Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/24/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Sitzung ist eröff- net. Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Punkt I - fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2000 ({0}) - Drucksachen 14/1400, 14/1680 ({1}) b) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1999 bis 2003 - Drucksachen 14/1401, 14/1680, 14/1925 Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Hans Georg Wagner Oswald Metzger Dr. Christa Luft Ich rufe auf: Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt - Drucksachen 14/1904, 14/1922 Berichterstattung: Abgeordnete Adolf Roth ({3}) Manfred Hampel Antje Hermenau Oswald Metzger Dankward Buwitt Steffen Kampeter Dr. Günter Rexrodt Dr. Uwe-Jens Rössel Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und der Fraktion der PDS vor. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Einzelplan namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollege Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion. ({4})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am letzten Wochenende haben sich in Florenz die Führer der europäischen Linksregierungen - Tony Blair, Massimo D´Alema, Lionel Jospin und Gerhard Schröder - mit Bill Clinton getroffen: ({0}) Vorabmeldungen über dieses Treffen haben ein ganz beschauliches Bild gezeichnet: Gerhard Schröder mit seiner internationalen Toskana-Fraktion auf der Suche nach dem dritten Weg. ({1}) Mit Quellen der Inspiration - Sie sollten da auch einmal hingehen - ist die Region Florenz ja bekanntlich reich gesegnet: von Machiavelli bis Chianti, nur Brioni liegt weiter südlich. ({2}) Herr Bundeskanzler, es ist schon auffällig, wie wenig nach dem Florenzer Treffen von Ihren Thesen zur Erneuerung der europäischen Sozialdemokratie zu hören und zu lesen war, die Sie zusammen mit dem britischen Premier Tony Blair haben verfassen lassen. Der Verfasser auf deutscher Seite hieß damals Hombach. Das In6506 teresse an den dort zusammengefaßten Sprechblasen scheint zumindest Presseberichten zufolge gering gewesen zu sein. Vor allen Dingen war Ihre eigene Sorge zu groß, die Genossen könnten Ihnen diese Thesen noch einmal übelnehmen. Es steht ein SPD-Parteitag an, auf dem die Genossinnen und Genossen die Möglichkeit haben, Noten und Quittungen zu verteilen. Es ist ganz klar: Es reicht nicht aus, den Begriff „neue Mitte“ breitzutreten, um die Wählerschaft der SPD zu vergrößern. Es reicht nicht aus, sich den Deckmantel der Modernität umzuhängen, um die SPD mit der Realität zu versöhnen. Die eigentliche Aufgabe wäre ja die Versöhnung der SPD mit der Realität in der Welt. ({3}) Da haben Sie noch sehr viel vor sich. Ich wünsche Ihnen dabei, nachdem die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag so sind, wie sie sind, im Interesse unseres Landes viel Erfolg. ({4}) Vor allem reicht es nicht aus, immer wieder die Schlachten von gestern zu schlagen. ({5}) Sie müssen konkret werden. Der Hinweis auf dieses Buch, das Herr Hombach geschrieben hat, reicht nicht. ({6}) Auch nebulöse Ankündigungen reichen nicht. Deutschland braucht eine klare, verläßliche marktwirtschaftliche Politik erhardscher Prägung. Daran hapert es in Deutschland seit einem Jahr, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({7}) Wissen Sie, wie der dritte Weg, der in Florenz eingeschlagen worden ist, aussieht? Man hat offensichtlich nicht miteinander, sondern mit Hilfe von Zeitungen übereinander geredet. Das wird beispielsweise durch das belegt, was der „Independent“ an Kritik von Tony Blair an Ihrer Haltung zu Mannesmann/Vodafone geschrieben hat. Herr Bundeskanzler, ich sage es vorneweg, damit kein Zweifel entsteht - man weiß ja, daß sehr rasch gefälscht wird -: Unser aller Bestreben geht dahin, möglichst vielen Mitarbeitern von Mannesmann auch in Zukunft sichere Arbeitsplätze zu garantieren. Das geht aber immer nur dann, wenn Unternehmungen erfolgreich sind. Wir wissen auch, daß der Mannesmann-Konzern plant, den größten Teil der Arbeitsplätze im Montanund Maschinenbaubereich abzuspalten und in eine eigene Gesellschaft einzubringen, die dann entweder direkt an die Börse geht oder an andere Gesellschaften verkauft wird oder mit anderen großen Gesellschaften kooperiert. Deshalb gilt unsere allererste Sorge natürlich den Arbeitsplätzen außerhalb des Telekommunikationsbereichs. Der Telekommunikationsbereich ist von der Sache her heute global und international verflochten. Deswegen interessiert mich, Herr Bundeskanzler Sie haben hinterher Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen -, ob Sie bei solchen Gelegenheiten zu Tony Blair dasselbe wie zu den Betriebsräten sagen. ({8}) Sagen Sie bitte auch etwas dazu, wie wünschenswert Investitionen bei uns im Land sind. Sagen Sie dann auch noch, wie Sie es mit Kapitalinvestitionen bei uns im Lande halten. Ich sage hier ganz klar: Die letztendlich wirksamste Form, darüber mitzubestimmen, was Eigentümer tun - bei dieser Entscheidungsfindung zielt man direkt auf die Eigentümer dieser Konzerne ab -, ist, möglichst viel Investivkapital in Arbeitnehmerhand zu haben. Das ist bisher insbesondere von der IG Metall immer blockiert worden, weil man nie den wirklich selbständigen Arbeitnehmer wollte. ({9}) - Sie können das hinterher klarstellen. ({10}) Wir brauchen tiefgreifende Reformen dringender denn je in Deutschland. Statt dessen herrschen bei uns Stillstand, Rückschritt und Chaos. Was bedeutet ein Jahr Schröder? Ich will es Ihnen gern aufzählen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Das heißt Stillstand am Arbeitsmarkt, das heißt Stillstand bei der Steuerreform, das heißt Stillstand bei der Rentenreform - dazu komme ich noch -, ({11}) das heißt Rückschritt in der Energiepolitik, das heißt Rückschritte in der Arbeitsmarktflexibilisierung, das heißt Chaos bei den 630-DM-Jobs, und das heißt Chaos bei der Gesundheitsreform. ({12}) Seit einem Jahr leidet Deutschland unter einem „ChaCha-Cha-Kanzler“, wie es Helmut Herles im „GeneralAnzeiger“ geschrieben hat. „Cha-Cha-Cha“ bedeutet einen chaotischen Schritt nach vorn, dann einen Nachbesserungsschritt nach hinten, schließlich drei Schritte rotgrüner Kakophonie auf der Stelle. ({13}) Man kommt damit aber nicht vorwärts im Land. Das ist unser eigentliches Problem. Wenn man die rotgrünen Dissonanzen auf sich wirken läßt, fällt einem das Bild von den Bremer Stadtmusikanten ein. Die Bremer Stadtmusikanten sind dagegen ein Kammerorchester, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({14}) Notwendige Reformen werden nicht angepackt, Bewährtes wird sachfremd und systemwidrig verändert. Das beste Beispiel dafür ist die Rentenversicherung. Erst hatten Sie den Menschen vorgegaukelt, es gehe ohne schmerzhafte Eingriffe. Dann setzten Sie willkürlich die Rentenformel aus; Sie taten es angeblich, um den Staatshaushalt zu sanieren. Mit den unseriösen Versprechungen, nach zwei Jahren wieder zur nettolohnbezogenen Rente zurückzukehren, haben Sie immer noch nicht die Glaubwürdigkeit bei den Menschen gefunden, weil Ihre Versprechungen, Herr Bundeskanzler, eine sehr kurze Halbwertszeit haben. ({15}) Ich habe in meiner Kindheit den Spruch gelernt: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ ({16}) Das eigentliche Problem ist Ihre Glaubwürdigkeit, Herr Bundeskanzler. ({17}) - Wenn es wieder ruhig ist, bin ich gerne bereit weiterzureden. Bei Ihrem Geschrei fallen mir noch andere Kinderreime ein. Zum Beispiel: Getroffener Hund bellt. ({18}) Bei der Rente ist es noch viel schlimmer. Hier betätigt sich auch noch Herr Zwickel und singt irgendwelche Sirenengesänge für eine Rente mit 60. Bei Zwickel und Sirenengesängen fällt mir allerdings nicht das Bild von Odysseus ein, sondern da fallen mir nur Feuerwehrsirenen ein. Auch die Riestersche Rentenpolitik haben Sie, Herr Bundeskanzler, zu verantworten. Sie bestimmen die Richtlinien der Politik und können sich nicht dauernd hinter anderen verschanzen. Diese Rentenpolitik ist keine Rentenpolitik mit einer demographischen Komponente, sie ist eine Rentenpolitik mit ausschließlich demagogischer Komponente, meine Damen und Herren. ({19}) In diesem Urteil weiß ich mich mit dem Sachverständigenrat einig, der sagt: Das ist reine Umfinanzierung; das hat nichts mit Rentenreform zu tun. Dafür hat diese Bundesregierung nach wie vor kein schlüssiges Konzept. Wenn Sie auf der Suche danach sind, sind wir gerne bereit, Ihnen dabei zu helfen. Ich werde hierauf noch einmal zurückkommen. Das Perpetuum mobile Ihrer Rentenreform heißt Ökosteuer. Inzwischen können die Autofahrer beobachten, wie die Zahlen an der Tanksäule rasen. Die Digitalanzeigen sind das einzige, was heute noch auf deutschen Autobahnen rasen kann. ({20}) Denn auf den Autobahnen machen sich immer mehr Staus breit. Wir gehen jetzt einem Benzinpreis von 2 DM entgegen. Das tut den Leuten weh. ({21}) Benzin und Heizöl sind 30 Pfennige teurer als vor einem Jahr. Dies hat - das wissen wir auch - nur zum Teil mit der Ökosteuer zu tun. Aber Sie haben die Situation damit verschärft, und entgegen den Versprechungen des Bundeskanzlers, die Steuer werde 6 Pfennig betragen, sind für die nächsten Jahre insgesamt 30 Pfennig Steuererhöhung beschlossen worden. ({22}) Herr Bundeskanzler, Sie wollen der Autokanzler sein. Ich bin dafür: Auf jede Zapfsäule gehört ein Abziehbild von Ihnen, auf dem stehen sollte: „Autokanzler Gerhard Schröder läßt grüßen.“ ({23}) Unter Ihrer Führung preßt die Bundesregierung die Autofahrer aus wie Zitronen. ({24}) Die Autofahrer werden sicherlich auch schauen, als ob sie in eine Zitrone gebissen hätten, wenn sie sehen, was an der Tankstelle vor sich geht. Ein weiteres Beispiel für Chaos ist die Energiepolitik. Wider alle Vernunft hält die Bundesregierung am Ausstieg aus der Kernenergie fest. Drohkulissen eines gesetzlich verordneten Ausstiegs wechseln mit Harmoniebekundungen eines Ausstieges im Konsens ab. Einmal Trittin, einmal Müller, oder was? ({25}) Dies ist ein unwürdiges Schauspiel. Es ist auch ein Katzund-Maus-Spiel mit der Energiewirtschaft, wobei der Kater Jürgen heißt. Jürgen Trittin ist der Kater, der mit der deutschen Energiepolitik ein Katz-und-Maus-Spiel versucht. Die Methode, alle Szenarien auszumalen, beispielsweise nach dem Motto: „Wenn du nicht so willst, verstopfe ich dir die Abtransporte von Kernbrennstäben“, ist im Prinzip die gleiche, als wenn der Henker in einer großzügigen Geste den Delinquenten die Form seiner Hinrichtung frei wählen läßt. ({26}) - Herr Trittin lacht. Das ist sein gutes Recht. Herr Trittin, Sie oder der Bundeskanzler können nachher etwas dazu sagen. Sie arbeiten ja insgeheim an einem Ausstiegsgesetz. ({27}) Sie wollen nämlich den Ausstieg erpressen. Herr Bundeskanzler, sind Sie bereit, ein solches Gesetz einzubringen, zu unterschreiben? Sind Sie dann auch bereit, etwaige Schadenersatzansprüche aus der Bundeskasse zu regeln, also vom Steuerzahler bezahlen zu lassen? ({28}) Herr Bundeskanzler, dies ist reines Schutzgeld für Ihren grünen Koalitionspartner. Bevor Schutzgeld gezahlt wird, hat es eine Schutzgelderpressung gegeben. Das wissen wir auch. ({29}) Wie unsinnig diese Ausstiegsforderungen sind, wird einem klar, wenn man sieht, daß sich der europäische Energiemarkt immer stärker harmonisiert und daß die Stadtwerke - auch in sozialdemokratisch geführten Städten - ihren Strom heute bei belgischen und französischen Konzernen einkaufen. ({30}) Es heißt doch immer, der Strom komme aus der Steckdose, auch der Atomstrom. Aber der Atomstrom kommt dann von französischen Kernkraftwerken und solchen im Ostblock, die weniger sicher sind als deutsche. Das ist die Wahrheit. ({31}) Haben Sie in Florenz, zum Beispiel mit Jospin, einmal über die Öffnung des französischen Energiemarktes gesprochen? Es hätte sich gelohnt, das zu tun, denn nach dem jetzigen Stand können zwar die Franzosen uns Strom liefern, aber umgekehrt geht es nicht. Das sind doch die Themen, die man bei solchen Treffen besprechen muß. Herr Trittin, wenn Sie von Ausstieg sprechen, heißt das letztendlich Ausstieg aus der Wertschöpfung in Deutschland und Ausstieg aus den Arbeitsplätzen in diesem Bereich. Die Bundesregierung handelt auch in anderen Bereichen konsequent nach dem Motto: Versprochen, gebrochen. Versprochen war eine deutliche Reduzierung der Arbeitslosenzahl, statt dessen Stillstand in Deutschland. Versprochen war der Aufbau Ost in verstärktem Tempo, statt dessen steigt die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern. Versprochen war, die mittelständische Wirtschaft zu fördern, statt dessen wurden den Mittelständlern Steuererhöhungen, Ökosteuer, 630-DM-Chaos und Rücknahme wichtiger Reformen zugemutet. Versprochen war, die Finanzkraft der Kommunen zu stärken, statt dessen werden milliardenschwere Lasten auf die kommunalen Haushalte abgewälzt. Und das alles nennt Herr Eichel dann Sparen! Versprochen war, innerhalb von fünf Jahren die Investitionen für Forschung und Bildung zu verdoppeln, statt dessen werden diese Investitionen bis 2003 weit zurückgeführt; sie werden deutlich niedriger sein als 1998. ({32}) Versprochen war ein Verkehrssystem, das die flächendeckende Mobilität der Menschen gewährleistet, statt dessen werden Straßenbau- und Schieneninvestitionen bis zum Jahr 2003 um 7,5 Milliarden DM gekürzt. Der Verkehrskollaps in Deutschland ist vorprogrammiert. ({33}) Ich möchte das zum Anlaß nehmen, etwas über die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Bauwirtschaft, insbesondere des Holzmann-Konzerns, zu sagen. Die beste Methode, Bauarbeitern Arbeit zu geben, ist, Investitionen zu stärken, sowohl öffentliche als auch private Investitionen. ({34}) Unsere Sorge gilt natürlich in allererster Linie den mittelständischen Geschäftspartnern, den Zulieferern, denen, die darauf warten, daß ihre Projekte fertiggestellt werden, und vor allen Dingen allen dort Beschäftigten. Es muß jeden mit Sorge erfüllen, wenn er sieht, was dort geschieht. ({35}) Aber eines ist ganz klar: Die Kosten für Mißmanagement kann nicht der deutsche Steuerzahler pauschal übernehmen. Das würde unser System nicht vertragen. ({36}) Deswegen sind die Eigentümer dran. Die Eigentümer sind zum großen Teil große Banken. Es sind auch diejenigen mit in die Verantwortung zu bringen, die im Aufsichtsrat gesessen haben und wohl eher weniger Aufsicht und sehr wenig Rat ausgeübt haben, wenn man das Ergebnis sieht. Herr Bundeskanzler, nach Presseberichten werden Sie heute abend Ihre Bemühungen fortsetzen, eine Rettung letztendlich der Arbeitsplätze zu erreichen. Ich glaube, Sie sollten mehr auf die Arbeitsplätze als auf die Existenz eines Konzerns, und wenn er noch so traditionsreich ist, abstellen. ({37}) - Das muß kein Widerspruch sein. - Jedenfalls wünsche ich Ihnen, daß Sie bei den Bemühungen, die Roland Koch und Petra Roth begonnen haben, ({38}) mehr Autorität haben. Allerdings ist am Schluß die Frage zu stellen, warum bei dem gleichen Wollen aller konkrete Angebote und Hilfen in erster Linie von der Stadt Frankfurt gekommen sind. ({39}) Aber wie gesagt: Im Interesse der Arbeitnehmer dort gönne ich Ihnen herzlich den Erfolg. Es ist dann auch ein Erfolg des hessischen Ministerpräsidenten Koch und der Oberbürgermeisterin Petra Roth. ({40}) - Ist das so schlimm? Es ist doch beschämend, daß es Ihnen nicht in allererster Linie um die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer geht, sondern daß Sie sofort in ein billiges parteipolitisches Geheule ausbrechen, wenn man über dieses Thema spricht. ({41}) Versprochen war, die ländlichen Räume zu stärken und die Landwirtschaft in Deutschland zu sichern. Statt dessen bringt die Regierung Schröder die Bauern um 25 Prozent ihres Einkommens und die Bauern werden zu Freiwild erklärt. ({42}) Versprochen war, jedem den gleichen Anspruch auf qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zu sichern. Statt dessen bringt die rotgrüne Gesundheitsreform den Menschen Mangelverwaltung, Rationalisierung und eine Zweiklassenmedizin. ({43}) Herr Bundeskanzler, Sie kennen sicher den alten sozialistischen Kampfspruch - ich habe ihn oft um die Ohren geknallt bekommen; als Blüm und Seehofer Gesundheitsreformen durchgeführt haben, wurde dies immer als Motto herangezogen -: „Weil du arm bist, mußt du früher sterben.“ Daß das aber ausgerechnet unter Ihrer Kanzlerschaft mit Inhalt erfüllt werden soll, finde ich ein ganz starkes Stück. Es wäre gut, wenn Sie auch dazu etwas sagen würden. ({44}) Herr Bundeskanzler, Verteidigungsminister Rudolf Scharping konnten Sie nur mit der Zusage in dieses Amt locken, daß der Wehretat bis zum Abschluß der Arbeiten der Wehrstrukturkommission zur Mitte der Legislaturperiode nicht gekürzt wird. Das war die öffentlich gegebene Zusage. Sie hatten noch zu Beginn der Legislaturperiode eingeräumt: Die Bundeswehr stößt beim Sparen „mit dem Helm an die Decke“. Demnach ist bald nicht nur der Helm verbeult, sondern auch der Kopf darunter; so stark stößt das jetzt an die Decke, was Sie mit unserer Bundeswehr vorhaben. ({45}) Die Realität bei Gerhard Schröder ist folgendermaßen: bis 2003 Kürzungen von über 18 Milliarden DM im Verteidigungsbereich. Das hat zur Folge: Beim Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt fällt Deutschland innerhalb der 19 NATO-Staaten auf den 17. Platz zurück - vor Luxemburg mit seiner 1 000Mann-Armee und allerdings auch vor Island; denn die haben überhaupt keine Armee. ({46}) Wenn Sie noch Österreich in die NATO holen, kann es sein, daß Deutschland einen Platz weiter vorrückt. Denn die Situation dort in bezug auf das, was man für die Verteidigung ausgibt, ist noch schlimmer. Deswegen hat NATO-Generalsekretär Robertson recht: Wenn Deutschland als eines der größten NATOLänder ein schlechtes Beispiel gibt, dann dient das den Partnern als Vorwand, auch ihren Verteidigungsetat zu kürzen. All dies hat verheerende Folgen für die Einsatzfähigkeit des gesamten westlichen Bündnisses, insbesondere der Europäer. Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie deshalb auf: Kehren Sie beim Verteidigungshaushalt zur Finanzplanung von Helmut Kohl und Theo Waigel zurück! ({47}) - Ich verstehe diese Aufregung nicht. - Dies ist nötig, um das beschädigte Vertrauen unserer Partner, insbesondere das der USA, zurückzugewinnen. Ich hatte unlängst ein Gespräch im Pentagon. Sie sollten sich die dortigen Verantwortlichen einmal anhören. Die sagen höflich, sie wollten nicht in die deutsche Innenpolitik hineinreden, aber als Bündnispartner seien sie von tiefer Sorge darüber erfüllt, was hier vor sich gehe und was man der Bundeswehr und damit auch dem westlichen Bündnis zumuten wolle. ({48}) Wir wollen auch, daß die Beschlüsse zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein festes Fundament haben. Wir wollen verhindern, daß „Mister GASP“, Herr Solana, ein Mann ohne Geld wird. GASP heißt nicht: Geld alle, Solana pleite. ({49}) Dieses Amt muß mit Inhalt erfüllt werden. ({50}) Wir wollen unser Gewicht in der NATO nicht verspielen. Auch hier steht die Glaubwürdigkeit unseres Landes längerfristig auf dem Spiel. Ihre Verteidigungspolitik ist letztendlich so unglaubwürdig wie Ihre Außenpolitik. Auch hierzu möchte ich ein paar Kostproben bringen. Die Widersprüchlichkeit Ihrer Außenpolitik wird am allerbesten am Beispiel Türkei deutlich: Einerseits will Herr Fischer der Türkei den Status eines EU-Beitrittskandidaten einräumen; nach Presseberichten wollen Sie das in Helsinki durchsetzen. Andererseits will die Partei des Außenministers die Lieferung von Panzern an den NATO-Partner Türkei verhindern. Ich sehe hier ganz gewaltige Widersprüche im Verhalten. Diese widersprüchliche Politik gegenüber der Türkei wird nur noch durch die doppelbödige und pharisäerhafte Haltung der Regierungskoalition zum NATOEinsatz im Kosovo und zum russischen Militärengagement in Tschetschenien überboten. ({51}) Da wurde im Frühjahr dieses Jahres von einer Antikriegsinitiative der Grünen der NATO-Militäreinsatz zum Schutz der Menschen im Kosovo als „NATOAngriffskrieg gegen Jugoslawien“ gebrandmarkt. Es ist auch noch nicht lange her, daß auf dem Bielefelder Sonderparteitag der Grünen Spruchbänder gezeigt wurden: „Nie wieder Krieg! Die NATO zerschlagen - Fischer verjagen!“ Jetzt, beim russischen Feldzug gegen die tschetschenische Bevölkerung, ist von den grünen Bedenkenträgern weit und breit nichts zu hören. Die sind in erster Linie da, wenn es gegen die NATO geht. ({52}) Am 19. Januar 1995 - Sie können es gerne nachlesen - sagte der damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Joschka - damals nannte er sich noch so - Fischer, ({53}) im Deutschen Bundestag: Bei Menschenrechtsverletzungen gibt es kein Einmischungsverbot … Bei Menschenrechtsverletzungen gibt es vielmehr nur eines: die Pflicht zur Wahrheit, zur Klarheit und zur öffentlich bekundeten klaren Position. Da hat diese Bundesregierung schmählich versagt Dies hat er damals zu Helmut Kohl gesagt. ({54}) Ich kann nur sagen - um mit Fischers Worten zu sprechen -: Avanti, dilettanti! Ich frage Sie: Wo ist der moralische Aufschrei von Joschka Fischer auf dem jüngsten Gipfel in Istanbul geblieben? Davon war wenig zu vernehmen. Hier wurde von den Grünen keine Aktuelle Stunde dazu beantragt, wie es sonst bei solchen Gelegenheiten geschieht. ({55}) Herr Schlauch, wenn Sie mit dem Lesen fertig sind, können Sie vielleicht folgende Frage beantworten: Wo ist auf dem jüngsten Strategiekongreß der Grünen die Resolution zur Wahrnehmung der Menschenrechte in Tschetschenien geblieben? Haben Sie das vergessen? War das ein Regiefehler, oder tauchen Sie jetzt weg? ({56}) Es zeigt sich, daß das rotgrüne Gewissen in Sachen Menschenrechte nur dann anspringt, wenn es in Ihre Philosophie paßt, also immer dann, wenn es um die NATO und ihre Mitglieder geht. Der „Spiegel“ schrieb am 15. November 1999 - das ist noch nicht lange her; es ist die Ausgabe der letzten Woche -: Die Lust verloren - Rot und Grün haben sich auseinandergelebt, doch auseinandergehen können sie nicht. Wenn sich die Ehepartner völlig auseinandergelebt haben und dies alle um sie herum spüren, dann stellt man sich die Frage: Warum gehen sie nicht auseinander? Bei einer Ehe sind oft die Kinder der Grund; aber das ist in diesem Fall wahrscheinlich nicht möglich. Sehr oft geht es auch um die Finanzen. Dies zählt hier: Offensichtlich haben noch nicht genügend Partner ihre Ruhestandsansprüche ersessen. ({57}) Bei dem Auseinandergehen solcher Partnerschaften muß aber auch die Frage gestellt werden: Sind sich die Partner hörig? Bei dieser rotgrünen Partnerschaft muß noch eine andere Frage erlaubt sein: Sind der Grund dafür die politischen Schmuddelkinder? Als solche haben die Grünen begonnen. Sie haben einen langen und schwierigen Weg hinter sich, auch die führenden Personen der Grünen. Ich meine, sie lassen sich aus den Sesseln der Macht letztendlich nur von den Wählerinnen und Wählern vertreiben. Es gibt keine Demütigung, die dies bewirken könnte. Sie können sich deswegen auch alle Schutzgeldzahlungen sparen. ({58})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Glos, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lippelt?

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber ja.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Glos, ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen entgangen, daß von den europäischen Außenministern der deutsche Außenminister die meisten und intensivsten Erklärungen zu Tschetschenien gemacht hat, und zwar seit vier Wochen? Ist Ihnen entgangen - das kann Ihnen entgehen, denn Sie müssen nicht Erklärungen von Abgeordneten lesen -, daß es entsprechende Erklärungen aus unserer Fraktion, auch von mir, seit mindestens drei Wochen gibt? ({0}) Ist Ihnen entgangen, daß es gestern abend in der Akademie der Künste eine hochdramatische Diskussion gegeben hat, wo sich auf der einen Seite Herr Kawaljow sehr deutlich ausgesprochen hat und auf der anderen Seite drei Tschetschenen - auf Einladung unserer Fraktion - dort anwesend waren? Das brauchen Sie nicht zu wissen. Sie brauchen auch nicht zu wissen, daß in dieser Woche der Außenminister Maschadow hier sein wird und daß auch dies etwas mit unserer Fraktion zu tun hat. Informieren Sie sich bitte besser, bevor Sie das nächste Mal solch einen Unsinn reden. ({1})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte um Verzeihung. Die von Ihnen aufgezählten Aktionen sind mir alle entgangen - auch der breiten deutschen Öffentlichkeit. ({0}) Ansonsten wissen die Grünen sehr gut, wenn man will, wie man sich öffentlichkeitswirksam in Szene setzt. Mir ist vor allem die Aktuelle Stunde im Bundestag entgangen. Die hätte ich nämlich wahrgenommen. ({1}) Herr Bundeskanzler, Sie können Ihrem grünen Koalitionspartner noch so viele Demütigungen zumuten, Die gehen nicht, die bleiben. Sie können ruhig fünf neue Kernkraftwerke bauen: Die Grünen bleiben trotzdem in dieser Koalition. ({2}) Ihre Kanzlerschaft ist ausschließlich aus Ihrer eigenen Partei bedroht. Damit das ganz klar ist. ({3}) Bundesverteidigungsminister Scharping traut sich ganz offen die Kanzlerschaft zu und sagt das auch jedem, der es hören will, und jedem, der es nicht hören will. Unverblümt, aber zu Recht wird in diesen Hintergrundgesprächen vom „Vergeigen“ des Vertrauens gesprochen, das der Wähler der rotgrünen Koalition bei der letzten Bundestagswahl übertragen hat. In der SPD werden bereits Erinnerungen an Mannheim 1995 wach. ({4}) Damals trauten die Sozialdemokraten schon einmal vor ihrem Parteitag dem Vorsitzenden nicht mehr zu, die Partei kraftvoll zu führen. Es steht ja jetzt ein Parteitag vor der Tür, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich verrate kein Geheimnis: Es ist einsam um den Bundeskanzler geworden. ({5}) Auch wenn er jetzt wieder lacht, man sieht ihm an: Regieren macht ihm keinen Spaß mehr. ({6}) Es ist seinem Gesicht deutlich anzumerken. Es ist auch kein Wunder, das Amt des Bundeskanzlers verlangt Verantwortung, es verlangt Verläßlichkeit, es verlangt Stetigkeit, es verlangt Visionen, es verlangt harte Arbeit, es verlangt Geschick und Durchsetzungsvermögen. ({7}) Mit Spaß allein ist es nicht getan. Herr Bundeskanzler, Sie sind darauf angewiesen, daß Sie das deutsche Volk überzeugen können, daß es Ihnen ein Stück auf den Weg folgt. Sie können das deutsche Volk nicht überzeugen, wenn es Ihnen nicht einmal gelingt, Ihre eigene Partei zu überzeugen und hinter sich zu scharen. ({8}) Deswegen kann ich nur sagen: Stellen Sie diese Querschüsse ab, die immer wieder kommen und die letztendlich Ihre Politik und damit die Politik Deutschlands vernebeln. ({9}) Wenn Ihre Koalition und vor allen Dingen Ihre eigene Partei Sie weiter so nervt, wie es bisher geschehen ist, dann kann ich mir durchaus vorstellen, daß Sie einmal von innen am Zaun des Kanzleramtes rütteln und sagen: Ich will hier raus. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Peter Struck, SPD-Fraktion.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung: Ich möchte an dieser Stelle dem Kollegen Wolfgang Schäuble herzlich gute Besserung wünschen. ({0}) Ich habe ihm das auch schon schriftlich mitgeteilt. Ich hoffe, daß er bald wieder seine Arbeit für seine Fraktion aufnehmen kann, wenngleich ich seine Arbeit in vielen Punkten inhaltlich zu kritisieren habe. Herr Kollege Glos, Sie haben ja nun die Hauptrede der Opposition gehalten. Ich muß schon sagen: Ich vermisse den Herrn Schäuble in diesem Zusammenhang denn doch. Ein bißchen flach war das schon, was Sie gesagt haben. ({1}) Da ich wußte, daß Sie vor mir reden, möchte ich Ihnen einige Punkte eines Briefes vorhalten, den ich gestern von einem Mitglied der CSU bekommen habe. Mein Büro hat sich vergewissert, daß der Brief authentisch ist; wir haben auch mit dem Autor gesprochen. Dieser Brief fängt so an: Ich bin seit 25 Jahren Mitglied der CSU und Träger deren silberner Ehrennadel, ({2}) aber trotzdem SPD-Wähler, der möchte, daß Sie Ihre Politik fortführen können. Die derzeitige Politik der Unionsparteien, welche 16 Jahre Zeit hatten, etwas zu verbessern, finde ich abstoßend und geeignet, Arbeitnehmer verschiedener Alters- und Berufsgruppen gegeneinander aufzuwiegeln. Recht hat das Mitglied der CSU. ({3}) Wenn ich noch etwas zitieren darf: Wie viele bin auch ich der Meinung, daß die Bundesrepublik Deutschland in den 16 Jahren der alten Koalition keine Regierung hatte, die tatsächlich regierte. Das Ergebnis daraus ist eine für den Normalbürger nicht mehr zu fassende Staatsverschuldung, ein riesiger Verwaltungsapparat, ein Gesetzes- und Abschreibungsdschungel, 4 Millionen Arbeitslose und wahrscheinlich ebenso viele neue Millionäre, Mißwirtschaft, Steuerverschwendung, Spekulantentum, Korruption und Schmiergeldaffären. ({4}) Recht hat der Mann, das Mitglied der CSU. ({5}) Mit dem Haushalt, den wir in dieser Woche verabschieden, machen wir Politik für das nächste Jahrtausend. Sie, Herr Kollege Glos, haben über den Haushalt ({6}) überhaupt nicht gesprochen. Das will ich an dieser Stelle nur einmal anmerken. Dieser Haushalt ist Teil einer Operation, die dem Staat am Vorabend des 21. Jahrhunderts verlorene Handlungsfähigkeit zurückerobert; dieser Haushalt ist eine Wendemarke. ({7}) Die Zeiten, in denen der Haushalt bestimmt war durch Verprassen von Tafelsilber, durch höhere Staatsverschuldung und durch Mehrwertsteuererhöhungen, sind endgültig vorbei, seitdem wir diese Regierung übernommen haben. ({8}) Wir wollen einen Fairneßpakt der Generationen; wir wollen, daß auch unsere Kinder und Enkelkinder die Chance haben, ihr Modell Deutschland zu gestalten. Sie brauchen die besten Schulen, die besten Universitäten, die beste Ausbildung, um in diesem globalisierten Wettbewerb mithalten zu können. Wir schaffen die Voraussetzungen dafür. ({9}) Es gibt kein Institut, keinen Verband, der diesen Kurs der Regierung Schröder nicht als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung bezeichnet hat. Der Sachverständigenrat hat das in seinem Gutachten bestätigt, die Bundesbank, der Bundesrechnungshof, die Sachverständigen von Banken und anderen. Wir setzen diesen Kurs, den sie für richtig halten, um und werden unbeirrt an diesem Kurs festhalten. ({10}) Wir haben ein hohes Maß an internationaler Anerkennung erhalten. Sowohl Clinton als auch Tony Blair haben das in Florenz deutlich gemacht, übrigens auch Lionel Jospin. Clinton und Blair wissen auf Grund ihrer Politik - auch wir wissen das jetzt -, daß Kursänderungen und Einschnitte Wähler schon schmerzhaft treffen und sie auch schmerzhaft aufstoßen lassen. Aber beide haben mit diesem Kurs Erfolg gehabt, und auch wir werden mit diesem Kurs Erfolg haben. ({11}) Da bin ich ganz sicher, meine Damen und Herren. ({12}) Die Menschen spüren inzwischen, daß es zwischen Waigelscher Haushaltspolitik und unserer einen gravierenden Unterschied gibt: ({13}) Wir sanieren nicht die eine Klientelgruppe, um die anderen ausbluten zu lassen. Wir haben oben Steuerschlupflöcher in der Größenordnung von 35 Milliarden DM dichtgemacht. ({14}) Diejenigen, die von diesen legalen Möglichkeiten der Steuerreduzierung Gebrauch gemacht haben, protestieren natürlich dagegen. Das kann ich verstehen. Aber wir haben die Gesetze geändert, damit derjenige, der von seiner Leistungsfähigkeit her viel Steuern zahlen muß, dies auch tatsächlich tut. Es gibt eine wunderbare Vokabel des Ex-Finanzministers Waigel, nämlich „legale Steuerverkürzung“. Ich bin mit Ihnen in einem Punkte einig, Herr Kollege Waigel: Wir haben solche steuerlichen Möglichkeiten aus bestimmten Gründen, zum Beispiel wegen des Aufbaus Ost, schaffen müssen. ({15}) Wir hatten andere Vorschläge, denen Sie nicht gefolgt sind. Aber wir müssen heute feststellen: Die Situation, daß eine solche Art von Steuerverkürzung möglich sein sollte, ist heute vorbei. Wir haben daraus den entsprechenden Schluß gezogen. ({16}) Protestiert haben natürlich nicht diejenigen, die jetzt von guten Maßnahmen profitieren. Wir alle haben die Demonstrationen erlebt - wir sehen sie, wenn wir auf unserem Weg zum Reichstag durch das Brandenburger Tor kommen -, von Ärzten, von Bauern, vom Reichsbund, vom Beamtenbund. An dieser Stelle will ich nur kurz einfügen - das habe ich auch dem Präsidenten des Beamtenbundes, Herrn Geyer, gesagt -: Ich finde es schon etwas eigenartig, wenn Beamte gegen angebliche Kürzungsmaßnahmen demonstrieren, aber mit einem Airbus, den sie gechartert haben, hier herkommen. Man muß sich einmal überlegen, welchen Beigeschmack das hat. ({17}) Es ist das gute Recht von Funktionären, für ihre Klientel zu demonstrieren. Aber unsere Pflicht als Parlamentarier und als Regierungsfraktion ist, im Blick zu haben, daß wir nicht irgendeiner Interessengruppe verpflichtet sind, sondern dem Gemeinwohl, und danach auch handeln. ({18}) Das heißt für uns: Wir haben eine Einkommensteuerreform beschlossen, mit der Normalverdiener am Ende dieser Legislaturperiode um 46 Milliarden DM entlastet werden. Das bedeutet eine Stärkung der Kaufkraft, eine Ankurbelung der Binnenkonjunktur. So nachhaltig und gezielt sind Normalverdiener in der Geschichte dieses Landes noch nie gefördert worden. ({19}) Wir haben die Familienförderung auf eine neue Grundlage gestellt. Wir haben in der Zeit unserer Regierungsverantwortung das Kindergeld um 50 DM erhöht, von 220 auf 270 DM. Das ist Ihnen noch nie gelungen, und Sie wollten es auch gar nicht. ({20}) Wir haben damit begonnen, endlich die Lohnnebenkosten zu senken. Wäre Herr Blüm noch heute Arbeitsund Sozialminister, würde der Rentenversicherungsbeitrag bei 21 Prozent liegen. ({21}) Bei uns liegt er bei 19,3 Prozent. Das ist eine große Leistung, die den Arbeitgebern und Arbeitnehmern zugute kommt. ({22}) Wir haben dafür - das ist zu Recht angesprochen worden - eine maßvolle Erhöhung der Energiepreise vorgenommen. Nur ein kleiner Hinweis in diesem Zusammenhang: Solange Herr Kohl und Herr Waigel Verantwortung für Politik und Finanzpolitik hatten, sind die Spritpreise auf Grund von Mineralölsteuererhöhungen stetig erhöht worden, in den letzten Jahren ihrer Regierungszeit, zwischen 1994 und 1998, um 50 Pfennig pro Liter. ({23}) Wir haben jetzt eine Mineralölsteuererhöhung von 6 Pfennig pro Liter beschlossen. Herr Kollege Glos, legen Sie einmal Ihr Telefon aus der Hand, damit Sie auch hören, daß Ihre falschen Darstellungen korrigiert werden. ({24}) Sie haben über die Preise an den Tankstellen gesprochen. Dazu will ich Ihnen etwas vorhalten: Die OPEC hat sich mit Rußland und Norwegen auf eine Reduzierung der Erdölförderung um 2,1 Millionen Barrel ab dem 1. April 1999 geeinigt. Die Folge war ein Preisanstieg pro Barrel Erdöl von 10 US-Dollar auf 23 USDollar. Das bedeutet, daß allein die Politik der OPEC zu einer Erhöhung der Spritpreise geführt hat, die in keiner Relation steht zur Erhöhung in Folge der Ökosteuer, die wir beschlossen haben. ({25}) Wer so etwas erzählt, Herr Kollege Glos, der will die Leute für dumm verkaufen. Ich sage: Die Benzinpreise werden maßgeblich von den Mineralölkonzernen bestimmt. ({26}) Wir machen mit der Senkung der Lohnnebenkosten die Arbeit billiger, damit möglichst alle wieder Arbeit haben. Das ist der große Unterschied zwischen Ihnen und uns: Wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst. An dieser Stelle möchte ich etwas über das Thema Holzmann sagen. Ich bestreite überhaupt nicht, daß sich der hessische Ministerpräsident und die Frankfurter Oberbürgermeisterin bemüht haben. ({27}) Das erkenne ich ausdrücklich an. Ich begrüße das. ({28}) Ich halte das aber nicht für einen Grund, jetzt in diesem Haus in einen Streit auszubrechen, Herr Kollege Glos. ({29}) Ich vertraue auf die Bemühungen des Bundeskanzlers. Ich wünsche ihm im Namen meiner Fraktion viel Erfolg bei der Rettung der Arbeitsplätze von Holzmann. ({30}) Wenn Sie dann über Arbeitslosigkeit klagen, dann möchte ich Ihnen doch eines vorhalten, nämlich das, was Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß beantragt haben und was Sie in diesem Parlament - das entnehme ich dem Antrag - beantragen werden: Sie haben im Haushaltsausschuß beantragt - das werden die Haushälter bestätigen -, alle Bundeszuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit zu streichen. ({31}) Ich habe diesen Antrag vorliegen. Die F.D.P. hat den gleichen Antrag gestellt. ({32}) Es heißt, es sollen 9,85 Milliarden DM gestrichen werden. Mit uns nicht! Denn die Bundesanstalt für Arbeit braucht diese Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik. ({33}) Das ist blanker Zynismus gegenüber Arbeitslosen. Genau so zynisch haben Sie sich zum Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit verhalten. Ich will noch einmal daran erinnern, daß Sie dieses Programm - wie Frau Merkel gesagt hat - „abschaffen“ wollten und daß Herr Kollege Schäuble von „ruhigstellen“ gesprochen hat. Das ist eine skandalöse Bemerkung, die er immer noch nicht aus der Welt geschafft hat. ({34}) Dieses Programm - da können Sie sagen, was Sie wollen - ist ein großer Erfolg: Die Jugendarbeitslosigkeit ist um 6,3 Prozent gesenkt worden. 199 000 Jugendliche haben entweder einen Arbeits- oder einen Ausbildungsplatz. Das ist diesem Programm zu verdanken. Wir sind stolz auf diese Leistung. ({35})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, bei Austermann nicht. Tut mir leid. ({0}) - Es gibt Kollegen, bei denen ich eine Zwischenfrage gerne zulasse, aber er gehört nicht dazu. ({1}) Meine Damen und Herren, zu dem Fairneßpakt der Generationen, von dem ich gesprochen habe, gehört auch die Frage, wie sich die Rentenentwicklung abzeichnen wird. Ich habe Anfang der Sommerpause in Abstimmung mit der Bundesregierung - Bundesarbeitsminister und Bundeskanzler - mit dem Kollegen Schäuble über die Frage gesprochen, ob es denn nicht Sinn macht, gemeinsam über Rentenstrukturreformen zu reden. Dieses Angebot ist ausgeschlagen worden. Wir haben die Gespräche wiederholt. Jetzt sind Sie - was ich begrüße - bereit, in Gespräche über Rentenstrukturreformen einzutreten. Aber wir haben aus parteitaktischen, aus wahltaktischen Gründen ein halbes Jahr verloren. Wir hätten schon viel weiter sein können. ({2}) Sie haben taktiert und getrickst. Das wird sich für Sie aber nicht auszahlen; ich garantiere Ihnen das. In unseren Veranstaltungen erleben wir überall, daß die Rentnerinnen und Rentner mit der Rentenerhöhung nach der Preisentwicklung einverstanden sind, weil sie damit ihren Beitrag für den Generationenvertrag leisten, den man von ihnen erwarten kann. Ich bedanke mich bei den Rentnerinnen und Rentnern dafür. ({3}) In der Gesundheitspolitik haben Sie keine oder wenn überhaupt - nur die alten Alternativen vorgelegt. Das „Konzept Seehofer“ steht offenbar nach wie vor. Ihre Alternative zu unserer Gesundheitspolitik läßt sich - das stelle ich hiermit fest - wie folgt beschreiben: Die Versicherten und die Patienten müssen mehr zuzahlen. Das werden wir nicht akzeptieren. Deswegen haben wir ein anderes Konzept vorgelegt. Darüber - nicht über Ihre Lösungen - werden wir dann zu entscheiden haben. ({4}) Ihre Gesundheitspolitik ist im letzten Jahr abgewählt worden. Es macht also keinen Sinn, mit Ihnen über die alten Programme zu beraten. Wir haben in diesem Jahr - das ist wahr - ein gewaltiges Arbeitsprogramm erledigt. Wir haben damit Spielräume eröffnet. Ich möchte Ihnen mitteilen, was mir ein fraktionsvorsitzender Kollege aus einem anderen euroDr. Peter Struck päischen Parlament gesagt hat. Ich will das auch meiner eigenen Fraktion nicht vorenthalten. Er hat mir gesagt: Was Ihr in einem Jahr gemacht habt, hätten wir in einer ganzen Legislaturperiode erledigt. Das ist wahr. Wir haben eine Gesundheitsreform, eine Steuerreform und eine Rentenreform auf den Weg gebracht. ({5}) Wir haben viel erledigt, und wir sind stolz darauf. Wir werden diesen Weg konsequent weitergehen. ({6}) Das Programm, das heute im Rahmen des Haushalts verabschiedet wird, ist im Vorfeld kommentiert worden. Es hieß: Das schaffen die nicht. Jetzt, nachdem klar ist, daß wir es schaffen, lese ich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: Der Blick zurück zeigt eine erstaunlich glatt verlaufene Operation. Der Rat der Zeitung an die Union ist: Wer mehr will, muß sparen. Wenn Sie also mehr wollen, dann sagen Sie auch, wo Sie sparen wollen. Sie haben es an einer Stelle gesagt, das akzeptieren wir nicht. ({7}) Wenn Sie den Menschen, die von diesen Maßnahmen betroffen sind, nach dem Munde reden, dann sagen Sie Ihnen bitte auch, wie Sie all das finanzieren wollen, was Sie Ihnen versprechen, sonst sind Sie ein Haufen von Scharlatanen. ({8}) Sie unterscheiden sich dabei übrigens gar nicht von der PDS. Ich habe mir die Anträge der PDS angesehen. Die PDS hat Anträge im Rahmen der Haushaltsplanberatungen zu Beginn der Legislaturperiode vorgelegt, die ein Volumen in Höhe von 50 Milliarden DM hatten. Ich möchte gern von Ihnen wissen: Wie wollen Sie dieses Geld aufbringen? Es ist ein gnadenloser Populismus, den Menschen etwas zu versprechen, ohnen ihnen auch zu sagen, wie es bezahlt werden soll. ({9}) Da sind Sie genauso wie die CDU/CSU. Sie unterscheiden sich von ihr überhaupt nicht. Ihre Art der Moral ist nicht unsere Art der Moral. ({10}) Weil ich nun einmal bei dem Thema Moral bin und Zwischenrufe vom ehemaligen Finanzminister höre, möchte ich schon über die Ereignisse, die uns in den letzten Wochen bewegt haben, sprechen. Die SPDFraktion und die Fraktion der Grünen haben beschlossen, einen Untersuchungsausschuß einzurichten, der sich mit dem Finanzgebaren der CDU und damit in Zusammenhang stehenden Entscheidungen der alten Bundesregierung beschäftigen wird. Es gibt offenbar eine besondere Art der Moral bei Ihnen. Ich habe mir sehr genau die Erklärungen angesehen, die der ehemalige Parteivorsitzende und Bundeskanzler der CDU dazu abgegeben hat. Wir werden in diesem Untersuchungsausschuß aufzuklären haben, wie es kommt, daß der ehemalige Schatzmeister der CDU, der dieses Amt mit Ihrer Zustimmung 21 Jahre innehatte - Sie schlagen ihn vor -, erklären kann, daß es eine Spende an die CDU in Höhe von 1 Million DM gegeben hat, und wieso Sie erklären können, daß es keine Spende an die CDU gegeben hat. Das müssen Sie mir einmal erklären, Herr Kollege Kohl. ({11}) Ich wäre Ihnen auch sehr dankbar, wenn Sie gleich klarstellen könnten, wie Sie zu der Äußerung von Herrn Kiep in der gestrigen Sendung „Kulturzeit“ stehen, die wichtigsten Gremien der CDU seien stets über die Parteifinanzen informiert gewesen, ({12}) als Schatzmeister sei er lediglich für die Geldbeschaffung zuständig gewesen; über die Verwendung von Geldern entscheide die Partei. Erklären Sie diese Aussage, Herr Kollege Kohl, nachdem Sie öffentlich das Gegenteil behauptet haben. ({13}) Die CDU ist laut „Spiegel“ nicht nur ein Wiederholungstäter, sondern ein Seriensünder. Ich unterstreiche diesen Satz. ({14}) Ich habe es nicht für möglich gehalten, daß nach der Flick-Parteispendenaffäre in Ihren Reihen offenbar so weitergemacht worden ist wie vorher, mit schwarzen Konten und Treuhandanderkonten gearbeitet wird, und Verstöße gegen das Parteiengesetz leichtfertig eingegangen worden sind. Ich kann das nicht akzeptieren. Wir werden das aufklären, und Sie, Herr Kollege Kohl, sollten in Ihrem eigenen Interesse dazu beitragen. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kohl?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter, Sie wissen so gut wie ich, daß dies nicht eine Situation ist, um die Fragen, die Sie stellen, zu beantworten und über die Behauptungen, die Sie aufstellen, zu debattieren. Ich mache Ihnen ein konkretes Angebot. ({0}) - Jetzt hören Sie bitte zu! ({1}) Das kann in der Art und Weise, wie hier verleumdet wird, nicht stattfinden, ob Sie das wollen oder nicht. ({2}) Ich fordere Sie ganz konkret auf - ({3}) - Sie können hier mit Niederbrüllen gar nichts erreichen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kohl, es gilt die Regel, eine Frage stellen zu müssen. Ich bitte Sie, eine Frage zu formulieren.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich stelle die Frage. Aber Herr Präsident, nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, wie hier bewußt versucht wird, die Frage gar nicht zuzulassen. ({0}) Herr Abgeordneter, ich fordere Sie als Vorsitzenden der SPD-Fraktion hiermit auf, dazu beizutragen, ({1}) daß der von Ihnen geforderte Untersuchungsausschuß unverzüglich eingesetzt wird, ({2}) seine Arbeit noch vor Weihnachten beginnt und mir die Chance gibt, dort noch vor Weihnachten Ihre Fragen zu beantworten. ({3}) Meine Frage ist: Sind Sie bereit, hier die Erklärung abzugeben, daß Sie genau dies tun werden? ({4})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich möchte Ihnen folgendes darauf antworten: Wir werden in der nächsten Sitzungswoche, also in der nächsten Woche, in diesem Parlament die Einsetzung des Untersuchungsausschusses beschließen. ({0}) Ich höre, daß die F.D.P. dem offenbar zustimmen will. Das finde ich sehr gut. Es ist noch besser, wenn die Union dem auch zustimmen will. Der Ausschuß wird sich dann konstituieren. ({1}) Die Personalvorschläge in meiner Fraktion und bei den anderen sind fast fertig. Das heißt, um das ganz konkret zu sagen: Ich kann mir vorstellen, daß dann, wenn sich dieser Ausschuß konstituiert hat, die ersten Zeugenbefragungen noch in diesem Jahr stattfinden werden. Dann können Sie dort das sagen, was Sie mir offenbar hier in diesem Dialog nicht sagen wollen ({2}) - lassen Sie mich doch ausreden -, weil Sie meinen, daß dies nicht der geeignete Ort sei. In der Tat ist der geeignete Ort der Untersuchungsausschuß, Herr Kollege. ({3}) Sie haben ja auch Erfahrung als Zeuge in einem Untersuchungsausschuß. ({4}) Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Wir werden das so machen, wie wir es für richtig halten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Zusatzfrage des Kollegen Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stelle noch einmal die Frage, ob Sie bereit sind, hier zu erklären, daß

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das habe ich doch gesagt.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- nein, das haben Sie so nicht gesagt -, persönlich dafür Sorge tragen, daß sich der Ausschuß schnell konstituiert und daß ich die Chance bekomme, ({0}) dort noch vor Weihnachten als Zeuge gehört zu werden. ({1})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ({0}) ich habe Ihnen die Frage schon beantwortet, möchte es aber noch einmal sagen: Der Ausschuß wird sich konstituieren. ({1}) Der Ausschuß muß - das muß man Ihnen auch einmal erklären - Akten herbeiziehen. Wir werden - das wäre jedenfalls meine Empfehlung - die Staatsanwaltschaft Augsburg bitten, die Akten, die dort vorliegen, zur Verfügung zu stellen. Dann wird der Ausschuß seine Beweisaufnahme beginnen. Wenn Sie darauf Wert legen, daß Sie als erster gehört werden - ich nehme an, auch der Kollege Rühe legt darauf großen Wert -, dann wird der Ausschuß darüber entscheiden. ({2}) Man kann in den Zeitungen und Zeitschriften, die in diesem Zusammenhang viele Einzelheiten veröffentlichen, lesen, daß der Waffenhändler, der Geschäftsmann, der Vermittler Schreiber dem „Stern“ bestätigt hat, daß er sich auch mit der einstigen CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister getroffen hat. Die Antwort auf eine konkrete Frage in einem „Stern“-Interview dazu lautet: Ja, zum Beispiel bei einem Essen mit Wolfgang Schäuble in Bonn. Das ist für mich insofern sehr interessant, als es neu ist. Bisher hat Herr Kollege Schäuble geäußert, daß er den Herrn nicht kennt. Interessant finde ich auch eine Äußerung des Kollegen Schäuble in der „Welt am Sonntag“ von der vergangenen Woche - wörtliches Zitat -: In der CDU sind die Dinge aber so geregelt, daß für die Einnahmen der Schatzmeister eine ganz eigene Verantwortung hat. Die Aufgaben des Generalsekretärs konzentrieren sich auf die Ausgaben. Für die Einnahmen hat der Generalsekretär keine Verantwortung, und er hatte auch keine Kenntnis. An Ihrer Stelle, Herr Kollege Schäuble - das ist auch an die Union insgesamt gerichtet -, würde ich mir diese Aussage noch einmal überlegen. Das ist ja nun wirklich doppelte Moral in Reinkultur: Der Schatzmeister nimmt ein - woher auch immer -, und der Generalsekretär interessiert sich überhaupt nicht dafür, aus welcher Quelle die Einnahmen kommen; er gibt das Geld nur aus. Wenn das Ihr Finanzgebaren ist, dann prophezeie ich Ihnen in diesem Untersuchungsausschuß Schlimmes. Das will ich Ihnen sagen. ({3}) Vielleicht war diese Aussage des jetzigen CDUVorsitzenden eher ein Blackout. Der Blackout im Zusammenhang mit Parteifinanzierungen ist ja systemimmanent, wie wir wissen. Kollege Schily und ich haben da unsere Erfahrungen aus dem Flick-Untersuchungsausschuß. Wir haben uns mit unserer politischen Arbeit in diesem Jahr überhaupt nichts vorzuwerfen. Wir haben sachlich zu diskutieren und aufzuklären. Das hat Ihrer Fraktion, meine Damen und Herren von der Union, schon Herbert Wehner mit auf den Weg gegeben, als Sie 1970 als Opposition im Parlament waren. Wenn ich es richtig weiß, saß damals von Ihnen noch niemand da. Immer dann, wenn Sie in der Opposition sind, fallen Sie kollektiv in den gleichen Reflex zurück: polemisieren, populisieren, obstruieren. Herr Kollege Glos hat dafür gerade ein fürchterliches Beispiel gegeben. ({4}) Klären Sie in Ihrer Spendenaffäre auf! Stellen Sie richtig, ob es denn tatsächlich so war - es entspricht der Lebenswahrscheinlichkeit eigentlich überhaupt nicht -, daß ein Parteivorsitzender und ein Generalsekretär von einer Spende in Höhe von 1 Million DM, die in einem Koffer übergeben worden ist, überhaupt nichts wußten! Ich glaube nicht, daß das der Lebenswirklichkeit entspricht. ({5}) Stellen Sie das in diesem Untersuchungsausschuß bitte klar! Stellen Sie auch klar, ob diese Spende einen Einfluß auf Ihre Regierungsentscheidungen hatte! Politik in Deutschland darf nicht käuflich werden. ({6}) Mit dem Haushalt, der in dieser Woche verabschiedet wird, wollen wir den Fairneßpakt der Generationen. Wir wollen ihn, damit unsere Kinder im Modell Deutschland eine bessere Zukunft für sich und für ihre Familien haben. Wir werden diesen Weg unbeirrt zu Ende gehen. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Austermann. Der Kollege Glos hat ebenfalls um eine Kurzintervention gebeten.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Es ist interessant, mit welcher Intensität sich der Fraktionsvorsitzende der SPD, der offensichtlich nur über eine geringe Souveränität verfügt, weil er Fragen während seiner Rede nicht zugelassen hat, ({0}) all den Themen gewidmet hat, die mit dem Bundeshaushalt überhaupt nichts zu tun haben. Dies hat er beim Kollegen Glos kritisiert. ({1}) Angesichts der drei fröhlichen Gesichter dort vorne möchte ich Ihr Erinnerungsvermögen, Herr Kollege Struck, bemühen: Wir beide, Herr Kollege Struck, saßen zusammen mit zwei der drei Herren, die dort auf der Regierungsbank sitzen, im Untersuchungsausschuß zu den Parteispenden. Sie waren dabei. In diesem Ausschuß ging es unter anderem um die Frage, wie eigentlich die Flinte, mit der damals Heinz Herbert Karry erschossen worden ist, in Ihr Auto, Herr Fischer, gelangt ist. ({2}) Dies ist bis heute nicht aufgeklärt worden. Es ging um die Frage - Herr Kollege Struck, Sie müssen hier nicht den Blödmann machen -, wie es zu - ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Austermann, es ist ein sehr unfreundlicher Stil, wenn Sie im Plenum einen Kollegen einen „Blödmann“ nennen.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das habe ich nicht gesagt. Ich kann es auch anders ausdrücken, nämlich daß er Dinge, die er offensichtlich besser kennt und besser weiß, als nicht existent darstellt. Herr Kollege Struck, wenn ich an Ihrer Stelle wäre und mich an das Stichwort NAFTA-Stiftung und an die 1 Million DM im Koffer von Alfred Nau erinnerte, dann würde ich ganz kleine Brötchen backen und wäre vorsichtig, eine ganze Partei und insbesondere ihre Führung pauschal zu verleumden. ({0}) Ich möchte jetzt nicht daran erinnern, Herr Kollege Schily - damals waren Sie noch bei den Grünen -, was Franz Josef Strauß zu Ihrer Art, Fragen zu stellen, gesagt hat. Ich wäre ganz vorsichtig. Wir sind sehr dafür, Aufklärung herbeizuführen. Aber es muß dann bitte auch über das hinausgegangen werden, was der Fraktionsvorsitzende der SPD heute gesagt hat und was ich als Dreckschleudern bezeichne. ({1}) Wenn das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung gilt - davon gehen wir noch immer aus - und gleichzeitig bestimmte Vermutungen geäußert werden und auf Fragen, die gestellt werden, nicht geantwortet wird, dann halte ich dies für demokratisch unbrauchbar. ({2}) Ich möchte eine letzte Anmerkung machen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Austermann, Ihre drei Minuten sind vorüber. Ich bitte, die Kurzintervention sofort zu beenden. - Herr Kollege Glos, Sie haben jetzt die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Struck, Sie haben am Anfang Ihrer Rede aus einem Brief eines angeblichen CSU-Mitglieds zitiert. ({0}) Auch ich könnte Zitate aus ähnlichen Briefen von SPDMitgliedern, die stapelweise eingehen, in die Haushaltsdebatte einbringen. ({1}) Aber ich bin der Meinung, wir sind in viel zu ernster Sorge und die Kanzlerdebatte ist für solche Kinkerlitzchen nicht geeignet. ({2}) Anstatt die Politik Ihres Bundeskanzlers zu verteidigen, haben Sie eine erbärmliche Rede - gespickt mit Verdächtigungen - gehalten. ({3}) Das ist Tatsache. Ich erkläre hiermit für die CDU/CSUBundestagsfraktion, daß wir bereit sind, noch in dieser Woche einen Untersuchungsausschuß zu beantragen und einzusetzen. ({4}) Wir sollten hier zusammenwirken, damit dieser Ausschuß möglichst schnell seine Arbeit aufnehmen kann und die Verdächtigungen und Verleumdungen in der Öffentlichkeit aufhören. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Struck, Sie haben nun Gelegenheit zur Erwiderung.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auf den Kollegen Austermann einzugehen lohnt sich nicht. ({0}) Aber ich nehme die Intervention des Kollegen Glos und auch die Zwischenfragen von Herrn Kohl zum Anlaß, Sie um folgendes zu bitten - vielleicht auch gleich eine Erklärung -: Wir werden mit der Beweisaufnahme sehr schnell beginnen; diese Beweisaufnahme wird dem Untersuchungsausschuß um so leichter fallen, je eher Sie von der Union bereit sind, den Herrn Weyrauch von seiner Schweigepflicht zu entbinden, was das FinanzgeDietrich Austermann baren der Union angeht. Wenn Sie das noch bitte gleich erklären würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Gerhardt, Fraktionsvorsitzender der F.D.P.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich will - wie der Kollege Struck - unserem Kollegen Schäuble gute Genesungswünsche übermitteln. Wir wünschen ihm, daß er bald wieder hier im Parlament mitwirken kann. ({0}) Als zweites möchte ich zu der Rede des Kollegen Struck folgendes sagen: Jeder bekommt ja Briefe, sogar sehr viele. Sie, Herr Kollege Struck, haben einen Brief vorgetragen, in dem Ihnen ein CSU-Mitglied geschrieben hat, Ihre Politik sei richtig, und die Politik der Union sei falsch. Auch ich habe Briefe erhalten. Mir hat ein Mann geschrieben, er habe sich bei der letzten Bundestagswahl verwählt. Er habe SPD gewählt und bedauere das. Er hat einen 500-DM-Scheck beigelegt und versichert, er werde das nicht wiederholen. ({1}) Ich darf diese Spende hiermit ganz offiziell anzeigen. Meine Damen und Herren, wollen wir doch einmal eines festhalten: Trotz des vielen Pulverdampfes heute morgen spüren wir doch, daß das abgelaufene Jahr selbst bei SPD und Grünen nicht gerade als Erfolgsjahr öffentlich bekanntgegeben wird. Das ist überall nachzulesen. ({2}) Es gibt ganz gemischte Gefühle. Ich erinnere mich an den Start. Ich habe mich schon gewundert, weil es doch Kollegen waren, die lange politisch tätig waren. Sie haben erklärt, man bräuchte jetzt sehr wahrscheinlich keine Koalitionsgespräche mehr. Die Koalitionsvereinbarung sei so gut. Nun gehe es voran. Es ging dann auch voran! Bevor es aber überhaupt voranging, kam der in Aussicht genommene Wirtschaftsminister abhanden. Als es dann voranging, wurde die erste Phase bemäntelt mit Kommunikationsschwierigkeiten. Als diese vorbei war, bequemte man sich zu der Aussage, man habe sich wohl etwas übernommen. Man habe zuviel des Guten und das alles gleichzeitig gewollt, und das sei auch alles viel zu schnell gegangen. Das haben wir auch gespürt. Der Bundeskanzler ist ja förmlich von seinem eigenen Schwung mitgerissen worden in den ersten Erklärungen zu den 630-MarkVerträgen. Dann hat er gemerkt, daß es mit dieser Brummkreiselpolitik nicht weitergeht, und hat Nachbesserungen angekündigt. Die verbale Nachbesserungsphase hat zwei bis drei Monate gedauert. Als die Nachbesserungsphase real wurde, wurde nichts besser. Das war eine Phase der Verschlimmbesserung aller Gesetze, die vorliegen. ({3}) Nun hatten wir nach einigen Monaten gedacht, das Schlimmste sei nun vorüber, jedenfalls soweit es diese Koordinationsmängel betrifft. Im letzten Plenum und auch gestern haben wir erfahren, daß der eigentliche Höhepunkt die Gesundheitsreformgesetzgebung gewesen ist. Da geht es doch nicht nur um die fehlenden 20 Seiten. Wenn es das nur wäre! Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler, fehlen doch nicht nur 20 Seiten. Ihr fehlt das Ziel, die Grundlage, das Konzept, das, was an politischen Begründungen notwendig ist. ({4}) Jetzt geht es auf das Jahresende zu. Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, erinnern Sie sich doch einmal wirklich: Was haben Sie denn in diesem Jahr alles genannt? Den Transrapid auf einer Schiene. Dann die voll budgetierten Patienten. Reden Sie doch nicht über die Ärzte, deren Budget beschnitten wird. Wenn deren Budget beschnitten wird, wird die medizinische Versorgung der Patienten in Deutschland beschnitten. Das ist der Weg, den Sie gehen. ({5}) Auf gleicher Schiene liegen das Abkassiermodell Ökosteuer, ein völlig strangulierter Arbeitsmarkt, die starke Subventionierung der Steinkohle und die Gefährdung der Braunkohle, ein Sparprogramm, das auf Verschiebebahnhöfen basiert, die unendliche Geschichte des Kernenergieausstiegs, die Rente nach Kassenlage und das Gesetzgebungsverfahren für die vermaledeite Gesundheitsreform. Wenn es überhaupt jemals eine Gelegenheit gegeben hat, um den Ausdruck von Joseph Fischer anzuwenden, dann jetzt: „Avanti, dilettanti!“ - das kennzeichnet die Sachlage in diesem Jahr am besten. ({6}) Der Bundeskanzler hatte in der Nacht - manche erinnern sich vielleicht noch - nach seinem Wahlsieg erklärt, er sei am Ziel. Das war falsch. Sie waren am Anfang. Jetzt stehen Sie da wieder. Sie waren nicht am Ziel. Sie hätten wissen müssen, daß Sie Verantwortung übernehmen. Heute spüren Sie es. Sie alle, meine Damen und Herren von der rotgrünen Koalition, wissen es: Die Arbeitslosenquote liegt nach wie vor hoch, die Zustimmung zu Ihrer Politik ist stark gesunken. Jeder spürt es; das ist doch nicht nur die Wahrnehmung von draußen. Sie, Herr Bundeskanzler, wissen es selbst - ich sage das hier ganz offen -, daß in diesem Jahr so manches gewaltig schiefgelaufen ist. Ich bezweifle, ob Sie heute noch einmal solche Gesetzvorhaben wie das zu den 630Mark-Arbeitsverhältnissen auf den Weg bringen würden. Es kann Ihnen doch nicht verborgen geblieben sein, daß Sie mit diesen Gesetzen genau die kleinen Leute getroffen haben, ({7}) als deren Schutzpatron Sie sich im Bundestagswahlkampf ausgegeben haben. ({8}) Sie haben die Menschen getroffen, die sich anstrengen müssen, die ein Haus gebaut haben, die noch etwas dazuverdienen müssen, die Kindern eine besonders qualifizierte Ausbildung geben möchten oder die eine Anschaffung getätigt haben. Diese Menschen sind doch auf Zuverdienste angewiesen, sie haben doch nicht verzweifelt nach Lücken auf dem Arbeitsmarkt gesucht, sondern waren bereit zu arbeiten. Ich glaube auch nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie noch einmal den gleichen gesetzgeberischen Weg einschlagen würden wie bei der Bekämpfung der Scheinselbständigkeit. Ihnen muß doch klargeworden sein, daß das zu nichts führt, daß Sie damit Existenzgründer treffen und Attentismus auslösen. Daß Sie das heute nicht zugeben wollen, verstehe ich ja, aber ich unterstelle Ihnen, daß Sie das ganz genau wissen. Sie brauchen uns doch nicht zu erzählen, daß die Rente nach Kassenlage ein Erfolgsstück gewesen sei. Ich selbst habe mindestens dreimal mitverfolgen können, wie Sie sich im Fernsehen beim deutschen Volk für die Fehler bei der Führung Ihres Bundestagswahlkampfes entschuldigt haben. Herr Bundeskanzler, das war nur ein Fehler, aber ich glaube, Sie sind sich heute darüber im klaren, daß Sie völlig unvorbereitet in den Bundestagswahlkampf und in die nachfolgenden Koalitionsverhandlungen zu den großen sozialen Fragen der Bundesrepublik Deutschland gegangen sind. Das ist der Sachverhalt. Das haben Sie nicht gesehen. ({9}) Nun wartet die Zukunft nicht, bis Sie und die SPD ihre Gedanken sortiert haben. Das Jahrtausend wechselt. Wenn sich die SPD bis dahin nicht klar darüber ist, wie sie ihre Sozialpolitik gestalten will, werden Sie in Schwierigkeiten kommen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands steht vor einem zweiten Bad Godesberg, diesmal sozialpolitischer Art. Es reicht nicht aus, daß Sie wie ein Auslandskorrespondent zusammen mit Tony Blair der SPD Signale übermitteln, über die Sie im übrigen noch vor zwei Jahren gesagt haben, daß sie aus dem Giftschrank der bösen Neoliberalen kämen. Wenn Sie die Grundgedanken aus dem gemeinsam mit Tony Blair verfaßten Papier an die deutschen Verhältnisse anpassen, kommen Sie zu Konzepten, die wir schon seit langem vertreten. Sagen Sie doch Ihren Genossen, daß sie sich den Schlagabtausch mit den bösen Neoliberalen sparen können. In wenigen Jahren wird auf Gewerkschaftstagen ein Themenpaket diskutiert werden müssen, das heute Beschlußlage der Freien Demokratischen Partei ist. Anders geht es nämlich nicht; die weltweite Entwicklung wird Sie dazu zwingen. ({10}) Die alten Systeme - das hat Herr Riester schon erkannt - tragen so nicht mehr. Ich möchte aber wissen, welche neuen tragen. In der heutigen Debatte möchte ich von Ihnen eine Auskunft darüber haben, wie Ihr Rentenkonzept wirklich aussieht. Dies möchte ich im übrigen auch von den Grünen erfahren. Deren Haltung ist ja völlig gespalten: Man braucht nur die öffentlichen Äußerungen und das Abstimmungsverhalten im Bundestag zu vergleichen. ({11}) Wenn man hört, was Frau Scheel zur Steuerpolitik sagt, dann frage ich mich, warum sie diesem Haushalt und der bisherigen Steuergesetzgebung zustimmen kann. ({12}) Wenn man die Jüngeren unter den Grünen zu den Altersvorsorgesystemen reden hört, dann wundert man sich, daß sie Rente nach Kassenlage überhaupt mitmachen konnten. Es ist doch absurd, was sich bei den Grünen abspielt: eine komplette Identitätsverlustlinie seit einem Jahr Regierungsbeteiligung. Sie brechen nahezu jedes Wahlversprechen, das Sie Ihrer Wählerschaft gegeben haben. Sie haben nichts von dem erreicht, was vorher angekündigt worden ist. ({13}) Meine Damen und Herren, das ist die Situation einer Regierung nach einem Jahr, die angetreten war, vieles besser zu machen, einen Aufbruch zu vermitteln, Deutschland nach vorne zu führen und die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Sie sind mit einem öffentlichen Image angetreten, das im Laufe eines Jahres völlig zu Staub geworden ist. Noch niemals in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Bundesregierung einen derartigen Ansehensverlust innerhalb eines Jahres erlitten, ({14}) weil die Menschen spüren, daß Sie nicht vorbereitet waren, daß Sie ihnen Falsches versprochen haben und daß Sie Versprechen nicht halten können. Die heutige Debatte sollte sich nicht nur mit der Frage beschäftigen, wann wir einen Untersuchungsausschuß zustande bringen können. Ich erkläre für meine Fraktion, daß wir die Einsetzung dieses Ausschusses am Freitag beschließen können. Er kann sofort in Gang kommen. ({15}) Bei der heutigen Debatte möchte - neben den Tatbeständen, die der Untersuchungsausschuß aufzuklären hat - die deutsche Öffentlichkeit wissen, welches die Standorte der Parteien sind und wer für was steht, damit überDr. Wolfgang Gerhardt haupt erkennbar wird, in welche Richtung wir gehen können. Das will ich jetzt beantworten. ({16}) „Die sozialen Sicherungssysteme“ - so hat Klaus von Dohnanyi, ein Mitglied der SPD, das in diesem Zusammenhang immer zitiert wird und das ich übrigens gern zitiere, gesagt - „haben sich zu einer Barriere gegen Arbeitsplätze entwickelt.“ Ich füge hinzu: Unser strangulierter Arbeitsmarkt hat sich ebenfalls zu einer Barriere gegen Arbeitsplätze entwickelt. Das weiß doch jeder. Ich kann sogar noch hinzufügen: Die hohe Steuerlast, bei der Sie überhaupt keine Anstrengung unternehmen, von ihr quer durch alle Einkommensgruppen herunterzukommen, ({17}) hat sich zu einer Barriere gegen Arbeitsplätze entwikkelt. Was ist denn eigentlich wirklich sozial? ({18}) Sind denn diejenigen sozial, die das meiste Geld in die soziale Begleitung von Arbeitslosigkeit stecken? Oder haben auch diejenigen soziales Bewußtsein, die die Kernfrage der sozialen Sicherheit in Deutschland mit dem Hinweis auf Arbeitsplätze beantworten? Im Unterschied zu sozialpolitischen Vorstellungen der SPD sage ich für die Freien Demokraten, die größte soziale Sicherheit ist ein Arbeitsplatz und nicht die Höhe der Sozialhilfe, der Arbeitslosenhilfe und des Arbeitslosengeldes. ({19}) Deshalb ist der erste Schritt moderner Sozialpolitik, Angebotsbedingungen in Deutschland so zu gestalten, daß Kapital und Technologie in Deutschland bleiben oder nach Deutschland eingeladen werden. ({20}) Anders ist soziale Sicherheit überhaupt nicht zu gestalten. 15 Prozent Eingangssteuersatz bei der Einkommensteuer und der Lohnsteuer, 25 Prozent mittlerer Steuersatz und 35 Prozent oberer Steuersatz ohne Ausnahmemöglichkeiten - das ist ein Weg zu mehr Gerechtigkeit in Deutschland. Wir schlagen das vor. Wir sind bereit, das im Deutschen Bundestag zu beschließen. Der Kollege Struck hat es als Weg zu mehr Gerechtigkeit bezeichnet. Wir bitten Sie um Zustimmung, wenn wir entsprechende Initiativen einbringen. ({21}) Das ist ein Stück Weg für die Bundesrepublik Deutschland, mit niedrigen Steuern Arbeitsplätze zu sichern, neue Arbeitsplätze möglich zu machen und damit den Menschen und der Gesellschaft soziale Stabilität und soziale Sicherheit zu geben. Sie wissen wie wir, Herr Bundeskanzler - Sie reden ja dauernd davon -, daß die mittleren und kleinen Unternehmen eigentlich die Wachstumsträger der Volkswirtschaft sind, die Dynamik entfalten. Bei ihnen werden Existenzen gegründet, 85 Prozent der Jugendlichen ausgebildet, über 60 Prozent der Steuern gezahlt und über 50 Prozent des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Aber Sie strangulieren die mittleren und kleinen Betriebe doch. Sie waren ihnen doch keine Hilfe. Sie haben sie mit den 630-DM-Verträgen kujoniert. Sie haben sie doch eher bedrängt, als daß Sie ihnen freie Luft zum Atmen gegeben hätten. Deshalb kann man hier auch nicht um bestimmte Themen herumreden. Diese mittleren und kleinen Unternehmen brauchen mehr Optionen, mehr Öffnungen, mehr Korridore im Rahmen der alten Flächentarife. Es ist einfach wahr, daß diese mittleren und kleinen Betriebe politische Anwälte brauchen, die es ihnen auch ermöglichen, Betriebsvereinbarungen zu schließen, wenn der Betrieb nicht anders gehalten werden kann. ({22}) Wenn die Tarifvertragsparteien nicht in der Lage sind, der Arbeitnehmerschaft der mittleren und kleineren Betrieben Tarifvereinbarungen zu ermöglichen, mit denen sie ihre Existenz behaupten können, dann muß der Deutsche Bundestag politisch aktiv werden. Für die Freien Demokraten sage ich: Wenn die Tarifvertragsparteien nicht in der Lage sind, den mittleren und kleinen Unternehmen im Rahmen von Korridoren bei Tarifen und Regelungen eigene Betriebsvereinbarungen zu ermöglichen, dann werden wir gesetzgeberisch aktiv werden müssen. Darin steckt ein Stück Wirtschaftskraft. Sie müssen solche Möglichkeiten erhalten. ({23}) In seinem Herbstgutachten des letzten Jahres hat der Sachverständigenrat der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben, daß es in den sozialen Sicherungssystemen keine Fairneß und auch keine Generationengerechtigkeit gibt. Dies gilt für das Rentensystem wie für das Gesundheitswesen. Um dies ganz verständlich auszudrücken, meine Damen und Herren: Gegen große Lebensrisiken muß es immer solidarische, gemeinschaftliche Versicherungen geben. Das steht völlig außer Zweifel. Eine schwerwiegende Krankheit ist eines der großen Lebensrisiken, für die ein solidarischer Schutz unabdingbar ist. In solchen Fällen steht man füreinander ein. Das ist überhaupt keine Frage. Gilt das aber für jeden Husten, für jede Grippewelle, für jede Kur? Ich glaube, daß wir den Bürgerinnen und Bürgern, wenn wir ihnen eine umfassende Steuersenkung zugute kommen lassen, zumuten können, das Ausmaß ihrer Versorgung über die Absicherung von Grundrisiken hinaus selbst zu regeln und auch selbst zu bestimmen. Sie sollten Wahlmöglichkeiten haben. Es ist der große Irrtum der deutschen Linken, daß Wettbewerb, Markt, freie Entscheidung und Eigenverantwortung nicht ausreichend zur Versorgung mit Gütern beitragen. Ich bin der Überzeugung: Wenn man den Menschen mehr vom Ertrag ihrer Leistung beläßt und sie bittet, mit diesem Mehrertrag ihrer Leistung ein Stück eigene Vorsorge zu treffen, um der nachfolgenden jungen Generation mehr Arbeitsmarktchancen zu geben, werden sie das tun. ({24}) Dies ist aber das glatte Gegenstück zu der Politik, die Sie, Herr Bundeskanzler, mit Rotgrün machen. Sie müssen Steuern und Abgaben senken, und Sie müssen Spielraum für eigenverantwortliche Altersvorsorge schaffen. Die Formel - Sie kennen sie auch; nur, Sie sollten einen Gesetzentwurf vorlegen - lautet: Weniger Umlage plus mehr Vermögensbildung gleich Sicherung des Lebensstandards im Alter. Bis heute liegt diesem Haus kein Rentenreformmodell der SPD und keines der Bundesregierung vor. Die Generationen in Deutschland haben aber nach einem Jahr Regierung von SPD und Grünen allmählich Anspruch darauf zu erfahren, worüber bei diesem wichtigen sozialen Thema verhandelt werden soll. Wir erklären wie auch die Union unsere Bereitschaft, über einen großen Generationenvertrag zu reden. Eine unerläßliche Voraussetzung hierfür ist es aber, daß Sie endlich etwas vorlegen und uns sagen, wohin es mit einem der größten sozialen Sicherungssysteme gehen soll. ({25}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht aber nicht nur um die traditionellen sozialen Sicherungssysteme. Sie wissen alle, daß soziale Sicherheit, gesellschaftliche und demokratische Stabilität in Deutschland dringend voraussetzen, daß sich dieses Land auch im nächsten Jahrtausend seine technologische Höchstleistungskompetenz bewahrt. Insoweit ist der Transrapid nur ein äußeres Beispiel eines inneren Denkzustandes. Den Transrapid haben Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, nie gewollt. Sie haben anfangs umfangreich, über alle Felder hinweg, kritisiert. Diese Kritik mußten Sie dann aber langsam zurückziehen, weil der Transrapid weniger Energie und weniger Fläche für den Fahrweg verbraucht, schneller und leiser fährt und genauso sicher ist wie die Bahn. Sie haben sich dann auf einen Kostenrahmen von 6,1 Milliarden DM eingelassen. Herr Bundeskanzler, damals war klar - und die Grünen haben es auch erklärt -: Dies ist die stille Beerdigung des Transrapid. Ich stelle mir vor, daß sich so ungefähr auch die Gegner der ersten deutschen Eisenbahnstrecke zwischen Nürnberg und Fürth verhalten haben. Mit einem solchen Verhalten kommt ein technisches Projekt niemals zustande. ({26}) Weltweit gibt es 400 Kernkraftwerke. Viele sind gegenwärtig im Bau, im übrigen auch in den osteuropäischen Ländern. Nahezu alle im Bau befindlichen Kernkraftwerke weisen nicht den Sicherheitsstandard auf, den die deutschen Kernkraftwerke haben. Wenn Sie sie abschalten wollen, müssen Sie der Bevölkerung auch klar sagen, wieviel Tausende Tonnen Schwefeldioxid, Stickoxide, Staub und Kohlendioxid mehr in die Luft geblasen werden. Damit erreichen Sie Ihr Klimaziel nicht, und Sie vernichten damit Arbeitsplätze in Forschung und Entwicklung. So vernichtet man in der Bundesrepublik Deutschland zugunsten einer Ideologie von gestern Arbeitsplätze von morgen. ({27}) Die Kernenergie ist mehr als eine Technologie. Ihre Beherrschbarkeit muß gesichert sein. Aber sie muß im Interesse der hochtechnologischen Leistungsfähigkeit einer großen Industrienation erhalten bleiben. Deshalb ist das kein Spielball für rotgrüne Vereinbarungen. Die junge Generation, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ist im übrigen immer eine neue junge Generation. Sie spüren das ja gegenwärtig. Sie laufen Ihnen nicht mehr scharenweise zu. ({28}) Das ist auch keine 68er-Bewegung im Nachklapp mehr. Diese junge Generation, mit der wir es heute zu tun haben, ist technisch interessiert. Sie legt Wert darauf, in absehbarer Zeit zu einem Abschluß zu kommen. Sie will verkürzte Studienzeiten. Sie war auf der Straße, um zu protestieren, weil die Bibliotheken zu gering ausgestattet sind, die Praktika nicht ausreichend angeboten werden und weil sie wollten, daß Vorlesungen auch freitags angeboten werden und nicht nur dienstags, mittwochs und donnerstags. Das ist eine sehr ehrgeizige, qualitätsbewußte junge Generation. Ihr ist mit Technologiefeindlichkeit, mit alter Bildungspolitik und mit alter Hochschulpolitik, wie Sie sie betreiben, nicht mehr beizukommen. Ich wage die Behauptung, Frau Bulmahn, daß diese junge Generation gern bereit ist, an deutschen Universitäten Studiengebühren zu bezahlen, wenn sie nur die Sicherheit hätte, in einem Studiengang in absehbarer Zeit einen qualitativ hochwertigen Abschluß zu bekommen. ({29}) Deshalb ist diese Wettbewerbsfeindlichkeit im System der Hochschulpolitik, die Rotgrün ausprägt, so falsch. Wir brauchen mehr Autonomie, mehr Dezentralität, mehr Wettbewerb und Hochschulen, die sich ihre Studenten selbst aussuchen können. Wenn wir über Autonomie reden, gehört dazu: Die Hochschulen sollen selbst entscheiden können, ob sie Studiengebühren erheben oder nicht. ({30}) Diese Bevormundung, diese Gängelei, dieses Bestreben, daß im Bildungswesen alles gleich sein muß, alles flächendeckend, alles einheitlich, alles kollektiv, daß sich da nichts an der Seite entwickelt, daß man sogar eher Angst hat, wenn sich einige schneller entwickeln, daß man um den Zusammenhalt von Klassenverbänden fürchtet, daß man Neid entwickelt, wenn besondere Talente auftreten - das ist das Falsche an Ihrer Politik. Sie zerstören ein Stück Zukunftsfähigkeit des Landes. Das müssen Sie ändern. ({31}) Schließlich, Herr Kollege Schily: Ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht, kann man mit der Union hin- und herdiskutieren. Tatsache ist: Es findet Einwanderung statt. Deshalb reicht mir Ihre Äußerung, daß Sie nicht glauben, daß das deutsche Asylrecht Grundlage europäischer Harmonisierungsbestrebungen sein kann, ernsthaft nicht. Diesem Haus liegt ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz der F.D.P. vor. Sie wissen wie ich, daß die Zuwanderung begrenzt werden muß, weil wir nicht die sozialen Probleme aller Welt in Deutschland lösen können. ({32}) Wenn Sie das wissen, müssen Sie konstruktiv den Gesetzentwurf beraten, den wir eingebracht haben. Ich spreche das heute an, weil ich der Überzeugung bin, daß wir darüber ehrlich diskutieren müssen. Es ist an der Zeit, nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts offen, wenn nötig streitig, aber klar über eine Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland zu reden, weil wir nicht die Probleme aller Welt auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland lösen können. Das gesetzlich zu regeln ist notwendig und unumgänglich. ({33}) Zum Abschluß: Nachhaltige Veränderungen, die wir vor uns haben, brauchen einen Grundkonsens, aber sie brauchen auch eine Streitkultur. „Neoliberal“ ist kein Schimpfwort, sondern die klarste Positionsbestimmung freiheitlicher und erfolgreicher Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle. Als Ludwig Erhard als Neoliberaler kritisiert worden ist, hat er sich klar zur Schule der neoliberalen Ordnungspolitik bekannt - wie auch ich. Es gibt weltweit kein erfolgreicheres Modell. Alle Alternativen dazu sind vor einem Jahrzehnt vor unseren Augen wie ein Kartenhaus zusammengefallen. ({34}) Deshalb führt kein Weg an Eigenverantwortlichkeit, Privateigentum, Gewerbe- und Vertragsfreiheit und offenen Märkten vorbei. Wir gewinnen die Zukunft nicht mit einem Vorsorgestaat, nicht mit Verteilung, nicht mit genereller Interventionsbereitschaft. Das ist bequemer, aber falsch. Ich glaube, daß wir weg müssen von einem Vollkaskodenken und vom Anspruchsdenken. Das ist unbequemer, aber richtig. Es ist jedenfalls das Zeichen der Qualität einer Gesellschaft und die Grundlage einer freiheitlichen Ordnung.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Gerhardt, bitte kommen Sie zum Schluß.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin fertig. ({0}) Das ist das Programm der F.D.P. Sie sagen immer, die Opposition habe kein Konzept. Ich lege es Ihnen vor. Sie können sich darauf auf allen Feldern einlassen. Das wäre besser für Deutschland. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, heute ist entgegen dem, was von Ihnen, Herr Glos, gesagt worden ist, ein guter Tag für Deutschland, und zwar deshalb, weil wir mit der Entscheidung über den Haushalt 2000 den zweiten Schritt machen, um die Handlungsfähigkeit unseres Staates zurückzugewinnen und dauerhaft zu sichern. Bereits mit dem Haushaltssanierungsgesetz haben wir entschlossen begonnen, die finanzielle Erblast der alten Regierung in Höhe von 1,5 Billionen DM Schulden abzutragen. 14 Milliarden DM weniger Ausgaben konnten wir bereits vor zwei Wochen realisieren. Mit der heutigen Entscheidung über den Bundeshaushalt 2000 reduzieren wir die Ausgaben um weitere 16 Milliarden DM. Wir haben also geschafft, woran die ehemalige Regierung, die heutige Opposition, gescheitert ist und was die heutige Opposition für unmöglich gehalten hat, nämlich den Abbau des strukturellen Defizits im Bundeshaushalt. ({0}) Wir haben unser ehrgeiziges Ziel, 30 Milliarden DM einzusparen, erreicht. Entgegen dem, was uns die Opposition glauben machen will, muß ich feststellen, daß dieser Kurs weit in Ihre Kreise hinein, und zwar in der Wirtschaft, in Publikationen und in Ihren ureigensten Reihen, auf breiten Konsens stößt. Ich zitiere nur wenige: „Kurt Biedenkopf“ - so hieß es in der „Berliner Zeitung“ - „will den Sparkurs der Bundesregierung im Bundesrat grundsätzlich unterstützen.“ ({1}) Der Präsident des DIHT, Peter Stihl, sieht uns bei der Haushaltskonsolidierung auf dem richtigen Weg. ({2}) Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, der die von Ihnen zur öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses über das Haushaltssanierungsgesetz als Sachverständiger eingeladen war, meinte, daß eine Ablehnung unseres Konsolidierungsprogrammes unverantwortlich sei. Da kann ich nur sagen: Wo er recht hat, hat er recht. ({3}) Auch Ihr Leib- und Magenblatt, die „FAZ“, kommentierte am vergangenen Montag: Dennoch müssen Union und F.D.P. mit ihren Kritteleien aufpassen ... Damit drohen sie selbst in eine Glaubwürdigkeitsfalle zu laufen. ({4}) Herr Glos, Herr Gerhardt, es ist schon spannend, zu beobachten, wie Sie sich winden, welche Rechen- und Taschenspielertricks Sie heranziehen, um den Erfolg der Regierungskoalition kleinzureden. Erst hieß es - das ist erst wenige Monate her -: Das schaffen die nie! Dann hieß es - das ist erst einige Wochen her -: Das mit dem Sparen ist schon recht; aber ihr schafft es nie, die globalen Minderausgaben titelgenau zu etatisieren! Jetzt heißt es: Ob das mit dem Sparen so richtig ist, wissen wir nicht; aber auf jeden Fall habt ihr an den falschen Stellen gespart! Bis heute liegt von Ihnen keine Alternative vor. Herr Glos, immer wenn Sie sprechen, ist das ein Beleg dafür. Wenn die Union keine Alternative hat, schickt sie den bayerisch-fränkischen Geschichtenerzähler hier an das Pult. ({5}) Das ist der Beleg dafür, daß von Ihnen keine Alternative zu dem, was wir vorgelegt haben, vorgebracht worden ist. Sie solidarisieren sich mit den Protesten gegen unser Sparprogramm, sagen aber gleichzeitig, daß in Wahrheit nicht gespart werde. Wie das zusammenpaßt, verstehe ich nicht. Sie wollen Etatposten wie zum Beispiel den der Bundeswehr und den der Landwirtschaft erhöhen, sagen aber nicht, daß der Verteidigungshaushalt unter Herrn Rühe als Verteidigungsminister gnadenlos zusammengestrichen worden ist, ohne daß es zu einer Strukturreform der Bundeswehr gekommen ist. Sie haben die Strukturreform verschlafen. ({6}) Sie blinken links und bleiben rechts, mit einer Panne auf dem Standstreifen stehen. Ein besonders schäbiges Beispiel - das möchte ich hier anführen - ist Ihr Umgang mit der Aufstockung der Leistungen für die Opfer politischer Verfolgung in der ehemaligen DDR. Über Jahre hinweg haben Sie die politischen Häftlinge hingehalten und es bei der Hälfte der westdeutschen Haftentschädigung belassen. Wir haben in diesem Haushalt trotz knapper Kassen die Leistungen für die ehemaligen Häftlinge auf 600 DM pro Monat aufgestockt. Aber jetzt, kaum sind Sie in der Opposition, haben Sie keine Hemmungen, einen Gesetzentwurf für eine weitergehende Haftentschädigung vorzulegen. Das ist wirklich ein Papier der Firma Schein und Heilig. ({7}) Seien Sie sicher, meine Damen und Herren von der Opposition: Die Betroffenen wissen sehr genau, wer sie über Jahre hinweg mit mangelhaften Gesetzen hingehalten hat und wer ihnen jetzt unter schwierigsten Bedingungen so gut es geht unter die Arme greift. Ihre Luftbuchung auf das Konto der Opfer von Gewalt und Verfolgung spricht Bände über die Seriosität Ihrer Politik. ({8}) Ich kann nicht verstehen, wie Ihnen die Bürgerrechtler in Ihren Reihen dazu noch die Hand reichen können. ({9}) Aus eigener Erfahrung auf Grund einer langen Zeit in der Opposition sage ich Ihnen: Wenn die eigene Strategie schneller Schimmel ansetzt als der Käse im Kühlschrank, dann ist es Zeit, innezuhalten und keine Geschichten mehr zu erzählen, Herr Glos. ({10}) Herr Merz hat uns gestern lange Zitate aus dem Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen von letzter Woche zum Thema Haushaltskonsolidierung vorgelesen. Ich möchte ebenfalls eine Stelle daraus zitieren und dies an Ihre Adresse richten. Dort steht: In der Verantwortung stehen in erster Linie die Regierung und die sie tragende Koalition, ebenso aber auch die übrigen im Parlament vertretenen Parteien; auch sie verlieren auf Dauer an Glaubwürdigkeit, wenn sie um kurzfristiger taktischer Vorteile willen die konstruktive Mitarbeit an einem im Prinzip als richtig erkannten Reformkurs verweigern. So weit die fünf Weisen. ({11}) All Ihr Genörgel an den Details unseres Konsolidierungskurses - mehr ist Ihnen ja am Ende der Haushaltsberatungen nicht eingefallen - ändert nichts daran, daß Union und F.D.P. mit dem heutigen Tag trotz manchen tagespolitischen Erfolgs, den ich Ihnen gönne, eine langfristige und strategische Niederlage erleiden. Die Regierungskoalition aus SPD und Grünen, die Koalition, die Sie so gerne als etatistische Gesellen darstellen, hat Sie auf Ihrem ureigenen Feld der Finanzund Haushaltspolitik nachhaltig geschlagen! ({12}) Das ist Ihre strategische Niederlage. Freuen Sie sich nicht zu früh, Herr Kollege Rühe und Herr Kollege Rüttgers! Es ist mutig von Ihnen beiden, daß Sie sich zu Höherem berufen fühlen - bei der Bilanz, die Sie als ehemaliger Bundesminister vorzuweisen haben. Es kann also sein, daß wir Sie in unseren Reihen halten und auch weiterhin freundlich begrüßen werden. ({13}) Das ist nur der parteipolitische Aspekt. Ich sage Ihnen aber ganz ehrlich: Hätten wir nur diesen Erfolg erlangt, hätten wir nur ein bißchen entschlossener gespart als die alte Regierung, hätten wir es nur besser und nicht auch anders gemacht, so könnte ich mich nicht darüber freuen! Stolz bin ich darauf, daß es uns gelungen ist, das Sparen mit dem Aufbauen, das Sparen mit dem Gestalten zu verbinden; ({14}) denn für diese Regierungskoalition gehören solide Finanzpolitik, soziale Gerechtigkeit und ökologische Erneuerung zusammen. ({15}) Deshalb haben wir nicht nur das ehrgeizigste Konsolidierungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht, sondern gleichzeitig neue Akzente für ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit gesetzt. Wir sparen 30 Milliarden DM ein und belassen durch eine Steuerreform 20 Milliarden DM netto mehr in den Taschen der Bürgerinnen und Bürger. Wir sparen 30 Milliarden DM ein und ermöglichen einer Familie mit zwei Kindern, mit 1 200 DM mehr pro Jahr ins neue Jahrhundert zu starten. ({16}) - Ich weiß: Das tut Ihnen weh. Wir sparen 30 Milliarden DM ein und haben die Sozialhilfesätze für Kinder erhöht, damit unsere neue Familienpolitik wirklich allen Familien zugute kommt. ({17}) Bereits zum 1. Januar 2000 werden die Steuersätze erneut sinken. Wir finanzieren unsere Steuerreform seriös. Sie von der Opposition wollen sie wahlweise mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer oder - so die neueste Idee aus München - mit einer grandiosen Neuverschuldung gegenfinanzieren. Ich weiß, daß es Herr Stoiber in Bayern mit den Millionen nicht so genau nimmt. Aber der neueste Finanzcoup stellt die Immobilienaffäre des Herrn Stoiber bei weitem in den Schatten. Nicht genug damit, daß nach dem CSU-Vorschlag die Steuersenkungen auf Pump finanziert werden sollen. Die Realisierung dieses Vorschlages wäre ein offener Verfassungsbruch. Mit einer solchen Höhe der Verschuldung würden auch die Maastricht-Kriterien unterlaufen, würde die Stabilität des Euro und somit der Prozeß der europäischen Einigung insgesamt gefährdet. ({18}) Daß das der CSU meistens egal ist und daß es vielleicht sogar gewollt ist, daß die Melodien der eurokritischen und der abwehrenden Töne zur Erweiterung der Europäischen Union in das Bild passen, scheint mir an diesem Vorschlag auch nachweisbar zu sein. Wir halten die Maastricht-Kriterien ein und entlasten die Bürgerinnen und Bürger von Steuern und Abgaben. Bei uns steigen die Nettolöhne endlich wieder; bei Ihnen sind sie gesunken, und das über acht lange Jahre hinweg. Die Arbeitnehmer und Angestellten haben mit weniger Nettolöhnen in die Röhre geschaut. ({19}) Schauen wir einmal genauer in: Was haben Sie gemacht, und was bringen wir auf den Weg? Von 1982 bis 1998 ist der Eingangsteuersatz um 4 Prozent gestiegen. Wir senken ihn in nur vier Jahren um 6 Prozent. Während der 16 schwarzgelben Jahre ist die Mehrwertsteuer um 3 Prozent gestiegen, bei uns bleibt sie stabil. In der Verantwortung der heutigen Opposition - Herr Kollege Struck hat es gesagt - wurde die Mineralölsteuer um 58 Pfennig erhöht. Jetzt regen sich dieselben Akteure auf, wenn wir die Mineralölsteuer um 6 Pfennig pro Jahr erhöhen. Ich kann nur sagen: Scheinheiliger geht es in diesem Punkt der Auseinandersetzungen wirklich nicht. ({20}) Sie haben aber nicht nur die Steuern erhöht, Sie haben auch die Schulden erhöht. Allein von 1982 bis 1990 hat Schwarzgelb die Verschuldung verdoppelt, um sie bis 1998 noch einmal zu verdoppeln. Das ist der konservative Faktor 4: mehr Schulden, weniger Nachhaltigkeit. ({21}) Noch ein Wort an die so putzmuntere bürgerliche Protestpartei mit den drei Pünktchen. Sie fragen in Ihrer neuesten Kampagne: Bin ich denn total besteuert? ({22}) Die Antwort fällt nach 29 Jahren Ihrer Mitregierung eindeutig aus: Erhöhung des Eingangssteuersatzes um 7 Prozent, Erhöhung der Mehrwertsteuer um 5 Prozent, Erhöhung der Mineralölsteuer um 73 Pfennig - das ist Ihre beeindruckende „Erfolgsbilanz“! ({23}) An Ihrer Stelle würde ich der Agentur, die Ihnen das aufgeschrieben hat, das Honorar wegen des grandiosen Eigentors, das Sie damit geschossen haben, verweigern. ({24}) Mit dem Kurswechsel beim Thema Rente hat die Union bereits begonnen, ihre Fundamentalopposition aufzugeben, und wir begrüßen es, daß Sie zur Vernunft zurückkehren und ohne Vorbedingungen, die Sie sonst immer gestellt haben, nun mit der Koalition über eine Rentenstrukturreform reden wollen, bei der wir die Frage der Generationengerechtigkeit in den Vordergrund stellen wollen. ({25}) - Da können Sie gespannt sein; ob Sie daran teilnehmen, wissen wir ja noch nicht. Ich kann nur sagen: Solide Finanzpolitik, soziale Gerechtigkeit und ökologische Erneuerung verhalten sich wie kommunizierende Röhren: Ein Weniger bei einem führt zu einem Weniger bei allen; umgekehrt muß ein Mehr des einen zu einem Mehr bei allen führen. Deshalb haben wir nicht nur angefangen, den Haushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen und die soziale Fairneß in unserer Gesellschaft wiederherzustellen, sondern wir haben gleichzeitig damit begonnen, unser Land so zu verändern, daß wir auch morgen noch in einer gesunden Umwelt leben können. Deshalb ist auch der Atomausstieg für uns unverzichtbar. Die Atomkraftbetreiber fühlen sich ihren Aktionären verpflichtet. Ob sie angesichts der ökonomischen Situation der Atomkraft gut beraten sind, steht auf einem anderen Blatt. Wir fühlen uns dem Souverän des Landes, nämlich den Bürgerinnen und Bürgern, verpflichtet. Sie haben mit ihrer Wahlentscheidung verdeutlicht, daß sie den Ausstieg aus der Atomenergie wollen. ({26}) Wenn möglich, werden wir das im Konsens durchführen; wenn nicht möglich und wenn nötig, aber auch im Dissens. ({27}) Bündnis 90/Die Grünen stehen auf der Seite der neuen innovativen Energieunternehmen. Wir schaffen die notwendigen Freiräume für Innovationen und Investitionen. Es gilt, in der Energiewirtschaft Perspektiven für dauerhaft sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze zu eröffnen. Diese Perspektiven können nicht in der Energieversorgung der Vergangenheit liegen, sondern hier müssen neue Wege begangen werden, die wir mit den regenerativen Energien, mit dem 100 000-DächerProgramm, mit der Stützung der Kraft-Wärme-Kopplung eröffnet haben. ({28}) Das Sparprogramm ist in ein Zukunftsprogramm und das Zukunftsprogramm in eine übergeordnete Politik eingebunden. Unser Ziel ist es, in einer sich rasant wandelnden Welt für die Menschen in unserem Land soziale Sicherheit in gesunder Umwelt zurückzugewinnen und sie heute und morgen zu sichern. Nun sagt die Union, daß wir es nicht können. Ein mutiger Satz! Damit wir uns richtig verstehen: Die Startschwierigkeiten, die wir hatten, sind gern zugegeben. Aber bevor Sie, Herr Glos, in zuviel Hochmut verfallen, ({29}) sei Ihnen ein Blick zurück auf den Anfang der Amtszeit Ihrer Regierung gewährt. Ich zitiere aus einem Kommentar, der nach einem Jahr Kohl, 1983, veröffentlicht wurde: Statt dessen gehören zum Regierungsprogramm Konzeptionslosigkeit in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Laiengastspiele in der Außenpolitik - Dinge, über die „Männerfreund“ Strauß mault. Helmut Kohl betreibt das politische Geschäft allein mit dem bescheidenen Mittel der Intuition, ({30}) die sich aus einem schlicht-schlauen Gefühlsvorrat speist. Soweit ein Kommentar aus dem Jahre 1983 zu einem Jahr Schwarzgelb. ({31}) Angesichts dessen können wir uns mit unserer Bilanz, glaube ich, sehr gut sehen lassen. ({32}) - Herr Glos, die Quelle kann ich Ihnen benennen. Das war der „Spiegel“ vom Ende des entsprechenden Jahres. ({33}) - Ein wichtiges Publikationsorgan. ({34}) Dieser Satz „Wir können es nicht!“ sagt übrigens mehr über Sie selbst als über uns: warum wir und nicht Sie die Nettoneuverschuldung gesenkt haben, warum wir und nicht Sie die Familien endlich wieder deutlich besser gestellt und mehr in die Bildung ihrer Kinder investiert haben, ({35}) warum wir und nicht Sie die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten und die Lohnnebenkosten senken. Sie haben es nicht getan, weil Sie es nicht wollten und weil Sie es bis heute nicht wollen. ({36}) Statt dessen wollen Sie den Menschen weismachen, es gebe einen inneren Zusammenhang zwischen den weltweiten Veränderungen und Ihrer Politik der sozialen Kälte. Ihre Antwort auf die Veränderungen von außen war und ist der Strukturkonservatismus nach innen. Sie glauben, es reiche aus, an dem Bestehenden festzuhalten und die sozialen Sicherungssysteme durch Kürzungen bei den sozial Schwächsten zu kitten. Sie wollen die kurzfristige Sicherheit der Mehrheit auf Kosten der Minderheit und der Zukunft erkaufen. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, welch Geistes Kind Schwarzgelb war und bis heute ist, dann sind es die Äußerungen von Ihnen, Herr Gerhardt, aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 8. November. Dort lesen wir: Gerhardt gegen den Begriff der sozialen Marktwirtschaft. - Markt und Wettbewerb und Vielfalt reichten aus, die Versorgung der Menschen mit sozialer Sicherheit und Gütern sicherzustellen. ({37}) Und weiter - das muß man sich genau anhören -: Die soziale Funktion stelle sich dann wieder ein, wenn Marktwirtschaft richtig funktioniert. ({38}) Für Sie sind also der Schutz vor Armut und die Sicherung des Lebensstandards in Zeiten von Arbeitslosigkeit nur mehr noch eine soziale Funktion? Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie viele Menschen in unserem Land auf das, was Sie „soziale Funktion“ nennen, angewiesen sind? ({39}) Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie viele Menschen jetzt, zu Beginn des Winters, kein Dach über dem Kopf hätten, wenn es diese soziale Funktion nicht geben würde? Ich kann nur sagen: Was für Sie eine „soziale Funktion“ ist, das ist für uns ein Herzensanliegen. ({40}) Was für Sie soziales Beiwerk ist, ist für uns die Grundlage für eine funktionierende soziale Marktwirtschaft.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schlauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gerhardt?

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schlauch, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die soziale Marktwirtschaft nicht eine Addition aus Marktwirtschaft und Sozialpolitik ist, sondern daß der Begriff der sozialen Marktwirtschaft, wie ihn Ludwig Erhard geprägt hat, die Versorgung einer Gesellschaft mit Gütern und die Bewahrung vor sozialer Not meint? ({0})

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben offensichtlich nicht begriffen, daß Sie sich mit dem, was ich zitiert habe, gegen den Begriff der sozialen Marktwirtschaft ausgesprochen haben. Sie wollen der reinen Marktwirtschaft bestenfalls eine soziale Funktion zukommen lassen. ({0}) Das ist nun wirklich verkürzt. Deshalb setze ich mich jetzt auch nicht weiter mit Ihnen auseinander. Sie haben - das gilt für die gesamte Opposition - aus kurzfristigen parteipolitischen Erwägungen heraus die Veränderungsbereitschaft der Bevölkerung ins Leere laufen lassen. Der Herr Kollege Schäuble, dem ich von hier aus beste Genesung und Besserung wünsche, und auch der Herr Kollege Merz reden immer wieder von der Veränderungsbereitschaft der Menschen in diesem Land. Sie haben diese Veränderungsbereitschaft ins Leere laufen lassen. Ja, schlimmer noch: Sie haben sogar den Eindruck erweckt, als brauche es diese Veränderungen gar nicht. Das ist neben der finanziellen Erblast die noch größere geistig-moralische Erblast Ihrer Politik, die Sie uns hinterlassen haben. ({1}) Gestatten Sie mir einen Satz zu dem beantragten Untersuchungsausschuß. Wir von der Fraktion der Grünen haben diesen Untersuchungsausschuß von Anfang an gewollt. Wir finden gut, daß er jetzt eingesetzt wird. Aber eines muß ich Ihnen schon sagen, meine Damen und Herren von der Union: Sie verkehren die Rollen etwas. Nicht wir, sondern Sie haben etwas zu erklären. Und dazu hatten Sie Zeit genug, aber Sie haben geschwiegen! ({2}) Bei Herrn Kohl hat sich das vorhin etwas anders angehört. ({3}) Die notwendigen Veränderungen für ein dauerhaftes Mehr an Sicherheit führen jedoch kurzfristig zu einem Mehr an Unsicherheit. So erscheint den Menschen das Festhalten am Status quo kurzfristig besser und sicherer als der mutige Weg der Erneuerung und dauerhaften Sicherung der Zukunft. Dieser Teufelskreis ist das größte Handicap, das die alte Regierung zurückgelassen hat. Das ist die geistig-moralische Erblast von Schwarzgelb. Sie zu überwinden ist noch schwieriger, als einen Haushalt zu sanieren und aus der Schuldenfalle herauszukommen ({4}) Trotz dieses schwierigen Erbes haben wir uns für den Wandel und gegen den Stillstand entschieden. Dafür zahlen wir - das zeigen die letzten Wahlen - kurzfristig einen hohen Preis. Aber wir sind uns sicher, daß es nur so gelingen kann, den Menschen die soziale Sicherheit zurückzugeben, die die Grundlage für die individuelle Freiheit bildet, Herr Gerhardt. ({5}) Wir öffnen mit unserer Politik die Zukunft. Wir erneuern das Land heute so, daß wir es morgen guten Gewissens an unsere Kinder übergeben können. Deshalb belassen wir es nicht wie die Opposition bei der Beschreibung der Probleme, sondern wir haben uns an die Lösung gemacht. Meine Damen und Herren, die Bilanz der letzten Monate liest sich kurz wie folgt: Wir wollten das alte Staatsbürgerschaftsrecht modernisieren, ein Unternehmen, zu dem Sie über Jahre hinweg keine Lust hatten, an dem die F.D.P. gescheitert ist. Wir haben es getan. ({6}) Wir wollten durch die Ökosteuer Arbeit billiger und Umweltverbrauch teurer machen. Wir haben es getan. ({7}) Wir wollten Eingangs- und Spitzensteuersatz senken, meine Damen und Herren von der F.D.P. Wir haben es getan, Sie nicht. ({8}) Wir wollten das Existenzminimum und das Kindergeld erhöhen. Wir haben das getan. ({9}) Wir wollten arbeitslosen Jugendlichen endlich wieder eine Perspektive geben. In fast 200 000 Fällen haben wir es getan, während Sie das Thema ignoriert haben. ({10}) Wir wollten mehr in Bildung investieren. Wir haben es getan. Wir wollten regenerative Energien fördern. Wir haben es getan. Und wir wollten die Staatsfinanzen in Ordnung bringen. Mit dem Haushaltssanierungsgesetz vor zwei Wochen und mit dem Haushalt heute haben wir das in einem ersten Schritt getan. Weitere Schritte werden folgen. ({11}) Das alles zeigt: Diese Regierung ist handlungsfähig, meine Damen und Herren von der Opposition. ({12}) - Ja, das macht mir besondere Freude -: Sie ist trotz geänderter Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat handlungsfähig. Das haben Sie über Jahre hinweg nicht geschafft. ({13}) Das zeigt auch: Wir haben unsere Probleme hinter uns. Sie von der Opposition haben sie vor sich! ({14}) Wir werden auch im nächsten Jahr unseren Kurs der finanziellen Seriosität, der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Erneuerung fortsetzen. Ich bin sicher, wir werden wie heute auch beim Haushalt 2001 sagen können: Dies ist ein guter Tag für unser Land. Danke schön. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schlauch, Sie haben viel Beifall von der Regierungskoalition bekommen. Es war ja auch eine erstaunliche Erfolgsbilanz, die Sie hier vorgetragen haben. ({0}) Ich warne nur ein bißchen vor der Haltung, die dahintersteckt: Was die Partei sagt, wird morgen sein. Das kenne ich. ({1}) Ich finde, Ihre Bilanz ist sehr einseitig ausgefallen. Die Selbstkritik, die auch erforderlich gewesen wäre, fehlte mir. ({2}) Ein Satz hat mich besonders stutzig gemacht, Herr Schlauch. Sie haben Ihr Sparprogramm gewürdigt und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen - und das der Union vorgehalten -, daß Ihr Sparprogramm von Ministerpräsident Biedenkopf, vom Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstags, Stihl, von der Deutschen Bank und von der „FAZ“ gelobt wird. Früher hätte es die Grünen stutzig gemacht, wenn sie gerade von den vier so gewürdigt worden wären. ({3}) Heute empfinden Sie das als Bestätigung. Ich finde, Sie sollten darüber nachdenken. Ich möchte eine Bemerkung zu dem machen, was Herr Struck gesagt hat. Sie haben am Anfang Ihrer Rede den Brief eines CSU-Mitglieds als Bestätigung Ihrer Politik zitiert. Vor dieser Methode kann ich nur warnen. Was glauben Sie, wie viele Briefe ich von SPDMitgliedern bekomme? Ich käme aber nie auf die Idee, sie hier als Nachweis zu zitieren. Das sollten wir nicht einführen. ({4}) Sie haben auch über die Spendenaffäre der Union gesprochen. Ich meine, alles, was damit in Zusammenhang steht, ist schon ein starkes Stück. Es fängt mit einer Spende von einem Waffenhändler an. Es geht damit weiter, daß die Spende bar erfolgte. Ich frage: Warum wurde sie eigentlich nicht überwiesen? Warum wurde sie als Bargeld in einem Koffer überreicht? Warum wurde sie nicht auf ein normales Konto eingezahlt? Warum wurde ein eigenes Konto dafür eingerichtet? Hier ist Aufklärung wirklich dringend geboten. Ich sage Ihnen aber auch: Wenn sich der Bundestag entscheidet, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, dann ist der Untersuchungsausschuß das Gremium, in dem die Fragen geklärt werden. Dann ist es nicht fair, das vorher im Plenum zu versuchen und mit Vermutungen zu operieren und sie als Tatsachen darzustellen. Dann lassen Sie uns das alles im Untersuchungsausschuß klären! An die Adresse der Union möchte ich sagen: Könnten Sie sich in etwa die Überschrift in der „Bild“-Zeitung vorstellen, wenn ein führender PDS-Politiker 1 Million DM in bar in einem Koffer bekommen hätte? Ich kann sie mir vorstellen. Glauben Sie im Ernst, daß Sie nach dem Motto vorgegangen wären, es gilt zunächst die Unschuldsvermutung, ({5}) oder wären Sie nicht minuten- oder sogar stundenlang über uns hergezogen? Ich bin für Fairneß und Rechtstaatlichkeit. Deshalb werde ich mich an Vorverurteilungen nicht beteiligen. Ich bitte Sie nur, in umgekehrten Fällen - und nicht nur als Betroffene - diese Prinzipien ebenfalls gelten zu lassen. ({6}) Lassen Sie mich dazu noch eine Bemerkung machen. Die Frage, die der Kollege Dr. Kohl hier gestellt hat, kann Herr Struck überhaupt nicht beantworten. Wenn wir den Untersuchungsausschuß ernst nehmen, dann entscheidet der Untersuchungsausschuß über die Beweisaufnahme und darüber, wann welche Zeugen gehört werden. Es wäre schon eine Verletzung der Regeln des Untersuchungsausschusses, wenn er hier etwas zusichert, was der Untersuchungsausschuß zu entscheiden hat. Dort muß es geklärt werden, und das muß zügig gehen; da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Herr Struck, Sie haben uns - eigentlich der ganzen Opposition - gnadenlosen Opportunismus vorgeworfen. Sie haben gesagt, wir fordern lauter Dinge und sagen nicht, wie sie finanziert werden sollen. ({7}) Zunächst will ich an folgendes erinnern: Dieser Vorwurf trifft jede Opposition. 16 Jahre lang ist Ihnen vorgehalten worden, daß Sie Dinge vorschlagen, ohne die Finanzierung zu sichern. Irgendwie scheint mir das ein Dauerthema zwischen Regierung und Opposition zu sein. ({8}) Aber in diesem Fall irren Sie sich einfach, was Ihre Kritik an der PDS angeht. ({9}) Wir haben zur zweiten Lesung Ihres Haushaltsgesetzentwurfs Änderungsanträge gestellt. Wenn Sie den Anträgen stattgeben würden, würde das Mehrausgaben in Höhe von 9,907 Milliarden DM und Mehreinnahmen in Höhe von 9,933 Milliarden DM bedeuten. Die Vorschläge sind also gegenfinanziert, ja sogar überfinanziert. Insofern ist Ihr Vorwurf in dieser Hinsicht unbegründet. ({10}) Wenn man die Gesamtbilanz Ihrer Regierungsarbeit, Herr Bundeskanzler, für ein Jahr zieht, muß man die Beurteilung differenziert vornehmen. Ich will wenigstens ganz kurz versuchen, etwas zur Außenpolitik zu sagen. Diese war lange Zeit und wird auch noch lange Zeit von der Tatsache geprägt sein, daß Deutschland unter Ihrer Verantwortung erstmalig nach 1945 an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg teilgenommen hat. Sie wissen, daß wir ganz entschieden und - wie wir meinen - aus sehr guten Gründen dagegen waren: als Lehre aus der deutschen Geschichte, in Respekt vor dem Völkerrecht und weil wir vor allem der Meinung sind, daß Krieg kein Mittel der Politik werden darf. Heute geht es mir um etwas anderes - das ist bekannt, und ich will die Debatte nicht wiederholen -, nämlich um die Ergebnisse. Wir haben damals, vor Beginn des Krieges, gesagt: Das Schicksal der Kosovo-Albaner wird sich während des Krieges nicht verbessern, sondern verschlimmern. Dies ist leider eine traurige Wahrheit geworden. Jetzt muß ich in den Zeitungen lesen, daß die Zahlen, die der Bundesverteidigungsminister Scharping vor Beginn des Krieges über Massaker etc. angegeben hat, offensichtlich falsch waren. Jetzt möchte ich irgendwann Aufklärung darüber haben: Waren die Quellen falsch? Dann muß man über die Art der Quellen nachdenken. Oder hat er bewußt falsch informiert? Dann bedarf auch das der Aufklärung. Heute besteht nach wie vor eine extrem komplizierte Situation im Kosovo. Man kann eben nicht mit Krieg Menschenrechte herstellen. Das zeigen auch jetzt die Vertreibung, Verfolgung und Tötung von Serben und anderen Minderheiten, die genauso zu verurteilen sind. Sie haben gesagt: Das Ganze dient der Schwächung von Milosevic. Milosevic muß gestoppt werden. Er muß aus seinem Amt heraus. Der Krieg soll in erster Linie ihn treffen. Ich stelle fest: Der sitzt immer noch im Amt. Wer friert, das ist die jugoslawische Bevölkerung. Die Lebensmittelknappheit gibt es bei der jugoslawischen Bevölkerung. Deshalb habe ich eine ganz entschiedene Bitte: Beenden Sie bezüglich dieser Leistungen das Embargo. Es trifft nicht Milosevic, es friert doch die Bevölkerung. Das muß aufhören. ({11}) Sie haben damals ganz häufig von Kollateralschäden gesprochen. Wenn es denn Kollateralschäden waren, dann heißt dies: ungewollte Schäden. Aber wenn man ungewollte Schäden nach dem Krieg nicht beseitigt, dann werden sie irgendwann zu gewollten Schäden. Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie uns die Heizkraftwerke wiederaufbauen, lassen Sie uns dafür sorgen, daß wenigstens die einfachsten Lebensbedingungen der jugoslawischen Bevölkerung wiederhergestellt werden. Das müßte eine Selbstverständlichkeit sein. Wir dürfen die Bevölkerung nicht in eine Art Geiselhaft für Milosevic nehmen. Das ist einfach nicht zu verantworten, das ist nicht fair. Das schwächt auch nicht diesen Mann, das schwächt nur die Bevölkerung. ({12}) Ich habe damals gesagt: Es wird ein Schaden für die Charta der Vereinten Nationen, für die UNO, sein. Sie wird geschwächt sein. Es wird weltweit eine Dominanz des Militärischen geben. Ich glaube, daß Blicke nach Indien, Pakistan oder in andere Regionen das bestätigen. Dies gilt übrigens auch für die neue Doktrin der NATO. Aber am schlimmsten - das habe ich damals gesagt ist die Sache mit dem Verhältnis zu Rußland. Ohne Rußland gibt es keine Stabilität, keine wirkliche Entwicklung, keinen Frieden in Europa. Das ist, glaube ich, eine allgemein anerkannte Tatsache. Ich habe damals gesagt: Ich befürchte, daß die Demütigung Rußlands, die Negierung des Vetorechts, dazu führen wird, daß das Militärische in Rußland wieder in den Vordergrund tritt, weil man Rußland gezeigt hat, daß es nur mit entsprechender Militärmacht eine Großmacht ist. Ich habe davor gewarnt, daß das Militär in Rußland das Primat übernehmen wird. Jetzt schauen Sie sich die heutige Situation in Rußland an! Selbst wenn es eine ernstzunehmende politische Kraft in Rußland gäbe, die diesen entsetzlichen Tschetschenien-Krieg beenden wollte, sie könnte das heute gegen den Willen der Militärführung überhaupt nicht mehr. So hat sich die Situation in Rußland verändert, sosehr haben wir es jetzt mit dem Primat des Militärischen zu tun, was ich für kreuzgefährlich halte. ({13}) Es mag schon sein - ich finde, in dem Punkt hat Herr Glos recht -, Herr Lippelt, daß Sie viele öffentliche Veranstaltungen zu Tschetschenien durchführen. Aber der Bundestag schweigt im wesentlichen. Das geht eigentlich nicht. ({14}) Wir müssen hier viel deutlicher Farbe gegen diesen Krieg, der in Tschetschenien geführt wird, bekennen. Sie, Herr Bundesaußenminister Fischer, haben den früheren Außenminister Kinkel immer dafür kritisiert, daß er Menschenrechte nicht in den Mittelpunkt der Außenpolitik gestellt hat. Was hat sich denn diesbezüglich im Verhältnis zum Iran, zur Türkei oder zu anderen Ländern in der Außenpolitik geändert? Ich kann nichts erkennen. Ich mache mir auch über etwas anderes Sorgen. Noch nie war das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich so distanziert wie heute. Aber nur bei einem wirklich guten Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich wird es möglich sein, den europäischen Einigungsprozeß voranzubringen. Sie können die Beziehungen zu Frankreich durch Beziehungen zu Großbritannien nicht ersetzen. Was hat sich bei den Rüstungsexporten getan? Alle haben doch gedacht, daß Rüstungsexporte reduziert werden, wenn SPD und Grüne regieren. Manche hatten vielleicht sogar die Illusion, Rüstungsexporte würden gestoppt. Diese Illusion hatte ich nicht. Jetzt muß ich feststellen, daß es in diesem Jahr mehr Rüstungsexporte als im letzten Regierungsjahr von Kanzler Kohl gab. Das ist geradezu absurd. Es stellt die Welt doch irgendwie auf den Kopf. Der Panzer für die Türkei ist dabei ja nur die Spitze des Eisberges. Wir hatten uns vorgestellt und gehofft, daß die Entwicklungshilfe ausgebaut wird, schon um Fluchtursachen zu bekämpfen. Statt dessen werden die Mittel für die Entwicklungshilfe zurückgeschraubt. Damit wird auch die Bekämpfung von Fluchtursachen zurückgeschraubt. Hat sich wenigstens die Lage der Flüchtlinge in Deutschland verbessert? Sie hat sich nicht verbessert; es ist maximal beim Ist-Zustand geblieben. Nun beginnt auch noch der Innenminister, über das Grundrecht auf Asyl zu fabulieren. Was soll das? Wir wissen doch alle, wohin solche Asyldebatten führen. Wir erinnern uns doch noch an die brennenden Asylheime. Lassen Sie eine solche gesellschaftliche Debatte nicht zu! ({15}) Zur Innenpolitik. Die Dezembergesetze Ihrer Regierung gehen in Ordnung. Ich bedauere nur, daß Sie damals, zum Beispiel im Hessen-Wahlkampf, nicht vehement damit gepowert haben. Ich hatte immer das Gefühl, daß sie Ihnen so richtig gar nicht gefallen haben. Aber inzwischen greifen Sie in Ihren politischen Äußerungen immer häufiger auf die Dezembergesetze von 1998 zurück. Das geht auch in Ordnung. All das haben wir unterstützt. Es waren alles Schritte in die richtige Richtung, auch wenn der eine oder andere vielleicht zu kurz war: Aussetzung der Senkung des Rentenniveaus, Kündigungsschutzerweiterung, Reduzierung der Zuzahlung für Medikamente, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kindergelderhöhung etc. Wir haben zwar Bedenken gegen Ihr Jugendprogramm, weil es nicht so greift, wie Sie es hier immer darstellen. Trotzdem ist auch das ein Schritt in die richtige Richtung. Nur lieber Herr Schlauch, in dieser Frage kommen Sie irgendwann um das Problem der Umlagefinanzierung nicht herum. Immer noch gibt es Tausende Jugendliche ohne Lehrstelle und ohne Ausbildung. Immer noch sind es die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die weit über ihre Möglichkeiten ausbilden, während sich die Großen immer mehr aus der Ausbildung zurückziehen. Deshalb werden wir diese Umlagefinanzierung benötigen. Wir kommen nicht umhin. Ihre Regierung hat zum Teil wichtige Probleme aufgegriffen. Die diesbezüglichen Angriffe von CDU/CSU und F.D.P. sind, was die Problematik betrifft, regelrecht falsch: 630-Mark-Jobs, Scheinselbständigkeit. Es bestand doch die Tendenz, daß immer mehr Arbeitsverhältnisse in 630-Mark-Jobs aufgegliedert wurden, daß dadurch vorwiegend die Arbeitnehmerinnen - auch einige Arbeitnehmer - nicht abgesichert waren und daß dadurch die Versicherungskassen immer leerer wurden. Also bedurfte dieses Problem einer Lösung. Dasselbe gilt für die Scheinselbständigkeit. Daß Sie dabei nicht konsequent waren, daß es auch zu Überziehungen kam - Stichwort Übungsleiter im Sport etc. -, ist ein anderes Thema. Das hätte man aber wissen können und wissen müssen. Insofern gibt es Korrekturbedarf. Aber es ist richtig, daß man die Probleme im Prinzip einer Lösung zuführt. Ich möchte etwas zur neoliberalen Tendenz sagen, die leider in allen Parteien um sich greift, nicht nur in der F.D.P. und in der CDU/CSU, sondern auch bei den Grünen und zum Teil auch in der SPD. ({16}) - An dieser Stelle kommt immer der Ruf von Herrn Gerhardt nach weniger Staat. Machen wir es einmal konkret, nehmen wir einmal Holzmann! Die jetzige Situation ist so, daß alle auf den Kanzler setzen. Am liebsten soll er die Schulden selber bezahlen. Der Staat soll die Löhne bezahlen; auf jeden Fall soll der Staat Bürgschaften übernehmen. Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen schon heute: Wir werden alles, was Sie dort zusichern, unterstützen, wenn es die Arbeitsplätze der Beschäftigten rettet. ({17}) Aber eines sage ich ganz deutlich: Wenn der Staat für die Schulden zuständig wird, dann muß mit dem Gerede über die Beteiligung privater Gewinne an der Finanzierung des Allgemeinwohls Schluß sein. Das muß aufhören. ({18}) Privatwirtschaftliche Gewinne bleiben immer in privaten Händen, während privatwirtschaftliche Schulden sozialisiert werden sollen. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen die Tilgung dieser Schulden auf sich nehmen. Sie sprechen davon, wie unproduktiv die Vermögensteuer ist usw.; aber jetzt soll die Politik helfen, jetzt soll der Staat eingreifen. Wir müssen da jetzt einmal eine Symmetrie herstellen. Dasselbe gilt für die Diskussion über Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte. Immer wieder höre ich von der rechten Seite das Argument, wie kontraproduktiv Arbeitnehmerrechte seien. Die Arbeitnehmer dürften sich nicht in die Entscheidungen des Managements einmischen. Aber das Problem ist folgendes: Wenn das Management falsche Entscheidungen trifft, dann werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Straße geschickt und haben keinen Lohn mehr. Insofern fordern wir mehr Mitbestimmungsrechte; denn die Entscheidungen in den Vorständen betreffen auch das Schicksal der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb müssen sie stärker in diese Entscheidungen einbezogen werden. ({19}) Sie fordern immer Lohnzurückhaltung. Wissen Sie eigentlich, welche Folgen diese Forderung für die Arbeitnehmer hat? Wenn die Arbeitnehmer auf gerechtfertigte Lohnsteigerungen verzichten und anschließend arbeitslos werden, dann bedeutet dies weniger Arbeitslosengeld und weniger Arbeitslosenhilfe, vom Rückgang der Kaufkraft einmal abgesehen. ({20}) Warum hat die Baubranche Schwierigkeiten? Die Baubranche hat deshalb Schwierigkeiten, weil Sie, Herr Gerhardt, jahrelang nichts gegen Lohndumping auf den Baustellen unternommen haben. Dies hat natürlich die Bauunternehmen, die noch nach Tarif gezahlt haben, in höchstem Maße gefährdet. Aber Sie wollten ja Lohndumping. Dies ist eine der Folgen, mit der wir uns jetzt auseinandersetzen müssen. ({21}) Ich möchte auch noch eine Bemerkung zu den feindlichen Übernahmen machen. Herr Bundeskanzler, ich habe mit großer Freude in der Presse gelesen, daß Sie jetzt ganz und gar gegen feindliche Übernahmen seien und daß Sie eine europäische Regelung fordern, um solche Übernahmen auszuschließen. Auf Seite 17 der Antwort Ihrer Regierung auf die Große Anfrage der PDSFraktion vom 20. Oktober 1999 heißt es zu feindlichen Übernahmen: Feindliche Übernahmen, das heißt Übernahmen gegen den Willen des Vorstandes der Zielgesellschaft, sind aus volkswirtschaftlicher Sicht grundsätzlich nicht negativ zu bewerten. Potentielle Übernahmen haben eine wichtige Kontrollfunktion, weil weniger effiziente Vorstände mit der Übernahme des Unternehmens mit ihrer Ablösung rechnen müssen. Weiter heißt es, daß es um den Schutz der Aktionäre gehe. Der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird in Ihrer Antwort überhaupt nicht erwähnt. Zum Schluß heißt es: Gesetzliche Maßnahmen bezüglich der Verhinderung feindlicher Übernahmen sind von der Bundesregierung nicht geplant. Sie wissen, es gibt einen großen Unterschied zwischen freundlichen Übernahmen, bei denen es um mehr Effizienz und die Gestaltung des Unternehmens geht auch diese Übernahmen sind leider meistens mit Arbeitsplatzverlusten verbunden -, und feindlichen Übernahmen, in deren Folge ein Konkurrent zumindest im wesentlichen vernichtet werden soll, was mit dem Verlust Tausender Arbeitsplätze verbunden ist. Deshalb sage ich Ihnen: Nein, so einfach ist es mit „weniger Staat“ nicht getan. Jetzt regen sich alle über feindliche Übernahmen auf. Im Grunde genommen sind solche Übernahmen aber ein Resultat der nackten Marktwirtschaft. Wir müssen also schon ein bißchen regulieren, wenn wir wollen, daß das Ganze sozial verträglich abläuft und Arbeitsplätze geschaffen und erhalten werden. ({22}) Sie haben Gesetze initiiert, die nach dem Motto „Ja, aber“ oder „Nein, aber“ funktionieren. Zur Ökosteuer: Natürlich ist es erst einmal richtig - hierin stimme ich Ihnen, Herr Schlauch, zu -, daß der Gedanke der Ökologie in das Steuersystem eingeführt wird, daß der Ressourcenverbrauch verteuert wird und daß ökologisches Verhalten steuerlich begünstigt wird. Aber schauen Sie sich doch einmal Ihr Gesetz an! Die ökologische Lenkungswirkung ist gleich Null. ({23}) Wenn Sie eine Energiesteuer einführen und gleichzeitig diejenigen, die die meiste Energie verbrauchen, von dieser Steuer befreien, dann müssen Sie doch damit rechnen, daß die Wirkung gleich Null ist. Sie haben Lobbyismus betrieben. Die Energiesteuer ist sozial absolut unverträglich, weil sie im wesentlichen von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Rentnerinnen und Rentnern, den Arbeitslosen und den Sozialhilfeempfängern gezahlt werden muß. Auch beim Thema Mineralölsteuer können Sie einen Aspekt nicht ausklammern: Sie können zwar das Autofahren teurer machen, aber nur unter der Bedingung, daß Sie den Menschen eine sozial verträgliche verkehrspolitische Alternative anbieten. Aber mit Ihrer Ökosteuer machen Sie auch Bus und Bahn teurer. Dies ist sozial extrem unausgewogen. ({24}) Im übrigen verzerren Sie durch die unterschiedliche Behandlung der Unternehmen auch noch ganz erheblich den Wettbewerb in der Wirtschaft. Die Landwirtschaft wird diesbezüglich am meisten getroffen, auch durch Ihre Sozialkürzungen. Die Landwirte erhalten keinen Ausgleich. Bisher sehe ich kein Bemühen, dies zu reparieren. Die Gesundheitsreform ist ein interessantes Beispiel. Im Gesundheitswesen steigen die Kosten. Nun fordern Union und F.D.P., daß die Beiträge nicht erhöht werden. Sie denken dabei weniger an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als vielmehr an die Unternehmer. Das ist egal. Auf jeden Fall fordern alle Fraktionen in diesem Hause - auch SPD, Grüne und PDS -, die Beiträge nicht zu erhöhen. Aber die Kosten im Gesundheitswesen steigen. Was tun? Die Opposition zur Rechten schlägt jetzt vor, die Zuzahlungen der Patientinnen und Patienten zu erhöhen. Dies ist nun die unsolidarischste aller denkbaren Varianten; denn damit wird das Problem auf Kosten der Kranken gelöst. ({25}) Wir sind der Bundesregierung dankbar, daß sie diesen Weg nicht mitgeht. Allerdings macht es sich auch die Bundesregierung zu leicht, wenn sie den medizinischen Einrichtungen vorschreiben möchte, wieviel Geld sie ausgeben dürfen. Mehr sei eben nicht da, sie sollten sehen, wie sie zurechtkämen. Das heißt, Sie verlagern ein gesamtgesellschaftliches Problem auf Ärztinnen und Ärzte und auf Schwestern. Das ist natürlich nicht hinnehmbar. Wo sollen die denn das Problem lassen? Sie können es letztlich wiederum nur an Patientinnen und Patienten weitergeben. Wir werden die Schließung von Einrichtungen erleben. Deshalb sage ich: Das ist der falsche Weg. Wir haben vorgeschlagen, die Finanzierung durch eine gerechtere Beitragsbemessungsgrenze zu sichern, dadurch, daß mehr und nicht nur die abhängig Beschäftigten in die Kasse einzahlen müssen, und dadurch, daß die Unternehmen nicht länger nach der Lohnsumme einzahlen, sondern endlich nach ihrer Wertschöpfung, das heißt differenziert nach ihrer Leistungsfähigkeit, und indem wir gleichzeitig eine Strukturreform im Gesundheitswesen durchführen, in dem es viele Spareffekte gibt. Die Positivliste ist vernünftig, weil sie auch ein bißchen die Gewinne der Pharmaindustrie einschränkt. Daß Sie jetzt die Polikliniken wiederentdecken, ist, finde ich, ein starkes Stück. Wir haben Ihnen schon 1990 gesagt, daß sie eine sinnvolle Einrichtung sind. Man hätte sie gar nicht erst kaputtmachen sollen. Dieser Hinweis muß allerdings an die Adresse der ehemaligen Regierung gehen. ({26}) Sie hatten das Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und nennen jetzt als Hauptziel die Sanierung des Haushalts. Ich sage Ihnen: Sie sanieren den Haushalt am ehesten, wenn Sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Dafür aber wäre eine ganz andere Politik erforderlich. Wir müssen dem Umstand Rechnung tragen, daß die Arbeitsproduktivität ständig steigt, daß immer weniger Menschen in immer kürzerer Zeit immer mehr herstellen. Wir müssen zu Arbeitszeitverkürzungsmodellen kommen. Wir müssen Arbeit gerechter verteilen. Mit Lohnzurückhaltung lösen Sie auf dieser Strecke kein Problem, ganz im Gegenteil. Wir können auch keine weitere Schwächung der Kaufkraft hinnehmen. Wir brauchen im Non-profit-Sektor einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Es ist doch viel sinnvoller, Arbeit zu bezahlen statt Arbeitslosigkeit. Es wird mir immer gesagt, Jugendarbeit sei teuer. Das ist wahr. Aber ich sage Ihnen: Jugendstrafvollzug ist viel teurer. Deshalb lassen Sie uns die Mittel an den richtigen Stellen auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzen. ({27})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Achten Sie bitte auf die Zeit, Herr Kollege Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wir brauchen endlich eine direkte Förderung der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Vor allem müssen wir erreichen, daß die Zahlungsunmoral aufhört. Die meisten Unternehmen gehen ein, weil Kommunen und andere Kunden die Rechnungen nicht bezahlen. Dafür kann man Lösungen finden. Wenn wir in dieser Richtung gehen und Sie die Lohnnebenkosten auf die Wertschöpfung umstellen würden, wie wir es vorgeschlagen haben, dann könnten wir auch die Finanzierungsprobleme lösen. Wir haben Ihnen auch gesagt, wie man 30 Milliarden DM einsparen kann, ohne eine Sozialkürzung vorzunehmen. Indem Sie die Renten kürzen, bei den Bezügen der Arbeitslosen, beim Arbeitslosengeld, bei der Arbeitslosenhilfe, bei den Bezügen der kleinen und mittleren Beamten und auch in der Landwirtschaft Kürzungen vornehmen, haben Sie ein unsoziales Sparprogramm aufgelegt. Dafür werden Sie die Quittung bekommen. Das wäre überhaupt nicht nötig gewesen. Wenn Sie allein auf die Senkung des Spitzensteuersatzes verzichtet hätten, hätten Sie sich die gesamte Kürzung bei Rente, Arbeitslosen und auch im Sozialbereich der Landwirtschaft sparen können. Das wäre eine sozialere Politik gewesen. Aber dazu waren Sie nicht bereit. Das muß eine linke Opposition in diesem Bundestag ganz deutlich kritisieren. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt Herr Bundeskanzler Gerhard Schröder. ({0})

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wirtschaftliche Kraft des Landes zu entwickeln, um soziale Gerechtigkeit unter völlig veränderten wirtschaftlichen Bedingungen auch weiterhin zu ermöglichen, ist das Ziel, das sich die Koalition im Innern gesetzt hat. Sie wird dieses Ziel realisieren, um den Menschen in Deutschland Perspektiven zu geben, zumal den jungen, und sie wird dieses Ziel auch deshalb realisieren, um solidarisch mit denen in Europa und in der Welt zu sein, denen es schlechter geht als den Menschen in Deutschland. ({0}) Wer die Lage in Deutschland und um uns herum wirklich vorurteilsfrei einschätzen will - ich habe verstanden, Herr Glos, daß Sie es nicht ganz wollen -, der tut gut daran, sich mit ein paar nüchternen Zahlen bekanntzumachen - Zahlen über wirtschaftliches Wachstum, die dieses Jahr betreffen und die das nächste Jahr betreffen werden, Zahlen, die nicht aus der Bundesregierung stammen, sondern die entwickelt worden sind auf der Basis von Forschungsergebnissen der Sachverständigen ebenso wie der fünf großen wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die wir in Deutschland haben. Diese Zahlen weisen aus: Wir werden in diesem Jahr ein wirtschaftliches Wachstum von 1,5 Prozent haben. Wir werden zum erstenmal seit sehr langer Zeit wieder eine Steigerung der Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland zu verzeichnen haben, und zwar um 3 Prozent. ({1}) Die Zahlen weisen aus, daß zunächst die außenwirtschaftliche Schwäche überwunden werden konnte. Das hat gewiß mit positiven Entwicklungen in Asien, in Südamerika und in anderen Bereichen der Welt zu tun. Diese Regionen sind in den letzten Monaten krisenfester geworden. Das ist nicht das Verdienst der Bundesregierung. Aber sowenig wie das Festigen der Situation um uns herum das Verdienst der Bundesregierung ist, sowenig war es der Fehler der Bundesregierung, wenn wir im zu Ende gehenden Jahr - jedenfalls in der ersten Hälfte - leider eine gegensätzliche Konjunkturentwicklung in vielen Ländern der Welt zu verzeichnen hatten, die natürlich auch die Außenwirtschaft Deutschlands beeinflußt und zu einer Wachstumsrate in Höhe von nur 1,5 Prozent insgesamt beigetragen hat. Die gleichen Institute prognostizieren, daß wir im nächsten Jahr mit einem Wachstum von 2,5 bis 3 Prozent rechnen können. Das ist Gott sei Dank mehr, als wir brauchen, um die Beschäftigungsschwelle, die in Deutschland unbestritten zu hoch liegt, zu überwinden. Das ist die Situation. Angesichts der Tatsache, daß wir im nächsten Jahr mit einer Exportsteigerung von 7 Prozent rechnen können, nachdem sie in diesem Jahr bei 2 bis 2,5 Prozent lag, also mit fast 5 Prozent mehr, ist es unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sich die Aufschwungtendenzen, die wir Gott sei Dank beim Export erwarten können, auch auf dem Binnenmarkt einstellen. Es ist unsere Aufgabe, miteinander dafür zu sorgen, daß die prognostizierten Wachstumsraten auch eintreten und, wo immer es geht, auch noch gesteigert werden. Das trägt dazu bei, das zentrale Ziel, das, wie ich glaube, alle Parteien verfolgen, nämlich Massenarbeitslosigkeit zu überwinden, auch zu erreichen. ({2}) Das ist der Grund, meine Damen und Herren, warum die Politik dieser Koalition in drei Bereichen genau diese Wachstumskräfte auf dem Binnenmarkt stärken will und wird. Erstens. Zunächst einmal können wir auf dem Arbeitsmarkt nicht nur auf Grund unserer Politik, aber auch als Folge unserer Politik Gott sei Dank Besserungstendenzen erkennen. In diesem Jahr ging die Arbeitslosenzahl um 150 000 bis 200 000 zurück. ({3}) Die gleiche Entwicklung wird sich im nächsten Jahr fortsetzen. Wir werden im nächsten Jahr zum erstenmal seit Jahren - davon gehen alle Institute und alle Sachverständigen aus - eine durchschnittliche Arbeitslosenzahl von unter 4 Millionen erzielen. Das ist ein großer Erfolg. ({4}) Diesen Erfolg sollte man im übrigen nicht zerreden. Wir haben im Oktober dieses Jahres zum erstenmal seit sehr langer Zeit - ich glaube, seit 1994 - wieder weniger als 4 Millionen Arbeitslose. Darüber sollten wir uns freuen, und jeder sollte klarmachen, daß dieser Weg fortgesetzt werden muß. ({5}) Der zentrale Fehler, den die Opposition in diesem Haus macht, ist, daß sie diesen Sachverhalt nicht positiv aufnimmt, sondern ihn immer wieder zerredet. ({6}) Wer sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt anschaut, stellt außerdem fest, daß wir bei der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit, jener Arbeitslosigkeit von Menschen unter 25 Jahren, die beste Entwicklung aller europäischen Länder aufweisen. ({7}) Arbeitslosigkeit - das wissen wir doch alle - ist in jedem Alter eine individuelle Katastrophe. Aber insbesondere dann, wenn man am Beginn des Erwerbslebens keine Chance hat, eine Arbeit zu erhalten, stellen sich individuelle Katastrophen mit allen Folgen wie Drogensucht und Abrutschen in Kriminalität ein. Deshalb ist es so wichtig, daß wir endlich mit der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit begonnen haben und damit auch Erfolg haben. ({8}) Zweitens. Die Perspektive, die wir realisieren wollen, ist klar. Sie heißt Stärkung der Wirtschaftskraft, um unter radikal veränderten ökonomischen Bedingungen, die mit dem Stichwort der Globalisierung nur schlecht beschrieben sind, sozialen Ausgleich auch im nächsten Jahrhundert in diesem Land als selbstverständliche Errungenschaft beibehalten und finanzieren zu können. Wir müssen diese Politik, diesen Pfad des Wachstums und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der sich Gott sei Dank jetzt bei uns auftut, unterstützen. Das ist der Grund dafür, daß Konsolidierung unsere erste Maßnahme darstellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur dann, wenn wir diesen Konsolidierungskurs entschlossen, wie es der Bundesfinanzminister angekündigt und durchgesetzt hat, weiter verfolgen, unterstützen wir die die Wachstumskräfte, die wir gegenwärtig erkennen können. ({9}) Warum ist das so? Hier ist zu Recht viel davon geredet worden, daß wir jene 1,5 Billionen DM Staatsschulden reduzieren müssen. Hier ist zu Recht davon geredet worden, daß es unsozial ist, wenn wir 82 Milliarden DM in jedem Jahr für Zinszahlungen ausgeben. Das ist eine gigantische Umverteilung von unten nach oben; denn das Geld, das wir für Zinsen ausgeben, nehmen wir aus den Steuern und Abgaben der kleinen Leute in diesem Land und geben es in die internationalen und nationalen Kapitalsammelstellen, man kann auch sagen: den Banken und Versicherungen. ({10}) Wer sich diesem Konsolidierungskurs - ob hier im Deutschen Bundestag oder im Bundesrat - verweigert, der schadet dem Wachstum und erschwert den Abbau der Arbeitslosigkeit. Das muß in diesem Lande klar sein. ({11}) Blockadehaltungen, gleich, wo sie eingenommen werden, ob im Bundesrat oder hier, sind Angriffe auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Mit diesem Vorwurf müssen Sie sich auseinandersetzen, meine Damen und Herren von der Opposition. ({12}) Wir konsolidieren den Haushalt auch deshalb, weil wir Stabilität in der Finanzpolitik benötigen. Zu ihr haben wir uns übrigens auch international verpflichtet, weil nur sie der Europäischen Zentralbank objektiv die Möglichkeit gibt, ein Zinsniveau aufrechtzuerhalten, das die Wachstumskräfte stützt und ihnen nicht schadet. Eine solche Stabilität in der Finanzpolitik können wir nur erreichen, wenn wir den Kurs, den wir eingeleitet haben, durch- und fortsetzen. ({13}) - Das ist ein großer, im ganzen Bundestag bekannter Schlaumeier. Das wissen wir nun alle. Das merkt man an seinen Zwischenrufen, vor allen Dingen aber daran, wenn er sich selbst am Rednerpult äußert. Drittens. Ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist, hat etwas mit der von uns eingeleiteten Steuerpolitik zu tun. Unsere Steuerpolitik ist - das wird sich mit der Unternehmensteuerreform noch verstärken - gleichermaßen nachfrage- und angebotsorientiert. Wir beenden den Unsinn, daß Angebotsorientierung gegen Nachfrageorientierung ausgespielt wird. Wir machen einen vernünftigen Mix zwischen einer steuerpolitischen Angebotsorientierung und einer Nachfrageorientierung, was ich Ihnen gleich beweisen werde. ({14}) Meine Damen und Herren, bei diesem Mix geht es uns - das ist der Kernbestandteil unserer Steuerpolitik insbesondere darum, jenen Menschen, die jeden Tag in die Fabriken, Verwaltungen und Dienstleistungszentren gehen und ihre Arbeit tun, also den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland, von dem, was sie brutto verdienen, netto mehr in der Tasche zu lassen. Diese Aufgabe haben wir, und wir realisieren sie. ({15}) Wir realisieren sie Schritt für Schritt. Wir haben begonnen, den Eingangssteuersatz abzusenken, und wir werden dies fortführen. Wir haben das steuerfreie Existenzminimum erhöht, und wir werden das fortführen. Wir haben auch das Kindergeld erhöht. Der Fraktionsvorsitzende der SPD und auch der Kollege Schlauch haben darauf hingewiesen, daß es einer unglaublichen Anstrengung bedurft hat, das Kindergeld für das erste und das zweite Kind innerhalb eines Jahres um 50 DM zu erhöhen. Das nutzt den Familien, und das stärkt die Nachfrage. ({16}) Die Entlastungen, die am 1. Januar 2000 eintreten werden - gerade dann, wenn die Menschen sehen, was sie mehr in der Tasche haben, werden wir noch Gelegenheit haben, über Steuerpolitik zu reden -, betreffen insbesondere die durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land, jene Menschen also, die es in Ihren 16 Regierungsjahren haben hinnehmen müssen, daß ihnen vom Brutto netto immer weniger geblieben ist. Das wollten wir ändern, und das haben wir geändert. ({17}) Was die Nachfrageseite angeht, haben Sie nun gesagt: Ja, aber die Ökosteuer. Herr Glos, Herr Struck hat Ihnen schon vorgerechnet, daß Ihre Argumentation bezüglich der Preissteigerungen beim Tanken eine ökonomisch unsinnige und letztlich auch unmoralische ist, weil Sie es ja besser wissen. ({18}) Sie wissen genau, daß, wie Herr Struck hier sehr deutlich gemacht hat, jenseits der Verantwortung der Bundesregierung der Preis je Barrel von 10 Dollar auf nunmehr 26 Dollar gestiegen ist. Das, meine Damen und Herren, macht die Preissteigerungen an den Zapfsäulen aus! Diese gefallen mir auch nicht; das ist gar keine Frage. Aber das sind die wirklichen Ursachen dafür. - Zu ihrer Mineralölsteuerpolitik ist ja das Notwendige schon gesagt worden. ({19}) Um eine Gruppe geht es mir besonders, nämlich um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jeden Tag erneut ihre Pflicht tun. Deren Einkommen wird durch die Ökosteuer entlastet. ({20}) Diesen Zusammenhang gilt es immer wieder klarzumachen. Das Aufkommen aus der Ökosteuer wird zur Senkung der Lohnnebenkosten genutzt. Zum erstenmal wird nicht nur darüber geredet, sondern die Lohnnebenkosten werden tatsächlich gesenkt, meine Damen und Herren. Sie haben immer nur darüber geredet! ({21}) Die Lohnnebenkosten sinken, weil die Rentenversicherungsbeiträge nicht nur gleichbleiben, sondern sinken. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, als wir noch die Mehrheit im Bundesrat hatten und es hier im Bundestag eine andere Mehrheit gab. Damals ging es nicht etwa um die Frage, wie man erreicht, daß die Rentenbeiträge sinken. Solche ehrgeizigen Ziele hatten Sie gar nicht. Sie wollten nur verhindern, daß die Rentenbeiträge auf 21 Prozent steigen. Ich erinnere mich ganz genau. Sie haben seinerzeit gefragt: Können wir nicht, damit die Rentenbeiträge nicht so hoch steigen, mir Ihrer Zustimmung die Mehrwertsteuer um ein Prozent erhöhen? Wir haben das gemacht. Sie haben das dann übrigens, wie ich mich erinnere, als großen Erfolg verkauft, meine Damen und Herren. Das war ein bißchen dreist, meine ich. Nun gut, so sind Sie eben. ({22}) Ich sage Ihnen: Die Politik dieser Koalition erschöpft sich nicht in der Forderung, die Rentenbeiträge dürften nicht mehr steigen. ({23}) Wir haben vielmehr dafür gesorgt, daß sie zum erstenmal sinken. Das ist unser Erfolg. Das ist der Erfolg der Koalition. ({24}) Was bedeutet das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Jeder, der uns zusieht und zuhört, weiß, daß die Rentenversicherungsbeiträge, daß die Sozialversicherungsbeiträge je zur Hälfte von den Unternehmen und den Arbeitnehmern aufgebracht werden. Eine Senkung um einen Prozentpunkt bedeutet natürlich, daß die Arbeitnehmer entlastet werden, und zwar zusätzlich zu dem, was wir steuerlich gemacht haben. Das ist der Erfolg unserer Politik. Im übrigen sage ich noch einmal: Die Senkung der Beiträge stärkt die gesamtvolkswirtschaftliche Nachfrage und gibt damit der Binnenkonjunktur Aufschwung. Das ist gewollt und Ziel unserer Politik, die auf Wachstum und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit setzt. ({25}) - Sagen Sie Ihren Zwischenruf doch noch einmal laut! ({26}) - Gut, darüber wollen wir uns einmal unterhalten. Die Senkung stärkt insbesondere diejenigen, die als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Kosten, etwa für das Autofahren, nicht substituieren können. Wir haben ihnen gesagt: Ihr bekommt durch die Senkung der Lohnnebenkosten mehr zurück, als ihr an Spritkosten ausgeben müßt. Das ist der Zusammenhang. ({27}) - Natürlich ist das so! Hier wird eine Politik gemacht, die sich zum erstenmal wieder an diejenigen wendet, die in den Betrieben tatsächlich die Werte schaffen, von denen wir alle leben. Das ist eine Politik zu deren Gunsten, und das ist gewollt. Unsere Bemühungen sind KernbeBundeskanzler Gerhard Schröder standteil einer Politik, die insbesondere bei den Beschäftigten in den Betrieben und Verwaltungen ansetzt, um zu erreichen, daß sie und nicht immer nur die anderen von ihrem Bruttolohn am Ende netto mehr übrig haben. Diese Politik werden wir fortsetzen; sie ist nämlich vernünftig. ({28}) Ich hatte eingangs gesagt: Die Politik, die diese Koalition macht, dient der Stärkung der Wachstumskräfte, um im nächsten Jahrhundert die objektive Möglichkeit zu behalten, über sozialen Ausgleich nicht nur zu reden, sondern ihn auch zu finanzieren. Zwei Punkte, die dazu dienen, habe ich genannt. Ich will noch einen dritten Punkt nennen, der wirklich schwierig umzusetzen ist. Es geht dabei um die Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an völlig veränderte ökonomische Bedingungen. Dies ist speziell für Sozialdemokraten eine schwierige Aufgabe, und zwar deswegen, weil sie mit diesem Thema natürlich besonders vertraut sind und man in diesem Punkt speziell auf sie sieht. Das ist gar keine Frage. Aber es führt kein Weg daran vorbei. Es geht hier nicht um Abbau, sondern um einen vernünftigen Umbau der sozialen Sicherungssysteme in einer Weise, daß sie für die Jungen und Aktiven bezahlbar bleiben und für die Älteren sowie für die Kranken und die Arbeitslosen, die darauf angewiesen sind, hinreichende Sicherheit bieten. ({29}) Das ist die Aufgabe, die wir haben. Wie wir sie umsetzen, möchte ich Ihnen an zwei Bereichen klarmachen. Der eine Bereich ist die Rente. Es ist doch so, daß wir den jungen Leuten in unserem Lande nicht gut sagen können: Die Beitragssätze steigen uferlos - wenn es so weitergegangen wäre, wie Sie es 16 Jahre lang gemacht haben, bis zu 26 Prozent -, ({30}) und die Leistungen werden immer geringer. Das macht doch der aktive Teil der Bevölkerung nicht mit. Wenn man eine solche Politik tatsächlich betreibt, betreibt man die Spaltung der Gesellschaft in Alt und Jung. Das darf um Gottes willen nicht sein. ({31}) Von der bitteren Situation belehrt, haben wir deshalb gesagt: Wir verlangen von den älteren Menschen einen Solidarbeitrag. ({32}) Der Solidarbeitrag besteht darin, daß die Rente in den nächsten zwei Jahren nur um den Kaufkraftausgleich erhöht wird. ({33}) - Das ist unanständig? Sie, Herr Austermann, haben in den letzten 20 Jahren doch noch nicht einmal das hinbekommen! ({34}) Die Leute in der Opposition, die in den letzten 20 Jahren die überwiegende Zeit nicht einmal den Kaufkraftausgleich an die Rentnerinnen und Rentner gegeben haben, ({35}) verhalten sich jetzt wie die Biedermänner. In Wirklichkeit sind sie aber die Brandstifter an den Rentenkassen! ({36}) Wir schaffen mit dieser Maßnahme die Grundlage dafür, ein Rentensystem zu entwickeln, das die Jungen bezahlen können und das den Alten hinreichend Sicherheit gibt. Ich habe mich darüber gefreut, daß Kollege Schäuble, dem ich von hier aus von Herzen gute Besserung wünsche, ({37}) gesagt hat: Ich akzeptiere das. - Wir sprechen jetzt mit der Oppositionspartei über die mittel- und langfristige Sicherung der Rentensysteme. Das ist auch in Ordnung so. In Ordnung ist auch, daß wir die Basis dafür geschaffen haben - wir haben dafür die Prügel bekommen; das ist gar keine Frage -, an die Erarbeitung eines vernünftigen Konzeptes der mittel- und langfristigen Sicherung herangehen zu können. Diese Basis ist geschaffen worden, und sie darf nicht wieder in Frage gestellt werden. ({38}) Das wäre nicht vernünftig. Auf dieser Basis sprechen wir. Wenn wir es hinbekommen, gemeinsam ein Rentenkonzept zu entwickeln, das für die Jungen bezahlbar und für die Alten hinreichend sicher ist, dann werden alle etwas davon haben, und die deutsche Politik insgesamt wird etwas davon haben. ({39}) Ich will ein weiteres Beispiel anführen. Die Arbeitsmarktpolitik, die wir machen, unterstützt den Kurs, den wir zur Sicherung der Wirtschaftskraft und zum Abbau von Arbeitslosigkeit eingeleitet haben. Wir alle wissen doch, daß man im Osten unseres Landes noch sehr lange darauf angewiesen sein wird, daß den Menschen, statt sie arbeitslos zu lassen, auf dem zweiten Arbeitsmarkt bezahlte Arbeit gegeben wird. Wir wissen doch, daß das noch sehr lange unsere Aufgabe sein wird. Dies ist leider so; aber wir müssen es doch tun. Wir sind diejenigen, die daraus keine wahlpropagandistischen Geschichten gemacht haben. Früher wurden sechs Monate vor einer Bundestagswahl die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verstärkt und einen Monat danach wieder reduziert. ({40}) So kommen doch die Unterschiede in der jeweiligen Arbeitsmarktbilanz zustande. Wir haben damit ein Ende gemacht. Denn wir haben diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verstetigt. Wir haben in diesem Bereich in dem vorliegenden Haushalt, verglichen mit dem von 1999, 700 Millionen DM draufgelegt, nachdem wir schon vorher 6 Milliarden DM mehr ausgegeben hatten. Das nenne ich aktive Arbeitsmarktpolitik. Die hilft den Menschen, zumal jenen im Osten, und sie soll ihnen auch helfen. Das ist unsere Aufgabe. ({41}) Es ist ja nun keineswegs so, daß wir im System nichts geändert hätten. Wer sich das genau anschaut, wird feststellen - die Bewältigung dieser Aufgabe wird weiterverfolgt werden müssen -, daß wir im Bereich der Arbeitsmarktmaßnahmen langsam von ausschließlichen Betreuungsansätzen, von Ansätzen, die alimentieren, wegkommen hin zu dem, was wir „aktivierenden Sozialstaat“ nennen, nämlich dazu, die Menschen mehr und mehr zu befähigen, auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder die Chance zu ergreifen, die sich ihnen dort bietet. Wir setzen sehr stark auf Qualifizierung derjenigen, die länger keine Arbeit gehabt haben. Denn deren Qualifikationsdefizite sind die eigentlichen Barrieren für den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt. Diese Barrieren zu beseitigen ist Aufgabe einer modernen, einer fortschrittlichen und einer vernünftigen Arbeitsmarktpolitik. ({42}) Mir liegt sehr viel daran, den Zusammenhang begreifbar zu machen, der zwischen dem Kurs, den wir in Deutschland einschlagen wollen, nämlich dem, Wachstumskräfte zu stärken, um eine soziale Ausgewogenheit realisieren zu können, dem Zukunftsprogramm, das wir in der letzten Woche beschlossen haben, und dem Haushalt 2000 besteht, den wir in dieser Woche beschließen werden. Dieser Zusammenhang ist nicht auflösbar. Wer das eine will, muß auch das andere - sowohl hier im Deutschen Bundestag als auch im Bundesrat - wollen. Dafür werden wir werben. ({43}) Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund eine Bemerkung zu einer aktuellen Problematik machen. Ich meine die Situation bei Holzmann. Erstens werde ich natürlich, bevor ich heute abend mit den Bankenvertretern spreche, mit Frau Roth und Herrn Koch sprechen. Warum denn nicht? Es würde doch niemand verstehen, wenn wir bei dem schwierigen Versuch, diesen nach meiner Bewertung - sie kann nur eine vorläufige sein; denn mir stehen nicht alle erforderlichen Informationen zur Verfügung - sanierungsfähigen Konzern zu retten, in einen parteipolitischen Streit verfallen würden. Das wäre doch verrückt. ({44}) Nicht nur ich, sondern auch andere glauben, daß dieser Konzern, so wie er ist, sanierungsfähig ist und nicht zerschlagen werden muß, damit vielleicht für die einzelnen Betriebsteile Erwerber gefunden werden können. Das ist die Ausgangsposition. Zweitens. Natürlich müssen Banken betriebswirtschaftlich denken, rechnen und agieren. Das ist gar keine Frage; das wird niemals bestritten werden. Wenn man aber über die Jahre Geschäfte mit einem großen Konzern gemacht, ihm Kredite zur Verfügung gestellt und daran verdient hat - das ist okay - und wenn man wichtige Aufgaben in dem Aufsichtsrat dieses Konzerns wahrnimmt, dann erwächst daraus, so glaube ich, eine Verpflichtung, die über betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte hinausgeht. ({45}) Ich möchte diejenigen, die dort agieren, über ihre betriebswirtschaftliche Verantwortung hinaus, die sie tragen und die man ihnen nicht abnehmen kann und sollte, daran erinnern, daß sie als große ökonomische Einheiten, als Mitglied im Aufsichtsrat und als Kreditgeber, in volkswirtschaftlicher Hinsicht auch die Verantwortung haben, sich am Versuch, diesen Konzern zusammenzuhalten, zu beteiligen. Ich möchte nicht, daß in dieser Zeit, in der wir gerade Boden unter den Füßen bekommen, was die konjunkturelle Entwicklung angeht, Arbeitsplätze gefährdet werden, nicht nur die 17 000 Stellen bei Holzmann selber, sondern auch - das muß uns alle bedrücken; denn das betrifft jeden Wahlkreis - die Arbeitsplätze in all den kleinen und mittleren Handwerksbetrieben, die als Subunternehmer, manchmal nur als Sub-Subunternehmer, Material geliefert haben und noch heute auf ihr Geld warten. ({46}) Es geht doch auch um diese Menschen, meine Damen und Herren. ({47}) Ich hoffe, daß ich es schaffen werde, den Vertretern der großen Banken, der Kreditinstitute, all denen, die heute zusammenkommen werden, klarzumachen, daß sie zunächst eine Verantwortung gegenüber ihren Unternehmen, ihren Beschäftigten haben, daß die Verantwortung aber in dieser Situation noch darüber hinausgeht. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, daß das, was am Modell Deutschland weltweit bewundert wird, nämlich daß man sich in Krisensituationen zusammenfindet und gemeinsam, mit Wirtschaft und Politik, nach Lösungen sucht, nicht verlorengegangen ist. Diese Hoffnung habe ich nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil: Über Instrumente wie das „Bündnis für Arbeit“ will ich dies wieder zum Kern des gesellschaftspolitischen Agierens in Deutschland machen. ({48}) Das hat übrigens nichts mit verstärkter staatlicher Intervention zu tun, was gelegentlich vorgebracht wird. Das hat auch nichts mit - wie es andere schon wieder in Kommentaren mutmaßen - Verstaatlichung zu tun. Nein, es geht nicht um staatliche Intervention, schon gar nicht um Verstaatlichung. Es geht um Verantwortung. Und die darf auch, aber eben nicht nur bei der Politik abgeladen werden, meine Damen und Herren! ({49}) Zu den Schwerpunkten, die wir vor dem Hintergrund konsolidierter Haushalte und einer arbeitnehmerfreundlichen Steuerpolitik setzen wollen und setzen werden, gehört auf der Angebotsseite die Unternehmenssteuerreform. Darüber ist hier schon viel gesagt worden; ich will es deshalb kurz machen: Es geht uns darum, den Unternehmen, weil sie Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen, die Möglichkeit zu geben, angesichts der zunehmenden Internationalisierung und Europäisierung - dies betrifft auch die kleinen und mittleren Unternehmen - wettbewerbsfähig zu bleiben. Das ist der Kern dessen, was wir wollen. Wir tun dies der Beschäftigung wegen und nicht wegen der blauen Augen irgendwelcher Leute. ({50}) Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform werden wir dafür sorgen, daß nach der Entlastung des Mittelstands um 6 Milliarden DM in der ersten Stufe nun weitere Entlastungen in Höhe von netto 8 Milliarden DM hinzukommen. Das ist praktizierte Mittelstandspolitik und nicht nur Gerede. ({51}) Der dritte Schritt um den es uns geht - das hängt mit dem Haushalt und den Haushaltsbegleitgesetzen zusammen -, betrifft die Schwerpunkte, die wir für das nächste Jahrhundert setzen wollen und setzen müssen. ({52}) - Es beginnt nun mal demnächst. - Wir müssen diese Schwerpunkte vor allen Dingen setzen, um nicht nur eine Basis für privates Wachstum zu haben, sondern auch, um das private Wachstum in geeigneter Weise zu unterstützen. Deshalb haben wir bei aller Haushaltsenge den Schwerpunkt gesetzt, mehr in Bildung und Wissenschaft zu investieren. Wir haben das nicht nur beredet - Rezzo Schlauch hat recht -, sondern wir haben es auch getan, und wir werden es weiter tun, meine Damen und Herren. ({53}) Qualifikationen zu vermitteln läuft über diesen Weg. Qualifikationen vermitteln, in die Köpfe unserer Menschen investieren, das ist das eigentliche Zukunftsprogramm, das wir brauchen und das Rotgrün angepackt hat und weiterführen wird. ({54}) Dabei setzen wir nicht nur auf ein Mehr an staatlichen Ausgaben. Nein, in der Initiative Deutschland 21 haben wir uns zusammengetan mit jenen Unternehmen, die als Hard- und Softwareproduzenten in den Informations- und Kommunikationstechnologien Deutschlands tätig sind. Das ist die gesellschaftliche Begleitung für das, was wir für Bildungs- und Forschungspolitik machen. Diese gesellschaftliche Begleitung ist wichtig, meine Damen und Herren. Wir werden das erreichen, weil wir vereinbart haben, daß wir in diesem Bereich die Ausbildungsplatzkapazitäten von 14 000 auf 40 000 erhöhen. Wir wären heute in der Lage, wenn früher eine ähnliche Politik gemacht worden wäre, die auf solche Qualifikationen setzt, 70 000 Stellen in diesem Bereich zu besetzen. Wir haben die Menschen dafür nicht, weil sie nicht qualifiziert worden sind. Das ist auch Ihr Versäumnis, meine Damen und Herren von der Opposition. ({55}) Ich hoffe, es ist deutlich geworden, daß wir nicht nur auf das setzen, was wir kraftvoll und selbstbewußt - das konnte man an den Reden der Vorsitzenden der Regierungsfraktionen spüren - im Deutschen Bundestag durchsetzen. Nein es geht uns um die Herstellung eines neuen Konsenses in der Gesellschaft. Das ist die Begründung, die Legitimation für das „Bündnis für Arbeit“. Wir wollen das, was wir hier zu tun haben, bei dem uns niemand die Verantwortung abnimmt, von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen unterstützt bekommen. Deshalb ist das „Bündnis für Arbeit“ so wichtig. Deshalb werden wir es Schritt für Schritt zu einem Erfolg machen und uns nicht beirren lassen, wenn der eine oder andere einmal droht oder kritisiert. Wir wissen, daß wir dieses Bündnis brauchen, und wir werden es mittel- und langfristig zu einem Erfolg machen. Daß man keine kurzfristigen Erfolge haben kann, kann man in Holland studieren. Die haben 1982 angefangen und sehr lange Zeit gebraucht, bis sie da waren, wo sie heute sind. ({56}) Wir werden es schneller schaffen, aber wir werden beharrlich an unsrem Ziel festhalten müssen. Der eine oder andere, der dabei droht und sagt, er komme nicht, wenn nicht alles nach seiner Nase gehe, beirrt uns auf gar keinen Fall. Eine weitere Bemerkung, meine Damen und Herren. Ich habe gesagt, wir wollen im Innern stark sein. Stark sind wir nur, wenn wir wirtschaftlich stark sind und sozial gerecht agieren. Das gehört zusammen. Und nach außen wollen wir verläßliche und solidarische Partner sein. Wir waren es, die Deutschen, unter deren Präsidentschaft in Köln zum ersten Mal die größte Entschuldungsaktion für die leidenden Staaten der dritten Welt gemacht worden ist, die je in Deutschland gemacht wurde. ({57}) Wir sind es, die immer wieder sagen: nicht „kontrolletti“. Aber mehr Transparenz, eine bessere Einbeziehung des privaten Sektors im internationalen Finanzgebaren ist schon notwendig. Es kann nicht so weitergehen, daß durch Finanzspekulationen ganze Volkswirtschaften ruiniert werden, die dann - in die Enge getrieben - saniert werden müssen aus Beiträgen, die nicht zuletzt auch Deutschland in die internationalen Finanzorganisationen einzahlt. Also wir brauchen hier mehr Transparenz, eine bessere Einbeziehung des privaten Sektors. Das bleibt richtig, wichtig und wahr, auch wenn andere das schon vor mir gesagt haben. ({58}) Ich denke, genauso klar wird langsam, daß das, was wir europapolitisch gemacht haben - das hat ja hier zu „wilden“ Diskussionen geführt; daran erinnere ich mich schon -, das, was wir hier in Berlin mit der Agenda 2000 zustande gebracht haben, nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa ein wirklicher Durchbruch gewesen ist, und das in mehrfacher Hinsicht. ({59}) Es gibt - das sage ich all denjenigen, die sich wenig sachkundig über die Erweiterung der EU äußern - keinen Erweiterungsprozeß ohne eine materielle Basis, und die ist mit der Agenda 2000 unter deutscher Präsidentschaft gelegt worden. ({60}) Abgesehen von den gewaltigen Staatsmännern vom Schlage eines Herrn Haussmann wird das übrigens von allen anerkannt. Das ist inzwischen überhaupt keine Frage mehr. Daß es da noch ein bißchen hapert, sehe ich durchaus. Aber auch diejenigen, um die es sich handelt, werden bald erkennen: Ohne die materielle Basis, die wir mit der Agenda 2000 für Europa beschlossen haben, wäre es wirklich schwierig, in Helsinki hinzubekommen, daß Europa mit Blick auf den Beitritt der beitrittswilligen Länder sagt: Wir wollen zu dem Zeitpunkt, in dem ihr beitreten wollt, nämlich 2003, so weit sein, daß wir euch auch aufnehmen können. Dem dient das, was jetzt in einer Regierungskonferenz vorbereitet wird, nämlich die institutionelle Reform; dem dient, was wir in Tampere beschlossen haben, nämlich Rechtsvereinheitlichung herzustellen, so daß wir Europa nicht nur zu einem Ort werden lassen, wo es einen Markt gibt, wo ökonomisch interagiert wird. Nein, Europa muß auch ein Ort - wie wir es genannt haben - des Rechts und der Freiheit werden. Wir werden ferner die institutionelle Reform so vorantreiben, daß wir in der Lage sind, die Staaten, die jetzt vor der Tür stehen, aufzunehmen; das geht aber nur, wenn wir diese Reform durchführen. Ich will noch einmal auf die Agenda zurückkommen und dazu noch einen Satz sagen. Inzwischen ist klar, daß das, was wir immer gesagt haben, daß wir nämlich Schritt für Schritt die Lasten Deutschlands auf ein vernünftiges Maß bringen werden, erreicht worden ist. ({61}) In einer Größenordnung zwischen 8 und 12 Milliarden DM - nach den Berechnungen europäischer Institutionen; ich bleibe deswegen etwas vage, weil ich nachprüfen muß, ob sie richtig gerechnet haben ({62}) werden sich die deutschen Beiträge im Finanzierungszeitraum verringern. Ich erinnere mich noch an hier geführte Debatten, in denen man das entweder nicht glauben wollte oder es besser wußte, aber die Unwahrheit gesagt hat. ({63}) - So ist das. ({64}) aber ich ziehe einen Strich darunter, meine Damen und Herren. Mit den Haushaltsbegleitgesetzen, die in der letzten Sitzungswoche beschlossen worden sind, mit dem Zukunftsprogramm, das in einer unerhörten Kraftanstrengung der Koalition - das räume ich doch ein; wieso sollte ich das nicht tun? - beschlossen worden ist, mit dem, was jetzt für den Bereich des Haushalts beschlossen werden wird, und mit der Kontinuität, mit der wir das umsetzen werden, wird es uns gelingen, die Wachstumskräfte in Deutschland zu stärken und uns objektiv die Möglichkeit zu verschaffen, auch im nächsten Jahrhundert Garanten für soziale Gerechtigkeit zu sein. Damit verschaffen wir uns zugleich die Möglichkeit, daß wir nach außen zuverlässige und solidarische Partner sind. Insofern unterstreiche ich das, was Rezzo Schlauch gesagt hat: ein wirklich guter Tag für Deutschland! ({65})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt spricht der Abgeordnete Volker Rühe.

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, auch die Gratulation des Kollegen Struck hat nichts daran geändert - auch wenn Sie sagen: Das ist ein guter Tag für Deutschland -: Das war ein verlorenes Jahr für Deutschland. ({0}) Sie haben hier über viele Absichtserklärungen gesprochen und davon, die Wachstumskräfte stärken zu wollen. Aber wenn man sich dieses Jahr ansieht, in dem Sie Verantwortung in Deutschland getragen haben, dann paßt - Sie haben übrigens eine sehr selektive Art, sich mit Sachverständigengutachten zu beschäftigen; ich komme darauf gleich noch zurück - als Überschrift für Ihre Politik des vergangenen Jahres nur - sei es bei der Neuregelung der 630-Mark-Jobs, sei es bei der Regelung zur Scheinselbständigkeit, sei es vor allem wegen Ihrer Unfähigkeit, eine große Steuerreform auf den Weg zu bringen: Verhinderung von Wachstum in Deutschland. ({1}) Ich komme gleich noch auf die Schuldensituation zu sprechen. Sie verweisen immer darauf, eine Erblast übernommen zu haben, also politische Rahmenbedingungen, die uns heute Schwierigkeiten machen. Dazu muß ich Ihnen sagen: Die Erblast, mit der wir es wirklich zu tun haben, besteht darin, daß Sie die große Steuerreform 1996/97/98 blockiert haben. ({2}) Wir könnten in Deutschland heute sehr viel weiter und in Europa der Wachstumsmotor sein, wenn es nicht Ihre Blockade der großen Steuerreform gegeben hätte. ({3}) Wenn Sie Wachstum wollen, dann frage ich mich, wie es denn um Ihre Fähigkeit, wenigstens in dieser Legislaturperiode eine große Steuerreform zu machen, bestellt ist. Herr Kollege Struck, Sie haben das doch im Sommer großspurig angekündigt. Jetzt ist dieses Vorhaben wieder auf die nächste Legislaturperiode verschoben worden. Nein, Sie haben es nicht verstanden, bessere Bedingungen für Wachstum in Deutschland zu schaffen. ({4}) Herr Bundeskanzler, ich werde nachher noch zu unserem Angebot sprechen, ({5}) die notwendige Rentenreform auf die breiten Schultern der Volksparteien zu stellen. Denn ich glaube, das schulden wir den Menschen in diesem Lande. ({6}) Aber jemand, der den Rentnerinnen und Rentnern im Wahlkampf die Unwahrheit über die Situation in der Rentenversicherung gesagt hat, der sollte sich zurückhalten mit Formulierungen wie „Biedermann“ oder „Brandstifter“. ({7}) Sie haben dann später gesagt, Sie hätten sich im Hinblick auf die finanzielle Situation der Rentenversicherung geirrt. Herr Bundeskanzler Schröder, Sie haben natürlich auch im Wahlkampf schon sehr genau gewußt, daß unsere moderate Rentenreform notwendig war, um den Generationenvertrag auf eine neue Grundlage zu stellen. ({8}) Herr Bundeskanzler, Sie haben eben gesagt, in diesem Monat sei die Arbeitslosenzahl zum erstenmal unter 4 Millionen gesunken. Ich muß Ihnen sagen: Gott sei dank hatten wir das schon im Oktober letzten Jahres erreicht. ({9}) Im letzten Jahr konnte die Arbeitslosenzahl netto - und das nicht in erster Linie aus demographischen Gründen - um 400 000 zurückgeführt werden. Ich fand das eine großartige Leistung. Danach sind die Arbeitslosenzahlen wieder angestiegen - wegen der verfehlten Wachstumspolitik, die die rotgrüne Regierung hier betrieben hat. ({10}) Wenn Sie sich auf das Gutachten der Sachverständigen berufen, dann sollten Sie auch die ganze Wahrheit sagen, Herr Bundeskanzler. In diesem Gutachten können Sie nachlesen, daß nur 8 000 Arbeitsplätze zusätzlich auf Grund Ihrer Wirtschaftspolitik entstanden sind und der andere Teil der Verbesserung der Statistik demographische Gründe hat, also darauf zurückgeht, daß mehr ältere Menschen ausscheiden, als Junge nachkommen. Das ist die Wahrheit, und an der sollten Sie nicht vorbeigehen. Übrigens würde ich jetzt nicht über SchleswigHolstein sprechen, wenn Sie, Herr Schlauch, nicht damit angefangen hätten. Wenn Sie beklagen, daß wir bis zu 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze haben könnten, wenn wir die für hochtechnologische Arbeitsplätze entsprechend qualifizierten Menschen - im Norden gibt es insofern besondere Probleme - hätten, dann muß ich Sie fragen, wo die Jungen und Mädchen denn qualifiziert werden. Doch in den Schulen und Hochschulen dieses Landes! Wer trägt denn dort die Verantwortung? ({11}) Tatsache ist: Überall dort, wo die Union die Kultusminister stellt, ist mehr Vorsorge für die Zukunft getroffen worden und gibt es eine bessere Ausbildung. In diesem Bereich gibt es einen Nord-Süd-Konflikt. ({12}) Sie können doch nicht beklagen, daß es zu wenige junge Leute gibt, die für diese Arbeitsplätze qualifiziert sind, wenn Sie selbst mit Ihren Parteifreunden in den Ländern nicht dafür sorgen, daß die entsprechenden Modernisierungen des Bildungssystems endlich durchgesetzt werden. Die Innovationen im Hochschulwesen werden mit dem Süden Deutschlands verbunden. Aber, Herr Schlauch, das wollen wir in Schleswig-Holstein ändern, damit im Norden ein Leuchtfeuer entsteht! ({13}) Die Politik von Rotgrün im letzten Jahr ist eine Politik der ständigen Kehrtwendungen. ({14}) - Aus Ihrer Sicht vielleicht. Ich darf aber einmal aus dem „Independent“ zitieren, der ja nun eine angesehene englischsprachige Zeitung ist. Dort heißt es: „Kanzler Schröder hat in diesem Jahr schon mehr Kehrtwendungen vollzogen als ein Berliner Taxifahrer in seinem ganzen Leben.“ ({15}) Was haben Sie nicht schon alles vertreten, Herr Bundeskanzler! Sie haben mit der Lafontaineschen Politik der Ankurbelung der Konsumnachfrage angefangen. Das war ein mit ca. 30 Milliarden DM Defizit finanziertes Konjunkturprogramm à la Keynes. ({16}) - Ich habe die Faktoren genannt, durch die das Wachstum gefährdet worden ist. Zu Herrn Eichel muß man sagen: In Wirklichkeit ist er die Antwort auf Lafontaine und nicht auf Waigel und Stoltenberg. Das ist noch eine andere Klasse. ({17}) Aber im Vergleich zu Lafontaine gibt es natürlich einen Kurswechsel. Niemand bestreitet die Notwendigkeit des Sparens. ({18}) Aber, Herr Eichel, Sie sehen schon mit Unbehagen auf den Parteitag der SPD. Ich glaube, Sie fühlen sich hier in der Gesellschaft von uns im Deutschen Bundestag viel wohler. ({19}) - Warten Sie einmal ab! - Mit großem Unbehagen schauen Sie auf den Parteitag der SPD. Denn Ihr Kanzler - noch einmal: mehr Kehrtwendungen als ein Berliner Taxifahrer in seinem gesamten Leben - ist längst dabei, schon wieder eine Kurve zu ziehen, und zwar in Richtung Neidsteuer. Er hat ja schon entsprechende Vorschläge gemacht. Das ist doch wieder eine Kehrtwende. ({20}) Deswegen sage ich: Die Menschen im Lande haben das richtige Gespür. Es sind zwei Dinge, die man immer wieder hört: Diese Regierung weiß nicht, was sie will! Und: Die können das nicht! Das ist Ihre wahre Bilanz, Herr Bundeskanzler. ({21}) Ein Politiker darf ja seine Meinung ändern. ({22}) Ich finde, er sollte sie sogar weiterentwickeln. ({23}) Jemand, der immer voller Stolz „Seit 30 Jahren bin ich der Meinung, daß …“ sagt, ist vielleicht nicht intelligent genug, auf Veränderungen zu reagieren. Man braucht aber schon einen roten Faden ({24}) und ein klares Ziel. Deswegen muß ich Ihnen sagen: Daß Ihnen das fehlt, das ist das Grundübel Ihrer Politik. Herr Fischer, Sie sind das beste Beispiel. Welche Kehrtwendungen haben Sie schon vollzogen! Dieser Opportunismus der Grünen! ({25}) Michael Glos hat zu Recht gesagt, Sie blieben auch noch an der Regierung, wenn fünf neue Atomkraftwerke gebaut werden würden. - Noch einmal: Ich hätte nicht über Schleswig-Holstein gesprochen, wenn Herr Schlauch das nicht netter Weise getan hätte. ({26}) Ich kann doch nichts dafür! - Die Grünen in SchleswigHolstein haben 20 Jahre lang dagegen gekämpft, daß man in St. Peter-Ording mit dem Auto am Strand parken kann. Jetzt haben sie entdeckt, daß sie noch die grünen Autofahrer aus Pinneberg brauchen, und schon haben sie das um 20 Jahre verlängert. Demnächst fordern sie noch die Asphaltierung der Sandbank vor St. PeterOrding! ({27}) Das sind die Grünen: unberechenbar und opportunistisch, Herr Schlauch. ({28}) Der Kollege Fischer hat einmal die Wahrheit geschrieben, als er ausführte, sein Ziel sei es, daß die Grünen im Jahre 2002 eine Regierungspartei sind. Tragischerweise, Herr Fischer, regieren Sie schon jetzt, und man kann merken, daß Ihre Programmatik nicht dazu dient, einen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland politisch zu führen. Die Menschen bezahlen die Rechnung Ihrer Politik. ({29}) Herr Bundeskanzler, wie sieht das Gutachten des Sachverständigenrats tatsächlich aus? Ich möchte darVolker Rühe aus vortragen, um zu zeigen, daß man als Bundeskanzler mit einem Gutachten so nicht umgehen kann: Zwar stärkt die Aufwärtsentwicklung der Weltwirtschaft, die die Folgen der Finanzkrisen weitgehend überwunden hat, die außenwirtschaftlichen Antriebskräfte, doch gefährden Unsicherheiten über den Kurs der Finanzpolitik - damit sind Sie gemeint und über die anstehenden Lohnrunden eine nachhaltige Verstärkung der Binnenkonjunktur. Gute und verläßliche Rahmenbedingungen, die für das Investitionsverhalten der Unternehmen entscheidend sind, fehlen noch. Das ist ein Auszug aus dem Gutachten des Sachverständigenrats. Das deckt sich völlig mit der Kritik der Union an der Bundesregierung in diesem Bereich. ({30}) Meine Damen und Herren, worauf kommt es jetzt an? Ich finde, wir sollten diese Debatte nutzen, ({31}) um über die Sache zu sprechen, damit wir politisch wirklich vorankommen. ({32}) - Geben Sie sich keine Mühe, mich bringen Sie nicht aus der Ruhe. - Das im Jahr 2000 zu erwartende Wachstum muß stabilisiert und verstetigt werden. Unser Vorbild sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Wachstumsdelle dieses Jahres ist durch Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik verursacht worden und hätte vermieden werden können; denn wir hatten bereits 1998 eine Wachstumsrate von 2,2 Prozent - mit der Perspektive eines kontinuierlichen Ansteigens bei entsprechenden binnenwirtschaftlichen Signalen. Ich sage Ihnen: Das, was geleistet werden muß, ist, insbesondere noch in dieser Legislaturperiode zur Schaffung von mehr Wirtschaftsdynamik zu kommen. Herr Eichel, Sparen ist die eine Seite, mehr Einnahmen des Staates, mehr Wirtschaftsdynamik die andere: Das ist die große Steuerreform, das ist die Rentenreform, und das ist die Gesundheitsreform. ({33}) Diese Reformen dürfen nicht noch weiter verschoben werden. ({34}) Wir wissen um unsere zusätzliche Stärke im Bundesrat, ({35}) und unsere Wähler würden es uns auf Dauer übelnehmen, wenn wir uns so verhalten würden, wie Lafontaine und die Sozialdemokraten es mit ihrer Blockadepolitik getan haben. ({36}) Sie würden uns das nie verzeihen. ({37}) Sie erwarten von uns, daß wir unsere Stärke nutzen, um aus dem Bundesrat ein Schwungrad der deutschen Politik zu machen, damit es nicht drei weitere verlorene Jahre für die Modernisierung Deutschlands geben wird. Das ist die Frage, um die es geht. ({38}) Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Rede zur ersten Lesung dieses Haushalts und auch jetzt wieder über die Schuldenlast und die Erblast gesprochen und ausgeführt, daß dies Ihnen die politische Gestaltung so schwer macht. Wie ist es dann möglich, daß Sie noch vor wenigen Tagen im Deutschen Bundestag, als es darum ging, das zu würdigen, was die Deutschen für die Einheit in den letzten 10 Jahren erreicht haben, völlig zu Recht zuerst die große Aufbauleistung der Menschen in den neuen Bundesländern gewürdigt und dann ebenso völlig zu Recht von der Solidarität der Westländer und von den wichtigen öffentlichen Leistungen des Bundes für den gemeinsamen Aufbau in Deutschland gesprochen haben? Es paßt doch nicht zusammen, wenn man sich auf der einen Seite in der Debatte ständig darüber beschwert, daß man sich in einer schwierigen Verschuldungssituation befindet, auf der anderen Seite aber weiß, daß die größten Kosten im Zusammenhang mit der deutschen Einheit entstanden sind. ({39}) Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt: Natürlich war es die SED-Herrschaft - das gilt es festzuhalten -, die für den desolaten Zustand des Wirtschaftsraumes Ostdeutschland am Ende der 80er Jahre verantwortlich gewesen ist. Darin und nirgendwo anders liegen die wesentlichen Ursachen für die ökonomischen Folgen der Vereinigung. Ich muß Ihnen sagen: Sprache ist manchmal sehr verschleiernd. Wir alle sollten nicht davon sprechen, daß das Kosten der deutschen Einheit sind, sondern sagen: Das sind Folgekosten der SED. Das sind Folgekosten der widernatürlichen Teilung Deutschlands, und die haben zu dieser Verschuldung geführt. ({40}) Wir haben diesen Preis bezahlt. Das war nicht leicht, denn - das ist keine Frage - die deutsche Einigung war eine Überraschung in der deutschen Geschichte. Sie sind wirklich die letzten, die das bezweifeln sollten. Anders sind Ihre Äußerungen nicht zu verstehen. Es gab zwar keine Rücklagen für die Kosten der deutschen Einheit. Ich muß allerdings auch sagen: Wenn Helmut Kohl und Gerhard Stoltenberg - damals wußten sie allerdings noch nicht, daß es so bald zur deutschen Wiedervereinigung kommen würde - nicht schon von 1982 bis 1989 die Konsolidierung der Staatsfinanzen in Deutschland betrieben hätten, wären wir noch sehr viel schlechter gerüstet gewesen, die Einheit durchzusetzen. ({41}) Ich sage noch einmal: Die deutsche Einheit war eine Überraschung. Es gab dafür keine Rücklagen. Deswegen konnte die Finanzierung nur mit Krediten erfolgen. Ich sage mit aller Deutlichkeit: Wir haben diesen Preis als ein gern gebrachtes Opfer, als eine gute Investition in Deutschland und in die gemeinsame Zukunft empfunden. ({42}) Wir haben dies übrigens auch als eine Investition in eine gemeinsame Zukunft in einem europäischen Haus empfunden. Lothar de Maizière - das will ich in diesem Zusammenhang hinzufügen - hat vor einigen Tagen gesagt, es habe immer nur ein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, aber nie eines für gesamtdeutsche Antworten gegeben. Jetzt möchte ich Sie, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Eigenschaft als SPD-Politiker fragen: Was hätten Sie denn gesagt, wenn wir in den 80er Jahren Rücklagen für die deutsche Einheit gebildet oder ein Ministerium für gesamtdeutsche Antworten geschaffen hätten? Wenn man sich Ihre schon damals erteilte Absage an die deutsche Einheit in Erinnerung ruft, wird klar, wie absurd Ihr Vorwurf in dem Zusammenhang ist. ({43}) Das war auch damals schon im Bundestag so. Da hätte ich wirklich erleben mögen, wie Sie, die Sozialdemokraten, dann, wenn die Regierung Kohl zwischen 1982 und 1989 angefangen hätte, Rücklagen für die deutsche Einheit zu bilden, auf die Barrikaden gestiegen wären. Deswegen sage ich Ihnen: Seien Sie ruhig, wenn es darum geht, daß wir diese Zukunftsinvestitionen getätigt haben. ({44}) - Wenn das Protokoll die augenblickliche Situation richtig wiedergibt, muß darin stehen: Erhöhte Aufgeregtheit bei der SPD; dies nur als kleiner Hinweis. Es ist völlig in Ordnung, Herr Eichel, daß man ganz nüchtern beschreibt, welche Konsequenzen diese hohe Verschuldung hat. Hier bin ich voll auf Ihrer Seite. Was aber nicht hingenommen werden kann, sind die Degenerierung und die Instrumentalisierung dieses Prozesses, wie Sie das betreiben. Was Sie machen, ist folgendes: Sie verschweigen, daß das im wesentlichen Kosten für die deutsche Einheit sind. Um zu begründen, warum Sie einen Kurswechsel zu vollziehen haben, bilden Sie diese Erblastlegende. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({45})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Rühe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Rühe, Sie haben gerade erklärt, daß die Kosten der Wiedervereinigung einen erheblichen Teil der Schulden ausmachen, die wir jetzt abzutragen haben. Würden Sie mir auch darin zustimmen, daß Sie 1990 die Bevölkerung in Deutschland belogen haben, indem Sie gesagt haben, die Kosten der Wiedervereinigung seien praktisch aus der Portokasse zu bezahlen?

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, darin würde ich Ihnen nicht zustimmen. Wir haben die Kosten unterschätzt; aber das ehrt uns. ({0}) - Natürlich haben wir die Kosten unterschätzt. Das ist überhaupt keine Frage. Das ist auch keine Schande. Aber wir haben die politische Kraft aufgebracht, eine enorm große Summe in die deutsche Einheit zu investieren. ({1}) Jetzt sage ich Ihnen noch eines: Ich habe die Haushaltsberatungen der letzten Wochen intensiv verfolgt. So manches Mal habe ich mich darüber geärgert, daß wir jedesmal, wenn Sie diese Schuldenlastlegende gebildet haben, nicht darauf geantwortet haben. ({2}) Intellektuell ist das auch nicht so befriedigend. Ich muß einmal selbstkritisch sagen: Wir sind manchmal etwas zu vornehm, ({3}) weil man davor zurückscheut, bestimmte Argumente immer zu wiederholen. Herr Bundeskanzler, eines verspreche ich Ihnen: Wenn Sie weiterhin in dieser Weise über die Erblastlegende sprechen, dann werden Sie jedesmal eine entsprechende Antwort von uns bekommen, und dann wird deutlich werden, daß, wer in dieser Weise über die zur Überwindung der Teilung Deutschlands eingegangene Verschuldung spricht, möglicherweise noch Erinnerungen an die Probleme hat, die er selbst mit der deutschen Einheit gehabt hat. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Rühe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Urbaniak?

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rühe, Sie sagten, Sie hätten die Kosten für die deutsche Einheit unterschätzt. Sie werden mir sicherlich bestätigen können, daß Sie sich ein zweites Mal verschätzt oder den Menschen etwas Unwahres gesagt haben, als Sie ihnen „blühende Landschaften“ versprochen haben. Was ist tatsächlich daraus geworden? Haben Sie nicht Oskar Lafontaine, nachdem er auf die Schwierigkeiten des Einheitsprozesses aufmerksam gemacht hatte, nach Strich und Faden verurteilt?

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, zunächst einmal gratuliere ich Ihnen zu dem Mut, aus den Reihen der SPD heraus den Namen Oskar Lafontaine hier auszusprechen. ({0}) Ich hoffe, den Mut zu dieser Erfahrung finden Sie auch auf dem Parteitag der SPD. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Urbaniak, wenn eine Frage beantwortet wird, dann müssen Sie stehen bleiben, bitte.

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sollen stehen bleiben, um meinen Dank für die Erwähnung Lafontaines entgegenzunehmen. ({0}) Es gab kein Lehrbuch über die Herbeiführung der deutschen Einheit. Ich möchte einmal wissen, wie sich der Ministerpräsident von Niedersachsen geäußert hätte, wenn wir in die Schulbücher gebracht hätten, wie man die deutsche Einheit herbeiführt. In den Schulbüchern stand nämlich überall, wie unterschiedlich die Menschen in Ostdeutschland und in Westdeutschland sind und daß sie niemals wieder zusammenleben können. Es gab kein Rezept, wie man aus einem kommunistischen Land ein Land mit sozialer Marktwirtschaft macht. ({1}) Deswegen - Herr Kollege, das wissen auch die Menschen draußen - gab es keine fertigen Rezepte. Für das Stichwort „blühende Landschaften“ - diesen Beifall sollten Sie ruhig noch stehend entgegennehmen - bin ich Ihnen ausgesprochen dankbar. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Sie müssen allerdings auch die Frage beantworten.

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sollten die Gelegenheit nutzen, von Berlin aus möglichst viel in die neuen Bundesländer zu fahren. Natürlich muß in einer ganzen Generation noch vieles getan werden. Wenn Sie mich gefragt hätten, was dort in zehn Jahren geschaffen werden könnte, dann hätte ich Ihnen geantwortet, daß ich all das, was an Investitionen und Modernisierungen im Zuge der deutschen Einheit geschehen ist, nicht für möglich gehalten hätte. ({0}) In diesem Zusammenhang - Helmut Kohl ist zu Recht besonders gewürdigt worden - möchte ich einmal ein Wort des Dankes an Theo Waigel richten. Er ist der Finanzminister der deutschen Einheit. ({1}) Später war er auch der Finanzminister der europäischen Einheit. Ich erinnere mich noch gut daran, welche Prophezeiungen es auch von Wirtschaftsgurus gegeben hat: Wenn ihr diese Einheit herbeiführt, dann wird die Inflationsrate auf 10, 11 oder 12 Prozent steigen usw. Eichel ist die Antwort auf Lafontaine, aber nicht auf Waigel. Der ist eine andere Gewichtsklasse. ({2}) Herr Eichel, daß es nicht nur um Sparen, sondern auch um Investieren geht, das hat auch Theo Waigel immer deutlich gemacht. Übrigens, Sparen ist nicht Ihre Erfindung. Wie hätten wir denn sonst die MaastrichtBedingungen erfüllen können? ({3}) Im Vergleich zu Lafontaine muß man anerkennen, daß Sie niemand für das Sparen an sich schilt. Wir kritisieren zum Beispiel, daß vielfach bei Investitionen gespart wird. Der Bundeskanzler wird mir nach 20 Minuten Rede zustimmen, wenn ich behaupte, daß es für Holzmann ganz gut gewesen wäre, wenn das EmsSperrwerk durch grüne Widerstände nicht blockiert worden wäre. Dasselbe gilt für andere Investitionen. ({4}) Sparen und Investieren, das ist der Punkt. Der jetzige Sparkurs ist rein fiskalisch orientiert. ({5}) - Für eine schwache Rede sind Sie aber ziemlich aufgeregt, Herr Kollege Poß. ({6}) Es ist unbestritten, daß für eine qualitative Konsolidierung die Initiativen notwendig sind, die ich angesprochen habe, allen voran eine Steuerreform. ({7}) Herr Bundeskanzler, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch ein Wort zur Rente sagen. Nach meiner Meinung wäre es ein großer Fehler, wenn Sie im Rahmen der politischen Auseinandersetzung das ungewöhnliche Angebot ausschlagen, das die Opposition Ihnen ungeachtet unserer unterschiedlichen Auffassungen über Ihre willkürlichen Eingriffe in die Rentenversicherung in den letzten beiden Jahren gemacht hat. Wir sind bereit, mit Ihnen auf höchster politischer Ebene über die konkreten Probleme zu sprechen und in dieser Legislaturperiode Beschlüsse im Deutschen Bundestag zur Sicherung der Sozialversicherungssysteme zu verabschieden. Ich möchte festhalten: Es geht um das Angebot einer Arbeitsgemeinschaft. ({8}) Der Vertrauensverlust ist riesig. Sie, Herr Bundeskanzler, werden registriert haben, wie völlig einheitlich die junge Generation auf das Hin und Her um die Rente mit 60 reagiert hat, die jungen Gewerkschaftsmitglieder, die Mitglieder der Jungen Union, die Jungsozialisten und die jungen Banker ({9}) - natürlich auch die jungen Liberalen; dies ist doch klar; diese hatte ich in meiner Aufzählung indirekt schon erwähnt, weil es überall Liberale gibt. ({10}) - Glückwunsch! Wir werden dafür sorgen, daß wir auch in Schleswig-Holstein gemeinsam die Mehrheit haben. ({11}) - Ich habe Schleswig-Holstein nicht angeführt. - Dann muß Ihnen klar sein, daß das Mißtrauen bezüglich der Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme groß ist. Ich glaube, die Aufgabe, dieses Mißtrauen abzubauen, läßt sich nur schultern, wenn sich neben den kleineren Parteien auch die beiden großen Volksparteien mit allem Ernst um eine Vertrauensgrundlage für die Zukunft bemühen. Dieses Angebot sollten Sie, Herr Bundeskanzler, nicht leichtfertig ausschlagen. ({12}) Herr Struck, wir haben kein halbes Jahr verloren; denn Sie haben unsere moderate Rentenreform rückgängig gemacht, weil sie Ihnen zu weit ging. Das, was Sie jetzt machen, ist zum Teil nicht zustimmungspflichtig. Wir haben Sie nicht daran hindern können, unsere Reform rückgängig zu machen. Deshalb haben wir keine Zeit verloren. Ich möchte nicht weiter über das rechten, was Sie gemacht haben. Ich sage nur: Es ist hohe Zeit, wenn wir eine Reform noch in dieser Legislaturperiode schaffen wollen. Es wäre für die Demokratie und für unseren Staat ungeheuer wichtig, daß wir hier vorankämen. ({13}) Ich möchte jetzt nichts zur Gesundheitsreform sagen, obwohl dieses Thema sehr wichtig ist. ({14}) Mir bleibt nur übrig, das aufzugreifen, was Hans-Peter Repnik gestern so wunderbar geschildert hat: Wenn die Reform schon formal so schwach ist, daß im Gesetzestext von einem „maoistischen“ System gesprochen wird, dann zeigt dies: Diese Reform ist gescheitert. Herr Bundeskanzler, wir brauchen einen Neuanfang in der Gesundheitspolitik! Wir sind bereit, darüber zu sprechen, wie ein modernes Gesundheitssystem geschaffen werden kann. Jeder könnte von einem solchen System profitieren, wenn er in eine schwierige gesundheitliche Situation gerät. Dies kann einem schneller passieren, als einem lieb ist. Deswegen ist dies ein sehr ernstes Thema. Es gibt kaum einen anderen Bereich in der Politik, von dem die Menschen so existentiell betroffen sind. Deswegen fordere ich: Kehren Sie von Ihrem falschen Weg ab! Seien Sie bereit, das Gesundheitswesen so zu modernisieren, daß es dort mehr Selbstverantwortung, mehr Eigenständigkeit und mehr Freiheit gibt. In einem solchen System darf es keine obrigkeitstaatliche Reglementierung mehr geben. ({15}) Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Bemerkungen zur Außen- und Sicherheitspolitik machen. Ich möchte mit der Bundeswehr beginnen. Als ehemaliger Verteidigungsminister weiß ich aus eigener Erfahrung, Herr Kollege Scharping, wie schwer das Amt ist. Deswegen respektiere ich meine Vorgänger und Nachfolger. Dies ist eine gute Tradition der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland. Das beste für die Streitkräfte ist, wenn sie die nötige Finanzierung und Klarheit über den zukünftigen konzeptionellen Kurs haben. In der rotgrünen Regierung scheint es keine Mehrheit für eine solche finanzielle Ausstattung der Bundeswehr zu geben. Ich bestreite gar nicht, daß Theo Waigel und ich harte Auseinandersetzungen hatten. Du, Theo, warst genauso für die Bundeswehr wie ich. Du hattest nur ein anderes Amt inne. Aber am Ende unserer Auseinandersetzungen stand immer eine berechenbare Finanzplanung, die der Bundeswehr den Weg in die Zukunft ermöglicht hat. ({16}) Eines geht nicht: Wenn man der Bundeswehr schon das Geld verweigert, dann darf man ihr nicht die Klarheit verweigern. ({17}) Woche für Woche, Monat für Monat geht Zeit für die Bundeswehr verloren, sich auf die Zukunft einzustellen. ({18}) Deswegen sage ich Ihnen - fragen Sie die Soldaten -: Das hat einen enormen Vertrauensverlust zur Folge, und es hat schon zu viel Resignation geführt. Deswegen, Herr Bundeskanzler, ist das ein Thema, das auch Sie angeht; denn die Bundeswehr ist nicht irgendeine Institution in unserem Staat. Wir alle haben ein großes Interesse daran, daß sie für das 21. Jahrhundert zukunftssicher gemacht wird. ({19}) Im übrigen, Herr Bundeskanzler, lieber Gerhard Schröder: ({20}) Über die Rollenverteilung zwischen Ihnen und dem Verteidigungsminister, wenn der Crash eingetreten ist, dürfen Sie sich keine Illusionen machen. Er hat sehr feste Vorstellungen darüber, wo die Schurkenrolle liegt. Er sieht sich in dieser Situation doch mehr als Robin Hood und Sie so ein bißchen mehr als Sheriff von Nottingham. Ich glaube, es ist hohe Zeit, den Vertrauensverlust zu stoppen. ({21}) Sehen Sie, nach dem Kosovo-Krieg gab es doch eine Chance für einen neuen Konsens für die Bundeswehr in Deutschland. Das Verständnis der Menschen auch für militärische Ausgaben ist gewachsen. Deswegen ist es jetzt in Ihrer Verantwortung, die notwendigen finanziellen, aber auch die notwendigen konzeptionellen Entscheidungen zu treffen, damit wir Streitkräfte haben, die den Herausforderungen der Zukunft gewachsen sind. ({22}) Was man nicht machen kann, ist folgendes: über europäische Identität und von einer größeren Rolle der Europäer gegenüber den Amerikanern zu sprechen, zu Hause aber in dieser Weise zu versagen. Wir müssen uns darauf vorbereiten, daß wir im 21. Jahrhundert ein anderes Verhältnis zwischen den USA und Europa haben werden. Ich denke, wir stimmen - bis auf wenige Ausnahmen - vielleicht alle darin überein, daß wir die Amerikaner auch im 21. Jahrhundert in Europa haben wollen. Aber Sie werden nur in Europa bleiben, wenn wir ein relevanter Partner sind, wenn wir ein strategisch interessanter Partner sind, ({23}) wenn es eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Europa und Amerika gibt. Eine solche kann es nicht geben, wenn in Deutschland in dieser Weise Sicherheitsstrukturen abgebaut werden. Darum geht es. ({24}) Wir werden auch im 21. Jahrhundert ungleiche Fähigkeiten haben. Das will ich einmal einigen sagen, die immer so tun, als ob es notwendig wäre, daß wir dieselben militärischen Fähigkeiten wie die Amerikaner erwerben und dringend jeglichen technologischen Rückstand aufholen müßten. Nein, wir werden ungleiche militärische Fähigkeiten haben. Die Amerikaner sind eine militärische Weltmacht. ({25}) Europa ist es nicht, sollte es im 21. Jahrhundert auch nicht sein. Aber die Arbeitsteilung - das hat es auch schon in einigen Situationen im Kosovo-Krieg gegeben -, daß die Amerikaner für den Krieg und die Europäer für Frieden und seine Absicherung verantwortlich sind, funktioniert nicht. Deswegen muß das größte Land in Europa, muß Deutschland mit seiner Bundeswehr den Beitrag leisten, der von uns zu Recht erwartet werden kann. ({26}) Herr Bundeskanzler, ich möchte mich in einer anderen Frage direkt an Sie wenden. Das ist der Punkt, der von den Grünen, heute morgen aber auch von Herrn Struck angesprochen worden ist, nämlich daß behauptet wird, Entscheidungen der Organe dieses Staates - Bundeskanzler, Bundessicherheitsrat - zur Lieferung von Waffen nach Saudi-Arabien seien käuflich gewesen. Wenn das ein Herr Ströbele von den Grünen sagt, dann ist das eine Sache. Aber wenn das der Fraktionsvorsitzende der Volkspartei SPD macht, dann muß ich Ihnen sagen: Wenn es darum geht, das Ansehen dieses Staates zu beschädigen, dann ist auch der Bundeskanzler und der Parteivorsitzende der SPD gefordert, hier ein deutliches Wort zu sprechen. ({27}) Wir werden auch nicht zulassen, daß in einer unerträglichen Weise versucht wird, das Ansehen Ihres Amtsvorgängers zu beschädigen, Herr Bundeskanzler. Ich bin fest davon überzeugt ({28}) - jetzt lassen Sie mich das einmal sagen -, daß die von Helmut Kohl im September 1990 vorgenommenen Weichenstellungen richtig gewesen sind. Wir haben mit bestimmten Systemen nicht nur Israel und der Türkei militärisch enorm geholfen, sondern auch den arabischen Opferstaaten des Iraks. ({29}) Diese Weichenstellungen waren richtig. ({30}) Ich bin auch davon überzeugt, daß der Bundessicherheitsrat die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen hat und sonst gar nichts. Herr Bundeskanzler, ich wäre sehr daran interessiert von Ihnen zu hören, wie Sie das Verhalten der Organe dieses Staates in einer so wichtigen Frage einschätzen. ({31}) Das ist ganz wichtig. ({32}) Ich möchte hier auch eine persönliche Bemerkung anfügen. Ende Januar 1990, als der Golf-Krieg in seiner heißen Phase war, bin ich in einer Delegation mit Bundesaußenminister Genscher und Bundesminister Spranger - wir haben uns eben noch einmal vergewissert und glauben, es war am 25./26. Januar 1990 - in Jerusalem und Tel Aviv gewesen. ({33}) Wir haben die Wirkung der eingeschlagenen Raketen gesehen und mitbekommen, daß die Menschen in Tel Aviv nicht in die Keller gegangen sind, weil die Sprengkraft der Raketen weniger gefährlich war als die möglicherweise von ihnen freigesetzten chemischen Kampfstoffe, sondern statt dessen die obersten Stockwerke aufgesucht haben. ({34}) - Einen Moment, hören Sie doch einmal zu und vergegenwärtigen Sie sich, was für eine existentielle Bedrohung in der damaligen Situation bestand! - Als wir dann bei einem offiziellen Abendessen mit den Israelis in Jerusalem zusammensaßen - Sie können sich das vom Kollegen Genscher bestätigen lassen -, hatte jeder von uns eine Gasmaske dabei. Während dieses Essens gab es Alarm, die Warnung vor einem Angriff auf Jerusalem. ({35}) Wir haben das Essen verlassen und sind gemeinsam mit unseren israelischen Gastgebern - ({36}) - Ich finde es schon ziemlich unerträglich, wie Sie darauf reagieren. ({37}) Am nächsten Morgen haben wir das Ergebnis der Einschläge der Scud-Raketen gesehen. All das läßt sich nachvollziehen. Sie können sich gerne die Bilder anschauen. Ebensolche Scud-Raketen sind auch auf SaudiArabien abgefeuert worden, dort aufgeschlagen und haben dort Menschen getötet. Hier hat - ich war damals noch nicht Verteidigungsminister - unser Land seine außen- und sicherheitspolitische Verantwortung wahrgenommen. Streiten Sie über Parteienfinanzierung! Wir haben an allererster Stelle Interesse an der Aufklärung - das wurde hier schon gesagt - und wollen, daß dieser Fall schnell aufgeklärt wird. Im übrigen erinnere ich mich auch noch an den Schmuddelwahlkampf in SchleswigHolstein, bei dem es Ausforschungen auch des persönlichen Bereiches durch sozialdemokratische Pressesprecher gab. ({38}) Ich hätte das unter anderen Umständen nicht angesprochen, aber ich lasse mir von Ihnen nichts gefallen, sondern erwarte, daß Sie mit Anstand verlieren, wenn die Wähler in Schleswig-Holstein das so entscheiden. ({39}) Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist sehr wichtig, daß wir uns in dieser Haushaltsdebatte neben den politischen Auseinandersetzungen immer bewußt machen, welche Verantwortung wir für unseren Staat tragen - jeder an seiner Stelle. Deshalb begrüße ich die Bereitschaft, gemeinsam eine Rentenreform durchzuführen. ({40}) Lassen Sie uns hart über Politik streiten, ({41}) aber unfaire Angriffe werden auf die geschlossene Abwehr der Union stoßen. Das gilt insbesondere dann, wenn Sie unseren Bundeskanzler Kohl angreifen. Darauf können Sie sich verlassen. ({42})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Rühe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, denn ich komme zum letzten Satz. - Es ist gar keine Frage, daß es harte politische Auseinandersetzungen geben muß. Das nützt auch der Demokratie. ({0}) Meine herzliche Bitte ist aber, dabei Anstand zu bewahren. Ich habe noch in Erinnerung, wie Herr Ströbele und seine Kollegen während des Golf-Krieges durch Berlin gezogen sind und eine Blutspur gelegt haben. Ihre Parole lautete damals: „Blut für Benzin“. Herrn Außenminister Fischer, der leider gerade nicht da ist, möchte ich sagen, daß die rechtliche Grundlage für das Eingreifen im Golf-Krieg besser war als die für das Eingreifen im Kosovo. Dazu will ich aber nichts weiter sagen, da auch ich letztlich ja dazu gesagt habe. Damals hat man einen Staat von der Landkarte getilgt, nämlich Kuwait. Daraufhin haben die Vereinten Nationen eingegriffen, und auf dieser Grundlage ist gehandelt worden. Herr Schlauch, Sie und Ihre Genossen ({1}) haben damals noch gesagt, das sei „Blut für Benzin“. Dafür sollten Sie sich schämen. ({2}) Meine herzliche Bitte ({3}) ist, daß Sie sich noch einmal überlegen, welche Rolle der Fraktionsvorsitzende Struck heute morgen gespielt hat. Greifen Sie uns als Partei an; das ist normal. Wir können uns verteidigen. Aber hören Sie auf, den Eindruck zu erwecken, als sei in unserem Staat eine so schwerwiegende außenpolitische Entscheidung käuflich! ({4}) Leisten Sie Ihren Beitrag dazu, daß solche infamen Verdächtigungen zurückgewiesen werden! Vielen Dank. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje Hermenau.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Volker Hase, der von nichts weiß, Sie haben die Möglichkeit, zur Aufklärung der Sachverhalte, die Sie angeschnitten haben, beizutragen, indem Sie erlauben, daß Herr Weyrauch aussagt. ({0}) Damit möchte ich aber die nostalgische Debatte über Wehrertüchtigung und andere Fragen beenden und über das reden, was Gegenstand der heutigen Debatte ist, nämlich über den Bundeshaushalt. ({1}) Je mehr Sie solche Geschichten erzählen, je mehr Sie daran erinnern, wie schön früher alles war, desto mehr erwecken Sie in mir den Eindruck, wie sehr es Ihnen abgeht, daß Sie durch den Machtwechsel die Gestaltungshoheit auch in der Sache an uns haben abgeben müssen. ({2}) Der Ernüchterungsschock bei der CDU/CSU - auch bei der F.D.P., dort aber weniger - wird in dem Moment kommen, in dem die Mehrheiten, die Sie jetzt bei Kommunalwahlen in NRW und bei Landtagswahlen aufgebaut haben - Sie hoffen darauf auch, Herr Rühe -, Sie in Ihren eigenen Reihen politisch ganz massiv unter Druck setzen werden. Sie werden sich eine solche an der Sache vorbeigeführte Rede über Bundesfinanzen in Zukunft nicht mehr leisten können, weil Ihre eigene Basis Ihnen die Hölle heiß macht, wenn Sie versuchen, mit solchen Platitüden Bundespolitik zu gestalten. ({3}) Da das Thema der deutschen Einheit auf eine, wie ich finde, nicht ganz zutreffende Art und Weise angesprochen worden ist, mache ich dazu ein paar kurze Ausführungen. Man kann leicht entlarven, wie falsch die Behauptung ist, daß sich Rotgrün den Herausforderungen der deutschen Einheit nicht stellen würde. In den neuen Ländern ist in nächster Zeit keine einzige Wahl zu erwarten: keine Bundestagswahl, keine Landtagswahl. Trotzdem haben wir in Ostdeutschland finanzielle Schwerpunkte gesetzt. Trotz eines 30-Milliarden-DMSparpaketes wird man hier ganz verstärkt in die wichtigen Zukunftsfelder investieren. ({4}) Wie sehr Sie falsch gelegen haben, können wir einmal aufdröseln. Herr Waigel wurde heute als der große finanzpolitische Architekt der deutschen Einheit gelobt. Sehen wir uns seine Kunst doch einmal an: 1993 waren Sie, Herr Waigel, einer groben Fehleinschätzung unterlegen, als es um das Vorangehen zwar nicht der deutschen Einheit, aber der europäischen Einheit ging. Sie haben maßgeblich Einfluß darauf genommen, welche Kriterien für die Teilnahme an der europäischen Währungsunion festgelegt wurden. Sie selber haben beispielsweise hinsichtlich der Gesamtverschuldung davon gesprochen, daß 60 vom Hundert des Bruttoinlandsprodukts eine leicht einzuhaltende Grenze sei. Damals war das auch leicht versprochen. Da lag der Anteil noch bei 48 vom Hundert, da schien das ein leichtes Ziel. Auch die 3-Prozent-Grenze bei der Neuverschuldung schien sehr einfach zu erreichen. Und dann stellten Sie fest, daß Ihnen alle Fehler, die Sie am Anfang gemacht haben, indem Sie die Kosten der deutschen Einheit nicht von vornherein über die Steuerfinanzierung sichergestellt, sondern versucht haben, sie über die Beitragsfinanzierung auf die Versicherungsträger abzuwälzen, auf die Füße fielen. Schon drei Jahre später, 1996, fiel es Ihnen unglaublich schwer, die von Ihnen mit aufgestellten Maastricht-Kriterien tatsächlich zu erfüllen. ({5}) Wir sitzen jetzt mit dem ganzen Schlamassel da, und haben ihn aufzuräumen, und zwar, wenn es geht, zügig. Wir müssen uns in jede Richtung umschauen. Denn in jeder Richtung liegt etwas Schweres, etwas Kompliziertes, das nicht gelöst ist. In unserer Fraktion kursiert schon der Spruch von den drei V: Man möchte alles verschieben, man möchte alles verdrängen, man möchte alles verleugnen. ({6}) So läuft das die ganze Zeit. Wir müssen das jetzt aufräumen. Das machen wir. Hätte Schwarzgelb weiterregiert, hätten wir laut Ihrer eigenen Finanzplanung im Jahre 2000 eine Nettoneuverschuldung von mindestens 54,5 Milliarden DM zu verzeichnen. Wo steht Rotgrün? Bei 49,5 Milliarden DM. Wir liegen glatt darunter. ({7}) Wie ist denn 1998 gelaufen? Darüber kann man jetzt große Reden schwingen. Aber Sie haben fast 20 Milliarden DM an Privatisierungserlösen hineinbuttern müssen, um den Haushalt überhaupt aufstellen zu können, ({8}) während wir jetzt auf lächerliche 3,5 Milliarden DM sehen. Übrigens wird alles, was aus diesen Privatisierungserlösen kommt, in die Tilgung der Schulden gehen und nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet werden, so wie Sie das gemacht haben. ({9}) Es war zu schaffen, einen verfassungsgemäßen Haushalt aufzustellen. Es war möglich, den Stabilitätspakt in Europa einzuhalten. Dies war also nicht, wie Sie immer behauptet haben, ein Ding der Unmöglichkeit. Aber es war auch nicht, wie es der Kollege Rexrodt gestern sagte, ein Routinehaushalt. Das kann man nun wirklich nicht sagen. Die Anstrengungen, die unternommen werden mußten, waren enorm. Sie haben sich auf der innenpolitischen Debatte ausgeruht, die natürlich im Gefolge dieser Kraftanstrengungen geführt wurde. Ich sage es Ihnen noch einmal: Trotz der guten Wahlergebnisse, auf denen Sie sich jetzt ausruhen, werden Sie davon eingeholt, daß Ihnen seitens der Länder und von kommunaler Seite die Hölle heiß gemacht wird, wenn Sie versuchen, einen Haushalt mit solchen Platitüden zu diskutieren. Wo sind denn Ihre Vorschläge? Der einzige Vorschlag, den ich im Ohr habe, bezieht sich auf die Herabsetzung des Zuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit auf Null. Da lachen ja die Hühner! Das bedeutet im Klartext auf einen Schlag 200 000 Arbeitslose in den fünf neuen Ländern mehr. Sie verbreiten vergiftete Vorschläge. Stellt sich doch ein Kollege aus dem Haushaltsausschuß hierher und meint, wir hätten außerordentlich viel Geld übrig. Dieses liege bei den Postunterstützungskassen. Wir seien nur zu blöd, die Aktien zu verkaufen. - Das kann ich nicht mehr hören! Sie hatten bereits angefangen, diese Aktien zu verkaufen. Wir halten dies für eine sehr kurzsichtige Denkweise und für kurzatmiges Handeln. Sie wissen ganz genau, daß wir das Volumen und die Erlöse aus diesen Aktien angesichts steigender Zahlungen für die Pensionen der ehemaligen Postbediensteten benötigen werden. Oder wollen Sie das auch wieder auf den Steuerzahler abwälzen? ({10}) Auch ein Volker Rühe kann sich nicht hierherstellen und sagen, unter seiner sechsjährigen Ägide als Bundesverteidigungsminister habe es keine drastischen Probleme beim Verteidigungsetat gegeben. Wenn ich es richtig weiß, ist dieser in den sechs Jahren um circa 11 Prozent abgesenkt worden, und zwar ohne eine Wehrstrukturreform. Er wurde einfach gesenkt. ({11}) Worin die Berechenbarkeit bestehen soll, weiß ich nicht. Wahrscheinlich besteht sie im stetigen Absinken. Wir sind immerhin aufgestanden und haben gesagt: Wir führen eine Wehrstrukturreform durch. Dies hatte nicht nur etwas mit Einsparbemühungen zu tun, sondern auch mit den Anforderungen, die an die Wehrfähigkeit Deutschlands als Partnerstaat der NATO gestellt werden. Wir müssen uns diesen neuen Aufgaben stellen. Auch das wird im Zusammenhang mit der Wehrstrukturreform zu debattieren sein. Wir können uns nicht einfach durchwurschteln, ohne eine Wehrstrukturreform zu machen, ohne eine Gesundheitsstrukturreform zu machen, ohne eine Rentenreform zu machen, ohne eine Steuerreform zu machen. Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß Sie sich, wenn all diese Dinge angepackt werden, hinstellen und sagen: Da machen wir nicht mit. Bei der Rentenreform haben Sie gemerkt, daß Sie sich der Verantwortung nicht weiter entziehen können, wenn Sie das Attribut einer Volkspartei behalten wollen. Wir nehmen diesen Vorschlag auch an. Die rotgrüne Koalition hat das signalisiert. Ich sage für die Grünen, daß wir der Auffassung sind, in dieser Frage vielleicht sogar vermittelnd fungieren zu können, denn unsere Vorschläge zur Rentenreform gleiVolker Rühe chen teilweise denen der SPD und teilweise denen der CDU/CSU. ({12}) Es wird also eine interessante Debatte werden, bei der ich davon ausgehe, daß die Grünen die richtigen Impulse mit einspeisen werden. Ich bin sehr zufrieden, daß Sie erkannt haben, daß Sie sich aus der Debatte nicht mehr herausmogeln können. Noch ein Wort zum Haushalt. Wo sind wir mit Ihrer Haushaltspolitik der letzten Jahre denn gelandet? Bei einem strukturellen Defizit, das sich dauernd um die 20 Milliarden DM bewegte, mal etwas darüber, mal etwas darunter, über Jahre hinweg. Da Sie immer der Auffassung sind, das sei eine Chimäre - wie das hier genannt wurde -, irgendein Hirngespinst, will ich das einmal klarstellen. Im Jahresbericht des Bundesrechnungshofes vom Oktober 1999 - der ist also noch warm vom Druck - steht: Die wachsenden strukturellen Deckungslücken sind in erheblichem Umfang durch zunehmende Erlöse aus Vermögenswerten ausgeglichen worden. Das war 1998 und 1997. Das war Theo Waigel, um das einmal klarzustellen. Er hat das Tafelsilber verjuxt. ({13}) Der Bundesrechnungshof sagt weiter: Diese Entwicklung ist bedenklich, da Vermögen für künftige Verpflichtungen aufgebraucht werden und Vermögensminderungen dann natürlich auch künftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen. Sie haben die Bundesfinanzen an die Wand gefahren. Sie haben die Strukturreformen versäumt. Sie sprechen seit einer Dekade dauernd von den Schwierigkeiten der deutschen Einheit und versuchen, Ihre Handlungsunfähigkeit dahinter zu verstecken. Sie haben recht, wenn Sie sagen, Sie hätten die deutsche Einheit willkommen geheißen. Aber Sie haben die Chancen nicht genutzt. Die deutsche Einheit wäre die Möglichkeit gewesen, all diese Strukturreformen, die im Westen längst fällig waren, durchzuführen. ({14}) Diese Chance haben Sie nicht genutzt. Aber Sie nutzen natürlich gerne die deutsche Einheit, durch die der Aufbau der neuen Länder finanziert werden muß, als Deckmantel dafür, daß Sie nicht handeln konnten. ({15}) Das ist eine Aussage über Ihre eigene Unfähigkeit. Aber es hat nichts mit dem zu tun, was Rotgrün in einem Jahr alles auf die Beine gestellt hat. Ich bedanke mich. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe der Kollegin Cornelia Pieper für die F.D.P.-Fraktion das Wort.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler hat seine Regierung dafür gerühmt, daß es im kommenden Jahr 500 000 Arbeitslose weniger in Deutschland geben werde. Sie haben das mit Ihrer Politik in Zusammenhang gebracht. Ich will hier richtigstellen: Jeder Arbeitsplatz, der zusätzlich geschaffen wird, wird durch die Wirtschaft, die Existenzgründer, die Freiberufler, die Handwerker, die kleinen und mittelständischen Betriebe geschaffen, aber auf keinen Fall durch Ihre Politik, die Desorientierung und Planungsunsicherheit in Deutschland hervorgebracht hat, insbesondere für die Unternehmen in diesem Land. ({0}) Ich will noch einmal klarstellen: Das neueste Jahresgutachten der fünf Wirtschaftsweisen hat in der Tat ein höheres Wirtschaftswachstum für Gesamtdeutschland prognostiziert. Aber der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Herbert Hax, hat fast wörtlich gesagt, der Rückgang der Arbeitslosigkeit basiere vor allem auf demographischen Faktoren und habe verhältnismäßig wenig mit dem Konjunkturaufschwung zu tun. Bitte schreiben Sie sich das endlich hinter die Ohren, und verdrehen Sie hier nicht die Tatsachen! ({1}) 3 Prozent Einkommenssteigerung für die Bevölkerung - was hat denn diese letztlich bewirkt, wenn Sie den Menschen in diesem Land das Geld in die eine Tasche stecken und es aus der anderen Tasche wieder herausziehen? Wir wissen doch alle, daß die ökologische Steuerreform eine Belastung der privaten Haushalte und der Wirtschaft in diesem Land bedeutet. ({2}) Deswegen kann man sich damit überhaupt nicht rühmen, denn Sie vernichten Arbeitsplätze mit der ökologischen Steuerreform. Das ist die Wahrheit. ({3}) Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, daß das Bruttosozialprodukt im nächsten Jahr im Osten weit unter dem der alten Bundesländer liegen wird. Die Arbeitslosenquote steigt; das wurde schon gesagt. Die ostdeutschen Arbeitgeberverbände haben sich in der vergangenen Woche an Bundeskanzler Schröder mit einem Schreiben gewandt und ihn aufgefordert, endlich die Trendwende für den Osten herbeizuführen, für eine stabile Förderung in den neuen Ländern zu sorgen und zu verhindern, daß die Entwicklung in Ost und West weiterhin auseinanderdriftet. ({4}) Der Bundeskanzler - Frau Kaspereit, zu dieser Regierung stehen Sie ja - hat in seiner Regierungserklärung anläßlich seines Amtsantrittes gesagt, für ihn sei der Aufbau Ost Chefsache. ({5}) Mir klingen diese Worte in den Ohren. Chef ist er seit langem; aber für ihn ist die Chefsache nur eine Worthülse geblieben. Sie haben doch keine neuen, innovativen Ideen im Hinblick auf den Aufbau Ost eingebracht. Sie nennen immer wieder das Programm Inno-Regio. ({6}) Das ist das einzig neue Programm. ({7}) An anderer Stelle haben Sie gekürzt. ({8}) Insgesamt wurde bei den neuen Bundesländern um rund 3 Milliarden DM gekürzt, und zwar bei Haushaltspositionen, bei denen es besonders weh tut, bei denen es um Investitionen und Arbeitsplätze geht. ({9}) - Konkret zum Beispiel bei der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur Ost“ um 285 Millionen DM, ({10}) bei dem Eigenkapitalhilfeprogramm um zirka 500 Millionen DM und bei den Strukturanpassungsmaßnahmen Ost um 800 Millionen DM. Das ist keine Politik, die man als Chefsache bezeichnen kann. Hier werden Einschnitte vorgenommen, die zu Lasten der Menschen gehen. ({11}) Ich möchte auch auf das Thema Infrastrukturausbau zu sprechen kommen. Staatsminister Schwanitz hat in der gestrigen Debatte deutlich gemacht, daß es beim Verkehrswegebau im Osten Planungssicherheit gebe. Darüber kann ich nur lachen. Wir alle wissen doch, daß auch über den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ das Damoklesschwert einer globalen Minderausgabe in Höhe von 5 Milliarden DM schwebt. ({12}) Es geht um 5 Milliarden DM, die nicht finanziert sind. ({13}) Angesichts dessen kann man doch nicht von Planungssicherheit sprechen. Sie haben überhaupt kein Interesse, den Osten an das Schienenverkehrswegenetz in Europa anzubinden. Sonst würden Sie den ICE von Nürnberg nach Berlin, der über den Thüringer Wald und durch Sachsen-Anhalt führt, bauen. Statt dessen schieben Sie ihn auf das Abstellgleis. Das ist doch die Wahrheit. ({14}) Weiterhin ist zu erwähnen, daß Kürzungen bei Investitionen und beim Infrastrukturausbau immer zu Lasten von Wirtschaft und Arbeitsplätzen gehen. ({15}) Das Frankfurter Institut, die Stiftung für Marktwirtschaft und Politik, hat in seinem letzten Bericht zur wirtschaftlichen Lage in Ostdeutschland deutlich gemacht - ich zitiere -: Auch mit Blick auf das Ziel des Subventionsabbaues wäre eine Rückführung der Investitionen in die wirtschaftsnahe Infrastruktur völlig kontraproduktiv. Meine Damen und Herren, die haben recht. ({16}) Allein im letzten Jahr sind die Investitionen in ostdeutsche Unternehmen um rund 6 Prozent zurückgegangen. So schaffen wir es doch nicht, die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern zurückzuführen. Sie haben bei Ihrer Politik die falsche Zielrichtung. ({17}) Als letztes möchte ich an dieser Stelle auf Frau Hermenau eingehen, die mich aufgefordert hat, darzulegen, was die Opposition bzw. die F.D.P.-Bundestagsfraktion eigentlich in bezug auf das Thema Aufbau Ost tut und welche Vorschläge zur Angleichung der Lebensverhältnisse wir haben. ({18}) Wir haben in den Haushaltsberatungen konkrete Vorschläge gemacht. Stimmen Sie doch endlich unseren Anträgen zu, wenn es darum geht, den Bundeswehrsold in Ost- und Westdeutschland anzugleichen. ({19}) Es besteht überhaupt kein Grund dafür, daß die Soldaten im Osten, die wie ihre Kollegen aus dem Westen in den Kosovo geschickt werden, wenn sie nach Hause kommen, weiterhin 86,5 Prozent des Westsoldes bekommen. ({20})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Pieper, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten. Wenn Sie die Frage des Kollegen Tauss noch beCornelia Pieper antworten möchten, dann will ich Ihnen dazu Gelegenheit geben.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Es besteht überhaupt kein Grund, die Angleichung der Lebensverhältnisse zu verschieben. Ich wollte in diesem Zusammenhang die Gebühren der Rechtsanwälte in Erinnerung rufen. ({0}) Die Rechtsanwälte im Osten werden doppelt bestraft dadurch, daß der Streitwert in den neuen Ländern viel geringer ist. Es gibt viele Ansatzpunkte, die man in diesem Zusammenhang vorantreiben könnte. Herr Tauss, jetzt können Sie Ihre Frage stellen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bitte schön, Herr Kollege Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ich wollte hinsichtlich des Stichwortes „Damoklesschwert“, das über den neuen Ländern schweben soll, fragen, wie Sie in diesem Zusammenhang Äußerungen aus den Reihen der Union, speziell des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel, beurteilen, der fordert, die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ drastisch zugunsten der alten Bundesländer zurückzuführen und mit begonnenen Investitionen aufzuhören. Ist das nicht das eigentliche Damoklesschwert, über das wir sprechen sollten?

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entziehen Sie sich doch nicht der Verantwortung! Es geht hier in erster Linie um die Politik der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. ({0}) Sie können sich darauf verlassen, daß auch die F.D.P. in der Landesregierung von Baden-Württemberg, wenn es um die deutsche Einheit geht, immer die richtigen Schwerpunkte setzen ({1}) und diese Politik korrigieren wird. ({2}) Herr Tauss, summa summarum ist Ihr Sparpaket nicht nur eine Mogelpackung. Sie betreiben damit auch eine Steinbruchpolitik für den Osten. Tun Sie etwas für die neuen Länder! Dabei werden wir Sie unterstützen. Um es mit Erich Kästner zu halten: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Viel Erfolg dabei! ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als nächster Redner spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Lothar Mark.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die bisher von seiten der CDU/CSU gehaltenen Reden zeichnen sich durch kollektiven Gedächtnisschwund aus. ({0}) Ich möchte zunächst auf die Äußerungen von Herrn Glos und Herrn Rühe, insbesondere aber auf die von Herrn Rühe Bezug nehmen. Kollege Rühe trauerte den verpaßten Chancen nach. ({1}) Aktuell monierte er nur Dinge, die er in den zurückliegenden 16 Jahren mit seiner Fraktion hätte umsetzen können. Es wurde schon darauf hingewiesen: Sie haben Deutschland in der Phase der Wiedervereinigung getäuscht. Damals haben Sie gesagt: Das zahlen wir aus der Portokasse. Das hat Ihnen niemand geglaubt. Ich muß hier ganz klar feststellen: Entweder wußte die Bundesregierung tatsächlich nichts über die Situation in der DDR, oder sie hat bewußt ihr Wissen verschwiegen beides ist schlimm. ({2}) Man kann nicht sagen, wie es Herr Rühe heute getan hat, man habe die Situation einfach unterschätzt. Welche Information haben denn der Bundesnachrichtendienst und andere Organisationen in der Vergangenheit über die Situation der DDR geliefert, wenn doch schon jeder Bürger, der durch die DDR gefahren ist, wußte, in welchem Zustand sich die DDR befindet? Herr Rühe hat von der Schuldenlegende gesprochen. Dies ist zurückzuweisen. Hier ist auch mehrfach ausgeführt worden, daß die damalige Bundesregierung die Schulden innerhalb von acht Jahren, also bis 1990, mehr als verdoppelt hat. ({3}) Hinzu kamen dann die vereinigungsbedingten Schulden; das räumen wir ein. Es muß aber klar gesagt werden, daß die Finanzierung der deutschen Einheit unter völlig falschen Bedingungen in Angriff genommen worden ist. - Wenn wir das feststellen, bedeutet es nicht, daß wir gegen die Einheit seien - ganz im Gegenteil. ({4}) Ferner möchte ich darauf hinweisen, daß Herr Rühe über alles geredet hat, nur nicht über den Bundeshaushalt. ({5}) Vizepräsident Rudolf Seiters Er hätte hier die Chance gehabt, etwas über den Verbleib des ehemaligen Staatssekretärs Pfahls zu sagen, ({6}) insbesondere darüber, weshalb er untergetaucht ist. Wenn Sie meinen, Herr Rühe, mit unseriösen Angriffen die Problematik lösen zu können und wir dazu schweigen, dann täuschen Sie sich gewaltig. ({7}) Herr Rühe hat die Maastricht-Kriterien angesprochen, dabei aber vergessen, daß die damalige Regierung diese Kriterien nur durch den Verkauf des Tafelsilbers einhalten konnte. Diese Möglichkeit ist heute nicht mehr gegeben. Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme, ({8}) möchte ich sagen, daß wir sehr wohl mit Anstand verlieren können, wenn es um Landtagswahlen und auch um Kommunalwahlen geht. Wenn man aber sieht, mit welchen Methoden die Opposition vor diesen Wahlen gegen uns gearbeitet hat, dann beginnt man zu zweifeln, ob die christdemokratischen Grundsätze noch ihre Rechtfertigung haben. ({9}) Für mich ist es erstaunlich, daß von beiden CDURednern bisher kein Wort zur Kultur gesagt wurde. Der Kulturhaushalt gehört zum Einzelplan 04. ({10}) Wenn ich daran denke, daß in den jeweiligen Ausschüssen die CDU sehr starke Muskeln macht, wenn es um Kultur geht und hier kein Wort darüber verloren wird, dann ist dies symptomatisch für die Glaubwürdigkeit, die die CDU präsentiert. Meine Damen und Herren, der Haushalt für Kultur und Medien ist mit knapp 1,8 Milliarden DM ausgestattet und ist damit in finanzieller Hinsicht ein winziger Etat. Auch im Vergleich mit den Ländern und Kommunen spielt das kulturelle Engagement des Bundes keine große finanzielle Rolle. Sein Anteil an den Ausgaben der öffentlichen Hand für Kultur beträgt in Deutschland gerade einmal 2 Prozent. Demgegenüber wird der Kulturpolitik des Bundes eine ungleich größere symbolische Bedeutung zugemessen. Dies zeigt sich exemplarisch im Kampf um den vergleichsweise kleinen Betrag von 239 000 DM und vielleicht auch mehr, der von der Bayreuther Festspiele GmbH als Konsolidierungsbeitrag eingefordert wurde. Die CDU hat in der Haushaltsbereinigungssitzung gegen die Erhöhung um 239 000 DM gestimmt. ({11}) Bayreuth verfügt im Jahr 2000 über die gleichen Mittel wie 1999. Wir können sagen, daß dies allein das Verdienst der SPD und der Grünen im Haushaltsausschuß ist. ({12}) Meine Damen und Herren, warum ist das Interesse der Bevölkerung an Fragen der Kultur, der Kunst und der Medien derzeit so groß wie selten zuvor? Wie schon lange nicht mehr, wird in der Bevölkerung heute intensiv über Kultur gestritten, werden Zuwendungsempfänger, Instrumente und Konzepte der Kulturförderung hinterfragt, die zuvor jahrelang unbemerkt und unbehelligt blieben. Ich glaube, immer mehr Menschen haben verstanden, daß Kultur die Grundlage ihres gesamten Wesens ist, daß die Bedeutung von Kultur daher in einer sich radikal verändernden Welt mit permanentem Wandel von Gewißheiten und anderen Grenzen sehr groß ist. Dies waren auch die Gründe, warum wir Sozialdemokraten nach der Regierungsübernahme vor einem Jahr die Einsetzung eines Ausschusses für Kultur und Medien und die Benennung eines Staatsministers für Kultur und Medien durchgesetzt haben ({13}) und warum wir systematisch die kulturellen Programme, Zielsetzungen und Bedürfnisse mit globalen Veränderungen abstimmen. Die Umsetzung unseres Zukunftsprogramms erfordert auch im Bereich Kultur und Medien einerseits gezielte finanzielle Eingriffe und Prioritäten sowie andererseits neue konzeptionelle Gestaltungen anstatt der unkoordinierten Verteilung von Steuergeldern. Es versteht sich von selbst, daß wir nicht bei allen Zuwendungsempfängern ohne Unterschied die Mittel um 7,4 Prozent kürzen, sondern im besten Sinne Politik machen, Zukunft gestalten. ({14}) So haben wir die Zuwendungsempfänger mit einem Fördervolumen von unter 1 Million DM in der Regel von Einsparungen ausgenommen, da diese sonst nicht mehr lebensfähig wären. ({15}) In zentralen Bereichen, wie der Gedenkstättenkultur, der Vertriebenenkultur und der auswärtigen Kulturpolitik setzen wir zudem schrittweise und in Kontakt mit den betroffenen Gruppen Konzeptionen um, die den heutigen Erfordernissen gerecht werden müssen. Muß es angesichts begrenzter Mittel nicht darum gehen, diese so effizient wie möglich und nach transparenten Kriterien einzusetzen? In einer bestimmten historischen Situation gewährte Mittel berechtigen nicht dazu, die Steuern der Bürgerinnen und Bürger in alle Ewigkeit progressiv zu beanspruchen. ({16}) Um die Frage zu beantworten, welche kulturellen Einrichtungen und Projekte der Staat fördern soll, müssen wir in einer veränderten und sich ständig ändernden Welt Entscheidungen von früher überprüfen und gegebenenfalls revidieren. So kann ich heute zum Beispiel keinem professionellen Orchester in Deutschland vermitteln, warum die Förderung der ehemaligen Emigrantenorchester nach dem Ende des kalten Krieges weiterhin durch den Bund erfolgen soll, während alle anderen Orchester durch Länder, Gemeinden und sonstige Träger finanziert werden. Die Mittel werden daher stetig, aber sozial verträglich gegen Null geführt werden. Über den Zeitrahmen muß noch gesprochen werden, genauso wie über die Konzeptionen der Orchester. Die Bamberger Symphoniker und die Philharmonica Hungarica müssen nun endlich ihre Hausaufgaben machen, damit sie ihr Überlebenskonzept selbst mitgestalten. Auch die Instrumente der Förderung von Kultur und Künstlern müssen an veränderte Bedingungen angepaßt werden. So wollen wir zum Beispiel die Künstlersozialversicherung novellieren. Wir haben die Bundesregierung gebeten, bis zum 31. März nächsten Jahres einen Bericht über die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler in Deutschland anzufertigen. Der Entwurf der Novelle soll dann bis Ende April vorliegen. Bis dahin bleibt der Zuschuß des Bundes an die Künstlersozialkasse, wie beschlossen, bei 20 Prozent; der Abgabesatz wird für alle Kulturbereiche auf 4 Prozent vereinheitlicht. Verantwortungsbewußte Politik muß den Mut haben, zum Wohle des Ganzen zu handeln, auch wenn dies einzelnen Interessengruppen nicht gefallen mag. Natürlich hätte ich gern einige Millionen DM mehr für die Kulturförderung im Bund zur Verfügung. Der von der alten Regierung hinterlassene Schuldenberg verpflichtet uns jedoch dazu, den Gürtel enger zu schnallen, wenngleich wir für Kultur immer noch mehr Mittel bereitstellen als unter Kanther. In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem das Aufbauprogramm Kultur in den neuen Ländern in Höhe von 60 Millionen DM herausstellen. ({17}) Mit dieser zusätzlichen Förderung zu bestehenden Programmen unterstützt die Bundesregierung Länder und Gemeinden in den neuen Ländern bei der Modernisierung ihrer Kultureinrichtungen. Durch eine Verbesserung der Infrastruktur, durch Sanierung, Rekonstruktion und Neubauten soll die große Bedeutung ostdeutscher Kulturstandorte wieder deutlicher in das öffentliche Bewußtsein gelangen. Einen hohen ethischen Symbolwert hat auch die Förderung der Gedenkstätten. Von „Schluß machen“ und „Strich ziehen“ kann hier keine Rede sein, im Gegenteil: Durch die Übernahme der nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR hat sich die deutsche Gedenkstättenlandschaft gravierend verändert. Bei den ehemaligen großen Gedenkstätten der DDR, Buchenwald, Ravensbrück, Sachsenhausen, handelte es sich um relativ personalintensive staatliche Einrichtungen mit differenzierter institutioneller Struktur, wie etwa Archiven, Bibliotheken, wissenschaftlichen und pädagogischen Abteilungen. Im Gegensatz dazu waren und sind die Gedenkstätten in Westdeutschland im besten Fall von den betreffenden Ländern getragene unselbständige Einrichtungen, meistens angeschlossen an übergeordnete Institutionen, wie zum Beispiel Landeszentralen für politische Bildung. Während dort bei mangelhafter Infrastruktur die Vergangenheit beispielhaft aufgearbeitet wurde, waren die Einrichtungen der DDR inhaltlich oft mehr als fragwürdig. ({18}) Unsere neue Gedenkstättenkonzeption sieht deshalb die exemplarische Einbeziehung der Konzentrationslager Bergen-Belsen, Neuengamme und Dachau in die Förderung vor sowie eine stärkere Vernetzung der gesamten Gedenkstättenarbeit. Ohne Wissen wird Gedenken zum leeren Ritual. Die Mittel für die Förderung der Gedenkstätten und ihrer pädagogischen Arbeit stocken wir daher um 4 Millionen auf 44 Millionen DM auf, damit die nachfolgenden Generationen nach dem Ableben der Erlebnisgeneration aus der Vergangenheit Lehren für ihre Gegenwart ziehen. ({19}) Gleiches gilt für die Förderung kultureller Maßnahmen im Rahmen des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes. Die Gelder dafür hat die alte Regierung einseitig und teilweise nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Die Förderung wurde seit 1982 exorbitant ausgeweitet. Zehn Jahre nach den revolutionären Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa ist es an der Zeit, gemeinsam mit den Vertriebenen- und Aussiedlerverbänden nach neuen Konzepten für die Förderung der deutschen Kultur östlich von Oder und Neiße zu suchen. Die alte Regierung war hier ebenfalls untätig und ließ vieles laufen. Wir wollen die bestehenden Institutionen von Überflüssigem und Doppelarbeit befreien. Wir wollen sie mit Universitäten und Forschungseinrichtungen, aber auch untereinander stärker vernetzen. Dadurch kann auch hier die Erinnerung an die deutsche Kultur im Kontext unserer Nachbarländer, wie Polen, Tschechien, Rumänien oder Rußland, nach dem Ableben der Erlebnisgeneration wissenschaftlich fundiert und lebendig erhalten werden. Es geht aber nicht um die museale Aufbereitung von Vergangenheit. Daher wollen wir eine Kulturstiftung „Östliches Europa“ errichten und die Arbeit der einzelnen Museen und Forschungsinstitute besser koordinieren. Die wissenschaftliche Koordinierung soll aber in den Händen des Instituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte bleiben. Mit Blick auf die Zeit muß ich versuchen, einiges stärker zusammenzufassen. - Ich weise darauf hin, daß wir die Minderheitenpolitik in Deutschland wieder verstärkt fördern. Zum Beispiel erhält die Stiftung für das sorbische Volk wie ehedem 16 Millionen DM, obwohl die alte Regierung die Mittel bis zum Jahr 2007 halbieren wollte. Wir werden hier neue Akzente setzen. Ich möchte noch erwähnen, daß wir auch in der auswärtigen Kulturpolitik neue Akzente setzen, indem wir versuchen, die Arbeiten der europäischen Länder verstärkt zusammenzuführen. Schließlich will ich betonen, daß die Deutsche Welle für die Außenpolitik eine große Rolle spielt. Sie muß nun versuchen, die Kürzungen mit intelligenten Konzepten umzusetzen und Deutschland dennoch nach außen gut zu vertreten. Die Hauptstadtförderung Berlin und die Bundesstadtförderung Bonn will ich nur erwähnen, um abschließend kurz noch etwas zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz sagen zu können. Nur noch zwei Sätze, Herr Präsident. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nimmt bei uns einen hohen Stellenwert ein. Wir haben den Investivbereich um 45 Millionen DM erhöht, so daß derzeit für das Jahr 2000 295 Millionen DM zur Verfügung stehen. Wir wollen damit erreichen, daß die Museumsinsel wesentlich schneller voll bezugsfertig ist, als dies ursprünglich geplant war. Ich bitte Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dem Einzelplan 04 zuzustimmen, besonders auch aus Gründen der Kulturpolitik. ({20})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Nobert Lammert. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Kollege Mark hat seinen Überblick über die Kontinuitäten und Diskontinuitäten bundesdeutscher Kulturpolitik in der Verantwortung der rotgrünen Koalition sinngemäß mit dem Hinweis begonnen, erstmals seit vielen Jahren würden liebgewordene Besitzstände der Kulturpolitik auf den Prüfstand gestellt, einer Überprüfung und Evaluierung unterzogen. ({0}) Dies ist eine fröhliche Beschreibung dessen, was in der Kulturpolitik seit einem Jahr stattfindet bzw. nicht stattfindet. Jeder, der in diesen Tagen in den Feuilletons die Berichterstattung über die Bilanz nach einem Jahr liest, der wird nicht übersehen können, daß sich nach den hohen, ausdrücklich geweckten Erwartungen nun weithin mindestens Ernüchterung, in vielen Fällen auch große Enttäuschung breitmacht. ({1}) Denn aus dem, was mit großer Geste angekündigt war, ist entweder nichts oder sehr viel weniger geworden, als vernünftigerweise erwartet werden konnte. Schröders neue Kleider sind entweder gar nicht vorhanden oder weit weniger eindrucksvoll als angekündigt. Nun wissen auch wir, daß sich in Zeiten knapper Kassen die Kulturpolitik nicht ihrem Beitrag zur Stabilisierung öffentlicher Haushalte entziehen kann. ({2}) Um so ernster hätte man nehmen müssen, was von seiten der Bundesregierung an Überprüfungen und Bestandsaufnahmen angekündigt war. ({3}) Das ist aber entweder gänzlich ausgeblieben oder hat sich in eine Richtung lapidarer Auflistung von Maßnahmen ohne jede Perspektive und Vision entwickelt. ({4}) Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur die berühmte Diskrepanz zwischen Hoffnungen auf die Ausstattung von Kulturtiteln und tatsächlich verfügbaren Mitteln, ({5}) sondern vor allen Dingen eine politisch zu vertretende Diskrepanz zwischen Ankündigungen, die die Bundesregierung selber vorgenommen hat, und dem, was daraus geworden ist. Dazu zählt insbesondere die Ankündigung, man wolle die mediale Außendarstellung Deutschlands verbessern; daraus ist eine massive Kürzung der Mittel für die Deutsche Welle geworden. Dazu zählt die Ankündigung, man wolle die soziale Absicherung der Künstler verbessern; daraus ist eine massive Streichung des Bundeszuschusses zur Künstlersozialversicherung geworden. Ähnliches läßt sich für die Ausstattung vieler einzelner Institutionen sagen. Das macht den Kern der Verbitterung und Enttäuschung aus, die bei vielen Betroffenen eingetreten sind. Es gehört zur Redlichkeit einer solchen Haushaltsdebatte, festzuhalten, daß nach der Verankerung der Zuständigkeit für Kulturpolitik im Kanzleramt -

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Lamert, Sie müssen innerhalb der drei Minuten, die Ihnen zustehen, zum Schluß kommen. Der Kollege Mark kann noch etwas erwidern, aber Sie müssen jetzt bitte zum letzten Satz kommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Es gehört zur Redlichkeit einer solchen Haushaltsdebatte, festzuhalten, daß mit der Veränderung der Zuständigkeit für die Kulturpolitik und ihrer Ansiedlung im Kanzleramt die Kulturpolitik zur Sparkasse des Bundes, jedenfalls des Kanzleramtes, geworden ist. Auf jeden Fall ist der Löwenanteil der vom Kanzleramt zu erbringenden Einsparungen ausgerechnet bei den Kulturtiteln erfolgt. ({0}) Das ist das präzise Gegenteil dessen, was die Kulturpolitik vernünftigerweise erwarten konnte. Kulturpolitik ist eben nicht die Fortsetzung der Politik mit den Mitteln der Kultur,

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Lammert, Sie müssen jetzt zum Schluß kommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- sondern hätte die Fortsetzung der Kultur mit den Fördermöglichkeiten der Politik sein müssen. Das bleibt festzuhalten. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe dem Kollegen Mark das Wort zu einer Erwiderung.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Lammert, eigentlich bin ich Ihnen sehr dankbar, daß Sie noch einmal auf diese Punkte eingingen, weil Sie mir damit die Möglichkeit bieten, zu sagen, daß alles, was in Ihren Köpfen vor sich geht, unzutreffend ist. ({0}) Wenn Sie die Künstlersozialversicherung ansprechen, so muß ich sagen, daß ich dazu Ausführungen gemacht habe. ({1}) Damit ist klar und deutlich geworden, daß wir Mitte des nächsten Jahres eine neue Entscheidung fällen werden je nachdem, was uns an Gutachten vorgelegt wird. Das Thema Deutsche Welle hatte ich angesprochen, und in Ermangelung der Zeit konnte ich nicht darauf hinweisen, daß wir unter anderem für die Sonderberichterstattung der Deutschen Welle im Kosovo noch einmal 10 Millionen DM aus dem Einzelplan 60 bereitstellen konnten. ({2}) Ich muß Ihnen eine ganz herbe Enttäuschung bereiten, wenn Sie sagen, die Kultur sei die Sparkasse im Kanzleramt. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, diese Bundesregierung hat die Kulturförderung für Ostdeutschland zu den zusätzlich etatisierten Bereichen im Jahre 1999 um 90 Millionen DM erhöht bzw. neu etatisiert. Im Jahr 2000 werden es 60 Millionen DM sein. 1999 betrug die Kulturhauptstadtförderung für Berlin 120 Millionen DM, und im Jahr 2000 werden es 100 Millionen DM sein. Das sind zusätzliche Millionenbeträge. Wenn Sie dann die sonstigen Kürzungen betrachten, die in dem Einzelplan 04 vorgenommen werden, so werden Sie trotzdem ein riesiges Plus im Kulturbereich feststellen. ({3}) Ich denke, daß mit der neuen Akzentuierung in der Kulturpolitik insbesondere auch Ostdeutschland sehr vorteilhaft bedient wird. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr dem Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen, Dr. Bernhard Vogel, das Wort. Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bitte erlauben Sie, daß ich mich in dieser Generaldebatte zum Haushalt 2000 zu Wort melde; denn der Haushalt des Bundes ist von spürbarem großen und wesentlichen Einfluß auf die Länder, nicht zuletzt natürlich auf die jungen Länder. Ich ergreife heute aber auch deswegen gern das Wort, weil Thüringen wieder eine Stimme hat. Die Zeit des Schweigens und des Sichenthaltens ist vorbei. Wir haben klare Verhältnisse. ({1}) Weil wir diese klaren Verhältnisse haben, weiß ich auch, daß Vertrauen verpflichtet, und zwar nach meiner Überzeugung zu konstruktiver Mitarbeit. Es verpflichtet uns, über unsere Interessen, über die Länderinteressen zu wachen und dazu einiges hier zu sagen. Wir werden die wiedergewonnene Stimme nicht mißbrauchen. Für eine Blockadepolitik stehen der Freistaat und ich nicht zur Verfügung. Bei meinem Verständnis von Mitwirkung und Mitgestaltung ist das selbstverständlich. Gerade weil wir in der letzten Legislaturperiode des Bundestages andere Erfahrungen gemacht haben, stelle ich fest: Das war von Schaden für das Land, und das darf sich nicht wiederholen. ({2}) In seiner Regierungserklärung vom November letzten Jahres hat der Herr Bundeskanzler gesagt - ich zitiere ihn -: Gerade in den neuen Bundesländern haben die Bürgerinnen und Bürger ihre ganz speziellen Erfahrungen mit Dichtung und Wahrheit in der Politik gemacht. ({3}) Das ist ein Satz von Gerhard Schröder, der richtig ist. Daran müssen sich aber nicht nur die Landesregierungen in den jungen Ländern, sondern daran muß sich nach einem Jahr auch die Bundesregierung messen lassen. Unsere Leitlinie für Thüringens Verhalten in Bundestag und Bundesrat ist klar: Wir akzeptieren selbstverständlich, daß die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler im September 1998 dieser Bundesregierung einen eindeutigen Auftrag erteilt hat. Nehmen Sie diesen Auftrag bitte wahr. Wir werden Sie daran nicht hindern und auch nicht hindern können. Sie tragen die Verantwortung und haften für die Fehler, die Sie machen. ({4}) Wir sagen aber auch klar und eindeutig, was wir für falsch halten. Wir sagen ebenso klar und eindeutig unDr. Norbert Lammert sere Meinung, wenn Sie einen Fehler machen. Es muß aber deutlich sein, wer am Steuer sitzt, auch wenn er das Lenkrad nicht benutzt. ({5}) Bei Einspruchsgesetzen - um das ganz klar zu sagen - werden wir unsere Meinung sagen, aber wir werden Sie in der Regel nicht aufhalten. Einspruchsgesetze liegen in Ihrer Verantwortung und gehören deswegen in der Regel nicht in den Vermittlungsausschuß. Bei zustimmungspflichtigen Gesetzen ist die Lage anders; denn hier sind wir für das Ergebnis mitverantwortlich. Hier dürfen wir Fehler, wie sie Ihnen unterlaufen, und Zielvorstellungen, die wir nicht billigen, nicht durchgehen lassen. ({6}) Hier werden wir alle uns gegebenen Chancen für eine Gesetzesverbesserung nutzen. Nach einem Jahr rotgrüner Regierung ist ein reiches Betätigungsfeld dafür vorhanden, und zwar nicht allein, was den Inhalt der Gesetze betrifft, so ist mein Eindruck. Die Bundesregierung will sparen. Das ist richtig. ({7}) - Mancher müßte sparen und tut es nicht. ({8}) Die Bundesregierung will sparen. ({9}) - Wenn sie mußte, hätte der Bundeskanzler seine Rede so nicht halten dürfen; denn er hat so getan, als sei es sein freier Entschluß gewesen, diese Politik zu betreiben. ({10}) Die Bundesregierung will sparen, das ist richtig und verdient unsere Unterstützung. Wir in den Ländern - der Kollege Eichel weiß das - müssen nicht weniger sparen, und wir machen große Anstrengungen dazu. Sehen Sie sich bitte unsere Haushalte einmal an. Ihr Ziel, Herr Bundesfinanzminister, verdient insoweit unsere Unterstützung. ({11}) Ich kritisiere nicht, daß Sie ein Sparpaket vorgelegt haben. ({12}) Ich hätte mir nur gewünscht, daß in den letzten Monaten weniger vom Paket und mehr vom Sparen die Rede gewesen wäre. ({13}) Sparpaket heißt nicht, Lasten auf andere verteilen. ({14}) Geld, das man nicht hat, nicht auszugeben, aber andere zu zwingen, welches auszugeben, obwohl die es auch nicht haben, ist noch kein Sparen. ({15}) Wer glaubt, schon gespart zu haben, wenn man ein paar Millionen aus dem Haushalt des Bundes herausnimmt und sie den Ländern und Kommunen zuschiebt, hat unrecht. Das ist noch kein Sparen. Inzwischen ist geschehen, was Kenner der Materie von Anfang an vorausgesagt und die Bundesregierung und insbesondere Sie selbst, Herr Finanzminister, in Abrede gestellt haben: Das Paket ist aufgeschnürt. Rechtlich ist das natürlich möglich, guter Stil ist es nicht. Man fühlt sich an der Nase herumgeführt. ({16}) - Man muß alte Fehler nicht nachmachen. Sie wollen es doch besser machen. ({17}) Sie sind doch nicht gut, wenn Sie es nicht besser machen. Ich halte beispielsweise die Rentenerhöhung nach Kassenlage für eine Ungerechtigkeit. Ich lehne sie ab. Aber nach der Aufschnürung werden wir sie im Bundesrat nicht verhindern können. Über das Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze - also den anderen Teil des Sparpakets - werden wir streiten. Wir von Länderseite können es nicht hinnehmen, daß Sie Sparen nennen, was Lastenverlagerung auf die Kommunen bedeutet. ({18}) Oder das Gesetz zur Familienförderung: Natürlich geht es in Ordnung, meine Damen und Herren, das monatliche Kindergeld für das erste und zweite Kind anzuheben. So verlangt es übrigens das Bundesverfassungsgericht. Allerdings geht es nicht, daß die einen gute Dinge beschließen und sich dafür hier feiern lassen und die anderen zahlen müssen. Nicht die Erhöhung des Kindergeldes, aber die Finanzierung der Mehrausgaben muß im Vermittlungsausschuß diskutiert werden. ({19}) Zur Rente habe ich schon gesagt, daß wir darüber im Rahmen des Sparpakets nicht mehr sprechen können. Diese Möglichkeit haben Sie uns genommen. Um so mehr scheint es mir notwendig zu sein, daß jetzt alle Verantwortlichen an einen Tisch kommen und ohne Vorbedingungen darüber sprechen, wie wir die Rente für die nachwachsenden Generationen und die alten Leute von heute sichern können. Aber, meine Damen und Herren, als Ministerpräsident eines jungen Landes füge ich hinzu: Wenn die Renten um 1 oder 1,5 Prozent erhöht werden - Inflationsausgleich -, erhöhen sich die Renten der Bezieher Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel ({20}) von 100 Prozent natürlich stärker als die Renten von denen, die nur 85 Prozent bekommen. ({21}) Das ist ein Spezifikum des gesamten Sparpakets. Es stellt die jungen Länder auf Grund der bestehenden Disparität bei den Einkommen generell schlechter als die alten Länder. ({22}) Das führt dazu, daß sich die Schere, die wir doch alle schließen wollen, nicht schließt, sondern weiter öffnet. Auch die Ökosteuer ist dafür ein Musterbeispiel. Ich habe heute früh den Eindruck gehabt, daß es dann, wenn die Ölpreise steigen, gar nicht mehr darauf ankommt: Dann kann man auch die Steuern erhöhen. ({23}) Man könnte auch auf die Idee kommen, zu überlegen, ob nicht umgekehrt ein Schuh daraus wird. Also werden entgegen den Ankündigungen, die Steuern würden gesenkt, die Steuern erhöht. Die Ökosteuer belastet uns in den jungen Ländern natürlich stärker als die Menschen in den alten Ländern, weil wir im Schnitt - wie jeder weiß - noch immer deutlich niedrigere Einkommen als der Westen haben. Wir haben aber nicht nur niedrigere Einkommen, sondern auch niedrigere Lohnnebenkosten. Mit der Ökosteuer finanziert der Osten bei niedrigerem Einkommen die Senkung der höheren Lohnnebenkosten des Westens. Zum erstenmal gibt es einen Finanztransfer von Ost nach West. Ich glaube, das muß wenigstens festgehalten werden. ({24}) Am Freitag - übermorgen - steht unter anderem auch das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz auf der Tagesordnung des Bundesrates. Thüringen und Sachsen werden gemeinsam dafür werben, eine Verlängerung bis 2010 zu erreichen, weil uns die jetzt beschlossene Verlängerung bis 2002 nicht hilft. Gerade jetzt ergibt sich aus dem Investitionsprogramm des Bundesverkehrsministers die Verschiebung wichtiger Maßnahmen auf die Zeit nach 2002. Wer uns helfen will, der muß die Fristen verlängern. Bitte, haben Sie für unser Eintreten Verständnis. ({25}) Im übrigen höre ich, die Bahn wolle den Akzent auf Ausbau und nicht mehr auf Neubau setzen. Nur, wenn man ausbauen will, dann muß man etwas zum Ausbauen haben. In den jungen Ländern brauchen wir den Neubau von Verkehrswegen, von Straßen und Schienen, weil sie die strukturelle Voraussetzung dafür sind, daß wir vom Tropf weg- und auf eigene Beine kommen. ({26}) Zur Arbeit der Bundesregierung, die heute zur Debatte steht, gehört auch ihr Bemühen um eine Gesundheitsreform. Weil ich optimistisch veranlagt bin, gehe ich einmal davon aus, daß wir bis Freitag wissen, was der Bundestag beschlossen hat, und daß wir im Bundesrat wissen, was wir beschließen sollen. ({27}) Das vorausgesetzt, kann ich dem, was hier in Rede steht, nicht zustimmen, weil ich nicht möchte, daß den Ländern die Mitsprache bei der Krankenhausplanung weitgehend entzogen wird. Das würde über kurz oder lang in vielen Ländern schlimme Folgen haben. Vor allem aber möchte ich nicht, daß wir mit einer Rationierung der Versorgung und mit einer Budgetierung der Leistungen zu einer Zweiklassenmedizin kommen. Der Gesundheitsbereich ist - auch für Beschäftigung - ein zukunftsträchtiger Wachstumsbereich, den man nicht abwürgen darf. ({28}) Zur Verwirklichung der langfristigen Strukturreformen mit der Notwendigkeit einer Entlastung hochverschuldeter Ost-AOKs äußere ich mich nicht. Eine solche Verquickung ist unseriös. Wir im Osten sind zwar arm und auf Hilfe angewiesen; aber wir sind in Strukturfragen nicht käuflich, und darum geht eine solche Verquikkung nicht. ({29}) Sparen tut not, aber es muß fair und gerecht zugehen. Wenn Ausgaben nur verschoben werden, dann wird die Wirtschaft nicht belebt. Sparen allein - das hat der Sachverständigenrat deutlich gesagt - macht es nicht. „Sparen und gestalten“ muß das Motto sein. Es geht nicht an, daß wir in den jungen Ländern bei einem Anteil von etwa einem Fünftel der Bevölkerung ein Viertel der vorgesehenen Einsparungssumme erbringen. Das ist nicht richtig. ({30}) Der Finanzminister hat gestern hier im Bundestag wiederholt, was er in den letzten Monaten landauf, landab und auch im Bundesrat gesagt hat: Der hohe Schuldenstand ist die Folge einer unsoliden Finanzpolitik der vorherigen Bundesregierung. ({31}) Als Ministerpräsident eines jungen Landes widerspreche ich: Ein Großteil der Schulden, von denen die Rede ist, ist nach 1989 entstanden, um uns so rasch und unbürokratisch wie möglich zu helfen. ({32}) Diese Schulden sind beispielsweise entstanden, um die Zustimmung unserer Nachbarn zur Wiedervereinigung zu erreichen. Diese Schulden sind gemacht worden, weil ein Ereignis eintrat, das viele sehnlichst erhofften, aber mit dem niemand kurzfristig rechnen konnte. Die Zahlen sind eindeutig: Der Schuldenstand am 31. Dezember Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel ({33}) 1989 betrug 490 Milliarden DM. Wir hatten eine Staatsquote von unter 46 Prozent. Ich bedanke mich beim Parlament der Bundesrepublik Deutschland der 13. Legislaturperiode, ich bedanke mich bei der damaligen Bundesregierung, und ich bedanke mich beim damaligen Bundeskanzler, daß diese Schulden gemacht worden sind und daß es Anlaß gab, sie zu machen. ({34}) Wir danken für diese Hilfe. Wir wissen, daß wir weitere Hilfe benötigen. Die Arbeitslosenquote liegt in Thüringen bei 14,7 Prozent. Niemand wird behaupten, daß dies so bleiben kann. Dabei haben wir in Thüringen noch die niedrigste Arbeitslosenquote aller neuen Länder. Die Arbeitslosigkeit bleibt unsere größte Sorge. Das Sparpaket und eine Reihe weiterer jetzt vom Bundestag beschlossener Gesetze führen zu einer finanziellen Schlechterstellung der jungen Länder. Wir werden weniger in der Lage sein, den Menschen Perspektiven zu geben. Der Bundeskanzler hat im letzten Jahr gesagt: Wir wollen uns jederzeit - nicht erst in vier Jahren - daran messen lassen, in welchem Maße wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beigetragen haben. Ich stelle fest, die Arbeitslosigkeit in den jungen Ländern ist nach dem Amtsantritt der neuen Regierung vor einem Jahr höher als zuvor. ({35}) Deswegen wäre ich ganz dankbar, wenn die Freudenbekundungen, die ich heute gehört habe, gelegentlich die Fußnote enthalten hätten: Trifft leider nicht zu für die jungen Länder. Dies trifft tatsächlich nicht zu. Darum sorgen wir uns gemeinsam. Wenn sich, wie ich hoffe, der Aufschwung einstellt, dann müssen wir an ihm beteiligt werden. ({36}) - Sie machen es sich mit Ihrem Zuruf zu einfach. Die höchste Arbeitslosigkeit herrscht dort, wo die PDS an der Regierung beteiligt ist. Die niedrigste Arbeitslosenrate gibt es dort, wo wir allein regieren. ({37}) Wir brauchen Reformen und eine baldige gemeinsame Beratung über die Folgen des Karlsruher Urteils. Wir müssen einen zweiten Solidarpakt auf den Weg bringen, der erfreulicherweise von allen Verantwortlichen sowohl vom Finanzminister als auch vom Bundeskanzler - für notwendig erkannt worden ist. Wir haben mit den Vorarbeiten begonnen. Wir brauchen Hilfe, nicht um uns an Subventionen zu gewöhnen, sondern um eine gesamtstaatliche Aufgabe zu bewältigen; denn der Aufbau Ost ist nicht allein unsere Angelegenheit, sondern eine gesamtstaatliche Angelegenheit. Der Krieg ist nicht von Sachsen und Thüringen verloren worden, sondern von ganz Deutschland. ({38}) Der Bundeskanzler hat vor einem Jahr gesagt: „Wir werden die Solidarität mit den Menschen im Osten des Landes auch weiterhin brauchen. Wer die dafür nötigen Leistungen zurückfährt, der gefährdet das Erreichte.“ Der Satz hat vor einem Jahr gestimmt; dieser Satz stimmt auch heute. Ich bitte Sie, uns zu helfen und nicht das aufs Spiel zu setzen, was wir in den jungen Ländern erreicht haben. Alle Länder brauchen die Solidarität zwischen Bund und Ländern. Wir in den jungen Ländern brauchen sie ganz besonders, damit wir auf eigenen Beinen stehen können. Wir bieten unsere Mitarbeit an, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die uns alle voranbringen; denn unser Ziel ist ganz einfach: Wir wollen wieder den Platz in Deutschland einnehmen, den wir ohne deutsche Teilung längst eingenommen hätten. Dies ist unser Ziel und auch, glaube ich, eine berechtigte Bitte. ({39})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort Rolf Schwanitz.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ministerpräsident, ich möchte kurz auf das eingehen, was Sie zum Infrastrukturausbau gesagt haben. Ich bin immer dann besonders aufmerksam, wenn Mitglieder Ihrer Staatsregierung im Bundestag reden. Am 9. September hat Ihr Finanzminister hier von angeblichen Problemen bei der Finanzierung der Strecke A 4 berichtet. Ich habe ihn danach angeschrieben, um ihn zu korrigieren und ihm mitzuteilen, daß dies nicht stimme. Er hat nicht reagiert. Das ist die Vorgeschichte. Nun haben Sie sich hier als Hüter der Interessen der neuen Länder und als Kritiker von angeblichen Sparmaßnahmen im Hinblick auf den Infrastrukturausbau präsentiert. Ich habe in Vorbereitung - weil ich natürlich wußte, daß Sie heute kommen - extra noch einmal die Zahlen über die Höhe der Mittelansätze herausgesucht. Ich denke, man muß die Zahlen einfach einmal nennen. Bei den Neu- und Ausbaumaßnahmen im Bereich der Bundesfernstraßen lag der Anteil Thüringens in Ostdeutschland 1998 bei 21 Prozent. Dieser wird nun mit dem Investitionsprogramm auf 28 Prozent angehoben. Aber lassen wir einmal die relativen Zahlen weg. 1998 standen unter der letzten Regierung für Neuund Ausbaumaßnahmen 560 Millionen DM zur Verfügung. Wir haben jetzt ein Investitionsprogramm für den Zeitraum 1999 bis 2002 verabschiedet, in dem für Ausbau- und Neubaumaßnahmen in Thüringen eine Gesamtsumme von 2,95 Milliarden DM verankert ist. ({0}) Das sind 740 Millionen DM pro Jahr - ich sage es noch einmal: 740 Millionen DM pro Jahr - gegenüber 560 Millionen DM im Jahre 1998 unter der Regierung Kohl. Diese Mittel stehen in den nächsten drei Jahren für Neuund Ausbaumaßnahmen in Thüringen zur Verfügung. Das sind 30 Prozent mehr, Herr Ministerpräsident. Sie Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel ({1}) haben überhaupt keinen Grund, sich hier zum Kläger zu machen. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Ministerpräsident, möchten Sie erwidern? - Dann haben Sie das Wort. Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident ({0}): Herr Schwanitz, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie bei mir besonders aufmerksam zuhören. Das hat ja auch einen guten Grund: Sie sind in Thüringen geboren; den Vorteil hat nicht jeder. Ich finde es auch sehr beruhigend, daß Sie sich auf Dinge vorbereitet haben, die ich hätte sagen können, die ich aber - wenn Sie genau zugehört hätten, hätten Sie es gemerkt - nicht gesagt habe. ({1}) - Nein. Sie können das noch einmal nachlesen. - Ich weiß, daß Sie immer damit rechnen, daß ich das sage, und ich sage das auch oft. Aber ich habe lediglich darauf hingewiesen, daß wir in den neuen Ländern nicht auf den Ausbau vorhandener Strecken setzen können, weil wir solche Strecken, wie sie im Westen in 50 Jahren gebaut worden sind, noch nicht haben - daher können wir sie auch nicht ausbauen -, sondern daß wir neben dem Ausbau auch den Neubau brauchen. ({2}) Wenn Sie mir jetzt antworten, daß der Beitrag in irgendeinem Jahr höher ist - das mag ja richtig sein; ich kann die Zahlen nicht überprüfen -, dann sage ich Ihnen: Lieber Herr Schwanitz, wir haben doch nicht so gewettet, daß es dann, wenn die Bundesregierung von einem sozialdemokratischen Kanzler geleitet wird, keine Gerechtigkeit mehr gibt. Wir erhalten mehr, weil wir einen Anspruch darauf haben, ({3}) weil nämlich bei uns 1940 der letzte Kilometer Autobahn gebaut worden ist. Wenn ich mich recht erinnere, ist das in einigen anderen Ländern anders. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Aber der Streit um die nicht verwirklichten Verkehrswege geht weiter. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Klaus Hagemann.

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwischenzeitlich ist es ein geschichtlicher Fakt, daß während der 13. Legislaturperiode, in der Zeit, als CDU/CSU und F.D.P. die politische Verantwortung getragen haben, der höchste Stand der Arbeitslosigkeit in unserem Land erreicht wurde. Ich erinnere mich noch daran, daß der Kollege Rexrodt zum Jahreswechsel 1996/97 auf die Zahl von 5 Millionen Arbeitslosen hingewiesen hat. Wir hatten in dieser Zeit die höchsten Steuersätze in unserem Land. Wir erinnern uns auch, daß Steuererhöhungen nicht vorgesehen waren, daß von der Bundesregierung eigentlich versprochen worden war, die Steuern nicht zu erhöhen. Es waren in der 13. Legislaturperiode, als Sie die Verantwortung getragen haben, die höchsten Abgabensätze und die höchste Verschuldung festzustellen. Das ist, wie gesagt, ein geschichtlicher Fakt. Ursache hierfür ist nicht nur die deutsche Einheit; die Schulden wurden vielmehr schon in der Zeit zwischen 1983 und 1989 von fast 300 Milliarden DM auf über 500 Milliarden DM erhöht. ({0}) Meine Damen und Herren, durch diese Regierung, durch den Haushalt, den wir in dieser Woche verabschieden werden, wird ein Paradigmenwechsel eintreten. Wir werden - das hat sich schon gezeigt - die Arbeitslosigkeit verringern. Sie hat sich bereits verringert. Dabei ist es mir egal, aus welchem Grunde das geschieht. Wichtig ist, daß abgebaut wird, daß Arbeitslose wieder in Arbeit und Brot gekommen sind. ({1}) Die Steuern sind gesenkt worden und werden weiter gesenkt. Familien werden entlastet, Arbeitnehmer werden entlastet, kleine Betriebe werden entlastet. Bis zum Jahre 2003 beträgt die Summe dieser Entlastungen 46 Milliarden DM. Auch die Sozialabgaben sind erstmals seit vielen Jahren gesenkt worden. Die Senkung der Beiträge zur Rentenversicherung wurde durch die Ökosteuer finanziert. Lassen Sie mich hier noch einen Punkt klarstellen, auf den der Kollege Glos heute morgen hingewiesen hat: In den Jahren zwischen 1989 und 1994 wurde die Mineralölsteuer um 50 Pfennige erhöht; das Geld floß aber nicht wie jetzt bei der Ökosteuer in die Rentenkasse, sondern in die Staatskasse, damit Theo Waigel die Löcher stopfen konnte. Auch das muß man immer wieder deutlich herausstellen. ({2}) Wir sind auch das Hauptproblem, die Nettoneuverschuldung, angegangen und haben sie zum erstenmal seit Jahren wieder zurückgeführt. Wir haben es dabei geschafft, die 50-Milliarden-DM-Grenze zu unterschreiten. ({3}) Meine Damen und Herren, die Politik, von der ich hier spreche, hat auch in der Anhörung bei den Sachverständigen - darauf wurde schon mehrfach hingewiesen deutliche Anerkennung gefunden. Ich möchte hier nur drei Stimmen erwähnen: Professor Eekhoff - ich glaube, er ist CDU-Mitglied, zumindest war er Staatssekretär in einer CDU/F.D.P.-Regierung - bezeichnete diese Politik als einen Schritt in die richtige Richtung. Professor Walter von der Deutschen Bank warnte davor - er sagte das an die Adresse der Opposition -, die Bemühungen der Bundesregierung zu torpedieren. Recht hat er. ({4}) Auch der Bundesrechnungshof - meiner Meinung nach das wichtigste Kontrollorgan in unserem Lande erkannte die Absicht der Bundesregierung an, den Bundeshaushalt dauerhaft zu konsolidieren und die Neuverschuldung bis zum Ende der nächsten Wahlperiode auf Null zurückzuführen. Auch von seiten des Bundesrechnungshofes fand unsere Politik deutliche Anerkennung. In der Sachverständigenanhörung des Haushaltsausschusses hat der Bundesrechnungshof auch noch einmal deutlich davor gewarnt, jedes Jahr mehr Geld auszugeben, als eingenommen werde, weil die Gestaltungsmöglichkeiten der nächsten Generation - Generationen müßte man schon bald sagen - stark eingeschränkt oder ganz behindert würden, wenn wir ihr einen solchen Berg an Schulden hinterließen. Nur durch Einsparungen bei den Zinszahlungen gibt es Spielraum für die Haushaltsgestaltung und kann wieder mehr Geld für Bildung, Forschung, Wissenschaft und für eine aktive Arbeitsmarktpolitik freigeschaufelt werden. Das ist unser Ziel. ({5}) Wenn wir die Zukunft gestalten wollen, dann brauchen wir Mittel für solche Zukunftsaufgaben. ({6}) In den nächsten Jahren bleibt sicherlich noch Erhebliches zu tun. Wir haben den Weg und die Richtung geändert, aber es ist wichtig, weitere Schritte zu gehen. Diese wurden in Angriff genommen. Wir müssen den Paradigmenwechsel, der mit dem Haushalt 2000 begonnen wurde, fortsetzen. ({7}) Meine Damen und Herren, gestern und heute war in der Debatte deutlich zu beobachten, daß CDU/CSU und F.D.P. immer sehr nervös und gereizt reagierten, wenn über die hohe Staatsverschuldung gesprochen wurde. Stimmt etwa hier das Sprichwort: Getroffene Hunde bellen? ({8}) Wenn man genau zugehört hat, stellte man fest, daß in vielen Diskussionsbeiträgen der Eindruck vermittelt wurde, als seien für die objektiv vorhandenen Bundesschulden in Höhe von 1,5 Billionen DM, das entspricht 1 500 Milliarden DM, Honecker und seine SED bzw. Helmut Schmidt verantwortlich. Dazwischen scheint es keine Schuldenmacher gegeben zu haben. Ich habe ja vorhin schon dargelegt, wie die Situation aussieht: Gerade in der Zeit zwischen 1982/83 und 1999 wurden entsprechende Entscheidungen getroffen. Fast alle begrüßen die deutsche Einheit. Auch wir sind glücklich darüber, daß sie gekommen ist. Gleichwohl ist festzustellen, daß sie falsch finanziert worden ist. Man hat das süße Gift der Verschuldung gewählt und in die Sozialkassen gegriffen. Die Kosten der deutschen Einheit sind über die Lohnnebenkosten finanziert worden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Nervosität und Unruhe sind bei Ihnen auch zu beobachten, wenn es um die Gestaltung und um die Auswirkungen des Sparund Zukunftprogramms geht, das wir Ihnen vorgelegt haben. Von Ihnen wird - das haben wir heute wieder hören können - vieles schlechtgeredet und herabgewürdigt. Auch wird von Chaospolitik gesprochen. Ihre Nervosität, weil unsere Vorlagen bei der Fachwelt im Grundsatz Anerkennung finden, ist nicht zu übersehen. ({9}) Wie wird Ihr Verhalten in der Ihnen nahestehenden Presse kommentiert? Auch ich möchte den Kommentar der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 22. November im Wortlaut zitieren, der heute morgen schon erwähnt worden ist: Dennoch müssen Union und FDP mit ihren Kritteleien aufpassen. Sie können nicht jedes Bauernopfer aufspießen und gleichzeitig so tun, als wenn nicht oder zu wenig gespart wird. Damit drohen sie selbst in eine Glaubwürdigkeitsfalle zu laufen. ({10}) - Recht hat der Kommentator. Lassen Sie mich die Beispiele, die heute zum Thema Glaubwürdigkeitsfalle schon genannt worden sind, noch um einige wenige ergänzen. Mein erstes Stichwort ist die Förderung der ehrenamtlichen Arbeit unserer Vereine und der in ihnen Tätigen. Viele Jahre und Jahrzehnte, meine Damen und Herren von der Union und der F.D.P., ist nichts geschehen. Über Mittel zur Förderung der Vereine durfte nicht geredet werden. Jetzt, seitdem CDU und CSU Oppositionsparteien sind, haben sie das Ehrenamt entdeckt und bringen Anträge ein, die zu Steuerausfällen von mehr als 1 Milliarde DM führen würden. Wenn es um Glaubwürdigkeit geht, muß man fragen, warum Sie nicht schon in Ihrer Regierungszeit gehandelt und die Vereine entsprechend unterstützt haben. Das war ja auch früher schon dringend notwendig. ({11}) Was die Finanzierung der Maßnahmen angeht, so legen Sie in Ihrem Antrag nicht dar, wie Sie sich vorstellen, die Steuerausfälle zu kompensieren. Wir von der SPD und den Grünen haben zwischenzeitlich in diesem Bereich Entscheidungen getroffen, die den Vereinen und den ehrenamtlich Tätigen etwas bringen. Es wird jetzt gehandelt und nicht nur über Anträge geredet. ({12}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch ich möchte noch einmal auf die Debatte zur Steuerreform eingehen. Sie von der Opposition überbieten sich gegenseitig bei der Höhe der angeblichen Nettoentlastung. 30 Milliarden DM, 50 Milliarden DM, sogar 80 Milliarden DM wurden hier genannt. Aber niemand von Ihnen sagt etwas dazu, wie die entstehenden Haushaltslöcher bei Bund, Ländern und Gemeinden geschlossen werden können. Das richtet sich auch an Sie, Herr Ministerpräsident: Zu der Frage, wie weitere Löcher in Ihrem Landeshaushalt und in den Haushalten Ihrer Gemeinden geschlossen werden können, haben Sie sich nicht geäußert. Wer eine deutliche Steuerentlastung will, muß aber auch sagen, wo auf der Ausgabenseite der Haushalte gespart werden soll. Hier war leider Fehlanzeige. ({13}) Der Sachverständigenrat - hier haben wir wieder die fachliche Kompetenz auf unserer Seite - hat beispielsweise das Konzept der CSU zerrissen. Von Ihnen ist nichts Konkretes gesagt worden, wie im Haushalt 2000 gespart werden soll. Sie haben nur eine Menge populistischer Erhöhungsanträge eingebracht: im Verkehrsbereich, in der Landwirtschaft, bei der Bundeswehr, bei der Deutschen Welle, im Bereich Kultur und in vielen anderen Bereichen. Die Forderungen mögen im Einzelfall richtig gewesen sein. Aber man muß auch deren Finanzierung deutlich darlegen. Denn das süße Gift einer immer stärkeren Verschuldung darf nicht weiterwirken. Deswegen haben wir diese Anträge ablehnen müssen. ({14}) Ich glaube, daß diese Entscheidung richtig war, damit wir aus der Schuldenfalle herauskommen, in die Sie uns gebracht haben. Steuersenkungen in erheblichem Umfang, deutliche Mehrausgaben im Haushalt, Klagen, daß nicht genügend gespart werde, und auch noch Klagen über abnehmende Leistungen des Staates - es ist unmöglich, dem gerecht zu werden. Dies ist die Quadratur des Kreises, und dies müssen alle, die die Dinge objektiv sehen, bestätigen. ({15}) Fairerweise muß ich sagen, daß auch Sie Einsparvorschläge vorgelegt hatten. Sie hatten vorgeschlagen, das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik herunterzufahren. Jetzt ist Ministerpräsident Vogel leider weggegangen. Es hätte in erster Linie den jungen Ländern geschadet, wenn die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik gestrichen worden wären und wenn die vielen Stellen aus Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und den Förder- und Unterstützungsprogrammen nicht geschaffen worden wären. Dies möchte ich noch einmal herausstellen. Nun zur aktiven Arbeitsmarktpolitik. Auch hierzu fällt mir eines auf. Dies wurde schon unterstrichen, und ich wiederhole es: Es ist schon seltsam, daß Gelder für die aktive Arbeitsmarktpolitik, die im Wahljahr 1998 auch von Ihnen anerkannt, beantragt und ausgegeben wurden und - dies unterstreiche ich - richtig waren, jetzt plötzlich falsch sein sollen und Ihrer Meinung nach wegfallen können. Nein, hier ist Stetigkeit gefragt. Es muß so gehandelt werden, daß die Gelder zur Verfügung gestellt werden. Es ist der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, Herr Jagoda, gewesen, der im Haushaltsausschuß noch einmal deutlich unterstrichen hat, daß die richtige Richtung eingeschlagen worden ist und daß dieses Geld auch gebraucht wird. Meine Damen und Herren, als Kommunalpolitiker, der ich auch bin, möchte ich hinzufügen: Ich würde mich auch über den Wegfall des Jugendprogramms im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik beschweren; denn durch diese Maßnahmen gelingt es doch auch, Menschen aus der Sozialhilfe herauszuholen, sie aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen, wodurch auf der anderen Seite kommunale Mittel eingespart werden. Außerdem kann den Menschen geholfen werden, damit sie wieder Selbstbewußtsein bekommen. ({16}) Ich bin selbst Vorsitzender eines Jugendhilfeausschusses im Landkreis Alzey-Worms, und ich muß sagen: Auch wir sind dankbar, daß es dieses Jugendprogramm gibt und daß die Jugendlichen nicht in eine Entwicklung abgleiten, die wir nicht begrüßen würden. Meine Damen und Herren, weitere Finanzierungen sind notwendig. In diesem Zusammenhang sind Kindergeld, Wohngeld und Erziehungsgeld zu nennen. Alle diese Mittel tragen mit dazu bei, die Kommunen zu entlasten und ihnen wieder Spielraum zu geben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Alle Fachleute sagen, daß wir im Jahr 2000 ein deutliches Wachstum von 2,5 Prozent bis 3 Prozent haben werden. Unter diesen Voraussetzungen lassen sich die von uns eingeleiteten dringenden Reformen besser verwirklichen. Dies kann, so schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, nur gelingen, wenn sich alle daran beteiligen. Ich habe heute morgen die Rede von Herrn Glos gehört. ({17}) Ich muß sagen: Meine Damen und Herren, Sie haben leider kein Programm, keine Ziele vorgetragen. Sie haben Ihre Politik nicht dargelegt. ({18}) Wir haben ein Programm. Das legen wir Ihnen heute vor. Machen Sie mit, um die Zukunftsfähigkeit unseres Staates weiter zu stärken. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nun dem Staatsminister im Bundeskanzleramt, Dr. Michael Naumann, das Wort.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Lammert, Sie werfen der neuen Institution des Staatsministers für Kultur und Medienpolitik beim Bundeskanzleramt vor, ein Kaiser ohne Kleider zu sein. Ich weiß nicht, wo Sie sich einkleiden und wie teuer Ihre Kleider sind. Aber Tatsache ist, daß diese Metapher, die aus einem Märchen stammt, nichts damit zu tun hat, daß diese neue Institution im laufenden Haushaltsjahr um 180 Millionen DM über dem Etat liegt, den Sie in der vorherigen Regierung in der Summe derselben Etatposten bei den diversen Ministerien haben erreichen können. ({0}) Auch im nächsten und im übernächsten Jahr werden wir über dem Haushaltsansatz liegen, den die frühere Bundesregierung zur Verfügung gehabt hat. ({1}) - Das stimmt, Herr Kampeter. Sie selber wissen das ganz genau, denn Sie haben diesen Haushalt, so gut es ging, zu zerpflücken versucht. Das ist Ihnen jedoch nicht gelungen. ({2}) Ich wollte hier aber etwas ganz anderes kurz zur Sprache bringen. Ich bedaure es, daß Ministerpräsident Vogel wieder gegangen ist, denn er hätte Sie darüber aufklären können, wie diese neue Institution und die Politik des Bundeskanzleramtes - insofern auch meine Politik - in den neuen Ländern beurteilt werden. Tatsache ist, daß bis zum Jahre 2003 auf Grund unserer Politik eine Gesamtsumme von einer halben Milliarde DM mobilisiert wird, um daniederliegende Kulturinstitutionen der ehemaligen DDR zu renovieren. Darauf sind wir stolz. ({3}) Sie haben vergessen, daß der Bund 1993 in den neuen Ländern den Kulturförderungsvorhang hat fallen lassen. Das haben wir geändert. Noch etwas: Als dieses Amt geschaffen wurde, gab es vor allem aus den CDU-regierten Ländern, ganz besonders aus Bayern, lebhaften Protest bezüglich der Verfassungsmäßigkeit dieser Institution. Diesen Protest hört man nicht mehr. Allerdings erinnere ich mich sehr wohl noch daran, wie sich zum Beispiel mein Kollege Zehetmair über den Einsatz der Bundesregierung hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Buchpreisbindung bei der Kommission in Brüssel geäußert hat. ({4}) Das seien, so sagte er, die Ritte eines Don Quichotte gegen die Windmühlen der Kommission. Aber eines steht fest: Sancho Pansa habe ich in den letzten Wochen in Brüssel nicht mehr gesehen. ({5}) Die Wahrheit ist: Ohne den Einsatz der Bundesregierung wäre der gebundene Ladenpreis gefallen, und Sie hätten bereits heute eine Konzentrationsbewegung im Buchhandel, durch die ein Verlust von über 10 000 Arbeitsplätzen binnen eines Jahres zu beklagen gewesen wäre. Die Verhinderung ist unter anderem dem bundespolitischen Einsatz zu verdanken. ({6}) Ich habe es sehr bedauert, daß bei der letzten Ratssitzung der Kulturminister Europas der Vertreter der Länder - die im übrigen Mitsprache, ja sogar Sachkompetenz beanspruchen - gar nicht erst gekommen ist. So sieht es in der Wirklichkeit aus. ({7}) - Herr Zehetmair. - Weil das so ist, empfehle ich doch sehr, Herr Abgeordneter, sich bei der Beurteilung dieses Amtes nicht auf die Feuilletonausschnitte des CDUParteivorstands zu verlassen. Lesen Sie die ganzen Artikel, zum Beispiel in der „Zeit“! Das ist sehr erfreulich und sehr schön. ({8}) Außerdem empfehle ich Ihnen - wenn wir uns schon Zeitungen vorhalten - die Sonntagsausgabe des „Tagesspiegels“, in der klar und deutlich zu lesen ist: „Diese Bilanz lässt sich sehen“. ({9}) Aber, Herr Abgeordneter, es gibt auch zahllose Gebiete, auf denen es - gottlob - im Kulturausschuß des Bundestages Einheit, Eintracht, ja sogar dieselben Vorstellungen über die Richtigkeit der Bundespolitik gibt. Da möchte ich ganz besonders das Bündnis für den Film erwähnen. Vor wenigen Wochen sagte Ihr Fraktionsvorsitzender, von dem Bündnis für den Film sei nichts mehr zu hören. Ich habe ihm damals gesagt: längere Antennen, dann würde er etwas davon hören, und zwar aus seiner eigenen Fraktion. Das Bündnis für den Film wird - und es hat das bereits getan; das steht fest - die Situation der freien Produzenten in Deutschland verbessern. Das wird, falls das nicht konsensual zwischen den öffentlich-rechtlichen Anstalten und den Filmproduzenten möglich ist, mit einer auch von Ihrer Fraktion begrüßten Novellierung des Filmförderungsgesetzes geschehen. Am Ende dieses Bündnisses für den Film wird - auch mit Ihrer Hilfe eine verbesserte Filmlandschaft in Deutschland, die eine größere Exportfähigkeit vorweisen kann, stehen. Danke schön. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2143. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Darf ich fragen, wie die Fraktion der PDS abstimmt? ({0}) Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS abgelehnt. Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa- che 14/2141. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge- lehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. - Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- kanntgegeben.*) Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe auf: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt - Drucksachen 14/1905, 14/1922 Berichterstattung: Abgeordnete Uta Titze-Stecher Herbert Frankenhauser Dr. Werner Hoyer Dr. Barbara Höll Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion CDU/CSU vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner dem Kollegen Herbert Frankenhauser für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsi- dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Da wir gestern und heute, aber auch in den vergangenen Wochen ausführlich über die Haushaltsgrundsätze und die tatsächliche und vermeintliche Sparpolitik diskutiert haben, kann ich mich unmittelbar dem Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - zuwenden, einem kleinen, aber durchaus feinen Einzeletat. *) Seite 6566 C Auf dem Strategiekongreß - besser gesagt: Beruhigungskongreß - der Grünen am vergangenen Sonntag in Kassel hat der Außenminister zu mehr Kampfgeist aufgerufen. Mehr Kampfgeist, Herr Außenminister, hätten wir von Ihnen erwartet, als Ihr Finanzminister mit seinem Rasenmäher auch und insbesondere den Einzelplan des Auswärtigen Amtes schwer verunstaltet hat. ({0}) Dabei handelte es sich leider nicht um eine einmalige Unglücksaktion. Besorgniserregend ist auch der Finanzplan, der beinhaltet, daß dieser Einzelplan im Jahr 2003 vom Ansatz her auf dem Stand von 1990 sein wird. In Anbetracht der seit 1990 objektiv erheblich gewachsenen außenpolitischen Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Bundesrepublik Deutschland, vor allem aber unter Einbeziehung der von dieser Regierung postulierten außenpolitischen Zielsetzungen und Beteiligungen ist eine solche Finanzplanung nicht sachgerecht, ja geradezu widersinnig. In bezug auf das natürliche und berechtigte Anliegen, unsere Interessen bei ständig wachsenden Herausforderungen durch die Globalisierung weltweit wahrzunehmen, ist die rote Grundstruktur dieses Haushaltes schlichtweg falsch. Im Prinzip ist es so wie beim Knöpfen einer Weste: Wenn man am Anfang falsch einknöpft, geht´s am Ende beim besten Willen nicht aus. Das wird der Herr Außenminister als mittlerweile ambitionierter Westenträger wohl bestätigen können. Neben der verkehrt angelegten Grundstruktur ist auch die detaillierte Ausgestaltung dieses Einzelplans kontraproduktiv und widerspricht im übrigen in weiten Teilen eklatant früheren Aussagen, Anträgen und Forderungen der jetzigen Regierungsparteien. Um die haushaltspolitische Berg- und Talfahrt von SPD und Grünen zu verdeutlichen, sind ein paar Eckpunkte in Zahlen ausreichend: Gegenüber dem Haushaltsjahr 1998 mit Ausgaben in Höhe von 3,532 Milliarden DM haben Sie die Ausgaben im Haushalt des kommenden Jahres auf 3,471 Milliarden DM, also um 61 Millionen DM - das entspricht etwa 1,7 Prozent -, zurückgefahren. Die Einnahmen erhöhen sich um 47,7 Millionen DM; das entspricht 25,5 Prozent. Ein Vergleich mit dem Haushalt 1999 wäre insoweit irreführend, als Sie im Prinzip lediglich die Lafontaineschen Einmalzugaben dem Eichelschen Rasenmäher geopfert haben. In aller Kürze eine einfache Rechnung: Sie haben den Haushalt 1999 gegenüber dem Haushalt 1998 um zirka 109 Millionen DM erhöht und kürzen nun den Haushalt 2000 gegenüber dem Haushalt 1999 um zirka 170 Millionen DM; das heißt: Sie reduzieren hier um zirka 61 Millionen DM. ({1}) Wenn Sie davon den Einmalposten von 38,5 Millionen DM für die EU-Ratspräsidentschaft und die rund 23 Millionen DM, um die Sie die DemokratisierungsVizepräsident Rudolf Seiters und Ausstattungshilfe verringert haben, indem Sie sie einfach undotiert auf andere Einzelpläne abgeschoben haben, abziehen, sind Sie - nicht nur symbolisch praktisch auf Null. ({2}) Diesen Vorgang können Sie als alles mögliche bezeichnen, nur nicht als Sparen. ({3}) Wenn allerdings die Erhöhungsanträge von SPD und Grünen für die zurückliegenden Haushalte der Jahre 1997 und 1998 seinerzeit eine Mehrheit gefunden hätten, wären Sie nun tatsächlich zum Sparen gezwungen, und zwar in dreistelliger Millionenhöhe. Wenn wir den Blick auf einzelne Titel werfen, wird die haushaltspolitische Achterbahnfahrt der Regierungsparteien besonders offenkundig. So haben Sie, die jetzigen Regierungsparteien, als Opposition zum Beispiel gefordert und beantragt, im Haushalt 1997 22,5 Millionen DM mehr für humanitäre Hilfe und Flüchtlingshilfe einzustellen. Das Ergebnis heute ist eine Kürzung um 11 Millionen DM. Im übrigen haben dem nicht einmal die Koalitionsfraktionen im Ausschuß für Menschenrechte zugestimmt. ({4}) Im Haushalt 1998 haben Sie 4,9 Millionen DM bzw. 14,1 Millionen DM mehr für Organisationen im internationalen Bereich gefordert. Dies betrifft zum Beispiel das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, das Hilfswerk des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen und das Hilfsprogramm der UNRWA. Heute ist das Ergebnis eine Kürzung um mehr als 4 Millionen DM. 4,3 Millionen DM mehr für die Unterstützung von Maßnahmen der OSZE war Ihre seinerzeitige Forderung. Das Ergebnis heute ist eine Kürzung um 5 Millionen DM. Dies ist nur ein minimaler Auszug aus Ihrer falsch angelegten Streichliste, der aber schon deutlich macht, daß Sie weniger ein Problem mit Haushaltsmitteln als vielmehr ein Problem mit Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit haben. ({5}) Völlig unverständlich und inakzeptabel sind aber beispielsweise die überproportionalen Mittelkürzungen bei den Zuwendungen an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, die langfristig zu dessen Existenzgefährdung führen würden, die Schließung zahlreicher Auslandsvertretungen des AA und quasi als „Geschenk“ zum 250. Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe die Schließung von zahlreichen - die Zahlen widersprechen sich zwischenzeitlich laufend - Goethe-Instituten im Ausland. ({6}) Meine Fraktion hat durch entsprechende Anträge versucht - wir tun das auch heute wieder -, den Haushalt des Auswärtigen Amtes im Rahmen der vorgegebenen Eckdaten einigermaßen wieder ins Lot zu bringen, was bislang von Ihnen leider abgelehnt worden ist. ({7}) Daß Sie im parlamentarischen Verfahren den Etat insgesamt aber um 20,5 Millionen DM erhöht haben, macht deutlich, wofür Sie letztendlich Geld einsetzen wollen. Die Mehrmittel, nicht nur im Einzelplan 05, landen alle in dem Bereich Konfliktprävention und zivile Konfliktbearbeitung. ({8}) Herr Staatsminister Dr. Volmer feiert dies ({9}) in einer Presseerklärung vom 22. November dieses Jahres als - ich zitiere - „großen Erfolg der grünen Verhandlungsstrategie im Koalitionsausschuß“. ({10}) Das mag so sein. Wahr ist aber offensichtlich auch, daß diese 20 Millionen DM Zusatzmittel eine nachgereichte Beruhigungsspritze für die Grünen im Zusammenhang mit der türkischen Panzererprobung darstellt. ({11}) Sehr bemerkenswert ist, daß bislang - vielleicht außer den Initiatoren und den eigentlichen Geldempfängern niemand so recht weiß, was mit diesen Mitteln genau geschehen soll. Ist es als große AB-Maßnahme für grünrote Personalunterbringungsfälle gedacht, oder wird nach dem Motto verfahren - wie es in der „Welt“ hieß -: „Und nutzt es nichts, so wird es auch nicht schaden“? Ich meine, daß über die genauen Inhalte und Zielvorstellungen in den zuständigen Ausschüssen endlich einmal beraten werden muß. Um weiteren Schaden von der Europäischen Union abzuwenden, der durch das unkontrollierte, ja hanebüchene Finanzwesen der EU schon entstanden ist, verweise ich auf den jüngsten Bericht des Europäischen Rechnungshofes. Ich fordere Sie, Herr Außenminister, dringend auf, endlich der Steuerverschwendung und dem Subventionsbetrug geeignete Abwehrmaßnahmen entgegenzusetzen. ({12}) Das erfordert zum Beispiel eine wirklich unabhängige Betrugsbekämpfungsbehörde, OLAF, die nicht der Kommission, sondern dem Europäischen Rechnungshof angegliedert wird. ({13}) Es ist weiterhin unabdingbar, daß verstärkt nationale Kofinanzierungen, eine Umschichtung von Subventionen zu Darlehen und bei Mißbrauch oder Betrug drastiHerbert Frankenhauser sche Kürzungen der Zuwendungen vorgenommen werden müssen. Auch hier, Herr Außenminister, ist mehr Kampfgeist gefordert. ({14}) Wir könnten ja auch einmal - bei allen rechtlichen Schwierigkeiten - mit der Aussetzung unserer Zahlungen an die EU drohen. Sie wissen durch das Beispiel Ihres Finanzministers, daß so etwas wirkt - nach dem Motto: Ohne Moos nix los. ({15}) In der ersten Lesung des Haushaltes 2000 haben Sie, Herr Außenminister - wohl in Vorahnung des „Leidzufügungspotentials“ Ihrer Koalition - gesagt - ich darf Sie zitieren -: Ich fürchte, daß wir sehr beten müssen, damit vieles von dem, was versprochen wurde, - von Ihrer Koalition auch eingehalten wird. Herr Außenminister, ganz offenbar haben Sie auch zuwenig gebetet; ({16}) denn eingehalten wurde eigentlich nichts. ({17}) Dieser Haushalt wird den Interessen Deutschlands und seiner Bürger nicht gerecht. Wir lehnen ihn deshalb ab. Vielen Dank. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bevor wir in der Aussprache fortfahren, gebe ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes bekannt. Abgegebene Stimmen 614. Mit Ja haben gestimmt 331, mit Nein haben gestimmt 283, Enthaltungen keine. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 614; davon: ja: 331 nein: 283 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({2}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Wilhelm Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({6}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({7}) Harald Friese Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({8}) Angelika Graf ({9}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({10}) Hans-Joachim Hacker Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({11}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({12}) Walter Hoffmann ({13}) Iris Hoffmann ({14}) Frank Hofmann ({15}) Ingrid Holzhüter Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({16}) Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({17}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({18}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({19}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({20}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({21}) Jutta Müller ({22}) Christian Müller ({23}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({24}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Andreas Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({25}) Birgit Roth ({26}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({27}) Ulla Schmidt ({28}) Silvia Schmidt ({29}) Dagmar Schmidt ({30}) Wilhelm Schmidt ({31}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({32}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({33}) Brigitte Schulte ({34}) Reinhard Schultz ({35}) Volkmar Schultz ({36}) Ilse Schumann Ewald Schurer Dietmar Schütz ({37}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Bodo Seidenthal Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({38}) Joachim Stünker Joachim Tappe Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({39}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({40}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber ({41}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Hans-Joachim Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({42}) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({43}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({44}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({45}) Waltraud Wolff ({46}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({47}) Marieluise Beck ({48}) Matthias Berninger Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({49}) Joseph Fischer ({50}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Klaus Wolfgang Müller ({51}) Kerstin Müller ({52}) Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({53}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({54}) Christian Simmert Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({55}) Margareta Wolf ({56}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({57}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({58}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Manfred Carstens ({59}) Peter H. Carstensen ({60}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({61}) Axel E. Fischer ({62}) Dr. Gerhard Friedrich ({63}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({64}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Vizepräsident Rudolf Seiters Horst Günther ({65}) Gottfried Haschke ({66}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({67}) Hansgeorg Hauser ({68}) Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Karl A. Lamers ({69}) Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({70}) Eduard Lintner Dr. Klaus Lippold ({71}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({72}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erich Maaß ({73}) Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer ({74}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({75}) Bernd Neumann ({76}) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({77}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Christa Reichard ({78}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({79}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt Rossmanith Adolf Roth ({80}) Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({81}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({82}) Andreas Schmidt ({83}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Diethard W. Schütze ({84}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Johannes Singhammer Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Gunnar Uldall Angelika Volquartz Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({85}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({86}) Hans-Otto Wilhelm ({87}) Gert Willner Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({88}) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Benno Zierer Wolfgang Zöller F.D.P. Hildebrecht Braun ({89}) Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({90}) Rainer Funke Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({91}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich Leonhard Kolb Gudrun Kopp Ina Lenke Jürgen W. Möllemann Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({92}) Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle PDS Monika Balt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Dr. Klaus Grehn Dr. Barbara Höll Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann-Kasten Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({93}) Bühler ({94}), Klaus, CDU/CSU Neumann ({95}), Gerhard, SPD Vizepräsident Rudolf Seiters Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir fahren in der Aussprache fort. Ich gebe das Wort für die SPD-Fraktion der Kollegin Uta Titze-Stecher. ({96})

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wir haben keine Drukkerei im Keller. ({0}) - Und vor allem kein Geld im Koffer, Herr Kollege. Vielen Dank für den Zwischenruf. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Frankenhauser, wenn ich Ihre Hauptbotschaft richtig verstanden habe, so haben Sie gesagt, daß der vorliegende Einzelplan durch Streichlisten und Kürzungen verunstaltet worden ist, ein Einzelplan, der auf Grund der Streichungen symbolisch und praktisch auf Null gefahren wurde, in dem an den falschen Stellen gespart wurde und der deswegen Probleme der Glaubwürdigkeit mit sich bringt. Dazu muß ich sagen: Ich weise dieses strikt zurück, und ich werde Ihnen im Verlauf meiner Rede bei den Punkten, die Sie als Belege für diese Bewertung gebracht haben, nachweisen, daß es sich nicht so verhält, wie Sie dies hier dargestellt haben. ({1}) Im übrigen denke ich, daß ein Einzelplan, der über eine Summe von knapp 3,5 Milliarden DM verfügt, nun wahrhaftig nicht das Etikett verdient, er sei auf Null gefahren worden. ({2}) Die konkrete Veranschlagung in den vier großen Kapiteln dieses Einzelplans 05, Geschäftsbereich Auswärtiges Amt, hat allerdings Schwierigkeiten bereitet. Das geben wir unumwunden zu. Aber in den Kraftakt, den Marsch in den Schuldenstaat zu stoppen und die Staatsfinanzen zu sanieren, waren alle Ressorts einbezogen. Das heißt, jedes Ressort mußte seinen Teil dazu beitragen, um diese Ziele zu verwirklichen. Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, versichern: Sparen bereitet auch uns weder geistige und mentale noch emotionale Befriedigung. Es ist mühsam, es ist schwierig, es ist schmerzlich. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ heute schreibt: Der Weg wird langsam zurückgelegt, bis man die Ernte einfahren kann. Deswegen muß man immer wieder die Ziele nennen, die die Einsparungen auch rechtfertigen, Herr Kollege Frankenhauser. ({3}) Es handelt sich um dreierlei Ziele. Wir wollen zum einen die Belastung künftiger Generationen Schritt für Schritt abbauen. Wir wollen zweitens die Belastung der jetzigen arbeitenden Bevölkerung durch Steuern und Abgaben minimieren. Wir wollen drittens für die Zukunft Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit gewinnen, die ja erst die Voraussetzungen nicht nur für die schönen Dinge des Lebens sind, Herr Kollege Frankenhauser, sondern auch für solch profane Dinge wie Wachstum und Beschäftigung. ({4}) Im ersten Schritt haben wir das Haushaltssanierungsgesetz verabschiedet. Am Ende dieser Woche verabschieden wir den Bundeshaushalt 2000 und tun damit einen weiteren gigantischen Schritt. ({5}) Die Regierung hat bei der Aufstellung des Haushaltsentwurfs immerhin vor dem großen Problem gestanden, ein strukturelles Defizit in Höhe von 30 Milliarden DM abzubauen. Außerdem mußte in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigt werden, daß sich im Zeitraum 2000 bis 2003 ein zusätzliches Defizit in Höhe von 50 Milliarden DM auftürmt. Konkret auf das Auswärtige Amt bezogen bedeutet das, daß im Bundeshaushalt 2000 Einsparungen von über 270 Millionen DM und in jedem Folgejahr von weiteren 60 Millionen DM zu leisten sind. Summa summarum ergibt sich so für den Zeitraum 2000 bis 2003 die stattliche Summe von 450 Millionen DM. Dies ist kein leichtes Unterfangen. Erschwerend kommt hinzu, daß der Etat des Auswärtigen Amtes zunehmend ein Verwaltungshaushalt ist, der über sehr wenig disponible Mittel verfügt, eigentlich nur in der Höhe von rund 900 Millionen DM. Schließlich kommt - für diesen Haushalt wie für andere Ressorts; das ist mir klar - der hohe Dollarkurs erschwerend hinzu. Außerdem gibt es Unwägbarkeiten im Bereich des politischen und humanitären Geschehens. Diese Perspektive macht aber um so deutlicher, daß das Auswärtige Amt um strukturelle Veränderungen in allen Bereichen - politische Aufgaben, Kulturpolitik, Auslandsvertretungen, Personalpolitik und alle dazugehörigen Instrumente - nicht herumkommen wird. Angesagt ist also eine neue Sparkultur auf der Grundlage einer längerfristigen, intelligenten Sparkonzeption. Das wird nicht möglich sein ohne einschneidende Veränderungen. Zum Teil sind verkrustete Strukturen abzubauen, zum Teil Aufgaben neu zu justieren. Herr Kollege Frankenhauser, wenn Sie schon die gesetzlichen Aufgaben des Auswärtigen Amtes ansprechen: Ich denke, man wird alle Aufgaben neu gewichten müssen. Wir haben selbst mit diesem knapp bemessenen und dennoch ausreichenden Haushalt dafür gesorgt, daß den Kernaufgaben des Auswärtigen Amtes in den nächsten Jahren sehr wohl nachgekommen werden kann, als da sind: die Vertretung der Interessen der Bundesrepublik im Ausland, die Pflege und Förderung der auswärtigen Beziehungen, Informationen der Bundesregierung über hiesige Verhältnisse und Entwicklungen im Ausland, Hilfe und Beistand für Deutsche im Ausland usw. Vizepräsident Rudolf Seiters Angesichts der Fülle und Bedeutung dieser genannten Aufgaben ist das vorgesehene Finanzvolumen ausreichend und gerechtfertigt. ({6}) Da der Minister im übrigen - das soll ein Kompliment sein - selbst das beste Vorbild für einen schlankeren, dabei gesünderen und effizienteren Organismus bietet, denke ich, daß auch das Haus mit einem schlankeren Menü wird leben können. ({7}) - Ob Rennerei gesund ist, muß man den Minister selber fragen. Er macht aber diesen Eindruck. Die Einsparung von 270 Millionen DM für das Haushaltsjahr 2000 erklärt sich auf der Grundlage der 7,43prozentigen Kürzung des gesamten Finanzplans. Dieser sah für das Auswärtige Amt ein Volumen von 3,665 Milliarden DM vor. Das Auswärtige Amt hat bereits im Regierungsentwurf Einsparungen vorgenommen, speziell im Kulturbereich, der im Haushaltsjahr 1999, also im laufenden Jahr, auf Wunsch des Ministers besonders geschont worden ist. Diesmal konnte kein Bereich außen vor bleiben. Abzüglich zu erwartender Mehreinnahmen blieb dem Haus die Vorgabe, eine globale Minderausgabe in Höhe von 170 Millionen DM umzusetzen. Das, was Sie uns nie zugetraut haben, haben wir geschafft, nämlich die titelgenaue Umlegung von 170 Millionen DM. Daß das der Opposition nicht paßt, kann ich mir denken. Aber als wir in der Opposition waren und ich die Kollegen der anderen Seite öfter bat, auf Wünsche der Opposition Rücksicht zu nehmen, ({8}) sagte mir der Kollege Uelhoff knapp, kurz und trefflich - das ist unvergessen -: „Uta, wir regieren.“ So ist das, Herr Frankenhauser. ({9}) Diesmal regiert die andere Truppe, und die andere Truppe hat andere Schwerpunkte und andere Prioritäten gesetzt, innerhalb derer sehr klug gespart wurde. Wir haben im parlamentarischen Verfahren die großen Sparpotentiale auf folgende drei Kapitel einigermaßen gerecht aufgeteilt: 35 Millionen DM im Bereich des Ministeriums, 52 Millionen DM im politischen Bereich - bei den Bewilligungen -, 60 Millionen DM bei der auswärtigen Kulturpolitik. Die Kürzungen hören sich zwar harmlos an, im Vorfeld haben wir aber öffentliche Protestreaktionen zu spüren bekommen. Es ist doch klar, daß es im Ausland, an Standorten, in Städten und Regionen Proteste gibt, wenn nicht nur GoetheInstitute, sondern sogar Botschaften - insgesamt fünf -, Generalkonsulate - zwölf an der Zahl - und drei Außenstellen vor der Schließung stehen. ({10}) - Herr Kollege, wenn Sie dazwischenfragen - ich sehe das als Frage -, dann muß ich Ihnen sagen: Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts war das Auswärtige Amt sowieso gezwungen, Neujustierungen vorzunehmen, das heißt, im Netz der Auslandsvertretungen Prioritäten zu schaffen. Man kann nicht auf der einen Seite 40 neue Auslandsvertretungen mit all ihren Kosten schaffen und auf der anderen Seite das sehr dicht - für uns zu dicht geknüpfte Netz in der westlichen Hemisphäre so belassen. ({11}) Es mußte also ein Gleichgewicht hergestellt werden. Angesichts weiterer bevorstehender Schließungen von Auslandsvertretungen - denn die Sparaktionen werden ja weitergeführt - habe ich die Bitte an Sie, Herr Minister, ein insgesamt stringentes Abwicklungskonzept für die Schließung von betroffenen Auslandsvertretungen zu entwickeln. Dabei darf nicht nur eine Rolle spielen, wie umfangreich das Rechts- und Konsularwesen auf deutsch: die Erteilung von Visa - ist, wie hoch die Kriminalität ist, wie gefährlich das Umfeld ist und wie groß der Handelsaustausch bzw. die wirtschaftliche Bedeutung ist. Ich möchte auch nicht verhehlen, Herr Minister, daß es im Zusammenhang mit der beabsichtigten Schließung einiger Auslandsvertretungen - ich nenne nur Stichworte: Apenrade, Stettin, Oppeln oder Temesvar - auch im parlamentarischen Raum selbst Irritationen gegeben hat. Speziell bei Temesvar bitte ich Sie, da Temesvar und nicht Siebenbürgen mit Hermannstadt; dafür spricht schon die Zahl von 40 000 Visa - das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum der Rumäniendeutschen ist, zu prüfen, ob es nicht möglich ist, das Angebot des Bischofs von Temesvar anzunehmen, die Visastelle, die zugegebenermaßen in unwürdigsten Räumen untergebracht ist, in einem Haus, das dem Bischof gehört, unterzubringen, das heißt, den Konsularbetrieb für die dortigen deutschen Unternehmen und die deutsche Minderheit aufrechtzuerhalten. ({12}) Ich bitte zudem, bei einem Streichungskonzept zu beachten - auch das mit vorsichtiger Kritik ans Haus -, daß nicht der Eindruck entsteht, daß Afrika ein besonderes Opfer wird. ({13}) Denn die Signale könnten in die Richtung interpretiert werden: Na ja, wir sind sowieso der fünfte, der letzte, der vergessene Kontinent. - Ich bitte Sie, mit besonderer Sensibilität, die ich Ihnen ja zutraue, an die Aufgabe heranzugehen. ({14}) Das Auswärtige Amt muß allerdings - das hat die Kollegin Hermenau in der allgemeinen Debatte betont auch selbst seine Bemühungen verstärken, gemeinsame EU-Botschaften im Ausland zu errichten. Leuchtendes Beispiel sind hier in der Nähe die nordischen Botschaften. ({15}) - Ich weiß, Herr Haussmann, verfassungsmäßige Hürden usw. Hürden sind dazu da, übersprungen zu werden. Alle EU-Mitglieder unterliegen denselben Maastrichtund Amsterdam-Kriterien. Das heißt, jeder Staat muß mit dem Geld seiner Bürger sparsam und effizient umgehen. Das bedeutet, daß es zwar mühsam, aber nicht verboten ist, auf allen Gebieten um Kooperation mit den europäischen Nachbarn bemüht zu sein. Ich denke, daß die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik gemeinsame Strukturen wird entwickeln müssen; denn Inhalt und Form sind nur die zwei Seiten einer Medaille. ({16}) Ich komme zum zweiten Bereich, nämlich zum großen Bereich des Politischen. Das ist der Bereich „Allgemeine Bewilligungen“, auf dem Sie sich, Herr Frankenhauser, mit Ihren Vorwürfen ja ausgetobt haben. Dabei sind in diesem Bereich nur 20 Prozent der Ersparnis aufgebracht worden. Bei vielen Titeln wurde sehr maßvoll gekürzt. Interessanterweise haben Sie die überhaupt nicht genannt. Das sind nämlich die Bereiche, wo sich das Haus selbst ins Bein hackt. Beim Gästeprogramm der Bundesrepublik wurden beispielsweise mehrere hunderttausend Mark gespart. Bei den Kosten für Staatsbesuche sind es satte 700 000 DM. Bei der Förderung des europäischen Gedankens, der uns lieb und recht und teuer - aber nicht so teuer - ist, wurde gespart. Das heißt, daß das Haus im Vorfeld schon eine ganze Menge dafür getan hat, die Einsparungen gerecht zu verteilen, so daß es nirgends zu weh tut. Das von Ihnen angesprochene Gebiet der Kriegsgräberfürsorge hat auch mich, wie Sie wissen, beschäftigt. Wir haben dafür gesorgt, daß die Bedenken des Präsidenten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, daß nämlich die Gräber- und Gedenkstätte in Riga nicht rechtzeitig zum 60. Jahrestag der Deportation und Ermordung jüdischer Bürger aus Deutschland, Österreich und Tschechien im Jahre 2001 fertig wird, unnötig sind. Es ist dafür gesorgt worden, Herr Nachtwei, daß in diesem Jahr die Hälfte des dafür notwendigen Zuschusses in Höhe von 550 000 DM fließt und der Rest für das nächste Jahr etatisiert wurde. Auch hier gab es im Vorfeld viel Wind, und Sie sehen, wir haben den Sturm abwenden können. ({17}) Der Ansatz für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland - Sie haben ihn erwähnt - ist, Herr Kollege Frankenhauser, um 11 Millionen DM von 69 Millionen DM auf 58 Millionen DM gesenkt worden. Für mich ist es schon erstaunlich, daß Sie als Haushälter nicht erwähnen, daß das durch die Einstellung von 300 Millionen DM im Einzelplan 60 für Ausgaben im humanitären Bereich im Zusammenhang mit der Kosovo-Krise mehr als kompensiert wurde. Das tun wir Jahr für Jahr mit 300 Millionen DM. In der Finanzplanung bis 2003 sind dafür insgesamt 1,2 Milliarden DM vorgesehen. Über die Verwendung von 50 Millionen DM aus diesem Titel kann das Auswärtige Amt alleine entscheiden. Das heißt, man kann nicht einfach eine Mittelkürzung nennen, ohne die andere - wie bei kommunizierenden Röhren - zu erwähnen. Da können Sie ruhig den Kopf schütteln; es ist so, wie ich sage. Die Mittelverteilung auf die einzelnen Ressorts ist zwar noch nicht ausgehandelt, aber durch die kontinuierlichen Berichte werden wir im Rahmen des Haushaltsvollzugs über die Einzelverwendungen regelmäßig informiert. Damit hier Klarheit herrscht, möchte ich betonen, daß die Mittel für humanitäre Maßnahmen insbesondere für das Auswärtige Amt und das BMZ zur Verfügung stehen. ({18}) Ein besonderes Kapitel und deshalb erwähnenswert ich bin Ihnen, Herr Kollege von der Opposition, dafür dankbar, daß Sie das getan haben - ist die Ausstattungs- und Demokratisierungshilfe für ausländische Polizeien und Streitkräfte. Ich bin überzeugt, Herr Minister, daß dies ein äußerst wirksames außenpolitisches Instrument ist. Die Frage ist nur, wer in Zukunft über dieses Instrument verfügt und die Mittel bereitstellt. Ich denke nicht, daß der generelle Verzicht durch die Bundesregierung auf die Anwendung dieses Instruments angesagt ist. ({19}) Man muß sagen, daß in diesem Bereich einer der wenigen Titel vorhanden ist, in dem überhaupt disponible Mittel verfügbar sind, so daß die Kürzung natürlich diesen Bereich hat treffen müssen. Das Auswärtige Amt hat in kooperativer Zusammenarbeit mit dem BMVg dafür gesorgt, daß Projekte abgewickelt werden können und in anständigem Zustand Ende 2000 den jeweiligen Ländern zur Verfügung gestellt werden können. Dafür sind 5 Millionen DM aus dem Etat des Auswärtigen Amtes und 10 Millionen DM aus dem Etat des Einzelplans 60 vorgesehen. Mit dem BMI ließ sich noch kein Konzept über die Zusammenarbeit mit ausländischen Polizeien entwikkeln. Ich denke, Herr Minister, das wird eine Sache sein, die Sie innerhalb der Ressorts konzeptionell entscheiden müssen. Wir haben Sie in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses darum gebeten, ein zwischen den Ressorts abgestimmtes Konzept zur Weiterführung dieUta Titze-Stecher ses Bereiches vorzulegen, und zwar für den übernächsten Haushalt. Eine erfreuliche Sache, auf die bereits der Vorredner eingegangen ist, ist die Anhebung des bisherigen Ansatzes für die Unterstützung internationaler Maßnahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung von 8,6 Millionen DM um 20 Millionen DM auf 28,6 Millionen DM. Dazu muß ich sagen, Herr Frankenhauser: Das hat nichts mit Ideologie zu tun. Mit dem Titel „Unterstützung von Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte“ baut die Bundesregierung bewußt die operativen Möglichkeiten für eine aktive Menschenrechtspolitik aus. ({20}) Nicht nur die Einrichtung eines eigenständigen Ausschusses oder die Ansiedlung eines Beauftragten für die Menschenrechte machen deutlich, daß die Bundesregierung Menschenrechtspolitik als Querschnittsaufgabe betrachtet. Wir denken, daß dies auch langfristig zu einer Verstärkung der Rolle der OSZE als politischer Vermittler führen wird. Das ist etwas, was auch Sie begrüßen müßten, meine Damen und Herren von der Opposition. ({21}) Ich komme zur auswärtigen Kulturpolitik. Die politische Neuakzentuierung der Außenpolitik seit dem Regierungswechsel hat unmittelbare Auswirkungen auch auf die auswärtige Kulturpolitik. Das bleibt nicht aus. Das Auswärtige Amt stellt seine Kulturarbeit im Ausland seither verstärkt in den Dienst von Menschenrechten, Demokratie und Kulturdialog. Dies geschieht auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung, in der von einem gemeinsamen, weltweiten Handeln und von Verständigung über kulturelle Unterschiede hinweg gesprochen wird. Ich denke, diese Weichenstellung ist sinnvoll und notwendig. Ich sage nicht, daß das unter freidemokratischen Außenministern nicht getan wurde, aber wir verstärken diese Tendenz. Mit der neuen Regierung ist nicht nur ein Regierungswechsel, sondern auch ein Politikwechsel verbunden, Herr Haussmann. ({22}) In die Sparmaßnahmen - das wurde hier erwähnt sind natürlich auch die Mittler wie der Schulfonds, die Stiftungen und Stipendienträger einbezogen. Das bleibt nicht aus. Wir haben uns aber bemüht, die Empfänger kleiner Zuwendungen in Höhe von weniger als 1 Million DM etwas zu schonen sowie den größten Mittler, nämlich das Goethe-Institut, unverhältnismäßig stark zu schonen, weil wir zu schätzen wissen, daß sich dort bereits acht Arbeitsgruppen mit einer Reform der Struktur des weltweiten Institutsnetzes, der Arbeitsformen in den westlichen Weltstädten, mit der Konkurrenzfähigkeit von Sprachunterricht gegenüber anderen Anbietern, ja sogar mit der Möglichkeit beschäftigen, andere Einnahmequellen zu erschließen und Sponsorengelder zu bekommen. Das alles wird nicht reichen, weil die Anstrengungen in Form von Sparbeiträgen erst mit Zeitverzug Wirkung zeigen. Weil die Zentralverwaltung der Goethe-Institute bereits entschieden hat, dem Vorschlag des Bundesrechnungshofs und der Parlamentarier zu folgen, die Fusion von Inter Nationes und Goethe-Institut zu vollziehen, haben wir zur Erleichterung dieser Umstrukturierungsmaßnahmen 11 Millionen DM über eine Verpflichtungsermächtigung im Jahre 2001 zur Verfügung gestellt. Ich denke, dem Antrag der CDU/CSU - ich teile Ihren Sinn für „Tribunismus“, Herr Kollege Frankenhauser; die Zentrale sitzt in München, und auch mein Wahlkreis liegt ganz in der Nähe - stattzugeben und dem Goethe-Institut jetzt 20 Millionen DM zu geben ist eine falsche Entscheidung, auch wenn man es außerordentlich stark schont und honoriert, was es schon getan hat und noch vorhat. Das ist so, als wenn Sie einem Kind im Rahmen der Erziehung eine Belohnung geben, bevor es überhaupt eine Leistung erbracht hat. So geht es nicht. Das ist pädagogisch ausgesprochen sinnlos. Nicht nur die Kulturinstitute, sondern auch das Haus selbst ist gefordert, eine Prüfung seiner Kulturarbeit vorzunehmen, und zwar besonders unter dem Aspekt, Herr Minister, daß in Ihrem Etat nicht nur die erwähnten Mittlerorganisationen im großen Stil bedient werden, sondern daß an der Kulturarbeit auch andere Ministerien konzeptionell und finanziell beteiligt sind. Vielleicht könnte in diesem Zusammenhang auch ein neues Stiftungsrecht Hilfestellung leisten. ({23}) Ich komme mit dem zum Schluß, womit Sie angefangen haben, Herr Kollege Frankenhauser. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat den Strategiekongreß der Grünen mit „Antworten statt Visionen“ betitelt. Ich kann Ihnen sagen, daß mit den Vorhaben der Koalitionsfraktionen und der Regierung die beiden Punkte, nämlich Sparen und Gestaltungsfähigkeit zu gewinnen, erfüllt werden. Wir geben Antworten auf 16 Jahre Kuddelmuddel vor allem in der Finanz- und Haushaltspolitik. ({24}) Unsere Vision heißt: Wir sanieren die Staatsfinanzen, um Generationengerechtigkeit herzustellen, den Sozialstaat zu reformieren und um damit eine Politik zu entwickeln, die die Deutschland AG auch unter den Bedingungen des globalen Marktes leben läßt. Ich bitte um Zustimmung für den Haushalt des Auswärtigen Amtes und bedanke mich bei dem Haus und den Kollegen für die Zusammenarbeit. ({25})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.Fraktion spricht der Kollege Dr. Helmut Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Jahr war man mit viel Schwung gestartet. Ich zitiere die rotgrüne Koalitionsvereinbarung: Die neue Bundesregierung wird die Grundlinien bisheriger deutscher Außenpolitik weiterentwikkeln. Sie wird den notwendigen Wandel der Welt, der internationalen Beziehungen mit eigenen Vorschlägen, mit eigenen Impulsen mitgestalten. Blickt man auf das erste Jahr zurück, so erkennt man, daß auch der Star des Bundeskabinetts inzwischen auf dem Boden angekommen ist. ({0}) Seit der Kosovo-Krise herrscht ein Erschöpfungszustand. In der Außen- und Europapolitik gibt es eigentlich keinen neuen Impuls mehr. Herr Fischer muß zunehmend mehr Zeit und mehr Engagement für Parteiinternes aufwenden. Man sieht: Es kann auf Dauer nicht gutgehen, wenn außenpolitische Realitäten und ideologisches Denken der Grünen so weit auseinanderklaffen. ({1}) - Hören Sie einmal ganz ruhig zu. ({2}) Erstes Beispiel: Türkeipolitik. Man kann nicht einerseits Vertrauen in die innere Entwicklung der Türkei setzen und ihr einen Beitrittskandidatenstatus - wohlgemerkt: ohne konkrete Verhandlungen - anbieten, andererseits aber aus Mißtrauen in die innere Entwicklung der Türkei eine NATO-interne Gleichbehandlung verweigern. Das ist eine unglaubwürdige Türkei- und Europapolitik. ({3}) Zweites Beispiel: Menschenrechtspolitik. Was hat der Oppositionspolitiker Joseph Fischer die frühere Bundesregierung kritisiert! ({4}) Heute hat die rotgrüne Bundesregierung - entgegen der vollmundigen Ankündigung, die Menschenrechte zur obersten Priorität zu erklären - nicht einmal die Kraft gefunden, im Kreise der Europäischen Union einen Konsens für eine China-Resolution der UN-Menschenrechtskommission in Genf zustande zu bringen eine äußerst schwache Leistung. ({5}) Vom Bundesbeauftragten für Menschenrechte, dem geschätzten Kollegen Poppe, hört und liest man so gut wie gar nichts. ({6}) - In der außenpolitischen Debatte sollten wir es nicht ganz so billig machen. Wir können uns ja einmal die Wahlergebnisse vor Ort anschauen. Da kann ich mit vielen SPD-Kollegen mithalten. ({7}) In den für Menschenrechte relevanten Bereichen wird drastisch gekürzt: bei der Entwicklungspolitik, bei der humanitären Hilfe, bei den freiwilligen Leistungen für UNICEF, beim Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen und bei den Beiträgen für die OSZE. Drittes Beispiel - es ist unter globalen Bedingungen von besonderer Bedeutung -: Außenpolitik und Außenwirtschaft. Ich kann heute nach einem Jahr fragen: Wo ist die angekündigte neue Asienpolitik nach Beilegung der Asien-Krise, Herr Außenminister? Gibt es denn überhaupt Schwerpunkte in der groß angekündigten Afrikapolitik? Wo liegen die neuen Ansätze in der Lateinamerikapolitik? Botschaftsschließungen und Personalreduktion können meines Erachtens nicht die Antwort sein. Darauf ist vorhin zu Recht hingewiesen worden. Zusammenlegungen von EU-Außenvertretungen außerhalb Westeuropas wären ein Instrument kreativer und intelligenter Sparpolitik. ({8}) Außenwirtschafts- und Außenpolitik sind der beste Beitrag, deutsche Arbeitsplätze unter globalen Bedingungen zu sichern. ({9}) Der Mittelstand braucht vor Ort aktive, kompetente Menschen bei der Erschließung neuer Märkte. Die deutsche Wirtschaft braucht verbindliche Regeln für geistiges Eigentum und für Direktinvestitionen. Sie braucht keine unendlich breite Agenda für die nächste WTORunde. Schon jetzt setzen wir uns dort unsinnigerweise in Gegensatz sowohl zu allen Entwicklungsländern als auch zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Die nächste WTO-Runde ist für Arbeitsplätze in Deutschland von ganz entscheidender Bedeutung. Wir brauchen eine Stärkung der transatlantischen Beziehungen. Die Europäer und die Vereinigten Staaten von Amerika haben eine enorme globale Verantwortung für weltweit über zwei Drittel der Arbeitsplätze und für über zwei Drittel des Bruttosozialprodukts. Sie können sich eine Fortsetzung der Handelskonflikte - Hormonfleisch, Bananen, Gentechnik, Airbus/Boeing, audiovisuelle Produkte - eigentlich nicht leisten. Wir haben einen Antrag zur Verbesserung der transatlantischen Beziehungen im Deutschen Bundestag eingebracht, der leider abgelehnt worden ist. ({10}) Die deutsche Wirtschaft und der deutsche Mittelstand brauchen verbindliche Daten über die Osterweiterung, Herr Außenminister. Rechtssicherheit - auch bezüglich der Daten - ist der beste Schlüssel für Direktinvestitionen, für die Aufbauhilfe in Osteuropa und damit gleich6574 zeitig auch für neue Arbeitsplätze. Entweder exportieren wir zu bestimmten Zeitpunkten Stabilität nach Osteuropa, oder wir werden - wenn dies nicht geschieht - Instabilität von Ost- nach Westeuropa importieren. An dem Rückgang der Zustimmung zu Europa in der Tschechischen Republik und in Polen ist deutlich zu sehen: Auch das Zeitfenster für die reformerischen Kräfte in Mittelund Osteuropa steht nicht beliebig lange offen. ({11}) Der frühere Staatsminister Verheugen hat sich in seiner letzten Rede im Europaausschuß und bei seiner Abschiedsrede hier im Plenum - er war als EU-Kommissar in Brüssel noch nicht bestätigt - für verbindliche Daten ab 2002/2003 konsequent eingesetzt. Meine Gespräche in Brüssel in der vergangenen Woche haben aber gezeigt, daß die Bundesregierung bisher nicht in der Lage war, mit wichtigen Partnern wie Frankreich oder Großbritannien hierüber eine Verständigung herbeizuführen. Herr Fischer, Sie werden auf Dauer um konkrete Zeitpläne nicht herumkommen. ({12}) - Nein, dies ist ein ganz entscheidender Punkt. Sie sehen auch an Österreich und der Schweiz: Wenn man nicht konkrete Zeitpunkte - etwa für die Einführung des Euro oder für den Beitritt zum Binnenmarkt - nennt, dann nehmen rechte und linke Kräfte an Bedeutung zu. Euroeinführung, Binnenmarkt und Osterweiterung gehören zu den Aufgaben, bei denen politische Führung gefragt ist. Man muß sich für sie einsetzen. Für ein solches Engagement erhält man Zustimmung. ({13}) - Das ist arg billig. Das bin ich von Ihnen, Herr Bindig, gar nicht gewohnt. Das ist ein bißchen schade. Das vierte Beispiel liegt der F.D.P.-Bundestagsfraktion besonders am Herzen. Tun Sie mehr für das deutsch-französische Verhältnis. ({14}) Das deutsch-französische Verhältnis ist und bleibt der Motor für die europäische Integration. Der groß angekündigte Schwung der „reliance de la relation“ ist ausgeblieben. Intellektuelle Symposien und Fototermine sind kein Ersatz für Verständnis und Pflege. Herr Fischer, wenn schon für den Bundeskanzler das deutschfranzösische Verhältnis keine Herzensangelegenheit ist, dann muß es vorrangige Aufgabe des Außenministers sein, dieses Verhältnis auch emotional dynamisch voranzubringen. ({15}) Die Konflikte häufen sich. Jeder, der die Franzosen kennt und vielleicht auch französisch spricht, ({16}) weiß, daß der Alleingang von Herrn Schröder beim Schröder/Blair-Papier ({17}) ohne Abstimmung mit Frankreich und daß der Alleingang von Herrn Trittin hinsichtlich der entschädigungslosen Kündigung der Nuklearverträge wertvolles politisches Kapital in Frankreich zerstört haben, Herr Schlauch. ({18}) Die weiteren Konflikte sind längst vorprogrammiert. Es gibt nach wie vor keine Übereinstimmung zwischen Deutschland und Frankreich in der Agrarpolitik. ({19}) - Herr Fischer, ich gebe zu, das war mit der CDU/CSU auch sehr schwer. ({20}) Ich mußte damals während der GATT-Verhandlungen nachts den Bundeskanzler anrufen, weil ohne französische Zustimmung nichts ging, Herr Fischer. Aber es gibt einen Unterschied: Damals war das emotionale Grundverhältnis zu den Franzosen so gut, daß die Franzosen zum Schluß Kompromissen zugestimmt haben. Dies passiert derzeit nicht, weder bei der Osterweiterung noch bei den WTO-Verhandlungen. ({21}) Die entscheidende Nagelprobe steht bei der Besetzung internationaler Schlüsselpositionen bevor. Ich halte aus deutscher Sicht Herrn Koch-Weser als Chef des IWF für eine ausgezeichnete Besetzung. Seit 20 Jahren ist die Besetzung dieses Postens ein Vorrecht der Franzosen. Jetzt wird sich zeigen, ob das deutschfranzösische Verhältnis so gut ist, daß das wichtigste Land in Europa nach über 20 Jahren erstmalig eine der entscheidenden Positionen der internationalen Währungs- und Finanzpolitik besetzen kann. Ich befürchte, das wird dieser Bundesregierung wieder nicht gelingen. Da schließt sich der Kreis, meine Damen und Herren. Internationaler Einfluß unter globalen Bedingungen bedeutet eben auch: personelle Vertretung Deutscher in wichtigen Gremien. ({22}) Schon die Ernennung der Kommissare in Brüssel war ein Rückschritt. ({23}) Weder das Ressort von Herrn Verheugen noch das Ressort von Frau Schreyer sind Schlüsselressorts. ({24}) Deutschland hat in der EU-Kommission bisher sechs Generaldirektorenposten besetzt. Wir werden nach Ablauf von zweieinhalb Jahren nur noch drei Generaldirektoren in Brüssel stellen. ({25})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Hausmann, Sie müssen zum Schluß kommen.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir werden spüren, wie der Einfluß zurückgeht. Deshalb schließt sich hier der Kreis. Deutsche Außen- und Europapolitik erfordert die volle Konzentration des Außenministers. Wir halten die Bilanz für eher bescheiden und werden dem Etat des Außenministeriums nicht zustimmen. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollege Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Probleme des Einzelplans 05 haben wir in den letzten Monaten hinreichend diskutiert. Deutlich geworden ist in meinen Augen zweierlei: Erstens. Die prozentualen Kürzungen - wir bejahen sie; denn anders wäre das Ziel bei notwendigerweise widerstreitenden Ressortinteressen kaum zu erreichen gewesen ({0}) haben den Haushalt des Auswärtigen Amtes besonders schwer getroffen, weil dieser Einzelplan, bezogen auf den prozentualen Anteil am Gesamtbudget - das muß in Ihre Richtung gesagt werden, Herr Frankenhauser -, schon in den Jahren zuvor, zu Zeiten Ihrer Regierung, immer mehr an Boden verloren hat, nämlich von 0,93 Prozent Anfang der 80er Jahre auf 0,77 Prozent. Das ist die traurige Bilanz Ihrer Regierungszeit. Deshalb ging die gleichmäßige Kürzung gerade bei diesem Haushalt natürlich an die Substanz; das ist doch völlig klar. Schließung von Botschaften, von Konsulaten und Goethe-Instituten, Kürzungen vieler freiwilliger Beiträge zu internationalen Organisationen - alles das hat die deutschen Außenbeziehungen natürlich belastet. Ich erwähne das, weil dieser Einzelplan in den nächsten Jahren einen deutlichen Nachholbedarf hat. Da treffen wir uns wieder. Ich freue mich, daß Sie es unterstützen, daß wir das dem Finanzminister heute sehr deutlich ins Haushaltsbuch zu schreiben haben. Zweitens. Kürzungsnotwendigkeiten bieten auch Reformchancen. Das Amt hat diese genutzt. Ich erwähne nur einiges, so etwa, daß die schon erwähnte, lange vom Rechnungshof geforderte und von der früheren Regierung immer wieder verschleppte Fusion von Inter Nationes und Goethe-Institut endlich in Angriff genommen wird, so auch, daß trotz Schließung von GoetheInstituten jetzt ein sehr wichtiges Goethe-Institut, nämlich eines in Sarajevo, neu eröffnet wird. Auch das ist Gestaltungspolitik. ({1}) Als letztes erwähne ich, daß es trotz dieser Kürzungen gelungen ist, Mittel für den Auf- und Ausbau von Maßnahmen für präventive Außenpolitik bereitzustellen. Das alles sind sehr anzuerkennende Leistungen. ({2}) Jetzt legen wir einmal das Haushalterische beiseite und sprechen über das, was der Kollege Glos heute früh angesprochen hat, allerdings in einer sehr oberflächlichen Weise. ({3}) Herr Kollege Glos, jetzt sprechen wir einmal über die Istanbuler Konferenz und über Rußlands Krieg in Tschetschenien. Zunächst Herr Glos, zu Ihrer Aussage, die Grünen protestierten nicht: Beim ersten Tschetschenien-Krieg haben eine Reihe von Grünen, auch ich, mit Lew Kopelew vor der russischen Botschaft gestanden. Ich habe dort nie einen CSU- oder CDU-Abgeordneten gesehen. ({4}) Jetzt sagen Sie, das sei immer Sache der Grünen gewesen, sie seien die Protestpartei usw. Sie übersehen dabei aber einen entscheidenden Punkt, nämlich den völligen Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Tschetschenien-Krieg. Die Bundesregierung hat in Istanbul eine schwierige Gratwanderung bestanden. Dafür gebühren dem Außenminister und dem Bundeskanzler Anerkennung. ({5}) Auf eine politische Lösung für Tschetschenien wurde nachdrücklich gedrungen. Schließlich gelang es auch, den Punkt 23 in die Abschlußerklärung aufzunehmen. Das heißt, es wurde zugestanden, daß der Vorsitzende der OSZE jetzt nach Tschetschenien reist ({6}) und die OSZE-Mission nach wie vor ihrer Arbeit nachgehen kann. Diese Bilanz konnte in schwierigen Verhandlungen unter Einbindung Rußlands erreicht werden; es kam nämlich zu keinem Eklat. Vielmehr wurden die Neufassung des KSE-Vertrages und die Sicherheitscharta verabschiedet. Es gelang also, heftige Kritik zu üben und gleichzeitig Rußland weiter einzubinden, und zwar im Gegensatz zu früheren Gipfelkonferenzen. ({7}) Ich erinnere einmal an den OSZE-Gipfel in Budapest im Jahre 1992. Dort kam es zum Eklat, als die Russen auszogen. Nicht Sie allein tragen dafür die Verantwortung, ({8}) aber die damalige Regierung war mit daran beteiligt. Ganz nebenbei erinnere ich auch an den EU-Gipfel in Brüssel, auf dem Duisenberg berufen wurde. Einen größeren Eklat hätten Sie doch gar nicht veranstalten können. ({9}) Nun zurück zu Tschetschenien: Wenn man vor dem Hintergrund dessen, was in Tschetschenien geschieht, die Sicherheitscharta liest, dann ist ganz klar, daß die Charta das Papier nicht wert ist, auf dem sie geschrieben wurde. Wenn die Charta nicht zu einem Stück beliebiger Konferenzrhetorik verkommen soll, muß intensiv an der Entfaltung ihrer Wirkung, also an ihrer schleunigen Ratifizierung, gearbeitet werden. Was immer die Motive eines islamistischen Extremisten wie Bassajew - jetzt komme ich inhaltlich auf Ihre Kritik zu sprechen, Herr Glos - gewesen sein mögen, sein Einfall nach Dagestan ist durch die Abriegelung abgewehrt worden. Wer auch immer hinter den terroristischen Anschlägen auf Hochhäuser in Moskau und anderswo stehen mag - die Hinweise lassen eher islamistische Extremisten als tschetschenische Extremisten dahinter vermuten; auch das muß man sehen -: Die Attentäter sind zu verfolgen, aber ein ganzes Volk, insbesondere die Zivilbevölkerung, selbst wenn die Attentäter aus Tschetschenien kämen, kann nicht umgekehrt als Geisel genommen und mit systematischem Terror in die Flucht getrieben werden. ({10}) All dies geht offensichtlich mit erweiterten russischen Kriegszielen einher: zunächst Abriegelung Tschetscheniens, jetzt totale Unterwerfung Tschetscheniens und eine totale Revision des Friedens von 1996. Zugleich tritt drohend hinter Putin die russische Generalität mit der Auffassung hervor, daß man sich nicht ein zweites Mal von der Politik den Sieg stehlen lassen dürfe, und spricht von einer Wiedergeburt der russischen Armee in diesem Kriege. Plötzlich erscheint das Erreichen demokratischer Wahlen zur Duma und danach zum Präsidenten vor einem vom Präsidenten eventuell ausgerufenen Notstand oder einem gegen den Präsidenten gerichteten Staatsstreich als ein Ziel mit äußerster Prioriät. Klar ist: Die EU hat zwar eine gemeinsame RußlandStrategie beschlossen, aber wir betreiben keine RußlandPolitik. Es gibt zwar Beziehungen zwischen den politischen Klassen, Reisen parlamentarischer Delegationen, aber kaum Freunde. Die NATO- und EU-Erweiterung, die in Richtung Rußland vorangetrieben wurde und wird, hat in Rußland Gefühle der Isolation hervorgerufen, aber dort nicht für Stabilität gesorgt. Deshalb müssen wir jetzt die Jugoslawisierung Rußlands befürchten und können Rußland im Tschetschenien-Krieg nicht vor sich selbst schützen. Dabei muß auch eine andere Hypothek angesprochen werden, die unsere außenpolitischen Beziehungen schwer belastet und verhindert hat, daß wir Freunde im russischen Volk gewonnen haben. Das hätte erreicht werden können, wenn wir ehrlich vor ihnen gehandelt hätten. Ich spreche von dem Gezerre um die Entschädigung für die Zwangsarbeiter. ({11}) In diesem Zusammenhang möchte ich zugleich dem Grafen Lambsdorff, der sich redlich um dieses Problem bemüht, danken. ({12}) Aber gerade in diesen Tagen wird der Unterschied der Welten, in denen wir und die Opfer deutscher Geschichte leben, besonders deutlich. Wir verfolgen den ersten Versuch einer sogenannten feindlichen Übernahme in unserer Wirtschaft. Mannesmann ist Vodafone 242 Milliarden DM wert. Zugleich hat der Verein „Wider das Vergessen“ unter dem Vorsitz von Hans-Jochen Vogel eine Liste von 1 900 Firmen veröffentlicht, die Zwangsarbeiter beschäftigten, und aus dieser wiederum einen Auszug von 29, die in wesentlichem Umfang Zwangsarbeiter beschäftigten und bis heute dem Entschädigungsfonds der Industrie nicht beigetreten sind. Unter ihnen sind sechs Firmen, die mehr als 10 000 Zwangsarbeiter beschäftigten; die Liste reicht von Dynamit Nobel über Hochtief, Philipp Holzmann, die Deutsche Solvay und die Klöckner-Werke eben bis zu Mannesmann. Bundes- und Landespolitiker stellen sich jetzt zu Recht vor Mannesmann; die Belegschaft fordert zu Recht unsere Solidarität ein. ({13}) Aber über deren Schultern blicken die Überlebenden von 10 035 Zwangsarbeitern, die auch Anspruch auf Solidarität haben. Herr Haussmann, wirken Sie doch auf diese Firmen so ein, wie es viele von uns auch tun. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Pflüger.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lippelt, ich möchte erstens etwas zum Thema Tschetschenien sagen. Sie haben hier behauptet, es sei während der Regierungszeit Helmut Kohls nichts oder so gut wie nichts gemacht worden. Ich kann mich daran erinnern, daß wir immerhin eine gemeinsame Bundestagsresolution zu diesem Thema verabschiedet haben. Das heißt, von einem Schweigen des Bundestages in dieser Situation kann wirklich nicht die Rede sein. Nicht nur Sie haben demonstriert. Vielmehr sind zum Beispiel auch meine Kollegen Schmidt und Koschyk in jener Zeit in Moskau gewesen und haben dort ganz deutliche Worte zum Tschetschenien-Krieg gefunden. Daß während der Regierungszeit Kohls beim ersten Tschetschenien-Krieg die Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes nicht kritisiert worden sei, möchte ich also zurückweisen. Zweitens. Es ist völlig richtig, daß wir zwar - auch auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul - Kritik an Rußland geübt haben, daß wir die Kritik aber auch in einem gewissen Rahmen belassen haben. Das ist notwendig, weil es neben dem Ziel, die Menschenrechte in Tschetschenien zu erhalten - ich glaube, daß dieses Ziel uns allen hier im Parlament sehr wichtig ist -, auch andere moralische Ziele gibt, die wir im Verhältnis zu Rußland bedenken müssen. Wir wollen Rußland als Partner für Abrüstung haben. Wir wollen verhindern, daß Rußland Massenvernichtungswaffen weltweit verbreitet. Wir wollen Moskau als Partner für eine europäische Sicherheitsarchitektur. Deshalb ist es richtig - und auch früher wie heute von den Bundesregierungen praktiziert worden -, Kritik an Rußland zu üben, aber sie in einer Art und Weise zu üben, die Rußland nicht weiter in die Isolierung treibt und uns der Einflußchancen in Moskau ganz beraubt. Der eigentliche Unterschied zwischen früher und heute besteht nicht im Regierungsverhalten, sondern verzeihen Sie - im Verhalten der Grünen. Sie haben früher mit einem, wie ich durchaus fand, sehr erfrischenden Rigorismus und Idealismus für Menschenrechte gestanden und sich gegen solche realpolitischen Überlegungen gewandt. So etwas hat eine wesentliche Bedeutung in einem Regierungssystem wie dem unseren; ich erinnere in diesem Zusammenhang etwa daran, daß Präsident Jimmy Carter eine Menschenrechtsbeauftragte in seiner unmittelbaren Umgebung hatte, die ständig dafür gesorgt hat, daß das Thema Menschenrechte richtig gewichtet worden ist. Heute ist bei Ihnen - das hat natürlich mit dem grünen Außenminister zu tun und stellt Ihr generelles Strukturproblem dar - von dieser deutlichen Kritik weniger zu spüren. Darüber freut sich ja Herr Gysi; er schlägt bei jeder Gelegenheit, angefangen vom Kosovo bis hin zu Tschetschenien, in diese Kerbe. Mit diesem Problem müssen Sie fertig werden. Der Unterschied zur Situation des ersten Tschetschenien-Krieges liegt nicht in den Regierungen Kohl bzw. Schröder, sondern liegt eindeutig in der Tatsache begründet, daß die Grünen sehr schwach sind, wenn es jetzt darum geht, eindeutig moralisch Position zu beziehen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Lippelt!

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Pflüger, ich bedaure, daß Sie heute morgen nicht dagewesen sind. Heute morgen habe ich dem Kollegen Glos eine kurze Frage gestellt. ({0}) Vor dem Hintergrund der Debatte von heute früh würden Sie vielleicht meine Polemik ein wenig besser verstehen. Nun sprechen Sie das Verhalten der Grünen an. Sie meinen, wenn Sie in Moskau etwas sagten, brauchten Sie nicht zu protestieren. Aber uns sagen Sie: Ihr sagt zwar auch in Moskau etwas, aber ihr solltet weiter protestieren. - Damit verkehren Sie die Rolle von Regierung und Opposition. ({1}) Sie sind jetzt in der Opposition. Sie können sehr viel deutlicher protestieren. ({2}) - Herr Kollege Pflüger, ich weise darauf hin, daß der Kollege Kowaljow, der gerade hier war, natürlich auch in unserer Fraktion war. War er bei Ihnen auch? Die tschetschenischen Politiker, die jetzt hier sind und die gestern abend mit dem Kollegen Kowaljow in der Akademie der Künste diskutiert haben, waren sie auf Ihre Einladung hier? Waren sie nicht vielmehr auf unsere Einladung da? Und auf wessen Einladung wird demnächst der tschetschenische Außenminister kommen? ({3}) - Ich hatte erst gedacht, Herr Pflüger sei nicht dabeigewesen. Dann hat er aber genickt. Deshalb sage ich: Er war zwar dabei, er hat aber nichts verstanden. Das ist der Punkt. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion, das Wort.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch bei diesem Haushalt geht es nicht nur darum, wieviel wofür ausgegeben wird. Vielmehr geht es auch um die politische Richtung, die damit befördert werden soll. Ich muß ganz offen sagen: Die ganze Richtung paßt mir nicht. ({0}) - Das verwundert, offen gesprochen, auch niemanden. ({1}) - Komm doch nach vorn. Dann versteht man dich. Die PDS-Bundestagsfraktion wird dem Haushalt des Auswärtigen Amtes nicht zustimmen, weil wir die außenpolitische Linie der Bundesregierung für grundsätzlich falsch halten. Dies will ich begründen. Scheidelinie und Bruchpunkt zu uns war das Ja der Bundesregierung zum Krieg der NATO in Jugoslawien. Als von deutschem Boden wieder Krieg ausging, sind auch Risse zwischen der Regierung und weiten Teilen der Bevölkerung aufgebrochen. Im Krieg gegen Jugoslawien wurden Völkerrecht und Grundgesetz gebrochen, der Zwei-plus-Vier-Vertrag beiseite geschoben, die UNO herabgesetzt und - das wollen wir nicht vergessen - über viele Menschen Leid gebracht. Wir als PDS können heute, weil wir die Bomben auf Jugoslawien kritisiert haben, vorurteilsfrei und glaubwürdig die russischen Bombenangriffe auf Tschetschenien kritisieren. ({2}) Die Bundesregierung kann dies nicht. Sie muß sich von russischen Politikern vorhalten lassen, sie messe mit zweierlei Maß. Das Problem der Bundesregierung besteht darin, daß sie dies nicht erklären kann. ({3}) Die militärische Interessenpolitik im Kosovo hat der Bundesregierung die Freiheit und Souveränität genommen, in Europa und in der Welt die Rolle eines besonnenen Mittlers einzunehmen. Dieses Ziel verfolgt die PDS für die deutsche Außenpolitik. Wir wollen, daß sich Deutschland strikt auf friedliche Mittel beschränkt. Diese Selbstbeschränkung wäre verantwortlich und wirkungsvoll, und nicht zuletzt wäre mit ihr den Menschenrechten mehr gedient als mit der militärischen Karte. Weil die Bundesregierung die militärische Karte in petto haben will, hat sie auch der neuen NATOKonzeption zugestimmt. Zuvor hatte sich die NATO als territoriales Verteidigungsbündnis definiert. Heute nimmt sie für sich in Anspruch, für ihre Interessen weltweit intervenieren zu können. Diese neue NATO bringt aus der Sicht meiner Fraktion nicht mehr, sondern weniger Sicherheit. Daß jetzt auch noch die bislang zivile Europäische Union militarisiert werden soll, ist für die PDS ein weiterer Grund zur Opposition. Die Bundesregierung will die Europäische Union mit militärischen Mitteln ausstatten und mit der NATO verbinden. Die Folge wird eine qualitative Aufrüstung sein. Dies wird das Verhältnis zu den europäischen Ländern belasten, die sich bewußt für die Europäische Union und nicht für die NATO entschieden haben. Eine militarisierte Union wird darüber hinaus die zivilen, sozialen und politischen Strukturen der EU deformieren. Sie kann von anderen Ländern, namentlich von Rußland, als Bedrohung empfunden werden. Das will die PDS ganz und gar nicht. Wer notfalls drohen will, rüstet die Länder mit auf, die in seinem Interessenbereich liegen. Die rotgrüne Bundesregierung hat mit Rüstungsexporten genau da weitergemacht, wo die alte stehengeblieben ist. Einem Leopard 2 für die Türkei werden 999 weitere folgen. Das weiß jeder hier im Hause. Herr Außenminister, daß Sie ein schlechtes Buch eines Ihrer Ministerkollegen öffentlich präsentieren, ist Ihre Sache. Ich finde aber, die Außenpolitik sollte nicht auf der Hardthöhe gemacht werden. ({4}) Wo bleibt gegenüber der Türkei das, was Rotgrün zum letzten Maßstab deutscher Außenpolitik erkoren hat, nämlich Menschenrechte in aller Welt zu wahren? Die deutsche Außenpolitik hat ein gebrochenes Verhältnis zur UNO. Nachdem sie der UNO mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien ihren „schwärzesten Tag“ beschert hat, merkt nun auch die deutsche Außenpolitik, nicht zuletzt auf dem Balkan: Ganz ohne UNO geht es nicht. Deswegen spricht der Außenminister in letzter Zeit mehr über die UNO. Aber das sofort mit dem Anspruch auf einen Platz im Sicherheitsrat und mit Vorschlägen, das Vetorecht zumindest einzuschränken, zu verbinden halte ich für falsch. Ich bin dafür, daß die Macht im Sicherheitsrat mit Ländern aus Afrika, Asien und Lateinamerika geteilt wird. Bei Meinungsverschiedenheiten en detail in der Außenpolitik kann sich die Bundesregierung auf eine grundsätzliche Übereinstimmung mit CDU/CSU und F.D.P. verlassen. Das tut sie auch. Bei allen wichtigen Entscheidungen betont sie die Kontinuität zur Vorgängerregierung. Bis auf die PDS ziehen in der Außenpolitik alle Parteien an dem sprichwörtlichen gemeinsamen Strang. Doch ich sage Ihnen aus Erfahrung, Herr Außenminister: Mehrheiten im Bundestag sind nicht unbedingt Mehrheiten im Leben. Das weiß ich sehr gut. Auch Sie haben das bereits bei Wahlen in den letzten Monaten erfahren. Die Wählerinnen und Wähler von SPD und Grünen wollten einen Politikwechsel und nicht die Fortsetzung der alten Außenpolitik mit anderen Argumenten. Was ich Ihnen vorhalte, Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, ist, daß Sie dabei sind, eine historische Chance zu verspielen. Vielleicht haben Sie sie sogar bereits verspielt. Die Chance wäre gewesen, in Deutschland einen politischen Kurswechsel einzuleiten und ihn gemeinsam mit Mitte-links-Regierungen anderer Länder europäisch zu gestalten. Bei dieser Aufgabe hat die Bundesregierung aus meiner Sicht versagt. Uns als PDS ist dadurch die Aufgabe zugefallen, zu verhindern, daß Menschen, die sich enttäuscht von Ihnen abwenden, bei der rechten Opposition landen; denn das möchten wir auf keinen Fall. ({5}) - Wir warten, was da kommt. Sie können ja mit uns auf diesem Felde konkurrieren. Die Grundlinie unserer Außenpolitik heißt Verantwortung durch Selbstbeschränkung. Wir halten an dem fest, was die beiden Deutschlands im Zwei-plus-VierVertrag bekräftigt haben, nämlich „daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird …“ Wir halten daran fest, „daß die beiden Deutschlands völkerrechtlich erklärt haben, „daß das wiedervereinigte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen“. Wir wollen eine eindeutige Erklärung, daß Deutschland sich künftig daran und an das Gewaltmonopol der UNO hält, und zwar ohne Grauzonen. Von Grauzonen redet die Regierung immer, wenn es um das Völkerrecht geht. Leider bewegt sich diese Regierung in Grauzonen. Man kann zum Beispiel nicht in Washington die Selbstmandatierung der NATO unterschreiben und sich gleichzeitig in New York zur Charta der Vereinten Nationen bekennen. Der Widerspruch zwischen neuer NATO-Strategie und UNO-Charta ist eine Grauzone, in der jeweils nach eigenem Interesse gehandelt wird. Ich wiederhole unseren Vorschlag, die OSZE weiter auf- und die NATO abzubauen. Die Sicherheitspartnerschaft mit Rußland liegt ebenso im deutschen Interesse wie eine Partnerschaft mit den USA, beides bitte ohne Unterordnung. Da gibt es in bezug auf Rußland wohl auch kein Problem. Europa hat viele drängende Aufgaben: gemeinsam soziale wie ökologische Standards herzustellen, die Erweiterung der EU zu befördern und gezielte Stabilitätshilfe für alle Länder des Balkans zu leisten, einschließlich Jugoslawiens. Das gemeinsame Haus Europa wird viele Räume haben. Eine Waffenkammer jedoch, so meine ich, braucht es nicht. ({6}) Ich höre schon jetzt Ihren Einwand - einige Einwände sind schon vorgebracht worden; auch dieser wird noch kommen -, daß ich Vorschläge unterbreite, die sich früher in den Programmen der SPD und der Grünen befunden haben sollen. Selbst wenn dem so sein sollte, ist das kein Argument gegen diese Vorschläge. ({7}) Es war mehr Richtiges an dem, was die Koalitionsparteien vor der Wahl vertraten, als an dem, was sie seither tun. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Christian Schmidt, CDU/CSU.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Kuddelmuddel war ein Wort, das Sie, Frau Kollegin Titze-Stecher, ({0}) in einem Zusammenhang verwendet haben, der einige Fragen zum gegenwärtigen Haushalt aufwirft. Kollege Frankenhauser hat dazu schon einiges gesagt. ({1}) Ich will nicht alles noch einmal beleuchten. Aber ein paar Punkte sind anzusprechen: Frau Kollegin TitzeStecher, ich habe es sehr begrüßt, daß Sie die Frage der Schließung der Generalkonsulate - namentlich Apenrade, Stettin, Oppeln und Temesvar - problematisiert haben. Wir werden uns einer sinnvollen Lösung, die nicht weiße Salbe darstellt, sondern die vorhandenen Bedürfnisse - und zwar nicht nur die von Ihnen angesprochenen Visabedürfnisse - befriedigt, sicherlich nicht verschließen. Nur, ich habe den Eindruck - das ist keine Frage der Haushälterei, sondern eine Frage der politischen Grundlinien -, daß es hier um etwas anderes geht, nämlich um die Beantwortung der Frage, wie wir im Jahre 2000 mit deutschen Minderheiten außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland umgehen. Sie haben darauf hingewiesen, daß das Verschwinden des Ost-WestKonfliktes andere Prioritäten verlangt. Ja, wir kommen zu einem Europa der Regionen. Gerade angesichts dessen halten wir es für unabdingbar, daß wir uns - so wie um viele andere - auch um diejenigen kümmern, die sich uns besonders verbunden fühlen. Herr Bundesminister, die Worte, die Erzbischof Nossol in diesem Zusammenhang an Staatssekretär Ischinger gerichtet hat, sind sehr eindrucksvoll und deutlich gewesen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß das auch Wirkung zeigt und daß die deutsche Minderheitenpolitik nicht dazu führt, daß sich beispielsweise die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein fragt, was mit ihrem dänischen Generalkonsulat in Flensburg passiert. Das wäre wahrlich keine wünschenswerte Entwicklung in einem Bereich, in dem sich nach dem Krieg zwischen Dänemark und Deutschland ein Musterbeispiel an grenzüberschreitender Minderheitenpolitik entwickelt hat, die schweren Schaden nehmen könnte. Auch ein anderer Punkt stößt mir sehr auf. Er hat zwar nicht unmittelbar mit dem Einzelplan 05 zu tun, muß aber einmal angesprochen werden: Herr Kollege Volmer, Sie haben in einer Presseerklärung, die Sie ohne Ihren Titel als Staatsminister zu bemühen - für die Fraktion der Grünen abgegeben haben, von 50 Millionen DM für die Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung gesprochen. Wenn man gleichzeitig der Stiftung Wissenschaft und Politik - die auch nicht Bestandteil dieses Haushaltes ist - nur mit Mühe ein Domizil in Berlin verschaffen kann, dann stimmt etwas nicht in der Grundfrage, wie sich Außen- und Sicherheitspolitik begrünWolfgang Gehrcke det, wer beraten werden soll und wie er beraten werden soll. ({2}) - Herr Kollege Schlauch, vielleicht nehmen Sie die Dienste der Stiftung Wissenschaft und Politik nicht in Anspruch, weil Sie sich mit den Dingen, mit denen sich diese Stiftung befaßt, nicht beschäftigen. Aber es gibt bei solchen Stiftungen durchaus noch viel Finanzbedarf, der nicht befriedigt werde kann, weil er für eine grüne Spielwiese gebraucht wird. Dafür habt ihr 50 Millionen DM übrig. Darum müßt ihr euch meine Einwände schon anhören. ({3}) Wenn man sich die Arbeit der Stiftung Wissenschaft und Politik genauer anschaut, dann wird man an der Diskussion, was die Grundausrichtung der deutschen Außenpolitik sein soll, nicht vorbeikommen. An dem Disput zwischen Herrn Lippelt und Herrn Pflüger haben wir gemerkt, um was es eigentlich geht. Es gibt Unbehagen darüber, daß Joschka Fischer in Kassel gesagt hat: Ich mache keine grüne Außenpolitik, ich mache deutsche Außenpolitik. Von manchen Grünen wird dies als Realpolitik beschrieben - mit dem dazugehörigen Hautgout. Es muß dennoch gefragt werden: Sind die Axiome der deutschen Außenpolitik von grünem Denken geprägt? Es gibt ein sehr nobles Denken in Sachen Menschenrechte. Herr Kollege Lippelt, ich stimme mit Kowaljow und Memorial, die Herr Poppe während des ersten Kosovo-Krieges intensiv betreut hat, überein; ich nehme für mich und uns ein klein wenig in Anspruch, auch etwas getan zu haben. Aber es ist nicht zu übersehen, daß die Einhaltung der Menschenrechte nicht das einzige Axiom ist. Das ist für viele Grüne ein bitterer Erkenntnisprozeß. Man fragt sich, ob er wirklich stattgefunden hat. Wir haben damals im Auswärtigen Ausschuß heftig über die Mitgliedschaft Rußlands im Europarat debattiert. Wir waren überwiegend der Meinung, daß es besser ist, Rußland im Europarat zu haben, um Überzeugungsarbeit leisten zu können. Wir wußten aber genau, daß dafür auch andere Mittel notwendig sind. Dazu gehört ein Vertrauensverhältnis. Und in diesem Punkt will ich Ihnen entschieden widersprechen: Das Vertrauensverhältnis zwischen Deutschland und Rußland, zwischen der damaligen Bundesregierung und dem Bundeskanzler und der russischen Führung, war zu Zeiten des ersten Kosovo-Krieges sehr viel besser, wir waren sehr viel einflußreicher, als wir es heute sind. ({4}) Dieses Defizit kann man nicht auf einem OSZE-Gipfel ausgleichen. Ich gestehe zu, daß die Spätphase mit Jelzin viel problematischer ist, als die Zeit mit Jelzin in den Jahren 1994 und 1995 war. ({5}) Aber die Verläßlichkeit der deutschen Politik - alle Abmachungen wurden eingehalten, bis die letzten russischen Soldaten durch das Brandenburger Tor abmarschiert sind - war eine Grundkonstante. Sie wurde geboren aus dem deutschen Interesse. Ich habe den Eindruck, daß die Definition des deutschen und europäischen Interesses das heiße Eisen ist, ({6}) um das die grüne Katze wie um den heißen Brei herumschleicht. ({7}) Man sollte sich eingestehen, daß es Problemfälle gibt, die man nicht allein mit dem Argument der Menschenrechte beantworten kann. Frau Roth wird ihre Schwierigkeiten haben, ({8}) wenn sie erklären muß, wieso in Helsinki Verhandlungen über den Beitritt der Türkei beschlossen werden sollen, obwohl das 4. Finanzprotokoll im Europäischen Parlament - zu einer Zeit, als sie ihm angehörte - nicht beschlossen worden ist. Es hat damals keine Mehrheiten gefunden. All diese Fragen sind doch nur ein Symptom für die Probleme, die Sie haben. Nun zu den Vereinten Nationen; der Kollege Brecht wird anschließend noch sprechen. Wir befinden uns in der Frage der Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat in einer Kontinuität. Nur fragt sich, mit welcher Intensität man dieses Ziel verfolgt. Jedenfalls werden die Stand-by-Arrangements Herr Bundesminister, in der deutschen Öffentlichkeit nie breit diskutiert. ({9}) Wenn sozusagen angeboten wird: Wir stehen zur Verfügung, wir sind immer gern bereit, etwas zu tun, dann kommt Osttimor dabei heraus. Das ist der Punkt, über den wir jenseits aller Polemik in diesem Parlament und in camera caritatis reden müssen. Wir müssen fragen, wie wir uns definieren, und zwar an Hand der von der Größe her reduzierten - wenn es nach uns ginge, wäre das nicht geschehen - Bundeswehr und unter Beachtung unserer Interessen. Wir müssen fragen, wie, wo und in welchem Umfang wir bereit sind, uns politisch und gegebenenfalls auch militärisch zu beteiligen. Diese Frage ist sehr wichtig, weil wir unsere Entscheidung vor jedem Soldaten, den wir in den Einsatz schicken, verantworten müssen. Wir müssen sagen können: Du tust das, weil es der Interessenlage unseres Landes entspricht. Deswegen ist hier Nachdenken angesagt. ({10}) Zum Thema Orientierung möchte ich einen weiteren Punkt - nicht einmal kontrovers - in die Diskussion einbringen. Wir hatten vor kurzem eine Debatte über ein für uns nicht erfreuliches Thema: das Stimmverhalten Christian Schmidt ({11}) des US-Senats zum Atomteststoppabkommen. Wir alle waren darüber nicht sehr erbaut. Unsere Debatte zu diesem Thema war sehr konstruktiv. Wir haben auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Kreisen darüber gesprochen, welches die amerikanischen Beweggründe sind. Ich halte eine kurzfristige taktische Überlegung nach wie vor für einen Beweggrund. Aber in der Tat: Wenn eine Tendenz bestehen sollte, aus dem Vertragsregime der Rüstungskontrolle herauszugehen, weil manche in den USA der Meinung sind, es ließe sich mit Blick auf die sogenannten Schurkenstaaten nicht mehr rechtfertigen, dann stellen sich für uns ganz entscheidende Fragen, die in den nächsten Jahren diskutiert werden müssen. Ad eins: Welchen Weg gehen wir? Ich bin der Meinung, wir müssen beim Vertragsregime bleiben, soweit es nur geht. Ad zwei: Wenn es so ist, daß in den USA die Befürchtung besteht, es werde eine Verletzung ihres eigenen Territoriums durch sogenannte Schurkenstaaten, das heißt durch Raketen, möglich sein, und wenn man beginnt, eine nationale Raketenverteidigung aufzubauen - das gehört in diesen Kontext hinein -, dann stehen wir vor Fragen wie im Jahre 1979, nämlich vor der Frage -

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, bevor Sie weiter fortfahren: ({0}) Ihre Redezeit ist erstens deutlich überschritten, und zweitens will Kollege Brecht Ihnen durch eine Zwischenfrage noch die Gelegenheit geben, weiterzureden. Vielleicht nehmen Sie diese Möglichkeit wahr?

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich nehme diese Möglichkeit sehr gerne wahr.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schmidt, ich muß noch einmal auf den vorherigen Punkt, den Sie angesprochen haben, zurückkommen. Das Präsidium hat mich leider nicht eher bemerkt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich dafür, daß Sie darauf zurückkommen. Das ist eine kollegiale Geste.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben kritisiert, daß es in der deutschen Außenpolitik offensichtlich Unklarheiten über die Ausdehnung ihres Engagements gibt. Speziell haben Sie unser Engagement in Osttimor kritisiert. Sind Sie bereit, solche Aussagen auch gegenüber den Japanern, den Australiern oder anderen Staaten vorzubringen, die sich zum Beispiel durch die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen oder durch aktive finanzielle Hilfe im früheren Jugoslawien engagiert haben?

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das habe ich beispielsweise gegenüber australischen Politikern getan, aber nicht, weil ich grundsätzlich der Meinung bin, daß wir in Osttimor nie etwas verloren hätten. Vielmehr müssen wir uns schon die Frage beantworten, ob wir symbolische Politik zu unserem etwaigen eigenen Nutzen, Mitgliedschaft im Sicherheitsrat, betreiben. Das Wort „symbolische Politik“ ist übrigens auch in Ihren eigenen Reihen mehrfach benutzt worden. Das zeigt mir, daß wir in dieser Frage Anlaß zur Diskussion haben. Wir haben das für uns mit großer Mehrheit beschlossen. Die Geschichte wird dadurch hoffentlich sehr bald beendet sein. Ein zweites Mal wird das in dieser Form nicht laufen können. Darüber müssen wir vorher diskutieren. Sie haben gemeint, daß ich die Frage, die Sie gestellt haben, dahin gehend ergänzen sollte, zu sagen, was 1979 gewesen ist. Damals war das Argument für den NATODoppelbeschluß die Frage, ob ein Abkoppeln amerikanischer von europäischen Sicherheitsinteressen droht oder nicht. Ich sehe, daß eine solche Gefahr potentiell nicht von Europa her droht und daß die deutsche Politik erhebliche Anstrengungen unternehmen muß, um zu verhindern, daß sich in den transatlantischen Beziehungen unterschiedliche Sicherheitsphilosophien entwickeln und Orientierungen nur auf den eigenen Bereich Platz greifen. Ich befürchte, das ist eine Grundfrage der politischen Diskussion in den nächsten Jahren. Die wird für uns nicht leicht zu beantworten sein. Herr Präsident, ich bedanke mich. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPD. ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Christian Schmidt, Sie haben eben einen wichtigen Punkt angesprochen, über den in der Tat weiter zu debattieren sein wird, weil wir in den USA - wir haben noch etwa ein Jahr bis zur Präsidentenwahl in den USA - wohl eine Verstärkung von unilateralen Tendenzen erleben werden. Das ist genau der Punkt. Im europäischen Interesse liegt es, daß multilaterale Schritte weiter vollzogen werden, und diese Bundesregierung hat dafür gesorgt, daß das geschehen kann. ({0}) Weil Sie die Kritik geäußert haben, es sei symbolhaft gewesen, was die Bundesregierung an vielen Punkten gemacht hat, will ich dazu kurz etwas sagen. Ich greife einmal das heraus, was Sie zu dem Thema eines der großen Konflikte, den wir in diesem Jahr erlebt haben und der noch nicht zu Ende ist, gesagt haben. Ich meine den Kosovo-Krieg. Wer war es denn, der dafür gesorgt hat, daß es nicht allein um die militärische Logik ging, der dafür gesorgt hat, daß von Beginn an diese militäriChristian Schmidt ({1}) sche Logik unter den Zwang der politischen Logik gestellt wurde, der dafür gesorgt hat, daß nicht ein Krieg gegen Serbien als solches geführt wurde, der vielmehr herausgestellt hat, daß es darum ging, eine drohende faschistische Diktatur zu brechen? Ferner ging es darum, dafür zu sorgen, daß die zivilen Kräfte in Serbien eine neue Perspektive bekommen. ({2}) Der Stabilitätspakt stellt keine Symbolpolitik dar, sondern ist ein Angebot der Europäisierung an diesen schwierigen Raum in Südosteuropa. ({3}) Das ist konkrete Politik, mit der wir das, worum es geht, vorantreiben, nämlich die zivilen Kräfte überall in Europa zu stärken, unabhängig davon, ob sie im verdichteten Raum der westeuropäischen Integration leben. Das ist der zentrale Punkt, auf den es ankommt. Der Gewinn von Frieden, der Gewinn von Stabilität kann nur gelingen, wenn die Kräfte der zivilen Gesellschaft von unten gestärkt werden. Wir Westeuropäer - das dürfen wir mit Stolz sagen; jeder, der hier ist, hat seinen Beitrag geleistet - haben aus der Vergangenheit genau die Lehren gezogen, auf die es ankam, nämlich Prozesse der Integration, des Zusammenwachsens, des Zusammenlebens von Menschen und Gesellschaften, von nationalen Orientierungen voranzutreiben. Das ist das aktive Modell, das Europa anbieten kann. Nun kommt es darauf an, all den europäischen Regionen, die bisher die Chance zur Integration, zur Öffnung nach Westeuropa noch nicht bekommen haben, diese Chance zu bieten. Südosteuropa ist dafür eine der zentralen Regionen. Diese Bundesregierung, Gerhard Schröder und Joschka Fischer, haben in diesem Jahr bewiesen, daß sie das können, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. ({4}) Vielleicht darf ich noch eine Bemerkung zu diesem ersten kriegerischen Konflikt machen. Wir haben ihn ja alle selbst erlebt und erlitten. Dieser Krieg hat uns auch gezeigt, daß wir an die Grenze unserer politischen Möglichkeiten gedrängt worden sind. Ich meine das auch im Hinblick darauf, daß die inneren Kräfte dafür aufgebracht werden mußten, damit dieser Krieg in dieser Form - mit allen seinen Schrecknissen - durchgestanden werden konnte. Das hat mit dazu geführt, daß der Krieg im Juni eingestellt und dann eine politische Perspektive eröffnet werden konnte. Diese Grenze unserer Möglichkeiten haben wir erfahren. Es ist wichtig, daß es eine politische Öffentlichkeit gibt, die diese Grenzen, diese Ränder der politischen Möglichkeiten ausleuchtet und kritisisch betrachtet. Ich bin dankbar dafür, daß diese Debatte und diese Kritik auch in diesem Parlament eine Rolle haben spielen können. Ich möchte jetzt auf einen weiteren kriegerischen Konflikt dieses Jahres zu sprechen kommen. Ich setze darauf, daß auch in der russischen Öffentlichkeit die kritischen Fragen, die bereits jetzt gestellt werden, Widerhall finden. Sergej Adamovitsch Kowaljow war gestern hier, und heute ist ein Kollege aus dem tschetschenischen Parlament anwesend, der auf der Besuchertribüne sitzt und uns zuhört. Ich hoffe sehr, daß diese Kritik in der russischen Öffentlichkeit stärker Platz greift. Denn es war die wichtigste Lehre aus dem ersten Krieg in Tschetschenien, daß es eine kritische, aufmerksame, harte Debatte in der russischen Öffentlichkeit gegeben hat. Wir müssen dafür sorgen und dabei mithelfen, daß unsere Kollegen in der Duma und die russischen Intellektuellen mit dazu beitragen können, daß dieser zweite Tschetschenien-Krieg genauso beendet werden kann wie der erste Tschetschenien-Krieg. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Tschetschenien, bitte sorgen Sie dafür, daß man die Gründe, die es gibt, kritisch gegenüber Ihrer eigenen Region zu sein, selbst erkennt. Terrorismus kann und darf kein Instrument sein, auch nicht, wenn vorgetäuscht wird, daß es um einen Befreiungskampf geht. Terrorismus darf überhaupt kein Instrument sein! ({5}) Deshalb war es gut, daß auch die Bundesregierung für die Durchsetzung des Punktes 23 der OSZE-Erklärung er ist ja vorhin schon zitiert worden - gesorgt hat. Die OSZE hat gute Möglichkeiten. Das Mandat der OSZE ist erneut eröffnet, bestätigt und gestärkt worden. Jetzt kommt es darauf an, daß die OSZE es nutzt, daß sie auf beide Seiten einwirkt und beiden Seiten deutlich macht: Mit kriegerischen Aktionen läßt sich niemals Frieden herstellen. Es kommt darauf an, daß innerhalb dieser Region die sozialen Interessen, die territorialen Interessen, die demokratischen und verfassungsmäßigen Interessen zu einem Ausgleich geführt werden. Ich bitte Sie darum, liebe Kolleginnen und Kollegen aus Tschetschenien, mitzuhelfen, daß es einen konstruktiven Dialog zwischen Rußland und Tschetschenien gibt. Das wäre eine Hilfe, damit dieser zweite schreckliche Krieg, den wir 1999 erleben, rasch beendet wird. ({6}) Am 19. Dezember sind die Wahlen zur Duma. Es ist schon erforderlich - der Kollege Pflüger und andere haben schon darauf hingewiesen -, daß wir Parlamentarier eine härtere Sprache an den Tag legen als die Regierung. Ich möchte auch bitten, alle zur Verfügung stehenden Instrumente - ich höre, das geschehe bereits, das werde bereits in die Wege geleitet - zu nutzen, auch die der OSZE-Parlamentarierversammlung. Wer könnte uns, die OSZE-Parlamentarier, denn daran hindern, den Beschluß, den wir in Petersburg - Sie erinnern sich, Frau Grießhaber - gefaßt haben, umzusetzen, wonach laut Ziffer 111 der Deklaration ein Forum in der Nähe der Konfliktregion eingerichtet werden soll, auf dem all diejenigen, die etwas zu sagen haben, die über die Lage der Flüchtlinge informieren können, Wege aufzeigen können, wie dieser Konflikt politisch gelöst werden kann? Wer hindert uns daran, daß die OSZE ein solches Forum in der Region eröffnet? Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir Unterstützung dafür finden könnten, daß der 3. Ausschuß der OSZEGert Weisskirchen ({7}) Parlamentarierversammlung, zuständig für Demokratie, Menschenrechte und humanitäre Fragen, vielleicht in Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Europarat, den Betroffenen die Chance gibt, miteinander zu debattieren, vielleicht Lösungswege aufzuzeigen und diese in die Duma hineinzutragen. Sergej Adamovitsch Kowaljow hat mir gestern zugesagt, daß er nach der Wahl diesen Vorschlag aufgreifen werde. Ich finde es gut, wenn die Duma bereit wäre, einen solchen Weg zu gehen. Er könnte mit dazu beitragen, daß dieses Problem anders behandelt wird als bisher. Militärische Logik - das sagt Grigorij Jawlinskij in seinem Aufsatz, den er kürzlich, am 23. November, in der „Welt“ veröffentlicht hat - führt zur geopolitischen Katastrophe Rußlands. Das sagt Grigorij Jawlinskij, und wir teilen seine Auffassung. Wir hoffen, daß die Demokraten in Rußland die Chance haben, in der Duma so stark zu werden, daß diese militärische Logik in Rußland endlich keine Geltung mehr besitzt. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt also in Gesamteuropa einen sich verdichtenden Raum der Integration. Wir Westeuropäer haben die Lektionen der Geschichte gelernt. Die Präsidentschaft dieser Bundesregierung in der Europäischen Union hat an ebendiesem Projekt gearbeitet. Ich finde, die Bundesregierung hat die Präsidentschaft konstruktiv genutzt. Sie hat mit dazu beigetragen, daß die EU gestärkt worden ist. Wir danken der Bundesregierung dafür, daß sie das getan hat. ({9}) Ich sage das mit aller Deutlichkeit, weil Sie, Herr Haussmann, vorhin die Bundesregierung kritisiert haben. Sonst hätte ich diese etwas überzogene Position nicht bezogen. ({10}) Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu dem machen, was Sie gesagt haben, Herr Haussmann. Sie haben die WTO angesprochen. In diesem Zusammenhang haben Sie zu berücksichtigen, daß der amerikanische Präsident, als die WTO in Marrakesch in neuer Form gegründet worden ist, dafür hat werben wollen und es hat durchzusetzen versucht, daß in der WTO soziale Mindeststandards und Umweltmindeststandards einzubeziehen sind. Ihre Regierung hat das damals verhindert. Das hat mit dazu beigetragen, daß die WTO einen Kernbestand von sozialen und Umweltstandards nicht berücksichtigt hat. Diese Bundesregierung will in Seattle dafür sorgen, daß diese grundlegenden Standards in die WTO einbezogen werden. An diesem Punkt sehen Sie, daß es nicht um Symbolpolitik, sondern um die klare Vertretung der sozialen Interessen der Arbeitnehmerschaft bei uns in Deutschland und in Europa geht. ({11}) - Lieber Kollege Haussmann, darüber werden wir, wenn Seattle vorbei sein wird, noch einmal reden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahr 1999 ist die Furcht, die Ossip Mandelstam geäußert hat, als er am Ende des letzten Jahrhunderts in das neue Jahrhundert geblickt hat, nicht in Erfüllung gegangen. Er hat gesagt, es komme ein „Wolfshundjahrhundert“. Ja, viele Züge in diesem Jahrhundert haben dieses Wolfshundgesicht gehabt. Aber am Ende dieses Jahrhunderts gibt es positive Perspektiven: einen europäischen Verdichtungsraum der Integration und Angebote für andere Räume, die noch nicht in diesen Integrationsprozeß einbezogen sind. Ich wünsche mir, daß diese Bundesregierung - das hat sie in diesem Jahr auch schon gezeigt - auf diesem Weg des Angebotes einer erweiterten Integration voranschreitet, damit Europa ein Kontinent des Friedens wird. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als nächster Redner spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Peter Hintze. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen diese Debatte in dem Bewußtsein, daß es die letzte Haushaltsdebatte im zu Ende gehenden 20. Jahrhundert ist und es zugleich um den ersten Haushalt im anbrechenden 21. Jahrhundert geht. ({0}) Mit dem neuen Millennium erleben wir einen Datumswechsel. Eine Zeitenwende ist es nicht. Politisch und ökonomisch ist sie schon geschehen. Seit 1989 leben wir in Europa in einem neuen Zeitalter. ({1}) Das verdanken wir dem Freiheitswillen der Menschen, und nicht zuletzt verdanken wir das der Standfestigkeit der westlichen Politik. ({2}) Der Weg einer verstärkten wirtschaftlichen und politischen Integration im Westen Europas war erfolgreich. Dagegen erschien der politische und ökonomische Mißerfolg des Kommunismus und seiner Idee vom Zusammenschluß unter Führung der Sowjetunion um so drastischer. Der Wunsch, zum freien Teil Europas zu gehören, hat die Menschen von Tallinn bis Sofia auf die Straße gebracht. Unsere offene Sympathie für ihren Mut hat ihnen einen guten Teil der Kraft gegeben, die friedlichen Revolutionen zum Erfolg zu führen. Das Wissen um das Privileg, für Europa dauerhaft und umfassend Stabilität in Frieden und Freiheit schaffen zu können, macht auch Enttäuschungen auf dem schwierigen Weg der Einigung Europas leichter verGert Weisskirchen ({3}) kraftbar und rechtfertigt den materiellen Aufwand als eine Investition in eine gemeinsame gute Zukunft. Am Ende des dramatisch verlaufenden 20. Jahrhunderts - da stimme ich mit meinem Vorredner überein - leben wir im besten Europa, das es je gab. Daß wir an diesem Projekt weiterarbeiten können, ist eine Sache, die uns verbindet und die uns auch stärken kann. ({4}) West und Ost waren in Europa nicht nur geographische Kategorien. West und Ost symbolisierten über vier Jahrzehnte hinweg gegensätzliche politische Begriffe: frei gegen unfrei, demokratisch gegen diktatorisch, marktwirtschaftlich gegen planwirtschaftlich, erfolgreich gegen erfolglos und menschlich gegen unmenschlich. Wie in Deutschland muß auch in Europa die schwere kommunistische Erblast abgetragen werden. Das wirtschaftliche Desaster, die ökologische Katastrophe und die menschliche Tragödie als Ergebnis der linken Diktatur haben tiefe Wunden auf unserem Kontinent gerissen. Die Europäische Union leistet bereits heute erhebliche Unterstützung für den Reformprozeß in den mittelund osteuropäischen Staaten, damit dieser gelingt. Die erfolgreichen Programme Phare und Tacis sind hier zu nennen. Doch die wirksamste Wirtschaftshilfe ist eine klare Perspektive für den Beitritt zur Europäischen Union. ({5}) Sie bietet Sicherheit für die Investoren, stärkt die demokratischen Regierungen in den Beitrittsländern und gibt den Menschen dort Hoffnung für eine dauerhaft bessere Zukunft in ihrer Heimat in Europa. ({6}) Nun haben wir auch in dieser Debatte immer wieder das Thema des richtigen Datums erwähnt. Der Kollege Haussmann hat es gerade dazwischengerufen. Ich finde eines wichtig: Die Qualität dieses Prozesses und das Tempo dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Beitrittskandidaten brauchen eine klare Perspektive, um bei sich zu Hause die Reformen, die sie beitrittsfähig machen, durchzusetzen. Wir haben die Pflicht und Schuldigkeit, alles daranzusetzen, um unsere Erweiterungsfähigkeit zügig herzustellen und diesen Prozeß zu einem guten Ergebnis zu bringen. ({7}) Als unglücklich empfinde ich die Leichtfertigkeit, mit der die Bundesregierung immer neue EU-Mitgliedschaften in Aussicht stellt. Ich erinnere an die Worte in Richtung Balkan, aber auch an die Hoffnungen, die jetzt voreilig in der Türkei geweckt werden. Vor der Frage nach dem „wann“ muß immer auch die Frage nach dem „ob“ gestellt werden. Die Frage nach dem „ob“ ist an klare Kriterien gebunden. Das ist doch wohl klar. Ob diese Kriterien erfüllt werden, ist zunächst einmal im Falle der Türkei eine Frage an die Türkei selbst. Zur Zeit erfüllt sie diese Kriterien nicht. Politische Defizite, etwa in der Menschenrechtspolitik oder in der Frage nach der Rolle des Militärs, aber auch in wirtschaftlichen Fragen müssen vor der Einleitung einer wie auch immer gearteten Beitrittspolitik klar ausgeräumt sein. ({8}) Das Dilemma, das wir dem Bundesaußenminister, Ihnen, Herr Fischer, verdanken, liegt darin, daß in der Türkei eine Nichtgewährung des offiziellen Kandidatenstatus nach Ihren Einlassungen beim Europäischen Rat in Helsinki als schwerer Affront empfunden würde. Sie haben dadurch die Entscheidungsfreiheit der Europäischen Union deutlich beschädigt. Wir wollen der Türkei keine unhaltbaren Versprechungen machen, die uns voreilig binden. Die Fairneß gegenüber dem Nato-Partner verlangt allerdings die Einlösung der in der Vergangenheit gegebenen Zusagen. Im Finanzprotokoll wird immer auf Griechenland verwiesen, wir verweisen hier auf die Grünen und auf die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, die unserem Bündnispartner bisher die Zustimmung verweigert und das Finanzprotokoll blokkiert haben. Diese Blockade muß aufgehoben werden. Ziel der nächsten Reform der EU-Verträge ist es, die Europäische Union baldmöglichst erweiterungsfähig zu machen. Alle Fragen, die für die Erweiterung wichtig sind, müssen deswegen rasch auf den Tisch. Das bedeutet für die Regierungskonferenz die Konzentration auf die wichtigsten Themen, aber nicht die Beschränkung auf die „left overs“. Wir müssen jetzt Europa definieren, das heißt, wir müssen über die Grenzen und darüber sprechen, wie wir uns Europa vorstellen. Wir müssen die Institutionen handlungsfähig machen, um dieses Europa wirksam zu gestalten. ({9}) Ich persönlich finde den Vorschlag von Jean-Luc Dehaene, Richard von Weizsäcker und Lord Simon überzeugend, die bestehenden Verträge aufzuteilen. Ein kurzer, leicht verständlicher Text sollte Vorläufer eines europäischen Verfassungsvertrags sein, der die Grundrechte enthält, institutionelle Fragen klärt und die Kompetenzabgrenzung vornimmt. Ein zweiter Vertragsteil, der einfacher zu handhaben ist als das bisherige komplizierte Ratifizierungsverfahren, sollte die Regelungen der einzelnen Politiken beinhalten. Dazu gehört auch ein weitgehender Übergang zu Mehrheitsabstimmungen im Ministerrat. Nur so können Blockaden und unangemessener Druck verhindert werden. Das Europäische Parlament sollte das Recht erhalten, den Präsidenten der Kommission zu wählen und künftig über den gesamten Haushalt der Europäischen Union mit zu entscheiden. ({10}) Die Europäische Union würde sich dadurch in Richtung auf ein parlamentarisches System weiterentwickeln. In ihm wäre ein in seinen Legislativrechten gestärktes Europäisches Parlament als Vertretung der Bürger Europas die erste Kammer und der Rat als Vertretung der Staaten die zweite Kammer. Das Europäische Parlament hat die nationalen Parlamente eingeladen, Vertretungen in Brüssel und Straßburg, also Kontaktbüros der nationalen Parlamente beim Europäischen Parlament, zu errichten. Der Vorsitzende des Europaausschusses, Friedbert Pflüger, hat hier die Anregung gegeben, daß wir als Deutscher Bundestag das tun. ({11}) Ich möchte das für die CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich unterstützen und rufe die anderen Fraktionen auf, sich daran zu beteiligen. ({12}) Wir können uns nicht darüber beschweren, daß manche Dinge in Brüssel oder Straßburg an uns vorbeigehen, wenn wir die Chancen und Möglichkeiten zu einer solchen Verknüpfung nicht nutzen. Nun hat mein verehrter Vorredner, wie auch heute morgen der Bundeskanzler, die Agenda 2000 als eine große Grundlage für eine positive Gestaltung des Erweiterungsprozesses gepriesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundeskanzler hat sogar gesagt, die Agenda 2000 wäre ein Durchbruch für Europa. Ich muß sagen: Es war eher ein Einbruch für Europa, ({13}) nämlich eine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner mit schwerwiegenden Folgen, nämlich mit der Folge, daß weder in der Agrarpolitik noch in der Strukturpolitik, noch in der Finanzpolitik die Voraussetzungen für die Erweiterung wirklich gelegt sind. Die materielle Basis ist mehr als fragil. Zu der ganzen Kette von Pannen und Fehlern dieser Regierung gehört, daß im Vorfeld dieser Konferenz in Berlin etwa die Kofinanzierung bei den Direktbeihilfen für die Einkommen der Landwirte ohne jede Gegenleistung fallengelassen und damit die Chance, hier einen grundlegenden Ausgleich sicherzustellen, aufgegeben wurde. Das war ein schwerer Fehler, der uns im Erweiterungsprozeß noch zu schaffen machen wird. ({14}) Wenn am 17. Dezember dieses Jahres in Brüssel mit der Ausarbeitung der Grundrechtscharta der Europäischen Union begonnen wird, bedeutet dies nicht nur die Erfüllung einer seit langem bestehenden Forderung des Deutschen Bundestages. Die Grundrechtscharta bietet die große Chance, uns am Ende dieses Jahrhunderts Klarheit über den weiteren Fortgang der europäischen Integration und über die künftige Gestalt der Union zu verschaffen. Der Deutsche Bundestag wird morgen für die Sozialdemokraten Professor Meyer als ordentliches Mitglied und für die CDU/CSU-Fraktion Peter Altmaier als stellvertretetendes Mitglied des Konvents entsenden. Das sind zwei in europäischen Grundrechtsfragen ausgewiesene Kollegen. Ich habe für uns die Anregung, daß wir diese Debatte über die Grundrechte in Europa und über die zukünftige Gestalt Europas nicht allein diesem Konvent überlassen, sondern daß wir die Mitwirkung unserer Kollegen nutzen, um diese Debatte auch hier im Deutschen Bundestag parlamentarisch zu begleiten. ({15}) Wo ich gerade bei den Anregungen bin: Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, am 6. Dezember ({16}) - ist nicht nur der Nikolaustag, wie Frau Kollegin Roth zutreffend reinruft. Am 6. Dezember muß der Rat darüber entscheiden, ob er dem derzeitigen Inhaber des Amtes des Koordinators für den Stabilitätspakt auf dem Balkan, Herrn Bodo Hombach, einen neuen Auftrag für das kommende Jahr erteilt. ({17}) Ich habe von zwei führenden, nein, führend sind sie nicht mehr: von zwei prominenten Sozialdemokraten gelesen bzw. gehört, Hombach sei im Kanzleramt eine Katastrophe gewesen. Ich kann das nur teilweise beurteilen. Ich kann nur sagen: ({18}) - Er meint, er war total eine Katastrophe; in Ordnung. Die Regierung hätte die Chance, Europa einen Dienst zu erweisen, dem Balkan einen Dienst zu erweisen, einen schwerwiegenden Fehler zu korrigieren und einmal eine vernünftige Personalentscheidung zu treffen und dieses Mandat für Herrn Hombach nicht zu verlängern und damit Europa wirklich etwas Gutes zu tun. Herzlichen Dank. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat nunmehr der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat heute in ihrer Kritik am Einzelplan 05 ein weites Feld aufgetan: von der wuchtig vorgetragenen Eröffnungskritik des Kollegen Frankenhauser - er ging sehr in die Details des Einzelplans - bis hin zu den die Zeitenwende beschwörenden Ausführungen des Kollegen Hintze, der sich noch schwertut. In der Beurteilung der Frage, wieweit jemand politisch eine Katastrophe ist, sind Sie ohne jeden Zweifel besonders berufen und befugt, Herr Kollege Hintze. ({0}) Sie haben im bekannten Tremolo einer Predigt als parlamentarischer Sendbote der Zeitenwende vom zu Ende gehenden 20. Jahrhundert - man könnte noch hinzufügen: vom sich wendenden zweiten christlichen Jahrtausend, das sich ebenfalls anschickt, sich zu verabschieden - gesprochen. Wenn man Ihr Niveau aufnehmen würde, Herr Kollege Hintze, dann würde man sagen: Es gibt doch tatsächlich so etwas wie Fortschritt: Früher war es Nostradamus, der diese unheilsschwangeren Prophezeiungen ausgesprochen hat; heute sind Sie es. Dies begreife ich als echten Fortschritt. ({1}) Sie merken: Es juckt mich, in die politische Auseinandersetzung mit einzusteigen; zumal hinter Ihnen der verehrte, nein: Herr Austermann sitzt. ({2}) Ich will mir weitere Bemerkungen aber verkneifen. Ich möchte mich in aller Kürze auf die wichtigen politischen Fragen, beginnend mit dem Einzelplan, konzentrieren. Ich möchte mich bei allen Berichterstattern bei Ihnen, Herr Kollege Frankenhauser, bei den anderen Berichterstattern der Opposition und bei denen der Koalition - für die gute Zusammenarbeit, die wir im Zusammenhang mit dem Einzelplan 05 hatten und, wie ich hoffe, auch in Zukunft haben werden, bedanken. Natürlich ist der Einzelplan kein Haushaltsentwurf, der mich mit Freude erfüllt. Ich würde aber nicht sagen, daß uns der Finanzminister mit einem Einspardiktat mißhandelt. An diesem Punkt sage ich Ihnen klipp und klar: Wir stehen zu der Konsolidierungspolitik, weil sie alternativlos ist. ({3}) Auf der anderen Seite müssen wir hier klar sagen: Es war notwendig, jetzt die Einsparleistung von über 7 Prozent zu erbringen. Sie kennen den Einzelplan viel besser als die meisten anderen Kollegen. Wir mußten bei dieser Einsparleistung von über 7 Prozent und bei den geringen uns zur Verfügung stehenden Programmitteln ans Eingemachte gehen. Wir mußten Entscheidungen nicht zwischen Gut und Schlecht, sondern zwischen Schlecht und Schlechter treffen. Wir mußten Entscheidungen über Schließungen und über Einsparleistungen bei Programmitteln treffen, deren Entwicklung ich, mit Verlaub gesagt, gerne in eine andere Richtung - ansteigend und nicht abnehmend - sehen würde. Ich würde gerne Generalkonsulate genauso wie Goethe-Institute nicht schließen, sondern offenhalten. Ich würde gerne für die Auslandsschulen und für die auswärtige Kulturpolitik mehr Mittel haben. Aber angesichts dessen, was wir vorgefunden haben, führt am Konsolidierungskurs kein Weg vorbei. ({4}) Ihre Kritik darf sich nicht darin erschöpfen - das kann man bei jeder Einzelplanberatung nachvollziehen -, daß Sie hier das Beklagenswerte feststellen - eine Opposition muß das tun -, aber keine Alternativen - außer der, daß man nicht mit dem Rasenmäher sparen soll - aufzeigen. Hinsichtlich unserer Kürzungsvorstellungen würde ich mir etwas mehr Konstruktivität auch in der Debatte wünschen. Sie haben bei den Berichterstattergesprächen durchaus Konstruktivität an den Tag gelegt. Dort waren unsere Ansichten in wesentlichen Punkten gar nicht so kontrovers, wie es jetzt den Anschein hat. ({5}) Was die Schließung der Konsulate angeht, möchte ich nochmals betonen: Wir wollen alles versuchen, um den Bedürfnissen der Minderheiten gerecht zu werden. Die Entscheidungen werden ausschließlich nach Kürzungskriterien getroffen und sind nicht Ausdruck einer gegen Minderheiten gerichteten Politik. - Bitte schön.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Vielen Dank, daß Sie mir die Arbeit abnehmen, Herr Außenminister. Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage erteilt.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

So sind wir, Herr Präsident.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ihre Aussage, es habe keine Alternativvorschläge gegeben, hat mich etwas verletzt. Ich habe Ihnen, Herr Bundesaußenminister, im Ausschuß und auch in der Öffentlichkeit die Frage gestellt, ob es nicht eine Alternative gewesen wäre, zu prüfen, inwieweit die Großbotschaften in den europäischen Hauptstädten ausgedünnt werden können. ({0}) Wir leisten uns Großbotschaften im Stile des 19. Jahrhunderts, obwohl es längst eine europäischpolitische Zusammenarbeit und eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union gibt. Wäre es nicht besser gewesen, die Mittel für die Botschaften in Paris, in London, in Rom und in Madrid um jeweils 10 bis 20 Prozent zu kürzen, anstatt Botschaften, Goethe-Institute und Konsulate in Afrika zu schließen? Die deutsche Wirtschaft unterhält heute in der EU Wirtschaftsbeziehungen zu ihren Partnern auf bilateraler Ebene. Für ihre Unterstützung sind keine Großbotschaften mehr notwendig. Ich möchte nicht den Vorwurf auf mir sitzen lassen, nicht auf Alternativen, die sich uns bieten, aufmerksam gemacht zu haben. Ich habe den Eindruck, daß unsere Anregungen von Ihnen lediglich nicht aufgegriffen worden sind und daß deswegen überhaupt nichts geschehen ist. Natürlich ist es einfacher, irgendeine Botschaft in Afrika zu schließen, als einem Botschaftbediensteten oder einem Diplomaten in Paris klarzumachen, daß sein Posten gestrichen wird; denn jeder Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes geht lieber nach Paris als nach Ouagadougou. Dafür habe ich Verständnis. Aber man sollte anfangen, dort zu kürzen, wo es notwendig und möglich ist. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das war eine Kurzintervention und keine Zwischenfrage. Dies sollten wir künftig vermeiden. Bitte schön, Herr Minister.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Dies war eine sehr umfängliche Frage. Wenn die Kürzungsvorschläge proportional zur Länge der Frage sind, dann müßten die Mittel für die Botschaften sogar aufgestockt werden. Ich möchte Ihnen Ihre Frage klipp und klar und in aller Kürze beantworten: Die von Ihnen angesprochenen Botschaften haben bereits ganz erhebliche Ausdünnungen hinter sich. Herr Kinkel, der vor Ihnen sitzt, weiß dies ganz genau. Die Frage der Kürzung werden wir weiter diskutieren müssen, vor allem im Zusammenhang mit dem Zusammenwachsen Europas. Natürlich steht die Frage, was mit den Generalkonsulaten im EU-Raum geschehen soll, an erster Stelle, Apenrade als Stichwort; allerdings gibt es hier ein Minderheitenproblem, das erst gelöst werden muß. Ich sage Ihnen hier klipp und klar: Wir müssen die vorhandenen Möglichkeiten, weitere Einsparungen vorzunehmen, in den kommenden Jahren nutzen. Wir stehen erst am Beginn dieser Phase. Mich bedrückt viel mehr, daß wir angesichts der Bedeutungszunahme der Außenpolitik des vereinigten Deutschlands und angesichts des Bildes, das sich die Welt von uns macht, diese Sparpolitik in den kommenden Haushaltsjahren werden überdenken müssen. Wir werden auf Dauer nicht mit weniger Mitteln mehr leisten können. Dies wird nicht gutgehen. Deswegen sage ich Ihnen: All dies wird bedacht und ist auch schon teilweise bedacht worden. Aber eine Ausdünnungspolitik ist bereits in den vergangenen Jahren betrieben worden. Selbst dann, wenn wir nur den Ist-Zustand in unserem Haushalt fortgeschrieben hätten, hätten wir die eine oder andere Botschaft schließen müssen, weil es nicht vertretbar gewesen wäre, sie auf Dauer in ausgedünnter Form aufrechtzuerhalten.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gestatten Sie, Herr Minister, eine Zwischenfrage des Kollegen Hornhues?

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Bei Herrn Hornhues kann ich nicht nein sagen.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist nett von Ihnen, Herr Außenminister. Nicht Apenrade, sondern Afrika war angesprochen. Sie schließen Botschaften in Ländern, die nachweislich zu den problematischsten Krisenregionen gehören und wo ständig mit der Ausweitung von Krisen gerechnet werden muß. Glauben Sie nicht, daß die Einsparungen besser woanders vorgenommen worden wären? Erinnern Sie sich nicht an Ihre eigenen Vorstellungen zur Krisenprävention, die Sie bei anderen Diskussionen vertreten haben? Sind Sie wirklich überzeugt, daß Ihre Streichungen alternativlos waren?

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Vorsitzender - Sie sind Vorsitzender der AfrikaGesellschaft -, dies ist eine verdienstvolle Arbeit. Insofern verstehe ich Ihre Zwischenfrage. Ich würde am liebsten gar keine Botschaft schließen, vielleicht von einer Ausnahme abgesehen, die ich jetzt nicht nenne. Ich habe großen Wert darauf gelegt, daß in Sarajevo ein Goethe-Institut eröffnet wird, obwohl eine Vielzahl von Goethe-Instituten angesichts des strukturellen Bedarfs geschlossen werden mußte. Hier befinde ich mich in einem inneren Widerspruch. Wenn Sie ehrlich sind und von der Parteipolitik einmal absehen, dann müssen Sie zugeben, daß die Beiträge der Opposition nicht sehr hilfreich waren. Wir müssen feststellen, daß es auf der einen Seite einen unabweisbaren Haushaltssanierungsbedarf und auf der anderen Seite ein Mehr an politischen Aufgaben gibt. Mit diesem Widerspruch muß die Koalition, muß diese Bundesregierung fertig werden. Wir werden diesen Widerspruch lösen, indem wir unsere Hausaufgaben im Inland machen, so daß wir nicht nur in bezug auf diesen Einzelplan, sondern auch in bezug auf den Verteidigungshaushalt und die Entwicklungshilfe, also für den gesamten Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, in den kommenden Jahren die notwendigen Aufwüchse werden haben können. ({0}) Lassen Sie mich in den zehn Minuten, die mir zur Verfügung stehen, noch auf einige Substanzpunkte eingehen. Ich denke, das ist in dieser Debatte sehr wichtig. Bedauerlicherweise hat Istanbul in der heutigen Debatte nur am Rande eine Rolle gespielt. Ich möchte Ihnen nochmals klarmachen: Die Situation in Istanbul war unter vielen Gesichtspunkten eine sehr schwierige. Ich bin sehr froh, daß es gelungen ist, eine solche Lösung herbeizuführen. Sie war überschattet durch den Krieg in Tschetschenien. Zu dem Vorwurf, daß die Bundesregierung es an Klartext habe fehlen lassen, kann ich nur sagen: Wir waren diejenigen im Bündnis, die in den öffentlichen und internen Diskussionen darauf gedrängt haben, daß wir mehr Klartext mit Rußland sprechen, daß wir nicht nur darauf hinweisen, daß eine humanitäre Katastrophe damals im Anlaufen war - heute ist sie da - und daß es nicht geht, unter dem Banner der Terrorismusbekämpfung einen Krieg gegen ein Volk zu führen. Es ist vielmehr auch darauf hinzuweisen, daß Rußland dabei ist, sich dort in einen Kolonialkrieg zu verstricken, der die gesamte Region destabilisieren wird und meines ErachUlrich Irmer tens auch destabilisierende Auswirkungen auf die Entwicklung der russischen Demokratie haben wird. ({1}) Wir haben in den Gesprächen mit der russischen Seite daran niemals auch nur einen Zweifel aufkommen lassen. Umgekehrt aber haben wir auch ein Interesse an der Entwicklung der russischen Demokratie. Bisher war es Konsens deutscher Politik, parteiübergreifend hier in diesem Hause, daß wir ein elementares Interesse an Stabilität, Demokratie und Marktwirtschaft in Rußland haben. Insofern stehen hier zwei Interessen im Widerspruch. Das muß man auch so offen sagen. In diesem Rahmen ist es uns gelungen - der deutsche Anteil war da nicht unerheblich -, einen Zusammenbruch des OSZE-Prozesses zu verhindern, der durchaus für einen längeren Augenblick drohte, und die konventionelle Rüstungsbegrenzung, die KSE-Adaption, zu erreichen, und zwar mit erheblichen Fortschritten. So haben wir jetzt einen Abzugsplan für Moldawien und für den Abzug der russischen Truppen aus Georgien. Aserbaidschan und Armenien werden sich wieder an einen Tisch setzen, und wir haben die Adaption des Rüstungskontrollregimes auf die neuen Bedingungen hin. Vor allem die baltischen Staaten und andere ost- und mitteleuropäische Staaten hatten ein massives Interesse daran, daß wir die Charta mit einem klaren Bekenntnis dafür haben, daß es legitim ist, sich in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedstaaten seitens der OSZE einzumischen, wenn es dort Entwicklungen gibt, die sicherheitsrelevant sind. ({2}) Schließlich ist es gelungen, der OSZE eine politische und nicht nur eine humanitäre Rolle bei der Lösung des Tschetschenien-Konflikts - inklusive einer Reise des Vorsitzenden Vollebæk, des norwegischen Außenministers, dorthin - zukommen zu lassen. Das war alles schwer genug. Ich bedaure, daß es nicht gelungen ist, Rußland von einer Abkehr von der bisherigen Politik zu überzeugen und davon, zu einer politischen Lösung zurückzukehren. Wenn hier der Vergleich mit Kosovo gezogen wird diesen Vergleich haben wir überhaupt nicht zu scheuen -, dann sage ich Ihnen: Im Kosovo war das Ziel, einer Politik des Nationalismus, der ethnischen Säuberung entgegenzutreten und sie zu beenden und eine Perspektive der Demokratie, der Kooperation, des Heranführens an das Europa der Integration zu erreichen. Das haben wir erreicht und werden es mit dem Stabilitätspakt durchsetzen. ({3}) Ich frage Sie: Was ist das politische Ziel im Kaukasus? Sehen Sie hier nicht die Substanzunterschiede? ({4}) - Sehen Sie, er ist wenigstens ehrlich - im Gegensatz zu manch anderem. Er sagt, daß er natürlich den Unterschied sieht. Ich möchte hier nochmals eindeutig darauf hinweisen: Der Konflikt auf dem Balkan, in Südosteuropa wird erst dann zu Ende sein, wenn sich die Demokratie in Belgrad durchgesetzt hat. Deswegen werden wir alle unsere Kräfte darauf konzentrieren, gemeinsam mit der demokratischen Opposition diesen Prozeß hinzubekommen. ({5}) Lassen Sie mich kurz noch zwei andere Punkte ansprechen. Zunächst zum Thema Europa. Auf Grund der Kürze der Zeit kann ich es nur im Telegrammstil machen. Herr Haussmann, ({6}) ich kann Ihnen nur sagen: Daß Sie die Qualität der neuen Kommissare ansprechen - ich hatte mit Romano Prodi jüngst ein Gespräch; da klang das völlig anders -, daß ausgerechnet die F.D.P. sich über die Qualität der Kommissare ausläßt, ist schon bemerkenswert. ({7}) Zur Frage der Generaldirektoren: An Stelle der F.D.P. würde ich im Zusammenhang mit Kommissaren den Begriff „Direktor“ gar nicht in den Mund nehmen, denn, wenn ich es richtig sehe, ist Herr Bangemann noch F.D.P.-Mitglied. Sie dürften sich nur zu gut erinnern, daß dieses Jahr keinesfalls ein Ruhmesblatt Ihrer europäischen Personalpolitik darstellt. Ich bitte Sie, Herr Haussmann! Bei dem, was Sie als Zweites in diesem Zusammenhang angesprochen haben, haben Sie fast das Niveau unterschritten, das Herr Hintze vorgegeben hat. Das zu unterschreiten ist eigentlich eine Kunst. ({8}) Das hätte ich von Ihnen, Herr Haussmann, nicht erwartet. Herr Hintze hat ja selber zugegeben, daß er es mit der Logik nicht so hat. ({9}) Als Theologe muß man auch nicht unbedingt Logiker sein. ({10}) Auf der einen Seite sagt Herr Hintze nämlich, die Erweiterung der EU solle möglichst schnell kommen. Darin stimme ich ihm völlig zu. Gleichzeitig sagt er aber: Ihr habt die Voraussetzungen für die Erweiterung beim Gipfel in Berlin nicht geschaffen. Trotzdem fordert er, sie soll möglichst schnell kommen. Diese beiden Aussagen kann man nur mit theologischer Intuition zusammenbringen. Das, was Sie hier zum besten gegeben haben, hat mit Logik nichts zu tun. Ich rate Ihnen, Herr Hintze: Fahren Sie nach Warschau, Prag und Budapest, und fragen Sie einmal dort die Vertreter der Parlamente, die proeuropäisch orientiert sind, oder gar die Regierungen, was sie von der Agenda 2000 und vom Ergebnis der deutschen Präsidentschaft halten. Wenn Sie ehrlich sind, werden Sie nach Ihrer Rückkehr sagen: Mit diesen Vorhaben ist der erste Schritt für die Erweiterungsfähigkeit der EU getan worden. Der zweite Schritt wird auf der Regierungskonferenz getan werden. ({11}) Dann sind wir da, wohin diese Bundesregierung immer wollte. Die Bundesregierung hat immer gesagt, wir sollten den 1. Januar 2003 als konkretes Datum festsetzen nicht als visionäres, sondern als konkretes Datum -, zu dem wir erweiterungsfähig sind. Wenn dann die Verhandlungen mit den Beitrittsländern abgeschlossen sind - das hängt ja von diesen ab -, werden wir den Erweiterungsprozeß, den ich für dringend notwendig halte, so schnell wie möglich zu einem Abschluß bringen. ({12}) - Nicht „na also“, das war schon immer unsere Position. ({13}) Dazu bedurften wir nicht der Hilfe von Herrn Haussmann. Lassen Sie mich in dem Zusammenhang noch einen zweiten Punkt ansprechen. ({14}) - Richtig, die Türkei. - Daß Sie sich hier nach dem Debakel, das Sie in der Türkei-Politik verursacht haben, hinstellen! Man sieht doch, wohin Ihre Türkei-Politik in den letzten drei Jahren geführt hat. ({15}) Ich will Ihnen gerne einmal die Frage der Menschenrechte in diesem Punkt durchdeklinieren. Hat die Türkei-Politik der damaligen Bundesregierung, die von dem Grundsatz ausging, daß die EU eine Organisation des christlichen Abendlandes sei - was in der Türkei als schwerste Zurückweisung empfunden wurde -, dazu geführt, daß die Menschenrechtsbedingungen in der Türkei verbessert sowie ökonomische und politisch-demokratische Modernisierung vorangebracht wurden? Ich kann nur sagen, all dieses ist schlechter geworden. ({16}) Die Lage in der Türkei schätzen wir doch völlig realistisch ein. Sie müssen mich nun wirklich nicht belehren, wie die Realitäten aussehen. Vergleichen Sie einmal Ihren Länderbericht Türkei mit unserem Länderbericht Türkei. Dann finden Sie auch gleich eine Antwort auf Ihre Frage nach den Menschenrechten. ({17}) Ich habe im Gegensatz zu anderen auch nicht das Zipperlein bekommen, als ich dem Dalai-Lama gegenüberstand. Das wollte ich Ihnen an dieser Stelle auch einmal ins Stammbuch schreiben. Für Peking ist klar, daß man mit uns in der Menschenrechtsfrage nicht so Schlitten fahren kann wie mit einigen Mitgliedern der Vorgängerregierung. Auch das möchte ich Ihnen ins Stammbuch schreiben. ({18}) Bei der Türkei-Politik geht es doch darum, ob wir der Türkei eine europäische Perspektive eröffnen, die zu einer inneren, nicht nur ökonomischen, sondern auch demokratischen und rechtsstaatlichen Modernisierung führt - diese Perspektive kann nur die EU bieten -, oder ob wir darauf verzichten. Das würde bedeuten, daß die Türkei isoliert bleibt, und hätte fatale Konsequenzen, da das EU-Mitglied Griechenland direkter Nachbar der Türkei ist. Wir reden hier doch nicht nur über Theorien. Schauen Sie sich doch die Entwicklung des griechischtürkischen Verhältnisses im Zusammenhang mit der veränderten Türkei-Politik der Europäischen Union an. Sie können doch schon feststellen, daß es positive Ergebnisse bis hin zur Wiederaufnahme der Gespräche über Zypern gibt. ({19}) Daß Sie, Herr Hintze, diese Ausrichtung der Politik mir persönlich zuschreiben, ist zwar schön, zeigt aber nur, wie schlecht oder unvollständig Sie informiert sind. Der Bundeskanzler hatte einen Briefwechsel mit Premier Ecevit; der französische Präsident Chirac hat gegenüber der türkischen Regierung gerade erklärt, er sei schon immer dafür gewesen. Ich würde für mich nie in Anspruch nehmen wollen, daß ich Erfinder dieser Politik bin. Ich halte sie für richtig und bemühe mich in meiner Funktion als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, diese von der Bundesregierung, vom Bundeskanzler und von unseren Verbündeten als richtig erkannte Politik entsprechend zügig voranzubringen. Darin sehe ich meine Aufgabe. ({20}) Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal auf die allgemeine Entwicklung zu sprechen kommen. Sie haben die Frage der transatlantischen Beziehungen angesprochen. Ich gehe auf sie in einem weiteren Umfeld ein. Wenn wir nicht achtgeben, werden dunkle Wolken auf uns zu ziehen. ({21}) Wir müssen aufpassen, daß es nicht zu einer Auseinanderentwicklung kommt. Dazu muß es nicht kommen. Aber jenseits aller taktischen Argumente, die in Washington auch eine Rolle gespielt haben, war mein Eindruck, daß sich unterschiedliche Perspektiven der Weltsicht und unterschiedliche Rollendefinitionen ergeben. Sie haben das Jahr 1979 angesprochen. Ich sehe in der Tat mit großer Sorge, daß die negative Entscheidung beim Teststopp-Vertrag durchaus mehr als nur ein taktischer Fehler oder eine innenpolitisch gewollte Entscheidung sein kann. Wenn dem so wäre, dann meine ich, daß die Bundesrepublik Deutschland bei aller Priorität der europäischen Einigung immer auch ein Interesse an transatlantischer Rückversicherung haben muß, ({22}) und zwar nicht nur aus sicherheitspolitischen Gründen; da spielt auch die Stabilität in Europa insgesamt eine sehr große Rolle. ({23}) - Jetzt hat man einmal einen Diskussionspartner bei Ihnen gefunden, der ein ernstes Problem für die Zukunft anspricht, und da melden sich bereits wieder die Hinterbänkler und wollen eine vernünftige, nach vorne gewandte Diskussion unterbinden. ({24}) Aber ich lasse mich da nicht irritieren, Herr Schmidt, weil ich zu dem von Ihnen angesprochenen Punkt kommen möchte, den auch ich für zentral halte. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob es in Zukunft eine unilaterale oder eine multilaterale Orientierung der amerikanischen Politik gibt. Gäbe es eine unilaterale Orientierung, machte mir dies, bezogen auf das Jahr 1979, das Sie genannt haben, große Sorgen. Eine multilaterale Orientierung hingegen machte eine Beantwortung der Fragen im transatlantischen Verhältnis, die wir gegenwärtig diskutieren, wesentlich einfacher. ({25}) Ich ziehe daraus aber die Konsequenz, meine Damen und Herren, daß wir, egal, ob unilateral oder multilateral, begreifen müssen, daß der europäische Einigungszug Dynamik bekommen muß und daß die gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik in Europa ganz entscheidend über das Gewicht und die Rolle Europas bestimmen wird. ({26}) Deswegen liegt hier ein Schwerpunkt der Bundesregierung. Das ist ein Kernpunkt; ich kann jetzt nicht mehr in die Details gehen. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, Herr Schmidt. ({27}) - Entschuldigen Sie, Sie können noch so viel Geld haben. Es nützt nichts, wenn Sie nicht über die notwendigen Strukturen verfügen, wenn Sie den gemeinsamen politischen Willen nicht haben, ({28}) wenn Sie die institutionellen Voraussetzungen und - das streite ich überhaupt nicht ab - die Hardware nicht haben. Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin nach den Interessen gefragt. Das Hauptinteresse unseres Landes ist, fußend auf der Politik einer Selbstbeschränkung das ist mit das Wichtigste, was wir als Stilelement von der alten Westrepublik übernommen haben -, den europäischen Einigungsprozeß bis hin zur europäischen demokratischen Union als eigenes politisches Subjekt zu vollenden. Das steht an erster Stelle unserer Interessen. Sie haben den Begriff eingeführt; ich übernehme ihn gern. Dieser Prozeß muß mit den transatlantischen Verhältnissen ausbalanciert sein, allerdings eingebunden in die multilaterale Politik, die die Bundesrepublik Deutschland betrieben hat und auch von Berlin aus weiter betreiben wird. ({29})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Peter Hintze.

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Herr Bundesminister hatte, wie offensichtlich auch einige Kollegen auf der linken Seite des Hauses, Probleme mit der Logik. Das sind wir bei ihm gewohnt. Das erleben wir bei fast jeder Regierungsvorlage, bei fast jeder Regierungserklärung. ({0}) Aber wir wollen ihm helfen. Herr Bundesminister Fischer, wen kann es denn verwundern, daß die Staaten Mittel- und Osteuropas all ihre Beitrittshoffnungen auf das dürftige Fundament richten, das in Berlin geschaffen wurde? Sollen sie denn sagen: Das geben wir jetzt auf? Das kann doch niemand erwarten! Meine Damen und Herren, wichtige Fragen sind nicht beantwortet, andere Fragen sind falsch beantwortet worden. Und durch Beschwörungen wird aus einem Strohhalm kein Baumstamm. Das muß man in diesem Zusammenhang einmal sagen. ({1}) Ich will dies kurz erläutern. Wir wissen ganz genau, daß die Erweiterung das ambitionierteste Projekt überhaupt ist. Es gibt große Bereiche, in denen wir erhebliche Schwierigkeiten haben werden - die Verhandlungskapitel sind noch gar nicht eröffnet -: Landwirtschaft, Strukturfonds, Regionalpolitik. Für all diese Dinge hat die deutsche Regierung folgendes gemacht: Bundeskanzler Schröder - es ist richtig, daß ich ihn stärker hätte würdigen müssen - hat vor der gesamten europäischen Öffentlichkeit großartig erklärt, er werde aufzeigen, was er im Unterschied zur Vorgängerregierung für Deutschland erreicht habe ({2}) und für Europa noch ordnen werde. ({3}) - Bleiben Sie ganz ruhig! - Und er hat seine eigenen Worte auf dem Gipfeldinner Löffelchen für Löffelchen essen müssen. Nun zu dem, was uns beschwert: Herr Fischer, Sie haben, wie ich finde, in einer eines Bundesaußenministers unwürdigen Weise gegen Kollegen des Hauses polemisiert und versucht, durch platte Beleidigungen über den eigentlich großen Bruch in Ihrem Leben hinwegzukommen, nämlich den Widerspruch zwischen Ihren Worten und Ihren Taten, die wir ja seit einiger Zeiten beobachten müssen. ({4}) - Hören Sie auf, dazwischenzuschreien! ({5}) Ich weiß nicht, wer aus diesem Hause das Mißvergnügen hatte, den Bundesaußenminister in einer seiner jüngsten Talkshows - ich weiß nicht, ob es die letzte war; sie war gestern oder vorgestern - zu erleben, in der die entscheidende Frage gestellt wurde, wie denn eigentlich der Fischer von vor 20 Jahren den Fischer von heute beurteilen würde. Er hat immerhin - das fand ich anständig - wahrheitsgemäß geantwortet, das Urteil würde kritisch ausfallen. Herr Minister, mich interessiert nicht Ihr dialektischer Dialog mit sich selbst. Aber ich muß sagen: Unser Urteil über Sie fällt auch höchst kritisch aus. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich denke allerdings, die Fraktionen sind sich darüber einig, daß es in diesem Hause keine Hinterbänkler gibt, sondern Abgeordnete mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten und gleicher Reputation. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/2155? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 05 in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe nunmehr auf: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung - Drucksachen 14/1913, 14/1922 Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Bartholomäus Kalb Oswald Metzger Dr. Uwe-Jens Rössel Es liegen Änderungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU sowie der PDS vor. Über den Änderungsantrag der CDU/CSU werden wir nach der Aussprache namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Dietrich Austermann das Wort.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer über den Haushaltsentwurf der Bundeswehr für das kommende Jahr redet, muß sich mit der Diskussion des letzten halben Jahres in der Bundeswehr beschäftigen. Selten ist ein Minister auf offener Bühne so rasiert worden wie der Bundesverteidigungsminister. ({0}) Sein berechtigter und von uns getragener Widerspruch gegen die falsche Entscheidung des Finanzministers und des Kabinetts, den Verteidigungsetat im kommenden Jahr um mehr als 1,7 Milliarden DM zu senken, war zwecklos. Nachdem zunächst versucht wurde, die Sparauflage zu ignorieren, wurde dann im August begonnen, die Vorhaben der Bundeswehr neu zu priorisieren, das heißt, es wurde der Versuch unternommen, nicht Vorhandenes in eine Reihe zu stellen und Projekte zu streichen, die nicht unbedingt im Jahre 2000 realisiert werden müßten. Dann folgte eine Diskussion zwischen dem Minister und den rotgrünen Haushaltsabgeordneten, die an Peinlichkeit kaum zu überbieten war. Fast jeden Tag war in der Zeitung über Differenzen zwischen den Abgeordneten des Haushaltsausschusses und dem Minister zu lesen. Schließlich gab es den Versuch, aus den zusätzlichen Mitteln für den Kosovo-Einsatz, die unseres Erachtens in den Verteidigungsetat hineingehören - der Bundesrechnungshof stimmt uns hierin zu -, einen Teil für den normalen Bundeswehrbetrieb freizuschaufeln. Auch da gab es Widerstand der rotgrünen Haushaltspolitiker. Sie konterten mit der Forderung nach einer Ausgabensperre, die wir dann schließlich gemeinsam verhindern konnten. Das Ergebnis bedeutet folgendes: Ohne die Verstärkung aus dem Einzelplan 60 - Beteiligung der Bundeswehr am Stabilitätspakt für Südosteuropa - sinken die Verteidigungsausgaben im kommenden Jahr um 3,6 Prozent gegenüber den Anmeldungen des Ministers im Kabinett. Dies bedeutet in Zahlen ein Minus von 3,5 Milliarden DM gegenüber dem, was der Minister selbst gewünscht hat. Den angeblich zusätzlichen Mitteln für die Bundeswehr - heute ist davon in der Zeitung zu lesen -, die die SPD-Fraktion bewilligt haben will, stehen die zusätzlichen Aufgaben für den Kosovo gegenüber, nachdem insbesondere die Ausgaben für Bosnien schon in den normalen Etat einbezogen worden sind. Dies nennt man neudeutsch, in der Sprache des Bundesverteidigungsministers und derer, die für ihn die Reden schreiben, einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes. Dazu sagen wir: Das ist genau der falsche Zeitpunkt. ({1}) - Frau Kollegin, wenn Sie sich an die Aufgabenstellungen der früheren Jahre sowie an die Tatsache erinnern, daß gerade Sie in personam sich entschieden dagegen gewehrt haben, neue Aufgaben zu übernehmen, ({2}) können Sie sich doch jetzt kaum mit Fug und Recht hier herstellen und fordern, die Bundeswehr müßte mehr Mittel für internationale Einsätze haben. ({3}) Das kann doch wohl aus Ihrem Werdegang und dem, was Sie bisher gefordert haben, durch nichts gerechtfertigt werden. ({4}) Im übrigen dürften Sie wissen, daß im Entwurf von Minister Waigel für die mittelfristige Finanzplanung zusätzliche Mittel bereitgestellt werden sollten. Darin liegt auch die Differenz zu dem, was jetzt als Haushaltsentwurf vorgelegt worden ist. Auf Grund der neuen NATO-Strategie und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU muß die Bundeswehr materiell in die Lage versetzt werden, die neuen Aufgaben wahrzunehmen. Das betrifft beispielsweise strategische Aufklärung, Transport oder manche andere zusätzliche Maßnahme. Dies muß verbunden sein mit einer Erhöhung oder Umstrukturierung der Verteidigungsausgaben. Es gibt aber einen zweiten Punkt, der dazu zwingt, daß wir zusätzliches Geld bereitstellen müßten. Sieht man die Ergebnisse der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ sowie das, was der Generalinspekteur dazu sagt, dürfte es ziemlich offenkundig sein, daß eine neue Struktur auch neue Finanzmittel braucht. Jetzt, bevor diese neue Struktur im Entwurf vorgelegt worden ist, einen Finanzdruck zu entfalten, kann doch nur bedeuten, daß man die Arbeit der Kommission, egal wie sie aussieht, von vornherein zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Die notwendige Neustrukturierung, immer Bestandteil des rotgrünen Koalitionsabkommens, findet im Haushalt 2000 und im 33. Finanzplan keine Basis. Das heißt im Ergebnis, daß der verteidigungsinvestive Anteil in diesem Haushalt sinkt und der Anteil des Verteidigungsetats am Bundeshaushalt gegenüber dem Ansatz des letzten Jahres von 10,3 auf 9,5 Prozent zurückgeht. Die Bundesrepublik stellt also effektiv prozentual weniger Mittel für Verteidigung bereit, als dies bisher der Fall war. Wenn man mit der Truppe spricht - ich konnte das in den letzten Tagen an verschiedenen Standorten tun -, stellt man fest: Die Eingriffe haben verheerende Auswirkungen auf den Ausgabenbereich. Was bedeuten 0,8 Milliarden DM weniger für das Personal? Die Folge: Dies wird erkauft durch einen Abbau von 1 000 zivilen Mitarbeitern, durch einen Verzicht auf 5 000 Zeit- und Berufssoldaten, durch einen Verzicht auf 6 000 Grundwehrdienstleistende und durch einen Verzicht auf 1 000 Wehrübungsplätze. Das bedeutet einen Ausstieg aus dem sogenannten Sofortprogramm der Bundesrepublik zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Vom Arbeitsmarkteffekt her gesehen bedeutet das unter dem Strich 18 000 Arbeitsplätze weniger. Angesichts dessen kann man sich doch nicht hier herstellen und sagen, das alles spiele keine Rolle und habe keine Auswirkungen. Zu diesen Folgen führt allein die Einsparung beim Personal um 800 Millionen DM. Bei den verteidigungsinvestiven Ausgaben kommt es zu einer Kürzung um 1,9 Milliarden DM, im Bereich „Forschung, Entwicklung und Erprobung“ zu einer Kürzung um 0,3 Milliarden DM und im Bereich „Militärische Beschaffung“ zu einer Kürzung um 1,3 Milliarden DM. ({5}) Alle Bemühungen der Bundeswehr zur Stärkung des investiven Bereiches durch Aufwandsbegrenzung im Betrieb und Straffung der Organisationen werden durch derartige Eingriffe zunichte gemacht. Was ist die Folge? Die Ausrüstung der Streitkräfte veraltet zunehmend. Im Jahre 2000 kann die Beseitigung des Ausrüstungsdefizits - wie schon 1999 - nicht begonnen werden. Mit der kurzfristigen Reduzierung des Verteidigungshaushaltes ist die Balance zwischen dem finanziell Machbaren und dem zur Erreichung einer hinreichend ausgerüsteten Bundeswehr Erforderlichen nicht mehr ausreichend gewahrt. Wir sagen deshalb: Die Haushaltspolitik oktroyiert dem Verteidigungsminister bzw. dem Verteidigungsetat die falsche Richtung auf. Rotgrün spart den Verteidigungsetat kaputt. ({6}) Meine Damen und Herren, die deutliche Kürzung der Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Erprobung sowie für den Bereich „Militärische Beschaffung“ beeinträchtigen und gefährden im Ergebnis die zukünftige Aufgabenerfüllung der Streitkräfte in hohem Maße und haben, wie ich nachgewiesen habe, negative arbeitsmarkt- und in Zukunft auch industriepolitische Auswirkungen bis hin zum Wegbrechen bislang sicherheitspolitisch begründeter nationaler Kapazitäten der deutschen Industrie. Dies wirkt sich selbstverständlich auch auf den Bereich „Zivile Forschung, Entwicklung und Technologie“ aus, zumal Sie auch bei der Luftfahrtforschung kürzen. Nach Erklärungen der DASAUnternehmensführung bedeutet das, worüber bisher entschieden worden ist, allein im Hinblick auf die Verteidigungstechnik einen Abbau von mehr als 10 Prozent der Arbeitsplätze in Süddeutschland im nächsten Jahr. Das sind - in absoluten Zahlen - 850 Arbeitsplätze in der wehrtechnischen Industrie. Vor kurzem ist ein etwas peinlicher Bericht des Bundesverteidigungsministers mit der Überschrift „Ein Jahr im Amt - Eine Bilanz“ vorgelegt worden. Man könnte diesen Bericht auch ironisch mit „Ein Enkel packt aus“ überschreiben: ({7}) - Er hat sich ja so sehr auf die Urenkel bezogen, denen man bestimmte Ergebnisse nicht vorlegen kann. - Zieht man das verharmlosende Fazit, das am Schluß dieses Berichtes steht, nachdem verschiedene Daten, Fakten und Zahlen aufgeführt werden, heran - gehen wir einmal davon aus, daß dieser Jahresbericht, der bisher nicht üblich war, die Leistungen des Amtsinhabers, also desjenigen, der ein Jahr im Amt ist, positiv darstellen soll; das ist im wesentlichen eine Person; hinzu kommen die zwei Parlamentarischen Staatssekretäre und diejenigen, die aus politischen Gründen an die Spitze gehievt werden mußten -, ({8}) dann stellt man fest, daß in diesem Papier über die Probleme der Armee relativ wenig steht. Die Frage, weshalb das Kabinett dem Minister die notwendigen Mittel verweigert, wird nicht beantwortet. Dies wird mit der Feststellung umschrieben, die Bundeswehr stehe angesichts gestiegener Haushaltszwänge an einem entscheidenden Punkt ihrer Entwicklung. Wohin die Entwicklung gehen soll, ergibt sich aus diesem Papier nicht. ({9}) Alle warten ja nun auf den Bericht des nächsten Jahres. Wir sind der Meinung: Überall dort, wo Entscheidungsbedarf bestand, ist möglicherweise schnell und konsequent gehandelt worden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob auch richtig gehandelt worden ist. Eindeutig falsch ist, daß alle Maßnahmen, wie in dem Bericht behauptet wird, so ausgelegt worden sind, daß sie eine Modernisierung der Bundeswehr erleichtern würden. Ich kann davon nichts erkennen. Wenn kein Geld mehr vorhanden ist, ist diese Aufgabe kaum zu erledigen. ({10}) Das heißt, eine Schrumpfung ist angesagt. Die Kürzungen des Haushaltes lassen keine andere Entscheidung zu, als der Strukturkommission vorzuschlagen, die Armee zu reduzieren. Wenn man bedenkt, daß jedes Jahr im Rahmen des Finanzplanes durchschnittlich 500 Millionen DM weniger zur Verfügung stehen, dann läßt die Entscheidung des Kabinetts nur den Schritt zu, in den nächsten vier Jahren pro Jahr 10 000 bis 15 000 Stellen für Soldaten abzubauen. Das sind 60 000 Soldaten weniger. Das bedeutet, die Bundeswehr auf 270 000 Soldaten zu reduzieren. Dies ist praktisch vorgegeben; denn wenn es im Bereich der Beschaffung keinen Spielraum gibt, wenn unter Vertrag befindliche Projekte weitergeführt werden sollen und außerdem noch 500 Millionen DM eingespart werden müssen, muß man da ansetzen, wo die Möglichkeit zur Disposition besteht. Dies führt zwangsläufig zu einer deutlichen Reduzierung der Kapazität der Bundeswehr - unabhängig von der Beantwortung der Frage: Wehrpflicht oder Berufsarmee? Daß wir für die Wehrpflichtarmee sind, ist klar. Bei den Investitionen können Sie nicht weiter streichen, ohne in laufende Verträge einzugreifen. Diese Entwicklung war schon in diesem Jahr abzusehen: Wir haben 1999 praktisch keine 50-Millionen-DM-Vorlagen auf dem Tisch gehabt, nur zwei, drei kleinere. Ich gehe davon aus, daß es auch im kommenden Jahr keine Vorlagen größeren Umfangs für die Armee geben wird. Deswegen nimmt sich im Bericht „Ein Jahr im Amt“ fast flehentlich der letzte Satz aus, die Bundeswehr müsse bündnisfähig bleiben und europafähiger werden. Wie soll dies möglich sein angesichts des sinkenden Etats, also mit weniger Geld? Auch die Soldaten spüren, daß da etwas nicht stimmt. Daß sich der Minister ständig zur Lage der Koalition als neues Konfliktzentrum äußert - unter dem Motto: Wenn das vergeigt wird, können wir gleich auf die Urenkel schauen -, sagt noch nichts darüber aus, daß die Weichenstellungen in der Armee bei sinkendem Etat richtig vorgenommen werden. Letzte Woche war ich in einem Standort in meinem Wahlkreis. Dort haben mir die Vertrauensleute berichtet, sie fühlten sich von der Politik - was nur heißen kann: von der jetzigen Regierung - im Stich gelassen. Sie fragten: Was wird aus unserem Standort? Warum werden wir als Soldaten nicht beteiligt? Was soll die neue Struktur, nachdem wir die letzte aus dem Jahr 1995 noch nicht einmal abgearbeitet haben? Wird es tatsächlich einen Kümmer-Wehrdienst von sechs Monaten geben? Ist wenigstens daran gedacht - kommen wir einmal zu den Finanzen! -, ein neues Personalstärkegesetz zu machen, wenn die Struktur weiter reduziert wird? Wenn ja: Wovon wird dies bezahlt? Ich möchte aus einem Bericht vom heutigen Tage aus meiner Heimatzeitung, der „Norddeutschen Rundschau“, zitieren. Die Überschrift lautet: Sofort 39 Jobs gestrichen! Der Personalrat protestiert, Angst geht um in der Standortverwaltung. Die Kürzung um die 39 Stellen ist mit Sofortvollzug versehen worden. - Die Situation ist also dramatischer als es uns diejenigen, die handeln bzw. handeln sollten, beschreiben. In diesem Jahr reiste der Minister durch das Land und versicherte allen: Euer Standort bleibt erhalten; er wird nicht geschlossen. Dabei wird übersehen, daß für Ihren Bundesparteitag im Dezember schon Anträge vorliegen mit dem Tenor - das erinnert ein wenig an den Kollegen Opel -, das Festhalten an der Wehrpflicht dürfe einer Verkleinerung und Abschaffung der Bundeswehr nicht im Wege stehen. Dies ist Inhalt eines Antrages nicht etwa eines Ortsvereins, sondern eines größeren Bereichs Ihrer Partei. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, der Kollege Wieczorek, fordert radikale Sparmaßnahmen in den Streitkräften, unter anderem den Abbau mehrerer zehntausend ziviler Arbeitsplätze. Ich frage mich angesichts der Situation eines großen Unternehmens, über das heute vormittag viel gesprochen wurde, wo es hinsichtlich der Zahl der Arbeitsplätze um eine vergleichbare Größenordnung geht, ob man mit den Arbeitsplätzen der zivilen Mitarbeiter in der Bundeswehr in der Tat so umgehen kann, wie es hier gemacht wird. ({11}) Der Kollege Wieczorek fordert den Abbau mehrerer zehntausend ziviler Arbeitsplätze und den Verkauf überschüssigen Materials. In diesem Zusammenhang erwähnt er 1 500 Leopard II. Nachdem es schon bei einem Leopard II so große Probleme gab und krisenhafte Sitzungen innerhalb der Koalition, frage ich mich: An wen wollen Sie denn diese 1 500 Panzer verkaufen? ({12}) - Sie wissen doch, Frau Kollegin, daß es einen Bruch in der Argumentation des Menschen gibt, der vor mir an diesem Pult gestanden hat. Auf der einen Seite hat er gesagt, die Türkei sei ein NATO-Partner und daß er möchte, daß die Türkei auch EU-Mitglied wird, auf der anderen Seite hat er der Türkei das verweigert, was sie als NATO-Partner braucht, um im Angriffsfall ihrer Pflicht genügen zu können. ({13}) Dramatisch ist die Situation im Bereich der wehrtechnischen Industrie. In einer Anhörung, die wir auf Wunsch der F.D.P. vom Haushaltsausschuß durchgeführt haben, wurde dies an Hand der Stellungnahmen der Sachverständigen deutlich. Sie klagten über zielloses Vorgehen, vermißten die Klarheit im Auftrag, bemängelten inkonsequente Weichenstellungen in Fragen der dauerhaften Einsatzfähigkeit der Truppe. Sie zeichneten ein bestürzend dunkles Bild. Sie fragten, welches Ziel die Kommission habe, wenn die Entscheidungen schon vorweggenommen werden könnten. ({14}) Meine Damen und Herren, dieser Verteidigungsetat ist vom Minister nicht ganz zu Unrecht als Nothaushalt bezeichnet worden. Ich habe unterstrichen, daß wir den Minister bei seinen Bemühungen, mehr Finanzen für die Bundeswehr einzuwerben, unterstützen. Wir unterstreichen mit ihm zusammen, daß die Bundeswehr - der Kanzler hat es vor einem Jahr gesagt - mit dem Helm an die Decke stößt. Dies ist ein Nothaushalt. Dieser Haushalt leidet unter dem Wortbruch des Kanzlers, der gesagt hat, hier werde nicht weiter eingegriffen. Deswegen fordern wir Sie auf: Steuern Sie um, sparen Sie die Bundeswehr nicht kaputt! Sie werden verstehen, daß wir im Interesse der Arbeitsplätze, der Sicherheit unseres Landes und seiner Bündnisfähigkeit darauf achten müssen, daß die Finanzen auch bei der Armee in Ordnung kommen, weil dies offensichtlich nicht der Fall sein wird. Es wird das erste Mal sein, daß die CDU/CSU-Fraktion den Verteidigungsetat ablehnt. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen Volker Kröning von der SPD-Fraktion.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, unser Kollege Helmut Wieczorek, ist erkrankt und deshalb entschuldigt. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir alle ihm von hier aus gute Besserung wünschen würden. ({0}) Der Bundeshaushalt 2000 ist für das Verteidigungsministerium, für die Bundeswehr, für die Soldaten und für die Zivilbeschäftigten wie 1999 ein Brückenhaushalt - Brücke zwischen der gültigen Finanzplanung des Bundes und Bundeswehrplanung und der künftigen Planung. Für die Zukunft heißt es in dem von der Bundesregierung am 23. Juni 1999 beschlossenen Finanzplan 2003: Die Bundeswehr … ({1}) in den kommenden Jahren … für ihre neuen Aufgaben weiter optimiert werden. Dabei sind die … Ergebnisse der vom Bundesminister der Verteidigung berufenen KomDietrich Austermann mission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ einzubeziehen. Insbesondere wird zu berücksichtigen sein, daß die Bundesrepublik Deutschland … erstmals in ihrer Geschichte nur noch von Freunden und Partnern umgeben ist. Die eine Seite der Brücke - gewissermaßen der Doppelpfeiler auf dieser Seite - sind die Haushalte 1999 und 2000. ({2}) Die andere Seite müssen der Haushalt 2001 und der Finanzplan 2004 werden. ({3}) Gegen alle Unkenrufe will ich nachweisen, daß die Pfeiler auf dieser Seite stabil sind, die Pfeiler auf der anderen Seite stehen und der Bau der Brücke fortschreitet. ({4}) Erstens. Die Mittel aus dem Einzelplan 14 und die Zusatzmittel aus dem Einzelplan 60, die 1999 für den Kosovo und 2000 für den ganzen Balkan vorgesehen waren und sind, machen insgesamt - gegenüber 1998 mit 46,865 Milliarden DM - in 1999 47,489 Milliarden DM und 2000 47,333 Milliarden DM aus. ({5}) - Nein, das sind real bereitgestellte Mittel.- Der Anteil am Bundeshaushalt lag und liegt bei 10,3 Prozent, 9,8 Prozent und nun 9,9 Prozent. Nach den NATOKriterien - also im wesentlichen mit den Versorgungsausgaben - betrug und beträgt der Anteil 58,3 Milliarden DM, das heißt 12,8 Prozent, 59,7 Milliarden DM, das sind 12,3 Prozent und 59,6 Milliarden DM, das heißt 12,4 Prozent, vom Gesamthaushalt. Diese Zahlen belegen, daß von einem Steinbruch keine Rede sein kann. Diese Rede gibt es auch nicht mehr unter dieser Koalition. ({6}) Wer seriös bleiben will, muß anerkennen, daß sich die Verteidigungsausgaben stabilisiert haben. ({7}) - Hören Sie doch einmal zu! Sie können wirklich noch lernen, Herr Nolting. ({8}) Zweitens. In der gültigen mittelfristigen Finanzplanung, die auch die Zusatzmittel bis 2003 ausweist, halten sich die aktiven Verteidigungsausgaben mit einem Anteil am Bundeshaushalt von 9,6 Prozent in 2001, 9,4 Prozent in 2002 und 9,1 Prozent in 2003. Nach den NATO-Kriterien sind es sogar mehr, nämlich jeweils rund 12 Prozent. Eine tragfähige Definition des Anteils der gesamten Verteidigungsausgaben am Bundeshaushalt wird - und das wird für alle Ressorts gelten - das Verhältnis zum Leistungshaushalt zugrunde legen und transparent machen müssen, wird also die Zinsausgaben außer acht lassen müssen. Da die Zinsausgaben noch steigen, ist die Rede von sinkenden Verteidigungsausgaben in Relation zum Leistungshaushalt sogar Unsinn. Wer Vertrauen in die Politik bewahren will, darf der Bundeswehr nichts vorgaukeln. ({9}) - Sie. Liebe Kollegen von der Opposition, Sie können nicht einerseits eine noch niedrigere Neuverschuldung verlangen, wie Sie das gestern getan haben - ich glaube, das war auch der Kollege Austermann -, und andererseits höhere Ausgaben für Verteidigung, für Verkehr und andere Bereiche in Milliardenhöhe fordern, ({10}) zumindest nicht, ohne zu sagen, wo Sie sparen wollen. ({11}) Ihren Antrag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, werden wir deshalb ablehnen. ({12}) - O ja! Wir verstehen uns nach wie vor sehr gut. ({13}) Drittens. Da die Fortschreibung der Finanzplanung Sache der Bundesregierung ist, bitte ich für die Bundeswehr um dreierlei. Die Bundeswehrplanung, die im Moment auf dem 31. Finanzplan beruht, der nur bis 2001 reicht, braucht eine neue, langfristige Orientierung, die über den üblichen Zeitraum der Finanzplanung, nämlich die mittlere Frist, hinausreicht und rund zehn Jahre umfassen sollte. Darüber muß die Regierung eine Verständigung im Interesse der Bundeswehr finden. Der Umfang der Verteidigungsausgaben muß verstetigt werden. Eine Strukturreform der Bundeswehr, die unausweichlich ist, erfordert angesichts der Anspannung des Personal- wie des Sachhaushaltes unserer Streitkräfte beträchtliche Modernisierungsinvestitionen. Dazu sollten - neben dem Zusatzaufwand für den Balkan - die Spielräume der Seitenfinanzierung aus dem Einzelplan 60 genutzt werden. Der geplante Zusatzaufwand im Jahr 2000 wird mit rund 1,3 Milliarden DM geschätzt. Das heißt, rund 700 Millionen DM stehen im kommenden Jahr bereits für den Strukturwandel zur Verfügung, nämlich für die Modernisierung der Ausrüstung, orientiert an den neuen Aufgaben. Der nächste Haushaltsentwurf sollte - wie es der Bundesrechnungshof empfohlen hat; da haben Sie recht, Herr Austermann - die Verteidigungsausgaben, das heißt den gegenwärtigen Haupt- und Nebenhaushalt, zusammenfassen. In Verbindung mit der langfristigen Perspektive, die ich fordere, heißt das: Der Rahmen steht, und nun müssen die Schwerpunkte gesetzt werden. Vor diesem Hintergrund bleibt für den Verteidigungshaushalt 2000 festzuhalten: Erstens. Die Einschnitte beim Personal werden strukturneutral vorgenommen, im wesentlichen durch eine Anpassung der Soll- an die Ist-Zahlen. Die „Erläuterungen und Vergleiche“, die den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses und des Haushaltsausschusses vorliegen und jedermann zugänglich sind, weisen Verbesserungen der Beförderungssituation aus, die der Verteidigungsminister bereits in den Verhandlungen mit dem Finanzminister erreicht hat. ({14}) - Jetzt kommt das Wichtige, Kurt. Zweitens. Der Ansatz für den Teil der Sachausgaben, der auch die Rüstungsindustrie am meisten interessiert, nämlich für die Beschaffungen, liegt, einschließlich der Zusatzausgaben, die der Haushaltsausschuß innerhalb des Einzelplans 60 anerkannt hat, mit 7,6 Milliarden DM über dem Soll von 1999 - 7,3 Milliarden DM - und 1998 - da waren es 6,4 Milliarden DM. ({15}) Wir wollen das einmal festhalten. Die Rüstungsindustrie hat also keinen Anlaß, von einem Sinken der Investitionen zu reden. ({16}) - Der Verteidigungsminister wird noch das Wort nehmen, keine Sorge. In diesem Zusammenhang weise ich noch einmal auf eine wichtige Aussage des Finanzplans zur Investitionsplanung der Bundeswehr hin: Das für Ende des Finanzplanungszeitraums im Jahre 2003 angestrebte Niveau von … 43,7 Milliarden DM erfordert eine Überprüfung der Beschaffungsplanung im Rüstungsbereich mit dem Ziel, sich insgesamt konzeptionell auf die geänderten Rahmenbedingungen einzustellen. Ich füge hinzu: In diesem Rahmen ist eine Erhöhung der Investitionsquote nur durch eine Senkung der Personalquote erreichbar. Dies ist auch der Tenor der Beratungen der Außen- und der Verteidigungsminister der WEU in dieser Woche gewesen. Drittens. Die Anreize für mehr Wirtschaftlichkeit, die schon 1999 geschaffen worden sind, bleiben auch 2000 erhalten. Die Rendite für Effizienzsteigerung, die der Verteidigungshaushalt an den Gesamthaushalt abzuführen hat, ist von allen Ressorts am niedrigsten. Mit anderen Worten: Das Verteidigungsressorts behält im Vergleich zu den anderen Ressorts am meisten. Der Finanzminister ist dem Verteidigungsminister sehr weit entgegengekommen. ({17}) - Ihr Verhalten gibt allenfalls einen Chor. Aber verständlich sind Sie mit diesem Gebrüll nicht. Nach den Ergebnissen der ersten drei Quartale des Jahres 1999 werden der Bundeswehr über Verstärkungsvermerke Erlöse aus dem Verkauf von Material und Liegenschaften im gesamten Jahr in Höhe von rund 250 Millionen DM zusätzlich zum Plafond zufließen. Eine ähnliche Größenordnung ist auch 2000 erreichbar. Der Investitionshaushalt ist durch Erweiterung der Austauschvorhaben im Rahmen des Plafonds während der Haushaltsberatungen zusätzlich flexibilisiert worden. Das weist in die Richtung, die Investitionsquote zu erhöhen - eines der wichtigsten Ziele der Bundeswehrreform. Um in der Haushaltspolitik nicht nur das Soll, sondern auch das Ist zu kontrollieren - gerade vor dem Hintergrund des Stabilitäts- und Wachstumsprogramms der Europäischen Union -, sind auch die Jahresabschlüsse von Bedeutung. Daher kann ich mit Genugtuung berichten, daß der Kosten- und Ausgabenrahmen für die Einsätze der Bundeswehr in Bosnien und im Kosovo, von denen wir im Frühjahr ausgegangen sind, im Laufe dieses Jahres eingehalten worden ist. ({18}) Alle Dramatisierungen der Opposition von damals - wer hätte das nicht noch im Ohr? -, die Haushaltspolitik schränke unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit ein, haben sich als Unfug erwiesen. Sowohl militärisch als auch humanitär kann sich das deutsche Engagement auf dem Balkan sehen lassen. ({19}) Dafür danke ich im Namen unserer Fraktion - daran sollten auch Sie sich beteiligen - all denen, die dort Dienst tun, den Soldaten und den zivilen Helfern. ({20}) Im Haushaltsvollzug des nächsten Jahres werden uns einige Fragen beschäftigen, die von den BerichterstatVolker Kröning tern der Fraktionen zum Gegenstand von Berichtswünschen gemacht worden sind und zu denen das Ressort auch schon Berichte vorgelegt hat. Sie sind noch zu diskutieren - ich hoffe, im Haushalts- und im Verteidigungsausschuß. Sie betreffen Fragen wie Umfang und Struktur der Bundeswehrverwaltung, Optimierung der Planungs- und Entscheidungsprozesse bei der Rüstung, Nutzung industrieller Dienstleistungen, Straffung der Führungsorganisation der Teilstreitkräfte und vieles andere mehr. Nicht daß die Strukturreform der Bundeswehr im Haushaltsvollzug 2000 stattfinden sollte; doch wenn die Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ im zweiten Quartal ihren Bericht vorlegt, bleiben der Bundesregierung weniger als ein und dem Bundestag weniger als zwei Quartale für die erforderlichen weitreichenden Bewertungen und Entscheidungen bis zu den Haushalten der Jahre ab 2001. Dabei müssen der Vorrang des Parlaments nach Art. 87 a des Grundgesetzes ebenso wie die Initiativaufgabe der Regierung beachtet werden. Wenn Planungssicherheit gewährleistet werden soll, müssen Vorentscheidungen im Frühjahr fallen und so abgesichert sein, daß sie bei den Haushaltsberatungen im Herbst Bestand haben. Deshalb ein Wort zu den atlantischen und europäischen Anforderungen an den deutschen Verteidigungshaushalt. Die Vergleiche spielen in der innen- und außenpolitischen Debatte eine Rolle. Dies hat die Konferenz der Außen- und der Verteidigungsminister in der vorigen Woche gezeigt, die den EU-Gipfel der Staatsund Regierungschefs in Helsinki vorbereitet hat, und dies hat auch der Auftritt des Hohen Repräsentanten der EU für Außen- und Sicherheitspolitik in der vorigen Woche vor dem Parlament in Straßburg gezeigt. Auftrag, Art, Umfang und Zusammensetzung gemeinsamer militärischer Ressourcen der EU stehen auf der Tagesordnung. Von einem gemeinsamen Korps von rund 50 000 Soldaten, verfügbar in 60 Tagen, ist die Rede. Nimmt man den Anteil der Bundeswehr am militärischen Einsatz auf dem Balkan zum Maßstab, könnte ein deutsches Kontingent von 10 000 Mann notwendig sein. Ausrüstung, Ausbildung, Logistik und Kommunikation müssen darauf ausgerichtet sein. Bis 2003 soll die Eingreiftruppe stehen. Diese Anforderungen sind, wenn man die Bundeswehrreform entschlossen anpackt, im gegebenen Finanz- und Zeitrahmen zu erfüllen. Die Verantwortlichen in der und für die Bundeswehr wissen nach den Erfahrungen außereuropäischer und europäischer Einsätze, worauf es ankommt. Auch 1999 sind Vorhaben auf den Weg gebracht worden, die eher früher als später nötig gewesen wären. Ich nenne nur SATCOM und GTK. Wenn endlich eine Chance zu einer europäischen Verteidigungs- und Rüstungspolitik besteht, sollten auch die Probleme des Transports und der Aufklärung lösbar sein. ({21}) Nur eines muß klar bleiben: Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Schlußlicht bei den finanziellen Aufwendungen für Sicherheitsvorsorge und Friedenssicherung. ({22}) Die übliche Betrachtung nach dem Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt - - Hören Sie doch bitte einmal zu! Als wir gemeinsam beim Bundeswehr-Verband diskutiert haben, haben Sie ein bessere Figur gemacht als heute. ({23}) Die übliche Betrachtung nach dem Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, von der zum Glück bei der ersten Lesung des Haushalts 2000 keine Rede mehr war, ist in dreierlei Hinsicht korrekturbedürftig: ({24}) Erstens. Sie vernachlässigt Besonderheiten bei NATO-Ländern wie Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den USA, die auch Atommächte sind, oder der Türkei und Griechenland, die gerade erst dabei sind, ihre bilateralen Spannungen zu überwinden. Zweitens. Sie übergeht die gesellschaftlichen Kosten der Wehrpflicht, die schwer bezifferbar sind, aber auch die Kosten, die im Falle einer Berufsarmee für Werbung entstehen würden. Da sind wir uns einig: Eine Berufsarmee wollen wir nicht. Wir wollen an der Wehrpflicht - an einer machbaren Wehrpflicht - festhalten. ({25}) Drittens. Die Koppelung an das Bruttoinlandsprodukt ist mit der Notwendigkeit der Sanierung der Staatsfinanzen unvereinbar. Denn die Sanierung der Staatsfinanzen ist ja gerade der unabdingbare Beitrag Deutschlands zu Stabilität und Wachstum in Europa und damit auch zu einem Interessenausgleich zwischen den alten und den neuen Mitgliedern. Ich meine, daß die Verteidigungsausgaben eine feste Orientierung am Gesamtbudget brauchen. Dabei muß berücksichtigt werden, daß die Gesamtaufwendungen für äußere Aufgaben allein 1999 einen Anteil von fast 24 Prozent am Bundeshaushalt ausmachen - wenn man die Leistungen an die MOE-Staaten und die GUSStaaten, die bilateralen und multilateralen Ausgaben für Entwicklung sowie die Beiträge zur UNO samt Unterorganisationen und die Eigenmittelabführung an die EU einbezieht. ({26}) Rechnet man die EU-Beiträge heraus, beträgt der Anteil dieser Mittel für auswärtige Aufgaben am Gesamthaushalt 14,5 Prozent. Setzt man diese 14,5 Prozent an echVolker Kröning tem auswärtigen Aufwand, in den die Verteidigungsausgaben einbezogen sind, mit den 12,3 Prozent Verteidigungsausgaben in Beziehung, wird kein Mißverhältnis zu Lasten des militärischen Sicherheitsaufwandes sichtbar, sondern im Gegenteil: Der militärische Aufwand überwiegt den nichtmillitärischen Aufwand bei weitem. Es ist durchaus zu fragen, ob nicht stärker - und zwar im ganzen Kreis der EU - die Effizienzsteigerung als die Erhöhung dieses Postens diskutiert werden muß. Auch in dieser Hinsicht lassen sich die europäischen Außen- und Verteidigungsminister zitieren: Mit dem, was Europa militärisch aufwendet, leistet es im Verhältnis deutlich weniger als die USA. Vor Debatten über die Erhöhung der Verteidigungsausgaben ist also wirklich eine Verbesserung der Zusammenarbeit und Arbeitsteilung angesagt. ({27}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeigt sich folgendes: Die Bundesrepublik Deutschland hat eine Kultur der militärischen und nichtmillitärischen Sicherheitsvorsorge und Friedenssicherung entwickelt, die wir nicht klein- oder schlechtreden sollten. Sie drückt sich im Haushaltsjahr 2000 in einem Verhältnis von rund 59 Milliarden DM zu 55 Milliarden DM aus. Gelingt es uns, dieses Verhältnis im Lot zu halten, brauchen wir nicht um Stellen hinter dem Komma zu streiten, sondern dann haben wir für die Bundeswehr und für die Aufgaben, die sie erfüllen soll, viel erreicht. Danke schön. ({28})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Günther Nolting von der F.D.P.-Fraktion.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verteidigungsminister kann einem fast schon leid tun, weil er die Rede des Kollegen Kröning anhören mußte. ({0}) Herr Kollege Kröning, ich sage Ihnen: Der Verteidigungshaushalt 2000 ist kein Brückenhaushalt, er ist ein Nothaushalt; so hat ihn der Verteidigungsminister selbst bezeichnet. ({1}) Wenn Sie hier von einem Brückenhaushalt sprechen, kann ich Ihnen nur sagen: Diese Brücke ist verdammt brüchig und stürzt - Sie werden das erleben - in den Abgrund. Fest steht, Kollege Kröning - da können Sie heute als Rechenkünstler auftreten, wie Sie wollen -: Der Haushaltsansatz 2000 sinkt im Vergleich zu dem dieses Jahres um mehr als 3 Milliarden DM. Im Gegensatz dazu sollte in der mittelfristigen Finanzplanung der alten Bundesregierung der Verteidigungshaushalt für das Jahr 2000 wesentlich erhöht werden. Vielleicht haben Sie das noch in Erinnerung. ({2}) Man muß der Bezeichnung „Nothaushalt“ auch zustimmen, weil in der neu vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung eine Senkung bzw. Kürzung des Verteidigungsplafonds in einer Summe von fast 19 Milliarden DM bis zum Jahre 2003 erfolgen soll. Zusammen mit dem von Minister Scharping ebenfalls gesehenen Modernisierungsbedarf im zweistelligen Milliardenbereich in den nächsten Jahren ergibt sich somit ein Fehlbetrag von weit mehr als 30 Milliarden DM, Herr Kollege Kröning, für die notwendige sicherheitspolitische Vorsorge der Bundesrepublik. Ich sage Ihnen: Das ist unverantwortbar. ({3}) Herr Kollege Kröning, ich sage es noch einmal: Sie stehen in absolutem Widerspruch zu Bundesminister Scharping, der zusätzliche Finanzmittel in Höhe von mehr als 18 Milliarden DM fordert. Es ist doch Minister Scharping, der ständig von der Unterfinanzierung spricht. Ich denke aber, daß der Minister dazu gleich noch Stellung nehmen wird. Der Widerspruch wird sich dann auftun. Unseriös ist und bleibt das Verhalten des Bundesverteidigungsministers, der einerseits im Herbst dieses Jahres vor der Führungsakademie der Bundeswehr hohe Anschubfinanzierungen zur umfassenden Modernisierung der Bundeswehr einforderte, andererseits den Milliardenkürzungen seines Haushalts für das Jahr 2000 und in der mittelfristigen Finanzplanung im Bundeskabinett zustimmte. Die Bundeswehr erhält ständig neue Aufgaben und Aufträge, und die Finanzen werden ständig gekürzt. Dies kann nicht richtig sein. Ein Soldat sagte: Erst schickt man uns in den Krieg, dann tritt man uns ins Hinterteil. Meine Damen und Herren, wir reden hier nicht über irgendeinen Haushalt, wir reden hier über die Sicherheit Deutschlands, wir reden hier über die Sicherheit des Bündnisses, über unsere sicherheitspolitischen Interessen und vor allem über die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten. Der Umgang dieser Bundesregierung mit den vitalen Interessen unseres Landes ist unprofessionell und verantwortungslos. ({4}) Zu den finanziellen Belastungen kommen noch hausgemachte Fehlleistungen, beispielsweise wenn uns der Bundesaußenminister einen humanitär, militärisch und politisch fragwürdigen Einsatz aufzwingt, nur um die Seele der grünen Parteibasis zu streicheln. ({5}) Es war Außenminister Fischer, der auf einer Streitmacht von 80 Sanitätern bestand, die vom fernen Darwin aus den angeblich notwendigen Lufttransport von Verletzten aus Osttimor durchführen soll. ({6}) Bisher wurden etwa 10 Millionen DM aufgewendet. Jeden Monat kommen 5 Millionen DM hinzu. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, zu prüfen, ob dieser Bundeswehreinsatz abgebrochen werden kann, um das dadurch frei werdende Geld zur Bekämpfung des humanitären Notstands im Krisengebiet aufzuwenden. Ein entsprechender F.D.P.-Antrag liegt vor. Eine weitere, in Koproduktion zwischen Außen- und Verteidigungsminister herbeigeführte Fehlleistung war der Umstand, daß sich deutsche KFOR-Einheiten Material bei türkischen Kameraden ausleihen mußten und dann kurze Zeit danach der Bundesaußenminister eine nie dagewesene Politfarce im Bundessicherheitsrat angezettelt und sogar noch dafür gesorgt hat, daß diese an die Öffentlichkeit geriet. Auch dies war ein einmaliger Vorgang. ({7}) Dem Bundesminister der Verteidigung ist der Vorwurf nicht zu ersparen, daß er sich hier nicht energisch genug widersetzt hat, wie er sich auch den Kürzungen des Finanzministers im Rasenmähersystem nicht energisch genug widersetzt hat. ({8}) Liegt dies nun daran, daß der Verteidigungsminister übertriebene sozialdemokratische Solidarität übt, oder hat dies andere Gründe, daß er sich etwa als Reservekanzler bereithalten möchte, wie es die Medienspatzen hier in Berlin von den Dächern pfeifen? ({9}) Aber wie die Hintergründe auch sein mögen: Der Effekt ist in jedem Fall schädlich für die Bundeswehr und für die Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren, diese Regierung handelt in der Praxis, als hätte sie sich nicht im April in Washington verpflichtet, mehr für die europäische Verteidigungspolitik und deren Verankerung in der Atlantischen Allianz zu tun. Dies wurde völlig zu Recht von NATOGeneralsekretär Robertson bei seinem Antrittsbesuch hier in Deutschland gegenüber dem Kanzler angemahnt, Herr Kollege Kröning. Vielleicht haben Sie auch das noch in Erinnerung. Wir wissen darüber hinaus von all unseren Kontaktpersonen bei den Verbündeten im befreundeten Ausland, daß deutsche Repräsentanten seit Monaten immer wieder darauf angesprochen werden, welche unverständlichen Budgetplanungen Deutschland betreibt. Dort wird unter der Hand und oft höflich diplomatisch das ausgesprochen, was ich einmal deutlich im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik als den Weg zur Bananenrepublik bezeichnet habe. ({10}) - Ja, Herr Kollege, ich sage jetzt noch etwas dazu: In Regierungskreisen selber ist dagegen bezeichnenderweise der Vergleich vom Abstieg in die dritte Liga geläufig. Auch das wird gern vom Verteidigungsminister vorgetragen. Deutschland verliert in der internationalen Sicherheitspolitik enorm an Prestige und Einfluß, die von der letzten Regierung aufgebaut wurden, weil die Investitionen in äußere Sicherheit mit Aufgaben anderer Qualität über einen Kamm geschoben werden und weil die Praxis keine klare Linie in der Außen- und Sicherheitspolitik erkennen läßt. Dies begann mit der ebenfalls zum Wohlbefinden grüner Fundis von Außenminister Fischer angezettelten Ersteinsatzdebatte und reichte über eine praktisch nicht vorhandene Beteiligung an der Medienpolitik der NATO während der Kosovo-Operation bis zu den bereits eingangs von mir genannten Fehlleistungen. Neben diesen Kardinalfehlern berücksichtigt der von Rotgrün vorgelegte Einzelplan 14 auch wichtige Einzelaspekte nicht. Dazu gehört die von der F.D.P. mehrfach beantragte stufenweise Anpassung der Ostgehälter der Soldaten an das Westniveau. Die Soldaten in den östlichen Bundesländern brauchen hier endlich eine zeitliche Perspektive, aber Rotgrün hat einen entsprechenden Antrag der F.D.P. im Verteidigungsausschuß abgelehnt. ({11}) Dazu gehört die von Ihnen vor der Regierungsübernahme selber geforderte Wehrsolderhöhung, die durchzuführen Sie jetzt Gelegenheit hätten. Aber auch hier hat Rotgrün einen entsprechenden F.D.P.-Antrag abgelehnt. Dazu gehört Planungssicherheit für die wehrtechnische Industrie. Ich nenne hier stellvertretend für viele andere Bereiche die Instandsetzungskapazitäten und die Munitionshersteller. Fällige Exportanträge werden in unverantwortlicher Weise verzögert und verschleppt. Meine Damen und Herren, Sie werden jetzt vielleicht das klassische Gegenargument einwerfen, die Opposition stelle nur Forderungen, mache aber keine Vorschläge zur Kostendeckung. Dies ist falsch. Sie wissen genauso gut wie ich, daß in vielen Bereichen dreistellige Millionenbeträge zugunsten wesentlicher Aufgaben umzuschichten wären. Das reicht von den Verwaltungsausgaben für die Landesbauverwaltungen, die in keinem Verhältnis zur Leistung stehen, über die Effizienzrendite, die über eine zügigere Umsetzung der globalen Budgetierung zu erreichen wäre, bis hin zu entschlossenen Privatisierungen beispielsweise bei der Logistik, beim Transport oder aber auch in Teilbereichen der Ausbildung. ({12}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat übrigens ohne Not - wichtige Schaltstellen im internationalen Bereich aufgegeben oder erst gar nicht angetreten. Der deutsche Außenminister hält große Reden, aber Substanz und Konzepte fehlen. Dafür sind sein Gehabe und seine Arroganz nicht zu überbieten. Das haben wir auch heute im Deutschen Bundestag wieder erlebt. ({13}) Der deutsche Verteidigungsminister muß sich als Ausputzer für Kanzler und Kabinettskollegen betätigen und empfiehlt sich so für höhere Aufgaben. Der Kanzler selber - daran muß auch an dieser Stelle wieder erinnert werden - ist gegenüber seinem Verteidigungsminister, was die Stabilisierung des Einzelplanes 14 angeht, wortbrüchig geworden: Der Verteidigungshaushalt sollte nicht reduziert werden. Auch hier gilt das gebrochene Wort. ({14}) Dieser Regierung muß klar sein, daß ihre gesamte Politik, inklusive der Haushaltspolitik, weder in der Bundeswehr noch in der nationalen und internationalen Wahrnehmung Verständnis findet, weil sie schlicht und einfach falsch ist. Die Haltung der Verbündeten, die Proteste des Bundeswehr-Verbandes und die öffentlichen Diskussionen machen dies überdeutlich. Meine Damen und Herren von Rotgrün, Sie sollten Einsicht zeigen und einen anderen Weg einschlagen. Wir sind bei vernünftigen Ansätzen Ihrerseits zu konstruktiver Mitarbeit bereit. Den jetzt eingeschlagenen Kurs können und wollen wir als verantwortungsvolle Opposition nicht mittragen. ({15}) Aus diesem Grunde wird die F.D.P.-Fraktion dem vorgelegten Entwurf des Verteidigungshaushaltes nicht zustimmen. ({16}) Zum Schluß möchte ich allen Soldatinnen und Soldaten und allen zivilen Mitarbeitern, ob in den Einsatzgebieten oder hier im Lande, für ihre Arbeit danken. Herr Präsident, Ihnen gratuliere ich zum heutigen Geburtstag. Vielen Dank. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Rednerin gebe ich der Kollegin Angelika Beer vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Nolting, zu Ihrer Ankündigung, konstruktive Vorschläge zu machen, möchte ich sagen: Ich hätte mich gefreut, wenn in Ihrem zwölfminütigen Redebeitrag überhaupt ein einziger konstruktiver Vorschlag enthalten gewesen wäre. ({0}) Herr Kollege Nolting, noch vor einem Jahr hat so gut wie niemand - vor allen Dingen niemand aus Ihrer Partei - von der Notwendigkeit einer Reform der Bundeswehr gesprochen. Heute verhält sich das anders. Heute sind wir dabei, die Erblast Rühe abzuwickeln. Wir übernehmen diese Verantwortung. Wir haben inzwischen eine breite Diskussion über die Zukunft der Bundeswehr begonnen, die weit in die Gesellschaft hineinreicht. Es gibt mittlerweile kaum noch jemanden, der die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Bundeswehr bestreitet. Davon muß ich den Kollegen Nolting leider ausnehmen. Der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, hat dies in seiner Rede an der Führungsakademie der Bundeswehr am 8. September 1999 deutlich herausgestellt. Ich zitiere: In den nächsten zwölf Monaten geht es um nichts weniger als um eine grundlegende Neuausrichtung der Bundeswehr: Struktur, Umfang, Ausrüstung und Ausbildung gehören wieder in eine dauerhafte Balance. Damit wartet auf sein Haus, aber auch auf uns als Parlament eine gewaltige Aufgabe. Wir haben uns vorgenommen, diese Aufgabe zu erfüllen. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, haben wir die von Ihnen oft belächelte Kommission „Gemeinsame Sicherheit und die Zukunft der Bundeswehr“ eingerichtet. ({1}) Wir wollen genau die Fehler vermeiden, die die liberalkonservative Bundesregierung und Verteidigungsminister Rühe in den letzten Jahren gemacht haben. ({2}) Sie, die Kollegen der jetzigen Opposition, haben es versäumt, die außen- und sicherheitspolitischen Bedingungen und die internationalen Rahmenbedingungen anzupassen und die Bundeswehr dahin zu führen, daß sie diese Aufgaben adäquat erfüllen kann. ({3}) Mit einer kruden Mischung, Kollege Rossmanith, aus „weiter so“ und „schieben, strecken und streichen“ haben Sie sowohl die Reform der Außen- und Sicherheitspolitik als auch die Umstrukturierung der Bundeswehr verhindert. Wenn die Kommission Ihre Empfehlungen zu Beginn des nächsten Jahres vorlegen wird, dann wird sie auf eine sensibilisierte Öffentlichkeit stoßen. Wir können auf der Basis der Ergebnisse diskutieren, und wir müsGünther Friedrich Nolting sen die Entscheidungen umsetzen. Aus diesem Grunde wollen und können wir den Ergebnissen der Kommission nicht vorgreifen; vielmehr müssen wir behutsam vorgehen, ({4}) um diesen unter Ihnen starr gewordenen Apparat in die Zukunft zu wenden. Die Bundeswehr leistet ihren Solidarbeitrag zum Sparpaket. Wir haben ihre Leistungsfähigkeit und ihre Einsatzfähigkeit unter schwersten Bedingungen in Bosnien und im Kosovo sichergestellt. Daß Sie dies durch den Kakao ziehen, zeigt, wie wenig Ihnen tatsächlich an den Interessen der Bundeswehr gelegen ist. Ihre Äußerungen sind nichts weiter als Polemik. ({5}) Die Bundeswehr ist gegenwärtig besser denn je auf die anstehenden Veränderungen vorbereitet. Diese Veränderungen werden für alle - dies ist uns klar - mühsam werden, vor allen Dingen auch für die Soldaten. Ich hoffe auf deren Unterstützung und Motivation. Ich werde Ihnen sagen, warum die Regierung diese Unterstützung auch bekommen wird: Unsere Planungen vollziehen sich nicht im Hauruck-Verfahren, sondern langfristig. Dies ist das einzige Mittel, um den Soldaten wieder Planungssicherheit zu vermitteln. Dies ist unsere Zielsetzung. ({6}) Ich möchte unterstreichen: Wir werden die zukünftigen Aufgaben der Außen- und Sicherheitspolitik, die auch in den Bereichen Prävention, Gewaltvermeidung und Krisenmanagement liegen, erfüllen können und müssen. Die Dringlichkeit von Veränderungen wird allerdings auch von anderen Faktoren beeinflußt. Es wäre falsch, davor die Augen zu verschließen. Die Diskussion, ob der Dienst von Frauen in der Bundeswehr ausgeweitet werden soll, ist von Ihnen über Jahre hinweg als liberales Sommertheater inszeniert worden. Diesmal wird diese Diskussion kein Sommertheater bleiben und wird möglicherweise sogar unser Grundgesetz betreffen, weil eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig ist. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in einem andersgelagerten Fall und das Plädoyer des Generalanwaltes im Fall Kreil legen nahe, daß wir aus dem Urteil, das wahrscheinlich im Februar nächsten Jahres verkündet wird, Konsequenzen ziehen müssen. Die logische Folgerung daraus wird aus grüner Sicht die Abkehr von der Wehrpflicht und die Stärkung der freiwilligen Dienste sein. Dies wird dann für alle gelten. Wir sind bereit, diese Diskussion zu führen. Wir stehen in der Pflicht, weil die Bundeswehr im nächsten Jahr auf Grund der Reform vor einer Zäsur steht. Diese Zäsur wird die gesamte Gesellschaft und die Frauen betreffen. Die Frauen haben das Recht, die Frage des Wehrdienstes zu diskutieren. Ich möchte auch noch den Kosovo-Krieg ansprechen. Dieser Krieg hat uns allen deutlich vor Augen geführt, wie grundlegend eine Reform der Außen- und Sicherheitspolitik sein muß. Eine solche Reform erfordert in erster Linie die Stärkung der präventiven Fähigkeiten. Ich möchte klarmachen, daß wir während unserer zwölfmonatigen Regierungszeit nicht nur von Prävention geredet haben, sondern zum erstenmal begonnen haben, konkrete präventive Instrumente zu schaffen. ({7}) Wir haben die zivilen Friedensdienste gestärkt. Wir haben begonnen, einen Ausbildungsgang für zivile Kräfte einzurichten. Wir haben die Förderung der Friedensforschung endlich wieder aufgenommen. Damit haben wir begonnen, das Gerüst für eine präventive Außen- und Sicherheitspolitik zu errichten. Angesichts Ihrer Rechenbeispiele und Ihrer Diffamierungen im Zusammenhang mit dem Einzelplan sage ich Ihnen ehrlich: Außen- und Sicherheitspolitik - dies hat Außenminister Fischer vorhin sehr deutlich gemacht hat nicht immer etwas mit militärischen Einsätzen zu tun. Das, was wir im Rahmen des Stabilitätspaktes auf dem Balkan zu leisten bereit sind, ist eine Politik der Prävention und der Krisenverhütung. Sie soll sicherstellen, daß Gewalt in dieser schwierigen Region nicht wieder vorkommt. ({8}) Dies ist ein neues Politikkonzept. Lassen Sie mich noch den OSZE-Gipfel ansprechen, den Sie bisher nicht erwähnt haben. Ich begrüße ausdrücklich die Ergebnisse des OSZE-Gipfels; denn es ist nicht nur gelungen, den Rüstungskontrollprozeß in Europa zu stabilisieren - das war keine Selbstverständlichkeit -, sondern auch eine Sicherheitscharta zu verabschieden. Damit haben wir einen Schritt in Richtung einer gesamteuropäischen Friedensordnung unternommen. Ich möchte zum Schluß noch sagen: Ich hoffe sehr darüber haben wir heute schon gesprochen -, daß Rußland aus diesem OSZE-Gipfel die entsprechenden Lehren zieht und endlich erkennt, daß es in Tschetschenien keine militärische, sondern nur eine politische Lösung geben kann. Rußland ist auf dem Gipfel vielleicht auch klargeworden, daß es sich dann, wenn es sich anders entscheidet, langfristig gegen die OSZE und damit gegen die Organisationen stellt und sie schwächt, in deren Rahmen es mit uns in Europa weiter zusammenwachsen möchte. Ich hoffe deshalb, daß wir zukünftig nicht nur über den engsten militärischen Bereich, sondern auch über die Frage diskutieren werden, was wirklich Sicherheit schafft. Die Antwort, Herr Kollege Nolting und Herr Kollege Breuer, hängt nicht nur mit der Zahl der Waffen und deren Schlagkraft, sondern auch mit der Frage zusammen, ob wir zukünftig bereit sind, Kriege zu verhindern. Sie haben in den letzten 16 Jahren keine einAngelika Beer zige D-Mark für den präventiven Bereich lockergemacht. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Heidi Lippmann von der PDS-Fraktion.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident, auch meine Glückwünsche zu Ihrem Geburtstag! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nolting, Ihnen wurde eben deutlich gesagt, daß Ihnen das richtige Verständnis für die Bundeswehr fehlt. Vielleicht sollten Sie bei Frau Beer Nachhilfeunterricht nehmen und zum Beispiel die gesammelten Werke der letzten zehn Jahre nachlesen. Unter Umständen haben Sie dann das richtige Verständnis hierfür. ({0}) Haushaltsreden sind immer dazu angetan, Bilanz zu ziehen. Dies sollten wir auch bei dem vorliegenden Rüstungsetat tun. Bevor Rotgrün angetreten ist, hätte wohl niemand geglaubt, daß diese Regierungskoalition wenige Monate nach Amtsantritt einen Krieg führen würde oder daß ein Jahr danach Rüstungsexporte in die Türkei von seiten der Grünen toleriert würden, ohne daß diese die Koalitionsfrage hierzu gestellt hätten. ({1}) Wer hätte damals geglaubt, daß der grüne Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch - vehement und mit großem Einsatz - eine Rede über die Erneuerungspolitik der rotgrünen Regierung halten würde, wie er es heute morgen getan hat? Zu dieser Erneuerungspolitik gehört, daß auf militärische Stärke und Interventionsfähigkeit gesetzt wird. Zu dieser Erneuerungspolitik gehören die neue NATO-Strategie und der Ausbau der Europäischen Union zu einer Militärunion. Zu dieser Erneuerungspolitik gehören auch die Androhung und der Einsatz von Waffengewalt über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus. Ich denke, daß dies noch vor anderthalb Jahren kaum jemand erwartet hätte. Die nicht gerade als linkslastig zu bezeichnende „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat bei der rotgrünen Außenpolitik ein Gefühl von Größe ausgemacht. Dieses Gefühl von Größe läßt sich an vielen Punkten des vergangenen Jahres festmachen. Ich möchte einen herausgreifen, nämlich die nicht zu rechtfertigende Entscheidung über den Osttimoreinsatz. In dem Antrag zur Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Osttimor hieß es: Deutschland darf sich seiner Verantwortung in aller Welt nicht entziehen. Dieser Satz ist, losgelöst gesehen, durchaus richtig; denn Deutschland als eines der reichsten Länder des Nordens hat eine weitreichende Verantwortung. Doch dieser Satz in einem Antrag zur Entsendung von Miltitäreinheiten macht deutlich, wie diese Verantwortung interpretiert wird, nämlich in Richtung militärischer Präsenz weltweit. Dieser Ansatz ist nicht nur falsch, sondern dieser Kurs ist unverantwortlich und gefährlich. ({2}) Die Verantwortung ernst zu nehmen hieße, zur Gestaltung einer friedlicheren, sozial gerechteren Welt beizutragen. Die Instrumente hierfür sind bekannt: Krisenund Konfliktvorbeugung, eine gerechte soziale NordSüd-Politik, die Verringerung des sozioökonomischen Drucks, der auf vielen Konfliktländern lastet, eine nachhaltige Umweltpolitik, eine intensivere Entwicklungszusammenarbeit und auch eine soziale Stabilität im Innern. Hierzu gehören selbstverständlich auch der Abbau von Militär und seinen Strukturen, eine drastische Reduzierung der Rüstungsproduktion und ein Verbot für Rüstungsexporte. All dies ist nicht neu. Bis vor anderthalb Jahren haben große Teile der SPD und der Grünen diese Forderungen vertreten. ({3}) Der vor uns liegende Haushalt spricht allerdings eine ganz andere Sprache. Dies wird in diesem Hause immer wieder deutlich verbalisiert. Statt die Kosten für die Entwicklungszusammenarbeit endlich den 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts anzunähern, hat es eine erneute Kürzung gegeben: Das Volumen dieses Haushalts ist um 8,7 Prozent geringer als im Vorjahr. Im Vergleich zu dem der alten Regierung, also dem Haushalt 1998, sind es sogar 9,6 Prozent. Damit liegt der Wert fast bei 0,2 Prozent. Dies ist etwas, was im Wahlkampf gerade von den Herren und Damen dieser beiden Parteien noch verurteilt wurde. ({4}) Über die innere Stabilität haben wir hier ja lang und breit geredet. Die massiven Einsparungen im Sozialhaushalt treffen insbesondere Rentner und Rentnerinnen, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose und Kranke. Die Militärausgaben hingegen steigen effektiv um 900 Millionen DM auf 59,6 Milliarden DM, knapp 60 Milliarden DM nach NATO-Kriterien. Herr Scharping fordert für die nächsten Jahre noch 20 Milliarden DM mehr; das wissen wir. Damit hätte dieser Haushalt einen Anteil von 12 Prozent am Gesamthaushalt der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Rüstungsproduktion und den Rüstungsexporten liegt Deutschland nach wie vor unter den sechs führenden Staaten, die weltweit für rund 85 Prozent aller Rüstungsexporte verantwortlich sind. Nachdem hier so lang und breit über den Nothaushalt lamentiert wurde, frage ich mich, weshalb nicht bei diesem Haushalt eine Zäsur gemacht wurde. Weshalb wartet man ab, bis die Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ im nächsten Jahr weitreichende oder vielleicht auch nicht weitreichende Entscheidungen vorschlagen wird? Weshalb leistet sich die Bundesrepublik im Jahr 1999 eine Armee mit über 300 000 Soldaten und 120 000 Zivilangehörigen? Warum unterhält sie viele überflüssige Kasernen und unzählige Standorte und verfügt weiterhin über ein stehendes Heer, das für den Verteidigungsfall während des kalten Krieges konzipiert war, der heute unwahrscheinlicher denn je ist? Weshalb hält die Bundesregierung nach wie vor an Wehrpflicht und Zivildienst fest? ({5}) Nach wie vor hält sie ebenso an Beschaffungsprojekten wie dem Eurofighter fest, der in den nächsten 15 Jahren mit 20 Milliarden DM im Haushalt zu Buche schlagen wird. Dieser Eurofighter - daran erinnere ich noch einmal - ist ein Kampfflugzeug, ein Jagdbomber, der für kriegerische Angriffe ausgelegt ist. ({6}) Ausgehend von der These, daß im Kosovo-Krieg die Kriegsführung der Zukunft deutlich geworden sei, die der Herr Verteidigungsminister aufgestellt hat, frage ich mich, wie diese Eurofighter künftig bei den kriegerischen Geschäften eingesetzt werden sollen. ({7}) Unter dem Gesichtspunkt einer Haushaltskonsolidierung bieten der Einzelplan 14 und der Einzelplan 60, in denen Kriegs- und Kriegsfolgekosten veranschlagt sind, genügend Möglichkeiten, um umfangreiche Einsparungen vorzunehmen. Unsere diesbezüglichen Haushaltsanträge haben Sie leider bisher abgelehnt. ({8}) Die PDS ist nicht bereit, Ihren Weg mitzugehen. Deshalb lehnen wir - das wird Sie nicht überraschen Ihren Haushalt ab. Wir lehnen allerdings genauso den Antrag der CDU/CSU auf Einstellung einer globalen Mehrausgabe in Höhe von 1,7 Milliarden DM in diesen Haushalt ab. Lediglich dem Antrag der F.D.P. auf eine Erhöhung des Wehrsolds in den neuen Bundesländern werden wir zustimmen. Die Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfeinsätzen out of area, den Aufwuchs der sogenannten Krisenreaktionskräfte auf 63 000 Mann, Kampfbomber wie den Eurofighter oder neue Transportflugzeuge, die lediglich dazu dienen, Truppenkontingente schneller zu kriegerischen Einsätzen zu bringen, neue Satelliten zur militärischen Aufklärung und auch Rüstungsexporte in dem Umfang, wie sie jetzt betrieben werden, lehnen wir ab. ({9}) Wir wollen, daß unser Land zu einer Politik der Selbstbeschränkung zurückkehrt, zu einer Politik der militär- und machtpolitischen Selbstbegrenzung. Herr Fischer sprach das ja vorhin an, nur widerspricht seinen Worten der Kurs, den der Verteidigungsminister gestern insbesondere auch in Luxemburg vertreten hat.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Lippmann, kommen Sie bitte zum Schluß.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluß. Wir wollen, daß in diesem Lande endlich Abrüstungspolitik gemacht wird und die für Balkaneinsätze vorgesehenen 2 Milliarden DM statt dessen in den zivilen Wiederaufbau investiert werden. ({0}) Wir fordern die dringend erforderliche Aufstockung der Entwicklungshilfe. Krisenvorbeugungspolitik sollte zum Markenzeichen deutscher und europäischer Außen- und Sicherheitspolitik werden, nicht das Eurocorps oder der Eurofighter. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Winfried Nachtwei das Wort.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst mit den beiden Oppositionsflügeln von rechts und von links auseinandersetzen. Nach allem, was ich von Ihnen von der CDU/CSU gehört habe - Herr Kollege Breuer, ich nehme an, daß ich Sie da nicht zu Unrecht vereinnahme -, ist Ihre Kritik laut, alarmistisch und äußerst hohl. ({0}) 16 Jahre lang standen Sie in der Herausforderung von Regierenden, das als notwendig Erachtete im Rahmen des Möglichen zu bewerkstelligen. Frappierend ist, wie schnell Sie sich nun ins Reich der Wünsche verabschiedet haben und den Einzelplan 14 einfach von der Konsolidierung ausnehmen wollen. ({1}) Ihre Forderung nach Wiedererhöhung des Volumens des Einzelplans 14 ist angesichts Ihres eigenen Regierungshandelns billigster Populismus, gerichtet auf Bundeswehrangehörige, die Ihnen das allerdings in keiner Weise als realistisch abnehmen. ({2}) Zugleich fällt Ihr Schweigen auf, Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Sie schwiegen hinsichtlich der Zukunft der Bundeswehr, obwohl offenkundig ist, daß einschneidende Reformen bevorstehen. Von Ihnen ist da außer Strukturkonservatismus und Mittelerhöhung ganz und gar nichts zu hören. Das ist aber vor dem Hintergrund ganz besonders verantwortungslos, daß im Umfeld Ihrer Partei - das muß man vor allem aus unserer Sicht zugestehen - viel militärischer Sachverstand versammelt ist. Daß Sie hier so schweigen, ist also besonders bemerkenswert. Sie sprechen - Herr Breuer, Sie besonders - immer so gern von Verpflichtung und Verantwortung. Aber auf Ihrem traditionellen Feld militärischer Sicherheitspolitik nehmen Sie Ihre Verantwortung offensichtlich in keiner Weise wahr. Nun zur linken Seite: Es fällt ein bißchen schwer, zu den Aussagen der PDS Stellung zu nehmen, weil diese Partei bei den gesamten Haushaltsberatungen im Ausschuß nicht vertreten war. ({3}) Trotzdem will ich es tun. Zum zweitenmal stimmt Bündnis 90/Die Grünen dem Einzelplan 14, einem Verteidigungs-, einem Militärhaushalt, zu. Viele unserer bisherigen Mitstreiter und auch die PDS als Neumitglied oder auch Trittbrettfahrer der Friedensbewegung werfen uns vor, die alte gemeinsame Sache von Abrüstung und Entmilitarisierung verraten zu haben. ({4}) Das können nur solche sagen, die erstens die Wirklichkeit selektiv wahrnehmen und die zweitens auf Positionen von 1996 und früher stehengeblieben sind. ({5}) Sie ignorieren nämlich die Erfahrungen, die wir seitdem - zum Teil schmerzhaft - mit SFOR und KFOR gemacht haben, und sie ignorieren die Bedingungen einer Regierungsbeteiligung. Regierungsbeteiligung heißt schlichtweg und unausweichlich, auch Mitverantwortung für die Bundeswehr, ({6}) für ihre Einsätze und ihre Ausstattung zu tragen, und zwar in einem friedensförderlichen Sinne. Diese Mitverantwortung trägt man unausweichlich. Was SFOR und KFOR seit Jahren und Monaten im Kosovo und in Bosnien leisten, hat nichts mit Aufrüstung und Militarisierung zu tun. ({7}) Auch wenn es altgedienten Antimilitaristen unmöglich erscheint: KFOR und SFOR sind, von nahem besehen, unverzichtbar gerade für das Gegenteil, nämlich für die gesellschaftliche Entmilitarisierung und den Aufbau eines rechtsstaatlichen Gewaltmonopols in diesen vom Krieg zerrütteten Gebieten. ({8}) Allerdings sehen wir mit Interesse, daß in die hiesige PDS-Fraktion - ich weiß nicht, ob das auch für Frau Kollegin Lippmann gilt; ({9}) es scheint mir nicht der Fall zu sein - die Erfahrungen internationaler Krisenbewältigung und der Rolle des Militärs dabei zumindest etwas einsickern. ({10}) In Anerkennung der ganzen UN-Charta, also auch des Kapitels VII, hat die PDS-Fraktion die Notwendigkeit einer UN-Polizeitruppe zugestanden. Mit anderen Worten: Sie verabschieden sich damit von einem pauschalen Antimilitarismus, Sie verabschieden sich von einem radikalen Pazifismus, den Sie in den letzten Jahren aus parteitaktischen Motiven aufgebaut haben. ({11}) Allerdings können Sie dabei als nächstes nicht der Frage ausweichen, was bei gewalttätigen Krisensituationen, wenn alle anderen Mittel versagt haben, getan werden kann, solange wir diese wünschenswerte UN-Polizeitruppe noch nicht haben. ({12}) Nach dem Kosovo-Krieg steht die Erörterung der militärischen Defizite der westeuropäischen Staaten im Vordergrund. Das ist naheliegend, aber gefährlich verkürzt. Angesagt ist eine Bilanzierung des gesamten Spektrums der Krisenbewältigung. Die Vorstellung von kurzen und schnellen Krisenbewältigungen, die auch durch Begriffe wie „Schnelle Eingreiftruppe“ genährt wird, ist eine pure Illusion. Wenn Krisenbewältigung bei innerstaatlichen Gewaltkonflikten überhaupt eine Erfolgschance haben soll, muß sie multidimensional und längerfristig angelegt sein. ({13}) Nur zwei Defizitbereiche nenne ich beispielhaft. Wir haben es bei der großen OSZE-Mission gesehen: Internationale Friedensmissionen konnten nicht schnell und nicht qualifiziert genug aufgefahren werden. Die Bundesregierung hat hieraus inzwischen die praktische Konsequenz gezogen und dafür gesorgt, daß bei uns in Zukunft genügend qualifiziertes Personal für solche Friedensmissionen bereitsteht. Das zweite Defizit zeigt sich beim Peace-building im Kosovo. Nach Beendigung der offenen kriegerischen Gewalt spielen bei der Herstellung eines rechtsstaatlichen Gewaltmonopols neben einer Friedenstruppe internationale Polizeimissionen eine Schlüsselrolle. Ihr Erfolg ist Voraussetzung dafür, daß Friedenstruppen überhaupt wieder reduziert bzw. ganz abgezogen werden können. Die Bundesrepublik Deutschland leistet hinsichtlich dieser Funktion - das will ich betonen - vorbildliche Beiträge. Ich danke - ich gehe davon aus, im Namen des ganzen Hauses - den Beamten der Länderpolizeien und des Bundesgrenzschutzes nachdrücklich für ihren Einsatz in den internationalen Missionen. ({14}) - Und den Beamten des BKA.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß!

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Zugleich muß die internationale Staatengemeinschaft ihre bisherige Vernachlässigung dieses Instruments im Hinblick auf Rekrutierung, Qualifizierung und materielle Ausstattung überwinden. Das Problem fängt allerdings - das müssen wir ehrlicherweise zugeben bei uns an. Wir als deutsches Parlament müssen unsere Verantwortung auch gegenüber diesem Instrument der Krisenbewältigung in Zukunft ganz anders wahrnehmen. Nur alles zusammen ist erfolgversprechend, was den künftigen Umgang mit solchen Krisen angeht. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Paul Breuer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe einen Artikel aus der Tageszeitung „Die Welt“ vom 9. September 1999 mitgebracht. ({0}) Darin heißt es, Minister Scharping sehe die Bundeswehr bald auf Platz 17 in der NATO. Nun haben wir alle der heutigen Debatte beigewohnt und den geschätzten Kollegen Kröning gehört. ({1}) Dieser machte deutlich, die Bundeswehr und der Verteidigungshaushalt seien für die Zukunft bestens vorbereitet. Entweder hat Scharping recht, oder die SPD-Fraktion hat recht. ({2}) Ich behaupte: Scharping hat eine realistische Sichtweise, und die Traumtänzer sitzen in seiner eigenen Fraktion im Deutschen Bundestag. ({3}) Das macht die eigentliche Tragik der deutschen Verteidigungspolitik in dieser Legislaturperiode aus, die für die Zukunft der Bundeswehr und damit für die Wahrnehmung der deutschen Sicherheitsinteressen entscheidend sein wird. Der Bundesverteidigungsminister antwortet in der Drucksache 14/1795 ({4}) auf eine Anfrage der verteidigungspolitischen Sprecherin der zweiten Koalitionsfraktion, nämlich der Grünen, Frau Beer - die Frage lautet: „Wie beurteilt die Bundesregierung den Umfang des deutschen Beitrages ... in der NATO zur Sicherheit in Europa ...?“ -: ... Sollte es jedoch bei der Finanzplanung - der Finanzplanung der Bundesregierung bleiben, ist mit einer deutlichen Absenkung der Personalstärke, weiter zunehmenden Problemen im Betrieb und bei der Modernisierung der Streitkräfte zu rechnen. Dies würde das politische Gewicht der Bundesrepublik nicht unbeeinträchtigt lassen. ... ({5}) - Herr Außenminister Fischer, das geht Sie mehr an, als Sie selbst glauben. Wenn Herr Scharping sagt, wir könnten nicht in der Champions League spielen und gleichzeitig für die Bundeswehr nichts tun, denn dann drohe der Abstieg in die zweite Liga, ({6}) dann meint er mit der Champions League auch Sie. Er meint, daß Sie den Anspruch erheben, in der Champions League zu spielen, aber das, was in Ihrer Koalition gemacht wird, lediglich den Abstieg verdient. Das ist der Widerspruch in dieser Koalition. ({7}) Ich halte es schon für interessant, daß Sie sich hier in die Nähe Ihrer Kollegen begeben. Ich will Ihnen auch empfehlen, diese Nähe zu suchen. Denn Sie sind sehr flugs dabei, die Bundeswehr einzusetzen. ({8}) Das haben wir bei Osttimor gesehen. Aber ihr die nötige Ausstattung dafür zu geben, dazu sind Sie nicht in der Lage. Sie gehen sehr leichtfertig damit um. Das richte ich an die Adresse der Koalition. ({9}) Ich bedaure es, daß in Deutschland in den letzten Jahren über die Sicherheitspolitik und damit auch über die Zukunft der Bundeswehr zu stark vor dem Hintergrund der finanzpolitischen Aspekte diskutiert worden ist. Ich räume ein - um das deutlich zu sagen -, daß das auch in der Zeit der CDU/CSU-Verantwortung zu stark so gewesen ist. Das müssen wir zugeben. Viel zu lange haben wir alle in diesem Parlament ich meine die verantwortlichen Sicherheitspolitiker und Finanzpolitiker - eine Debatte laufen lassen, die nicht gut ist, ({10}) nämlich die Debatte, daß eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit eigentlich nur dann möglich sei, wenn man es organisieren könnte - das machen wir seit zehn Jahren -, daß die Personalstärke und die Ausrüstung der Bundeswehr reduziert würden und mit den gewonnenen Mitteln die Zukunft der Bundeswehr und des deutschen Beitrages gesichert würde. Ich halte das für einen grandiosen Widerspruch. Die Problematik des Verteidigungsministers Scharping ist, daß er keine Chance sieht, in der rotgrünen Koalition diese Entwicklung, die eine neue Qualität gewonnen hat, aufzuhalten. Das ist die Problematik der deutschen Verteidigungspolitik. Die Pflicht der Opposition ist es, die Bundesregierung zu überprüfen und zu kritisieren. ({11}) Herr Kollege Fischer, es geht eigentlich um die Frage der Sinnhaftigkeit ({12}) des deutschen Beitrages innerhalb Europas und der NATO. Wir, die CDU/CSU, stellen als Basis unserer Überlegungen eine sorgfältige sicherheitspolitische Analyse an. Erstens soll die Landesverteidigung in der Bündnisverteidigung wichtigste Aufgabe bleiben. ({13}) Auf Grund der diffusen Sicherheitslage, vor allem im östlichen Teil Europas, ist es dabei nicht ausgeschlossen, daß Bündnispartner unter Druck geraten. Das betrifft zweitens die Krisenvorsorge und die Krisenbewältigung vor allem an der Peripherie des Bündnisses, die an Bedeutung gewonnen haben und gewinnen. Das betrifft drittens die Tatsache, daß Amerika auf Dauer kein so starkes Engagement in Europa zeigen kann, wie das heute noch der Fall ist. Die Demokratien in Europa müssen immer mehr selbst aktiv werden. ({14}) Vor diesem Hintergrund und der Bewertung der sicherheitspolitischen Lage müssen wir uns von einigen Gedanken leiten lassen, nämlich erstens von der Bündnis- und Europafähigkeit Deutschlands, zweitens davon, daß die Landes- und die Bündnisverteidigung im Rahmen der Krisenbewältigung gleichermaßen gesichert werden müssen, drittens davon, daß deshalb der Bestand und die Weiterentwicklung der allgemeinen Wehrpflicht unabdingbar sind, viertens davon, daß nur mit Investitionen und durch die Nutzung moderner Technologien sowie Waffensysteme - und nicht durch Kürzungen eine Modernisierung erreicht werden kann, fünftens davon, daß die Straffung von Führungsstrukturen im militärischen und zivilen Bereich zwingend notwendig ist allerdings nur in der Reihenfolge, daß vorher Investitionen stattzufinden haben -, und sechstens davon, daß dabei eine Rationalisierung innerhalb der Bundeswehr stattzufinden hat, die ebenfalls nur mit Investitionen angeschoben werden kann. ({15}) Welches Konzept hat die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen hier im Deutschen Bundestag in diesem Zusammenhang? ({16}) Ich bin ja soeben nach Konzepten gefragt worden. Der Verteidigungshaushalt 2000 ({17}) ist aus der Not geboren und mit einer heißen Nadel nach der Vorgabe Eichels genäht worden. ({18}) Sie muten uns zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu, über einen Verteidigungshaushalt zu befinden, ohne daß eine gesicherte mittelfristige Finanzplanung für den Verteidigungshaushalt besteht. Das ist unglaublich. Das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben. ({19}) Wenn der Bundesverteidigungsminister in diesem Zusammenhang von einem Nothaushalt spricht ({20}) - das hat er getan; Sie sollten ihm mehr zuhören -, dann meint er damit nicht nur das Haushaltsjahr 2000, sondern dann spricht er auch davon, daß in der mittelfristigen Finanzplanung, in der im Hinblick auf den Verteidigungshaushalt ein Absturz um fast 20 Milliarden DM droht, ({21}) der deutsche Beitrag für die Sicherheitsinteressen unserer Bürger und unseres Landes in Unordnung kommt. Wir befinden uns hier an einem Wendepunkt, der in dieser Debatte deutlich angesprochen werden muß. ({22}) Die CDU/CSU hat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland während der Zeit, in der es die Bundeswehr gibt, erst fünfmal gegen einen Verteidigungsetat gestimmt. ({23}) - Sie konnten nicht so oft dagegen stimmen, Herr Fischer. So lange ist Ihre Partei noch nicht im Bundestag, und ich befürchte, Sie werden nicht mehr lange hier sitzen. ({24}) Wir stimmen in dieser Woche das sechste Mal dagegen. Das heißt, wir haben es uns in der Vergangenheit auf Grund unseres Verständnisses als staatstragende Kraft in Deutschland nicht einfach gemacht. ({25}) Wer für den Haushalt 2000 stimmt, der muß wissen, daß dies der erste Haushalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist, der in dem wichtigen Feld der Verteidigung keine mittelfristige bzw. langfristige Perspektive beinhaltet. ({26}) Lassen Sie mich dazu noch eines sagen: Da tritt der Bundesfinanzminister auf und sagt, man müsse doch verstehen, daß auch die Bundeswehr von Sparmaßnahmen nicht ausgenommen werden könne ({27}) - das hört man auch in Ihrer Fraktion -; ({28}) denn schließlich müsse auch die Bundeswehr ein Interesse daran haben, daß die Staatsfinanzen solide seien. Das ist eine abenteuerliche Begründung. ({29}) Es geht doch nicht um die Interessen der Bundeswehr, sehr verehrte Kollegen der SPD. Vielmehr geht es um die Sicherheitsinteressen der Menschen in Deutschland, um die Sicherheitsinteressen unseres Landes. ({30}) - Sehr verehrte Frau Kollegin Wohlleben, hier erfolgt eine schleichende Veränderung der Prioritäten der Politik unseres Landes. ({31}) Wenn Herr Scharping ehrlich ist - was ich unterstelle -, dann soll er gleich zum Rednerpult kommen - er wird sprechen; das ist nicht zu verhindern ({32}) und folgendes sagen: Die im Bundeshaushalt 2000 veranschlagten Mittel steigen, wenn auch um nicht sehr viel, ({33}) aber der Ansatz für den Verteidigungshaushalt sinkt gegenüber dem Vorjahr um 1,7 Milliarden DM, gegenüber der alten mittelfristigen Finanzplanung um 3,5 Milliarden DM. ({34}) Wenn der Finanzminister diese Woche einen Haushalt verabschieden lassen will, der vom Mittelansatz her gestiegen ist, die Mittel im Verteidigungshaushalt aber sinken, dann bedeutet dies, daß die Priorität der deutschen Verteidigungspolitik in diesem Hause mit Zustimmung derer, die dies verabschieden, abnimmt. Diese Prioritätenverschiebung ist nicht zu vertreten. Wir werden erleben, daß der Verteidigungsminister, der diesen Umstand bedauert, durch sein Abstimmungsverhalten mit dafür verantwortlich wird, daß er selbst absteigt. ({35}) Das kann ich eigentlich nicht begreifen. Die Zukunft der Bundeswehr, die Zukunft der deutschen Verteidigungspolitik bedarf mehr Verläßlichkeit und mehr Vertrauen. Dies sind nicht nur in der Sicherheitspolitik entscheidende Größen, sondern auch dann, wenn es um eine Großorganisation wie die Bundeswehr, wenn es um Menschen geht. ({36}) Ich unterstelle einmal, daß sich der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Kollege Wieczorek - er ist leider erkrankt; gute Besserung, Helmut Wieczorek -, der Frage der Berechenbarkeit sehr wohl bewußt war, als er in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ gesagt hat ({37}) - das ist Ihnen allen geläufig -, daß die Bundeswehr Stellen abbauen müsse, insbesondere beim BeschafPaul Breuer fungsamt - dort handelt es sich um 20 000 Stellen -, daß 1 500 Panzer veräußert werden müßten usw. Ich kenne die Schreiben der betroffenen Menschen an den Verteidigungsausschuß. Darin wird deutlich, daß sie sich in dieser Frage - und es sind Arbeitnehmer - nicht von der SPD vertreten fühlen. Warum? Sie gehen an diese Sache in einer Art und Weise heran, die völlig unvertretbar ist. Wenn wir die Zukunft der Bundeswehr bestimmen wollen, wenn wir die Bundeswehr umbauen, sie reformieren wollen, dann können wir das nicht gegen die Mitarbeiter, die Soldaten und zivilen Bediensteten der Bundeswehr tun. ({38}) Wir müssen das gemeinsam mit ihnen tun. ({39}) Seien Sie ehrlich - dies richte ich an den Verteidigungsminister -, ({40}) was die Konsequenzen der mittelfristigen Finanzplanung angeht, die der Kollege Kröning für die SPDFraktion gutgeheißen hat. Die Universität der Bundeswehr München, Bereich Wirtschaftsorganisationswissenschaften, hat die Konsequenzen berechnet - der ehemalige stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr war daran beteiligt -: Die militärische Personalstärke ginge von 340 000 auf 230 000 zurück. Die Grundwehrdienstdauer läge bei etwa sechs Monaten. Die Fähigkeit zu Auslandseinsätzen verringerte sich um mindestens 15 Prozent. Die investive Lücke wüchse auf 30 bis 40 Milliarden DM. Der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt sänke von 1,3 auf 1,1 Prozent; dann lägen wir an der zweitletzten Stelle mit nur noch Luxemburg hinter uns. Deutschlands möglicher Bündnisbeitrag bei Auslandseinsätzen läge um 50 Prozent unter den Erwartungen unserer Partner. Im Binnenbereich der Bundeswehr hätte es verheerende Auswirkungen auf das Dienstklima, die Nachwuchsgewinnung, das Vertrauen in die Politik: zirka 120 000 bis 170 000 Arbeitsplatzverluste, 20 000 bis 30 000 Arbeitslose, 150 bis 200 der 600 Standorte der Bundeswehr würden aufgelöst, fiskalische Entlastungen per annum lägen in der Größenordnung von unter 1 Prozent des Bundeshaushaltes. Meine Damen und Herren Kollegen, wenn Sie eine Debatte ernsthaft führen, dann frage ich Sie: Wenn derart verheerende Auswirkungen drohen - niemand bestreitet sie; der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Walter Kolbow, hat in einer Diskussion gestern zugestimmt, daß es so wäre -, könnten Sie sich bei Ihrer Verantwortung nicht einmal einen Ruck geben und sagen, dieser rotgrüne Zirkus in der Verteidigungspolitik muß beendet werden? Es ist unverantwortlich, was hier geschieht. ({41}) Herr Kollege Erler, ich richte direkt an Sie die Frage: Betreiben Sie diese Finanzpolitik mit der Zielsetzung, genau das zu erreichen, was die Bundeswehruniversität feststellt? Kommt Ihnen dieses Mittel gerade recht, weil Sie das schon immer wollten, oder ist es eine Folge einer Sparpolitik, die Sie als notwendig erachtet haben? ({42}) Ich habe den Eindruck, daß es eine ganze Reihe von Kollegen auf den rotgrünen Bänken gibt, denen die Finanzenge, von der Sie heute sprechen, regelrecht zupaß kommt. Sie wollen eine andere deutsche Sicherheitspolitik. ({43})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Breuer, kommen Sie bitte zum Schluß.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Herr Präsident. Ich komme zum Ende. Bei Ihnen, Frau Kollegin Beer, bin ich fest davon überzeugt, daß sie Ihnen zupaß kommt. Sie wollen eine andere Rolle der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Deswegen sind Sie froh, daß Sie das mit der Finanzpolitik begründen können. Sie springen zu kurz und zäumen das Pferd vom Schwanze auf. Der deutsche Sicherheitsbeitrag muß bestimmt werden aus dem deutschen Rollenverständnis in der Verantwortung für Europa und für die NATO. Das, was Sie an Beitrag leisten - das bescheinigt Ihnen der Verteidigungsminister -, ist völlig unverantwortlich. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Ich schließe mich den herzlichen Glückwünschen zum Geburtstag an. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten die deutsche Sicherheitspolitik in die internationale Lage einordnen und sie als das verstehen, was sie ist, nämlich umfassend und kooperativ. Umfassend in dem Sinne, daß sie wirtschaftliche, ökologische, soziale, kulturelle Aspekte einbezieht, kooperativ in dem Sinne, daß sie mit anderen Nationen gemeinsam Sicherheit sucht. Früher hat man gefragt: Wo steht der Feind? Heute sollte man fragen: Wo ist der Partner für gemeinsame Sicherheit? ({0}) Wenn man das tut, dann fällt es auch leichter, einzelne Haushalte zu betrachten. Darauf will ich gleich kommen. Ich will hinzufügen, daß die internationale Lage eher von gewissen Herausforderungen und ihrem Anwachsen geprägt ist und daß wir uns darüber klar sein sollten, daß mit den Präsidentschaftswahlen sowohl in Rußland wie auch später in den USA ein gewisser Attentismus und möglicherweise auch eine mangelnde Kooperationsbereitschaft oder Kooperationsfähigkeit drohen können. Wir hoffen das nicht, aber man sollte es in Rechnung stellen. Die NATO hat eine neue Strategie verabschiedet. Die Europäer haben sich entschlossen, eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aufzubauen, in deren Rahmen eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik steht. Die Verantwortung und die Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland sind gewachsen. Das alles sage ich, weil nach meiner Überzeugung auch in Zukunft die Entscheidungen über die Sicherheitspolitik unseres Landes auf einer möglichst breiten gesellschaftlichen wie parlamentarischen Grundlage erfolgen sollten. ({1}) Die Bundeswehr braucht diesen Konsens, damit auch die Soldatinnen und Soldaten wissen, wofür sie eintreten und daß sie dabei bei Bevölkerung, Parlament und Regierung Unterstützung haben, zumal wenn es um internationale Einsätze geht. Diese Unterstützung ist gegeben. Weit über 80 Prozent der Menschen in unserem Land haben großes Vertrauen in die Bundeswehr. Die NATO genießt höchstes Ansehen; mehr als 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sprechen sich für eine Mitgliedschaft in dem gemeinsamen Sicherheitsbündnis aus. Über zwei Drittel der Bevölkerung unterstützen übrigens auch die Wehrpflicht. Man sollte das wenigstens wissen, bevor man anfängt, Politik zu formulieren. Die hohe Zustimmung der Bevölkerung auch zum internationalen Engagement der Streitkräfte ist ein wesentliches Ergebnis gemeinsamer, verantwortungsbewußter Außen- und Sicherheitspolitik. Vor diesem Hintergrund bedauere ich, daß sich die CDU/CSU und die F.D.P. aus ausschließlich parteitaktischen Erwägungen aus dieser gemeinsamen Verantwortung zu verabschieden beginnen. ({2}) Das ist besonders bedauerlich angesichts der Tatsache, daß wir vor grundlegenden Weichenstellungen stehen - nicht mit diesem Haushalt allein -, was die Neuausrichtung der Bundeswehr angeht. Sie verhalten sich nach dem Motto: Schon richtig, es muß gespart werden, aber bitte nirgendwo. ({3}) Sie bringen eine Argumentation, die besagt: Der Staat muß mit dem öffentlichen Geld behutsamer, vorsichtiger, sparsamer, kostenbewußter umgehen. Bei jedem Einzelplan, bei jeder Einzelentscheidung stellen Sie sich hier hin und sagen: Nein, hier darf das nicht passieren; das ist nicht vertretbar. ({4}) Das ist intellektuell mindestens unredlich. ({5}) - Herr Kollege Breuer, wenn Sie noch zwei Minuten warten, dann gerne. ({6}) Ich kann nur sagen: Sie sind offenbar ohne Alternative, aber gleichzeitig auch ohne Gedächtnis. ({7}) Sie waren es doch, die den Rüstungsteil, den Investitionsteil des Verteidigungshaushalts in den 90er Jahren auf mickrige 5,2 Milliarden heruntergefahren haben. ({8}) Sie waren es doch, die die Bundeswehr in den 90er Jahren personell wie finanziell halbiert haben. Sie waren es doch, die den Beförderungsstau haben entstehen lassen. ({9}) Sie waren es doch, die den Investitionsstau haben entstehen lassen. ({10}) Mit allen diesen Problemen müssen sich die neue Koalition und der Bundesverteidigungsminister jetzt herumschlagen. Sie haben die Probleme aufgehäuft und beschimpfen uns jetzt dafür, daß wir sie konsequent bewältigen wollen. Das ist doch unverantwortlich. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Breuer?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Wenn ich vorher noch einen Satz sagen darf, der Kollege Breuer kann das dann einbeziehen. Er hat eben gesagt: Zum erstenmal verabschieden wir einen Haushalt ohne langfristige Perspektive. Damit haben Sie doch gleichzeitig gesagt, daß die früheren Bundeswehrplanungen keine langfristige Perspektive beinhaltet haben. ({0}) Das ist eine interessante Bemerkung. Bitte schön, Herr Kollege Breuer.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, das Wort erteile ich. Herr Breuer, bitte.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Verteidigungsminister, darf ich Sie darauf hinweisen, daß ich gesagt habe, dies ist der erste Verteidigungshaushalt, den der Deutsche Bundestag beschließen soll, ohne daß eine mittelfristige Finanzplanung vorliegt? ({0}) Sie legen ja Wert auf die Feststellung, daß Sie diese mit einem Vorbehalt versehen haben. Aber nun zur Frage. Ist Ihnen entgangen, daß die Verkleinerung der Bundeswehr in der Folge der großen Veränderungen in Europa und der deutschen Einheit aus sicherheitspolitischen Gründen zwingend notwendig war? ({1}) Ist es Ihnen entgangen, daß die damit einhergehenden Kürzungen im Verteidigungsetat von Ihrer eigenen Fraktion gewollt waren und daß es zum Teil Situationen gab - Sie waren Fraktionsvorsitzender -, in denen Ihre Stellvertreterin, Ingrid Matthäus-Maier, zusätzliche Kürzungen von 1 Milliarde DM wollte und sich die Verteidigungspolitiker Ihrer Fraktion, für die Sie Verantwortung trugen, weigerten, den Beschlüssen der SPD zuzustimmen? ({2}) Ist Ihnen entgangen, daß die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag weitestgehend - Sie selbst haben in Karlsruhe geklagt ({3}) gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr gewesen ist? Ist Ihnen entgangen, daß in der Finanzplanung des damaligen Bundesverteidigungsministers ({4}) eine Einplanung neuer Mittel - Sie bedauern heute, daß sie nicht vorhanden sind - gar nicht möglich war, weil Sie denselben Verteidigungsminister in die Wüste geschickt hätten, wenn er überhaupt nur daran gedacht hätte, daran irgendetwas ändern zu wollen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Bundesminister.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Kollege Breuer, mir entgeht wenig. Vor allen Dingen ist mir nicht entgangen, daß Sie die Bundeswehr nicht nur personell und finanziell halbiert haben, sondern gleichzeitig im Zuge dieses Prozesses regelmäßig Haushalte aufgestellt haben, die an zwei Dingen krankten: Zum einen haben Sie für internationale Einsätze 50 Millionen DM veranschlagt, obwohl Sie genau wußten, daß sie mit 400 bis 500 Millionen DM zu Buche schlagen werden. ({0}) Das wurde zu Lasten der Investitionen erwirtschaftet. Zum anderen haben Sie im Zuge der Waigelschen Haushaltspolitik - nach dem Motto: erst den Haushalt aufstellen und hinterher die Tatsachen sprechen lassen den Bundeswehrhaushalten insgesamt über 5 Milliarden DM entzogen, eine um das Fünffache höhere Summe als das, was die SPD jemals als Kürzungsvorschlag vorgelegt hat. ({1}) Das ist mir alles nicht entgangen. Insofern: Die Frage ist beantwortet, Sie dürfen sich jetzt setzen. Es gibt noch mehr Kollegen, die Zwischenfragen stellen wollen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nolting?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Eine Zwischenfrage lasse ich noch zu, damit das zwischen den Oppositionsparteien gerecht verteilt ist. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Breuer, Sie haben eine Serie von Fragen gestellt. Damit haben Sie Ihr Fragerecht, so glaube ich, ausgeschöpft. ({0}) Bitte, Herr Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, Sie haben eben gesagt, die mittelfristige Finanzplanung liege doch vor. Wir alle wissen, daß in dieser mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist, im Bereich Verteidigung, Einzelplan 14, mehr als 18 Milliarden DM einzusparen. Kann ich Ihrer Bemerkung entnehmen, daß Sie der mittelfristigen Finanzplanung doch zugestimmt haben? ({0})

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Zunächst möchte ich Sie bitten - wenn Sie das denn tun -, sich oppositionell abzustimmen. Denn es paßt schlecht zusammen, daß der Kollege Breuer sagt, es gebe gar keine mittelfristige Finanzplanung, während Sie auf sie verweisen. Sie wissen genau, in welcher Form sie existiert: Bundestagsdrucksache 14/1401; dort ist das nachzulesen. ({0}) Der Kollege Kröning hat das gerade zitiert: Die mittelfristige Finanzplanung besagt ausdrücklich, daß bei weiteren Entscheidungen die Ergebnisse der Kommission unter Vorsitz von Richard von Weizsäcker einzubeziehen sind. ({1}) Genau das werden wir tun. ({2}) Nun wollte ich Ihnen im Zusammenhang dieses Haushaltes etwas zu Ihrer Alternativlosigkeit sagen. Sie haben ja nicht nur die Bundeswehr halbiert, sondern gleichzeitig die Ausrüstung der Bundeswehr sträflich vernachlässigt. Die Einsätze in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo haben jedenfalls deutlich gemacht, wie dringend notwendig Sicherheitsvorsorge auch in der Zukunft sein wird. Bei allen vorigen Haushalten hat die Bundeswehr ich erwähnte es - die Mehrkosten für diese Einsätze zu einem großen Teil aus dem laufenden Etat erwirtschaften müssen. Dies ging vor allem zu Lasten der Investitionen. Jetzt ist mit der Veranschlagung jener 2 Milliarden DM im Einzelplan 60 zum erstenmal eine zuverlässige, ordentliche und übrigens auch durchschaubare Finanzierung gewährleistet, was ich ausdrücklich begrüße. ({3}) Sollte sich das Parlament entscheiden, diese Mittel später in den Einzelplan 14 einzustellen, werden Sie von mir keinen Protest hören. Das werden Sie sicher verstehen. Mit diesen Entscheidungen machen wir jedenfalls deutlich, daß die Bewältigung von Krisen wie auf dem Balkan eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, der wir uns stellen. Zu Beginn des Jahres 1999 hatte ich Leitlinien für die Arbeit des Bundesministeriums der Verteidigung und der Bundeswehr vorgestellt. Eine davon hieß „Planerische und soziale Sicherheit gewährleisten“, eine zweite „Wirtschaftlichkeit und Effizienz steigern“. Zunächst zu der ersten Leitlinie. Im Sinne dieser Leitlinie und ihrer Erfüllung wird es keine Abstriche bei Ausbildung, Übung und Betrieb geben. Das ist auch richtig so; denn anders könnte man internationale Einsätze mit hohem Risiko überhaupt nicht verantworten. ({4}) Nun zu der zweiten Leitlinie: Im Haushalt sind für Berufs- und Zeitsoldaten 192 600 Planstellen veranschlagt. Das ist etwas mehr als letztes Jahr, im großen und ganzen aber dieselbe Zahl wie 1999. Der Kollege Austermann hat schlicht Unrecht, wenn er hier behauptet, die Zahl sei deutlich gesunken. Das ist einfach die Unwahrheit. Sie haben etwas verglichen, was Sie in Ihrer eigenen Regierungszeit nie erreicht haben, nämlich die Zielplanung der Bundeswehrstruktur von 340 000 Mann, mit den tatsächlichen Stellen. Planerische und soziale Sicherheit besteht. Das gilt übrigens auch für die Zivilbeschäftigten. Ich möchte mit Blick auf manche Äußerungen - die nicht nur hier im Parlament gemacht wurden - sagen: Die Zahl der Dienstposten im zivilen Bereich der Bundeswehr wird um präzis 1 000 von 123 000 auf 122 000 verringert. Das bedeutet, daß wir die Fluktuation nutzen können und niemandem aus betriebsbedingten Gründen kündigen müssen. ({5}) Diese Aussage steht auch für das Jahr 2000. Im übrigen verbessern die im Haushalt enthaltenen Planstellen die Beförderungsmöglichkeiten und leisten damit einen Beitrag dafür, daß die Bundeswehr attraktiv bleibt. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Hinweis geben. Ein Bundesbediensteter kostet durchschnittlich etwa 125 000 DM im Jahr. Ein Landesbediensteter kostet durchschnittlich etwa 90 000 DM im Jahr. Ein Bediensteter der Bundeswehr - ohne Wehrpflichtige - kostet durchschnittlich etwa 58 000 DM im Jahr. Das heißt, daß wir uns auch für die Zukunft zu überlegen haben werden, ob die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr - auch im Vergleich zu Polizei, Grenzschutz, Zoll oder anderen Laufbahnen im Landesdienst entwickelt werden kann. In meinen Augen muß sie entwickelt werden. ({6}) Diejenigen, die glauben, daß sie mit einer Abschaffung der Wehrpflicht billiger fahren würden, warne ich vor den übrigen internationalen Erfahrungen. ({7}) Ich will nicht erleben, daß wir in Deutschland dieselbe Situation wie in den USA bekommen, wo für bestimmte Verwendungen Erstverpflichtungsprämien von 50 000 Dollar gezahlt werden. Ich will auch nicht eine Situation wie in den Niederlanden erleben, wo beispielsweise für Piloten Weiterverpflichtungsprämien von 25 000 Gulden pro Jahr gezahlt werden. Schon gar nicht möchte ich in die Lage anderer europäischer Berufsarmeen kommen, in denen mittlerweile junge Straffällige ihren Dienst in der Armee als Vollzug der Strafe ableisten. ({8}) Das alles halte ich für höchst problematisch. Das will ich in Deutschland nicht sehen. ({9}) Vor diesem Hintergrund folgendes: Die besondere Stärke der Bundeswehr ist ihr Personal - seine Leistungsbereitschaft und sein Verantwortungsbewußtsein. Folglich darf man daran nicht rütteln. Im Gegenteil: Man muß diese Stärke erhalten und ausbauen. Das bedeutet, daß übereilte und vorschnelle Eingriffe in die Bundeswehr falsch sind. Ein systematisches Vorgehen bleibt richtig. Es muß mit unseren internationalen Verpflichtungen in Einklang stehen. Es muß auf der Grundlage der Arbeit der Kommission und der Arbeiten des Ministeriums aufbauen. In diesem Rahmen wird der Generalinspekteur im nächsten Frühjahr seine Untersuchungen abschließen und Vorschläge vorlegen. Die Entscheidungen, die dann zu treffen sind, werden vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung und mit dem Ziel zu fällen sein, mehr Sicherheit in Europa und im euroatlantischen Raum zu gewährleisten. Deshalb haben Ende April dieses Jahres die Staats- und Regierungschefs der NATO ein neues strategisches Konzept verabschiedet. Auf dessen Grundlage und auf der Grundlage kollektiver Verteidigung wendet sich die Allianz stärker Konfliktverhütung und Krisenbewältigung zu. Im Bündnis besteht breite Übereinstimmung, daß - vielleicht mit Ausnahme der amerikanischen - alle Streitkräfte im Bündnis in Schlüsselbereichen wie Mobilität, Interoperabilität, Führung, Aufklärung und Nutzung neuer Technologien Defizite aufweisen. Diese müssen in Zukunft durch Investitionen ausgeglichen werden. Auf dem Gipfel der Europäischen Union Anfang Juni dieses Jahres haben sich die Staats- und Regierungschefs verpflichtet, die militärischen Mittel und Fähigkeiten für eigenständige Krisenbewältigung der Europäer weiterzuentwickeln. Das betrifft dieselben Bereiche: strategische Aufklärung, Lufttransport und Streitkräfteführung. Über das dafür notwendige Geld wird man reden müssen, wenn die Planungen abgeschlossen und die Vorhaben beschaffungsreif sind. Vorher macht es keinen Sinn, denn dann hätte man wieder Luftbuchungen im Haushalt, die eine Scheinsicherheit vorgaukeln würden, die tatsächlich nicht vorhanden ist. ({10}) Im Interesse dieser Entwicklung wird das Eurokorps auf Initiative Frankreichs und Deutschlands umgestaltet. Im Sinne dieser Zielsetzung will ich hinzufügen, daß wir in Europa auf einem guten Weg sind, gemeinsam, wirksam und im politischen Sinne umfassend etwas zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung beizutragen. ({11}) Bei all diesen Vorhaben hat die Bundesregierung entscheidend mitgewirkt. Es ist ein großer außenpolitischer Erfolg, daß wir uns in allen Fragen, die mit der Gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu tun haben, mit unseren Initiativen und Vorschlägen durchgesetzt haben. Das ist ein Erfolg, auf den man stolz sein kann, jedenfalls innerhalb des Regierungslagers. ({12}) Wenn man daraus Konsequenzen mit Blick auf diesen Haushalt und spätere Haushalte ziehen will, dann heißt das zunächst folgendes: Die Bundesrepublik Deutschland hat in Europa die höchste Bevölkerungszahl, aber die relativ zweitkleinsten Streitkräfte; die Bundesrepublik Deutschland hat in Europa die größte Wirtschaftskraft, aber sie gibt gemeinsam mit Belgien am wenigsten für die Verteidigung aus, noch weniger als Luxemburg. ({13}) Es ist völlig egal, ob man sich nach NATO-Kriterien richtet oder beispielsweise heute in die „Neue Zürcher Zeitung“ schaut und dort die Schweizer Untersuchungen über die volkswirtschaftlichen Kosten verschiedener Konzepte heranzieht. Man wird feststellen: Diese Tatsachen sind unbestreitbar. ({14}) Der Investitionsanteil im Einzelplan 14 muß wieder ansteigen. Wir haben ihn 1999 angehoben, und er bleibt im Jahre 2000 allem Gerede zum Trotz auf exakt demselben Niveau, und das ist auch gut so. Denn sonst könnten wir die eingegangenen Verpflichtungen aus der neuen NATO-Strategie und der sich entwickelnden europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht erfüllen. Schließlich sollten wir beachten, daß es auch um den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland geht, der eine wettbewerbsfähige Industrie, auch eine wettbewerbsfähige wehrtechnische Industrie braucht. Wer nämlich nur international einkauft, bekommt immer die Technologien der vorletzten Generation zum Preis der übernächsten Generation, also das Zweitbeste zum Höchstpreis. Das sollten wir vermeiden. ({15}) Meine Damen und Herren, in die Bundeswehr investieren heißt, in Menschen und Sicherheit, in die freiheitliche und friedliche Entwicklung unseres Landes, in eine leistungsfähige Industrie und in moderne Arbeitsplätze zu investieren. ({16}) Im Zusammenhang mit der Leitlinie Nr. 2 darf ich hinzufügen, daß wir konsequent und energisch die Einführung neuer Managementmethoden betreiben und die Kooperation mit der Wirtschaft verstärken. Wir erschließen auf diese Weise Rationalisierungspotentiale. Dem diente die Rahmenvereinbarung mit 13 Großunternehmen der deutschen Wirtschaft, und dem diente auch die Modernisierungsvereinbarung mit den Gewerkschaften und Verbänden des öffentlichen Dienstes. Dies alles wird konsequent fortgesetzt werden. Wir werden nämlich letztlich mit der Bundeswehr im Interesse der Sicherheit unseres Landes, der Europäer und unseres gemeinsamen Bündnisses nur Erfolg haben, wenn Regierung und Parlament bereit sind, solche innovativen Schritte stärkerer Kooperation, höherer Wirtschaftlichkeit, verbesserter Effizienz und moderneren Verwaltungshandelns tatkräftig zu unterstützen. Heute fehlen der Bundeswehr gewisse Fähigkeiten. Ich habe darüber gesprochen. Eine Fortsetzung dieses Zustands liegt nicht im Interesse unseres Landes. Die Bundeswehr muß auch in Zukunft in der Lage bleiben, ihre Verpflichtungen im Bündnis und ihre Verpflichtungen in Europa zu erfüllen. ({17}) Eines hat uns der Kosovo-Konflikt überdeutlich vor Augen geführt: Gemeinsame Sicherheit im euroatlantischen Raum und gemeinsame Verantwortung für den Frieden erfordern die Bereitschaft, Verpflichtungen und Lasten zu übernehmen, die der gewachsenen Rolle unseres Landes in Europa und international gerecht werden. ({18}) Ich will hinzufügen, daß die Bereitschaft, sich an internationaler Friedenssicherung zu beteiligen, ein Gebot der Solidarität, aber auch unser ureigenstes Interesse ist. Wenn es um Konflikt oder Frieden, um Gewalt oder Sicherheit geht, hängt der Einfluß auf internationale Entscheidungen und auch der Einfluß auf deren Umsetzung davon ab, welche konkreten Beiträge man in sicherheitspolitischen Zusammenhängen leisten will und leisten kann. Meine Damen und Herren, ich möchte diese Bemerkungen zum Haushalt 2000 mit einem Dank an die 450 000 Angehörigen der Bundeswehr, an die etwa 320 000 in Uniform ebenso wie an die gut 120 000 im zivilen Bereich, abschließen. ({19}) Das sind Menschen, die unter manchmal schwierigen Bedingungen Frieden und Freiheit sichern, Gewaltfreiheit gewährleisten, ob sie jetzt in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Georgien oder in Osttimor eingesetzt sind. Dies sind Menschen, die Opfer retten und - weit über ihren militärischen Auftrag hinaus - Infrastruktur entwickeln, Häuser wieder aufbauen helfen, Schulen wieder herrichten helfen, Kindergärten aufbauen und vieles andere tun, was mit dieser umfassenden Sicherheit zu tun hat. Wir haben - das will ich noch einmal am Beispiel des Kosovo sagen - auch dank der Bundeswehr mörderische Gewalt gestoppt. Frieden haben wir noch lange nicht gewonnen. Es ist aber so, daß die Bundeswehr mit ihren Angehörigen auf erstaunliche und manchmal bewundernswerte Weise auch einen Beitrag zur Gewinnung eines umfassenden Friedens leistet. Dafür haben die Angehörigen der Bundeswehr Dank und Anerkennung verdient, ({20}) in die ich die Familien ausdrücklich einschließe. Vielen Dank. ({21})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Helmut Rauber von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Helmut Rauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002755, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Scharping, so, wie Sie das heute getan haben, lassen wir uns als Opposition nicht behandeln. ({0}) Wir standen immer zu Ihnen, wenn es um die Interessen der Bundeswehr und um die Interessen der Sicherheitspolitik Deutschlands ging. Sie werden es nicht schaffen, daß aus den Brandstiftern von gestern jetzt die Bewerber für das Leistungsabzeichen als Feuerwehrmann werden. ({1}) Es ist noch nicht vergessen, daß SPD und Grüne im Juni 1994 über das Bundesverfassungsgericht zu verhindern versuchten, daß deutsche Piloten die AWACS mitfliegen bzw. daß sich die Bundesmarine am Waffenembargo in der Adria beteiligt. ({2}) Unsere Politik, die Politik von Helmut Kohl, war immer: Frieden schaffen mit weniger Waffen. Zu dieser Politik stehen wir, und diese Politik war auch erfolgreich. ({3}) Erst die sicherheitspolitische Situation hat es erlaubt, daß wir den Verteidigungshaushalt deutlich nach unten fahren konnten. ({4}) Ich frage Sie: Wo waren denn die Anträge der SPD, den Verteidigungshaushalt aufzustocken? Die Anträge gingen doch in die genau entgegengesetzte Richtung. Wenn wir heute im Bereich der Wehrtechnik beklagen, daß der Munitionstitel unterfinanziert ist, weise ich Sie darauf hin, daß aus den Reihen der SPD Anträge gestellt wurden, den Munitionstitel um 400 000, um 280 000 DM usw. pro Jahr zu kürzen. So geht es nicht. Es geht auch nicht, daß Sie auf dem europäischen Gipfel im Juni 1999 großspurige Erklärungen nach außen abgeben, aber letzten Endes der Bundeswehr die Mittel entziehen, die sie braucht, um diesen Aufgaben auch gerecht werden zu können. Wir, Herr Minister, erkennen an, daß Sie sich für die Bundeswehr einsetzen. Wir werden Sie aber daran messen, inwieweit Sie sich innerhalb der SPD bzw. in Ihrer Koalition durchsetzen können. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, wollen Sie erwidern? - Nein! Wir kommen jetzt - ich bitte um Aufmerksamkeit zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht abgegeben? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/2144? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2000 - hier: Einzelplan 14, Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung - bekannt, Drucksachen 14/1400, 14/1680, 14/1913, 14/1922, 14/1923, 14/1924 und 14/2140. Abgegebene Stimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 238, mit Nein haben gestimmt 349; keine Enthaltungen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 585; davon: ja: 238 nein: 347 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Norbert Barthle Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({0}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({1}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Manfred Carstens ({2}) Peter H. Carstensen ({3}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer Ilse Falk Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Gerhard Friedrich ({6}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({7}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({8}) Gottfried Haschke ({9}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({10}) Hansgeorg Hauser ({11}) Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({12}) Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({13}) Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({14}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erich Maaß ({15}) Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer ({16}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({17}) Bernd Neumann ({18}) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({19}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Christa Reichard ({20}) Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({21}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt Rossmanith Adolf Roth ({22}) Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({23}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({24}) Andreas Schmidt ({25}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Diethard W. Schütze ({26}) Clemens Schwalbe Wilhelm-Josef Sebastian Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Johannes Singhammer Margarete Späte Wolfgang Steiger Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({27}) Gerald Weiß ({28}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({29}) Hans-Otto Wilhelm ({30}) Gert Willner Klaus-Peter Willsch Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Hildebrecht Braun ({31}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({32}) Rainer Funke Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({33}) Klaus Haupt Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Ina Lenke Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({34}) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Nein SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({35}) Klaus Barthel ({36}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({37}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({38}) Bernhard Brinkmann ({39}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Büttner ({40}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({41}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({42}) Harald Friese Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({43}) Angelika Graf ({44}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({45}) Hans-Joachim Hacker Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({46}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({47}) Walter Hoffmann ({48}) Iris Hoffmann ({49}) Frank Hofmann ({50}) Ingrid Holzhüter Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({51}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({52}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({53}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({54}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Michael Müller ({55}) Jutta Müller ({56}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Christian Müller ({57}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({58}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Georg Pfannenstein Johannes Andreas Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({59}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({60}) Ulla Schmidt ({61}) Silvia Schmidt ({62}) Dagmar Schmidt ({63}) Wilhelm Schmidt ({64}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({65}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({66}) Brigitte Schulte ({67}) Reinhard Schultz ({68}) Volkmar Schultz ({69}) Ilse Schumann Ewald Schurer Dietmar Schütz ({70}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Bodo Seidenthal Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({71}) Joachim Stünker Joachim Tappe Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({72}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({73}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber ({74}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({75}) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({76}) Brigitte Wimmer ({77}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({78}) Waltraud Wolff ({79}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({80}) Marieluise Beck ({81}) Matthias Berninger Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({82}) Joseph Fischer ({83}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Klaus Wolfgang Müller ({84}) Kerstin Müller ({85}) Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({86}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({87}) Christian Simmert Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({88}) Margareta Wolf ({89}) PDS Monika Balt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Heinrich Fink Dr. Klaus Grehn Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann-Kasten Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Winfried Wolf Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({90}) Bühler ({91}), Klaus, CDU/CSU Neumann ({92}), Gerhard, SPD Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. ({93}) Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung. Wer stimmt für den Einzelplan 14? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Dann ist der Einzelplan 14 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen. Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 14/1917, 14/1922 Berichterstattung: Abgeordnete Antje Hermenau Dr. Emil Schnell Dr. Barbara Höll Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten von Schmude von der CDU/CSU-Fraktion.

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon bei der ersten Lesung des Einzelplans haben alle Redner die überdurchschnittliche Kürzung, ja den geradezu dramatischen Einbruch bei der Entwicklungshilfe beklagt. Dennoch hat sich nach den Haushaltsberatungen am Gesamtergebnis kaum etwas verändert. Ganze 13,5 Millionen DM Mehrausgaben - das sind weniger als zwei Promille - runden den Etat jetzt auf 7,1 Milliarden DM auf. Der Plafonds liegt damit um 800 Millionen DM unter dem Haushaltsergebnis 1998 und um 661 Millionen DM unter dem Ist von 1999. Es ist der Koalition nicht gelungen, aus diesem absoluten Tiefstand wenigstens ein Stück weit herauszukommen. Das Wahlversprechen, mehr für die Entwicklungshilfe zu tun - übrigens auch eine Aussage im rotgrünen Koalitionsvertrag -, wurde gebrochen. ({0}) Nach dem Motto „Augen zu und durch“ wurden unsere Einspar-, Aufstockungs- und Deckungsvorschläge abgelehnt. Dieser Einzelplan war früher immer so etwas wie das soziale Gewissen einer Regierung. Jetzt drücken sich darin soziale Kälte, Hilflosigkeit, ja Stümperei aus. ({1}) Kürzungen in diesem Einzelplan hat es früher auch gegeben. Aber nie waren sie substanzvernichtend. Die Ministerin selbst hat vor den Haushaltsberatungen darauf hingewiesen, daß es angesichts der Kürzungen zu drastischen Einschränkungen in der Entwicklungszusammenarbeit kommen würde. Geradezu gravierende negative Auswirkungen auf die zukünftigen Haushaltsjahre hat aber das rigorose Absenken der Verpflichtungsermächtigungen. Es ist ein Stück weit gelungen, die vorgesehenen Kürzungen zu korrigieren. Doch bleibt festzuhalten, daß in vielen Bereichen nur noch ein Abwickeln bereits begonnener Projekte oder eingegangener Verpflichtungen erfolgen kann. Ganz kraß zeigt sich das bei der finanziellen Zusammenarbeit. Die Verpflichtungsermächtigungen sinken von 2,3 Milliarden DM auf nur noch 1,7 Milliarden DM. 1998 betrugen die Barmittel für die FZ noch 2,533 Milliarden DM; im Jahr 2000 werden es nur noch rund 1,95 Milliarden DM sein. Dies hat nicht nur eine negative Signalwirkung auf unsere Entwicklungshilfe, sondern auch entsprechende Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt. 85 Prozent der deutschen Entwicklungshilfe fließen letzten Endes in Form von Aufträgen an deutsche Firmen zurück. Interessant ist auch: Die Rückflüsse aus der finanziellen Zusammenarbeit betragen im Jahr 2000 1,425 Milliarden DM. Die FZ finanziert sich also zu 75 Prozent selbst. Im Rahmen der Beratungen hat es einige Umschichtungen gegeben, die wir im wesentlichen mittragen. Wir begrüßen die Korrekturen bei den Ansätzen für die Kirchen - 275 Millionen DM - und für die Stiftungen - 290 Millionen DM. Wir begrüßen, daß die entwicklungspolitischen Maßnahmen privater deutscher Träger nunmehr mit 34 Millionen DM gefördert werden ({2}) und daß für die berufliche Aus- und Fortbildung von Personen aus Entwicklungsländern nunmehr 152 Millionen DM zur Verfügung stehen. ({3}) Trotz dieser Korrekturen, lieber Kollege Dr. Schnell, wird bei diesen Einzeltiteln weder das Haushaltsergebnis 1999 und schon gar nicht das Haushaltsergebnis von 1998 erreicht. Großzügig zeigt sich die Koalition dagegen bei den Mitteln für den zivilen Friedensdienst. Waren im Regierungsentwurf zunächst 7,5 Millionen DM bar und 10 Millionen DM an Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen, so belaufen sich die Barmittel jetzt auf 17,5 Millionen DM und die Verpflichtungsermächtigungen auf 20 Millionen DM - und dies, obwohl noch im Berichterstattergespräch davon die Rede war, daß nicht einmal 7,5 Millionen DM ausgegeben werden könnten, sondern das Geld vielleicht sogar gestreckt werden müsse. Offensichtlich mußte hier wieder einmal etwas für die Klimapflege in der Koalition getan werden. ({4}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Unsere Anträge, die im Haushaltsausschuß bedauerlicherweise abgelehnt wurden - passen Sie genau auf, Herr Dr. Schuster -, zielten darauf ab, die berufliche Aus- und Fortbildung langfristig abzusichern, die Zuschüsse an integrierte Fachkräfte zu verstärken, die Mittel für die FZ um 200 Millionen DM zu erhöhen, die entwicklungspolitischen Maßnahmen privater deutscher Träger stärker zu dotieren und vor allem auch das Ernährungssicherungsprogramm zu verstärken, anstatt 3 Millionen DM in eine neue Kantine in Bonn zu investieren. ({5}) Auf diese Angelegenheit hat Gott sei Dank inzwischen auch der Bundesrechnungshof ein Auge geworfen. Unser Deckungsvorschlag für die Aufstockung von 200 Millionen DM für die FZ aus Forderungsverkäufen wurde bedauerlicherweise ebenfalls abgelehnt. Die innerhalb des Haushaltes erfolgten Umschichtungen gehen vor allem zu Lasten des Europäischen Entwicklungsfonds. Hier wird um 59 Millionen DM gekürzt. Ich hatte schon beim Berichterstattergespräch auf diese Möglichkeit hingewiesen, aber die Koalition war damals nur bereit, 6 Millionen DM aus dem EEF herauszunehmen. Bei allem, was wir heute wissen, gibt es sogar noch mehr Luft für Kürzungen als nur diese 59 Millionen DM im EEF. Aber das Haus trägt im Jahr 2000 schwer am Währungsrisiko. Für 1 Dollar wird ein Kurs von nur 1,6823 DM zugrunde gelegt. Laut BMZ muß das Haus auf Grund der Kursdifferenzen rund 65 Millionen DM aus eigenen Mitteln, das heißt durch Kürzung anderer Titel, selbst erwirtschaften. ({6}) Wir haben in den Beratungen mit großem Nachdruck darauf gedrungen, daß die deutsche Beteiligung am internationalen Schuldenerlaß in den kommenden Jahren durch die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel erfolgt und nicht etwa, Frau Ministerin, aus dem abgemagerten BMZ-Haushalt selbst aufgebracht werden muß. Wir halten den Schuldenerlaß für richtig, aber Euphorie ist auch hier völlig fehl am Platze. Reichen die Auflagen für die 36 betroffenen Länder wirklich aus, wenn von ihnen nur Konzepte zur Armutsbekämpfung vorgelegt werden müssen und eine „gute Regierungsführung“ - was ist das eigentlich? - gegeben sein muß? Wir alle wissen, daß die Auflagen des Internationalen Währungsfonds in der Vergangenheit oft nicht erfüllt wurden. Es wurden falsche Statistiken vorgelegt und rhetorische Bekenntnisse abgegeben. Notwendig ist deshalb auch eine Kontrolle darüber, ob frei werdende Mittel wirklich richtig eingesetzt werden. Im übrigen sollte man die Dimension dieses Schuldenerlasses realistisch einschätzen. Aus einem Volumen von 70 Milliarden US-Dollar, die in der Regel mit 0,5 bis 1 Prozent verzinst werden und auch mit niedrigen Tilgungsraten konditioniert sind, die manche Länder gar nicht leisten, ergibt sich nur ein geringer Spielraum. Ob es eine knappe Milliarde sein wird oder ein bißchen mehr, werden wir sehen. ({7}) Wir haben bereits seit einigen Jahren erfolgreich bilaterale Entschuldung durch Umwandlung von Schulden in nationale Maßnahmen zur Armutsbekämpfung vorangetrieben - das haben wir gemeinsam getan - und dafür jährlich 210 Millionen DM im Haushalt bereitgestellt. Jetzt aber ist es an der Zeit, auch hier einmal eine Evaluierung durchzuführen, um festzustellen, ob die von uns gesteckten Ziele wirklich erreicht wurden. ({8}) Internationaler Kritik sieht sich die Bundesregierung jetzt auch ausgesetzt, weil deutsche Mittel für verschiedene UN-Organisationen drastisch zusammengestrichen wurden. Das Niveau ist von 224 Millionen DM im Jahre 1998 und 210 Millionen DM im Jahre 1999 auf jetzt 139,26 Millionen DM gesunken. Dabei fällt auf, daß vor allem der wichtige Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen von 50 Millionen DM auf ganze 20 Millionen DM im Jahr 2000 heruntergefahren wird. Diese Kürzungen stehen in völligem Widerspruch zum Anspruch der Bundesregierung, auf internationaler Ebene mehr mitreden zu wollen. Auch die Bemühungen deutscher Firmen - übrigens auch der GTZ - um Projektaufträge von den Vereinten Nationen dürften durch diese Handlungsweise nicht gerade gefördert werden. Die Kürzungen in diesem Haushalt treffen vorrangig die Investitionen und gehen zu Lasten der Projekte und damit der Nichtregierungsorganisationen. Das Haushaltsvolumen fällt um 8,7 Prozent, der Anteil des Einzelplans 23 am Gesamthaushalt beträgt nur noch 1,5 Prozent statt wie bisher 1,7 Prozent, und die ODAQuote geht von 0,28 Prozent weiter auf 0,26 Prozent zurück. Das sind die Fakten. Aber wo so viel Schatten ist, gibt es auch Licht, wenn - immerhin - die Ansätze für Dienstreisen angehoben, neue Dienstfahrzeuge gekauft, der Verfügungsfonds der Frau Ministerin erhöht, die jährlichen Verwaltungskosten um 2,6 Millionen DM gesteigert und zu guter Letzt auch noch zusätzlich 5 000 DM, insgesamt nunmehr 30 000 DM, für Sachverständige eingestellt werden, die die Frau Ministerin im Bundessicherheitsrat bei zukünftigen Entscheidungen beraten sollen. Bisher war dieser Sachverstand offensichtlich nicht ausreichend, was vielleicht eine Erklärung für den Trouble bei den Rüstungsgeschäften mit der Türkei ist. Der Rotstift des Bundesfinanzministers hat in diesem Haushalt eine Blutspur hinterlassen. Das hat dem Ansehen der deutschen Entwicklungshilfe leider sehr geschadet. Wir lehnen deshalb diesen Haushalt mit großer Entschiedenheit ab. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPDFraktion spricht nun der Kollege Emil Schnell. ({0})

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wahrheit ist ein gutes Stichwort. In der Tat helfen uns Jammern, Schlechtreden und Schwarzmalen, wie wir es eben gehört haben ({0}) - dazu gehört auch der Begriff Blutspur -, in der schwierigen Situation nicht weiter, die wir beim Haushalt übernommen haben. Wir werden die Erblast von Kohl Stück für Stück abtragen. ({1}) Gleichzeitig werden wir neue Akzente auch im Bereich der Entwicklungspolitik setzen. ({2}) Natürlich muß der Einzelplan 23 seinen Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts leisten; das ist gar keine Frage. Das trägt dann auch dazu bei, daß wir in den nächsten 15, 20 Jahren eine verläßliche Entwicklungspolitik betreiben können. Für dieses Ziel lohnt es sich, Konsolidierungsanstrengungen zu unternehmen. Fakt ist natürlich auch - das wissen Sie so gut wie ich -, daß Sparsamkeit dienlich sein kann, wenn es darum geht, effiziente Strukturen zu bekommen. Das gilt auch für Projekte und Kooperationen im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Insofern muß das nicht unbedingt kontraproduktiv sein. Wir wollen - das wissen Sie - Schwerpunktländer stärker zusammenfassen. Hierbei denken wir an eine Zusammenarbeit mit 50 bis 60 Ländern. Auch müssen wir natürlich mehr Marktmittel mobilisieren, um vernünftig arbeiten zu können. Die Opposition hat uns massiv und undifferenziert kritisiert. Es war klar, daß dies so kommt. Aber auch die Nichtregierungsorganisationen haben dies in den vergangenen Wochen und Monaten getan. Ich glaube, daß diese Kritik nach den Haushaltsberatungen so nicht mehr stehenbleiben kann. Ich werde nachher noch ausführen, weshalb wir in erster Linie im Sinne der Nichtregierungsorganisationen deutliche Verbesserungen im Haushalt erreicht haben. ({3}) Es wird behauptet, die Armutsbekämpfung werde vernachlässigt. Richtig ist: Mehr als 50 Prozent des BMZ-Etats stehen für Armutsbekämpfung zur Verfügung. ({4}) Armutsbekämpfung ist das strategische Ziel unserer Entwicklungspolitik, werter Herr Kollege. Alles ordnet sich dem unter. Dies bitte ich zur Kenntnis zu nehmen. Weiterhin wird ein finanzieller Absturz behauptet. Der Kollege von Schmude hat dies soeben auch versucht. ({5}) Richtig ist, daß die strukturellen Veränderungen - auch bei Kürzungen an der einen oder anderen Stelle; die müssen wir ja wohl zugeben - letztlich die entscheidende politische Leistung darstellen, die erstens nachhaltig und zweitens ehrlich ist. Darauf kommt es uns an. Dies zum Thema Wahrheit. ({6}) Meiner Ansicht nach ist es hundertmal wichtiger, daß es uns gelingt, die von uns angestoßene Entschuldungsinitiative im Gesamtvolumen von 70 Milliarden US-Dollar erstens umzusetzen und zweitens mitzufinanzieren. Wir haben entsprechende Mittel eingestellt. Die Wirkung, die dies hätte, überträfe sicherlich die Veränderungen, die wir am Einzelplan 23 vorgenommen haben. 16 Jahre Entwicklungspolitik unter Kohl haben nicht das Geld zusammengebracht, das durch diese Entschuldungsinitiative mobilisiert wird. Dies ist ein positives Signal. ({7}) An dieser Stelle kann und muß man die Ministerin, die sich in diesem Bereich sehr engagiert, einiges initiiert und durchgesetzt hat, loben. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, es ist auch hundertmal wichtiger, daß es gelingt, den Welthandel für die Entwicklungsländer völlig zu öffnen, bzw. daß es gelingt, in der europäischen Entwicklungspolitik Schritt für Schritt effizienter, koordinierter, kohärenter und transparenter vorzugehen. ({9}) Ich möchte nun zu den Veränderungen im Rahmen der Haushaltsplanberatungen kommen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich mit den Entwicklungspolitikern und natürlich mit dem Ministerium abgestimmt. Ich denke, die Ergebnisse die wir in der Bereinigungssitzung letztlich erreicht haben, können sich sehen lassen. Diese Veränderungen spiegeln auch unser Anliegen wider, in ganz bestimmten Bereichen Signale zu setzen und etwas draufzulegen. Ein Ergebnis ist eine - immerhin - leichte Plafonderhöhung, die es in anderen Bereichen nicht gibt und bei den Verpflichtungsermächtigungen ist eine Erhöhung von 650 Millionen DM, also eine Erhöhung um 20,6 Prozent, zu verzeichnen. ({10}) - Das ist etwas! - Für die Entschuldungsinitiative haben wir eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 100 Millionen DM eingestellt. Wir haben im Bereich der bilateralen technischen Zusammenarbeit Verpflichtungsermächtigungen um 180 Millionen DM erhöht, und für die finanzielle Zusammenarbeit haben wir 200 Millionen DM draufgelegt. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind Größenordnungen, die man nicht so einfach beiseite drücken kann. Der Bereich der beruflichen Aus- und Fortbildung liegt gerade uns Fachpolitikern besonders am Herzen. Hier haben wir 10 Millionen DM bar draufgelegt. Auch im Bereich integrierter Fachkräfte haben wir Verpflichtungsermächtigungen um 3 Millionen DM erhöht. Für die entwicklungspolitische Bildung, die uns auch besonders am Herzen liegt, haben wir 1 Million DM draufgelegt. Das klingt nicht nach viel, aber die Kürzungen um 3,3 Prozent liegen deutlich unter der Gesamtkürzung von 7,4 Prozent, die wir vornehmen mußten. ({11}) Wir haben bei den UN-Organisationen versucht, mehr Flexibilität für das Haus einzuführen, auch als Beitrag zur Effizienzsteigerung, indem wir diesen Titel zusammengefaßt, 10 Millionen DM draufgelegt und die Verpflichtungsermächtigung um 25 Millionen DM erhöht haben. Wir haben beim zivilen Friedensdienst noch einmal 10 Millionen DM draufgelegt, auch in Anerkennung der sehr schwierigen Aufgaben in den geschundenen Ländern auf dem Balkan. Es ist völlig klar, daß es da einen unmittelbaren Zusammenhang gibt. Wir haben bei den politischen Stiftungen 15 Millionen DM draufgelegt und die Verpflichtungsermächtigung erheblich erhöht, nämlich um 44 Millionen DM. Damit liegen die Kürzungen auch hier deutlich unter 7,4 Prozent, nämlich bei 4,2 Prozent. Wir haben bei den NGOs, bei den privaten Trägern, 5 Millionen DM draufgelegt. Sie erbringen mit minus 2,9 Prozent den geringsten Sparbeitrag. Das haben wir so gewollt. Deswegen kann ich die undifferenzierte Kritik und das Gemeckere nicht ganz verstehen; das muß ich ehrlich sagen. Hier sollte eigentlich Freude darüber ausbrechen, daß wir ein klares Signal gesetzt haben. ({12}) Wir haben für Mittel- und Osteuropa 20 Millionen DM bar draufgelegt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Davon profitieren nicht nur die Partnerländer, sondern natürlich auch die Durchführungsorganisationen, wiederum die NGOs, darunter die Kirchen, die GTZ und die staatlichen Einrichtungen. Das ist in der gegenwärtigen Situation auch notwendig. Bei den Kirchen haben wir 14 Millionen DM bar draufgelegt und die Verpflichtungsermächtigung um 78 Millionen DM erhöht. Ich habe in einigen Gazetten gelesen, daß Herr Kollege von Schmude und ein Kollege Weiß, der mir in diesem Bereich nicht so bekannt ist ({13}) - ach, da ist er; ich habe meine Brille jetzt nicht auf, tut mir leid -, sagen, die Erhöhung im Kirchentitel und bei den Stiftungen sei ein Erfolg des beharrlichen Bohrens der CDU/CSU-Fraktion gewesen. ({14}) Ich weiß nicht, woher sie das nehmen. Das ist schon ziemlich dreist. ({15}) Fakt ist nämlich, daß die Koalition äußerste Anstrengungen unternommen hat, um die 77,7 Millionen DM zu erwirtschaften und somit die eben genannten Erhöhungen zu ermöglichen. Die Wahrheit ist auch, Herr Kollege Weiß, daß die Opposition nur 13 Millionen DM Erhöhungen für Stiftungen und Kirchen beantragt hatte, wir aber von vornherein geplant hatten, 14 bzw. 15 Millionen DM draufzulegen. Dem haben Sie sich zwar angeschlossen, aber die Initiative lag eindeutig bei uns. Ich lege Wert darauf, das hier zu erwähnen. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Schnell, jetzt haben Sie den Kollegen Weiß zu einer Zwischenfrage provoziert. Gestatten Sie diese?

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt, wo ich ihn kennengelernt habe, bitte. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schnell, ich verstehe ja, daß Sie Ihre Verdienste herausstreichen wollen und Kritik Sie ein bißchen ärgert. Ich möchte Sie aber folgendes fragen: Erstens. Können Sie bestätigen, daß in der Sitzung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung seitens der Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragt worden ist, bei den Mitteln für die Kirchen und für die entwicklungspolitische Arbeit der Stiftungen Erhöhungen zu Lasten des Europäischen Entwicklungsfonds vorzunehmen, und daß die sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen sowie die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen erklärt haben, daß sie über eine konkrete Zahl nicht abstimmen könnten, sondern nur unseren freundschaftlichen Wunsch ohne Bezifferung weiterleiten wollten? Können Sie zweitens bestätigen, daß der Kollege von Schmude am nächsten Tag in der Sitzung des Haushaltsausschusses für die Stiftungen und die Kirchen jeweils eine Erhöhung um 13 Millionen DM beantragt hat, wiederum zu Lasten der Mittel für den Europäischen Entwicklungsfonds, daß Sie als Koalition nicht in der Lage waren, darüber abzustimmen, das Thema deswegen mit in die Bereinigungssitzung genommen haben und erst dort zu dem Ergebnis gekommen sind, das Sie jetzt vorgetragen haben? Da möchte ich doch gerne einmal fragen: Wer war nun zuerst initiativ und wer zuletzt? ({0})

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich setzte meine Brille jetzt nur auf, um Sie zu sehen, nicht, um Dinge anders darzustellen. Ich habe ja gesagt: Wahrheit ist alles. Es ist einerseits sehr wohl wahr, daß wir schon in den letzten Jahren und auch in diesem Jahr gesagt haben - dies hat auch Kollege von Schmude getan -, im Bereich der europäischen Entwicklungspolitik bestehe Handlungsbedarf; der Abfluß der Mittel sowie die Projektfortschritte verliefen unglücklich, da müsse man handeln. Man müsse in diesem Bereich über finanziellen Druck etwas bewegen. Das ist völlig in Ordnung. Insofern ist der gemachte Deckungsvorschlag sinnvoll und richtig. Andererseits ist es realistisch, wenn meine Kollegen im Ausschuß fragen: Was kann man in der schwierigen Situation, die Sie uns hinterlassen haben, tun? ({0}) Was ist überhaupt möglich? Insofern finde ich es in Ordnung, wenn man sagt, man müsse das offenlassen und in der Bereinigungssitzung - also dann, wenn klar sei, was möglich sei - die Zahlen entsprechend konkretisieren. Das ist geschehen. Sie haben gesehen, daß wir uns sehr bemüht haben und daß unsere Ausgaben über dem liegen, was Sie gewollt hatten. Insofern könnten auch Sie mit dem jetzigen Ergebnis zufrieden sein. ({1}) - Damit könnten Sie eigentlich zufrieden sein. Ich wollte jetzt nicht noch einmal darauf eingehen. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Schnell, es liegt in Ihrem Ermessen, ob Sie noch eine Zwischenfrage zulassen.

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir wollen ja eine Debatte führen. - Bitte.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schnell, was die Zufriedenheit anbelangt: Können Sie bestätigen, daß die von Ihnen angesprochenen Haushaltstitel für die Kirchen und politischen Stiftungen im Vergleich zum letzten Haushalt abgesenkt worden sind? Ich weiß nicht, wie sich angesichts dessen Zufriedenheit breitmachen soll.

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist richtig, daß auch dort ein Sparbeitrag erwirtschaftet werden mußte. Das ist doch völlig klar. Wen wollen Sie eigentlich angesichts der Anstrengungen, die wir unternehmen müssen, um die Konsolidierung voranzubringen, davon ausnehmen? ({0}) Ich würde gerne einmal hören, wen Sie davon ausnehmen und wen Sie zusätzlich belasten wollten. Das würde mich sehr interessieren. ({1}) Wir haben uns weiterhin mit der Frage beschäftigt, wie es bei den Reintegrationsmaßnahmen weitergeht. Diese liegen uns sehr am Herzen; das ist völlig klar. Aber auch andere Maßnahmen müssen aus Effektivitätsgründen zusammengefaßt werden. Wir haben uns in bezug auf die Weiterbehandlung der Reintegrationsmaßnahmen ein Gesamtkonzept vorlegen lassen - ein vorläufiges, wie ich meine. Wir werden darüber im nächsten Jahr intensiv beraten. Das BMZ bereitet für das Haushaltsjahr 2001 eine Umstrukturierung des jetzt vorhandenen Instrumentariums vor. Es soll flexibler gestaltet werden. In erster Linie wird angestrebt, die Reintegrationsmaßnahmen soweit wie möglich in die Länderpolitiken des BMZ einzubeziehen. Wie haben wir - auch darauf möchte ich hier noch eingehen - finanziert? Wir haben 65 Millionen DM aus dem Europäischen Entwicklungsfonds freigekämpft. Wir haben im EXPO-2000-Bereich 10 Millionen DM verlagert - nicht gestrichen -, weil sie im nächsten Jahr wahrscheinlich nicht wie geplant abfließen werden. Angesichts des Themas Finanzierung komme ich auf die Anträge der anderen Fraktionen zu sprechen: Die F.D.P. hat den Vorschlag gemacht - das habe ich nur gehört; ich weiß nicht, ob dieser Antrag noch vorliegt -, das BMZ aufzulösen. - Damit ist alles finanziert; völlig klar. ({2}) Die CDU/CSU hat, wie schon erwähnt, in diesem Politikbereich halbwegs realistische Gegenfinanzierungen vorgeschlagen. Ich füge hinzu: In anderen Politikbereichen wurden globale Mehrausgaben und andere Dinge eingeplant. So geht es natürlich nicht! Aber in dem jetzt zur Debatte stehenden Bereich waren die Vorschläge der CDU/CSU halbwegs realistisch. Die PDS - auch von dieser Fraktion sind noch einige Mitglieder hier ({3}) hat - wie immer - im Prinzip beantragt, die Welt zu verbessern, und eine Gegenfinanzierung vorgelegt, die unrealistisch ist und schon mehrfach verfrühstückt worden ist, so daß von dieser Seite nur unorthodoxer Populismus kam. Ich möchte, da derzeit die Folgeverhandlungen zum Lomé-Abkommen stattfinden, noch folgende Bemerkung machen: Wir im Haushaltsausschuß, aber auch im zuständigen Fachbereich haben viele Jahre darüber diskutiert, was man in diesem Zusammenhang ändern bzw. verbessern muß. Ich denke, jetzt ist es an der Zeit, bestimmte Dinge einzufordern. Ich nenne nur einige Stichworte: Budgetierung, parlamentarische Kontrolle auf nationaler und auf EU-Ebene, STABEX, ein Instrument, das man besser abschaffen sollte, und die Frage, wer in Europa wen kontrollieren darf. Ich bitte das Ministerium, diese Fragen zum Bestandteil der Verhandlungen zu machen, so daß es zu einem Ergebnis kommt, das uns finanziell ein Stück weit entlastet und das dazu führt, daß auf europäischer Ebene in diesem Bereich effektiver gearbeitet wird. Dann sind wir sicherlich ein Stück zufriedener. ({4}) Schließlich möchte ich den Kolleginnen und Kollegen im Haus und im Ministerium für die konstruktive Zusammenarbeit in den letzten Monaten danken. Ich denke, die Ergebnisse stellen eine solide Basis für eine weiterhin erfolgreiche Entwicklungspolitik dar. Auch im Jahr 2000 ist der Einzelplan 23 ein Haushalt mit großen Investitionen, mit Investitionen in unsere Zukunft und in die eine Welt. Ich bitte Sie, dem Einzelplan 23 zuzustimmen. Diese Bitte richtet sich vor allem an die Opposition. Es ist ein guter Einzelplan; Sie können ihm ohne weiteres zustimmen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.Fraktion spricht nun der Kollege Joachim Günther.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute wieder über den Einzelplan 23, haben aber gegenüber September, dem Zeitpunkt der Einbringung des Haushalts - da bin ich anderer Meinung als Sie, Herr Kollege Schnell -, außer kosmetischen Nachbesserungen nichts Wesentliches erreicht. ({0}) Einzelne Etatposten sind - vorrangig nach massivem Protest von Nichtregierungsorganisationen - in letzter Minute nachgebessert worden. ({1}) Aber es führt kein Weg daran vorbei: Die von der Bundesregierung geweckten Erwartungen zur Stärkung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wurden insgesamt bitter enttäuscht. ({2}) Entwicklungspolitik wird zur globalen Strukturpolitik aufgewertet - so Ihre Darstellung, Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, als die Legislaturperiode begann. Damals waren Sie persönlich wahrscheinlich noch davon überzeugt, diese Ideale durchsetzen zu können. Welchen Stellenwert die Entwicklungspolitik in dieser Bundesrepublik aber wirklich hat, sieht man daran, daß selbst Ihr angedrohter Rücktritt eigentlich ohne Wirkung geblieben ist. Das ist ein verheerendes Signal für die entwicklungspolitische Glaubwürdigkeit und die Verläßlichkeit Deutschlands in der Welt. Die Rückführung der Verpflichtungsermächtigung auf den Stand von 1972 wird dazu führen, daß die deutsche Entwicklungspolitik im Jahr 2000 zahlungsunfähig und damit vertragsbrüchig werden wird. ({3}) Langfristig angelegte Programme müssen ohne Rücksicht auf negative Auswirkungen zusammengestrichen werden. Die Leidtragenden sind die Menschen in den Empfängerländern, die eigentlich auf die Kontinuität der deutschen Politik vertraut haben. ({4}) Wie hat heute mittag Bundeskanzler Schröder so überzeugend geäußert? „Wir wollen nach außen verläßliche Partner sein.“ Ich glaube, wenn er sich den Haushalt des BMZ und seine Auswirkungen noch einmal ansähe, würde er diesen Anspruch revidieren müssen. ({5}) Bis heute hat das zuständige Ministerium keine plausiblen Konzepte für die Umsetzung der Sparbeschlüsse vorgelegt. Niemand weiß, nach welchen Kriterien die Kürzungen erfolgen. Gerade vor dem Hintergrund der für die nächsten Jahre angekündigten weiteren drastischen Einsparungen - um noch einmal die Zahl zu nennen: mit 13,6 Prozent bis zum Jahr 2003 geht die Bundesregierung auch hier weit über die Kürzungen in anderen Ressorts hinaus ({6}) sind Sie dringend aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, das den entwicklungspolitischen Schaden begrenzen hilft. ({7}) Not macht erfinderisch; manchmal wird aus der Not auch eine Tugend. Die Pläne des BMZ, den akuten Geldmangel durch eine verstärkte Mobilisierung von Marktmitteln und eine engere Einbindung der Wirtschaft und der Verbände in die Entwicklungszusammenarbeit zu beheben, sind zu begrüßen. Eine stärkere Berücksichtigung marktwirtschaftlicher Kriterien führt nicht nur zur Entlastung des Haushalts, sondern entspricht nach jüngsten Erkenntnissen auch der modernen Entwicklungsforschung. Die überproportionale Rückführung des Einzelplans 23 bleibt aber als Tatsache bestehen. Da nützen auch noch so schöne Sonntagsreden nichts. Die Entwicklungspolitik, so wie sie hier betrieben wird, wickelt sich im Prinzip selbst ab. ({8}) Deshalb unterbreitet unsere Fraktion den Vorschlag, BMZ und AA zusammenzuführen. ({9}) Wir würden hierdurch nicht nur den schlanken Staat fördern, sondern wir würden auch die überproportionalen Kürzungen des Einzelplanes 23 abmildern. Es gibt mehrere Gründe, mit denen ich diesen Vorschlag kurz untermauern möchte. Das beste Beispiel in den letzten Wochen ist aus meiner Sicht Osttimor. Statt im Monat 5 Millionen DM für zwei Flugzeuge der Bundesluftwaffe auszugeben, die eigentlich niemand braucht, könnte man ein zerstörtes Berufsschulzentrum aufbauen, das viel dringender gebraucht wird. Das haben Kollegen aus unserem Haus im Ausschuß eindeutig erklärt. ({10}) Im BMZ-Haushalt haben wir keine 5 Millionen DM für das ganze Jahr, um in Osttimor zu helfen. Sie sehen, wenn Handlungen aus einer Hand kommen, dann kommt auch ein sinnvoller Einsatz der gesamten Mittel zustande. ({11}) Für eine Zusammenlegung beider Ministerien spricht auch die Entwicklung in der Welt. Ich sage bewußt „Zusammenlegung“, denn nach dem, was Bundesaußenminister Joschka Fischer heute gesagt hat, kann man auch das AA in das BMZ eingliedern. Das muß man auch einmal sagen. ({12}) Heute, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Ost-West-Konflikts, sind die Grenzen zwischen klassischer Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik fließender geworden. Mit der Ausnahme Kanadas ist die Bundesrepublik Deutschland weltweit das einzig größere Geberland, das sich eine Trennung zwischen Außen- und Entwicklungspolitik leistet. Bei der weit überwiegenden Zahl unserer westlichen Partner wird Entwicklungspolitik durch die Außenministerien und durch die zugeordneten Organisationen durchgeführt. Aus der Perspektive der Empfängerländer sind Außen- und Entwicklungspolitik inzwischen ohnehin zwei Seiten derselben Medaille. Frau Ministerin, sprechen Sie auch einmal mit den Botschaften der Entwicklungsländer in Deutschland! Dort besteht ein starkes Interesse an der Zusammenlegung von BMZ und AA, denn sie möchten nicht als Botschaften zweiter Klasse in Bonn bleiben, ({13}) nur weil dort das BMZ ist und sie sich den Unterhalt von teuren Außenstellen nicht leisten können. Zusammengefaßt kann man sagen: Der Einzelplan 23 in seiner jetzigen Form steht für den Rückzug Deutschlands aus der Entwicklungspolitik in der Welt. ({14}) Der Einzelplan 23 läßt nicht einmal zu, bestehende Verträge in den Partnerländern voll zu realisieren, und führt damit die Glaubwürdigkeit Deutschlands in eine komplizierte Situation bei den Entwicklungsländern. Ohne Vertrauen in unser Land schwächen wir auch die Stellung der deutschen Wirtschaft in den Entwicklungsländern. Das ist das Letzte, was wir auch im Interesse der Arbeitsplätze in Deutschland als Signal brauchen können. ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt ist kein Zukunftsprogramm 2000. Es ist eine glatte Rolle rückwärts. Er fügt unserem Ansehen Schaden zu. Deshalb werden wir ihn ablehnen. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Dr. Werner Schuster das Wort.

Dr. R. Werner Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002118, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Günther, Sie wissen, daß ich Sie persönlich schätze, aber ich glaube, Sie müßten ganz dringend Ihre Berater wechseln. Das fing mit falschen Fakten an. Die Botschafter wollen nach Berlin und können nicht, weil sie kein Geld haben. Das muß durch die Entwicklungszusammenarbeit geändert werden. ({0}) Ihre Aussage, daß es in anderen Ländern anders ist, stimmt nur zum Teil. Wenn Sie genauer nachsehen, wissen Sie, daß eine Reihe von Ländern - Herr Hedrich kann Ihnen das bestätigen - eigenständige Organisationen haben, die direkt dem Kabinett berichten. Sie können völlig unabhängig von den Außenministern agieren. Ihre Forderung zu sparen hat Herr Koppelin klassisch beantwortet. Sie sparen publikumswirksam maximal das Gehalt einer Ministerin, sonst nichts, es sei denn, Sie wollen die Entwicklungszusammenarbeit generell kürzen. ({1}) Sollte das der Kern Ihres Antrages sein? Ich denke, daß Ihnen bewußt sein muß, daß in den Entwicklungsländern die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ein sehr großes Ansehen genießt. ({2}) Gerade draußen wird immer wieder betont, wie wichtig es ist, daß es unterschiedliche Ansprechpartner gibt: die Botschaft und die Entwicklungszusammenarbeit. Es gibt sogar europäische Länder, die sich darum bemühen, unserem Vorbild nachzueifern. Es hat also seine guten Gründe, warum wir diese zwei getrennten Zuständigkeiten haben. Auch in Zukunft, Herr Günther, meine Damen und Herren, wird es legitime Interessenunterschiede zwischen dem Auswärtigen Amt und dem EntJoachim Günther ({3}) wicklungsministerium geben. Ich wundere mich, warum Sie in der gleichen Konsequenz nicht vorgeschlagen haben, die Außenwirtschaftsabteilung des Wirtschaftsministeriums in das AA einzugliedern. ({4}) Aber da stehen Ihre Wirtschaftsinteressen dagegen. Die Frage ist erneut erlaubt: Hat die F.D.P. überhaupt entwicklungspolitische Interessen, wenn sie solche Forderungen aufstellt? ({5}) Ich meine nach wie vor - ich habe das auch in der Vergangenheit deutlich gemacht -, daß eine Doppelstrategie, wenn sie zwischen dem Außenminister und der Entwicklungsministerin abgestimmt ist, auf internationaler Ebene sehr hilfreich sein kann. Denn das BMZ kann manchmal Partnern Dinge etwas deutlicher sagen, als es ein Außenminister aus übergeordneten Gründen heraus sagen kann. ({6}) Sie haben schlechte Erfahrungen mit dem NichtTandem Spranger/Kinkel gemacht: Sie argumentieren mit einem schlechten Beispiel. Es kann aber auch funktionieren, wie man an der Zusammenarbeit zwischen der Frau Wieczorek-Zeul und dem Minister Fischer sieht. Dort funktioniert diese Doppelstrategie erstklassig. ({7}) Ich kann Sie nur bitten: Wer ernsthaft Entwicklung in den Entwicklungsländern will, muß Ihren Antrag unbedingt dort hintun, wo er hingehört, in die Mottenkiste, und im übrigen die Stellung des BMZ im Kabinett stärken. Wir unterstützen Sie dabei. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gratuliere Ihnen. Das war eine Punktlandung. Sie haben exakt drei Minuten gebraucht. ({0}) Eine Erwiderung des Kollegen Günther.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schuster, wir werden sicherlich noch viele Gelegenheiten haben, dieses auszudiskutieren. Ich möchte nur zweierlei Dinge richtigstellen. Die F.D.P. möchte nicht die Entwicklungszusammenarbeit zurückführen, im Gegenteil: Wir haben Ihnen zu Beginn dieser Legislaturperiode angeboten, die Ministerin bei der Aufstockung ihres Haushaltes und anderen Dingen voll zu unterstützen. Das müßten Sie eigentlich noch wissen. ({0}) Der zweite Punkt. Wir haben angeregt - wir haben auch hier der Ministerin die Unterstützung zugesagt; ich habe dazu sogar Fragen gestellt -, bestimmte Abteilungen anderer Ministerien im BMZ zusammenzuführen, so wie Sie dies auch machen wollen. Also auch hier sind wir nicht auf einer anderen Ebene. Das Entscheidende ist eigentlich: Wir wollen eine Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der Entwicklungshilfe. Eine Verbesserung kann auch durch die Eingliederung oder durch die Zusammenlegung von Ministerien erfolgen. Dann sind nämlich viel kürzere Informationswege möglich. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Antje Hermenau.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P. ist ja immer für eine Überraschung gut. Herr Günther, ich habe schon gedacht, das würde heute eine sehr ruhige Debatte werden. Aber Sie haben noch einmal Leben mit Ihrem Änderungsantrag hineingebracht, den ich nur ganz schwer nachvollziehen kann. ({0}) Ich habe erwartet, die F.D.P. würde natürlich vorschlagen, daß wir das Entwicklungshilfeministerium und das Wirtschaftsministerium zusammenlegen sollten. Ich bin völlig verblüfft, daß Sie davon ausgehen, daß das diplomatische Personal in der Lage sein würde, mit derselben Kompetenz wie das Personal im BMZ zu agieren. Sie kennen natürlich die Diskussionen über die Kohärenz zwischen beiden Bereichen, dem Auswärtigen Amt und dem Entwicklungshilfeministerium. Ihnen ist klar, daß der Prozeß läuft. Ihnen ist ebenso klar, daß man das diplomatische Personal jahrelang trainieren müßte. Deswegen ist dieser Änderungsantrag zum Haushalt 2000 völliger Kappes, um das einmal deutlich zu sagen. ({1}) Das mit der Außenwirtschaft hätte ich eventuell noch verstehen können, denn der Einzelplan des Bundesministeriums für Wirtschaft weist wirklich nicht mehr viel an beweglicher Masse und Substanz auf. Aber das ist eigentlich alles, was ich dazu hätte sagen können. ({2}) Jetzt reden wir wirklich einmal über die Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit in den nächsten Jahren. ({3}) - Das ist schon ein anderes Thema, Herr Koppelin; die Frage würde zu spät kommen. ({4}) Dabei handelt es sich um eine Frage, der wir uns in zwei Punkten widmen müssen. Der eine Punkt ist in der Diskussion schon angeklungen, nämlich: Wie gehen wir damit um, daß davon auszugehen ist, daß in den nächsten Jahren weniger oder auf dem jetzigen Niveau stagnierende öffentliche Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen? Das hat etwas mit dem Sparpaket insgesamt zu tun. Diese Entscheidung ist grundsätzlich richtig, löst aber natürlich Probleme in der Entwicklungszusammenarbeit aus. Das ist völlig richtig. Also werden wir uns mit diesen Problemen befassen müssen. Es gab hierzu auch schon erste Ansätze in den Redebeiträgen der Kollegen. Sie wissen alle selbst, daß im Bereich Entwicklungszusammenarbeit sehr oft eine große Einigkeit in den Grundlinien herrscht. Das kennen wir alle aus unserer Praxis. Man könnte fast sagen: In diesem Bereich ist nie so ganz klar, wer hier eigentlich Opposition und wer hier Koalition ist, weil man oft einer Meinung ist. Ich bin der Auffassung, daß wir nicht nur über die Verbundfinanzierung - sie vertritt der Kollege von Schmude mit viel Verve immer wieder, und sie prägt seit 1994 diesen Haushalt mit, wenn auch nur in kleinem Maße - reden müssen. Das ist das eine. Wir haben jetzt verschiedene Erfahrungen gemacht. Was, wie ich finde, nicht so gut funktioniert hat, sind die Mischfinanzierungen. Ich denke, diese liefergebundene Mischfinanzierung wird keine Zukunft haben. Was relativ gut funktioniert, ist der Umgang mit Marktmitteln. Okay, da können wir weiterarbeiten. Das haben wir auch versucht. Wir haben den Gewährleistungsrahmen stabilisiert. Wir bemühen uns zudem darum, dem Finanzminister beizubiegen, daß das „sehr gute Risiko“ eigentlich eine Exklusivklausel ist und zu einer Risikoverteilung führt, die so gestaltet ist, daß sie ein hohes Risiko darstellt und eben nicht zu einer Verteilung des Risikos führt. Die andere Möglichkeit ist, private Mittel in die Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der FZ einzubeziehen, die trotzdem entwicklungspolitisch orientiert ausgegeben werden. Ich rede nicht von wirtschaftlichen Investitionen im nackten betrieblichen Interesse. Wie bekommen wir das auf die Reihe? Das wird schwierig. Ich habe in einer der Diskussionen hier schon einmal darauf hingewiesen, daß die Existenz der Öko-Bank, die nunmehr schon über zehn Jahre besteht, deutlich macht: Es gibt in Deutschland eine Klientel von Leuten, die nicht nur sehr gerne spenden, sondern mit ihrem Geld gerne auch etwas verdienen würden. Der Zinssatz sollte auch über dem Zinssatz normaler Bankguthaben liegen. Sie würden aber nie und nimmer zum Beispiel in einen Waffenhandel investieren. Ich glaube, mit diesen Leuten kann man darüber reden, einen Finanzierungsfonds zu entwickeln, der - ähnlich wie bei den „ecological investments“ der Öko-Bank - im Entwicklungshilfebereich eine Art „ethical investment“ organisiert. Ich halte das für machbar. Das ist eines der ersten großen neuen Projekte der Entwicklungszusammenarbeit der Koalition. ({5}) Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, daß die Kürzungen bei den Verpflichtungsermächtigungen, also bei den Ausgabeabsichten für die Folgejahre, drastisch ausgefallen sind. Das ist richtig beobachtet. Das war eine Vollbremsung. Warum hat die Vollbremsung stattgefunden, und was hat das mit unserer Debatte zu tun? Im Haushalt des BMZ werden im Moment eigentlich nur die ganzen Altverpflichtungen abgearbeitet, die unter Minister Spranger getroffen worden sind. Da sind gute und schlechte dabei; wir kennen die jährlichen Auswertungen von GTZ und KfW. Hier kann man also dieser oder jener Meinung sein. Das Problem ist natürlich: Wir haben fast keine Möglichkeit mehr, Neuverpflichtungen einzugehen. Auf der anderen Seite gibt es in einem Haushalt, dessen Projekte über mehrere Jahre gehen, die berühmte „Pipeline“ von Auftragslage, Zusagegenehmigung usw. Die Vollbremsung, die der BMF gemacht hat, ist, so glaube ich, eine Idee zu drastisch ausgefallen. Wir Haushälter haben auch gegengesteuert und die VE um 650 Millionen DM noch einmal ordentlich angehoben. Nichtsdestotrotz muß man sich endlich einmal mit diesem kaum noch darstellbaren Barmittelproblem befassen und sich fragen, wie wir das in Zukunft bewältigen wollen. Ich habe einen Weg aufgezeigt: Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir die FZ teilweise aus der öffentlichen Finanzierung herausnehmen. Um noch einen zweiten Punkt aufzunehmen: Man kann sich natürlich, wie der Herr Kollege Weiß es getan hat, darüber beschweren, daß es Kürzungen gegeben hat, daß die Entwicklungshilfe dramatisch betroffen sei. Damit sage ich gar nichts über die innenpolitischen Debatten, der sich die Koalition im Zusammenhang mit dem Sparpaket insgesamt stellen muß, und darüber, wie schwer es ist, dann noch etwas für das Ausland bereitzustellen. Das will ich hier gar nicht weiter ausführen; das kann sich jeder vorstellen. Aber wir wollen doch einmal die Extras beim Namen nennen, die hier immer so schön verschwiegen werden. Es gibt nämlich eine ganze Menge Extras: Die Schuldenentlastung wurde ein bißchen kleingeredet. Das Ganze muß man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. ({6}) Dauernd habe ich von der alten Bundesregierung gehört, daß sie das nicht wollte, weil das multilaterale Abkommen betreffe, und da komme das nicht in die Tüte. ({7}) Die bilaterale Entschuldung haben wir immer mitgetragen; das wurde zurecht vom Herrn Kollegen von Schmude angesprochen. Natürlich wollen wir auch bilateral entschulden. Das war immer einvernehmliche Beschlußlage von Haushaltsausschuß und AWZ. Aber wir wollen noch mehr: Wir wollen auch die multilaterale Entschuldung. Das hat jetzt geklappt, das ist endlich passiert. ({8}) Wir werden - um das deutlich zu sagen - damit auf Einnahmen verzichten. Man kann natürlich sagen, daß dies keine direkte Investition in Entwicklungszusammenarbeit ist. Aber indirekt fließt der Einnahmeverzicht auch der Entwicklungszusammenarbeit zu. Wir verändern endlich globale Rahmenbedingungen. Das halte ich für ganz entscheidend. ({9}) Es geht um eine gemeinsame globale Zukunftssicherung. Das hat sogar so überzeugt, daß der Herr Finanzminister noch einmal 100 Millionen DM zusätzlich versprochen hat, die wir im Einzelplan 23 auch hurtig eingestellt haben. Diese Summe werden wir Haushälter, wenn die Zeit gekommen ist, ihn auch tatsächlich abverlangen. Wir haben uns sehr darüber gefreut, daß die Argumentation im Bereich Entwicklungszusammenarbeit aus Sicht des BMF so schlagend war. Das hat also geklappt. Da wir bei den Extras sind: Im Gesamthaushalt werden 1,2 Milliarden DM für den Stabilitätspakt Südosteuropa bereitgestellt. Das BMZ hat natürlich bei einer Reihe von Mittelverwendungen ein relativ starkes Mitspracherecht. Ich möchte doch bitten, auch diese Gelder in das hineinzurechnen, was der Bund insgesamt für die Entwicklungskooperation zur Verfügung stellt. Ich halte es für angemessen, daß wir redlich argumentieren. Wenn man alle Zahlen zusammenzählt, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß die Kürzung fast wieder aufgehoben ist. Um es deutlich zu sagen: Wir erreichen zumindest das Vorjahresniveau. Reden wir noch ein wenig über die Maßnahmen, die wir in Angriff nehmen müssen. Ich habe eben schon die Erweiterung der Möglichkeiten angedeutet, privates Kapital in die FZ zu bringen. Aber die Diskussion über andere Punkte ist auch wichtig. Dazu gehört zum Beispiel die Diskussion, was die kleineren Projektträger an Aufgaben leisten sollen. In diesem Zusammenhang stellen sich die Fragen: Welche Akteure sollen beteiligt sein? Ist es vernünftig, große Projekte nur durch die GTZ durchführen zu lassen? Wäre es nicht klüger, auch kleinere Mittlerorganisationen anzusprechen? Ist es nicht einmal an der Zeit, daß wir uns darüber verständigen, welche Vorstellungen wir zum Beispiel im Bereich der Regierungsberatung haben? Wir müssen nämlich darüber sprechen, wie man die Rahmenbedingungen im globalen Maßstab und im jeweiligen Entwicklungsland ändern kann, damit die Entwicklungsländer bessere Möglichkeiten bekommen. Wir haben eine sehr differenzierte Landschaft von Entwicklungsländern. Das betrifft sowohl ihre Finanzkraft als auch zum Beispiel ihre Good Governance. Wir brauchen deutlich mehr einzelne Instrumente, um dieser differenzierten Entwicklungslandschaft gerecht zu werden. Ich freue mich auf die entsprechende Debatte, die wir führen werden. Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen. Uns würde es gut zu Gesicht stehen, wenn wir versuchen würden, Einfluß darauf zu nehmen, daß die Strukturanpassungsmaßnahmen von IWF und Weltbank so durchgeführt werden, daß wir zu einer größeren Transparenz in den Entscheidungen gelangen können, damit diese Entscheidungen nachvollziehbarer werden. Auch müssen diese Einrichtungen endlich dazu übergehen, sich an globalen Fragestellungen auszurichten. Schönen Dank. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention der Kollege Jürgen Koppelin. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hätte gerne den folgenden Punkt in einer Zwischenfrage geklärt. Aber da die Kollegin Hermenau keine Zwischenfrage zugelassen hat, muß ich eine Kurzintervention machen. Frau Hermenau hat eine Unterstellung gemacht, die die deutschen Botschaften betrifft. Wenn ich sie richtig verstanden habe, ist sie der Meinung, daß im Falle einer Zusammenlegung der beiden Ministerien das Personal der Botschaften erst einmal geschult werden müßte. Das ist schon eine sehr merkwürdige Aussage; denn sie unterstellt damit, daß sich die deutschen Botschaften nicht für die wirtschaftliche Zusammenarbeit einsetzen würden, weil sie das notwendige Personal nicht hätten. Diese Aussage kann man nicht kommentarlos stehen lassen. Die Kollegin Hermenau reist ja gern und viel. Deshalb müßte ihr eigentlich bekannt sein, daß gerade in den Botschaften eine Reihe von Menschen arbeiten, die sich sehr engagiert für die wirtschaftliche Zusammenarbeit einsetzen. ({0}) - Ich wiederhole die Äußerung von Frau Hermenau - sie kann mich korrigieren, wenn ich sie nicht richtig verstanden habe -, daß das Personal für wirtschaftliche Zusammenarbeit besonders geschult werden müsse. ({1}) Ich stelle in diesem Zusammenhang fest: Das entsprechende Personal ist in den Botschaften vorhanden. Wenn es nicht vorhanden sein sollte, müßten wir entsprechende Maßnahmen ergreifen. Ich bestreite ferner, daß sich die Botschaftsangehörigen in diesem Bereich nicht engagieren. Meine Erfahrung ist - ich wiederhole diesen Punkt -, daß dies die Kollegin Hermenau angesichts ihrer vielen Reisen besser wissen müßte. Ich möchte noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Die Zusammenlegung wäre auch für uns im Hause effektiv. Denn all die Themen, die Sie im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit diskutieren, Kollegin Hermenau, werden genauso im Auswärtigen Ausschuß diskutiert. Warum gibt es auch bei uns diese Doppelgleisigkeit? Warum können wir die Arbeit nicht effektiver gestalten? Zum schlanken Staat würde auch gehören, daß wir den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Auswärtigen Ausschuß zusammenlegen. Ich befürchte aber, daß der eine oder andere dann seinen Wirkungskreis verlieren zurück. Emil, ich würde dafür sorgen, daß du deinen Arbeitsbereich auf jeden Fall behalten würdest. Normalerweise bist du sehr fähig. Das sage ich trotz deiner heutigen Rede. Es macht mehr Sinn, diese beiden Bereiche zusammenzulegen. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht der Kollege Carsten Hübner für die Fraktion der PDS.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muß es leider immer wieder sagen: Auch mit diesem Haushalt entfernt sich die Bundesregierung weiter vom international vereinbarten Richtwert von 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für die öffentliche Entwicklungshilfe. Man muß dazu erwähnen: wie schon im letzten Jahr und natürlich wie unter der alten Bundesregierung in den Jahren zuvor. Da gibt es nichts zu beschönigen. Auch die von Ihnen, Kollege Schnell und Kollegin Hermenau, eben angeführten Erfolge ändern nichts an dieser Tatsache. Wenn ich mich an die Presseäußerungen von Frau Staatssekretärin Eid von vor einigen Wochen erinnere, dann muß ich sagen, daß dieser Richtwert inzwischen nicht nur regelmäßig ignoriert wird, sondern bereits zur Disposition steht. Dies gilt zumindest für einen Teil des BMZ, trotz der eigentlich unmißverständlichen Festlegung in der Koalitionsvereinbarung. Die überproportionalen Kürzungen im Einzelplan 23 im Vergleich zu dem Gesamthaushalt und den anderen Einzelplänen unterstreichen diesen Eindruck und machen genau das unmöglich, Frau Ministerin, mit dem Sie vor etwas mehr als einem Jahr angetreten sind: eine nachhaltige, zukunftsweisende und globale Strukturpolitik, die nicht nur Querschnittsaufgabe sein, sondern auch wesentlich zu einer Neuprofilierung der deutschen Außenpolitik beitragen sollte, ({0}) und zwar nicht zuletzt mit Blick auf eine ganzheitliche Politik der zivilen Konfliktvorbeugung, -bearbeitung und -nachsorge. Sosehr ich viele Eckwerte dieser Politik geteilt habe, Frau Ministerin, so sehr habe inzwischen Zweifel, ob Ihre Regierung, zumindest Teile Ihrer Regierung, auch nur einen Teilschritt in diese Richtung möglich machen wird. Diese Zweifel räumen Sie auch nicht mit dem ständigen Insistieren auf dem vereinbarten Schuldenerlaß aus. Das macht mich von Mal zu Mal eher skeptischer - das muß ich Ihnen sagen -, zumal die Kürzungen auch in den kommenden Haushalten weitergehen werden und das Ende der Fahnenstange in dieser Hinsicht längst noch nicht erreicht ist, während selbst die Entwicklungspolitiker aus Ihren Reihen längst wissen und im Ausschuß auch eingestehen, daß wir fachlich über das Ende der Fahnenstange längst hinaus sind. Statt dessen erleben wir das, was die Chefin des UNHCR, Frau Ogata, erst kürzlich die „Militarisierung der humanitären Hilfe“ genannt hat. Das ist eine Tendenz, meine Damen und Herren, die wir für fatal halten und auf Grund deren es aus unserer Sicht nur folgerichtig sein kann, zu fordern, den Haushalt des BMZ mit rund 600 Millionen DM aus dem Einzelplan 60 zu stabilisieren, die dort für militärische Aufwendungen für den Stabilitätspakt Südosteuropa eingeplant sind. ({1}) Ich möchte noch kurz auf zwei Aspekte eingehen; mehr erlaubt die Zeit leider nicht. Das eine sind die Kürzungen im Bereich der UNO-Organisationen. Ich frage Sie ernsthaft: Wie können Sie auf der einen Seite, etwa in der Osttimorfrage, bis hin zur fachlichen Unsinnigkeit Ihre angebliche Treue zur UNO zur Schau stellen und gleichzeitig genau dieser UNO die dringend notwendigen Mittel für ihre Arbeit entziehen, etwa für UNDP, Unido, Unicef, der WHO oder Unifem? Das paßt doch nur dann zusammen, wenn man unterstellt, daß Ihre Uno-Politik zunehmend allein nationalen Interessenlagen unterworfen ist, z. B. wenn es um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat geht. Der zweite Aspekt, den ich kurz hervorheben möchte, ist die Mittelkürzung im Bereich der NGO, der Kirchen und der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit. Auch hier widersprechen sich formulierter Anspruch und reale Kürzungspraxis in eklatanter Weise. Auch hier liegen die nach den Ausschußberatungen angehobenen Ansätze für 2000 unter denen des letzten Haushalts, und das vor dem Hintergrund einer sich weiter verschärfenden Weltlage. Es gibt immer mehr Konfliktherde und soziale und ökologische Verwerfungen, deren Ursachen häufig genug bei uns zu suchen sind, und gleichzeitig immer weniger Geld für diejenigen, die sich nicht selten durch ehrenamtliches Engagement dieser Entwicklung entgegenstemmen. Das erkläre, wer will. Aus unserer Sicht jedenfalls ist dieser Widerspruch derart offensichtlich und inakzeptabel, daß wir nicht darauf verzichten werden, unseren diesbezüglichen Änderungsantrag zum Haushalt extra abstimmen zu lassen. ({2}) Es gäbe hier noch viele Einzelfragen anzusprechen, etwa die anstehende Länderliste oder die Frage der Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba, zu der von uns in Kürze ein Antrag vorgelegt wird. Mir bleibt aber nur noch die Zeit für einige abschließende Sätze. Vor dem Hintergrund des geplanten F.D.P.-Antrags zur Eingliederung der Entwicklungspolitik des BMZ in das Auswärtige Amt, vor dem Hintergrund der durchaus bewußten politischen Einmischung des Außenministers in entwicklungspolitische Kernbereiche - z.B. in den Lomé-Prozeß -, vor dem Hintergrund der überdurchschnittlichen Etatkürzungen für das BMZ und nicht zuletzt vor dem Hintergrund etlicher Stimmen aus dem Auswärtigen Amt, das BMZ endlich als selbständige Institution dichtzumachen, möchte ich meine Rede so beschließen: Dieser Haushalt ist aus entwicklungspolitischer Sicht völlig inakzeptabel, sein Trend ist skandalös. Dennoch bleibt zu hoffen, daß es nicht einer der letzten BMZ-Haushalte ist. Es bleibt zu hoffen, daß das BMZ nicht längst schon dem Fischer ins Netz gegangen ist, der es jetzt schön langsam an Land zieht. Mir - und nicht nur mir - scheint diese Befürchtung mehr als realistisch. Nichtsdestotrotz wird die PDS-Fraktion diesen Haushalt selbstverständlich ablehnen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSUFraktion.

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal nüchtern darauf verweisen, daß wir Sie auch in diesem Bereich an Ihren eigenen Ankündigungen und Versprechungen messen. ({0}) Ich habe die Koalitionsvereinbarung nicht geschlossen. Ich habe auch nicht die Regierungserklärung des Kanzlers im November des letzten Jahres abgegeben. Darin haben Sie großmundig angekündigt, was Sie alles im Bereich der Entwicklungshilfe zusätzlich leisten wollen. Die Realität sieht völlig anders aus. ({1}) Die Kurskorrektur von Eichel ist die berühmte Kurskorrektur von Lafontaine. Seitdem Oskar nicht mehr da ist, ist auch der Mentor von Heidemarie nicht mehr da. Das sind die Fakten. ({2}) Lassen Sie mich auf zwei oder drei Sachbereiche eingehen. Die Tatsache, daß Sie die internationale Entschuldung erfunden haben, wird nicht dadurch besser, daß Sie das ständig wiederholen. ({3}) - Auch das ist falsch, Herr Kollege Schuster. Sie wissen es besser, und das ist das Schlimme. Der Punkt war folgender: Auf dem Sozialgipfel in Kopenhagen hat sich die Bundesregierung zum erstenmal mit großem Nachdruck dafür eingesetzt, daß nicht nur die bilaterale Entschuldung wichtig ist, die nämlich allmählich an ihre Grenzen stößt, weil sie weitestgehend gelöst ist, zumindest was Deutschland angeht, sondern daß es vorrangig darauf ankommt, auch die internationalen Organisationen einzubeziehen. Wenn Sie wissen, wie nachhaltig sich IWF und besonders die Weltbank dagegen gewehrt haben, wissen Sie, daß es einer gewaltigen Anstrengung bedurfte, bis wir die sogenannte HIPC-Initiative auf den Weg gebracht haben. Seit 1996 läuft dieselbe. Das sind die Fakten. Dazu, daß der Bundeskanzler heute morgen ankündigt, man habe eine gewaltige Leistung vollbracht, muß man zwei Bemerkungen machen: Erstens. Das hat für den Haushalt Auswirkungen in der Form, daß der Entwicklungshilfeetat um etwa 60 Millionen DM entlastet wird. Sie kürzen den Haushalt um 670 Millionen DM. Das heißt, Sie stehlen unseren Partnerländern rund 600 Millionen DM. Das sind die Fakten. ({4}) Er ist sogar noch weiter gegangen, denn zweitens - auch das hören Sie nicht gerne - hat der gleiche Bundeskanzler zusammen mit der Entwicklungsministerin auf dem Kölner Gipfel, auf dem diese Schuldeninitiative als Vorlage für die Weltbankkonferenz im September auf den Weg gebracht wurde, ein Dokument unterschrieben, in dem sich Deutschland verpflichtet, seine Entwicklungshilfemittel zu erhöhen. Dies geschah in dem Wissen, daß der Finanzminister gleichzeitig bereits die Einsparung vorbereitet. Das hat unserem internationalen Ansehen erheblich geschadet. ({5}) - Das ist völlig richtig. Hinzu kommt, daß Sie für die gesamte Entschuldungsinitiative keinen Pfennig zusätzlichen Geldes aufwenden. Sie machen folgendes: Die Leistungen der EU, die deutschen Leistungen und auch die Leistungen der EU-Mitglieder werden ausschließlich aus dem EEF mit rund 1 Milliarde Euro finanziert. So wird es ablaufen. Das heißt, Sie nehmen diese Mittel aus dem EEF - was vom Prinzip her sachgerecht ist, weil die Mittel dort herumliegen, was Sie immer bestritten haben ({6}) - doch -, um die Entschuldungsinitiative zu finanzieren. Es gibt also keinen Pfennig zusätzlich für die Entwicklungsländer. Das ist der Sachverhalt. Das macht deutlich, daß im EEF erheblich größere Finanzpolster enthalten sind, um praktisch - worauf wir uns gemeinsam hätten verständigen können - die Titel für die Kirchen, Stiftungen, für die private Wirtschaft und für die Nichtregierungsorganisationen auf dem gleichen Level wie dem des Jahres 1999 zu halten. Das wären vielleicht noch einmal rund 40 Millionen DM gewesen. Es hätte überhaupt keine Rolle gespielt, wenn wir diese ebenfalls aus dem EEF herausgenommen und diesen Titeln zugewiesen hätten. ({7}) - Aber wenn Sie im EEF 1 Milliarde Euro übrig haben, werden Sie doch wohl 40 Millionen DM übrig haben, um noch zusätzliche Leistungen für den nichtstaatlichen Bereich aufzubringen. Das können Sie doch nicht bestreiten. Wir werden Sie übrigens sorgfältig daran messen, was mit den von Eichel zugesagten 100 Millionen DM passiert. Sie haben im Augenblick eine verklausulierte Formulierung gefunden. Aber es steht erst einmal eindeutig fest: Als Verpflichtungsermächtigung sind sie im Einzelplan 23 und nicht irgendwo anders ausgewiesen. Nun werden wir einmal sehen, wie Sie das in der nächsten Zeit umsetzen. ({8}) Jetzt möchte ich noch etwas zu dem Thema „BMZ und Auswärtiges Amt“ sagen. Schon aus Leidenschaft werden Sie sich nicht wundern, wenn ich mit großem Nachdruck auch für unsere Fraktion gegen den F.D.P.Antrag argumentiere. ({9}) Übrigens, lieber Kollege Günther, die Überlegung, ob das AA nicht im BZ viel besser aufgehoben wäre, haben wir schon zu unseren Zeiten angestellt. ({10}) Aber der Punkt ist noch ein anderer: Abstimmungen, lieber Werner Schuster, finden überhaupt nicht statt. Das Auswärtige Amt beschließt, fünf Botschaften in Afrika - Ihrem Lieblingskontinent - zuzumachen. Darüber ist mit dem BMZ kein Wort gesprochen worden. Die Bundesregierung muß doch erst einmal eine Konzeption entwickeln, wo sie in Zukunft ihre entwicklungspolitischen Schwerpunkte setzt. Man kann sich darüber unterhalten, ob man aus dem Tschad, dem Niger und der Zentralafrikanischen Republik herausgeht. Es ist doch absolut grotesk, in einem Land wie Burundi die Botschaft dichtzumachen, wenn auf der anderen Seite das Auswärtige Amt seine Bereitschaft erklärt, man müsse einen Beitrag zur Lösung der Probleme im Bereich der Großen Seen leisten. Was ist es denn für eine Politik, dort einen Botschafter abzuziehen? ({11}) Uns beschäftigt gewaltig, daß auf diesem Gebiet keine Abstimmung stattfindet. Das sollte uns meines Erachtens im Parlament nicht gleichgültig sein. Wenn sich jetzt die Bundesregierung und insbesondere - gezwungenermaßen - das BMZ Gedanken über eine Konzentrierung macht - wir werden uns demnächst im Fachausschuß mit dieser Frage beschäftigen -, dann möge das bitte - ich wiederhole mein Plädoyer - durch eine in sich abgestimmte, kohärente Politik geschehen: Nicht, daß das AA irgendeine Entscheidung vorwegfällt und das BMZ muß hinterherlaufen. Wie wollen wir in diesen Ländern überhaupt noch Politik machen, wenn dort die Infrastruktur einer Botschaft nicht gegeben ist? Ich glaube, die Bundesregierung ist auf dem Holzweg. Was sie tut, ist schädlich für die entwicklungspolitischen Anliegen unseres Landes. Das denke ich insbesondere, wenn ich Ihre vollmundigen Ankündigungen darüber höre, wie wichtig Ihnen der afrikanische Kontinent ist. In der aktuellen Politik dieser Bundesregierung ist davon nichts zu erkennen. ({12}) Man soll Kollegen aus der jetzigen Koalitionsfraktion nicht nur tadeln. ({13}) Ich möchte den Kollegen Schuster zu einer besonderen Formulierung in seinem Beitrag beglückwünschen. Sie haben darauf hingewiesen, daß das Ansehen der deutschen Entwicklungshilfe weltweit sehr groß ist. Sie sind dabei, dieses Ansehen zu verspielen. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun hat die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr von Schmude hat vorhin die Bemerkung gemacht, der Entwicklungshaushalt sei so etwas wie das soziale Gewissen. So hätten ihn auch frühere Regierungen behandelt. Ich muß feststellen: Sie haben in den Jahren von 1991 bis 1998 den Gesamthaushalt um 14 Prozent ausgeweitet; aber im gleichen Zeitraum haben Sie den Entwicklungshaushalt um 5 Prozent gesenkt. Das ist keine Haushaltskonsolidierung, sondern das Benutzen des Entwicklungshaushaltes als Steinbruch. Wer so handelt, der hat nach Ihrer Interpretation kein soziales Gewissen. Das kann ich nur bestätigen. ({0}) Herr Hedrich, es ist einfach notwendig, Fakten zu kennen und sie richtig vorzutragen. In unserer Regierungszeit ist der Anteil der Finanzierungen für den afrikanischen Kontinent der größte Anteil unserer bilateralen Leistungen. ({1}) Das war zu Ihrer Zeit nicht der Fall. Deshalb lege ich Wert darauf, daß hier nicht einfach ins Blaue hinein Unsinn behauptet wird. Der entwicklungspolitische Gestaltungsrahmen - das ist heute hier gesagt worden - ist in den Haushaltsberatungen um insgesamt 1,2 Milliarden DM deutlich gestärkt worden. Dieser Rahmen ist zum einen durch Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 um 650 Millionen DM erhöht worden. Darüber hinaus ist eine Verpflichtungsermächtigung für den Stabilitätspakt Südosteuropa im Einzelplan 60 in Höhe von 300 Millionen DM verankert worden. Auch die Gewährleistungen für Verbundfinanzierungen sind auf 250 Millionen DM erhöht worden. Wie wir uns angesichts der Kürzungen im Haushalt 2000 verhalten, habe ich in der letzten Debatte detailliert dargestellt. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, daß ich jetzt die zwischenzeitlich erreichten Erfolge darstellen möchte. Es ist wirklich schwer erträglich, daß hier Abgeordnete den Schuldenerlaß in Höhe von 70 Milliarden US-Dollar, den wir im September auf den Konferenzen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds im Interesse der Entwicklungsländer erreicht haben, in parteipolitischer und kleinkrämerischer Absicht schlechtmachen. Dies ist noch kleiner als kleinkariert; dies ist Pepita. ({2}) 70 Milliarden US-Dollar sind das 20fache der Mittel unseres Entwicklungshaushalts. Daran kann man erkennen, was alles mobilisiert worden ist. Vor allen Dingen werden durch diesen Schuldenerlaß mindestens 36 der ärmsten Entwicklungsländer die Chance haben, eine soziale und nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen. Im Durchschnitt ist damit zu rechnen, daß diese Länder nach der Entschuldung weniger als 10 Prozent ihrer Exporteinnahmen für den Schuldendienst ausgeben müssen. Dies bedeutet, daß Millionen von Kindern und Erwachsenen in diesen Ländern eine bessere Perspektive erhalten. Wer kann schon von sich behaupten, so etwas jemals angestoßen zu haben? Unsere Regierung hat dies angestoßen. Dies ist ein großer Erfolg, den Sie anerkennen sollten, anstatt ihn kleinzumachen. ({3}) Zweiter Punkt. Wir leisten einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung der Gesamtinitiative. Wir werden zum einen den Entwicklungsländern auf bilateraler Ebene bis zu 9 Milliarden DM an Schulden erlassen. Rund 5 Milliarden DM entfallen auf Handelsschulden einschließlich der DDR-Altschulden, für die dadurch endlich eine Lösung gefunden wird. Zirka 4 Milliarden DM entfallen auf Schulden aus der finanziellen Zusammenarbeit. Die Bundesregierung wird darüber hinaus - darauf ist schon hingewiesen worden - 150 Millionen DM direkt in den Treuhandfonds einzahlen, der bei der Weltbank zur Unterstützung der multilateralen Gläubiger und der Finanzierung ihres Anteils an der Entschuldungsinitiative eingerichtet worden ist. Darüber hinaus - Sie haben bestätigt, daß dies richtig ist - werden bis zu 1 Milliarde Euro aus dem Europäischen Entwicklungsfonds, die noch nicht abgeflossen sind, in die HIPCEntschuldungsinitiative fließen. Dies ist ein substanzieller Beitrag. Da der deutsche Finanzierungsanteil am EEF rund ein Viertel beträgt, werden damit noch einmal rund 540 Millionen DM als deutscher Beitrag in die Entschuldungsinitiative fließen. Der dritte Punkt ist meines Erachtens in der bisherigen Diskussion überhaupt nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es ist uns gelungen, die Entschuldungsinitiative als Hebel zu benutzen, um die Politik und die Haushalte der Entwicklungsländer auf Armutsbekämpfung auszurichten, ({4}) und dafür zu sorgen, daß die Finanzmittel für die Entschuldung wirklich bei den Menschen ankommen. Die Menschen bei uns sind doch bereit, die Entschuldungsinitiative zu akzeptieren, allerdings nicht konditionslos. Wir haben endlich die Entwicklungsländer verpflichtet, eigene Entschuldungs- und Armutsbekämpfungsprogramme vorzulegen. Ich kann nicht mehr hören, wenn Sie sagen, wir würden den Nichtregierungsorganisationen schaden. Wir haben durch die Entschuldungsinitiative dazu beigetragen, daß die Zivilgesellschaft an den Armutsbekämpfungsplänen der Entwicklungsländer endlich beteiligt wird. Dies ist ein Riesenschritt, den Sie nie geschafft haben. Sagen Sie also nicht, die Nichtregierungsorganisationen würden nicht unterstützt! ({5}) Ich möchte übrigens - ich weiß nicht, ob wir das durchsetzen können -, daß ein kleiner Teil des Entschuldungsteils für die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen in den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt wird, damit sie eine Chance haben, sich einzubringen. Sonst könnte es eine vergleichsweise folgenlose Forderung gewesen sein, die Zivilgesellschaft einzubeziehen. Hinzu kommt, daß wir es geschafft haben - das ist der vierte Punkt -, die Politik der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds so umzuorientieren, daß sie zur Armutsbekämpfung die Programme der Entwicklungsländer entsprechend mit unterstützen müssen. Das ist eine wegweisende, ich möchte sagen: fast revolutionäre Veränderung, bezogen auf den Internationalen Währungsfonds. Es war doch bisher so: Der Fonds hat die Haushaltsstabilität in den Vordergrund gestellt, und er hat die Probleme der Armut in den Entwicklungsländern zum Teil erst verschärft. Dann hat die Weltbank die Heftpflaster geliefert, um die Wunden zu verbinden. Damit ist endlich Schluß. ({6}) Jetzt wird die Verbesserung der Situation der Entwicklungsländer integriert angegangen. Das haben wir mit der Entschuldungsinitiative hinbekommen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht jedoch nicht um die Anerkennung für uns, sondern es geht darum, daß Entwicklungsländer sagen, damit ist eine Rieseninitiative in Gang gekommen. Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß es gelungen ist - ich bedanke mich ausdrücklich für die Unterstützung, die wir dabei im Haushaltsausschuß hatten; der Kollege Wagner blickt wissend ({7}) - immer wissend, er ist allwissend -, ({8}) die 100 Millionen DM für die entsprechende multilaterale Finanzierung so einzusetzen, daß sie plafondsteigernd und additional sind. Ich möchte von dieser Stelle aus einen Appell an die Parlamentarier im US-Kongreß richten. Die Parlamentarier im US-Kongreß haben das, was Bill Clinton vor der Jahresversammlung von Weltbank und Währungsfonds angekündigt hat, nämlich auch einen multilateralen Beitrag zur Entschuldungsinitiative zu leisten, finanziell im Haushalt nicht abgesichert. Wir appellieren deshalb an unsere amerikanischen Kolleginnen und Kollegen - ich bin sicher, ich sage das in Ihrer aller Sinne -, ({9}) daß die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen einen Nachtragshaushalt vorlegen, damit die Finanzierung auch von den USA aus gesichert ist. Ich darf jedenfalls sagen: Die europäischen Länder werden zu ihren Zusagen im Zusammenhang mit der Finanzierung der HIPC-Initiative stehen. Das habe ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen verabredet. Das gilt auch für die Bundesregierung. ({10}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Krisenprävention. Wir haben Mittel für den Zivilen Friedensdienst eingesetzt. Entgegen dem Trend sind sie auf 17,5 Millionen DM aufgestockt worden. Der Zivile Friedensdienst ist ein neues, flexibles und schnelles Instrument, das wir zusammen mit den christlichen Entsendeorganisationen AGEH, Dienste in Übersee, EIRENE und anderen anwenden. Das Neue dabei ist - das bitte ich die Kolleginnen und Kollegen zu verstehen -, daß es zum ersten Mal ein Gemeinschaftswerk zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Seite zur Versöhnung und Vermittlungsarbeit in unseren Partnerländern ist. ({11}) Es ist im übrigen auch ein Versuch, eine qualifizierte Ausbildung in diesem Bereich der Versöhnungs- und Vermittlungsarbeit zu verwirklichen. ({12}) Ich appelliere an Sie: Freuen Sie sich doch, daß es Leute gibt, die dafür ihre Ausbildung einbringen wollen und die in den beteiligten Ländern tätig werden. Jeder Einsatz kann Krisen und Konflikte mindern. ({13}) Da sage ich: Da ist es des Schweißes der Edlen wert, daß diese Leute dort hingehen, daß wir es finanzieren. Das ist im übrigen billiger, menschlicher und anständiger, als anschließend mit großem Aufwand Schäden zu beseitigen, die aufgetreten sind. ({14}) Ich habe großes Vertrauen in die Organisationen, die den Zivilen Friedensdienst bilden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiß?

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Im Moment nicht, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich sind die Finanzen wichtig. Jeder weiß, daß ich es besser gefunden hätte, wenn dem Entwicklungsbereich weniger Kürzungen zugemutet worden wären. Eines ist aber auch festzuhalten - das sage ich an die Kritiker in diesem Hause oder sonstwo -: Es geht insbesondere um qualitative Arbeit. Wir arbeiten daran, daß Initiativen unterstützt werden, die sich weltweit um die Reduzierung und Begrenzung von Waffenlieferungen in Entwicklungsländer bemühen. Die Länder sollen nämlich ihr Geld für Bildung und Gesundheit und nicht für Waffen und Rüstungsgüter ausgeben. Darin liegen ihre Chancen. ({0}) - Daß Sie dafür kein Verständnis haben, ist mir klar. ({1}) Ein weiterer Punkt, bei dem es uns um Qualität geht. Bei der Ressortabstimmung haben wir unseren Einfluß dahin gehend geltend gemacht, daß die WTO endlich auch die Entwicklungsländer berücksichtigt. Durch die Öffnung der Märkte der Industrieländer für Produkte aus den Entwicklungsländern kann mehr erreicht werden, als wenn alle Hilfen nur über die öffentlichen Haushalte finanziert würden. Das wäre ein großer Schritt nach vorne. Die diesbezügliche Position der Europäischen Union bei den Verhandlungen haben wir mitformuliert und auch für die Bereitstellung von Finanzmitteln gesorgt. ({2}) Ich möchte gern noch einmal darauf hinweisen, daß wir erstens die Nichtregierungsorganisationen im SüBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul den gestärkt haben, insbesondere auch beim Post-LoméProzeß, und daß zweitens die privaten Träger im kommenden Jahr nach den bisherigen Haushaltsvorschlägen immer noch deutlich mehr Mittel zur Verfügung haben als zur Zeit der Regierung Kohl, nämlich 4,8 Prozent mehr als 1998. ({3}) Für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit dieser Organisationen werden im Jahr 2000 deutlich mehr Mittel bereitgestellt, nämlich gegenüber 1998 über 40 Prozent mehr. ({4}) Mir geht es noch um einen zusätzlichen Punkt. Angesichts der Probleme, die es in der Welt gibt, sollten wir alle unsere Kräfte bündeln. Wir sollten die staatlichen Mittel nutzen, Nichtregierungsorganisationen einbinden und vor allen Dingen - das möchte ich und werde ich auch tun - die Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft voranbringen. Bei jedem Projekt, das zukünftig geplant wird, muß geprüft werden, ob die Leistungen nicht von seiten der privaten Wirtschaft besser und effektiver erbracht werden können, so daß eine wirkliche Partnerschaft, bezogen auf das entwicklungspolitische Ziel, zustande kommt. Das ist ein Schwerpunkt, um dessen Verwirklichung wir uns kümmern werden. ({5}) Zum Schluß liegt mir noch eine Sache am Herzen: Sie alle haben gelesen, daß zwei 14- und 15jährige Schüler aus dem westafrikanischen Guinea, die sich im Fahrgestell eines Flugzeuges versteckt hatten, auf dem Weg nach Europa jämmerlich erfroren sind. Als man sie nach der Landung des Flugzeuges in Europa fand, trugen sie nicht etwa einen Brief dabei, in dem sie um Asyl baten, sondern sie hatten einen verzweifelten Hilferuf an die Verantwortlichen Europas dabei. Ich möchte Ihnen den Inhalt gerne vorlesen und Sie alle bitten, in diesem Sinne tätig zu werden. Sie schrieben: „Wir leiden furchtbar in Afrika. Wir leiden an Hunger, Krankheit und Krieg. Wir möchten lernen und zur Schule gehen. Bitte helfen Sie uns, damit wir in Afrika ein Leben führen können wie Sie in Europa.“ Ich denke, meine Damen und Herren, wenn wir uns gemeinsam diesen Appell und die schreckliche Situation dieser Jugendlichen, die zu einem solchen Mittel gegriffen haben, vor Augen halten, dann sollten wir dahin kommen, einen Teil unserer parteipolitischen Auseinandersetzungen zu lassen, und sollten uns vielmehr gemeinsam bemühen, die Finanzmittel und die Möglichkeiten unseres Landes im Sinne der Jugend der Welt zu nutzen. Ich bedanke mich sehr. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/2149? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Damit kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 23 in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. November 1999, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.