshaushalten der NATOPartner an hinterer Stelle liegt.
({8})
- Ja, das hört man wirklich, aber vor allen Dingen vom
Verteidigungsminister, von Herrn Scharping.
({9})
Er hat ja auch recht. Wenn Herr Scharping ertragen
muß, daß ihm dies bei NATO-Tagungen vorgehalten
wird, ob vom amerikanischen Verteidigungsminister
Cohen, ob von Herrn Robertson oder wem auch immer,
dann muß ich sagen: Ich halte diese Veranstaltung im
Hinblick auf die deutsche Verantwortung für unwürdig.
Wir Deutsche - das ist jetzt einmal die Verantwortung
der SPD und der Grünen - müssen entscheiden, wieviel
Beitrag wir leisten wollen. Haushalt ist Politik in Zahlen. Sie sind dabei, in einer schleichenden Art und
Weise die Prioritäten der deutschen Politik bei Vernachlässigung der Außen- und Sicherheitspolitik zu verändern.
({10})
- Ich will nicht weiter Schulden machen. Es geht bezüglich des Verteidigungshaushaltes um eine Nettokonsolidierung im Haushalt von 1 Prozent.
Ich möchte, daß Deutschland in Zukunft seinen verantwortlichen Beitrag leisten kann. Es kann nicht angehen, daß Deutschland und die Bundeswehr immer größere Verpflichtungen eingehen - dafür bin ich -, aber
eine Haushaltsdeckung dafür nicht vorhanden ist. Wenn
Sie in der Lage sind, in den zweiten Arbeitsmarkt, in die
Bundesanstalt für Arbeit Milliarden über Milliarden hineinzupumpen, dann ist es eine Pflichtvergessenheit gegenüber der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik,
insbesondere im Verteidigungshaushalt zu sparen. Darum geht es!
({11})
Nunmehr gebe ich
der Kollegin Angelika Beer vom BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN das Wort.
({0})
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Man
könnte jetzt eigentlich Schluß machen
({0})
und sagen: Es „breuert“ wieder in deutschen Landen.
Herr Kollege Breuer, ich bin absolut enttäuscht, weil Sie
schlichtweg nicht in der Lage sind, an politische Kursveränderungen, an sicherheitspolitische Rahmenbedingungen und an das Recht der Bundeswehr auf Planungssicherheit, die Sie verweigert haben, auch nur zu denken. Sie brauchen hier keine Antworten zu geben. Das
machen wir. Die Verantwortung haben wir als Bundesregierung übernommen. Aber Sie sollten wenigstens
versuchen, in neuen Strukturen mitzudenken.
Wenn Sie sagen, Sie wollten endlich wissen, wohin
es geht: Lassen Sie uns die Debatte doch sachlich führen! Hören Sie auf, die Bundeswehr parteipolitisch zu
instrumentalisieren, manchmal mit Unterstützung des
Bundeswehr-Verbandes. Das, was Sie hier geleistet haben, ist wirklich „einmalig“.
({1})
Der Kanzler hat sehr deutlich gesagt, wo die Anforderungen liegen. Der Kanzler hat sich nicht in Widerspruch zum Verteidigungsminister gesetzt. Der Bundeskanzler hat nur das, was ich von Ihnen erhofft habe, aufgezeigt. Er hat die Veränderungen im europäischen
Bündnis und die Konsequenzen aufzeigt, die aus dem
Entstehen des Krieges im Kosovo, aus dem Krieg selber
und dem, was danach folgte, gezogen werden müssen.
Ich sage Ihnen hier noch einmal, auch wenn ich es in der
letzten Woche schon unterstrichen habe: Was Deutschland im Rahmen des Stabilitätspaktes leistet - was Sie
nicht zum Einzelplan 14 zählen können -, was wir an
Stabilisierung für einen friedlichen Balkan der Zukunft
leisten, was wir im Bereich der Aufnahme von FlüchtPaul Breuer
lingen leisten, gehört zu einer präventiven Außen- und
Sicherheitspolitik, die neue Wege geht, was unter Ihnen
16 Jahre lang nicht geschehen ist.
Wir haben sehr sachlich diskutiert und dabei - sowohl Herr Schröder als auch der Verteidigungsminister
haben das eingeräumt - Defizite erkennen müssen, zum
Beispiel im Bereich der europäischen Möglichkeiten der
strategischen Aufklärung, im Lufttransport. Wir wollen
mit den Europäern zusammen - nicht in Konkurrenz zu
den Amerikanern - versuchen, diese Defizite gemeinsam zu beseitigen, damit wir in Europa selber Verantwortung übernehmen können, um Kriege zukünftig zu
verhindern. Da ist bei Ihnen ein Blackout, das verstehen
Sie nicht. Was wir gemeinsam machen, heißt nicht
„Alles, was schon vorhanden ist, plus die Milliarden, die
Sie einfordern“, sondern heißt, die europäische Sicherheitsarchitektur neu und gemeinsam aufzubauen. Daran
werden sich alle Nationen beteiligen. Deswegen muß
nicht nur Deutschland die Struktur der Bundeswehr ändern, sondern auch die europäischen Partner müssen die
Struktur ihrer Armeen ändern; sie haben es schon frühzeitig getan. Das ist unser Vorwurf an Sie: Sie haben es
versäumt. Sie haben gesagt: Augen zu und durch, immer
weiter, nur mehr Geld. Es ist wichtig, daß auch der
Kanzler unterstrichen hat, wie gut es ist, daß sich
Deutschland in Zukunft an Maßnahmen der Vereinten
Nationen durch das Stand-by-Agreement beteiligen wird.
Er hat auch gesagt, er verschließt nicht die Augen davor, daß diese Umstrukturierung Geld kosten wird. Aber
er fordert das politische Konzept ein. Da habe ich völlig
andere Eindrücke gewonnen als Sie. Die Kommandeure
wissen um die Enge bei den Staatsfinanzen. Mit Verlaub, das ist doch genau das, was wir Ihnen vorhalten
müssen. Wir müssen diese 30 Milliarden DM einsparen,
weil es ohne eine Konsolidierung der Staatsfinanzen
auch keine zuverlässige Sicherheitspolitik geben wird.
So einfach ist das, Kollege Breuer.
({2})
Beides gehört zusammen, und deswegen werden wir
nicht Verschiebebahnhof spielen.
Ich habe mich gefreut, daß wichtige Mitglieder der
Wehrstrukturreform-Kommission anwesend waren und
signalisiert haben, daß sie den Reformdruck erkannt haben. Daher werden sie nicht, wie wir ursprünglich vereinbart hatten, ihr Konzept und ihre Vorstellungen im
Herbst vorlegen, sondern wir werden im Frühjahr gemeinsam über die Bundeswehr der Zukunft diskutieren
und entscheiden, und zwar in allen Facetten. Dazu gehören auch die Frage der Wehrform, die Frage von Frauen
in der Bundeswehr und die Frage der Umstrukturierung.
Ich sage Ihnen nochmals: Die Soldaten haben deutlich sowohl auf die heutige Rede des Verteidigungsministers, die Sie auch nicht gehört haben,
({3})
als auch auf die des Bundeskanzlers signalisiert, daß sie
diesen Reformwillen mitbringen und die Sicherheit haben, daß wir zukünftig ein verläßlicher Bündnispartner
in Europa, innerhalb der NATO, und zwar nicht nur im
militärischen, sondern auch im präventiven Bereich, sein
werden. Das ist neu, und das ist gut so.
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Helmut Rauber.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Beer,
ich kenne keine verteidigungspolitische Position, die Sie
in den letzten eineinhalb Jahren nicht vertreten haben.
({0})
Sie reden einmal so und einmal so, gerade wie es die
Schlagzeile hergibt. Das macht Sie wenig glaubwürdig.
({1})
Bundeskanzler Schröder hat auf der Kommandeurstagung in Hamburg erklärt, daß der Verteidigungshaushalt kein Steinbruch werden darf. Genau das geschieht
aber, da die Bundeswehr bis zum Jahre 2003 18,6 Milliarden DM sparen muß. Dies kritisieren wir.
({2})
Wir kritisieren auch, daß der Bundeskanzler zum Thema
Wehrpflicht nicht einen einzigen Satz gesagt hat.
({3})
Sie von der SPD und den Grünen beklagen sich heute
über das, was Sie früher selbst eingefordert haben. Sie
waren selbst nicht für mehr, sondern für weniger Geld
für die Bundeswehr. Sie haben in der Zeit von 1990 bis
1996 im Rahmen der Haushaltsberatungen Anträge eingebracht, die vorsahen, bei der Bundeswehr insgesamt
13,8 Milliarden DM zu kürzen. Ihnen selbst war nicht
genug, was Bundeskanzler Helmut Kohl unter dem
Motto „Frieden schaffen mit weniger Waffen“ erreicht
hat. Diese Politik, eingebettet in weltpolitische Veränderungen, hat es möglich gemacht, daß die Bundeswehr
einschließlich NVA von 380 000 auf 340 000 Mann reduziert wurde. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Wir begrüßen auch ausdrücklich, daß im Bereich des Verteidigungshaushalts eine jährliche Friedensdividende von
45 Milliarden DM möglich ist. Zu dieser Politik stehen
wir. Diese Politik halten wir nach wie vor für gut.
({4})
Es gibt kein Ressort, das auch nur annähernd einen
solchen Sparbeitrag geleistet hat wie der Verteidigungshaushalt. Wenn Sie sich heute darüber beklagen, daß im
Verteidigungshaushalt zu unserer Zeit zu wenig Mittel
eingestellt wurden, dann muß ich sagen: Dies ist schon
ein Oscar-reifes Stück an Dreistigkeit,
({5})
wobei ich mit „Oscar“ nicht den meine, den Sie selbst
nicht mehr kennen wollen.
Die Regierung Kohl hatte rechtzeitig verstanden. Wir
hatten beschlossen, den Verteidigungshaushalt von
47 Milliarden DM in diesem Jahr auf 50 Milliarden DM
im Jahre 2000 zu erhöhen. Genau diese 50 Milliarden DM fordern wir ein.
({6})
Wir fordern sie nicht ein, weil wir meinen, Geldausgeben sei ein Maßstab erfolgreicher Politik, sondern wir
verlangen die 50 Milliarden DM deshalb, weil das der
Mindestbetrag ist, den die Bundeswehr selbst benötigt,
eine Bundeswehr, von der auch Sie in Sonntagsreden
sprechen.
Es ist absolut unstrittig, daß es in der Bundeswehr
- das sagen Sie ja selbst - Defizite im Bereich der strategischen, der operativen Aufklärung gibt, im Bereich
der Mobilität, der Interoperabilität, der Verstärkungsund Verlegungsfähigkeit, bei der Fähigkeit, zu überleben und durchzuhalten, und bei der teilstreitkräfteübergreifenden Zusammenarbeit. Das alles hat auch der
Verteidigungsminister zugestanden.
Wenn wir noch zusätzlich das realisieren wollen, was
zum Beispiel die Bundesakademie für Sicherheitspolitik
im September dieses Jahres unter dem Titel „Revolution
in Military Affairs“ diskutiert hat, dann wird erst recht
klar, daß die Bundeswehr nicht weniger, sondern deutlich mehr braucht. Diese Revolution militärischer Angelegenheiten können Kriege oder Konflikte sicherlich
nicht menschlich machen, aber weniger grausam. Darauf
sollten wir hinarbeiten.
Es geht darum, durch Hochtechnologie Überlegenheit
und damit Abschreckungswirkung zu erreichen. Konkret
liegen die Ziele darin, eigene Verluste zu vermeiden
bzw. zu minimieren, Kollateralschäden zu begrenzen,
das Gefecht aus sicheren Abständen mit Präzisionswaffen zu führen und durch einen massiven Einsatz von
Sensoren und Computern bei den Aufklärungs-, Informations- und Kommunikationssystemen die gewünschte
Überlegenheit herzustellen. Auch an diesem Punkt stellt
sich die Frage, in welcher Liga wir spielen wollen: Es
paßt nicht zusammen, in der Champions League spielen
zu wollen, wenn der Finanzminister nur bereit ist, für eine Kreisklassemannschaft zu zahlen.
Die Bundeswehr steht sicherlich vor großen Weichenstellungen. Wir sind dann zu einer Zusammenarbeit
bereit, wenn sie sinnvoll ist. Im Augenblick allerdings
sehen wir die Grundlage dazu nicht gegeben.
({7})
Für die SPDFraktion spricht der Kollege Volker Kröning.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wenn ich Sie so höre,
Herr Breuer, dann fällt mir eigentlich nur ein: Ideen
können nicht durch Lautstärke ersetzt werden.
({0})
Bei Ihrer Rede und der des Kollegen Rauber fiel mir auf,
wie sehr Ihre Argumentation vergangenheitsgewandt
- man könnte schon fast sagen: nostalgisch - ist.
({1})
Ich sage Ihnen: Seit dem gestrigen Tage, seit dem
30. November 1999, sieht für Sie die Welt anders aus.
Sie müssen sich mit Ihrer Zukunft beschäftigen.
({2})
Das gilt nicht nur für Altbundeskanzler Kohl, der nicht
mehr zurücktreten kann, weil er zum Glück schon abgewählt ist, sondern wird wahrscheinlich auch noch für
Ihren Spitzenkandidaten in Schleswig-Holstein, Rühe,
gelten.
({3})
Ihre Argumentation in der Haushaltsdebatte des
Deutschen Bundestages und in der heutigen Aktuellen
Stunde steht unter der Überschrift, daß die Zukunft der
Bundeswehr unsicher sei.
({4})
Das ist Unsinn. Das habe ich schon neulich gesagt, und
das will ich erneut belegen.
({5})
Herr Rauber, man kann nur dann von Einsparungen in
Höhe von 18 Milliarden DM sprechen, wenn man die
jetzige Finanzplanung mit der Finanzplanung der Regierung Kohl/Waigel/Rühe vergleicht und diese ernst genommen hat - was die Mehrheit der Wähler offenbar
nicht getan hat. Nur wer diese Finanzplanung ernst genommen hat, kann davon überrascht sein, was jetzt nicht
nur im Verteidigungsressort, sondern in allen anderen
Ressorts zu geschehen hat. Jede Regierung mußte nicht zuletzt unter dem Maastricht-Regime - die Sanierung der Staatsfinanzen einleiten. Diese Anstrengung das sage ich für meinen Part - muß durchgehalten werden.
({6})
Was der Bundeskanzler dazu in Hamburg gesagt hat,
verdient über diesen Kreis hinaus - der es sowieso weiß
- wiedergegeben zu werden. Ich zitiere:
Angesichts von 82 Milliarden DM Zinszahlungen
jedes Jahr - das sind 150 000 DM in jeder Minute -,
wohlgemerkt ohne Tilgung, muß es Ziel jedes politisch Verantwortlichen in diesem Lande sein, diese
Schuldenlast nachhaltig zu senken, bis hin zu einem
ausgeglichenen Haushalt.
({7})
Unsere Konsolidierungspolitik
- das ist auch über die Fernsehnachrichten gelaufen -,
für deren Unterstützung ich auch bei Ihnen werbe,
- bei den Soldaten werbe -,
ist nicht Selbstzweck, sondern unabdingbare Voraussetzung für die Wiedererlangung der staatlichen
Handlungsfähigkeit und damit der Zukunftsfähigkeit von Staat und Gesellschaft.
Die SPD-Fraktion steht ungeteilt hinter diesen Ausführungen.
({8})
Ich füge an, und das sei noch einmal zu Ihrem Antrag
auf Erhöhung des Verteidigungshaushaltes um 1,7 Milliarden DM in den Haushaltsberatungen gesagt: Solange
Sie bei Ihren Anträgen auf Mehrausgaben nicht sagen,
wie Sie sie finanzieren wollen,
({9})
also - im Klartext - ob Sie an anderer Stelle Minderausgaben akzeptieren oder erneut in die Neuverschuldung
gehen wollen, sind Ihre Vorschläge nicht zu diskutieren.
Ihre Vorschläge sind, ohne daß Sie einen Finanzierungsvorschlag machen, nicht anzunehmen. Wenn Sie
an Ihre alte Finanzplanung anschließen wollen, müssen
Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, den Staat in den
Ruin zu treiben.
({10})
Nun zu der Kommandeurstagung: Niemand außerhalb und innerhalb des Saales wird erwartet haben,
({11})
daß der Kanzler vor den Offizieren eine andere Haltung
einnimmt als vor den Bauern, den Wirtschaftsverbänden
oder den Gewerkschaften, zum Beispiel der IG Metall.
Auch die Soldaten, abgesehen von einigen, die ich als
Nur-Soldaten bezeichne - das ist zum Glück in der Bundeswehr, die wir Sozialdemokraten maßgeblich mit geprägt haben, die Ausnahme und nicht die Regel -,
({12})
wissen, daß die Sanierung der Staatsfinanzen von überragendem Interesse ist, das nicht nur wir Deutsche haben; denn wir sind nicht allein auf der Welt. Dieses Interesse muß auch das Ausland haben.
Ich bedaure, daß sich auch der amerikanische Verteidigungsminister, den ich keineswegs als Fachidioten bezeichnen würde, dieses sagen lassen muß. Er scheint
nicht zu wissen, welche Lasten Deutschland für die
Überwindung seiner Teilung zu tragen hatte und noch zu
tragen hat
({13})
und welche Beiträge Deutschland auch zur Überwindung der Teilung Europas mitzutragen hat. Das ist nicht
nur ein militärischer, sondern auch ein nichtmilitärischer
Beitrag. Ich wiederhole die Zahlen: 59 Milliarden DM
plus 55 Milliarden DM Verteidigungsausgaben plus
- im engsten Sinne der Definition - erweiterte Sicherheitsvorsorge in Europa. Das ist die Relation im Haushalt 2000. Dazu können wir als aufgeklärte und zukunftsgewandte Sicherheitspolitiker sehr gut stehen.
({14})
Ich habe den Eindruck, bei Ihnen werden Zwischentöne laut, die leider heute hier am Pult nicht zur Geltung
kommen. Der Kollege Kossendey hat zu Recht die Frage
aufgeworfen, ob man nicht
Herr Kollege Kröning, Sie müssen leider zum Schluß kommen.
({0})
- zu einer Verstetigung der
Verteidigungsausgaben kommen sollte. Er hat auch erwogen, ob man nicht zu einer Definition des Anteils am
Gesamtbudget kommen sollte. Ich sage: Gut, Kompliment und weiter so.
Warum spricht die CSU heute gar nicht in der Debatte? Ist das, was in der Zeitung steht, richtig?
({0})
Herr Raidel, jetzt sagen Sie einmal, welche Vorstellungen Sie haben und ob Sie bereit sind, die Diskussion zu
eröffnen und endlich Vorschläge auf den Tisch zu legen.
Danke schön.
({1})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Hans Raidel.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege
Kröning, Sie sind eigentlich ein ganz vernünftiger
Mensch, wenn man privat mit Ihnen spricht.
({0})
Aber mit Buchhaltermentalität, die Sie gerade an den
Tag gelegt haben, kommt man im Bereich der Verteidigung und Sicherheit nicht allzu weit.
Wenn Sie hier dann auch noch den amerikanischen
Verteidigungsminister Cohen völlig deplaziert apostrophieren,
({1})
dann paßt das überhaupt nicht zu dem Verhältnis der
NATO zu Amerika, Deutschlands zu Europa, zur Verteidigungsphilosophie insgesamt. Ich glaube, Sie sollten
immer auch ein klein wenig daran denken, was wir in
diesem ganzen Bereich den Amerikanern zu verdanken
hatten und auch heute noch zu verdanken haben.
({2})
Cohen und Scharping sind dieser Tage in Garmisch.
Vielleicht nehmen sie die Gelegenheit wahr, das, was
Sie hier vom Stapel gelassen haben, wieder in Ordnung
zu bringen.
({3})
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, Zahlen sind wichtig, Geld ist notwendig.
({4})
Sie müssen sich schon daran messen lassen, was die
mittelfristige Finanzplanung aussagt, weil sie ja irgendwo auch durchaus verbindlichen Charakter in bezug auf
den jeweiligen Haushalt hat. Sie haben angeführt, unsere
damalige Planung belief sich für das Jahr 2000 auf
48,3 Milliarden DM, stetiger Aufwuchs bis 2003 auf
49,5 Milliarden DM. Sie haben den Sturzflug der Bundeswehr eingeleitet, indem Sie den Etat auf 43,7 Milliarden DM herunterfahren.
({5})
Wenn Sie es noch genauer haben wollen: Es geht ja
nicht nur um Einsparungen in den verschiedenen Titeln,
sondern es geht ja gleichzeitig auch um die globale
Minderausgabe, die rasenmähermäßig nun über diesen
Ansatz hinweggeht, und es werden keine Begründungen
gegeben.
({6})
So ist es in dem Titel des Haushaltsplans ausgewiesen.
Also ist nicht das Gegenteil richtig, sondern das, was
hier gesetzlich verbrieft ist.
({7})
Wir haben in den letzten Monaten folgendes positiv
bewirkt: Wir haben die NATO in Washington neu gestaltet; wir haben die Kölner Erklärung zur EU; wir
werden demnächst in Helsinki Positives bewirken. Wir
haben die OSZE jetzt in Istanbul neu gestaltet. Wir haben - das bemängeln wir auch heute - zur Finanzierung
all dieser neuen Leistungen keine einzige Aussage gehört. Jeder hier weiß, daß mit den Mitteln, die jetzt zur
Verfügung gestellt werden, diese neuen Aufgaben in
keinster Weise erledigt werden können. Das ist eine
Bringschuld von Ihnen. Diese Aussage muß die Opposition nicht von Ihnen einholen, sondern Sie müssen
nachweisen, wie diese Struktur finanziell gestaltet werden kann.
({8})
Ich sage Ihnen eines: Ständige Abstriche an der
Finanzausstattung der Bundeswehr machen die langfristige Planung eben leider zu einem Glücksspiel mit immer kürzerer Verfallszeit der Ergebnisse. Abrupte Kürzungen im Verteidigungshaushalt, wie Sie das nun auch
als zuständiger Berichterstatter zum Einzelplan 14 im
Haushaltsausschuß tatsächlich vertreten haben, ermöglichen ja nicht eine vernünftige Struktur, die wir alle bejahen, und die erforderlichen Umstrukturierungen, sondern sie behindern sie geradezu. Das ist doch in Wirklichkeit das Ergebnis Ihrer Politik.
Sind wir denn wirklich auf einer völlig anderen Veranstaltung? Wer streitet denn gegen den eigenen Kanzler? Wer streitet denn gegen die eigene Fraktion? Wer
streitet denn gegen die Regierungskoalition? - Bundesminister Scharping liegt im Clinch mit Ihnen,
({9})
doch nicht mit uns. Wir sind die zuverlässigen Truppen,
die ihn stützen, damit er gegen Sie überhaupt eine einigermaßen feste Position hat.
({10})
Das wird auch weiterhin so bleiben.
({11})
Wir werden diese Vorschläge auf den Tisch legen.
Wir sind dafür, daß die Bundeswehr ihre Aufgaben
künftig vernünftig bewältigen kann. Dazu ist eine
Strukturreform notwendig - was nicht bestritten wird -,
aber es wird folgendes gelten müssen: Wir brauchen dafür mehr und nicht weniger Geld.
({12})
Für mehr Geld kämpfen wir gemeinsam. Ich lade Sie
ein, mitzumachen. Sie sollten mit Ihren Verbalattacken
nicht vertuschen oder verheimlichen, daß Sie keine Ar6906
gumente für eine vernünftig strukturierte Bundeswehr
haben.
({13})
Ich gebe das Wort
dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Walter Kolbow.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Ich denke, daß es nicht angemessen ist, mit Spekulationen, freien Phantasien und parteipolitischer Eigennützigkeit an die Kommandeurstagung heranzugehen.
({1})
Diese Tagung verdient angemessene Berücksichtigung,
({2})
und ein Teil dieser angemessenen Berücksichtigung hat
auch der Bundeskanzler selbst von Ihnen verdient; denn
Sie sollten sich an den Fakten orientieren
({3})
und nicht an Ihren, wie schon dargelegt, eigennützigen
Interessen.
({4})
Das haben weder unsere Soldatinnen und Soldaten noch
die zivilen Beschäftigten verdient.
({5})
Weil Sie vielleicht der Auffassung sind, daß es zu sehr
parteipolitisch gefärbt ist,
({6})
wenn ich aus der Rede von Herrn Scharping oder aus
der Rede unseres Bundeskanzlers zitiere, möchte ich
Ihnen kurz etwas aus der Rede des Generalinspekteurs
vortragen, den Sie - das wundert mich - in Ihren Reden
und Darstellungen eigentlich überhaupt nicht berücksichtigt haben, was ein erheblicher politischer und sonstiger Mangel ist.
({7})
- Ja, aber falsch, lieber Kollege Breuer. Jetzt zitiere ich
einmal richtig:
Angesichts der Lage der Staatsfinanzen insgesamt
und der Umstände, denen sich die Bundesregierung
gegenübersieht, verstehen und akzeptieren wir, daß
unser Staat finanzpolitisch handlungsfähig sein und
Spielraum gewinnen muß, um seiner Rolle in Europa und in der Welt gerecht zu werden. Aber er muß
und will auch sicherheits- und bündnispolitisch
handlungsfähig bleiben. Beides muß in eine vernünftige Balance gebracht werden.
({8})
Genau das tun wir im Augenblick.
({9})
Das ist genau der Weg, den wir im Augenblick gehen.
Herr Kollege Raidel, Sie waren in Ihrem Diskussionsbeitrag gerade intellektuell unredlich;
({10})
denn hier, in der Zeitung, steht: Auch CSU für eine kleinere Armee. Das heißt, Sie wollen schon jetzt über das
Einsparen von Personalkosten eine Umorientierung erreichen.
({11})
Wer sich so verhält, der darf uns nicht vorhalten, daß
wir jetzt etwas falsch machen.
({12})
Im übrigen hat der Bundeskanzler vor den Kommandeuren der Bundeswehr in Hamburg - dies in völliger
Übereinstimmung mit dem Bundesminister der Verteidigung - klar und unmißverständlich herausgestellt, daß
die Bundesregierung auch weiterhin alles daransetzen
wird, daß unsere Soldaten im Einsatz die Ausrüstung
und das Gerät bekommen, das sie benötigen. Zugleich
hat er hervorgehoben, daß Schritte zu einer längst überfälligen Anpassung der Bundeswehr an die geänderten
Rahmenbedingungen dringend notwendig sind. Es paßt
keine Briefmarke zwischen die Aussagen des Bundeskanzlers und die Rede des Verteidigungsministers.
({13})
Klar ist auch - das wissen Sie so gut wie ich; sonst
würde die CSU solche Vorschläge nicht machen -,
({14})
daß das Verteidigungsministerium - wie alle anderen
Ressorts - einen Beitrag zu der von der Vorgängerregierung versäumten Sanierung der Staatsfinanzen leistet.
Dies ist im Rahmen des Haushalts 2000 - der Kollege
Kröning hat darauf hingewiesen - im für dieses Jahr
vorgesehenen Umfang erfolgt.
Im übrigen muß ich darauf hinweisen - ich kann es
mir nicht verkneifen; ein bißchen rhetorischen Spaß muß
man auch bei einer solchen Auseinandersetzung haben -,
daß globale Minderausgaben, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, in den Jahren Ihrer Regierung zum täglichen Haushaltsbrot der Bundeswehr gehört haben. Auch wenn es schon einmal angeführt worden ist, muß ich Ihnen noch einmal die Aussage von
Herrn Rühe vorhalten, die Gestaltung des Sparens habe
lediglich die karge Wirklichkeit der Bundeswehr zu verschleiern,
({15})
die Sie der Bundeswehr oktroyiert hätten.
({16})
Der Bundeskanzler und auch der Verteidigungsminister haben auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr klar herausgestellt, daß diese Neuausrichtung Geld
kosten wird. Beide haben dabei unter anderem darauf
hingewiesen, daß innerhalb der Streitkräfte erheblicher
Nachholbedarf im investiven Bereich besteht und daß
unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit untrennbar
mit leistungsfähigen, zukunftsorientierten Streitkräften
verbunden ist.
Das Ziel, zukunftsfähige Streitkräfte zu schaffen, erfordert eben ein klares, von uns aufgezeigtes konzeptionelles Vorgehen. Die Bundesregierung hat dazu die
Voraussetzungen geschaffen, und gemeinsam mit der
militärischen Führung werden wir die Konturen für diese neue Bundeswehr festlegen. Die dafür notwendige
Grundlagenarbeit wird im Frühjahr des kommenden Jahres weitgehend abgeschlossen sein. Zu diesem Zeitpunkt
werden uns die Empfeh lungen der Kommission vorliegen, die eine wichtige Grundlage für die im kommenden
Jahr anstehenden konzeptionellen und haushälterischen
Entscheidungen bilden werden.
Lassen Sie mich - auch aus Freude über die Auseinandersetzung mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von CDU/CSU und F.D.P. - ein Zitat vortragen:
Die Bundeswehr ist auch ein Vorbild in Sachen
Flexibilität und Mobilität. Ich wünsche mir diese
Beweglichkeit im Denken und Handeln stärker
auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft angesichts der jetzt notwendigen Veränderungen.
Wären wir in einer Debatte, würde ich Sie, Herr Kollege
Breuer, bitten, mich zu fragen, wer dieses Zitat ausgesprochen hat.
({17})
Dies hat nicht Bundeskanzler Schröder, sondern Bundeskanzler Kohl auf der 36. Kommandeurstagung im
Jahr 1997 gesagt.
({18})
Weiß Gott, Sie haben unsere Soldatinnen und Soldaten
sowie die Zivilbeschäftigten nicht nur gefordert, sondern
- ich denke an das Problem: B 12 zu B 10 - auch nicht
selten überfordert. Lassen Sie also Ihre unhaltbaren
Vorwürfe, die heute wieder über das Instrument der
Aktuellen Stunde eingebracht worden sind!
Es geht nun darum - ich möchte ausdrücklich auf das,
was der Kollege Kossendey angesprochen hat, Bezug
nehmen -, gemeinsam den eingeschlagenen Kurs zu
halten, damit die seit langem überfälligen Reformen unserer Streitkräfte auf den Weg gebracht werden können.
Der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister haben
auf der Kommandeurstagung - ich unterstreiche es gemeinsam mit dem Generalinspekteur, also dem Repräsentanten unserer Streitkräfte und der militärischen Führung, die Gelegenheit ergriffen und hierzu klare und
ineinandergreifende Impulse gesetzt. Die Bundesregierung wird jedenfalls auch weiterhin - da können Sie
noch so viele Aktuelle Stunden beantragen und Debatten
führen; ich lade Sie ausdrücklich dazu ein, weil wir vorbereitet sind - daran arbeiten. Ich rate Ihnen: Schärfen
({19})
Sie Ihr Profil, das leider in diesem Zusammenhang völlig blaß und ungenau ist.
({20})
Wir werden jedenfalls unbeirrt an unserem Kurs festhalten, um mit den notwendigen Umgestaltungen der Bundeswehr, die keinen weiteren Aufschub dulden, zu beginnen. Wir werden - ich lade Sie auch im Namen des Bundeskanzlers und des Verteidigungsministers dazu ein ({21})
zukunftsfähige Streitkräfte in einem zunehmend zusammenwachsenden Europa schaffen. Genau dies brauchen wir, wenn Deutschland zu einer angemessenen
Wahrnehmung seiner Verantwortung für den Frieden in
Europa und in der Welt befähigt sein will, aber nicht Ihr
Lamentieren.
({22})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Kurt Rossmanith.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn alle
zwei Jahre annähernd 500 Kommandeure zu ihrer
Tagung zusammenkommen, dann erwarten sie mit
Recht, daß nicht nur der Bundeskanzler dieser Republik
zu ihnen spricht, sondern daß er auch - wenn schon der
Titel der Tagung „Bilanz und Perspektiven“ lautet einiges zu den Perspektiven sagt
({0})
und daß er sich nicht nur - so war es schon vor der Wahl
üblich - in Allgemeinplätzen verliert. Aber nicht anders
war seine Rede auf der Tagung der Kommandeure in
Hamburg. Das einzige, was er getan hat, war - das hat
mich gewundert; aber es ist bisher nicht angesprochen
worden -, daß er mit dem Märchen der Schuldenmacher
und der Schuldenhinterlasser
({1})
aufgeräumt hat. Dafür bin ich ihm dankbar.
Lieber Kollege Volker Kröning, wenn Sie schon
zitieren, dann bitte schön vollständig; denn Kanzler
Schröder - jetzt zitiere ich dort weiter, wo Sie aufgehört
haben - hat gesagt:
({2})
Das sind Daten, die wir zur Kenntnis zu nehmen
haben und die wir übrigens nicht parteipolitisch
einseitig abladen können. Alle haben daran mitgewirkt.
({3})
Dies hat er gesagt. Wenn man schon zitiert, dann sollte
man, bitte schön, auch vollständig zitieren.
({4})
Mich verwundert, daß wir plötzlich von den Grünen
angegangen werden, wir hätten zuwenig für die Verteidigungslasten ausgegeben.
({5})
Ich stimme Ihnen, Frau Beer, zu. Wir hätten gerne mehr
ausgegeben. Kanzler Kohl hatte 1997 natürlich recht, als
er vor den Kommandeuren gesagt hat: Wir haben dies
nicht gern getan, aber wir mußten auf Grund der Lasten,
die uns durch die Überwindung der Teilung und durch
die Hinterlassenschaft der Kommunisten und Sozialisten
in der ehemaligen DDR aufgebürdet worden sind, sparen. Nur, damals wollten wir über 50 Milliarden DM
hinauskommen und unseren Soldaten eine Perspektive
aufzeigen. Dies ist jetzt nicht der Fall.
Sie behaupten - die Diskussion im Parlament liegt
doch noch gar nicht so lange zurück; selbst Sie müßten
sich an sie erinnern -, wir hätten zuwenig Gerät angeschafft. Wie sah denn die Diskussion über den Eurofighter aus? Es waren die SPD und die Grünen, die uns
vorgerechnet haben, wie viele Kindergärten man an
Stelle eines Eurofighters bauen könne.
({6})
An diese Tatsache sollten Sie sich auch erinnern.
({7})
Wie einsam inzwischen die Hardthöhe, sprich Minister Scharping und sein Stellvertreter Walter Kolbow,
dastehen, ist doch daran zu erkennen, daß die Regierungsbank leer ist.
({8})
Außer dem Staatssekretär für Verteidigung ist kein Regierungsmitglied mehr auf der Regierungsbank. Das
heißt, das interessiert sie gar nicht mehr. Diese Tatsache
müssen wir leider Gottes mit Bedauern - das meine ich
wirklich so - zur Kenntnis nehmen.
({9})
Ich sage es noch einmal: Gerade bei Fragen der Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik haben wir
schon damals in der Opposition - ich habe schon 1980
als Oppositionspolitiker begonnen - und während unserer Regierungszeit von 1982 bis 1998 immer darauf geachtet,
({10})
daß zumindest in den Grundsätzen ein Konsens herbeigeführt wurde. Diesen Konsens haben Sie in der Zwischenzeit - das ist sehr bedauerlich - verlassen.
({11})
Ich kann Sie nur auffordern, wieder zu diesem Konsens
zurückzukehren.
({12})
Der Kollege Staatssekretär Walter Kolbow sprach
davon, auch die CSU sei für Kürzungen und ähnliches
mehr. Das stimmt so nicht. Jeder darf bei uns Denkanstöße geben, wir sind ja eine demokratische Partei. Der
Vorschlag, den der sehr geschätzte Kollege Raidel, der
sehr viele gute Ideen hat,
({13})
unterbreitet hat, ist nicht automatisch ein Vorschlag der
CSU,
({14})
sondern einer des CSU-Abgeordneten Raidel, über den
wir diskutieren werden.
({15})
Sie tun das ja nicht, sondern verweigern die Diskussion.
({16})
Wie das Kaninchen vor der Schlange verweisen Sie
auf die Kommission wiederum, auf die Kommission und
noch einmal auf die Kommission. Da frage ich mich,
wer in diesem Lande die Politik macht.
({17})
Macht die Bundesregierung nicht die Politik? Bestimmt
nicht der Bundeskanzler die Leitlinien der Politik? Sollte
nicht Politik hier in diesem Parlament von der Opposition und von der Regierungskoalition gestaltet werden?
Sie, meine Damen und Herren, müssen wieder dahin zurückkehren. Diesen Ratschlag sollten Sie auch für die
Zukunft beherzigen im Interesse unserer Sicherheit, in
Verantwortung für unsere Soldaten, die die Aufgaben,
die wir ihnen gegeben haben, auszuführen haben, aber
auch aus Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger
in diesem Land, im Nordatlantischen Bündnis und in
Europa.
Ich fordere Sie deshalb auf, wieder zu einem Konsens
zurückzufinden. Sagen Sie auch Ihrem Bundeskanzler,
daß er sich wieder gemäß diesem Konsens verhalten
soll.
({18})
Für die SPDFraktion spricht der Kollege Manfred Opel.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Über welche Bundeswehr haben Sie eigentlich gesprochen? Die neu der
NATO beigetretenen Länder kommen auf uns zu und
wollen unsere erfolgreichen Konzepte wie innere Führung, wie Führungsverfahren und die organisatorischen
Möglichkeiten der Bundeswehr übernehmen. Sie studieren sie und kommen zur Führungsakademie der Bundeswehr.
({0})
Sie aber sagen, die Bundeswehr würde nichts taugen.
({1})
- Herr Nolting, Sie haben gesagt, auf dem Rücken der
Soldaten werde ein verantwortungsloses Spiel ausgetragen. Das haben Sie vorhin gerade gesagt.
({2})
Dieses steht schlicht und einfach nicht in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit.
({3})
Sie, Herr Rauber, sind ja nicht nur einfacher Abgeordneter, sondern tragen auch große Verantwortung für
viele ehemalige Soldaten, für die Reservisten. In Ihren
letzten Worten haben Sie hier angedroht, den Konsens
aufzukündigen.
({4})
- Sie haben angekündigt, den Konsens aufzukündigen.
Ich warne Sie eindringlich davor, dieses durchzuführen.
Ich bin dankbar, daß der Kollege Rossmanith und der
Kollege Kossendey sich wirklich von dem Gedanken
haben leiten lassen, daß wir hier den Konsens im Interesse der Bundeswehr suchen.
Die Bundeswehr würde es nicht verstehen - auch die
Gesellschaft nicht -, wenn wir hier nicht das Beste für
die Bundeswehr suchten.
({5})
Wenn Sie hier eine Aktuelle Stunde über die Rede
des Bundeskanzlers abhalten, dann wäre es ganz gut,
wenn Sie seine Rede hier auch zitierten. Die einzigen,
die diese Rede ausführlich zitiert haben, waren Herr
Staatssekretär Kolbow
({6})
und Herr Kollege Volker Kröning. Sie aber haben nur
Teile daraus zitiert.
Worüber reden wir hier eigentlich? Sie haben behauptet, der Bundeskanzler habe der Bundeswehr etwas
entzogen. Genau das Gegenteil ist richtig: Der Bundeskanzler hat der Bundeswehr eine Perspektive gegeben.
({7})
Seine Rede war ehrlich. Seine Rede war aufrichtig. Seine Rede war darüber hinaus zukunftsweisend. - Verehrter Herr Breuer, Sie sind doch von Ihrem Fraktionsvorsitzenden zitiert worden, weil Sie überhaupt kein
Konzept haben. Er hat Ihnen gesagt, Sie sollten doch
bitte ein Konzept vorlegen. Das haben Sie aber bis heute
nicht getan.
({8})
Wir haben die Zukunftskommission eingesetzt, die
wir lange gefordert und die Sie abgelehnt haben.
({9})
Wir warten ab, bis die Zukunftskommission gesprochen
haben wird, und werden nichts tun, was dazu führte, die
Zukunftskommission zu präjudizieren.
Der Bundeskanzler hat erklärt, es werde eine neue
Bundeswehr werden. Außerdem hat er gesagt, daß die
Umstrukturierung Geld koste. Dies bedeutet natürlich
zusätzliches Geld. Wir haben das bisher auch finanziert.
Wenn Sie einmal ein bißchen nachdenken,
({10})
werden Sie feststellen, daß Ihre Kritik an dem Gang nach
Karlsruhe sehr oberflächlich war. Wir wollten feststellen
lassen, daß die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist,
({11})
über die hier im Hause entschieden wird
({12})
und mit der die Regierung nicht machen kann, was sie
will. Genau deswegen war der Gang nach Karlsruhe
richtig.
({13})
Die Kommission hat einen klaren Auftrag. Sie werden ja wohl noch bis Mai nächsten Jahres warten können. Zur gleichen Zeit werden wir über den Haushalt
2001 entscheiden. Sie erinnern sich bitte daran, wie es
mit den Auslandseinsätzen unter Minister Rühe war.
Herr Minister Rühe hat ein einziges Mal Geld für diese
Einsätze außerhalb des Einzelplans 14 bekommen, und
hinterher ist es kassiert worden.
({14})
Ich helfe Ihrem Gedächtnis gerne auf die Sprünge:
Als wir Ihnen 1982 die Bundeswehr übergeben haben,
machte der Verteidigungshaushalt 18,2 Prozent am
Bundeshaushalt aus. Als wir von Herrn Rühe die Bundeswehr übernommen haben, waren es weniger als
10 Prozent. Aber damit nicht genug; es war viel
schlimmer. Als wir Ihnen die Bundeswehr übergeben
haben, waren 30 Prozent des Einzelplans 14 für Investitionen vorgesehen.
({15})
Als Sie uns die Bundeswehr übergeben haben, waren es
weit unter 20 Prozent.
({16})
Sie haben hier ständig so getan, als sei die SPD die
Partei, die die erforderlichen finanziellen Mittel für die
Bundeswehr nicht zur Verfügung gestellt hätte. Das
Problem ist aber, daß Sie dabei immer nur Soll-Zahlen,
jedoch nie die Ist-Zahlen genannt haben. Die Ist-Zahlen
besagen nämlich, daß Sie von 1992 bis 1997 über
3 Milliarden DM, die im Etat standen, für die Bundeswehr nicht ausgegeben haben. Das müssen Sie einmal
den Soldaten erklären.
({17})
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß
Sie den Haushalt gelesen haben. Nun will ich auch einmal ein Dankeschön an unsere Haushälter sagen. Wir
haben gegenüber dem Ansatz über 7 Milliarden DM
mehr an Verpflichtungsermächtigungen im Haushalt.
Das müssen Sie hier einmal erzählen. Wir haben fast
7 Milliarden DM mehr als Teil 2, als Austauschvorhaben. Dies ist gut für die Bundeswehr.
Die Bundeswehr ist bei Rotgrün, bei diesem Verteidigungsminister und vor allem bei diesem Bundeskanzler sehr gut aufgehoben.
Schönen Dank.
({18})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluß der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 2. Dezember
1999, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.