Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, daß nach der
Beratung des Steuerbereinigungsgesetzes die Beschluß-
empfehlung des Rechtsausschusses zum Gerichtsverfas-
sungsgesetz auf Drucksache 14/2037 ohne Debatte auf
die Tagesordnung gesetzt werden soll.
Des weiteren teile ich mit, daß der Ältestenrat verein-
bart hat, daß in der Haushaltswoche vom 22. November
keine Regierungsbefragung, keine Fragestunde und kei-
nen Aktuelle Stunden stattfinden sollen. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 d sowie
Zusatzpunkt 6 auf:
11. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sanierung des Bundeshaushalts ({0}) - Drucksache 14/1523
({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) - Drucksachen
14/2016, 14/2036 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft
b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines
Gesetzes zur Familienförderung - Drucksachen 14/1513, 14/1670 ({3})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4}) - Drucksache 14/2022 Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Elke Wülfing
Klaus Wolfgang Müller ({5})
Gisela Frick
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/2023 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Oswald Metzger
Dr. Uwe-Jens Rössel
c) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines
Gesetzes zur Bereinigung von steuerlichen
Vorschriften ({7}) - Drucksachen 14/1514,
14/1655, 14/1720 ({8})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({9}) - Drucksache 14/2035, 14/2070 Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Hans Michelbach
Klaus Wolfgang Müller ({10})
Gisela Frick
Heidemarie Ehlert
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/2048 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Oswald Metzger
Dr. Uwe-Jens Rössel
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({12}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann
Otto Solms, Hildebrecht Braun ({13}),
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Ordnungspolitisch vernünftige Steuergesetze
verabschieden
- Drucksachen 14/1546, 14/2035, 14/2070 Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Hans Michelbach
Klaus Wolfgang Müller ({14})
Gisela Frick
Heidemarie Ehlert
ZP 6 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({15}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Dr.
Klaus Grehn, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Kindergelderhöhung auch für Kinder im
Sozialhilfebezug
- Drucksache 14/1308, 14/2033 Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Lange
Es liegen eine Reihe von Änderungs- und Entschließungsanträgen vor. Ich weise darauf hin, daß wir nachher mehrere namentliche Abstimmungen durchführen
werden. Bisher sind acht angemeldet, und zwar sieben
zum Tagesordnungspunkt 11 und eine zum Tagesordnungspunkt 12.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Peter
Struck, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Paket, das
wir heute verabschieden, tun wir einen großen, einen
gewaltigen Schritt für die Zukunft unseres Landes. Es ist
ein Schritt, den uns niemand zugetraut hätte.
({0})
Gelingt dieser Kraftakt auch nur halbwegs, dann
wäre dies die markanteste Zäsur in der bundesdeutschen Haushaltspolitik seit den fünfziger Jahren.
({1})
So schrieb zweifelnd die „Süddeutsche Zeitung“ am
16. Juni über die Durchsetzbarkeit unseres Zukunftsprogramms. - Dieser Kraftakt ist gelungen.
Worum es heute geht, hat der Chefökonom der Deutschen Bank, Norbert Walter, bei der Anhörung des
Haushaltsausschusses am 25. Oktober eindringlich umrissen. Er hat das Zukunftsprogramm als ein „überfälliges Stoppschild nach einer langen Blindfahrt“ bezeichnet. - Wie recht der Mann hat!
({2})
Das war die Blindfahrt von Schäuble und Co, mit der
der Staat in 16 Jahren in die Schuldenfalle getrieben ist.
Ich zitiere Herrn Walter weiter - Sie haben ihn immer
für Ihren Kronzeugen gehalten;
({3})
er hat Sie von der Union bei der gleichen Anhörung gewarnt -:
Was mit diesem Haushalt auf den Weg gebracht
wurde, ist unverzichtbar. Wer es sabotiert, muß
wissen, was er tut.
Sie wissen es offensichtlich nicht.
({4})
Aber es wird an Ihnen zum Glück nicht scheitern, daß
der Bundestag heute mehrere Gesetzentwürfe beschließt,
mit denen das „Zukunftsprogramm zur Sicherung von
Arbeit, Wachstum und sozialer Stabilität“ in wesentlichen Teilen umgesetzt wird. Dazu gehören das Haushaltssanierungsgesetz, das Gesetz zur Änderung des
Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze, das Steuerbereinigungsgesetz und das Gesetz zur Familienförderung.
Ich möchte noch einmal daran erinnern, daß wir dieses
Gesetz zur Familienförderung machen, weil Sie die Familien 16 Jahre lang verfassungswidrig behandelt haben.
({5})
- Da brauchen Sie gar nicht „Oh!“ zu rufen, das ist Tatsache.
Die „Berliner Zeitung“ vom 26. Oktober hat über die
Anhörung des Haushaltsausschusses berichtet. Für die
CDU/CSU ist an diesem Artikel vielleicht nur eines erfreulich,
({6})
nämlich ein, wenn auch nicht ganz so gelungenes Bild
des Kollegen Adolf Roth. Im übrigen stand dort:
Die Bundesbank hält das Sparpaket für unverzichtbar, weil die Staatsschulden sonst die Grenzen der
Verfassung und des Euro-Stabilitätspaktes sprengen.
({7})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Der Bundesrechnungshof begrüßt, daß die Bundesregierung aus der finanziellen Notlage des Bundes
endlich Konsequenzen gezogen hat.
Die von Ihnen beantragte Anhörung im Haushaltsausschuß hat unsere Politik eindeutig bestätigt.
({8})
Wir legen mit diesem Paket, das wir heute mit unserer Mehrheit verabschieden werden, die Grundlage zu
einer nachhaltigen und wirksamen Entlastung der öffentlichen Haushalte.
({9})
Insgesamt beläuft sich das Entlastungsvolumen durch
das Zukunftsprogramm für den Haushalt des Bundes allein für das Jahr 2000 auf rund 30 Milliarden DM; es
steigt bis 2003 auf jährlich 50 Milliarden DM.
Zur größten Erblast der Regierung Kohl gehört doch
die Verschuldung des Staates. Allein die Schulden des
Bundes sind in der Regierungszeit von Kohl - von 1982
bis 1998 - von 300 Milliarden DM auf die gigantische
Größe von 1 500 Milliarden DM gestiegen. Die Folgen
sind fatal. Wir und unsere Kinder leiden unter den Folgen dieser wahnsinnigen Verschuldungspolitik. Wir
müssen 82 Milliarden DM im Jahr nur für Zinsen aufwenden; das sind 22 Prozent aller Steuereinnahmen.
Damit sind die Zinsausgaben nach den Sozialausgaben
schon der zweitgrößte Etatposten. Diese wachsende
Schuldenlast hat die Handlungsfähigkeit des Staates erdrückt. Es mußte ein Weg aus dieser Schuldenfalle gefunden werden. Wir haben ihn jetzt gefunden.
({10})
Die alte Regierung hätte, wenn sie am Ruder geblieben wäre, für das Jahr 2000 eine Nettokreditaufnahme
von 54,5 Milliarden DM vorgesehen, wobei bei dieser
Neuverschuldung noch nicht einmal zusätzlich belastende Entwicklungen berücksichtigt waren. Wir dagegen
werden bei realistischer Veranschlagung aller Risiken
im Jahr 2000 mit einer Nettokreditaufnahme von unter
50 Milliarden DM auskommen. Das ist das Ergebnis der
Beratungen des Haushaltsausschusses, die gestern abgeschlossen worden sind. Das nenne ich eine solide Vorsorgepolitik. Wenn wir an dieser Stelle nicht energisch
entgegengesteuert hätten, hätten wir im Bundeshaushalt
eine Finanzierungslücke von 80 Milliarden DM.
({11})
Eine Neuverschuldung in dieser Größenordnung wäre
weder mit dem europäischen Stabilitätspakt noch mit
Art. 115 unseres Grundgesetzes vereinbar gewesen. Wir
halten uns an die Verfassung und an die Regeln der Europäischen Union.
({12})
Wir mußten gegenlenken. Es macht mir Freude, den
Eiertanz der Opposition aufzuzeigen, der diesen Kraftakt
begleitet hat. Als Hans Eichel im Mai unser Konsolidierungsziel von 30 Milliarden DM nannte, haben Sie, Herr
Kollege Schäuble, im ZDF gesagt:
Das alles sieht mir sehr nach Schau aus. In Wahrheit ist meine Besorgnis, mit den dramatischen Ankündigungen, die dann hinterher nicht erfüllt werden, bereitet er
- er meinte Hans Eichel in Wahrheit nur die Ausrede vor, daß er hinterher
die Mehrwertsteuer erhöhen kann.
Sein Stellvertreter in der Fraktionsführung, Herr
Merz, sagte am 28. Mai im „heute journal“:
({13})
Ich fürchte, daß am Ende die Botschaft sein wird,
wir haben es nicht geschafft mit den Einsparungen.
Wir müssen Steuererhöhungen machen. Und das
wird systematisch vorbereitet.
Herr Kollege Schäuble, Herr Kollege Merz, Ihre Befürchtungen, wir würden die Steuern erhöhen müssen,
werden heute der Unwahrheit überführt.
({14})
- Herr Schäuble möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich
habe nichts dagegen.
Ich wollte Ihnen,
Herr Kollege, noch Gelegenheit geben, Ihren Satz zu
beenden. - Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?
Natürlich.
Herr Schäuble, bitte
sehr.
Herr Kollege
Struck, sind Sie so liebenswürdig und sagen dem Hohen
Haus, wieviel Milliarden DM Steuererhöhungen wir gestern beschlossen haben?
Herr Kollege Schäuble, wir
wollen schon bei der genauen Formulierung bleiben.
({0})
Ich habe Sie zitiert, und Sie haben gesagt: Ihr schafft das
nicht - ich sage es einmal ein bißchen verkürzt -, Ihr
macht eine Mehrwertsteuererhöhung. Dazu sage ich
Ihnen klipp und klar: Es gibt keine Mehrwertsteuererhöhung.
({1})
Ich mache Ihnen auch noch die Freude und zitiere
Herrn Lambsdorff, den Ehrenvorsitzenden der F.D.P.:
Ich glaube, daß das ein Alibivorstoß ist. Ein Mann
von der Erfahrung des Hans Eichel weiß ganz genau, daß er eine solche Größenordnung in einem
Haushalt nicht bewältigen kann - ... 30 Milliarden
Mark, das ist nicht zu schaffen.
Wenn Sie jetzt noch Bedarf haben, kommt ein echter
Rexrodt, der ebenfalls anwesend ist. Er hat am gleichen
Tage, am 31. Mai 1999, gesagt:
Jetzt zeigt sich, daß Eichels Sparankündigungen
nur der Aufbau einer Drohkulisse waren, um Steuererhöhungen vorzubereiten.
({2})
- Falsch, Herr Rexrodt, falsch. Das ist Ihre alte Politik
gewesen, die der alten Koalition. Wenn Sie nicht mehr
weiterkamen, haben Sie die Nettokreditaufnahme erhöht, also neue Schulden gemacht, und haben die Steuern erhöht. Wir machen das nicht. Darum geht es. Das
ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen.
({3})
Dann gibt es noch ein wunderbares Zitat des Kollegen Wissmann. Ich weiß nicht, ob er noch der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU ist.
({4})
- Wenn man gute Zitate von der Gegenseite hat, muß
man sie auch vortragen. Sie haben einen solchen Unsinn
erzählt, und ich bin so frei, ihn hier zu wiederholen, Herr
Kollege Austermann.
({5})
Wissmann hat im August behauptet, als sich abzeichnete, daß Hans Eichel den Kurs schafft:
Die Schröder/Fischer-Regierung geht mit ihrem
Sparpaket wieder auf den von Theo Waigel vorgegebenen Sparkurs zurück.
Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wer
1 500 Milliarden DM Schulden, die Waigel hinterlassen
hat, als Sparkurs bezeichnet, muß entweder ein Witzbold
oder ein Zyniker sein.
({6})
Es ist klar, solide Staatsfinanzen sind eine unverzichtbare Grundlage für Arbeit, Innovation und soziale
Stabilität. Deswegen haben wir für eine sozial ausgewogene Ausgestaltung des Zukunftspakets gesorgt.
Daneben werden die Sparanstrengungen mit notwendigen strukturellen Reformen verbunden, die zu ökonomischen und sozialen Reformen führen. Wir machen
jetzt das, was die Vorgängerregierung sträflich vernachlässigt hat: Wir stellen nämlich die Weichen für die
Zukunft unseres Landes, für die Zukunft unserer Kinder,
Enkel und Urenkel.
({7})
Ich war, als wir das Sparpaket zum erstenmal im
Bundestag - damals noch in Bonn - diskutiert haben,
gespannt auf die Alternativen aus den Reihen der
CDU/CSU, F.D.P. und PDS, insbesondere auch bei den
Haushaltsberatungen, auf die sich das Sparprogramm im
wesentlichen auswirkt. Abgesehen davon, daß Sie gesagt haben, daß wir es nicht schaffen, und abgesehen
davon, daß Sie einzelne Maßnahmen in diesem Paket
kritisiert haben - über die man sicherlich zu Recht diskutieren kann -, haben Sie keine einzige konkrete Alternative zu unserem Programm vorgelegt. Darum geht es:
Was ist Ihre Antwort auf die Zukunftsfragen unseres
Landes? Unsere Antwort ist klar: das Zukunftspaket.
Wo ist Ihre Antwort? Fehlanzeige auf allen Ebenen,
meine Damen und Herren.
({8})
In der schon zitierten Anhörung hat der Kölner Wirtschaftswissenschaftler Johann Eekhoff, ehemaliger
Staatssekretär der von Kohl geführten Bundesregierung
im Wirtschaftsministerium, gesagt: „Die Regierung hat
mit dem Sparpaket einen vernünftigen Weg eingeschlagen.“ Dieses Urteil eines uns politisch nicht sehr
freundlich gesonnenen Mannes beweist, daß uns die
Sachverständigen, die sich intensiv mit diesen Fragen
beschäftigt haben, den richtigen Weg bescheinigt haben.
Wir werden ihn weitergehen.
({9})
Wir stellen uns der Verantwortung, die uns die Bürgerinnen und Bürger im September 1998 mit dem Auftrag zum Regieren gegeben haben. Wir stellen uns dieser
Verantwortung auch in den Bereichen, in denen wir
schmerzhafte Eingriffe vornehmen mußten. Aber es gibt
keine Alternative zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit
unseres Landes. Der Weg, den wir jetzt gehen, ist solidarisch und - unter Umständen - in Einzelfällen gegen
das Interesse einzelner Gruppen gerichtet.
Sie wissen, daß in meiner Fraktion intensive Diskussionen über einzelne Maßnahmen des Sparpaketes, des
Haushaltssanierungsgesetzes, stattgefunden haben. Wir
haben in der Fraktion eine offene Diskussion geführt.
Die Fraktion hat mehrfach insbesondere über die Rentenanpassung und über die Erhaltung der Kaufkraft der
Rentner diskutiert. Ich sage Ihnen hier deutlich: Es wird
kein Mitglied meiner Fraktion geben, das diesem Sparpaket, diesem Haushaltssanierungsgesetz, nicht zustimmen wird - entgegen allen Unkenrufen, die aus Ihren
Reihen gekommen sind. Es war ein schwieriger, aber
solidarischer Prozeß.
Wir werden das Haushaltssanierungsgesetz in zwei
Teile aufteilen: in einen zustimmungsfreien und in einen
zustimmungspflichtigen Teil. Das ist notwendig, damit
noch im November - auch ohne Zustimmung des Bundesrates - rund 26 Milliarden DM - das sind 90 Prozent
der im Jahre 2000 insgesamt notwendigen Konsolidierungssumme - nicht mehr zur Disposition stehen.
Allerdings bleibt klar - das sage ich an die Adresse
des Bundesrates, auch wenn dessen Bank hier heute leer
ist -, daß die noch ausstehenden und der Zustimmung
des Bundesrates bedürfenden gesetzlichen Änderungen ebenfalls unverzichtbar für den erfolgreichen Schritt
aus der Staatsverschuldung heraus sind. Dabei handelt es sich im wesentlichen um Änderungen beim pauschalierten Wohngeld, beim Unterhaltsvorschuß sowie
um die Begrenzung des Einkommenszuwachses im öffentlichen Dienst. Mit diesen Maßnahmen ist ein Sparvolumen von insgesamt gut 4 Milliarden DM verbunden.
Wir gehen ganz fest davon aus, daß sich die Länder
ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung bewußt sind und
im Interesse unseres Landes die Zustimmung zu diesen
Änderungen im Bundesrat nicht verweigern werden. In
jedem Fall werden wir aber dafür sorgen, daß der Konsolidierungsbeitrag auch tatsächlich erbracht wird. Entweder wird dies im Gesetzgebungsverfahren jetzt oder
über die Beratungen im Vermittlungsausschuß geschehen, oder es werden rechtzeitig andere geeignete Maßnahmen ergriffen werden.
Ich möchte noch einmal ganz deutlich sagen: Der
Bund verhält sich solidarisch und saniert seinen Haushalt nicht zu Lasten von Ländern und Gemeinden.
({10})
So werden durch die Maßnahmen des Sparpaketes bei
allen Gebietskörperschaften per saldo Ausgaben eingespart. Beispielsweise führt der Konsolidierungsbeitrag
der Beamten, der entsprechend der Regelung bei Rentnerinnen und Rentnern am Prinzip der Kaufkraftsicherung orientiert ist, zu erheblichen Einsparungen bei
Länder- und Gemeindehaushalten.
Herr Kollege
Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Ostrowski?
Wenn Sie gestatten, möchte
ich diesen Gedanken noch zu Ende führen.
Ja.
Sie wissen doch ganz genau, daß der Ministerpräsident eines Landes in seinem
Haushalt einen Personalkostenanteil von über 40 Prozent hat. Der von uns vorgesehene Konsolidierungsbeitrag wird seinen Haushalt deutlich entlasten. Das gleiche
gilt auch für die Gemeinden.
Jetzt hat die Kollegin Ostrowski das Wort, bitte sehr.
Herr Kollege Struck,
zu Ihrer eben getroffenen Aussage, daß Sie nicht zu Lasten der Kommunen sparen, hätte ich Sie gerne folgendes gefragt:
Erstens. Ist Ihnen bekannt, daß sich gestern die Länderfinanzminister, also auch die Finanzminister der
SPD-regierten Länder, im Finanzausschuß des Bundesrates völlig einig darin waren, daß sie die Abwälzung
des pauschalierten Wohngeldes auf Länder und Kommunen ablehnen, weil dies eine Zusatzbelastung bedeuten würde?
Zweitens. Stimmen Sie mit mir darin überein, daß die
Abwälzung des pauschalierten Wohngeldes nicht kompensiert wird und daß im Entwurf des Haushaltssanierungsgesetzes die Durchrechnung der Kompensation auf
Basis der Reduzierung der Beamtenpensionen nicht auf
die Gemeinden bezogen ist, wohl aber die Abwälzung
der Kosten für das pauschalierte Wohngeld?
Drittens. Stimmen Sie mit mir auch in diesem Punkt
überein, daß insbesondere ostdeutsche Kommunen
nichts kompensieren können, weil der Beamtenanteil im
Osten bekanntlich an einem Finger, der steigende Anteil
der Sozialhilfeempfänger dagegen nicht einmal an
100 Fingern abzuzählen ist?
({0})
Natürlich stimme ich mit
Ihnen nicht überein. Ich will Ihnen aus den Beratungen
zwischen Bundestag und Bundesrat im Vermittlungsausschuß, die ich in den letzten Legislaturperioden mitgemacht habe, eines gerne bestätigen: Wenn es um die
Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern geht,
vertreten die Länder eine bestimmte Position und bringen diese in die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß ein. Deshalb irritieren mich die ablehnenden
Stellungnahmen auch von SPD-geführten Ländern überhaupt nicht.
({0})
Sie würden sich sogar völlig falsch verhalten, wenn sie
gleich von vornherein Zustimmung signalisieren würden.
Wenn man im Vermittlungsausschuß über die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern redet,
dann gibt es verschiedene Ausgangspositionen; die Ausgangspositionen der SPD-geführten Länder und die des
Bundestages mit seiner Mehrheit haben Sie beschrieben.
Wir werden am Ende des Vermittlungsverfahrens ein
Ergebnis erzielen, das sowohl den Interessen des Bundes
als auch den Interessen der Länder entsprechen wird.
Davon bin ich fest überzeugt.
({1})
Frau Ostrowski
möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich möchte jetzt in
meiner Rede fortfahren. Es reicht nun.
Frau Kollegin, Herr
Kollege Struck möchte auf Ihre Frage nicht mehr antworten. - Jetzt hat der Kollege Struck das Wort.
Bei den Finanzbeziehungen
zwischen Ländern und Gemeinden - das wissen alle, die
in der Kommunalpolitik gearbeitet haben; das sind nicht
wenige in diesem Hause -, haben wir die Situation, daß
sich die Länder, wenn sie durch Bundesentscheidungen
möglicherweise finanziell zusätzlich belastet werden,
einen Weg suchen, sich den Teil, der ihnen zusätzlich
aufgebürdet wird, eventuell bei den Gemeinden zurückzuholen. Hier haben wir das bewährte Instrument des
kommunalen Finanzausgleichs. Ich kann nur an alle
Länder appellieren, dieses Instrument des kommunalen
Finanzausgleichs zu nutzen, um die Gemeinden in ihrer
finanziellen Leistungsfähigkeit zu stützen. Dabei ist
klar: Die generelle Klage der Gemeinden, sie seien im
Vergleich zum Bund arm, ist, was die Schuldenlast angeht, absolut unberechtigt. Das will ich hier deutlich
festhalten.
({0})
Die Botschaft ist klar: Wir haben ein Programm vorgelegt, von dem Sie gesagt haben, wir würden das nicht
schaffen. Es hat noch kein Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland geschafft, das Volumen eines
Haushalts nicht zu erhöhen, sondern zu senken, nämlich
um 30 Milliarden DM. Das ist die erste Botschaft.
({1})
- Regen Sie sich nicht auf!
Die zweite Botschaft lautet: Wir haben ein Programm
vorgelegt, das Solidarität sichert zwischen Alt und Jung,
zwischen denjenigen, die jetzt Beitragszahler zum Beispiel in die Rentenversicherung sind, und denjenigen,
die schon Rente empfangen. Das haben Sie mit Ihrer
Rentenreform nicht geschafft.
({2})
Die dritte Botschaft - auch die möchte ich Ihnen noch
nennen -: Wir werden den Weg der konsequenten Rückführung der Staatsverschuldung zu Ende gehen. Wir
halten Kurs. Wir schaffen wieder finanzielle Spielräume
für unsere Kinder, Enkel und Urenkel. Sie werden uns
bei diesem Kurs nicht aufhalten.
({3})
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor drei Tagen, am 9. November, hatten wir einen
Freudentag. Am gleichen Tag gab es aber auch ein wenig Schmerz - als die Arbeitslosenzahlen für Oktober
vorgestellt wurden. Das hat ein Stück Ernüchterung gebracht.
Ich habe Verständnis dafür, daß der Herr Bundeskanzler, der sich offensichtlich gerne mit fremden Federn schmückt, heute nicht anwesend ist; denn das, was
heute beschlossen wird, hat er zu verantworten. Daß am
9. November vor zehn Jahren die Mauer gefallen ist, hat
er nicht verhindern können.
({0})
Er war trotzdem bei der Feierstunde anwesend, hat sich
zu Wort gemeldet und sich hineingedrängt, um dabeizusein. Es wäre gut, wenn er auch heute bei der Beratung
des sogenannten Sparpaketes wenigstens zeitweise anwesend wäre. Doch ich vermute, er berät sich derzeit mit
Herrn Scharping.
({1})
Im Berliner „Tagesspiegel“ lautet die Überschrift zu
Recht: „Ein Jahr Schröder: Stillstand am Arbeitsmarkt“.
Zur Erinnerung: Am Ende der Amtszeit von Helmut
Kohl war die Arbeitslosenzahl innerhalb eines Jahres
um 400 000 zurückgegangen. Die Regierung Schröder
ist zum Risikofaktor für Deutschland geworden. Die
Regelung der sogenannten Scheinselbständigkeit und
der geringfügigen Beschäftigung hat die Menschen verunsichert und in die Schwarzarbeit getrieben.
({2})
Bundesweit sind 700 000 Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten als Folge dieser Maßnahme verlorengegangen. Die gestern beschlossene Ökosteuerreform
- so wird dieses Abkassieren genannt - erzeugt eine
neue Kostenlawine für Bürger und Betriebe.
({3})
Das sogenannte Haushaltssanierungsgesetz, das wir
heute beraten, wird an diesem falschen Zustand nichts
ändern. Es ist ein Verschiebebahnhof und eine Bündelung von Schikanen.
({4})
Ich komme später noch zu den ganz bewußten Schikanen gegen die deutschen Bauern.
Noch eines: Sie werden sich schwertun, Herr Struck,
dieses 30-Milliarden-DM-Paket umzusetzen. Ich könnte
dazu Herrn Schleußer zitieren:
Länder und Gemeinden gegen Eichel - SPDFinanzminister: „Verschieben ist kein Sparen.“
({5})
Insofern muß ich sagen: Wo die Leute recht haben, da
haben sie recht!
Die gestern beschlossene Ökosteuer verstärkt zusätzlich das sogenannte Steuerentlastungsgesetz. Damit sind
der deutschen Wirtschaft Zusatzlasten von 10 Milliarden
DM aufgebürdet worden.
({6})
Die versprochenen Entlastungen dagegen lassen immer noch auf sich warten. Die Unternehmensteuerreform ist verschoben, und die Betriebe wissen immer
noch nicht, woran sie sind, das heißt, was sie letztendlich versteuern müssen. Deswegen sind ausländische Investoren auch enttäuscht über den Standort Deutschland.
Die amerikanische Handelskammer in Deutschland hält
unser Land mittlerweile für „reformunfähig“ und vor
allen Dingen für „unberechenbar“. Daran tragen Sie die
Schuld.
({7})
An Rotgrün ist das einzig Berechenbare die Unfähigkeit und die Unberechenbarkeit, die letztendlich in immer neuen Steuererhöhungsvorschlägen gipfelt. Verbraucher und Betriebe üben Kauf- und Investitionszurückhaltung, und die Zahl der Gewerbeanmeldungen bei
uns im Lande geht zurück, da niemand weiß, mit welcher Steuer ihm morgen Geld aus der Tasche gezogen
werden soll.
({8})
Man überbietet sich auch ständig mit neuen Vorschlägen. Montags sollen die Erben zur Kasse gebeten
werden, dienstags sind es die Vermögenden, mittwochs
sind es die Kapitalanleger oder die Sparer, donnerstags
sind es die Familien, freitags sind es die Energieverbraucher und samstags die Energieerzeuger. Nicht einmal am Sonntag ist Ruhetag. Bei Steuererhöhungsvorschlägen gilt bei der SPD auch nicht das Wort „Sonntags
nie“.
({9})
Nicht einmal das ist kalkulierbar. Sonntags denkt man
darüber nach, in welcher Reihenfolge man montags mit
diesen Vorschlägen wieder beginnen will.
({10})
Dabei hat sich auch mein Vorredner hervorgetan. Ich
zitiere die „Bild“-Zeitung: „Schnüffel-Struck will Bankgeheimnis aufheben.“
({11})
Ich kann nur sagen: Mit dem Zwang zur Kontrollmitteilung treiben Sie noch mehr Kapitalanleger aus dem
Land und verunsichern die Sparer. Außerdem bringen
Sie damit den Menschen ein gewaltiges Mißtrauen entgegen.
({12})
Ich sage noch einmal: Wer das Bankgeheimnis
durchlöchern will, schadet letztendlich unserem Bankensystem und kuriert an Symptomen.
({13})
Die Steuerzahler sind wieder ein ganzes Stück mehr bereit - der größte Teil unserer Bürger ist steuerehrlich -,
ehrlich zu bleiben, wenn unser Steuersystem gerecht und
transparent erscheint, wenn es einfach ist, die vielen
Ausnahmen aufhören und es dafür niedrigere Steuersätze gibt.
Herr Kollege Glos,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Nein. Den kenne ich
nicht.
({0})
Zu Ihrer Information: Er ist ein Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Ach so.
Aber Sie haben das
Wort. - Bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ich möchte die Zeit lieber dazu nutzen, Bundesfinanzminister Eichel zu zitieren. Er hat eine Broschüre
mit dem Titel „Unsere Steuern von A - Z“ herausgegeben. Lieber Herr Eichel, darin befindet sich auch ein
Bild von Ihnen. Dieses Bild ist sogar ziemlich zeitnah.
({0})
Also muß auch der Text zeitnah sein.
Sie haben ja ein großes Erbe angetreten. Ich meine
jetzt nicht das Erbe von Lafontaine, sondern in allererMichael Glos
ster Linie das Erbe, das Ihnen Gerhard Stoltenberg und
Theo Waigel hinterlassen haben.
({1})
Sie schreiben in dieser Broschüre zu Recht:
Mit dem Steuersenkungsgesetz 1986/88 wurde die
Belastung von Arbeitnehmern und Selbständigen
mit Lohn- und Einkommensteuer in zwei Schritten
um insgesamt 25 Mrd. DM zurückgeführt,
({2})
ohne daß zum Ausgleich andere Steuern erhöht
wurden.
({3})
Sie schreiben weiterhin:
Mit dem Steuerreformgesetz 1990 wurde die Belastung von Bürgern und Betrieben mit indirekten
Steuern um insgesamt weitere 24 Mrd. DM netto
zurückgeführt.
Sie schreiben ferner:
Das Jahressteuergesetz 1996 führt zu einer Nettoentlastung von rd. 19 Mrd. DM, vor allem
- das konterkariert Herrn Struck zugunsten von Familien mit kleineren und mittleren
Einkommen.
({4})
Sie, Herr Eichel, werden sagen: Es war eine Panne,
daß man mit der Wahrheit herausgerückt ist.
({5})
Das wird getilgt werden. Ich höre ja auch, in Ihrem Ministerium versucht man verzweifelt, diese Broschüre aus
dem Verkehr zu ziehen und eine neue Auflage zu drukken.
({6})
Im Internet ist dieser Text inzwischen verschwunden.
Das Referat Öffentlichkeitsarbeit mauert bei Anfragen
nach dieser Broschüre. Sie sei angeblich vergriffen.
Aber ich kann allen, die an dieser Broschüre interessiert
sind, einen Tip geben: Beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung ist sie noch stapelweise vorhanden und zu haben.
({7})
Herr Eichel, ich frage Sie jetzt: Warum weigern Sie
sich so beharrlich, den erfolgreichen Weg Ihrer Vorgänger - ich wiederhole, daß ich damit nicht Lafontaine
meine - weiterzugehen? Warum weigern Sie sich, eine
umfassende Steuerreform mit einer Senkung aller
Steuersätze - und nicht mit irgendwelchen künstlichen
Hilfsaggregaten und Teilungen zwischen Einnahmen,
die dem Staat lieb sind, und Einnahmen, die ihm nicht
so lieb sind und auf die er dann im Rahmen der Besteuerung willkürlich zugreift - und mit einer nachhaltigen Nettoentlastung für alle durchzuführen, nachdem
Sie zu Recht auf die guten Erfahrungen verwiesen haben?
Hilfe haben Sie ja in Peter Struck. Sie müssen nur
aufpassen, daß der Schwarze Peter nicht bei Ihnen bleibt
und Ihr Nichthandeln zum Roten Peter als Vorteil wandert - nach dem Motto: Ich habe es ja rechtzeitig geprüft. Denn der rote Peter ist durch das Land gegangen insbesondere die Grünen haben gesagt: Ein Struck geht
durch das Land
({8})
- natürlich, und zwar so lange, bis er wieder zurückgepfiffen worden ist - und hat überall gesagt: „Es kann
nicht falsch sein, Steuern zu senken.“ Weiterhin hat er
festgestellt:
Die alte Position einer Arbeiterpartei „Von den
Reichen nehmen, um den Armen zu geben“ kann
nicht die Politik unserer modernen Gesellschaft
sein.
Das ist richtig. An diesem Satz ist allerdings eines
falsch: Die SPD ist keine Arbeiterpartei mehr. Sie ist im
Grunde eher eine Lehrerpartei, eine Partei Ewiggestriger
und was weiß ich alles. Die Arbeiter haben sich ein ganzes Stück von ihr abgewandt.
Herr Struck, stehen Sie zu Ihren Worten - wo Sie
recht haben, haben Sie recht - und setzen Sie sich endlich dahin gehend durch, daß es eine Steuerreform gibt,
die ihren Namen letztendlich verdient!
({9})
Ich weiß, daß es sehr schwer ist, dies in einer solchen
Partei durchzusetzen. Gut wäre es natürlich, wenn der
Bundeskanzler einen Parteivorsitzenden an seiner Seite
hätte, der die Seele dieser Partei ansprechen kann und
der sie kennt. Für den Parteivorsitzenden Schröder ist es
natürlich schwer, Bundeskanzler Schröder zu helfen.
Denn diese beiden stehen sich ja oft gegenseitig im Wege. Deswegen werden immer wieder neue Pirouetten
gedreht und neue Ausflüchte erfunden, damit man diese
Partei einbinden kann.
({10})
Wie wenig diese Partei und insbesondere ihre Fraktion noch zu ihrem Bundeskanzler steht, hat sie gestern
beim Bericht zur Lage der Nation bewiesen: Von 297
Genossinnen und Genossen - so viele sind es theoretisch
- war höchstens ein Drittel anwesend, und auch dieses
Drittel hat sich zum Teil geschämt. Das war ganz deutlich am Verhalten zu merken.
Diese Bundesregierung und dieser Bundeskanzler haben ihre Lektion nicht gelernt. Statt die Probleme im
Rahmen der eigenen Verantwortung anzupacken, wird
versucht, sie in vielfältigen Konsensgesprächen zu bewältigen. Herausgekommen ist dabei noch nichts - außer Spesen nichts gewesen. Auf seiner Asienreise hat
der Kanzler nun noch einen internationalen Beschäftigungsdialog zwischen Regierungen, Arbeitgebern und
Arbeitnehmern gefordert, als ob wir noch nicht genug
überflüssige Runden hätten. Statt ständig nur zu reden,
wäre es besser, einfach zu handeln.
Wir brauchen doch nur abzugucken, was unsere
Nachbarländer, unsere Konkurrenten und Mitbewerber
am Weltmarkt getan haben. Die Konjunktur in den
USA brummt. Die Arbeitslosigkeit in Großbritannien,
Holland, Dänemark, Österreich und Portugal ist um zwei
Drittel niedriger als bei uns. Auch innerhalb Deutschlands gibt es Beispiele, an denen Sie sich orientieren
können: Insbesondere im Süden Deutschlands bewegt
man sich sehr nahe an der Vollbeschäftigung. Auch in
den neuen Ländern gibt es inzwischen beachtliche regionale Unterschiede, was natürlich ein Stück weit mit
der Politik der jeweiligen Landesregierung zu tun hat.
Das alles zeigt: Man kann die Probleme durchaus zu
Hause lösen, wenn man will.
Mit der heutigen Abstimmung über das sogenannte
Haushaltssanierungsgesetz will die Bundesregierung
- deswegen ist es richtig, daß Herr Riester anwesend ist
- die Grundlage dafür schaffen, die Rentner willkürlich zu behandeln; denn das ist ja das Präludium zur
Änderung der Rentenformel, weil auch im Bundeshaushalt ein Betrag dafür eingestellt wird, nämlich der Bundeszuschuß. Ich kann nur sagen: Auch auf dieser Maßnahme ruht kein Segen. Die Rentnerinnen und Rentner
werden sich merken, welche Betrugsmanöver Sie hier
vorhaben.
({11})
Es ist ja nicht so, als hätten Sie zwischendurch kein
Unrechtsbewußtsein gehabt, Herr Riester. Sie haben ja
im eigenen Hause eine Studie bestellt, die untersuchen
soll, welche Pirouetten es gibt, mit denen man das bis
nach den Landtagswahlen verschieben kann. Dadurch,
daß dies bekanntgeworden ist - wahrscheinlich, weil es
vom Bundeskanzleramt her durchgestochen worden ist -,
ist das Manöver gescheitert. Sie werden also mit diesem
offenkundigen Rentenbetrug in die Wahlkämpfe in
Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen gehen
müssen.
Lassen Sie sich nicht so viel von Herrn Zwickel hereinreden! Er beneidet Sie, Herr Riester, vielleicht nur
um Ihren Posten und will Sie deswegen hinter die Fichte
führen.
({12})
Wer glaubt, daß eine Rente mit 60 finanzierbar ist, der
ist falsch gezwickelt, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({13})
Dies wäre ein Vertrag zu Lasten der jungen Generation:
Sie müßte einen noch höheren Teil ihres Einkommens
hergeben, um die heutigen Probleme kurzfristig - denn
dies würde nicht auf Dauer wirken - lösen zu können.
Das würde einen neuen Keil zwischen die Generationen
treiben und bewirken, daß sich immer mehr junge Menschen überlegen: Wie kann man diesem Rentensystem
entgehen? Damit wurde also immer mehr „ausgeflaggt“.
Ich möchte noch einen Punkt herausgreifen, den ich
für besonders eklatant halte: Die Bauern werden hier
behandelt wie Unkraut, das man jäten muß.
({14})
Mit dem sogenannten Steuerentlastungsgesetz wurde bereits die Vorsteuerpauschale abgesenkt, die landwirtschaftlichen Freibeträge wurden abgeschafft. Gestern
wurde die Ökosteuer massiv erhöht, was sich natürlich
auch auf die Spritkosten der Bauern auswirkt. Mit dem
sogenannten Haushaltssanierungsgesetz soll jetzt auch
noch die Gasölbetriebsbeihilfe - bis auf eine Art Sozialhilfe für Kleinbauern - abgeschmolzen werden. Die
landwirtschaftliche Altersversicherung wird abgebaut. Das alles führt natürlich bei einer besonders gekniffenen
Berufsgruppe zu ganz massiven Veränderungen. Darüber können sich lediglich die freuen, die die deutsche
Landwirtschaft sowieso für einen ökologischen Störfall
halten. Aber das ist eine Minderheit in diesem Land, und
von dieser Minderheit allein können Sie nicht leben.
({15})
Das ist eine Kampfansage an den ländlichen Raum,
das ist eine Kampfansage an eine intakte Sozialstruktur,
und es ist eine Kampfansage an unsere Kulturlandschaft,
wie wir sie gewohnt sind und nicht wie sie dort aussah,
wo seinerzeit die eigentumsfeindliche und enteignende
SPD, Entschuldigung, natürlich SED, gewütet hat. Entschuldigen Sie den Versprecher. Das war keine Absicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die geschichtliche Wahrheit aber ist - Herr Eichel wird sicher
ähnlich wie Herr Struck wieder das Lied von der Erblast
singen wollen -: In Deutschland - das hat der Bundeskanzler gestern selbst gesagt - ist in den letzten zehn
Jahren eine einmalige Solidarleistung erbracht worden.
Das war eine großartige Aufbauleistung, die natürlich
viel Geld gekostet hat.
Wir haben trotzdem, als wir in die gemeinsame europäische Währung eingetreten sind, keinen höheren
Schuldenstand gehabt als unsere Nachbarländer. Ich finde, das ist eine ganz großartige Leistung,
({16})
die Sie würdigen sollten, statt immer wieder mit Ihrem
Märchen von der vermeintlichen Erblast zu kommen.
Wenn es eine Erblast bei den Schulden gibt, dann besteht sie in der Tatsache, daß 1982 ohne Not Schulden
aufgehäuft waren, die Gerhard Stoltenberg und Theo
Waigel hinterlassen worden sind. Wir mußten seitdem
Zinsen und Zinseszinsen zahlen.
({17})
Es hätte weitere Rückführungen gegeben, wenn nicht
die deutsche Wiedervereinigung gekommen wäre.
Über die Wiedervereinigung freuen wir uns, und wir
stehen zu allen Leistungen, die - auch aus der Bundeshaushaltskasse - zugunsten der neuen Bundesländer erbracht worden sind.
({18})
Sehen Sie sich die Finanzkennziffern an: Das Defizit
der öffentlichen Haushalte belief sich 1998, am Ende der
Regierung Kohl, auf 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und zwar mit den Leistungen für die deutsche
Einheit. 1982 waren es noch 3 Prozent ohne deutsche
Einheit. Das ist die Wahrheit. Die Staatsquote belief sich
1998 auf 48 Prozent - mit Trend nach unten - unter Berücksichtigung der deutschen Einheit. 1982 lag sie bei
50 Prozent ohne deutsche Einheit. Der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag 1998 bei
12 Prozent, 1982 lag er beträchtlich höher.
({19})
Die Umfragen zeigen: Die Deutschen glauben Rotgrün nicht mehr. Sie haben die Mehrheit in der Bevölkerung längst verloren. Wenn man die Schlagzeilen der
letzten Tage liest, hat man auch das Gefühl, die Kanzlerdämmerung hat bereits begonnen.
Wie gesagt, vielleicht unterhalten sich die beiden ja
gerade. Ich bin gespannt, wie lange es sich die Sozialdemokraten noch leisten können, daß ihre Basis abbruchartig wegbricht, wie es in Nordrhein-Westfalen geschehen ist.
Gestern war der SPD-Fraktion durch Nichtanwesenheit - diese Strafe galt nicht nur dem Fraktionsvorsitzenden, sondern auch dem Bundeskanzler - anzumerken, daß sie nicht mehr hinter diesem Kanzler steht.
Wenn die Lage der Nation diskutiert wird, dann muß
man anwesend sein. Wir waren bei Helmut Kohl immer
geschlossen da. Ich kann nur sagen: Der lange bleierne
Schatten von Oskar Lafontaine hat sich auf die SPD gelegt, und Sie werden diesen Schatten nicht mehr loswerden.
Ich habe noch einmal etwas über die japanischen
Kamikazeflieger nachgelesen. Sie waren meistens nur
sehr wenig erfolgreich, aber einzelne Schlachtschiffe
sind getroffen worden. Der Kamikazeflieger Oskar Lafontaine hat Wirkung hinterlassen, und es wird auch
Herrn Müntefering nicht gelingen, alle Schotten abzudichten und alle Schäden zu beheben. Deswegen haben
wir jetzt statt Aufbruchstimmung Untergangsangst bei
der SPD. Darüber konnte auch die Rede von Herrn
Struck nicht hinwegtäuschen.
({20})
Herr Schröder hatte nie die Herzen der Genossen erobert. Er hat ihren Verstand erreicht,
({21})
und er ist damit über die Genossen hinweg an viele
Deutsche herangekommen, weil sie geglaubt haben, was
er versprochen hat: Er modernisiert, er macht alles besser und moderner. Inzwischen sind die Leute, die ihn mit
dem Verstand gewählt haben - natürlich haben die ihren
Verstand wieder zurückgewonnen -, wieder von der
SPD abgerückt. Ich glaube nicht, daß es Ihnen gelingt,
sie wieder zurückzuerobern.
Deswegen werden wir den Weg beharrlich weitergehen, den wir in diesem Jahr eingeschlagen haben, nämlich bei Landtagswahlen, die auch Stimmungstests für
die Bundestagswahl sind, soviel Erfolg wie möglich zu
haben. Ich bin sehr zuversichtlich, daß die positive Entwicklung im Februar in Schleswig-Holstein und im Mai
in Nordrhein-Westfalen fortgesetzt wird. Man kann auch
mit noch so teurer Kleidung Blößen nicht bedecken, und
die politischen Blößen sind vorhanden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({22})
Herr Struck hat die „Süddeutsche Zeitung“ bemüht.
Herr Struck, Sie erinnern sich sicher noch an Ihre Rede.
({23})
- Kennen Sie sie soweit auswendig, daß Sie noch wissen, von welchem Tag Sie sie zitiert haben? Ich habe
zugehört und glaube, es war der 16. September 1999.
({24})
- 16. Juni. Ich nehme den 13. September 1999. Es macht
bei der „Süddeutschen Zeitung“ oft mehr Spaß, das
Feuilleton zu lesen, als die Zeitung selbst. Denn manche
Leute, die gerade mit dem Kanzler in Japan und China
unterwegs waren, verbreiten das Märchen, es handele
sich um eine gute Rede des Kanzlers und was weiß ich
alles.
({25})
Nachdem Herr Struck die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert hat, möchte ich auch - dann höre ich auf, Frau Präsidentin - etwas daraus vorlesen. Darin wird die SPD
mit dem Suppenkasper verglichen. Dort heißt es:
Der Kasper, der war kerngesund, ein dicker Bub
und kugelrund. Am nächsten Tag, ja sieh nur her,
da war er schon viel magerer.
Dies war der Sachstand nach den Landtags- und Kommunalwahlen in diesem Herbst. Wie die Geschichte endet, ist bekannt: Am vierten Tag dann - das wird im
nächsten Jahr im Mai sein endlich gar, der Kasper wie ein Fädchen war. Er
wog vielleicht ein halbes Lot - und war am fünften
Tage tot.
Danke schön für die Aufmerksamkeit.
({26})
In unserer Debatte
zum Haushaltssanierungsgesetz, zum Gesetz zur Familienförderung sowie zum Steuerbereinigungsgesetz erteile
ich nun dem Kollegen Rezzo Schlauch das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Glos
ist mit Sicherheit ein guter Schauspieler und Darsteller
im bayerischen Komödienstadl.
({0})
Aber zu dem Thema, das auf der heutigen Tagesordnung
steht, kam kein einziges Wort, kein einziger Vorschlag,
keine einzige Alternative, auf die einzugehen sich lohnen würde.
({1})
Dies ist auch kein Wunder, denn die Alternative der alten Regierung war, die Handlungsfähigkeit des Staates
durch einen schwindelerregenden Schuldenkurs immer
weiter gen Null zu reduzieren.
({2})
Meine Damen und Herren, mit dem heutigen Gesetzespaket werden wir diese Handlungsfähigkeit wieder um
einen entscheidenden Schritt nach vorn bringen.
({3})
Herr Glos, im 21. Jahrhundert brauchen wir Gestaltungsräume, um statt der reinen Marktwirtschaft auch
weiterhin eine soziale Marktwirtschaft zu haben, die
Herr Gerhardt - wenn ich ihn recht verstanden habe schleifen will, und um sie zu einer ökologisch-sozialen
Marktwirtschaft weiterzuentwickeln.
({4})
Mit dem vorliegenden Gesetzespaket beweisen wir
aber auch die Handlungsfähigkeit dieser Regierung trotz
geänderter Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Dies ist
etwas, was die alte Koalition in zwei Legislaturperioden
nicht geschafft hat.
({5})
Wir kommen heute unserem ehrgeizigen Ziel, 30
Milliarden DM im Bundeshaushalt einzusparen und die
Nettoneuverschuldung zurückzuführen, ein ganzes Stück
näher. 10 Milliarden DM schultern wir mit dem nicht
zustimmungspflichtigen Teil des Haushaltssanierungsgesetzes. Eine Einsparung von weiteren 16 Milliarden
DM werden wir Ende November mit der Verabschiedung des Bundeshaushalts realisieren. Das ist gestern
bereits in den Ausschüssen mit einer fast millimetergenauen Punktlandung erledigt worden.
({6})
Jetzt, Herr Glos, kommen Sie ins Spiel. Es bleiben
ganze 4 Milliarden DM, bei denen Sie sich als Opposition sehr gut überlegen müssen, was Ihnen wichtiger ist:
das Wohl des Landes oder der kurzfristige parteipolitische Erfolg.
({7})
Zugegeben, Sie haben bei den letzten Wahlen gut abgesahnt. Dauerhaft - da bin ich ganz sicher - wird es sich
aber nicht auszahlen, sich für die Partei und gegen das
Land zu entscheiden,
({8})
für die Stagnation und für den Status Quo, wie Sie es
jahrelang getan haben. Wir waren für die Veränderungen, die längst überfällig waren und die wir heute einleiten.
Besonders deutlich zeigt sich dies an einem Punkt des
Gesetzes, den Sie vehement streitig stellen, nämlich bei
der Rentenpolitik. Wer soll denn eigentlich die Position
der Union in der Rentenpolitik noch verstehen? Sie
wollten das Rentenniveau auf 64 Prozent senken,
({9})
und zwar ohne sozialen Ausgleich, ohne Stärkung der
privaten Vorsorge, ohne Senkung der Lohnnebenkosten,
ohne Senkung der Rentenbeiträge.
Was wir wollen, ist ein langsamerer Anstieg der
Renten plus soziale Gerechtigkeit. Herr Glos, Sie haben
wieder demonstriert: Beim Thema Rente zeigt sich das
Elend der politischen Debattenkultur in diesem Land.
Die Rentnerinnen und Rentner haben ein Anrecht darauf, daß die Politik den Lohn ihrer Lebensleistung heute
und morgen sichert. Sie haben aber auch ein Anrecht
darauf, Herr Glos, daß Union und F.D.P. in der Opposition nicht anders reden, als sie in der Regierung gehandelt haben.
({10})
Auch ein Teil der heutigen Regierung hat es sich das gebe ich unumwunden zu - vor der Bundestagswahl
an diesem Punkt zu einfach gemacht.
({11})
Aber, meine Damen und Herren von der Union, wir
hatten wenigstens den Anstand, uns hierfür bei den
Rentnerinnen und Rentnern zu entschuldigen.
({12})
Ihre Entschuldigung, Herr Schäuble, für demagogische
Reden von Rentenkürzungen, für Ihr unanständiges
Spiel mit den Ängsten der Menschen, steht allerdings
aus.
({13})
Kommen Sie an dieses Pult und sagen Sie den Menschen die Wahrheit! Sagen Sie ihnen, daß Sie die Nettolohnanpassung der Renten, die Sie heute wie eine
Monstranz vor sich hertragen, erst 1992 eingeführt haben, und zwar nicht, um den Rentnerinnen und Rentnern
etwas Gutes zu tun, sondern um sie nicht an den damals
steigenden Bruttolöhnen partizipieren zu lassen. Das war
doch der Grund.
Sagen Sie den Menschen, daß während der 16
schwarzgelben Jahre die Rentenanpassung achtmal unter
der Inflationsrate lag und die Kaufpreiserhöhung nicht
ausgeglichen hat.
({14})
Wenn Sie die Verweigerung der Wirklichkeit endlich
aufgeben, können Regierung und Opposition wieder
über einen Rentenkonsens reden. Wir sind dazu bereit.
Wir zögern aber auch nicht, die notwendigen Reformen,
wenn Sie sich weiter verweigern, alleine zu gestalten
und zu beschließen.
({15})
Ich verstehe ja, daß Sie dagegen Sturm laufen, weil
wir mit dieser Politik unter Beweis stellen, daß der von
Ihnen aufgebaute Gegensatz zwischen Innovation und
Gerechtigkeit - daß Sie so getan haben, als ginge beides
nicht zusammen, als ginge das eine immer nur auf Kosten des anderen - nichts anderes als ein neoliberales
Märchen war.
Ihre Zeit der Stagnation ist vorbei. Wir setzen der
Politik des Stillstandes mit den heutigen Entscheidungen
eine Politik des Wandels gegenüber.
({16})
Wir haben den Mut zur Wirklichkeit. Wir haben auch
den Mut zu unbequemen Wahrheiten. Zu diesen unbequemen Wahrheiten gehört leider auch, daß wir den Sozialbereich nicht von Kürzungen ausnehmen konnten.
Diese Einsparungen können allerdings nur ein erster
Schritt für durchgreifende strukturelle Reformen der
sozialen Sicherungssysteme sein.
So schwer uns die Entscheidungen im Sozialbereich
gefallen sind, so unberechtigt sind aber auch die Vorwürfe, es würde sich um eine sozial unausgewogene Politik handeln. Ein Haushaltssanierungsgesetz ist selbstverständlich immer ein Einsparungsgesetz. Aber wir
sparen fair. Wir belassen es nicht beim Sparen, sondern
wir bauen gleichzeitig auch auf.
({17})
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Wir haben
den Eingangssteuersatz um sechs Prozentpunkte gesenkt. Das sind 36 Milliarden DM, die vor allem den
Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen zugute gekommen sind.
({18})
Wir haben das steuerfreie Existenzminimum angehoben. Wir haben 183 000 Jugendlichen eine neue berufliche Perspektive gegeben, während Sie von der Union über Jahre hinweg die steigende Jugendarbeitslosigkeit tatenlos haben vorbeiziehen lassen.
({19})
Diese Politik der neuen Chancen und der sozialen
Fairneß setzen wir heute fort; denn wir beschließen
heute nicht nur Einsparungen im Bundeshaushalt, sondern auch eine Reihe weiterer wichtiger sozialer Verbesserungen. Die Wohngeldreform, die Schwarzgelb immer nur versprochen hat, wird endlich Wirklichkeit.
Durchschnittlich 83 DM pro Monat mehr für einkommensschwache Haushalte kann nur derjenige für Peanuts
halten, der von der Lebenswirklichkeit dieser Menschen
so weit entfernt ist wie die Opposition.
({20})
Insgesamt werden 1,5 Millionen einkommensschwache
Haushalte von der Reform profitieren. Das ist gut so.
({21})
Herr Glos, besonders stolz sind wir - dazu haben Sie
kein Wort gesagt - auf die nochmalige Aufstockung der
Leistungen für Menschen, die mit Kindern leben, für
Familien. Wir erhöhen das Kindergeld binnen eines
Jahres zum zweitenmal.
({22})
Eine Familie mit zwei Kindern hat ab dem nächsten Jahr
1 200 DM jährlich mehr in der Tasche.
({23})
Mit der Verabschiedung des Familienförderungsgesetzes geht es den Familien nicht nur in Sonntagsreden
besser, sondern bei jedem Blick auf ihre Lohnabrechnung.
({24})
Dabei freuen wir Grünen uns besonders, daß es uns zusammen mit der SPD-Fraktion gelungen ist, die Sozialhilfesätze anzuheben, so daß wirklich alle Kinder und
die mit Kindern Lebenden unmittelbar von der Kindergelderhöhung profitieren.
({25})
Diese Koalition verbindet seriöse Haushaltspolitik
mit sozialer Fairneß. So sparen wir mit dem heutigen
Gesetzespaket mindestens zehn Milliarden DM ein. Dabei gelingt es uns bei gleichzeitiger Absenkung der
Nettoneuverschuldung trotzdem, weitere 5,5 Milliarden
DM für Familien in unserem Land zu mobilisieren. Das
verstehen wir unter Generationengerechtigkeit.
({26})
Es geht nicht darum, eine Generation gegen die andere
auszuspielen. Vielmehr werden wir unser Land heute so
erneuern, daß wir es morgen mit gutem Gewissen an unsere Kinder weitergeben können.
({27})
Meine Damen und Herren von der Union und der
F.D.P., Politik mit mehr Geld zu machen ist einfach. Mit
gleichen oder weniger Mitteln mehr zu erreichen ist die
Kunst des Machbaren. Dabei haben wir heute einen guten Schritt nach vorne getan.
Danke schön.
({28})
Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich dem Kollegen Dr. Grehn das
Wort. Bitte sehr.
Herr Kollege Schlauch, ich
verstehe ja, daß Sie dieses Haushaltssanierungsgesetz
hier in einem positiven Sinne begründen. Ich stelle allerdings fest, daß der Sozialabbau Arbeitslosengeldempfänger, Arbeitslosenhilfeempfänger und Sozialhilfeempfänger in diesem Jahr zum wiederholten Male und
Rentner zum erstenmal trifft. Und das alles soll nur ein
erster Schritt sein. Sie haben angekündigt, daß es in diesem Sinne weitere Strukturreformen geben wird. Heißt
dies, daß Sie diese Gruppen weiter schlauchen wollen?
Sie haben davon gesprochen, daß 1,5 Millionen
Haushalte von der Reform profitieren. Dies möchte ich
nicht negieren. Sie haben allerdings nicht gesagt, wie
viele Haushalte durch das Haushaltssanierungsgesetz
negativ betroffen werden.
Ich stelle fest, daß die bisherige Darstellung der
Auswirkungen des Haushaltssanierungsgesetzes einseitig war und daß die Gruppen, die durch die soziale
Schieflage stärker betroffen sind, nicht benannt worden
sind.
Als Begründung hat der Kollege Struck angeführt,
daß sich diese Menschen in der Gesellschaft solidarisch
verhalten sollen. Ich weiß nicht, wer mit wem solidarisch sein soll, ob die Solidarität für sie eine Einbahnstraße ist, indem nur die sozial Schwachen weiterhin solidarisch mit denjenigen sein sollen, die eigentlich breitere Schultern haben und deshalb mehr tragen können.
({0})
Herr Kollege
Schlauch möchte nicht antworten.
Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Günter Rexrodt, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Heute möchten Sie von Rotgrün unter Beweis stellen, daß Sie mit Geld umgehen
können.
({0})
Dies ist angesichts einer Serie verunglückter Gesetze
und angesichts der Tatsache, daß wichtige Reformvorhaben schlingern und nicht zu Ende gebracht werden,
natürlich ein mutiges Unterfangen. Ich nehme dem Bundesfinanzminister Eichel auch ab, daß er den angestrebten Spar- und Konsolidierungskurs fahren möchte. Ich
erkläre für meine Fraktion: Wir haben nie Zweifel daran
gelassen, daß es zu dem Kurs des Sparens und Konsolidierens keine Alternative gibt. Das ist der richtige Kurs,
zu dem wir stehen.
({1})
Ich halte es aber für anmaßend, so zu tun, als ob Rotgrün Erneuerer und Reformer sei und diesen Kurs erfunden hätte. Sie tun so, als ob die Erblast der Regierung
Kohl Sie gewissermaßen zur Besinnung und Neuorientierung veranlaßt habe. Dies ist Humbug, auf den ich
noch eingehen werde.
Man kann an Hand von Fakten ganz einfach darlegen,
daß das Ergebnis Ihrer Sparbemühungen ziemlich mager
ist, daß viele Teile Ihres Sparpakets eine Mogelpackung
sind und daß mit diesem Paket an vielen Stellen Weichen gestellt werden, die für unser Land nicht gut sind.
Ich nehme Ihnen auch nicht übel, daß Sie das Haushaltssanierungsgesetz in zustimmungspflichtige und
nicht zustimmungspflichtige Gesetze aufgeteilt haben.
Dies ist ein legitimes Vorgehen, um politisch etwas zu
bewegen.
Ihr Anspruch, gewissermaßen Erfinder der Ausgabendisziplin und Rückführer der Staatsschuld zu sein,
platzt allerdings wie eine Seifenblase, wenn man sich
folgende Fakten vor Augen führt: Das Ausgabenvolumen des Haushalts 1998 lag mit 456 Milliarden DM bereits unter den Ausgabenvolumina der Haushalte der
Vorjahre, unter anderem unter dem des Haushalts 1993.
SPD und Grüne haben den Sparkurs, den wir damals gefahren haben, kritisiert. SPD und Grüne haben auf jede
Ausgabe, die wir eingebracht haben, noch einen Schelm
draufgesetzt, und sie wollten noch mehr haben. Das waren die Fakten in den 90er Jahren.
({2})
Hinsichtlich Ihres Anspruchs weise ich darauf hin,
daß der Anteil der Bundesausgaben am Bruttosozialprodukt 1998 11,98 Prozent betrug und damit ein historisches Tief erreicht hatte. Ist dies etwa kein Ausdruck
von Sparen und Konsolidieren? Die Staatsquote lag
1998 wieder unter denen der Vorjahre. Sie weist seit
1997 - trotz der damals besonders hohen Belastung
durch die Wiedervereinigung - eine fallende Tendenz
auf. Niemand in Deutschland wird vergessen, wieviel im
Zusammenhang mit der Währungsunion und den Kriterien von Maastricht gespart wurde, und zwar sichtbar
und erfolgreich.
Wir alle wissen - das halte ich in den Diskussionen,
die von der Koalition kommen, für so unfair -, daß die
zweifellos explodierte Staatsschuld ihre Ursache darin
hat, daß wir enorme Investitionen in die Wiedervereinigung tätigen mußten. Würde man das herausrechnen niemand will diese Investitionen ungeschehen machen;
aber man muß fair argumentieren -, könnte man sehen,
daß die Staatsschuld nicht überproportional angestiegen
ist.
Deshalb bitte ich Sie, hier nicht davon zu sprechen,
Sie seien die Reformer und Erneuerer, Sie hätten Sparen
und Konsolidieren erfunden. Das haben wir genauso
getan, und Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel waren
gute Haushälter und Sparkommissare.
({3})
Ich komme zum zweiten Aspekt: Was steckt hinter
diesem 30-Milliarden-Sparpaket? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das nun gewiß nicht
verdächtig ist, den Regierungsparteien besonders kritisch gegenüberzustehen, schreibt dazu, von den
30 Milliarden DM seien 8,7 Milliarden DM Abwälzungen auf andere Haushalte, und 4,5 Milliarden DM werden als zweifelhaft und als „Luftbuchungen“ dargestellt.
Nun kann man sagen, übrig blieben 17 Milliarden
DM, was ja eine ganze Menge sei. Auch ich gebe zu,
daß 17 Milliarden DM mehr als nichts sind. Aber versuchen Sie doch bitte nicht, diesen relativ geringen Betrag,
der immerhin auf einem richtigen Kurs eingefahren
wird, als etwas hochzustilisieren, was er gar nicht ist. In
Wirklichkeit soll dieser Betrag nur Ihre falschen Entscheidungen - von der Scheinselbständigkeit über die
Gesundheitspolitik bis hin zur Rentenpolitik - aufwiegen und erklären. Sie machen mit diesem Haushaltssanierungsgesetz den Versuch,
({4})
alles andere, was Sie an Stückwerk, an handwerklich
schlechten Gesetzen und an Falschorientierungen geliefert haben, zu heilen und aufzuwiegen. Das Gegenteil ist
der Fall. Das, was Sie machen, ist nicht mehr als das,
was zur Routine einer sparsamen Haushaltsführung gehört.
({5})
- Wir haben das genauso gemacht, Herr Kollege Wagner. Das ist ein Routinevorgang, den Sie hier zu einer
großen Staatsaktion aufblasen. Der Kurs ist richtig, aber
dahinter steckt nicht mehr als ein Routinevorgang. Das
muß beim Namen genannt werden.
({6})
Meine Damen und Herren, niemand unterstellt Ihnen,
daß die steuerliche Entlastung der unteren Einkommensgruppen oder auch die Erhöhung des Kindergeldes - das sind ja Ihre Vorzeigeprojekte, die immer wieder genannt werden - falsch seien.
({7})
- Ich mache Ihnen gerade ein Kompliment.
({8})
Diese beiden Vorzeigeprojekte sind aber schlicht
Stückwerk. Außerdem haben Sie dieses Stück Entlastung selbst konterkariert, indem Sie mit der Ökosteuer
aus der anderen Tasche wieder abkassieren und vor allem bei denjenigen abkassieren, die von der Entlastung
bei den Beiträgen zur Sozialversicherung gar nichts haben.
({9})
Das ist keine gerechte Politik. Das ist Stückwerk und
liegt neben der Sache.
({10})
- Darauf komme ich jetzt. Aber nun schreien Sie doch
nicht so. Sie haben ein schlechtes Gewissen, weil Ihnen
klar ist, wie haltlos Ihre Argumentation ist. Ihnen ist ja
bewußt, daß der Berg zwar kreißte, aber nur ein Mäuslein gebar.
({11})
Genauso verhält es sich mit den lächerlichen Beträgen,
die Sie so aufblasen, als könnten sie zu einer großen
Zeitenwende führen. Nichts ist dahinter.
({12})
Die Steuerschätzung für das Jahr 1999 liegt um
9,5 Milliarden DM über den ursprünglichen Ansätzen.
Das ist Ergebnis der Korrekturen von 1997 und 1998 bei
bestimmten Fördervorgängen. Meine Damen und Herren
von der SPD, Sie hatten und haben den Spielraum, um
eine wirkliche Steuerreform zu machen, die den Mittelstand entlastet und den Tarif in seiner gesamten Breite
verändert.
({13})
- Das machen Sie nicht. Geben Sie das an den Steuerbürger zurück, was Sie auf Grund von Umständen, für
die wir noch verantwortlich waren, mehr bekommen.
Das wäre eine überzeugende Politik.
({14})
Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei Ihnen auseinander, und deshalb verdient das Haushaltssanierungsgesetz
diesen Namen nicht.
Ein überzeugender Spar- und Konsolidierungskurs jetzt bin ich bei den Alternativen, Herr Kollege Poß,
Herr Kollege Wagner - hätte zumindest die Fortsetzung
unserer Bemühungen um Subventionsabbau verlangt.
({15})
Die Sachverständigen, die zu der Anhörung gekommen
waren, haben das bestätigt. Was machen Sie? - Sie setzen noch einen drauf. Ein Beispiel aus den letzten Tagen: Die Koalition hat die Subventionierung der KraftWärme-Kopplung auf Kohlebasis für Stadtwerke beschlossen. Dies soll durch eine allgemeine Umlage beim
Stromkunden finanziert werden. Die Leute werden wieder abkassiert. Das hat gar nichts mit Umweltschutz zu
tun; das ist eine Prämie für die Stadtwerke, die alte
Schleudern betreiben. Das ist nichts anderes als eine
Verbeugung vor eben diesen Stadtwerken und vor der
Gewerkschaft ÖTV; das ist bezeichnend für Ihre Subventionspolitik.
({16})
Herr Poß, wie steht es denn um Ihre Glaubwürdigkeit
bei der Steinkohle? Sie sind hierhergegangen, insbesondere der Kollege Lafontaine, und haben getönt: Wortbruch bei der Steinkohle. - Sie haben nie das gezahlt,
was eigentlich in den Vereinbarungen niedergelegt ist.
Heute machen auch Sie das, was wir gemacht haben:
({17})
Sie verschieben Zahlungen in ein anderes Jahr. Das kann
man ja machen. Nur, Herr Poß, den Anspruch, den Sie
erheben, lösen Sie damit nicht ein.
({18})
Vielmehr machen Sie eine ganz kleinkarierte Politik. Sie
streichen 250 Millionen und verschieben 200 Millionen
und erheben gleichzeitig den Anspruch, im Wort bei den
Kohlekumpeln zu sein.
({19})
Das Gegenteil ist der Fall: Sie bringen das nicht. Das ist
ein Faktum, und die Leute in den Revieren wissen das
auch.
({20})
Da, wo die wirklichen Sparpotentiale im Haushalt
liegen, nämlich bei den Maßnahmen zum zweiten Arbeitsmarkt, kommt von Ihnen nicht viel. Er muß mit
Mitteln in Milliardenhöhe finanziert werden. Aber mit
Mitteln in der Höhe, wie Sie sie vorsehen - das sind
jetzt rund 7,7 Milliarden DM, glaube ich -, kann man
Projekte nicht sinnvoll finanzieren. Da hätte ich mir
mehr Akzente und mehr Verantwortung gewünscht.
Statt dessen kürzen Sie im Haushalt des Wirtschaftsministers, schädigen damit den Mittelstand und vernichten damit Arbeitsplätze. Wer mit dem Anspruch in
das Parlament geht, die Staatsfinanzen neu ordnen zu
wollen, kann uns hier nicht Stückwerk vorlegen und das
Ganze als großen Durchbruch, als neue Qualität bezeichnen.
({21})
Die großen, finanziell gewichtigen Entscheidungen
bekommen Sie nicht auf die Reihe. Die Reform des Gesundheitswesens droht zu scheitern. Die Reform der
Rentenversicherung steht noch aus, und am Ende werden Sie sich zu etwas durchringen müssen, was wir bereits veranlaßt hatten und was Sie als erstes abgeschafft
haben. Eine andere Alternative gibt es nicht - intellektuell schon gar nicht.
Die Deregulierung, insbesondere im Arbeitsrecht, ist
für Sie ein Tabu. Neben der Steuerreform ist die Liberalisierung des Arbeitsrechtes eine der ganz großen
Aufgaben für dieses Land, eine Zukunftsaufgabe, wenn
es um Arbeitsplätze geht.
({22})
Das ist für Sie Tabu; da gehen Sie überhaupt nicht heran. Das ist ein Versäumnis. Da kann auch nicht von Erneuerung gesprochen werden.
Die wichtigste Reform dieses Landes, die Steuerreform, die der alte Bundestag beschlossen hatte und der
alte Bundesrat blockiert hatte, haben Sie erst einmal verschoben.
({23})
Was ich da in bezug auf die Spreizung und vieles mehr,
das kommen soll, höre, läßt Schlimmes erahnen.
Meine Damen und Herren, was wir heute und hier beschließen, ist ein magerer Versuch, über die Runden zu
kommen. Manches ist natürlich im Detail richtig; anderes ist weniger richtig.
({24})
Aber der Durchbruch, das Entscheidende, fehlt. Wir
sollten uns den wirklich wichtigen Aufgaben, den großen Reformen zuwenden. Ihre Arbeit wird dann ihre
Würdigung finden
({25})
- Herr Poß -, wenn Etikett und Wirklichkeit übereinstimmen. Das ist nicht der Fall bei Ihnen. Es ist ein
Mäuslein, das Sie uns hier vorlegen.
({26})
Das Haushaltssanierungsgesetz, Ihr großes Gesetz, mit
dem Sie den ganzen Schrott, den Sie im letzten Jahr
produziert haben, quasi in eine Wundertüte einpacken
wollen,
({27})
verdient seinen Namen nicht.
({28})
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Dr. Christa Luft, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-geführte Bundesregierung, die vor gut einem Jahr abgewählt worden ist,
hat einen Schuldenberg hinterlassen, über dessen Ursachen ich hier nicht richten will.
({0})
Der Punkt für mich ist: Diese Regierung hat kein Abbaukonzept hinterlassen. Es gibt bis heute kein Konzept
für den Abbau der öffentlichen Schulden. Jedenfalls war
eine tragfähige Idee hier nicht zu hören.
Die einzige Idee zur Sanierung des Haushalts, die in
den Haushaltsausschußberatungen von CDU/CSU und
F.D.P. vorgetragen worden ist - auch das muß man der
Öffentlichkeit einmal mitteilen -, war, den Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit auf Null zu stellen. Man muß sich das einmal vorstellen! Ich halte das
angesichts der Arbeitsmarktlage in den neuen Bundesländern in der Tat für einen Skandal.
({1})
Auch in den alten Bundesländern gibt es nur dadurch eine Entlastung des Arbeitsmarktes, daß das Angebot an
Arbeitskräften rückläufig ist.
Die Schröder-Regierung schickt sich nun an, die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates - so nennt sie
es - zurückzugewinnen. Die Grundrichtung des Anliegens ist nachvollziehbar. Der eingeschlagene Weg seiner
Umsetzung, nämlich die Beschränkung auf Streichen,
Kürzen und Verlagern von Ausgaben, ist aus unserer
Sicht allerdings gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv.
Ob dies das erste rotgrüne Gesetz ist, das nicht nachzubessern sein wird, ist noch fraglich.
Herr Kollege Struck - er ist nicht da -, die Zustimmung von Bundesbank, vom Bundesrechnungshof und
von einigen wohlsituierten Experten - ich weiß noch,
wer an der Anhörung teilgenommen hat - zu diesem Sanierungsweg bedeutet noch nicht, daß er Resonanz in
der Bevölkerung finden wird.
({2})
In der Koalitionsvereinbarung wird der Schlüssel zur
Sanierung der öffentlichen Finanzen richtigerweise in
der energischen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gesehen. Aber bevor überhaupt etwas Spürbares auf dem
Gebiet gelungen ist, wird der Spieß nun umgedreht. Seit
dem Amtsantritt von Finanzminister Eichel ist allein die
Reduzierung der Nettoneuverschuldung ins Zentrum der
Regierungspolitik gerückt. Das aber ist keine Zukunftsvision.
Zum Entlastungsvolumen durch die Unternehmensteuerreform hören wir jede Woche neue Ziffern. Die
Rentenreform ist im Höchstfall in Konturen erkennbar.
Es steht in den Sternen, wie es mit der Ausbildung von
jungen Leuten weitergehen soll, wenn das JUMPProgramm einmal nicht verlängert wird. Die Verschuldung zu senken, das ist keine Zukunftsvision. Die Politik der Bundesregierung muß durch inhaltliche Konzepte
untermauert werden. Diesbezüglich sieht es bisher sehr
mager aus.
Mit dem von der Regierung vollzogenen Paradigmenwechsel ist dem gesellschaftlichen Hauptübel in der
Bundesrepublik Deutschland, nämlich der Massenarbeitslosigkeit, nicht beizukommen. Tiefe Einschnitte bei
den Sozialleistungen und bei den Kürzungen öffentlicher Investitionen bringen keine Impulse für Beschäftigung. Am Ende droht ein solcher Weg zu nichts anderem als zu sinkenden Steuereinnahmen und zu wachsenden Krisenkosten in den Folgejahren zu führen. Daher
lehnen wir den Sanierungskurs der Bundesregierung ab.
({3})
Das Ziel einer nachhaltigen Haushaltssanierung kann
nicht ausschließlich durch Streichen oder Kürzen öffentlicher Ausgaben oder durch deren Verlagerung auf
Länder und Kommunen erreicht werden. Wir beantragen
daher, eine Änderung am Haushaltssanierungsgesetz
vorzunehmen. Dies gilt insbesondere für die Verlagerung des Wohngeldes auf die Kommunen als auch für
die Novellierung des Wohngeldgesetzes, die mit dem
Haushaltssanierungsgesetz - auch das muß man einmal
mitteilen - terminlich klammheimlich noch einmal weiter nach hinten verschoben wird.
Aus unserer Sicht ist für die Haushaltssanierung eine
Strategie der Einnahmenverbesserung, sowohl durch
ökologisch verträgliches Wachstum als auch durch Heranziehung großer Vermögen zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben, unverzichtbar - so wie es die Sozialpflicht des Eigentums gebietet. Leider sind die neue Regierung und die Koalition auf diesem Ohr taub.
Wir halten das jetzige Vorgehen für inkonsequent.
Mit einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit hat
das, was Sie gegenwärtig vorhaben, nichts zu tun. Sie
fürchten offenbar von der rechten Seite des Hauses den
Vorwurf des Sozialneides. Dieser wäre aber völlig unbegründet, wenn sich die Koalition endlich der Besteuerung großer Vermögen zuwendete.
({4})
An dieser Stelle frage ich Sie auch: Wann beenden
Sie endlich den Zustand, daß große Konzerne, wie zum
Beispiel Daimler, zwar seit Jahrzehnten öffentliche Gelder in Höhe mehrstelliger Milliardenbeträge abziehen,
aber seit Jahren keine Steuermark an den Bund zurückzahlen und sich dann, wenn Standortentscheidungen anstehen - ich denke an die gewünschte Ansiedlung der
Produktionsstätten für den A 320 in den neuen Bundesländern -, Standorte suchen, wo ihnen offenbar noch
größere Zugeständnisse gemacht werden? Auf diese
Weise fachen die großen Konzerne Lohn- und Sozialdumping an, werden aber dennoch weiter aus dem Bundeshaushalt bedient. Hier stimme ich mit dem Kollegen
Rexrodt überein:
({5})
In diesem Bereich hätte Rotgrün die Subvention längst
beschneiden müssen.
({6})
Warum dauert es bei Ihnen so lange, bis eine wie
auch immer geartete Entscheidung über die Vermögensteuer bzw. die Vermögensabgabe herbeigeführt
wird? Hat denn die SPD zu ihren Oppositionszeiten immer nur lauter nicht grundgesetzkonforme Vorschläge
unterbreitet? Das kann ich mir nicht vorstellen. Im übrigen ist durch das jüngste Urteil des Bundesfinanzhofes
auch der Einwand obsolet, daß sich eine Vermögensbesteuerung nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren ließe.
Warum tun Sie sich so schwer mit Veränderungen bei
der Erbschaftsteuer?
Der vorgelegte Entwurf eines Haushaltssanierungsgesetzes widerspricht - das muß man nochmals unterstreichen - dem selbstgestellten Anspruch „Arbeit, Innovation, Gerechtigkeit“, mit dem die SPD als der größere
Koalitionspartner der Bundesregierung seinerzeit im
Wahlkampf angetreten ist und mit dem sie auch eine
Mehrheit von Bürgerinnen und Bürgern für einen Regierungswechsel gewinnen konnte.
Statt mit diesem Haushaltssanierungsgesetz auf
brachliegenden Tätigkeitsfeldern dauerhafte Beschäftigung zu initiieren, wird mit der Haushaltspolitik die Lage auf dem Arbeitsmarkt noch verschärft. Öffentliche
Investitionen werden nicht einmal im bisherigen Umfang aufrechterhalten, sondern bis zum Jahre 2003 um
5 Milliarden DM gekürzt. Statt deutliche Innovationssignale durch öffentliche Ausgabenpolitik in Bildung,
Forschung, Wissenschaft und Technologie zu setzen, ragen diese Bereiche nun nicht mehr als Schwerpunkte der
Regierungsarbeit heraus.
Auch mit sozialer Gerechtigkeit hat Rotgrün Probleme. Statt sozialer Gerechtigkeit endlich zum Durchbruch
zu verhelfen, verläßt Rotgrün mit diesem Haushaltssanierungsgesetz den Pfad sozialer Ungerechtigkeit nicht,
den die alte Regierung eingeschlagen hatte.
({7})
Begrüßenswerte Einzelakzente, wie die verbesserte Familienförderung oder veränderte Einkommensgrenzen
bei der Wohneigentumsförderung, ändern an dieser Gesamteinschätzung wenig.
({8})
Das Haushaltssanierungsgesetz leitet auf vielen Gebieten Systembrüche mit gravierenden Folgen für die
soziale Verfaßtheit der Bundesrepublik Deutschland ein.
Ich nenne hier als Stichworte die Abkehr von der Formel
für die Anpassung der Renten, der Arbeitslosenhilfe und
der Sozialhilfe und die fehlende Einbettung all dieser
Maßnahmen in ein langfristiges, schlüssiges und überschaubares Konzept. Ich verweise darauf, daß die wahrscheinlich noch hier zu beschließende Änderung des
Haushaltssanierungsgesetzes, durch die Abschied von
der Formel für die Rentenanpassung genommen wird,
von harschen Tönen aus der grünen Fraktion begleitet
wird.
({9})
Sie lauten: Auch nach zwei Jahren - also nach Ablauf
der Frist für die Aussetzung - könne man nicht zu der
alten Formel zurückkehren. Die Öffentlichkeit muß zur
Kenntnis nehmen, daß es hier noch keinerlei Klarheit
und keinerlei Sicherheit gibt, sondern daß nur ein Hinund Herschwimmen zu erkennen ist.
Die beabsichtigte Aussetzung der Rentenformel wird
vor allen Dingen Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern, die noch Auffüllbeträge bekommen,
hart treffen, denn sie konnten seit Jahren keine Nettorentenerhöhung im Portemonnaie feststellen. Sie werden
jetzt noch drei weitere Jahre warten müssen, bis sich etwas niederschlägt. Wir haben hierzu heute einen Änderungsantrag vorgelegt; wir bitten Sie, ihm zuzustimmen.
Auch der Umgang mit der Künstlersozialkasse zeugt
nicht gerade von sozialer Sensibilität.
Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren von der
Koalition, noch eines sagen: Dort, wo SPD und Bündnisgrüne zu ihren Oppositionszeiten noch bis in den
Sommer 1998 hinein Einsparmöglichkeiten auf Bundesebene gesehen haben, sind sie heute als RegierungsfrakDr. Christa Luft
tionen abstinent. Wir haben uns die Mühe gemacht, die
Drucksachen, die noch bis in den Sommer 1998 hinein
im Deutschen Bundestag debattiert worden sind, einmal
im Hinblick darauf durchzuforsten,
Frau Kollegin, ich
muß Sie an Ihre Redezeit erinnern.
- welche Einsparpotentiale
sich ergeben könnten, wenn man addiert. Ich sage Ihnen,
Sie würden auf 8 Milliarden DM allein im Jahre 2000
kommen, wenn Sie das umsetzten, was Sie zu Ihren Oppositionszeiten immer gefordert haben.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der
Koalition, so nachvollziehbar das Grundanliegen ist, das
Sie haben - alternativlos ist der Weg, den Sie vorhaben,
nicht.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Finanzminister Hans Eichel.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Bundesregierung hält Kurs. Was wir im Sommer
zugesagt haben: Zukunftsprogramm 2000, Einstieg in
eine nachhaltige Finanzpolitik, hat gestern und heute bereits entscheidende Wegemarken passiert.
({0})
Gestern hat der Haushaltsausschuß des Deutschen
Bundestages den Haushaltsentwurf des Jahres 2000 beschlossen und punktgenau die Vorgaben für Einsparungen von etwas mehr als 30 Milliarden DM umgesetzt.
Die Nettokreditaufnahme sinkt seit langer Zeit zum ersten Mal wieder unter die 50 Milliarden DM-Grenze.
({1})
Ich will dem Haushaltsausschuß für diese weiß Gott
nicht einfache Arbeit herzlichen Dank sagen.
({2})
Herr Kollege Rexrodt und alle anderen, Sie müssen
sich einmal entscheiden: Entweder sind es Luftbuchungen - dann demonstrieren Sie aber auch mit allen Demonstranten gegen Luftbuchungen -, oder es sind wirkliche Einschnitte. Dann haben die Demonstrationen allerdings Ihre Berechtigung. Entweder - oder; eines von
beiden kann nur sein.
({3})
Tatsächlich ist es so, daß im Haushalt 16 Milliarden
DM stehen, daß wir heute mit dem Haushaltssanierungsgesetz in seinen beiden Teilen, dem zustimmungspflichtigen und dem zustimmungsfreien Teil, noch einmal über 14 Milliarden DM entscheiden und damit,
meine Damen und Herren, das Paket mit den allergrößten Schritten auf den Weg bringen. Mit Sicherheit werden wir zum Ende dieses Jahres - ich kalkuliere
in diesen Bereichen noch nicht das Votum des Bundesrates ein, in denen er zustimmen muß - 26 bis 27 Milliarden DM von den 30 Milliarden DM bereits gepackt
haben.
({4})
Im übrigen ist auch Ihre sprachliche Umdefinition
interessant. Im Sommer haben Sie, Herr Kollege Rexrodt, gesagt: Der schafft nicht einmal 15 Milliarden DM.
Heute sagen Sie, 17 Milliarden DM seien Peanuts. Da
rechnet sogar Herr Kopper anders.
({5})
Die Wahrheit ist natürlich, wie Sie ganz genau wissen,
eine andere.
Meine Damen und Herren, was wir hier durchsetzen
können, ist klar. Was Sie, wenn Sie wollen, mit Hilfe
der Landesregierung vielleicht blockieren können, sind 3
bis 4 Milliarden DM. Ich finde es hochspannend, Herr
Kollege Schäuble - das hat es im Vermittlungsverfahren
noch nie gegeben, wenn ich die Zeitungen richtig lese -,
daß der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag in den Vermittlungsausschuß geht. Was müssen Sie für eine Angst davor haben, daß Ihre Ministerpräsidenten ihre eigenen
Interessen durchsetzen!
({6})
Meine Damen und Herren, wir beschließen heute
gleichzeitig im Rahmen des Zukunftsprogrammes eine
weitere Aufstockung der Familienförderung; ich
komme darauf zurück. Es ist überhaupt nicht wahr, hier
nur von einem Sparpaket zu reden. Es geht darum, daß
wir die Weichen für die Zukunft richtig stellen und in
einer Reihe von Bereichen einsparen, um Chancen für
die Zukunft überhaupt zu eröffnen, und zwar gerade mit
Blick auf die soziale Gerechtigkeit.
({7})
Die Märchenstunde von Herrn Glos, die wir uns anhören mußten, ist ja schon ein starkes Stück.
({8})
1,5 Billionen DM Staatsverschuldung scheinen für ihn
„peanuts“ zu sein. Das war Ihre Art, Finanzpolitik zu
betreiben, die zu einer Staatsverschuldung von
1,5 Billionen DM geführt hat.
({9})
Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß Sie 1982 einen riesigen Schuldenberg übernommen hätten. Es handelte sich damals um Schulden in Höhe von rund
300 Milliarden DM. Ich will diese Summe nicht kleinreden, aber ich muß schon feststellen, daß sich dieser
Schuldenberg 16 Jahre später unter Ihrer Regierung verfünffacht hat. Was ist das für eine Rede, in der Sie angesichts dieser Tatsache von „peanuts“ sprechen?
({10})
Ich will ganz deutlich sagen: Es geht doch überhaupt
nicht um die Frage - das wissen Sie ganz genau; Sie
versuchen aber immer wieder, dieses Märchen zu erzählen -, ob wir den Aufbau Ost überhaupt gewollt haben. Den Aufbau Ost haben wir gewollt. Aber wir wollten ihn solide finanzieren, was Sie nicht zustande gebracht haben.
({11})
Andere Länder waren erfolgreicher als Sie in Ihrer
Regierungszeit. Schauen Sie sich einmal an, wie schnell
Schweden, Finnland und Dänemark die Finanzkrisen
trotz höherer Defizite am Anfang dieses Jahrzehnts gelöst haben!
({12})
Ihr Problem ist, daß Sie keine solide Finanzpolitik machen können.
({13})
Das Problem von 1,5 Billionen DM Schulden ist natürlich nicht durch einen einzigen Kraftakt zu lösen.
Dieses Problem ist nicht in der Zeit vom 27. September
des vergangenen Jahres bis zum Rücktritt von Oskar Lafontaine am 11. März dieses Jahres entstanden. Mit diesem Märchen kommen Sie nicht durch. 82 Milliarden
DM Zinslast bedeuten den zweitgrößten Posten im
Haushalt. Was haben Sie nicht alles in Ihrer Zeit schöngerechnet? In Ihrer Zeit ist die Zinssteuerquote im Bundeshaushalt von 9 Prozent auf 22 Prozent mehr als verdoppelt worden.
({14})
Genau dieses Problem verschweigen Sie die ganze Zeit.
({15})
Es ist unglaublich, daß täglich 225 Millionen DM an
Zinsen gezahlt werden müssen. Sie betrügen damit die
steuerzahlenden Bürger um die ihnen zustehenden Leistungen, weil sie von 100 DM gezahlten Steuern nur
noch für 78 DM Leistungen bekommen. 22 DM werden
sofort an die abgeliefert, die uns ihr Geld leihen.
({16})
Folgenden Punkt, verehrte Frau Professor Luft, lasse
ich Ihnen nicht durchgehen: Das Problem der sozialen
Ungerechtigkeit fängt bei der Staatsverschuldung an und
nicht dahinter.
({17})
Jahrelang wurde eine Situation geschaffen, in der es
keine Möglichkeit gab, einen Haushalt des Bundes verfassungsgemäß aufzustellen. Seit 1996 - unter der Verantwortung der alten Bundesregierung - war der Bundeshaushalt im Vollzug verfassungswidrig. Sie haben
doch viel mehr Geld ausgegeben, als Sie Investitionen
getätigt haben. Sie haben sich also für den Konsum verschuldet. 1998 konnten Sie diese Tatsache nur durch die
Privatisierungserlöse in Höhe von 20 Milliarden DM
verdecken. In diesem Zusammenhang haben Sie Tafelsilber veräußert, das wir noch brauchen, weil wir
50 Jahre lang die Pensionen für die Postbediensteten und
ihre Angehörigen bezahlen müssen. In dieser Situation
haben Sie die Unternehmen verkauft und die Einnahmen
ins große Haushaltssloch geworfen. Der deutsche Steuerzahler darf nun 50 Jahre lang die Pensionen zahlen.
Das war Ihre Finanzpolitik.
({18})
Sie müssen auch zugeben, daß Sie die Kriterien im
Rahmen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes überhaupt nicht einhalten konnten. Die anderen
Staaten Europas knechten - das war richtig -, um zu einer stabilen Politik zu kommen. Es ist daher keine gute
Werbung für Deutschland in Europa, wenn wir dies
selbst nicht zustande bringen.
({19})
Wir stellen uns dem Problem, mittelfristig zu ausgeglichenen Haushalten zu kommen. Dieses Problem muß
man aber anpacken und darf es nicht durch das Einstellen von Privatisierungserlösen vertuschen.
({20})
Hätten wir nicht eingegriffen, hätten wir in der Tat
80 Milliarden DM neue Schulden machen müssen. Aber
so konnten wir das erste Mal seit vielen Jahren unter die
Grenze von 50 Milliarden DM kommen.
Warum führen wir diese Maßnahmen durch? Der entscheidende Punkt ist doch: Spätestens in 15 Jahren ist
das Generationenproblem wirklich brisant, weil die
Zahl der Älteren viel größer und die Zahl der Erwerbstätigen viel kleiner geworden ist. Welcher Start ist das
für die Erwerbstätigen ins Arbeitsleben, wenn das Rentensystem nicht reformiert ist - daran arbeiten wir gerade und haben viel Ärger - und wenn sie solche Staatsschulden tragen müssen? Wie sollen sie überhaupt noch
vernünftig leben? Was ist das für eine Zukunftsvorsorge,
die Sie da treiben?
({21})
Es sind unsere Kinder, die unsere Renten bezahlen sollen und denen Sie eine riesige Schuldenlast zusätzlich
aufgebürdet haben.
Ich will Ihnen sagen, was unsere Nachbarn gemacht
haben; ich nenne Ihnen das schönste Beispiel, nämlich
Dänemark: In derselben Zeit, in der wir hoffentlich zu
einem ausgeglichenen Haushalt kommen werden und in
der wir zum erstenmal seit Jahrzehnten mit dem Geld
auskommen, das uns die Bürgerinnen und Bürger geben,
in derselben Zeit ist Dänemark schuldenfrei. Warum?
Die Dänen sagen - diese Begründung sollten Sie sich
sehr genau merken -: Dann haben wir das ganze Geld,
die Zinsen für den Kapitalmarkt, frei, damit wir noch
über lange Zeit die Renten stabil halten können, ohne
daß wir die Steuern erhöhen müssen. Das ist Zukunftsvorsorge. Dort finden Sie sozialdemokratische Finanzminister.
({22})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rexrodt?
Nein.
Ich habe nur eine sehr kurze Redezeit.
Es geht erstens darum, welche Lebenschancen wir
unseren Kindern geben, wenn sie ins Arbeitsleben starten. Da versagen Sie kläglich.
({0})
Es geht zweitens darum, wie wir heute handlungsfähig werden; Sie haben ja nicht geglaubt, daß Sie das
einholt. Sie haben 1990 versäumt, eine solide Finanzpolitik zu machen. Sie haben - das hat Herr Schäuble offiziell erklärt - gedacht, man könne alles auf die nächste
und die übernächste Generation schieben. Das alles holt
uns aber nach zehn Jahren ein. Das ist der Sachverhalt,
mit dem wir es zu tun haben.
({1})
Es geht darum, bereits heute einen handlungsfähigen
Staat zu erreichen. Dazu haben wir nur dann eine Chance, wenn wir eingreifen und solide Staatsfinanzen erreichen. Deswegen sage ich ausdrücklich: Ja, ich bekenne
mich zu den Eingriffen.
Was ist das übrigens für eine Debatte, die Sie um die
Rentnerinnen und Rentner führen? Herr Kollege Biedenkopf hat Ihnen vorgerechnet - mir brauchte er das
nicht vorzurechnen -: In den letzten 20 Jahren ist die
Rente insgesamt um genau die Preissteigerungsrate gestiegen und nicht um mehr. In den letzten Jahren Ihrer
Regierungszeit haben Sie nicht einmal dies erreicht. Und
dann stellen Sie sich hierher und halten solche Reden!
({2})
Bei all dem, was wir vorgefunden haben und was wir
an Zukunftsaufgaben vor uns haben, sage ich Ihnen:
Wenn es nicht einmal möglich ist, daß diejenigen, die
vom Staat und von den von ihm garantierten Einrichtungen, zwei Jahre lang Geld bekommen, ohne etwas zu
verlieren - etwas anderes heißt es nicht, wenn die Gehälter, die Renten, die Pensionen und die Sozialhilfe um
die Preissteigerungsrate erhöht werden -, wenn Sie meinen, das bekämpfen zu müssen, dann wäre dieses Land
ein nicht mehr sanierbarer Fall. Das können Sie nicht
verantworten.
({3})
Wir sanieren, weil wir unsere Aufgaben wahrnehmen
wollen: Der Aufbau Ost erhält im Jahre 2000 rund
3 Milliarden DM mehr als im Jahre 1998. Wir sanieren
den Haushalt und machen solide Staatsfinanzen, weil
wir für die Arbeitslosen - das unterscheidet uns von Ihnen, Herr Kollege Rexrodt - wirklich etwas tun wollen nicht nur vor Bundestagswahlen, sondern die ganzen
vier Jahre lang.
({4})
Sie müssen erklären, wieso Sie sagen: Ihr dürft nicht
soviel bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik tun. Das
galt aber nicht im September und im Oktober vergangenen Jahres, als Sie die Mittel erhöht haben, damit Sie
vor der Bundestagswahl Ihre Statistiken schönen konnten. Was ist das für ein zynischer Umgang mit Menschen?
({5})
Nur mit dieser Regierung und mit dieser Mehrheit,
sehr geehrte Frau Professor Luft, gibt es zusätzliche
Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Das gehört zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Nur mit dieser Regierung und mit der sie tragenden Mehrheit gibt es das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit,
mit dem wir uns in Europa wirklich sehen lassen können.
({6})
Es gibt kein Land in Europa, in dem die Jugendarbeitslosigkeit so stark zurückgeht wie bei uns. Auch die
absolute Rate - die immer noch zu hoch ist - ist weitaus
besser als in den meisten anderen europäischen Ländern,
jedenfalls in denen, die südlich von uns liegen. Das ist
eine wirkliche Leistung. Dafür sparen wir, und dafür
lohnt es sich auch zu sparen!
({7})
Dasselbe gilt für die Forschungsförderung und für die
Steuerentlastung bei den Beziehern kleiner und mittlerer
Einkommen. Dabei ist die Familienförderung nur ein
Punkt, die mit insgesamt 50 DM Kindergelderhöhung
zum 1. Januar dieses Jahres und zum 1. Januar nächsten
Jahres für eine vierköpfige Familie ab dem nächsten
Jahr 1 200 DM bringt.
({8})
- Darauf komme ich noch. Diesen Zwischenruf habe ich
schon erwartet.
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas, sehr geehrte Frau
Professor Luft: Ich kann das, was Sie zum Thema soziale Gerechtigkeit immer erzählen, nicht mehr hören.
Haben Sie denn gar nicht zur Kenntnis genommen, daß
wir 35 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen dadurch
erzielen, daß wir Steuerschlupflöcher geschlossen haben? Das war doch der Kampf im Frühjahr dieses Jahres, bei dem die Besitzstandswahrer plötzlich alle auf
der rechten Seite saßen!
({9})
Wer richtig an das Thema herangeht, der wird feststellen, daß die soziale Gerechtigkeit - das war doch der
Kampf! - an dieser Stelle richtig aufgenommen worden
ist: Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen
und auf der anderen Seite die Abschaffung der Vergünstigungen - die auch Sie, als Sie noch an der Regierung
waren, abschaffen wollten -, weil es ein Skandal war,
daß sich Bezieher hoher Einkommen wegen der vielen
Schlupflöcher im Steuersystem praktisch steuerfrei stellen konnten. So geht es doch nicht!
({10})
Es hat in Deutschland nach dem Kriege keine Wahlperiode gegeben, in der die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen steuerlich so entlastet worden wären
wie in dieser Wahlperiode. Daß der Eingangssteuersatz in einer Wahlperiode um 6 Prozentpunkte gesenkt
wird, hat es früher nie gegeben, und das bei diesem
hohen steuerfreien Existenzminimum. Beim Spitzensteuersatz haben Sie - 16 Jahre waren Sie an der Regierung! - eine Senkung um 3 Prozentpunkte erreicht. Wir
werden ihn innerhalb von vier Jahren um 4,5 Prozentpunkte gesenkt haben. Hören Sie doch einmal mit Ihrem
Gerede auf!
({11})
Wir machen solide Finanzpolitik, damit wir diese
Steuerentlastung erreichen können. Alleine die Steuerentlastung durch dieses Gesetz bringt nachhaltig
20 Milliarden DM Nettoentlastung. Wir machen solide
Finanzpolitik, damit wir die Familien besserstellen können. In dieser Wahlperiode werden sie allein durch die
Erhöhung des Kindergeldes mindestens 12 Milliarden
DM zusätzlich erhalten.
({12})
Wir machen solide Finanzpolitik, damit wir eine Unternehmensteuerreform mit einer Nettoentlastung von
8 Milliarden DM nachhaltig erreichen können. Insgesamt gibt es ab 2002 durchgängig rund 35 Milliarden
DM Steuerentlastung für Arbeitnehmer, Familien und
Unternehmen. Das ist mehr als 1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Das ist nachhaltige Steuerentlastung!
({13})
Nun komme ich zur Ökosteuer. Es war so etwas von
unter Ihrem intellektuellen Niveau, falls das ernst gemeint war - war es aber nicht -, zu erzählen, daß die
Ökosteuer eine Steuererhöhung sei.
({14})
- Sie wollten suggerieren, wir nähmen den Leuten mehr
aus der Tasche; darüber rede ich jetzt. - Als Sie an der
Regierung waren, haben Sie in den fünf Jahren von 1989
bis 1994 die Mineralölsteuer um 50 Pfennig erhöht. Wir
erhöhen sie in fünf Stufen um 30 Pfennig. Sie haben in
derselben Zeit die Sozialversicherungsbeiträge um
3 Prozent erhöht. Wir senken die Sozialversicherungsbeiträge. Das ist der fundamentale Unterschied!
({15})
Das heißt, zum erstenmal gibt es eine Steuererhöhung, bei der das Geld komplett an die Bürgerinnen und
Bürger zurückfließt. Dazu sind Sie nie fähig gewesen!
Zum erstenmal seit Jahrzehnten sinken die Lohnnebenkosten.
({16})
Im übrigen: Was Sie zum Thema Ökosteuer an diesem Pult zum besten gegeben haben, hat nichts mit dem
zu tun, was Einsichtige unter Ihnen früher, als Sie noch
in der Regierung waren, zu Protokoll gegeben haben. Es
hat auch nichts mit dem zu tun, was gegenwärtig in Europa diskutiert wird. Denn der Entwurf der Ökosteuerrichtlinie der Kommission - der in Europa leider noch
nicht Gesetz geworden ist - sieht genau das vor, was wir
machen, nämlich den Ressourcenverbrauch zu verteuern
und die Lohnnebenkosten zu senken.
({17})
13 von 15 Mitgliedern der Europäischen Union stehen
voll dahinter. Inzwischen ist auch Irland in der Kurve.
Im Moment erkenne ich in Spanien erste Lockerungsübungen. Dann wäre dies allgemein auf europäischer
Ebene so. Dann können Sie hier ruhig dagegen stimmen.
Sie würden gegen ganz Europa stimmen, wenn Sie sich
weiterhin so verhalten, wie Sie das zur Zeit tun.
({18})
Meine Damen und Herren, solide Finanzen sind die
Voraussetzung dafür, daß die Bürgerinnen und Bürger
wissen: Der Staat muß ihnen nicht in die Tasche greifen.
Solide Finanzen sind auch der Hinweis an die Märkte,
daß der Staat nicht als Preistreiber auf den Kreditmärkten auftritt. Heutige Situation ist ja, daß die Zinsen am
langen Ende günstiger werden. Das brauchen der Häuslebauer und die mittelständische Wirtschaft. Deswegen
machen wir eine solche Finanzpolitik.
({19})
Unser Weg - er ist ehrgeizig - ist der der gleichzeitigen Senkung der Steuer- und Abgabenlast und der
Haushaltskonsolidierung. Man kann lange über andere
Dinge nachdenken. Sie meinen, daß man über die
Staatsverschuldung besser nicht sprechen sollte und daß
man den Bürgern das Blaue vom Himmel herunter versprechen sollte. Eine solche Politik verfolgen wir nicht.
({20})
Eine Finanzpolitik ist nur dann seriös, wenn sie beide
Seiten, die Einnahmeseite und die Ausgabeseite, im
Blick behält und austariert. Sie können den Menschen
keine Steuersenkungen versprechen, die Sie nachher auf
der Ausgabeseite nicht solide finanzieren bzw. nachhalten können. Genau das ist Ihr Problem.
({21})
Meine Politik und die der gesamten Bundesregierung
ist es - dabei bleibe ich -: „Es war bisher ein Spezifikum des deutschen Weges - anders also als in den Vereinigten Staaten -, bei dem neuen Kurs der Finanzpolitik
steuerpolitischen Wohltaten keinen Vorrang vor allem
Übrigen einzuräumen, sondern umgekehrt, um der Solidität willen - sprich: um der Nachhaltigkeit des Erfolges
willen - Fortschritte bei den beiden ersten Zielen ({22}) zu Vorbedingungen
für die Initiativen zum dritten Ziele ({23}) zu machen.“
Es wurde ja eine von uns herausgegebene Broschüre
angesprochen. Ich habe nichts gegen diese Broschüre.
Die soeben von mir angesprochenen drei Ziele stammen
aus einer Broschüre des Finanzministeriums unter Führung von Gerhard Stoltenberg aus dem Jahre 1985. Im
Vorwort schreibt er, wie er die Finanzpolitik gesehen
hat. Sie haben ihn ja vorhin gelobt. Halten Sie sich also
daran!
({24})
Herr Minister, ich
muß Sie leider auf Ihre Redezeit hinweisen.
Wir sind
auf dem richtigen Wege. Der Arbeitsmarkt hat konjunkturbedingt wieder angezogen. Im Oktober dieses
Jahres hatten wir die niedrigste Arbeitslosenquote seit
1995. Es besteht ein hohes Maß an Preisstabilität.
({0})
Die Wirtschaft zieht ordentlich an. Das Wirtschaftswachstum wird in allen Prognosen der entsprechenden
Institute nach oben korrigiert. Die Staatsfinanzen sind
auf dem Weg der Konsolidierung. Der Internationale
Währungsfonds und die Sachverständigen geben uns im
Hinblick auf unsere Politik recht.
Sie aber laufen mit Ihrer Totalopposition, die Sie hier
betreiben, ins Abseits.
({1})
Sie verkennen schon ein Jahr, nachdem Sie aus der Regierungsverantwortung heraus sind, welche Verantwortung Sie für dieses Land haben und was Sie nach den
16 Jahren Ihrer Regierung hinterlassen haben.
({2})
Deutschland war in Europa auf dem Weg auf die Ersatzbank. Das hat mich sehr geschmerzt.
({3})
Wir sind wieder auf dem Weg in das Mittelfeld, und wir
wollen ganz nach vorne.
Eines sage ich Ihnen zum Schluß: Politisch haben wir
es zur Zeit nicht leicht; das ist wahr. Aber als Helmut
Kohl 1982 hier die Regierung übernommen hat, nachdem Sie Helmut Schmidt gestürzt hatten, hat er Landtagswahl auf Landtagswahl verloren und ist dann
16 Jahre lang Kanzler geblieben. Ich sagen Ihnen: Auch
wir bleiben viel länger, als Sie heute glauben.
({4})
Zu einer Kurzintervention - ({0})
- Ihr wollt noch klatschen? - Bitte sehr.
Da jetzt schon „sehr langanhaltender Beifall“ im
Protokoll stehen müßte, kann ich, glaube ich, fortfahren:
Ich möchte darauf hinweisen - damit spreche ich insbesondere Herrn Minister Eichel an -, daß, wenn Zwischenfragen zugelassen werden, die Zeit für die Beantwortung nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
({1})
- Ich sage dies so unmittelbar, weil ich denke, daß Sie diesen Hinweis für Ihre weitere Arbeit gebrauchen können.
Herr Dr. Rexrodt, ich erteile Ihnen jetzt das Wort zu
einer Kurzintervention.
Herr Kollege Eichel,
Sie haben uns in Ihrer Rede eine zynische Argumentation vorgeworfen,
({0})
als es um die Kritik Ihrer Finanzpolitik ging. Halten Sie,
Herr Kollege Eichel, es nicht für zynisch, die Entwicklung der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland in
den letzten zehn Jahren mit der Entwicklung anderer
Länder, zum Beispiel Dänemark, Schweden und Finnland, zu vergleichen, wie Sie es getan haben - Länder,
von denen wir wissen, daß deren staatliche und politische Kontinuität überhaupt keinen Vergleich mit der
Wiedervereinigung Deutschlands zuläßt? Ist nicht das
eine zynische Argumentation?
({1})
Ist es nicht eine zynische Argumentation, wenn Sie die
Wiedervereinigung und die damit einhergehenden Belastungen nicht ein einziges Mal in Ihrer Rede erwähnen?
({2})
Herr Kollege Eichel, es hätte Sie über alle Maßen geehrt, wenn Sie gesagt hätten: Da waren riesige Schulden,
die aufgetürmt werden mußten. Die damalige Regierung
hat sich bemüht, die Schulden so gering wie möglich zu
halten,
({3})
hat große Anstrengungen unternommen, diese Schulden
zurückzuführen. Ich stehe in der Kontinuität dieser Politik. - Dies hätte Sie geehrt.
Sie aber treten hier auf und tun so, als würde der
ganze Schrott, den Sie innerhalb eines Jahres verzapft
haben, durch die Tatsache geheilt, daß Sie nun einen
Sparkurs fahren; damit verkaufen Sie sich unter Ihren
eigentlichen Fähigkeiten und Qualitäten. Ich habe Sie
gelobt, Herr Eichel, weil Sie diesen Kurs einschlagen
wollen. Wenn Sie diesen Weg in Redlichkeit gingen und
ihn hier abgewogen darstellen würden, dann wären Sie
ein Finanzminister, der der Bundesrepublik Deutschland
würdig ist.
({4})
Herr Minister, Sie
dürfen darauf antworten.
Herr
Kollege Rexrodt, das Wort „zynisch“ habe ich an einer
Stelle erwähnt - dazu stehe ich auch -, nämlich als es
um die Arbeitsmarktpolitik ging.
({0})
- Nein, das habe ich in bezug auf die Arbeitsmarktpolitik gesagt. Das können Sie im Protokoll nachlesen.
Ich habe gesagt: Es ist zynisch, wenn Sie hier erklären, man könne sparen, aber doch selbst die Verantwortung dafür tragen, daß unmittelbar vor der Bundestagswahl mehr Mittel in die Arbeitsmarktpolitik geflossen
sind, und beabsichtigt war, direkt nach der Wahl nichts
mehr dafür zu veranschlagen, und uns anschließend sagen, wir dürften auch nichts tun. Das habe ich gesagt,
und dazu stehe ich.
({1})
Bezüglich der Staatsverschuldung habe ich etwas anderes gesagt. Ich will es noch einmal erklären: Dänemark, Schweden und Finnland waren finanziell in einem
viel tieferen Loch und sind viel schneller wieder herausgekommen. Das war es, was ich gesagt habe.
({2})
- Seien Sie jetzt ganz vorsichtig! Ich kann das genau
aufdröseln.
Ich habe gesagt: Wir bekennen uns zu den Lasten, die
wir zu tragen haben, aber nicht zu der unsoliden Art der
Finanzierung. Das gilt unverändert.
({3})
Sie erinnern sich doch ganz genau daran, was Sie zu
Beginn des Jahres 1990 gesagt haben. Die Folgen dessen
haben wir jetzt auszubaden. Hätten Sie den Mut der Dänen und der Schweden gehabt, dann, als es nötig war,
richtig zuzugreifen und zu sagen: „Um dies solide finanzieren zu können, müssen wir einige Jahre lang höhere
Steuern und eine höhere Staatsquote hinnehmen“ - Herr
Biedenkopf und andere Kollegen haben dies gesagt -,
dann hätten wir keine so hohe Staatsverschuldung und
müßten nicht heute, zehn Jahre später, anfangen, sie abzutragen. Das haben Sie falsch gemacht.
({4})
Jetzt hat das Wort
der Kollege Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die mit gespielter Entrüstung vorgetragenen Ausführungen des Finanzministers gehört hat, wird man sich an die deutsche
Literatur erinnert fühlen, an einen Roman von Robert
Musil mit dem Titel „Mann ohne Eigenschaften“. Wenn
Musil noch lebte, müßte er über Hans Eichel ein neues
Buch mit dem Titel „Mann ohne Gedächtnis“ schreiben.
({0})
Wir können uns doch noch erinnern. Das gilt bis zum
Schlußsatz seiner Rede, der lautete: Wir werden länger
dranbleiben, als Sie denken. Diesen Satz haben Sie im
Februar in Hessen auch schon einmal gesagt.
({1})
Ich erinnere an das, was der hessische Finanzminister
vor wenigen Wochen vorgetragen hat, als er Ihre
Schlußbilanz in Hessen gezogen hat. Da ist es schon einigermaßen erstaunlich, was Sie hier heute vortragen.
Hier machen Sie heute den Sparmaxe,
({2})
und in Hessen gab es kein einziges Jahr, in dem nicht
mit einem Nachtragshaushalt gearbeitet werden mußte,
in dem die Personalausgaben nicht höher waren als in
anderen Ländern. Wenn Sie uns heute erzählen wollen,
wo es langgeht, kann uns das nicht ganz überzeugen.
({3})
Bei den Zahlen, die Sie, Herr Eichel, vorgetragen haben, habe ich den Eindruck, dem Herrn Overhaus wäre
bei der Vorbereitung die chinesische Rechenmaschine
runtergefallen. Bei den Daten stimmt nichts mehr, und
ich werde das gleich belegen. Ich will aber zunächst etwas zur Verantwortung sagen, weil das immer wieder
vorgetragen wird und für die Bürger von besonderer Bedeutung ist. Das beziehe ich jetzt auf das Thema „Mann
ohne Gedächtnis“.
Im Bundesrat waren Sie federführend für die Blokkadepolitik der SPD-Länder verantwortlich. Der Bundesrat hat dazu beigetragen, daß der Bund bei der Neuverteilung der Finanzmittel in den letzten Jahren ganz
erheblich über den Tisch gezogen wurde, was Ihr Kollege Rudi Walther aus Hessen im Haushaltsausschuß
mehrfach bestätigt hat.
({4})
Ich erinnere nur an das Thema Bahnreform. Sie waren
massiv daran beteiligt, die Finanzen des Bundes so zu
beeinflussen, wie sie sich heute tatsächlich darstellen.
Jetzt kommen Sie daher und machen den Sparmaxe.
({5})
Das gilt natürlich auch für andere Dinge. Sie werfen uns
heute Totalopposition vor, dabei sollten Sie sich an Ihr
früheres Vorgehen im Bundesrat erinnern.
Sie haben an Gerhard Stoltenberg 1985 erinnert.
Hätten Sie es lieber nicht getan. Gerhard Stoltenberg hat
1985 eine dreistufige Steuerreform vorgenommen. Das
war keine Mickerlösung wie das Steuerentlastungsgesetz, sondern es entlastete netto um 43 Milliarden DM.
Das Ergebnis war - die Einwände, die damals gekommen sind, waren genau die gleichen wie die, die Sie und
bestimmte Länder heute noch vortragen; Sie haben gesagt: das geht an unsere Kassen, das Geld ist später nicht
da, das können wir nicht verantworten - ein Zuwachs
bei der Beschäftigung bis zum Jahre 1992 um 3 Millionen Erwerbstätige. Die Steuereinnahmen des Staates haben sich in der gleichen Zeit verdreifacht.
Wenn Sie sich heute auch sonst nichts merken, so
sollten Sie sich wenigstens eine einfache Rechnung
merken: Je niedriger die Steuern sind, um so besser läuft
die Wirtschaft und um so mehr nimmt der Finanzminister ein. Diese Rechnung müßte man aufmachen, wenn
man ein wirklich vernünftiges Gesetz machen wollte.
({6})
Sie haben etwas zum Thema Arbeitsmarkt gesagt.
Wir haben in der Tat 8 000 weniger Arbeitslose als im
letzten Jahr. Das gilt allerdings nicht für den Osten, dort
gibt es zigtausend mehr. Sie haben uns vorgeworfen, wir
hätten das im letzten Jahr erreicht, indem wir die Arbeitsmarktmittel aufgeblasen hätten. Vergleichen Sie die
Mittel mit denen der Vorjahre! Wir haben die Mittel
nicht ausgeweitet. Sie geben heute für den zweiten Arbeitsmarkt mehr aus als wir damals - dabei werfen Sie
uns vor, wir hätten die Ausgaben vor der Wahl getätigt -,
erreichen aber weniger Leute. Herr Riester hat mir gestern im Haushaltsausschuß bestätigt, daß die Ausgaben
für die Arbeitslosenhilfe in diesem Jahr um 2 Milliarden
DM über dem Ansatz liegen werden.
({7})
Das heißt doch wohl: Die Langzeitarbeitslosigkeit steigt
an; nichts anderes kann man dem entnehmen. Wenn Sie
die Köpfe der Beschäftigten zählen, werden Sie in der
Tat feststellen, daß Sie - obwohl Sie zusätzlich das
Sofortprogramm für arbeitslose Jugendliche aufgelegt
haben - weniger Leute erreichen, als wir je erreicht haben.
Ich möchte mich nun mit dem sogenannten Sparpaket auseinandersetzen. Ich habe gesagt, keine einzige
Zahl stimmt.
({8})
Leo II., der Kollege Schlauch, hat gesagt: Wir sollen die
Wahrheit sagen. Dann wollen wir das auch tun, obwohl
es einer meiner Vorredner nicht getan hat.
Erstens. Die rotgrüne Bundesregierung spart nicht,
sondern sie erhöht Steuern und Abgaben. Das kann jeder, der ein bißchen von Zahlen versteht, nachvollziehen. Die Gesamtausgaben des Bundes sind von 1993 bis
1998 praktisch unverändert geblieben. Sie aber planen
eine Ausgabenausweitung bis zum Jahre 2003 um über
50 Milliarden DM. Der seit fünf Jahren konstante Haushalt erhöht sich also bei Ihnen um 50 Milliarden DM.
Das rechtfertigt die Frage: Wie kann da von Sparen geredet werden? In dieser Legislaturperiode bis zum Jahre
2002 - dann ist Ihre Amtszeit spätestens vorbei ({9})
werden Sie rund 120 Milliarden DM mehr ausgeben als
die vorherige Bundesregierung in den vorangegangenen
vier Jahren. Sie werden 120 Milliarden DM mehr ausgeben. Sie sparen also nicht, sondern erhöhen Steuern.
({10})
Zweitens. Im sogenannten Sparpaket werden die
Ausgaben bis zu 17 Milliarden DM nicht wirklich verringert, sondern auf Länder und Gemeinden verschoben. Von Sparen kann keine Rede sein. Sie können
heute in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen, was die
SPD-Länderfinanzminister dazu meinen. Sie sagen:
Verschieben ist kein Sparen.
Eindeutiger kann das Urteil kaum sein.
({11})
Statt dessen steigen die gesamtwirtschaftlichen Steuer- und Abgabenbelastungen weiter. Dies haben auch
die Wirtschaftsforschungsinstitute deutlich gemacht.
Sie sagen: Die Ökosteuererhöhung ist keine Steuererhöhung. Dazu möchte ich Ihnen aus einer Tischvorlage
zitieren, die Ihr Ministerium gestern an uns verteilt hat.
({12})
Die Ökosteuer - ich nenne jetzt die Mehreinnahmen
ohne die Mehrwertsteuer
({13})
- natürlich ist das unsere Argumentation
({14})
aber das sind auch die wahren Zahlen - bedeutet zusätzliche Steuern in Höhe von 8,4 Milliarden DM für 1999,
in Höhe von 17,4 Milliarden DM für 2000, in Höhe von
22,8 Milliarden DM für 2001, in Höhe von
28,1 Milliarden DM für 2002 und in Höhe von
33,5 Milliarden DM für 2003. Wenn man das alles addiert, kommen zirka 110 Milliarden DM heraus.
Nun sagen Sie: Dafür senken wir die Rentenbeiträge. Aber blicke ich auf Seite 2 dieses Papiers, stelle ich
fest, daß dort steht: Durch die der Rentenversicherung
der Arbeiter und Angestellten zufließende Ökosteuer
kommt es zu folgender Senkung des Beitragssatzes: Sie
landen bei einer Senkung um 1,9 Prozentpunkte im Jahre 2003. Tatsächlich aber könnten die Einnahmen durch
die Ökosteuer in Höhe von 38 Milliarden DM zusammen mit der Mehrwertsteuer zu einer Senkung der Rentenversicherungsbeiträge um 2 Prozentpunkte führen.
Sehen Sie sich aber einmal an, wie die Situation tatsächlich ist. Würde der Rentenbericht des letzten Jahres
fortgeschrieben, würde das einen Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von 20,2 Prozentpunkten für das Jahr
2003 bedeuten. Zieht man davon 2 Prozentpunkte ab,
wären das 18,2 Prozentpunkte. Sie aber landen bei über
19 Prozentpunkten. Das heißt, die Arbeitnehmer und
Arbeitgeber sparen jeweils 0,9 Punkte, Sie kassieren
aber das Doppelte.
({15})
Das müssen Sie auch machen, weil Sie die durch Ihre
Finanz- und Haushaltspolitik und insbesondere durch
Ihre Rentenpolitik - hier langen Sie durch das sogenannte Sparpaket auch noch einmal kräftig zu - selbst
geschaffenen Haushaltslöcher wieder stopfen müssen.
Aber hier den Sparmax machen und die Leute über die
höhere Ökosteuer abkassieren, die eben nur zur Hälfte
an die Rentenversicherung weitergegeben wird, ist unerhört. Für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber bleibt jeweils ein Viertel.
Nächster Punkt. Rotgrün hat Steuererhöhungen bis
zum Jahre 2003 im Gesamtumfang von rund
70 Milliarden DM pro Jahr einschließlich der Ökosteuer
beschlossen. Das muß man sich einmal vorstellen. Geradezu unglaublich ist, daß Sie sich hier in dieser Form
aus den Einnahmen durch die Ökosteuer bedienen und
die Rentner im Regen stehenlassen. Dies kann man an
einer Fülle von Beispielen festmachen.
Jetzt komme ich zum Haushaltsentwurf, der gestern
vorgelegt worden ist. Das sollte eine kleine Zwischenerfolgsmeldung von Ihnen sein, denn die Meldungen zugunsten der Koalition sind sonst rar. Ich weise auf einen
Nebenpunkt hin, der vielleicht deutlich macht, wie das
Finanzgebaren tatsächlich ist. Der Vorgang soll von
Ihrem Hause unterstützt sein.
Gestern in der Haushaltsausschußsitzung legten die
rotgrünen Abgeordneten einen Antrag vor, aus dem
Haushalt 1999 50 Millionen DM für eine neue deutsche
Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung bereitzustellen.
({16})
- 50 Millionen DM aus dem Haushalt 1999 für ein neues Institut für Friedens- und Konfliktforschung. Man
braucht natürlich eine entsprechende Einrichtung, um
das Klima in der Koalition nachhaltig zu verbessern.
Aber kurz vor Abschluß der Beratungen über den Haushalt für das folgende Jahr einen Antrag zu stellen, in diesem Jahr 50 Millionen DM bereitzustellen, wo Sie doch
für das nächste Jahr schon 400 000 DM für das Institut
des Egon Bahr vorgesehen haben - es existieren doch
genügend Institute -, ist unverständlich.
({17})
Wir haben darauf hingewiesen, daß dies verfassungswidrig ist. Daraufhin haben Sie den Antrag zurückgezogen, der übrigens mit Hilfe des Finanzministeriums erarbeitet war. Danach kam ein neuer Antrag, über den
nachgedacht werden mußte. Jetzt werden im nächsten
Jahr für eine derartige Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung 50 Millionen DM bereitgestellt. Eindeutiger kann man nicht brandmarken, daß Geld verschleudert wird, daß der Konsum aufgebläht wird und die
Haushaltswirkungen des Sparens nicht ernst genug genommen werden.
({18})
Das sogenannte Sparpaket ändert auch nichts daran,
daß die Struktur des Haushaltes insgesamt nicht verbesDietrich Austermann
sert, sondern verschlechtert wird. Ich habe bereits auf
den erheblichen Zuwachs der Gesamtausgaben hingewiesen und könnte die Zahlen noch einmal durchdeklinieren. Im Jahre 2000 liegen die Ausgaben um
22 Milliarden DM über denen des Jahres 1998. Trotz
dieses Zuwachses der Gesamtausgaben nimmt der Anteil der Investitionen ab. Die Investitionsquote sinkt;
Sie tun also weniger für den Arbeitsmarkt.
Man kann das in jedem Bereich verfolgen, auch im
Straßenbau. Da legen Sie ein Papier vor, das deutlich
macht: In den alten Bundesländern werden praktisch
keine neuen Straßen mehr gebaut. Gleiches gilt für die
Städtebauförderung, für die Bahn - überall. Als wir den
Verkehrsminister gefragt haben, wie es bei der Schiene
aussehe, da gebe es ja wohl mehr Geld, sagte er: Ein
paar Posten im Haushalt waren vorher woanders, die
ordnen wir jetzt der Schiene zu. - So steigen natürlich
die Ausgaben für die Schiene im Haushalt, aber effektiv
gibt es keine einzige Mark mehr für die Schiene. Aber in
dieser Koalition muß man wohl so arbeiten, damit alle
zufrieden sind und die Deutsche Stiftung für Konfliktforschung endlich ihre Arbeit aufnehmen kann.
({19})
Die Ausgaben zur Alterssicherung steigen um mehr
als die Hälfte in den nächsten drei Jahren, von
100 Milliarden DM im letzten Jahr auf 150 Milliarden DM im Jahre 2003. Dadurch erhöht sich gleichzeitig
der Anteil des Bundes an den Ausgaben der Rentenversicherung. Das heißt doch, daß die Rentenversicherung
immer abhängiger wird von dem, was in der öffentlichen
Kasse drin ist.
({20})
Weil Sie nicht müde werden, darauf hinzuweisen, daß
die Rentner auch in den letzten Jahren „bloß die Inflationsrate“ mehr bekommen haben, greife ich auch dieses
Beispiel auf. Herr Finanzminister, sie haben offensichtlich eines nicht verstanden: Die Rente ist lohnbezogen.
Wenn die aktiv Beschäftigten mehr Lohn bekommen,
steigt auch die Rente. Wenn man ihnen diese Sicherheit
nimmt, verhält man sich - im Sinne der Gesetze, die in
den letzten Jahren galten - gesetzeswidrig.
Der Bundeskanzler erzählt auf jeder Veranstaltung nach dem Motto: wenn ich viele Feinde habe, dann muß
ich wohl richtig handeln; wenn alle aufschreien, ist das
wohl in Ordnung -, daß das, was man tue, dem Gemeinwohl diene. Ich behaupte: Genau das Gegenteil ist
richtig. Die Haushalts- und Finanzpolitik der Koalition
und dieses sogenannte Sparpaket schaden der Zukunftsfähigkeit Deutschlands.
({21})
Die Investitionsschwäche im Haushalt der rotgrünen
Bundesregierung ist schon für sich genommen schlimm.
Mindestens ebenso schlimm ist aber, daß die Lastenverschiebungen in zweistelliger Milliardenhöhe auf Länder
und Gemeinden auch deren Investitionskraft beeinträchtigen und somit langfristig die öffentliche Struktur
in Deutschland negativ beeinflußt wird. Gleichzeitig beeinträchtigt die halbherzige und widersprüchliche Steuerpolitik sowohl die Investitionsfähigkeit als auch die
Investitionsbereitschaft.
In der Situation, in der wir uns befinden - die Steuereinnahmen steigen jedes Jahr; auch wenn sie noch stärker steigen könnten, wenn man eine andere Politik machen würde -, ist doch vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den 80er Jahren die Frage berechtigt - die
Kollegin Hasselfeldt wird noch darauf eingehen -: Ist
jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen,
({22})
um die Steuerbelastung für Bürger und Betriebe im
ganzen Tarifverlauf abzusenken? Denn nur so erreicht
man eine wesentliche Veränderung der Situation in
Deutschland.
({23})
Sie haben sich auf die Sachverständigen berufen, die
bei der von uns erzwungenen Anhörung zum Sparpaket
anwesend waren, und gesagt, sie alle hätten Ihnen recht
gegeben. Schauen Sie sich doch einmal an, was Norbert
Walter und was Frau Pollack wirklich gesagt haben!
({24})
- Er hat von „Chaos“ und „Kreisverkehr“ gesprochen
und davon, daß zwar ein Stoppsignal gesetzt sei, man
aber nicht erkennen könne, in welche Richtung das Ganze gehe. Ich mußte ihm da widersprechen und habe gesagt, man könne schon erkennen, wohin der Weg führe,
nämlich in die Irre.
({25})
Der richtige Kurs ist: Sparen und investieren für die
Zukunft und gleichzeitig deutliche Senkung der Steuern zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung ab
dem 1. Januar 2000. Diese Generallinie haben wir in der
Debatte der letzten Monate im Haushaltsausschuß vertreten. Wir führen heute nicht die eigentliche Haushaltsdebatte.
({26})
- Das können wir gerne machen. Aber ich meine schon,
daß man nach dem Abschluß der Beratungen eine Zwischenbilanz ziehen sollte.
Was stelle ich fest? Im Juni ist der Haushalt vorgelegt
worden. Gestern haben wir die letzte Sitzung im Haushaltsausschuß gehabt. Wir haben drei Monate beraten.
Was ist das Ergebnis? Der Haushalt sieht genauso aus
wie vorher.
({27})
Jetzt könnte man sagen: Sie haben ein ordentliches
Papier vorgelegt. Ich habe deutlich gemacht, daß das
nicht der Fall ist, denn Investitionen gehen herunter, der
Konsum wird aufgebläht.
({28})
Ich frage mich bloß: Was haben eigentlich die rotgrünen Abgeordneten in den drei Monaten gemacht?
({29})
Sie haben natürlich weiterhin flicken müssen. Sie haben
versucht, das Klima untereinander aufrechtzuerhalten.
Aber einen echten Sparbeitrag
({30})
- ich sage Ihnen das gleich - haben Sie nicht geliefert.
Die Ausgaben gehen hoch, um 600 Millionen DM, weil
die Rentenausgaben steigen. Die Investitionen gehen
herunter. Das war das Signal von gestern abend nach
dreimonatiger Beratung.
({31})
Man muß wirklich fragen, ob man in dieser Situation
noch Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuß macht.
Herr Eichel legt einen Entwurf vor, solange er noch im
Amt ist, und im Haushaltsausschuß wird dem dann zugestimmt.
Die Anträge, die wir gestellt haben ({32})
- Leo II. Schlauch ist wieder da -, kann ich Ihnen deutlich skizzieren. Wir haben gesagt: Wenn nach der eigenen Darstellung der Regierung und nach dem, was einzelne Forschungsinstitute sagen, demographisch bedingt
die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr um 200 000 Personen abnimmt, dann muß doch die Frage berechtigt
sein, ob das Arbeitslosengeld nicht entsprechend zurückgehen müßte. Das würde bedeuten, daß statt der 7,7
Milliarden DM, die Sie jetzt noch für die Bundesanstalt
für Arbeit einplanen, eine Null stehen könnte.
Es ist doch besser, in den ersten Arbeitsmarkt, in die
Infrastruktur unseres Landes, insbesondere in die neuen
Bundesländer zu investieren, als den zweiten Arbeitsmarkt mit Maßnahmen aufzublähen, die man hier skizzieren könnte, die überhaupt keinen zusätzlichen Arbeitsplatz schaffen, und damit das Geld zum Fenster hinauszuwerfen.
Wir haben deswegen vorgeschlagen, hier zu sparen.
Wir haben weitere Sparvorschläge gemacht. Wir haben
ebenso Einnahmeverbesserungen vorgeschlagen. Wenn
ich das alles addiere, ist das Ergebnis unserer Bemühungen, daß wir statt bei 49,5 Milliarden DM Neuverschuldung bei etwa 39 Milliarden DM gelandet wären. Wenn
Sie diese Zahl hören und es wissen, dann können Sie
doch nicht ernsthaft sagen: Es fehlt eine Alternative der
Opposition zum Sparen.
Ich sage das im Hinblick auf die Kollegen, die mit
mir in den letzten Jahren im Haushaltsausschuß gesessen
haben. Das, was wir dort gemacht haben, ist uns oft
nicht leichtgefallen. Aber Sie haben es uns doch geradezu vorgeworfen, daß wir das Land mit den Maßnahmen,
die wir getroffen haben, kaputtsparen. Jetzt hier den
Eindruck zu vermitteln, wir hätten keine Alternative, ist
einfach töricht.
Unsere Alternative lautet: mehr sparen, 39 Milliarden DM Neuverschuldung, mehr investieren und dazu
beitragen, daß die Strukturen in unserem Land verbessert werden.
({33})
Kollege Austermann,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Claus?
Ja.
Herr Kollege Austermann, da
Sie gerade auf Ihre Anträge zu sprechen kommen, wollte
ich Sie etwas fragen. Wir haben soeben den Antrag zur
Künstlersozialversicherung auf den Tisch bekommen.
Ich wollte Sie fragen: Gibt es irgendeinen sachlichen
Grund für diesen Antrag, weil es ihn doch inhaltlich in
gleicher Gestalt bereits als Änderungsantrag gibt, und
zwar von der Fraktion der PDS? Trifft es nicht vielmehr
zu, daß Sie einem inhaltlichen Anliegen nur deshalb
nicht zustimmen können, weil es von der PDS begehrt
wird? Falls dies zutrifft, will ich Sie fragen: Finden Sie
das dann nicht lächerlich?
({0})
Falls Sie es lächerlich finden, sollten Sie dann nicht mit
diesem Quatsch aufhören?
({1})
Wenn Sie nun sowieso schon wissen, daß Sie mit diesem Quatsch irgendwann aufhören müssen, wäre doch
hier eine günstige Gelegenheit, Ihren Antrag zurückzuziehen.
({2})
Ich gebe zu,
Herr Kollege, daß es einem ordentlichen Demokraten
nicht leichtfällt, mit Ihnen gemeinsam politisch zu arbeiten.
({0})
Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Vergangenheit Ihrer Partei und die Erblast, die Sie übernommen
haben.
Aber Sie haben zum Thema Künstlersozialkasse gefragt. Das gibt mir die Gelegenheit, zum Schluß darauf
hinzuweisen, was mit diesem Sparpaket tatsächlich gemacht wird. Beispiel: Künstlersozialkasse. In dem Sparpaket heißt die Vorgabe, die Beiträge für die Künstler zu
erhöhen. Das sind nicht nur all diejenigen, die man im
Fernsehen sieht. Das sind vielmehr eine Fülle von LeuDietrich Austermann
ten, Zeilenschreiber und viele andere. Ihnen wollen Sie
die Beträge erhöhen und betrachten dies als wesentlichen Sparbeitrag.
Dann legt die SPD, weil sie im Haushaltsausschuß
ein schlechtes Gewissen bekommen hat, einen Antrag
vor, der lautet: Demnächst wird ein neues Gesetz über
die Künstlersozialkasse vorgelegt. Bis dieses Gesetz
vorgelegt wird, soll das Spargesetz, über das wir jetzt
beschließen, nicht angewendet werden. Man streut den
Künstlern Sand in die Augen, indem man ihnen den
Hahn zudreht und ihnen gleichzeitig - damit sie es nicht
merken - sagt: Wir wenden das Gesetz - dies ist gar
nicht möglich - nicht an. Dies ist nicht der einzige
Punkt. Sie hätten dies früher als soziale Schweinerei tituliert.
Kollege Austermann,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke
von der PDS-Fraktion?
Danke, nein.
Ich habe dem Parteikollegen von Herrn Gehrcke schon
vorhin gesagt, was ich von seiner Truppe halte.
({0})
Jetzt möchte ich auf andere Stellen des Sparpakets
eingehen. Auf der einen Seite kürzen Sie - vor allem an
den falschen Stellen -, auf der anderen Seite schmeißen
Sie das Geld zum Fenster hinaus. Leider ist das unter
dem Strich so.
Die Bahn soll für die Kosten der Einsätze des BGS
aufkommen, der für innere Sicherheit sorgt. Dies wirkt
sich auf die Fahrpreise und damit auch auf die kleinen
Leute aus.
Die Kosten für Zivildienstleistungen werden auf
Alte, Schwache und soziale Dienste verlagert. Dies ist
Bestandteil des Sparpakets.
Die Gewährung der BAföG-Darlehen wird privatisiert. Der Forschungsetat schrumpft. Wir können uns
noch daran erinnern, daß Sie die Investitionen im Forschungsetat verdoppeln wollten. Nein, im nächsten Jahr
schrumpft er.
Patentgebühren werden angehoben. Dies hilft bestimmt den jungen Erfindern.
Das Branntweinmonopol wird beschränkt. In der
Landwirtschaft wird im sozialen Bereich abkassiert.
Das soziale Wohngeld wird abgeschafft. Ist dies keine soziale Schweinerei? Früher hätten Sie dies so genannt. Weshalb sollte man es dann heute anders bezeichnen?
Das sind alles Bestandteile des Sparprogramms, das
Sie vorgestellt haben. Dazu muß noch die Kürzung der
Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose addiert werden,
auch die Beseitigung der originären Arbeitslosenhilfe.
Die Einkommenszuwächse im öffentlichen Dienst
werden auf das Niveau der Inflationsrate beschränkt.
Durch diese Politik wird nicht etwa die Zahl der Arbeitsplätze vergrößert; vielmehr wird das Gegenteil erreicht. Um dies zu verschleiern, wird seit einem Dreivierteljahr die Statistik über den Arbeitsmarkt nicht
mehr vollständig vorgelegt. Wenn man die Arbeitslosenquote messen will, muß man die Zahl der Erwerbstätigen wissen. Aber seit einem Dreivierteljahr können
weder die Bundesanstalt für Arbeit noch das Bundesarbeitsministerium und auch nicht das Statistische Bundesamt genau sagen, wie hoch die Zahl der Erwerbstätigen ist. Es gibt darüber keine Zahlen. Deswegen kann
auch die Arbeitslosenquote nur in Zweifel gezogen werden.
Ich möchte zum Schluß kommen. Die sogenannte
Haushaltssanierung ist eine negative Bilanz, wie sie
schlimmer nicht sein könnte. Das, was Sie jetzt tun, haben Sie früher als „kaputtsparen“ bezeichnet, damals, als
Sie sich noch gegen jede Form der Haushaltskonsolidierung gewendet haben. Durch das sogenannte Sparpaket
wird der Haushalt in eine falsche Richtung gesteuert.
Ein schnellerer Schuldenabbau wäre möglich, wenn erforderliche Maßnahmen, zum Beispiel Steuersenkungen,
für mehr Dynamik in der Wirtschaft getroffen würden.
Dazu fehlt Ihnen die Kraft. Ihre Maßnahmen sind bürokratisch und ideologisch fehlgesteuert.
Herzlichen Dank.
({1})
Nun haben drei
Kollegen und Kolleginnen Kurzinterventionen angemeldet. Zunächst hat das Wort die Kollegin Schwaetzer,
dann der Kollege Gehrcke und dann die Kollegin Eichstädt-Bohlig.
Bitte schön, Kollegin Schwaetzer.
Herr Präsident!
Ich beziehe mich auf den Beitrag des Kollegen Austermann, der die Künstlersozialversicherung angesprochen hat. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß
die regierende Koalition glaubt, es mit der Bestellung
eines Kulturstaatssekretärs bewenden lassen zu können.
Dies war dann die ganze Leistung für die Kultur.
({0})
Durch das Haushaltssanierungsgesetz wird wieder einmal ein bisher gut funktionierender Zweig der sozialen
Sicherung, der einen Personenkreis mit zum Teil sehr
niedrigen Einkommen betrifft, kaputtgespart.
({1})
Die einseitige Senkung des Bundeszuschusses wird sich
sehr bald als eine schlichte Sondersteuer für die Verwerter auswirken. Dies kann wohl nicht dem Sozialpakt
entsprechen, der der Einrichtung der Künstlersozialversicherung einmal zugrunde gelegen hat. Insofern ist dies
ein weiterer Beweis dafür, daß die Koalition ohne Sinn
und Verstand spart.
Es ist richtig, daß Sie zu Beginn der Legislaturperiode angekündigt haben, einen Gesetzentwurf zur NeuDietrich Austermann
ordnung der Künstlersozialversicherung vorzulegen. Eine solche Neuordnung ist zweifellos zur Abgrenzung
des Personenkreises, der einen Anspruch auf Aufnahme
in die Künstlersozialversicherung hat, auch notwendig.
Nur ist inzwischen ein Jahr vergangen, ohne daß sich irgend etwas getan hätte. Sie haben nichts vorgelegt.
Nun wird einfach der Zuschuß gekürzt, was nichts
anderes bedeutet, als daß Sie die Grundlagen dieses Sozialversicherungssystems der Künstler gefährden. Dieses
System ist einmal für die Geigenlehrerin und den Klavierlehrer um die Ecke eingerichtet worden. Inzwischen
gibt es viele Musikschulen und weniger Geigenlehrerinnen.
Kollegin Schwaetzer, eine Kurzintervention soll sich auf die Rede beziehen, die zuletzt gehalten wurde.
Das alles bezieht
sich auf Herrn Austermann, Herr Präsident.
Ich habe bisher nicht
bemerken können, daß Sie sich auf Herrn Austermann
beziehen.
Das alles bezieht
sich auf die Antwort von Herrn Austermann auf
die Zwischenfrage von Herrn Gehrcke. Damit war es
ein Beitrag des Kollegen Austermann zur laufenden Debatte.
Aber ich komme zum Schluß. Die F.D.P.-Fraktion
hat einen Entschließungsantrag vorgelegt, der zum Inhalt hat, diese unsystematische Kürzung, die kulturpolitisch überhaupt nicht zu rechtfertigen ist, zu unterlassen.
Ich empfehle Ihnen, unserem Antrag zuzustimmen,
wenn Sie in Ihrer Koalition überhaupt noch gewillt sind,
Rücksicht auf die Bedürfnisse der Künstler zu nehmen.
({0})
Nun hat Kollege
Gehrcke das Wort zu einer Kurzintervention unter Bezugnahme auf die vorherige Rede.
Kollege Austermann hat
in seiner Rede als einen Beleg für unsolide Haushaltsführung von Rotgrün den Antrag gewürdigt, 50 Millionen DM für eine Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung einzustellen. Ich weiß nicht, ob dieser Antrag
handwerklich sauber und korrekt gestellt worden ist.
Unabhängig davon merke ich an, daß 50 Millionen DM
für Friedens- und Konfliktforschung weitaus weniger als
das sind, was wir für die Folgen von Kriegen auszugeben haben. Auch das sollte man in dieser Situation
bedenken, anstatt den Antrag so zynisch zu kommentieren.
({0})
Dann gab es eine sehr interessante Unterscheidung
zwischen ordentlichen und wohl außerordentlichen Demokraten. Wenn „außerordentlicher Demokrat“ eine
Steigerung von „ordentlicher Demokrat“ ist, dann nehme ich es dankend zur Kenntnis. Ansonsten aber sollten
wir allgemein bei der Bezeichnung bleiben, daß hier
Demokraten miteinander streiten.
({1})
Nun hat Kollegin
Eichstädt-Bohlig das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Kollege Austermann, Sie haben eben
gesagt, das soziale Wohngeld werde abgeschafft. Ich
stelle demgegenüber fest, daß Sie offenbar nicht in der
Lage sind, den Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden wollen, überhaupt zu lesen. In ihm ist nämlich
als ein sehr wichtiger Baustein die Reform des Wohngeldes enthalten, die zum 1. Januar 2001 mit einem Volumen von 1,4 Milliarden DM zu einer deutlichen Anhebung des Wohngeldes führt. Im Durchschnitt der
Haushalte macht die Anhebung monatlich 83 DM aus.
Dies wird dazu beitragen, daß weit über 300 000 Haushalte neu in den Wohngeldbezug kommen werden und
damit eine deutliche Absicherung der Wohnkostenlasten
erhalten werden. Insofern frage ich Sie, wieso Sie das
mit dem Satz kommentiert haben, das soziale Wohngeld
werde abgeschafft.
({0})
Kollege Austermann,
Sie haben Gelegenheit zu antworten.
Frau Kollegin,
ich muß Ihnen leider den Rücken zudrehen, weil ich
sonst nicht in das Mikrophon sprechen könnte.
Im sogenannten Sparpaket sind verschiedene Beträge
aufgelistet, darunter der Betrag für das soziale Wohngeld. Diese Mittel werden direkt an die Gemeinden geleistet, die dadurch ihre Aufwendungen für Wohngeldzahlungen verringern können. Dieser Betrag beläuft sich
im Sparpaket auf 2,1 Milliarden DM und steigt dann auf
2,5 Milliarden DM und soll dann gestrichen werden.
Das heißt, der Bund verabschiedet sich aus der Gewährung der Mittel an die Gemeinden für die Aufbringung
des sozialen Wohngeldes. Insofern war meine Bemerkung zutreffend.
({0})
Das Wort hat nun
der Kollege Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer wenn
ich Kollege Austermann höre, fällt mir auf, daß sich die
Opposition dann, wenn sie Schwierigkeiten hat, die Generallinie der Haushaltskonsolidierung anzugreifen, auf
Nebenkriegsschauplätze zurückzieht und in polemischer
Weise falsche Zahlen verwendet.
({0})
Zum Auftakt gleich das erste Beispiel: Bereits zum
wiederholten Male kommt vom haushaltspolitischen
Sprecher der Union, obwohl er es besser wissen müßte,
die Behauptung, in den Jahren 1993 bis 1998 seien die
Ausgaben des Bundeshaushalts praktisch stabil geblieben. Er unterschlägt dabei einen ganz entscheidenden
Sachverhalt, nämlich daß 1996 eine Umstellung beim
Kindergeld dazu geführt hat, daß das Kindergeld von
einer Ausgabenposition des Staates zu einer Einnahmeverringerungsposition wurde, weil es bei der Lohn- und
Einkommensteuer in Abzug gebracht wird. Diese Bilanzveränderung durch Rechtsänderung, die die alte Koalition beschlossen hatte, führt für das Haushaltsjahr
1998 dazu, daß das Ausgabevolumen des Staates um sage und schreibe 50 Milliarden DM pro Jahr geringer
war, als es ohne diese systematische Änderung sein
könnte. Wenn Sie das bereinigen, merken Sie, daß auch
in Ihrer Zeit die Ausgaben des Staates sehr deutlich gestiegen sind.
({1})
Punkt zwei. Kollege Austermann versucht für die
Union ständig den Eindruck zu erwecken, daß das, was
wir jetzt sparen, sozusagen ein Nasenwasser sei und gar
keine strukturelle Verbesserung des Bundeshaushalts
darstelle. Der Bund hat in den vier Jahren der letzten
Legislaturperiode - das sind die Ist-Zahlen, für die
CDU/CSU und F.D.P. geradezustehen haben - insgesamt 242 Milliarden DM Schulden aufgenommen; das
sind pro Jahr rund 62 Milliarden DM. Im Jahr 1 der neuen Regierung waren 53,5 Milliarden im Etatansatz als
Schulden enthalten; wir hoffen, daß wir im Ist vielleicht
sogar eine Idee besser abschneiden werden. Vor allem
möchte ich darauf hinweisen, daß in der Finanzplanung
- wenn ich nur den Zeithorizont bis 2002, also diese Legislaturperiode, nehme - die Neuverschuldung auf insgesamt 190 Milliarden DM sinken wird, das sind im
Jahresdurchschnitt 47,5 Milliarden. Noch einmal zum
Vergleich: Bei Ihnen waren das in den vier Jahren zuvor
242 Milliarden DM. Das ist eine deutliche Konsolidierung, ein Erfolg der Finanzpolitik, für den Hans Eichel,
aber auch die Regierungsfraktionen stehen.
({2})
Dritter Punkt. Wir haben mit einer absolut unseriösen
Finanzpolitik aufgehört, die zum Beispiel darin
bestand, allein im Haushalt 1998 sage und schreibe
28,7 Milliarden DM Privatisierungserlöse einzustellen.
Es war der Verkauf von Tafelsilber, mit dem Sie überhaupt erst einen verfassungsgemäßen Haushalt möglich
machen konnten. Diese Regierung hat bei einer deutlichen Senkung der Nettoneuverschuldung im nächsten
Jahr gerade noch 3,5 Milliarden DM an Privatisierungserlösen eingestellt und hat also mit dem strukturellen
Ungleichgewicht und damit Schluß gemacht, zu Lasten
der Zukunft das Tafelsilber zu verkaufen und die Grundsätze der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit außer
acht zu lassen. Das ist eine enorm große Leistung, die
von allen Instituten - von der Bundesbank, von der
EZB, vom IWF - und von der konservativen Presse anerkannt wird, nur nicht von Ihnen, obwohl Ihre Wählerinnen und Wähler diese Konsolidierungsstrategie teilweise durchaus als richtig ansehen.
({3})
Kollege Austermann, Sie haben, als Sie über die
Ökosteuer sprachen, hier am Rednerpult wieder ein Beispiel für Ihr altes Argumentationsmuster geliefert, mit
falschen Vergleichen unrichtige Behauptungen zu untermauern. Sie haben mit Bezug auf das Tableau, das
der Finanzminister für den Bereich des Arbeitsministeriums in der Haushaltsausschußsitzung gestern auf
den Tisch gelegt hat, gesagt, wir würden im Jahre 2003
die 34 Milliarden DM Einnahmen aus der Ökosteuer
nur teilweise dazu verwenden, den Beitragssatz bei
der Rentenversicherung abzusenken; er würde dann
19,3 Prozent betragen. Dazu sage ich: Das ist falsch.
Die 19,3 Prozent sind der Wert des Jahres 2001. Im
Jahre 2003 wird der Rentenversicherungsbeitrag - wenn
man dieser Tabelle folgt - um weitere 0,8 Prozentpunkte niedriger sein. Damit stimmt die Behauptung der
Opposition, Ökosteuereinnahmen würden nicht in gleicher Größenordnung zur Senkung des Rentenversicherungsbeitrages verwendet, nicht. Mir stinkt diese Unredlichkeit, und dies gehört hier einfach einmal deutlich
gesagt.
({4})
Ein weiteres Beispiel - ich habe mich gewundert, daß
Sie es heute nicht angesprochen haben, aber wahrscheinlich wird es die F.D.P. noch in der Debatte bringen - sind die globalen Minderausgaben. Wie haben
Sie getönt, als Hans Eichel im Juni im Kabinett sein
Konzept durchbekam: Ihr habt ja Luftbuchungen in
Form globaler Minderausgaben von über 5 Milliarden DM drin. Ich als haushaltspolitischer Sprecher der
Grünen kann Ihnen Vollzug melden: Wir haben diese
globalen Minderausgaben bis auf einen Restbetrag von
570 Millionen DM im Haushalt titelgenau heruntergebrochen. Zur Erinnerung: Im Jahr 1997 - da hatten Sie
die Verantwortung - hat der als Gesetz verabschiedete
Haushaltsplan des Bundes über 10 Milliarden DM globale Minderausgaben vorgesehen.
Es ist unredlich, diese 570 Millionen DM zu attackieren.
Wir haben endlich angefangen, die Prinzipien von
Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit umzusetzen.
({5})
Kollege Metzger,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
({0})
Aber bitte.
Kollege Metzger, Sie
sollten sich vielleicht nicht so sehr mit der alten Regierung vergleichen, sondern mit dem, was Sie im Plenum
verkünden. Daran müssen Sie sich messen lassen. Sind
Sie bereit, diese Bemerkung zur Kenntnis zu nehmen?
Ist es richtig, daß die Kollegin Hermenau bei der Einbringung des Haushalts gesagt hat, nicht eine einzige
Mark werde in die globale Minderausgabe gehen, es
werde alles bis zur letzten Mark belegt werden? Ist es
richtig, daß Sie jetzt doch globale Minderausgaben feststellen müssen? Nehmen Sie meine Meinung zur Kenntnis, daß die Grünen nicht umgefallen sind, weil sie es
gar nicht können, da sie vorher zur Sache nicht gestanden haben?
({0})
Kollege Koppelin, das mit dem Stehen ist so eine Sache.
Ich will mir eine billige, polemische Antwort ersparen.
Wenn man bedenkt, was Sie in den letzten vier Jahren
hinsichtlich Ihres Abstimmungsverhaltens im Haushaltsausschuß zu diversen Projekten angekündigt haben,
und dann sieht, wie Sie sich schlußendlich immer der
Regierungsdisziplin untergeordnet haben, kommt man
zu dem Ergebnis, daß Sie vom Stehen und vom Liegen
nicht zu reden brauchen.
({0})
Zur Sache: Kollege Koppelin, ich brauche mich nicht
hinter einer Kollegin zu verstecken. Auch ich habe an
diesem Rednerpult in der ersten Lesung gesagt: Wir brechen die globale Minderausgabe auf Null herunter. Ich
melde Vollzug. Eine titelgenaue Herunterbrechung von
95 Prozent ist - angesichts dessen, was die F.D.P. in der
Regierungszeit der Vorgängerregierung normalerweise
angekündigt und dann tatsächlich erreicht hat - Vollzug.
Wir brauchen uns für dieses Ergebnis bei Gott nicht zu
schämen.
({1})
Herr Kollege Koppelin möchte nachfragen.
Kollege Metzger, da Sie
vorhin vom Tafelsilber gesprochen haben: Wenn Sie
von Privatisierungserlösen in Höhe von nur 3 Milliarden
DM ausgehen, darf ich dann zur Kenntnis nehmen, daß
Sie die Eisenbahnerwohnungen also nicht mehr verkaufen wollen?
({0})
Herr Koppelin, Sie sind Mitglied des Haushaltsausschusses und müßten es daher eigentlich besser wissen.
Die Eisenbahnerwohnungen sind im Haushalt 1999 etatisiert. Zur Zeit reden wir vom Bundeshaushalt des Jahres 2000. Das Zukunftsprogramm greift erst im nächsten
Jahr.
Kollege Koppelin, da Sie gerade das Thema Privatisierung angesprochen haben, liefere ich ein weiteres
Argument für die Unseriosität der Opposition, die aus
vielen Abgeordneten besteht, die auch der alten Regierungskoalition angehörten. Kollege Austermann ist gestern im Haushaltsausschuß nach der Rechnung der
Union auf Grundlage der CDU/CSU-Anträge - die
F.D.P. hat ihnen teilweise zugestimmt - auf eine bestimmte Nettoneuverschuldung gekommen, indem er die
Privatisierungseinnahmen um sage und schreibe 6 Milliarden DM über einen einzigen Antrag erhöhen wollte.
Es handelt sich um genau dieselbe unsolide Politik wie
in der Vergangenheit, als man durch Privatisierungen
strukturelle Defizite zudecken wollte. Man wollte
Schulden lediglich auf dem Papier senken, was keine
tatsächliche Konsolidierung bedeutet hätte.
({0})
Diese Strategie hat die F.D.P. gestern mitgetragen. Das
ist einfach verlogen.
Zurück zur Generallinie. Der heutige Tag ist für diese
Koalition und noch mehr für dieses Land wirklich entscheidend. Mit dem Haushaltssanierungsgesetz wagt
diese Koalition trotz eines brutalen Herbstes - man
schaue sich die Wahlergebnisse im September und im
Oktober sowie die Diskussionen in unserer Gesellschaft
an - den Einstieg in die Konsolidierung der Staatsfinanzen, die strukturelles Sparen wirklich beinhaltet. Das
bedeutet natürlich auch Einschnitte in soziale Leistungen quer durch die Bevölkerungsgruppen.
Wir glauben, daß wir dabei trotzdem sozial gerecht
handeln, weil sich Gerechtigkeit nicht nur über das Hier
und Jetzt definiert. Wir dürfen nicht verprassen, was
künftige Generationen an Spielräumen brauchen. Vielmehr müssen wir so haushalten, daß der Staat mit seinen
Einnahmen auskommt, sich nicht immer neue Einnahmequellen überlegen muß, trotzdem neue Schulden
macht und die Erfüllung seiner Aufgaben nicht mehr
gewährleisten kann.
Wir wollen mit der falschen Politik der Vergangenheit aufräumen. Das haben Sie und vielleicht auch viele
Wählerinnen und Wähler uns nicht zugetraut. Aber sie
werden die Wirkung auf den Märkten spüren. Wir machen heute den ersten Aufschlag mit der Verabschiedung des Haushaltssanierungsgesetzes, das konsolidierend wirkt und gleichzeitig Maßnahmen zur Steuerentlastung und zur Familienförderung beinhaltet.
Der zweite Aufschlag kommt im nächsten Jahr mit
der Unternehmensteuerreform. Dazu wird der Finanzminister am 5. Januar ein Konzept vorlegen. Ich bin
mir absolut sicher, daß das, was sich an den Märkten realwirtschaftlich abspielt, eine konjunkturelle Erholung
gerade im größten Industrieland Europas bedeutet, die
helfen wird, die Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen. Sie wird auch bei der anstehenden Reform der sozialen Sicherungssysteme - ich denke an die Rentenreform - helfen. Wir Grüne glauben, daß die Steigerung
der Renten um den Inflationsausgleich in den nächsten
zwei Jahren keine Dauerlösung darstellt; vielmehr sind
Strukturreformen im Rentensystem nötig, um der älteren
Generation ihren Anteil am lebensstandardsichernden
Einkommen innerhalb einer älter werdenden Gesellschaft solide zu gewährleisten.
Vor allem wollen wir mit dieser Politik dazu beitragen, daß sich die realwirtschaftliche Situation in
Deutschland wieder erholt und daß das reale Wachstum, das in Ihrer Regierungszeit mit Ausnahme der Zeit
des Wiedervereinigungsbooms Anfang der 90er Jahre
immer unter 2 Prozent lag, auf ein Niveau steigt, durch
das die Beschäftigungsschwelle wieder überschritten
wird, so daß die Arbeitslosigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt tatsächlich abgebaut wird. Davon haben die
Menschen im Land etwas. Wenn sie merken, daß die
Konsolidierung zu Erfolgen führt, weil sich die Konjunktur verbessert, dann werden sie, obwohl es immer
unangenehm ist, Einschnitte hinzunehmen, auch hinter
diesem Kurs stehen.
Wir wissen, wofür wir sparen. Wir haben positive
Ziele und die Vision einer gerechten Gesellschaft, in der
die jeweils lebende Generation mit ihren Einnahmen
auskommt. Dafür sind ausgeglichene Haushalte und unsere Konsolidierungsstrategie die Voraussetzung. Dafür
stehen Hans Eichel und diese Koalition. Wir wissen, daß
hierfür mühsame Überzeugungsarbeit nötig ist. Wir bitten aber die Bevölkerung um Vertrauen in diesen Prozeß.
({1})
Kollege Metzger, der
Kollege Austermann möchte noch eine Zwischenfrage
stellen. Dafür müßten Sie aber am Rednerpult bleiben.
({0})
Gut, eine Kurzintervention.
Diese müßte ein Geschäftsführer bei mir anmelden. Das geht nicht auf Zuruf, sonst entsteht hier Chaos.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hermann Otto
Solms.
({0})
- Ich erteile das Wort dem Kollegen Hermann Otto
Solms, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesfinanzminister hat seine Rede mit der Aussage eröffnet:
Die Bundesregierung hält Kurs. Ich möchte dieses ausdrücklich bestätigen. Die Bundesregierung hält Kurs bei
ihren Reformen in der Rentenpolitik: Renten nach Inflationshöhe, Renten nach Kassenlage, Absenkung des
Renteneintrittsalters auf 60 Jahre. All dies muß die nachfolgende Generation bezahlen.
({0})
Sie hält Kurs in der Gesundheitspolitik, indem sie
eine Politik macht, die zu Lasten der Patienten, der
Dienstleister, der Ärzte und Krankenhäuser geht. Diese
führt direkt zu einem staatlichen Gesundheitssystem.
({1})
Sie hält Kurs in der Steuerpolitik. Den Ausgangspunkt bildete die Lafontainesche Steuerpolitik, der Herr
Eichel ja als schon abgewählter Ministerpräsident von
Hessen noch zugestimmt hat.
({2})
Wir können heute die Schleifspuren, die diese Politik
angerichtet hat, in der Konjunkturentwicklung und auf
dem Arbeitsmarkt feststellen.
({3})
Die Regierung hält aber auch Kurs in Fragen der
Scheinselbständigkeit durch völlig unzulängliche Korrekturen an diesem völlig verfehlten Gesetz und bei den
630-Mark-Arbeitsverhältnissen. Die Regierung ist nicht
zu belehren. Sie will mit dem Kopf durch die Wand und
eine falsche Politik machen. Das richtet sich leider gegen die Bürger in unserem Land und deren Zukunftschancen. Das muß hier eindeutig kritisiert werden.
({4})
Meine Damen und Herren, der Kollege Michael Glos
hat ja schon darauf hingewiesen, daß wir es in den 80er
und selbst in den 90er Jahren geschafft haben, Nettosteuerentlastungen zu verwirklichen und gleichzeitig,
insbesondere in den 80er Jahren, die Verschuldung abzubauen. Sie können die Vergangenheit nicht in 16 gleiche Jahre einteilen, sondern es handelte sich um acht
Jahre Finanzpolitik in der alten Bundesrepublik und um
acht Jahre Finanzpolitik in einem vereinten Deutschland,
in dem erhebliche Lasten zu bewältigen waren.
({5})
Deswegen ist eine rückwärtsgewandte Betrachtung, die
dieses außer acht läßt, unehrlich und unfair.
({6})
Was ist jetzt das Ergebnis von einem Jahr rotgrüner
Regierung und rotgrüner Politik? Der Konjunktureinbruch
setzt sich seitdem bis heute weiter fort. In den um uns liegenden Industriestaaten boomt es, bei uns ist nur der Export in Ordnung, die Binnenkonjunktur ist eingebrochen.
Die Investitionen sind zurückgegangen; die Stimmung
bei den Unternehmern - eine Umfrage des DIHT hat das
vor kurzem bestätigt - ist weiter gesunken.
({7})
Ohne Stimmungsumschwung bekommen Sie auch keine
Investitionen. Die Beschäftigtenzahlen verharren auf
niedrigem Niveau, wobei das alles noch durch die Arbeitsmarktzahlen überdeckt wird. In Wirklichkeit ist ja
die Zahl der Erwerbstätigen drastisch zurückgegangen.
({8})
Die Frage an die Bundesregierung, wie sich denn die
Erwerbstätigenzahl entwickelt habe, wird mit der Auskunft beschieden, man könne dieses gegenwärtig nicht
beantworten, weil man die Statistik verändere. Ich weiß
nicht, was da geschieht, aber ich finde es eine Zumutung, daß man - möglicherweise nur deshalb, weil die
Entwicklung schlecht ist - hier eine klare Aussage verweigert.
({9})
Nach objektiven Schätzungen ist jedenfalls die Zahl der
Beschäftigten zurückgegangen. Trotzdem verfügt der
Finanzminister von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr über
Steuermehreinnahmen. Im Jahre 1998 betrugen die
Steuereinnahmen 833 Milliarden DM für den Gesamtstaat - Bund, Länder und Gemeinden zusammen -, im
Jahre 1999 werden es 884 Milliarden DM sein, und nach
der Planung werden es im nächsten Jahr etwa 915 Milliarden DM sein. Dies sind Steuermehreinnahmen in Höhe von 80 Milliarden DM in zwei Jahren. In der Situation ist die rotgrüne Koalition nicht in der Lage, etwas zur
Steuerentlastung derjenigen zu tun, die diese Steuern ja
bezahlen müssen,
({10})
denn Steuermehreinnahmen beim Staat sind Steuermehrausgaben beim Bürger. Das müssen Sie sich immer
in Erinnerung rufen.
({11})
Die Gesetze, die heute zur Diskussion stehen, und
auch die Ökosteuer, die gestern zur Diskussion stand,
zeigen, daß man die Fehler der Vergangenheit, der Lafontaineschen Politik, nicht erkannt hat. Eine Ökosteuer
bewirkt eine echte Zusatzbelastung, gerade auch bei den
Personen, die in einer sozial schwachen Situation sind.
Denn Rentner, Hausfrauen, Beamte, Studenten, Schüler,
Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger haben keine gegenläufige Entlastung bei den Rentenversicherungsbeiträgen, sondern für sie ist es eine Zusatzbelastung.
Was ist das auch für eine Politik gegenüber dem
ländlichen Raum!
({12})
Darauf muß man hinweisen. Die Leute, die auf dem
Lande leben, sind darauf angewiesen, weite Wege zwischen Wohn- und Arbeitsstätte zurückzulegen, im Osten
vielfach noch mehr als im Westen. Für die ist diese zusätzliche Belastung quasi eine existentielle Bedrohung.
({13})
In diesem Zusammenhang will ich auch ein Wort zur
Landwirtschaft sagen. Was diese Bundesregierung mit
den Landwirten anstellt, ist in meinen Augen nicht nur
unverantwortlich, es ist geradezu eine Vernichtungskampagne, die hier durchgeführt wird.
({14})
Sie müssen einmal die Belastungen zusammenrechnen.
Machen Sie sich die Mühe. Bei der Agenda 2000 sind es
1,5 Milliarden DM weniger, durch das Steuerentlastungsgesetz 1 Milliarde DM weniger, durch den Agrarhaushalt und das Haushaltssanierungsgesetz rund
4 Milliarden DM weniger, durch die Ökosteuer
900 Millionen DM Mehrbelastung. Das heißt, daß die
betroffenen Landwirte, gerade die kleineren und mittleren, etwa 20 bis 25 Prozent ihres Einkommens verlieren.
Ich möchte die Diskussion in der SPD erleben, wenn
man daran dächte, nur etwa halb soviel bei den Arbeitnehmern zu tun!
({15})
Dabei werden Tausende und Zehntausende von
Landwirten über die Klinge springen. Die werden das
nicht überleben. Ich halte das für nicht zu verantworten.
Meine Damen und Herren, zur Besteuerung der Familien: Was Sie hier machen, ist ein sehr vorsichtiger
Schritt in die richtige Richtung. Sie werden dabei mit
Mühe und Not den Auftrag des Verfassungsgerichts erfüllen.
({16})
Dem gesellschaftspolitischen Auftrag werden Sie dabei
in keiner Weise gerecht.
({17})
Zum Steuerbereinigungsgesetz, Besteuerung der Lebensversicherung. Herr Riester fordert mehr private kapitalgestützte Altersvorsorge. Jetzt wird die Kapitallebensversicherung - das ist das entscheidende Instrument bei der privaten Vorsorge - zusätzlich besteuert.
Welchen Reim machen Sie sich darauf? Die Grünen widersprechen dem wie immer, stimmen dann aber zu. Das
war beim Steuerentlastungsgesetz auch so: viel Widerspruch -, aber zum Schluß sind sie umgefallen. Das ist
hier bei der Kapitallebensversicherung - Sie werden es
heute wieder erleben - genauso: Sie werden dem zustimmen, obwohl man jede Woche im „Handelsblatt“
liest, was Frau Scheel alles für falsch hält, Herr Müller
und Herr Merz genauso.
Sie kritisieren beispielsweise genauso die Unternehmensteuerreformpläne der Bundesregierung. Die Minister der Grünen haben im Kabinett dem Plan zugestimmt, die Finanz- und Steuerpolitiker widersprechen
in der Öffentlichkeit, zum Schluß machen alle wieder
alles mit. Meine Damen und Herren, wie Sie das mit Ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit vereinbaren können,
frage ich mich seit langem.
({18})
Ich möchte noch eine Bemerkung zum Steuerbereinigungsgesetz machen. Dabei handelt es sich um die
Bereinigung der falsch gelaufenen Steuerentlastung Lafontainesches Gesetz - des Frühjahrs. Ich will der Öffentlichkeit einmal deutlich machen, welches Chaos hinsichtlich der formalen Arbeit herrscht. Damals gab es
jede Menge Korrekturanträge für das eigene Gesetz.
({19})
Da diese Korrekturen aber nicht ausgereicht haben, hat
man nun das Bereinigungsgesetz vorgelegt. In das Gesetzgebungsverfahren sind nun erneut 115 Anträge für
die Korrekturen der Korrekturen der Korrekturen eingebracht worden.
({20})
Wenn Sie dieses Verfahren in Ihren Seminardiskussionen witzig finden, dann ist das Ihr Problem. Aber was
sollen denn die Steuerberater, die Finanzbeamten, die
Unternehmen und die steuerpflichtigen Bürger davon
halten, die durch diesen Wust - das kann ja kein Mensch
mehr verstehen - überhaupt nicht mehr durchblicken
können?
({21})
Ich will noch ein Wort zu dem Thema Steuergerechtigkeit sagen. Sie haben den Begriff Gerechtigkeitslücke erfunden. Wenn es eine Gerechtigkeitslücke gibt,
dann liegt sie in dem viel zu komplizierten und durch
Sie noch viel komplizierter gemachten Einkommensteuerrecht, das kein Mensch mehr versteht. Die Steuerpflichtigen fühlen sich diesem Steuerrecht hilflos ausgeliefert.
({22})
Diese Menschen haben immer das Gefühl, daß der
Nachbar bei der Steuer besser wegkommt als sie selbst.
Das Ergebnis dieser Politik ist, daß Steuerhinterziehung,
Schwarzarbeit und Kapitalflucht heute Kavaliersdelikte
geworden sind.
({23})
Wenn Sie also an eine vernünftige Steuerreform herangehen wollen, Herr Eichel, dann müssen Sie erst
einmal damit anfangen, eine radikale Steuervereinfachung durchzuführen, so daß die Bürger das Steuerrecht
wieder verstehen können. Und wenn dann noch die
Steuerlast gesenkt wird, sind sie bereit, ihren Beitrag zu
leisten.
Was Sie sich unter der Unternehmensteuerreform
vorgestellt haben, wird von den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten in ihren Gutachten in
Bausch und Bogen zerrissen. Sie schreiben - ich darf
zitieren -:
Ein Investitionsschub ist von dieser Reform nicht
zu erwarten, eher sogar eine Investitionsdämpfung.
Negativ zu bewerten ist insbesondere die ungleiche Behandlung von „guten einbehaltenen“ und
„schlechten ausgeschütteten“ Gewinnen. Die Hoffnung, daß durch die bisherigen steuerlichen Maßnahmen, einschließlich dieser Steuerreform, die
gewünschte Wachstums- und Beschäftigungsdynamik entsteht, dürfte sich nach Einschätzung der
Institute nicht erfüllen.
Das ist eine klare Aussage.
Ein weiterer Punkt. Wenn Sie schon von einer Gerechtigkeitslücke reden, Herr Poß, dann müssen wir feststellen, daß es eine Gerechtigkeitslücke in Form der hohen Arbeitslosigkeit gibt.
({24})
Wenn Sie eine gute Steuerpolitik machen wollen, dann
müssen Sie sie so anlegen, daß die Investoren sowie die
kleinen und mittleren Unternehmen entlastet werden.
Mit Ihrem Steuerentlastungsgesetz haben Sie aber genau
das Gegenteil erreicht.
({25})
Ich habe mir die vielen Maßnahmen angesehen, die
die kleinen und mittleren Unternehmen zusätzlich belasten. Diese Maßnahmen bewirken in der Summe Belastungen zwischen 24 Milliarden und 28 Milliarden DM.
Sie wollen jetzt aber eine Steuerreform durchführen, die
die Unternehmen, insbesondere die Großunternehmen,
um insgesamt 8 Milliarden DM entlastet. Das heißt, der
Mittelstand muß die Zeche zahlen.
({26})
Daraus entsteht keine Verbesserung der konjunkturellen
Entwicklung. Diese Entwicklung haben Sie zu verantworten.
Lieber Herr Metzger, schminken Sie es sich ab, daß
es im nächsten Jahr besser wird. Es wird noch schlimmer werden. Es beginnt mit der Erhöhung der Ökosteuer
am Anfang des Jahres und wird sich dann im Laufe des
Jahres fortsetzen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({27})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Austermann zu der von ihm erbetenen Kurzintervention.
Vielen Dank,
Herr Präsident. - Der Kollege Metzger hat mich mit drei
Bemerkungen angesprochen. Ich möchte ganz kurz darauf erwidern.
Erstens. Er hat bestätigt, daß die Regierung neue
Schulden macht. Angesichts seiner Worte in früheren
Jahren möchte ich feststellen: Wer 220 Milliarden DM
neue Schulden im Finanzplanungszeitraum macht, der
spart doch nicht.
Zweitens. Er hat gesagt, der Verkauf des Tafelsilbers
sei beendet worden. Dazu stelle ich fest, daß eine Haushaltsbemerkung im Wirtschaftsetat aufgenommen wurde, die es ermöglicht, in erheblichem Umfang Privatisierungserlöse einzukassieren. Ich nenne beispielsweise
die Lizenzen bei der Telekom. Nach heutiger Bewertung
ergibt dies mit den vorgesehenen Mitteln für die Privatisierung von 3,5 Milliarden DM einen Betrag in zweistelliger Milliardenhöhe.
Der dritte Punkt betrifft den Hinweis auf die globalen
Minderausgaben, die im Laufe des Verfahrens auf
570 Millionen DM begrenzt worden seien. Was das
konkret bedeutet, kann jeder nachvollziehen. Die globale Minderausgabe für den Wirtschaftsetat ist für dieses
Jahr aufgelöst worden. Das hat Wirkung auf folgende
Bereiche: Kürzung bei Kokskohlenbeihilfe, Förderung
erneuerbarer Energien, Forschung und Entwicklung erneuerbarer Energien, Forschungskooperation
„FUTOUR“, Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung, Förderung und Entwicklung neue
Bundesländer, der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung, Leistungssteigerung des Handwerks, Innovationsförderung, Außenwirtschaft, Absatzfinanzierung Luftfahrt, Luftfahrtforschung, den Zinszuschüssen für die
Werften - jeder weiß, in welcher Situation sich die
Werften befinden.
Es werden im Haushalt 1999 auf diese Weise 330
Millionen DM eingespart. Für das nächste Jahr hat der
Wirtschaftsminister wieder eine globale Minderausgabe
eingeplant; das heißt, er wird die Mittel wieder dort
wegnehmen, wo sie für die Innovationssteigerung in
Deutschland am meisten gebraucht werden.
Ein letzter Satz zum Thema Förderung erneuerbarer Energien. Durch die Kürzungen im laufenden
Haushalt entsprechend der globalen Minderausgabe sind
allein die erneuerbaren Energien mit 115 Millionen DM
betroffen. Das heißt, Sie geben für erneuerbare Energien
115 Millionen DM weniger aus, als in Ihren frisch gedruckten Broschüren zu lesen ist. Dazu kommen die
Belastungen durch die Ökosteuer.
Sich hier hinzustellen und zu sagen: Wir betreiben eine der Zukunft zugewandte Politik, das verstehe, wer
will.
({0})
Kollege Metzger, Sie
haben Gelegenheit zur Erwiderung.
Herr Kollege Austermann, auch mit dieser Intervention
setzen Sie Ihre Tradition fort, Dinge falsch darzustellen.
Zur Wiederholung: Sie behaupten immer, wir machten im Finanzplanungszeitraum eine bestimmte Menge
Schulden. Wenn ich einen Fünfjahresvergleich mit Ihrer
Regierung herbeiführe, dann stelle ich fest, daß Sie mit
Ihrer Nettokreditaufnahme in allen Jahren der alten Regierungszeit deutlich über dem liegen, was wir in den
nächsten fünf Jahren aufnehmen. Das zu Ihrer ersten falschen Behauptung.
Die zweite falsche Behauptung. Sie sagen, wir hätten
einen Haushaltsvermerk erweitert, der Lizenzgebühren
aus Frequenzveräußerungen im Mobilfunk als Einnahme
ermöglicht. Das ist richtig. Aber wir haben, Herr Kollege Austermann, in das Haushaltsgesetz gleichzeitig eine
Ermächtigung des Finanzministers eingestellt, die künftig dafür Sorge trägt, daß überschüssige Einnahmen aus
Privatisierungserlösen, die über den Betrag hinausgehen,
den der Bund ausgeben muß, um die Postunterstützungskassen, die für die Pensionen früherer Mitarbeiter
und ihrer Angehörigen zuständig sind, zu bedienen, zur
Tilgung von Schulden verwendet werden und eben nicht
wie früher zur Überdeckung des strukturellen Defizits.
Die dritte falsche Behauptung betrifft die globalen
Minderausgaben. Sie behaupten, wir würden im Haushalt Beträge für Energieforschung als Luftbuchung einstellen. Wir halten an den 200 Millionen DM jährlich
fest. In diesem Jahr ist dieses Geld nicht abgeflossen,
weil der Haushalt auf Grund der Wahlen im letzten Jahr
erst spät, erst im Juni, in Kraft trat. Deshalb haben wir
die Verpflichtungsermächtigung für Energieforschung
für das Jahr 2001 um 100 Millionen DM erhöht, so daß
im übernächsten Jahr über 300 Millionen DM effektiv
zur Verfügung stehen.
Ich finde, Programme sollte man so stricken, daß sie
nachhaltig wirken, daß die Mittel für vernünftige Dinge
abfließen und daß nicht am Schluß mit Geld, das man
eigentlich für vernünftige Projekte bräuchte, Mist gemacht wird. Also auch in diesem Punkt: absolute Fehlanzeige. Sie benutzen eine Argumentation, die nur darauf abzielt, Nebelkerzen zu zünden, weil man die
Grundlage, die vernünftige Finanzstrategie dieser Regierung, nicht glaubwürdig attackieren kann.
({0})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Barbara Höll, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit der kleinen Regierungsfraktion, den Grünen, beginnen. Sie hat heute nur
noch alten Wein in neuem Schlauch geboten. Herr
Metzger, ein Bundeshaushalt führt sich etwas anders als
der Haushalt einer kleinen Gemeinde durch Kommunal6314
politiker. Wenn Sie sagen, das Wohngeld sei ein Nebenkriegsschauplatz, dann fragen Sie bitte die Millionen
Bürgerinnen und Bürger, die darauf warten, daß endlich
eine Novellierung des Wohngeldes erfolgt. Sie haben sie
wieder um ein Jahr verschoben. Sie versprechen etwas
für die Zukunft, und was dann passiert, das wird man
dann sehen.
({0})
Außerdem verschieben Sie über das pauschalierte
Wohngeld einen Riesenbatzen in die Landeskassen.
Unser Bundesfinanzminister hat uns noch einmal erklärt, daß die soziale Gerechtigkeit bei der Staatsverschuldung anfängt. - Richtig. Aber warum senken Sie
dann den Spitzensteuersatz? Das kostet den Bundeshaushalt im nächsten Jahr 1,7 Milliarden DM. Damit
nicht genug: In einem zweiten Schritt wollen Sie den
Spitzensteuersatz von 51 Prozent auf 48,5 Prozent senken. Das bedeutet weitere 2,5 Milliarden DM, auf die
der Herr Bundesfinanzminister locker verzichtet.
Wenn heute in der Presse steht, daß bei der Unternehmensteuerreform neu nachgedacht wird, ist das gut,
weil das zeigt, daß Ihnen endlich aufgefallen ist, daß
kleine und mittelständische Betriebe zu gering entlastet
werden. Die überproportional hohe Entlastung der großen Unternehmen wollen Sie jedoch nicht zurücknehmen. Das ist so, muß man sagen, sozial absolut ungerecht und wirtschaftsfeindlich.
({1})
Ich komme zu einem konkreten Punkt der heutigen
Debatte, der Frage der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Kindergeld. In den letzten 30
Jahren sind Familien mit Kindern immer ärmer geworden. 1965 bekam nur jedes 75. Kind Sozialhilfe,1994 jedes siebte Kind. Eine Million Kinder und Jugendliche
leben von Sozialhilfe. An dieser besorgniserregenden
Politik hat die alte Regierungskoalition von CDU/CSU
und F.D.P. natürlich einen großen Anteil. Aber auch die
neue Koalition beseitigt das Problem nicht.
Die große Chance, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts geboten hat, nämlich eine feste Grundlage
für das Existenzminimum von Kindern zu berechnen
und dieses steuerfrei zu stellen, so daß der Staat erst anschließend Zugriff auf das Einkommen der Eltern hat,
haben Sie nicht genutzt.
Das Urteil ist widersprüchlich; das wissen wir alle in
diesem Haus. Aber es hat einen ganz großen Vorteil: Es
hat zum erstenmal klar gezeigt, daß Kinder für ihr Erwachsenwerden mehr brauchen als Wohnen und Schlafen. Sie brauchen Betreuung, Erziehung, kulturellen Zugang, Sportarbeitsgemeinschaften, Musikunterricht und
ähnliches. Das führt natürlich dazu, daß wir das Existenzminimum von Kindern anheben müssen.
Aber die Frage ist: Wie setzen Sie das um? Verharren
Sie in der Logik des Steuerrechts, oder gehen Sie darüber hinaus? Sie sind nicht darüber hinausgegangen. Sie
verharren im Steuerrecht und führen die Politik der alten
Regierung weiter, indem Sie das System von Kindergeld
und Kinderfreibeträgen ausbauen.
Vor seinem Amtsantritt behauptete Herr Eichel noch,
daß für ihn das Kind des Unternehmers und das Kind
des Arbeiters gleichwertig seien. Sie hätten die Chance
gehabt, das umzusetzen. Aber Sie wählen die kostengünstige Minimalvariante. Anstatt alle Eltern gleich zu
behandeln, erhalten Spitzenverdiener bis zu 150 DM
monatlich mehr als eine Familie mit geringem oder
mittlerem Einkommen. Herr Eichel, auch wenn Ihnen
das Mahnen der PDS an die soziale Gerechtigkeit langsam auf den Docht geht - wie man umgangssprachlich
sagt -, werden wir da nicht lockerlassen. Das lassen wir
Ihnen nicht durchgehen!
({2})
Kollegin Höll, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?
Ja.
Kollegin Höll, Sie haben jetzt zum wiederholten Male die meines Erachtens falsche Aussage getroffen, das Familienförderungsgesetz sei ein Minimalpaket. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir
die Vorgaben des Karlsruher Urteils auch durch eine
ausschließliche Erhöhung der Kinderfreibeträge hätten
umsetzen können - dann hätte das Gesetz ein Volumen
von ungefähr 1,5 Milliarden DM gehabt -, sich die rotgrüne Koalition aber entschlossen hat, das Kindergeld
um 20 DM zu erhöhen, übrigens auch für Sozialhilfeempfänger,
({0})
das heißt, die alte Politik definitiv nicht fortzusetzen,
daß sie auf diese Weise ein Volumen von 5,5 Milliarden
DM geschaffen hat, die 900 Millionen DM für die Altfälle einmal nicht mitgerechnet, und daß das somit keine
Minimallösung ist?
Herr Müller, ich habe gesagt, es ist eine Minimallösung, und ich glaube, damit
habe ich auch recht. Entsprechend Ihrer früheren Auffassung, daß alle Kinder gleich viel wert seien und das
gleiche Kindergeld erhalten müßten, hätten Sie durchaus
die Möglichkeit gehabt, das, was das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, zu einem entsprechenden
Steuersatz umzurechnen. Sie wissen, daß dann herausgekommen wäre,
({0})
daß jedes Kind 400 DM Kindergeld bekommen muß.
Dann hätte man die Kinderfreibeträge streichen können.
Das würde eine elternunabhängige Förderung aller
Kinder bedeuten. Das kostet natürlich ein bißchen mehr
Geld.
({1})
- Frau Kressl, auch Sie wissen, daß dieses Geld durchaus vorhanden ist. Ich kann Ihnen das gerne etwas detaillierter vorrechnen.
Herr Müller, ich möchte ergänzen, daß ich sehr wohl
weiß, daß Sie mit der Erhöhung des Kindergeldes um
20 DM - dies gilt jedoch nur für das erste und zweite
Kind - ein klein bißchen über das vom Bundesverfassungsgericht Geforderte hinausgegangen sind. Aber ich
muß Ihnen auch sagen, daß dieses Hinausgehen durch
Ihr Ökosteuerkonzept wieder kompensiert wird. So hat
eine vierköpfige Familie durch die zweite Stufe der
Ökosteuer eine monatliche Belastung von durchschnittlich 62 DM. Diese Familie erhält im Rahmen der Kindergelderhöhung aber nur 40 DM mehr pro Monat. Das
heißt, auf Grund der Ökosteuer kommt es zu einer
Mehrbelastung. Bei einer Familie mit drei Personen beläuft sich die Mehrbelastung aus der Ökosteuer auf
53 DM pro Monat. Diese Familie bekommt nur 20 DM
Kindergeld mehr pro Monat. Auch hier bleibt unterm
Strich eine deutliche Mehrbelastung. Diese Zahlen hat
das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ausgerechnet. Wir haben das noch einmal nachgerechnet. Das
kann man nachlesen; das stimmt.
Ferner haben Sie mich zur Sozialhilfe gefragt. Dazu
muß ich sagen: Wir freuen uns, daß die Koalition zum
ersten Mal die entsprechende gesellschaftliche Diskussion aufgegriffen hat - ein Anliegen, das die PDS bereits
im Frühjahr dieses Jahres in den Deutschen Bundestag
eingebracht hat.
({2})
Der Druck hier im Parlament kam also von der linken
Seite. Denn es ist einfach skandalös, daß bisher jegliche
Kindergelderhöhung durch die Gegenrechnung mit der
Sozialhilfe nicht bei den wirklich betroffenen Kindern
und Jugendlichen ankam.
({3})
Wir haben Ihnen vorgeschlagen, die Regelsätze für Kinder zu erhöhen. Denn das wäre wirklich sachgerecht. Sie
haben sich aber für eine Lösung entschieden, die nur auf
diese Anhebung begrenzt ist. Das wirkliche Problem
packen Sie auf diese Art und Weise nicht an.
({4})
Herr Müller, es bleibt dabei: Sie entlasten mit Ihrem
Konzept der Familienförderung - man müßte dies in
Anführungszeichen setzen; denn es ist allerhöchstens ein
erster Schritt zum Nachteilsausgleich - Eltern mit einem
sehr hohen Einkommen wesentlich mehr als Normalverdiener. Ein Spitzenverdiener kann sich über eine Erhöhung um jährlich 1 500 DM freuen. Das ist doch wohl
bedeutend mehr als die 240 DM, die Eltern mit einem
Jahreseinkommen von bis zu 48 000 DM pro Jahr durch
die Erhöhung des Kindergeldes um 20 DM bekommen.
Sie manifestieren damit das Auseinanderdriften von
Kindergeld und Kinderfreibetrag und weichen als Regierung auch in diesem Punkt automatisch von Ihrer ursprünglichen Forderung nach einem einheitlichen Kindergeld ab.
Die PDS hat zur heutigen Debatte einen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich glaube, er wird - leider seine Aktualität behalten. Wir werden hier weiter über
die nächste Stufe der Familienentlastung zu diskutieren
haben.
Entsprechend unserer Auffassung fordern wir, daß
uns als Gesetzgeber wirklich jedes Kind gleich viel wert
ist. Wir fordern 400 DM Kindergeld für jedes Kind. Der
Kinderfreibetrag sollte abgeschafft werden. Damit bekommen wirklich alle Eltern für ihre Kinder eine Entlastung in gleicher Höhe, und zwar unabhängig von ihrem
Einkommen. Ein altersabhängiges, existenzsicherndes
Kindergeld sollten nach unserem Konzept bereits jetzt
alle sozialhilfeberechtigten Eltern und diejenigen mit
einem geringen Einkommen erhalten. Denn es ist klar:
Auch 400 DM würden für ein Kind, welches von Sozialhilfe leben muß, absolut nicht ausreichen. Deshalb
schlagen wir ein altersabhängiges Zulagensystem vor.
Wir meinen, daß auf diese Art und Weise ein Schritt in
die richtige Richtung getan werden kann.
Zur Finanzierung - Frau Kressl, darüber haben Sie
vorhin gelacht -: Wir diskutieren schon ziemlich lange
über die Frage der Individualbesteuerung. Wir wissen,
daß wir durch eine Umwandlung des jetzt geltenden
Ehegatten-Splittings - natürlich mit einer entsprechenden Übergangslösung; wir schlagen eine Unterhaltsvariante vor - ein Finanzvolumen von 20 Milliarden DM
lockermachen können. Dieses Finanzvolumen könnte
man einsetzen. Sie wissen, daß damit weitere Dinge
wegfallen. Wir schlagen vor, das Dienstmädchenprivileg
zu streichen. Vorsorgeaufwendungen, die doppelt einzustellen sind, würden dann individuell veranlagt werden.
Nach unserem Konzept - das gebe ich ehrlich zu bleibt ein geringes Finanzierungsdefizit. Zu Ihrer Beruhigung: Wir haben das vom Bundesfinanzministerium
nachprüfen lassen. Dieses Finanzierungsdefizit beträgt
etwa 5 Milliarden DM. Mit diesen 5 Milliarden DM
kann ich als Oppositionspolitikerin relativ locker umgehen.
({5})
Frau Kollegin Höll,
Ihre Redezeit ist vorüber.
Sie bräuchten nur den
Transrapid oder den Eurofighter zu streichen. Dann wäre diese kleine Finanzierungslücke geschlossen.
Zum Steuerbereinigungsgesetz haben wir Änderungsanträge eingebracht.
Frau Kollegin Höll,
Ihre Redezeit ist vorüber. Bitte kommen Sie zum letzten
Satz.
Ich komme jetzt zum letzten Satz und werbe für unseren Antrag: Entscheiden Sie
sich endlich richtig - für eine Kinderförderung, die unabhängig vom Einkommen der Eltern ist!
Ansonsten bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans Georg Wagner, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank für
dieses allgemeine Gemurmel. Das spiegelt den Zustand
der Opposition hinreichend wider: Außer Murmeln
nichts gewesen!
({0})
Wer heute morgen auf Alternativen der Opposition gewartet hat, der mußte zur Kenntnis nehmen: Von seiten
der damaligen Regierung ist keine einzige Alternative
genannt worden.
Es tut mir leid um die Arbeit, die sich Herr Staatssekretär Diller im Haushaltsausschuß gemacht hat. Er hat
sich bemüht,
({1})
Jürgen Koppelin, Dietrich Austermann und Günter Rexrodt die Sache so beizubringen, daß es jedes kleine Kind
verstehen kann - wie er es in seinem erlernten Beruf
gelernt hat. Aber Sie kommen nun hierher und zeigen,
daß Sie anscheinend überhaupt nichts begriffen haben.
Es tut mir furchtbar leid, aber dann können wir uns die
Arbeit im Haushaltsausschuß sparen.
({2})
Meine Damen und Herren, heute ist in der Tat ein
wichtiger Tag für die Bundesrepublik Deutschland; denn
heute wird das Sparpaket, das wir im Rahmen des Zukunftsprogramms 2000 angekündigt haben, verabschiedet. Die rotgrüne Koalition ist zum Handeln fähig. Den
Beweis erbringen wir heute.
({3})
Wenn wir in der letzten Sitzungswoche dieses Monats
den Haushalt 2000 verabschieden, ist das Bild rund.
Dann haben wir ein Reformpaket auf den Weg gebracht,
wozu Sie 16 Jahre lang nicht in der Lage waren und was
Sie zum Teil auch gar nicht wollten.
({4})
Wir sind in dieser Situation, nämlich sparen zu müssen, nicht allein. Wir haben Hilfestellung aus allen Ekken der Republik, wenn man so will, sogar aus der ganzen Welt bekommen. Auf Antrag der F.D.P. haben wir
eine Anhörung durchgeführt. Allerdings waren Sie, obwohl Sie von der F.D.P. der Antragsteller waren, die
meiste Zeit nicht da.
({5})
- Wenn Sie da gewesen wären, dann hätten Sie gehört,
was Herr Professor Eekhoff und Norbert Walter gesagt
haben. Norbert Walter hat eindringlich vor einer Sabotage der Sparbemühungen der Bundesregierung gewarnt.
Wenn Sie dieses Paket also heute ablehnen, dann sind
Sie die Saboteure der Sparbemühungen.
({6})
Auch der Bundesrechnungshof hat die Sparbemühungen der Bundesregierung gelobt und gesagt, eigentlich könne man noch weiter gehen - was weitere Einschnitte auch im sozialen Bereich bedeutet hätte. Das
haben wir abgelehnt. Aber das Lob kommt ja nicht von
ungefähr: Sie rufen doch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit den Bundesrechnungshof an, er
solle dies oder jenes überprüfen. Das hat nun Ihrerseits
die Bundesregierung auch gemacht. Sie hat ihr Sparpaket überprüfen lassen und das Urteil bekommen: Das ist
in Ordnung; alles wunderbar! - Sagen Sie das doch auch
einmal!
({7})
Kollege Wagner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich lasse keine
Frage zu.
Der Internationale Währungsfonds hat das Sparund Steuerreformpaket der Bundesregierung ausdrücklich begrüßt. Er hat Anfang November erklärt:
Es umfaßt angemessen ausgerichtete Ausgabenkürzungen und Einkommensteuerreformen, von denen
zusammengenommen erwartet wird, daß sie sowohl
zu einer ausgeglichenen mittelfristigen Haushaltsposition wie auch zu einer Verringerung der Steuerlast führen werden.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wenn Sie uns
nicht glauben, warum glauben Sie dann nicht wenigstens
den international anerkannten Fachleuten?
({0})
Einer, den Sie immer wieder benutzen, um aktuelle
Aussprachen zu bedienen, hat es begriffen, Herr Kollege Koppelin. Früher, zu Zeiten von Karl-Hermann Flach, war Ihnen die „Frankfurter Rundschau“
nahe; jetzt ist es ja die „Bild“-Zeitung - sowohl von
der Argumentation als auch vom Inhalt her. Darin
stand am 5. November: Lob für Deutschland. Es
muß Sie ja Überwindung gekostet haben, dort ein Lob
für Deutschland, für diese Bundesregierung lesen zu
müssen.
({1})
Sie haben dies kleingeredet, Herr Koppelin; dies entspricht Ihrem Niveau. Das ist mir vollkommen klar.
Nun noch einige Bemerkungen zu der Debatte: Gestern hat Herr Rüttgers gelogen.
({2})
Ich vermute, er war falsch informiert. Er hat nämlich
behauptet, daß wir eine Stunde vor Beginn der Sitzung
des Haushaltsausschusses die Kohlebeihilfen um
250 Millionen DM gekürzt hätten. Das ist schlichtweg
gelogen. Wir haben im Einvernehmen mit Vertretern der
deutschen Steinkohle vereinbart - sie haben es angeboten -, daß sie im Jahr 2000 auf Forderungen in Höhe
von 250 Millionen DM verzichten, weil sie im Januar
2001 - ({3})
- Wenn jemand verzichtet, ist dies keine Kürzung. Haben Sie das nicht begriffen? Herr Kampeter, Sie sind für
Ihre Fraktion im Haushaltsausschuß für Wissenschaft
und Forschung zuständig. Sie sollten also schon so intelligent sein, das mitzubekommen.
({4})
Die nächsten 250 Millionen DM sind in der globalen
Minderausgabe enthalten und werden im Vollzug des
Haushalts erwirtschaftet. Die 500 Millionen DM, die die
Bundesregierung vertragsgemäß zahlen wird, sind sicher. Die deutschen Bergleute brauchen keine Angst zu
haben. Das, was Herr Rüttgers erzählt hat, ist schlichtweg gelogen.
({5})
Die Ausgangsposition ist Ihnen wohl immer noch
nicht klar. Herr Solms, Sie haben in der Vergangenheit
als Schatzmeister einige Probleme mit den Parteifinanzen gehabt; das weiß man. Die CDU hat jetzt aktuelle
Probleme; sie sucht überall unter dem Tisch 1 Million
DM. Aber 1,5 Billionen DM Schulden sind Ihre Schulden, da können Sie machen, was Sie wollen.
82 Milliarden DM Zinsen pro Jahr sind Ihre Zinsen. Das
ist die Ausgangsposition. Und uns gelingt es jetzt, mit
dem Sparpaket, dem Zukunftsprogramm und dem Haushalt 2000 endlich eine Umkehr zu erreichen, so daß wir
dafür sorgen können, daß wieder Ordnung herrscht.
Ein Wort zu den Renten: Hier ist die Unverschämtheit Ihrer Argumentation nicht mehr zu überbieten. Sie
haben die Rentnerinnen und Rentner 16 Jahre lang um
ihre jährliche Rentenerhöhung beschissen. Sie haben sie
im wahrsten Sinne des Wortes beschissen.
({6})
Wenn wir jetzt die Preissteigerungsrate zum Maßstab der
Rentenerhöhung im nächsten Juli machen, dann ist das
eine Verdoppelung der Rentenerhöhung im Vergleich zu
der Erhöhung in Ihren letzten Regierungsjahren.
({7})
Lieber Kollege
Wagner, Leidenschaft ist eine schöne Sache. Das gilt
auch für die rhetorische Leidenschaft, aber mit der
Wortwahl sollte man in diesem Plenum sehr achtsam
umgehen.
({0})
Herr Präsident, ich
verspreche Ihnen, daß ich nicht mehr sage, daß die Opposition die Rentnerinnen und Rentner beschissen hat,
sie hat sie nur im unklaren über die wirkliche Erhöhung
gelassen.
Meine Damen und Herren, die Rentenerhöhung, die
Walter Riester für das Jahr 2001 vorsieht, ist eine Vervierfachung der Rentenerhöhung, die Sie in den letzten
Jahren vorgenommen haben; dabei behaupten Sie, den
Rentnern werde etwas gekürzt. Es ist absoluter
Schwachsinn, was hier erzählt wird.
({0})
Ich komme nun zum Sozialversicherungskonzept
der Frau Schwätzer. Ach du lieber Gott, Sie haben 1993
als alte Bundesregierung vom Rechnungsprüfungsausschuß einstimmig den Auftrag erhalten - da hatten Sie
übrigens auch die Mehrheit -, eine Novelle zur Sozialversicherung vorzulegen. Dazu waren Sie nicht in der
Lage.
({1})
Über Ihren heutigen Antrag habe ich mich nur gewundert. Denn wir müssen auch in diesem Bereich Reformen vorantreiben, und zwar im Einvernehmen mit den
Betroffenen. Wir werden zusammen mit Walter Riester
im nächsten Frühjahr eine Novelle ausarbeiten, mit der
die Betroffenen zufrieden sein werden.
({2})
Sie sollten sich beruhigen und sich nicht von solchen
Schwätzereien irremachen lassen, denn sie stimmen
letztendlich nicht, auch, wenn sie von Frau Schwätzer
kommen.
({3})
Es gibt Anträge von Ihnen, in denen gefordert wird,
die aktive Arbeitsmarktpolitik auf Null zu setzen. Ein
solcher Antrag liegt vor, den können Sie nicht aus der
Welt diskutieren. Sie wollen die aktive Arbeitsmarktpolitik kaputtmachen.
({4})
- Sie waren doch gar nicht dabei. Fragen Sie mal Herrn
Koppelin, der weiß das besser.
({5})
- Das ist ja gut, dann sieh hinein.
Kollege Wagner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?
Nein.
({0})
Kollege Niebel, es
ist das Recht jedes Redners, eine Zwischenfrage zuzulassen oder nicht.
Ich nenne noch einen
Punkt: Haben Sie sich einmal überlegt, was wäre, wenn
Hans Eichel für die 1,5 Billionen DM Schulden, die Sie
ihm hinterlassen haben, Erbschaftsteuer zahlen müßte?
Wissen Sie, wie viele Milliarden er dazu bräuchte?
({0})
Sie haben noch nie darüber nachgedacht, was Sie da angerichtet haben. Sie haben die Rentenversicherung, den
Haushalt und die Finanzen ruiniert, und jetzt wollen Sie
das alles aus Ihrem Gedächtnis verdrängen. Ich habe
schon einmal gesagt: Es gibt Menschen mit einem
Langzeitgedächtnis, es gibt Menschen mit einem Kurzzeitgedächtnis, und hier gibt es Menschen ohne Gedächtnis.
Schönen Dank.
({1})
Nun hat die Kollegin
Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wenn wir die Finanzpolitik
dieser Regierung allgemein und insbesondere die drei
heute vorliegenden Gesetzentwürfe bewerten, kommen
wir zu dem Ergebnis: Das Schlimmste daran ist, daß
keine Solidität, keine Berechenbarkeit und keine Verläßlichkeit erkennbar sind.
({0})
Sie, lieber Herr Solms, haben recht gehabt: Auch dabei ist Kurs gehalten worden. Diesen Kurs hat diese Regierung vom Anfang ihrer Regierungszeit an durchgehalten. Ich will das gern begründen: Sie reden vom
Sparpaket, aber von Sparen kann gar keine Rede sein.
Den Haushalt 1999 haben Sie um 30 Milliarden DM
aufgebläht. Den Haushalt 2000 führen Sie aber lediglich
um 7,5 Milliarden DM zurück. Auf dem Weg dahin
schröpfen Sie die Rentner, kassieren Sie bei den Landwirten massiv ab, kürzen Sie die Investitionen und schaden damit dem Arbeitsmarkt. Auf dem Weg dahin verlagern Sie massiv Lasten des Bundes auf Länder und
Kommunen. Das ist kein Sparen, das ist Flickschusterei.
({1})
Der Kollege Wagner hat gerade die gestrigen Äußerungen des Kollegen Rüttgers angesprochen. Ich kann
mir vorstellen, daß es Ihnen schwerfällt, Herrn Rüttgers
zu glauben. Aber wenn Sie meinen, daß er nicht recht
hat, empfehle ich Ihnen, doch wenigstens Ihren eigenen
Parteifreund, den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Clement, anzuhören.
({2})
Er hat gesagt - nicht nur gestern, sondern auch heute -,
er halte dieses Ökosteuergesetz für falsch.
({3})
Damit werde der Wettbewerb zwischen den auf Kohleund Gasbasis arbeitenden Kraftwerken verfälscht.
({4})
Wenn Sie uns schon nicht glauben, dann schaffen Sie
wenigstens klare Verhältnisse in Ihren eigenen Reihen.
({5})
Kollegin Hasselfeldt,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte
zunächst einmal im Zusammenhang vortragen.
Jetzt möchte ich auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen, nämlich darauf, was noch in den Steuergesetzen, die wir heute beraten, enthalten ist. Es ist heute bisher fast nicht zur Sprache gekommen, daß Sie in dieses
Steuerbereinigungsgesetz die Besteuerung der Erträge
aus den Kapitallebensversicherungen hineingenommen haben, obwohl diese überhaupt nicht in dieses Gesetz hineinpaßt. Sie ist ein völliger Fremdkörper in diesem Gesetz. Warum gerade dies darin steht, bleibt Ihr
Geheimnis. Aber auch hier sollten Sie nicht nur auf uns,
sondern auch auf Ihre eigenen Kollegen, unter anderem
auf den Kollegen Schleußer aus Nordrhein-Westfalen,
hören, der der gleichen Meinung ist und sagt: Dieses
Vorhaben sollte im Zusammenhang mit der gesamten
Altersvorsorge geregelt werden.
({0})
Das ist auch unsere Meinung. Es paßt nicht in dieses
Gesetz. Es ist reine Schikane und weiteres Abkassieren.
({1})
Darüber hinaus enthält dieser Gesetzentwurf eine
Reihe von Korrekturmaßnahmen zum sogenannten
Steuerentlastungsgesetz, das wir erst vor einem halben
Jahr beschlossen haben.
({2})
Auch daran, daß ein im April dieses Jahres beschlossenes Gesetz ein halbes Jahr später in den Punkten korrigiert wird, die schon damals im April bzw. einige Wochen vor der Verabschiedung von uns kritisiert wurden,
merkt man die Unberechenbarkeit und die fehlende
Verläßlichkeit Ihrer Politik. Dies sind noch dazu Punkte,
die schon damals eindeutig EU-rechtswidrig waren. Herr
Minister Eichel, zu der Zeit hätten Sie das Schlimmste
noch verhindern können. Statt dessen haben Sie als
schon abgewählter Ministerpräsident noch die Hand zu
diesem Murks an Steuerpolitik gereicht.
({3})
Das im April dieses Jahres angerichtete Chaos ist
noch nicht beseitigt. Fast noch wichtiger als das, was
jetzt korrigiert wird, nämlich im wesentlichen die Änderungen bei den Werkvertragsunternehmen im Ausland
und bei den ausländischen Schachteldividenen, wäre
das, was nicht geändert wird. Es gibt eine ganze Reihe
von Notwendigem, was mit dem Steuerentlastungsgesetz von vor einem halben Jahr verabschiedet wurde und
insbesondere die mittelständische Wirtschaft erheblich
beschwert und belastet, was jetzt aus dem Gesetz herausgenommen werden müßte. Diese Chance müßte endlich ergriffen werden.
({4})
Es gibt im wesentlichen zwei Kritikpunkte. Zum
ersten: Sie haben mit diesem Gesetz die Wirtschaft, insbesondere die mittelständische Wirtschaft, erheblich zusätzlich belastet, indem Sie die Bemessungsgrundlage
verbreitert, aber die Steuersätze nicht entsprechend gesenkt haben. Zum zweiten sind eine Fülle von Vorschriften schlichtweg nicht handhabbar. Wenn schon der
Steuerberaterverband, der ja nicht irgendein Verband
ist, öffentlich zu einem „passiven Steuererklärungsstreik“ aufruft,
({5})
weil die Vorschriften, die in diesem Gesetz enthalten
sind, selbst von Fachleuten nicht anwendbar sind, dann
ist ein in diesem Land noch nie dagewesener Zustand erreicht: daß die Vollziehung eines Gesetzes bestreikt
werden soll, weil es nicht anwendbar ist. Das muß doch
Alarm geben und dazu führen, wenigstens diese Vorschriften zu ändern.
({6})
So sind wir in der Situation, daß Fachleute - auch die
politische Spitze des Ministeriums - auf öffentlichen
Veranstaltungen Änderungen an diesem Gesetz als notwendig hinstellen, beispielsweise mit Blick auf die
Verlustzuweisungsgesellschaften, auf die Verlustverrechnung, auch auf den Schuldzinsenabzug. Dies alles
sind Punkte, die auch von uns kritisiert wurden. Dadurch
werden Erwartungen geweckt. Ich frage mich, warum
das, wenn man dies erkannt hat, jetzt nicht geändert
wird. Es ist wie vor einem halben Jahr: Nur weil Sie
keinen Mut haben, zuzugeben, daß es falsch war, verschieben Sie die Korrekturen, ohne Rücksicht darauf,
welche Folgen das für Unternehmer, Steuerberater,
Wirtschaftsprüfer und die Steuerpflichtigen hat. So kann
man in diesem Land nicht verfahren.
({7})
Hinzu kommt, daß dieser Gesetzentwurf eine Fülle
von weiteren zusätzlichen Belastungen beinhaltet, die
gerade die mittelständischen Unternehmen treffen. Ich
nenne nur einige Punkte zur Änderung der Abgabenordnung: Zum ersten sind aus Betriebsprüfungen erwachsende Steuernachforderungen künftig über die volle
Zeit, nicht mehr begrenzt auf vier Jahre, zu verzinsen;
zum zweiten wird der Verspätungsvorschlag erheblich
erhöht; zum dritten beschränkt sich der Zugriff der Betriebsprüfung nicht mehr auf EDV-Daten, sondern wird
künftig bei ganzen EDV-Systemen möglich sein. Sie
machen auf der einen Seite eine chaotische Steuerpolitik, bei der kein Mensch mehr durchblickt, und auf der
anderen Seite erhöhen Sie in unverantwortlichem Ausmaß die Mitwirkungspflicht der Steuerpflichtigen. Dies
ist weder notwendig noch gerechtfertigt, das ist reine
Schikane.
({8})
Das Ganze setzt sich fort mit Ihren Versprechungen
zur Unternehmensteuerreform. Heute hat man davon
gesprochen, daß die Unternehmen um 8 Milliarden DM
entlastet werden sollten - nachdem sie vorher im Steuerentlastungsgesetz um zig Milliarden belastet wurden.
({9})
- Genau, um 30 Milliarden DM.
Ich will noch einmal die Historie der Behandlung dieses Gesetzentwurfs in Erinnerung rufen: Im Zuge der
Beratung des Steuerentlastungsgesetzes im Frühjahr dieses Jahres haben Sie sich angesichts der hohen Belastungen für die Wirtschaft zu der Aussage durchgerungen, Sie erarbeiteten demnächst eine Unternehmensteuerreform, die zum 1. Januar 2000 in Kraft treten solle.
({10})
Damals haben Sie gesagt, die Höchstbelastung der Unternehmen werde sich inklusive Gewerbesteuer auf
35 Prozent belaufen.
({11})
In der Zwischenzeit haben Sie von einer Entlastung um
8 Milliarden DM, vor einigen Wochen von 15 Milliarden DM gesprochen. Kein Mensch weiß mehr, was noch
gilt.
Derzeitiger Stand ist: Bis heute, Ende 1999 - zum
1. Januar 2000 sollte das Ganze in Kraft treten -, liegt
noch nicht einmal ein Referentenentwurf vor. Tatsache
ist, daß der Zeitpunkt des Inkrafttretens aus heutiger
Sicht auf das Jahr 2001 hingeschoben wird. Ob das tatGerda Hasselfeldt
sächlich so geschieht und ob überhaupt etwas kommt,
weiß kein Mensch. Tatsache ist ferner, daß man von der
Höchstbelastung von 35 Prozent inklusive Gewerbesteuer abgegangen ist. Und Tatsache ist auch, daß das
ganze Konzept noch völlig konfus ist, daß man nicht
weiß, wie zum Beispiel die Personengesellschaften behandelt werden sollen.
({12})
So verantwortungslos, so chaotisch darf man in der
Steuerpolitik nicht sein.
({13})
Gerade in der Steuerpolitik ist es notwendig, daß die
Bedingungen verläßlich sind, damit sich Unternehmen
und Steuerpflichtige mit ihren Investitionsentscheidungen darauf einstellen können. Sie können nicht bis
zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten, bis irgend etwas
kommt.
({14})
Ganz abgesehen davon, daß das alles leere Versprechungen sind, haben sich die Grünen davon mittlerweile
auch öffentlich distanziert. Aber wenn es darauf ankommt, werden sie - wie das schon in der Vergangenheit der Fall war - dem Schwachsinn doch zustimmen.
Das haben wir alles schon erlebt.
({15})
Abgesehen von all diesen leeren Versprechungen ist
auch das Konzept falsch. Wenn jetzt schon zu einem
Zeitpunkt, in dem wir noch gar nicht voll in der Beratung, sondern erst im Vorfeld des Entwurfs sind, die
Fachleute, also die Verfassungsrechtler, die Wirtschaftsprofessoren, sagen, dies kann nicht funktionieren, das
wird auch verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen,
({16})
dann müßte man doch schon in diesem Stadium sehen,
daß dies eine Mißgeburt wird. Eine Operation an einer
Mißgeburt macht die Mißgeburt nicht besser, sondern
dann muß man von Grund auf etwas Neues erarbeiten.
({17})
Deshalb führt gar kein Weg daran vorbei, daß Sie ein
schlüssiges Steuerkonzept vorlegen, eine Steuerreform
mit einer Nettoentlastung. Die Steuerschätzung hat
deutlich gemacht, daß das Volumen dafür vorhanden ist.
Diese Steuerreform muß niedrige Steuersätze haben, und
zwar für den gesamten Tarif: unten und oben, für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, für Körperschaften und
Personenunternehmen.
Sie müssen eine Steuerreform machen, die wirklich
verständlich ist, nicht kompliziert, sondern anwendbar.
Dann laufen Ihnen vielleicht auch die Wähler nicht mehr
davon. Daß Ihnen die Wähler davonlaufen, wie das in
der Vergangenheit war, ist Ihr Problem, nicht unseres.
Aber das Problem, das uns alle gemeinsam betrifft, ist
die Situation und die weitere wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes. Um diese positiv zu gestalten, ist
ein Kurswechsel Ihrer Politik notwendig.
({18})
Ich erteile dem Kollegen Joachim Poß das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Kollegin Hasselfeldt, ich
stelle fest, daß Sie ein gebrochenes Verhältnis zur
Wahrheit und zu Tatsachen haben.
({0})
Der Kollege Wagner hat in seiner Rede wahrheitsgemäß festgestellt, daß der NRW-Landesvorsitzende der
CDU, Rüttgers, gestern hier im Parlament gelogen hat,
als er sagte, daß 250 Millionen DM Kohlehilfen gestrichen würden. Das ist, wie Kollege Wagner zu Recht
feststellte, eine glatte Lüge.
({1})
Sie haben vorhin in Ihrem Beitrag - das werden wir
im Protokoll feststellen, das lasse ich Ihnen nicht durchgehen - den Eindruck erweckt, als ob der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Clement diese wahrheitswidrige Behauptung von Herrn Rüttgers stützt. Das
tut er nicht. Herr Clement hat sich zwar kritisch zu dem
Ökosteuergesetz, insbesondere zu der GuD-Regelung,
geäußert.
({2})
Aber er hat mit keinem Wort die wahrheitswidrige Behauptung von Herrn Rüttgers, daß 250 Millionen DM
Kohlehilfen gestrichen würden - sei es öffentlich, sei es
intern -, gestützt. Das aber haben Sie vorhin hier festgestellt. Ich fordere Sie ausdrücklich auf, diese wahrheitswidrige Behauptung zurückzunehmen, Frau Kollegin Hasselfeldt.
({3})
Kollegin Hasselfeldt,
Sie haben die Gelegenheit zur Antwort.
Herr Kollege Poß,
ich habe mich auf die grundsätzliche Bemerkung des
Kollegen Wagner zu der gestrigen Einlassung des Kollegen Rüttgers bezogen. Ich bin nicht Mitglied des
Haushaltsausschusses, aber nach meinen Informationen
ist die Äußerung in bezug auf die 250 Millionen DM
Kohlehilfen, die Kollege Rüttgers gestern gemacht hat,
richtig. Das wird von den Kollegen des Haushaltsausschusses bestätigt.
({0})
Ich persönlich habe in meiner Einlassung nicht von den
250 Millionen DM gesprochen, sondern habe mich auf
die grundsätzliche Kritik des Herrn Wagner an Herrn
Rüttgers bezogen.
Ich bleibe dabei, daß Sie in Ihren eigenen Reihen in
bezug auf die Ökosteuer Klarheit schaffen sollten. Wenn
sich ein Ministerpräsident Ihrer eigenen Partei, der Ministerpräsident des großen Landes Nordrhein-Westfalen,
gegen ein Gesetz stellt, das Sie hier trotz des eindeutig
entgegenstehenden Sachverstandes beschlossen haben,
dann ist das notwendig. Das ist der Punkt, den ich kritisiert habe; dabei bleibe ich.
({1})
Ich erteile nun dem
Kollegen Klaus Müller, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Tage macht die rotgrüne Koalition mit einer Kombination aus Haushaltssanierungsgesetz und Familienförderungsgesetz mit dem
Thema Generationengerechtigkeit Ernst.
({0})
Wir machen in doppelter Hinsicht Ernst. Wir sorgen dafür, daß der nächsten Generation nicht weiterhin die
Schulden hinterlassen werden, die Ihre alte Regierung
aufgetürmt hat. Dies ist das eine, was wir tun.
({1})
Dadurch, daß wir die Debatte über das Familienförderungsgesetz mit der Debatte über das Haushaltssanierungsgesetz verknüpfen, machen wir auch deutlich, daß
wir nicht nur an die nächste Generation, sondern auch an
die Generation, die zur Zeit aufwächst, und an die Generation, die Kinder großzieht, denken. Dies wird daran
deutlich, daß wir durch das Familienförderungsgesetz
zusätzliche Mittel ausschütten, während wir in allen anderen Ressorts - mit Ausnahme des Bildungsbereichs;
dies hat ebenfalls etwas mit Generationengerechtigkeit
zu tun - sparen, und zwar zu Recht, auch wenn es
schwerfällt. Aber im Bereich der Familienförderung legt
Rotgrün drauf. Verehrte Kollegin Höll, Sie kommen
nicht darum herum, anzuerkennen, daß Rotgrün für die
Familien wesentlich mehr tut, als vom Gesetzgeber vorgeschrieben wird.
({2})
Damit es überhaupt keine Spekulationen um die
Zahlen gibt, möchte ich darauf hinweisen: Rotgrün hat
in den ersten 15 Monaten der Regierungszeit das Volumen des Kindergeldes von 50 Milliarden DM auf 60
Milliarden DM erhöht. Dies ist eine deutliche Steigerung, die richtig und notwendig ist.
Des weiteren haben wir mit dem vorliegenden Familienförderungsgesetz eine sehr konsequente Familienpolitik betrieben. Ich möchte bei dieser Gelegenheit
ausdrücklich darauf hinweisen - nicht weil irgend jemand einen Antrag im Finanzausschuß gestellt hat;
vielmehr ist es zwischen Rotgrün vereinbart worden -,
daß wir nach Maßgabe des Urteils aus Karlsruhe, daß
die Familien über das sächliche Existenzminimum
hinaus gefördert werden müssen, Familien berücksichtigt haben, die von Sozialhilfe leben.
Ich möchte an dieser Stelle an die Kollegen Fugmann-Heesing und Gerster, die sich in der Öffentlichkeit
kritisch zum Familienförderungsgesetz geäußert haben,
die eindringliche Bitte richten, sich im Bundesrat zur
Unterstützung des Gesetzes durchzuringen und zu der
Einsicht zu gelangen: Durch das Familienförderungsgesetz werden alle Kinder berücksichtigt. Es kann nicht
Aufgabe von Rotgrün sein, zwischen Kindern von Sozialhilfeempfängern und von Erwerbstätigen zu differenzieren. Alle Familien mit Kindern sollen von einer Erhöhung des Kindergeldes bzw. durch eine Berücksichtigung im Rahmen der Sozialhilfe profitieren. Dies ist ein
Signal für mehr soziale Gerechtigkeit.
({3})
Zu all den Einwänden, die es in der platten öffentlichen Debatte zum Stichwort Lohnabstandsgebot gibt,
möchte ich deutlich sagen: Dieses Gebot ändert sich
nicht durch das vorliegende Gesetz, ganz im Gegenteil:
Rotgrün hat durch das Steuerentlastungsgesetz sukzessive mehr Anreize für die Menschen geschaffen, die in
Arbeit stehen. Es ist richtig, wenn es jetzt im Familienförderungsgesetz einen Ausgleich für Sozialhilfeempfänger gibt.
Die Opposition in der heutigen Debatte relativ wenig
- wenn Sie etwas gesagt haben, war es verschämt - zur
Familienförderung gesagt. Dafür gibt es einen guten
Grund; denn durch das Familienförderungsgesetz werden die Familien jedes Jahr um 5,5 Milliarden DM entlastet. Im nächsten Jahr sind es sogar 900 Millionen DM
mehr. Das sind genau die 900 Millionen DM, die Sie
den Familien vorenthalten haben und mit denen Sie die
Familien zuviel belastet haben. Für diese Politik sollten
Sie sich schämen.
({4})
Ich möchte an dieser Stelle noch einen Ausblick auf
das Jahr 2002 geben. Die Familienpolitik von Rotgrün
wird auch zu diesem Zeitpunkt nicht zu Ende sein, weil
wir noch in dieser Legislaturperiode eine zweite Stufe
des Familienförderungsgesetzes beschließen werden. In
diesem Zusammenhang sind mir drei Punkte besonders
wichtig, um die wir uns bei der Vorbereitung des nächsten Gesetzes kümmern sollten, damit den Menschen
klar wird, worin der Unterschied zwischen einem rotgrünen Familienförderungsgesetz und einem Familienförderungsgesetzgesetz anderer Parteien besteht, und
warum es richtig ist, Rotgrün auch bei den kommenden
Wahlen zu unterstützen.
Das erste: Wir verfolgen weiterhin das Ziel, jede Familie mit Kindern gleichermaßen steuerlich zu entlasten.
Dies ist im Rahmen des bestehenden Systems durch
weitere Erhöhungen des Kindergeldes möglich. Wir
werden in ernste Verhandlungen mit den Haushältern
und mit dem Finanzminister eintreten müssen, um dieses
Ziel auch mit der zweiten Stufe zu erreichen.
Wenn Sie mit den Menschen auf der Straße reden,
dann werden Sie feststellen, daß niemand nachvollziehen kann, warum auf Grund der Steuerprogression Menschen, die ein höheres Einkommen haben, stärker entlastet werden müssen. Darum halten wir an dem Ziel eines
Kindergrundfreibetrages fest, der alle Kinder gleichermaßen entlastet, unabhängig davon, ob die Eltern
Millionäre sind oder arbeiten bzw. einer sonstigen Beschäftigung nachgehen.
({5})
Das zweite: Wir verfolgen ein modernes Partnerschaftsbild. Wir hängen nicht der Vorstellung an, daß
alle Menschen nur in der Ehe glücklich sein und gut für
Kinder sorgen können. Natürlich kann man auch in der
Ehe glücklich sein, aber eben auch in anderen Formen
des Zusammenlebens. Daher halten wir es für notwendig, über die Individualbesteuerung nachzudenken, anstatt das Ehegattensplitting, wie es die PDS vorschlägt,
hoppla hopp abzuschaffen. Das wäre eine unseriöse Politik, die die Menschen verunsichert. Richtig ist aber, das
Ehegattensplitting zu reformieren und in ein Realsplitting umzuwandeln. Auch daran halten wir von grüner
Seite fest.
Das dritte: Alleinerziehende, denen das Urteil von
Karlsruhe wahrlich nichts Positives beschert hat, werden
wir weiterhin im Blick behalten. Eine Schlechterstellung
wollen wir auch in der zweiten Stufe vermeiden.
An dieser Stelle möchte ich auf eine Frage der Kollegin Ina Lenke zurückkommen, die sie in der ersten Debatte über das Familienförderungsgesetz gestellt hatte.
Damals wollte sie wissen, ob es nicht ein Widerspruch
sei, auf der einen Seite die Familien mit der Ökosteuer
zu belasten und auf der anderen Seite die Familien entlasten zu wollen. Frau Lenke, ich habe das einmal nachgerechnet.
Kollege Müller, Frau
Lenke möchte Ihnen gerade eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte den begonnenen Gedanken kurz
zu Ende führen. Wenn Sie noch eine Minute warten, lasse ich Ihre Zwischenfrage gerne zu.
Ich nehme eine vierköpfige Familie mit einem Bruttoeinkommen von 70 000 DM. Nach den beiden ersten
Stufen der Ökosteuer - nicht nur nach der ersten, sondern bereits ab nächstem Jahr - hat diese Familie unter
Berücksichtigung der Absenkung der Lohnnebenkosten
eine Nettobelastung von 78 DM im Jahr. Das sind pro
Monat und Kopf 1,63 DM, also zwei Kugeln Eis oder
zwei Schokoriegel, weniger. Allein durch unser Familienförderungsgesetz steht dem bei dieser Familie eine
Entlastung von 1 200 DM pro Jahr gegenüber. Das sind
pro Monat pro Kopf 25 DM. Dafür müssen wir uns nicht
schämen. Im Gegenteil, wir können sagen, Rotgrün entlastet netto die Familien.
({0})
Nun ist Gelegenheit
zu einer Zwischenfrage.
Was Ihre Berechnung angeht,
Herr Müller, würde ich sagen: „Alles Müller, oder was“.
({0})
Die Berechnung, die Sie angestellt haben, stimmt hinten
und vorne nicht.
Ich frage Sie, Herr Müller, warum Sie sagen, daß die
Alleinerziehenden bei Ihrem rotgrünen Familienförderungsgesetz gut weggekommen seien. Sie wissen, daß es
der Betreuungsbetrag nach § 33c Einkommensteuergesetz möglich machte, mit Nachweis 4 000 DM bei der
Einkommen- oder Lohnsteuer abzusetzen, während Sie
jetzt bei 3 024 DM gelandet sind. Könnten Sie mir erklären, wie Sie das als Positivum für die Alleinerziehenden
hinstellen können?
Liebe Kollegin, vielen Dank für Ihre Frage.
Leider haben Sie in Ihrer Frage eine Situation geschildert, die so nicht stimmt. Erstens ist richtig, daß zwar in
der Vergangenheit für das erste Kind die Möglichkeit
bestand, 4 000 DM abzuziehen. Für das zweite und alle
folgenden Kinder waren es aber nur 2 000 DM. Zweitens müssen Sie ehrlicherweise hinzufügen, daß es in der
Vergangenheit einen Eigenvorbehalt gab.
({0})
- Danke, Frau Kollegin, dazu wollte ich gerade kommen: Drittens war es nur mit Nachweis möglich.
({1})
Rotgrün dagegen wird im Familienförderungsgesetz
für alle Kinder gleichermaßen 3 024 DM einführen. Das
heißt, bei einem Kind beträgt die Entlastung 3 024 DM,
bei zwei Kindern sind es schon 6 048 DM und bei drei
Kindern weit über 9 000 DM. Gerade kinderreiche Familien werden durch unsere Politik bessergestellt. Außerdem ist das ein Pauschalbetrag. Das heißt, jeder kann
sich das anrechnen lassen, ohne den Betrag nachweisen
zu müssen. Das hat etwas damit zu tun, daß wir nicht
mehr zwischen Fremdbetreuung und Eigenbetreuung
differenzieren. Das ist an dieser Stelle ein Fortschritt.
Insofern glaube ich, daß Sie sich bei Ihren Kollegen, die
im Finanzausschuß sind, erkundigen sollten. Die werden
es Ihnen genau darlegen.
Klaus Wolfgang Müller ({2})
Herr Kollege Müller,
gestatten Sie noch eine Nachfrage der Kollegin Lenke?
Ich gestatte gerne eine zweite Frage.
Herr Müller, ich kann selber
rechnen und brauche keinen Nachhilfeunterricht von
Kollegen aus dem Finanzausschuß.
({0})
Herr Müller, stimmen Sie meiner Aussage zu, daß für
das erste Kind 4 000 DM Kinderbetreuungskosten im
Jahr mit Nachweis mehr als 3 024 DM ohne Nachweis
sind?
({1})
Frau Lenke, dies ist zweifelsohne richtig.
Aber ich habe Ihnen eben erklärt, daß es nichts mit der
Realität zu tun hat, wenn Sie zwei Zahlen isoliert miteinander vergleichen. Ich glaube zwar, daß die liberale
Welt Ihrer Partei sehr einfach gestrickt ist;
({0})
das hat etwas mit Gut und Böse und schwarz und weiß
zu tun. Die Wirklichkeit ist aber etwas komplizierter.
({1})
Wenn Sie nicht die Rahmenbedingungen - etwa den
Eigenanteil oder die Frage von zwei und mehr Kindern berücksichtigen, dann greift Ihr Bild zu kurz.
Trotzdem möchte ich den Kern Ihrer Frage beantworten: Wir haben dieses geprüft. Es gibt eine Sonderauswertung der Lohn- und Einkommensteuerstatistik
- Ihre Kollegen können sie Ihnen nachreichen -, auf
Grund derer man die Fragen stellen kann: Worüber reden wir eigentlich? Wen betrifft das denn real? Bei
95 Prozent aller alleinerziehenden Familien, von denen
wir reden, können wir dieses definitiv ausschließen.
Leider ist die Statistik nicht differenziert genug, um zu
unterscheiden, ob es sich um Ein- oder Zwei-KindFamilien bei Alleinerziehenden handelt. Insofern kann
man diese Aussage nicht für den letzten Rest treffen.
Aber das Entscheidende ist, daß uns das Urteil aus
Karlsruhe aufgegeben hat - das können wir leider nicht
ändern -, Alleinerziehende und Eltern gleich zu behandeln. Darum sage ich Ihnen deutlich - ich hoffe dabei
auf die Unterstützung der F.D.P. -, daß wir dann zu einer Gleichbehandlung
({2})
- Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen will - von
Menschen mit Trauschein und Menschen ohne Trauschein kommen. Dazu gehört ein gleich hoher Freibetrag
für beide Seiten; dazu gehört aber auch, darüber zu reden, wie wir das Ehegattensplitting in einen direkten
Zuschuß für das Zusammenleben mit Kindern umwandeln können, und dazu gehört ein deutlich höheres Kindergeld. Dann haben wir tatsächlich alle Kinder gleichgestellt und bessergestellt. Das ist eine richtige Politik;
Rotgrün macht sie.
({3})
Ich möchte den letzten Rest meiner Redezeit noch
kurz für das Steuerbereinigungsgesetz nutzen. Frau Hasselfeldt, Sie haben eben die Lebensversicherungen angesprochen. Ihre Politik war es, in gültige Verträge einzugreifen; das war unsozial. Ihre Politik war es, auch
gegen diese Steuersubventionen vorzugehen. Das haben
Sie vergessen; das ist Folge Ihres Kurzzeitgedächtnisses.
Darum sage ich Ihnen: Wenn Sie das im Bundesrat
blockieren - das können Sie gerne tun -, sehen wir uns
nächstes Jahr wieder. Wir werden dann darüber reden,
wie wir die private Altersvorsorge systematisch stärken,
indem wir zu einem Wechsel der Besteuerung und zu
einer nachgelagerten Besteuerung kommen. Ich bin gespannt, ob Sie auch dann noch zu Ihren starken Worten
stehen werden.
Insgesamt gesehen muß man sagen: Sie haben viele
Anträge gestellt, um Steuerschlupflöcher wieder zu öffnen. Das ist Ihre Politik. Sie halten schöne Reden, wonach Sie Steuersätze senken und die Bemessungsgrundlage verbreitern wollen. In Wahrheit drücken Sie sich
davor. Das ist feige und unredlich. Das ist nicht die Politik von Rotgrün.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile nun das
Wort dem Bundesminister Walter Riester.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! 1 500 Milliarden DM Schulden: Sie weisen
zum Teil zu Recht darauf hin, daß das auch mit den
Zwängen des deutschen Einigungsprozesses zu tun hat.
Deswegen will ich auch nicht mit den Schuldnern über
den Grad der politischen Schuld richten. Ich denke, die
Bevölkerung weiß sehr genau,
({0})
daß Sparen erforderlich ist. Die Bevölkerung will aber
auch wissen, wofür gespart wird. Deswegen möchte ich
mich in meinem Beitrag mit der Frage auseinandersetzen: Wofür wird gespart? Was wird korrigiert?
Wir haben als erste Maßnahme korrigiert, daß in der
Rentenversicherung die Beitragszahler mit versicherungsfremden Leistungen belastet werden. Wir haben
in diesem Jahr die Rentenversicherung um 16,8 Milliarden DM entlastet und werden sie im nächsten Jahr um
25 Milliarden entlasten. Wir haben das beseitigt, was
in der öffentlichen Diskussion zu Recht kritisiert wurde,
nämlich daß die Politik die Sozialversicherungen belastet.
({1})
Zweiter Punkt. Sie haben in den letzten fünf Jahren
zugelassen, daß die Rücklagen der Rentenversicherung um 20,8 Milliarden zurückgegangen sind. Im letzten Jahr waren gerade noch für 21 Tage Rücklagen in
der Rentenversicherung vorhanden.
({2})
Das haben wir geändert. Ab diesem Jahr gilt wieder das
vom Gesetz vorgeschriebene Minimum von einer Monatsrücklage. Wir haben die Rücklage um 8,7 Milliarden
weiter aufgestockt, und wir werden am Ende des Jahres
eine um 100 Millionen DM höhere Rücklage haben, als
sie das Gesetz erfordert.
({3})
Dritter Punkt. Sie haben - das geschah völlig im System - vier Jahre hintereinander die Renten unterhalb
der Preissteigerungsrate angehoben. Ich werfe Ihnen
nicht vor, daß das gegen das System war. Nur, den
Rentner interessiert das System erst in zweiter Linie.
({4})
Den Rentner interessiert in erster Linie die Höhe der
Rentensteigerung. Das hat etwas mit Planbarkeit zu tun.
Wir werden in den nächsten beiden Jahren die Renten
im Rahmen der Preissteigerungsrate des jeweiligen
Vorjahres anheben. Das bedeutet, daß die Renten zwar
geringer als die Löhne und die Gehälter steigen werden;
aber wir werden die Kaufkraft sichern. In den letzten
vier Jahren Ihrer Regierungszeit ist die Kaufkraft des
Durchschnittsrentners um 3,4 Prozent - in D-Mark: um
41 DM - gesunken.
({5})
Die Menschen wollen wissen, wofür gespart wird.
Wir werden damit eine Entlastung der Rentenversicherung in einem Volumen von rund 60 Prozent des von
Ihnen bis zum Jahr 2030 angesetzten Demographiefaktors sicherstellen.
({6})
Wir haben die Beiträge zur Rentenversicherung gesenkt, und wir werden sie in sechs Wochen erneut senken. Die Absenkung um 1 Prozent bedeutet eine Entlastung von 18 Milliarden DM.
({7})
Davon gehen 7,5 Milliarden DM an die Betriebe und
7,5 Milliarden DM an die Beitragszahler.
({8})
- Sie brauchen nicht dazwischenzuschreien, Herr Niebel. - Um es etwas einfacher auszudrücken: Der durchschnittliche Beitragszahler - Sie sind keiner, weil Sie
keine Mark einzahlen
({9})
- wird im nächsten Jahr durch die Absenkung der Beitragssätze um netto 272 DM entlastet. Diese Absenkung
werden wir fortsetzen.
Ich komme zum Beitrag von Herrn Austermann.
Zwar sehe ich ihn gar nicht mehr; aber ich gehe davon
aus, daß ihm mitgeteilt wird, was ich jetzt sage.
({10})
Sein Ansatz rechnet sich nicht. Bis zum Jahr 2002 werden wir die Rentenversicherungsbeiträge auf 18,9 Prozent senken. Würden Sie noch regieren, läge der Rentenversicherungsbeitrag im Jahr 2002 bei 21,5 Prozent.
Durch unsere Politik werden die Beitragszahler zur
Rentenversicherung und der Bund um über 45 Milliarden DM - das ist die Differenz - entlastet. Sie haben zu
Recht die zusätzlichen Belastungen durch die Ökosteuer
angeführt. In der Parallelrechnung - zusätzliche Belastung durch die Ökosteuer und Entlastung durch die
Senkung der Rentenversicherungsbeiträge - zeigt sich,
daß wir unterm Strich eine höhere Entlastung schaffen.
Der Bürger möchte wissen, wofür gespart wird. Wir
sparen auch für eine aktive Arbeitsmarktpolitik.
({11})
Ein paar Hinweise: Wir haben für ein Jugendsofortprogramm gespart, von dem wir nach konservativer Schätzung annahmen, daß es 100 000 neue Chancen für junge
Menschen schaffe.
({12})
Bis zum Ende des letzten Monats haben sich 199 000
junge Menschen an dem Programm beteiligt. Das sind
199 000 neue Chancen für Ausbildung und Arbeit.
({13})
Wären diese 199 000 neuen Chancen für junge Menschen das einzige, dann würde ich mich mit Freude hier
hinstellen und sagen: Das ist eine gute Bilanz.
({14})
Der Bürger will wissen, wofür investiert wird. Mittlerweile ist Herr Austermann wieder da. Gestern habe
ich ihm auf Nachfrage geantwortet, wie es mit den
Langzeitarbeitslosen ist. Wir haben die Anzahl der
Langzeitarbeitslosen innerhalb von einem Jahr um über
50 000 abgesenkt. Das hat Herrn Austermann aber nicht
daran gehindert, sich hier hinzustellen und vor laufenden
Kameras zu sagen, die Anzahl der Langzeitarbeitslosen
sei höher. Herr Austermann, was soll ich dazu sagen?
({15})
Entweder Sie hören nicht zu, oder Sie sagen ganz bewußt dem deutschen Volk und dem Parlament die Unwahrheit. Sie können es sich aussuchen.
({16})
Der Bürger möchte wissen, wofür gespart wird. Wir
sparen, damit künftige Generationen, die einen Anspruch darauf haben, daß Politik für sie gemacht
wird, eine Perspektive haben. Ich sage Ihnen als Arbeitsund Sozialminister: Ich gehe gern den Weg mit Hans
Eichel und mit dieser Regierung, weil wir wissen, wofür
wir Opfer verlangen, nämlich für die Zukunft der Menschen draußen im Lande. Diese Politik wird sich durchsetzen.
({17})
({18})
Das Wort hat nun
Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der endlich in Angriff genommenen Haushaltssanierung und dem Familienförderungsgesetz nehmen die Regierung und die sie tragenden
Fraktionen eine doppelte Verantwortung wahr, so daß
wir dieses Paket zu Recht als Zukunftsprogramm bezeichnen können.
({0})
Diese doppelte Verantwortung wird zum einen darin
deutlich, daß wir auf die nachfolgenden Generationen
Rücksicht nehmen, indem wir endlich die Staatsfinanzen
in Ordnung bringen, so daß sie beispielsweise auch in
Zukunft noch gute Schulen besuchen können und Chancen auf Ausbildungsplätze in neuen Technologien haben, und zum anderen darin, daß wir die Familien durch
ein ganz konkretes Familienförderungsgesetz, das wir
heute verabschieden werden, fördern.
Bereits mit dem Steuerentlastungsgesetz haben wir,
ohne daß Vorgaben vom Bundesverfassungsgericht gemacht wurden - Sie haben doch immer gewartet, bis das
Bundesverfassungsgericht Vorgaben gemacht hatte; erst
dann haben Sie gehandelt -, das Kindergeld zum 1. Januar 1999 um 30 DM erhöht.
({1})
Noch eines möchte ich deutlich machen, damit das
ein für allemal klar ist: Frau Höll sprach davon, daß es ja
nur um geringe Geldbeträge ginge. Eine Erhöhung des
Kindergeldes um 10 DM bedeutet aber,
({2})
daß wir in den Familien 1,9 Milliarden DM geben. Ich
sage es noch einmal: Durch die Erhöhung des Kindergeldes um 10 DM werden den Menschen 1,9 Milliarden
DM zurückgegeben.
({3})
Von Verantwortung zeugt es auch, auf der einen Seite
durch die Sanierung der Staatsfinanzen für Ausgabenbegrenzungen zu sorgen und auf der anderen Seite dafür zu
sorgen, daß auch diejenigen, die viel Geld verdienen das ist ja völlig in Ordnung so -, zur Finanzierung der
Gesellschaft entsprechend beitragen.
({4})
Auch das haben wir mit dem Steuerentlastungsgesetz erreicht. Wir haben nämlich sehr viele Steuerschlupflöcher geschlossen.
Bei den Beratungen im Finanzausschuß wurde noch
etwas anderes sehr deutlich: Wir wußten ja immer, daß
Minister Waigel der Herr der Löcher war. Daß Sie sich
jetzt aber, wie es während der Beratungen des Finanzausschusses geschah, zu den Herren der Steuerschlupflöcher machen, das war äußerst witzig und interessant zu
beobachten.
({5})
Verantwortliches Handeln heißt auch, daß wir uns im
Kleinen um die Entlastung der Familien kümmern. Für
unverantwortlich halte ich es zum Beispiel, daß Sie sich
während der ganzen letzten Jahre konsequent geweigert
haben, unseren Anträgen zuzustimmen, erwachsenen
behinderten Kindern ein Teilkindergeld zuzugestehen.
Unverantwortlich von Ihnen war es, daß Sie sich geweigert haben, zum Beispiel jungen Menschen, die in Europa ihren freiwilligen Dienst geleistet haben, Kindergeld
zuzugestehen. Erst wir haben das umgesetzt.
({6})
Ich bin ganz sicher: Wären Sie noch an der Regierung,
hätten Sie weiterhin so unverantwortlich gehandelt. Wir
haben das geändert. Es ist ja kein Zufall, daß durch den
Regierungswechsel in diesen Bereichen ganz plötzlich
Veränderungen möglich wurden.
Wir werden uns große Mühe geben - und das entsprechend vorbereiten -, auch die zweite Stufe des Familienentlastungsgesetzes ordentlich zu machen. Auch
sie soll Ausdruck verantwortlichen Handelns sein. Wir
kümmern uns um Steuergerechtigkeit und um Familienentlastung. Wir sehen mit Vergnügen, daß die CDU/
CSU und die F.D.P. hier zwar Anträge einbringen, die
viel Geld kosten, sich aber immer noch nicht über die
Linie ihrer Familienpolitik im klaren sind. Sie streiten
immer noch über den Weg, den sie im Bereich der
Familienpolitik gehen wollen.
({7})
Ich kann nur an Sie appellieren: Sie sollten sich heute
nicht so schwer dabei tun, richtige Schritte, die wir unternehmen, anzuerkennen. Sie sollten sich nicht so
schwer dabei tun, dem zuzustimmen, nur weil Sie es
nicht geschafft haben, Haushaltssanierung und Steuerentlastung miteinander zu verbinden. Überlegen Sie
sich, ob Sie nicht doch zustimmen können, ob Sie die
Verantwortung für die Familien und für die zukünftigen
Generationen nicht ein Stück mittragen wollen statt nur
destruktive Oppositionsarbeit zu betreiben.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hermann Kues, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst
einmal mit der Mär aufräumen, Sie hätten etwas Durchgreifendes für die Familien getan. Das stimmt einfach
nicht.
({0})
Das stimmt einfach deswegen nicht, weil Sie nur das
Minimum dessen, was das Bundesverfassungsgericht
verlangt, nachvollziehen. Deswegen ist das, was Sie
vorlegen, mutlos, unehrlich und verantwortungslos.
({1})
Kollege Kues, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?
Ich gestatte eine
Zwischenfrage.
Herr Kollege, haben Sie
etwa vergessen, daß bei der Diskussion um das Steuerentlastungsgesetz 1999 sowohl Kollegen aus Ihrer Fraktion wie auch Kollegen aus der Fraktion der F.D.P. unsere Kindergelderhöhung um 30 DM als unnötiges
Weihnachtsgeschenk bezeichnet haben?
({0})
Haben Sie das wirklich vergessen? Die Tatsache, daß
Sie unsere weitere Kindergelderhöhung als zu gering
kritisieren, steht in keinem logischen Verhältnis zu Ihrem Verhalten beim Steuerentlastungsgesetz 1999.
({1})
Frau Kollegin, ich
will Ihnen einmal sagen, was die Familienverbände, mit
denen Sie häufig argumentieren, dazu gesagt haben. Sie
haben gesagt, das, was SPD und Grüne vorlegen, sei eine Billiglösung. Dem ist nichts hinzuzufügen.
({0})
Ich will Ihnen einmal zwei Zahlen nennen, damit
deutlich wird, wer wirklich etwas gemacht hat. Alles,
was Sie jetzt für die Familien zusätzlich tun, hat ein
Volumen von 1, 2 Milliarden DM. Jetzt sollten wir einmal auf unsere Regierungszeit zurückblicken. Von 1982
bis 1998 sind die Ausgaben für Familien von
27 Milliarden DM auf 80 Milliarden DM erhöht worden.
Das ist eine wirkliche Kraftanstrengung gewesen.
({1})
Kollege Kues, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin von
Renesse?
Nein, ich möchte
jetzt zu Ende reden.
Ich glaube, das Problem ist, daß Sie, wie in der
Sozial- und Rentenpolitik, auch in der Familienpolitik
völlig konzeptionslos sind. Ich will Ihnen das auch belegen. Wenn Sie wirkliches Interesse an den Familien und
an denen, die die Elternverantwortung wahrnehmen,
hätten, dann hätten Sie in den Ländern, in denen Sie
teilweise seit Jahren Verantwortung tragen, ein Landeserziehungsgeld einführen können. Wo haben wir das
Landeserziehungsgeld? Nur in unionsgeführten Ländern,
weil uns die Familien wichtig gewesen sind.
({0})
Ich persönlich halte es auch für falsch - das will ich
ganz offen sagen -, daß Sie das Kindergeld nicht auf die
Sozialhilfe anrechnen wollen. Das ist eine schöne Botschaft und hört sich gut an. Aber es geht zu Lasten der
Arbeitnehmerfamilien. Es geht zu Lasten des durchschnittlichen Arbeitnehmers mit zwei, drei Kindern, der
für seine Familie arbeiten gehen muß. Er hat das Gefühl,
er wird hier erneut benachteiligt. Deswegen ist das ordnungspolitisch falsch, auch wenn es sich gut anhört.
({1})
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur Sozialpolitik allgemein machen. Ich habe das Gefühl: Ihr Problem ist, daß Sie überhaupt kein Leitbild haben und daß
Sie sich überhaupt nicht darüber im klaren sind, wieviel
der einzelne an Verantwortung und wieviel die Gesellschaft an Verantwortung tragen soll. Diese Haltung
schlägt sich in einem treffenden Kommentar vom
11. November der „Frankfurter Rundschau“ nieder, die
relativ unverdächtig ist, uns nahezustehen. Unter der
Überschrift „Superschlau“ steht:
Was will Walter Riester? Selbst wohl gesonnenen
Beobachtern fällt es schwer, auf diese Frage eine
klare Antwort zu geben.
({2})
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({3})
Ich habe zeitweise selbst schon geglaubt, bei unserem
Vorwurf „Rente nach Kassenlage“ sei sozusagen die
Propaganda mit uns etwas durchgegangen. Aber angesichts der Tatsache, daß Sie die massiven und willkürlichen Eingriffe ins Rentenrecht unter dem Stichwort
Haushaltssanierungsgesetz durchführen, wird ganz klar,
was Sie wollen: Sie wollen den Menschen Renten so
zahlen, wie es die Kassenlage gerade hergibt. Sie versuchen, dies zu verschleiern. Das ist das Schäbige an Ihrer
Argumentation.
({4})
Vor kurzem ist ein Strategiepapier aus dem Arbeitsministerium bzw. aus dem Kanzleramt sozusagen herausgerutscht. Man hätte nun denken können, die
zugrunde liegende Frage hätte gelautet: Wie bewältigen
wir das Rentenproblem? Die entsprechende Frage lautete aber: Wie mogeln wir uns angesichts des Rentenbetruges an den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein
und Nordrhein-Westfalen vorbei? - Sie interessieren
sich nicht für die Sache, sondern nur für Taktik und
Strategie. Das ist das Verheerende.
({5})
Wenn ich die Rentenpolitik einmal mit der Gesundheitspolitik vergleiche, dann stelle ich übrigens eine bemerkenswerte Widersprüchlichkeit fest. In der Gesundheitspolitik versprechen Sie mehr oder weniger eine
Rundumversorgung. Sie sagen, im Prinzip sei mit weniger Mitteln alles finanzierbar. In der Rentenpolitik gehen Sie den umgekehrten Weg. Ihre Maßnahmen laufen
letztendlich auf eine Basissicherung hinaus, die leistungsfeindlich ist und die den Beitragszahlern nicht gerecht wird.
({6})
Noch eine Bemerkung zu den Langzeitarbeitslosen.
Auch in diesem Bereich versuchen Sie, sich mit Ihrer
Leistung zu schmücken. Wenn Sie sich aber ansehen,
daß Sie für Langzeitarbeitslose die Beiträge, die in die
Rentenversicherung gezahlt werden, um insgesamt immerhin 3,5 Milliarden DM absenken, dann wird deutlich, daß Sie den Langzeitarbeitslosen nicht nur nicht
helfen, sondern auch ihre Altersansprüche absenken.
Das ist gegenüber diesen Menschen unanständig.
({7})
Das Stichwort soziale Gerechtigkeit ist heute schon
häufig gefallen. Langzeitarbeitslose sind nicht zuletzt
Menschen, die krank sind, die zu den Modernisierungsverlierern zählen, weil sie die Ansprüche der heutigen
Zeit nicht mehr erfüllen können und die ein gewisses
Alter haben. Ihre Maßnahmen gehen zu Lasten dieser
Menschen. Deshalb sage ich: Ihre Sparpolitik ist nicht
nur konzeptionslos, sondern wirklich unsozial.
({8})
Ich will Ihnen auch noch etwas zu dem angeblichen
Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit sagen, Herr Minister
Riester. Sie haben ein Zahlenfeuerwerk vorgetragen, das
sich auf den ersten Blick überzeugend anhörte. Auf den
zweiten Blick muß man aber feststellen, daß Sie
2 Milliarden DM mehr an Mitteln für die Arbeitslosenhilfe ausgeben müssen,
({9})
weil die Belastungen für die öffentlichen Haushalte zu
Ihrer Regierungszeit durch die Langzeitarbeitslosigkeit
gestiegen sind. Das ist die Wahrheit.
({10})
Lassen Sie mich unter dem Stichwort „soziales Sparkonzept“ einen weiteren Punkt ansprechen. Sie kürzen
die Mittel der Pflegeversicherung und plündern die
Kasse der Pflegeversicherung um 400 Millionen DM
jährlich.
({11})
Frau Ministerin Fischer hat sich bezüglich der Krankenversicherung dagegen gewehrt, weil wir nachgefragt haben, wie das finanziert werden soll. Sie interessiert sich
aber überhaupt nicht für die Pflegeversicherung. Ich sage Ihnen auch, weshalb: Die tatsächlichen Folgen, nämlich ein Defizit von 1,35 Milliarden DM, werden erst im
Jahr 2003 zu beobachten sein. Das zeigt ganz deutlich:
Sie denken - nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ nur in der Größenordnung von Legislaturperioden. Das
ist unsozial und im Endeffekt schäbig.
({12})
Ich glaube, daß die Menschen in Deutschland ein
gutes Gespür dafür haben, wer Ihnen etwas vormacht.
Sie haben den Menschen die superschlaue Idee von der
wunderbaren Geldvermehrung suggeriert: alles und
mehr sei mit weniger Mitteln zu finanzieren. Das ist ein
Trugschluß. Dieser Trugschluß holt Sie jetzt ein.
({13})
Das Wort hat
jetzt die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Dr. Christine Bergmann.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr
Kues, daß Sie sich hier hinstellen und darüber reden, wir
würden nur ein Minimum für Familien tun,
({0})
ist wirklich ein starkes Stück.
({1})
Entweder rechnen Sie auf ein kurzes Gedächtnis der
Menschen, das nicht länger als ein Jahr zurückreicht,
oder Sie sind wirklich so unverfroren, noch nicht einmal
das zur Kenntnis zu nehmen, was das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen entschieden hat.
Wenn Sie hier die Familienverbände als Kronzeugen
anrufen, dann sage ich: Es ist wohl war, daß die Familienverbände mehr möchten.
({2})
Wir alle möchten in diesem Bereich mehr ausgeben, haben aber natürlich Grenzen. Ich führe im Moment viele
Debatten mit Familienverbänden. Deshalb kann ich Ihnen sagen: Sie hätten gerne mehr erreicht, akzeptieren
aber, daß wir - seit vielen Jahren zum ersten Mal - tatsächlich versuchen, Familien mehr zukommen zu lassen.
Sie merken, daß wir, auch ohne Druck des Bundesverfassungsgerichtes, einen großen Schritt gegangen sind.
Das und andere Dinge, auf die ich noch zu sprechen
komme, werden von Familienverbänden durchaus akzeptiert.
Ich will Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen wir haben das hier schon manchmal angesprochen -:
Die Kindergelderhöhung von 1997 ist gegen den Willen der CDU mit Hilfe der SPD-regierten Länder im
Bundesrat durchgesetzt worden. Auch das gehört zur
Wahrheit.
({3})
Ich denke, daß diese Bundesregierung im ersten Jahr
ihrer Regierungstätigkeit klargemacht hat, daß für sie
Familien im Mittelpunkt ihrer Politik stehen. Dies ist
nicht nur verbal geschehen, sondern es passiert auch
etwas.
({4})
Sie dagegen haben immer geredet, gehandelt haben Sie
aber nicht.
Wir haben die Zahlen auf dem Tisch; wir wissen, was
wir an Kindergelderhöhung ausgeschüttet haben. Sie dagegen können offensichtlich auch nicht rechnen:
({5})
Diese 50 DM, die durch die zwei Schritte zustande
kommen, ergeben in der Summe immerhin fast 10 Milliarden DM. Außerdem haben wir bereits mit dem
Steuerentlastungsgesetz eine ganz erhebliche Entlastung
der Familien vorgenommen. Das wissen Sie, und das
wissen auch die Familien.
({6})
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wir haben
schon - bei der Nachfrage von Frau Lenke - darüber diskutiert, wie die Situation der Alleinerziehenden ist. Wir
haben es bei der steuerlichen Freistellung des Kinderbetreuungsbedarfes endlich geschafft, daß eine finanzielle
Leistung dort verbleibt, wo die Leistung erfolgt. Alleinerziehende Mütter und Väter können diesen Freibetrag, dieses Kindergeld voll und ganz für sich verbuchen, weil wir
hier nicht das Halbteilungsprinzip haben. Das ist ein ganz
wichtiges Signal gerade an Alleinerziehende.
({7})
Sie wissen sehr genau, daß wir mehr getan haben als
nur finanzielle Entlastung. Ich will ein paar Punkte ansprechen: Wir haben den Gesetzentwurf zur gewaltfreien Erziehung auf den Weg gebracht. Das ist sehr wichtig für die Familien, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Dies werden wir verbinden mit Hilfen für Eltern, die Probleme bei der Erziehung haben. - Es handelt
sich um ganz konkrete Maßnahmen, die zeigen, daß wir
Familien in unserem Land stärken. Außerdem zeigt das,
daß wir ein Bild von Familie haben, das sich schon lange an der Lebenswirklichkeit orientiert. Wir respektieren
die Vielfalt der Familienformen, die Sie gerade für
sich entdeckt haben. Immerhin nehmen Sie jetzt ein
Stück weit die Realität zur Kenntnis, wenn auch mit
großen Problemen, die Sie - ich wende mich hier an die
Kolleginnen und Kollegen der CDU - offensichtlich
selbst damit haben.
Was Sie dazu in Ihrem familienpolitischen Leitantrag
formuliert haben, ist allerdings wahrlich nichts Neues.
Da ist nicht viel dabei, was uns überraschen könnte. Es
macht mir aber sehr deutlich, daß Sie Ihre eigenen Versäumnisse offensichtlich sehr genau kennen,
({8})
denn sonst würden Sie hier nicht mit aller Kraft versuchen, Lücken zu schließen.
({9})
Sie kennen Ihre Versäumnisse, und zwar nicht nur bei
der finanziellen Ausstattung der Familien, sondern auch
bei der Anerkennung von Lebensformen der Familien,
hinsichtlich dessen, was Familien brauchen. Das ist
nicht nur eine Sache, die beim Bundesverfassungsgericht entschieden wird.
Wir werden Ihre Versäumnisse schrittweise aufzuarbeiten haben. Wir haben bereits einen großen Schritt
getan.
({10})
Frau Ministerin, einen Moment. Ich will einmal versuchen, ein bißchen mehr Ruhe für Sie zu schaffen. Es ist immer sehr
schwierig für die letzten Redner und vor allem für die
Rednerinnen, gehört zu werden. Ich bitte, etwas mehr
Ruhe walten zu lassen.
({0})
Ja, das müssen Sie
sich schon anhören, auch wenn es Ihnen nicht schmeckt.
So ist das halt im Leben.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir bei der zweiten
Stufe, die wir noch vor uns haben, um die Karlsruher
Beschlüsse umzusetzen, den Weg weiterverfolgen wollen. Es stimmt natürlich - da haben Sie, Herr Kues, wieder etwas Falsches gesagt -, daß wir den Bundesverfassungsgerichtsbeschlüssen voll Genüge tun würden,
wenn wir mit einer reinen Kinderfreibetragslösung arbeiten würden.
({0})
Das tun wir aber nicht, weil uns wirklich jedes Kind
gleich viel wert ist. Da müssen wir noch besser werden,
das ist klar. Da müssen wir sehen, wie wir diese Leistung als Transferleistung ausgestalten können. Aber wir
haben hier kräftig zugepackt, wie Sie wissen.
({1})
Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der jetzt
nicht unmittelbar etwas mit Geld zu tun hat, aber mit der
Lebenssituation der Familien. Ich denke, wenn man über
Familien redet, muß man auch sehen: Welche Möglichkeiten haben sie, so zu leben, wie sie wollen? Wie können Familien Erwerbsarbeit und Kindererziehung
miteinander verbinden? Das ist nicht nur ein Thema für
Mütter in unserer Gesellschaft.
({2})
Wir gehen jetzt massiv daran. Wir können Benachteiligungen von Frauen und auch von Familien nur beseitigen, wenn wir die Väter stärker in die Erziehungsarbeit einbeziehen.
({3})
Das werden wir mit unserem neuen Gesetz tun. Da werden Väter und Mütter zur gleichen Zeit Erziehungsurlaub nehmen können, verbunden mit Teilzeitarbeit und
einem Anspruch auf verkürzte Arbeitszeit. Auch Sie
diskutieren ja ähnliche Dinge. Ich kann da nur sagen:
Unterstützen Sie unsere Vorhaben! Ich denke, sie sind
notwendig für unsere Gesellschaft.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einen Punkt
eingehen. Familien brauchen auch Zeit in unserer Gesellschaft. Sie brauchen Zeit, in der sie miteinander leben können. Die sogenannte „Pinnbrettfamilie“ ist,
glaube ich, nicht das Idealbild unserer Gesellschaft. Sie
reden nur darüber, wie wichtig Ihnen Familie ist. Wir
aber machen ernst. Wir reden mit den Betrieben und
versuchen, bei dem Thema Flexibilisierung die Familie
in das Blickfeld zu rücken. Wenn wir über familienfreundliche Arbeitszeiten und Ladenschlußzeiten reden,
haben wir auch die Familien im Blick. Natürlich wollen
wir den Sonntag als Zeit für die Familie erhalten. Ich
denke, das ist ein Signal, das die Familien von uns erwarten.
({4})
Wir denken, Herr Kues, überhaupt nicht nur in der
Phase einer Legislaturperiode. Was wir hier tun und was
wir hier vorlegen, ist ebenso für die nächste Generation.
Das werden die Familien auch anerkennen.
Danke.
({5})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich nun der Kollegin Lenke das
Wort.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kurzintervention
ist ein Parlamentsrecht.
Wenn Sie weniger stöhnen, geht
es schneller.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beziehe mich
auf den Redebeitrag von Ihnen, Frau Familienministerin
Bergmann. Sie haben sich in Ihrer Rede zu dem Familiengesetz von Rotgrün geäußert. Dieses Gesetz ist für
Familien mit Kindern völlig unzureichend,
({0})
erstens wegen des niedrigen Kinderbetreuungsfreibetrages für das erste Kind und zweitens wegen der Streichung des § 33c EStG bei der Kinderbetreuung. Alleinerziehende und - ich weiß nicht, ob Sie das schon festgestellt haben - Ehepartner, von denen einer krank oder
behindert ist, sind von dieser Streichung des § 33c betroffen. Ich sehe da keinen Ausgleich.
Drittens - diesen Punkt finde ich sehr wichtig, da in
dem vorliegenden Gesetzentwurf der steuerliche Abzug
von Kinderbetreuungskosten bei berufstätigen Vätern
und Müttern nur sehr begrenzt möglich ist -: Die Freibeträge können die tatsächlichen Kosten von monatlich
400 bis 600 DM für Kindergartengebühren nicht ausgleichen.
In dem von uns vorgelegten Entschließungsantrag,
über den auch abgestimmt wird, fordern wir eine sozial
gerechtere Familienförderung. Wir wollen, daß berufstätige Alleinerziehende und berufstätige Eltern über einen Freibetrag hinaus nachgewiesene Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten - bei Arbeitnehmern
und Arbeitnehmerinnen - und als Betriebsausgaben bei Selbständigen - von der Steuer absetzen können.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Zum Schluß möchte ich im Hinblick auf unseren Antrag sagen: Wir wollen diesen Familien für den Fall, daß
das familiäre Existenzminimum nicht ausreicht, einen
Kindergeldzuschlag gewähren.
({1})
Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Ich möchte es ganz
kurz machen, Frau Lenke, denn wir haben ja schon
durchgerechnet, zu welchen Auswirkungen die Freibetragsregelung beim ersten, beim zweiten und beim dritten Kind führt. Wir haben vorhin schon durchexerziert,
daß dies eine gute Regelung ist. Wir haben gesagt, daß
im Rahmen dieser Regelung die Beträge bei den Alleinerziehenden, dort also, wo die Leistung erbracht wird,
verbleiben. Wir sind damit vielen Wünschen Alleinerziehender entgegengekommen. Mehr ist dazu im Moment nicht zu sagen.
({0})
Als letztem
Redner in dieser Debatte gebe ich nun das Wort dem
Abgeordneten Jörg-Otto Spiller.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Nach anderthalb
Jahrzehnten ungehemmten Schuldenmachens und wachsender Steuerungerechtigkeit
({0})
ist Deutschland unter der jetzigen Regierung endlich zu
dem Kurs einer verantwortungsvollen Finanzpolitik zurückgekehrt.
({1})
Die Grundsätze lauten: gerechte Steuern und solide Finanzen.
({2})
Heute steht auch ein Antrag der F.D.P., der die schöne Überschrift „Ordnungspolitisch vernünftige Steuergesetze verabschieden“ trägt, zur Debatte und zur Abstimmung. Herr Kollege Solms, ich habe nicht verstanden,
({3})
warum Sie vorhin nicht gesagt haben: Weil die Regierung das tut, stimmen wir den vorliegenden Gesetzentwürfen zu. Das wäre logisch gewesen.
({4})
Leider haben Sie inzwischen keine Skrupel mehr, von
Ordnungspolitik zu sprechen und zugleich im Ausschuß
und auch hier Anträge zu stellen, die dazu in krassem
Widerspruch stehen. Denn das, was Sie im Ausschuß
getan haben, ist folgendes: Alle Schlupflöcher, die wir
geschlossen haben, wollten Sie wieder öffnen.
({5})
Ich nenne ein paar Beispiele; ich beschränke mich auf
ganz wenige: Sie wollten unbedingt, daß sich Spitzenverdiener durch ein System von Verlustzuweisungen
wieder vor dem Finanzamt armrechnen können.
({6})
Sie wollten beispielsweise auch, daß durch ein Hin- und
Herschieben auf verschiedenen Konten Einfamilienhäuser im Rahmen von Betriebsausgaben finanziert werden
können. Das alles fanden Sie normal,
({7})
obwohl selbst zu Zeiten, als Ihre Partei, Herr Kollege
Michelbach, noch den Finanzminister stellte, das Bundesfinanzministerium dagegen angehen wollte. Sie haben es nur nicht getan.
({8})
Herr Kollege Solms, es ist schade, daß Sie nur noch
eine geringe Beziehung zur marktwirtschaftlichen Ordnung haben.
({9})
Genauso schade ist es - und nur zu bedauern -, daß sich
bei der CDU/CSU das Verständnis vom Christentum anscheinend weitestgehend auf das Prinzip „Nach uns die
Sintflut“ reduziert hat.
({10})
Deswegen war es notwendig, zu einer Wende in der Finanzpolitik dieses Landes zu kommen.
({11})
Herr Solms, Sie haben im Zusammenhang mit dem
Steuerbereinigungsgesetz das Stichwort Lebensversicherung angeschnitten. Der Kollege Wagner hat schon
darauf hingewiesen, daß Sie mit Ihrem Gedächtnis so Ihre Schwierigkeiten haben. In diesem Punkt muß ich Ihnen aber leider einen völligen Gedächtnisschwund bescheinigen.
Ich darf einmal in Erinnerung rufen, was Sie, die
nunmehr abgewählten Koalitionsfraktionen, machen
wollten: Ursprünglich wollten Sie gemäß den PetersberIna Lenke
ger Beschlüssen in bestehende Versicherungsverträge
eingreifen und die Steuerbegünstigung nachträglich beseitigen.
({12})
Dann haben Sie kalte Füße bekommen und eine Abgeltungssteuer ab einem Stichtag vorgesehen. Nach weiterem Überlegen ist Ihnen der Gedanke gekommen, daß
dies vielleicht auch Mißmut auslösen könnte, und Sie
haben alles wieder umgedreht und gesagt: Jetzt führen
wir eine andere Besteuerung ein. Laufende Einzahlungen sowohl in alte als auch in neue Lebensversicherungsverträge sollten mit einer Versicherungssteuer belegt werden. - All das wollten Sie machen. Aber jetzt
sagen Sie, wir täten etwas Unfaires.
In diesem Zusammenhang muß ich noch etwas sagen,
Herr Kollege Solms: Sie sind vorhin mit einem Papierstapel gekommen. Als wir über Ihr Steuerreformpaket
beraten haben - das war noch in Bonn -, war der Papierstapel dreimal so dick. Ich habe ihn nachher entsorgt,
weil ich dafür eine ganze Umzugskiste gebraucht hätte,
und das wollte ich niemandem zumuten.
({13})
Mit unserer Regelung bezüglich der Lebensversicherungen - das will ich hier noch einmal sagen, weil es
vielleicht den einen oder anderen Zuhörer interessiert greifen wir nicht in bestehende Verträge ein.
({14})
Der Vertrauensschutz bleibt voll gewahrt. Künftig, also
für Verträge, die ab dem 1. Januar 2000 abgeschlossen
werden, wird es eine Besteuerung geben, wenn die Lebensversicherung ausgezahlt wird.
({15})
Allerdings gibt es einen großzügigen Freibetrag und eine
Dämpfung der Steuerprogression, die noch über diesen
Freibetrag hinaus wirkt.
Übrigens: Haushaltsmäßig ist das auf kurze Sicht
völlig uninteressant; denn Steuermehreinnahmen werden
wir frühestens nach 12 Jahren haben. Wir werden alles
tun, damit diese Koalition diese Steuermehreinnahmen
dann nutzen kann.
({16})
Unsere Politik ist auf einen langen Atem ausgerichtet.
Richten Sie sich darauf ein, daß Sie noch lange mit unserer Politik, der Politik solider Finanzen und gerechter
Steuern, zu rechnen haben!
({17})
Damit schließe
ich die reguläre Debatte.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Es folgt, wie
Sie schon ahnen, ein nicht ganz so einfacher Prozeß.
Zunächst möchte ich Sie darauf hinweisen, daß wir
von den zahlreichen Abstimmungen sieben namentlich
durchführen werden. Nach diesem Tagesordnungspunkt
gibt es allerdings eine weitere namentliche Abstimmung.
Ich sage dies nur, damit Sie sich darauf vorbereiten kön-
nen.
Es gibt zahlreiche schriftliche Erklärungen zur Ab-
stimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung, die ich
Sie bitte zu Protokoll nehmen zu dürfen. Es sind so viele
Erklärungen, daß ich die Namen der Abgeordneten nicht
aufführen möchte.*) Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall.
Eine mündliche Erklärung zur Abstimmung möchte
die Abgeordnete Christina Schenk abgeben. Bitte schön,
Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die PDS-Bundestagsfraktion wird
mit Mehrheit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Familienförderung zustimmen. Ich erkläre hiermit,
daß ich mich gemeinsam mit den Abgeordneten Carsten
Hübner, Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Ilja Seifert und
Winfried Wolf der Stimme enthalten werde, und das aus
folgenden Gründen:
Ich nehme durchaus zur Kenntnis, daß die weitaus
meisten Eltern - nicht alle, aber die weitaus meisten - ab
dem 1. Januar 2000 mindestens 10 DM mehr in der Ta-
sche haben werden. Die Bundesregierung hat jedoch als
Ziel der vorgeschlagenen Neuregelung formuliert, daß
alle Kinder unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern
gleiche Entwicklungschancen haben sollen. Genau das
wird aber mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nicht er-
reicht, im Gegenteil.
Ich kann dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil
die bereits jetzt bestehenden gravierenden sozialen Un-
gerechtigkeiten im System der Familienförderung nicht
abgebaut, sondern sogar noch verstärkt werden. Je mehr
die Eltern verdienen, desto größer sind auch künftig die
finanziellen Entlastungen, die sie für ihre Kinder erhal-
ten.
Während Eltern mit mittlerem oder niedrigem Ein-
kommen lediglich eine Kindergelderhöhung von 10 DM
oder 20 DM erhalten, bringt der Betreuungsfreibetrag
den Besserverdienenden eine zusätzliche monatliche
Entlastung von bis zu 120 DM. Das sind jährlich bis zu
1 440 DM.
Eine solche Regelung verringert nicht die einkom-
mensbedingten Entwicklungsunterschiede zwischen
Kindern, sondern läßt die Schere immer weiter ausein-
anderklaffen. Mit Steuergerechtigkeit - das wird an die-
sem Punkt besonders deutlich - ist soziale Gerechtigkeit
nicht zu erreichen.
*) Die Erklärungen werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll abgedruckt
Ich kann dem Gesetzentwurf auch aus folgendem
Grund nicht zustimmen: Die Neuregelungen bewirken in
Zeiten knapper Kassen und vermeintlicher Sparzwänge
eine erneute Umverteilung zugunsten der Besserverdienenden. Die Kostenverteilungen machen das deutlich.
Obwohl nur etwa jede sechste Familie von der Einführung des Betreuungsfreibetrags profitiert, wird dafür ein
Drittel der Kosten für das Gesetz aufgebracht.
Ein dritter Grund dafür, daß ich dem Gesetzentwurf
nicht zustimmen kann, ist, daß die Regelung, wonach
die Erhöhung des Kindergelds im Unterschied zum Betreuungsfreibetrag auf das erste und zweite Kind begrenzt ist, völlig inakzeptabel ist. Damit werden genau
die Familien benachteiligt, die in besonderer Weise vom
kindbedingten Armutsrisiko betroffen sind.
Ein vierter und letzter Grund, warum ich dem Gesetzentwurf nicht zustimmen kann, ist, daß trotz aller
gegensätzlichen Behauptungen die Neuregelungen in
zahlreichen Fällen zu einer finanziellen Mehrbelastung
Alleinerziehender führen, und das nicht nur dadurch,
daß der Betreuungsfreibetrag um 1 000 DM unter dem
bisherigen Höchstbetrag absetzbarer Kinderbetreuungskosten in Höhe von 4 000 DM liegt, sondern vor allem
auch dadurch, daß sowohl das Kindergeld - das war
schon immer der Fall - als auch der Betreuungsfreibetrag dem Halbteilungsgrundsatz unterliegen. Die steuerliche Gleichbehandlung verheirateter Eltern wird - das
muß man so klar sagen -zu einem Teil von den Alleinerziehenden finanziert. Das ist für mich unerträglich.
Dieses Gesetz ist kein Schritt in die richtige Richtung, es verfestigt das sozial ungerechte duale System
von Kindergeld und Kinderfreibeträgen und verlängert das ist das eigentlich Schlimme - den Weg hin zu einer
wirklichen Reform der Familienförderung, in deren Ergebnis sich der Staat alle Kinder als Ausdruck dessen,
daß sie ihm alle gleich viel wert sind, gleich viel kosten
läßt.
Danke.
({0})
Wir treten in
den Abstimmungsprozeß ein und kommen zunächst zu
dem von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
Grünen sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sanierung des Bundeshaushalts.
Das ist das Haushaltssanierungsgesetz.
Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache
14/2016, zunächst die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfenden Teile des Gesetzesvorhabens von
den der Zustimmung des Bundesrates bedürfenden Teilen abzukoppeln. Der Ausschuß empfiehlt weiter, die
zustimmungsfreien Teile als Haushaltssanierungsgesetz
in der Fassung der Anlage 1 der Beschlußempfehlung
auf Drucksache 14/2016 und die zustimmungsbedürftigen Teile als Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze in der Fassung der Anlage 2 der
Beschlußempfehlung auf Drucksache 14/2016 anzunehmen. Es gibt jetzt also eine Zweiteilung: zum einen
das Haushaltssanierungsgesetz und zum anderen das
Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes.
Wir stimmen daher über zwei Gesetzentwürfe ab, und
zwar zunächst über das Haushaltssanierungsgesetz in
der Ausschußfassung. Das ist die Drucksache 14/2016,
Anlage 1. Zu einem Teil dieses Gesetzentwurfs wird
getrennte und namentliche Abstimmung verlangt. Außerdem liegen drei Änderungsanträge vor, wobei wiederum über zwei davon namentlich abgestimmt wird.
Ich rufe zunächst Art. 1 bis 16 des Haushaltssanierungsgesetzes in der Ausschußfassung auf. Ich bitte
diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 bis 16
des Haushaltssanierungsgesetzes in der Ausschußfassung sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen
worden.
Ich rufe nun Art. 17 des Haushaltssanierungsgesetzes
in der Ausschußfassung auf. Er betrifft die Künstlersozialversicherung. Hierzu liegt ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
F.D.P. sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
vor. Beide Anträge zielen auf Streichung des Art. 17 des
Haushaltssanierungsgesetzes.
Wir hatten vorgesehen, bei der Reihenfolge der Abstimmung entsprechend der parlamentarischen Praxis
auf das Stärkeverhältnis der antragstellenden Fraktionen
abzustellen. Es gibt dazu aber einen Geschäftsordnungsantrag der PDS. Bitte, Herr Kollege Claus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf Sie nur einen Moment um Ihre
geschätzte Aufmerksamkeit bitten, weil wir finden, daß
die Sache eine gewisse Pikanterie birgt. Es geht um die
Künstlersozialkasse und um zwei gleichlautende Antrage der CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion einerseits und
der PDS-Fraktion andererseits. Ich will Ihnen sagen, wie
der Hergang war.
Nachdem bei der Abstimmung im Ausschuß unter
den Oppositionsfraktionen Übereinstimmung herrschte,
haben wir einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht und die namentliche Abstimmung verlangt.
Danach trat offenbar folgender Zustand ein: Die
CDU/CSU-Fraktion hat sich gesagt: Inhaltlich stimmen
wir dem zu, aber wir dürfen oder können oder sollen nie
und nimmer PDS-Anträgen zustimmen. Wie können wir
das jetzt verhindern? Sie haben beschlossen: Wir machen einfach einen eigenen Änderungsantrag. Der Kollege Austermann hat dies auf Anfrage vorhin in der Debatte im Grunde auch bestätigt.
Nun sagen Sie, die Größe der Fraktion bestimme die
Reihenfolge der Abstimmung. Wir meinen, es müßte in
der Reihenfolge des Antragseingangs abgestimmt werden.
({0})
Wenn Sie das weiterdenken, würde das bedeuten, daß
dadurch eine größere Fraktion einer kleineren ein inhaltliches Anliegen immer streitig machen könnte.
Ich will auch noch auf eines hinweisen, meine Damen
und Herren: Die Geschäftsordnung sieht dafür keine Regelung vor. Das kann sie auch nicht, weil die Geschäftsordnung dieses Hauses logisch aufgebaut, das Verhalten
der CDU/CSU aber ausgesprochen unlogisch ist. Deswegen paßt das nicht zusammen.
({1})
Ich weiß bloß nicht, warum die Freien Demokraten ein
solches Spiel mitmachen.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU: Sie haben in jüngster Zeit so große und schöne Reden abgesondert, daß
Sie sich inhaltlich mit der Partei des Demokratischen
Sozialismus auseinandersetzen wollen.
({2})
Fangen Sie doch damit an! Das müßte aber damit beginnen, daß Sie jetzt entweder unserem Antrag zustimmen
oder Ihren zurückziehen.
Vielen Dank.
({3})
Zur Geschäftsordnung spricht der Kollege Hörster.
Frau Präsidentin!
Sie haben die Gepflogenheiten des Hauses zutreffend
vorgetragen. Deswegen beantragen wir, in der von Ihnen
vorgeschlagenen Reihenfolge abzustimmen.
Noch jemand
zur Geschäftsordnung? - Es ist tatsächlich Gepflogen-
heit des Hauses und geschäftsordnungsgemäß, daß wir
die Anträge nach sachlichen Gesichtspunkten ordnen
und dann, wenn es sich um die Reihenfolge der Ab-
stimmung handelt, genauso vorgehen, wie wir auch bei
jeder Redeordnung vorgehen. Das ist lange geübte Pra-
xis in diesem Hause.
Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag der
PDS, daß über ihren Änderungsantrag vor dem Ände-
rungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
abgestimmt wird? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Geschäftsordnungsantrag der PDS ist mit
den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die
Stimmen der PDS bei Enthaltung von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen abgelehnt worden.
Wir stimmen nun also zuerst über den Änderungsan-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Druck-
sache 14/2097 ab. Es ist namentliche Abstimmung ver-
langt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen
besetzt? - Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der
Fall zu sein. Dann schließe ich jetzt die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen
später bekanntgegeben.*) Wir setzen jetzt die Beratun-
gen fort
Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/2073. Auch die PDS ver-
langt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, wieder zu den Urnen zu
kommen. Sind alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich
die zweite namentliche Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte einen
Moment um Aufmerksamkeit. Uns fehlen Schriftführer
zum Auszählen. Ich bitte deshalb diejenigen von den
Schriftführerinnen und Schriftführern, die nicht fest ein-
geteilt waren - Sie wissen, daß es jetzt eine ganze Reihe
von Abstimmungen gibt -, an den Tisch zum Auszählen
zu kommen.
Ist noch ein Mitglied anwesend, das seine Stimme in
dieser zweiten namentlichen Abstimmung nicht abgege-
ben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis auch dieser Ab-
stimmung wird Ihnen später mitgeteilt.**) Jetzt muß ich
Sie bitten, sich zu Ihren Plätzen zu begeben, weil es
noch einfache Abstimmungen gibt und ich dafür ein
bißchen Übersicht brauche.
Ich rufe Art. 18 bis Art. 22 Ziffer 4 Haushaltssanie-
rungsgesetz, Drucksache 14/2016, Anlage 1 auf. Ich
bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen! - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Art. 18
bis Art. 22 Ziffer 4 in der Ausschußfassung sind mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der gesamten Opposition angenommen worden.
Jetzt rufe ich Art. 22 Ziffer 5 Haushaltssanierungsge-
setz, auf. Hier geht es um den aktuellen Rentenwert in
den Jahren 2000 und 2001. Hierzu liegt ein Änderungs-
antrag der PDS auf Drucksache 14/2074 vor. Außerdem
ist namentliche Abstimmung über Art. 22 Ziffer 5 von
der CDU/CSU verlangt.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der
PDS auf Drucksache 14/2074 ab. Wer stimmt für den
Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS,
die zugestimmt hat, mit den Stimmen des übrigen Hau-
ses abgelehnt worden.
Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche
Abstimmung über Art. 22 Ziffer 5. Ich bitte wieder die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Dann
eröffne ich jetzt die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Jetzt haben alle ihre
Stimmkarten abgegeben. Damit schließe ich die dritte
namentliche Abstimmung und bitte, mit der Auszählung
**) Seite 6334 A
**) Seite 6334 A
zu beginnen. Auch das Ergebnis dieser Abstimmung
wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratung fort. Ich rufe Art. 22 Ziffer 6
bis Art. 27, Einleitung und Überschrift, des Haushaltssanierungsgesetzes auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Art. 22 Ziffer 6 bis Art. 27, Einleitung
und Überschrift, sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition
angenommen worden.
Weil wir erst fortfahren können, wenn die Ergebnisse
der namentlichen Abstimmungen vorliegen, unterbreche
ich jetzt die Sitzung.
({0})
Die unterbro-
chene Sitzung ist wiedereröffnet.
Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen
von CDU/CSU und F.D.P. zum Entwurf eines Gesetzes
zur Sanierung des Bundeshaushaltes bekannt. Abgege-
bene Stimmen 579. Mit Ja haben gestimmt 253, mit
Nein haben gestimmt 326. Es gab keine Enthaltungen.1)
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt worden.
Nun gebe ich das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS bekannt. Abgegebene Stimmen 573. Mit Ja ha-
ben gestimmt 32, mit Nein haben gestimmt 517, Ent-
haltungen 24.1) Auch dieser Änderungsantrag ist damit
abgelehnt.
Nach Ablehnung der Änderungsanträge zu Art. 17
stimmen wir jetzt über Art. 17 in der Ausschußfassung
ab. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Art. 17 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenom-
men worden.
Jetzt gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung über Art. 22 Ziff. 5 Haushaltssanie-
rungsgesetz bekannt. Abgegebene Stimmen 574. Mit Ja
haben gestimmt 323, mit Nein haben gestimmt 249,
Enthaltungen 2.1) Art. 22 Ziff. 5 ist damit angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt
namentliche Abstimmung. Das ist jetzt die vierte na-
mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-
men. - Sind alle Urnen besetzt? - Das scheint der Fall
zu sein. Ich eröffne die Abstimmung.
*) Seite 6334 B
1) Die Namenslisten werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarpro-
tokoll abgedruckt
Ist noch jemand anwesend, der in dieser vierten na-
mentlichen Abstimmung seine Stimme noch nicht abge-
geben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe dann
diese Abstimmung. Ich bitte, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekanntgege-
ben.2)
Wir kommen jetzt zu weiteren einfachen Abstim-
mungen. Deswegen brauche ich freien Platz für die
Übersicht.
Wir setzen die Beratungen fort. Interfraktionell wird
vorgeschlagen, den Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/2025 zur federführenden
Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Haus-
haltsausschuß, den Ausschuß für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuß
für Kultur und Medien zu überweisen. - Anderweitige
Vorschläge gibt es nicht. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den zweiten
vom Haushaltsausschuß in seiner Beschlußempfehlung
auf Drucksache 14/2016 in Anlage 2 zur Annahme emp-
fohlenen Gesetzentwurf. Es handelt sich um den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgeset-
zes und anderer Gesetze. Dazu liegen zwei Änderungs-
anträge der Fraktion der PDS vor, über die wir zunächst
abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/2075? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS, die dem
Antrag zugestimmt hat, abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/2076? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stim-
men des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS,
die dem Antrag zugestimmt hat, abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Ge-
setze in der Ausschußfassung, Drucksache 14/2016,
Anlage 2, zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der ge-
samten Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Koalitionsfraktionen ver-
langen namentliche Abstimmung. Ich bitte, wieder die
Urnen zu besetzen. Sind die Urnen besetzt? - Das ist der
Fall - Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung. Es ist die
fünfte namentliche Abstimmung. -
Ist jemand da, der in dieser namentlichen Abstim-
mung seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist
nicht der Fall. Ich schließe damit die Abstimmung und
2) Seite 6335 B
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Auch dieses Er-
gebnis wird Ihnen später mitgeteilt werden.*)
Wir fahren mit einfachen Abstimmungen fort.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/2072. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die
Stimmen der PDS, die zugestimmt hat, abgelehnt wor-
den.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Familienförderung, Drucksachen 14/1513, 14/1670 und
14/2022. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen fast des ganzen Hauses angenommen worden
bei zwei Gegenstimmen aus der F.D.P. und einigen we-
nigen Enthaltungen bei der PDS.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Koalitionsfraktionen ver-
langen namentliche Abstimmung. Dies ist jetzt die sech-
ste namentliche Abstimmung.
Nur zur Klarstellung: In diesem Zusammenhang gibt
es noch eine siebte namentliche Abstimmung und da-
nach eine namentliche Abstimmung zum nächsten Ta-
gesordnungspunkt, über den aber vorher debattiert wird.
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröff-
ne die Abstimmung. - Hat jemand seine Stimmkarte in
dieser sechsten namentlichen Abstimmung noch nicht
abgegeben? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe damit
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch
dieses Ergebnis wird Ihnen später bekanntgegeben.**)
Wir setzen die Beratung fort.
Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführern
und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung über die Schlußabstimmung
zum Haushaltssanierungsgesetz bekannt.
Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt
328. Mit Nein haben gestimmt 252. Es gab keine Ent-
haltungen.1) Der Gesetzentwurf ist damit angenommen
worden.
({0})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/2024. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Ent-
**) Seite 6335 C
**) Seite 6336 A
1) Die Namenslisten werden in einem Nachtrag zu diesem Plenar-
protokoll abgedruckt.
schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der PDS gegen die Stimmen der F.D.P.
bei Enthaltung von CDU/CSU abgelehnt worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/2088. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? -
Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Dieser Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS, die zugestimmt hat, abge-
lehnt worden.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführern und
Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze
bekannt. Abgegebene Stimmen 566. Mit Ja haben ge-
stimmt 323. Mit Nein haben gestimmt 243. Es gab keine
Enthaltungen.1) Auch dieser Gesetzentwurf ist damit angenommen worden.
({1})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Steu-
erbereinigungsgesetzes 1999, Drucksachen 14/1514,
14/1655 und 14/2035 Nr. 1. Dazu liegen Ihnen zwei Än-
derungsanträge der Fraktion der PDS vor, über die wir
zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/2081? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Än-
derungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses
gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/2089? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Auch
dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses
gegen die Stimmen der PDS, die zugestimmt hat, abge-
lehnt worden.
Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschuß-
fassung? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P. bei Enthaltung der PDS in zweiter Beratung an-
genommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Koalitionsfraktionen ver-
langen namentliche Abstimmung. Das ist die siebte na-
mentliche Abstimmung und in diesem Zusammenhang
die letzte. Ich bitte, die Urnen zu besetzen. - Sind die
Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die
Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der
1) Die Namenslisten werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarpro-
tokoll abgedruckt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen spä-
ter bekanntgegeben.*)
Ich weise noch einmal darauf hin, daß wir in zirka
einer Stunde auch zu dem Tagesordnungspunkt 12 eine
namentliche Abstimmung haben werden.
Ich muß eine Abstimmung nachholen. Wir kommen
zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit
und Sozialordnung auf Drucksache 14/2033 zu dem
Antrag der Fraktion der PDS zur Kindergelderhöhung
auch für Kinder im Sozialhilfebezug. Der Ausschuß
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1308 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh-
lung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen
der PDS angenommen worden.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des
Finanzausschusses auf Drucksache 14/2035 Nr. 2 zu
dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Ord-
nungspolitisch vernünftige Steuergesetze verabschie-
den“ ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/1546 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. angenommen
worden.
Ich gebe nun das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Familienför-
derung bekannt: Abgegebene Stimmen 568. Mit Ja ha-
ben gestimmt 556, mit Nein haben gestimmt 5, Enthal-
tungen 7.1) Der Gesetzentwurf ist damit angenommen
worden. Es handelte sich um die Drucksachen 14/1513,
14/1670 und 14/2022.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz
- Drucksache 14/1418 ({2})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 14/2037 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Wolfgang Frhr. v. Stetten
Rainer Funke
Eine Aussprache ist nicht vereinbart. Wir kommen
daher gleich zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung auf Druck-
sache 14/2037 zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
*) Seite 6339 C
1) Die Namensliste wird in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
abgedruckt.
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen worden.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen „Ver-
besserung der Kohärenz von EU-Agrarpolitik und Ent-
wicklungspolitik im Rahmen der WTO-II-Verhand-
lungen“ auf Drucksache 14/1860 nachträglich auch dem
Auswärtigen Ausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu
sein. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit
- Drucksache 14/1855 ({4})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({5})
- Drucksache 14/2046 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Johannes Singhammer
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Dr. Maria
Böhmer, Rainer Eppelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
630-DM-Gesetz und Neuregelung der
Scheinselbständigkeit zurücknehmen
- Drucksachen 14/1005, 14/2046 Berichterstattung:
Abgeordneter Johannes Singhammer
Wir werden nachher auch dazu eine namentliche Abstimmung durchführen. Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Peter Dreßen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn es die Opposition nicht
glauben will: Mit dem Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit werden entstandene Fehlentwicklungen der
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
letzten Jahre in der Sozialversicherung wieder in geordnete Bahnen gelenkt. In nahezu allen europäischen Ländern sind Selbständige in die Alterssicherung mit eingebunden. Nur wir in Deutschland erlauben uns den Luxus, das nicht zu tun.
Dabei ist unbestritten, daß auch bei Selbständigen die
Gefahr der Altersarmut besteht. Ich darf daran erinnern,
daß wir 1972 die Sozialversicherung zum erstenmal für
Selbständige geöffnet haben. Das wurde damals als große soziale Errungenschaft hingestellt. Damals gab es in
der F.D.P. aber noch Persönlichkeiten wie Maihofer,
Flach, Baum, Hirsch. Und heute? Heute hat sie Leute
wie Westerwelle, Schwaetzer usw.
({0})
- Zu Ihnen komme ich noch.
Was ist aus der F.D.P. geworden? Heute müssen wir
Sprüche von Herrn Niebel ertragen, der ungeniert davon
spricht, daß bei diesem Gesetz den Selbständigen das
Unheil der Sozialversicherung droht. Herr Niebel, Ihnen
sei gesagt: Die Sozialversicherung ist kein Unheil, sondern eine segensreiche Einrichtung, um die uns alle
Länder beneiden, die sie nicht haben.
({1})
Das Gesetz, das wir heute verabschieden, dient gerade dazu, daß im Alter keine Altersarmut entsteht. Dabei
haben wir Sozialpolitiker natürlich einen Kompromiß
schließen müssen: einerseits Existenzgründungen nicht
zu behindern - deswegen die dreijährige Freistellung
von Sozialversicherungsbeiträgen mit einer Option für
eine zweite Chance - und andererseits die Selbständigen
vor der Sozialhilfe im Alter zu bewahren. Gleichzeitig
haben wir den eklatanten Mißstand der Scheinselbständigkeit beseitigt. Sie von der Opposition sollten uns dafür eigentlich loben; denn Sie haben sich 16 Jahre lang
die Zähne daran ausgebissen. Sie haben nichts zustande
gebracht, obwohl auch Sie den Mißstand erkannt hatten.
({2})
Es ist schlichtweg falsch, wenn die Opposition behauptet, wir hätten dieses Gesetz im Schweinsgalopp
durch dieses Parlament getrieben. Ich möchte Sie daran
erinnern: Nachdem auch aus unseren Reihen Bedenken
aufkamen, daß das alte Gesetz Existenzgründungen behindern könnte, haben wir im März eine Expertenkommission unter der Leitung von Professor Dr. Dieterich eingesetzt. Diese Kommission hat vom Frühjahr bis
zum Herbst getagt und dann Ergebnisse vorgelegt, die
wir nun in diesem Gesetz wiederfinden. Wenn Sie es
auch nicht wahrhaben wollen: Es sind alle relevanten
Punkte dieser Kommission umgesetzt worden. Dabei ist
es - das muß ich offen sagen - auch dieser Expertenrunde nicht gelungen, eine Definition zu finden, wer abhängig Beschäftigter und wer selbständig ist. Im übrigen
waren die Experten in guter Gesellschaft; denn das hat
bisher keine andere Regierung geschafft. Das wird nach
meiner Überzeugung auch nicht zu schaffen sein, weil
nichts stärker in Bewegung ist als die Arbeitsbedingungen in den Betrieben und in den Verwaltungen.
Statt dessen haben wir nun eine Lösung gefunden, indem fünf Vermutungskriterien erarbeitet wurden, von
denen drei zutreffen müssen, damit man der Vermutung
der Scheinselbständigkeit entgehen kann. Aber Ihnen
muß ich sagen: Vermutungen sind noch keine Tatbestände; Vermutungen kann man widerlegen.
Die Grundsätze zur Abgrenzung zwischen abhängiger
Beschäftigung und Selbständigkeit werden klargestellt.
Genauso gilt weiter der Amtsermittlungsgrundsatz in der
Sozialversicherung weiter. Wir haben erweiterte Möglichkeiten zur Befreiung der Selbständigen von der
Rentenversicherungspflicht geschaffen. Wir haben die
Gewährung eines vorläufigen Rechtsschutzes vorgesehen, den Ausschluß von unzumutbaren Beitragsnachforderungen ins Gesetz aufgenommen und das Ganze entbürokratisiert, indem wir die BfA als allein zuständig bei
den Antragsverfahren erklärt haben. Das alles sind
Wahrheiten.
Wer nun immer noch behauptet, wir hätten für Existenzgründungen nichts getan, will nicht wahrhaben,
was in diesem Gesetz steht, oder - das vermute ich, und
das ist noch schlimmer - er will überhaupt keine
Schutzbestimmungen, und selbst Mindeststandards sind
ihm ein Greuel.
({3})
Das allerdings machen wir nicht mit. Wir haben, um
Existenzgründungen nicht zu verhindern, die Anträge
der PDS abgelehnt. Wenn wir ihnen gefolgt wären,
hätten wir nichts verändert. Deswegen konnten wir ihnen nicht zustimmen.
({4})
Im Ausschußbericht ist zu lesen, daß die CDU/CSU
behauptet, daß wir das Ganze im „Trial-and-errorVerfahren“ - zu deutsch: Versuch-und-Irrtum-Verfahren
- durchgeboxt hätten. Ich glaube, Sie haben sich deshalb
der englischen Sprache bemächtigt, weil Sie diesen
Blödsinn, wenn Sie ihn deutsch ausgedrückt hätten, selber nicht geglaubt hätten.
({5})
Allerdings ist es Ihrer Politik der sozialen Kälte zu
verdanken, daß die Sozialkassen in den letzten 16 Jahren
ausgeplündert wurden. Statt eine Sondersteuer für die
Wiedervereinigung zu erheben, haben Sie einfach der
Rentenversicherung zusätzliche Fremdleistungen aufgebürdet. Den Aufbau Ost haben Sie dann auch noch mit
Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit finanziert. Heute
schreien Sie hier herum und sagen, die Lohnnebenkosten seien zu hoch. Wer hat denn von 1982 bis heute die
Lohnnebenkosten von 34 Prozent auf 42 Prozent hochgetrieben, Sie oder wir? Das darf man sich doch einmal
offen fragen.
Die von Ihnen so vielgescholtene rotgrüne Bundesregierung hat Wege beschritten, um die Lohnnebenkosten zu senken. Diese rotgrüne Bundesregierung hat die
beitragsungedeckten Leistungen, also die FremdleistunPeter Dreßen
gen, steuerfinanziert, statt sie den Beitragszahlern und
den Rentnern aufzubürden. Die Renten steigen, und die
Beitragssätze sinken - das ist die Realität rotgrüner
Politik.
({6})
Wenn Sie dieses Kunststück damals fertiggebracht hätten, hätten wir Ihnen einen Heiligenschein aufgesetzt.
Aber nachdem Sie das nicht geschafft haben, sollten Sie
wenigstens ein paar Stunden in Sack und Asche gehen.
Der Gipfel Ihrer Alternativvorschläge ist nun, daß wir
gleichzeitig das 630-Mark-Gesetz zurückziehen sollen.
Als Begründung steht im Ausschußbericht, die Koalition
habe kein Gefühl mehr für die Lebenswirklichkeit und
das, was gerecht ist. Ich frage Sie: Ist es gerecht, daß ein
Arbeitnehmer, der Überstunden macht, dafür Steuern
und Sozialabgaben berappen muß, aber der, der keine
Überstunden macht, sondern statt dessen zusätzlich
einen 630-Mark-Job hat, dafür nichts zahlen muß? Ich
sage: Das ist nicht gerecht!
Wenn unser Sozialsystem sich nur aus der Bemessungsgrundlage des Faktors Arbeit speist, war es dann
gerecht, immer mehr Arbeit von dieser Bemessung auszuschließen und denen, die übrigbleiben, die Beiträge zu
erhöhen? Ich sage: Nein, Ihre Politik war unsozial und
ungerecht.
({7})
Sie waren im Wolkenkuckucksheim und fern von jeder Realität. Es ist bekannt: Wer reformiert, kann das
nicht zum Vorteil aller machen. Da stimme ich jedem
zu. Frau Noelle-Neumann hat festgestellt: Wer reformiert, wird abgewählt. Wir haben bei den letzten Landtags- und Kommunalwahlen bittere Erfahrungen machen
müssen.
Trotz alledem bin ich überzeugt: Wir dürfen diesen
Pfad nicht verlassen. Ich bin sicher, daß die Bürger langfristig einsehen, daß ohne Reformen in diesem Land
vieles kaputtgeht. Ihren Weg kennen wir: Schulden machen und auf Kosten unserer Kinder die Zukunft vervespern. Das kann nicht unser Weg sein.
Sie argumentieren im Ausschußbericht, vorrangiges
Ziel der jetzigen Regelung der Koalition sei es, Geld in
die Sozialkassen zu bekommen. Ich habe bereits ausgeführt, daß das für das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit nicht zutrifft.
({8})
Allerdings trifft es zu, daß wir über die Mehreinnahmen in der Krankenversicherung beim 630-DMGesetz nicht unerfreut waren. Denn dadurch haben wir
unter anderem für junge Menschen die Zuzahlung beim
Zahnersatz wiederhergestellt und andere unsoziale Taten
beseitigt.
Ist im übrigen eine Regierung zu tadeln, wenn sie alle
Anstrengungen unternimmt, um das von Ihnen in der
Sozialversicherung 16 Jahre lang verursachte Chaos
wieder in geordnete Bahnen zu lenken? Ich meine, nein.
({9})
Ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie morgen hier in diesem Hause das Sagen hätten, Sie würden an diesem Gesetz kein Komma und kein Jota ändern.
({10})
Sie wären sogar dankbar, daß wir das für Sie gemacht
haben.
Nun lese ich in einer Presseerklärung der CDU/CSU
unter der Überschrift „Ein Jahr rotgrüne Sozialpolitik“
den Satz: „Die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt der Regierung Kohl schmelzen dahin.“ Dann weisen Sie darauf
hin, daß zwischen September 1997 und September 1998
die Zahl der Arbeitslosen um 340 000 gesunken ist.
Ich will gar nicht auf die Manipulationen eingehen,
die Sie während des Bundestagswahlkampfes mit den
ABM-Mitteln insbesondere in den neuen Ländern vorgenommen haben. Vielmehr möchte ich Sie darauf hinweisen, daß wir schon heute weniger Arbeitslose haben als
1997. Wir sind schon beim Stand des Jahres 1996 angekommen. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
({11})
- Wir befinden uns auf dem Stand von 1996, und das
können Sie nicht wegdiskutieren. Wir haben jetzt weniger Arbeitslose als 1997.
({12})
Wir sind schon bei 1996 angekommen.
Der Kanzler und sein Arbeitsminister haben es geschafft, daß sich auf dem Arbeitsmarkt etwas bewegt,
und zwar nach unten.
({13})
Die Erfolge von Kohl waren doch immer wieder neue
Rekorde, was die Höhe der Arbeitslosigkeit,
({14})
die Zahl der Langzeitarbeitslosen und die Höhe der Jugendarbeitslosigkeit angeht. Angesichts dessen verteufeln Sie hier das JUMP-Programm, obwohl es dazu beiträgt, daß junge Menschen wieder eine Chance für die
Zukunft bekommen.
Insofern haben Sie recht: Diese Erfolge von Kohl,
nämlich die Rekordhöhe der Arbeitslosigkeit, schmelzen. Dazu sage ich: Gott sei Dank sind wir jetzt auf dem
richtigen Weg.
({15})
Im Fazit ihrer Presseerklärung stellt die CDU/CSU
fest:
Notwendig ist ein Neubeginn in der Sozialpolitik,
der den Weg freimacht für mehr Beschäftigung und
mehr Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme.
Recht haben Sie mit dieser Feststellung.
Ihr Problem ist nur, daß Sie nicht wahrhaben wollen,
daß die rotgrüne Bundesregierung genau dies tut, und
zwar mit Erfolg.
({16})
Haben Sie denn vergessen, daß wir die 100prozentige
Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle wiederhergestellt
haben? Haben Sie denn vergessen, daß für 8 Millionen
Menschen der Kündigungsschutz wieder gilt? Haben Sie
vergessen, daß der Beitrag zur Rentenversicherung von
20,3 auf 19,5 und demnächst auf 19,3 Prozent absinkt
und daß zugleich die Fremdleistungen in der Rentenversicherung jetzt steuerfinanziert werden? Haben Sie vergessen, daß die Winterarbeitslosigkeit auf dem Bau
durch die Einführung des Schlechtwettergeldes beseitigt,
daß die Entlassungsabfindungen nicht mehr auf das Arbeitslosengeld angerechnet werden und daß beim Steuerrecht Familien und Arbeitnehmerhaushalte kräftig
entlastet werden?
Dies ist wahrlich eine stolze Bilanz, wobei ich der
Zeit wegen noch nicht einmal alles aufführen konnte.
Dies alles haben wir durchgesetzt, obwohl Sie von der
Opposition in der Sozialpolitik nichts anderes tun als
verschleiern und verhindern, ja selbst vor Unwahrheiten
und Verunsicherungen nicht zurückschrecken.
Ich will Ihnen deutlich machen, daß sogar die Presse
darauf einsteigt. In der „Bild-Zeitung“ vom 10. November dieses Jahres steht: 75 Prozent der 630-DM-Jobs
wurden ersatzlos gestrichen.
({17})
- Ja, weil Sie das so behaupten. Leider übernimmt die
Presse manchmal die Enten, die Sie produzieren.
({18})
- Im Arbeitsministerium wurden 3,2 Millionen 630-DMJobs registriert.
({19})
Wenn man dem folgen würde, hätten wir vorher
12,4 Millionen solcher Jobs gehabt. Daß das von A bis Z
nicht stimmen kann, ist ja wohl klar. Das können Sie
nicht wegdiskutieren.
({20})
3,2 Millionen 630-DM-Jobs sind schon heute registriert. Dabei sind diejenigen, die neben einem normalen
Arbeitsverhältnis einen zusätzlichen 630-DM-Job haben,
gar nicht registriert. Wenn ich die noch hinzurechne,
dann müßte es nach Ihrer Devise 12 bzw. 13 Millionen
630-DM-Jobs gegeben haben. Das - das müssen Sie
zugeben - haben selbst wir in der Opposition nicht behauptet. Wir sind immer davon ausgegangen, daß es
zwischen 5 und 6 Millionen 630-DM-Jobs gibt.
Wie gesagt, 3,2 Millionen sind Gott sei Dank registriert. Die Sozialversicherung und die Krankenversicherung haben dadurch Mehreinnahmen; das ist richtig. Das
ist notwendig, damit die bestehenden schwierigen Gegebenheiten beseitigt werden können.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Realisierung sozialer Gerechtigkeit sind und bleiben die vorrangigen Ziele der rotgrünen Regierung.
({21})
Dieses Gesetz ist ein Baustein zur Förderung der Selbständigkeit, aber auch ein Baustein für die Funktionsfähigkeit des Sozialversicherungssystems. Ich bitte deshalb um Ihre aktive Zustimmung, meine Herren.
({22})
Bevor ich dem
nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich Ihnen das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der letzten namentlichen Abstimmung zum
Steuerbereinigungsgesetz 1999 auf den Drucksa-
chen 14/1514, 14/1655 und 14/2035 bekannt: Abgege-
bene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 326, mit
Nein haben gestimmt 212. Es gab 29 Enthaltungen.1)
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Das Wort in dieser Debatte hat nun der Abgeordnete
Klaus Hofbauer.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr
Dreßen, es ist schon interessant, Ihnen zuzuhören,
({0})
vor allen Dingen Ihren Ausführungen zum Thema Arbeitsmarkt.
Angesichts der Arbeitsmarktzahlen, die in den
letzten Tagen zu hören waren, wird die Bankrotterklärung der Bundesregierung offensichtlich.
({1})
Diese Bundesregierung hat versprochen, die Arbeitslosigkeit drastisch zu reduzieren.
({2})
1) Die Namensliste wird in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
abgedruckt.
Aber in der Presse steht: Ein Jahr Schröder - Stillstand
auf dem Arbeitsmarkt. Und das ist auch feststellbar; das
muß registriert werden.
({3})
Diese Bundesregierung ist angetreten, um die Arbeitslosigkeit drastisch abzubauen, und zwar in kürzester
Zeit. Im letzten Jahr der Regierung Kohl, sind 400 000
Arbeitslose abgebaut worden. Aber seitdem ist ein Jahr
lang nichts mehr passiert. Das sind die Fakten, meine
sehr geehrten Damen und Herren.
({4})
Ich möchte gar nicht erst von dem Rückgang der
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
sprechen. Leider Gottes kann uns niemand, auch nicht
die Bundesregierung, die genaue Zahl nennen. Die
Schätzungen gehen aber unbestritten davon aus, daß in
diesem einen Jahr fast 400 000 Arbeitsplätze verlorengegangen sind. Dies muß noch in die Arbeitsmarktzahlen einbezogen werden.
({5})
Der neuerliche Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit genügt bei weitem nicht den
Anforderungen an ein modernes Regelungswerk für ein
unkompliziertes und unbürokratisches Verfahren. Deshalb fordert die Union, das Gesetz in Gänze zurückzunehmen.
({6})
Wir und viele Experten haben vor den Problemen
gewarnt. Die Entwicklung der letzten Monate hat uns
leider recht gegeben.
({7})
Das jetzt vorliegende Korrekturgesetz ist ein offenes
Eingeständnis des völligen Fehlschlags des ersten Versuchs von Herrn Minister Riester, die sogenannte
Scheinselbständigkeit zu bekämpfen.
Wir erinnern uns an die Regierungserklärung im
letzten Jahr. Rotgrün hat versprochen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, den Arbeitsplatzabbau zu stoppen
({8})
und die Bürokratie abzubauen. Es sieht ganz anders aus:
Das 630-DM-Gesetz hat geringfügige Beschäftigungsverhältnisse vernichtet. Und das Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit hat Existenzgründungen erschwert und zum Teil unmöglich gemacht.
({9})
Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, daß im
Bundestag auf Ihren Vorschlag hin Gesetze verabschiedet werden, die sich schon nach wenigen Wochen als
praxisuntauglich erweisen und grundlegend geändert
werden müssen. Das Maß an Widersprüchen und an Irritationen, die durch dieses Ministerium und durch Ihre
Koalition ausgelöst werden, ist meiner Auffassung nach
voll.
Bezeichnend ist, was die Bundesregierung im Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit
als Begründung für die Reparatur des Gesetzes vorlegt.
Ich zitiere aus dem Vorspann:
Die Neuregelungen haben in der Praxis ... aufgrund
von Mißverständnissen über ihre rechtliche Tragweite zu Schwierigkeiten geführt.
Wenn man nach wenigen Wochen feststellt, daß ein
Gesetz so nicht funktioniert, dann ist es doch ein Armutszeugnis, ein solches Gesetz überhaupt vorgelegt zu
haben. Sie haben mit dieser Neuregelung Ihr eigenes
Gesetz vom letzten Jahr abgewatscht.
({10})
Wie lange wollen es sich diese Bundesregierung und
die rotgrüne Koalition noch erlauben, solch mißratene
Gesetze
({11})
trotz der Warnung der Experten und der Opposition in
Kraft zu setzen?
({12})
Wir garantieren Ihnen, daß auch dieses Gesetz nicht lange halten wird und daß wir bald wieder vor neuen Ergänzungen und Änderungen stehen werden.
({13})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Sie
mir, wenn es um Existenzgründungen geht, eine ganz
persönliche Bemerkung. Ich war 15 Jahre lang Wirtschaftsreferent in einem Landratsamt
({14})
und habe vielleicht 700 oder 800 Existenzgründungsgespräche geführt und ungefähr 150 Existenzgründungen
von Anfang an bis zum Erfolg begleitet. Aus meiner
praktischen Erfahrung kann ich sagen: Dieses Gesetz
behindert und verzögert, und vor allen Dingen demotiviert es junge Leute, einen Betrieb zu eröffnen.
({15})
Erlauben Sie mir eine weitere Bemerkung auf Grund
meiner praktischen Erfahrung aus den Existenzgründungsgesprächen: Die jungen Menschen haben mit der
Bürokratie die größten Schwierigkeiten. Sie bauen mit
diesem Gesetz wie bei den 630-DM-Jobs neue Demokratie
({16})
- Bürokratie auf. Sie sind Weltmeister in der Schaffung
von Bürokratie, dabei wollten Sie doch die Bürokratie
abbauen. Dieses Versprechen haben Sie bei weitem
nicht erfüllt.
({17})
Ein schlechtes und unausgewogenes Gesetz wird
auch durch das Herumdoktern an den Symptomen nicht
besser. Es fehlt die Grundlage. Schauen Sie einmal in
die neue Ausgabe der „Wirtschaftswoche“: Im letzten
Jahr ist gegenüber heuer die Zahl der Gewerbeanmeldungen um 40 000 zurückgegangen. Denken Sie einmal
darüber nach, welchen Anteil daran Ihr Gesetz hat. Das
ist Ihre verfehlte Politik, für die tragen Sie die Verantwortung.
Erlauben Sie mir, zum Antrag der CDU/CSU zum
630-DM-Gesetz ein paar Anmerkungen zu machen. Sie
haben einen Wust von Bestimmungen und Verordnungen verursacht, der katastrophal ist.
({18})
Sie haben Regelungen für verschiedene Gruppen getroffen, zum Beispiel für Minijobber oder für Nebenjobber hier gibt es vier Varianten zu beachten -, für geschiedene Jobber, für Rentner, für Schüler und Studenten, für
kurzzeitig tätige Jobber und für Menschen, die erweiterte Rentenansprüche erwerben wollen, für Arbeitslose
und für Sparer. Sie haben ein undurchschaubares Gesetz
in die Welt gesetzt.
({19})
In der Broschüre des Arbeitsministeriums sind allein
12 unterschiedliche Fallbeispiele enthalten. In den
Richtlinien für die Spitzenverbände der Sozialversicherung stehen sogar 28 verschiedene Fallbeispiele. Die
Verwaltungs- und Gerichtspraxis wird zeigen, daß diese
Liste ins Unendliche fortgesetzt werden kann. Diese
Bundesregierung und diese Koalition schaffen Bürokratie und keine Arbeitsplätze.
({20})
Darf ich zum 630-DM-Gesetz noch eine Zahl ins
Spiel bringen? Wenn meine Schätzungen stimmen man möge mir widersprechen, wenn es nicht so ist -,
sind allein ungefähr 2,3 Millionen Anträge über Freistellungen im letzten Jahr zu bearbeiten gewesen.
({21})
Wissen Sie, welchen bürokratischen Aufwand Sie den
Finanzämtern aufgebürdet haben?
({22})
Die Finanzämter kommen nicht mehr zu ihren eigenen
Aufgaben. Sie wollten Bürokratie abbauen und haben
neue Bürokratie geschaffen.
In diesem Sinne wäre es sinnvoll, das eine Gesetz sofort aufzuheben und das andere Gesetz zurückzunehmen, um wieder mehr Schwung in die Wirtschaftskraft
zu bringen.
Herzlichen Dank.
({23})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Margareta Wolf.
({0})
Herr Niebel, ich würde nie von Ihnen abschreiben.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Verehrter Herr Kollege Hofbauer, Sie haben gerade beklagt, daß wir mit unserem Gesetz die Scheinselbständigkeit nicht zurückgedrängt haben. Wir haben
in der Tat mit dem Gesetz, das am 19. Dezember 1998
verabschiedet wurde,
({1})
einen untauglichen Versuch unternommen, der Scheinselbständigkeit entgegenzuwirken.
({2})
- Ich weiß, daß Sie gern dazwischenrufen.
Sie sind diesem Prozeß, daß zunehmend Leute von
den Arbeitgebern aus Betrieben „outgesourced“ und in
die Selbständigkeit geschickt wurden, weil die Sozialversicherungsbeiträge zu hoch waren, nicht entgegengetreten. Sie wissen auch, daß Sie den Mut dazu nicht
hatten und haben.
({3})
Jetzt sagen Sie, verehrter Herr Kollege Hofbauer, wir
würden mit dem Gesetzentwurf, über den wir heute diskutieren, deutlich machen, daß wir unser erstes Gesetz
abwatschen. Herr Kollege Hofbauer, wir haben ein anderes Verständnis von Politik als Sie. Wir haben mit
diesem Gesetzentwurf tatsächlich das erste Gesetz korrigiert. Wir haben erst drei Monate lang Erfahrungen gesammelt und dann eine Kommission eingerichtet. Wir
haben genau das gemacht, was Sie heute mit Ihren Anträgen einfordern.
({4})
- Sie hätten sich schon in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit mit den Leuten treffen müssen. Aber jetzt,
nachdem wir einen Prozeß abgeschlossen haben, stellen
Sie sich hierhin und sagen: Weg mit dem Gesetz, denn
ihr müßt euch erst einmal mit den betroffenen Branchen
treffen.
Das haben wir getan. Dieser Gesetzentwurf ist unter
Beteiligung der IT-Branche, einer Zukunftsbranche, der
Journalisten, der freien Berufe und der Gewerkschaften
entstanden. Diese Kommission hat hart gearbeitet und
hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, von dem ich glaube,
daß er tatsächlich zu mehr Selbständigkeit und zur Sicherung der Sozialversicherungssysteme beiträgt.
({5})
Herr Kollege Dreßen, ich glaube, es war gut, daß sich
die Kommission nicht die Aufgabe gestellt hat, zu definieren, was abhängig Beschäftigte sind. Daran beißen
sich BAG-Richter seit Jahrzehnten die Zähne aus. Ich
glaube auch, daß es hier keine Statusdefinition geben
sollte. Denn unsere Arbeitsgesellschaft befindet sich in
einem Umbruch, bei dem Statusdefinitionen nicht weiterhelfen.
Frau Kollegin,
darf der Kollege Hinsken eine Zwischenfrage stellen?
Nein. Den Kollegen Hinsken kenne ich
schon. Herr Hinsken, ich schätze Sie sehr, und Sie können Ihre Frage später stellen. Ich möchte noch einen
Punkt ansprechen, danach können wir gern diskutieren.
({0})
- Herr Niebel, dies möchte ich mit allem Ernst ansprechen. Ich finde das alles nämlich nicht so schrecklich
komisch, wie Sie das immer finden.
({1})
Ich habe eine wirklich ernstgemeinte Frage an die
F.D.P., aber auch an die CDU. Ich glaube, Sie, meine
verehrten Kolleginnen und Kollegen, müssen sich entscheiden, ob Sie die soziale Marktwirtschaft tatsächlich zukunftstauglich machen wollen.
Sehen Sie sich einmal alle Statistiken an. Diese sind
nicht vom Himmel gefallen. Ich möchte auch nicht immer auf die 16 Jahre hinweisen, aber Sie müssen sich
einmal ansehen, wie das Vertrauen in die Systeme der
sozialen Sicherung in den letzten Jahren - berechtigt geschwunden ist. Es wird von sozialer Ungerechtigkeit
geredet. Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie die
soziale Marktwirtschaft zukunftstauglich machen, oder
beziehen Sie sich immer nur so auf Röpke und Eucken,
weil es gut in Ihren Kurs paßt? Für meine Begriffe sind
Sie durch Ihren Fundamentalismus auf dem besten Wege, sich von der sozialen Marktwirtschaft zu verabschieden. Sie blockieren Innovationen, die diese soziale
Marktwirtschaft zukunftstauglich machen würden.
({2})
Ziel unseres Gesetzes - ich gebe zu, das ist ein Spagat - war es, auf der einen Seite Selbständigkeit zu fördern und auf der anderen Seite den schon beschriebenen
Prozeß, daß Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunehmend in die Selbständigkeit ohne Sozialversicherungspflicht gedrängt werden, zu beenden und dies zu
verknüpfen. Das ist eine Herausforderung, der wir uns
vor dem Hintergrund des Übergangs von der Industriegesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft stellen
mußten.
Dazu, daß Sie jetzt immer sagen, dies sei unglaublich
bürokratisch, muß ich sagen: Entschuldigen Sie bitte,
verehrte Kolleginnen und Kollegen, aber die Statusanfrage, die Sie im Rahmen der Anhörung immer als bürokratisch kritisiert haben, gab es auch schon zu Ihrer
Regierungszeit, allerdings mit dem Unterschied gegenüber dem jetzigen Entwurf, daß man die Statusanfrage
bei dem jeweiligen Krankenversicherungs- und Rentenversicherungsträger stellen mußte. Wir gestalten die
Statusanfrage effizient. Ausschließlich zuständig ist die
BfA.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es
handelt sich bei dem Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit um ein gutes Gesetz. Wir haben durch die
Erweiterung des Kriterienkatalogs und vornehmlich
durch die Zurückdrängung - ({3})
- Sie haben sicher noch Gelegenheit, sich dazu zu äußern, sonst lassen Sie sich von Ihrer Fraktion auf die
Rednerliste setzen. Ich finde es störend, Herr Niebel.
({4})
- Ich habe von Ihnen noch nie etwas abgeschrieben. Ich
finde Ihre Papiere bisweilen nicht sehr inhaltsreich. Die
Floskeln wiederholen sich ständig.
({5})
Daß Sie damit auf wenig Resonanz stoßen, müßten
inzwischen auch Sie schon gemerkt haben.
({6})
Wir haben die Vermutungsregelung aus guten
Gründen - aus Gründen des Bürokratieabbaus, aber
auch vor dem Hintergrund des Ziels der Förderung der
Selbständigkeit - zurückgedrängt. Sie ist quasi nicht
mehr existent.
Darüber hinaus haben wir etwas gemacht, auf das
man vielleicht schon früher einmal hätte kommen können: Wir stellen die Existenzgründer für drei Jahre von
der Rentenversicherungspflicht frei. Diese Möglichkeit
kann man zweimal im Leben in Anspruch nehmen. Zudem sind wir dazu übergegangen, daß alle schon jetzt
Selbständigen bis zum 30. Juni 2000 Zeit haben, ihre
Altersvorsorge nachzuweisen: in Form von Immobilien, in Form von Anlage in Aktienfonds - egal, wie.
Wir überlassen es ihnen selber, nachzuweisen, daß sie
Margareta Wolf ({7})
für ihr Alter vorgesorgt haben. Wir schreiben ihnen
nicht vor, wie sie das zu regeln haben. Die Befreiung
von der Rentenversicherungspflicht muß bis zum
30. Juni 2000 beantragt werden. Ich halte das für ein
sehr gutes Signal für die Existenzgründer.
Ich möchte Sie bitten, diesen Prozeß - das wird ja
nicht die letzte Debatte zu diesem Thema sein - zur
Förderung der Selbständigkeit in Deutschland und zur
Reform des Sozialversicherungssystems zu unterstützen.
Verehrter Herr Kollege Niebel, ein Problem der alten
Bundesregierung war - aber ich glaube, das betrifft alle
Fraktionen hier in diesem Hause -, daß Sozialpolitiker
zuwenig mit Wirtschaftspolitikern geredet haben. Ich
weiß nicht, wie das bei Ihnen ist.
({8})
- Das ist ja ganz hervorragend, nur erinnere ich mich an
überhaupt keine sozialpolitischen Ansätze bei Ihnen.
Übrigens sind mir auch keine Ansätze erinnerlich, die
in der Vergangenheit zu mehr Selbständigkeit geführt
hätten. 1998 betrug die Selbständigenquote in Deutschland 9,4 Prozent.
({9})
Sie wissen vielleicht, daß sie in Großbritannien bei
12 Prozent, in den Niederlanden bei 10 Prozent, in Belgien bei 13 Prozent lag. 1999 beläuft sich die Selbständigenquote auf 9,6 Prozent, gegenüber 9,4 Prozent im
Jahre 1998. Wir müssen hier noch relativ viel tun. Aber
ich glaube, Sie können hier nicht ernsthaft behaupten,
den Selbständigen gehe es so schlecht, weil jetzt ein Jahr
Rotgrün regiert.
({10})
Es gibt unsererseits einiges aufzuarbeiten. Ich kann
Sie nur herzlich einladen: Wenn wir die soziale Marktwirtschaft erhalten und zukunftstauglich machen wollen,
dann wirken Sie konstruktiv mit, anstatt jede Debatte zur
Reform der sozialen Marktwirtschaft dazu zu nutzen,
populistisch dumme Sprüche zu klopfen!
({11})
Als ich die Beiträge der F.D.P.-Kollegin zur Familienförderung gehört habe, habe ich spontan gesagt: Die
F.D.P. ist auf dem Weg hin zur alten Traditionssozialdemokratie. Diese Beiträge sind hier lange genug
gehalten worden. Ich lade Sie also ein - denn es handelt
sich um ein riesengroßes Reformprojekt -, die soziale
Marktwirtschaft Ludwig Erhards zu erneuern und somit
zukunftstauglich zu machen.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Heinrich Kolb.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Frau Wolf, Ihr Versuch, den hier vorliegenden Gesetzentwurf schönzureden, taugte nicht. Sie werden damit
keinen Erfolg haben.
({0})
Die rotgrüne Koalition hat vor ziemlich genau einem
Jahr - trotz damals unüberhörbar vorgetragener Warnungen und Bedenken nicht nur der Opposition, sondern
auch aller angehörten Experten - eine Regelung beschlossen, die man rückblickend nur als Anschlag auf
die Selbständigkeit in Deutschland bezeichnen kann.
({1})
Eifernd, mit Schaum vor dem Mund, haben Sie damals
unter dem hehren Titel „Korrekturen in der Sozialversicherung und Sicherung der Arbeitnehmerrechte“ zumindest einen Gründerjahrgang erheblich verunsichert,
wenn nicht sogar vollständig platt gemacht.
Zwar werden uns die endgültigen Zahlen zum Existenzgründungsgeschehen das ganze Desaster für das
Jahr 1999 deutlich machen, aber der Trend ist schon
jetzt klar; Kollege Hofbauer hat ihn benannt. Die Verantwortung dafür liegt bei Ihnen.
Nun liegt also das Korrekturgesetz zum Korrekturgesetz vor. Dieser Gesetzentwurf ist schon deswegen unzureichend, weil er andere dringend korrekturbedürftige
Sachverhalte, zum Beispiel die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, außen vor läßt.
Ich fordere Sie auf: Werden Sie auch hier tätig. Nehmen Sie die berechtigten Klagen im Lande und die Menschen ernst. Wir werden auf jeden Fall heute aus diesem
Grund dem Entschließungsantrag der CDU/CSU zustimmen.
({2})
Aber selbst da, Frau Kollegin Kastner, wo Sie den
Versuch einer Überarbeitung bei der von Ihnen so bezeichneten Scheinselbständigkeit unternehmen, kann
man nicht umhin, kopfschüttelnd nur eine Verschlimmbesserung festzustellen. Es zeugt - ich muß das so sagen
- von Unbelehrbarkeit und von Beratungsresistenz, daß
Sie erneut den Anregungen und Warnungen in der Expertenanhörung nicht folgen, sondern Ihren Gesetzentwurf weitgehend unverändert in einem Eilverfahren in
diesem Hause durchsetzen wollen.
({3})
- Herr Dreßen, ich habe sie alle durchgelesen. Ich habe
mir diese Mühe gemacht, obwohl Ihnen etwa die BDA
und der ZDH in Kenntnis Ihrer vorgeschlagenen Korrekturen dringend und übereinstimmend nahegelegt haben, die mit dem ersten Korrekturgesetz eingeführten
Bestimmungen zurückzunehmen und zum alten Rechtszustand zurückzukehren.
Margareta Wolf ({4})
Ich fordere Sie im Namen meiner Fraktion auf: Nehmen Sie, wenn Sie dem Titel Ihres Gesetzentwurfes gerecht, wenn Sie Selbständigkeit fördern wollen, dieses
Gesetz vollständig, ersatzlos und rückwirkend zurück.
({5})
Erneut werden Sie mit Ihrer Gesetzesvorlage Ihrem
selbstverschuldeten Ansehen in der Öffentlichkeit,
schlampig und nicht mit der gebotenen Sorgfalt zu arbeiten, gerecht. So hat es in der Anhörung, Herr Dreßen,
regelrecht Anregungen und Verbesserungsvorschläge
gehagelt. Ich kann Ihnen hier nur einige nennen.
Der Amtsermittlungsgrundsatz wird anders, als Sie
behauptet haben, nicht gestärkt, sondern geschwächt. Sie
setzen Ihren wohl wichtigsten Vorschlag, die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 4 des Sozialgesetzbuches auf
Fälle zu beschränken, in denen die Verfahrensaufklärung eine Sachaufklärung durch Obstruktion unmöglich
macht, nicht sachgerecht um. Sogar der Vorsitzende der
von Ihnen eingesetzten Kommission Scheinselbständigkeit, Professor Dieterich, hat Ihnen dazu in einem dringenden Appell attestiert, daß dies in der Praxis zu verfehlten Ergebnissen führen kann - ich füge hinzu -, führen wird.
({6})
Professor Dieterich schreibt:
Ein Auftragnehmer, der seine Einbeziehung in die
gesetzliche Rentenversicherungspflicht wünscht,
könnte durch beharrliches Schweigen erreichen,
daß die Vermutungsregelung angewendet werden
muß, obwohl der auskunftswillige Auftraggeber
dem nachdrücklich und substantiiert widerspricht.
Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Besinnen Sie sich! Sorgen Sie dafür, daß dieser Murks nicht geltendes Recht in
Deutschland wird!
({7})
Die Beschränkung der rückwirkenden Beitragshaftung des Auftraggebers ist sicherlich gut gemeint, aber
sie läuft leer, wenn der Arbeitnehmer bzw. Auftragnehmer seine Zustimmung nach § 7 a Abs. 6 und § 7 b Nr. 1
SGB verweigert. Das ist nicht sachgerecht, weil der Beschäftigte dem Arbeitgeber damit die Beitragshaftung
aufzwingen kann.
Ich kann aus Zeitgründen nicht mehr Beispiele nennen. Doch schon diese wenigen Beispiele zeigen, warum Sie auch mit diesem Gesetz an der Praxis scheitern werden. Sie sind vom falschen Paradigma geleitet,
das bei einer Existenzgründung sozusagen böswillige
Arbeitgeber einen schutzbedürftigen Arbeitnehmer aus
der Sicherheit der Sozialversicherung herausreißen
wollen.
Herr Dreßen, Sie tun dem Kollegen Niebel unrecht.
({8})
Sie übersehen, daß es viele Menschen gibt, die die
Zwangsvorsorge der gesetzlichen Rentenversicherung
nur allzugerne abstreifen. Das ist bei der von Ihnen betriebenen Rentenpolitik kein Wunder.
({9})
Warum, Herr Dreßen, geben Sie keine Wahlfreiheit
auf Dauer, wie auch von den Experten vorgeschlagen,
zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und privater
Altersvorsorge? Ich kann Ihnen sagen warum. Es geht
Ihnen letztlich nicht um die Absicherung der Menschen,
({10})
sondern darum, für die Rentenversicherung Kasse zu
machen. Das ist der eigentliche Grund.
({11})
- Sehen Sie denn nicht, Herr Dreßen, daß Sie damit die
Verunsicherung der Existenzgründer noch steigern? Wer
kann und will in den ersten drei Jahren nach Gründung
mit dem Aufbau einer alternativen Altersvorsorge beginnen, wenn er oder sie damit rechnen muß, sich nach
drei Jahren erneut in den Fängen der Pflichtversicherung
wiederzufinden?
({12})
Oder umgekehrt: Bei Ihrem Gesetz ist es möglich,
zunächst ohne Mitarbeiter zu arbeiten, nach fünf Jahren
Mitarbeiter einzustellen, um dann festzustellen, daß die
zwischenzeitlich bezahlten Beiträge verloren gegangen
sind, wenn man dann mit dem Beginn einer eigenen Altersvorsorge anfängt.
Daß Sie im übrigen jedem Existenzgründer nur zwei
Versuche einer Gründung zugestehen wollen, ist ein
weiterer Ausdruck Ihres Mißtrauens gegen alles, was
mit Selbständigkeit zu tun hat.
({13})
Deswegen seien Sie wenigstens so ehrlich, den Titel Ihres Gesetzes zu ändern. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Etikettenschwindel.
({14})
Fazit, Herr Dreßen: Die Verunsicherung wird bleiben.
Die Modellrechnungen, die uns in der Anhörung vorgelegt worden sind, bestätigen, daß durch das vorliegende
Gesetz ein deutlich größerer Personenkreis dem Verdacht der Scheinselbständigkeit ausgesetzt wird, als es
vor dem Inkrafttreten des ersten Korrekturgesetzes der
Fall war.
({15})
Dies ist nicht nur schade, sondern fatal, Herr Dreßen,
weil Existenzgründer in den ersten Wochen und MonaDr. Heinrich L. Kolb
ten ihrer Selbständigkeit wirklich andere Probleme haben, als mit der BfA über ihren Status zu streiten.
({16})
Aber davon haben Sie keine Ahnung. Wir schon! Deswegen stimmen wir Ihrem Gesetz nicht zu.
({17})
Als
nächster Redner hat das Wort die Kollegin Dr. Heidi
Knake-Werner von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ihr Gesetzentwurf,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, ist weder Fisch noch Fleisch. Es ist
wirklich schade, daß binnen eines Jahres rotgrüner Regierungspolitik ein richtiger Politikansatz verwässert
wird, nur weil die Unternehmer und ihre Verbände diese machen ja die eigentliche Politik - laut genug dagegen Stimmung machen. Es fällt auf, daß genau unter
diesem Druck aus einem Gesetz zum Schutz vor
Scheinselbständigkeit ein Gesetz zur Förderung der
Selbständigkeit wird. Dies mag auch ein wichtiges Anliegen sein, aber es war nicht das Anliegen des ursprünglichen Gesetzes. Dies führt natürlich dazu, daß
inzwischen alle unzufrieden sind. CDU/CSU und F.D.P.
- dies haben wir gerade gehört - sowie die Unternehmerverbände wettern gegen jede Form der sozialen Regulierung. Die Gewerkschaften sind enttäuscht. Die Betroffenen selbst fürchten, daß dem Mißbrauch nun erneut Tür und Tor geöffnet wird.
({0})
Vor knapp einem Jahr haben wir hier Regelungen zur
Bekämpfung der Scheinselbständigkeit verabschiedet.
Die PDS hat damals zugestimmt, und zwar aus gutem Grund. Wir alle wissen, daß immer mehr Menschen gegen ihren Willen in die Selbständigkeit gedrängt werden, und zwar meist unter dem Verlust ihres
Tariflohns oder ihrer sozialen Schutzrechte. Dies geschieht nur, weil sich ihre Arbeitgeber vor der Zahlung
der Beiträge in die Sozialkassen drücken wollen. Aber
es ging damals darum, den scheinselbständig Arbeitenden sozialen Schutz zu geben und dafür zu sorgen, daß
Krankheit sie nicht ruiniert, daß Arbeitslosigkeit nicht
ihre Existenz bedroht und daß sie im Alter nicht zum
Sozialamt gehen müssen. Vor allem darum geht es auch
heute.
Niemand möchte Künstler, freie Journalisten, Computerspezialisten oder diejenigen, die wirklich selbständig sein wollen, in die Sozialversicherung zwingen.
Niemand möchte Existenzgründungen verhindern. Nein,
in dem vorliegenden Gesetz, das bis jetzt gilt, ging es
vorrangig um den Transportfahrer, der den Lkw bei seinem Auftraggeber kaufen muß, die Regalauffüllerin im
Supermarkt sowie um den Ausbeiner und den Kopfschlächter, die am Fließband im Schlachthof arbeiten,
oder um die Telearbeiterin an ihrem heimischen Computer. Deren Schutzbedürftigkeit ist heute genauso aktuell wie vor einem Jahr.
({1})
Es geht uns ebenfalls darum - auch dies ist bedrükkend aktuell -, der Entwicklung eines neuen Niedriglohnsektors in der Grauzone zwischen Selbständigkeit
und Scheinselbständigkeit entgegenzuwirken. Dies war
das zentrale Anliegen des jetzt noch geltenden Gesetzes.
Aber von diesem rücken Sie zunehmend ab. Genau das
halten wir für den völlig falschen Weg.
Das, was die CDU/CSU und die F.D.P. hier anzubieten haben, ist so einfallslos wie falsch. Sie machen es
sich wirklich ein bißchen zu einfach, wenn Sie sagen:
Das Gesetz muß weg; denn selbst während Ihrer Regierungszeit ist Ihnen schon aufgefallen, daß die Sozialkassen ausbluten, wenn immer weniger Menschen in normalen und dafür immer mehr Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten und wenn sich die Unternehmer aus ihrer sozialen Verpflichtung stehlen. Hier
bestand und besteht auch weiterhin Handlungsbedarf.
Aber ich finde es gut, daß das Problem zumindest angepackt worden ist.
Auch wir hatten reichlich Kritik an dem Gesetz zu
den 630-DM-Jobs, sehen uns aber heute in der Situation,
dieses Gesetz gegen die Verdummungskampagne der
Opposition in der Öffentlichkeit zu verteidigen.
({2})
Nun zu einigen Punkten im einzelnen: Ich gestehe zu,
daß es in dem neuen Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt
haben, einige wichtige Änderungen gibt, die helfen können, Mißverständnisse, Fehlinterpretationen und Irritationen zu verhindern. Ich finde es gut, daß künftig Betroffene überprüfen lassen können, ob sie selbständig
oder scheinselbständig sind, und dabei alle Umstände ihrer individuellen Situation zum Tragen kommen müssen.
Daß das jetzt allein die Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte machen soll, ist ganz sicher ein wichtiger
Schritt zur Entbürokratisierung. Dies schafft Rechtssicherheit sowohl für die echten Selbständigen als auch
für die abhängig Beschäftigten. Auch verhindert es offensichtlich, daß weiter Panik gemacht werden kann und
die Betroffenen verunsichert werden können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen
auch, daß Sie neu regeln, daß künftig bei der Feststellung der Selbständigkeit Ehefrauen und Ehemänner als
ganz reguläre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
zählen. Das kann natürlich Mißbrauch fördern; aber jede
andere Regelung wäre wirklich mittelalterlich. Das
wollen wir sicherlich alle gemeinsam nicht.
({3})
Aber ich sage Ihnen auch, liebe Kolleginnen und
Kollegen, daß ich es absolut falsch finde, daß künftig
Sozialbeiträge unter bestimmten Bedingungen erst gezahlt werden müssen, wenn die Scheinselbständigkeit
festgestellt wird, und nicht schon ab dem Zeitpunkt des
Anstellungstermins. Das führt zu Verlusten bei Sozialbeiträgen für die Betroffenen. Das führt ferner zum
Verlust eines indirekten Kündigungsschutzes. Das beDr. Heinrich L. Kolb
günstigt schließlich die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die sich ihrer Sozialpflicht entziehen, und verschafft
ihnen Wettbewerbsvorteile, die ihnen einfach nicht zustehen.
Kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich komme zum
Schluß.
Lassen Sie mich nur noch etwas zu den Existenzgründungen sagen. Ich halte es auch für richtig, Existenzgründerinnen und Existenzgründer zu unterstützen;
das wollen wir auch. Aber sie drei Jahre lang beitragsfrei zu stellen, obwohl sie lediglich Minimalbeiträge von
103 DM bzw. 123 DM zu bezahlen haben, halte ich für
falsch. Sie wissen sehr wohl, daß man bei demjenigen,
der diese Beiträge nicht aufbringen kann, schon fragen
darf, ob sein Unternehmenskonzept wirklich zukunftstauglich ist. Diesen Fehler zu wiederholen empfinde ich
als das absolut falsche Signal. Wir möchten diesen Personenkreis einbeziehen.
Zum Abschluß möchte ich Sie an ein Wort Ihres
Bundeskanzlers erinnern,
({0})
der gestern in seiner Regierungserklärung gesagt hat -
Frau
Kollegin, Sie haben jetzt Ihre Redezeit weit überzogen.
Ich bitte Sie, Ihre Rede sofort abzuschließen.
Lassen Sie mich
einfach noch das Zitat vortragen.
Nein,
ich lasse das nicht mehr zu. Ich bitte Sie aufzuhören.
Schade, denn er
hat sich und uns etwas sehr Wichtiges mit auf den Weg
gegeben.
Wir werden uns jedenfalls bei dem Gesetzentwurf
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen der Stimme enthalten.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Olaf Scholz von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier über die Weiterentwicklung eines Gesetzes, das wir vor einem Jahr beschlossen haben, das dringend notwendig war und das
noch einmal erläutert werden muß, weil man manchmal
ein bißchen durcheinanderkommt.
Bei diesem Gesetz ging es um einen großen Mißstand, der sich über Jahre hinweg aufgebaut hat und den
die alte Regierung nicht beheben konnte.
({0})
Er bestand darin, daß bei der zugegebenermaßen nicht
immer einfachen Frage, wer Selbständiger und wer abhängig Beschäftigter, also Arbeitnehmer, ist, der Arbeitgeber aus ökonomischen Gründen in immer mehr Fällen
Menschen als Selbständige behandelt hat, die in Wahrheit abhängig Beschäftigte waren. Es gibt Zählungen,
die besagen, daß fast eine Million Menschen in dieser
Art und Weise tätig sind. Das ist für einen Sozialstaat
und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft eine
große Bedrohung.
({1})
Wir haben uns nämlich schon sehr lange dafür entschieden, daß in Deutschland das System der sozialen Sicherheit, als Pflichtmitgliedschaft organisiert, vor
allem denjenigen zugute kommt, die abhängig beschäftigt sind. Insofern ist für einen Sozialstaat unserer Prägung von zentraler Bedeutung, daß wir immer gewährleisten, daß alle abhängig Beschäftigten sozialversichert werden und den daraus erwachsenden Schutz
genießen können.
({2})
Das Gesetz, das wir im letzten Jahr beschlossen haben
und das im wesentlichen erhalten bleibt, hat dazu eine
Neuerung eingeführt. Es ist gesagt worden: Weil auf
Grund der Fehlberatung durch viele Steuerberater, der
Fehlberatung leider auch durch viele Berufsverbände,
der Fehlberatung durch viele Rechtsanwälte
({3})
und wegen des guten Glaubens, daß man mit dem Mißbrauch durchkommen könnte, dieser Zustand immer
mehr zugenommen hat, wollen wir eine Regelung einführen, daß neben der Rechtsprüfung - da, wo die Leute
nicht mitmachen; da, wo die Leute die Angaben verweigern, wo sie falsche Angaben machen ({4})
eine Möglichkeit bestehen soll, auf Grund sozialer
Sachverhalte - hier geht es darum, daß man aus einer
Wahrscheinlichkeit heraus schätzen kann, daß es sich
bei dem Betreffenden um einen Arbeitnehmer handelt eine Vermutungsregelung hinzuzunehmen. Nur für
diesen Fall hat sie gegolten. Die Kriterien, die wir bisher
hatten, sind Vermutungsregelungen, die dann helfen,
wenn gewissermaßen die Tatsachen nicht beigebracht
werden.
({5})
Weil nun so viele Menschen dabei ertappt worden
sind, wie sie das, was ihnen ihre Steuerberater oder
Rechtsanwälte fälschlich gesagt haben, umgesetzt haben, oder bei dem ertappt worden sind, was sie von
selbst gemacht haben,
({6})
hat es einen großen Schrecken gegeben. Dieser große
Schreck hat zu folgendem geführt: Es wurde das Gesetz
ganz anders wahrgenommen, als die Regelungen des
Gesetzes es nahelegten oder als es beispielsweise schon
im April die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger jedermann mitgeteilt haben. Es sollte nämlich
nicht nach der Vermutungsregelung geprüft werden, ob
jemand selbständig oder abhängiger Arbeitnehmer ist.
Vielmehr sollte das an Hand der Kriterien geprüft werden, die seit Jahrzehnten in der sozialgerichtlichen und
der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden sind. Da sollte gar nichts verschoben werden.
({7})
Zeitungsschreiber, Verbandsjournalisten, F.D.P.-Politiker haben immer so getan, als böte die Vermutungsregelung das alleinige Abgrenzungskriterium.
({8})
Das war nicht richtig, weil das vom Gesetz nicht vorgesehen war.
({9})
Weil man ja zur Kenntnis nehmen muß, was passiert,
wenn Fehlinformationen von Politikern verbreitet werden - die Menschen glauben ja, daß sie sich danach
richten müßten -, haben wir das Gesetz an dieser Stelle
korrigiert, indem wir noch einmal ganz deutlich gesagt
haben: Erst hat an Hand der beigebrachten Fakten eine
Sachprüfung durch die Sozialversicherungsträger stattzufinden - das war immer schon der Fall, auch nach
dem neuen Gesetz des letzten Jahres -, und dann, wenn
jemand nicht mitwirkt, wenn er nicht tut, was er soll,
wenn er keine Angaben macht, greift die Vermutungsregelung. Diese Klarstellung ist hilfreich, und ich glaube,
es ist richtig, das zu machen.
({10})
Das zweite Moment, das dieses Gesetz trägt, das Sie
heute mit uns beraten, ist die Tatsache, daß wir nicht ein
schrecklicher Gesetzgeber sind, der die Leute gewissermaßen bis ins letzte Glied verfolgen will.
({11})
Vielmehr wollen wir dafür sorgen, daß es den Menschen
leichter fällt, sich an die Gesetze zu halten, und daß sie
mit den Schwierigkeiten, die sich ergeben könnten, zurechtkommen können. Darum gibt es jetzt das Anfrageverfahren, das es irgendwie schon immer gegeben hat,
das aber jetzt um neue Möglichkeiten erweitert worden
ist.
({12})
Jeder, der unsicher ist, braucht sich nicht mehr an sogenannte Berater zu wenden, die ihm Fehlinformationen
geben; er kann sich statt dessen an die BfA wenden und
kann dort eine Auskunft darüber erhalten, ob er Arbeitnehmer oder Selbständiger ist. Auch sein Arbeitgeber
kann das tun.
({13})
Das ist eine hervorragende Regelung. Es ist überhaupt
nicht schlimm, daß dann für einen oder zwei Monate
Beiträge in die falsche Versicherung einbezahlt werden.
Bestimmungen hinsichtlich der Rückwirkung sind da
auch nicht nötig. Die Leute haben sich ja an die Versicherung gewandt, und man kann die Sachen für die Zukunft lösen. Das ist ja wichtig.
Das gleiche gilt für die wichtigste Vorschrift des Gesetzes. Ich meine nämlich den § 7 c, der eine Amnestieregelung beinhaltet.
({14})
Ich bitte die Mitglieder dieses Hauses darum, daß sie das
auch einmal draußen sagen.
({15})
Auf vielen mittelständischen Unternehmen liegt seit Jahren eine schreckliche Last,
({16})
weil wegen der Gesetzesfehler, der Fehler im Gesetzesvollzug, wegen der Fehler ihrer Berater, die in der Vergangenheit passierten, Rückgriffe der Sozialversicherungsträger, die viele Jahre zurückreichen können, drohen. Das passiert auf der Grundlage von Gesetzen, die
schon immer existiert haben. Das hat gar nichts mit Gesetzen aus unserer Regierungszeit zu tun.
({17})
Weil das also so ist, weil die mittelständische Wirtschaft durch Ihre Unfähigkeit in den letzten Jahren bedroht worden ist, weil die Unternehmen deswegen in
ihren Bilanzen mit Belastungen zu rechnen haben, ist
jetzt die Möglichkeit geschaffen worden, daß man bis
zum 30. Juni des nächsten Jahres unter Bezugnahme auf
diese Kriterien einen Antrag stellen kann. Wenn daraufhin festgestellt wird, daß es in der Vergangenheit falsch
gemacht wurde, dann kann man, ohne Beitragslasten aus
der Vergangenheit befürchten zu müssen, für die Zukunft alles in Ordnung bringen. Das ist richtig.
Ich sage ausdrücklich auch denjenigen, die das kritisieren, daß sie nicht genügend nachgedacht haben. Es ist
für die Funktionsfähigkeit des Sozialstaates ohne jede
Bedeutung, ob Beiträge für drei oder vier Jahre von irgend jemandem rückwirkend gefordert werden. Für die
Funktionsfähigkeit dieses Sozialstaates ist es von zentraler Bedeutung, daß es uns in Hunderttausenden von
Fällen gelingt, für die Zukunft eine Korrektur zustande
zu bringen.
Darum werbe ich um die Mithilfe von Ihnen allen dafür, daß in der nächsten Zeit viele Unternehmen diese
Anträge stellen. Daß diese Unternehmen für die Vergangenheit dann nichts nachzahlen müssen, macht
nichts, weil ihre Arbeitnehmer in Zukunft sozialversichert sind. Das ist ein Fortschritt ungeheuren Ausmaßes.
({18})
Die im Gesetz des letzten Jahres vorgenommene Regelung, daß der Alleinunternehmer rentenversicherungspflichtig ist, bleibt aufrechterhalten. Der Alleinunternehmer - irgendwer hat ihn einmal unglücklicherweise „arbeitnehmerähnlicher Selbständiger“ genannt ({19})
ist jemand, der im Prinzip keine Beschäftigten hat und
für einen einzigen Auftraggeber arbeitet. Nach der bisherigen Rechtsprechung kann er aber sehr wohl auch ein
Selbständiger sein. Dagegen ist gar nichts einzuwenden.
({20})
Der Alleinunternehmer baut fast immer keine Altersversorgung aus seinem Betrieb heraus auf. Da insbesondere Sie von der F.D.P. nicht ordnungspolitisch
denken können und auch von Marktwirtschaft keine Ahnung haben,
({21})
muß man Ihnen einmal folgendes sagen: Eigentlich ist
die Entscheidung, daß Selbständige - anders als abhängig Beschäftigte - nicht rentenversicherungspflichtig
sein sollen, in der Vorstellung begründet, ein Unternehmer könne mit 60 oder 65 Jahren das Unternehmen veräußern und daraus seine Altersversorgung finanzieren.
({22})
- Hören Sie in der Lehrstunde zur Marktwirtschaft zu!
({23})
Wer sich in einer Situation befindet, die von ihm
verlangt, hier und dort einmal eine Programmierung
vorzunehmen, der kann zwar mit 60 oder 65 Jahren aufhören zu arbeiten; aber er kann die Tätigkeit der letzten
Jahre, den Kundenstamm und Sonstiges nicht als ideellen Wert des Unternehmens verkaufen, wie es ein
Rechtsanwalt, ein Steuerberater oder andere möglicherweise können. Darin besteht der Unterschied. Deshalb
sind die Alleinunternehmer, deren Stellung wir im Gesetzentwurf weiter geregelt haben, rentenversicherungsbedürftig. Sie werden auch weiterhin rentenversicherungspflichtig sein.
({24})
Wir nehmen die Realität in der Gesellschaft ja ein
bißchen zur Kenntnis.
({25})
In dieser Gesellschaft gibt es das Rentenversicherungsmobbing seitens der F.D.P. und vieler Leitartikler. Jedem Menschen wird gesagt: Das Schlimmste, was einem
passieren kann, ist, daß man rentenversicherungspflichtig wird.
({26})
Um diese Lüge zu verbreiten, lassen Sie keine Bundestagsrede und keine öffentliche Rede aus. Wir haben daraus die Schlußfolgerung gezogen, daß sich viele Menschen offenbar grauenhaft davor erschrecken, 128 DM
Rentenversicherungsbeitrag im Monat zahlen zu müssen, weswegen sie nicht mehr Unternehmer werden
wollen. Sie haben mit Ihren Reden im Bundestag den
Menschen zugemutet, so etwas zu glauben!
({27})
Was Sie behaupten, ist aber nicht richtig. Deshalb haben wir dafür gesorgt, daß sich die in Frage kommenden
Personen als Selbständige drei Jahre lang von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen können. Man
muß für einige Menschen hinzufügen: Davon geht nichts
unter; das ist gar kein Problem. In Wahrheit ist es für
einen wohlmeinenden Staat - das sollte der Sozialstaat
immer sein - ein Fortschritt.
Das Wichtigste ist doch, daß man sich kennenlernt.
Wer als Selbständiger drei Jahre lang keine Beiträge
zahlen möchte, der muß sich an die Rentenversicherung
wenden und erklären, daß er von der Rentenversicherungspflicht befreit sein möchte. Wenn das passiert,
dann kennt man sich und schreibt sich zu Weihnachten
Grüße und fragt: Wie geht es Ihnen mit Ihrer Selbständigkeit? Nach drei Jahren prüft man dann, wie sich die
Situation weiterentwickelt hat. Ich glaube, das ist eine
gute Sache. Dafür haben wir etwas mit unserem Gesetz
zur Förderung der Selbständigkeit getan.
Schönen Dank.
({28})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dorothea Störr-Ritter
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme
Ihnen zu: Es gibt sicher nichts mehr, was zu diesem
Thema nicht schon gesagt wurde; das gilt insbesondere
nach der fulminanten Rede des Kollegen Hofbauer.
({0})
Da ich aber weiß, daß es in unserer Gesellschaft sehr
viele leistungsstarke und engagierte Menschen gibt, die
sich über Ihre Gesetze sehr ärgern, nutze ich die Gelegenheit und unterstütze diese Menschen noch einmal in
ihrer Auffassung.
({1})
Drei Vertreter unterschiedlicher Berufe unterhielten
sich darüber, welches der älteste Beruf sei. „Natürlich
meiner“, sagte der Chirurg, „da Gott dem Adam bekanntlich eine Rippe herausgeschnitten hat.“ „Zuvor
aber“, sagte der Architekt, „hat Gott die Welt aus dem
Chaos erschaffen. Das war die größte architektonische
Leistung.“ „Ja und“, sagte der Politiker, „woher, glaubt
ihr, kam das Chaos?“
({2})
Auch ich glaube nicht, daß es diese Anekdote schon
lange gibt. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren
von der rotgrünen Koalition, haben dafür gesorgt, daß
man sich heute solche Geschichten erzählt. Außerdem
haben Sie dafür gesorgt, daß die Menschen heute glauben, daß Politiker der älteste Beruf der Menschheit sei.
Damit wollen Sie sich Ihren Platz in der Geschichte sichern.
({3})
Zugegeben, es gibt viele Lebenssachverhalte und
Tatbestände, die, sofern ein Regelungsbedarf erkannt
wird, nicht einfach zu gestalten sind. Dazu gehören sowohl die geringfügigen Beschäftigungen als auch das
Problem des Mißbrauchs des Selbständigkeitsprinzips.
Dennoch, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin
ich der Meinung, daß dies weder Grund noch Rechtfertigung dafür ist, in diese Themen noch mehr Verwirrung
zu bringen und einen solchen Flurschaden auf Feldern
anzurichten, auf deren Ernte wir noch dringend angewiesen sein werden.
({4})
Damit wir uns nicht mißverstehen, halte ich fest, daß
auch vor Ihrer Regelung geringfügige Beschäftigung als
Zusatzbeschäftigung zu versteuern war und dafür Sozialabgaben abzuführen waren.
({5})
Wir wollten aber die Steuern insgesamt senken, die
Lohnnebenkosten senken und die Arbeitnehmer entlasten. Wir wollten aber nicht, daß diese Steuersenkungen
gleich wieder von der Ökosteuer abgeerntet werden.
({6})
Dann wären die Abzüge auch so erträglich gewesen, daß
es sich gelohnt hätte, einer Zusatzbeschäftigung nachzugehen.
Schlimmer und unbeschreiblicher ist aber das Chaos,
das Sie bezüglich der praktischen Handhabung dieses
Gesetzes angerichtet haben. Mit einem bürokratischen
Monster walzen Sie die Betriebe nieder, obwohl Sie
selbst zugeben, daß die mittelständischen Betriebe viel
zu sehr belastet sind. Geradezu lächerlich mutet es deshalb an, wenn das Bundeswirtschaftsministerium in der
„Sozialpolitischen Umschau“ vom 18. Oktober 1999 eine Initiative zur Bürokratieentlastung des Mittelstandes ankündigt und im ersten Satz des Textes feststellt:
Mittelständler leiden stärker unter Bürokratiekosten
als große Unternehmen.
Es kommt aber noch besser:
Das Bundeswirtschaftsministerium startet deshalb
eine Initiative mit dem Ziel, Unternehmen von unnötigen Bürokratielasten zu befreien. Denn wer
neue Arbeitsplätze anstrebt, der muß sich mit diesem Thema auseinandersetzen.
So das Ministerium.
({7})
- Herr Dreßen, wir kennen uns schon so lange, daß ich
mich freue, daß Sie mich endlich einmal zur Kenntnis
nehmen. Das ist mir die ganzen Jahre vorher nicht gelungen.
({8})
Nach dieser Selbsterkenntnis hat das Bundeswirtschaftsministerium nach eigenen Angaben eine Projektgruppe „Abbau von Bürokratie“ eingerichtet, die nun
konkrete Vorschläge der Unternehmen entgegennehmen
soll. Eines stimmt mich dabei zuversichtlich: Das Ministerium kündigt an, den Anregungen nachzugehen und
diese in Handlungsvorschläge umzusetzen. Wissen Sie,
was das heißt, meine sehr verehrten Damen und Herren
von der rotgrünen Koalition? - Sie bekommen Ihr 630Mark-Gesetz wieder auf den Tisch. Ich gebe Ihnen einen
Tip: Helfen Sie Finanzminister Eichel beim Sparen,
schicken Sie die Projektgruppe heim, und nehmen Sie
Ihr 630-Mark-Gesetz zurück!
({9})
All dies gilt selbstverständlich auch zum Thema Förderung der Selbständigkeit à la Rotgrün. Mit einem
komplizierten und nach eigenen Angaben mißverständlichen und in der Praxis zu besonderen Schwierigkeiten
führenden Gesetz schalteten Sie die Ampel auf Rot. Nun
haben Sie festgestellt, daß nichts mehr geht. Übrigens
lernt man schon im Kindergarten: Rot heißt Stopp!
Nun versuchen Sie krampfhaft, auf Grün zu schalten.
Aber ich prophezeie Ihnen, meine sehr verehrten Damen
und Herren, Sie drücken wieder den falschen Knopf. Inzwischen haben Sie zwar gelernt, daß es auf die Signale
ankommt, die man setzt. Sie haben begriffen, daß es
katastrophal wirkt, wenn man von „Bekämpfung der
Scheinselbständigkeit“ spricht. Damit haben Sie bereits
eine tiefe Verunsicherung in der Wirtschaft bewirkt,
insbesondere auch bei jungen Menschen, die Existenzen
gründen wollen.
({10})
Der Kontur einer Selbständigkeit, die wir dringend
bräuchten, haben Sie dadurch nachhaltig geschadet. Nun
versuchen Sie eine Schadensbegrenzung. Sie schwenken nun um und sprechen von Förderung der Selbständigkeit. Aber Sie gestatten, meine sehr verehrten
Damen und Herren von der Koalition, so schnell nimmt
Ihnen niemand ab, daß Sie Ihre Einstellung geändert
hätten.
({11})
Das neue Gesetz wird genauso zu Diskussionen und
Auslegungsproblemen führen.
Drei Abgrenzungskriterien bieten im übrigen logischerweise mehr Streitpunkte als nur zwei Abgrenzungskriterien. Welche neutrale Prüfung versprechen
Sie den Betroffenen, wenn das Tätigkeitsverhältnis von
der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte geprüft
werden soll, die schließlich Geld in ihrer Kasse haben
will? Alterssicherung, Herr Dreßen, kann man übrigens
auch auf andere Art und Weise herbeiführen.
Im übrigen ist es sehr merkwürdig, wenn man ein
Gesetz, mit dem man nach wie vor Selbständigkeit
verhindern will, in ein „Selbständigkeitsförderungsgesetz“ umbenennt. Sie machen Selbständige zu
Nichtselbständigen und doch wieder nicht zu ganz
Nichtselbständigen. Das grenzt, mit Verlaub, schon an
Schizophrenie.
({12})
Zur Förderung der Selbständigkeit gehört noch ein
bißchen mehr. Wenn Sie die Selbständigkeit wirklich
fördern wollen, müssen Sie auch eine entsprechende
Philosophie verbreiten. Dann müssen Sie alles daransetzen, das Unternehmerbild in der Öffentlichkeit zu verbessern. Dann müssen Sie dafür sorgen, daß ein besseres
Ökonomieverständnis die Bereitschaft zu unternehmerischer Selbständigkeit in unserem Land langfristig fördert. Sie sollten sich der Meinung Ludwig Erhards anschließen, daß die freie Entfaltung des Menschen das
oberste Gut ist. Aber Sie verhindern diese nicht nur mit
diesen Gesetzen. Und warum? Weil Sie hinter freier
Entscheidung im Wirtschaftsleben immer nur Unredlichkeit der Unternehmer befürchten.
({13})
Zielkonflikte sind nicht ausgeschlossen; das ist unstrittig. Die Wirtschaftspolitik hat dabei die Rahmenbedingungen zu schaffen, die für die Wirtschaftssubjekte
Anreiz sind, sich selbst in die vom Staat gewünschte
Richtung zu entwickeln. Darin, und nur darin, besteht
auch die soziale Ordnungsaufgabe des Staates. Sie haben nicht nur Chaos produziert, Sie wissen nicht einmal,
was Sie wollen. Wollen Sie Selbständigkeit nun verhindern, oder wollen Sie sie befördern?
({14})
Wollen Sie nun Selbständige zu Nichtselbständigen
machen oder umgekehrt - und wenn ja, wann? Brauchen
Sie die Selbständigen nur, um abzukassieren, um die
Rentenkassen zu füllen? Oder stehen Sie wirklich hinter
ihnen, indem Sie ihnen etwas Positives zutrauen und
nicht nur die Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen?
Solange Sie diese Fragen nicht intern abgeklärt haben, befürchte ich, wird der Beruf des Politikers weiterhin der älteste Beruf der Welt bleiben.
({15})
Aber das ist schädlich für unser Volk und für unser
Land.
Ändern Sie dies, nehmen Sie diese unglückseligen
Gesetze zurück, und beginnen Sie endlich zu ordnen.
({16})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf zur Förderung der Selbständig-
keit, Drucksachen 14/1855 und 14/2046 Buchstabe a.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist
der Gesetzentwurf in der zweiten Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktion gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Koalitionsfraktionen ver-
langen namentliche Abstimmung. - Ich möchte Sie an
dieser Stelle schon darauf hinweisen, daß es im An-
schluß noch einige einfache Abstimmungen geben wird.
- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist geschehen.
Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abge-
geben? - Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratungen fort:
*) Seite 6351 C
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2098. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist der Entschließungsantrag mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU zur Rücknahme des 630DM-Gesetzes und der Neuregelung der Scheinselbständigkeit, Drucksache 14/2046 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1005
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist
die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der
CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. angenommen.
Ich unterbreche die Sitzung und bitte die Kolleginnen
und Kollegen, noch so lange hierzubleiben, bis ich das
Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekanntgeben
kann. Ansonsten würde die Bekanntgabe erst in der
übernächsten Woche erfolgen.
({0})
Ich er-
öffne die unterbrochene Sitzung und gebe das von den
Schriftführerinnen und Schriftfühern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen zur Förderung der Selbständigkeit, Drucksachen
14/1855 und 14/2046, bekannt. Abgegebene Stimmen
517. Mit Ja haben gestimmt 317, mit Nein haben ge-
stimmt 171, Enthaltungen 29.*) Der Gesetzentwurf ist
damit angenommen.
({0})
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages - das ist die Haushaltswoche - auf Dienstag,
den 23. November 1999, 11 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.