Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/26/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt II auf: Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2000 ({0}) - Drucksachen 14/1400, 14/1680, 14/1901 bis 14/1921, 14/1922, 14/1923, 14/1924 Berichterstattung: Abgeordnete Hans Georg Wagner Michael von Schmude Oswald Metzger Dr. Christa Luft Es liegen fünf Entschließungsanträge der Fraktion der F.D.P. und zwei Entschließungsanträge der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Adolf Roth, CDU/CSU-Fraktion.

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zur dritten Lesung des Bundeshaushaltes gehört traditionell die politische Wertung des Haushaltsauschußvorsitzenden, der ebenso traditionsgemäß ein Vertreter der Opposition ist. Herr Kollege Wagner, bevor Sie sich heute darüber echauffieren, daß ich aus dem Blickwinkel der CDU/CSU spreche, möchte ich Ihnen zu Ihrem Geburtstag herzlich gratulieren. Bleiben Sie ruhig! ({0}) Lassen Sie mich zunächst das positive Ergebnis voranstellen, daß der Etat 2000 am heutigen Tag fristgerecht verabschiedet werden kann. Das ist ganz und gar nicht selbstverständlich. Ich spiele jetzt nicht auf frühere Erfahrungen mit sozialdemokratischen Bundesregierungen an, bei denen die fristgerechte Verabschiedung eher die seltene Ausnahme gewesen ist und bei denen mancher Etat erst verabschiedet wurde, wenn das laufende Haushaltsjahr schon fast vorüber war und man mit IstErgebnissen operieren konnte. Nein, ich beziehe mich auf die Irritationen und die Schwierigkeiten im Vorfeld dieser Haushaltsdebatte, insbesondere auf die internen Rebellionsübungen bestimmter Parteiflügel im Koalitionslager. ({1}) Ich hätte gerne den Bundesfinanzminister angesprochen. Er muß aber heute im Bundesrat sein. An seiner Stelle muß sein Staatssekretär folgendes zur Kenntnis nehmen: Bundesfinanzminister Eichel ist nach wie vor Parteivorsitzender der hessischen SPD. Nach seiner Niederlage bei der Landtagswahl ist er, wenn auch mit einem kleinen Dämpfer, wiedergewählt worden. Ich habe mir die Schlagzeile von vor wenigen Wochen aufgeschrieben: Aufstand in der SPD; jetzt 34 Abgeordnete gegen Schröder. ({2}) Jetzt sind es nicht mehr 34 Abgeordnete, weil ein Kollege zur PDS übergelaufen ist. Von den 33 verbliebenen Abgeordneten gehören immerhin 10 Abgeordnete der hessischen SPD an. Jeder zweite hessische SPDAbgeordnete läuft also Sturm gegen das Zukunftsprogramm und gegen das Sparpaket des Bundesfinanzministers Eichel. ({3}) Das ist eine sehr bemerkenswerte Situation. Die mag man verbrämt als politische Kultur ausgeben; in Wahrheit ist diese Situation aber alles andere als überzeugend. Meine Damen und Herren, der Haushaltsausschuß hat sich durch diese Irritationen nicht aus der Ruhe bringen SEITE ZURÜCK SEITE VOR lassen. Das hängt mit unserem traditionell guten Zusammenhalt und mit der Kooperationsbereitschaft über die Fraktionsgrenzen hinweg zusammen. Es hat aber auch ein Stück weit damit zu tun, daß die strategische Anlage dieser Haushaltsrunde bei der Koalition von vornherein eine Verteidigung und nicht etwa eine parlamentarische Gestaltung dieses Bundeshaushaltes für das kommende Jahr gewesen ist. Verteidigt wurde, was das Kabinett im internen Schwur verabredet hatte. ({4}) Wenn am Ende euphorisch von einer Punktlandung gesprochen wird, dann muß ich anmerken: Wenn man zu einem bestimmten Ziel noch gar nicht aufgebrochen ist, dann ist es wahrscheinlich leicht, am Ende eine Punktlandung zu konstatieren. ({5}) So genau war die Punktlandung übrigens nicht. Immerhin haben Sie 600 Millionen DM mehr bewilligt, als es von der Bundesregierung beantragt worden ist. Im übrigen empfehle ich ({6}) - weil es in der öffentlichen Wahrnehmung etwas zu kurz gekommen ist, Herr Kollege Schlauch -, sich einmal die gewundenen, schriftlichen Erklärungen aus dem Koalitionslager zur Abstimmung über das Haushaltssanierungsgesetz - fünf Seiten im Protokoll der Sitzung des Deutschen Bundestages - anzuschauen. Über 70 Abgeordnete haben in diesen schriftlichen Erklärungen ihre gequälte Zustimmung zu diesem Haushaltskonzept inhaltlich eingeschränkt und für ihre heimische Parteibasis interpretationsfähig gemacht. Das ist die Situation. ({7}) Sie dagegen tun hier so, als sei Sparen das wichtigste und eigentümlichste Herzensanliegen von Sozialdemokraten. Nein, da ist sehr viel Schminke darauf. Das muß in dieser Debatte auch angesprochen werden. Wenn hier gestern der Bundesarbeitsminister Riester vollmundig verkündet hat, er werde im nächsten Jahr 16 Milliarden DM mehr ausgeben als im Jahre 1998, und jeder vorher gesagt hat, auch er müsse seinen Sparbeitrag leisten, dann steht das in einem bemerkenswerten Kontrast zu dem Bild, das öffentlich erweckt worden ist. ({8}) Der gleiche Vorwurf trifft auch den Bundesfinanzminister selbst, denn Herr Eichel hat hier am Dienstag bei der Beratung mit uns im Haushaltsausschuß hat er es eher beiläufig erwähnt - sehr vollmundig verkündet: Ja, dies ist ein besonderer politischer Akzent, wir haben 7 Milliarden DM mehr in den zweiten Arbeitsmarkt hineingepumpt. ({9}) Aber in der Arbeitslosenstatistik hat man in diesem Jahr überhaupt keine Ergebnisse gesehen. ({10}) Meine Damen und Herren, dessenungeachtet möchte ich auch bei dieser Gelegenheit, in der dritten Lesung, allen Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, namentlich aber den Sprechern und Obleuten der Fraktionen auf beiden Seiten des Hauses und den Vorsitzenden der Unterausschüsse meinen herzlichen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit aussprechen. Ich denke, trotz aller politischen Unterschiede: Irgendwie mögen wir uns ja untereinander. ({11}) Ich füge hinzu: Am meisten mögen wir uns, wenn andere uns nur als schwer genießbar einstufen. Ich glaube, das verschweißt unsere Truppe in besonderer Weise. ({12}) Aber ich möchte auch sagen, daß unser besonderer Dank auch diesmal den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats des Haushaltsausschusses, die hier oben am Saalende Platz genommen haben, ({13}) und auch den Mitarbeitern der Ministerien und des Bundesrechnungshofes gelten muß. Denn ohne stimmige Organisation und verläßliche Zuarbeit wäre das wochenlange Haushaltsverfahren auf Sand gebaut. Wir haben diesmal durch eine Straffung unserer Beratungsarbeit die gefürchteten Nachtsitzungen vermeiden können. Unser Berliner Provisorium in der Luisenstraße mit dem langgestreckten Sitzungssaal hat natürlich allen Beteiligten ein äußerstes Maß an Konzentration abverlangt, auch der Bundesregierung, die diesmal quasi am Katzentisch am Saalende Platz nehmen mußte. ({14}) Sie ist durch die mehr bewilligten 600 Millionen DM entschädigt worden. Ich möchte feststellen, daß trotz aller eklatanten Organisationsschwächen im zwischen Berlin und Bonn zweigeteilten Regierungsapparat die Haushaltsberatungen jedenfalls belegt haben, daß die Berliner Kopfstellen der sogenannten Bonn-Ministerien den Ansprüchen des Parlaments durchaus gerecht werden können, wenn das Ganze richtig organisiert ist und wenn man auch parlamentarischerseits Wert darauf legt, daß überflüssige und kostspielige Personalausflüge an die Spree auf das Minimum reduziert werden. Ich glaube, darauf müssen wir alle achten. ({15}) Adolf Roth ({16}) SEITE ZURÜCK SEITE VOR Meine Damen und Herren, die Zauberformel von der öffentlichen Sparsamkeit bleibt politisches Blendwerk, solange die quantitativen Kürzungen nicht durch eine qualitative Haushaltskonsolidierung ergänzt werden, und zwar mit klaren Entscheidungen über Umfang und Prioritäten staatlicher Tätigkeit. Dies fordert nicht nur der Sachverständigenrat. Das haben uns auch alle Institutionen und Experten aufgetragen, die uns bei den Anhörungen zum Bundesetat und zum Haushaltssanierungsgesetz in den letzten Wochen begegnet sind. In dieser Woche ist auffällig gewesen, daß sich jeder auf die Teile der Expertengutachten bezieht, die ihm besonders zupasse kommen. Das ist sicher menschlich, aber ich weise mit Blick zur Koalition darauf hin, daß das, worin Sie sich in diesen Gutachten bestätigt und bestärkt fühlen, nämlich in der grundsätzlichen Notwendigkeit und dem Vorrang von Haushaltskonsolidierung und öffentlicher Sparsamkeit, bei uns zu keiner Minute in irgendeiner Weise in Zweifel gezogen worden ist. Das ist immer unsere politische Position gewesen. Aber dort, wo es kritisch wurde und wo wir die Positionen der Experten übernehmen, haben Sie geglaubt, es genüge, wenn man die Sätze nur bis zum ersten Semikolon liest. Nein, Sie müssen die kritischen Anmerkungen der Experten auch umsetzen. Ich zitiere ein Papier, das mir besonders aufschlußreich scheint. Darin heißt es: Was not tut, ist eine radikale Modernisierung des öffentlichen Sektors und eine Strukturreform der öffentlichen Verwaltung. Der Weg zur sozialen Gerechtigkeit darf nicht mit immer höheren öffentlichen Ausgaben gepflastert sein, denn soziale Gerechtigkeit läßt sich nicht an der Höhe der öffentlichen Ausgaben messen. Meine Damen und Herren, diese Passage steht im sogenannten Schröder-Blair-Papier. Nur weil linke Traditionalisten dieses Papier für eine Ausgeburt der Hölle halten, ({17}) müssen diese Empfehlungen und Auffassungen ja nicht politisch falsch sein. Aber Sie müssen sie dann auch in die Praxis umsetzen. ({18}) Der Bundesfinanzminister ist in der öffentlichen Kommentierung in den letzten Monaten teilweise mit dem Kompliment ausgestattet worden, ({19}) er verfüge zum Beispiel über die glückliche Gabe der Sturheit. Ich glaube, das gilt für die job-description eines Finanzministers in jedem Fall. Ich möchte, Ihren Beifall aufnehmend, die Hoffnung aussprechen, daß der Finanzminister konservativ genug ist, sich diese Eigenschaft auch für die Zukunft zu bewahren. Denn neben der Sturheit, die er an den Tag legen muß, wird auch eine gehörige Portion Kreativität von ihm verlangt werden, wenn er das wahr macht und umsetzt, was er angekündigt hat, nämlich einen Umbau des bundesstaatlichen Finanzsystems, ({20}) die Beseitigung der Schieflage, die er selber mit seiner Strategie im Bundesrat bezüglich der Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern in den letzten Jahren mit heraufbeschworen hat. Meine Damen und Herren, dies allerdings hätte einem verantwortlichen Politiker und Ministerpräsidenten auch früher auffallen können. Die Verteilung der gesamtstaatlichen Steuermasse sah vor der Wiedervereinigung, nein, sogar bis zum Jahre 1994, noch so aus, daß dem Bund fast die Hälfte zufiel. Aber nach Übernahme der gesamten kommunistischen Erblastschulden - die haben wir nicht gemacht; die mußten wir übernehmen -, nach der Finanzierung der Aufbautransfers für Ostdeutschland in Höhe von 600 Milliarden DM und nach der Finanzierung der Stabilisierung der politischen Entwicklung in Osteuropa in Höhe von 160 Milliarden DM muß der Bund dann am Ende zwar für zwei Drittel der Schulden haften, aber er verfügt selbst nur noch über 42 Prozent der Finanzausstattung. Das ist dann in der Tat eine Schieflage. Aber das hätten Sie bedenken müssen, bevor diese Situation entstanden ist. ({21}) Eine Umschichtung in Höhe von 6 Prozent zu Lasten des Bundes bedeutet, daß dem Bund aus dem gesamtstaatlichen Steueraufkommen heute ein Volumen von 50 Milliarden DM pro Jahr weniger zur Verfügung steht als nach dem früheren Verteilungsschlüssel, der bis 1994 gegolten hat. Das gesamte Ausmaß der Nettokreditaufnahme des Bundes wäre also in diesem Rahmen abgedeckt gewesen. Meine Damen und Herren, wenn der Bundesfinanzminister diese Situation heute beklagt, ist das ein Eingeständnis, das wir akzeptieren. Es unterstreicht zugleich aber die Unhaltbarkeit und Grobschlächtigkeit seines Argumentationsmusters bezüglich der Situation unserer Staatsfinanzen. Wenn die Schuldenstandsveränderungen im Jahrzehnt der deutschen Einheit gebetsmühlenhaft als schieres Versagen der Vorgängerregierung abgestempelt werden, dann ist dies nicht nur bösartig, ({22}) sondern leugnet auch den historischen Ereignisablauf im Zusammenhang mit der deutschen Einheit und den damit verbundenen großen Finanzierungsverpflichtungen. ({23}) Wir stehen zu der Leistung, die Helmut Kohl und Theo Waigel für das Zusammenwachsen in Deutschland im letzten Jahrzehnt erbracht haben. Genauso deutlich fragen wir aber auch, woher ausgerechnet Sozialdemokraten, gerade solche, die wie der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister in der landespolitischen Verantwortung standen, ihre Selbstgerechtigkeit in Sachen Staatsfinanzen nehmen und von welchen eigenständigen Leistungen sie ihre Vorwürfe an andere ableiten wollen. Adolf Roth ({24}) SEITE ZURÜCK SEITE VOR Es sind keine Herren ohne Vorleben. Solange diese Position hier vertreten wird, werden wir darauf zu antworten wissen, weil wir nicht bereit sind, diese Argumentation politisch zu akzeptieren. ({25}) Ich sage noch einmal an die Adresse der Bundesregierung: Sie werden mit der CDU/CSU keinen Streit über die nachhaltige Verringerung der Nettokreditaufnahme und über die schrittweise Vermeidung von Staatsschulden haben. Wie kämen wir auch dazu? Alles andere würde einen eigenartigen Bruch unserer politischen Tradition bedeuten, die immer auf Absenkung der Staatsquote und auf eine Reduzierung der Steuerlasten in den gesamten Tarifverläufen angelegt war - aber vernetzt mit der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung: strukturelle Reformen, Auftrieb für Arbeit, Beschäftigung und Investitionen. Wir sind damit immer für bessere Rahmenbedingungen in unserem Land eingetreten. Dazu gehört staatliches Sparen. Es ist vertrauensbildend. Es stärkt die wirtschaftliche Dynamik. Aber es muß Teil eines wirtschaftspolitischen Gesamtkonzeptes sein. Die Vernetzung mit der Steuerpolitik, mit der Arbeitsmarktpolitik und mit der Sozialgesetzgebung stellt drei offene Flanken dar, über die in diesem Land in den nächsten Jahren sehr vehement weitergestritten werden muß. Denn auch im Haushalt 2000 haben Sie auf die damit verbundenen Fragen nicht die geringste Antwort formuliert. ({26}) Sie haben die Steuerreform von 1997 eiskalt zunichte gemacht. Sie sind allen strukturellen Reformen für Investitionen und Arbeitsplätze entgegengetreten. Heute wollen Sie für sich eine politische Wende reklamieren. Dazu sage ich Ihnen: Es hat in den fünf Jahren vor dem Regierungswechsel bei gleichbleibendem Ausgabenvolumen des Staates eine strukturelle Einsparung von weit über 100 Milliarden DM gegeben - ohne einen Bruch im Sozialbudget. Wer das damals als himmelschreiendes Unrecht diffamiert und daraus revisionistische Wahlkampfversprechungen abgeleitet hat, heute aber die eigenen Sparleistungen mit vertauschten Rollen und neuen Etiketten als „epochalen Sanierungsbeitrag“ feiern lassen will, der beweist, daß er mit seiner Verantwortung nicht zurechtkommt. Hätte es das verkündete Ende der Bescheidenheit oder die Ausgabenexpansion, die Ausflüge in die interventionistische Nachfragestimulation, mit dem Regierungswechsel nicht gegeben, wären Sie vor mancher unangenehmen Operation bewahrt geblieben. ({27}) Ihr Sparpaket ist nichts anderes als ein unausweichliches Wendemanöver, Ihre Antwort auf den folgenschweren Fehlstart von Oskar Lafontaine. Ihr Sparpaket ist der Versuch, die im Wahlkampf gegebenen Versprechungen mit möglichst geringem Gesichtsverlust zurückzunehmen. ({28}) Dafür gibt es keinen besseren Zeugen als den Bundeskanzler selbst. Er hat am 14. Juli auf einer Pressekonferenz in Bonn den Kernsatz formuliert, daß es nach seiner - Schröders - Einschätzung besser gewesen wäre, der Linie Eichels von Anfang an zu folgen. „Wie denn das?“ fragt man sich und reibt sich die Augen. Eichel war zu dieser Zeit ein gesinnungsstarker Anhänger von Oskar Lafontaine, sozusagen der brave Ministrant an seiner Seite, sein strategischer Gehilfe im Bundesrat. ({29}) Er hatte die Wahl in Hessen noch nicht verloren und damit noch nicht sein Erweckungserlebnis nach dem Verlust seines Amtes gehabt. Nein, Sie sind mit dem falschen Programm gestartet, Sie sind mit dem falschen Mann am Geldhahn angetreten, und Sie haben den Wählern falsche Versprechungen gemacht. Die müssen Sie heute zurücknehmen. ({30}) Wenn die zweite Chance erfolgreicher als das vermasselte erste Jahr Ihrer Amtszeit ausgehen soll, dann werden Sie mehr als diese in sich nicht stimmigen Sparoperationen leisten müssen. Sie müssen vor allem die alarmierende Fehlentwicklung in der Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts stoppen. Ich weiß, daß diese Fehlentwicklung nicht neu ist. Sie hat mit den Finanzierungen des Einheitsprozesses zu tun. Wir haben in den letzten fünf Jahren allein 25 Milliarden DM zusätzlich für die Tilgung der Erblastschulden aufbringen müssen. Wir haben zusätzlich 8 Milliarden DM für den Kohlepfennig aufbringen müssen. Wir haben zusätzliche Rentenzuschüsse finanzieren müssen. Dazu kam eine Verfünffachung der Aufwendungen für den Arbeitsmarkt. All das ist in einem gleichbleibend hohen Ausgabenvolumen untergebracht worden. Das heißt, wir mußten zu Lasten aller übrigen Etats sparen. Dies darf keine dauerhafte Entwicklung in Deutschland sein, wenn wir die Handlungsfähigkeit und die Entscheidungsfähigkeit unseres Staates weiter im Auge behalten wollen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Lieber Kollege Roth, Sie müssen leider zum Ende kommen. ({0})

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stelle fest, daß Sie mit dem folgenden Widerspruch leben müssen: auf der einen Seite sparen, sparen, sparen, auf der anderen Seite Milliarden für die Sozialkasse und für den zweiten Arbeitsmarkt; auf der einen Seite ein minimaler Einstieg in die Konsolidierung, aber auf der anderen Seite ein riesiger Korb mit ungelösten Problemen und Adolf Roth ({0}) SEITE ZURÜCK SEITE VOR falschen Weichenstellungen. Sie sind innerhalb von zwölf Monaten mit zwei verschiedenen Mannschaften auf zwei verschiedenen Wegen vorangegangen. Dies hat kein Vertrauen geschaffen und keinen Auftrieb für unser Land gebracht. Deshalb werden wir dieser Politik entgegentreten. Wir lehnen den Bundeshaushalt in der dritten Lesung ab. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile nun dem Kollegen Hans Georg Wagner, SPD, das Wort.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es bewundernswert, wenn diejenigen, die 16 Jahre lang alles in Deutschland versaubeutelt haben, jetzt fordern: Nach einem Jahr muß alles geregelt sein. ({0}) Damit ist - vor allem dann, wenn dies ständig wiederholt wird - die Grenze der Lächerlichkeit erreicht. Ich möchte zunächst einmal dem Herrn Bundeskanzler für seinen Einsatz am Mittwochabend danken. ({1}) Dies war eine tolle Leistung. Sie haben unsere volle Unterstützung. Wir sind wirklich dankbar und froh, daß Sie die Sache mit der Firma Philipp Holzmann und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - insgesamt sind 60 000 betroffen - geregelt haben. ({2}) Ich habe schon gestern abend in einer Diskussion gesagt: Der Bundeskanzler kommt genauso wie ich aus sogenannten kleinen Verhältnissen. Es war schon Herzblut dabei angesichts der Tatsache, daß 60 000 Familien in Deutschland vor dem Herannahen der Weihnachtstage zitterten, weil der Haushaltsvorstand seinen Arbeitsplatz zu verlieren drohte. Deshalb war das eine tolle Leistung, die auch gewürdigt werden muß. ({3}) Herr Kollege Fischer, natürlich waren Sie als Mitglied der Bundesregierung auch involviert. Sie müssen keine Kritik äußern. Wir vergessen nicht, auch Sie zu würdigen. ({4}) Es gab in Berlin schon oft Demonstrationen von Bauarbeitern. Ich erinnere daran, daß die Bauarbeiter am 17. Juni 1953 gegen das Regime der SED aufgestanden sind. Sie haben hier demonstriert und ihren Körper für die Freiheit hingehalten. Später haben Bauarbeiter in Berlin gegen illegale Beschäftigungsverhältnisse demonstriert. Danach haben Bauarbeiter gegen die Schlechtwettergeldregelung demonstriert. Zuletzt haben die Holzmänner und die Beschäftigten der Zulieferfirmen in Berlin demonstriert. Ich danke auch diesen Bauarbeitern. Sie haben das Recht wahrgenommen, das ihnen unser Grundgesetz garantiert, nämlich frei für ihre Rechte und für ihre Arbeitsplätze zu demonstrieren. Dies war eine tolle Leistung, die ich hier ausdrücklich würdigen möchte. ({5}) In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch ein paar Sätze zu Herrn Merz sagen, der heute morgen überraschenderweise auch hier ist. Normalerweise ist er nur hier, wenn er eine Rede halten möchte. Herr Merz, einen Tag nach dem großen Erfolg Schröders in Frankfurt haben Redner aus Ihren Reihen hier darum gebeten, dies parteipolitisch nicht auszuschlachten. Wir haben geantwortet: Jawohl, es war eine gemeinsame Leistung; dies akzeptieren wir. Jetzt möchte ich auf das zu sprechen kommen, Herr Merz, was Sie am Mittwoch gesagt haben. ({6}) Egal, ob Dienstag oder Mittwoch: Das, was Herr Merz gesagt hat, war jedenfalls eine Unverschämtheit. ({7}) Ich zitiere aus dem Protokoll: Wenn Sie im Bundeshaushalt die Mittel für Investitionen einschließlich des Hoch- und Tiefbaus nicht in dieser unverantwortlichen Weise zusammenstreichen würden, dann gäbe es möglicherweise morgen noch die Philipp Holzmann AG … Eine Unverschämtheit, die durch nichts gedeckt ist! ({8}) Sie kennen die Zahlen nicht. Sie reden zwar hier immer sehr gescheit - das ist unbestritten -, ({9}) aber Sie machen sich nicht über die Realität kundig. Ich sage Ihnen, wie es wirklich aussieht: Herr Waigel hatte für 1999 Investitionsmittel in Höhe von 57,5 Milliarden DM vorgesehen. ({10}) Unter Hans Eichel wurden die Investitionen auf 58,2 Milliarden DM erhöht. Für das Jahr 2000 hatte Waigel 57,7 Milliarden DM vorgesehen. Eichel hat - das können Sie im Haushaltsplan nachlesen, die dicken Bücher liegen Ihnen vor - 57,5 Milliarden DM vorgesehen. Das ist nur unwesentlich weniger. Adolf Roth ({11}) SEITE ZURÜCK SEITE VOR Herr Kollege Merz, Sie haben konkret die Bauinvestitionen angesprochen. Ich muß Sie auf folgendes hinweisen: Das Ist im Jahre 1998 betrug 11,22 Milliarden DM. Das Soll im Jahre 1999, in unserem Haushalt, belief sich auf 11,55 Milliarden DM. Das war also schon mehr als im Jahre 1998. Das Soll für das Jahr 2000 beläuft sich auf 11,59 Milliarden DM. Das ist nochmals mehr als im Jahre 1998. Wie Sie angesichts dessen sagen können, wir hätten etwas zusammengestrichen, ist mir unerklärlich. ({12}) Diese Lügen, diese Behauptungen, die Sie - meinetwegen am Dienstag - aufgestellt haben, gehen ja noch weiter. Ich will an Hand von vier Punkten beweisen, daß Sie entweder absolut keine Ahnung haben oder zu faul waren, sich richtig zu informieren. ({13}) Sie haben gesagt, Herr Kollege Merz, die Staatsverschuldung sei, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, in der Zeit der CDU/CSU-F.D.P.-Regierung zurückgegangen. Das ist falsch. Das ist effektiv falsch. Ich will jetzt nicht sagen, daß das gelogen war, weil der Präsident sagt, daß man das Wort Lüge hier nicht verwenden darf. Also tue ich das auch nicht. Aber das war zumindest einmal haarscharf die Unwahrheit. Die Gesamtstaatsverschuldung, Herr Kollege Merz, betrug im Jahre 1982 641 Milliarden DM, im Jahre 1989 969 Milliarden DM und im Jahre 1998, also nach Ihrer glorreichen Regierung, ({14}) 2 259 Milliarden DM. Die Verschuldung des Bundes - einschließlich der Schattenhaushalte -, Herr Kollege Merz, belief sich 1982 auf 349 Milliarden DM, im Jahre 1989 auf 542 Milliarden DM und 1998 auf 1 457 Milliarden DM. Der Anteil des Bundes an der Staatsverschuldung insgesamt betrug im Jahre 1982, als wir die Regierung abgeben mußten, 54,4 Prozent. Dann hat Herr Stoltenberg die Verschuldung nicht gesenkt, sondern gesteigert. 1989 betrug der Anteil des Bundes 55,9 Prozent. Im Jahre 1998 hatten Sie den Anteil der Staatsverschuldung des Bundes auf 64,5 Prozent gesteigert. Da reden Sie davon, Sie hätten in der Zeit von 1982 bis 1998 etwas Besonderes getan. Sie haben die Staatsverschuldung gesteigert, und zwar ganz erheblich; das ist richtig. Diese Zahlen räumen auch mit dem Märchen auf, daß Herr Stoltenberg von 1982 bis zur Wiedervereinigung besonders sparsam gewirtschaftet hätte. Die Wahrheit ist: Von 1982 bis 1989, also in nur sieben Jahren, ist die Verschuldung des Bundes um 55 Prozent, nämlich um 193 Milliarden DM gestiegen. Sie ist damit stärker gestiegen als die von Ländern und Gemeinden. In diesen Jahren gab es weder Öl- noch Weltwirtschaftskrisen, wie sie die sozialliberale Koalition zu bewältigen hatte. Die Staatsverschuldung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, ist von 40,4 Prozent im Jahre 1982 auf 43,6 Prozent im Jahre 1989 angestiegen und nicht etwa gefallen, wie Sie und auch Herr Austermann uns hier immer wieder vorgaukeln. Herr Merz, Sie haben wahrheitswidrig behauptet ich habe es eben schon einmal gesagt -, wir würden die Investitionen in unverantwortlicher Weise zusammenstreichen. Ich habe eben die Zahlen genannt. Das Ist von 11,22 Milliarden DM im Jahre 1998 und das Soll im Jahre 2000 von 11,59 Milliarden DM widersprechen all Ihren Behauptungen. Wir haben die Mittel also nicht zusammengestrichen, sondern stocken die Mittel für Baumaßnahmen auf. ({15}) Jetzt sage ich noch etwas, was in diesen Tagen gesagt werden sollte. Wir haben im Bereich des Bundesverkehrsministers eine Anpassung an die Realität vorgenommen. Jahrelang haben Sie den Leuten draußen vorgegaukelt, daß bestimmte Baumaßnahmen im Verkehrsbereich - sei es Straße oder Schiene, sei es Wasserstraße oder Flughafen - durchgeführt würden. Das geht jedoch völlig an der Realität vorbei. Der Bundesverkehrswegeplan, der von uns, vom Gesetzgeber, bis zum Jahre 2012 beschlossen worden ist, ist in hoffnungsloser Weise unterfinanziert, und zwar von Ihnen, weil Sie nur vorgegaukelt haben, sie würden etwas tun, aber nicht die notwendigen Mittel eingesetzt haben. ({16}) Das sage ich, weil das ein großes Lügengebilde war. Ich bin der rotgrünen Bundesregierung dankbar, daß sie es geschafft hat, beim Bundesverkehrswegeplan Realitätsnähe herzustellen und den Leuten die Wahrheit zu sagen, anstatt sie permanent zu belügen. Das ist Ausdruck des Handelns dieser Koalition. ({17}) Ferner haben Sie behauptet, Herr Merz, der Bund schwimme in noch erzielbaren Privatisierungserlösen. Ich weiß nicht, wovon Sie da geredet haben. Offenbar sind Sie nicht informiert oder haben keine Ahnung. Weiter sagten Sie, es gebe insbesondere noch weitere Erlöse durch die Privatisierung der Telekom. Sie wollten damit den Eindruck erwecken, der Bund brauche gar nicht zu sparen, es sei eigentlich Unsinn, was wir da veranstalten. Offenbar haben Sie gar nichts verstanden, wenn sie meinen, die Erlöse aus der Privatisierung der Telekom stünden für die Finanzierung des Bundeshaushaltes zur Verfügung. Richtig ist leider, daß Herr Waigel 25 Milliarden DM von den Erlösen aus der Privatisierung der Telekom zum Stopfen seiner Haushaltslöcher mißbraucht hat bzw. mißbrauchen wollte. „Mißbraucht“ sage ich, weil diese Erlöse nach dem Postreformgesetz zur Finanzierung der Postunterstützungskassen dienen, das heißt, für die Sicherung der Pensionen und nicht zur Haushaltsfinanzierung einzusetzen sind. ({18}) SEITE ZURÜCK SEITE VOR Damit Sie, Herr Kollege Merz, einen Begriff davon bekommen, wie lange dieses Geld an die Postunterstützungskassen fließt: Bis zum Jahre 2040 müssen die Erlöse aus der Privatisierung der Telekom jedes Jahr gemäß dem Postreformgesetz den Postunterstützungskassen zugeführt werden. Das haben Sie wahrscheinlich nicht gelesen. Das ist jedenfalls die Realität. Solche falschen Behauptungen sollten Sie künftig nicht mehr aufstellen. ({19}) Wir haben Mißbrauchsmöglichkeiten eingeschränkt und, um für klare Verhältnisse zu sorgen, in das Haushaltsgesetz 2000 hereingeschrieben - das haben Sie vielleicht nicht bemerkt -, daß Telekomerlöse, soweit sie im nächsten Jahr über den Zuschußbedarf hinausgehen, zur Tilgung von Schulden zu verwenden sind. Sie sind also nicht frei verwendbar, sondern müssen zur Schuldentilgung eingesetzt werden, damit wir endlich von dem von Ihnen verursachten Schuldenberg in Höhe von 1 500 Milliarden DM herunterkommen. ({20}) Schließlich haben Sie, Herr Kollege Merz, den Eindruck erwecken wollen, eine Nettoentlastung der Steuerzahler in Höhe von 30 Milliarden DM sei möglich, da die gesamten Steuereinnahmen des Staates im Jahre 2000 um rund 50 Milliarden DM über denen von 1998 lägen und 2001 noch einmal um 27 Milliarden DM anstiegen. ({21}) Das ist billiger Populismus, denn Sie wissen doch genau, daß diese Summe nicht frei verfügbar ist, sondern längst in die Haushalte und in die Finanzplanung eingearbeitet wurde. Die von Ihnen geforderte Steuersenkung wäre nur auf Pump zu haben. Eine Politik auf Pump ist aber mit uns nicht mehr zu machen, damit das auch einmal klar ist! ({22}) Nach diesem denkwürdigen Auftritt von Herrn Merz am Dienstag trat am Mittwoch ein neuer Star in die Runde, nämlich Herr Rühe. ({23}) Er versuchte, hier eine große Rede zu halten. Ich muß Ihnen aber sagen, daß ich etwas so Enttäuschendes wie die Rede von Herrn Rühe in einer zweiten Lesung des Bundeshaushaltes noch nie erlebt habe. ({24}) In Anlehnung an ein Wort von Bernhard Vogel - als er die Regierungsverantwortung in Mainz abgeben mußte, sagte er: „Gott schütze Rheinland-Pfalz!“ - sage ich nur: „Gott schütze Schleswig-Holstein!“. ({25}) Was Herr Rühe hier zur Bundeswehr gesagt hat, war eine Auflistung der Versäumnisse aus seiner Zeit als Minister. Daß die Bundeswehr technologisch in diesem Zustand ist, ist ausschließlich die Schuld von Herrn Rühe und von niemandem sonst! Das sage ich ganz klar und deutlich, meine Damen und Herren. ({26}) Bei seinen großartigen Ausführungen zur Werftindustrie war er wahrscheinlich genauso wie Sie, Herr Merz, nicht informiert, daß die Koalition 90 Millionen DM ({27}) - schönen Dank, Herr Kollege Koppelin - an Barmitteln für die Werftindustrie im nächsten Jahr eingestellt hat. In den darauffolgenden Jahren werden es jeweils 80 Millionen DM pro Jahr sein, damit die Werftindustrie Aufträge einwerben kann und lebensfähig bleibt. Das hat er nicht gewürdigt, obwohl er sich darum bemüht das wird die Bevölkerung Gott sei Dank verhindern -, Ministerpräsident in einem Land zu werden, das hiervon profitiert. Auch diesen Punkt muß man einmal würdigen. Aber das hat er bei seiner Rede wohl vergessen. Seine Rede war sehr enttäuschend und ohne jegliche Substanz. Man hat in ihr weder einen schwarzen noch einen roten Faden gefunden, es war überhaupt kein Faden vorhanden, sondern er ist von Hölzchen auf Stöckchen gekommen und meinte, das sei etwas ganz Besonderes. ({28}) Gestern hat Herr Brüderle, der heute morgen auch nicht da ist ({29}) - natürlich, Sie machen das wahrscheinlich besser, als er selbst das könnte, das ist mir schon klar -, gegen das polemisiert, was Gerhard Schröder bei Holzmann erreicht hat, ({30}) indem er sagte: Wie kann man denn eine Bundesbürgschaft für das Unternehmen Holzmann geben? ({31}) Er soll sich doch einmal etwas besser über die Geschichte informieren. Er war damals zwar Winzerkönig in Rheinland-Pfalz, aber noch nicht auf Bundesebene tätig. ({32}) SEITE ZURÜCK SEITE VOR Als nämlich die AEG in Schwierigkeiten war, haben Graf Lambsdorff - der ja noch Mitglied der F.D.P. ist als Bundeswirtschaftsminister und Manfred Lahnstein als Bundesfinanzminister ohne viel Worte eine Bürgschaft in Höhe von 1 Milliarde DM für AEG aufgelegt. Diese brauchte nicht in Anspruch genommen werden, weil allein durch diese Bürgschaft in Höhe von 1 Milliarde DM die Aktien der AEG so anstiegen, daß sich alles wieder ausglich. Wenn man sich jetzt die Aktienkurse von Holzmann anguckt, stellt man fest, daß sie genau in die gleiche Richtung gehen, obwohl die Bürgschaft lediglich 100 Millionen DM beträgt. Sie sollten also immer wieder in Ihre eigene Geschichte hineinforschen - richten Sie das auch Herrn Brüderle aus -, um sich daran zu erinnern, was Sie in der Vergangenheit alles schon gemacht haben. ({33}) Meine Damen und Herren, nun noch ein paar Bemerkungen zur Beratung des Haushaltes. Ich bin von den Haushaltsberatungen enttäuscht. Am Dienstag hatte ich für die Koalition - auch für Bündnis 90/Die Grünen angeboten, daß wir, wenn Sie vernünftige Vorschläge machen, miteinander darüber reden und sie, sofern sie wirklich sinnvoll sind, in den Bundeshaushalt aufnehmen. Leider sind keine solchen Vorschläge gekommen; Sie haben hier überhaupt keine alternativen Positionen dargestellt. ({34}) Es tut mir furchtbar leid, schließlich sind Sie regierungserfahren und erst ein Jahr von der Regierungsmacht entwöhnt. Sie könnten doch Anträge bringen. ({35}) Sie als Union haben den Antrag gebracht, man möge alle Zuschüsse zur Bundesanstalt für Arbeit auf Null stellen. Das hätte bedeutet, daß die Jugendarbeitslosigkeit wieder schlagartig in die Höhe gegangen wäre. Das Programm, mit dem wir es geschafft haben, 200 000 Jugendlichen in Deutschland wieder eine Zukunft zu geben, wäre zunichte gemacht worden, wenn wir Ihrem Antrag gefolgt wären. Deshalb haben wir diesen Antrag abgelehnt. ({36}) Wir hätten auch das hohe Niveau der Arbeitsmarktsunterstützung in den neuen Ländern nicht fortsetzen können, wenn wir Ihrem Antrag gefolgt wären. Sie wollten mit dem Antrag, den Sie hier eingebracht haben, eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern erreichen, meine Damen und Herren. ({37})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Wagner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Dann haben Sie von der PDS - diese Fraktion kam natürlich auch mit Anträgen und behauptete sogar noch, sie seien seriös gegenfinanziert - den Verzicht auf den Eurofighter als Gegenfinanzierung für Ihre sonstigen Forderungen vorgeschlagen. Das wäre eine schöne Sache; in ihr steckt auch Herzblut von Sozialdemokraten und Grünen. Aber Sie müssen wissen, daß die Schwarzgelben die Verträge abgeschlossen und das Zeug bestellt haben. Wir müssen das nun bezahlen, so leid uns dies tut. Deshalb sind die Vorschläge der PDS unseriös, was die Gegenfinanzierung angeht. ({0}) Meine Damen und Herren, mich hat schon gewundert, daß zum Beispiel das Wort Kultur in den Reden der Opposition gar nicht vorgekommen ist. ({1}) - Sie haben zwar für die Deutsche Welle gekämpft, wissen aber genau, daß das ein Kampf gegen Windmühlenflügel ist. Im übrigen hat Kultur bei Ihnen keine Rolle gespielt, obwohl ungewöhnlich große Anstrengungen der Bundesregierung in den neuen Ländern, in den alten Ländern und auch hier in Berlin zur Sicherung der kulturellen Aktivitäten zu verzeichnen sind. ({2}) Das war Ihnen kein Wort der Erwähnung wert. Ich sage das nur, damit deutlich wird, daß Sie mit der Förderung von Kultur in Deutschland nichts im Sinn haben. Den Bemühungen der Bundesregierung - des Bundesfinanzministers, vertreten durch Karl Diller - ist es zu verdanken, daß am Mittwoch dieser Woche die Europäische Kommission beschlossen hat, daß die neuen Länder Ziel-1-Gebiet bleiben. ({3}) Durch den Einsatz der Bundesregierung ist es also möglich geworden, ({4}) daß in den Jahren 2000 bis 2006 19,6 Milliarden Ecu in die neuen Länder zu ihrer weiteren Entwicklung fließen werden. Das sind etwa 38 Milliarden DM, die allein von der europäischen Ebene nach Ostdeutschland gegeben werden. Ich bin sehr dankbar, daß sich die Bundesregierung darum bemüht hat, die anderen Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, daß die Förderung im Osten weitergehen muß, genauso wie wir die Förderung der neuen Länder auf hohem Niveau fortsetzen. SEITE ZURÜCK SEITE VOR Nun zu einem Punkt, der schon am Mittwoch zu einer erregten Diskussion geführt hat, zum Thema Spenden. Ich möchte jetzt nicht dem Untersuchungsausschuß vorgreifen. Aber mich wundert schon sehr, wenn an jedem Tag in den Presseorganen über neue Dinge berichtet wird, die die Union betreffen. Da gibt es schon Erklärungsbedarf; hier hat Kollege Struck völlig recht gehabt. Ich habe gelesen, daß der bayerische Ministerpräsident - Ihr eigentlicher Oberbefehlshaber, wie Sie wissen sechsmal an der Côte d´Azur in der Villa von Herrn Holzer Urlaub gemacht hat ({5}) und daß drei Tage vor dem Minol-Deal im Bundeskabinett Herr Dieter Holzer einen Brief an den Bundeskanzler mit der Anrede „Lieber Helmut Kohl“ geschrieben hat. Diese vertrauliche Anrede zeigt, daß er im Hause Kohl nicht unbekannt gewesen sein kann. Diese Dinge muß man natürlich aufklären. Was die eine Million betrifft, habe ich gestern scherzhaft Frau Kollegin Baumeister gefragt: Geht eine Million eigentlich auch in einen Kosmetikkoffer? ({6}) Sie war etwas erstaunt über die Frage; ich habe ihr aber gleich gesagt, daß ich sie persönlich nicht verdächtigen möchte. Aber es wird zu klären sein: Ist die Politik in Deutschland käuflich? War sie es, ist sie es, wird sie es werden? ({7}) Politik darf in der Bundesrepublik nicht käuflich werden, meine Damen und Herren! ({8}) Mit dem Bundeshaushalt für das Jahr 2000 runden wir heute unser Paket ab. Wir sind handlungsfähig und haben dies auch bewiesen. Die Koalition handelt, sie redet nicht nur. Deshalb wird es auch zum Guten für die Bundesrepublik werden. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Jürgen Koppelin, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte vor der heutigen Entscheidung über den Haushalt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Haushaltsausschusses sehr herzlich für die Unterstützung danken. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch den Mitarbeitern in unseren Abgeordnetenbüros herzlich für die gute Zuarbeit danken. Sie dürfen, denke ich, heute auch einmal erwähnt werden. ({0}) Ich bedanke mich auch dafür, daß alle, die ich eben genannt habe, die Arbeitszeitordnung sehr souverän mißachtet haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundesfinanzminister ist ja mit einem großen Ziel gestartet. Er hat gesagt, 30 Milliarden DM wolle er im Haushalt 2000 einsparen. Richtig ist jedoch, daß er diesen Betrag überhaupt nicht spart, sondern daß er sich durchmogelt. Der Finanzminister spart weniger am Bundeshaushalt, als daß er abkassiert. Das nennt er eben „sparen“. ({1}) Nur in drei Bereichen streicht er selbst. Dies geschieht erstens bei der Bundeswehr, der er die Möglichkeit nimmt, die auf Grund der Auslandseinsätze dringend erforderlichen Investitionen zu tätigen. Zweitens kassiert er radikal beim Agrarhaushalt ab und nimmt den Landwirten etwa 25 Prozent ihres Einkommens. Da muß man sich fragen: Wo bleiben die begleitenden Gesetze, damit unsere Landwirte die gleichen Bedingungen haben wie ihre Kollegen in Frankreich, Dänemark oder Holland? ({2}) Und es wird beim Straßenbau gestrichen. Herr Kollege Wagner, daran geht kein Weg vorbei: Beim Straßenbau wird gestrichen. Dadurch werden auch wichtige Strukturmaßnahmen gestoppt. Herr Eichel verfährt nach dem Motto: Mehr Straßenlöcher zum stopfen von Haushaltslöchern. ({3}) Dieser Haushalt ist weiterhin kommunalfeindlich; denn er kassiert bei den Kommunen und auch bei den Ländern radikal ab. Dies wird schließlich zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger gehen. Statt selbst zu sparen, wird auch bei den Sozialschwachen und beim Mittelstand abkassiert. Wo der Finanzminister streicht - das ist das Bedauerliche -, streicht er bei Investitionen. Damit werden Arbeitsplätze gefährdet; denn für viele Branchen, zum Beispiel für den Straßenbau, ist der Bund der einzige Auftraggeber. Dort, wo es jedoch sinnvoll wäre zu sparen, geschieht dies aus ideologischen Gründen nicht. Wenn die Bundesregierung aus demographischen Gründen von einer durchschnittlichen Abnahme der Arbeitslosigkeit um 200 000 Stellen ausgeht, fragt man sich, warum der Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit weiterhin überdimensional bleiben muß. ({4}) Bereits 1999 war der Ansatz für die Bundesanstalt für Arbeit völlig überhöht. Was Sie mit Ihrem hohem Zuschuß wollen, ist völlig klar: Sie wollen eine Aufblähung des zweiten Arbeitsmarktes. Damit verzögern Sie notwendige Strukturanpassungen. ({5}) Der Bundesfinanzminister nennt öffentlich ehrenwerte Ziele. Er will sparen, und er will die Verschuldung des Bundes zurückführen. Interessant ist, daß Herr Eichel in seiner Amtszeit als hessischer Ministerpräsident bereits die gleichen Ziele verkündet hat. Nun muß man sich einmal das Ergebnis in Hessen anschauen: In der Amtszeit von Herrn Eichel sind in Hessen die Personalausgaben von 42 Prozent auf 47 Prozent gesteigert worden. Wahr ist auch, daß in der Amtszeit von Herrn Eichel in Hessen, bei rotgrüner Landesregierung - Herr Fischer soll irgendwann auch einmal dabei gewesen sein; aber das war noch zur Amtszeit des Vorgängers von Herrn Eichel -, ({6}) - zwischen 1994 und 1998 pro Jahr durchschnittlich 2,3 Milliarden DM neuer Schulden aufgenommen wurden. ({7}) Den Höchststand erreichte man 1997. Damals war ein Negativrekord in der Geschichte des Landes Hessen zu verzeichnen, und Herr Eichel mußte 2,9 Milliarden DM an neuen Schulden aufnehmen. ({8}) Auch ein weiterer Vergleich ist vielleicht zulässig, nämlich bei der Zinsausgabenquote. Man muß das einmal vergleichen: Am Ende der Amtszeit von Herrn Eichel lag die Quote in Bayern bei 3,7 Prozent, in Baden-Württemberg bei 6,8 Prozent und in Hessen bei immerhin 9,6 Prozent. Das spricht doch wohl Bände hinsichtlich der Arbeitsweise dieses Finanzministers! ({9}) Ich kann nur jedem, der immer wieder auf Herrn Eichel hereinfällt, empfehlen, sich anzuschauen, was er in Hessen gemacht hat. Dort hat er die gleichen Botschaften verkündet, aber völlig anders gehandelt. Er hat mit den gleichen Tricks gearbeitet, mit denen er auch hier arbeitet. Vielleicht darf man aber auch einmal an eine andere Funktion erinnern, die Herr Eichel in Hessen innegehabt hat: Er war nämlich auch Oberbürgermeister in Kassel. Dort hat er sich immer gelobt, denn er war damals Chef der ersten rotgrünen Koalition. Seine Forderung war damit ist er in unrühmlicher Erinnerung -: Kassel muß bundeswehrfrei werden. Da wundert es einen doch nicht, daß er jetzt bei der Bundeswehr so radikal streicht. Das sitzt bei ihm immer noch im Kopf. ({10}) Mit diesem Bundeshaushalt werden keine neuen Impulse für die Wirtschaft unseres Landes gegeben und keine sicheren Rahmendaten für Unternehmen und Bürger gesetzt. Notwendig wären ein echter Sparhaushalt das hat auch die Anhörung ergeben - und eine radikale Senkung der Steuern. Nur so kann man die Rahmenbedingungen verbessern und neue Arbeitsplätze schaffen. Aber das geschieht hier nicht. ({11}) Insofern sei den Sozialdemokraten ins Stammbuch geschrieben: Der Staat sorgt zwar nicht für Arbeitsplätze, aber er setzt die Rahmenbedingungen, damit die Wirtschaft und vor allem der Mittelstand Arbeitsplätze schaffen können. Hier versagt der Bundeshaushalt völlig. Im Abkassieren sind dieser Bundesfinanzminister und seine Koalition besonders groß. Nicht einmal das Versprechen, die vollen Einnahmen der Ökosteuer zur Senkung der Rentenbeiträge zu nutzen, hält diese Regierung ein. Sie nimmt nur einen Teil davon; mit dem anderen stopft sie Haushaltslöcher. Man muß sich übrigens ebenfalls fragen: Wo war denn - ich sehe sie auch heute nicht - die Familienministerin damals? Warum hat sie nicht dem Finanzminister gesagt: Das kannst du nicht machen, mit der Ökosteuer belastest du vor allem die Rentner und die Familien? - Sendepause! ({12}) - Abgetaucht! Genau das ist es. Wie unlogisch die Ökosteuer ist, haben wir Ihnen oft genug gesagt. Ich denke, auch bei dieser Debatte sollte man es noch einmal sagen. Die Ökosteuer ist völlig unlogisch, denn sie ist darauf angelegt, daß bloß kein Bürger Energie sparen möge, denn dann hätte der Finanzminister weniger Einnahmen. ({13}) Das kann doch nicht wahr sein. Die Ökosteuer ist ein Etikettenschwindel; sie dient nur zum Abkassieren der Bürger. ({14}) Oder nehmen wir die Rentenpolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, nur weil Oskar Lafontaine mit 56 Jahren in Rente gegangen ist, muß doch nicht die ganze Republik mit 60 in Rente gehen! ({15}) Dann kommt es noch schlimmer: Frau Simonis verkündet fast täglich, wir bräuchten die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer usw. ({16}) Da muß ich doch noch einmal den Bundesarbeitsminister ansprechen; er ist leider auch nicht da. Von ihm stammt das Thema Rente mit 60. Herr Riester hat in der „Wirtschaftswoche“ verkündet - so lese ich es zumindest als Zitat -: „Ich bin mit Sicherheit kein Umfaller.“ ({17}) Das will ich gerne bestätigen. Das trifft übrigens ähnlich auf die Grünen zu. Da haben wir als F.D.P. ja ein bißchen Erfahrung. ({18}) Umfallen kann man nur, wenn man vorher gestanden hat. Herr Riester steht für gar nichts! ({19}) Ich stelle fest: Täglich überall Verunsicherung durch diese Koalition, und täglich erleben wir, daß man sich in dieser Koalition streitet. Das wirkt sich natürlich auch bei den politischen Entscheidungen aus. Da streiten sich Rot und Rot, Rot und Grün, Grün und Rot, Grün und Grün. Man hat den Eindruck, in dieser Koalition ist sich überhaupt niemand mehr grün. ({20}) Diese Koalition zeichnet sich durch Zerstrittenheit, Orientierungslosigkeit und Unberechenbarkeit aus, und das Ganze ist gepaart mit mangelnder Sachkompetenz. Auch das spiegelt dieser Haushalt wider. Die Unterschiede zwischen Herrn Eichel und der F.D.P. sind klar: Im Gegensatz zu Herrn Eichel ist für die F.D.P. der Staat eine Instanz, die ordnungspolitisch an der Stelle eingreift, an der es erforderlich ist. Ansonsten hat der Staat nur Rahmenbedingungen und Anreize zu schaffen. Für uns ist der Staat nicht - wie bei dieser rotgrünen Bundesregierung - der besserwisserische Übervater, der alles bestimmt, alles regelt und seinen Bürgern mit Mißtrauen begegnet. Das unterscheidet uns. ({21}) Kollege Wagner, ich hätte Schleswig-Holstein ja nicht angesprochen, aber ich bin Ihnen dankbar für den Hinweis. Ich will Ihnen nur zwei Beispiele für das nennen, was uns unterscheidet, auch in der Politik. Frau Simonis läuft jetzt durchs Land und verkündet dort, wo tatsächlich ein paar Arbeitsplätze entstanden sind, nämlich im Telekommunikationsbereich, das sei ihr Erfolg. In diesem Bereich gibt es in SchleswigHolstein tatsächlich einige neue Arbeitsplätze. Aber wer war denn gegen die Privatisierung? Das waren doch Sie! Wir waren dafür! ({22}) Diese Arbeitsplätze wären in Schleswig-Holstein niemals entstanden, wenn wir uns nicht dafür eingesetzt hätten. Frau Simonis hat das nicht getan. Nun nenne ich noch einmal den Bereich Straßenbau - Herr Kollege Wagner, den haben ja auch Sie angesprochen -: Es ist richtig, daß wir, wenn CDU und F.D.P. die Landtagswahl in Schleswig-Holstein gewinnen sollten, Straßen bauen werden. Wir werden dann natürlich Widerstand seitens bestimmter Interessengruppen bzw. bestimmter Bevölkerungskreise bekommen, die die eine oder andere Straße an der vorgesehenen Stelle nicht haben wollen. Das gibt es überall; das wird es auch hier geben. Aber der Unterschied zu Ihrer jetzigen Koalition und zu uns ist: Sie in Schleswig-Holstein haben den Widerstand bereits im Kabinett sitzen. Das ist das Entscheidende. ({23}) Herr Kollege Wagner, ich verstehe es ja, daß Sie die Landtagswahl in Schleswig-Holstein ansprechen. Sie haben ja gar nicht so sehr Angst davor, daß Herr Rühe gewinnt. Sie haben vielmehr Angst davor, daß der Herr Bundeskanzler Frau Simonis einen Kabinettsposten anbietet. Das ist doch das Problem. ({24}) Der Bundeshaushalt, so sagt man, sei das Schicksalsbuch der Nation. Von diesem Schicksalsbuch müßten ja dann eigentlich Impulse und Bewegungen ausgehen. Doch wo sind sie? Die einzige Bewegung, die von diesem Haushalt und der rotgrünen Bundesregierung ausgeht, ist Kopfschütteln bei der getäuschten und enttäuschten Bevölkerung. Nichts anderes ist der Fall. ({25}) Wenn man dem Bundesfinanzminister für diesen Haushalt ein Zeugnis ausstellen müßte, dann würde es wohl lauten: Hans Eichel war stets bemüht, konnte jedoch den eigenen Ansprüchen zu keiner Zeit gerecht werden. Wir Freien Demokraten lehnen den Bundeshaushalt 2000 ab. Ich bedanke mich für Ihre Geduld. ({26})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Matthias Berninger, Bündnis 90/Die Grünen.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte damit beginnen, mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerien und vor allem bei jenen im Haushaltsausschuß zu bedanken. Einen solchen Haushalt zustande zu bringen ist ziemlich viel Arbeit. Das würde ohne diese Mitarbeiter nicht so reibungslos ablaufen, wie es jetzt der Fall war. Deswegen an dieser Stelle mein Dank an alle Mitarbeiter. ({0}) Ein besonderer Dank gilt dem Ausschußvorsitzenden. Im Ausschuß geht es ja manchmal hoch her. Kollege Austermann weiß das. Ich denke, daß der Vorsitzende die Sitzungen sehr souverän und sehr fair geleitet hat. Auch das ist ein besonderes Dankeschön wert. ({1}) Aber trotz so vieler Worte des Dankes, Herr Kollege Roth, sollten wir nicht vergessen, uns politisch zu streiten. Sie haben gesagt, Finanzminister Eichel habe eine ganze Menge Komplimente bekommen; das habe Sie gewundert. Mich überrascht nicht, daß die Union sich wundert, wenn ein Finanzminister Komplimente beJürgen Koppelin kommt. Bei Waigel war das nie der Fall. Es ist also klar, daß Sie darüber verwundert sind. Dies wird erst recht klar, wenn Sie die Haushaltspolitik dieser Legislaturperiode mit jener der letzten vergleichen. Ich fange einmal mit den Investitionen an; denn sie waren hier schon mehrfach Thema. Sie sind 1994 mit Investitionen im Schienenbaubereich in Höhe von etwa 10 Milliarden DM und im Straßenbaubereich in Höhe von annähernd 9 Milliarden DM angetreten und haben in den nächsten vier Jahren bei den Investitionen um über 4 Milliarden DM gekürzt. Wenn man uns dann angesichts dessen, daß wir den Haushalt ins Gleichgewicht bringen und die Investitionen auf einem hohen Niveau halten wollen, kritisiert, dann muß man sich den Vorwurf der Unglaubwürdigkeit gefallen lassen. ({2}) Sie haben in den letzten Jahren unter Herrn Rüttgers im Bildungsbereich 800 Millionen DM zusammengestrichen, während wir für Bildung, Zukunft und Forschung mehr Geld ausgeben. Auch hier müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, daß Ihre Haushaltspolitik alles andere als solide war. Kollege Rühe hat in seiner Amtszeit als Verteidigungsminister die nette Bilanz zu verzeichnen, daß es im Verteidigungsetat zu Kürzungen von über 11 Prozent kam, und zwar ohne daß er irgendeine Strukturreform in Gang gesetzt hat. Es ist zwar vernünftig, die Verteidigungsausgaben auf ein realistisches Niveau abzusenken. Aber dazu muß man - das muß man ihm hier vorwerfen - die nötigen Strukturreformen in Gang setzen. Dazu war die alte Koalition nicht in der Lage. ({3}) Es ist viel über die Summe von 1,5 Billionen DM Schulden gesprochen worden. Ein Abgeordneter der CDU war gestern sogar stolz auf diese Schulden. Wir können uns hier lange darüber streiten, wer dafür verantwortlich ist. Mich langweilt - offen gestanden - dieser Streit. Denn er führt zu keinem Ergebnis. Wir haben diese Schulden, und der Finanzminister - das unterscheidet ihn von seinem Vorgänger - hat sich das Ziel gesetzt, diesen Schuldenberg abzubauen. Dafür erhält er die schon angesprochenen Komplimente. ({4}) Niemand bezweifelt, daß die deutsche Einheit zusätzliche Lasten mit sich gebracht hat. Was wir Ihnen aber vorwerfen, ist, daß Sie im Zuge der deutschen Einheit den Menschen nicht die Wahrheit gesagt haben und daß Sie von denen, die mehr hätten geben können, keinen höheren Solidarbeitrag verlangt haben. Das ist es, was Sie sich von uns vorwerfen lassen müssen. ({5}) Meine Damen und Herren, natürlich ist das Ausgabenvolumen in der Ära Waigel gewachsen, auch wenn viele Haushaltspolitiker Nebelkerzen werfen, indem sie sagen, es sei konstant geblieben. Nein, es ist gewachsen. Weil auf Grund einer strukturellen Änderung beim Kindergeld aus vorherigen Ausgaben Einnahmeausfälle wurden, konnten Sie den Haushalt rein zahlenmäßig konstant halten. Aber Sie haben den Haushalt aufgebläht. Statt die Schulden zu bekämpfen, haben Sie Jahr für Jahr versucht, das strukturelle Defizit zu vertuschen. Sie haben die Privatisierungserlöse nur für einen Zweck verwandt, nämlich dafür, sich durchzumogeln und mit dem Haushalt noch knapp an der Verfassungswidrigkeit vorbeizukommen - oder diese Grenze auch zu berühren. Sie haben es in den letzten Jahren nicht geschafft, die Entwicklung des Defizits in den Griff zu bekommen. Deshalb ist die Aufgabe für diese Koalition auch so außerordentlich schwierig. Wir stehen vor großen Risiken. Brutto nehmen wir auch in diesem Jahr annähernd 250 Milliarden DM an neuen Schulden auf, ({6}) netto unter 50 Milliarden DM; das zeigt, wie schwer das Umsteuern ist. Wenn sich der Zinssatz nur um 1 Prozent erhöht - allein das ist ein großes Risiko -, dann kostet uns dies weitere 2,5 Milliarden DM. So viel müßten wir dann zusätzlich zu den 82 Milliarden DM, die wir heute für Zinsen auf den Tisch legen müssen, für die Schulden ausgeben. Deswegen hat sich diese Koalition, auch wenn es schwer ist, für Einsparungen entschieden. Wir wollen den Haushalt ins Gleichgewicht bekommen. Das ist etwas, was Sie nie zustande gebracht haben. ({7}) Noch etwas unterscheidet uns von der alten Regierungskoalition. Sie haben den Haushalt aus dem Gleichgewicht gebracht. ({8}) Sie haben aber auch die Steuern erhöht. Allein der Eingangssteuersatz ist in den letzten 16 Jahren um 4 Prozent gestiegen. Was aber noch viel schlimmer ist: Sie haben die Lohnnebenkosten in den letzten acht Jahren um 10 Prozent steigen lassen. Wir betreiben eine Steuersenkung: Der Eingangssteuersatz wird in vier Jahren um 6 Prozent sinken. ({9}) Das ist eine Politik, die sozial gerecht ist, weil sie auch den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen zugute kommt. ({10}) Wir senken die Lohnnebenkosten - dadurch werden wir neue Arbeitsplätze schaffen - und sparen dennoch. Es ist die Leistung von Herrn Eichel, daß das strukturelle Defizit in Angriff genommen wird, ohne die Menschen mit neuen Steuern zu belasten. ({11}) „Schein und heilig“ ist es in der Tat, wenn Sie hier immer die Ökosteuer anführen. Ich hätte mir gewünscht, die Ökosteuer wäre höher gewesen. Durch mutigere Entlastungen bei den Lohnnebenkosten hätten nämlich noch mehr neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. ({12}) - Herr Kollege Ramsauer, ich bin alles andere als ein grüner Raubritter. Das Raubrittertum fällt mir immer dann ein, wenn ich mir die Situation in der letzten Legislaturperiode, wenn ich mir Ihre Regierungszeit vor Augen halte. Man kann bei uns von allem reden, nur nicht von Raubrittertum. ({13}) Sie haben doch die Mineralölsteuer um 58 Pfennig erhöht, ohne damit irgendeinen Impuls für die Senkung der Lohnnebenkosten erreicht zu haben. ({14}) Auch dies ist angesprochen worden: Wieviel Tafelsilber haben wir noch? In diesem Zusammenhang ist es nötig, auf den Kollegen Merz einzugehen. Herr Kollege Merz, wir haben noch 160 Milliarden DM an Privatisierungserlösen. Es muß hier noch einmal gesagt werden: Im Unterschied zur alten Koalition wollen wir das Tafelsilber, die Telekom-Privatisierungserlöse, dafür verwenden, die Renten und Pensionen für die Postbediensteten zu bezahlen. Zum anderen haben wir mit diesem Haushaltsgesetz etwas Mutiges in Angriff genommen. Wir sagen nämlich: Sollten wir darüber hinaus noch Privatisierungserlöse haben, so geben wir sie nicht aus, Herr Kollege Austermann, sondern verwenden sie zum Abbau der Schulden. Das ist eine Weichenstellung, die Sie nie vorgenommen haben. ({15}) Wahlweise wird von der Opposition gesagt, es werde gar nicht gespart, es werde an der falschen Stelle gespart, es werde zuviel gespart. Wir hören wahlweise eines dieser Argumente in den Reden der einzelnen Abgeordneten. Dann werden die sogenannten Alternativvorschläge unterbreitet. Ich habe nur einen Vorschlag wirklich wahrgenommen - Kollege Koppelin ist auch stolz darauf -, nämlich den, den Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit auf Null zu fahren. Wissen Sie, was mich daran ärgert? Mich ärgert, daß wir dann das Sofortprogramm der Bundesregierung, das wir auf den Weg gebracht haben, von dem einen auf den anderen Tag aussetzen müßten. Damit hätten 200 000 Jugendliche keine Perspektive mehr; das wäre ein Rückfall in die Ära Kohl. ({16}) Was ich noch schlimmer finde: Erst gewinnen Sie von der Union die Wahlen in Ostdeutschland, und dann kommen Sie in den Haushaltsausschuß und sagen, wir streichen den BA-Zuschuß. ({17}) 200 000 Menschen in den neuen Ländern hätten dann keinen Arbeitsplatz mehr, wobei ich zugebe: Jetzt haben sie einen öffentlich geförderten. Das ist etwas, was Sie sich vor der Wahl nicht getraut hätten zu sagen. Das ist genau Ihre Politik. Das haben Sie zu Ihrer Regierungszeit so gemacht, und auch in Oppositionszeiten gehen Sie so vor. ({18}) Deshalb ist Ihre Politik auch so unglaubwürdig. Bevor ich jetzt auf den Kollegen Koppelin eingehe, gibt es noch den Wunsch zu einer Zwischenfrage des Niebel-Kerzenwerfers. Bitte schön.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Niebel, bitte schön.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Berninger, wenn wir über Nebel - oder Niebel-Kerzen reden, dann können wir vielleicht im Rahmen dieser Frage klären, wer was vernebelt. Mir ist nicht bekannt - vielleicht ist es Ihnen bekannt -, seit wann dieser Zuschuß zweckgebunden sein soll. Sie tun so, als wenn der Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit zweckgebunden sei. Nach meinen Kenntnissen ist dies nicht der Fall. Nach meinen Kenntnissen ist es vielmehr so - ich würde mich freuen, wenn Sie das hier bestätigen können -, daß es eine Faustformel gibt, wonach 100 000 Arbeitslose zirka 4,5 Milliarden DM Kosten verursachen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht von einem demographischen Rückgang der Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr von 200 000 aus. Das sind dann 9 Milliarden DM. Sie haben auch gesagt, daß Sie durch Ihre Politik die Arbeitslosigkeit noch senken wollen. Gesetzt den Fall, daß Sie das so tun könnten, könnten Sie die globale Minderausgabe durch den Haushalt erwirtschaften, ohne irgendeine Leistung zu kürzen. Stimmen Sie mir zu, daß dieser Zuschuß nicht zweckgebunden ist und daß meine Äußerungen so richtig sind? ({0})

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe davon geredet, daß 200 000 Menschen in den neuen Ländern von heute auf morgen wieder auf der Straße stehen würden. ({0}) Herr Niebel hat davon geredet, daß es irgendwelche Zweckbindungen gebe. Wer bestreitet denn, daß die Arbeitsmarktsituation in den neuen Ländern so ist, daß wir noch auf Jahre hinaus öffentliches Engagement brauchen, um neue Arbeitsplätze in den neuen Ländern zu schaffen? ({1}) Wir haben im Gegensatz zu Ihnen vor und nach der Wahl gesagt, wir wollen eine aktive Arbeitsmarktpolitik in den neuen Ländern finanzieren. Stimmen Sie mit mir überein - das ist nur eine rhetorische Frage -, ({2}) daß der Chef der Bundesanstalt für Arbeit genau auf diesen Zustand hingewiesen hat, welche Folgen es nämlich hätte, den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit auf Null zu setzen? Das erfinden doch nicht wir, sondern es ist das, was uns die Leute, die im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ihre alltägliche Arbeit verrichten, sagen. Das Sofortprogramm für junge Leute wäre über die Wupper. Die Leute würden wieder auf der Straße stehen. In den neuen Ländern würden weitere 200 000 Menschen ohne Arbeitsplatz sein.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Berninger, der Kollege Niebel will noch einmal fragen.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Er will noch einmal fragen? Er darf auch noch einmal fragen. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Berninger, stimmen Sie mir zu, ({0}) daß die Bundesanstalt für Arbeit über eigene Einnahmen verfügt, die sie selbst auf ungefähr 89,5 Milliarden DM beziffert. Wenn man das durch den Beitragssatz von 6,5 Prozent teilt, kommt man bei ungefähr 7 Milliarden DM auf eine mögliche Senkung des Beitrags an die Bundesanstalt von 0,5 Prozent. Stimmen Sie mir zu, daß all das die Lohnnebenkosten, wenn man die Beitragssenkung umsetzen würde, verringern würde und dadurch die Chance, Arbeitsplätze ohne staatliche Förderung zu schaffen, vergrößert werden würde?

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werter Kollege Niebel, wenn F.D.P.-Politiker von einer Senkung der Lohnnebenkosten reden, fällt mir immer ein, was Sie gemacht haben. Sie haben, weil Sie Steuererhöhungen für die Besserverdienenden vermeiden wollten, die Lohnnebenkosten erhöht. ({0}) Es ist doch völlig klar: Wenn ich die gesamte aktive Arbeitsmarktpolitik verwerfe, wenn ich die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit verringere, dann verringere ich auch den Beitrag der Beschäftigten. - Einen Moment müssen Sie noch stehenbleiben; Sie stellen die Frage, ich antworte. - Es ist doch völlig klar, Herr Kollege Niebel, daß man die Bundesanstalt für Arbeit zu einer Nachtwächterbehörde machen könnte und damit auch die Beiträge für die Bundesanstalt für Arbeit senken könnte. Das ist aber das, was diese Koalition nicht will, was auch die Beschäftigten in Deutschland nicht wollen. Es ist klar, daß die F.D.P. das will. Aber vor diesem Hintergrund stehen wir dafür, daß es öffentliches Engagement und öffentliche Beschäftigung in diesem Bereich gibt. ({1}) Meine Damen und Herren, der Haushalt wird in den nächsten Jahren systematisch mit geringerer Neuverschuldung auskommen, und er wird, so schnell es eben möglich ist, im Gleichgewicht sein. Wir stehen dazu, daß wir die Nettoneuverschuldung auf Null fahren. Wir stehen dazu, daß wir möglichst Überschüsse erwirtschaften. Wir wollen einen ähnlichen Weg gehen wie viele unserer Nachbarländer - zu nennen ist das Beispiel Dänemarks -, wo man der jungen Generation sagt: Wenn wir euch schon große Belastungen im Bereich der demographischen Entwicklung hinterlassen - das dürfte ja in diesem Hause unstrittig sein -, können wir euch nicht zusätzlich einen Haushalt, der aus dem Gleichgewicht geraten ist, hinterlassen. Vor diesem Hintergrund muß man sagen: Der Weg des Bundesfinanzministers bringt einen Einstieg - diese Koalition steht hinter dem Bundesfinanzminister - in einen Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik, der besagt, daß man eben nicht auf neue Schulden setzen will. ({2}) Vielmehr die Ausgaben danach auszurichten, wie hoch unsere Einnahmen sind, ist das Ziel der Bundesregierung. Ich halte das für einen guten Weg. Übrigens ist das nicht der einzige Punkt, bei dem wir diesen Weg gegangen sind. Wenn Sie sich vor Augen führen, was wir im Bereich der Neuordnung der Energiewirtschaft machen, daß wir auf regenerative Energien setzen, daß wir eine Umorientierung der Energiewirtschaft wollen, daß wir die Ökosteuer auch deshalb eingeführt haben, damit Deutschland auf eine neue Energiepolitik setzen kann, dann sehen Sie, daß diese Punkte Beispiele dafür sind, daß wir damit aufhören wollen, zu Lasten kommender Generationen Politik zu machen. Ich bin sehr sicher, daß uns das auch bei der Reform des Rentensystems gelingen wird. Übrigens kann man an dieser Frage erkennen, wie mächtig die Opposition denn ist. Als das Sparpaket noch ein geschlossenes Paket und komplett zustimmungspflichtig war, haben Sie hier vollmundig Drohungen ausgesprochen, etwa die Drohung, Sie würden erst dann über eine Rentenreform reden, wenn wir uns von der Maßnahme, die Erhöhung der Renten auf den Inflationsausgleich zu beschränken, verabschieden würden. Dann haben wir Sie von heute auf morgen im Haushaltsausschuß damit überrascht, das Sparpaket in zwei Teile zu zerlegen, und damit ist Ihre gesamte Strategie zusammengebrochen. ({3}) Das mag Sie ärgern. Aber, meine Damen und Herren, ich freue mich darüber, daß die Union endlich zur Vernunft zurückkehrt und an das anknüpft, wo sie sich in der letzten Legislaturperiode befunden hat, ({4}) nämlich zu erkennen, daß wir alle in diesem Haus gemeinsam das Rentensystem reformieren müssen und daß Fundamentalopposition von Ihrer Seite nicht angebracht ist. Sie sind mit in der Verantwortung. ({5}) Ich bin für Ihr Gesprächsangebot sehr dankbar. Ich glaube, daß diese Verhandlungen zu einem guten Ergebnis führen werden. Denn wir alle müßten uns darin einig sein, daß es keinen Sinn macht, der nächsten Generation eine Kostenbelastung zu hinterlassen, die sie nicht tragen kann. Mich hat es geärgert, daß Sie Steuerreformvorschläge gemacht haben, die nur auf Pump zu finanzieren wären. Der Kollege Wagner hat völlig recht: Auf Pump ist mit uns nichts mehr zu machen. Mich hat das auch deshalb geärgert, weil Sie dann dazu beitragen würden - unsere Wirtschaft ist die Leitökonomie in Europa -, daß der Euro gefährdet würde. Wenn wir die MaastrichtKriterien nicht erfüllen würden, wenn wir einen Haushalt vorlegen würden, der das von der Verfassung in Art. 115 des Grundgesetzes vorgesehene Gebot verletzen würde, wonach die neuen Schulden nicht die Höhe der Investitionen überschreiten dürfen, dann würde schlagartig die Botschaft an die europäischen Finanzmärkte gehen: Das mit dem Euro wird nichts mehr. Für den Euro, denke ich, ist dieser Haushalt deshalb eine gute Nachricht, weil wir den Weg finanzpolitischer Seriosität gehen, weil wir nicht Jahr für Jahr vor der Frage zittern: Schaffen wir die Maastricht-Kriterien oder nicht?, sondern weil wir finanzpolitisch auf Stabilität setzen. Diese Stabilität wird an den europäischen Finanzmärkten positive Wirkungen haben. Mich ärgert es dann, wenn Herr Stoiber nicht nur zum Verfassungsbruch aufruft, ({6}) sondern mit seinen Steuerreformvorschlägen auch noch versucht, den Euro auszuhebeln. ({7}) Diese Art Oppositionsvorschläge finde ich nicht in Ordnung. Wer Vorschläge zur Reform des Steuersystems macht - natürlich warten wir auch auf Ihre Vorschläge -, der muß sie seriös gegenfinanzieren. ({8}) Der Kollege Ramsauer hat gesagt, ich soll das zurücknehmen, ({9}) das Wort „Aufruf zum Verfassungsbruch“. Was ist das denn sonst, Herr Kollege Ramsauer? ({10}) Wenn man einen Vorschlag für eine Steuerreform macht, der 30 Milliarden neue Schulden vorsieht, was zur Folge hätte, daß wir höhere Schulden als Investitionen hätten und damit die Verfassung brechen müßten, was ist das, bitte, anderes als ein Verfassungsbruch? ({11}) Diese Aufforderung von Herrn Stoiber weisen jedenfalls wir in diesem Haus zurück. ({12}) Das Hauptproblem, das die Opposition hat, besteht darin, daß sie eigentlich gegen das Sparen nichts hat. Dann schiebt sie allerdings immer das große Komma nach und sagt: Aber nicht an dieser, nicht an jener, nicht an irgendeiner anderen Stelle. Der Kollege Austermann hat immer wieder vollmundig verkündet, es gebe ein Alternativkonzept. ({13}) Dieses Alternativkonzept lag nie auf dem Tisch. ({14}) Es ist unseriös. Es setzt auf den alten Kurs und auf soziale Kälte, wie am Beispiel des Zuschusses für die Bundesanstalt für Arbeit zu sehen war. ({15}) Wir erhöhen das Kindergeld. Wir verbessern die Leistungen für die Familien in wirklich spürbarem Maße. Wir setzen auf ein neues Steuersystem, auf eine Ergrünung des Steuersystems. Wir setzen auf einen Haushalt, der ins Gleichgewicht kommt. Vor diesem Hintergrund empfehle ich Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dem Haushalt zuzustimmen, und danke dieser Koalition dafür, daß sie mit dem finanzpolitischen Voodoo der Ära Waigel Schluß macht. Vielen Dank. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Christa Luft, PDS-Fraktion, das Wort.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Minuten wird hier eine Redeschlacht zu Ende gehen, die seit Dienstag vormittag in diesem Hause um den ersten Haushalt im neuen Millennium tobt. Wenn ich rekapituliere, dann stelle ich fest, daß diese Redeschlacht von lautstarken gegenseitigen Schuldzuweisungen der früheren Koalition an die jetzige Koalition und der jetzigen Koalition an die frühere geprägt gewesen ist. Zwischendurch hat natürlich - wie sich das gehört - die PDS immer ein paar Hiebe abbekommen. Ob das nun aber den Menschen, die am Bildschirm und an den Radiogeräten all die Tage ausgeharrt haben, Antworten auf ihre Fragen gegeben hat, ob damit Vertrauen in die Politik zurückgewonnen worden ist, das bleibt noch zu bezweifeln. ({0}) Nicht aufgeklärt hat die Koalition, warum sie so mir nichts, dir nichts den Schwerpunkt der Wahlversprechen und den Schwerpunkt der Koalitionsvereinbarungen hinter sich gelassen und einen Schwenk vollzogen hat. In der Koalitionsvereinbarung heißt es noch - das war richtig -: Der Schlüssel zur Haushaltskonsolidierung ist die energische Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dafür, liebe Koalitionäre, seid ihr doch gewählt worden und nicht für ein Sparpaket schlechthin. ({1}) Beim Sparpaket ist nun fast eine Punktlandung gelungen. Was die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit angeht, da hat sich der Fallschirm noch irgendwie im Gestrüpp verfangen. Bislang jedenfalls hat er sein Ziel weit verfehlt. Zum sorgfältigeren und effektiveren Umgang mit öffentlichen Geldern - das sind zum ganz großen Teil Steuergelder von abhängig Beschäftigten - sagen wir selbstverständlich ja. Aber wenn für die Zukunft gespart wird, dann sind alle Bevölkerungsgruppen in die Pflicht zu nehmen. Diese Koalition aber fordert besonders jene zur Solidarität mit den Kinder- und Enkelgenerationen auf, die ihre monatlichen Einkünfte für den aktuellen Konsum brauchen und sie nicht auf die hohe Kante legen können, nämlich Rentnerinnen und Rentnern, Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger und Arbeitslosenhilfebezieherinnen und -bezieher. Jene aber, die über mehr als ein Jahrzehnt von der wahrlich eskalierenden öffentlichen Verschuldung profitiert haben, für die diese öffentliche Verschuldung gar zur privaten Melkkuh geworden ist, kommen nach wie vor unter dem Regen durch. Das sehen wir nicht ein. ({2}) Muß denn die Öffentlichkeit davon ausgehen, daß die Einnahmeverbesserung öffentlicher Haushalte durch Wiedererhebung der privaten Vermögensteuer, wie sie von den heutigen Regierungsparteien zu deren noch gar nicht lange zurückliegenden Oppositionszeiten stets gefordert wurde, damals auch nur eine populistische Forderung war? Ich meine, wir sollten die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit nicht ständig als Populismus diffamieren. ({3}) Nicht ausgeräumt hat die Koalition den Vorwurf, die Anpassung von Einkommen entsprechend dem Inflationsausgleich würde die Binnenkaufkraft reduzieren. Noch einmal, liebe Koalitionäre: Rentnerinnen und Rentner, Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfebezieherinnen und -bezieher haben von der Lohnnebenkostensenkung durch Erhebung der Ökosteuer nichts. Aber ihnen wird durch die Ökosteuer in die Tasche gegriffen. Das ist doch die Wahrheit. Was das Verlagern von Bundesausgaben auf Länder und Kommunen mit Sparen zu tun hat, hat sich auch nach dieser lautstarken Schuldzuweisung von der einen auf die andere Seite der Öffentlichkeit immer noch nicht erschlossen. ({4}) Der Kern unserer Kritik aber ist, daß Sie nicht sagen, wie diese Gesellschaft nach einem harten Sparkurs aussehen soll. Wie sieht Ihr Gesellschaftskonzept für die Zeit danach aus? Wofür wird die Handlungsfähigkeit des Staates zurückgewonnen? Wollen wir etwa noch mehr Eurofighter? Doch wohl nicht! Wollen wir noch mehr Transrapids? Wollen wir noch mehr Subventionen für Daimler-Chrysler? Ich will dem lieben Geburtstagskind, dem Kollegen Wagner, sagen: Frau Matthäus-Maier hat bis zum letzten Tag ihrer Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag, also bis zum Sommer 1999, den Verzicht auf die Anschaffung des Eurofighters und den Verzicht auf den Einstieg in dieses Projekt ständig gefordert. Das kann nicht ihre Privatmeinung gewesen sein. Sie wurde doch wohl von der SPD-Fraktion mitgetragen. Wie kann sich diese Meinung nach nur wenigen Monaten so verändern? Die Vorbelastungen für künftige Haushalte - das ist der Kern unserer Kritik - reichen bis zum Jahr 2015. Woher wissen wir eigentlich, ob unsere Kinder und Enkelkinder im Jahr 2015 und danach diesen Eurofighter überhaupt noch wollen? Diese Fragen müssen wir stellen. ({5}) Eine Konversion wäre zwar nicht billig, aber sie wäre möglich. Sie wäre das Zeichen dafür, daß dieses Land tatsächlich eine antimilitaristische Außenpolitik betreiben will. Ob und wie Sie im Zuge der Haushaltskonsolidierung heute brachliegende Arbeit finanzierbar machen wollen, wissen wir noch nicht. Was der Umbau des Sozialstaates tatsächlich bedeutet, wissen wir noch nicht. Wie der ökologische Umbau der Gesellschaft aussehen soll, ist ebenfalls unbekannt. Diese Punkte hätten aber im Zusammenhang mit dem harten Sparpaket flankierend diskutiert werden müssen, damit die Öffentlichkeit weiß, wohin der Weg führen soll. Wir werden diesen Haushalt als Gesamtpaket ablehnen. Dabei sitzen wir optisch mit der CDU/CSU und der F.D.P. in einem Boot. Ich will aber sagen, daß es inhaltlich deutliche Unterschiede gibt. Wir verkennen nämlich nicht solche neuen Akzente in der Haushaltspolitik der jetzigen Koalition - darin besteht der Unterschied zur Haushaltspolitik der vorigen Koalition - wie die Familienförderung, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit oder das Programm „Soziale Stadt“ und das Inno-RegioProgramm. Wir sehen diese neuen Akzente sehr wohl, die auch einmal von der rechten Seite dieses Hauses neidlos anerkannt werden könnten. ({6}) Der zweite Unterschied: CDU/CSU und F.D.P. haben plausible Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung nicht gebracht. Wenn man ihre Anträge bilanziert, dann kommt man zu dem Schluß, daß sie zwar Absenkungsanträge gestellt haben, die aber durch Erhöhungsanträge sozusagen wieder aufgefressen werden. Wenn Sie unsere Entschließungsanträge vorurteilsfrei lesen, dann werden Sie erkennen, wo unsere Konsolidierungsvorschläge liegen: Erstens. Wir haben einmal zusammengerechnet, was die jetzige Koalition noch bis in den Sommer 1998 hinein selbst an Kürzungen in ihren Anträgen gefordert hat. Wenn Sie die entsprechenden Zahlen addieren, dann kommen Sie auf einen Betrag von 8 Milliarden DM. Ich denke, das wäre eine gemeinsame Verständigungsbasis gewesen. Zweitens. Wenn die Ausbildungsplatzumlagefinanzierung eingeführt würde, worüber sich damals SPD, Bündnisgrüne und PDS eigentlich im Kern immer einig waren, dann würde das den öffentlichen Haushalt um 2 Milliarden DM entlasten. Dieses Geld könnte für andere Zwecke zur Verfügung stehen, oder man könnte damit die Neuverschuldung senken. ({7}) Drittens. Es gibt nach wie vor beeinflußbare Kosten beim Umzug von Regierung und Parlament. Ich kann jetzt die Einzelheiten nicht darstellen. Ich kann aber sagen, daß ein Einsparvolumen in zweistelliger Millionenhöhe garantiert möglich wäre. Viertens. Wenn Sie die Betriebsprüfungen und die Steuerfahndung intensivieren würden, dann könnten wir Mehreinnahmen erzielen, die wahrscheinlich in der Größenordnung von 1 Milliarde DM liegen würden. Fünftens. Wenn wir eine befristete Vermögensabgabe erheben und die Erbschaftsteuer reformieren würden, dann stünden uns mehrstellige Milliardenbeträge zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben zur Verfügung. ({8}) Ich komme zum Schluß. ({9}) So häufig wie hier in den letzten Tagen von Regierungspolitikerinnen und von Regierungspolitikern, auch vom Bundeskanzler, über soziale Gerechtigkeit, über die Bedeutung der Binnennachfrage und über Solidarität gesprochen worden ist, ist dies in den vielen Monaten zuvor nicht geschehen. Ich möchte Ihnen, Herr Bundeskanzler, sagen, daß meine Fraktion Ihnen großen Respekt dafür zollt, daß Sie sich für den Erhalt der Arbeitsplätze bei dem Unternehmen Philipp Holzmann eingesetzt haben. Ihr Handeln macht doch deutlich, wie wichtig es ist, daß sich die Politik von der Wirtschaft nicht mehr an die Wand spielen läßt. Dafür braucht sie aber entsprechende Einnahmen, um die sie sich kümmern muß.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Luft, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich sage zum Abschluß: Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Haushaltsausschußsekretariates für die faire Zusammenarbeit, die immer unabhängig von der politischen Farbe der Abgeordneten funktioniert. ({0}) Jawohl, Herr Kollege Roth, irgendwie mögen wir uns trotz aller Kontroversen im Haushaltsausschuß doch. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Luft!

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Dennoch mußte es keine langen Nachtsitzungen geben, wofür ich mich auch bedanke. Ich denke, das war auch ein wenig Ihr Verdienst. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man am Ende dieser Woche das Fazit dieser Haushaltsberatung zieht, muß man sagen - man kann es nicht oft genug wiederholen -: Rotgrün kann es nicht, Rotgrün wird es nicht lernen. Der Haushalt, der in dieser Woche vorgelegt worden ist, ist kein Zukunftsprogramm für unser Land. ({0}) Der Herr Bundeskanzler und andere Vertreter dieser Bundesregierung und Koalition haben oft genug zugegeben, es seien viele sogenannte handwerkliche Fehler passiert. Aber wenn man diese Worte schon gebraucht eigentlich ist die Bezeichnung „handwerkliche Fehler“ eine totale Beschönigung dessen, was hier passiert ist, der Euphemismus des Jahres und eine Beleidigung für das ganze Handwerk -, ({1}) muß man schon unterscheiden und sagen: Auch wenn im Handwerk Fehler passieren, stimmt dort wenigstens die Richtung noch. Bei dieser Regierung, bei der rotgrünen Koalition, stimmt die ganze Richtung nicht. Das ist der wesentliche Unterschied. ({2}) Ich habe einmal in den persönlichen Erklärungen nachgelesen, die von Kolleginnen und Kollegen aus der SPD - Kollege Roth hat es auch schon angesprochen vor 14 Tagen bei der Verabschiedung des Haushaltssanierungsgesetzes abgegeben worden sind. Hier heißt es beispielsweise in einer Erklärung vom linken Flügel - es geht von B wie Barthel bis W wie Wiesehügel, das reimt sich sogar ({3}) - das sind jetzt Ihre Worte, passen Sie gut auf -: Gleichwohl haben wir in einigen wesentlichen Punkten deutliche Kritik an der Strategie und den konkreten Auswirkungen der hiermit beschlossenen Konzeption der Haushaltskonsolidierung. ({4}) Was heißt das? Das heißt nichts anderes, als daß die Richtung nicht stimmt. Wenn man bei den Begriffen „handwerkliche Mängel“ und „handwerkliche Fehler“ bleibt, muß man sagen: Solche Richtungsfehler würden in der freien Wirtschaft und im Handwerk zur Streichung aus der Handwerksrolle und zum Entzug des Meistertitels führen. ({5}) Ein Korrekturgesetz jagt das andere. Diese Bundesregierung ist nichts anderes als eine Nachbesserungsanstalt. Der Haushalt 2000 ist nichts anderes als eine Mogelpackung an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend. ({6}) - Lieber Kollege Schlauch, lesen Sie einmal nach, was der Kollege Metzger zu dem einen oder anderen gesagt hat. Eine herbere Kritik können Sie sich gar nicht vorstellen. In der Einbringungsrede zu diesem Haushalt am 15. September 1999 hat der Bundesfinanzminister gesagt: Mit dem Haushalt 2000 haben wir das größte Konsolidierungsvorhaben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Damit kann der Bundeshaushalt endlich wieder solide finanziert werden - übrigens ohne Steuererhöhungen. „Übrigens ohne Steuererhöhungen“: Das glatte Gegenteil ist der Fall. ({7}) Auf vielfältigste Weise wird hier verkappt und versteckt und dem Bürger in die Tasche gegriffen, angefangen bei der versteckten Fast-Verdoppelung bei den Abschreibungen, was den Menschen ungeheuer weh tut es gibt kaum eine schlimmere Investitionsbremse -, bis hin - jetzt am aktuellsten - zur Ökosteuer. Da satteln Sie drauf. ({8}) Sie satteln überall drauf und kalkulieren bis zum Jahre 2003 mit einem Anstieg der jährlichen Bundesausgaben um fast 50 Milliarden DM. Unter Bundesfinanzminister Theo Waigel hat es so etwas nicht gegeben. Unter ihm sind die Ausgaben zwischen 1993 und 1998 praktisch unverändert geblieben. Das ist die nackte Wahrheit der Zahlen. ({9}) Meine Damen und Herren, das einzige, worum Sie sich aus der Regierungskoalition bemühen, ist, die Lafontainsche Hinterlassenschaft, die 30 Milliarden DM Lafontainscher Erblast abzutragen. Leider sparen Sie dabei wirklich ohne Sinn und Verstand ({10}) durch das Verschieben von Lasten auf Länder und Gemeinden und durch das Kürzen von Investitionen. ({11}) Lafontaine hat sich aus dem Staub gemacht, als er gemerkt hat, daß er mit dieser Verteilungspolitik den Karren in Deutschland an die Wand fährt. Ich habe wirklich kein Mitleid mit Bundesfinanzminister Eichel; in der Tat nicht. Aber eines gestehe ich ihm zu: Er muß die Suppe auslöffeln, die Herr Lafontaine in den 135 Tagen seiner Amtszeit hinterlassen hat. ({12}) Deswegen gibt es keine schwarzgelbe Erblast. Es gibt keine CDU/CSU-F.D.P.-Erblast. ({13}) Es gibt nur eine Erblast aus den 135 Tagen der Amtszeit von Herrn Lafontaine. ({14}) In diesen 135 Tagen hätten wir auch eine echte Steuerreform mit einer Nettoentlastung in Höhe von etwa 30 Milliarden DM durchführen können, die am 1. Januar 2000 hätte in Kraft treten können. ({15}) Wir haben alle geglaubt, Sie hätten aus den Fehlern von Lafontaine gelernt. Das Schlimme ist, Sie haben nichts daraus gelernt. Einige Stichworte sind zum Beispiel die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Neueinführung der Vermögensabgabe und die Erhöhung der Erbschaftsteuer. Das sind Stichworte für die Folterund Marterinstrumente, die Sie sich neuerdings einfallen lassen. Momentan sprechen Sie - das muß man auch sagen nur halbherzig darüber, weil der SPD-Parteitag bevorsteht. Ich erwarte - Herr Diller, Sie reden zum Abschluß in dieser Haushaltsdebatte nach mir - und wünsche mir, daß Sie die Dinge hier vor der deutschen Öffentlichkeit und vor dem deutschen Parlament klarstellen und daß Sie die Menschen nicht aus Rücksicht auf Ihren SPDParteitag und die gute Stimmung, die Sie dort erzeugen wollen, im unklaren lassen. Eigentlich müßte der Kanzler ein Machtwort sprechen und deutlich machen, wer das Sagen hat: der Kanzler mit seiner Richtlinienkompetenz oder der linke Parteiflügel mit Herrn Larcher und Konsorten. Meine Damen und Herren, genauso gefährlich wie diese Neidhammelpolitik sind auch die Einschnitte bei den Investitionen. Ich möchte dies deutlich machen: In Milliardenhöhe wird der Etat des Straßenbaus zusammengestrichen. Herr Bundeskanzler - er ist gerade nicht anwesend -, die Bauarbeiter werden es Ihnen „danken“. Allein daran zeigen sich die ganzen Widersprüchlichkeiten rotgrüner Politik. Sie sind auf der einen Seite für sichere Arbeitsplätze in der Baubranche und in der Automobilbranche. Auf der anderen Seite wollen Sie keine Straßen mehr bauen. Wie paßt dies zusammen? ({16}) Ich zitiere aus einer weiteren Erklärung von sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten von vor 14 Tagen. ({17}) Hier heißt es - ich zitiere -: Wenn Kürzungen die Substanz angreifen, wenn sie konjunkturdämpfend wirken und wichtige Investitionen verzögern oder verhindern, ({18}) werden sie kontraproduktiv. ({19}) Das heißt im Klartext - SPD-Abgeordnete trauen sich allerdings nicht, das so deutlich zu sagen -: Eichel ist die personifizierte Investitionsbremse in unserem Lande. ({20}) Vor diesem Hintergrund wirkt die Sanierung bei Holzmann, die sich der Kanzler auf die Fahnen schreibt, ({21}) als ein gut inszeniertes Medienereignis, als eine Politshow dieses Kanzlers, obwohl ich diese Erfolge nicht schmälern möchte. Wichtiger als all dies ist: Deutschland braucht ein investitionsfreundliches, ein wirtschaftsfreundliches Klima für Betriebe, für Unternehmen und für Arbeitsplätze. Das wäre tausendmal besser als Staatszuschüsse in dreistelliger Millionenhöhe, wenn alles schon in Flammen steht. ({22}) Sparen ja, aber an der richtigen Stelle und nicht am falschen Ort. Seit Monaten versucht diese Bundesregierung, ihren wilden Sparhammer damit zu begründen, daß sie von uns eine Erblast in Höhe von 1 500 Milliarden DM übernommen habe. Wahr ist: Wenn man sich die gesamte Substanz dieser Altschulden ansieht, stellt man fest, daß sie im wesentlichen, vom Sockel her, eine Hinterlassenschaft aus 13 Jahren SPDRegierung, ({23}) und zwar mit Zinseszinsen, und eine Folge des SEDSchuldenschutts nach der Wiedervereinigung sind. ({24}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, 400 Milliarden DM Altschulden des SED-Regimes mußten übernommen werden. Wir können darauf stolz sein, daß es in dem jetzt ablaufenden Jahrzehnt - wenn auch mit Opfern - gelungen ist, 600 Milliarden DM für die neuen Länder aufzubringen. Das war eine Zukunftsinvestition für unser ganzes Land, für unser Vaterland, und eine großartige Leistung der Regierung Kohl/Waigel. ({25}) Es ist unredlich, unanständig und schlechthin falsch, diese Schulden der Regierung Kohl anzulasten. Wer hier den negativ besetzten Begriff der „Erblast“ benutzt, der hat in Wirklichkeit die deutsche Einheit nicht gewollt. Zu diesen Leuten gehört Schröder genauso wie Lafontaine. ({26}) Die Mitglieder der Regierung sind sich nicht grün, die Regierung ist zerstritten, und sie ist sich nur in dem einen Punkt einig, wie man dem kleinen Mann in die Tasche greift. Die Ökosteuer ist - ich greife es noch einmal auf - das reinste Abkassiermodell. Wenn im Jahr 2003 der Benzinpreis bei 2,10 DM oder 2,20 DM liegt wir weisen schon heute darauf hin -, dann werden wir sagen: Es war rotgrüne Abzockerpolitik, die zu diesem hohen Spritpreis geführt hat. ({27}) Das Ganze ist in mehrfacher Hinsicht ein totaler Fehlgriff. Aus den Einnahmen aus der Ökosteuer Geld in die Sozialversicherungssysteme, in die Rentenversicherung, zu stecken ist ein schlimmer Systemfehler, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Bundesregierung. Denn wir können die Sozialsysteme nicht dadurch sanieren, daß wir in sie immer wieder frisches Geld hineinpumpen. Es war ein schlimmer Fehler von Ihnen, die sozialpolitischen Reformen unserer letzten Regierung zurückzunehmen. ({28}) Man macht die Sozialsysteme in Deutschland nicht durch die Verweigerung von Reformen fit. Man macht sie nicht fit, indem man in sie immer wieder frisches Geld hineinpumpt. Wenn das frische Geld verpufft ist, dann lassen Sie sich neue Instrumente einfallen, um den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen und damit die Lücken in der Sozialversicherung zu schließen. ({29}) Im übrigen hat es geheißen, Sie wollten mit den Einnahmen aus der Ökosteuer die Beiträge zur Rentenversicherung senken. Jetzt heißt es, nur 70 Prozent dieser Einnahmen sollen dazu dienen. In Wirklichkeit fließen 4,4 Milliarden DM in den Bundesetat. Damit stopfen Sie die von Lafontaine angerichteten Etatlöcher, die Eichel jetzt zu reparieren versucht. ({30}) Ich möchte noch etwas zu den Renten sagen. Am 17. Februar 1999 hat der Bundeskanzler gesagt: Ich stehe dafür, daß die Renten in Zukunft so stark steigen wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer. Vier Monate später war das alles Schall und Rauch, und es hat geheißen, es gebe nur eine Inflationsanpassung, weil die Rentenkassen sonst zu leer würden. Es war schon der Gipfel der Geschmacklosigkeit, ({31}) als sich am letzten Mittwoch der SPD-Fraktionsvorsitzende bei den Rentnern noch dafür bedankt hat, daß sie für dieses Raubrittertum Verständnis hätten. Spätestens als er das Mittwoch früh gesagt hat, hat das Wort „Morgengrauen“ für mich eine ganz neue Bedeutung bekommen. ({32}) Was sollen die Rentner tun? ({33}) Die Rentner sind jetzt bei Ihnen im Schwitzkasten. Ich gehe davon aus, daß die Menschen Sie bei den nächsten Wahlen spüren lassen, was sie davon halten. Bei Versammlungen im ganzen Land zwischen Berchtesgaden und Lübeck bekommt man zu hören: Niemand will es mehr gewesen sein, der Sie am 27. September 1998 gewählt hat - schon damals nicht und auch heute nicht. ({34}) Wer hat sich denn in aller Öffentlichkeit in der Sendung von Frau Christiansen entschuldigen müssen? Es war der Bundeskanzler persönlich. ({35}) Wer glaubt, daß durch die „Rente mit 60“ die rentenpolitischen, die sozialpolitischen und die arbeitsmarktpolitischen Probleme in unserem Land gelöst werden könnten, der ist nicht nur falsch „gezwickelt“, wie Michael Glos es genannt hat, sondern er ist auch falsch „geriestert“ und „geschrödert“. Das alles kommt zusammen; denn es gibt nicht nur einen, sondern inzwischen drei oder mehr Täter. ({36}) Leidtragende dieser gesamten Politik sind die Arbeitsuchenden, die Steuerzahler und die Unternehmen in unserem Land, die die Zeche dieses rotgrünen Gewürges bezahlen. Tatsächlich braucht Deutschland zur Jahrtausendwende, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, mehr denn je eine Politik, die uns für die Zukunft fit macht. ({37}) Genau dies haben die Menschen von der neuen Regierung erwartet. Deswegen sind Sie auch gewählt worden. Aber die Menschen sind tief enttäuscht worden. Deswegen steht jetzt niemand mehr zu Ihnen. Wir brauchen eine Steuerreform, die diesen Namen auch verdient und mit der nicht wie mit der Ökosteuer draufgesattelt wird. Wir brauchen eine Politik für mehr Wachstum und Investitionen statt Arbeitsplatzhemmnisse und Jobkiller wie das 630-Mark-Gesetz. Wir brauchen eine nachhaltige Rentenreform, die die Renten der jetzigen Bezieher sichert und die Solidarität der Beitragszahler, vor allem die der jüngeren, nicht überfordert. Der schlimmste Fehler von Rotgrün war, daß die Reformen, die wir durchgeführt haben, zurückgenommen worden sind. ({38}) Dies bereuen Sie jetzt, weil Sie gemerkt haben, daß unsere Richtung gestimmt hat. Mit dieser Reformverweigerungs- und Reformrücknahmepolitik haben Sie unserem Land ein Stück Zukunft genommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Ramsauer, Ihre Redezeit ist überschritten. ({0})

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluß, noch ein letzter Satz. - Der Bundeskanzler hat nach der haushoch verlorenen Europawahl gesagt, er habe die Menschen verstanden. Er hat sie nicht verstanden. Als Resümee dieser Haushaltswoche muß ich sagen: Herr Bundeskanzler, Sie und Ihre Mannschaft erfüllen die Ansprüche der Politik in Deutschland nicht. Ihr erstes Regierungsjahr war ein verlorenes Jahr für unser Land, ein verlorenes Jahr für die Arbeitslosen. Deutschland und die Deutschen haben diese Regierung nicht verdient. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Karl Diller.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie alle ganz herzlich von meinem Bundesfinanzminister Hans Eichel grüßen. ({0}) Er läßt sich entschuldigen; denn er ist zur Zeit verpflichtet, im Bundesrat Rede und Antwort zum Haushaltssanierungsgesetz zu stehen. Wenn ich die Debatte von Dienstag bis heute Revue passieren lasse - wie Sie wissen, habe ich viele Stunden hier gesessen und intensiv zugehört -, ({1}) muß ich feststellen, daß es einige prägende Eindrücke gibt. Der erste prägende Eindruck: Die Opposition in diesem Hause ist zu feige, zu ihrer katastrophalen finanziellen Erblast zu stehen. ({2}) Jetzt redet sie sich mit den Kosten der deutschen Einheit heraus. In der Tat: 1990 starteten Sie mit Schulden in Höhe von 94 Milliarden DM. Diese stiegen bis 1998 auf rund 450 Milliarden DM an. Sie bezeichneten das alles als „Sondervermögen“. In Wirklichkeit war es eine Ansammlung von Schulden. Wenn ich dieses „Sondervermögen“ abrechne, dann muß ich feststellen, daß Sie innerhalb von 16 Jahren aus 308 Milliarden DM Schulden, aus der Ära Helmut Schmidt, über 900 Milliarden DM Schulden gemacht haben. Sie haben die Schulden des Bundes - reine Finanzschulden, ohne die Schulden, die für die deutsche Einheit gemacht wurden - verdreifacht. Deswegen bleibt das, was ich früher zu Ihnen gesagt habe, auch richtig: Sie sind der größte Schuldenmacher aller Zeiten. ({3}) Die bittere Folge dieser Entwicklung ist: 1982 reichte noch jede achte D-Mark, die wir vom Bürger einnehmen durften, aus, um die Zinsen zu zahlen. Am Ende Ihrer Regierungszeit müssen wir jede vierte D-Mark, die wir an Steuern einnehmen, für das Zahlen der Zinsen ausgeben. Darin ist keine müde Mark für Tilgung enthalten. Deswegen gilt auch für den Bund das, was das Bundesverfassungsgericht bezüglich Saarland und Bremen feststellte: Sie haben die Finanzen des Bundes in eine extreme Haushaltsnotlage hineinmanövriert; ({4}) denn auch diese Bundesländer mußten ein Viertel ihrer Steuereinnahmen für das Zahlen der Zinsen aufbringen. Zweiter prägender Eindruck: Die Opposition ist sich überhaupt nicht klar darüber, ob kaum oder ob viel zu viel gespart wird. Wenn man Austermann folgt, dann werden aus 30 Milliarden DM plötzlich nur noch 7,5 Milliarden DM. Wenn man aber die vielen Einzelplanberatungen verfolgt, dann stellt man fest: Bei jedem Einzelplan wird gesagt: Da dürft ihr nicht sparen, und dort dürft ihr nicht sparen. Da müßt ihr mehr ausgeben. - Das heißt, die ganze Richtung stimmt nicht bei der Opposition. ({5}) Der dritte Eindruck ist folgender: Diese Opposition hat nach wie vor nichts übrig für das Schicksal von arbeitslosen Jugendlichen und arbeitslosen Erwachsenen. ({6}) Deswegen stellt sie erneut den Antrag, den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 7,8 Milliarden DM restlos zu streichen. ({7}) Dies bedeutet für über 100 000 junge Menschen Hoffnungslosigkeit hinsichtlich des Einstiegs in das Berufsleben. Das bedeutet für die Erwachsenen, daß sie keine Hoffnung haben dürfen, durch Fortbildung und Umschulung eine neue Chance für eine Erwerbstätigkeit zu bekommen. ({8}) Deswegen bin ich den Koalitionsfraktionen dankbar, daß sie diesen unsäglichen Antrag mit Entschiedenheit zurückgewiesen haben. ({9}) Der vierte bleibende Eindruck von dieser Opposition ist folgender: Sie ist in einer so verzweifelten Situation, ({10}) daß sie Zahlen fälscht und Zusammenhänge herstellt, indem sie Äpfel mit Birnen vergleicht, und einen Popanz aufbaut, um endlich angreifen zu können. Wer so miteinander umgeht, der muß noch viel lernen in der Oppositionszeit. Deswegen wünsche ich Ihnen eine ganz lange Oppositionszeit. ({11}) Berüchtigt in diesem Zusammenhang ist der Kollege Austermann inzwischen nicht nur im Haushaltsausschuß, sondern auch im Plenum des Deutschen Bundestages und bei der Presse. ({12}) Zur Ökosteuer stellt er hier Behauptungen auf. Das tut aber nicht nur er, sondern auch der Kollege Koppelin und der Kollege Ramsauer; ihm sehe ich es nach, weil er es vielleicht nicht besser wissen kann. ({13}) Die Ökosteuer will ich hier einmal klar auflisten. In 1999 nehmen wir 8,4 Milliarden DM ein und geben 8,8 Milliarden DM an die Rentenkasse. Wir geben in diesem Jahr damit mehr an die Rentenkasse, als wir über die Ökosteuer überhaupt einnehmen. Das ist die Wahrheit. Im nächsten Jahr und in den darauffolgenden Jahren ist dieses Geben und Nehmen ausgewogen, so daß wir über den gesamten Zeitraum von 1999 bis 2003 das habe ich allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses schriftlich mitgeteilt - sogar 800 Millionen DM mehr an die Rentenkassen zahlen, als wir in diesen fünf Jahren über die Ökosteuer überhaupt einnehmen. Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie diese Lüge mit der Ökosteuer! ({14}) Dann gibt es einen neuen, der in den unedlen Wettstreit mit Austermann tritt. Das ist der Kollege Merz. Am Dienstag dieser Woche sagte Herr Merz - ich zitiere wörtlich -: Sie - gemeint sind wir geben über 7 Milliarden DM mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik, für eine zusätzliche Bewirtschaftung des Arbeitsmarktes, aus. Gleichzeitig, im selben Zeitraum und im selben Bundeshaushalt, kürzen sie die Mittel für Investitionen um fast genau diesen Betrag. ({15}) Herr Merz, das ist die glatte Unwahrheit. ({16}) Wenn Sie nur die Freundlichkeit hätten, einmal auf Seite 53 des Finanzplans des Bundes nachzuschauen, der Ihnen vorliegt, dann würden Sie, bezogen auf den Zeitraum 1998 bis 2000, den Sie herangezogen haben, feststellen: 1998, also unter Ihrer Regierung, standen für Investitionen 57,1 Milliarden DM zur Verfügung. Im Jahre 2000 geben wir 57,6 Milliarden DM aus. Mithin geben wir 500 Millionen DM mehr aus, als es Ihre Regierung im Jahre 1998 getan hat. Lassen Sie es, mit unwahren Zahlen zu operieren! ({17}) Geradezu unverschämt, ja widerlich ist es, mit dem Schicksal der Holzmänner zu spielen, indem Sie unterstellen, wir würden die Bauinvestitionsmittel streichen. Der Kollege Wagner hat darauf zu Recht hingewiesen. Ich wiederhole, was Sie da gesagt haben: Wenn Sie im Bundeshaushalt die Mittel für Investitionen einschließlich des Hoch- und Tiefbaus nicht in dieser unverantwortlichen Weise zusammenstreichen würden, - so der Kollege Merz am Dienstag dann gäbe es möglicherweise morgen noch die Philipp Holzmann AG … ({18}) Meine Damen und Herren, ich weise darauf hin: Die Mittel für Bauinvestitionen sind seit 1998 - das war zu Ihrer Regierungszeit - von 11,2 Milliarden DM um 400 Millionen DM auf 11,6 Milliarden DM im Jahr 2000 gestiegen. Wir haben nicht gekürzt, wir legen sogar drauf. Es ist deswegen erbärmlich, was sich der Herr Merz hier leistet. ({19}) Jetzt kommt der Gipfel, die Äußerungen des Herrn Ramsauer. Sie, Herr Ramsauer, behaupten, wir würden einsammeln, was Oskar Lafontaine ausgegeben habe. Herr Ramsauer, Sie sollten sich für solche Behauptungen zu gut sein. Wissen Sie denn nicht, warum der Haushalt 1999 gegenüber dem Haushalt 1998 um 28 Milliarden DM gestiegen ist? ({20}) Ist es Ihnen unbekannt, daß wir Ihre Schattenhaushalte, ({21}) nämlich das Defizit der Postunterstützungskassen in Höhe von 9 Milliarden DM, auf der Einnahmen- und Ausgabenseite in den Bundeshaushalt einstellten und daß die Einnahmen aus der erhöhten Mehrwertsteuer - das wurde ja von Ihnen mit unserer Zustimmung beschlossen - nicht wie 1998 nur ein Dreivierteljahr, sondern 1999 ein ganzes Jahr im Haushalt zu Buche schlugen? Hinzu kommen die Einnahmen aus der Ökosteuer, die in den letzten drei Quartalen des Jahres 1999 zu Buche schlagen und von uns an die Rentenkassen weiParl. Staatssekretär Karl Diller tergeleitet werden. Die letzten beiden Einnahmequellen machen zusammen 15 Milliarden DM aus; zusammen mit den 9 Milliarden DM aus der erstmaligen Etatisierung der Zahlungen an die Postunterstützungskassen ergibt das schon 24 der 28 Milliarden DM. Im Haushalt 2000 wird nichts eingesammelt, sondern diese Ansätze sind wie schon 1999 weiter Bestandteil des Haushaltes. Hören Sie auf, so erbärmlich mit der Wahrheit umzugehen! ({22}) Verlassen wir jetzt das Thema Opposition, und wenden wir uns den Medien zu. Vor einem halben Jahr hat mein Minister erstmals gegenüber den Fachministerien und der Öffentlichkeit die Notwendigkeit dargestellt, 30 Milliarden DM im Bundeshaushalt 2000 zu sparen. ({23}) Gerhard Hennemann von der „Süddeutschen Zeitung“ hat dieses im Mai wie folgt kommentiert - hören Sie bitte einmal zu, was er gesagt hat! -: Mutig, wie er sich seit seiner Amtsübernahme präsentiert, will Bundesfinanzminister Hans Eichel sogar die tiefste Schnittstufe einstellen und 30 Milliarden DM an Ausgaben einfach wegnehmen. ({24}) Unvorstellbar für diejenigen, die Jahre lang verfolgt haben, wie schwer es einem Theo Waigel gefallen ist, auch nur einen Bruchteil dieser Mammutkürzungen zu realisieren. Sollte es dem neuen Bonner Kassenwart dennoch gelingen, auch nur ein Drittel seiner Zielgröße zu erreichen, wäre das ein riesiger Erfolg. ({25}) Meine Damen und Herren, wir freuen uns heute, daß wir diesen riesigen Erfolg geschafft haben, ohne das in Anspruch zu nehmen, was Hennemann uns damals in seiner Überschrift unterstellte: „Höhere Steuern sind absehbar“. Wir haben die Steuern zur Finanzierung des Bundeshaushaltes nicht erhöht. ({26}) Ziel unseres Sparens ist, aus der Voodoo-Situation von Theo Waigel herauszukommen. Zu Ihrer Erinnerung: Die Aufnahme von 78 Milliarden DM Schulden im Jahre 1996 war verfassungswidrig. So viele Schulden wie Sie damals aufgenommen haben, hat man früher in einer ganzen Wahlperiode gemacht. Sie haben 1996 gegen die Verfassung verstoßen. Deswegen sind wir 1997 vor das Verfassungsgericht gezogen. 1997 trat Theo Waigel dann hier auch den Gang nach Kanossa an. Er mußte den Bundestag händeringend bitten, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes festzustellen, damit er höhere Kredite aufnehmen durfte, als es die Verfassung erlaubt. Im Jahr 1998 hat er sein Lebenswerk gekrönt: Er hat Bundesvermögen im Werte von 20 Milliarden DM - das war der Gipfel - verkauft, um die Haushaltslöcher zu stopfen. Er hat auf einen Schlag so viel Bundesvermögen verkauft, wie früher in 20 Jahren verkauft wurde. ({27}) Aus dieser Voodoo-Situation werden wir mit dem 99er Haushalt und mit dem 2000er Haushalt herauskommen. ({28}) Insoweit sind wir froh und dankbar, daß der Haushalt für das Jahr 2000 und die mittelfristige Finanzplanung dazu dienen werden, die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Familien zu stärken und damit Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Erneut werden wir im nächsten Jahr die Steuern senken. Erneut werden wir im nächsten Jahr das Kindergeld anheben. Erneut werden wir die neuen Bundesländer in einem gewaltigen Umfang fördern. Wir werden die Investitionen in Bildung, Forschung und Hochschulbau gegenüber diesem Jahr nochmals steigern. Wir werden für die aktive Arbeitsmarktpolitik genügend Mittel bereitstellen. Wir werden die Investitionen auf hohem Niveau halten können. Wir werden das 1-Milliarde-DMSolardachprogramm fortführen können. Wir werden für die soziale Sicherung im nächsten Jahr 15 Milliarden DM mehr ausgeben, als Sie es im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit taten. Das ist ein gigantischer Erfolg, über den wir uns alle freuen können. ({29}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, darauf hinweisen, daß wir in der mittelfristigen Finanzplanung auch Vorsorge dafür getroffen haben, im Jahr 2001 das Wohngeld, das Sie seit 1990 nicht mehr erhöht hatten, endlich zugunsten der Beschäftigten und der Rentnerinnen und Rentner in diesem Lande drastisch erhöhen zu können. Auch werden wir die Steuern für die Unternehmen in einer sehr beachtlichen Größenordnung senken können, nämlich um 8 000 Millionen DM in jedem Jahr. ({30}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt noch etwas für haushaltspolitische Feinschmecker. ({31}) Die SPD-Fraktion ist unter meiner Führung als Haushälter ({32}) - Herr Vorsitzender, unter Scharpings Führung - 1997 zu dem Schluß gekommen, gegen den verfassungswidParl. Staatssekretär Karl Diller rigen Haushaltsvollzug von Theo Waigel in Karlsruhe zu klagen. Was die Haushälter zusammen mit der Bundesregierung mittlerweile in den Haushaltsgesetzen 1999 und 2000 verankert haben, ist genau das, wofür wir in Karlsruhe gekämpft haben. Wir haben jetzt eine deutliche Eingrenzung dessen gesetzlich festgeschrieben, was mit Ausschöpfung von Rest-Kreditermächtigungen ohne Haushaltsausschuß möglich ist. Ferner haben wir deutliche Grenzen für das gezogen, was eine Bundesregierung bezüglich gesetzlicher Leistungen einfach mehr ausgeben kann, ohne das Parlament überhaupt zu befragen. Nein, wir werden künftig den Haushaltsausschuß befragen und ihm dadurch die Chance geben, darüber zu entscheiden, ob es einen Nachtragshaushalt geben soll oder nicht. Dies ist eine Stärkung des Parlaments. Wir freuen uns, daß wir das gemeinsam hinbekommen haben. ({33}) Zum Schluß möchte ich noch eine Bitte äußern, die sich an die Opposition richtet. Im Haushaltsausschuß verstehen wir uns eigentlich immer ganz gut. ({34}) Damit wir uns auch in Zukunft ganz gut verstehen, bitte ich Sie, in Ihrer Argumentation zur Wahrheit zurückzukehren. Mit der Wahrheit läßt sich trefflich argumentieren. Aber wenn eine Seite mit falschen, zusammengeschusterten Zahlen und mit Äpfel-und-Birnen-Vergleichen operiert, dann kann man mit dieser Seite des Hauses nicht diskutieren, weder im Haushaltsausschuß noch im Plenum. ({35}) Ich spreche der Koalition meinen Dank aus. Zunächst richte ich ihn stellvertretend für alle Haushälter sowie für die SPD-Fraktion an meinen Freund Hans Georg Wagner, dem ich zu seinem heutigen Geburtstag meinen herzlichen Glückwunsch ausspreche. ({36}) und der F.D.P.) Ich bedanke mich auch bei Oswald Metzger, den Haushältern von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wir, die Haushälter, haben eine äußerst schwierige Operation konstruktiv, vertrauensvoll und geräuschlos bewältigt. Es war eine Freude zusammenzuarbeiten. Herzlichen Dank dafür. ({37}) Ich möchte dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Adolf Roth, und seinem Stellvertreter, Manfred Hampel, für eine exzellente, zügige Sitzungsleitung danken. Sie war souverän. Herzlichen Glückwunsch, lieber Adolf! ({38}) Ich danke dem Sekretariat des Haushaltausschusses, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dort hinten sitzen, den Haushaltabteilungen von Bundeskanzleramt und allen Ministerien bis hin zum Bundesfinanzministerium sowie dem Bundesrechnungshof für die exzellente Zuarbeit. Meine Damen und Herren, das Parlament wird nachher mit Ihrem Beschluß den Haushalt aus seinen Händen wieder in die Hände der Regierung legen. Wir bedanken uns für Ihre Zustimmung. Dieser Haushalt ist eine gute Grundlage für das Zukunftsprogramm 2000 der Bundesregierung. ({39})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zwei Kollegen der CDU/CSU-Fraktion haben für eine Kurzintervention um das Wort gebeten, und zwar der Kollege Merz und der Kollege Austermann. - Herr Kollege Merz! ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin in zwei Debattenbeiträgen persönlich angesprochen worden. Ich erlaube mir, hierzu kurz Stellung zu nehmen. Erstens. Wir können ja verstehen, daß die Koalitionsfraktionen die Rettungsaktion des Herrn Bundeskanzlers zugunsten der Philipp Holzmann AG in dieser Woche als ein besonderes Ereignis feiern ({0}) und die Freude hierüber auch in der Schlußberatung des Bundeshaushalts zum Ausdruck bringen. Aber, meine Damen und Herren, vielleicht dürfen wir uns doch den Hinweis erlauben, daß nicht der Bundeskanzler den Versuch unternommen hat, Philipp Holzmann zu retten, sondern daß der deutsche Steuerzahler für dieses Unternehmen in Anspruch genommen wird, ({1}) und daß zum selben Zeitpunkt viele hundert mittelständische Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, die hier in Berlin niemand kennt, ganz sicher nicht darauf rechnen können, in einer vergleichbaren Lage auch die Hilfe des deutschen Steuerzahlers in Anspruch nehmen zu können. ({2}) Zweitens haben Sie mehrfach kritisiert, daß wir uns dafür ausgesprochen haben, die erhöhten Mittel für die sogenannte aktive Arbeitsmarktpolitik zurückzufahren. Ich will noch einmal ausdrücklich festhalten: Der Bundesfinanzminister schlägt dem Deutschen Bundestag vor, die Mittel für die aktive Beschäftigungspolitik um 7 Milliarden DM gegenüber dem Jahr 1998 anzuheben, einem Jahr, bei dem Sie uns kritisiert haben, wir hätten aus rein wahlkampfbedingten Gründen die ABM-Mittel erhöht. ({3}) Sie schlagen jetzt noch einmal eine Erhöhung um 7 Milliarden DM vor. Aber, meine Damen und Herren, wenn diese Mittel nicht gewährt würden, stünden für aktive Beschäftigungspolitik immer noch 38 Milliarden DM zur Verfügung. Es kann also niemand ernsthaft behaupten, wir würden den Vorschlag machen, die gesamte Beschäftigungspolitik auf Null zu fahren. ({4}) Dritter und letzter Punkt: die Investitionsmittel im Bundeshaushalt. Meine Damen und Herren, ich habe kritisiert und bestätige und wiederhole das an dieser Stelle noch einmal, daß die investiven Mittel aus dem Bundeshaushalt des Jahres 1999 in Höhe von 58,2 Milliarden DM bis zum Jahr 2003 kontinuierlich, Jahr für Jahr, auf schließlich 53,3 Milliarden DM zurückgeführt werden. Dies wird über eine Zeit von vielen Jahren der niedrigste Anteil an investiven Ausgaben im Bundeshaushalt sein, in jedem Jahr wird es einen niedrigeren Anteil an investiven Ausgaben im Bundeshaushalt geben. Dies haben wir kritisiert. Dabei bleiben wir. Diese Kritik ist berechtigt, meine Damen und Herren. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat der Kollege Austermann das Wort. ({0})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, daß es den Grundsätzen der Fairneß entspricht, sich die eigenen Zahlen konkret vorhalten zu lassen, wenn man anderen Leuten vorhält, daß die Zahlen, die bekanntgegeben werden, mit der Realität nicht vereinbar seien. Es steht nach den Haushaltsberatungen im Ausschuß und auch hier im Plenum fest, daß die Ausgaben des Bundes im kommenden Jahr um 22 Milliarden DM über den Ausgaben des letzten Jahres liegen. Es steht weiter fest, daß die Mittel, die in den nächsten Jahren für die Ökosteuer einkassiert werden, nur zu einem Drittel zur Senkung des Beitrages für die Rentenversicherung eingesetzt werden. ({0}) Das kann man ganz leicht nachvollziehen, wenn man die Einnahmen aus der Ökosteuer und der Mehrwertsteuer auf der einen Seite und die Senkung des Rentenbeitrages auf der anderen Seite gegenüberstellt: Bis zum Jahr 2003 wird der Rentenbeitrag um 0,9 bis maximal 1 Prozentpunkt gesenkt, während etwa 35 Milliarden DM plus Mehrwertsteuer kassiert werden. ({1}) Es handelt sich bei der Ökosteuer also um eine Ökozokkerei. Dies muß ganz klar festgestellt werden. ({2}) Zweitens zur Jugendarbeitslosigkeit. Im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit stehen 2 Milliarden DM dafür bereit. Das Ganze wird unter anderem abgedeckt durch 600 Millionen DM Einnahmen aus der EU. Hier den Eindruck zu vermitteln, es gäbe dieses Programm nicht mehr, wenn der Bundeszuschuß auf Null gefahren würde, ist irreführend und falsch. ({3}) Aus unserer Sicht ist nach dieser Woche als Ergebnis festzustellen: Das Jahr 1999 war ein verlorenes Jahr für die Arbeitslosen. ({4}) Das Jahr 2000 geht in die gleiche Richtung: weniger Investitionen und mehr Konsum. Das ist die falsche Richtung, und deswegen lehnen wir den Haushalt ab. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention hat sich auch der Kollege Joachim Poß gemeldet. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß Sie nur auf den Staatssekretär antworten können, nicht aber auf die erfolgten Kurzinterventionen.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für diesen Hinweis, Herr Präsident. Genau das wollte ich machen. Ich wollte mit dieser Kurzintervention deutlich machen, daß Herr Diller mit seinen Aussagen, die sich auf Herrn Merz und auf Herrn Austermann bezogen haben, vollkommen recht hat, Herr Präsident. ({0}) Ich glaube, daß es die Regeln des politischen Anstandes verletzt, wenn in der Situation, in der sich Holzmann und viele Hunderte und Tausende mittelständische Unternehmen befanden, Herr Kollege Merz in der Debatte den Eindruck erweckt hat, daß zurückgeführte Bundesmittel für Bauausgaben das Schicksal der „Holzmänner“ herbeigeführt hätten. Das ist der Kontext, den Sie hier in schlimmer Weise hergestellt haben! ({1}) Damit haben Sie das, was in der politischen Auseinandersetzung zulässig sein sollte, weit überschritten. ({2}) Von daher stelle ich noch einmal fest: Die Ist-Mittel für die Bauinvestitionen des Bundes betragen, im Jahre 1998 11,22 Milliarden DM; Soll 1999: 11,55 Milliarden DM, Soll 2000: 11,59 Milliarden DM. Die Mittel werden also aufgestockt und nicht zurückgefahren, im Gegensatz zu dem Eindruck, den Sie hier zu erwecken versuchen. ({3}) Deswegen, Herr Merz, müssen Sie sich zukünftig gefallen lassen, daß solche taktischen Spielchen hier auf jeden Fall aufgeklärt werden. Sie treiben im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit und den Existenzängsten von Tausenden von Bauarbeitern ein ganz schlimmes Spiel! ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun hat das Wort zur Erwiderung auf alle drei Kurzinterventionen der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Präsident! Zunächst zu Herrn Austermann. Wir haben gegenüber allen Haushaltsausschußmitgliedern offengelegt und dokumentiert, welche Einnahmen des Bundes aus der Ökosteuer in den einzelnen Haushaltsjahren zu erwarten sind und welche Zuführungsbeträge der Bund an die Rentenkassen leistet. Damit das ganze Haus es jetzt mitbekommt, werde ich das im einzelnen verlesen: In 1999 kommt es zu Einnahmen aus der Ökosteuer in Höhe von 8,4 Milliarden DM und im Rahmen des Zuschusses an die Rentenkasse zu Ausgaben in Höhe von 8,8 Milliarden DM. Der Bund gibt mehr. ({0}) In 2000 kommt es zu Einnahmen in Höhe von 17,4 Milliarden DM und zu Ausgaben in Höhe von 16,6 Milliarden DM. Der Bund gibt weniger; aber im Saldo gleicht es sich aus. In 2001 kommt es zu Einnahmen in Höhe von 22,8 Milliarden DM und zu Ausgaben in Höhe von 23,1 Milliarden DM. Das heißt, wir geben mehr aus, als wir einnehmen. In 2002 kommt es zu Einnahmen in Höhe von 28,1 Milliarden DM und zu Ausgaben in Höhe von 28,5 Milliarden DM. Wir geben mehr aus, als wir einnehmen. In 2003 kommt es zu Einnahmen in Höhe von 33,5 Milliarden DM und zu Ausgaben in Höhe von 34 Milliarden DM. Wir geben mehr aus, als wir einnehmen. - So viel zur Wahrheit. ({1}) Herr Austermann kennt das alles. Gleichwohl nennt er wider besseres Wissen falsche Zahlen. Nun zu Herrn Merz. Herr Merz, Sie hatten soeben die einmalige Chance, ({2}) sich der Frankfurter Oberbürgermeisterin, Frau Roth das ist Ihre Parteifreundin -, und dem hessischen Ministerpräsidenten, Herrn Koch, anzuschließen, die heute, wenn ich es richtig mitverfolgt habe, den Bundeskanzler für seinen Einsatz ausgesprochen gelobt haben. ({3}) Herr Merz, Sie haben eine zweite Chance ausgeschlagen, nämlich die, sich hier dafür zu entschuldigen, daß Sie sich in Ihrer Rede am Dienstag dieser Woche in zwei zentralen Ausführungen versehen haben, falsch informiert waren oder was auch immer. ({4}) Die von Ihnen genannten Zahlen stimmen nicht. Sie haben am Dienstag dieser Woche ({5}) - ich kann Ihre Ausführungen vorlesen; ich habe sie hier - im Vergleich zum Jahre 1998 - das war das letzte Regierungsjahr Ihrer Partei - dargestellt, welche Mittel wir bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik drauflegen, und zwar 7,75 Milliarden DM, und haben im gleichen Zusammenhang behauptet, wir würden die Investitionen im selben Zeitraum um fast den gleichen Betrag kürzen. Das ist schlicht unwahr. ({6}) Kollege Poß hat soeben darauf hingewiesen, daß die von Ihnen im Zusammenhang mit dem Schicksal der Beschäftigten bei Holzmann getroffene Aussage, wir würden die bauinvestiven Mittel kürzen, schlicht unwahr ist. Deswegen sollten Sie jetzt aufstehen und sich entschuldigen. Dann ist diese Sache vergessen. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Schlußabstimmung über das Haus- haltsgesetz 2000, Drucksachen 14/1400, 14/1680 und 14/1901 bis 14/1924. Die Koalitionsfraktionen verlan- gen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu- nehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. - Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*) *) Seite 6831 D Wir setzen die Beratungen fort und kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die den Beratungen folgen möchten, wieder Platz zu nehmen. Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2142. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2145. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der CDU/CSU und der PDS gegen die Stimmen der F.D.P. abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2146. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2147. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2148. Der Kollege Gerhard Rübenkönig möchte hierzu eine persönliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgeben. - Bitte schön.

Gerhard Rübenkönig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002767, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag, der von der F.D.P.-Fraktion vorgelegt wurde, ist in meinen Augen doppelzüngig und heuchlerisch. Deshalb müssen wir ihn ablehnen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Rübenkönig, Sie haben gesagt: Deshalb müssen wir ihn ablehnen. Ich möchte Sie vorsorglich darauf hinweisen, daß Sie sich zu einer persönlichen Erklärung gemeldet und dazu das Wort erhalten haben. Bitte sprechen Sie für Ihre Person!

Gerhard Rübenkönig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002767, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich lehne den Entschließungsantrag ab. Ich habe gestern abend in meinen Ausführungen zum Einzelplan 12 klargemacht, wie sehr sich die Bundesregierung momentan in den schwierigen Verhandlungen einbringt, um dem Projekt Transrapid zum Durchbruch zu verhelfen. Wir haben 6,1 Milliarden DM im Haushaltsplan eingesetzt. Ich komme jetzt auf die Begriffe „heuchlerisch“ und doppelzüngig zurück. Sie haben gestern abend die Mittel für den Transrapid abgelehnt und stellen heute morgen einen Antrag, diese Regierung aufzufordern, sich einzusetzen. ({0}) Dies halte ich für heuchlerisch und doppelzüngig. Aus diesem Grunde lehne ich diesen Antrag ab. ({1}) Ich stelle noch einmal fest, daß wir mit 6,1 Milliarden DM diesem Zukunftsprojekt für den Industriestandort Deutschland mit allen Mitteln zum Durchbruch verhelfen. Dieses wird auch die Bundesregierung tun. Schönen Dank.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der F.D.P. auf Drucksache 14/2148? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/2154. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/2186 ({0}). Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenergebnis abgelehnt. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Schlußabstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über das Haushaltsgesetz 2000 bekannt. Abgegebene Stimmen 606. Für das Haushaltsgesetz 2000 haben gestimmt 321 Abgeordnete, ({0}) mit Nein haben gestimmt 283, Enthaltungen 2. Vizepräsident Rudolf Seiters Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 606; davon: ja: 322 nein: 282 enthalten: 2 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({4}) Bernhard Brinkmann ({5}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Büttner ({6}) Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({7}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Lilo Friedrich ({8}) Harald Friese Anke Fuchs ({9}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({10}) Angelika Graf ({11}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({12}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({13}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({14}) Walter Hoffmann ({15}) Iris Hoffmann ({16}) Frank Hofmann ({17}) Ingrid Holzhüter Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({18}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({19}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({20}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({21}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({22}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({23}) Jutta Müller ({24}) Christian Müller ({25}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({26}) Gerhard Neumann ({27}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Andreas Pflug Dr. Eckhart Pick Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({28}) Birgit Roth ({29}) Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({30}) Ulla Schmidt ({31}) Silvia Schmidt ({32}) Dagmar Schmidt ({33}) Wilhelm Schmidt ({34}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({35}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Reinhard Schultz ({36}) Volkmar Schultz ({37}) Ilse Schumann Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({38}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Bodo Seidenthal Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({39}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({40}) Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({41}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({42}) Hans-Joachim Welt Dr. Rainer Wend Vizepräsident Rudolf Seiters Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({43}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Heino Wiese ({44}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({45}) Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({46}) Waltraud Wolff ({47}) Heidemarie Wright Uta Zapf Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({48}) Marieluise Beck ({49}) Angelika Beer Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({50}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Klaus Wolfgang Müller ({51}) Kerstin Müller ({52}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({53}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({54}) Christian Simmert Christian Sterzing Jürgen Trittin Dr. Antje Vollmer Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({55}) Margareta Wolf ({56}) F.D.P. Paul K. Friedhoff Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Renate Blank Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({57}) Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({58}) Hartmut Büttner ({59}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Manfred Carstens ({60}) Peter H. Carstensen ({61}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Axel E. Fischer ({62}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({63}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({64}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({65}) Gottfried Haschke ({66}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({67}) Hansgeorg Hauser ({68}) Klaus-Jürgen Hedrich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers ({69}) Dr. Norbert Lammert Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({70}) Eduard Lintner Dr. Klaus Lippold ({71}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({72}) Erich Maaß ({73}) Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer ({74}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({75}) Elmar Müller ({76}) Bernd Neumann ({77}) Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({78}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Franz Romer Hannelore Rönsch ({79}) Dr. Klaus Rose Kurt Rossmanith Adolf Roth ({80}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({81}) Andreas Schmidt ({82}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Wolfgang Steiger Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Vizepräsident Rudolf Seiters Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Gunnar Uldall Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({83}) Gerald Weiß ({84}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({85}) Hans-Otto Wilhelm ({86}) Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({87}) Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Hildebrecht Braun ({88}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Gisela Frick Horst Friedrich ({89}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({90}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Ina Lenke Jürgen W. Möllemann Günter Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({91}) Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Hermann Otto Solms Dr. Dieter Thomae Dr. Guido Westerwelle PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Petra Bläss Eva-Maria Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Dr. Klaus Grehn Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Ursula Lötzer Heidemarie Lüth Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Knoche Der Gesetzentwurf und damit das Haushaltsgesetz 2000 ist angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 4a und 4b auf: a) -Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR - Drucksache 14/1805 ({92}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Michael Luther, Dr. Angela Merkel, Ulrich Adam, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der beruflichen Rehabilitation der Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet ({93}) - Drucksache 14/1001 ({94}) aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der neuen Länder ({95}) - Drucksachen 14/2188, 14/2204 - Berichterstattung: Abgeordnete Barbara Wittig Jürgen Türk bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({96}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/2189 - Berichterstattung: Abgeordnete Carsten Schneider Hans Jochen Henke Dr. Werner Hoyer Uwe-Jens Rössel b) Beratung der Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der neuen Länder ({97}) zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbesserung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze - Drucksachen 14/1165, 14/2188, 14/2204 Berichterstattung: Abgeordnete Barbara Wittig Hans-Christian Ströbele Petra Pau Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. vor. Vizepräsident Rudolf Seiters Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe für die SPDBundestagsfraktion der Kollegin Barbara Wittig das Wort.

Barbara Wittig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß wir heute mit der zweiten und dritten Lesung des Regierungsentwurfes zur Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze einen wichtigen Schritt zur wirklichen Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für die Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR unternehmen. Die Rehabilitierung und Entschädigung der Menschen, die in der DDR und zuvor in der Sowjetischen Besatzungszone Opfer politischer Verfolgung geworden sind, ist eine Anerkennung des Leids der Verfolgten und ihrer Widerstandsleistung. Die hier und heute zur Debatte stehenden Leistungen können nur Nachteile ausgleichen; das erlittene Schicksal und das ihnen zugefügte Unrecht sind mit Geld sowieso nicht aufzuwiegen. Dies entspricht auch dem Geist der Ehrenerklärung des Deutschen Bundestages vom 17. Juni 1992, in der all jenen tiefer Respekt und auch Dank bezeugt wird, die durch ihr persönliches Opfer dazu beigetragen haben, daß nach über 40 Jahren das geteilte Deutschland in Freiheit wieder zusammengeführt werden konnte. Die bestehenden Gesetze der alten CDU/CSU-F.D.P.Regierung hatten viele Lücken und Mängel. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, daß im Mittelpunkt der Kritik von Anfang an immer folgendes gestanden hat: zum einen die Höhe der Entschädigung für rechtsstaatswidrige politische Haft und die unterschiedlichen Entschädigungssätze, des weiteren die fehlenden Möglichkeiten für einen großen Teil der Hinterbliebenen der ehemaligen politischen Häftlinge, insbesondere auch der nächsten Angehörigen der Todesopfer, Leistungen nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Anspruch zu nehmen, weiterhin Probleme bei der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden. Auf all diese Mängel haben wir seit 1992 hingewiesen, und wir haben entsprechende Verbesserrungen gefordert. Nichts ging mit Ihnen, meine Damen und Herren von der damaligen Regierungskoalition - leider! Im Protokoll der 97. Sitzung der 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages finden sich interessante Aussagen aus der Debatte im Zusammenhang mit SEDUnrechtsbereinigung, wie zum Beispiel: Es ist nicht zu verantworten, die Verschuldung unseres Staates zu Lasen künftiger Generationen zu erhöhen. Jede Entschädigungshöhe löst auch Fragen der Haushaltsgerechtigkeit aus. Oder: Liebe Fraktion der SPD, mit Blick auf die angespannte Lage der Staatsfinanzen und die finanziellen Leistungen des Bundes für die neuen Länder wissen wir, daß wir nicht alle notwendigen Ausgaben gleichzeitig finanzieren können. An dieser Stelle sei aber auch daran erinnert, daß sich am 17. Juni 1992 dennoch viele Abgeordnete der Fraktion der CDU/CSU, darunter auch Dr. Angela Merkel und Dr. Rita Süssmuth, einer Erklärung des Abgeordneten Hartmut Büttner anschlossen, in der klargestellt wird, daß die Unterzeichner eine monatliche Kapitalentschädigung in Höhe von 600 DM für die Opfer rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen für angemessen halten. Viele Jahre sind seitdem ins Land gegangen, ohne daß von seiten der alten Bundesregierung den Forderungen der Opferverbände Rechnung getragen worden wäre, ohne daß die alte Bundesregierung substantielle Verbesserrungen angestrebt hätte. Es ist der neuen Bundesregierung und der sie tragenden Koalition zu verdanken, daß bereits in der Koalitionsvereinbarung vom vergangenen Jahr festgeschrieben wurde, die Entschädigung und Rehabilitierung von DDR-Unrecht soweit wie möglich zu verbessern und Härten zu beseitigen. ({0}) Das entspricht auch den Forderungen der zentralen Verbände. Der vorliegende Gesetzentwurf beseitigt endlich diese Unzulänglichkeiten der bisher geltenden Gesetze. ({1}) Die Verbesserungen rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften betreffen im einzelnen: Es gibt eine einheitliche Kapitalentschädigung von 600 DM. Eine Nachzahlung an Berechtigte, die nach dem geltenden Recht bereits Entschädigung erhalten haben, ist vorgesehen. Die Hinterbliebenen der Todesopfer sollen von der Stiftung wiederholt Leistungen erhalten, ohne daß auf die wirtschaftliche Situation abgestellt wird. Die Antragsfristen werden um zwei Jahre verlängert. Der Stiftungsfonds wird aufgestockt, um den aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße Zivildeportierten bzw. -internierten Unterstützungsleistungen zu gewähren. Bei der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden soll eine zentrale Überprüfung in den Fällen erfolgen, in denen eine Ablehnung des Antrages beabsichtigt ist. Die Bundesregierung bittet in diesem Zusammenhang die Länder, alle Ablehnungsfälle nochmals von Amts wegen zu überprüfen. ({2}) Die Länder haben dazu bereits Bereitschaft signalisiert. Das ist erfreulich. Die Bundesregierung wird außerdem Ende des Jahres 2000 einen Bericht zu dieser Problematik vorlegen. Fraktionsübergreifend waren wir uns auch darüber einig, einen Appell an die Länder zu richten, dafür Sorge zu tragen, daß im Wege der Anwendung der Härteklausel in § 88 Abs. 3 des Bundessozialhilfegesetzes der Bezug von Sozialhilfeleistungen nicht vom Einsatz eines Vizepräsident Rudolf Seiters aus der Kapitalentschädigung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz gebildeten Vermögens abhängig gemacht wird. ({3}) Noch ein Wort zu den Finanzen. Unser Gesetzesvorhaben ist natürlich nicht kostenneutral. Die Mittel, die zur Finanzierung benötigt werden, sind im Haushalt 2000 eingestellt und werden in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigt. Lassen Sie mich abschließend meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß der federführende Ausschuß für die Angelegenheiten der neuen Länder die genannten Verbesserungen rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für die Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR einstimmig gebilligt hat. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Dr. Michael Luther.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Jahren ist die Mauer gefallen. Aber auch vor zehn Jahren ist die SED noch davon ausgegangen, daß der Sozialismus auf dem Boden der DDR fortgesetzt werden kann. Herr Krenz hat es zu diesem Zeitpunkt noch geglaubt. Die Menschen wollten damals einfach nur eines: Sie wollten die DDR nicht mehr. Sie haben ihre Chance genutzt. Die deutsche Einheit wurde herbeigeführt. ({0}) Für die allermeisten Menschen, aber insbesondere für die politisch Verfolgten, war das Ende des SEDRegimes eine Befreiung von Willkür und Unterdrükkung. Dieses System hat politische Opfer hervorgebracht. Wir haben in der Vergangenheit versucht, diesen politischen Opfern zu helfen und auszugleichen. Ich erinnere an das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz von 1992, an das Verwaltungsrechtliche und an das Berufliche Rehabilitierungsgesetz von 1994. Diese Gesetze haben wir 1997 noch einmal verbessert. Aber es muß auch festgestellt werden: Auch zehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist es so, daß diejenigen, die politisch verfolgt worden sind, nach wie vor erhebliche Nachteile erleiden müssen. Ich denke, deswegen ist es gut, daß wir uns heute wieder mit diesem Thema beschäftigen und daß wir versuchen, hier Verbesserungen zu erreichen. ({1}) Vor diesem Hintergrund begrüße ich diese Gesetzesinitiative ausdrücklich, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat und eine Verbesserung der Kapitalentschädigung für ehemalig politische Häftlinge bedeutet. Meine Damen und Herren, vielleicht darf ich aber auch einige kritische Bemerkungen an dieser Stelle machen. Die SPD ist vor einem guten Jahr mit Wahlversprechen in die Wahlauseinandersetzung gezogen. Ich will sie Ihnen vorlesen. Ich lese aus dem „Stacheldraht“, Ausgabe vom September/Oktober letzten Jahres, vor: Dabei werden vorrangig Veränderungen erfolgen: 1. Erhöhung der Kapitalentschädigung auf einheitlich 600,- DM … Das ist erfüllt. 2. Die Einbeziehung der jenseits von Oder und Neiße Verschleppten in die Unrechtsbereinigungsgesetzgebung. Nicht erfüllt. ({2}) 3. Die leichter zu erlangende Anerkennung gesundheitlicher Haftfolgeschäden durch Einbeziehung der Betroffenen in das Bundesentschädigungsgesetz. Nicht erfüllt. 4. Die Vererbbarkeit der Kapitalentschädigung auf unmittelbar von der Haft mitbetroffene Ehegatten und Kinder. Nicht erfüllt. - Meine Damen und Herren, Sie haben es versprochen. Aber diese Versprechen haben Sie gebrochen. ({3}) Den berechtigten Erwartungen der Opfer der SEDDiktatur trägt der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht in ausreichendem Maße Rechnung. Aus Sicht der Betroffenen hat sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung die rentenrechtliche Ungleichbehandlung von Tätern und Opfern verstärkt. Nicht nur deshalb hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 17. Juni dieses Jahres einen Gesetzentwurf eingebracht, der einen Gedanken aufgreift, der nicht neu ist. Er wurde bereits im Rahmen der letzten Änderung des Gesetzes 1997 besprochen und hat seitdem seinen Niederschlag im § 8 Berufliches Rehabilitierungsgesetz in Form von Ausgleichsleistungen gefunden. Allerdings gab es damals bei dem Bezug dieser Leistungen eine Einkommensgrenze. Wir sind vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion der Meinung, daß diese Einkommensgrenze fallen muß. Wir schlagen vor, daß jeder, der mindestens drei Jahre verfolgt wurde, monatlich 200 bis 300 DM mehr Ausgleichsleistungen bekommt. Faktisch ist dies eine Verfolgtenrente. ({4}) Außerdem haben wir vorgeschlagen, das Problem der verfolgten Schüler endlich zu lösen. Das gelingt aber nur, wenn man sie auf diese Art und Weise in die Ausgleichsleistungen einbezieht. Diese beiden Anliegen hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf zum Ausdruck gebracht. Wir stehen also nicht allein da, sondern haben den Bundesrat auf unserer Seite. Sie haben die Aufnahme einer Verfolgtenrente, so wie wir sie vorgeschlagen haben, abgelehnt. Ich nehme daher an, daß Sie heute unseren Gesetzentwurf ebenfalls ablehnen werden. Wir haben deshalb vorgeschlagen, daß wir im Laufe des nächsten Jahres erneut über dieses Thema reden. Wir bitten die Bundesregierung, bis zum 17. Juni des nächsten Jahres - ich denke, auch dieses Tages sollte weiterhin gedacht werden - einen Gesetzentwurf vorzulegen, der diesem berechtigen Anliegen der Opfer, endlich eine Verfolgtenrente zu erhalten, Rechnung trägt. ({5}) Ich erwarte heute eine Erklärung - Frau Wittig, Sie sind diese Erklärung bislang schuldig geblieben -, ob Sie akzeptieren, daß die Lebensbiographie auch heute noch - daran ändert eine Verbesserung der Haftentschädigung nichts - nachhaltig beeinträchtigt sein kann. Die betroffenen Menschen konnten sich eben nicht qualifizieren. Sie leiden noch heute an gesundheitlichen und psychischen Folgen. Wir haben mit dem Zweiten SEDUnrechtsbereinigungsgesetz versucht, einen Ausgleich ohne einzelgesetzliche Maßnahmen, wie das bisher der Fall war, zu schaffen. Wir brauchen eine generelle Regelung, die nach meiner Meinung nur darin bestehen kann, eine Verfolgtenrente einzuführen. Ich stelle Ihnen daher die Frage, ob Sie bereit sind, darüber nachzudenken, über eine Verfolgtenrente zu diskutieren. Wir haben einen Entschließungsantrag dazu eingebracht. Stimmen Sie diesem Antrag zu! ({6}) Ich möchte an dieser Stelle noch folgendes bemerken: Hören Sie auf, die Mär zu erzählen, der Vorschlag einer Verfolgtenrente sei neu! Er ist nicht neu. Bündnis 90/Die Grünen haben bereits in der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen, 500 DM Entschädigung pro Monat zu zahlen. ({7}) - Sie haben jetzt die Gelegenheit dazu; Bündnis 90/Die Grünen sind nämlich jetzt in der Regierungsverantwortung. ({8}) Dieser Gedanke hat - das hatte ich eben bereits erwähnt - in § 8 Berufliches Rehabilitierungsgesetz schon seinen Niederschlag gefunden. Lassen Sie mich noch auf einen zweiten wichtigen Punkt eingehen, nämlich auf das Thema Anerkennung von gesundheitlichen Haftschäden. 1992 wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die interessante Frage gestellt: Wie kann man gesundheitliche Haftschäden anerkennen? Wer sich das Gesetz von 1992 heute durchliest, der kann feststellen, daß man sich wirklich bemüht hat, die Schwierigkeit zu erfassen und eine gesetzliche Regelung zu finden, die den Opfern tatsächlich hilft. ({9}) Als wir bemerkt haben, daß diese Regelung nicht funktioniert, haben wir in der letzten Legislaturperiode an die Länder appelliert, Gutachter zu schulen und zentrale Gutachterausschüsse zu bilden, um dem Problem Rechnung zu tragen. Aber auch 1999 müssen wir feststellen: 95 Prozent der Anträge werden negativ beschieden, weil der kausale Zusammenhang zwischen Haft und Gesundheitsschäden nur schwer nachweisbar ist. Deswegen kann ich die Aufregung bei den Opferverbänden verstehen, die aus guten Gründen fragen: Warum schon wieder ein neuer Versuch, der nichts Neues bringt? Wir müssen heute feststellen: Die geltende Gesetzeslage ist nicht ausreichend. Ein Versuch, dem Phänomen auf untergesetzlichem Weg zu begegnen, ist gescheitert. Das muß man an dieser Stelle erklären. Die logische Folge daraus ist: Ich brauche eine gesetzliche Änderung. Sie haben das im Ausschuß abgelehnt, aber ich gebe Ihnen noch eine Frist. ({10}) Wir haben das im Ausschuß vereinbart. Wir erwarten einen Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der Bemühungen, ob sich dort eine Verbesserung einstellt oder nicht. Wenn wir nach einem Jahr feststellen, daß es wiederum keine Verbesserung gibt, müssen wir endlich zur Tat schreiten. Dann müssen wir an dieser Stelle eine Gesetzesänderung erreichen. ({11}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur Ausschußberatung selbst machen. ({12}) Sie haben vor der Wahl angekündigt, das Gesetz zu novellieren und das Versprechen in der Regierungserklärung und am 17. Juni wiederholt. Das Gesetz ist erst sehr spät in den Deutschen Bundestag gelangt. Wir hatten in der letzten Woche eine Sondersitzung in Form einer Anhörung und in dieser Woche eine Sondersitzung, um darüber zu beraten. Sie wollten die Anhörung nicht. Ich weiß auch, warum Sie die nicht wollten, nämlich weil Sie zwar mit einigen ausgewählten Opferverbänden vereinbart hatten, was im Gesetz geregelt werden kann, Sie aber natürlich nicht hören wollten, was die Mehrheit der Opferverbände davon hält. ({13}) Die Anhörung fand statt. Wer dabei war, weiß, daß Ihr Gesetzentwurf an vielen Stellen sehr herb kritisiert worden ist. ({14}) Sie wollten die Kritik nicht hören. Im Gegenteil, Sie wollten das Gesetz schnell fertigstellen. Deshalb fand in dieser Haushaltswoche die abschließende Ausschußberatung statt. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie sich in der Ausschußberatung kaum zu dem Gesetz geäußert. Sie wollten überhaupt nicht über die Anhörung reden. ({15}) Damit haben Sie die Anhörung zu einer Farce gemacht, die berechtigten Anliegen der Opfer einfach ignoriert ({16}) und damit auch das Parlament und die Parlamentsrechte mißachtet. ({17}) - Herr Küster, Sie waren nicht dabei. Ich hätte Ihnen empfohlen, bei der Anhörung mit dabei zu sein. Sie hätten viel dazulernen können. ({18}) Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle den Mitarbeitern des Ausschußsekretariats danken, die kurzfristig Tag und Nacht die Beschlußvorlagen zusammenstellen mußten. ({19}) Meine letzte Bemerkung: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich immer gegen Diktatur und Willkür eingesetzt. Sie hat sich für die politischen Opfer eingesetzt. Wir werden das auch in der Zukunft tun. Schönen Dank. ({20})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Herr Kollege Hans-Christian Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Luther, Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie kritisieren wollen, daß die Regelung nicht schnell genug gekommen ist, oder ob Sie kritisieren wollen, daß wir im Ausschuß in dieser Woche gegen Ihre Bemühungen Widerstand geleistet haben, dieses Gesetz in diesem Jahr zu verhindern. Dann würde es nämlich nicht am 1. Januar 2000 in Kraft treten. ({0}) Dann hätten die Betroffenen warten müssen; das wollten wir nicht. ({1}) Wir haben uns deshalb geduldig zweieinhalb Stunden lang angehört, was Sie im Ausschuß immer wieder filibustert haben. Wir sind froh, daß wir dieses Gesetz im Ausschuß doch noch einstimmig beschließen konnten. So sollten wir es auch heute im Deutschen Bundestag halten. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gestatten Sie, Herr Kollege Ströbele, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Luther?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, klar.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Ströbele, geben Sie mir darin recht, daß wir das Gesetz auch in der nächsten Woche hätten abschließend beraten können, da zu erwarten gewesen wäre, daß der Bundesrat keine Fristeinrede geltend macht und er so in der Bundesratssitzung am 17. Dezember dieses Jahres das Gesetz hätte verabschieden können, und darin, daß es nicht das erste Mal gewesen wäre - was gerade bei diesem Gesetz immer wieder der Fall gewesen ist -, daß der Bundesrat hier mitgewirkt hätte?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da gebe ich Ihnen nicht recht, Herr Kollege. Das gerade ist ja zu kritisieren: daß die Leute, die davon betroffen sind, schon lange darauf warten, daß es so lange gedauert hat, daß die Opfer und ihre Interessenvertretungen gewartet haben. Es gab ja eine Anhörung dazu und eine ganze Reihe von Besprechungen, erst im Bundeskanzleramt, dann im Ausschuß. Dadurch ist natürlich eine erhebliche Verzögerung eingetreten. Die Betroffenen wollen doch nur wissen: Können sie damit rechnen, daß sie die - wenn auch geringen - Beträge bekommen, oder können sie nicht damit rechnen? Sollen sie jetzt auf den 17. Dezember warten? Auch dann können sie nicht wissen, ob das bis Weihnachten über die Bühne geht. ({0}) - Sie durften doch im Ausschuß alles sagen und haben das doch auch umfassend genutzt. Das jetzt vorgelegte ist dabei herausgekommen. Ich denke, dieser Gesetzentwurf kann sich sehen lassen. Die wesentlichen Versprechungen, die Bündnisgrüne und SPD vor der Wahl gemacht haben, sind hiermit eingelöst worden. Der entscheidende Punkt ist doch der, daß Sie es in den acht Jahren, in denen Sie das hätten anders regeln können und müssen, nicht fertiggebracht, zu sagen: Die Menschen, die in der SBZ oder der DDR aus politischen Gründen im Gefängnis gesessen haben, bekommen mindestens den gleichen Betrag als Anerkennung - das kann ja keine Entschädigung für verlorene Jahre sein - wie derjenige, der in der Bundesrepublik Deutschland zu Unrecht in Haft gewesen ist. Sie können das fast an Willi Stoph festmachen: Wenn er Haftentschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft in West-Berlin bekommt, dann kann er doch nicht bessergestellt werden als jemand, der jahrelang in Bautzen gesessen hat. ({1}) Darum geht es: diese Ungerechtigkeit auszugleichen. Dafür sind wir angetreten. Das haben wir mit diesem Gesetz hervorragend geleistet. Wir haben damit ein Versprechen eingelöst. Wir haben uns auch in anderen Bereichen bemüht. Es geht doch nicht darum, daß man nicht viel mehr hätte tun können. Natürlich haben Sie recht - genauso wie Vertreter der Verbände, die das kritisieren -, daß es viel Unrecht gibt, dessen Folgen noch heute andauern: Gesundheitsschäden, Schäden aus beruflicher Benachteiligung, aus Benachteiligung an Schulen und Universitäten. Aber wir können das nicht alles ausgleichen. Die Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg gebracht haben, kosten etwa 400 Millionen DM. Angesichts der angespannten Haushaltslage können sich die Bundesregierung und die Koalition das ans Revers heften und sagen: Trotz dieser miserablen Haushaltslage haben wir uns bemüht, etwas zu tun, und haben wesentliche Schritte getan. ({2}) Nun kommen Sie mit dem Vorschlag der Ehrenrente. Herr Kollege, ich habe dagegen überhaupt nichts; das habe ich ja auch im Ausschuß gesagt. Natürlich kann man weiter darüber nachdenken und darüber reden. Auch dagegen habe ich nichts. Aber ich habe etwas dagegen, daß Sie, die ehemalige Koalition von CDU/CSU und F.D.P., die lange Zeit die Regierung gestellt hat, dies fordern. Sie hätten acht Jahre lang eine solche Ehrenrente einführen, die Mittel bereitstellen und sie auszahlen können. Insofern ist das jetzt gegenüber den Betroffenen nicht fair. Wir betreiben hier ja ein Spiel: Sie haben früher die Regierung gestellt, jetzt stellen wir die Regierung. Sie waren früher die Regierungskoalition, jetzt sind wir die Regierungskoalition. - An diesem Punkt sollte man dieses Spielchen nicht weitertreiben. Denn wenn man mit der Lage der Opfer spielt, wird das alles nicht nur unverständlich, sondern unerträglich. Sie wissen ganz genau: Das Ganze scheitert doch nicht daran, daß das die jetzige Regierungskoalition nicht möchte, sondern es scheitert an den Finanzen. Eine solche Ehrenrente, wenn man sie einführen würde, kostete pro Jahr wahrscheinlich weit über 1 Milliarde DM. ({3}) Dieses Geld ist im Augenblick nicht da. Man kann sicher weiter darüber diskutieren, weil ein Ausgleich von Schäden, die bisher nicht ausgeglichen werden konnten, natürlich seine Berechtigung hat. Aber lassen Sie uns jetzt diesen Entwurf gemeinsam Gesetz werden lassen! Lassen Sie uns dafür sorgen, daß die Betroffenen endlich davon profitieren und daß dieses Gesetz zum 1. Januar 2000 in Kraft tritt. Das wäre ein richtiges und wichtiges Signal dafür, daß diese Regierungskoalition die Botschaft verstanden hat, sich an Versprechen hält und auch in Zukunft weiter darüber nachdenken wird, wie man Ungerechtigkeiten ausgleichen kann. Ich jedenfalls vertraue auf die Zusagen der Länder, daß sie in allen Fällen, in denen bisher abgelehnt worden ist, gesundheitliche Schäden wiedergutzumachen, ihre Entscheidung überprüfen. Wir sollten die Länder beim Wort nehmen. Diesbezüglich sollten wir im Deutschen Bundestag zusammenstehen. ({4}) Davon haben die Betroffenen etwas. Die Betroffenen haben nichts von blanker Polemik, wie Sie sie hier betrieben haben. Ich hoffe, der Gesetzentwurf wird im Plenum des Bundestages einstimmig verabschiedet. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Ströbele, Ihre Redezeit ist zwar abgelaufen, aber ich frage Sie dennoch, ob Sie noch bereit sind, eine Frage des Kollegen Nooke zu beantworten.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte, Herr Kollege.

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ströbele, ist Ihnen bekannt, daß das, was Sie jetzt gesagt haben eine Ehrenpension bzw. eine Verfolgtenrente von weit über 1 Milliarde DM -, der Zahl entspricht, die die Opferverbände - 1 400 DM pro Monat - genannt haben? Das war nicht unser Vorschlag. Wäre das nicht insbesondere dann gerechtfertigt - das ist die zweite Frage -, wenn Sie berücksichtigen, wieviel Nachzahlungen aus Zusatz- und Sonderrentenversorgungssystemen laut Bundesverfassungsgerichtsurteil vom April 1999 - auch über 1 Milliarde DM - jährlich kosten werden? Ist Ihnen bekannt, daß es um Nachzahlungen in der GrößenordHans-Christian Ströbele nung von 5 bis 10 Milliarden DM geht? Wie will die Koalition erklären, daß Ihnen die Opfer soviel weniger als die Täter und die Privilegierten des alten Systems wert sind?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Nooke, darum geht es doch überhaupt nicht. Wenn das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung und dem Gesetzgeber Auflagen macht, dann können wir uns dem nicht verschließen, sofern wir Gewaltenteilung in diesem Lande ernst nehmen. Man kann nicht einfach sagen: Weil der Kollege Nooke das als ungerecht ansieht, lassen wir das. Wir sind vielmehr an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden. So ist das nun einmal in einem Rechtsstaat, in dem es eine Dreigliederung der Gewalten gibt. Die Jurisdiktion kann den anderen Gewalten Vorschriften machen. Deshalb sind Bundestag und Bundesregierung an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Ungerechtigkeiten beseitigen Sie auch mit Ihrem Gesetzentwurf nicht. Sie schaffen sogar neue. In Ihrem Gesetzentwurf ziehen Sie eine Grenze bei drei Jahren. Es gibt überhaupt keinen einsehbaren Grund dafür, daß man beispielsweise Menschen, die zwei Jahre lang im Gefängnis gesessen haben, von dieser Rente ausnehmen soll. Nennen Sie mir einen logischen Grund für diese Grenze. Wir sind in diesem Bereich immer darauf angewiesen, Signale zu setzen und die Würde der Menschen dadurch zu respektieren, daß wir uns mit den Problemen befassen. Wir können all das angerichtete Unrecht weder durch Geld noch durch andere materielle Werte ausgleichen, sosehr wir uns darum bemühen. Vielmehr können wir nur Versuche in dieser Richtung unternehmen, und wir können Signale setzen, daß wir uns dieser Probleme annehmen und die größten Ungerechtigkeiten beseitigen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.Fraktion spricht der Kollege Jürgen Türk.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute zur Debatte stehende Gesetzentwurf schafft für die Betroffenen natürlich Verbesserungen; deshalb wird die F.D.P.Fraktion ihm zustimmen, auch wenn er weiterhin verbesserungswürdig bleibt. Ich hätte mir gewünscht, daß die Anhörungsergebnisse wenigstens zum Teil berücksichtigt worden wären; denn eine Anhörung macht man nicht nur wegen der Nabelschau, sondern um schlauer zu werden und das Gesetz letztlich besser zu machen, Herr Ströbele. Bei etwas mehr Zeit für die Überarbeitung des Koalitionsentwurfes - das Gesetz könnte auch rückwirkend zum 1. Januar 2000 in Kraft treten - hätte nach unserer Ansicht folgendes noch aufgenommen werden müssen. Erstens. Die Opferverbände beklagen - ich glaube, zu Recht -, daß der Staat mit den Verfolgten der SEDDiktatur - das sind immerhin rund 1 Million Menschen - stiefmütterlicher als mit den Opfern der Nazidiktatur umgegangen ist. Einer, der viele Jahre in Bautzen gesessen und schwere gesundheitliche Schäden davongetragen hat, sieht sich verständlicherweise nicht als Opfer zweiter Klasse. Es geht uns hauptsächlich darum, daß noch in der laufenden Legislaturperiode eine „Opferpension“ - so nennen wir das - gewährt wird; zumindest sollte man die Chance für eine Option nicht vergeben. Das kann einerseits nur unter Berücksichtigung der Schwere und der Dauer der Verfolgung erfolgen - wir bleiben ja Realisten -, und andererseits ist es von der Höhe der noch zu erschließenden Mittel abhängig. Diesen Gesichtspunkt kann man nicht völlig ausschließen. Ich könnte mir vorstellen, daß das SED-Vermögen oder andere Quellen etwas hergeben, etwa die Behebung der Verschwendung öffentlicher Gelder. Der Bund der Steuerzahler weist diesbezüglich immer rund 70 Milliarden DM pro Jahr aus. Davon benötigen wir nur einen kleinen Anteil. Zweitens. Wenig befriedigend ist auch, daß Opfer, die auf Grund der Verfolgung dauerhafte Gesundheitsschäden erlitten haben, kaum eine Chance haben, diese Schäden anerkannt zu bekommen. Herr Luther wies schon darauf hin: 95 Prozent der Anträge werden abgelehnt. Hier kann also etwas nicht in Ordnung sein. Man muß dies verbessern. Um trotzdem in der Sache weiterzukommen, schlägt die F.D.P. vor, Beweiserleichterungen bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden von politisch Verfolgten einzuführen. Dies würde den Nachweis verfolgungsbedingter Krankheiten deutlich vereinfachen und die Chance auf Anerkennung erhöhen. ({0}) Wir werden dem Gesetzentwurf der Koalition zustimmen und bitten Sie, unserem Entschließungsantrag mit den beiden von mir erläuterten Vorschlägen zuzustimmen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln und verabschieden heute ein Gesetz, das besser als seine Vorläufer, aber schlechter ist - das muß man auch sagen -, als es möglich gewesen wäre. Damit kritisiere ich nicht nur das Verfahren, daß die Betroffenen zwar in der vergangenen Woche über drei Stunden angehört wurden, ihre Anliegen aber kaum noch berücksichtigt werden konnten. Ich teile zwar nicht alles, was von den Vertretern der OpferverGünter Nooke bände vorgetragen wurde, etwa den gelegentlichen Versuch, die DDR mit dem NS-Regime gleichzusetzen, oder etwa den erneuten Vorstoß, die Bodenreform rückgängig zu machen. Aber auf die zentrale Frage, ob die bislang beschlossenen Regelungen hinreichend, handhabbar oder angemessen sind, gab es für mich zwei Antworten: Sie waren es bislang nicht und werden es auch nicht sein, wenn wir heute dieses Gesetz verabschieden. Es bleibt nur die alte Formel vom richtigen Schritt auf dem richtigen Weg. Deshalb ist natürlich auch den wesentlichen Verbesserungen, insbesondere der künftig einheitlichen Entschädigung für Opfer politischer Haft in Höhe von 600 DM, zuzustimmen. Nur, diese Floskel vom richtigen Schritt auf dem richtigen Weg hat nicht nur eine lobende, sondern auch eine ausblendende Funktion. Wir haben beantragt, daß nunmehr fällige Nachzahlungen von Amts wegen erfolgen sollen, weil wir die Beantragungshürden und andere bürokratische Hemmnisse so niedrig wie nur irgend möglich halten wollen. Wir meinen, es geht nicht an, daß Haftentschädigungen auf Sozialhilfe angerechnet werden, sei es auch nur im Einzelfall. Wir wollen hoffen, daß der gemeinsame Appell des Ausschusses in den Ländern und vor allem in den einzelnen Kommunen tatsächlich Gehör findet. Ich glaube, daß Forderungen von Betroffenen, etwa die Beweislastumkehr bei gesundheitlichen Haftschäden, ernster zu nehmen sind, als dies bislang geschehen ist. Die Beispiele ließen sich noch fortsetzen. Die PDS wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Aber ich widerspreche der deutlich formulierten Behauptung, er sei alternativlos. Er ist ein Schritt auf einem Feld, das so weit ist, daß wir es heute nicht bestellen können. Ich erinnere nur an die problematische Frage von betroffenen Schülerinnen und Schülern. Sie bleibt natürlich zu beantworten. Es geht auch in diesem Gesetzentwurf um gemeinsame Geschichte und um Menschenrechte, also um gesellschaftliche Fragen, die deshalb nicht - auch nicht formal - an einen Ausschuß „Neue Bundesländer“ delegiert werden können. Aber zum weiten Feld unserer Geschichte gehören auch der gleich folgende Tagesordnungspunkt zur Zwangsarbeiterentschädigung ebenso wie die politisch gewollten Berufsverbote in der alten Bundesrepublik. Diese gemeinsame Geschichte und diese schmerzhaften Themen bleiben uns erhalten. Ich glaube, wir haben hier nicht nur schmerzhafte Debatten vor uns, sondern vor allem Regelungsbedarf, um in dieser Bundesrepublik nicht nur gemeinsam anzukommen, sondern gemeinsam unseren Platz zu finden. Danke schön. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr das Wort dem Staatsminister im Kanzleramt Rolf Schwanitz.

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend ein Gesetz, auf das die Opfer lange gewartet haben. Es ist die umfangreichste Verbesserung zur Entschädigung von Opfern politischer Verfolgung in der SBZ und DDR seit 1992 seit dem Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Diese Verbesserung war längst überfällig und dringend notwendig. Deswegen ist dies ein guter Tag für die Opfer. ({0}) Das ist es nicht nur wegen der Bedeutung der Regelung. Um übrigens noch einmal auf die Quantität einzugehen: Ein Drittel aller Wiedergutmachungsleistungen, die seit 1990 gewährt worden sind, werden jetzt im Zusammenhang mit der Verbesserung der Wiedergutmachungsleistungen noch einmal draufgepackt. Das Gesamtvolumen beläuft sich auf 400 Millionen DM. Zwei Drittel davon trägt der Bund. Es war ein richtiger Kraftakt, dieses wichtige Gesetz zustande zu bringen. ({1}) Wichtig ist dieses Gesetz nicht nur wegen der einheitlichen 600 DM Kapitalentschädigung, damit die Opfer nicht mehr - wie in der Vergangenheit durch Ihr Gesetz - auseinanderdividiert werden, sondern beispielsweise auch wegen der Hinterbliebenenregelung. Ich will darauf einmal näher eingehen, Herr Dr. Luther. Wir bekommen jetzt eine Hinterbliebenenregelung über die Stiftung für politisch Verfolgte, in deren Rahmen künftig Einmalleistungen in der Größenordnung von 8 000 DM gewährt werden können und ein Rechtsanspruch ohne Bedürftigkeitsprüfungen, also quasi lebenslang auf laufende, also jährlich wiederkehrende Leistungen in einem Volumen von 6 000 bis 8 000 DM besteht. Das ist für viele Betroffene eine Entschädigung, die weit besser ist als eine fiktive Kapitalentschädigung. Ich sage noch einmal: Das ist alles andere als eine Kleinigkeit. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

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Ich trage erst einmal im Zusammenhang vor und bleibe am Schluß am Pult stehen; Sie können Ihre Frage dann noch stellen. Ich möchte auf die Bemerkung eingehen, wir hätten die Opferinteressen nicht hinreichend berücksichtigt. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben in diesem parlamentarischen Verfahren die Anhörung zu dem spätestmöglichen Zeitpunkt beantragt. Sie haben alle möglichen Kapriolen gemacht, zum Beispiel gesagt, das Ganze sei im Ausschuß nicht genügend beraten worden. Drei Stunden lang ist im Ausschuß über jedes Komma in der Vorlage filibustert worden. Ich habe gehört, zum Schluß sei sogar versucht worden, nicht zu unterzeichnen. Wir haben so etwas schon einmal gePetra Pau habt. Es sind also alle möglichen Dinge versucht worden. ({0}) Aber zum 1. Januar 2000 wird es diese Leistungen geben. Das ist wichtig. Die Opfer warten darauf. ({1}) Herr Luther, Sie haben in Ihrer Rede kritisiert, wir würden Leistungen gewähren, die, bezogen auf eine Ehrenrente, nicht den Erwartungen entsprächen. Ich will das mit einigen deutlichen Worten kommentieren. Zunächst möchte ich nur noch einmal die Aussage unterstreichen: Sie haben die Opfer acht Jahre lang auf eine ordentliche, bessere, finanziell vernünftig ausgestattete Rehabilitierung und Wiedergutmachung warten lassen. Das wird jetzt kommen. Sie haben überhaupt keinen Grund, sich hier zum Sachwalter der Opfer zu machen. Das Verfassungsgerichtsurteil zu den - ich sage es einmal flapsig - Stasirenten haben Sie selbst provoziert. Sie haben ein Rentenrecht geschaffen, bei dem damals klar war, daß es in den verfassungswidrigen Raum hineinreicht. Sie haben das Urteil selbst provoziert und benutzen es jetzt, um nicht zugeben zu müssen, daß die Verbesserung wegen Ihrer eigenen politischen Versäumnisse notwendig ist. Sie benutzen das Urteil, um über Ihre eigenen Fehlleistungen nicht reden zu müssen. Sie haben übrigens den Unmut bei den Opfern in den zurückliegenden Wochen und Monaten auch im Zusammenhang mit diesem Urteil ganz gezielt geschürt. Sie haben nichts dafür getan, um den Opferverbänden und den Betroffenen klarzumachen, was wirklich in dem Urteil steht. Darin steht nämlich nicht, daß die Rentenansprüche von Stasi-Bediensteten beliebig ausgedehnt werden können. Vom Verfassungsgericht wurde nur beschieden, daß der Grundsatz, den die erste frei gewählte Volkskammer aufgestellt hat, nämlich daß die Rentenansprüche auf die Durchschnittshöhe des Einkommens in der DDR zu begrenzen sind und das Einkommensprivileg nicht fortgeschrieben wird, sehr wohl verfassungskonform ist. ({2}) Ich will ausdrücklich noch einmal festhalten, daß das von uns vorgelegte Gesetz ein gutes Gesetz ist. Ich bedaure sehr, daß Sie es sich gerade bei diesem Thema nicht verkneifen konnten, unter dem Deckmantel von Ehrenhaftigkeit parteipolitische Spielchen zu spielen. Ich bedaure sehr, daß Sie das getan haben. Mein Wunsch an die Opposition ist: Kehren Sie - wie in den zurückliegenden Monaten und Jahren - zu einer an konstruktiven Problemlösungen orientierten Politik zurück! Daran hat es hier - leider - gefehlt. Schönen Dank. ({3}) Jetzt bin ich gerne bereit, Ihre Frage zu beantworten.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Vielen Dank, Herr Staatsminister, für Ihre Bereitschaft, die Frage jetzt zu beantworten. Der Kollege Luther hat sich aber für eine Kurzintervention entschieden. Bitte schön, Herr Luther.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich für eine Kurzintervention entschieden, weil ich mir meine ursprüngliche Frage auf Grund der weiteren Äußerungen des Herrn Staatsministers selbst beantworten kann. Ich möchte aber noch einiges zu anderen Punkten Ihrer Rede sagen. Das ist wichtig und zur Aufklärung des Hauses notwendig. Erstens. Wecken Sie nicht vielleicht zu viele und zu hohe Erwartungen? Bislang standen der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge 10 Millionen DM zur Verfügung, um Hinterbliebenen von Todesopfern zu helfen, jetzt stehen 20 Millionen DM bereit. Das ist eine Verdoppelung, das gebe ich zu. Ich glaube aber, daß die hohen Erwartungen, die Sie in Ihrer Rede gerade geweckt haben, dadurch nicht befriedigt werden können. Zweitens haben Sie gesagt, wir hätten die Anhörung zum spätestmöglichen Zeitpunkt beantragt. Als wir die Anhörung beantragten, hatte die erste Lesung des Gesetzes noch nicht stattgefunden, und es war noch nicht an den Ausschuß überwiesen worden. Wir haben die Anhörung also quasi auf Vorrat beantragt. Wir hätten die Anhörung natürlich auch für Januar beantragen können. Drittens haben Sie von einer Verzögerung bei der Unterzeichnung gesprochen. Ich bitte Sie, sich dafür zu entschuldigen, daß Sie vor diesem Hause einen solchen Vorwurf geäußert haben. Ich kann doch kein Blankoformular unterschreiben! Nach der Anhörung mußte erst der Ausschußbericht erstellt werden. Ich kann nicht auf einem Blankoformular den Ausschußbericht schon im voraus bestätigen. ({0}) Ich habe daran mitgewirkt und daran mitgearbeitet, daß alles rechtzeitig in Gang gekommen ist. Ihre Unterstellung sollten Sie deshalb vor diesem Hause zurücknehmen. ({1}) Viertens haben Sie uns vorgeworfen, wir schürten Unmut bei den Betroffenenverbänden. Schauen Sie sich doch einmal die Meldungen in den Medien an: Nach dem Urteil haben zuerst die Betroffenen aufgeschrien. Wir haben uns erst später mit der Thematik beschäftigt. Wenn Sie uns unterstellen, wir schürten Unmut bei den Betroffenenverbänden, dann müssen Sie dieses auch dem Bundesrat unterstellen. Ich habe ja in meiner Rede aus der Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf zitiert. Dort wurde die von uns angesprochene Problematik noch einmal verdeutlicht. So stellt sich die Lage dar. Dieses Thema muß in Zukunft noch einmal aufgegriffen werden. Meine letzte Bemerkung: Trotz der Mängel des Gesetzes und Ihrer unverschämten Einlassungen ({2}) stimmen wir dem Gesetz zu. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Staatsminister Schwanitz zur Erwiderung.

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Den Einschätzungen, die ich am Rednerpult abgegeben habe, habe ich nichts hinzuzufügen. So verhält es sich. Ich möchte aber Ihre Ausführungen an einigen Stellen korrigieren: Der Gesetzentwurf war bereits Mitte August im Bundesrat. Es ist gute und übliche Praxis im Deutschen Bundestag, daß Anhörungen auch zu Vorlagen durchgeführt werden können, die im Bundesrat anhängig sind. Das ist zigmal gemacht worden, Sie aber haben es bewußt unterlassen. Sie haben die Anhörung statt dessen in den November gelegt, so daß die Beratung dieses Gesetzentwurfes mit den Beratungen des Finanzausschusses des Bundesrates kollidierte, um die Stimmungslage noch einmal ordentlich anzuheizen. ({0}) - Das ist so! Ich muß ganz offen sagen, daß ich bewundere, wie Sie immer wieder mit ernster Miene den Widerspruch zwischen Ihrem Verhalten in der Praxis ({1}) und dem, was Sie nach außen hin kommunizieren, offensichtlich problemlos überbrücken können. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung rehabilitationsrechtlicher Vorschriften für Opfer politischer Verfolgung, Drucksachen 14/1805 und 14/2188 Buchstabe a. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/2190 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? ({0}) - Ich frage noch einmal: Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS und des Kollegen Jürgen Türk abgelehnt. ({1}) - Es gab eine Enthaltung aus den Reihen der CDU/CSU. Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur Dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/2205? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2191? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines SED-Opfer-Rehabilitations-Verbesserungsgesetzes der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/1001. Der Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder empfiehlt auf Drucksache 14/2188 Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/1001 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Nun kommen wir zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen zur Verbesserung des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes, Drucksache 14/2188 Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1165 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt III auf: III. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke-Reymann, Dr. Heinrich Fink, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Zügige Entschädigung für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und Errichtung einer Bundesstiftung - Drucksache 14/1694 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({2}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem Kollegen Dr. Gregor Gysi für die antragstellende Fraktion das Wort.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns heute in erster Lesung mit einem Antrag beschäftigen, der eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte betrifft. Es geht um rund 10 Millionen Menschen, die als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter von dem NS-Regime gezwungen wurden, an der sogenannten Heimatfront in Sklavenarbeit ihren Beitrag zur Herstellung der Infrastruktur zu leisten, und zwar in der Rüstungsproduktion, um die Kriegsmaschinerie aufrechtzuerhalten, und in vielen anderen Bereichen. Die meisten von diesen über 10 Millionen Menschen haben niemals eine einzige Mark Entschädigung bekommen. Nicht einmal eine Entschuldigung an die Opfer hat es bis heute im Bundestag gegeben. Die meisten von ihnen können auch keine Entschädigung mehr bekommen; denn sie sind längst verstorben. Zirka 1,5 Millionen ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter leben noch. Viele von ihnen wurden gezwungen, Arbeiten in der Landwirtschaft zu verrichten. Die Bedingungen insgesamt waren menschenunwürdig: Es gab nicht die einfachsten hygienischen Einrichtungen, sie waren unterernährt, es wurde geschlagen, gefoltert und geprügelt. All das ist bekannt. Daß in der Entschädigungsfrage bislang nichts geschehen ist, hängt mit dem Londoner Schuldenabkommen zusammen, das nach 1945 geschlossen wurde. Es beinhaltete, daß die Lösung dieser Frage auf den Zeitpunkt eines Friedensvertrages verschoben wird. Seinerzeit wurde ausgerechnet der tief in das NS-Regime verstrickte Abs vom damaligen Kanzler Adenauer nach London geschickt, um Verhandlungen zu führen und zu einem Ergebnis zu kommen. Dies war, wie ich meine, eine höchst unglückliche Personalentscheidung. ({0}) Der Zwei-plus-Vier-Vertrag war nun Anlaß, neu nachzudenken. In gewisser Hinsicht ersetzt er ja einen Friedensvertrag. Damit stand die Frage der Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter automatisch auf der Tagesordnung. Ich bedaure, daß in Sachen Aufklärung so wenig getan wurde, daß es in der Bevölkerung zum Teil völlig falsche Vorstellungen gibt. So glauben zum Beispiel viele, daß es überwiegend um amerikanische Jüdinnen und Juden ginge und daß viele schon eine Entschädigung bekommen hätten. In Wirklichkeit machen Jüdinnen und Juden den geringsten Anteil aus. Die meisten sind wahrscheinlich Osteuropäerinnen und Osteuropäer. Diese haben noch nie eine Entschädigung bekommen und leben zum größten Teil auch heute noch unter eher ärmlichen Bedingungen. Das muß ganz klar gesagt werden. Es gab auch insoweit völlig falsche Vorstellungen, als man zum Beispiel die Höhe der Entschädigung davon abhängig machen wollte, unter welchen Umständen diese Menschen heute leben. Reiche sollten mehr bekommen, Arme weniger. Dies ist, wie ich meine, ein unhaltbarer Ansatz. Eines hat mich außerordentlich gestört: Schon als der Bundeskanzler noch Kanzlerkandidat war, hat er sich zu dieser Frage geäußert. Damals hat er als ersten Satz gesagt - das war der Satz, der wie eingemeißelt stand -, er werde darum kämpfen, daß die deutschen Firmen nicht übermäßig in Anspruch genommen würden; es werde seine Aufgabe sein, sie vor falschen und überzogenen Ansprüchen zu schützen. Ich frage Sie: Hätte nicht sein erster und entscheidender Satz lauten müssen, er werde sich dafür einsetzen, daß die Opfer endlich eine angemessene Entschädigung bekommen? ({1}) Als vielleicht dritten Satz hätte er dann sagen können, daß er als künftiger Kanzler natürlich auch überzogene Forderungen abwehren werde. Daß er diese Aussagen in ebendieser Reihenfolge gemacht hat, hat auch bei der Wirtschaft völlig falsche Vorstellungen geweckt, die bis heute nachwirken. Es ist natürlich höchst unglücklich, wenn man, während in Bonn und in Washington verhandelt wird, sagt, es solle sichergestellt werden, daß nach Errichtung des Fonds gegen kein deutsches Unternehmen noch ein Anspruch erhoben werden könne, und zwar unabhängig davon, ob sich dieses deutsche Unternehmen an diesem Fonds beteiligt hat oder nicht. Wenn ich das öffentlich und laut verkünde, dann ist zumindest unter finanziellem Gesichtspunkt nachvollziehbar, daß die meisten Unternehmen sagen: Wenn ich hinterher von Forderungen freigestellt bin, auch wenn ich jetzt nicht zahle, dann versuche ich natürlich zu der Gruppe derjenigen zu gehören, die nicht zahlen. - Es wäre viel günstiger gewesen, den Eindruck zu vermitteln, daß jene, die nicht einzahlen, nach wie vor mit Forderungen rechnen müssen. Dann wäre wahrscheinlich auch die Bereitschaft, einzuzahlen, größer. Das kann jetzt nicht mehr repariert werden. Deshalb kommen sich in dieser Frage Politikerinnen und Politiker gegenüber der Wirtschaft jetzt wie Bittsteller vor. Dies finde ich nun wirklich völlig unangemessen. ({2}) Als erster Schritt wäre es notwendig gewesen, daß sich die deutsche Industrie und die deutschen Banken zu ihrem Versagen gegenüber den Nationalsozialisten, zu ihrer politischen, moralischen und materiellen Verantwortung für die Etablierung des NS-Staates, für das SyVizepräsident Rudolf Seiters stem der Bereicherung, für das System aus Raubkrieg, Ausplünderung, Sklavenarbeit und - wie es hieß - Vernichtung durch Arbeit bekannt hätten. ({3}) Deutsche Firmen, zum Beispiel die Tochtergesellschaft von Degussa - die Degesch -, haben das Zyklon B produziert, mit dem in den Konzentrationslagern gemordet wurde. Degussa hat das Zahngold der ermordeten Häftlinge eingeschmolzen. Wenn ich den Namen Auschwitz nenne, darf ich über die IG Farben und ihre Nachfolger nicht schweigen. Wenn es um die Arisierung des jüdischen Vermögens, um Gold- und Finanztransfers geht, muß über die Deutsche Bank und die Dresdner Bank gesprochen werden. Weil der Reichsverband der Deutschen Industrie mit seiner Adolf-Hitler-Spende Hitler förderte, hätte sich auch der Nachfolger, der BDI, damit auseinandersetzen müssen. Das alles ist nicht geschehen - und es ist jetzt auch nur noch schwer zu erreichen. Das hätte längst geschehen müssen. Ich kann von hier aus heute nur appellieren, daß die Wirtschaft sich zu einem Wort des Bedauerns durchringt, daß mit der Feilscherei aufgehört wird ({4}) und daß alle diejenigen ihren Beitrag in diesen Fonds einzahlen, die damals davon profitiert haben, daß es in Deutschland Zwangsarbeit gab. ({5}) Dazu gehörte auch der Staat. Der Staat trug natürlich Verantwortung dafür, daß es überhaupt Zwangsarbeit gab. Deshalb ist es richtig, daß auch der Staat in diesen Fonds einzahlt. Gleichzeitig muß er ausreichend Aufklärung betreiben, auch in der Öffentlichkeit, um eine breite Zustimmung in der Bevölkerung zu erreichen. Ich füge hinzu: Wir müssen einen Anfang machen. Der Fonds muß eingerichtet werden. Darum geht es in unserem Antrag. Wir haben ihn extra verschoben, um die Verhandlungen nicht zu gefährden. Denn wir meinen, das Wichtigste ist, daß die Opfer eine angemessene Entschädigung bekommen. Aber jetzt muß das Parlament eingeschaltet werden. Wir müssen jetzt darüber diskutieren. Wir müssen das jetzt als Parlament begleiten und versuchen, noch einiges zu ändern. Selbst wenn keine Lösung zustande kommen sollte, müssen wir jetzt anfangen, Geld zur Verfügung zu stellen, damit wenigstens erst einmal eine Mindestsumme an die noch lebenden Opfer ausgezahlt wird. Es darf keine biologische Lösung dergestalt geben, daß hier verzögert und verschoben wird, bis immer weniger der Betroffenen leben. Das ist nicht hinzunehmen. Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt. Er soll eine Unterstützung sein, damit wir endlich zu diesem Fonds und zu einer Lösung kommen. Daß die Unternehmen die Zahlungen später von der Steuer absetzen dürfen, ist schon ein starkes Stück. ({6}) Aber daß sie trotzdem nicht bereit sind, einzuzahlen, ist ein noch stärkeres Stück. Deshalb sage ich: Hören wir auf, die Unternehmen zu kritisieren, die einzahlen wollen! Es ist ein bißchen ungerecht, daß die Kritik diese Unternehmen am meisten trifft. Jetzt müssen wir öffentlich die benennen, die nicht einzahlen wollen, die sich ihrer Verantwortung völlig entziehen wollen. Das ist nicht hinnehmbar. Ich hoffe, wir werden in dieser Angelegenheit alle gemeinsam streiten und kämpfen und diese Unternehmen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Danke schön. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPDFraktion spricht der Kollege Ludwig Stiegler.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gysi hat wieder versucht, sich als großen Moralisten darzustellen. ({0}) Ich sage nur: Diejenigen unter Ihnen, die früher in der SED waren, sollten ganz ruhig sein. ({1}) Wir sind hier mitten in Verhandlungen, und Sie tun so, als ob nichts geschehen sei. Dort, wo Sie früher Verantwortung hatten, ist - außer Solidaritätsadressen - nichts geschehen, während hier eine ganze Menge geschehen ist. ({2}) Deshalb sollten wir etwas ernster an das Thema herangehen. ({3}) Wir haben keine Veranlassung, jetzt am Bundeskanzler herumzumäkeln, denn es ist wahr, daß mit sehr zweifelhaften juristischen Methoden Druck ausgeübt worden ist. Ich stimme allen zu, die sagen, die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft seien zu hartleibig und im Grunde nicht sensibel genug für dieses Thema. Aber wir können auch nicht über die Methoden, die in Amerika teilweise angewandt worden sind, hinwegsehen. Ich habe zwischendurch schon daran gezweifelt, ob dort noch ein rechtsstaatliches System gibt. Ich meine, wir sollten hier wirklich aufpassen, daß die Initiative nicht in ein falsches Licht gerückt wird. Die Koalition hat in ihrer Koalitionsvereinbarung klar gesagt: Wir wollen das Gesetz. Auch in den Wahlprogrammen war das ein Thema. Ich denke zum Beispiel an Hans-Jochen Vogel und seinen Verein „Gegen Vergessen - Für Demokratie“. Der Druck von unserer Seite, endlich zur Tat zu schreiten, war groß und intensiv. Wir sind jetzt mitten in den Verhandlungen. Alle Fraktionen haben mitgetragen, daß der Bund seinen Anteil noch einmal erhöht und damit mehr Druck auf die Wirtschaft gemacht hat, damit sie ihren Anteil ebenfalls erhöht. Wir sollten gemeinsam an die Wirtschaft herantreten und von allen verlangen, daß sie sich an diesem Fonds beteiligen. Aus dieser moralischen Verpflichtung werden wir sie nicht entlassen. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Stiegler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke? - Bitte schön.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Stiegler, finden Sie nicht auch, daß gerade bei diesem Thema, das die deutsch-deutsche Geschichte berührt, die wir gemeinsam zu tragen haben, eine Differenzierung danach, wer hier etwas sagen darf und wer hier nichts sagen darf, völlig unangebracht ist? ({0}) Finden Sie nicht auch, daß gerade bei dieser Frage die Demokraten in unserem Lande die Verpflichtung haben, Meinungsverschiedenheiten bzw. Dinge, die man zu Recht kritisieren kann, zurückstehen zu lassen zugunsten einer Lösung für Menschen, die unendlich gelitten haben?

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sind uns darin einig, daß die Menschen unendlich gelitten haben und daß wir alles tun müssen, um sie dafür zumindest ein wenig zu entschädigen. Aber angesichts dessen, daß Herr Gysi sich hier hinstellt und sagt, er allein sei der Rächer der Entrechteten, ({0}) muß ich darauf hinweisen, daß uns dies in der jetzigen Situation nicht weiterführt. Die PDS hat weder ein Erstgeburtsrecht noch ein Monopol in dieser Frage. Auch alle anderen Parteien haben eine ganze Menge an Anstrengungen unternommen. ({1}) - Ich lasse nicht zu, daß Sie sich hier in eine Alleinvertreterrolle begeben. Denn die mit diesen Verhandlungen verbundene Arbeit und die anstehenden finanziellen Entscheidungen betreffen uns alle hier. Wir erwarten von der Wirtschaft, daß sie sich massiv beteiligt, damit der Anteil derer, die entschädigt werden, angemessen festgelegt werden kann. Diese unglaublich schwierige Frage ist in den momentan laufende Verhandlungen zu lösen. Jetzt geht es darum, daß wir uns an die Wirtschaft und an die Bevölkerung wenden, dafür Verständnis aufzubringen. Wenn Sie so sprechen, wie Sie es hier tun, ist es viel schwieriger, in den breiten Schichten der Bevölkerung ein entsprechendes Verständnis zu erreichen. Es ist auch nicht angemessen, zu kritisieren, daß die Wirtschaft diese Entschädigungsleistungen als Betriebsausgaben absetzen kann. Wir wollen durch diese Möglichkeit höhere Zahlungen erreichen. Ich weise darauf hin, daß der Staat auf diese Weise die Hauptlast der Zahlungen trägt. Aber es gibt ja sehr viele Unternehmen, die heute gar nicht mehr greifbar sind, zum Beispiel einzelne landwirtschaftliche oder ähnliche Unternehmen. Vor diesem Hintergrund ist der staatliche Anteil an den Zahlungen gesellschaftlich gerechtfertigt. Diesen Punkt sollte man nicht kritisieren. Wir alle sollten vielmehr die Verhandlungen nicht stören. Sie sind schwierig und finden unter großen Belastungen statt. Wir sollten den vorliegenden Antrag der PDS an die zuständigen Ausschüsse überweisen. Für die Umsetzung eines Verhandlungsergebnisses ist der Inhalt dieses Antrages nicht nötig. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist fertig und liegt praktisch in der Schublade. Er kann in dem Moment, in dem die Verhandlungen abgeschlossen sind, sofort eingebracht werden. Für die Fraktionsgremien gibt es dann keine große Arbeit mehr. Das Stiftungsgesetz ist in seiner Struktur praktisch fertig. Jetzt aber ein Stiftungsgesetz vorzulegen, ohne daß man den Inhalt des Verhandlungsergebnisses kennt, führt uns insgesamt nicht weiter. ({2}) Wichtig ist, daß der Gesetzentwurf faktisch fertig ist und es keine zeitliche Verzögerung mehr geben wird. Jetzt ist zunächst notwendig, die Verhandlungen endlich zum Abschluß zu bringen. Dabei ist entscheidend, daß der Topf gefüllt wird. Aus diesem Grunde und angesichts dessen, daß Hans-Jochen Vogel eine Liste von Firmen aufgestellt hat, die sich noch nicht beteiligt haben, sind alle betroffenen Unternehmen moralisch in die Pflicht zu nehmen, sich zu beteiligen. Herr Gysi, Sie wissen genau, daß die Frage von Befreiungszahlungen erhebliche völkerrechtliche und andere Probleme aufwirft, die wir nicht anpacken wollen, weil wir sagen: Bei diesem Problem handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage, sondern eine moralische Frage, die wir zu lösen haben, wobei die moralische Verpflichtung aus einer Entschuldigung und aus einer materiellen Entschädigung besteht. Das ist unser gemeinsames Ziel. An diesem arbeiten wir am besten, wenn wir die Verhandlungen fördern. Ich kann Ihnen noch einmal zusichern: Die Umsetzungsgesetzgebung ist so weit fertig, daß sie hier unverzüglich eingebracht werden kann. Deshalb kann Ihr Antrag, den Sie eingebracht haben, ruhen. Im Ausschuß wird wirklich zügig gearbeitet, um endlich voranzukommen. Entscheidend ist, daß Graf Lambsdorff und alle Beteiligten endlich zum Ziel kommen. Wir danken ihnen für ihren bisherigen Einsatz und hoffen auf einen baldigen Erfolg. Ich möchte aber auch die andere Seite bitten, unsere Situation zu berücksichtigen. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Verhandlungen auf der Grundlage, auf der sie gediehen sind, endlich zu einem Erfolg zu führen. Dies kann nicht hier im Parlament geschehen, sondern nur an den Verhandlungstischen. Alles weitere wird dann ganz schnell gehen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Wolfgang Bosbach.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Formal betrachtet beraten wir heute über den Antrag der PDS, zügig eine Bundesstiftung zur Entschädigung für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einzurichten und die hierfür notwendigen Mittel bereitzustellen, damit schon ab dem 1. Januar mit den Zahlungen begonnen werden könne. 1,5 Millionen Überlebende sollen nach dem Willen der PDS zunächst rasch a conto pro Kopf 10 000 DM erhalten. Hierfür müßte nach Ihren Berechnungen ein Startkapital von 1 Milliarde DM zur Verfügung gestellt werden. Es handelt sich also um einen klassischen PDSAntrag: Abgesehen davon, daß die Multiplikation von 10 000 mit 1,5 Millionen einen Betrag von 15 Milliarden DM ergibt ({0}) und daß ein konkreter Finanzierungsvorschlag fehlt, dürfte nach Addition aller PDS-Forderungen in diesem Antrag der Betrag sogar weit über den Zahlungsansprüchen liegen, die derzeit von den amerikanischen Anwälten im Rahmen der Verhandlungen über die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft geltend gemacht werden. Niemand kann die PDS daran hindern, derartige Anträge zu stellen. Es ist allerdings sehr bedauerlich, daß die PDS auch auf dem sehr sensiblen Gebiet der Wiedergutmachung von nationalsozialistischem Unrecht völlig unseriös agiert ({1}) und - das ist für mich der entscheidende Punkt - bei den Überlebenden und in deren Herkunftsländern Hoffnungen weckt, die in jeder Hinsicht unerfüllbar sind. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Bosbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Fink?

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Zwischenruf war unparlamentarisch.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß, wer das gesagt hat, und deswegen berührt mich dieser Zwischenruf überhaupt nicht. ({0}) Weil Sie es so gerne hören, sage ich es noch einmal langsam, zum Mitschreiben: Ihr Engagement für die Wiedergutmachung staatlichen Terrors wäre viel glaubhafter, wenn Sie nicht unter der alten Firmierung SED dafür gesorgt hätten, daß die DDR - im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland - die Opfer der NaziBarbarei, zumindest diejenigen, die in Ihren Augen die falsche Gesinnung hatten, nicht entschädigt, und wenn Sie das erworbene SED-Vermögen sofort den Opfern der DDR-Diktatur zur Verfügung stellten. ({1}) Vor diesem Hintergrund macht es wenig Sinn, den Antrag der PDS im Detail zu diskutieren. Er gibt jedoch Anlaß zu einigen grundsätzlichen Anmerkungen über die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft und den bisherigen Verlauf der Verhandlungen über eine Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter - unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen humanitären Geste der deutschen Wirtschaft, genauer gesagt: der Unternehmen, die sich zur Stiftungsinitiative „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zusammengeschlossen haben. Das Thema „Entschädigung für NS-Zwangsarbeit“ wird in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten diskutiert. Alle Bundesregierungen, auch die derzeit im Amt befindliche, haben folgenden Rechtsstandpunkt vertreten: Soweit ausländische Zwangsarbeiter außerhalb des BEG - einschließlich Art. 6 des BEG-Schlußgesetzes - Schadensersatzansprüche geltend gemacht haben, stehe dem das Londoner Schulden-Abkommen aus dem Jahr 1953 entgegen. Bei Forderungen nach Entschädigung wegen NS-Zwangsarbeit handele es sich um Reparationszahlungen im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg. Dies gelte auch für die Forderungen ehemaliger Zwangsarbeiter gegenüber privaten Unternehmen. Demgemäß konnten und können allein auf Grund von Zwangsarbeit keine Rechtsansprüche gegen Deutschland oder deutsche Staatsangehörige geltend gemacht werden, so zuletzt auch der Bundesminister der Finanzen in einem Schreiben vom 22. November an den Vorsitzenden des Innenausschusses. Diese Rechtsansicht ist nicht unumstritten; sie wurde aber von den Gerichten bislang ganz überwiegend geteilt, vor wenigen Wochen auch von einem amerikanischen Gericht in New Jersey, das über eine Klage gegen die bereits genannte Firma Degussa-Hüls AG zu entscheiden hatte. Eine völlig andere Frage ist jedoch, ob man das Thema Entschädigung für NS-Zwangsarbeit aus der besonderen historischen Verantwortung gegenüber den Betroffenen nicht eher unter humanitären als unter rechtlichen Aspekten betrachten müsse. Gerade auf Grund dieser Überlegung wurden in der Vergangenheit zunächst mit elf westlichen Staaten Globalabkommen zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts abgeschlossen, aus denen auch Zwangsarbeiter entschädigt worden sind. Darüber hinaus hat die Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung als humanitäre Geste durch die Einrichtung von Stiftungen in Warschau, Moskau, Kiew und Minsk sowie im Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds Beträge von insgesamt 1,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt, die auch ehemaligen Zwangsarbeitern zugute kommen sollten. In den vergangenen Jahrzehnten war es der Staat, der sich zu seiner historischen Verantwortung gegenüber den Opfern der NS-Tyrannei bekannte. Nur einige wenige private Wirtschaftsunternehmen, die im Dritten Reich Zwangsarbeiter beschäftigten, bekannten sich bislang auf Grund ihrer Firmengeschichte zu einer eigenen historisch begründeten humanitären Verantwortung gegenüber den Opfern und waren bereit, sie für die erzwungene Arbeitsleistung zumindest teilweise zu entschädigen. Wir begrüßen daher ausdrücklich das Engagement derjenigen Unternehmen, die sich zur Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zusammengeschlossen haben. Wir unterstützen ihre Bemühungen, durch eigene Zahlungen und durch die Aufforderung an andere Firmen, sich ebenfalls mit einem angemessenen Betrag zu beteiligen, dafür zu sorgen, daß ein sowohl für die deutsche Wirtschaft als auch für die Bundesrepublik insgesamt schwieriges Problem im Interesse der Betroffenen, das heißt der überlebenden Zwangsarbeiter, rasch, fair und möglichst unbürokratisch gelöst wird. ({2}) Gelegentlich wird der Wirtschaft entgegengehalten, ihr Engagement sei eher eigennützig als moralisch motiviert, denn es ginge ihr in erster Linie um die Wahrung von Exportchancen, nicht um die Wiedergutmachung von Unrecht. ({3}) Zwar kann niemand ernsthaft bestreiten, daß bei diesem Thema Moral und Geschäft nahe beieinander liegen. Dennoch sollte zumindest anerkannt werden, daß sich führende deutsche Unternehmen in den letzten Monaten im Zuge der Verhandlungen ausdrücklich zu ihrer historischen Verantwortung bekannt haben und daß sie jenseits aller rechtlichen Erwägungen bereit sind, erhebliche Beträge für ehemalige Zwangsarbeiter bereitzustellen. Diese Leistungen sollen auch jenen zugute kommen, die in Firmen arbeiten mußten, die zum Teil schon seit Jahrzehnten nicht mehr existieren, so daß eine klageweise Geltendmachung von Zahlungsansprüchen schon aus diesem einen Grunde völlig aussichtslos wäre. Bedrückend ist jedoch, daß sich bislang noch nicht einmal zehn Prozent derjenigen Unternehmen, die im Dritten Reich Zwangsarbeiter beschäftigten, an dieser Stiftungsinitiative beteiligen. ({4}) Dies muß vor allen Dingen für diejenigen enttäuschend sein, die sich als Gründungsmitglieder in der Stiftungsinitiative zusammengeschlossen haben. Jene Unternehmen, die sich bisher standhaft geweigert haben, sich zu beteiligen, müssen sich schon die Mühe machen, die Frage zu beantworten, warum sie im Gegensatz zu anderen Unternehmen weder die historische noch die humanitäre Verantwortung spüren, am Ende des Jahrhunderts den überlebenden Opfern auf dem Wege einer freiwilligen humanitären Geste zumindest eine geringe Entschädigung für das erlittene Leid zukommen zu lassen. ({5}) Vornehme Zurückhaltung kann manchmal sinnvoll oder gar notwendig sein. Hier ist sie völlig deplaziert. Die Haltung „Einer trage des anderen Last, man muß nur sehen, daß man der andere ist“ sollte so rasch als möglich im Interesse des Ansehens der deutschen Wirtschaft und unseres Landes insgesamt aufgegeben werden. Diejenigen Firmen, die in den vergangenen Jahren in Deckung gegangen sind, können doch nicht ernsthaft erwarten, daß nur wenige Unternehmen die Verantwortung und die finanziellen Lasten dafür tragen, daß auch allen anderen durch die beabsichtigte Vereinbarung Rechtssicherheit und dauerhafter Schutz vor Klagen garantiert werden. In den Verhandlungen konzentriert man sich derzeit auf die Rechtssicherheit in den USA. Das ist wichtig, dürfte aber alleine nicht genügen. Für den Fall einer Einigung müßte es Rechtsfrieden und den Schutz vor weiterer gerichtlicher Inanspruchnahme auch in der Bundesrepublik Deutschland geben. Bis vor wenigen Monaten hat sich die Bundesregierung darauf beschränkt, entspannt zurückgelehnt die Aktivitäten der deutschen Wirtschaft, wie es so schön hieß, politisch zu begleiten. Erst nachdem ihr klar geworden war, daß die Stiftungsinitiative ohne eine angemessene finanzielle Beteiligung des Bundes zu scheitern drohe, erklärte man sich bereit, zunächst 2 Milliarden DM zuzusagen, die mittlerweile auf 3 Milliarden DM aufgestockt wurden. Die Höhe des Gesamtangebotes von zunächst 6 und derzeit 8 Milliarden DM ist von verschiedenen Seiten, auch von Teilen der deutschen Presse, mehr oder weniger heftig als viel zu niedrig kritisiert, teilweise sogar als unwürdig bezeichnet worden. Vergleicht man dieses Angebot mit den Forderungen der amerikanischen Anwälte, so erscheint es in der Tat als niedrig. Auf der anderen Seite sollte aber bei aller Kritik an der Höhe des Angebotes auch darauf hingewiesen werden dürfen, daß manche Forderungen derart überzogen sind, daß nicht ernsthaft erwartet werden kann, daß eine Einigung in der Nähe der Forderungen zu erzielen sein wird. Es ist nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht von Anwälten, die Interessen der Mandantschaft zu vertreten. Das ist nicht zu kritisieren. Aber diejenigen, die mit harten Worten mit der Fortsetzung einer öffentlichen Druck- und Drohkampagne gegen deutsche Unternehmen oder mit öffentlichen Boykottkampagnen gegen Produkte aus Deutschland drohen, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie mit einer derartigen Vorgehensweise tatsächlich die Interessen der Opfer vertreten oder ob sie nicht Gefahr laufen, durch derartige Methoden die ohnehin schon langwierigen und schwierigen Verhandlungen zum Scheitern zu bringen. ({6}) Die unausgesprochene Botschaft derartiger Anzeigen kann nur lauten: Man muß die Bundesrepublik Deutschland oder - wie in dem Beispiel, das ich hier gerade vor mir habe - ein ganz bestimmtes Industrieunternehmen öffentlich und heftig an die Greueltaten der Nazizeit erinnern, und schon werden sie kurze Zeit später bereit sein, viel mehr Geld auszugeben als bislang angeboten. ({7}) Warum hier eine Firma angegriffen wird, die bereit ist, zu zahlen, und nicht eine Firma, die in Deckung geht, ist ohnehin nicht erklärbar. ({8}) Derartige Vorgehensweisen dürfen schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sich die Methoden zukünftig jederzeit wiederholen könnten - mit unabsehbaren Folgen nicht nur finanzieller Art, sondern auch für das Verhältnis unseres Landes zu den Vereinigten Staaten und anderen Ländern. Gelegentlich hat man bei der Lektüre von Berichten und bei einigen Kommentaren zum Stand der Verhandlungen den Eindruck, als beginne man in der Bundesrepublik erst heute, 54 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, mit Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts und als sei es höchste Zeit, endlich Entschädigung zu leisten. Nur ganz vereinzelt wurde in den letzten Monaten darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik bereits in den vergangenen Jahrzehnten über 104 Milliarden DM Wiedergutmachungsleistungen erbracht hat und auch zukünftig nach jetzt schon geltendem Recht noch weit über 20 Milliarden DM zu zahlen haben wird. Es muß erlaubt sein, im Deutschen Bundestag einmal darauf hinzuweisen, daß sich unser Land in den vergangenen Jahrzehnten, wenn auch manchmal quälend, redlich und ernsthaft darum bemüht hat, das dunkelste Kapitel der Geschichte nicht zu verdrängen oder gar zu vergessen, sondern aufzuarbeiten und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Wir haben stets den Worten Taten folgen lassen. ({9}) Die Verhandlungspartner der Stiftungsinitiative haben bis Anfang Dezember Zeit, sich zu dem neuen Angebot zu äußern. Die Wirtschaft hat verkündet, daß sie ihren Beitrag von bislang 5 Milliarden DM unter keinen Umständen erhöhen werde. Im Klartext: Sollte das Angebot von insgesamt 8 Milliarden DM nicht akzeptiert werden, wird wohl erwartet, daß der deutsche Steuerzahler die Differenz zwischen diesem Betrag und den Forderungen der Verhandlungspartner schließt. Ich bin dem Kollegen Wiefelspütz, der heute leider nicht hier ist, dankbar, daß er klargestellt hat, daß es ja wohl nicht sein kann, daß der Beitrag des Bundes - mit anderen Worten: der Beitrag des deutschen Steuerzahlers - bei einer Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft größer ist als der eigene Beitrag der Unternehmen. ({10}) Das ist aber bei genauer Betrachtung schon jetzt der Fall. Da die Beträge steuerlich absetzbar sind - was ich nur feststelle und nicht kritisiere; das war die Geschäftsgrundlage für das Engagement -, haben wir schon jetzt eine Relation von 2,5 zu 5,5 Milliarden DM zu Lasten der öffentlichen Hände. Sollte sich der Direktanteil des Bundes weiter erhöhen, würde sich diese Relation weiter zu Lasten des deutschen Steuerzahlers verschieben. Vermutlich vertrauen diejenigen Unternehmen, die bislang so tun, als ginge sie die ganze Angelegenheit nichts an, darauf, daß der Steuerzahler für sie schon einspringen wird. Das sind die gleichen Unternehmen, die uns am Tag darauf auffordern, doch vorsichtiger mit dem Geld des Steuerzahlers umzugehen. ({11}) Viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger haben die Verhandlungen in den vergangenen Monaten mit großem Interesse verfolgt, insbesondere jene, die selber verschleppt, gequält und unter grausamen Bedingungen in Rußland oder in anderen Staaten Zwangsarbeit verrichten mußten. Vermutlich entspricht es nicht der sogenannten political correctness, wenn auch einmal an deren Schicksal erinnert wird. Es geht hierbei nicht um Aufrechnung. Es geht auch nicht darum, den Eindruck zu vermitteln, als habe es hüben und drüben in gleicher Weise Unrecht gegeben und man sei quitt, so daß ein Schlußstrich gezogen werden könne. Das wäre in jeder Hinsicht töricht. Aber es muß erlaubt sein, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß auch viele Deutsche Opfer von Ausbeutung unter unmenschlichen Bedingungen waren. Diese Überlebenden werden nicht eine finanzielle Entschädigung erwarten oder gar einklagen. Aber zumindest auf eine humanitäre Geste haben sie am Ende dieses Jahrhunderts ebenso ein Recht wie auch alle anderen Opfer von Unmenschlichkeit und Tyrannei. ({12}) Wir danken Herrn Bundesminister a.D. Dr. Otto Graf Lambsdorff ausdrücklich dafür, daß er in einer schwierigen Phase von schwierigen Verhandlungen im Interesse unseres Landes Verantwortung übernommen hat. Wir danken ihm für sein unermüdliches Engagement, das sich wohltuend von dem Treiben seines Vorgängers Bodo Hombach unterscheidet. Wir hoffen, daß seine Bemühungen, insbesondere im Interesse der noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, erfolgreich sein werden. Danke für Ihr Zuhören. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich der Abgeordneten Ulla Jelpke das Wort. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das hätten Sie sich sparen können, Herr Kollege. Herr Kollege Bosbach, Sie haben gesagt, der PDSAntrag sei unseriös und gehe, wenn man alles zusammenfaßt, weit über das hinaus, was die Anwälte in Washington und in Bonn gefordert haben. Sie wissen genau, daß die Anwälte zunächst mit 38 Milliarden DM angefangen haben. Auch wissen Sie, daß heute die Forderung der Anwälte heißt: weit über 10 Milliarden DM. Wenn wir unseren Antrag noch einmal zur Grundlage nehmen, dann würden wir tatsächlich auf mindestens 15 Milliarden DM für die Betroffenen kommen, wenn man pro Kopf 10 000 DM Entschädigung voraussetzt. Ich meine aber, daß es nicht alleine das sein kann, wenn wir darüber diskutieren, ob der Antrag nun unseriös ist oder nicht. Es gibt das Gutachten von Thomas Kuczynski, das übrigens im Beisein der Anwälte in der vergangenen Woche hier vorgetragen wurde. Thomas Kuczynski hat ganz sachlich vorgerechnet, was die Industrie mindestens an den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern - zwischen 10 und 15 Millionen Menschen - verdient hat. Wenn man die damaligen Löhne in Reichsmark zur Grundlage nimmt, dann hat er errechnet, daß etwa 180 Milliarden DM an Gewinn durch diese Zwangsarbeit erwirtschaftet wurde. Das muß man wenigstens einmal zur Kenntnis nehmen. Darüber hinaus möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es in diesen Tagen eine Anfrage von uns geben wird, die Sie lesen sollten. Dort werden 2 000 Firmen aufgezählt, die noch existieren und belangt werden könnten. Ich meine, Sie haben hier sehr richtige Dinge gesagt, was das Verhältnis zwischen Industrie und deutschem Steuerzahler bei der Entschädigung angeht. Ich stimme Ihnen da voll zu, bin aber der Meinung, daß wir gemeinsam viel mehr Druck auf die deutsche Industrie machen müssen, daß eben mindestens diese 15 Milliarden DM zustande kommen, um den Mindestbetrag von 10 000 DM für jeden einzelnen Betroffenen zahlen zu können. Ich bin außerdem der Meinung, daß man eigentlich denjenigen Firmen, die sich nicht beteiligen, keineswegs eine Rechtsschutzgarantie geben dürfte. ({0}) Das heißt, daß sie weiterhin verklagt werden können. Das wäre wohl das mindeste. Ansonsten, Herr Bosbach, weiß ich, daß Sie es nicht ernst gemeint haben - es ist ein bißchen propagandistisch -, wenn Sie unseren Antrag hier in diese Ecke stellen. Wichtig ist uns, daß die Zahlungen möglichst schnell getätigt werden; denn mindestens 10 Prozent der Opfer sterben pro Jahr. Es muß unsere Aufgabe sein, schnell zu einer Entschädigung zu kommen. Danke. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Erwiderung hat jetzt der Kollege Bosbach das Wort.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Jelpke, in aller Kürze: Sie sehen, ich habe den Antrag nicht, weil er von der PDS kommt, mit spitzen Fingern angefaßt, sondern Zeile für Zeile gelesen. Wenn Sie das ernst nehmen, was Sie selber geschrieben haben oder haben schreiben lassen, dann stimmt das mit den 15 Milliarden DM nicht. Die 15 Milliarden DM ergeben sich aus den auch vom Fraktionsvorsitzenden genannten 1,5 Millionen Menschen. Wir alle wissen nicht, ob tausend rauf oder runter. Diese Zahl, multipliziert mit 10 000 DM, ergibt nun einmal 15 Milliarden DM. Sie können Politik gegen die CDU oder die SPD machen, aber nicht gegen die Mathematik. Es ergibt 15 Milliarden DM. ({0}) Hinzu kommt, daß weitere 600 DM „für jeden über ein Jahr hinausgehenden Monat geleisteter Zwangsarbeit“ gezahlt werden sollen. Nach den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen ist das ein Betrag weit jenseits von 30 Milliarden DM. Ich habe vorhin gesagt, daß Sie natürlich solche Anträge stellen können. Aber wenn noch nicht einmal nebulös angedeutet wird, woher das Geld kommen soll, dann muß ich sagen - ich drücke es einmal vornehm aus -, daß das kein seriöses Vorgehen ist. ({1}) Ganz schlimm wird es aber, wenn man gegenüber den Opfern und den Opferverbänden vortäuscht, als seien dies Leistungen, die realistischerweise erbracht werden könnten, und als ob man als Opfer diese Leistungen erwarten könnte. Dies ist in jeder Hinsicht unseriös. Wir sollten uns hüten, Hoffnungen zu wecken, die wir niemals werden erfüllen können. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun gebe ich der Kollegin Annelie Buntenbach das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist gut, daß das Parlament heute über die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter spricht. ({0}) Für uns ist das ein zentrales Anliegen, für das wir uns schon seit vielen Jahren einsetzen. Den Antrag der PDS, der Anlaß für die heutige Diskussion ist, halten wir allerdings in der vorliegenden Form nicht für geeignet, das Problem zu lösen. Im einzelnen können und werden wir darüber sicherlich im Ausschuß sprechen. Ich hoffe allerdings, daß die praktische Entwicklung den Antrag dann schon überholt hat, ({1}) weil wir einen Schritt weiter auf dem Weg zu einer Bundesstiftung vorangekommen sind. ({2}) Wir haben dafür Sorge getragen, daß das Versprechen einer Bundesstiftung in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen worden ist. Wir sind froh darüber, dafür endlich die Unterstützung bei allen Fraktionen des Parlaments zu finden. Unser Ziel ist es, für die Opfer nach all den Jahren von Ignoranz und Entwürdigung endlich eine spürbare Entschädigung zu erreichen, wohl wissend, daß es eine Wiedergutmachung der verlorenen Jahre, des Schmerzes sowie der seelischen und körperlichen Schäden nicht geben kann. Gerade bei dieser Diskussion müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen, um welches Ausmaß von Verbrechen es eigentlich geht: Rund 10 Millionen Menschen wurden während des zweiten Weltkriegs vom Deutschen Reich zur Zwangsarbeit herangezogen. Viele Unternehmen haben zur Aufrechterhaltung ihrer Produktion Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter von staatlichen Stellen angefordert und gezielt ausgesucht. Schätzungsweise jeder dritte Arbeitsplatz wurde von einem Zwangsarbeiter besetzt. Viele Zwangsarbeiter wurden aus der Heimat, insbesondere aus Osteuropa, unter Androhung von Gewalt verschleppt. Sie waren in bewachten Barackenlagern untergebracht. Unterkunft, Ernährung, Kleidung und medizinische Versorgung waren ungenügend. Gewalt im Lager und Schikanen am Arbeitsplatz gehörten zu ihrem Alltag. Besonders dramatisch war die Situation für KZHäftlinge und jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die quasi im Schatten der Vernichtung gearbeitet haben. Die durch die Haftbedingungen entkräfteten Menschen mußten schwere Arbeiten verrichten; ihre Lebenserwartung betrug oftmals nur wenige Monate. Es kann also allein um eine spürbare Geste gegenüber den Opfern gehen. Der einzig konkrete Weg dazu ist das Modell einer Bundesstiftung als Solidarlösung. ({3}) Eine Lösung, die allein denjenigen zugute käme, die bei heute zahlungswilligen Firmen beschäftigt waren, schließt viel zu viele aus. Auch jahrelange Prozesse, deren Ende viele der Betroffenen nicht mehr erleben würden, können nicht im Interesse der Opfer sein, auch wenn wir - im Gegensatz zu in Teilen der Bundesregierung weiter vorherrschender Meinung - nach wie vor davon ausgehen, daß es berechtigte Ansprüche und daß es auch Rechtsansprüche der Opfer gibt. Deswegen haben wir vehementes Interesse an dem Erfolg der laufenden Verhandlungen und sind froh über den Durchbruch, der in Bonn im November erzielt worden ist, nachdem man jetzt endlich über einen gemeinsamen finanziellen Rahmen redet. Ich möchte von hier aus allen, die ihren Anteil an einer würdevollen Lösung haben, herzlich danken. Das Projekt kann immer noch scheitern; aber gerade im Interesse der Opfer darf es nicht scheitern. ({4}) Unsere Fraktion hat zu den Verfolgtenverbänden in Ost und West seit Jahren intensive Kontakte. Mit zahlreichen Gesprächen auch am Rande der Verhandlungen haben wir versucht, unseren Teil zu einem Erfolg beizutragen. Gerade vor diesem Hintergrund will ich deutlich aussprechen, was noch getan werden muß, damit eine wirklich würdevolle Entschädigung zustande kommt. Erstens. Wir können der Industrie, gerade den bislang abseits stehenden Firmen, nicht durchgehen lassen, daß nun der Steuerzahler überproportional für alles haftet, was zum Verantwortungsbereich der Industrie gehört. ({5}) Die Industrie hat von der Zwangsarbeit erheblich profitiert; sie ist zu diesem Profit nicht gezwungen worden. ({6}) Wenn Firmen wie Daimler-Chrysler zu über 200 Milliarden DM fusionieren und die englische Telefongesellschaft Vodafone für die deutsche Firma Mannesmann 242 Milliarden DM zahlen will, ist kaum zu glauben, daß es der gesamten deutschen Wirtschaft nicht gelingen soll, mehr als 5 Milliarden DM zusammenzubringen. Dieses Armutszeugnis werden wir ihr auch nicht ausstellen. ({7}) Auch die Kommunen und der Bauernverband sind gefragt. Ich muß mich ehrlich fragen: Warum sollen überhaupt gerade die Firmen Rechtssicherheit bekommen, die sich weigern, in die Bundesstiftung einzuzahlen? ({8}) Die Industrie ist im Gegensatz zum ersten Anschein ohnehin in einer komfortablen Lage. Selbst bei einer hälftigen Beteiligung am Stiftungsfonds kann sie ihren Beitrag teilweise bis zu 50 Prozent steuerlich absetzen. Bei einem möglichen Stiftungsvolumen von 10 Milliarden DM würde de facto der Steuerzahler bis zu 7,5 Milliarden DM zahlen, die Industrie vielleicht nur 2,5 Milliarden DM. Aus diesem Grund muß die Politik ihr Hauptaugenmerk darauf richten, daß mehr Firmen in den Fonds einzahlen und der Finanzierungsanteil der Industrie noch deutlich erhöht wird. Der zweite Punkt: Eine würdevolle und für die Beteiligten akzeptable Lösung kann nur zustande kommen, wenn alle Gruppen, die auf Grund ihres Verfolgungsschicksals einen Anspruch darauf haben, auch einbezogen werden. Über die Höhe der Entschädigungsbeträge für die verschiedenen Gruppen kann und muß man sicherlich reden. Aber wir wollen auch deutlich sagen: Es muß auch eine Lösung für die in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeiter gerade aus Polen und der Ukraine geben. ({9}) Damit komme ich zum dritten und letzten Punkt: Die Debatte des letzten Jahres hat oftmals vergessen lassen, daß es nicht nur um Geld, sondern auch um die Würde der Opfer geht. Nicht das Schachern um einzelne Geldbeträge, sondern eine würdevolle Behandlung der bislang vergessenen Opfer ist die Leitlinie, wenn die Bundesstiftung auch zu einer würdevollen Befriedung über die Erbschaft des Nationalsozialismus beitragen soll. Es wird vor allem die Aufgabe der Politik, des Deutschen Bundestages, sein, den Opfern auch ihre Würde wiederzugeben. Einen Schlußstrich unter die gesamte Geschichte des NS-Regimes wird es und kann es auch nicht geben. Aber zu einer würdevollen Lösung für die Opfer am Ende ihres Lebens müssen der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft bereit sein. Ich hoffe, daß das Projekt deshalb mit diesen Vorzeichen noch in diesem Jahr einen guten Abschluß findet. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.Fraktion spricht der Kollege Dr. Max Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß die Debatte in dieser sensiblen Frage in der Vergangenheit allzusehr oder gar ausschließlich unter juristischen Aspekten geführt worden ist. Seit ich im Bundestag bin, waren es eigentlich immer nur einzelne Kolleginnen und Kollegen, die sich - bei dem bekannten Rechtsstandpunkt, daß solche Ansprüche rein juristisch nicht bestünden - gleichwohl dieses Themas in besonderer Weise angenommen und immer wieder versucht haben, dafür zu sorgen, daß die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eine - angemessene Entschädigung mag man gar nicht sagen - symbolische Geldleistung erhalten. Auch wenn man bei der Aufzählung Einzelner immer Gefahr läuft, anderen Unrecht zu tun: Ich habe im Innenausschuß erlebt, daß sich dort mein früherer Fraktionskollege Burkhard Hirsch, für die Fraktion der Grünen Volker Beck und in ganz besonderer Weise auch Herr Kollege Stiegler, das will ich der Fairneß halber hier ausdrücklich erwähnen - unsere Kollegin Ulla Jelpke des Themas angenommen haben. Es ist erfreulich, daß heute in dieser Plenardebatte alle Fraktionen zum Ausdruck gebracht haben, daß sie wünschen, daß die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft nun zu einem Erfolg führt. Wir sind damit nämlich den entscheidenden Schritt über die rein juristische Betrachtungsweise früherer Legislaturperioden hinausgegangen. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion jedenfalls unterstützt nachhaltig die intensiven Bemühungen von Otto Graf Lambsdorff als den Beauftragten der Bundesregierung, endlich eine Vereinbarung über diese Zahlungen für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu erzielen. Diese Verhandlungen waren zu Beginn des Jahres vom damaligen Kanzleramtsminister Bodo Hombach nicht mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl geführt worden. ({0}) Sie sind daher leider monatelang nicht vorangekommen. ({1}) Durch den hohen persönlichen Einsatz von Otto Graf Lambsdorff besteht nun die leise Hoffnung, vielleicht doch in der nächsten Verhandlungsrunde im Dezember, also noch im Jahr 1999, Einigkeit über die Höhe der Entschädigungssumme und über die wesentlichen Modalitäten zu erzielen. Dabei ist meiner Meinung nach der Streit müßig, ob die Betroffenen Rechtsansprüche geltend machen können oder ob weiterhin der Rechtsstandpunkt der Bundesregierung gilt, daß solche Ansprüche nicht bestehen. Jedenfalls besteht eine moralische Pflicht für die deutsche Industrie und für die Bundesrepublik Deutschland, an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter jetzt endlich diese Geldbeträge zu leisten. ({2}) Aus diesem Grunde verdient die Stiftungsinitiative der deutschen Industrie Anerkennung. Wenn hier Kritik geübt wird, dann ist die Situation ähnlich wie in der Kirche, wo der Pfarrer den ohnehin Gläubigen predigt. Diejenigen, die sich daran beteiligen, nehme ich von der Kritik aus. Aber es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, daß sich von über 2 000 Unternehmen, die in der NSZeit Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt haben, bisher nur ein ganz geringer Teil der Stiftungsinitiative angeschlossen hat. ({3}) Das ist beschämend und unverständlich. Das böse Wort von den „Trittbrettfahrern“ ist in diesem Zusammenhang leider berechtigt, genauso wie die massive Kritik berechtigt ist, die von außerhalb des Parlaments geübt worden ist, etwa von Michel Friedman oder von HansJochen Vogel. Man fragt sich auch, warum denn die Wirtschaftsverbände und ihre Vorsitzenden im Laufe der Debatte ihre Stimme nicht kräftiger erhoben haben. Denn Zwangsmittel - wenn man die Rechtskraft auf alle erstreckt, was die Bundesregierung in den Verhandlungen ausdrücklich gewünscht hat - stehen dem Parlament ebensowenig wie den Initiatoren der Stiftungsinitiative zur Verfügung. Daher wäre ein größeres Eigenengagement auch der Wirtschaftsverbände sehr wünschenswert gewesen. ({4}) Im Laufe der Verhandlungen der letzten Monate ist von allen Seiten immerhin ein Aspekt sehr positiv gewürdigt worden, nämlich die Tatsache, daß der Deutsche Bundestag bei diesen Verhandlungen jeweils mit einer Delegation vertreten war, die aus Mitgliedern aller Fraktionen bestanden hat. Dadurch hat das Parlament zum Ausdruck gebracht, daß es sich seiner hohen Verantwortung bewußt ist, diese Entschädigungsleistungen nunmehr endlich durchzusetzen. Die F.D.P.-Fraktion wird daher nach - hoffentlich baldigem - Abschluß der Verhandlungen an einer zügigen Beratung und Verabschiedung des Stiftungsgesetzes mitwirken. Übrigens verstehe ich nicht, Herr Kollege Stiegler, warum das Stiftungsgesetz nicht schon jetzt eingebracht wird. Denn die Struktur, die dort festzulegen ist, ist bereits jetzt den Grundzügen nach bekannt. Unabhängig von den Entschädigungssummen, die am Ende ausgehandelt werden, könnten wir eigentlich schon jetzt mit der Beratung dieses Stiftungsgesetzes beginnen. ({5}) Wenn es dazu kommt - dies ist mein letzter Punkt -, dann wäre es, so glaube ich, ein angemessenes Zeichen nach außen, wenn der Deutsche Bundestag am Ende in dieser Frage zu einer einmütigen Entscheidung kommen würde. Denn wir wissen alle, daß hier im Haus - etwa von dem Kollegen Bosbach, der für die Union gesprochen hat - auf der einen Seite noch Überzeugungsarbeit geleistet werden muß, damit das akzeptiert wird, was jetzt Stand der Verhandlungen ist. Wir sehen anhand des Antrages, der heute Anlaß der Debatte war, daß es auf der anderen Seite viel weitergehendere Vorstellungen gibt. Es wäre aber für die Wirkung nach außen am Ende sehr wichtig, daß wir in dieser Frage Parteitaktik hintanstellen ({6}) und zu einer einstimmigen Entscheidung kommen. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/1694 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Ende unserer Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen und auch unseren Gästen auf der Tribüne des Deutschen Bundestages ein schönes Wochenende. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 1. Dezember 1999, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.