Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktliste
vorliegenden Zusatzpunkte zu erweitern.
ZP 1 Beratung des Antrags der Bundesregierung:
Deutsche Beteiligung an möglichen NATOOperationen zum Schutz und Herausziehen
von OSZE-Beobachtern aus dem Kosovo in
Notfallsituationen - Drucksache 14/47 ZP2 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Erkenntnisse der Bundesregierung zur Entstehung des Unfalls der „Pallas“ vor der deutschen Nordseeküste und Maßnahmen der
Bundesregierung zur Schadensbegrenzung
und -beseitigung nach der Havarie
ZP 3 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an möglichen
NATO-Operationen zum Schutz und Herausziehen von OSZE-Beobachtern aus dem Kosovo in Notfallsituationen - Drucksache 14/47,
14/ ZP 4 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Haltung der
Bundesregierung zu einem Umfrageergebnis,
nachdem nur 13% der Unternehmen die bisherigen 620/520-Mark-Jobs in reguläre Arbeitsverhältnisse überführen, demgegenüber aber
20% der Firmen diese bisherigen geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisse streichen und 23%
lieber freie Mitarbeiter einstellen wollen, wenn
die bisherigen rot-grünen Pläne zu einer Neuregelung verwirklicht werden
ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({1})
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über die politischen
Parteien ({2}) - Drucksache 14/41 ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Widerstand gegen die Aufhebung des Exportverbots für britisches Rindfleisch durch die EU-Kommission
- Drucksache14/42 ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Irmgard Schwaetzer, Rainer Brüderle, Jörg
van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur beschäftigungswirksamen Änderung des Kündigungsschutzes - Drucksache14/44 Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll,
soweit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an möglichen NATOOperationen zum Schutz und Herausziehen
von OSZE-Beobachtern aus dem Kosovo in
Notfallsituationen
- Drucksache 14/47 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({3})
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß
Eine Aussprache ist heute nicht vorgesehen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/47 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen
Kabinettsitzung mitgeteilt: Bericht zum Stand der Vorkehrungen zur Unterbringung der Verfassungsorgane
des Bundes in Berlin und zu der Möglichkeit der Arbeitsaufnahme bereits im Herbst 1999; Entwurf eines
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002; deutsche Beteiligung an möglichen NATO-Operationen zum Schutz
und Herausziehen von OSZE-Beobachtern aus dem Kosovo in Notfallsituationen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Franz Müntefering.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht, der dem Kabinett heute vorgelegen hat, geht von den geltenden Gesetzen und den Vereinbarungen zum Umzug und zum
Bonn-Ausgleich aus. Der Bundestag hat im vergangenen
Jahr beschlossen, daß er seine volle Arbeitsfähigkeit
und seine Präsenz nach der Sommerpause 1999 in Berlin haben wird. Die alte Bundesregierung hat daraus,
was ihre eigene Arbeitsfähigkeit in Berlin angeht, nicht
mehr die hinreichenden Konsequenzen gezogen, wenigstens nicht in vollem Umfang. Es gibt punktuell Probleme; dazu will ich gleich einige Anmerkungen machen.
Vorweg möchte ich aber feststellen: Der Kostenrahmen,
das 20-Milliarden-DM-Paket, steht. Es deutet sich nicht
an, daß er überschritten würde. Auch die heutigen Meldungen in einigen Medien, das Reichstagsgebäude als
solches würde teurer als geplant, stimmen nicht.
Die Bundesregierung wird ihre Arbeitsfähigkeit in
Berlin pünktlich im Sommer 1999 herstellen. Das Kabinett wird ab sofort von Zeit zu Zeit Kabinettsitzungen in
Berlin haben. Die erste Kabinettsitzung in Berlin wird in
der nächsten Woche stattfinden, und ab September
nächsten Jahres wird Berlin der regelmäßige Sitz für
Kabinettsitzungen sein.
Auch Bonn kann sich darauf verlassen, daß gilt, was
vereinbart ist.
Zu den Problemen und Fragen, mit denen wir es zu
tun haben: Es gibt Zeitverzögerungen bei einer ganzen
Reihe von Gebäulichkeiten. Die Arbeiten am JakobKaiser-Haus - das betrifft die Abgeordneten und ihre
Mitarbeiter -, am Paul-Löbe-Haus - das betrifft die
Ausschüsse und die Fraktionen -, dem Bundeskanzleramt und dem Bundespresseamt sind im Zeitverzug. Es
muß daran gearbeitet werden aufzuholen. Man muß aber
davon ausgehen, daß nicht alle Gebäude rechtzeitig fertiggestellt werden können, so daß wir im nächsten
Sommer oder im nächsten Herbst Situationen haben
werden, in denen die Arbeitsfähigkeit von Bundestag
und Bundesregierung in Berlin gegeben ist, aber Arbeitsplätze im Sinne von Räumlichkeiten noch nicht in
dem eigentlich angestrebten Umfang zur Verfügung stehen.
Zu den Entwicklungsmaßnahmen in Berlin. Hierbei geht es um die Erschließung der Zuwegung und
Straßen im Bereich des Reichstags und anderer Gebäulichkeiten. Dazu steht eine Vereinbarung Berlins mit der
Bundesregierung aus, weil es in der vergangenen Zeit
keine Vereinbarung zwischen dem Finanzminister ({0})
und dem Land Berlin gegeben hat. In dieser Thematik
ist eine hohe Brisanz, weil die große Gefahr besteht, daß
wir irgendwann die Gebäulichkeiten fertig haben, aber
die nötige verkehrliche Infrastruktur - mindestens an
einigen markanten Stellen - fehlt, was sicherlich kein
Ruhmesblatt wäre. Es geht um Verkehrsfragen, zum
Beispiel die Frage, ob die unmittelbar am Kanzleramt
gelegene Straße bestehen bleibt oder ob sie verlegt werden soll. Denn der große Graben zwischen Kanzleramt
und dem Reichstagsgebäude wird noch eine lange Zeit
dasein, weil dort gearbeitet wird. Zumindest aus Sicherheitsgründen entsteht die Frage, ob diese Straße so bleiben kann. Es geht um ein U-Bahn-Projekt - U 5 für die
Kenner.
Ich habe über die Situation der Pendler und des
Wohnraums berichtet. In beiden Bereichen gibt es aus
meiner Einschätzung keine große Problematik. Ich weise
aber auch darauf hin, daß man schlecht fest kalkulieren
kann, weil wir weder für die Pendlerinnen und Pendler
noch für den Wohnraum, der wirklich gebraucht wird,
verbindliche Zahlen haben und sich das alles auf einer
Basis von 1994 bewegt. Angesichts des Zeitverzugs bei
den Gebäulichkeiten wird möglicherweise ganz anders
oder in anderem Umfang gependelt, als bisher angenommen wurde. Wir verhandeln zur Zeit mit der Bundesbahn und mit Verkehrsunternehmen in Europa, um
zusätzliches Flugmaterial zu chartern und um Sprinterzüge einzusetzen, die speziell die Aufgabe haben, Anschlüsse zwischen Berlin und Köln/Bonn zu ermöglichen.
Es geht um die Anschlußverträge für Berlin und für
Bonn. Diese müssen im nächsten Jahr vereinbart werden. Es gibt noch keine hinreichende Vorbereitung für
die Entscheidung, was mit diesem Hohen Hause eigentlich sein wird. Wir gehen davon aus, daß dieses Haus
nicht im Sommer nächsten Jahres abgeschlossen werden
kann und man dann einfach schaut, was passiert. Es besteht ganz dringender Bedarf, hier zu Entscheidungen zu
kommen. Es geht auch um die Unterbringung einiger Institutionen, die nach Bonn kommen und bei denen es in
dieser Frage bisher noch keine Entscheidungen gibt.
Speziell den Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen trifft natürlich die Herausforderung,
mit der Zusammenlegung des Hauses fertig zu werden.
Das werden wir aber, wie ich glaube, in der nächsten
Zeit konkretisieren können.
Das Kabinett hat einen Beschluß gefaßt, daß der Bericht zur Kenntnis genommen ist. In ihm wird noch einmal festgestellt, daß es Ziel der Bundesregierung ist, im
zeitlichen Zusammenhang mit dem Umzug des Deutschen Bundestages im Herbst 1999 die Arbeitsfähigkeit
des Kanzleramts und der Bundesministerien in der Bundeshauptstadt Berlin sicherzustellen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Ressorts alle dazu notwendigen organisatorischen und personalwirtschaftlichen
Vorkehrungen treffen und daß die Themen, zu denen
Klärungsbedarf besteht und die sich aus meinem Bericht
Vizepräsidentin Petra Bläss
ergeben, zügig angepackt werden, damit die Arbeitsfähigkeit tatsächlich im Herbst 1999 gegeben ist.
Abschließend stelle ich fest, daß das Kabinett ab sofort immer wieder - etwa einmal im Monat - in Berlin
tagen wird, und zwar im ehemaligen Staatsratsgebäude.
Sie kennen dieses Gebäude; dort befindet sich der Kabinettssaal für Berlin. Ab nächstem Sommer bzw. Herbst
wird das Kabinett dauerhaft in Berlin zusammentreten.
Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dietmar Kansy.
Ich habe Geduld mit dieser Tonanlage, die ich halb mit verbrochen
habe. Im Reichstag wird es aber besser werden.
({0})
Herr Minister, im Vorfeld zu Ihrem Bericht, den Sie
heute vorgelegt haben, den Sie in der Sitzung des Bauausschusses auch dem Parlament zur Verfügung gestellt
haben und der - das sage ich als langjähriger Vorsitzender der Baukommission - knapp und seriös ist, werden
Tatarenmeldungen verbreitet, der Reichstag werde teurer, der Umzug sei gefährdet, die Abgeordneten müßten
darben und mit ihren Sekretärinnen auf der Treppe vor
dem Reichstag sitzen. Wie erklären Sie sich dies angesichts der Tatsache, daß mit Zustimmung aller Fraktionen seit Jahren vom Ältestenrat des Deutschen Bundestages entschieden ist, daß es, weil das für alle Beteiligten
kostengünstiger ist, eine Übergangsphase gibt, für die
wir - zugegebenermaßen - das Reichstagsgebäude und
acht weitere Altbauten brauchen, so daß dafür vorgesorgt ist, daß zumindest der Parlamentsbetrieb vernünftig losgehen kann?
Herr Kollege Kansy, erklären kann man das nicht. Aber man weiß - das ist nicht
neu -, daß es dazu interessengeleitete Stellungnahmen
gibt. Das konnte man ahnen, als man sich die Berichterstattung vorgenommen hat. Ich habe den Kanzler darum
gebeten, diesen Bericht vorlegen zu können. Er hat mich
dann damit beauftragt.
Wann immer man mit diesem Thema beginnt - das
wird auch in den nächsten Monaten so sein -, wird man
eine öffentliche Begleitung haben. Das ist unvermeidlich. Es war nach der Regierungsübernahme aber nötig,
sich an dieser Stelle Klarheit zu verschaffen; denn der
Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die deutsche Öffentlichkeit und vor allen Dingen auch Berlin und Bonn können erwarten, daß sie von
einer neuen Bundesregierung eine klare Botschaft über
das, was wir vorfinden, und über das, was wir zu tun gedenken, bekommen. Deshalb war der Bericht unvermeidlich, wohlwissend, daß sich darum dann auch Spekulationen ranken.
Das Ergebnis, das ich Ihnen habe vortragen dürfen,
ist eines, das man, wie ich glaube, jetzt auch nutzen
kann und nutzen muß, damit für alle klar ist, was denn
die Botschaft dieses Vorgangs ist.
Das Wort hat die
Abgeordnete Brigitte Baumeister, CDU/CSU.
Herr Bundesminister, Sie haben kritisiert, daß die vorherige Bundesregierung die Planung ihres Umzugs nach Berlin nicht so
vorgenommen habe, daß er identisch und passend zu
dem des Parlamentes sei. Das habe ich zur Kenntnis genommen.
Ich frage Sie, Herr Bundesminister: Sie haben vorgetragen, daß die Bundesregierung jetzt vorausschauend
Vorkehrungen treffen wird, möglichst zügig die Arbeitsfähigkeit in Berlin herzustellen. Sie haben vom Kostenrahmen gesprochen. Könnten Sie mir, Herr Bundesminister, erklären, ob im Vergleich mit der Planung der
vorherigen Bundesregierung große Unterschiede bei der
Zahl der Mitarbeiter bestehen und - bezogen auf das
Kanzleramt - ob es dabei bleibt, daß nur ein Teil der
Mitarbeiter umziehen soll, oder ob alle mitgehen? Ich
frage weiter, ob die zusätzlichen die Arbeitsplatzauslagerungen, die innerhalb des Kostenrahmens machbar
sind, den wir als Parlament vorgegeben haben, gedeckelt
sind?
Wir gehen davon aus, daß es
bei der Zuordnung des Personals für Berlin und Bonn
bleibt, so wie das vereinbart gewesen ist. Veränderungen, die es möglicherweise geben muß, werden nur minimal sein. Es kann keine großen Einschnitte geben;
denn das würde das ganze System in Frage stellen.
Zu den Planungen für das Kanzleramt muß man sagen: Der Umzug war schlecht vorbereitet. Es war vorgesehen, daß im Staatsratsgebäude im nächsten Herbst 76
Arbeitsplätze zur Verfügung stehen würden. Über Sicherheitsfragen war aber noch in keiner Weise gesprochen worden. Es waren auch keine Sicherheitsvorkehrungen eingeleitet worden. Wir kennen die dortige Situation. Es muß natürlich geklärt werden, wie mit diesem Gebäude - wenn von dort regiert wird - und seiner
unmittelbaren Umgebung umgegangen wird. Bundeskanzler Schröder hat inzwischen entschieden, daß im
nächsten Herbst mehr als 76 Arbeitsplätze für das Bundeskanzleramt zur Verfügung stehen werden, und zwar
in den unmittelbar anschließenden im Gebäude erreichbaren Komplexen. Ich bitte um Nachsicht, daß ich diese
jetzt nicht präzise bezeichnen kann. Das wissen die Mitglieder der Baukommission besser als ich. Aber an der
Rückseite des Staatsratsgebäudes befinden sich Gebäulichkeiten, die zusätzlich dafür zur Verfügung stehen
werden, daß das Kanzleramt in Berlin voll arbeitsfähig
sein wird.
Das Wort hat die
Abgeordnete Gabriele Iwersen, SPD.
Herr Minister, Sie haben
auch das Problem der Wohnungsfürsorge angesprochen
und haben darauf hingewiesen, daß zur Zeit keine verläßlichen Zahlen in bezug auf die Nachfrage vorliegen.
Nun ist einiges von Ihrem Vorgänger vorangetrieben
worden, zeitlich ordentlich organisiert, aber in einem
Kostenrahmen, der mit dem Wohnungsmarkt in Berlin
überhaupt nicht im Einklang steht. Man muß unter dem
Gesichtspunkt davon ausgehen, daß das Projekt der
„Moabiter Werder“ zwar termingerecht fertiggestellt
wird, aber nicht genutzt werden kann, weil die Kosten,
die jedenfalls ursprünglich vereinbart worden waren ich glaube, das hatte Frau Thoben ausgehandelt -, nicht
akzeptabel sind. Es gibt Hinweise darauf, daß die Wohnungsbaugesellschaft, die diese Anlage zur Zeit baut,
auch gar nicht mehr damit rechnet, daß der vorgesehene
Mietpreis erzielbar ist.
Darf ich fragen, ob die Bundesregierung daran denkt,
die Verhandlungen noch einmal aufzunehmen, um zu
angemessenen Mietpreisen zu kommen? Erst wenn das
geschieht, kann man diese Wohnungen hier anbieten
und dann auch damit rechnen, daß sich Kolleginnen und
Kollegen sowie Mitarbeiter aus den verschiedenen Ministerien darauf festlegen, dort zu wohnen.
Frau Kollegin, an keiner der
Stellen, an denen punktuell Probleme aufgetaucht sind so wie Sie gerade eines beschrieben haben -, haben wir
ein Moratorium ausgelöst, sozusagen nach dem Motto:
Wir fangen noch einmal an, darüber nachzudenken. Dazu ist überhaupt keine Zeit. Die Arbeit muß weitergehen, auch bei der Erstellung der Wohnungen. Aber natürlich haben wir dieselben Erkenntnisse wie Sie. Der
Wohnungsmarkt in Berlin ist relativ entspannt. Viele
von denen, die eigentlich in die Wohnungen, die dort
gebaut werden, einziehen sollten, bemühen sich offensichtlich privat. Statistiken irgendwelcher Art dazu habe
ich überhaupt nicht. Aber man kennt das, wenn man mit
Kolleginnen und Kollegen sowie mit Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern darüber spricht, wer wo in Berlin eigentlich hinziehen will. Es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, daß sich die Wohnraumversorgung ganz
anders darstellen wird, als das idealtypisch - sozusagen
auf der grünen Wiese - gedacht worden ist. Wir müssen
uns - wenn wir in diese Situation kommen - auch darüber klar werden, ob man die Wohnungen, die heute gebaut werden und eine relativ hohe Quadratmetermiete
haben werden, nicht unter anderen Bedingungen vermieten muß. Das kann das Ergebnis sein.
An dieser Stelle will ich aber nicht dazu beitragen,
daß irgend etwas in diesem Gesamtkonzept in Frage gestellt wird. Deshalb sage ich, es muß an der Stelle zügig
weitergehen. Alles andere wäre das falsche Signal. Dann
muß man schauen, ob man in der Tat nachsteuern kann;
denn die Vermutungen, die Sie vorsichtig ansprechen,
werden auch von mir geteilt.
Das Wort hat die
Abgeordnete Ingrid Matthäus-Maier, SPD.
Herr Minister, es gab
in den letzten Wochen Stimmen in der Region
Bonn/Rhein-Sieg, die befürchteten, die neue rot-grüne
Regierung würde den vertraglichen und gesetzlichen
Verpflichtungen gegenüber der Region in Sachen Ausgleich nicht ausreichend nachkommen. Ich bin Ihnen
sehr dankbar, daß Sie an verschiedenen Stellen und auch
heute klargemacht haben, daß Sie selbstverständlich dazu stehen.
Sie nannten die sinnvolle Verwendung des Plenarsaales und sagten, daß Sie sich darum bemühen. Meine
Frage ist: Haben Sie schon einen Zeitrahmen, innerhalb
dessen Sie absehen können, daß es hier eine sinnvolle
Lösung gibt? Das ist die eine Frage.
Die zweite Frage. Es ist angestrebt, daß noch mehr
internationale Organisationen in die Region Bonn/
Rhein-Sieg geholt werden. Gibt es da schon zusätzliche
Hoffnungen oder Gespräche?
Erstens, was das Hohe Haus
angeht: Diese Sache wollen wir natürlich zusammen mit
dem Deutschen Bundestag beraten und zu einem Ergebnis führen. Man stößt auf die üblichen Fragen zum
Denkmalschutz und zu Gebäulichkeiten. Man stößt auf
Urheberrechte des Architekten. Das alles muß in einen
vernünftigen Einklang gebracht werden. Ich gehe davon
aus, daß wir im ersten Quartal nächsten Jahres hier wissen müssen und sollen, welche Nutzungsvorstellungen
wir haben. Das ist auch für die Stadt Bonn und für die
Region wichtig. Aber ich denke, das können wir als
Bundesregierung und als Bundestag nicht als eine ungeklärte Frage stehenlassen. Ich gehe vom ersten Quartal
des nächsten Jahres aus.
Zur zweiten Frage,
internationale Organisationen?
Ich kenne die Bemühungen,
kann Ihnen aber keine weiteren konkreten Entwicklungen dabei nennen. Man kann zwei Dinge zu Bonn sagen.
Es ist im Kabinett noch einmal deutlich geworden: Es
müssen auch für Institutionen, die nach Bonn kommen,
die für diese Stadt vorgesehen sind und bei denen man
noch nicht weiß, wo sie unterkommen, schnell Entscheidungen getroffen werden. Meine dringende Empfehlung
war - ich denke, daran müssen wir uns auch halten -,
daß wir auch für Bonn keine komplizierten Umplanungen mehr machen. Vielmehr müssen wir davon ausgehen, daß die Gebäulichkeiten, die festgelegt sind, für die
vorgesehenen Zwecke auch genutzt werden und daß das,
was noch kommt, in Form von Baugenehmigungsanträgen sehr schnell realisiert wird. Es gibt da auch noch
zwei, drei Unklarheiten.
Zum Gewinnen zusätzlicher Einrichtungen - ich muß
sagen, das habe ich jetzt nicht genau verfolgt - kann ich
nicht sagen, ob noch etwas im Gange ist. Auf jeden Fall
ist mir im Augenblick nichts Konkretes bekannt.
({0})
Der nächste Fragesteller ist der Abgeordnete Norbert Hauser, CDU/CSU.
Herr Bundesminister, es ist für die Region und auch für Berlin sicherlich sinnvoll und gut, wenn Planungsklarheit und
-sicherheit entstehen. Planungsklarheit und -sicherheit
bestehen aber nach dem Bericht, den Sie vorgelegt
haben, noch nicht im Bereich der Wohnungsversorgung
für Pendler. Nach den Zahlen, die uns vorliegen, ist mit
3 500 Pendlern zwischen Bonn und Berlin zu rechnen.
Wie sollen diese Mitarbeiter der Behörden und Ministerien mit Wohnungen versorgt werden? Oder gehen Sie
davon aus, daß all diese Mitarbeiter in Hotels unterzubringen sind?
Zweite Frage, anschließend an die Unterbringung von
internationalen Organisationen. Sie wissen, daß es einen
Grundstückstopf gibt, der der Stadt Bonn die Möglichkeit einräumen soll, internationale Organisationen - wie
auch bereits geschehen - unterzubringen. Der Grundstückstopf ist weitestgehend noch voll. Es handelt sich
um insgesamt 100 Millionen DM. Davon sind erst etwa
6 bis 7 Millionen DM in Anspruch genommen. Ist die
Bundesregierung, sind Sie mit Ihrem Hause bereit und in
der Lage, kurzfristig, wenn Unterbringungswünsche anstehen, auf diesen Grundstückstopf zurückzugreifen und
Liegenschaften daraus bereitzustellen?
Zweck dieses Topfes ist,
daß so etwas gemacht wird. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß das nicht realisiert werden könnte, wenn
man denn weiß, was in Frage käme. Wenn Sie mir Vorschläge ganz konkreter Art machen können oder wollen,
dann bin ich herzlich gern bereit, diese aufzunehmen.
Ich meine das ganz ernst, weil ich weiß, daß sich manche Dinge für eine öffentliche Diskussion nicht eignen.
Wo immer Hinweise möglich sind, da bitte ich Sie, diese
zu konkretisieren. Ich gehe davon aus, daß das Geld für
diejenigen Zwecke zur Verfügung steht, für die es eingestellt worden ist.
Was die Wohnraumversorgung angeht, möchte ich
folgendes sagen: Es gibt in Berlin 3 225 Bestandswohnungen, die sogenannten Alliiertenwohnungen. Es gibt
im Neubaubereich 1 812 Wohnungen. Es gibt im Bereich der Eigentumsmaßnahmen 4 140 Wohnungen. Das
heißt, insgesamt geht es um etwa 9 100 Wohnungen, die
in Berlin entstehen und die zum größten Teil fertig sein
und zur Verfügung stehen werden, wenn der Deutsche
Bundestag und die Bundesregierung in Berlin ankommen.
Ich glaube, daß man die Probleme, die Sie angesprochen haben - auch die Probleme in bezug auf Pendlerwohnungen - damit lösen kann; denn es gibt darunter
größere und kleinere Wohnungen. Es kommt hinzu wenn man sich umhört, dann erfährt man das an allen
Stellen immer wieder -, daß viele längst dabei sind erfolgreicher, als wir uns das manchmal vorstellen -,
sich am Wohnungsmarkt in Berlin umzuschauen.
Sie haben die Zahl von 3 500 Pendlern angesprochen.
Ich habe leider keine konkrete Zahl. Es gibt Zahlen zwischen 3 000 und 7 000. Ich weiß nicht, was richtig ist.
Die Zahlen zwischen 3 000 und 7 000 basieren auf
Vermutungen, auf idealtypischen Festlegungen, die vor
einigen Jahren getroffen worden sind. Mittlerweile sind
die Ministerien zum Teil kleiner geworden. Die Ministerien kommen zum Teil zeitverzogen in Abteilungen
nach Berlin. Das heißt, es kann sein, daß im September
nächsten Jahres die Zahl der Pendler längst nicht so groß
ist wie die, von der wir im Moment ausgehen. Es kann
aber auch sein, daß manche von denen, die wissen, daß
sie im Laufe der Jahre 1999 oder 2000 in Berlin sein
werden, dort zuvor eine Wohnung nehmen werden und
dann einige Wochen oder einige Monate von Berlin
nach Bonn zurückpendeln. Auch das kann sein.
Was die Pendlerlogistik insgesamt angeht, so müssen
wir - ich bin sicher, der Deutsche Bundestag wird das
aus eigener Erkenntnis heraus tun - dafür sorgen, daß
die Arbeitszeiten über die Woche verteilt werden. Es
kann in Berlin keine Fünftagewoche geben, die dazu
führt, daß sich der ganze Verkehr montags zwischen 6
und 8 Uhr und freitags zwischen 12 und 14 Uhr abspielt;
vielmehr kann die Arbeit auch am Sonntag mittag oder
am Sonntag abend beginnen und irgendwann am Samstag enden. Viele werden dankbar sein, wenn man auch
in diesem Rahmen über flexible Arbeitszeiten spricht.
Die Bundestagsabgeordneten haben sowieso eine
Sechstagewoche. Insofern macht es gar nichts, wenn
man von Sonntag bis Samstag denkt.
Darf ich eine
Nachfrage stellen?
Ja, bitte.
Herr Bundesminister, darf ich Sie bitten, Ihren Blick, was die Pendlerproblematik und die Wohnraumversorgung anbelangt,
einen Moment auch auf die Bundesstadt zu lenken?
({0})
- Falls Sie es nicht verstanden haben sollten: Ich meine
natürlich Bonn, Frau Kollegin. Ich dachte, daß „Bundesstadt“ im Hohen Haus ein geläufiger Begriff ist.
({1})
In dem von uns vorgelegten
Bericht - wir haben Problempunkte dargestellt, die noch
zu klären sind - haben wir keinen Anlaß gesehen, die
Wohnungssituation in Bonn als problematisch zu beschreiben und zu unterstellen, daß es in Bonn zusätzliche Erschwernisse geben könnte.
Zu einer weiteren
Zwischenfrage erteile ich das Wort dem Abgeordneten
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, CDU/CSU.
Herr Minister, angesichts der Tatsache, daß wir mit den Kosten ich spreche jetzt nur von den Parlamentsbauten; für die
Regierungsbauten tragen Sie direkt Verantwortung ganz knirsch sind - die Vorräte sind aufgebraucht -, und
angesichts der Tatsache, Frau Matthäus-Maier, daß der
Deutsche Bundestag auch mit Ihrer Stimme vor gut einem halben Jahr zugunsten der Rentenversicherung die
Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt erhöht hat, was bei
einer noch nicht abgerechneten Bausumme von rund
2 Milliarden DM für den Deutschen Bundestag allein
20 Millionen DM mehr Steuern bedeutet, die wir beim
Finanzminister erbitten müssen, damit er sie der Baufirma gibt, um sie sich dann später von der Baufirma zurückzuholen, frage ich Sie: Können Sie sich vorstellen,
daß Sie die Vorstellung des Deutschen Bundestages,
zumindest die der Baukommission des Deutschen Bundestages, unterstützen, den Finanzminister angesichts
dieser Tatsache zu bitten, wenigstens den Faktor, der
durch die Mehrwertsteuererhöhung dazugekommen ist,
zu akzeptieren, ohne daß es zu Lasten der Bausumme
geht?
Herr Kollege Kansy, ich
muß gestehen, daß ich Ihre Frage nicht ganz verstanden
habe. Ich bitte um Nachsicht. Vielleicht könnten Sie es
mir noch einmal mit einem Satz sagen.
Wenn die Präsidentin das gestattet. - Durch die Mehrwertsteuererhöhung, die wir im letzten Jahr im Deutschen Bundestag
beschlossen haben und die dieses Jahr in Kraft getreten
ist, haben sich bei laufenden Bauvorhaben natürlich in
ganz erheblichem Umfang die Baukosten erhöht. Ich
meinte, daß es doch ein unsinniges Geschäft wäre, auch
wenn die Umsatzsteuer nicht 100prozentig dem Bund
zugute kommt, daß der Finanzminister dieses Geld erst
abgreift und dann wieder ausgeben muß.
Jetzt verstehe ich es. Ich
sehe dabei aber kein Problem, denn trotz einer um
1 Prozentpunkt höheren Mehrwertsteuer - bei einem
Betrag von 20 Milliarden wären es 200 Millionen DM gehen wir davon aus, daß wir den Kostenrahmen halten
werden,
({0})
also die Kosten auch unter Berücksichtigung dieser Tatsache im Griff haben. Es gibt keinen Grund, irgendwelche Sonderregelungen zu treffen. Ich glaube, das stände
uns, sowohl der Bundesregierung als auch, wenn ich mir
das zu sagen erlauben darf, dem Parlament, schlecht zu
Gesicht.
Im übrigen darf ich, Frau Präsidentin, noch sagen ich habe das zu Beginn vergessen -: Der Bericht, über
den ich gesprochen habe, ist in seiner endgültigen
Fassung heute morgen fertig geworden und wird in
dieser Fassung heute dem Parlament zur Verfügung
gestellt. Er wird nicht gleichzeitig bei allen
Abgeordneten ankommen, aber er wird heute den
Fraktionen und den Sprecherinnen und Sprechern
vorliegen. Er wird Ihnen dann schnell zur Verfügung
stehen.
Die nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Petra Pau, PDS.
Herr Bundesminister, Ihre Äußerung, daß bisher keine Sicherungsmaßnahmen für das
Staatsratsgebäude angedacht wurden, hat mich stutzig
gemacht. Ich möchte Sie nach den Auswirkungen auf
die rundherum liegende Bürgerstadt befragen. Ist schon
absehbar, was das konkret für die dort wohnenden Bürgerinnen und Bürger und insbesondere für das Areal des
Schloßplatzes heißt? Sie wissen, daß im Moment sehr
emotional darüber diskutiert wird, inwieweit er sowohl
für Berlinerinnen und Berliner als auch für ihre Gäste
zugänglich ist. Wer ist im Moment in dieser Frage Ihr
Ansprechpartner, oder wollen Sie auf das Instrument des
Hauptstadtvertrages, also des direkten Durchgriffs des
Bundes, zurückgreifen?
Es geht darum, solche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die dafür sorgen, daß
ein Aufenthalt des Bundeskanzlers im Staatsratsgebäude
- das wird vorübergehend sein Amtssitz sein - verantwortet werden kann. Diese werden nicht übertrieben
sein, aber man benötigt einen Sicherheitstrakt und muß
sich überlegen, wie sicher die Fenster sind, wie nahe jemand von draußen an das Gebäude herankommen kann
und wie nahe Autos geparkt werden dürfen. Es geht um
solche simplen Dinge und um keine größeren Sicherheitsvorkehrungen in diesem Bereich. Aber dieses Minimum an Sicherheit muß schon gewährleistet werden.
Das war es bisher nicht, aber das werden wir nun nachholen. Hierüber hat es auch schon die entsprechenden
Gespräche gegeben.
Frau Kollegin Baumeister, Sie hatten noch eine Frage.
Herr Minister,
ich möchte noch einmal auf das Problem der Pendlerwohnungen zurückkommen: Halten Sie an dem Grundsatz fest, daß die dem Bund gehörenden Alliiertenwohnungen, die zwischenzeitlich genutzt wurden, wieder
frei gemacht werden, so daß sie wieder unserem Kontingent zur Verfügung stehen? Konkret heißt das, daß der
Bund nicht andere Wohnungen bereitstellen muß, sondern auf diese Wohnungen zurückgreifen kann.
Dieses ist noch unsere Position, Frau Kollegin.
Letzter Fragesteller
zu diesem Themenkomplex ist der Abgeordnete Norbert
Hauser, CDU/CSU.
Herr Bundesminister, in Ihrem Bericht wird darauf hingewiesen, daß
die Bonn-Vereinbarung von 1990 am 31. Dezember
1999 ausläuft. Nun hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung dankenswerterweise ausgeführt, daß
er die kulturellen Mittel für die Bundeshauptstadt Berlin
gemäß dem Hauptstadtvertrag in Höhe von zur Zeit 60
Millionen DM zu verdoppeln gedenkt. Dürfen wir davon
ausgehen, daß sich diese Großzügigkeit in ähnlicher
Weise auch auf die Bundesstadt - Frau Kollegin Matthäus-Maier - Bonn
({0})
auswirkt bzw. wenigstens nicht an eine Reduzierung der
Mittel für Bonn gedacht wird?
Beides - so habe ich eben
berichtet; das gilt auch - wird im nächsten Jahr auszuhandeln sein. Die Zuständigkeit liegt dann im wesentlichen beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur,
Staatsminister Naumann.
({0})
Ich werde mich als Bauminister natürlich weiterhin
darum kümmern, daß die anderen Aspekte dieser Verträge beachtet werden. Über die Höhe der Zahlen kann
man heute noch nichts Konkretes sagen.
Ich rufe jetzt die beiden weiteren Themen der Kabinettsitzung auf. Zum
Steuerentlastungsgesetz hat sich der Abgeordnete Hans
Michelbach, CDU/CSU, gemeldet.
Frau Staatssekretärin, aus dem sogenannten Steuerentlastungsgesetz wird
jetzt, wie wir erfahren haben, ein Vorläufergesetz abgetrennt. Dieses Vorläufergesetz mit seinen 10 Milliarden
DM Mehrausgaben möchte ich als Wahlversprechengesetz kurz vor Weihnachten bezeichnen. Für diese Ausgaben ist aber noch keine Deckung beschlossen. Auch
die Haushaltsabsicherung besteht noch nicht. Gilt für die
Beschlüsse zur Gegenfinanzierung, die erst im März
oder April nächsten Jahres gefaßt werden sollen, nicht
ein Rückwirkungsverbot, das heißt, daß die finanzielle
Deckung nicht rückwirkend zu erwirken ist?
Ähnliches gilt für das Ökosteuergesetz. Hierdurch
sollen 11 Milliarden DM zur Entlastung der Sozialversicherungen eingenommen werden. Ich frage Sie: Stimmt
die Einschätzung der Energiewirtschaft, daß Einnahmen
in Höhe von maximal 7 Milliarden DM statt
11 Milliarden DM mit den Änderungen, die Sie eingebracht haben, zu erreichen sind? Wie wollen Sie die
durch Ihr Handeln entstehenden Finanzlöcher schließen?
Herr Kollege Michelbach,
zum Thema Ökosteuergesetz kann ich heute im Rahmen
der Regierungsbefragung keine Auskunft geben, weil
dieses Gesetz noch nicht als Entwurf der Bundesregierung vorliegt. Es liegt als Entwurf der Koalitionsfraktionen vor. Dazu darf ich für die Bundesregierung natürlich
keine Auskunft geben. Für die Regierungsbefragung ist
als Thema das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002
angemeldet. Dazu will ich gerne Auskunft geben.
Sie bezeichnen es als Weihnachtsgeschenk, wenn wir
den Eingangsteuersatz von 25,9 auf 23,9 Prozent senken. Übrigens senken wir mit Wirkung zum 1. Januar
1999 auch den gewerblichen Spitzensteuersatz von 47
auf 45 Prozent.
({0})
- Sie wollen also lieber größere Weihnachtsgeschenke,
Herr Kollege?
({1})
Außerdem erhöhen wir zugleich das Kindergeld für das
erste und zweite Kind um je 30 DM. Dies entspricht unseren Aussagen vor der Wahl.
Das von uns vorgelegte und von der Regierung heute
im Entwurf beschlossene steuerpolitische Konzept ist
solide finanziert und gedeckt. Es wird in der Weise
wirksam werden, wie es notwendig ist, um die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden nicht über Gebühr zu belasten.
Wie Sie wissen, gehen wir von einer Nettoentlastung
von rund 15 Milliarden DM im Jahre 2002 aus. Wir gehen im Jahr 1999 sogar von überschaubaren Mehreinnahmen aus, die dazu verwendet werden, um die große
Steuerreform im Hinblick auf die angedachte Betriebssteuer vorzufinanzieren.
Es besteht kein Anlaß zur Befürchtung, daß es einen
Konflikt mit dem Rückwirkungsverbot geben werde;
denn die Regierung hat den Entwurf heute beschlossen,
und der Bundestag hat einen gleichlautenden Entwurf in
erster Lesung am Freitag der vergangenen Woche debattiert. Damit ist für jeden ersichtlich, wie der politische Wille der Parlamentsmehrheit und der Bundesregierung ist. Es besteht also kein Problem mit dem
Rückwirkungsverbot. Diese Auffassung wird durch
höchstrichterliche Rechtsprechungen unterstützt.
({2})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, mir liegen noch drei Wortmeldungen zu
diesem Komplex vor. Deshalb schlage ich Ihnen vor,
daß wir den Komplex Kosovo morgen im Rahmen der
regulären Debatte im Plenum diskutieren.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete CarlLudwig Thiele, F.D.P.
Frau Staatssekretärin,
haben Sie nicht die Sorge, daß es durch die von der Regierung beabsichtigten Einschränkungen im Bereich der
Immobilien erhebliche Schwierigkeiten für die Baukonjunktur und damit bei den Beschäftigungsverhältnissen geben wird? Können Sie mir einmal erklären, wie
man zwischen aktiven und passiven Tätigkeiten differenzieren kann? Nach meinem Gefühl ist eine Investition, um ein Haus für andere zur Verfügung zu stellen,
keine passive Tätigkeit. Es handelt sich vielmehr um eine aktive Tätigkeit, ansonsten könnte nichts erreicht
werden. Können Sie mir ferner erklären, wie Sie die angedachten Einschränkungen verstehen und welche Auswirkungen Sie für Konjunktur und Arbeitsplätze erwarten?
Die von Ihnen geäußerte
Befürchtung, Herr Kollege Thiele, teile ich nicht. Im übrigen geht das Gesetz auch nicht von einer Definition
passiver oder aktiver Tätigkeiten aus, sondern von einer
Definition passiver oder aktiver Einkünfte.
({0})
Sie sind in Anlehnung an das Außensteuergesetz in das
Einkommensteuergesetz übernommen worden.
Ich habe dann noch
eine Frage zur Eigenheimzulage. Wir haben durch die
Eigenheimzulage jetzt gerade einen Riesenpusch in unserem Land. Nachdem die alte Koalition aus CDU/CSU
und F.D.P. die Eigenheimzulage beschlossen hat, erwerben endlich mehr Mitbürger Eigentum in unserem Land.
Dieses soll von der Regierung dadurch eingeschränkt
werden, daß der Vorkostenabzug gestrichen wird. Auch
die Geltendmachung des Renovierungsaufwands soll gestrichen werden. Erwarten Sie hiervon nicht negative
Auswirkungen auf die Bildung von Eigentum in unserem Land und auf die Bauwirtschaft, die in der Vergangenheit immerhin noch der Konjunkturmotor in unserem
Land war, was sich möglicherweise ändern wird, wenn
Ihr Steuergesetz in Kraft tritt?
Die einzige Änderung,
Herr Kollege Thiele, die sich hierbei ergibt, ist die Tatsache, daß der Vorkostenabzug in Zukunft nicht mehr
möglich sein soll. Die Eigenheimzulage als solche bleibt
bestehen. Das will ich in der Öffentlichkeit auch ganz
deutlich sagen, damit nicht irgendwelche Befürchtungen
entstehen. Wie bisher gibt es für ein Ehepaar 5 000 DM
und für jedes Kind 1 500 DM pro Jahr sozusagen als
Zulage unabhängig von der eigenen Steuerschuld, und
zwar für einen Zeitraum von acht Jahren. Insofern kann
ich Ihre Befürchtungen da nicht teilen.
Entschuldigung, wie war die zweite Hälfte Ihrer Frage?
Die zweite Frage betraf die Renovierungen, die zu Beginn vorgenommen
werden.
Es ist nicht vorgesehen,
daß Renovierungskosten nicht mehr geltend gemacht
werden können, sondern es wird lediglich keine Pauschalierung der Werbungskosten mehr möglich sein.
Vor zwei Jahren - wenn ich mich recht erinnere - ist die
Regelung eingeführt worden, daß pro Quadratmeter und
Jahr pauschal 42 DM abgesetzt werden können. Dies
führt nach meinem Dafürhalten zu erheblichen Mitnahmeeffekten und im übrigen natürlich zur Förderung der
Schwarzarbeit; denn bis zu dieser Änderung mußten
Hausbesitzer für ein nicht eigengenutztes Haus zumindest noch per Rechnung nachweisen, was sie renoviert
haben. Durch die Änderung der Regelung konnten sie es
pauschal absetzen und somit auch Schwarzarbeiter tätig
werden lassen.
({0})
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU.
Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung ist mit dem Ziel angetreten, die
Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Nun haben Sie in Ihrem
Gesetzentwurf vorgesehen, in einer ersten Stufe das
Kindergeld zu erhöhen und die Steuersätze nur marginal
zu senken und dies alles durch eine Verbreiterung der
Bemessungsgrundlage gegenzufinanzieren, und zwar
ausschließlich auf der Seite der Unternehmen, das heißt
auf der Seite derjenigen, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen sollen. Wie ist dies mit Ihrem hehren Ziel
zu vereinbaren, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen?
Ich habe eine zweite Frage. Durch den sogenannten
Vorläufer zu diesem Gesetz wollen Sie die Kindergelderhöhung schon im Vorfeld, nämlich in diesem Jahr,
beschließen und auch einen Beschluß des Bundesrates
dazu herbeiführen. Mit der Kindergelderhöhung ist aber
auch eine zusätzliche finanzielle Belastung der Länder
verbunden. Die Länder haben andererseits eine verfassungsrechtliche Garantie zum Ausgleich dieser Mehrbelastungen. Wie ist der Stand des Verhandlungen mit
den Ländern? Wie verhält sich in diesem Zusammenhang das Finanzministerium?
Frau Kollegin Hasselfeldt, zu Ihrer ersten Frage: Es ist nicht zutreffend, daß
die Gegenfinanzierungsmaßnahmen ausschließlich aus
dem Bereich der Wirtschaft kommen. Ich darf zum Beispiel auf die angestrebten Änderungen beim des Sparerfreibetrag, die geplante Besteuerung von Abfindungen
Vizepräsidentin Petra Bläss
und anderes hinweisen, welches auch bei der sozialdemokratischen Klientel nicht unbedingt auf Zustimmung
stößt.
Im übrigen ist es bisher unsere gemeinsame Position
gewesen, daß die Absenkung der Steuersätze nur durch
eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage gegenfinanziert werden kann. Ich will das Hohe Haus in diesem
Zusammenhang darauf aufmerksam machen, daß das,
was in der Öffentlichkeit diskutiert wird, nämlich daß
dies überwiegend zu Lasten des Mittelstands gehe, einfach falsch ist. Es gibt in Wirklichkeit eine Zusatzbelastung für die bilanzierende Großindustrie, die sich in der
Vergangenheit von einer Steuerzahlung entsprechend
ihrer Leistungsfähigkeit - sozusagen gesetzlich geschützt - weitgehend hat entfernen können. Diesen gesetzlichen Schutz wollen wir ihr nunmehr nehmen.
Zu Ihrer zweiten Frage: Das Kindergeld wird zum
1. Januar 1999 in der von mir genannten Höhe, und zwar
um jeweils 30 DM für das erste und zweite Kind, erhöht.
Es ist in der Tat notwendig, einen Ausgleich mit den
Ländern herbeizuführen. Damit meine ich aus Sicht des
Bundesfinanzministeriums zunächst einmal einen Interessenausgleich und nicht einen finanziellen Ausgleich.
Unbestritten ist, daß die Länder einen sogar grundgesetzlich verbürgten Anspruch darauf haben, bei Erhöhungen des Kindergeldes über die Neuverteilung der
Umsatzsteuerpunkte einen Ausgleich zu erhalten, weil
im Grundgesetz festgelegt worden ist, daß die Länder
26 Prozent und der Bund 74 Prozent der Kosten im
Rahmen der Zahlung des Kindergeldes tragen sollen.
Ich mache aber darauf aufmerksam, daß der Gesetzentwurf in der Form, wie ihn die Bundesregierung heute
beschlossen hat, in den ersten Jahren zu Steuermehreinnahmen führen wird. Insofern haben nach Auffassung
der Bundesregierung die Länder schlechterdings keinen
Anspruch auf einen Ausgleich von Ausfällen, weil diese
gar nicht entstehen. Vielmehr profitieren auch die Länder von den Mehreinnahmen in den ersten Jahren.
Wir befinden uns erst am Beginn der Verhandlungen.
Wir wissen, daß wir dieses Problem lösen müssen, um
die Zustimmung der Länder zu erhalten.
Frau Kollegin Baumeister, Sie sind die nächste Fragestellerin.
Frau Staatssekretärin, welche Vorstellungen hat die Bundesregierung
bezüglich der Absenkung der Staatsquote im Hinblick
auf den zeitlichen Rahmen sowie auf deren Höhe?
Die Koalitionsfraktionen
haben in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, daß sie die
Sozialversicherungsquote im Laufe dieser Legislaturperiode wieder auf unter 40 Prozent senken wollen. Was
die Staatsquote anbelangt, so ist es natürlich schwierig,
dazu insgesamt eine Aussage zu treffen. Denn Sie wissen, daß im Bundeshaushalt als Erblast der vorangegangenen Regierung eine große Unterfinanzierung besteht,
so daß wir Steuersenkungen, die weiter gehen als wir
dies bisher vorsehen, nicht versprechen können.
({0})
- Frau Kollegin, da Sie sich so freuen, möchte ich feststellen: Wir wollen die Sozialversicherungsquote senken; wir senken netto auch die Höhe der Steuern. Das
zusammengenommen erlaubt natürlich auch keinen Anstieg der Staatsquote.
Letzte Fragestellerin
zu diesem Themenbereich ist die Abgeordnete Ingrid
Matthäus-Maier, SPD.
Frau Staatssekretärin, Sie wurden nach der von den Koalitionsfraktionen
und der Regierung geplanten Abschaffung der Vorkostenpauschale im Bereich des Wohnungsbaus gefragt.
Habe ich es richtig in Erinnerung, daß dies auch in den
sogenannten Petersberger Beschlüssen der vorherigen
Koalition und in dem entsprechenden Gesetzentwurf der
früheren Bundesregierung so gefordert wurde?
({0})
Frau Kollegin MatthäusMaier, Ihre Erinnerung trügt Sie selbstverständlich
nicht. Wir alle schätzen Ihren Kenntnisreichtum.
({0})
Ich würde es begrüßen, wenn die steuerpolitische Diskussion nicht nur in diesem Punkt, sondern insgesamt
etwas ehrlicher verlaufen würde. Der größte Teil der von
uns vorgeschlagenen Deckungsmaßnahmen ist von der
vorherigen Koalition im Bundestag so verabschiedet
worden und ist im Bundesrat wegen der damit verbundenen unverantwortlichen Steuerausfälle nicht akzeptiert
worden.
({1})
Danke, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Angesichts der Tatsache, daß wir heute relativ wenig
Fragen für die Fragestunde haben, lasse ich jetzt doch
noch eine Frage zum Komplex Kosovo zu und erteile
dem Abgeordneten Christian Schmidt das Wort.
Ich bitte
die Bundesregierung um Aufklärung bezüglich des
Antrages auf Drucksache 14/47 und der Vorabinformation zum Thema „extraction force“, also der Notfalltruppe, die wir gestern aus dem Bundesministerium der
Verteidigung erhalten haben. Es ist bekannt, daß diese
Truppe die OSZE-Beobachter, die unbewaffnet sind, bei
Notfällen, die in drei verschiedene Grade eingestuft
werden, aus dem Kosovo herausholen soll. Gestern hieß
es, daß in dieser Truppe deutsche Kräfte nur für das
Szenario eins, also im Rahmen einer selektiven, geringen Gefährdung, vorgesehen sind und daß bei schwierigeren Notfällen Verstärkungskräfte aus den Heimatstandorten zugeführt werden. Eine deutsche Beteiligung
daran ist nicht geplant. Sie würde auch eine weitere konstitutive Zustimmung des Bundestages voraussetzen.
Nun lese ich im Antrag unter Ziffer 2, daß im Notfall
auf deutsche Kräfte bei SFOR und auf die an ihren Heimatstandorten in Deutschland für SFOR bereitgehaltenen Verstärkungskräfte zurückgegriffen werden kann.
Unter Ziffer 3 wird ausgeführt, daß dann auf diese zurückgegriffen wird, sofern dies möglich ist.
Kann mir die Bundesregierung zunächst Klarheit darüber verschaffen, ob nun die Äußerung des Bundesministers des Auswärtigen im Auswärtigen Ausschuß oder
die mir übermittelte Äußerung des Bundesverteidigungsministers im Verteidigungsausschuß zutrifft? Sind
mit den Soldaten an den Heimatstandorten in Deutschland nun alliierte oder deutsche Streitkräfte, Angehörige
der Bundeswehr, gemeint?
Eine weitere Frage: Was heißt „sofern dies möglich
ist“? Was sind die Konditionen dafür?
Zum dritten. Wenn diese Streitkräfte, die bereitgehalten werden, Kräfte der Bundeswehr sein sollten, hätte
ich gerne gewußt, ob diese für die Aufgaben eigentlich
geeignet sind. Warum sollen nicht die KSK, die Kommandospezialkräfte, die gerade für die Fälle der Geiselbefreiung trainiert sind, eingesetzt werden? Oder werden
sie, wie man aus der Äußerung des Generalinspekteurs
im Verteidigungsausschuß schließen könnte, vielleicht
doch verwendet? Stehen sie auch den der SFOR gewidmeten Kräften in den Heimatstandorten zur Verfügung?
Schlichtweg: Ich bitte um Aufklärung dieses Informationschaos.
Wen haben Sie gefragt?
Ich frage
die Bundesregierung. Ich bin nicht für die Geschäftsverteilung in der Bundesregierung zuständig und weiß
daher nicht, wer diese Fragen beantwortet.
Ich vermute, daß das eine Frage an den Verteidigungsminister war.
({0})
Über die Kräftezusammensetzung des Kontingents
kann ich Ihnen nichts sagen. Ich kann Ihnen aber sagen,
was die Bundesregierung heute beschlossen hat und was
dem Bundestag zur Entscheidung vorgelegt wird, nämlich daß ein Kontingent von bis zu 250 Kräften zum
Schutz der im Kosovo tätigen OSZE-Beobachter, und
zwar nicht nur der deutschen, sondern aller, zur Verfügung gestellt wird, daß es drei verschiedene denkbare
Szenarien gibt, wie diese Kräfte zum Einsatz kommen,
und daß für das dritte Szenario, das von der Evakuierung
der OSZE-Beobachter ausgeht, weil sie sich in einer
schweren Gefahrensituation befinden, ein entsprechender politischer Beschluß des NATO-Rates notwendig
ist; das kann nicht an Ort und Stelle beschlossen werden,
sondern bedarf eines politischen Beschlusses.
Die Zusammensetzung der Kräfte ist Angelegenheit
des Verteidigungsministers. All das, was Sie gesagt haben, bezieht sich auf die Zusammensetzung des bis zu
250 Mann starken Kontingents der Bundeswehr. Der
Bundesverteidigungsminister - so verstehe ich das - läßt
sich die Möglichkeit offen, dieses Kontingent so zusammenzusetzen, wie es der jeweiligen Aufgabe und
Gefahrensituation im Kosovo entspricht.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte. Das ist dann aber die letzte.
Wir können dies hier offensichtlich nicht vollständig aufklären:
Werden jetzt 250 Soldaten dort hingeschickt, und die
deutschen SFOR Einheiten stehen dann doch nicht als
Reservekräfte zur Verfügung? Mit Verlaub, Herr
Staatsminister, das ist in der Kabinettsvorlage, die dem
Antrag an den Bundestag zugrunde liegt, in keiner Weise schlüssig dargelegt. Das würde wohl doch noch eine
Klausur des Bundeskabinetts voraussetzen - um die
Dinge einmal klarzustellen.
Herr Kollege, ich kann Ihre Verwirrung nicht verstehen. Der Beschluß der Bundesregierung, der Ihnen
bereits zugegangen ist, ist in dieser Hinsicht vollkommen eindeutig. Ich darf zitieren:
Die Kräfte
- also die genannten 250 werden - nach Abschluß der für eine Stationierung
erforderlichen Vereinbarungen durch die NATO in Mazedonien stationiert.
Jetzt kommt der für Sie entscheidende Satz:
Im Notfall kann auf deutsche Kräfte bei SFOR und
auf die an ihren Heimatstandorten in Deutschland
für SFOR bereitgehaltenen Verstärkungskräfte zurückgegriffen werden.
Das bezieht sich auf dieses Kontingent von 250 Mann.
({0})
- Die Frage ist doch, wo man sie herholt, Herr Kollege.
Christian Schmidt ({1})
Herr Kollege
Schmidt, das war Ihre letzte Frage. Ich muß damit die
Befragung der Bundesregierung beenden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 14/34, 14/37 Wir beginnen mit den Dringlichen Fragen aus dem
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatssekretär
Frank-Walter Steinmeier zur Verfügung. Ich rufe die
Dringliche Frage 1 des Abgeordneten Wolfgang Bosbach, CDU/CSU, auf:
Trifft es zu, daß eine großangelegte Rückversetzungsaktion für
Beamte des Kanzleramtes durch entsprechende Schreiben des
Bundeskanzleramtes an die Ministerien eingeleitet worden?
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Abgeordneter Bosbach, auf Ihre Frage
kann ich Ihnen sagen, daß nach mir vorliegenden Unterlagen im Zeitraum vom 1. Juli 1998 bis zum 27. Oktober 1998 im Kanzleramt 34 Beförderungen vorgenommen worden sind, davon 14 im höheren Dienst und
von diesen 14 wiederum zehn nach der Bundestagswahl.
({0})
Dies geschah entgegen der Aussage der früheren Bundesregierung im Haushaltsausschuß vom 16. Juni 1998,
es gebe keine Beförderungsmöglichkeiten für das Bundeskanzleramt im Zeitraum von Mai bis Ende Oktober.
({1})
Diese Beförderungswelle kurz vor der Bundestagswahl
und vor allen Dingen danach nahm der neuen Amtsleitung jeglichen Spielraum dafür, den eigenen Leitungsstab personell auszustatten.
({2})
Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit - dafür werden
Sie Verständnis haben -,
({3})
eine gewisse Anzahl von Amtsangehörigen in ihre
Stammressorts zu versetzen.
Die Voraussetzungen dafür sind im übrigen auch
durch einen Kabinettsbeschluß der früheren Bundesregierung vom 4. Mai 1995 geschaffen worden.
Eine Zusatzfrage,
Kollege Bosbach?
Teilen Sie meine
Auffassung, daß Sie eine Frage beantwortet haben, die
ich gar nicht gestellt habe? Meine Frage bezog sich ausschließlich auf die Rückversetzungsaktion und nicht auf
die Anzahl der Beförderungen.
Da Sie die Anzahl der Beförderungen ansprechen,
frage ich Sie - weil ja durch die Antwort vorgetäuscht
wird, als seien die Beförderungen im Hinblick auf den
27. September und nicht auf Grund von Befähigung und
fachlicher Leistung der betroffenen Mitarbeiter vorgenommen worden -: Wie viele sind denn in dem gleichen, völlig unverdächtigen Zeitraum des Jahres 1997
vorgenommen worden?
Ich habe lediglich verständlich und
nachvollziehbar zu machen versucht, warum eine Anzahl von Rückversetzungen notwendig war.
({0})
- Dann habe ich Sie nicht richtig verstanden. - Bitte.
Es bleibt dann
zwischen uns der Dissens, der sich daraus ergibt, daß Sie
versucht haben, eine Frage zu beantworten, die ich gar
nicht gestellt habe.
({0})
Das kann ich so nicht erkennen.
Sie haben in Ihrer
Antwort eine Frage beantwortet, die ich gar nicht gestellt habe.
({0})
- Herr Kollege, bleiben Sie bitte ganz entspannt.
Dies war für mich Anlaß, zu fragen - ({1})
- Wenn Sie zuhören würden, könnten Sie auch die Frage
hören. Da Sie das nicht tun, können Sie sie auch nicht
mitbekommen.
Ich wiederhole die Frage gern: Wie groß war die Anzahl der Beförderungen in dem völlig unverdächtigen
Zeitraum - Sie haben ihn gerade erwähnt - des Jahres
1997?
Das kann ich Ihnen nicht sagen; diese Zahlen habe ich bisher nicht untersuchen lassen.
({0})
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage, diesmal vom Kollegen Wiefelspütz, SPD.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Einschätzung, daß die Rückversetzungsaktion in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer
Anzahl von vorher vorgenommenen Beförderungen im
Bundeskanzleramt steht, die von der Amtsleitung, die
von unserer Vorgängerregierung gestellt wurde, zu verantworten ist?
({0})
Ich habe eben sinngemäß zum Ausdruck gebracht - ich beantworte Ihre Frage deshalb mit
Ja -, daß ich mit meiner Vorbemerkung nachvollziehbar
machen wollte, daß eine Anzahl von Rückversetzungen
notwendig war, damit die neue Regierung im Leitungsbereich des Kanzleramtes etwas Spielraum hat.
({0})
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage, diesmal vom Abgeordneten Erwin Marschewski, CDU/CSU.
Herr Staatssekretär, wie bewertet eigentlich der Bundeskanzler selbst
den Umstand, daß sämtliche politischen Beamten unmittelbar nach Antritt in den Ruhestand versetzt worden
sind, obwohl Herr Schröder gesagt hat, er werde nur
reagieren, wenn die Loyalität verletzt sei?
Der Bundeskanzler bestimmt die
Richtlinien der Politik, auch im eigenen Hause. Daran
orientieren wir uns. Im übrigen können Sie davon ausgehen, daß diese Personalentscheidung mit ihm abgestimmt war.
({0})
Ich bin überrascht und frage deshalb nach
({0})
- ich höre nicht auf Sie, sondern auf die Präsidentin -,
wie der Bundeskanzler diesen Umstand, der sich klar im
Widerspruch zu seiner früheren Aussage befindet, objektiv und subjektiv beurteilt.
Herr Abgeordneter
Marschewski, ich muß Sie darauf hinweisen, daß es Ihnen nicht zusteht, eine weitere Zusatzfrage zu stellen.
Deshalb rufe ich jetzt die Dringliche Frage 2 des Abgeordneten Bosbach auf:
Haben die betroffenen Beamten Kenntnis von diesem Verfahren?
Die vorbereitenden Gespräche dauern im Augenblick überwiegend noch an. Soweit bereits
konkrete Maßnahmen eingeleitet worden sind, sind die
betroffenen Beamten natürlich unterrichtet worden.
Sie haben eine Zusatzfrage, bitte.
Wäre es unter
dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Dienstherren
nicht notwendig gewesen, die betroffenen Beamten früher zu unterrichten?
Wir sind, wenn ich mich recht erinnere, erst ungefähr drei Wochen im Kanzleramt. Wir
haben die Entscheidungen, soweit sie notwendig waren,
zügig getroffen. Sobald sie getroffen waren, haben wir
die betroffenen Beamten so zügig wie möglich darüber
unterrichtet. Ich glaube, einen viel größeren zeitlichen
Spielraum gab es wirklich nicht.
Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Bosbach.
Die jetzt eingeleitete Aktion erinnert fatal an die damals so genannte
„Maschinengewehraktion“ des damaligen Kanzleramtsministers Ehmke. Gehen Sie davon aus, daß der Bundeskanzler die angesprochene Aktion unterbrechen oder
gar abbrechen wird?
Es gibt keine „Aktion Maschinengewehr“. Sie haben diese Begrifflichkeit weder aus meinem Munde noch aus dem des Kanzlers gehört,
({0})
und wir identifizieren uns damit auch nicht.
({1})
Damit rufe ich die
Dringliche Frage 3 des Abgeordneten Wolfgang
Zeitlmann, CDU/CSU, auf:
Ist es richtig, daß der künftig für Personalangelegenheiten vorgesehene Gruppenleiter im Kanzleramt bereits im Vorgriff auf seine künftige Funktion die Rückversetzungsaktion eingeleitet hat?
Um Loyalitätskonflikte beim bisherigen Gruppenleiter zu vermeiden, haben wir tatsächlich den designierten Gruppenleiter beauftragt, über eine
Reihe der in der Frage angesprochenen Personalmaßnahmen vorbereitende Gespräche in den Ressorts zu
führen.
Keine Nachfrage des
Kollegen Zeitlmann. Dann rufe ich die Dringliche Frage 4 des Abgeordneten Zeitlmann auf:
Ist dem Bundeskanzler bekannt, daß dieser Beamte als Leiter
der SPD-Betriebsgruppe im Kanzleramt dort seit über 16 Jahren
tätig ist - zuletzt seit mehreren Jahren als Referatsleiter für Arbeitsund Sozialpolitik?
In der Tat leitete der betroffene Beamte das entsprechende Spiegelreferat für das BMA von
1991 bis Oktober 1998. Daß er auch Leiter der SPDBetriebsgruppe gewesen ist, haben wir Ihrer Anfrage
entnommen.
({0})
Eine Zusatzfrage des
Fragestellers, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die frühere Bundesregierung in den 16 Jahren keinerlei Anstalten unternommen
hat, diesen Beamten in sein Stammressort zurückzuversetzen?
Das ist offensichtlich so, da er bis
Oktober 1998 dort war.
Ich schlage vor, bereits an dieser Stelle den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern aufzurufen. Zur Beantwortung
steht Staatssekretär Körper zur Verfügung.
Zunächst zur Frage 7 des Abgeordneten Austermann:
Wie viele Zurruhesetzungen von Mitarbeitern der Bundesverwaltung ({0}) sind vom Zeitpunkt
des Regierungswechsels infolge der Bundestagswahl im September
1998 an erfolgt und bis Ende November 1998 beabsichtigt?
Vom Regierungswechsel am
27. Oktober 1998 bis zum 16. November 1998 sind insgesamt 51 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Darüber hinausgehende Aussagen für die Zukunft sind naturgemäß
nicht möglich, da es sich jeweils um eine Einzelfallentscheidung des zuständigen Ressortministers handelt.
Ich habe eine
Zusatzfrage. Sind in die Zahl von 51 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern auch die Angestellten einbezogen, die
ein besonderes Arbeitsverhältnis hatten, und wie verteilen sich diese 51 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf
die einzelnen Ministerien?
Die Liste, aus der hervorgeht,
um wen es sich handelt, kann ich Ihnen gerne zur Verfügung stellen.
Lassen Sie mich Ihnen aber noch die Information geben, daß bei dem Regierungswechsel 1982 in einem
vergleichbaren Zeitraum 42 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen worden sind, obwohl es sich damals nur
um einen Teilwechsel gehandelt hat. Ich denke, die
Entlassungen, die darauf folgten, sind auch zu beachten.
Bei Ihren kritischen Äußerungen sollten Sie bedenken,
was Sie 1982 gemacht haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können Sie bestätigen, daß, nachdem Sie die Zahl von 1982 - auch
ohne die Angestellten - eindeutig überschritten haben,
beabsichtigt ist, weitere Zurruhesetzungen vorzunehmen, die nur deshalb ausgesetzt sind, weil man die
Fachkräfte noch für die deutsche EU-Präsidentschaft im
nächsten Jahr braucht?
Herr Kollege Austermann, ich
habe bereits etwas zu den weiteren Entscheidungen gesagt. Ich will hier die Rechtsgrundlage erwähnen: Diese
Zurruhesetzungen erfolgen auf der Grundlage des § 36
des Bundesbeamtengesetzes. Dieser Paragraph eröffnet
bewußt einen weiten Ermessensspielraum und - das sagen wir ganz deutlich - schließt reine Willkürentscheidungen aus. Das besondere Vertrauensverhältnis zur politischen Leitung ist das Fundament der in § 36 des
Bundesbeamtengesetzes genannten Beamten.
Ich will Ihnen noch die Information geben, daß es
manchmal auch umgekehrt gelagerte Fälle gibt: Betroffene politische Beamte sind der Meinung, sie könnten
mit der jeweiligen Bundesregierung nicht loyal zusammenarbeiten. Auch das sollten Sie im Hinterkopf behalten, wenn Sie dazu Fragen stellen.
Verstehen kann
man das bei dieser Führung natürlich. Ich hätte gerne die
Liste.
Die bekommen Sie selbstverständlich.
Herr Kollege Marschewski, bitte.
Herr Staatssekretär, lassen Sie mich konkret fragen: Beabsichtigen
Sie, nach Ablauf der deutschen EU-Präsidentschaft im
Innenministerium die Abteilungsleiter Verfassung,
Ausländer- und Asylangelegenheiten sowie Polizeiangelegenheiten umgehend oder in kurzer Frist danach in
den Ruhestand zu versetzen?
Lieber Kollege Marschewski,
diese Fragen werde ich Ihnen dann beantworten, wenn
sie zur Entscheidung anstehen.
({0})
Dann rufe ich den
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Die Frage 1 des Kollegen Hartmut Koschyk ist schriftlich beantwortet worden.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Wolfgang
Börnsen, CDU/CSU, auf:
Welche konkreten, schnellen und vor allem den Voten von
Bundestag und Bundesrat entsprechenden, nachhaltigen Schritte
zur Förderung der bestehenden Duty-free-Regelung beabsichtigt
die Bundesregierung in bezug auf die von ihr zu übernehmende
EU-Ratspräsidentschaft im Januar kommenden Jahres vor dem
Hintergrund der von Bundeskanzler Gerhard Schröder vor der
Wahl getroffenen und jetzt vor dem Bundeskongreß der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten wiederholten Äußerungen, er
finde es nicht gut, wenn EU-Diplomaten zollfrei einkaufen könnten, aber ,,der Oma die Butterfahrt genommen wird“ ({0})?
Herr Kollege Börnsen, die
Bundesregierung wird sich nachdrücklich im Sinne der
Voten des Deutschen Bundestages und des Bundesrates
für eine Weiterführung des innergemeinschaftlichen
Tax-free-Handels einsetzen. Die Aussichten dafür sind
jedoch denkbar ungünstig. Für eine Weiterführung wären ein entsprechender Vorschlag der Europäischen
Kommission selbst sowie ein einstimmiger Beschluß im
Ecofin-Rat notwendig. Beide Voraussetzungen liegen
nicht vor. Die Europäische Kommission hat stets ihre
Ablehnung betont. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten ist
ebenfalls dieser Auffassung.
Selbstverständlich wird die Bundesregierung die
Ratspräsidentschaft dazu nutzen, um neben einer Reihe
anderer bedeutsamer Themen auch dieses Thema zu erörtern und voranzubringen. Wir werden uns sowohl bei
den übrigen Mitgliedstaaten als auch bei der Europäischen Kommission dafür einsetzen, daß die gefährdeten
Arbeitsplätze in der Branche erhalten bleiben.
Bundesfinanzminister Lafontaine hat im übrigen bereits vorgestern, am 16. November 1998, in einem Gespräch mit Kommissar Mario Monti die Gelegenheit genutzt und nachdrücklich eine Verlängerung der Taxfree-Regelung gefordert. Kommissar Monti war allerdings in diesem Gespräch nicht zugänglich.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Börnsen, CDU/CSU, bitte.
Frau
Staatssekretärin, ich bedanke mich für Ihre optimistisch
stimmende Antwort. Aber gestatten Sie mir doch die
Nachfrage: Bedeutet Ihre Antwort, daß das Thema Duty
free auf die Tagesordnung gesetzt wird, wenn die deutsche Ratspräsidentschaft beginnt?
Ja, die deutsche Ratspräsidentschaft soll in jedem Fall in dieser Weise genutzt werden. Wir werden zur Vorbereitung dieses
Themas auch schon im vorhinein bilaterale Gespräche
mit einzelnen Mitgliedsländern führen.
Allerdings möchte ich nicht als optimistisch interpretiert werden. Ich habe meine Aussage selbst nicht als
optimistisch verstanden; denn die Kommission muß von
sich aus tätig werden, damit es dort zu einer Änderung
kommt. Sie zeigt aber keinerlei Neigung, dies zu tun.
Auch die Mehrheit der Mitgliedstaaten ist anderer Auffassung.
Gleichwohl werden wir alles versuchen; aber ich
fürchte, daß wir an diesem Punkt nicht zum Erfolg
kommen werden. In diesem Zusammenhang erinnere ich
daran, daß 1991 einstimmig - also auch unter Beteiligung der alten Bundesregierung - der Beschluß gefaßt
worden ist, eine siebeneinhalbjährige Übergangsfrist
einzuführen, die im Sommer 1999 ausläuft.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Frau
Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, daß von dieser Dutyfree-Entscheidung allein in Norddeutschland etwa 5 700
Arbeitsplätze betroffen sind, und ist Ihnen bekannt, daß
der Ausschuß der Regionen in den letzten Wochen beschlossen hat, daß die Duty-free-Regelung weitere fünf
Jahre fortgesetzt werden soll? Alle im Ausschuß der Regionen vertretenen Länder haben dem zugestimmt. Ist es
der Bundesregierung nicht auf Grund dieser Tatsache
sowie bedingt durch die neue Achse zwischen Bonn und
Paris möglich, eine Abstimmungssituation zu schaffen,
wonach die Duty-free-Regelung, von der auf europäischer Ebene immerhin über 140 000 Arbeitsplätze betroffen sind, zumindest für fünf Jahre erhalten werden
könnte?
Herr Kollege Börnsen,
mir ist die Bedeutung des Tax-free-Handels für den
Arbeitsmarkt durchaus bewußt. Gerade deshalb setzt
sich die Bundesregierung auch auf allen Ebenen für die
Erhaltung der Tax-free-Regelung ein.
Bisher war mir nicht bekannt, daß der Ausschuß der
Regionen in dieser Weise votiert hat. Ich werde mit dem
Vorsitzenden des Ausschusses der Regionen, Herrn Professor Dr. Manfred Dammeyer, baldmöglich Kontakt
aufnehmen, um insoweit Verstärkung für die Position
der Bundesregierung zu bekommen, falls es möglich ist.
Ich kann Ihnen versichern, daß wir alles tun werden,
um zumindest eine Verlängerung der Regelung herbeizuführen. Trotzdem möchte ich im Protokoll nicht als
allzu optimistisch erscheinen; es wird sehr schwierig
werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
Sie waren ja eher pessimistisch, was die Option einer
Beibehaltung dieser Regelung angeht. Mit Blick auf die
große Zahl von Arbeitsplätzen, die davon betroffen sind
- es sind in der norddeutschen Region weit über 5 000 -,
frage ich Sie: Gibt es seitens der Bundesregierung ein
Szenario, mit dem Sie sich um Alternativarbeitsplätze in
diesen strukturschwachen Regionen bemühen? Insbesondere im Tourismusbereich wären Ausgleichsmaßnahmen denkbar.
Herr Kollege, diese Problematik in den norddeutschen Regionen ist uns sehr
wohl bewußt. Es ist völlig klar, daß die Auswirkungen
auf den Arbeitsmarkt zwar nur wenige Regionen in
Deutschland, diese allerdings recht massiv beträfen.
Selbstverständlich haben sich auch die Landesregierungen darüber schon Gedanken gemacht. Es ist nicht eine
ureigene Aufgabe der Bundesregierung, hier an Förderprogramme des Bundes zu denken.
Kommissar Mario Monti hat - ich vermag allerdings
nicht zu beurteilen, welche Wirkung das haben wird vorgestern in dem Gespräch mit Finanzminister Lafontaine darauf hingewiesen, daß die Kommission eigene
Vorschläge unterbreiten werde. Wie das zu werten ist
und ob das etwa mit einer Finanzierungszusage an anderer Stelle verbunden wäre, kann ich nicht sagen, weil er
sich mit der Äußerung, die Kommission werde Vorschläge unterbreiten, sehr allgemein ausgedrückt hat.
Die Vorschläge betreffen nicht die Verlängerung des
Tax-free-Handels - die will er nicht -, sondern das Auffangen der negativen Folgen.
Es gibt noch eine
Zusatzfrage. Bitte, Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin, kann ich
angesichts dessen, daß die ehemalige Bundesregierung
nicht mit der Akribie und dem Druck, den wir an der
Küste uns eigentlich erwartet hätten, für die Verlängerung des Duty-free-Handels eingetreten ist
({0})
und ihr Ziel nicht erreicht hat, davon ausgehen, daß die
jetzige Bundesregierung alles in ihren Möglichkeiten
Liegende tun wird,
({1})
um eine Verlängerung zu erreichen, und - falls das nicht
möglich sein sollte, obwohl dies das vorrangige Ziel sein
sollte - alles versuchen wird, um eine Alternative für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu finden?
Frau Kollegin Faße, es ist
Ihnen sicherlich bekannt, daß dieses Thema für Bundeskanzler Gerhard Schröder ein wichtiges Anliegen ist.
({0})
Insofern ist schon von daher ein deutlicher Qualitätsunterschied im Verhältnis zur vorherigen Bundesregierung
feststellbar.
({1})
Jetzt kommen wir
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres bereit.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk, CDU/CSU, auf:
Wann und in welchem Umfang wird die Bundesregierung die
Mittel im Bundeshaushalt für die Integration deutscher Spätaussiedler, für deren Sprachförderung, für die Betreuung vor allem jugendlicher Spätaussiedler und für sonstige Integrationsmaßnahmen
erhöhen, wie dies die die Bundesregierung tragenden Parteien vor
der Bundestagswahl den Betroffenen gegenüber vertreten haben?
Herr Abgeordneter
Koschyk, die Bundesregierung mißt der Integration von
Spätaussiedlern große Bedeutung zu. Sie bekräftigt den
bereits in der Koalitionsvereinbarung festgelegten
Grundsatz, daß die gezielte Förderung der Integration
junger Aussiedler wie auch der bei uns lebenden ausländischen Jugendlichen einer der Schwerpunkte in der Jugendpolitik ist. Für die Aussiedler sind weiterhin Anstrengungen erforderlich, damit sie besser in ihr neues
Lebensumfeld hineinwachsen.
Die Bundesregierung ist bemüht, die für die Integration erforderlichen Haushaltsmittel zeitgerecht zur Verfügung zu stellen. Aussagen zu Haushaltsansätzen sind
derzeit nicht möglich, da sich der Bundeshaushalt für
das Jahr 1999 in der Phase der Haushaltsaufstellung befindet. Die Bundesregierung wird darüber hinaus alle
Leistungen, die der Integration von Spätaussiedlern dienen, auf den Prüfstand stellen, um sie zielgenauer
aufeinander abzustimmen und ihre Integrationswirkung
zu erhöhen. Die Höhe der zukünftig für die Integration
von Spätaussiedlern benötigten Mittel hängt auch vom
Ergebnis dieser Prüfung ab.
Eine Zusatzfrage,
bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär,
ist Ihnen denn bekannt, daß Mitglieder der die Bundesregierung in erster Linie tragenden Fraktion - also Mitglieder der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages bereits in der Vergangenheit haushaltsmäßige Überlegungen angestellt haben, wie sich in der mittelfristigen
Finanzplanung die Mittel für die Integration der Aussiedler insgesamt - und nicht nur der von Ihnen in den
Mittelpunkt gerückten jugendlichen Spätaussiedler entwickeln müßten, und daß Mitglieder der SPDFraktion des Bundestages in der mittelfristigen Finanzplanung die Summe von insgesamt 3,2 Milliarden DM
vorgeschlagen haben, mit der dieser Bereich aufgestockt
werden muß? Ist der Vorschlag, diesen Gesamtbereich
mit 3,2 Milliarden DM mittelfristig zu verstärken,
Grundlage der Finanzüberlegungen der Bundesregierung, von denen Sie gesprochen haben?
Sie haben Ihre
Frage mit der Formulierung „Ist der Bundesregierung
bekannt ...?“ eingeleitet. Deshalb antworte ich: Diese
Überlegungen sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Herr Kollege
Koschyk, Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
ich entnehme Ihrer Antwort, daß es trotz der Ankündigung aus der SPD-Fraktion im Vorfeld der Bundestagswahlen, daß die Mittel in diesem Bereich erhöht werden
müßten, noch keine konkreten Überlegungen der Bundesregierung gibt. Darf ich fragen, ob die Bundesregierung hinsichtlich zusätzlicher Mittel für diesen Bereich
alsbald mit den entsprechenden Verbänden - Wohlfahrtsverbände, Diakonisches Werk, Caritas, Arbeiterwohlfahrt und andere Verbände - in ein Gespräch treten
wird, um zu klären, wie die Integrationsleistungen für
diesen Personenkreis unserer Gesellschaft verstärkt werden können?
Herr Abgeordneter
Koschyk, wenn die Bundesregierung die Aussage
macht, daß wir alle Maßnahmen überprüfen und nach
vernünftigen Finanzierungswegen suchen, halte ich es
für selbstverständlich, daß wir auch mit den Verbänden
der Betroffenen und derer, die sich besonders um die
Aussiedler kümmern, Gespräche führen werden.
Zu einer weiteren
Zusatzfrage erteile ich das Wort dem Abgeordneten
Heil, SPD.
Herr Staatssekretär, sind Sie
der Auffassung, daß Handlungsbedarf in diesem Bereich
vor allen Dingen deshalb entstanden ist, weil die frühere
Bundesregierung in den letzten Jahren gerade zu Lasten
der Kommunen bei Integrationsmaßnahmen sehr massiv
gekürzt hat?
Wir gehen davon aus,
daß es notwendig ist, das, was im Integrationssektor
passiert ist, zu überprüfen und auf eine vernünftige Finanzierungsgrundlage zu stellen. Es hat in den letzten
Jahren erhebliche Probleme insbesondere bei der Integration jugendlicher Aussiedler gegeben. Damit muß
man sich auseinandersetzen. Die Bundesregierung wird
zum gegebenen Zeitpunkt entsprechend reagieren.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Dr. Klaus Rose, CDU/CSU.
Auch wenn die Konkretisierung der Bereitstellung zusätzlicher Mittel noch
nicht vorangeschritten sein sollte, wie Sie gesagt haben:
Können Sie sich trotzdem vorstellen, daß eine stärkere
Mittelbereitstellung oder eine qualitativ bessere Ausstattung mit einem Anstieg der Zahl von Spätaussiedlern
zusammenhängen, und wie beurteilen Sie generell die
Tatsache, daß man bisher Mittel aus dem Europäischen
Strukturfonds bekommen mußte, weil anderenfalls die
Summen nicht ausgereicht hätten?
Herr Abgeordneter,
in dem Leistungspaket, das in diesem Bereich angeboten
wird, finden sich sowohl Mittel des Garantiefonds als
auch entsprechende Angebote nach dem SGB III. Es hat
in den letzten Jahren - seit 1990, wie Sie sicher wissen verschiedene Veränderungen gegeben, was die Dauer
von Maßnahmen angeht, was die Förderhöhe angeht.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß es in den letzten Jahren Diskussionen darüber gab, ob nicht beispielsweise bei der Ausgestaltung der Sprachkurse Veränderungen vorgenommen werden müssen und wie es
bezüglich des Einsatzes von Mitteln aus anderen Bereichen aussieht. Dies alles ist aber, wie Sie verstehen werden, drei Wochen nach Amtsübernahme in der Überprüfung und hängt mit der Aufstellung des Bundeshaushaltes zusammen. Die Bundesregierung wird sich nach der
Überprüfung entsprechend dazu äußern.
Zu einer weiteren
Zusatzfrage erteile ich das Wort der Abgeordneten Christa Lörcher, SPD.
Herr Staatssekretär Andres,
ich möchte hier nur zur Kenntnis geben, daß im Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in der
letzten Legislaturperiode von uns jährlich der Antrag gestellt worden ist, die Mittel des Garantiefonds zu erhöhen, eben weil die Maßnahmen zur Integration gerade
jugendlicher Spätaussiedler zu geringfügig waren.
Frau Kollegin Lörcher, stellen Sie bitte die Frage.
Könnte es sein, daß dies
den Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion jetzt einfach
entfallen ist?
({0})
Frau Abgeordnete
Lörcher, mir ist natürlich bekannt, was die SPD in der
vergangenen Legislaturperiode in verschiedenen Ausschüssen und für verschiedene Bereiche - das trifft auch
für den Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung zu - beantragt hat. Das ändert aber nichts an
der Tatsache, daß eine neue Legislaturperiode begonnen
hat und daß wir uns in Planungsmaßnahmen befinden.
Wenn diese Planungsmaßnahmen weiter fortgeschritten
sind, kann man auch konkretere Aussagen darüber machen, welche Integrationsmaßnahmen wie finanziert
werden.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Friedrich, F.D.P.
Herr Staatssekretär, kann man denn nach Ihrer sehr klarstellenden
letzten Antwort davon ausgehen, daß die Mittelbereitstellung durch die neue Bundesregierung im Wege des
Haushaltsansatzes eher den Aussagen von Innenminister
Schily entspricht, die er in den letzten Tagen von sich
gegeben hat? Er hat gesagt, daß wir eigentlich eine Einwanderungszahl von Null bräuchten.
Herr Abgeordneter
Friedrich, wir führen hier keine Debatte über allgemeine
Einwanderungsquoten oder ähnliches. Vielmehr setzen
wir uns mit Problemen auseinander, die im Zusammenhang mit dem Zuzug von Aussiedlern in die Bundesrepublik Deutschland vorhanden sind.
Da gibt es Fördertatbestände, da gibt es Haushaltskapitel und -titel. Diese werden momentan beraten. Wenn
die Beratung abgeschlossen ist, kann die Bundesregierung entsprechende Auskünfte geben.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Martin
Mayer, CDU/CSU, auf:
In welchen Bereichen plant die Bundesregierung die vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit angekündigte Verschärfung der Vorschriften zur Gentechnik?
Herr Kollege, sind Sie
damit einverstanden, daß ich die Fragen 4 und 5 im Zusammenhang beantworte?
Ja.
Danke schön.
Dann rufe ich auch
die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Martin Mayer auf:
Welche Gründe sieht die Bundesregierung, um im Bereich der
Gentechnik eine neue Positionierung im Sinne einer Verschärfung
der EU-Richtlinie zu planen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Auf Ihre Fragen möchte
ich wie folgt antworten: Die modernen Methoden der
Bio- und Gentechnologie sind in der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung weltweit etabliert. Ihr Einsatz in der Medizin findet wachsende Akzeptanz. Das Ausmaß der notwendigen Gefahrenabwehr
und Risikovorsorge bei bio- und gentechnologischen
Verfahren ist aber nach wie vor umstritten.
Sie, Herr Kollege Dr. Mayer, als Diplom-Agraringenieur wissen sehr gut und kennen es sicher auch aus
Ihrer Praxis, daß vor allem in den Bereichen Landwirtschaft und Lebensmittel der gesellschaftliche Nutzen
sehr kritisch hinterfragt wird und mögliche Risiken
gentechnologisch veränderter Produkte breit diskutiert
werden. Aus diesem Grunde wird die Bundesregierung
das deutsche und europäische Gentechnikrecht daraufhin
überprüfen, inwieweit es den Vorrang des Schutzes von
Menschen und Umwelt gewährleistet.
Die einschlägigen EU-Richtlinien zur Gentechnik die Richtlinie 90/219/EWG über die Anwendung von
genetisch veränderten Mikroorganismen in geschlossenen Systemen und die „Freisetzungsrichtlinie“
90/220/EWG über die absichtliche Freisetzung von genetisch veränderten Organismen in die Umwelt - sind
seit 1990 in Kraft und berücksichtigen damit nicht mehr
den seither erreichten Stand der Diskussion in Wissenschaft, Technik und Politik. Darum hat der EU-Rat auf
seiner Sitzung vom 26. und 27. Oktober dieses Jahres
für die Anwendung von genetisch veränderten Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, also für die
Richtlinie 90/219/EWG, eine Änderungsrichtlinie beschlossen. Wir von seiten der Bundesregierung müssen
diese Änderungsrichtlinie innerhalb von 18 Monaten
nach Inkrafttreten in nationales Recht umsetzen.
Des weiteren gibt es schon einen Änderungsvorschlag
für die „Freisetzungsrichtlinie“ von der EU-Kommission, der im Februar 1998 vorgelegt worden ist. Die Beratungen darüber können voraussichtlich unter der deutschen Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 abgeschlossen werden.
Darüber hinaus gibt es Beratungen im Rahmen des
internationalen Übereinkommens über die biologische
Vielfalt. Hier wird zur Zeit das Biosafety-Protokoll verhandelt, das im Februar nächsten Jahres verabschiedet
werden soll.
Das alles sind Gründe dafür, daß hier im Parlament
wie auch in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion
im Gange ist. In dieser Diskussion - darauf hat Minister
Trittin auf der Delegiertenversammlung des Bundes für
Umwelt und Naturschutz Deutschland hingewiesen geht es darum, den Vorrang des Schutzes von Mensch
und Umwelt im deutschen und im europäischen Gentechnikrecht sicherzustellen und die Information der
Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern.
Im Sinne dieses Ziels setzt sich die Bundesregierung
für ein für alle Mitgliedstaaten verbindliches Risikobewertungsverfahren ein, das sowohl bei der Feldfreisetzung von genetisch veränderten Organismen als auch
beim Inverkehrbringen von Produkten Anwendung finden soll. Das Ziel ist ein EU-einheitliches hohes Schutzniveau. Um den Kenntnisstand zu verbessern und Risiken zu erkennen und zu minimieren, sollen Freilandversuche und das Inverkehrbringen transgener Pflanzen
wegen der langfristigen Auswirkungen in einem Langzeitmonitoring wissenschaftlich begleitet werden.
Um es den Verbraucherinnen und Verbrauchern angesichts der breiten öffentlichen Diskussion über biound gentechnologische Verfahren zu ermöglichen, gentechnikfreie Produkte klar zu erkennen, wird die Bundesregierung eine entsprechende Kennzeichnung sicherstellen.
Das alles ist auch Gegenstand des Koalitionsvertrages; es ist auch - angesichts der Änderungsvorschläge,
die im Raum stehen - eine notwendige Debatte, die natürlich - wir wissen alle, die Regierung ist erst sehr kurz
im Amt - noch nicht abgeschlossen sein kann.
Zu einer Zusatzfrage
der Kollege Dr. Mayer, bitte.
Frau
Staatssekretärin, gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse,
die eine Verschärfung der Richtlinien - von dieser hat
der Bundesumweltminister gesprochen - rechtfertigen?
Herr Kollege, Sie wissen,
daß diese Debatte seit vielen Jahren im Gange ist, daß es
auch in der Frage der Risikobewertung eine sehr breite
Palette von Meinungen gibt. Sie wissen, daß diese verschiedenen Gutachten und Meinungen in der politischen
Meinungsbildung - das ist auch Aufgabe der Regierung
bei den jetzt anstehenden Verfahren - bewertet, geprüft
und zu einem Ergebnis gebracht werden müssen.
Das ist im Augenblick Gegenstand der Beratungen.
Wie gesagt, wir sind noch nicht lange im Amt. Ich kann
Ihnen nicht sagen, wie die Meinungsbildung der Regierung ausgehen wird. Klar sind die Vorgaben, die wir
gemacht haben. Diese habe ich Ihnen gerade dargelegt.
Man kann sie auch im Koalitionsvertrag nachlesen; da
ist das Notwendige dazu gesagt.
Herr Kollege Dr.
Mayer, eine weitere Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, wird in die Überlegung auch die Tatsache eingehen, daß Deutschland in der Vergangenheit bei
der Anwendung der Bio- und Gentechnik in der Medizin
und in der Pharmazie durch strenge Vorschriften ins
Hintertreffen geraten ist, was nur schwer wieder aufgeholt werden konnte, und sich eine ähnliche Entwicklung
in der grünen Gentechnik abzeichnet? Eine derartige
Entwicklung wird noch verschärft, wenn die Anwendung dieser Technik in Deutschland erschwert wird.
Herr Kollege Dr. Mayer,
Sie wissen, daß Parteien dazu da sind, an der Willensbildung der Bevölkerung mitzuwirken. Das machen die
Parteien jeweils in eigener Verantwortung. Die Regierung hat eine ganz klare Geschäftsgrundlage, auf deren
Basis sie agiert. Ich bin der Meinung, daß die alte und
auch die neue Bundesregierung gerade in diesem sensiblen Bereich bemüht waren und sind, allerhöchste
Schutzstandards anzuwenden sowie die Sorgen und die
entsprechenden Untersuchungsergebnisse sowie die
Evaluationen ernstzunehmen. Das ist sehr sinnvoll, im
Hinblick auf den Schutz von Mensch und Umwelt, aber
auch bezüglich des Interesses der Wirtschaft.
Wenn in diesem Bereich hohe Standards bestehen,
hat man auch die Möglichkeit, hier entsprechend tätig zu
werden, ohne daß im nachhinein womöglich ungesicherte Regelungen die Wirtschaft beeinträchtigen. Ein
Beispiel dafür - es ist ein ganz anderer Bereich, aber
daran sehen Sie, daß ein nicht so strikter Umgang auch
ökonomische Auswirkungen haben kann - ist die BSEProblematik. Darüber werden wir morgen noch diskutieren. Vor diesem Hintergrund finde ich es richtig, daß
man sehr ernsthaft und sehr sorgsam mit dieser Materie
umgeht.
Herr Dr. Mayer, eine
weitere Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, gibt es andere europäische Länder, die
in gleicher Weise einen zusätzlichen bürokratischen
Aufwand und eine Verschärfung bei der grünen Gentechnik fordern?
Herr Kollege, ich bin hier
nur beauftragt, für die Regierung zu sprechen. Sie kennen natürlich die Debatte in Europa. Sie wissen, daß es
gerade in Österreich, das ja im Augenblick die Ratspräsidentschaft inne hat, sehr strikte Regelungen gibt.
Dort gibt es keine entsprechend breiten Freisetzungsmöglichkeiten, wie wir sie in Deutschland haben, worüber Sie trotzdem klagen. In Frankreich und auch in
Großbritannien sind im Augenblick sehr ernsthafte Diskussionen im Gange. Man überlegt, ob ein Moratorium
sinnvoll ist.
In ganz Europa ist die Diskussion ganz aktuell auch
vor dem Hintergrund, daß dieses Biosafety-Protokoll
natürlich die Debatte in den beteiligten europäischen
Staaten notwendig macht.
Es ist aber nicht so, als wenn die Bundesrepublik hier
mit Sicherheitsbedenken ganz alleine stünde. Ich glaube,
in der Vergangenheit war eher das Gegenteil der Fall.
Ich bin der Meinung, daß wir als Regierung sehr gut beraten sind, wenn wir die Sicherheitsanforderungen ernst
nehmen und das auch zur Grundlage des Handelns machen für die Umsetzungen, die jetzt anstehen.
Bitte, zu einer letzten
Zusatzfrage Herr Kollege Dr. Mayer.
Da
die grüne Gentechnik ja weltweit entwickelt wird,
möchte ich Sie fragen, ob Sie meine Befürchtung teilen,
daß damit Deutschland und die anderen europäischen
Länder, die gegenüber den USA eine entsprechende
Politik verfolgen, weit ins Hintertreffen geraten, ohne
insgesamt weltweit einen zusätzlichen Schutz zu bekommen.
({0})
Ich teile Ihre Einschätzung nicht, Herr Kollege. Ich bin im Gegenteil der Auffassung - das habe ich eben schon erläutert -, daß das
Beachten des Schutzes von Mensch und Umwelt nicht
nur im Sinne einer sorgsamen Politik wichtig ist, sondern auch im Sinne der entsprechenden Industrie, die
hier auf einem hohen Sicherheitsstandard hinterher entsprechend tätig werden kann. Das ist erheblich besser.
Ich teile Ihre Auffassung deshalb nicht.
Zu einer weiteren
Zusatzfrage erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr.
Barbara Höll, PDS.
Frau Staatssekretärin, ich
habe mit Freude vernommen, daß es viele Überlegungen
gibt, Diskussionsbedarf herrscht und daß dies nicht nur
in der Bundesrepublik so ist, sondern europaweit gilt.
Ich frage Sie, ob diese Tatsache die Bundesregierung
nicht dazu bewegen müßte, einen sofortigen Stopp zumindest für Freilandversuche zu verfügen, bis man zu
einem vorläufigen Abschluß dieser Diskussion kommt,
um dem auch von Ihnen angesprochenen Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Genüge zu tun. Dies wäre besser, als jetzt weiterzudiskutieren, obwohl Freilandversuche stattfinden. Sollte man nicht die Entwicklung, die
bereits eingesetzt hat, besser stoppen, um vielleicht auf
einer neuen Grundlage zu handeln?
Frau Kollegin, ich habe
schon eben bei der Beantwortung der Frage des Kollegen Mayer dargelegt, daß die Bundesregierung im Augenblick im Zusammenhang mit den Änderungsrichtlinien und im Zusammenhang mit dem BiosafetyProtokoll intensiv berät. Zwischen den verschiedenen
Häusern muß eine Abstimmung erzielt werden, denn
verschiedene Häuser sind zuständig. Unser Ministerium
hat in vielen Bereichen die Federführung, aber auch das
Umweltministerium ist zuständig. Außerdem müssen
andere Häuser gefragt werden. Daher ist es einfach notwendig und richtig, sehr sorgfältig und intensiv zu beraten.
Daß diese Entscheidung nicht bis auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben wird, ist einfach schon
deshalb klar, weil bestimmte Vorgaben einen Rahmen
setzen, innerhalb dessen wir entscheiden müssen. Ich
hatte schon gesagt, daß das Biosafety-Protokoll im Februar 1999 verabschiedet wird. Wir müssen innerhalb
von 18 Monaten die Änderungsrichtlinien umsetzen und
auch die Freilandrichtlinie beraten.
Ich finde es richtig und sinnvoll, keine Schnellschüsse zu machen, sondern sich als Regierung - die eine Koalitionsregierung ist - auf Grundlage der getroffenen
Vereinbarungen möglichst zügig und schnell eine Meinung zu bilden und das Erforderliche umzusetzen.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Walter Hirche, F.D.P.
Frau Staatssekretärin, Bundeskanzler Schröder hat mehrfach erklärt, daß man die
Chancen der Bio- und Gentechnologie entschlossener
nutzen müsse. Was tun Sie, um diese Chancen für mehr
Arbeitsplätze in Deutschland entschlossener zu nutzen,
statt die Bürokratisierung in diesem Bereich, die unter
anderem von Bundeskanzler Schröder immer wieder
kritisiert worden ist, noch zu verschärfen?
Herr Kollege Hirche, das
Dr. Martin Mayer ({0})
Einbeziehen des Schutzes von Mensch und Umwelt in
die Arbeit der Regierung ist keine bürokratische Erschwerung von Abläufen. Vielmehr ist das absolut notwendig und eine wesentliche Grundlage von Politik,
wenn man im Sinne des Gemeinwohls sorgsam agieren
will und auch sicherstellen will, daß die Bereiche der
Wirtschaft, die hier produzieren, entsprechend diesen
Grundsätzen arbeiten. Ich sehe überhaupt nicht, daß ein
bürokratischer Aufwand betrieben wird; vielmehr sind
Sicherheitsstandards notwendig.
Wir befinden uns im Augenblick im Rahmen der Erarbeitung und der Meinungsbildung in bezug auf die
drei Vorhaben, die ich schon einmal genannt habe. Wir
stehen vor den genannten Zielen natürlich in der Pflicht,
diesen Aspekt zu berücksichtigen. Kein Mensch wird
ein Interesse daran haben, bürokratischen Aufwand zu
betreiben. Das Interesse wird vielmehr darin bestehen,
die erforderlichen Ziele in Einklang zu bringen.
({1})
Herr Kollege Hirche,
es ist leider immer nur eine Zusatzfrage möglich; nur die
Fragestellerin oder der Fragesteller hat zwei.
Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Ilja
Seifert, PDS.
Frau Staatssekretärin, ich
nehme mit Freude zur Kenntnis, daß die Regierung den
Schutz von Mensch und Natur vor irreversiblen Eingriffen für wichtig hält. Welche Rolle spielt bei Ihren
Überlegungen zum weiteren Vorgehen die internationale
Einflußnahme der Bundesrepublik auf andere Staaten?
Meine Frage zielt im Gegensatz zu dem, was der Kollege Mayer gesagt hat, darauf ab, daß der Schutz von
Mensch und Umwelt vor biotechnischen und biogenetischen Eingriffen erhöht wird.
Gerade die genannten
Vorhaben, deren Umsetzung jetzt ansteht Veränderungen in den Richtlinien 219, 220 und das
Biosafety-Protokoll -, erfordern es und sind eine gute
Gelegenheit, über die Nutzung verantwortbarer Potentiale zu reden, aber den Schutz von Mensch und Umwelt
gleichrangig mitzubehandeln und auf der europäischen
Ebene in die Debatte einzubringen.
Ich gehe davon aus, daß die neue Bundesregierung
auf Grund ihrer in den Koalitionsvereinbarungen niedergelegten Absprachen mehr auf den Schutz von
Mensch und Umwelt eingehen wird - bei Aufrechterhaltung des Zieles, die verantwortbaren Potentiale zu
nutzen - und dies auf der europäischen Ebene einbringen wird. Dazu haben wir jetzt ausreichend Gelegenheit.
Unsere Häuser müssen sich intensiv absprechen - was
im Augenblick geschieht -, damit man auf der europäischen Ebene in den jetzt schon stattfindenden Beratungen tätig wird. Hier sind dauernd auch entsprechende
Beamte auf europäischer Ebene tätig, die die Meinung
der Regierung mit transportieren.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Goldmann, F.D.P.
Frau Staatssekretärin, teilen Sie meine Einschätzung, daß es erst langfristig angelegter, sicherer Freilandversuche bedarf, um
wissenschaftliche Aussagen zu erhalten, auf deren Basis
ein Gesetzgebungsverfahren durchgeführt werden kann?
Haben Sie die Absicht, dazu beizutragen, daß solche
langfristig angelegten Versuche durchgeführt werden?
Herr Kollege, was heißt
hier langfristig?
({0})
Über neue politische Vorhaben - das habe ich hier
schon mehrfach dargelegt; ich sage es noch einmal findet zur Zeit eine Abstimmung zwischen den Häusern
statt. Außerdem ist es völlig klar und unstrittig - das habe ich aber schon bei der Beantwortung der Frage des
Kollegen Dr. Mayer gesagt -, daß bei Freilandversuchen
wegen der langfristigen Auswirkungen ein LangzeitMonitoring erforderlich ist und daß das wissenschaftlich
begleitet werden muß. Auch das hatte ich aber, wie ich
glaube, schon dargelegt.
({1})
- Herr Kollege Mayer hatte ja eine Meldung der Zeitung
„Die Welt“ zum Anlaß seiner Frage genommen, ob Herr
Minister Trittin schon seine Vorstellungen in bezug auf
Gesetzesänderungen dargelegt hätte. Er hat nicht einzelne konkrete Maßnahmen dargelegt, sondern hat vor dem
BUND, wie ich es geschildert habe, allgemein die Vorhaben der Regierung angesprochen. Darum ging es. Wir
sind innerhalb von vier Wochen nicht so weit, daß wir
Ihnen jetzt eine entsprechend abgestimmte Meinung der
Regierung vorlegen können. Das wissen Sie doch auch.
Danke, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Ich verweise darauf, daß die Frage 6 und auch die
Frage 14 des Kollegen Jürgen Koppelin, F.D.P., auf
Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Abgeordneten
Dr. Klaus Rose, CDU/CSU, auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, eine Neufassung des § 55
Beamtenversorgungsgesetz in absehbarer Zeit in die parlamentarische Beratung zu bringen?
Wer sich mit der Frage von Versorgung und Besoldung beschäftigt, weiß, daß der § 55
des Beamtenversorgungsgesetzes schon seit langer Zeit
und immer wieder von bestimmten Gruppen in die Diskussion gebracht wurde. Hier geht es um die Anrechnung von Renten auf die Beamtenversorgung. Dieser
Paragraph ist erst am 29. Juni 1998 durch das Versorgungsreformgesetz zugunsten der Betroffenen abgeändert worden. Weitergehende Änderungen sind derzeit
nicht beabsichtigt.
Zu einer Zusatzfrage,
Herr Kollege Dr. Rose, bitte.
Herr Staatssekretär,
natürlich ist die Vorgeschichte sehr lang, aber die betroffene Bevölkerungsgruppe teilt Ihre optimistische Aussage, daß man viel zu ihren Gunsten gemacht habe, nicht.
Große Hoffnungen haben sich vor der Wahl auf eine neue
Regierung gerichtet. Darum frage ich nach, ob Sie nicht
irgendwie längerfristig eine noch umfangreichere Verbesserung im Sinne der Betroffenen erreichen wollen.
Herr Kollege Dr. Rose, alle diese Diskussionsbeiträge sind mir sehr gut bekannt. Ich
bleibe bei meiner Aussage, daß wir derzeit weitergehende Änderungen nicht beabsichtigen.
Zu einer weiteren
Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Rose, bitte.
Ich bitte um Beantwortung der Frage 9.
Ich rufe dann die
Frage 9 des Abgeordneten Dr. Rose auf:
Hat ein Arbeitnehmer, der beispielsweise 23 Jahre rentenversicherungspflichtig in der Privatwirtschaft und 26 Jahre als
AOK-Angestellter im öffentlichen Dienst tätig war, Anspruch
auf die volle Altersversorgung für 49 Berufsjahre?
Herr Kollege Dr. Rose, der Anwartschaft des Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung liegen die 49 Berufsjahre in vollem
Umfang zugrunde. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, in welchem Umfang der Angestellte wegen seiner
Tätigkeit im öffentlichen Dienst Anspruch auf eine zusätzliche Betriebsrente in Form der Zusatzversorgung
hat. Die höchstmögliche Zusatzversorgung setzt aber eine gesamtversorgungsfähige Zeit von 40 Jahren voraus.
In Ihrem Beispielsfall zählen neben den 26 Berufsjahren bei der AOK auch die Hälfte der 23 in der Privatwirtschaft verbrachten Berufsjahre zur gesamtversorgungsfähigen Zeit, die mithin nicht 26, sondern 37,5
Jahre beträgt. Damit wird die höchstmögliche Zusatzversorgung für den öffentlichen Dienst nicht ganz vollständig erreicht.
Ich hoffe, daß wir Ihr Einzelbeispiel richtig erfaßt haben. Sollte es beispielsweise bei der Frage der individuellen Berechnungen noch Unklarheiten geben, biete ich
ausdrücklich an, die offenen Fragen auf dem kurzen
Dienstweg zu klären. Legen Sie uns die etwaigen Unklarheiten vor. Wir werden dann gerne nachrechnen.
Wir kommen damit
zum letzten Geschäftsbereich, nämlich dem des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung der Fragen 10 und 11 steht der
Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann und
zur Beantwortung der Fragen 12 und 13 der Parlamentarische Staatssekretär Lothar Ibrügger zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 10 des Abgeordneten
Wilhelm Josef Sebastian, CDU/CSU, auf:
Gibt es seitens der Bundesregierung Pläne, die im Rahmen
des Berlin-Umzuges beschlossenen Regelungen für BerlinPendler - insbesondere hinsichtlich der Heimfahrten - zuungunsten der Pendler zu ändern, und welche Ausgaben veranschlagt
die Bundesregierung, um die Pendlerregelungen in ihrer bisherigen Form in den zwei Jahren nach Vollzug des Umzuges zu finanzieren?
Herr Kollege, die Bundesregierung beabsichtigt keine
Änderung des Dienstrechtlichen Begleitgesetzes, aus
dem sich der rechtliche Rahmen für die Pendlerregelungen im Zusammenhang mit dem Umzug von Parlament
und Regierung nach Berlin sowie der Ausgleichsverlagerungen von Behörden nach Bonn ergibt.
Die Kosten hierfür sind Teil des Ansatzes für dienstrechtliche Maßnahmen in Höhe von 950 Millionen DM,
den die Bundesregierung im Kostentableau für die Verlagerung des Parlamentssitzes und von Regierungsfunktionen nach Berlin ausgewiesen hat. Das können Sie im
Detail in der Bundestagsdrucksache 13/6594 nachlesen.
Ich bin gerne bereit, Ihnen diese Drucksache zur Verfügung zu stellen.
Eine Zusatzfrage? Nein.
Dann rufe ich die Frage 11 des Abgeordneten Wilhelm-Josef Sebastian auf:
Welche logistischen Probleme sieht die Bundesregierung, die
Heimreise der Pendler einmal pro Woche per Flugzeug oder
Bahn zu organisieren, und welche Vereinbarungen sind zum
heutigen Zeitpunkt mit der Deutschen Bahn AG und den in Frage kommenden Fluggesellschaften zur Abwicklung des Pendlerverkehrs getroffen worden?
Vizepräsidentin Petra Bläss
Herr Kollege Sebastian, eine erste Untersuchung der logistischen Fragen im Zusammenhang mit den Heimreisen der Pendler hat ergeben, daß die voraussichtliche
Nachfrage bei der Nutzung der beiden Verkehrsträger
Flugzeug und Eisenbahn und durch zeitliche Entzerrung
der Reisetermine auf Sonntagabend und montags früh
verkehrstechnisch bewältigt werden kann. Der Minister
hat eben schon ausführlich auf diesen Aspekt hingewiesen.
Auf Grund der Höhe des hierzu mit beiden Verkehrsträgern auszuhandelnden finanziellen Vertragsvolumens
ist eine europaweite Ausschreibung erforderlich. Die
hierzu notwendigen Vorbereitungen sind geleistet; die
Veröffentlichung der Vergabebekanntmachung im entsprechenden EU-Amtsblatt steht bevor. Der weitere
zeitliche Ablauf ist für diesen Bereich ausschreibungsrechtlich vorgegeben.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Hauser, CDU/CSU.
Herr Staatssekretär, Minister Müntefering ging eben bei den Zahlen,
die er für die Pendler zugrunde legte, von einer Spanne
zwischen 3 000 und 7 000 bzw. 8 000 aus. Wenn die
Spanne tatsächlich so hoch sein sollte, muß ich fragen:
Von welchen Zahlen gehen Sie in Ihrer Bedarfsberechnung aus? Es scheint mir, daß Sie über genauere Zahlen
verfügen.
Nein, es handelt sich um die Bedarfszahlen, die von der
letzten Regierung zusammen mit der Personalkommission des Ältestenrates berechnet wurden. Es gibt keine
neuen Berechnungen.
Herr Müntefering hatte schon darauf hingewiesen,
daß es äußerst schwierig ist, genaue Zahlen zu ermitteln.
Es gab vorher unter den Bediensteten der einzelnen
Häuser zwei Umfragen. Die Häuser tragen ja die Verantwortung für die Bereiche, die nach Berlin wechseln
sollen. Es gibt also keine neuen Zahlen.
Wir gehen davon aus, daß mit einem Mittelwert von
3 500 bis 4 000 Pendlern gerechnet werden kann. Die
Situation kann sich noch durch den verzögerten Fortgang des Baus der einzelnen Ministerien entzerren. Es
ist schon im Bericht angeklungen, daß es Entzerrungen
geben wird, weil einige Häuser erst später fertiggestellt
werden. Wenn man diese bekannten Zahlen zugrunde
legt, dann kommen auch die Verkehrsträger, mit denen
wir gesprochen haben, zu dem Schluß, daß das Aufkommen bewältigt werden kann.
Dann rufe ich die
Frage 12 des Abgeordneten Horst Friedrich, F.D.P., auf:
Wie sichert die Bundesregierung bei der Veräußerung der
Tank & Rast AG an ein Konsortium unter Führung der Allianz
dauerhaft den Erhalt leistungsfähiger, mittelständischer Wettbewerbsstrukturen an den Autobahnraststätten, und mit welchem
Erfolg wurde das vor der Privatisierung mit dem Deutschen
Bundestag abgestimmte mittelständische Privatisierungskonzept
umgesetzt?
Herr
Kollege Friedrich, die Autobahn Tank & Rast AG ist
das größte Dienstleistungsunternehmen an den deutschen Bundesautobahnen. Sie ist Eigentümerin von 700
Servicebetrieben, 295 Tankstellen, 329 gastronomischen
Betrieben, 54 Motels und 40 Kiosken.
Die Privatisierung der Autobahn Tank & Rast AG
durch Veräußerung der Anteile an ein Erwerberkonsortium, bestehend aus Allianz Capital Partners GmbH,
Apax Fondsgesellschaften und LSG Lufthansa Service
Holding AG, erfolgt im Einklang mit den öffentlichrechtlichen Rahmenbedingungen.
Die verkehrs- und ordnungspolitischen Ziele, die mit
dem Verkehrs- und Haushaltsausschuß des Deutschen
Bundestages in der 13. Legislaturperiode abgestimmt
waren, lagen dem Bietungsverfahren zugrunde und sind
wesentliche Bestandteile des jetzt abgeschlossenen Vertragswerks. Dazu gehören insbesondere der Erhalt der
mittelständischen Pächterstrukturen und die Weiterführung der Autobahn Tank & Rast AG als selbständige
Gesellschaft. Im Rahmen der angestrebten Kooperation
erhalten die Pächter Mitwirkungsrechte in künftigen
Aufsichtsgremien der Gesellschaft.
Zu einer Zusatzfrage
hat Herr Kollege Friedrich das Wort, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die vom Verkehrsausschuß unter
nicht unwesentlicher Mitwirkung meiner Person formulierten Grundsätze für die Privatisierung hingewiesen.
Wie verträgt es sich mit der Aufrechterhaltung der mittelständischen Pächterstruktur insbesondere im Gastronomiebereich, daß ein Beteiligter davon, nämlich die
LSG, ein nicht unwesentlicher Caterer ist? Was hat das
für Konsequenzen für das Netz? Sind diese Punkte bei
der Vertragsgestaltung tatsächlich so formuliert worden,
daß daraus keine Gefahren entstehen?
Herr Kollege Friedrich, wenn Ihre Frage darauf abzielt,
daß einer der beteiligten Partner ein zu großes Gewicht,
auch was die Ausgestaltung des Serviceangebots anbetrifft, bekommen sollte, so kann ich zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nur darauf verweisen, daß durch vertragliche
Regelungen festgelegt worden ist, daß nicht mehr als
10 Prozent der Raststätten als Eigenbetriebe und nicht
mehr als 10 Prozent ihrer Nebenbetriebe von einem
Unternehmen betrieben werden dürfen. Ferner sind vertragliche Vorkehrungen getroffen worden, die die Entwicklung marktbeherrschender Stellungen in den Bereichen Gastronomie, Einzelhandel und Tankstellen verhindern.
Herr Kollege Friedrich, bitte, Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Die entscheidende Frage wird sein: Inwieweit ist sichergestellt, daß
genau diese Richtlinien auch dann noch gelten, wenn die
Allianz, wie angekündigt, dieses Unternehmen nach
dem Erwerb an die Börse bringt? Wir vom Verkehrsausschuß hatten für einen Konsortialverkauf plädiert, weil
wir in dem vorrangigen Börsengang Gefahren für den
Mittelstand gesehen haben.
Herr
Kollege Friedrich, erlauben Sie mir auch im Hinblick
auf Ihre Zugehörigkeit zur Arbeitsgruppe, in der in der
vergangenen Legislaturperiode Mitglieder des Haushaltsausschusses und des Verkehrsausschusses gemeinschaftlich gewirkt haben, den Hinweis, daß die Rechte
des Mittelstandes durch diese Vereinbarung und durch
den jetzt abgeschlossenen Vertrag ausdrücklich umgesetzt werden sollen.
Die Verhandlungen haben in einer engen Kooperation
mit den Pächtern begonnen und hatten zum Gegenstand,
daß die Pächter selbst angemessen im Konsortium zu
beteiligen sind und daß ein schrittweiser oder vollständiger Börsengang zu einem späteren Zeitpunkt nur sinnvoll erscheint, wenn das Unternehmen zunächst nachhaltig gestärkt wird. Dies liegt auch in der Absicht des
Konsortiums. Der Verkauf von Anteilen an der Börse
fördert eine breite Streuung und wirkt einer späteren
Veräußerung auf Grund einseitiger Industrieinteressen
entgegen.
Ich rufe die Frage 13
des Abgeordneten Friedrich, F.D.P., auf:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung die gegenüber den ursprünglichen Erlöserwartungen von rund 500 Millionen DM offenbar deutlich höheren Einnahmen für den Verkauf der Tank &
Rast AG zu verwenden, und kommen die Einnahmen aus dem
Erlös zumindest teilweise dem Investitionshaushalt des federführenden Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zugute?
Herr
Kollege Friedrich, Einnahmen aus der Veräußerung von
Anteilsrechten des Bundes und aus der Liquidation von
Bundesunternehmen werden im Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - bei Kapitel 60 02 Titel
133 01 vereinnahmt. Ich weiß, daß Ihnen das nicht unbekannt ist.
Aber ich muß Sie im Zusammenhang mit Ihrer Frage
auch an § 8 der Bundeshaushaltsordnung erinnern. Danach gilt der Grundsatz der Gesamtdeckung. Hinsichtlich der Verwendung der Verkaufserlöse aus der Privatisierung der Autobahn Tank & Rast AG sind davon weder gesetzlich vorgeschriebene noch im Haushaltsplan
zugelassene Ausnahmen vorgesehen. Der Souverän, der
Gesetzgeber, bindet durch die Bundeshaushaltsordnung
auch die Bundesregierung.
Herr Kollege Friedrich, bitte.
Herr Staatssekretär, da der Finanzminister der ehemaligen Bundesregierung durch erfolgreiche Privatisierungen gerade im
Verkehrsbereich in den letzten Jahren sehr hohe Einnahmen erzielt hat, frage ich Sie: Hat man im Rahmen
des Einzelplanes des Verkehrs-, Bau- und Wohnungsministeriums im Hinblick auf die jetzige Situation und
die noch immer dringend zu lösenden Aufgaben in den
Bereichen Verkehr und Bau, die den höchsten Investitionshaushalt aufweisen, wenigstens den Versuch unternommen, einen Teil der überplanmäßigen Einnahmen
aus den von mir angesprochenen Verkaufserlösen für
sachbezogene Aufgaben dieses Ministeriums zu akquirieren?
Herr
Kollege Friedrich, in Ihrem Beitrag wird eine
Wunschvorstellung, die sicherlich jeder Minister hat,
wenn es um den eigenen Etat geht, deutlich. Ich wiederhole noch einmal: Grundgesetz und Bundeshaushaltsordnung binden die gesamte Bundesregierung.
Gibt es weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Fragestunde beendet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Sitzung um
15.30 Uhr mit der Aktuellen Stunde zur Havarie der
„Pallas“ fortzusetzen. Die Sitzung ist damit unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Erkenntnisse der Bundesregierung zur Entstehung des Unfalls der „Pallas“ vor der deutschen Nordseeküste und Maßnahmen der
Bundesregierung zur Schadensbegrenzung
und -beseitigung nach der Havarie
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Austermann von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die CDU/CSUBundestagsfraktion ist betroffen über das Ausmaß der
aus Zögern, Versäumnis, Ungeschicklichkeit und unterbliebenem Management entstandenen Ölkatastrophe in
Folge der Havarie der „Pallas“. Die Versäumnisse,
die selbst von SPD-Abgeordneten im schleswig400
holsteinischen Landtag, aber auch hier im Bundestag,
und von Frau Simonis nicht bestritten werden, sind eindeutig und der jeweiligen politischen Führung zuzuordnen.
({0})
Der Kollege Müller spricht von einer politischen, behördlichen Schlamperei. Er sagt, er könne nicht nachvollziehen, warum Behörden in Schleswig-Holstein mit
ernsthaften Gegenmaßnahmen so lange gewartet hätten.
Auch wir verstehen das nicht, Herr Kollege Müller. Wir
schließen uns dieser Auffassung und diesem Urteil an.
Es ist in der Tat richtig, daß nach dem Katastrophenschutz der erste Zugriff den Ländern obliegt, daß dann
die entsprechende Entscheidung und die Einschaltung
der zentralen Meldestelle in Cuxhaven zu erfolgen hat
und dort gegebenenfalls eine Einsatzleitgruppe zu bilden
ist. All dies ist in den ersten fünf Tagen nach der Havarie nicht geschehen.
Über diese Kritik hinaus sehen wir auch Versäumnisse des zuständigen Bundesministers.
({1})
Ich hätte eigentlich erwartet, daß Herr Müntefering
heute hier ist als der Minister, der auch für den Seeverkehr zuständig ist. Die einzige offizielle Reaktion aus
dem Hause Müntefering war eine Pressemitteilung am
3. November, in der zugesichert wurde, den noch unter
Charter stehenden Hochseeschlepper „Oceanic“ stufenweise bis voraussichtlich Ende Januar 1999 unter Vertrag zu halten. Ansonsten nichts, keine Reaktion von
Müntefering, keine Stellungnahme seines Hauses! Ansonsten Dienst nach Vorschrift! Minister Müntefering
war offensichtlich damit beschäftigt, in Rekordzeit eine
Rekordzahl von Abteilungsleitern aus dem Dienst zu jagen.
({2})
- Mehr als bei ihm sind in keinem einzigen Ministerium
rausgejagt worden, Herr Schlauch. Acht Abteilungsleiter
innerhalb einer Woche! Die zuständige Abteilung ist bis
heute nicht besetzt. Der Unterabteilungsleiter wurde an
eine andere Stelle versetzt. Ich glaube, das ist ziemlich
eindeutig.
Damit steht fest: Seit 26. Oktober treibt die „Pallas“
bei Windstärke 6 unbemannt vor der Küste. Das Aufden-Haken-Nehmen scheiterte mehrfach. Am fünften
Tag nimmt die Einsatzleitgruppe zur Bekämpfung von
Meeresverschmutzungen ihre Arbeit auf. Der Ölabschöpfkatamaran „Westensee“ wird von Bremerhaven
aus in Marsch gesetzt. Am 4. November, also 10 Tage
nachdem der Havarist gestrandet ist, wird dem Bergungsunternehmen eine viertägige Frist gesetzt, den Havaristen zu bergen. In den nächsten Tagen scheitern
weitere Schleppversuche. Dreieinhalb Wochen brennt
das Schiff, und am 11. November - man muß sich das
Datum merken -, 14 Tage nach der Katastrophe, wird in
Kiel ein Krisenstab gebildet.
({3})
Chef der Einsatzleitgruppe ist der Kieler Umweltminister in Vertretung der Ministerpräsidentin. Diese
mußte im Landtag zugeben, daß im Land keiner wußte,
daß auch die Hamburger Hafenfeuerwehr und die Kieler
Feuerwehr in der Lage sind, Schiffsbrände zu bekämpfen.
({4})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt den eingesetzten Rettungsmannschaften.
({5})
Wir danken den Mitarbeitern auf den Schiffen des Bundes, aber auch der Schiffe vor Ort. Wir danken den vielen, vielen ehrenamtlich Tätigen, den freiwilligen Helfern auf den nordfriesischen Inseln. Sie haben zum Teil
unter Einsatz ihres Lebens versucht, das zu verhindern,
was jetzt doch eingetreten ist, den Austritt von Öl, die
Schädigung des Ökosystems Watt, die Schädigung des
Strandes, den Imageverlust für den Tourismus, den Tod
von Fischen, Vögeln, Krabben. Inzwischen ist der Tod
von 4 000 Vögeln zu beklagen.
({6})
- Ich verstehe Ihre Aufregung. Gerade Ihre Partei redet
viel vom Umweltschutz, und dann dieses Versagen, wo
es um konkrete, schnelle und richtige Entscheidungen
geht.
({7})
Da empfiehlt die Ministerpräsidentin Ihrem Kabinettskollegen, Herrn Steenblock, er möge doch einmal
zwei Tage ausschlafen, nachdem er während der Krise
Urlaub genommen hatte. Offensichtlich wurde die Krise
erheblich unterschätzt, und die „Oceanic“ wurde nicht
rechtzeitig eingesetzt.
Trittin hält sich in Buenos Aires auf, Steenblock
macht Urlaub; Simonis bildet das Kabinett um; Müntefering tauscht Abteilungsleiter aus: Was ist denn sonst
Konkretes seitens der politischen Führung geschehen bis
zum 11. November? Nach 16 Tagen tagt zum erstenmal
die Krisen- und Katastrophenstelle des Landes.
({8})
Es scheint in erster Linie darauf angekommen zu sein,
daß man eindeutige Beschlüsse trifft und damit die Kostenverteilung regelt - auch seitens der Beamten. Verantwortung wollte niemand übernehmen. Wen muß es
dann wundern, daß die Mitarbeiter vor Ort, in der Einsatzleitstelle in Cuxhaven, bei den Wasser- und
Schiffahrtsämtern, nicht mehr Mut, mehr Verantwortungsbewußtsein, mehr Bewußtsein für Entscheidungen
haben? Sie sehen doch, daß offensichtlich die beteiligte
politische Führung völliges Desinteresse an dem hat,
was sich dort tut.
({9})
Wann war Müntefering vor Ort? Simonis war nach 20
Tagen vor Ort, Steenblock, nachdem im Landtag eine
Debatte darüber angesetzt worden war. Erstaunlich ist
dieses erschreckende Desinteresse an den Auswirkungen
dieser Katastrophe. Pech für die Umwelt - möchte man
sagen - daß sich die Regierung in Kiel offensichtlich nur
noch zusammenraufen kann und sich die entscheidenden
Unterlassungen der Bonner Regierung, des Bonner Verkehrsministers so ausgewirkt haben.
Für die Folgen, für das, was durch die „Pallas“ an der
Küste Schleswig-Holsteins geschehen ist, trägt die politische Führung die Verantwortung. Ich kann nur sagen,
Herr Steenblock, ich kann mich der Forderung der
Freunde im Kieler Landtag anschließen: Es ist an der
Zeit, daß Sie daraus die politischen Konsequenzen, auch
Sie persönlich, ziehen, damit klar wird, daß der Staat die
Verantwortung trägt und für das Handeln seiner Beamten einsteht.
Herzlichen Dank.
({10})
Das
Wort hat als nächste Rednerin die Kollegin Annette
Faße von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Am 24. September erhielten auf eine Anfrage Parlamentarier folgende Antwort
der damaligen Bundesregierung:
Die Bundesregierung bekräftigt ihre Ausfassung,
daß die breite Palette der teilweise gemeinsam mit
den Küstenländern eingeleiteten Vorsorge- und Bekämpfungsmaßnahmen die Sicherheit und den
Schutz der maritimen Umwelt in der Deutschen
Bucht gewährleisten.
Alles im Griff, hieß es also einen Monat vor der Katastrophe.
({0})
Es wurde keine Veranlassung gesehen, das Notfallkonzept der Nordsee weiterzuentwickeln bzw. zu überarbeiten. Diese Einschätzung, die ich aus dem damaligen
Haus Wissmann zitiert habe, war eindeutig falsch.
({1})
Auf der einen Seite haben wir in der letzten Wahlperiode erreicht, daß Modernisierungen zum Beispiel der
Revierzentralen vorgenommen wurden, auf der anderen
Seite aber mußte die damalige Opposition ständig gegen
Verschlechterungen ankämpfen, dagegen, daß zum Beispiel die Lotsenannahmepflicht zurückgenommen worden ist, daß zum Beispiel Maßnahmen, die einen weltweiten Rückschritt bei Ausbildungs- und Besatzungsstandards an Bord von Schiffen bedeutet haben, einfach
durchgezogen wurden.
({2})
Die ständige Diskussion um die Hochseeschlepper in
der Nordsee - dazu gibt es auch drei Gutachten; man hat
sich also lange damit beschäftigt - hat eindeutig gezeigt,
daß Sicherheitsmaßnahmen für die letzte Bundesregierung zu teuer waren und daß man rückwärtsgewandt gearbeitet hat.
({3})
Minister Müntefering hat noch vor seiner Vereidigung ganz eindeutig beschlossen, daß der Hochseeschlepper „Oceanic“ über den 31. Oktober hinaus in der
Nordsee stationiert bleibt.
({4})
Er bleibt dort über den Winter und damit auch über die
Zeit der Stürme und des möglichen Eisganges hinaus.
Zwischen dem BMVB und dem Krisenstab vor Ort hat
es eine ständige Zusammenarbeit gegeben.
Man stelle sich vor, was zusammengetroffen ist: Die
„Pallas“ treibt brennend, von der Besatzung verlassen,
manövrierunfähig bei Windstärken 8 bis 10 und sogar
Orkanböen auf die deutsche Küste zu. Schleppverbindungen reißen oder können wegen des Wetters nicht
hergestellt werden. Auf Grund des Brandes an Bord
müssen die Helfer mit hoher Hitze zurechtkommen.
Letztendlich läuft die „Pallas“ nach den fehlgeschlagenen Schleppversuchen auf Grund, Öl tritt aus und führt
unstrittig zu massiven Umweltschäden.
Das Zusammenkommen aller Problemfelder hat nach
meiner Meinung die Verantwortlichen vor Ort - an Land
und auf See - vor offenbar unlösbare Probleme gestellt.
Wir fordern ganz deutlich eine schonungslose Aufklärung der Vorfälle. Der Zwischenbericht ist auch Ihnen
bekannt und zugeleitet worden. Danach relativiert sich
einiges, was durch die Presselandschaft gegangen ist.
({5})
Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen einfacher
Art,
({6})
und es geht auch nicht alleine um die Frage des Einsatzes eines Hochseeschleppers. Vielmehr geht es um klar
umrissene Bereiche: Was brauchen wir in Zukunft, um
in der Nordsee schleppen zu können? Wir sind immer
von der Konstellation ausgegangen, es könnte etwas mit
einem großen Tankschiff passieren. Wir haben mit Ihnen darüber gestritten, wieviel Pfahlzug ein Schlepper
haben muß. Und jetzt sehen wir, daß es nicht einmal ein
großer Tanker ist, der uns vor große Probleme stellt,
sondern ein Schiff, das wie jedes andere normale Schiff
auch nur soviel Öl an Bord hat, wie es selbst braucht.
Wir müssen uns auch mit den Zuständigkeiten auseinandersetzen. Für mich heißt dies, daß der nationale
Ansatz, aber auch der europäische Ansatz verfolgt werden müssen.
({7})
Die Frage, warum das Schiff von Dänemark unbemannt
herübergetrieben ist, müssen sich alle Anrainer der
Nordsee stellen.
({8})
Auch den internationalen Kontext dürfen wir deshalb in
dieser Frage nicht zurückstellen. Denn wir wissen, daß
die Besatzung an Bord falsch gelöscht hat,
({9})
und zwar mit Stickstoff statt mit Wasser und Schaum,
was richtig gewesen wäre.
({10})
Das heißt, das internationale Thema der Qualität von
Schiffsbesatzungen muß ebenso angegangen werden wie
die Verstärkung der Hafenkontrollen, also nationale Lösungen.
({11})
Das Ministerium ist auf dem richtigen Weg. Wir
stellen uns der Aufgabe.
Vielen Dank.
({12})
Als
nächster Redner hat der Kollege Jürgen Koppelin von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Vor dreieinhalb Wochen geriet der Holzfrachter „Pallas“ vor der dänischen Küste in
Brand. Nach der Bergung der Besatzung trieb das Schiff
auf den Festlandsockel vor der schleswig-holsteinischen
Nordseeküste.
Von da an zieht sich wie ein roter Faden - oder sollte
ich vielleicht sagen: wie ein grüner Faden? ({0})
die Unfähigkeit des schleswig-holsteinischen Umweltministers durch diese Geschichte.
({1})
Er hat weder die betroffene Bevölkerung gewarnt,
noch wurde die Zeit bis zur Strandung des Schiffes genutzt, um Vorbereitungen für eine zu erwartende Ölverschmutzung zu treffen. Für die Klärung der Zuständigkeiten, für die Koordinierung des Einsatzes, für die Bereitstellung von Material ist die Zeit nicht genutzt worden. Dreimal hat das schleswig-holsteinische Innenministerium dem Umweltminister die Krisenzentrale angeboten.
({2})
Die dort vorhandene Technik, das für solche Einsätze
geschulte Personal hätten zahlreiche Pannen verhindern
können. Steenblock hat dieses Angebot dreimal abgelehnt.
({3})
Herr Umweltminister aus Schleswig-Holstein, Sie
hatten sich heute morgen in einem Landtagsausschuß zu
rechtfertigen. Dort haben Sie gesagt, das Angebot sei am
9. November gemacht worden. Das stimmt nicht.
({4})
- Frau Kollegin, setzen Sie sich lieber auf die Regierungsbank.
({5})
Der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein hat
Sie, Herr Umweltminister, in der Sitzung korrigiert.
Jetzt nenne ich Ihnen einmal das Datum, das der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein heute in dem
entsprechenden Ausschuß angegeben hat: Am 30. Oktober hat er Herrn Steenblock zum erstenmal das Angebot gemacht, den Krisenstab zu nutzen.
({6})
Herr Steenblock hat davon keinen Gebrauch gemacht.
Zu keiner Zeit haben sich die Umweltministerien in
Kiel und Bonn mit den Berufsfeuerwehren in Hamburg
oder Bremen in Verbindung gesetzt. Die Berufsfeuerwehr in Hamburg ist dafür bekannt, daß sie international
Schiffsbrandbekämpfungen durchführt. Erst am 11. November konnte durch Veranlassung der schleswigholsteinischen Ministerpräsidentin der Krisenstab in
Schleswig-Holstein tätig werden. Der schleswig-holsteinische Umweltminister Steenblock, der heute hier
ist, war uneinsichtig und unfähig, mit der Krise umzugehen.
({7})
Wo war das Bundesumweltministerium, das doch
schnell hätte erkennen müssen, daß der grüne Parteifreund und Landesumweltminister Steenblock in dieser kritischen Situation völlig versagte? - Keine Reaktion:
({8})
- der Minister im Ausland, die beiden Staatssekretärinnen auf Tauchstation. Frau Staatssekretärin Altmann,
Sie hätten zumindest einen Anruf in Kiel tätigen und
sich bei Ihrem Parteifreund informieren können. Dann
hätten Sie gemerkt, was los ist.
({9})
Ich sage Ihnen, was los war: Sie waren so mit der Ökosteuer beschäftigt, daß die Ökologie an der Nordsee Sie
überhaupt nicht interessiert hat.
({10})
Dabei wären die Kompetenzen sehr schnell zu klären
gewesen. Natürlich ist der Bundesverkehrsminister zuständig, wenn es zu einer Katastrophe in einer Wasserstraße kommt. Aber bei diesem Problem geht es um die
Bedrohung des Nationalparks Wattenmeer. Hier ist nach
unserer Auffassung der Landesumweltminister, wenn er
versagt, der Bundesumweltminister zuständig.
({11})
Verendete Tiere, verödetes Wasser - das Bundesumweltministerium versteckt sich hinter „Nicht zuständig“.
Ich wiederhole, was mein Freund Wolfgang Kubicki
im Kieler Landtag gesagt hat:
Wenn sich der Umweltminister des Landes Brandenburg genauso in den Zuständigkeiten verschanzt
und nicht vor Ort die Zuständigkeiten koordiniert
hätte, dann wären die Leute am Oderbruch abgesoffen, statt daß ihnen geholfen worden wäre.
({12})
Herr Minister Steenblock, Sie haben sich noch nicht
einmal bei den Menschen vor Ort sehen lassen. Sie sind
einmal bei Nacht dagewesen.
({13})
Das Bundesumweltministerium hat untätig zugesehen.
So hat diese Umweltkatastrophe ihren Lauf genommen.
Ministerpräsidentin Simonis hat nun Entscheidungen
getroffen, damit das Land Schleswig-Holstein in Zukunft auf solche Krisen vorbereitet ist. Die F.D.P. begrüßt das. Frau Simonis hat entschieden, daß der Krisenstab zukünftig eingesetzt wird, ohne daß Herr Steenblock gefragt wird. Bei so viel Unfähigkeit habe ich
Verständnis für die Haltung von Frau Simonis.
Wie reagiert der Umweltminister Steenblock darauf?
- Mit einer Koalitionskrise. Seit gestern macht er aus
seiner Unfähigkeit eine Koalitionskrise der rotgrünen
Regierung in Kiel. Herr Steenblock - wörtlich - „warnt
die SPD davor, Personen, die für die Grünen stehen, zu
demontieren“. Ohne Ministerpräsidentin Simonis namentlich zu nennen, wehrt er sich dagegen, von einzelnen Kabinettsmitgliedern öffentlich madig gemacht zu
werden. So hat sich Herr Steenblock in seiner Pressekonferenz geäußert.
Ich finde es sehr interessant, wie die Stimmung in der
Landesregierung in Kiel ist. „Dpa“ meldete gestern:
Auf einen gemeinsamen Auftritt im Unglücksgebiet
am vergangenen Sonntag hatten sich beide
- Steenblock und Simonis nicht verständigen können.
({14})
Man muß sich das einmal vorstellen. In dieser Situation,
Herr Minister, haben Sie total versagt. In dieser Situation von den Verantwortlichen in Kiel und Bonn allein
gelassen, gebührt den vielen Helfern vor Ort ausgesprochener Dank.
({15})
Mein letztes Wort in dieser Debatte. Herr Minister
Steenblock, nehmen Sie einen Rat an: Geben Sie die
Schlüssel Ihres Dienstautos und auch Ihres Schreibtisches bei Frau Simonis ab, und gehen Sie nach Hause!
({16})
Die Menschen an der Westküste würden Ihnen dann
zum erstenmal danken.
({17})
Das
Wort hat die Kollegin Gila Altmann von den Grünen.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte eben das Gefühl, in einem Landtag zu
sein, in dem Wahlkampf von der miesen Sorte gemacht
wird. Herr Koppelin, heute morgen haben Sie sich im
Umweltausschuß als aufstrebender Anarchist geoutet,
indem Sie von Trittin verlangt haben, er solle sich über
alle Gesetze hinwegsetzen und mal eben als Superman
über Steenblock kommen.
({0})
Hier aber machen Sie schlechten Wahlkampf, weil Sie
die Zuständigkeiten nicht kennen.
Wenn Ihr Kollege von der CDU/CSU hier - vielleicht
zu Recht - feststellt, daß die „Oceanic“ zu spät eingesetzt worden ist, dann sollten wir uns doch einmal die
Datenlage angucken. Am 25. Oktober ist die „Pallas“ in
Brand geraten, und am 26. befand sich der Havarist bereits in deutschen Gewässern.
({1})
- Nun halten Sie doch einmal den Mund!
({2})
- Ich bitte Sie wirklich, einmal zuzuhören. - Die neue
Regierung ist am 27. Oktober im Bundestag vereidigt
worden. Warum hat die alte Regierung am 26. dann
nicht mehr gehandelt? Das möchte ich von Ihnen wissen.
({3})
Die Zuständigkeiten liegen - da muß ich Ihnen wohl
Nachhilfeunterricht geben - beim Bundesverkehrsministerium und dessen nachgeordneten Behörden, den Wasser- und Schiffahrtsverwaltungen, in diesem Falle der
Sonderstelle Cuxhaven. Es gibt einen Vertrag zwischen
den Küstenländern und dem Bund, in dem die Kompetenzen geregelt sind, nämlich Vorsorge und Krisenmanagement - ({4})
- Entschuldigung, ich kann nicht dagegen anschreien.
Herr Präsident, ich möchte Sie bitten, die Uhr anzuhalten und für Ruhe zu sorgen.
({5})
Reden
Sie bitte weiter.
Der Präsident sagt, ich soll fortfahren.
Ich stelle fest: Die Kompetenzen sind zwischen dem
Bund und den Ländern klar geregelt. Das Krisenmanagement wird von der Sonderstelle in Cuxhaven, dem
ZMK, dem Zentralen Meldekopf, wahrgenommen, das
Katastrophenmanagement und die Schadenbeseitigung
vom Land.
Ich bin mit Herrn Steenblock am Samstag und Sonntag unterwegs gewesen.
({0})
- Informieren Sie sich doch bitte richtig!
({1})
Die Inselbewohner haben bestätigt, daß das Katastrophenmanagement zu ihrer Zufriedenheit wahrgenommen
worden ist.
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Drei Wochen nach dem Unfall!
Wenn Sie sich als verblichene Koalition hier nun zur
Heiligen Johanna des Küstenschutzes aufschwingen,
({2})
dann muß ich Sie doch einmal fragen: Wo waren Sie
denn in den letzten vier Jahren, als wir immer wieder auf
die Sicherheitslücken in der Deutschen Bucht hingewiesen haben, die jetzt zutage getreten sind?
({3})
Sie können sagen, Sie hätten die „Oceanic“ gechartert.
Aber das haben Sie nicht freiwillig gemacht, sondern auf
Druck der Opposition, nachdem die „Sea Empress“ vor
Wales gestrandet ist.
({4})
Dabei stellten die wochenweisen Vertragsverlängerungen ein unwürdiges Hin und Her dar. Im April 1997 hat
es Ihr Verkehrsminister zugelassen, daß die WSD Nord
eigenmächtig den Vertrag kündigte. Erst im letzten
Moment konnten wir das Schiff retten.
({5})
- Ja, aber noch vor zwei Monaten wäre das Schiff beinahe im Bermudadreieck versackt, weil es Ihnen nach
der Wahl egal war, ob die „Oceanic“ noch da ist oder
nicht.
({6})
Nur weil die heutige Regierung entschlossen gehandelt und Druck gemacht hat, ist die „Oceanic“ überhaupt
noch da.
({7})
Sie dagegen wollten während der ganzen Zeit beweisen,
daß man die „Oceanic“ eigentlich nicht braucht. Genau
das brachte die blödsinnige Konkurrenz zwischen der
Gila Altmann ({8})
„Mellum“ und der „Neuwerk“ auf der einen Seite und
der „Oceanic“ auf der anderen Seite zustande,
({9})
was zu Lasten von hochqualifizierten Mannschaften auf
drei Schiffen ging, die trotzdem gut zusammengearbeitet
haben.
Es hat immer wieder Hinweise gegeben, daß die
„Oceanic“ nicht optimal eingesetzt oder zu spät angefordert worden ist.
({10})
Bereits im letzten Juli gab es eine Beinahekatastrophe
mit der „El Gurdabia“.
({11})
Wir haben Sie auf die Ungereimtheiten hingewiesen;
aber Sie wollten es nicht wahrhaben. Sie haben es einfach ignoriert. Joschka Fischer hat höchstpersönlich an
Wissmann geschrieben. Was hat Herr Wissmann geantwortet? „Alles in Butter auf dem Kutter“, und die „Oceanic“ werde ohnehin abgeschafft, sobald die „Neuwerk“
da sei.
({12})
Klar ist eines: Mit Ihren Strukturen,
({13})
mit Ihren Versäumnissen müssen wir uns zur Zeit herumschlagen.
({14})
- Sie haben ja heute morgen nicht umsonst Ihren Antrag, der eine Reihe von Vorwürfen enthielt, im Umweltausschuß kleinlaut zurückgezogen. Sie sind als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet.
({15})
Wir werden auf alle Fälle das tun, was wir von Ihnen
vier Jahre lang eingefordert haben und was Sie immer
zurückgewiesen haben.
({16})
Wenn wir die Trümmer dieser Katastrophe weggeräumt haben, werden wir mit einer Expertenkommission
ein Sicherheitskonzept erarbeiten, das den Namen auch
verdient. Wenn diese Tragödie einen Sinn gehabt haben
soll, dann den, daß wir daraus lernen. Die neue Regierung lernt daraus - ach, sie hat das gar nicht nötig: Die
Konzepte liegen auf dem Tisch. Wir brauchen sie nur
noch umzusetzen.
({17})
Bei dem Getöse, das Sie hier veranstalten, erwarte ich
von Ihnen eine konstruktive Mitarbeit.
Danke schön.
({18})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Eva-Maria BullingSchröter von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein deutsches
Sprichwort sagt, daß erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, der Deckel draufkommt. So weit sind
wir auch in diesem Fall. Allerdings ist eines klar: Die
Schäden, die im Wattenmeer angerichtet worden sind,
sind nicht oder nur schwer rückholbar. Darüber habe ich
bis jetzt sehr wenig gehört.
Ich kann es mir ersparen, den Unfallhergang erneut
zu schildern, denn er ist bekannt und einige werden ihn
noch wiederholen. Für mich ist es kein Trost, daß kein
Großtanker havariert ist. Die ausgetretenen Mengen von
Schweröl und Diesel reichten für eine Katastrophe.
Doch was die CDU jetzt abzieht - diese wohlfeilen Forderungen von lückenloser Aufklärung bis hin zu personellen und persönlichen Konsequenzen - ist schlicht und
ergreifend scheinheilig.
({0})
Denn es waren Ihre Verkehrsminister - Wissmann und
seine Vorgänger -, die wahrlich genug Zeit gehabt hätten,
etwas für die Verbesserung des Küstenschutzes und der
Sicherheit der Schiffahrt in der Deutschen Bucht zu tun.
Es ist doch nicht erst seit dem 25. Oktober so, daß jährlich
über 80 000 Schiffe in der Deutschen Bucht fahren.
Ich meine, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie
aus dem Unglück der „Pallas“ politisches Kapital schlagen wollen. Und daß Ihnen der Schutz des Wattenmeeres so sehr am Herzen liegt, mag auch niemand so recht
glauben. Wenn es um eine Abwägung zwischen der
Unterschutzstellung des weltweit einzigartigen Ökosystems Wattenmeer und wirtschaftlichen Interessen ging,
habe ich Sie nie auf der Seite des Naturschutzes gesehen.
({1})
Stichworte in diesem Zusammenhang sind die Ölpipeline und die Frage, ob die Küsten als Nationalpark, als
Naturschutzgebiet oder im Rahmen der FFH-Richtlinie
ausgewiesen werden, was zu Lasten des Tourismus gehen könnte.
Gila Altmann ({2})
An dieser Stelle muß Umweltminister Steenblock
eher in Schutz genommen werden.
({3})
Vor Ort hat er genug Ärger mit der örtlichen CDU, den
Jägern und dem Tourismusgewerbe, denen seine Umweltmaßnahmen oftmals zu weit gehen. Das wurde
heute im Umweltausschuß dokumentiert.
({4})
Man muß doch bei der Wahrheit bleiben. Die geltende
Verkehrssicherheitskonzeption und die Notfallkonzeption ist doch nicht von der derzeitigen Bundesregierung
zu verantworten, und niemand kann vernünftigerweise
bestreiten, daß sie verbesserungswürdig sind. Darauf
komme ich noch einmal zurück.
Ich kann und will nicht verschweigen, daß es zu
schwerwiegenden Versäumnissen gekommen ist.
({5})
Teils sind die Gründe struktureller Natur, teils ist die
Gefahr unterschätzt worden. Daher wurde auch nicht
schnell genug gehandelt. Das muß Minister Steenblock
schon auf seine Kappe nehmen.
({6})
Auf die Verzichtserklärung des Reeders zu warten, ist
nach Seerecht geboten.
({7})
Im Rahmen der Gefahrenabwehr hätte es allerdings die
Möglichkeit schnelleren Handelns gegeben. Bei einem
Tankerunfall wäre wohl auch so verfahren worden.
({8})
Doch die strukturellen Gründe wiegen schwerer. Tatsache ist, daß in der Deutschen Bucht zuwenig Schlepperkapazität vorgehalten wird, nicht nur von der Bundesrepublik, sondern auch von den anderen Anrainerstaaten.
In diesem Zusammenhang ist der Ruf nach der „Oceanic“ nur eine Scheinlösung. Die „Oceanic“ - wir haben es
heute morgen im Ausschuß gehört - war bei einem anderen Einsatz oder auf Stand-by. Wir haben auch gehört,
daß zur Bekämpfung des Feuers auf der „Pallas“ und zur
Verhinderung weiterer Ölverschmutzung sozusagen alles im Einsatz war, was an Nord- und Ostsee an Kapazität vorhanden war. Wenn im Unglücksfall erst
Schleppkapazität auf dem freien Markt akquiriert werden muß, zeigt sich, was bei einer Politik von Deregulierung und Privatisierung auf Teufel komm raus herauskommt.
({9})
Schauen Sie in das Bundesausschreibungsblatt vom
11. November 1998. Darin ist aufgeschrieben: Schleppkapazität von mindestens 165 Tonnen Pfahlzug - also in
etwa die Größenordnung der „Oceanic“ - vom
1. Februar bis 15. April 1999, also wieder für eine so
kurze Zeit. So hangelt man sich von Charter zu Charter,
und die CDU/CSU und die F.D.P., die dies zu verantworten haben, erzählen uns, an der Sicherheitskonzeption sei nichts auszusetzen.
({10})
Ich hoffe, daß die neue Bundesregierung mit dieser Praxis bricht
({11})
und zusammen mit den anderen Anrainerstaaten dafür
sorgt, daß permanent ausreichend öffentliche Kapazität
vorgehalten wird. Ansonsten begrüßen wir, wenn die Sicherheitskonzeption überarbeitet, Entscheidungswege
verkürzt und Kompetenzen gebündelt werden. Das ist
doch logisch.
Noch etwas anderes ist wichtig: Es gab vier Nordseeschutzkonferenzen; völkerrechtlich bindend ist die
Nordsee zum Sondergebiet erklärt worden - allerdings
ohne Einfluß auf die Befahrensregelung. Lediglich das
Auswaschen von Tanks ist verboten. Will man den Natur- und Küstenschutz ernst nehmen, ist hier dringend
Nachbesserung geboten, damit verhindert wird, daß in
Küstennähe - das heißt, in bis zu zwölf Seemeilen Entfernung von der Küste - solche oder gar schlimmere Unfälle weiterhin passieren.
Wenn man das Schiff als ökologischen Verkehrsträger favorisiert, dann doch wohl nicht solche Schiffe wie
die „Pallas“, die mit Schweröl fahren.
({12})
Diese sind, vom Schadstoffausstoß über die Gefahr einer
Ölpest durch eine Havarie - wie passiert - bis zum Arbeitsschutz - Stichwort: manuelle Filterreinigung -, keine Verkehrsträger der Zukunft.
Danke.
({13})
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Börnsen von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unsere Aufgabe, Fehler aufzudecken und Konsequenzen für die
Zukunft daraus zu ziehen.
({0})
Während wir heute über die Folgen des Unglücks der
„Pallas“ beraten, tickt weiterhin eine Zeitbombe vor der
nordfriesischen Küste.
30 Tonnen Schweröl haben genügt, um einen verheerenden Schaden an Mensch, Natur und Umwelt anzurichten. Über 500 Tonnen Schweröl befinden sich noch
ungeborgen an Bord der „Pallas“. Ein Bruch des Havaristen könnte zu jeder Stunde erfolgen. Die Angst geht um
an der Küste; denn bis heute, 23 Tage nach Beginn des
Dramas auf der „Pallas“, haben große Teile der Bevölkerung noch immer den Eindruck, daß die politisch Verantwortlichen in Kiel und Bonn die Krise nicht wirklich
im Griff haben.
({1})
Ein auch international anerkanntes nationales Nordseeschutzkonzept ist bisher nur unzureichend und halbherzig umgesetzt worden.
({2})
Die 23 Unglückstage sind bis heute gepflastert mit
Pleiten, Pech und Peinlichkeiten. Vorhandene moderne
staatliche Schlepperkapazitäten wurden falsch eingesetzt. Vorhandene private Schlepperkapazitäten sind
verzögert eingesetzt worden, so daß sie unwirksam blieben. Ölsperren wurden zu spät gelegt. Die Kontakte zum
Königreich Dänemark wurden ohne Nachdruck betrieben.
({3})
Küstenbewohner haben bereits Strafanzeige gegen
die beiden verantwortlichen Bundes- und Landesminister wegen unterlassener Maßnahmen gegen massive
Umweltschäden erstattet.
({4})
So weit ist es gekommen! Bürgerzorn macht sich breit.
Tage ohne Taten haben zur Zuspitzung der Krise geführt. Nach Berichten aus Kiel wurde der Umweltminister Steenblock erst durch die Ministerpräsidentin auf
die Krise aufmerksam gemacht und zum Handeln aufgefordert. Ich will das noch einmal deutlich machen: 16
Tage nach Beginn der Umweltkrise, am 11. November,
tagte erstmalig der Ministerkrisenstab in Kiel. Erst 17
Tage nach der Strandung kam dann das erforderliche
Bergungsmaterial. Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Haus
brennt, und erst 14 Tage später kommt die Feuerwehr.
So ähnlich ist das nämlich.
({5})
Erst 15 Tage nach den erfolglosen Rettungsversuchen
entscheidet die Einsatzleitung über die Beschaffung der
Baupläne der „Pallas“.
Den Vorsitz in diesem Krisenstab aus Bund und Ländern hat Schleswig-Holstein. Dieses SPD-geführte Bundesland hat noch vor zwei Jahren von dem „guten Notfallkonzept“ von Bund und Land für die Nordsee berichtet. Dieses Bundesland hat als einziges durchgesetzt,
daß nicht der Umweltminister vorrangig bei der Einsatzleitung vertreten ist, sondern wegen der Bedeutung
die Ministerpräsidentin; nachzulesen im Vertragstext.
Nach außen dokumentiert man Sicherheitsverantwortung; bei der Umsetzung fehlen Können und Courage.
Was vor 24 Monaten noch gut war, wird heute gerügt
- Flaggenwechsel, um von den eigenen Fehlern abzulenken. Die Verantwortlichen haben versagt, nicht das
Konzept. Erst vor gut einem Monat, am 19. September,
hat Herr Steenblock in einer Pressemitteilung wissen
lassen, daß man für effektives Eingreifen bei Umweltnotfällen in der Nordsee gut gerüstet sei.
({6})
Es heißt weiter, die Bekämpfungskapazität habe einen - auch im internationalen Vergleich - hohen Stand
erreicht. Soweit die beruhigende Botschaft an die Bürger. Doch beim ersten Einsatz zeigt sich überdeutlich:
Die gefeierte Rettungsstrategie scheitert an dem Unvermögen der politisch Verantwortlichen, eine Krise kompetent zu meistern.
Was haben wir zu tun? Um Fehler zu vermeiden,
müssen wir erstens ein Umweltkrisenmanagement mit
Handlungsspielraum sichern, zweitens ein Krisenteam
schaffen, das allein Handlungsmaßnahmen durchsetzt,
drittens mit professionellen Krisenmanagern zusammenarbeiten, wenn solch eine Katastrophe eintritt, und viertens den Expertenstab unverzüglich in die Lage versetzen, grenzüberschreitend tätig zu sein. Was wir brauchen, ist eine Optimierung der Bewältigung einer solchen verheerenden Umweltkrise. Diese Krisenbewältigung ist diesmal nicht geleistet worden. Wir brauchen in
Zukunft ein Krisenmanagement, das seinem Namen gerecht wird.
Danke schön.
({7})
Das
Wort hat jetzt für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Lothar Ibrügger.
({0})
Herr
Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das
Thema, das die beantragende Fraktion zum Gegenstand
dieser Aktuellen Stunde erhoben hat, lautet:
Erkenntnisse der Bundesregierung zur Entstehung
des Unfalls der „Pallas“ vor der deutschen Nordseeküste und Maßnahmen der Bundesregierung zur
Schadensbegrenzung und -beseitigung nach der
Havarie
Wolfgang Börnsen ({0})
Nach der Einleitung, Herr Kollege Austermann, hatte
man den Eindruck, daß es mehr darum geht, in Schleswig-Holstein etwas aufzuarbeiten.
({1})
- Nein. Erlauben Sie mir, darauf hinzuweisen, daß die
Bundesregierung, Ihrem Begehren entsprechend, seit
heute morgen ihrer Pflicht nachkommt,
({2})
zum frühestmöglichen Zeitpunkt dem Souverän, dem
Parlament, Bericht zu erstatten über die Erkenntnisse der
Bundesregierung. Die Tagesordnung des Bundestages
bestimmt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, immer noch der Deutsche Bundestag.
({3})
Deswegen hat der Minister, Franz Müntefering, heute
morgen im federführenden Ausschuß des Deutschen
Bundestages, dem Ausschuß für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen, vorgetragen. Ich hatte die Aufgabe,
für ihn im Umweltausschuß des Deutschen Bundestages
um 9.30 Uhr den Bericht der Bundesregierung vorzutragen. In diesem Sinne stelle ich hier fest: Die Bundesregierung kommt ihrer Informationspflicht nach. Wir bitten Sie, gerade auch die Kolleginnen und Kollegen von
der Küste, herzlich - der Bericht liegt inzwischen vor
und ist veröffentlicht, einschließlich der chronologischen Übersicht -, wenn Sie bestimmte Anmerkungen,
Beobachtungen, Erfahrungen, Kenntnisse haben, uns
diese mitzuteilen.
({4})
Wir spiegeln es gemeinsam an der Chronologie, die in
Cuxhaven allen Beteiligten auf den Tisch gelegt worden
ist.
({5})
Heute morgen um 7 Uhr befand sich die Plattform 4
Seemeilen von dem Wrack entfernt. Heute mittag zum
Tidehochwasser um 12 Uhr wurde begonnen, die Hubbeine auszufahren. Im Laufe der nächsten Stunden kann
mit der Entsorgung beim Wrack begonnen werden.
Das ist sicherlich die wichtigste Botschaft vom heutigen Tage. Ich betone allerdings ausdrücklich für die
Bundesregierung: Wir legen einen Zwischenbericht
vor - ausdrücklich einen Zwischenbericht, keinen
Schlußbericht mit Wertungen. Für einen Schlußbericht
ist heute nicht der Zeitpunkt, weil uns nicht alle Informationen vorliegen außer denen, die hier schriftlich aufgetragen sind; beispielsweise müssen sich noch die Kapitäne der Schiffe äußern.
Ich halte es allemal für besser, die Kapitäne bei
Windböen mit Windstärke zwölf, bei acht Meter hohen
Wellen, bei entsprechend hohen Bewegungen, Belastungen und Risiken, die sie mit ihren Besatzungen eingegangen sind, unmittelbar auf See entscheiden zu lassen,
welches Schiff nun die Schleppleistung übernimmt oder
nicht.
({6})
Dies ist eine Entscheidung, die in der Verantwortung der
Kapitäne auf den Schiffen getroffen worden ist. Erlauben Sie mir zu sagen, ich traue den Kapitänen der „Oceanic“ und der „Mellum“ mehr zu als uns allen zusammen, in dieser Situation zu beurteilen, was das Richtige
ist.
({7})
Eine Besatzung, die bereits 48 Stunden mit einem
Schleppverband im Einsatz war, sollte nach Auffassung
mancher erneut in einen Einsatz geschickt werden. Dies
ist wohl nach Lage der Dinge auch nicht zu verantworten. Es obliegt einzig und allein der Verantwortung der
Kapitäne.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich muß hier für die Bundesregierung erklären: Der Kollege Wissmann hat in der Fachtagung „Wie
sicher ist die Deutsche Bucht?“ am 30. Januar 1998 in
seinem Namen durch Herrn Hinz erklären lassen:
Lassen Sie mich deutlich sagen, es kann nicht darum gehen, Schiffsverkehr aus Gründen der Sicherheit von deutschen Küsten fernzuhalten.
Wenn Sie das zusammen mit der Diskussion um die
„Oceanic“ verfolgen, in der die damalige Opposition Sie
gedrängt hat, daß die „Oceanic“ und der Chartervertrag
überhaupt weitergeführt werden sollten, dann ist dieser
Satz nicht sehr erfolgversprechend für das gute Sicherheitskonzept, von dem der Kollege Börnsen eben gesprochen hat.
({8})
Es besteht offensichtlich ein Mangel im Konzept, das
hier von der damaligen Bundesregierung vertreten wurde, nämlich Zurückhaltung zu üben, wenn es um Notschleppkapazität in der Deutschen Bucht geht.
({9})
Franz Müntefering hat sofort entschieden, als er von
Herrn Wissmann die Amtsgeschäfte übernommen hatte.
({10})
Den Kampf der Schiffsbesatzungen bei Orkan um die
„Pallas“ haben wir alle zusammen in den Medien verfolgt. Den Seeleuten auf den bundeseigenen Schiffen
„Mellum“ und „Neuwerk“ und des zur Verstärkung geParl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
charterten Hochseeschleppers „Oceanic“ gebühren unsere Hochachtung und unser Dank.
({11})
Uns wurde insbesondere der Schiffsbetriebsmeister
Roni Beck von der „Neuwerk“ genannt, der sich freiwillig meldete, um den Anker der „Pallas“ zu werfen ohne Maschine, durch entsprechende Handkraft. Damit
haben wir an dieser Stelle allen Anlaß, diesem mutigen
Mann, stellvertretend für die vielen anderen ungenannten Freiwilligen, für seinen Einsatz zu danken.
({12})
Das Notfallkonzept für die Nord- und Ostsee sieht
vor, daß Behördenschiffe in der Anfangsphase dem Havaristen zu Hilfe eilen. Das ändert auch nichts daran,
daß nach geltendem internationalen Seerecht der Reeder
selbst für die Bergung seines Schiffes verantwortlich ist.
Dies ist entsprechend zu respektieren. Deshalb wurde
von der den Einsatz leitenden Stelle der Reeder der
„Pallas“ beauftragt, Bergungsschlepper zu stellen, um
den Havaristen in den sicheren Hafen zu schleppen. Dieser Aufforderung ist der Reeder des unter Flagge der
Bahamas fahrenden Schiffes nachgekommen.
Die zweite Phase wurde vom Einsatz mehrerer
Schlepper bestimmt, die verhindern sollten, daß der Havarist auf Grund läuft. Die Schleppverbindung mußte
wegen fehlender Stromversorgung an Bord des Havaristen manuell hergestellt werden. Weder Stahltrossen
noch Kunststoffleinen hielten den Beanspruchungen
stand.
Die dritte Phase ist bestimmt durch die laufenden
Maßnahmen der Schadensbegrenzung und der Bekämpfung der Verschmutzung an den Stränden der nordfriesischen Inseln.
Erlauben Sie mir einige Worte zur bestehenden Notfallorganisation. Wichtiger Bestandteil des Notfallkonzeptes ist die Vereinbarung über die Bekämpfung von
Meeresverschmutzungen, die im April 1995 vom ehemaligen Bundesminister für Verkehr mit den fünf deutschen Küstenländern erneuert wurde. Zweck dieser Vereinbarung sind gemeinsame Maßnahmen, um durch
Schadstoffe drohende oder bereits eingetretene Verschmutzungen zu bekämpfen. Hierzu stellt das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen den
beim Wasser- und Schiffahrtsamt Cuxhaven eingerichteten zentralen Meldekopf als jederzeit dienstbereite
Meldeorganisation zur Verfügung. Neben dieser Meldeorganisation richten der Bund und die Küstenländer zur
Leitung gemeinsamer Einsatzmaßnahmen eine Einsatzleitungsgruppe bei bestimmten Verschmutzungs- und
Gefährdungssituationen ein; sie besteht aus einem Beauftragten des Bundes und je einem Beauftragten der
Küstenländer. Die Einberufung dieser ELG geschieht im
Einvernehmen des Beauftragten des Bundes mit den Küstenländern oder wenn eines der von der Verschmutzung
bedrohten Küstenländer es verlangt. Aus der Sicht der
Bundesregierung hat sich die Zusammenarbeit von Bund
und Küstenländern seit 1975 bewährt.
Erlauben Sie mir, kurz auf die Berichterstattung in
den Medien einzugehen. Hier muß festgehalten werden,
daß in jedem Fall die Schleppkapazität der „Mellum“
ausreichte, um auch in dieser Gefahrensituation die notwendige Schleppkapazität sicherzustellen. Dies ist über
eine Seestrecke von 31 Seemeilen auch bewiesen worden. Als sie dann brach und alle Versuche scheiterten,
auch für die „Oceanic“ die entsprechende Verbindung
herzustellen, kam es zu dem festgestellten tragischen
Verlauf.
Die „Oceanic“ war zu der Zeit, als der zentrale Meldekopf die erste Nachricht von der „Pallas“ erhielt - ich
sagte es schon -, mit einer anderen Notschleppung beschäftigt. Sie hat im weiteren Verlauf bei den Bergungsversuchen ihren anerkannten Beitrag geleistet. Ihrer Besatzung, den Besatzungen aller anderen beteiligten
Schiffe und den Hubschrauberpiloten gilt - stellvertretend für viele ungenannte Helfer zu Wasser und zu Lande - unser Dank.
({13})
Wie ich schon betonte, werden für Bundesminister
Müntefering eine abschließende Berichterstattung,
Wertungen und Schlußfolgerungen erst nach Abschluß
der laufenden Arbeiten erfolgen können. Soviel kann
aber schon heute festgehalten werden: Die Bundesregierung wird eine Expertengruppe einsetzen und die Küstenländer zur Mitwirkung einladen. Diese Arbeitsgruppe wird auf der Basis der Geschehensabläufe und unter
Berücksichtigung der kürzlich erfolgten Schleppübung
im Zusammenhang mit der Indienststellung der „Neuwerk“ Vorschläge für Verbesserungen des Unfallmanagements, der technischen Ausrüstungen, des Trainings
und der Kapazitäten zu erarbeiten haben. Auch werden
wir uns für eine internationale Zusammenarbeit der
Nordseeanliegerstaaten bei der Vorhaltung von Notschleppschiffen einsetzen. Dabei werden auch die Anregungen und Vorschläge der Umwelt- und maritimen
Fachverbände, der betroffenen Länder und - das wiederhole ich ausdrücklich - ebenso der Sachverstand der
Parlamentarier von der Küste, aus Landtagen und Bundestag, zu berücksichtigen sein. Nach Vorlage dieses
Abschlußberichts der Bundesregierung sind die politischen Entscheidungen über eine Verbesserung dieses
Konzeptes für die Nord- und Ostsee zu treffen. In diesem Sinne wird die Bundesregierung ihre Arbeit leisten.
Herzlichen Dank.
({14})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Mehl von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die dokumentierten Abläufe bei der
Havarie der „Pallas“ brauchen hier nicht noch einmal
vorgetragen zu werden, weil wir heute morgen im Umweltausschuß und im Verkehrsausschuß ausführliche Informationen bekommen und darüber diskutiert haben.
Ich muß allerdings sagen, daß ich mich über die bisherigen Beiträge der Opposition etwas wundere.
({0})
Wer heute morgen in den Ausschüssen war und sich die
Informationen angehört hat, der kann sich zumindest
nicht hier hinstellen und behaupten, es sei wochenlang
nichts passiert. Das entspricht nicht den Tatsachen und
ist einfach falsch.
({1})
Die Stimmung, die hier verbreitet wird, kommt mir
sehr bekannt vor, weil die letzte Wahl noch nicht lange
her ist.
({2})
Ihr Verhalten riecht mir verdächtig nach Wahlkampf.
Für diejenigen, die nicht aus Schleswig-Holstein kommen: Wir haben in zirka anderthalb Jahren eine Landtagswahl, und die wird hier jetzt vorbereitet. Ich sage
Ihnen: Die Menschen an der Küste werden Ihnen das
nicht honorieren. Machen Sie sich keine Hoffnungen!
({3})
- Der Herr Steenblock redet ja gleich noch.
({4})
- Und Sie haben in fast keinem Bundesland mehr die
Regierungsmacht. Auch das kann man vergleichen.
Wir sitzen alle in einem Boot. Ich möchte einmal sehen, was Sie gesagt hätten, wenn dieser Unfall wenige
Wochen früher passiert wäre.
({5})
Dann hätten Sie plötzlich ganz andere Argumente gehabt.
(Peter H. Carstensen [Nordstrand]
[CDU/CSU]: Das fällt in Ihre Verantwortung!
Deswegen halte ich die Diskussion, die Sie hier anzetteln, für wenig hilfreich.
({6})
Statt hier den schleswig-holsteinischen Vorwahlkampf einzuläuten, muß erstens mit aller Kraft daran gearbeitet werden, den Schaden weiterhin zu begrenzen,
womit schon begonnen wurde, und bereits eingetretene
Schäden soweit wie möglich zu beheben. Zweitens müssen wir über die Ursachen, die zu dem Unfall geführt
haben, reden und sie genau analysieren. Wer heute morgen im Ausschuß war, kann nicht sagen, er wisse jetzt
schon, wie es gewesen sei, außer er will es nicht anders
wissen. Es muß vielmehr noch genauestens analysiert
werden, wo und an welcher Stelle es Schwachstellen
gab. Deswegen begrüße ich es sehr, daß sowohl Schleswig-Holstein als auch die Bundesregierung Expertenkommissionen einsetzen werden, die dieses Problem
aufarbeiten werden.
Wir haben ja jahrelang an Sie appelliert und gesagt,
die jetzt bestehenden Strukturen reichen nicht aus.
({7})
Sie haben das immer bestritten. Heute morgen im Ausschuß wurde aber auch von Ihrer Seite zugegeben, daß
die vorhandenen Strukturen durchaus verbesserungswürdig sind. Das sind sie in der Tat, und deshalb werden
wir jetzt endlich an einer Verbesserung arbeiten; vorher
war das ja nicht möglich.
In dem Zusammenhang muß geklärt werden, ob ein
frühzeitigerer Einsatz der „Oceanic“ die Katastrophe
hätte verhindern können, warum nicht von dänischer
Seite eingegriffen wurde oder eingegriffen werden
konnte
({8})
und wie sich die Schiffssicherheit generell durch konstruktions- und verkehrstechnische Standards international verbessern läßt. Unabhängig davon müssen wir nach
Wegen suchen, wie das Risiko eines Schiffsunfalls für
das ökologisch hochsensible Wattenmeer auf ein Minimum zu reduzieren ist. Dies könnte zum Beispiel durch
die Ausweisung als besonders empfindliches Meeresgebiet geschehen. Dies muß in die Prüfung einbezogen
werden.
Auf diese Fragen müssen wir Antworten finden, weil
die Menschen vor Ort überhaupt nichts davon haben,
wenn wir hier darüber debattieren. Sie haben nur dann
etwas davon, wenn ein nachvollziehbares Konzept veröffentlicht wird.
({9})
Deswegen fordere ich noch einmal dazu auf, in Anlehnung an das amerikanische Vorbild die Einführung einer
internationalen Coast Guard in die Überlegungen einzubeziehen und zu prüfen, wie wir es schon seit Jahren
vorschlagen. Dadurch hätte man die Möglichkeit, noch
früher über nationale Grenzen hinweg wirklich eingreifen zu können.
({10})
Wir dürfen uns durch dieses schwere Unglück allerdings nicht von anderen Problemen des Wattenmeers
und des Meeresschutzes ablenken lassen. Dazu gehören
eine europaweit einheitlich geregelte SchiffsölentsorUlrike Mehl
gung in den Häfen genauso wie die Verbesserung der
zugelassenen Schiffstreibstoffe - auch das ist eines der
Probleme - und die Verringerung der Schadstofffrachten, die über die Flüsse in die Nordsee und andere Meere
getragen werden.
Egal, ob Befürworter oder Gegner des Nationalparks
- allen Küstenbewohnern ist mit den Bildern verölter
Vögel und verseuchter Strandabschnitte wieder klar vor
Augen geführt worden, daß die Nordsee und das intakte
Ökosystem Wattenmeer das Kapital sind, von dem sie
leben. Es ist sehr wichtig, sich dies immer wieder bewußt zu machen.
({11})
Jeder weiß, daß ein ähnlich gearteter Öl- oder Chemietankerunfall das Ökosystem Wattenmeer auf Jahre
hinaus schwer gestört hätte. Das darf niemals eintreten.
Ich hätte mir deshalb gewünscht, daß sich diejenigen,
die jetzt am lautesten nach dem Rücktritt eines politisch
Verantwortlichen schreien, in den letzten Jahren massiver dafür eingesetzt hätten.
({12})
Jetzt haben Sie mit uns die Chance dazu.
({13})
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Kurt Würzbach
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre lang
haben die Roten und die Rotgrünen in SchleswigHolstein unter der Überschrift „Umweltschutz, Landschaftschutz und Naturschutz“ unser Land SchleswigHolstein mit einem Dickicht an Verordnungen, Programmen, Plänen, Vorschriften und anderem reglementierend überzogen.
({0})
Die Ausbreitung dieses Dickichts über das ganze Land
wurde von Kiel aus theoretisch und ideologisch zentral
geregelt - gegen die Erfahrungen der Menschen, gegen
die Erfahrungen der Bauern, der Fischer an der Küste,
der Naturschützer, der Deichvögte und anderer.
({1})
Diese Regierung in Kiel wußte alles besser. Sie bevormundete und entmündigte die Verantwortlichen; sie
lähmte durch Bestimmungen die Menschen vor Ort. Sie
ergriff Maßnahmen bis hin zur Enteignung und nannte
das „modernen Umweltschutz“.
({2})
Für den Küstenschutz wurde nahezu nichts getan.
Jetzt war man aber gefordert, die Küste zu schützen.
Man hat zwar gesehen, wie das Schiff auf die Küste zutrieb, man hat sich aber weggedreht und sich in einem
Bereich untätig gezeigt, Herr Kollege Steenblock, wo
eine Regierung gefordert ist, um alles zu tun, was national wie international möglich ist. Für die rechtzeitige
Mobilisierung und Koordinierung haben Sie tagelang
nichts getan. Sie haben sich vielmehr tagelang abgewendet und sind erst müde in Gang gekommen, als die
Medien begannen, diesen Vorgang zu beleuchten.
({3})
Als Sie und Ihre Ministerpräsidentin dann langsam in
Gang kamen, konzentrierten Sie sich mehr auf die Bilder
für die Kameras und auf die Überschriften und weniger
darauf, wirklich etwas in der Sache zu bewegen.
({4})
Die Menschen bei uns im Lande sind verbittert und
enttäuscht. Die Natur wurde auf schlimme Weise geschädigt. Unabhängig von unserer Parteizugehörigkeit
muß man sagen: Das Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit ist durch dieses Nichtstun in einer blamablen Art und Weise beschädigt worden.
({5})
Ich muß hier noch erwähnen: Es sind Tausende - es
werden Zehntausend - von Tieren, die qualvoll getötet
worden sind oder noch getötet werden. In diesem Punkt
hat die Rednerin der Grünen recht, wenn sie von Trümmern der Katastrophe und von Tragödie gesprochen hat.
Ich stelle fest: Es handelt sich um eine grobe Pflichtverletzung der Landesregierung und auch um eine
Pflichtverletzung der Bundesregierung. Selbst der SPD
freundlich gesonnene Zeitungen schreiben inzwischen
von einem desolaten Zustand bei denen, die hier etwas
hätten unternehmen müssen.
Ich darf noch etwas zu den Redebeiträgen sagen. Die
Regierungsverantwortung war übergeben,
({6})
das entsprechende Ministerium von der neuen Regierung übernommen. Anstatt den - übrigens parteilosen Abteilungsleiter aus ideologischen Gründen, um eine
andere Personalpolitik durchzusetzen, zu feuern, hätten
Sie unmittelbar nach Ihren Feiern auf ihn mit seinen
Kenntnissen und Fähigkeiten, Verwaltungshandeln
wirksam einzusetzen, zurückgreifen müssen. Sie haben
sich halbe Tage in Bonn ins „Holiday Inn“ zurückgezogen, statt mit den Fachleuten des Ministeriums vernünftige Maßnahmen einzuleiten. Insofern stelle ich hier
auch deutlich eine grobe Pflichtverletzung dieses Bundesministeriums für Verkehr während der entscheidenden Tage fest.
({7})
Wir in Schleswig-Holstein und besonders die Menschen an der Küste haben einen anderen Umgang mit
unserer Natur verdient, gerade mit dem empfindlichen
Wattenmeer.
({8})
Die Menschen auf den Inseln, die Insulaner und die Gäste, wie auch die Tiere haben einen anderen Umgang
verdient.
Ich darf Sie übrigens unabhängig von Ihrer Parteizugehörigkeit fragen: Haben Sie irgendwo in Deutschland
oder sonstwo einmal erlebt, daß, wie von Frau Simonis
getan, ein Regierungschef seinem Stellvertreter in der
Öffentlichkeit den Ratschlag gibt: „Schlafen Sie sich
erst einmal ein paar Tage aus!“? - Ihnen, Herr Steenblock, ist dieser Ratschlag in der Öffentlichkeit nicht
wegen Übermüdung auf Grund Ihres frühen Einsatzes
vor Ort, sondern wegen Ihres müden Regierungshandelns erteilt worden.
({9})
Ich stimme mit meinem Kollegen aus SchleswigHolstein, Jürgen Koppelin, überein, daß diese Regierung
ähnlich wie das Wrack, das sich jetzt festgesetzt hat,
eine Motorleistung Null hat. Sie ist sozusagen leckgeschlagen und dümpelt ohne Kapitän und Steuermann vor
sich hin. Wir brauchen in Schleswig-Holstein eine andere Regierung, eine wirkliche Regierung!
({10})
Kollege Steenblock, jeder Leiter einer Ortsfeuerwehr
wäre professioneller, also früher und energischer,
pflichtbewußter und verantwortungsfreudiger, an diese
Sache herangegangen, als Rot und Grün in Kiel und Rot
und Grün in Bonn es getan haben.
({11})
Als
nächster Redner hat der Umweltminister des Landes
Schleswig-Holstein, Rainder Steenblock, das Wort.
Rainder Steenblock, Minister ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Die Situation bei uns an der Westküste ist,
glaube ich, viel zu ernst, lieber Herr Würzbach, um hier
eine billige Wahlkampfschau, eine vorgezogene Wahlkampfveranstaltung für die Landtagswahl in SchleswigHolstein zu machen.
({1})
Die Situation an der Westküste ist natürlich dadurch gekennzeichnet, daß die Menschen wütend sind.
({2})
- Nein. ({3})
Sie sind frustriert. Wir sind jetzt in der Diskussion, und
die Menschen wollen Antworten auf die Frage, wie man
solche Unfälle verhindern kann. Die Menschen erwarten
von der Politik Diskussionen über Lösungskonzepte, die
ihnen mehr Sicherheit geben.
({4})
Sie haben versucht, heute morgen im Landtag in
Schleswig-Holstein eine Debatte zu führen - Sie sind
damit kläglich gescheitert -,
({5})
in der die Maßnahmen, die wir in Schleswig-Holstein
eingeleitet haben, die die Landesregierung eingeleitet
hat, kritisiert werden. Das ist Ihr gutes Recht. Aber: Es
ist in der gesamten Debatte bisher nicht einmal im Ansatz nachgewiesen worden, daß in dem gesamten Einsatz auch nur eine Schaufel gefehlt hätte, ein Mann zuwenig als Reserve dagewesen wäre oder ein Schiff zuwenig im Einsatz gewesen wäre. Durch den Ölunfall im
Wattenmeer sind bereits 6 000 Vögel verendet; viele
Tausende werden noch verenden.
({6})
Wir haben diese Ölbekämpfung organisiert - neben
der ELG, neben den offiziellen Strukturen, von denen
hier zu Recht gesagt worden ist, daß sie überarbeitungsbedürftig sind.
({7})
Wir alle - Sie als alte Bundesregierung, wir als Küstenländer - haben die Einsatzstrukturen gemeinsam geschaffen. Wir alle haben die Pflicht, aus den Fehlern zu
lernen. Die Strukturen haben sich als nicht schlagkräftig
genug erwiesen. Es geht heute darum, diese Strukturen
zu verändern.
({8})
Sie aber haben Nebelkerzen geworfen. Sie versuchen
schon die ganze Zeit, im Lande alles zu vernebeln.
Herr Koppelin, Sie haben hier heute aus einer Pressemitteilung zitiert, der Umweltminister hätte gesagt,
wir wären gut gerüstet.
({9})
- Dann war das jemand von der CDU/CSU. - Wir sind
gut gerüstet, jawohl. Wir haben Katastrophenschutzübungen gemacht. Was die Ölbekämpfung, so wie sie
im Wattenmeer organisiert worden ist, angeht, so ist
überhaupt keine Kritik an irgendeiner Maßnahme zu
üben, die dort realisiert worden ist. Das gilt auch im
Hinblick auf die Ölsperre um das Schiff herum. Wenn
Sie sich einmal sachkundig gemacht hätten, dann wüßten Sie genau, daß man eine solche Ölsperre nur bei bestimmten Witterungsverhältnissen ausbringen kann. Sie
haben von den Einzelheiten dieser Operation doch überPeter Kurt Würzbach
haupt keine Ahnung. Sie wollen hier nur Ihr politisches
Süppchen kochen.
({10})
- Herr Koppelin, Lautstärke und Zwischenrufe ersetzen
keine Argumente. Es geht an dieser Stelle um eine sachliche Debatte. Worum wir alle uns zu kümmern haben,
anstatt hier im Deutschen Bundestag herumzubrüllen
({11})
- ich entschuldige mich für das Wort „brüllen“, Herr
Carstensen; ich weiß, Sie flüstern immer -, ist ein neues
Notfallkonzept. Die Ölentsorgung hat geklappt. Aber
wir brauchen Maßnahmen, durch die verhindert wird,
daß so etwas wieder passiert. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen.
({12})
Wenn wir nun darüber sprechen, was der Deutsche
Bundestag, was die Länderparlamente und die Regierungen von Bund und Ländern zu entscheiden haben,
({13})
so glaube ich, daß wir ein Sicherheitskonzept brauchen,
durch das sichergestellt ist, daß ausreichend Schlepperkapazität vorhanden ist. Ich habe mich sehr gefreut, daß
auf den Brief hin, den ich Herrn Müntefering geschrieben habe, der Vertrag für die „Oceanic“ verlängert worden ist. Ich würde mir sehr wünschen - das wäre ein
gutes Signal für die Westküste -, wir hätten endlich Sicherheit, daß ein Hochseeschlepper ständig, über Jahre
gechartert, in der Deutschen Bucht ist.
Wir brauchen - Frau Mehl hat das angesprochen weiter eine straffere Organisation der Einsatzstrukturen.
Wir brauchen so etwas wie eine „coast guard“, die tatsächlich in der Lage ist, solche Schiffe gegen den Willen
des Eigners zu übernehmen.
({14})
Wir brauchen einen Haftungsfonds. Es kann nicht
sein, daß die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler an der
Westküste, die schon die im Hinblick auf das Ökosystem, das sich nicht wehren kann, und im Hinblick auf
den Tourismus von diesem Schiff ausgegangenen Schäden zu tragen haben, in Haftung genommen werden und
hohe Haftungssummen zahlen müssen. Da ist nicht der
Schutz des Eigentums angesagt, sondern die Verantwortung des Eigentümers und das Verursacherprinzip.
Deshalb brauchen wir für solche Fälle einen internationalen Haftungsfonds.
({15})
Die vorherige Bundesregierung - auch das wissen Sie
sehr genau; sonst würden Sie nicht versuchen, so lautstark von der Verantwortung abzulenken - hat in dieser
Frage kläglich versagt.
({16})
Ich bin nach den ersten Kontakten mit Vertretern der
neuen Bundesregierung sehr sicher, daß sich diese Bundesregierung den Interessen der Küstenländer mit größerem Engagement annehmen wird.
({17})
- Herr Fischer, Sie werden sicherlich noch das Beispiel
der Hamburger Feuerwehr anführen. Sie wissen ganz
genau, daß in der entsprechenden Einsatzleitgruppe
Vertreter des Landes Hamburg und des Landes Schleswig-Holstein sitzen.
({18})
Wenn das Land Hamburg, das genauso beteiligt ist wie
wir und das sicherlich über den Zustand der Hamburger
Feuerwehr besser informiert ist als das Land SchleswigHolstein, diese Kräfte nicht einsetzt, dann liegt das in
der Verantwortung des Landes Hamburg. Das können
Sie nicht mir in die Schuhe schieben.
({19})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen
auch mit der Opposition eine sachliche Auseinandersetzung führen.
({20})
Ich glaube, daß wir diese Probleme auf Grund unserer
Verantwortung gegenüber den Menschen und dem bestehenden Ökosystem lösen müssen.
Herr Carstensen, ich würde Sie bei den Auseinandersetzungen um den Schutz des Nationalparks und des
ökologisch so wichtigen Systems des Meeres und der
Küste gerne auf meiner Seite wissen
({21})
Doch leider sind Sie nicht immer auf der Seite des Naturschutzes.
({22})
Minister Rainder Steenblock ({23})
Herr
Steenblock, einen Moment bitte! - Liebe Kolleginnen
und Kollegen, in einer Aktuellen Stunde kann es ruhig
etwas munterer zugehen. Aber der Redner muß die
Chance haben, auch verstanden zu werden.
({0})
Rainder Steenblock, Minister ({1}): Meine Damen und Herren, ich bin häufig an der
Westküste gewesen. Die verbreiteten Gerüchte, ich sei
erst auf Weisung der Ministerpräsidentin dort gewesen,
({2})
sind Unsinn. Ich bin am Montag vor der Kabinettsitzung
an der Westküste gewesen und habe mit dem Leiter des
Staatlichen Umweltamtes, dem Leiter des Amtes für
ländliche Räume und auch mit denjenigen, die auf Kreisebene Verantwortung tragen, gesprochen - nicht im Beisein von Kameras, sondern mit dem Ziel, die Einsätze zu
organisieren. Denn das ist meine Aufgabe.
({3})
- Am Montag vor der Kabinettsitzung. Ich bin am
Dienstagnachmittag auf Föhr gewesen; ich bin abends
und nachts auf Amrum gewesen. Ich bin am folgenden
Wochenende zwei Tage auf den Inseln gewesen. Ich bin
mit den betroffenen Bürgermeistern, mit den Vertretern
der Feuerwehr und all denjenigen, die verantwortlich
waren, zum Wrack hinausgefahren. Das war keine Privatveranstaltung. Das war möglich, weil wir zu den örtlich Verantwortlichen eine vernünftige Beziehung haben. Was Sie hier unterstellen, weist nur darauf hin, daß
Sie den Kontakt zur örtlichen Bevölkerung längst verloren haben.
({4})
Wir als schleswig-holsteinische Regierung sind in der
Verantwortung. Wir haben gestern einen ganzen Katalog
von Forderungen beschlossen. Wir stellen uns dem Problem.
({5})
Ich weiß, daß sich die neue Bundesregierung dem auch
stellt. Es wäre ein gutes Signal, wenn wir im ersten
Schritt zur Sicherung der Küste Kapazitäten in bezug
auf einen Hochseeschlepper schaffen. Ich glaube, daß
die Auseinandersetzung, so wie sie jetzt hier geführt
wird, nicht das ist, was die Menschen in diesem Lande
wollen. Die Menschen wollen vielmehr eine sachliche,
an den Lösungsmöglichkeiten orientierte Arbeit. Darum
sollte es gehen.
Ich als Vertreter Schleswig-Holsteins bitte die Bundesregierung und den Bundestag, uns bei der Schaffung
von Sicherheit an der Küste zu helfen, die Probleme
ernst zu nehmen und mit uns gemeinsam an den Lösungen zu arbeiten.
Vielen Dank.
({6})
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Harry Carstensen
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Rainder,
- so hat Heide Simonis ihren Umweltminister angefaucht jetzt pack deine Akten und sieh zu, daß du nach
Amrum kommst.
So kann man das diese Woche im „Focus“ lesen, der
weiter vom Chaos, von der Tatenlosigkeit, von der
Hilflosigkeit des Umweltministeriums in Kiel und dem
Bund-Länder-Krisenstab, der Einsatzleitgruppe in Cuxhaven, berichtet. Steenblock ist dann am Abend des
10. November um 18.30 Uhr nach Amrum gefahren, hat
sich dort in der Dunkelheit informiert und ist vor Tau
und Tag in der Dunkelheit am 11. November um
6.15 Uhr wieder abgefahren.
({0})
Dieses Anfauchen fand nicht, wie man annehmen
sollte, kurz nach Beginn der Katastrophe statt. Nein, da
brannte die „Pallas“ schon mehr als zwei Wochen.
({1})
Da hatten inzwischen schon Männer ihr Leben riskiert zum Beispiel vom Fischereiaufsichtsboot „Meerkatze“,
von der „Neuwerk“ und von der „Mellum“ - und versucht, die drohende Katastrophe in Sturm und aufgewühlter See zu verhindern. Ihnen gebührt unser Dank
ebenso wie all den freiwilligen Helfern,
({2})
die an den Stränden von Amrum, Föhr und Sylt die Verschmutzungen bekämpft und Vögel betreut, gerettet
oder, weil es nicht anders ging, getötet haben. Ich erinnere auch daran, daß ein Besatzungsmitglied ums Leben
gekommen ist. Ihm gilt unser Gedenken. Seien wir froh,
daß nicht mehr Menschenleben zu beklagen sind!
Die Wut auf den Inseln ist den Leuten ins Gesicht geschrieben, die Wut darüber, daß diese Katastrophe zu
verhindern war, und noch mehr darüber, daß sie bei der
Bewältigung allein gelassen worden sind. Die Katastrophe war in dänischen Gewässern zu verhindern. Ich bitte
die Bundesregierung sehr eindringlich, auch einmal den
Dänen die Frage zu stellen, warum sie zu Beginn der
Katastrophe nicht helfend reagiert haben.
({3})
Ich habe heute morgen noch mit dem Amtsvorsteher
von Amrum, Jürgen Jungclaus, und dem Bürgermeister
Klaus Theuß gesprochen, die sich - wie schon in den
Tagen zuvor - bitterlich beklagt haben, daß man die
Katastrophe kommen sehen konnte und keiner etwas
unternommen hat. Es gab keine Ansprechpartner. Informationen, die anfangs aus Cuxhaven kamen, wurden
abgeschnitten mit dem Hinweis, jetzt sei das Umweltministerium in Kiel zuständig. Per dortigen Verteiler
gingen die Informationen an zwei offizielle Stellen und
neun Umweltverbände, nicht aber zum Beispiel an die
Wasserschutzpolizei. Das alles ist erst später erfolgt.
Dazu paßt, daß auf Hilfsangebote vor Ort nicht reagiert wurde. Diese wurden vielmehr geradezu verhindert
- wie das Angebot der örtlichen Feuerwehren, zu helfen.
Erst am 11. November - die „Pallas“ brannte seit dem
25. Oktober und war am 29. Oktober auf Grund gelaufen - wurde die Arbeitsbereitschaft des Interministeriellen Leitungsstabes der Landesregierung ab 8 Uhr
hergestellt.
Es kann sich hier keiner damit herausreden, die
Strukturen der Katastrophenbekämpfung seien nicht optimal gewesen. Nein, jeder, der etwas zu sagen hat, in
Kiel wie auch in Bonn, war genügend informiert, um
zielgerichtet handeln zu können. Aber Kompetenzgerangel führte zu dieser Führungsschwäche. Chaos und
Unvermögen - euer Name ist Rainder Steenblock!
({4})
Angesichts der Reaktion der Ministerpräsidentin und
vieler anderer Dinge finde ich es schon unerhört und
empfinde es als eine Zumutung, daß Sie, Herr Steenblock - als derjenige, der das Chaos verursacht hat und
der für Inkompetenz und Unerfahrenheit steht -, sich
hier hinstellen und uns informieren dürfen.
({5})
Hier in Bonn lief es auch nicht besser. Erst am
13. November hat der Verteidigungsminister das Ölbekämpfungsschiff „Bottsand“ der Marine von Warnemünde in Marsch gesetzt, und am 16. November
schreibt er mir:
Die Bundeswehr hilft weiter, wenn das von der
Landesregierung gewünscht wird.
Anstatt sich mit der Ablösung seiner Abteilungsleiter zu
beschäftigen, hätte sich der Verkehrsminister Müntefering hier mit einklinken müssen, um das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen.
Meine Damen und Herren, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß die Firma zum Löschen des Schiffes per Ausschreibung gesucht wurde?
({6})
Drei Angebote gab es. Sie wurden gesichtet, und erst am
11. November um 23.59 Uhr wurde der Auftrag erteilt.
Frau Staatssekretärin Probst hat in ihrer Rede letzte
Woche gesagt, die Bundesregierung habe schnell gehandelt, indem Minister Trittin das Thema auf die Tagesordnung der Umweltministerkonferenz gesetzt habe.
({7})
Sie hat gesagt: Wir werden alles daransetzen, daß
schnelle Hilfe garantiert wird. Dieses Verhalten ist typisch, es ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen auf
den Inseln und in der Fischerei.
({8})
Frau Simonis hätte Steenblock damals nicht nach
Amrum schicken sollen; sie hätte ihn in die Wüste
schicken sollen.
({9})
Das
Wort hat als nächste Rednerin Monika Ganseforth von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Herren und Damen! Nach der Bundestagswahl am 27.
September hat sich sehr viel geändert.
({0})
Das merken wir auch heute. Die CDU/CSU hat nämlich
eine Aktuelle Stunde beantragt. In der letzten Legislaturperiode sind von den über 100 Aktuellen Stunden, die
stattgefunden haben, nur sechs von Ihnen beantragt
worden.
({1})
Nun sind Sie auf einmal so schnell. Wie kommt das?
Besonders erstaunlich ist, daß es sich auch noch um eine
Aktuelle Stunde zum Thema Umwelt handelt. Ich freue
mich über die wundersame Wandlung der rechten Seite
in diesem Haus.
({2})
Denn die Sorge um eine intakte Umwelt kann nicht
wichtig genug genommen werden.
Das Unglück der „Pallas“ vor der Nordseeküste und
die damit verbundenen Schäden müssen sehr ernst genommen werden. Nicht vergessen wollen wir - Herr
Carstensen hat es eben angesprochen -: Der Verlust
eines Menschenlebens ist zu beklagen; ein weiterer
Mensch ist schwer verletzt worden. Mein Eindruck war
fast, daß deshalb über dieses Thema hier so wenig geredet wurde, weil dies geschehen ist, bevor die neue Regierung vereidigt worden ist, dies sozusagen noch unter
der Ägide der alten Regierung passierte.
({3})
Ihnen wäre es doch sehr zupaß gekommen, wenn dieses
Unglück sich nicht gerade während des Regierungswechsels ereignet hätte, sondern nachdem diese Regierung einige Monate im Amt gewesen wäre.
({4})
Peter H. Carstensen ({5})
Dann wäre die Verantwortung so klar, wie Sie sich das
wünschen.
({6})
Das Unglück, daß der Holzfrachter „Pallas“ in Brand
geriet, ist passiert, ehe unsere neue Regierung vereidigt
wurde. Sie hat, genau genommen, nicht nur dieses Problem und dieses Drama übernommen,
({7})
sondern auch die - wie sich zeigt - völlig unzureichenden Entscheidungsstrukturen mit ihren Schwächen
({8})
und das, wie es vorhin hieß, unzureichende Notfallkonzept, das zudem nicht in ausreichender Weise umgesetzt
worden ist.
({9})
- Wir sitzen hier im Deutschen Bundestag und debattieren über die Verantwortlichkeiten. Schauen Sie sich
doch den Titel der Aktuellen Stunde an, wenn Sie schon
einmal zu diesem Instrument greifen; schauen Sie sich
doch einmal an, was Sie da wissen wollen. ({10})
Ich bin sicher, daß von dieser Regierung schnellstens ein
Notfallkonzept erarbeitet wird und daß das, worüber wir
so lange diskutiert haben, endlich umgesetzt wird. Ich
weiß nicht, ob es der CDU/CSU bei dieser Debatte
wirklich um diese Fragen geht. Ich habe einmal nachgesehen, was zum Beispiel der Kollege Lippold von der
CDU/CSU in der letzten Legislaturperiode in der Aktuellen Stunde über die „Brent Spar“ gesagt hat - jetzt
kommt ein Zitat von Herrn Lippold -:
Ich habe mir gedacht, daß diese Debatte für viele in
diesem Hause nicht dazu dient, sich mit dem Ereignis und mit Umweltschutz auseinanderzusetzen.
Statt dessen versuchen Sie über alle Lücken wieder
zur Schuld der Bundesregierung zu kommen. Das
ist das alte Spiel der Opposition. Bleiben wir doch
bei der Sache, um die es geht.
Weiter hat er gesagt:
Deshalb ist es schade, daß Sie diesen heutigen
Punkt nicht um der Sache willen behandeln, sondern nur aus dem Grund, einmal wieder einiges gegen die Regierung loslassen zu können. Schade,
daß Sie diesen guten Anlaß so mißbrauchen wollen.
Dem ist nichts hinzuzufügen - auch nach den Reden von
Herrn Carstensen und Herrn Austermann nicht.
({11})
So schnell ändern sich die Zeiten, meine Herren und
meine Damen auf der rechten Seite.
({12})
Um der Sache willen aber möchte ich es positiv sehen, daß sich die CDU/CSU endlich um die Umwelt
sorgt und daß sie betroffen ist, wie Herr Austermann
vorhin gesagt hat - wegen der Katastrophe in dem empfindlichen Ökosystem Wattenmeer, wegen des Sterbens
von Tausenden von Vögeln und auch wegen der Menschenleben, die zu beklagen sind. Ich fordere Sie auf,
uns auch an anderer Stelle bei der Behandlung dieser
Themen zu unterstützen und an unserer Seite zu sein.
Die schleichende Ölverschmutzung in der Nordsee zum
Beispiel ist ein Thema, das wir ernsthaft angehen müssen - ich hoffe, diesmal mit Ihrer Unterstützung.
({13})
Und schließlich möchte ich Ihnen sagen: Es stellt sich
auch die Frage, ob jeder Transport nötig ist. Selbst das
vergleichsweise umweltfreundliche Transportmittel
Schiff hat, wie wir wieder sehen können, Risiken. Deshalb muß man die Frage zulassen, ob Holz über die
Ozeane hin und her transportiert werden muß.
({14})
Wir müssen für eine Lebens- und Wirtschaftsweise der
Nachhaltigkeit kämpfen und unser Augenmerk auch
darauf richten. Aber ich merke schon: Da haben wir
nicht Ihre Unterstützung. Wenn wir aber wenigstens Ihre
Unterstützung zum Schutz der Nordsee und des Wattenmeers haben, dann sind wir schon sehr zufrieden.
Darum bitte ich Sie.
Schönen Dank.
({15})
Als
letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege
Kurt-Dieter Grill von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ganseforth,
zu der Geschmacklosigkeit, der alten Bundesregierung
den tödlich verletzten Menschen sozusagen zurechnen
zu wollen, sage ich Ihnen: Es hat eigentlich nur noch gefehlt, daß Sie hier behaupten, einer von uns habe das
Schiff angezündet, um die neue Regierung in Schwierigkeiten zu bringen.
({0})
Also, es ist unglaublich, mit welchen Bildern Sie hier
antreten. Zu dem Bild, das Sie hier gezeichnet haben,
daß die CDU das Instrument der Aktuellen Stunde nutzt,
gehört das Gegenstück: Sie haben sich als Regierung
sehr schnell daran gewöhnt, zu behaupten, Sie hätten
alles getan; das, was fehlgeschlagen ist, sei die Schuld
der vorherigen Regierung. Nach diesem Prinzip haben
Sie hier heute vorgetragen.
({1})
Dazu gehört auch, daß Herr Steenblock die Strukturen der Notfallvorsorge kritisiert hat. Heute morgen ist
im zuständigen Ausschuß mehr als deutlich geworden,
daß die Strukturen der Notfallvorsorge im großen und
ganzen in Ordnung sind. Versagt haben die zuständigen
und verantwortlichen Minister in Schleswig-Holstein.
({2})
Und da wir schon beim Bewußtseinswandel sind:
Diejenigen, die fälschlicherweise in der Mitte des Parlamentes sitzen, wären noch vor drei Monaten mit ölverschmierten toten Tieren an dieses Pult gegangen.
Frau Probst, die sich als einzige Verantwortliche der
politischen Führung des Umweltministeriums bisher gestellt hat - sonst weder Herr Trittin noch Frau Altmann!
-, hat hier vor einer Woche gesagt: Wir haben schnell
gehandelt, wir haben zusammen mit den Ländern alles
getan. - Meine Damen und Herren, wenn es stimmt, daß
Sie in Abstimmung mit den Ländern alles getan haben,
welche Berechtigung hat dann Ihr Vorwurf an die alte
Regierung? Sie haben unsere Strukturen übernommen
und in diesen Strukturen gehandelt.
Von vielen Beiträgen hebt sich der Beitrag des Bundesverkehrsministeriums sehr wohltuend ab. Herr
Ibrügger hat in dankenswerter Sachlichkeit dargestellt,
was gelaufen ist. Bis auf den Schlenker auf Herrn
Wissmann können wir, so muß ich sagen, mit einer solchen Darstellung der Sache leben. Damit kann man arbeiten, und das ist die Voraussetzung für die Frage, was
nach diesem Unfall zu tun ist.
Aber das, was Sie, Frau Mehl, über die Ausschußsitzung behauptet haben, ist nicht nachzuvollziehen.
({3})
Denn es ist deutlich geworden - das ist auch gar nicht
bestritten worden -, daß die Landesregierung in Kiel auf
eine falsche Einschätzung der Lage mit falschen Maßnahmen reagiert hat. Das ist die Katastrophe, für die sie
verantwortlich ist.
({4})
Und das, was Frau Faße hier abgeliefert hat, schlägt dem
Faß den Boden aus.
Allerdings möchte ich meinen Freund Peter Harry
Carstensen an dieser Stelle etwas korrigieren: Die Dänen
haben versäumt, einen Hochseeschlepper in Dienst zu
nehmen. D'accord, da sind wir beide einig. Aber in dem
entscheidenden Augenblick haben sie sich - das war die
Darstellung heute morgen, und diese nehme ich hier auf,
weil wir auch das diskutieren müssen - dafür entschieden, die Kapazität, die sie zur Verfügung hatten, für die
Rettung der Menschen und nicht für die Rettung des
Schiffes einzusetzen.
({5})
- Ja, das werden wir zu diskutieren haben.
Es ist zu beklagen, daß das Schiff nicht früher auf den
Haken genommen werden konnte. Aber was der Vertreter des Bundesverkehrsministeriums, dem Sie nicht
widersprochen haben, heute morgen im Ausschuß gesagt
hat, ist die andere Seite - und das schreibe ich Ihnen ins
Stammbuch -: Es kam gar nicht mehr auf die „Oceanic“
an; wir hatten vor Amrum genügend Schlepperkapazität.
Also ist weder die Frage der Strukturen, die wir Ihnen
hinterlassen haben, noch die Frage der „Oceanic“ das
zentrale Thema. Das zentrale Thema ist vielmehr, daß
Sie auf dem Hintergrund von Material und Strukturen
nicht gehandelt haben, Herr Steenblock. Sie haben versagt; das ist das Entscheidende!
({6})
Das Ablenkungsmanöver in Richtung Vorgängerregierung ist im Grunde genommen zu billig, um darauf
einzugehen. Ich will Ihnen nur sagen: Man kann Ihr
Versagen in diesem Zusammenhang vielfach belegen bis hin zu dem, was ein Feuerwehrmann aus der Krisenregion in meinem Büro gesagt hat: Wir durften nur
Dienst nach Vorschrift machen. Wir durften nachts nicht
löschen, obwohl das Löschen nachts möglich gewesen
ist.
({7})
Seien Sie deshalb vorsichtig mit Vorwürfen an die alte
Regierung. Sie mußten handeln. Sie haben nicht richtig
gehandelt. Sie haben zu spät gehandelt.
Frau Altmann gebe ich eines mit auf den Weg: Mit
dem Wechsel von der Oppositionsbank auf die Regierungsbank haben Sie mehr Gehalt bekommen. Damit
sind die Schmerzen des Regierungswechsels abgegolten.
Beklagen Sie sich in Zukunft nie wieder, daß Sie in der
Regierung sind, sondern tun Sie Ihre Arbeit!
({8})
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 19. November 1998, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.