Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/5/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir noch eine Änderung bezüglich des Vermittlungsausschus- ses vornehmen. Der Kollege Matthias Berninger scheidet als stellvertretendes Mitglied aus dem Vermittlungsaus- schuß aus. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt als Nachfolgerin die Kollegin Kristin Heyne vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist die Kollegin Heyne als stellvertretendes Mit- glied des Vermittlungsausschusses bestimmt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12a und 12b sowie den Zusatzpunkt 4 auf: 12 a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen der „5. Vertragsstaatenkon- ferenz der Klimarahmenkonvention in Bonn“ b) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausJürgen Hedrich, Dr. Klaus W. Lippold ({0}), Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention in Bonn: Neue Impulse zur globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik ({1}) - Drucksache 14/1853 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherkeit ({2}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuß ZP4 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Klimaschutz durch ökologische Modernisierung und Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit - Drucksache 14/1956 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) Auswärtiger Ausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. und der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine Damen und Herren! Kennen Sie „Mitch“? Kennen Sie „Floyd“? „Mitch“ verwüstete im letzten Jahr Mittelamerika. „Floyd“ war der größte Wirbelsturm - mit einer Ausdehnung größer als Mitteleuropa -, den man je verzeichnet hat. Dort, wo es noch nicht so viele Fernsehstationen gibt, haben Wirbelstürme keinen Namen, richten aber trotzdem unermeßlichen Schaden an. Der Zyklon, der dieser Tage über Indien hinweg zog, hat wahrscheinlich 10 000 Menschenleben gekostet, 9 Millionen Menschen obdachlos gemacht, die gesamte Reisernte vernichtet. Die kontinuierliche Erwärmung der Meere hat zu einem unübersehbaren Anstieg der Zahl der Wirbelstürme geführt. Die von Menschen beeinflußte Veränderung des Klimas trifft uns nicht morgen, sondern teilweise schon heute. Sie hat Hunderttausende obdachlos gemacht. Dies ist der Hintergrund einer aktiven Politik des Klimaschutzes. Beim Thema Klimaschutz fehlt es uns nicht an Erkenntnissen. Es fehlt aber nach wie vor an einem strin5986 genten Handeln der Staatengemeinschaft und an einem stringenten Verhalten gerade derjenigen Staaten, die als Hauptverursacher dieses Problems gelten. ({0}) Der Zwischenstaatliche Ausschuß für den Klimawandel hat bereits 1995 festgestellt: Erstens. Die Abwägung der bisher auf Grund von Modellrechnungen gewonnenen Erkenntnisse legen einen erkennbaren menschlichen Einfluß auf das Klima nahe. Zweitens. Der Verzicht auf Maßnahmen zum Klimaschutz wird auch zu irreversiblen Schäden an den Öko-, Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen dieses Globusses führen. Schließlich hat der Ausschuß schon 1995 darauf hingewiesen, daß deutliche Reduktionen der Treibhausgasemissionen technisch möglich und ökonomisch vernünftig sind. Niemand darf sich vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse mehr auf verbleibende Unsicherheiten in der Wissenschaft herausreden. Wer seiner Verantwortung gerecht werden will, der muß heute handeln. Mit dem Protokoll von Kioto ist hierfür ein Rahmen geschaffen worden. Die heute in Bonn zu Ende gehende Klimakonferenz war eine wichtige Station zur Regelung der noch offenen Fragen dieses Rahmens. Der sicherlich eher technische Charakter der Bonner Konferenz sollte nicht den Blick dafür trüben, worum es eigentlich geht. Noch nie zuvor waren die Signale für die drohende Klimakatastrophe so deutlich wie jetzt. Weltweit belaufen sich die energiebedingten CO2-Emissionen auf rund 24 Milliarden Tonnen im Jahr. Mehr als drei Viertel dieser Emissionen werden von den Industriestaaten emittiert. Entgegen internationaler und selbst eingegangener Verpflichtungen steigen diese Emissionen in den meisten westlichen Industrieländern deutlich an. Beispiele hierfür sind die USA und Kanada, die - allen Reduktionsversprechungen zum Trotz - zweistellige, teilweise über 20 Prozent liegende Zuwachsraten aufweisen. Vor dem Hintergrund dieser besorgniserregenden Entwicklung ist es auf der 5. Vertragsstaatenkonferenz gelungen, Verhandlungstexte zu technischen Fragen etwa bei der Erfüllungskontrolle fortzuentwickeln. Aber wir kommen nicht darum herum, festzustellen, daß es zwischen den einzelnen Gruppen der Staatengemeinschaft nach wie vor erhebliche Meinungsunterschiede in wichtigen politischen Fragen gibt. Dies gilt insbesondere - hier hat die Bundesrepublik, indem sie eine lange allein vertretene Position mittlerweile zu einer europäischen Position gemacht hat, eine führende Rolle gespielt - für die Frage der von uns geforderten konkreten Obergrenze für die sogenannten flexiblen Mechanismen. Ungeachtet dieser anhaltenden Meinungsverschiedenheiten - von denen auch nicht zu erwarten war, daß sie in Bonn überwunden würden - ist es uns allerdings gelungen, die politische Bewegung im Klimaprozeß wieder zu stärken. Hierzu hat die Eröffnungsrede von Bundeskanzler Schröder, die bei vielen Delegationen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, wesentlich beigetragen. Erfreulich ist es, daß von einer überwältigenden Mehrheit der anwesenden 173 Staaten das von Gerhard Schröder vorgegebene Ziel aufgegriffen worden ist: Wir wollen - so haben diese Staaten gesagt - im Jahre 2002, zehn Jahre nach der Konferenz von Rio, das Protokoll von Kioto in Kraft setzen. ({1}) Damit haben die Bundesrepublik Deutschland und die EU in der Staatengemeinschaft erneut eine Vorreiterrolle eingenommen. Ich begrüße es, daß es gelungen ist, eine klare Struktur für die in den kommenden Monaten stattfindenden Verhandlungen durchzusetzen. Nur so wird ein Abschluß dieser Verhandlungen, den wir alle wollen, auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz in Den Haag auch tatsächlich gelingen können. Bei diesem Verhandlungsprozeß werden eine Reihe von Fragen noch zu klären sein. Die oberste Forderung muß sein: Wir müssen die im Kioto-Protokoll bestehenden Schlupflöcher schließen. ({2}) - Sehr richtig. Dies gilt für Projekte, die Industrieländer im Ausland durchführen. Dies gilt ganz besonders für das Problem der „heißen Luft“, zu dem der Handel mit Verschmutzungsrechten nicht führen darf. Ich unterstreiche: Auch Wälder, die Kohlenstoff speichern, dürfen nur nach noch festzulegenden Regeln berücksichtigt werden. Es kann nicht sein, daß wir uns auf der einen Seite Wiederaufforstung klimapolitisch anrechnen lassen und gleichzeitig tatenlos zusehen, wie vielleicht im selben Land massiv entwaldet wird. Das kann nicht Sinn dieser Mechanismen sein. ({3}) Wirksame Maßnahmen zur Begrenzung der drastisch zunehmenden Treibhausgasemissionen aus dem internationalen Flugverkehr sind erforderlich, damit das Kioto-Protokoll nicht unterlaufen wird; denn wenn die Steigerungsraten im Flugverkehr anhalten, wird ungefähr die Hälfte dessen, was die Industrieländer in Kioto zu reduzieren versprochen haben, allein dadurch wieder wettgemacht. Fortschritte in diesem Verhandlungsprozeß werden nur dann möglich sein, wenn eine wichtige Voraussetzung erfüllt ist: Die Industrieländer müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Internationaler Verhandlungsprozeß und Reduktion von Treibhausgasen, die die Industrieländer bei sich zu Hause vornehmen, gehören untrennbar zusammen. Die internationale Glaubwürdigkeit und die internationale Verhandlungsposition hängen davon ab, wie Aufgaben zu Hause gemacht werden. ({4}) Nur dann, wenn diese Hausaufgaben gemacht werden, können die Kioto-Mechanismen eine sinnvolle Ergänzung sein. Langfristig ist die Einbeziehung auch der Entwicklungsländer in das Kioto-Protokoll eine wichtige Herausforderung. Es ist wahr, daß die Entwicklungsländer in bezug auf die Emissionen in absehbarer Zeit mit den Industrieländern gleichziehen werden. Die Einbeziehung der Entwicklungsländer wird aber nur schrittweise gelingen können. Sie wird nicht und darf nicht Entschuldigung dafür sein, daß man im eigenen Lande so lange nichts tut, bis sich beispielsweise China und Indien zu Aktionen bereitgefunden haben. ({5}) Ich füge hinzu: Es darf nicht sein, daß die Ratifizierung des Kioto-Protokolls von dieser Frage abhängig gemacht wird. Wir haben uns in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit bemüht, den Anteil klimafreundlicher Maßnahmen - insbesondere im Bereich erneuerbarer Energien und Schutz der Tropenwälder - weiter zu erhöhen. Im multilateralen Bereich trägt die Bundesrepublik Deutschland rund 12 Prozent der Beiträge zum Finanzmechanismus der Klimarahmenkonvention, der globalen Umweltfazilität, bei. Uns bereitet es Sorge, daß es eine Reihe großer Länder gibt, die eine schlechte Zahlungsmoral aufweisen. Das stärkt nicht, sondern das schwächt unsere Verhandlungsposition gerade gegenüber den Entwicklungsländern. Ich glaube, wir als Industrieländer müssen folgendes Signal setzen: Wir erledigen unsere Hausaufgaben; wir wollen, daß dieser Mechanismus im Jahre 2002 in Kraft tritt. All die Mechanismen, die jetzt vielleicht noch umstritten sind, werden erst dann greifen und wir werden erst dann den Emissionshandel einleiten können, wenn das Protokoll in Kraft getreten ist. Wir werden den Mechanismus für eine umweltverträgliche Entwicklung erst dann durchführen können, wenn das Protokoll in Kraft getreten ist. Wenn wir dieses erreicht haben, dann, glaube ich, sind wir einen Schritt weiter. Das setzt eine wirksame Kontrolle, aber auch und gerade eigene Maßnahmen voraus. Wir als Bundesrepublik Deutschland haben, wenn ich es richtig sehe, ein von allen gesellschaftlichen Kräften getragenes, anspruchsvolles Ziel formuliert - von einem kleinen Verband abgesehen -: Wir wollen unsere CO2-Emissionen bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent senken. Darüber hinaus haben wir uns innerhalb der EU verpflichtet, bis zum Jahre 2008/2012 die sechs „Kioto-Gase“ um 21 Prozent zu vermindern. Das hat eine Konsequenz, die jede und jeden von uns treffen wird: Wir werden unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten in der bestehenden Form nicht beibehalten können. Vor allem dürfen wir diese auf keinen Fall unverändert auf die Entwicklungsländer übertragen. Nur wenn wir weltweit alle Ressourcen so effizient wie möglich einsetzen, wird ein ökologisch akzeptables Wachstum gelingen. Nur dann kann der ökologische Kollaps verhindert werden. ({6}) Ich denke, wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind auf einem richtigen Weg. Minderungen ihrer CO2Emissionen können von den westlichen Industriestaaten bislang nur Deutschland, Großbritannien, die Schweiz und Luxemburg melden. Allerdings ist es auch richtig, daß die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Deshalb haben wir unmittelbar nach Regierungsantritt die Weichen für weitere Fortschritte im Klimaschutz gestellt. Wir haben mit einer Verzehnfachung der Förderung von erneuerbaren Energien angefangen. Wir sind in eine Ökologisierung des Steuersystems eingestiegen. Wir werden in der nächsten Woche deren kontinuierliche Fortschreibung beschließen. Aber wir wissen, daß auch diese Maßnahmen - für sich genommen - noch nicht ausreichen, um unsere Ziele zu erreichen. Deswegen hat der Bundeskanzler angekündigt, daß bis zum Sommer nächsten Jahres eine umfassende nationale Strategie zur Minderung der Treibhausgase vorzulegen ist. ({7}) Die Anliegen der Klimavorsorge decken sich in weiten Feldern mit den Zielen einer nachhaltigen Energiepolitik und mit der Absicht der Bundesregierung, eine Energiewende einzuleiten, die ohne die Nutzung der Kernenergie auskommt. Die Erkenntnis wächst, daß Energie zunehmend knapper wird: Nicht akzeptable Risiken, politische Verknappung, umwelt- und klimapolitische Erfordernisse sowie endliche Ressourcen markieren die Grenzen herkömmlicher Energieversorgung. Was folgt daraus? Die Energieversorgung braucht eine Effizienzrevolution. Wir brauchen völlig neue Strukturen im Energiesektor. Mich erstaunt immer wieder der Widerstand, der dieser einfachen Erkenntnis entgegengesetzt wird. Die Erkenntnisse sind da, die Technik ist vorhanden. Kurz- und mittelfristig müssen die bekannten Möglichkeiten für eine rationale und sparsame Energienutzung auf allen Ebenen der Energieversorgung möglichst weitgehend ausgeschöpft werden. Mittel- und langfristig müssen wir den erneuerbaren Energien zum Durchbruch verhelfen. Dies wird allerdings nur gelingen, wenn massive Anstrengungen die Energieträgerwende heute einleiten. In seiner Rede zur Eröffnung der Klimakonferenz hat Bundeskanzler Schröder dieses Ziel eindeutig und abschließend formuliert: „Wir wollen den Anteil erneuerbarer Energien bis 2010 verdoppeln!“ ({8}) Man kann das auch in Zahlen ausdrücken: Es geht darum, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von 5 auf 10 Prozent zu steigern und diejenigen, Primärenergieverbrauch von 2 auf 5 Prozent zu erhöhen. Schließlich muß die Übergangsphase zu einer neuen Energieversorgungsstruktur mit einer möglichst klimaund ressourcenschonenden Nutzung umweltfreundlicher fossiler Brennstoffe bewältigt werden. In Konzernen wie Shell und BP scheint diese Abwägung von langfristigen Chancen und Risiken übrigens zu ähnlichen Schlußfolgerungen geführt zu haben. Diese Konzerne, die ihren Aufstieg der möglichst ungehemmten Exploration und Vermarktung von Öl zu verdanken haben, entwickeln mittlerweile Visionen vom Einstieg in das Solarzeitalter, das in weniger als einem Menschenalter Realität werden soll. Wenn ich diese Rahmenbedingungen benenne, dann lassen Sie mich auch über die konkreten Maßnahmen sprechen. Hinsichtlich des notwendigen Maßnahmebündels muß man am Anfang eine Feststellung treffen: Es gibt nicht d e n Weg zum Klimaschutz, es gibt nicht d a s Patentrezept; es gibt nur ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die sich ergänzen und sich möglichst nicht konterkarieren sollen. Wir haben ein breites Maßnahmebündel vorgelegt. Weil diese Debatte immer wieder aufkommt, will ich an dieser Stelle eines vorweg sagen: Die Nutzung der Atomenergie ist mit dem Ziel einer nachhaltigen Energieversorgung nicht zu vereinbaren. ({9}) Wir erleben heute auf dem liberalisierten Energiemarkt, daß die Atomenergie eine auf Effizienz und Ressourcenschonung ausgerichtete Energiestrategie geradezu konterkariert - jenseits aller Diskussionen über Betriebsrisiken und nicht gelöste Entsorgungsfragen. Aber der Einstieg in eine nachhaltige Energieversorgung bedeutet für uns auch - neben der Förderung erneuerbarer Energien, neben der Förderung hocheffizienter Kraftwerke - eine Strategie der Energieeinsparung. Wie sieht die Bilanz der Bundesrepublik Deutschland beim Klimaschutz heute aus? Zwischen 1990 und 1998 nahmen die CO2-Emissionen um mehr als 13 Prozent ab. Wenn sich dieser Trend so fortentsetzt, dann wären das im Jahre 2005 15 bis 17 Prozent. Zu diesem Ergebnis haben insbesondere die Industrie mit einem Rückgang um 27 Prozent - darin steckt auch viel deutsche Einheit - und die Energiewirtschaft mit einer Minderung von 17 Prozent beigetragen. - Die deutsche Einheit habe ich nicht deswegen erwähnt, weil ich die Leistungen der Industrie schmälern will. Sie hat in ihrem Bereich durchaus etwas erreicht. - Aber die Emissionsentwicklung, die durch die privaten Haushalte und den Verkehr verursacht wird, geht in eine völlig andere Richtung und weist plus 8 bzw. plus 9 Prozent aus. Diesen Trend des Auseinanderlaufens der Entwicklungen müssen wir stoppen und umkehren. Dies wird die Schlüsselfrage sein. ({10}) Wenn das nicht gelingt, werden die Erfolge in anderen Bereichen zunichte gemacht, und unser Klimaschutzziel wird ernsthaft gefährdet. ({11}) Meine Damen und Herren, diese Fehlentwicklung Reduktion bei der Industrie, aber Anstieg beim Verkehr und bei den privaten Haushalten - ist allerdings nicht vom Himmel gefallen. Sie ist auch die Folge einer politischen Fehlentscheidung. Die von Frau Merkel 1995 geäußerte, ja sogar vom CDU-Parteitag in Karlsruhe unterstützte Forderung nach einer Ökologisierung des Steuersystems wurde bekanntlich von BDI, CSU und schließlich von Bundeskanzler Kohl gestoppt. Die starke Konzentration des Klimaschutzes auf die Selbstverpflichtung der Industrie hat wesentliche Verursacher wie den Verkehr und die privaten Haushalte ausgeblendet. Meine Damen und Herren, wo stünden wir heute, wäre damals anders, wäre damals richtig entschieden worden! ({12}) Mit Sicherheit lägen wir jetzt nicht bei den von mir genannten 15 Prozent bis 17 Prozent Reduktion, sondern hätten einen Wert erreicht, der sehr viel näher an 25 Prozent läge. Ich kann Ihnen das an Zahlen verdeutlichen: Alleine die von der jetzigen Bundesregierung eingeleitete ökologisch-soziale Steuerreform schlägt bei der CO2Reduzierung mit rund 2 Prozent, zu Buche. Wieviel stärker wäre ihre Wirkung, wenn sie fünf Jahre früher eingesetzt hätte! ({13}) In der künftigen Klimaschutzstrategie müssen wir uns also - neben dem Energiesektor - auch auf die privaten Haushalte und auf den Verkehr konzentrieren. ({14}) - RWI, das ist nicht unbedingt ein grünenfreundliches Institut. Die Potentiale sind auch heute noch groß. Selbst in Deutschland, das im internationalen Vergleich, was Energieeffizienz angeht, im oberen Feld rangiert, bestehen erhebliche Einsparpotentiale. Interessant ist, daß man hierfür keine futuristischen Techniken braucht. Rund 11 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland werden allein durch Leerlaufverluste verursacht. Das sind 20 Milliarden Kilowattstunden. Wenn diese Verschwendung nach dem Stand der Technik abgestellt würde, würden unsere CO2-Emissionen um 1,5 Prozent reduziert. Ein anderes Beispiel. Das Kraftwerk der Zukunft vereint höchste Wirkungsgrade, geringste Umweltbelastung und volkswirtschaftlich effiziente StromerzeugungskoBundesminister Jürgen Trittin sten. Moderne Gas- und Dampfkraftwerke haben Wirkungsgrade, die noch vor zwei Jahrzehnten von jedem Kraftwerkbauer für unmöglich gehalten wurden. Diese Bundesregierung sorgt dafür, daß solch moderne Technik nicht länger gegenüber Kohle und Kernenergie steuerlich benachteiligt wird. Sie sorgt für Wettbewerbsgleichheit in dieser Frage. ({15}) Ganz besonders hervorheben möchte ich die Bedeutung der Kraft-Wärme-Kopplung, gerade wegen ihres CO2-Minderungspotentials. Bestand und Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung im kommunalen und industriellen Bereich sind zur Zeit massiv gefährdet. Lösungen, wie sie teilweise vorgeschlagen werden, die sich nur auf einen kleinen Ausschnitt beziehen, reichen nicht aus, der Kraft-Wärme-Kopplung eine Perspektive zu geben. Es geht nicht um Hilfen für das eine oder andere Kraftwerk oder für die eine oder andere Kommune auch das ist wichtig. Aber es geht generell darum, daß KraftWärme-Kopplung sowohl im kommunalen wie im industriellen Umfeld eine verläßliche und auf Ausbau ausgerichtete Perspektive hat. Hierzu gibt es Vorschläge. Ich glaube, das, was wir bisher gemacht haben - Erleichterungen bei der Ökosteuer, die jüngsten Beschlüsse, nunmehr auch Anlagen bis zu 2 Megawatt steuerlich besserstellen -, ({16}) zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Auf lange Sicht muß eine endgültige Lösung gefunden werden. Wir werden uns zwischen verschiedenen Modellen, etwa zwischen Bonus und Quote, entscheiden müssen. Aber ich hoffe, daß wir sehr schnell zu einem Ergebnis kommen. Denn die Kraft-Wärme-Kopplung ist in der Klimaschutzstrategie ein zentrales Element. Allein das durch Kraft-Wärme-Kopplung erschließbare CO2-Minderungspotential wird auf 30 bis 60 Millionen Tonnen pro Jahr geschätzt. Dieses müssen wir ausschöpfen, um unser Klimaschutzziel zu erreichen. Ein weiterer Schwerpunkt des künftigen Klimaschutzprogrammes wird die Verabschiedung einer Energiesparverordnung sein, um die anerkannt hohen CO2Minderungspotentiale im Gebäudebereich so schnell wie möglich zu erschließen. Von zentraler Bedeutung für die Energiewende ist auch die Fortschreibung der ökologischen Steuerreform. Im Hinblick auf die beschäftigungsund umweltpolitischen Auswirkungen müssen wir diese Frage sehr sorgfältig untersuchen. Dringender Handlungsbedarf besteht schließlich beim Stromeinspeisungsgesetz. Hier müssen wir schon in den nächsten Wochen weiterkommen, weil der sogenannte 5-Prozent-Deckel im norddeutschen Raum sehr bald ausgeschöpft ist und damit eine Vergütung nach den gesetzlichen Regeln abgewehrt werden könnte. Es sollen künftig feste Vergütungssätze wirksam werden. Wir haben gerade in den letzten Monaten beobachten müssen, daß die durch das Strompreisdumping verursachten Investitionsunsicherheiten sowohl potentielle Investoren als auch Kreditgeber irritiert haben. Insgesamt gesehen, wollen wir, wie gesagt, den Beitrag erneuerbarer Energien - Sonne, Wind, Wasser, Biomasse, Umgebungswärme, Geothermie - in Deutschland bis zum Jahre 2010 verdoppeln. Schließlich will ich an dieser Stelle auf die Erklärung der deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge eingehen. Der jüngst vorgelegte zweite Monitoring-Bericht zeigt die Erfolge der zurückliegenden Jahre und deckt gleichzeitig vorhandene Schwächen auf. Hier müssen in den kommenden Wochen Verhandlungen mit der Wirtschaft stattfinden. Hierbei geht es um die Anpassung an die Ergebnisse von Kioto, die Fortschreibung von Zielen in den Fällen, in denen die Zielerreichungsgrade bereits hoch sind, und um das Einbeziehen weiterer Wirtschaftszweige, um produktbezogene Aktivitäten sowie um die mögliche Verknüpfung der Selbstverpflichtungserklärung mit projektbezogenen Mechanismen wie Joint Implementation und Clean Development Mechanism. Nur, wenn die Zusagen der Wirtschaft anspruchsvoll bleiben, wenn gewährleistet ist, daß bei der Selbstverpflichtung - indem sie zielgenauer gemacht wird Trittbrettfahrerei - das heißt, in einer Branche leisten einige Unternehmen viel für den Klimaschutz und andere haben die Vergünstigung davon, indem auf bestimmte ordnungsrechtliche und steuerrechtliche Maßnahmen verzichtet wird - vermieden wird, werden wir das System der Selbstverpflichtung politisch effektiver gestalten und verbessern können. Hier liegt ein Reduktionspotential von gut 2 Prozent. Hier liegt aber auch ein großes wirtschaftliches Potential. In Zeiten steigender Energiepreise wird Energieeffizienz zu einer wichtigen Quelle für Kostensenkungen und damit zu einem Standortvorteil. Abschließend will ich auf die große Bedeutung der sogenannten weichen Maßnahmen wie Information und Beratung, Aus- und Fortbildung hinweisen. Empirische Studien belegen erhebliche Informations- und Ausbildungsdefizite selbst in den Berufen, deren täglich Brot eigentlich die Technikanwendung und Energieeinsparung sein müßte. Kampagnen wie „Solar - na klar“ erlauben das Bündeln von Zuständigkeiten und Aktivitäten. Wir werden diesen erfolgreichen Ansatz im kommenden Jahr im Bereich des rationellen und sparsamen Energieeinsatzes in Haushalten und im Kleinverbrauch gemeinsam mit den betroffenen Akteuren fortführen. Deshalb sind Aktivitäten im Rahmen auch und gerade der kommunalen Agenda 21 von zentraler Bedeutung. ({17}) Ich glaube, man sollte diese Aktivitäten in keiner Weise unterschätzen. Wenn sich in Deutschland 500 Städte und Kreise - das ist nicht nur die kommunale Politik, sondern das sind alle gesellschaftlichen Kräfte, Unternehmen, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen - in solchen Prozessen zusammenfinden, wenn dabei für die jeweilige Stadt Pro-Kopf-CO2-Reduktionsziele definiert werden und wenn man sie zu erreichen versucht - beispielsweise hier in Berlin in Höhe von 25 Prozent; in Bremen versucht man, glaube ich, sogar, 30 Prozent zu schaffen -, dann zeigt dies eines: Erstens. Es gibt eine Bereitschaft der Bevölkerung, sich aktiv für den Klimaschutz zu engagieren. Zweitens. Die Lehre für uns ist: Es wird keinen Klimaschutz ohne Einbeziehung der Gesellschaft geben. Der Klimaschutz kann keine rein staatliche Veranstaltung sein. ({18}) Eines ist nirgendwo in der Umweltpolitik so wahr wie in diesem Bereich: Wir können in der Frage des Klimaschutzes die europäische und globale Dimension gar nicht stark genug betonen. Dies wird beispielsweise bei der Liberalisierung der Märkte für leitungsgebundene Energien deutlich. Unabgestimmte Aktionen können hier leicht auch kontraproduktiv enden. Was hilft uns zum Beispiel ein deutlicher Rückgang nationaler Treibhausgasemissionen, wenn der Grund für diesen Rückgang darin besteht, daß schlicht und ergreifend Produktionen in Nachbarstaaten abwandern und dort zu sehr viel schlechteren Konditionen stattfinden? Die Antwort kann nur lauten: Tue Gutes und sorge dafür, daß auch deine Nachbarn so handeln. Deswegen bin ich froh darüber, daß auf der Vertragstaatenkonferenz in Bonn gerade die Staaten der Europäischen Gemeinschaft ein großes Maß an Geschlossenheit an den Tag gelegt haben. Dies hat uns von anderen Ländergruppen wohltuend unterschieden. Wir haben - durchaus auch mit einem gewissen Vergnügen - beobachtet, daß innerhalb der Gruppe, die unter dem Namen „Umbrella“ bekannt ist, erhebliche Meinungsunterschiede über die Ratifizierung bestehen. Aber wir haben auch beobachten können, daß man sich auf ein konstruktives Ergebnis hin bewegt. Im Klimaschutz geht es oft um das, was wir auf Neudeutsch „win-win-options“ nennen. Hierzu nur ein einfaches Beispiel: Die Einführung eines Energiemanagements in Liegenschaften der Stuttgarter Stadtverwaltung hat im Ergebnis dazu geführt, daß mit dem Einsatz von 1 DM Investitionsausgaben 5 DM Energiekosten pro Jahr eingespart wurden. Auf diese Weise wird Umweltund Klimaschutz zum Selbstläufer. In diesem Zusammenhang möchte ich die Worte zitieren, die der Bundeskanzler bei der Eröffnung der 5. Vertragsstaatenkonferenz an die Vertreter von 173 Staaten richtete: Ob eine technisch spektakuläre oder bloß schrittweise Innovation: Hier - im Klimaschutz liegen die Märkte der Zukunft. Sie bieten nicht nur Chancen für den Schutz unserer Umwelt, sondern auch für den Erhalt und die Schaffung von modernen Arbeitsplätzen. Jeder, der politische Verantwortung trägt, sollte sich daher vor Augen führen: Wer beim Klimaschutz bremst oder auch nur auf der Stelle tritt, wird in nur wenigen Jahren den Anschluß an die wichtigsten Märkte des nächsten Jahrhunderts verpassen. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin spricht für die CDU/CSUFraktion die Kollegin Frau Dr. Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesumweltminister hat uns heute dargelegt, wie sich Deutschland in den Prozeß des Klimaschutzes einläßt. Er hat lobend erwähnt, daß Deutschland weiter eine Vorreiterrolle spielen wird. Er hat dies auch öffentlich erklärt. Heute hat er hier sehr wenig über die Ergebnisse der Klimakonferenz in Bonn gesagt. Davon bin ich - ehrlich gesagt - ein bißchen enttäuscht. Des weiteren hat er erklärt, daß er den nächsten Konferenzen mit verhaltenem Optimismus entgegensehe und daß die Fragen, die in Bonn zu klären waren - dies habe ich allerdings mehr seinen öffentlichen Äußerungen entnommen -, auch geklärt wurden. Ich habe mich gefragt, mit welcher Art von Kommentaren mich die Opposition bedacht hätte, wenn ich als damalige Bundesumweltministerin einen solchen Bericht wie Herr Trittin abgegeben hätte. ({0}) Da wäre mit Sicherheit an vielen Stellen von Versagen, von „dieses oder jenes nicht schaffen“, von Verheddern und vor allen Dingen von einer unglaubwürdigen Haltung der Bundesrepublik Deutschland die Rede gewesen. Ich sage ausdrücklich, daß ich das hier nicht machen will, weil ich die Dinge kenne, weil ich weiß, wie schwierig diese Verhandlungsprozesse sind. Ich hätte mir allerdings schon gewünscht, Herr Trittin, daß Sie vielleicht einmal gesagt hätten, daß die Konferenzen von Berlin und von Kioto immerhin einen Rahmen gesetzt haben, auf dem sich aufbauen läßt, auf dem sich weiter verhandeln läßt. Diese Konferenzen haben den Optimismus, den Sie jetzt haben, überhaupt erst möglich gemacht. ({1}) Auch das gehört zur Kontinuität. Ich hatte den Eindruck, daß sich der Herr Bundeskanzler in dieser Woche mehr um die Vermarktung des Transrapids kümmert als um dieses Thema oder etwa um die Fortschritte bei der Gesundheitsreform. Aber das ist bei dieser Bundesregierung eben so. ({2}) - Nun regen Sie sich doch nicht so auf! ({3}) Es ist eine Geschmacksfrage, ob man in so wichtigen Parlamentswochen ganze Wochen lang internationale Reisen macht. ({4}) Ich sage das hier ganz nüchtern. Der Bundeskanzler war zumindest froh, sich bei der Klimakonferenz in Bonn auf ein Erbe der vergangenen Bundesregierung berufen zu können, das ihn in die Lage versetzt hat, dort eine einigermaßen erträgliche Rede zu halten. ({5}) Begleitend zu dem, was jetzt bis zur Konferenz in Den Haag ansteht - denn dort kommt es ja an vielen Stellen zum Schwur und zu der Frage, ob das Protokoll im Jahre 2002 wirklich ratifiziert werden kann -, möchte ich nur folgende Hinweise geben. Ich glaube, daß es seitens der Europäischen Union und vor allem seitens der Bundesrepublik Deutschland, die hier Motor sein muß, ganz wichtig ist, Vorarbeiten mit ausreichender Kraftanstrengung zu leisten, und zwar in verschiedenen Richtungen. Das gilt einmal im Verhältnis zu den Entwicklungsländern. Es hat sich immer bewährt, wenn Deutschland und die Europäische Union im Verhältnis zu den Entwicklungsländern ein gutes Klima aufgebaut haben. Es gilt zweitens für die strategisch ja nicht uninteressante Frage - Herr Trittin hat soeben von den Umbrella-Ländern gesprochen; da sind ja sehr verschiedene Länder vereinigt -, wie man sich zu den USA und zu Rußland in der Frage der Klimastrategie einläßt. Denn davon wird abhängen, ob das Protokoll ratifiziert werden kann. Ich kann nur sagen: Machen Sie als Bundesregierung eine Gesamtanstrengung! Lassen Sie auch den Bundesaußenminister, den Bundeskanzler und die Entwicklungshilfeministerin in einer gemeinsamen Anstrengung hierfür arbeiten. Ich muß Ihnen aber ganz ehrlich sagen: Das habe ich im letzten Jahr an vielen Stellen vermißt. ({6}) Die Einschnitte, die Sie im Entwicklungshilfeetat vornehmen, werden der Glaubwürdigkeit Deutschlands gerade bei der Armutsbekämpfung und bei den Umweltprogrammen, die ja zu einem großen Teil im Entwicklungshilfeetat stattfinden, absolut schaden. ({7}) Wenn Sie heute behaupten - diese Bemerkung hätte ich mir verkniffen -, daß die Mittel in den Entwicklungshilfeprojekten nicht effizient eingesetzt worden seien und deshalb jetzt gestrichen werden müßten, dann erklären Sie das bitte den Entwicklungshilfeorganisationen und sagen Sie das nicht nur hier im Parlament. ({8}) Man kann ja manches über die Notwendigkeit einer soliden Finanzpolitik sagen. Ob man das aber nun sozusagen am Entwicklungshilfehaushalt austoben muß, das ist nicht nur meine Frage, sondern auch meine Kritik. Ich hätte es nicht getan. Aber daß Sie sich jetzt, wenn es so kommt, auch noch hier hinsetzen und sagen, das sei alles nur deshalb so, weil die Projekte nicht effizient seien, das würde ich außerhalb dieses Parlaments lieber nicht wiederholen. ({9}) Das Verhältnis zu Rußland ist wichtig, das Verhältnis zu den Entwicklungsländern ist wichtig, und zunehmend wichtig werden wird eine Verzahnung der gesamten internationalen Politik, wie es die Agenda 21 vorgeschrieben hat. Ich bin sehr froh, daß Deutschland insbesondere bei den Verhandlungen einer Organisation, die ich in den nächsten Jahren für strategisch absolut wichtig halte, nämlich bei den Verhandlungen in der Welthandelsorganisation, weiter darauf drängt, wie auch wir es getan haben, Umweltstandards und Sozialstandards in die Fragen des freien Handels mit hineinzunehmen. Das ist von absoluter Bedeutung. ({10}) - Herr Rexrodt hat das genauso getan, wie es jetzt gemacht wird, und wenn Herr Müller das weiterhin so schön macht, kommen wir auch voran. Das ist nämlich eine extrem schwierige Frage. Wir müssen verhindern, daß der Rio-Prozeß und der Prozeß der Entwicklung der Welthandelsorganisation weiter auseinandergehen oder daß es eine Inkompatibilität der Umweltabkommen im Bereich der UNO und der Welthandelsabkommen gibt. Das ist ein schwieriges, aber strategisch existentielles Feld für die Weiterentwicklung einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft. Meine Damen und Herren, nun stellt sich die Frage: Wie wollen wir das national umsetzen? Da muß ich der Bundesregierung schon einige Vorwürfe machen. Herr Trittin, wenn Sie im vergangenen Jahr mehr über die Notwendigkeit der Bekämpfung internationaler Klimarisiken und weniger über die Abschaltung von ein oder zwei Kernkraftwerken in diesem Land - darüber reden Sie immer mit viel Wärme, Liebe und Vehemenz - gesprochen hätten, dann wäre dem Klimaschutz insgesamt mehr gedient gewesen. ({11}) Ich glaube, daß eines der großen Probleme dieser Bundesregierung - das zeigt sich auch im Bereich der Umweltpolitik - darin besteht, daß sie die unwichtigsten Dinge falsch und hektisch zuerst gemacht hat und sich die wichtigsten für das Ende der Legislaturperiode aufhebt. ({12}) Das trifft für die 630-Mark-Jobs und die Scheinselbständigkeit ebenso zu wie für die Umweltpolitik. Der Bundeskanzler hat gesagt, wer irgendwo aussteigt, muß auch wissen, wo er einsteigt. Sie machen es aber genau umgekehrt: Sie reden über den Ausstieg der soll möglichst am Ende dieses Jahres geklärt sein -, um Mitte des nächsten Jahres zu sehen, wie Sie Ihre Energieeinsparungen in einem Maßnahmebündel wirklich weiter voranbringen können. Sie - und nicht wir - haben den Wahlkampf mit dem Slogan geführt: Wir sind bereit. Wenn Sie uns jetzt im Sommer 2000 endlich sagen wollen, wie Sie Ihre Klimaschutzstrategien weiterentwickeln wollen, dann ist das, so finde ich, eine tolle Sache. Dann ist nämlich die Hälfte der Legislaturperiode vorbei. Das muß man erst einmal festhalten. ({13}) Deshalb sage ich: Ein Viertel der Zeit ist bereits vergangen, und Sie haben keine Energieeinsparverordnung vorgelegt, obwohl man bei Ihnen, Herr Müller - ich erinnere mich genau -, immer den Eindruck hatte, das gehe im Handumdrehen. Sie haben wahrscheinlich fünf Entwürfe in der Tasche. Ich weiß nur nicht, ob die bei Herrn Mosdorf oder Herrn Müller auf soviel Begeisterung stoßen werden, wie das damals bei den Anträgen der Opposition war. ({14}) Es fehlen einfach die richtigen Instrumente. Heute ist die Ökosteuer genannt worden. Wenn ich die Haushaltsansätze richtig im Kopf habe, dann verspricht man sich bis zum Jahre 2005 an Lenkungswirkung von dieser Ökosteuer vergleichsweise wenig bis gar nichts; denn die Einnahmen sind beim Bundesfinanzminister als relativ konstant verbucht. Das heißt, sollte die Ökosteuer irgend etwas mit der Masse der CO2-Ausstöße zu tun haben, dann kann an den Einnahmen des Bundesfinanzministers nicht ersehen werden, daß mit einer Verringerung der CO2-Ausstöße zu rechnen ist. Darüber müßten wir uns unter rein mathematischen Gesichtspunkten einig sein. ({15}) In Deutschland spitzt sich nun die Diskussion - auch die in Ihrer Koalition - spannenderweise auf die Frage zu: Wie kann man bei der mit keiner Lenkungswirkung versehenen Ökosteuer wenigstens schädliche Prozesse durch Ausnahmen wieder abfangen? Daß Sie darüber tagelang verhandelt haben, ist eine ganz neue Qualität von Verhandlungen. Sie müssen jetzt sehen, daß das, was falsch war, durch Herausnahme bestimmter Punkte wieder weniger falsch wird. Das ist vielleicht für die Insider spannend, aber ich kann nur sagen: Das sollte eigentlich nicht die Begleitmusik zu einer Ökosteuer sein. Ich weiß nicht, ob Sie es sich so gedacht haben; ich hätte mir das nicht so gedacht. Das alles ist natürlich nur Ausdruck der Tatsache, daß Sie jetzt von dem, was Sie selber in Ihre Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben haben, nämlich daß die nächsten Stufen der Ökosteuer nur in einem europäischen Prozeß umgesetzt werden können - Herr Trittin hat heute warmherzige Worte dafür gefunden, daß es keinen Sinn macht, wenn bestimmte CO2-ausstoßende Projekte ins Ausland abwandern -, völlig überstürzt abgewichen sind, um alles national zu regeln. Das ist das Produkt, und nun müssen Sie sich tagelang damit herumstreiten, ob 57 Prozent oder 58 Prozent Wirkungsgrad die Bedingung dafür ist, daß man eine Ausnahme bei den Gaskraftwerken moderner Bauart festlegen kann. Vielleicht ist das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen, sich bei 57,5 Prozent zu treffen, ein guter Hinweis darauf, wie man in Zukunft internationale Verhandlungen führen kann. Das scheint mir ein Höchstmaß an Diplomatie zu sein. Ich hoffe, es hat auch etwas mit den technischen Gegebenheiten zu tun. Herzlichen Glückwunsch, daß Sie diese Ausnahmeregelung hinbekommen haben! Meine Damen und Herren, wir sind froh - ich sage das ausdrücklich -, daß das von uns festgelegte Ziel, die Verdoppelung der regenerativen Energien bis zum Jahr 2010 zu erreichen, auch bei Ihnen im Programm steht. Ich bin besonders froh, daß Sie inzwischen sagen können, daß das Stromeinspeisungsgesetz dazu ein ganz wesentliches Instrument ist. Es liegt in der Natur der Sache, daß es weiterentwickelt werden muß. Wir sind gerne bereit, bei dieser Weiterentwicklung in sinnvoller Art und Weise mitzudiskutieren und mitzumachen. Ich bin erstaunt, mit welcher Warmherzigkeit Sie heute über Maßnahmebündel, die notwendig sind, um die CO2-Emissionen in Deutschland zu senken, sprechen können. Ich freue mich, daß Sie eingesehen haben - Frau Hustedt hat dafür ziemlich lange gebraucht und war, zumindest in der vergangenen Legislaturperiode, dazu nicht in der Lage -, ({16}) daß es nötig ist, ein gutes Wort für die Selbstverpflichtungen der deutschen Wirtschaft einzulegen und diese als ein mögliches Instrument darzustellen. Auch an diesem Punkt des Prozesses werden wir Sie gern vernünftig weiter beraten. Ich freue mich, daß Sie inzwischen bessere Worte über die Erfolge der deutschen Einheit finden und auch hier den Anteil der Wirtschaft in hervorragender Weise loben können. ({17}) Auch das ist ein Erkenntniszugewinn Ihrerseits. Ich würde mir noch wünschen, daß Sie auch darüber sprechen, welche zähen und harten Verhandlungen wir mit der deutschen Automobilindustrie zur Reduktion von Kraftstoff geführt haben. ({18}) Ich weiß nicht, ob das unter einem Bundeskanzler Schröder genauso funktionieren würde, wie es unter Bundeskanzler Kohl funktioniert hat. Denn Schröder als Autofreund hätte hier wahrscheinlich eine Menge Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, ob Sie uns nächstes Jahr erzählen werden, wie schön es wäre, wenn ein Land wie China den Transrapid kaufen würde, da das ein umweltverträgliches Verkehrsmittel sei. Dieser Erkenntniszugewinn muß noch stattfinden. Wir freuen uns alle sehr, daß China Interesse am Transrapid hat. Wir würden uns noch mehr freuen, wenn Sie sich dafür einsetzen würden, daß in Deutschland endlich eine anständige Referenzstrecke gebaut wird. ({19}) Ich glaube im übrigen auch, daß es von ausschlaggebender Bedeutung ist, daß wir im privaten Bereich eine weitere Reduktion der CO2-Emissionen hinbekommen. Ich will darauf hinweisen, daß wir, was Wärmedämmungsmaßnahmen im Altbaubestand und die Installierung neuer Heizungsanlagen anbelangt, ganz effiziente Dinge gemacht haben, die jetzt in der Kreditanstalt für Wiederaufbau fortgeführt werden müssen. All dies hat eine viel schnellere und bessere Lenkungswirkung als jede Art von Ökosteuer, wie Sie sie jetzt eingeführt haben. ({20}) Es ist in der Tat wichtig, daß wir es schaffen, in unserer Gesellschaft ein Klima herzustellen, in dem die Menschen verstehen, welches die prioritären Projekte und Ansätze sind. Ich denke, daß wir eine schwierige Situation bezüglich der Wichtigkeit und des Stellenwertes der Umweltpolitik haben, und zwar auf Grund der Tatsache, daß die Menschen spüren, daß die gesamte soziale Marktwirtschaft in einer Umbruchphase ist, und daß sie denken, daß die augenblicklichen Bedrängungen und Bedrohungen durch die Umweltschäden nicht so gravierend sind, daß schon jetzt die Bedeutung erkannt würde, die sie langfristig haben werden. Sie haben uns das zu Beginn der Debatte an Hand der Wirbelstürme dargestellt. Aber gerade deshalb käme es wirklich darauf an, daß wir uns in einem breiten Konsens auf die wirklichen Probleme konzentrieren, statt immer wieder Schattenkämpfe darüber zu führen, ob nun zuerst Stade oder ein anderes Kraftwerk abgeschaltet wird. Ich glaube, was Sie in der Kernenergiepolitik sozusagen als Trophäe eines Restbestandes von ideologisierter Umweltpolitik in diesem ersten Regierungsjahr präsentiert haben, hat in der Umweltpolitik soviel Schaden angerichtet, wie Sie lange nicht wieder werden gutmachen können, wenn Sie noch mehr solche Reden halten wie heute. ({21}) Deshalb kann ich nur sagen: Verstärken Sie Ihre Anstrengungen, mit den Menschen in diesem Lande über lokale Agenden 21 zu sprechen. Verstärken Sie Ihre Anstrengungen, mit den Menschen darüber zu sprechen, was nachhaltige Entwicklung meint. Verstärken Sie Ihre Anstrengungen, mit den Menschen darüber zu reden, wie soziale und ökologische Anliegen mit der Wirtschaft gemeinsam durchgesetzt werden können. Das ist die einzige Möglichkeit, die Menschen davon zu überzeugen, daß Umwelt auch in Zukunft eine große Rolle spielt. Ich sage Ihnen nochmals: Auch dies muß man an bestimmten Taten sehen. Deshalb muß ich kritisieren, daß alles, was Sie im Entwicklungshilfebereich machen, in Deutschland eher populistisch anmutet - weil die Leute sagen: Na klar, wir haben soviel Probleme, daß wir uns um den Rest der Welt nicht zu kümmern brauchen -, als daß es ein Signal in die richtige Richtung wäre. Da müssen Sie, besonders der Umweltminister, aufstehen und dem Bundeskanzler klar Ihre Meinung sagen, der im Moment ja sowieso auf dem Trip ist, nicht mehr zu sagen: „mehr Fischer und weniger Trittin“, sondern: „mehr Trittin und weniger Fischer“. Insofern sind die Chancen des Umweltministers gestiegen. ({22}) Also: Mund auf und ein klares Bekenntnis zu einer internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik, die mit der Wirtschaftspolitik verzahnt sein muß! Dieses gemeinsame Konzept habe ich bei der Bundesregierung im ersten Jahr vermißt. Vielleicht wird es besser. Wir werden dafür kämpfen. ({23})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Dr. Uschi Eid.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Merkel, Ihre Argumentation im Hinblick auf die Kürzungen des Entwicklungsetats halte ich für - vornehm ausgedrückt - nicht ganz redlich und hake sie unter Parteipolemik ab. ({0}) Die alte Regierung hat den Entwicklungsetat wie einen Steinbruch benutzt, um andere Bereiche zu finanzieren. Während Sie die öffentlichen Ausgaben in anderen Bereichen erhöht haben, wurden die Ausgaben im Entwicklungsetat reduziert. Sie haben ihn von 1982 an als Steinbruch benutzt, als noch 0,48 Prozent des Bruttosozialproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben wurden. Dies wurde bis zum Jahre 1998 auf 0,26 Prozent reduziert. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis: Die neue Bundesregierung arbeitet daran, den Anteil der klimafreundlichen Maßnahmen im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit weiter zu erhöhen. Bereits in diesem Jahr haben wir im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit allein bei den erneuerbaren Energien ein Zusagevolumen von 200 Millionen DM vorgesehen. Das sind 25 Prozent mehr als in den vergangenen Jahren. Beim Tropenwaldschutz werden wir mit fast 250 Millionen DM das hohe Niveau der Vorjahre halten. Bitte nehmen Sie dies zur Kenntnis, und behaupten Sie nicht das Gegenteil. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Erwiderung Frau Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich weiß nicht, was Sie dazu treibt, die wirklich beschämenden Zahlen im Entwicklungshilfebereich immer wieder schönzureden. Ich bin verwundert. Wenn Sie damit Erfolg haben, herzlichen Glückwunsch! Außerhalb dieses Hauses überzeugt es niemanden und innerhalb dieses Hauses wahrscheinlich die allerwenigsten. Daß der Anteil der Entwicklungshilfeausgaben gesunken ist, hat - auch das müssen Sie zugeben - etwas damit zu tun, daß die deutsche Einheit stattgefunden, sich die Weltlage verändert hat und die Bundesrepublik Deutschland neben den klassischen Entwicklungshilfeaufgaben - auch das weiß man in Ihrem Hause sehr gut - in Mittel- und Osteuropa sehr viel geleistet hat, was einem ähnlichen Zweck dient, nämlich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft Probleme zu lösen. Wenn wir diese Ausgaben und die Entwicklungshilfeausgaben addieren, dann erkennen Sie, wie die Ausgabenentwicklung wirklich war. ({0}) Ferner sollten Sie einmal den Prozentsatz der Entwicklungshilfeausgaben im Jahre 2003 im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung von Herrn Eichel ausrechnen. Dann werden Sie, selbst wenn Sie die für Rußland und Osteuropa vorgesehenen Mittel hinzuaddieren, auf klägliche Zahlen kommen. Ich bleibe dabei - ich muß das hier wiederholen -: Wenn Sie für die Armutsbekämpfung 35 Prozent weniger und im Bereich der Umweltprojekte 25 Prozent weniger ausgeben, dann ist das ein Signal in die falsche Richtung. Ihre Ministerin weiß das im übrigen ganz genau. Die ist nämlich weniger stolz als Sie auf diese Haushaltsentwicklung. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort in der Aussprache hat nunmehr der Kollege Michael Müller, SPD-Fraktion.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 12. und 13. Legislaturperiode hat die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ eine sehr gute Arbeit geleistet. Damit haben wir international viel Anerkennung gefunden. Wir haben im Bundestag Vorgaben gemacht, die sich sehen lassen können. Wir werden mit diesen Vorgaben der Anforderung an ein Industrieland gerecht, globale Verantwortung und Zukunftsverantwortung zu übernehmen. Das muß unser Maßstab sein. An diesem Maßstab werden wir unsere Politik orientieren; so schwierig das im einzelnen auch ist. ({0}) Es ist uns klar: Das Thema Klimaschutz ist eine Menschheitsherausforderung. Wir wissen, daß wir die Klimaprobleme nur global lösen können. Wir wissen aber auch, daß dies ohne nationale Vorreiterrollen auf globaler Ebene nicht möglich sein wird. Der Zusammenhang, um den es hier geht, ist, daß diejenigen Länder, die industriell stärker sind, vorangehen müssen, zum einen, weil sie mehr technische und finanzielle Möglichkeiten haben, zum anderen aber auch deshalb, weil sie die Hauptverursacher der heutigen Problemlage sind. Das heißt, wir haben eine doppelte Verantwortung, zum einen auf Grund unserer Altlasten und zum anderen, weil es nur wenige Länder gibt, die eine Vorreiterrolle einnehmen können. Daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung für uns, der wir uns auch stellen. Meine Damen und Herren, angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre kann man den Aussagen von Bob Watson, dem Generaldirektor beim IPCC, nur zustimmen: Die Trends haben sich verstärkt, es gibt keinen Grund zur Entwarnung vor drohenden Klimaveränderungen. Im Gegenteil - das hat auch Professor Hasselmann vom Max-Planck-Institut in Hamburg gesagt -: Heute liegt die Wahrscheinlichkeit schwerwiegender Klimaänderungen bei 95 Prozent. Mit anderen Worten: Wir müssen jetzt handeln, weil wir nur so unserer Verantwortung gerecht werden können. ({1}) Eine zweite Bemerkung: Aus meiner Sicht haben wir nur die Wahl, sofort zu handeln. Je länger wir nämlich warten, desto einschneidender, gravierender und problematischer werden die Einschnitte sein müsse. Dann wird es sich nicht mehr „nur“ um ein ökologisches und ökonomisches Problem handeln, sondern es wird auch zu einem Problem für die Akzeptanz der Demokratie und für ein friedliches Zusammenleben. ({2}) Wir müssen deshalb heute handeln, um dem Grundsatz, daß Zukunftsvorsorge Bestandteil verantwortungsvoller Politik sein muß, gerecht zu werden. Ich möchte vier Fakten nennen, die mir große Sorgen machen: Erster Punkt: In der Klimaforschung wird ein globaler Temperaturanstieg von 1,5 Grad als eben noch verkraftbare Obergrenze genannt. ({3}) Im Augenblick haben wir die Situation, daß wir in wenigen Jahrzehnten deutlich über diesen 1,5 Grad liegen könnten. Die Situation ist sehr alarmierend. Ein zweiter Punkt verschärft diese Problematik noch, denn Klimaänderungen haben einen zeitlichen Vorlauf von vier bis fünf Jahrzehnten. Mit anderen Worten: Die Emissionen der letzten Jahre, die zu Veränderungen im Klimasystem der Erde führen, haben sich in dem jetzt festgestellten Temperaturanstieg noch gar nicht niedergeschlagen. Ein Teil der Erwärmung ist damit gar nicht mehr zu korrigieren, sondern kann höchstens noch verlangsamt werden. Das ist der zweite wesentliche Grund für die Notwendigkeit, schnell zu handeln. Der dritte Punkt ist, daß man die Klimaprobleme vor dem Hintergrund einer Welt mit ungleichem Entwicklungsstand und hohem Bevölkerungswachstum sehen muß. Die Industriestaaten, deren Anteil an der Weltbevölkerung nur 23 Prozent beträgt, sind für ungefähr drei Viertel der globalen Umweltprobleme verantwortlich. Damit die von den Entwicklungsländern nachzuholende Industrialisierung umweltverträglich verläuft, müssen erstens die Industriestaaten ihre Emissionen drastisch reduzieren, und zweitens müssen den Entwicklungs- und Schwellenländern technische und ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden, die im Einklang mit der Natur stehen. Sonst haben alle keine Chance, dieser sich in Zukunft zuspitzenden Probleme Herr zu werden. ({4}) Ein vierter Faktor ist auch wesentlich: Es herrscht ein hohes Maß an Unwissenheit über die mit den Klimaänderungen zusammenhängenden Wirkungen. Wir wissen nicht, ob es beispielsweise Kumulationspunkte gibt, bei denen sich die Klimaänderungen rapide zuspitzen. Ein solches Phänomen hatten wir beim Ozonabbau. Hier hatte sich das Problem von einem Jahr auf das andere exponentiell vergrößert. Diese Entwicklung kann auch im Klimabereich eintreten. Wir haben beispielsweise nur ein begrenztes Wissen davon, welche Wechselbeziehungen es zwischen globaler Veränderung und Erwärmung der Meeresschichten gibt und ob der hochwirksame Wasserdampf die Erwärmungen massiv verstärkt. Von daher muß Vorsorge getroffen werden. Diese vier Punkte machen es notwendig, heute konsequent zu handeln, gerade in den Industriestaaten. Hans-Peter Dürr drückt das so aus, daß die Industriezivilisation ihren Naturtresor knackt. Er macht das an Hand von sogenannten Energiesklaven deutlich: Ein Mitteleuropäer nutzt durch seine Lebens- und Wirtschaftsweise heute faktisch 60 Energiesklaven für sich, ein Amerikaner 110, ein Chinese 8, ein Bewohner von Bangladesch nicht einmal 1. Die globale Tragfähigkeit der Erde liegt bei etwa 100 Milliarden Energiesklaven. Wenn wir den Lebens- und Wirtschaftsstil der Vereinigten Staaten zum Maßstab nehmen würden, lägen wir heute schon deutlich über der Tragfähigkeit der Erde. Ich will auf die Konsequenzen aufmerksam machen: Es ist, Frau Merkel, schlicht eine Illusion zu glauben - so wichtig das im einzelnen ist -, daß man die Klimaprobleme allein durch Ökonomie, Technik und Wachstum lösen könnte. Im Gegenteil, wir stehen vor Herausforderungen, die sehr viel tiefer greifen. Diesen Punkt, so scheint mir, haben Sie bis heute nicht begriffen. Es geht nicht um die Alternative Atomenergie oder andere Energieträger. Es geht vielmehr um die radikale Weichenstellung zugunsten von Einsparung und drastischer Reduktion der Energie- und Ressourcenflüsse. Das ist die eigentliche Herausforderung. ({5}) Es geht also nicht um ein Austauschprogramm, sondern um ein Reduktionsprogramm. Und das ist eine sehr viel weitergehende Herausforderung. Wir sollten uns nichts vormachen und glauben, wir könnten alle Probleme mit der Wunderwaffe Technik lösen. So wichtig Technik auch ist - das ist gar keine Frage -, ist Technik immer nur ein Instrument, welches daran gemessen werden muß, ob und wie man damit die Ziele erreichen kann. ({6}) Die SPD begrüßt die Aktivitäten des Bundesumweltministers; sie begrüßt auch die Ankündigung des Bundeskanzlers, das Kioto-Abkommen schnell zu ratifizieren. Wir werden als Koalitionsfraktionen alles tun, um dieses Ziel zu unterstützen und zu fördern. Wir unterstützen auch, Herr Umweltminister, Ihre Aussagen zu den flexiblen Maßnahmen. Für uns ist völlig klar: Es darf kein Herausmauscheln aus den nationalen Verpflichtungen und kein Wegdrücken der eigenen Verantwortung geben. Das Schönrechnen einiger Länder werden wir nicht mitmachen. Jeder, vor allem die Industrieländer, muß seine Pflicht erfüllen, um den globalen Zielen zu entsprechen. ({7}) Wir sehen in der Klimafrage nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine große Chance, den Modernisierungsprozeß in unserem Land, in Europa und im Sinne einer Eine-Welt-Politik voranzutreiben. Das letzte Ziel kommt mir ein wenig zu kurz. Klimaschutzpolitik ist nicht nur nationale Modernisierungsstrategie und nicht nur nationales Handeln, sondern auch eine gewaltige Chance für eine Eine-Welt-Politik. Wir befinden uns durch die Informationstechnologie in einer Situation, in der Maßnahmen hinsichtlich der Verantwortungsethik und Verantwortungskultur zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern, von denen wir immer reden, praktisch umgesetzt werden können. Darin liegt eine Chance für eine neue Weltinnenpolitik, die wir nutzen wollen. National will ich einige Anmerkungen machen. Wir haben im Moment eine bundesdeutsche CO2Reduktion von etwa 12 bis 13 Prozent. Wir wissen, daß dieser erste Reduktionsschritt unter sehr günstigen Voraussetzungen stattfand. Die Reduktion auf minus 25 Prozent wird sehr viel schwieriger werden, weil dazu eine aktive Energiepolitik erforderlich ist. Diesen Prozeß allein den Märkten zu überlassen wird nicht funktionieren. Man muß herausstellen: Klimaschutz erfordert eine aktive Energiepolitik. ({8}) Wenn wir den Trend beobachten, werden wir feststellen, daß wir zwar den heutigen Anteil auf vielleicht minus 17 Prozent erhöhen können. Wir werden aber die Reduktion um 25 Prozent so nicht erreichen. Deshalb will ich ein paar Punkte nennen, die unverzichtbar sind. Erster Punkt. Bei der Sicherung der Kraft-WärmeKopplung kann es nicht nur darum gehen, den heutigen Michael Müller ({9}) Anteil zu sichern. Wir müssen ihn, um das Klimaschutzziel zu erreichen, in den nächsten 10 Jahren verdoppeln. ({10}) In der aktuellen Diskussion über Kraft-WärmeKopplung geht es uns nicht nur darum, die Schwierigkeiten für einzelne KWK-Anlagen zu beseitigen. Das ist nur ein Teil der Strategie. Es geht uns sehr viel mehr darum, der Kraft-Wärme-Kopplung eine Zukunfts- und Ausbauperspektive zu eröffnen. ({11}) Zweiter Punkt. Das Wachstum der Energieeffizienz liegt in der Bundesrepublik bei nur 1,7 Prozent. Vor dem Hintergrund des Einsparpotentials und der technologischen Möglichkeiten kann die Energieeffizienz deutlich gesteigert werden. Wir halten es für möglich, sie auf über 3 Prozent zu steigern. Diese Steigerung der Energieeffizienz wäre ein wesentlicher Beitrag, um die Energieströme zu reduzieren und um Klimaschutz und Atomausstieg miteinander zu verbinden. Diese Steigerung der Energieeffizienz ist nur zu erreichen, wenn wir heute in der Energiepolitik von den großstrukturellen Angeboten der reinen Stromverkäufer zu mehr ökologischen Dienstleistungen auf der Nachfrageseite kommen. Wir müssen uns also auf die Strategie zu Vermeidung von Energieverbrauch konzentrieren. ({12}) Dritter Punkt. Wir wollen den Anteil der regenerativen Energien deutlich erhöhen. Es ist ein schwaches Bild für ein Industrieland wie die Bundesrepublik, wenn in unserem Land der Anteil der regenerativen Energien an der Endenergie bei nur 2,3 Prozent liegt. Dieser Anteil muß und kann deutlich gesteigert werden. Dazu haben wir erste Schritte unternommen. Vierter Punkt: ökologische Steuerreform. Ich hätte es gut gefunden, Frau Merkel, wenn Sie gesagt hätten, daß die internationalen Wirtschaftsinstitute auf den Klimakonferenzen die Bundesrepublik wegen ihrer ökologischen Steuerreform zwar nicht im Detail, aber im Grundsatz loben. Sie sagen zu Recht, daß es sich dabei um einen wichtigen Beitrag für eine internationale Klimaschutzpolitik handelt. ({13}) Warum haben Sie das nicht erwähnt? Warum sind Sie in Ihren Aussagen so selektiv? Ich höre mit einer Bitte an die Bundesregierung auf: Klimaschutzpolitik ist nicht nur globale Verantwortung, ist nicht nur Ökologie. Sie ist auch eine Chance für Innovation und mehr Beschäftigung. Lassen Sie uns den Klimaschutz zu einem wichtigen Teil im Bündnis für Arbeit und Umwelt machen! Vielen Dank. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P. spricht die Kollegin Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst einmal an Sie wenden, Herr Bundesumweltminister. Die 5. Vertragsstaatenkonferenz in Bonn tagt ja noch. Die Ergebnisse stehen formal noch nicht fest. Einen solchen Vorgang habe ich bisher nicht erlebt: Wenn man sich über die Ergebnisse einer Vertragsstaatenkonferenz und die zukünftigen Perspektiven unterhalten will, dann kann man nicht an deren letzten Tag eine Debatte darüber im Plenum des Deutschen Bundestages ansetzen. ({0}) Daß der Termin verfrüht ist, zeigt sich auch an dem, was Sie hier gesagt haben. Sie sind überhaupt nicht auf das eingegangen, was dort stattgefunden hat. Dasselbe gilt für den Antrag der Koalition: Dort wird in epischer Länge noch einmal all das dargestellt, was wir über den globalen Klimawandel sowieso schon wissen. Aber darüber, wie es international weitergehen könnte, steht kein Wort. Das ist auch nicht möglich, weil Sie viel zu früh dran sind. Ich halte das für einen Affront gegenüber all denen, die ernsthaft an Klimaschutz interessiert sind. ({1}) Offensichtlich haben Sie besser als wir gewußt, daß im Vorfeld nichts getan wurde und man deswegen auch nichts erwarten konnte. Insofern - das habe ich aus Ihrer Rede gerade eben gelernt - konnte man die Debatte vielleicht doch auf heute morgen ansetzen. Auf der Konferenz haben Sie noch am 2. November verkündet - ich zitiere -: Als Ergebnis der 5. Vertragsstaatenkonferenz müssen Verhandlungstexte für die Kioto-Mechanismen und das System zur Erfolgskontrolle vorliegen. Alles andere wäre einfach zu wenig. Zwei Tage später schon haben Sie einräumen müssen, daß man bei dem eigentlichen Konferenzthema, dem Handel mit Emissionsrechten, nicht weitergekommen sei und es daher Aufgabe der 6. Vertragsstaatenkonferenz in Den Haag im Jahre 2000 bleibe, das zu erreichen. Lassen Sie uns einfach einmal feststellen: In der Diskussion über die flexiblen Instrumente zum Erreichen der Treibhausgasminderung in den Industrieländern ist es zu keiner Lösung gekommen, nicht einmal zu einer Annäherung. Beim Handel mit Emissionsrechten ist man keinen Schritt weitergekommen. Die Anrechenbarkeit von Senken ist hoch streitig geblieben. Der Prozeß der Anrechenbarkeit von CO2-reduzierenden Maßnahmen ist im übrigen dadurch, daß Sie, Herr Minister Trittin, zum Michael Müller ({2}) erstenmal in diesem Zusammenhang die Kernenergie thematisiert haben, auch nicht einfacher geworden. ({3}) An der Meßlatte, die Sie aufgelegt haben, werden auch wir das Ergebnis messen. Ich kann Ihnen nur sagen: Was endgültig herauszukommen droht, ist zu wenig. Vor diesem Hintergrund wundert es mich, daß Sie sich zuversichtlich darüber zeigen können, daß das Kioto-Protokoll bis zum Jahr 2002 in Kraft treten kann. Ich würde das zwar sehr begrüßen und wünsche mir das auch - die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird auch daran arbeiten, daß wir so weit kommen -, allein mir fehlt der Glaube. Denn angesichts der Vorgänge auf der Vertragsstaatenkonferenz, die ich gerade geschildert habe, muß man sagen: Die Ratifizierung des Kioto-Protokolls hing für die allermeisten Vertragsstaaten im wesentlichen von der Ausgestaltung der flexiblen Instrumente ab. Genau in diesem Bereich ist es zu keiner Einigung gekommen; das wurde auf die nächste Vertragsstaatenkonferenz verschoben. ({4}) Deswegen weiß ich nicht, woher Sie Ihre Zuversicht nehmen. Die früheren Konferenzen waren deswegen so bedeutend für den Klimaschutzprozeß - der ja auch zwischen den Konferenzen abläuft -, weil durch das sogenannte High-level-Segment oft noch etwas in Bewegung gebracht wurde. Diesmal war das anders. Das zeigt, daß es einen ungeheuren Einsatz braucht, wenn internationale Überzeugungsarbeit geleistet werden soll. Das, Herr Trittin, haben Sie sträflich vernachlässigt. Das sollten Sie sich merken, wenn Ihnen am Klimaschutz wirklich etwas liegt. ({5}) Es ist offensichtlich, daß Sie beim Klimaschutz nicht genug getan haben. Die Verbände bestätigen dies zu diesem Thema der Regierungskoalition. Die Vorsitzende des BUND sagt, Klimaschutz habe in der Politik der Koalition keinen hohen Stellenwert. Aber auch Außenminister Fischer muß sich den Schuh anziehen, international nicht genug für den Klimaschutz getan zu haben. Sein Vorgänger, Herr Dr. Kinkel, hat die Umweltpolitik stets mit seinen Kontakten und Möglichkeiten unterstützt. ({6}) Er hat die Außenpolitik als eine Querschnittsaufgabe begriffen. Deswegen hat er sich entsprechend eingesetzt. Wir fordern von Ihnen, daß Sie sich genauso einsetzen. Internationale Umweltpolitik und ganz besonders Klimaschutz ist eine Hausaufgabe für die gesamte Bundesregierung. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, Modelle für die flexiblen Instrumente zu entwickeln und auch europäisch anzustoßen, um bis zum Beginn der internationalen Verpflichtungen im Jahre 2008 handelbare Emissionsrechte wirklich einzuführen und nicht nur darüber zu reden. ({7}) Vor dem Hintergrund solcher Modelle bin ich überzeugt, daß sich bei der nächsten Konferenz auf einer ganz anderen Grundlage handfest über die Instrumente diskutieren und der überfällige Einigungsprozeß entsprechend vorantreiben ließe. Bundeskanzler Schröder hat hierzu eine Rede gehalten; Herr Trittin hat es vorhin schon zitiert. Er hat auf der Klimakonferenz gesagt: Wer in der Klimadebatte glaubwürdig bleiben will, muß der Welt zeigen, daß er tatsächlich große Anstrengungen unternimmt. Er muß zu Hause das umsetzen, was er auf der internationalen Bühne versprochen hat. Herr Schröder, wir nehmen Sie beim Wort. Das heißt zunächst einmal, daß die Bundesregierung Mitte nächsten Jahres, wie sie es versprochen hat, eine umfassende nationale Minderungsstrategie für die Treibhausgase vorlegen muß. Wir sind einmal gespannt, ob es wirklich dazu kommt. Wenn ich allerdings die bisherige nationale Klimapolitik als Vorbild für die internationale Machbarkeit sehe, dann muß ich sagen, habe ich für die 6. Vertragsstaatenkonferenz nicht viel Hoffnung. ({8}) Ich will das mit ein paar Beispielen belegen. Die Koalition hat mit der Einführung der sogenannten Ökosteuer im Hinblick auf den Klimaschutz - wir haben es schon mehrfach diskutiert - nichts erreicht. Das produzierende Gewerbe wird mit einem ermäßigten Steuersatz bedacht. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie wurde lange Zeit überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Heute morgen haben wir etwas anderes gehört. Das Ergebnis von dem Ganzen ist auf der einen Seite, daß umweltpolitisch nichts erreicht wurde. Auf der anderen Seite haben wir einen Scherbenhaufen bei der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Das zeigen die Diskussionen der letzten Wochen. ({9}) Sie belasten im übrigen die regenerativen Energien und beziehen auch den schienengebundenen Verkehr sowie den gesamten ÖPNV grundsätzlich in die Besteuerung mit ein. Mit der sogenannten Ökosteuer - das will ich hier noch einmal klar und ausdrücklich feststellen - haben Sie ein ungeheuer kompliziertes, verwaltungsaufwendiges System geschaffen, das nur dem einen Ziel dient: Abkassieren. Mit Umweltschutz hat das nichts zu tun. ({10}) Ein Passus, Frau Professor Ganseforth, in Ihrem Antrag verrät Sie ganz besonders. In Ihrem Antrag, den Sie heute hier zur Ökosteuer vorlegen, heißt es auf Seite 5 ich zitiere -: Ein wesentlicher Bestandteil einer umfassenden ökologischen Steuerreform ist der Abbau ökologisch kontraproduktiver Subventionen. Wie richtig! Staatliche Mittel dürfen nicht dazu dienen, Produktions- und Konsumstrukturen zu stabilisieren, die eindeutig negative Effekte hervorrufen. „Welche Erkenntnis!“, kann ich dazu nur sagen. Wir von seiten der F.D.P. halten die Abschaffung ökologisch kontraproduktiver Subventionen für wichtig und richtig. ({11}) Wir haben dies in diesem Hause mehrfach beantragt. Ich kann nur sagen: Sie haben es gerade diese Woche im Finanzausschuß und im Umweltausschuß wieder abgelehnt. ({12}) Die Frau Kollegin Flach wird Ihnen hinterher im Detail sagen, welche Punkte das waren. Ich will nur einen einzigen Punkt aufgreifen. Das ist der Punkt Kohle. Die westdeutsche Steinkohle wird mit sieben Milliarden DM subventioniert. Gegen ein endgültiges Auslaufen der Dauersubventionen nach 2005 sperren Sie sich von der rotgrünen Koalition schon heute. Ist das ein ökologisch und ökonomisch sinnvoller Umgang mit den Steuergeldern unserer Bürger?, müssen Sie sich fragen lassen. ({13}) Die jüngste Diskussion zur Ökosteuer über die Rücknahme der Begünstigung der GuD-Kraftwerke ist nichts anderes als eine Diskussion über die Stützung und Sicherung der bestehenden Kohlekraftwerke. Im übrigen ist auch bei der zweiten Stufe Ihrer sogenannten Ökosteuer die Kohle nicht von der Besteuerung erfaßt; sie ist nach wie vor ausgenommen. Das ist der Beweis dafür, daß dies keine umweltpolitisch sinnvollen Entscheidungen sind. ({14}) Hinter all den Diskussionen, die Sie diese Woche geführt haben, steckt doch nichts anderes als die blanke Angst, die Wahl in Nordrhein-Westfalen zu verlieren. Deswegen machen Sie Wahlgeschenke zu Lasten der Klima- und Umweltpolitik. Das ist die Art von Politik, die Sie betreiben. ({15}) Ähnlich unsinnig ist es, die Diskussion über den Ausstieg aus der Kernenergie zu führen, ohne ein Energiekonzept vorgelegt zu haben. Deswegen fordern wir von der F.D.P.-Bundestagsfraktion Sie mit unserem Entschließungsantrag erneut auf, diesen Ausstieg im Hauruck-Verfahren zu beenden. Denn sonst müßten Sie verstärkt auf klimaschädliche, fossile Brennstoffe und die Aktivierung alter Kraftwerke setzen. Wir fordern die Vorlage eines Energiekonzepts unter Darstellung, wie realistische Energie- und Energieersatzmengen in einem angemessenen Zeitraum zu erreichen sind. Ich komme zu meinem Fazit, meine Damen und Herren: Was bisher von der Konferenz in Bonn bekannt wurde, bestätigt die schlimmsten Erwartungen. National war Ihr erstes Regierungsjahr ein verlorenes Jahr für den Klimaschutz. International haben Sie wenig getan. Auch deswegen war die Konferenz in Bonn ein verlorenes Treffen im Sinne des Klimaschutzes. Wir fordern Sie auf, mit aller Kraft daran zu arbeiten, daß die 6. Vertragsstaatenkonferenz endlich den Durchbruch bringt. Ein weiteres Dahindümpeln wäre das Ende für den internationalen Klimaschutz und eine Katastrophe für die zukünftigen Generationen. Herr Trittin, Sie wollten an die Macht. Jetzt haben Sie die Verantwortung. Ich fordere Sie auf, Ihre Verantwortung endlich wahrzunehmen. Knüpfen Sie an die Rolle der alten Bundesregierung als Motor im internationalen Klimaschutzprozeß an! ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe dem Kollegen Dr. Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über Klimapolitik, über den Schutz der Erdatmosphäre, eine der wichtigsten politischen Aufgaben im 21. Jahrhundert. Deswegen wollte ich eigentlich vermeiden, in das Klein-Klein der Alltagspolitik einzusteigen. Nachdem das Niveau in der letzten Rede aber so weit gesunken ist, möchte ich doch einiges dazu sagen. Ich will Ihnen zunächst einmal einige Fakten vorhalten, Frau Homburger: ({0}) Erstens. Das High-level-Segment, an dem der Minister teilgenommen hat, ist gestern mittag abgeschlossen worden. ({1}) Er durfte gestern nachmittag nach Hause gehen. Das hat er Gott sei Dank auch gemacht; denn so konnte er - dafür bin ich dankbar - das Parlament so schnell unterrichten. - Das war die erste Anmerkung. ({2}) Zweitens muß ich Ihnen leider vorwerfen, daß Sie sich nicht informiert haben. Die technischen Fragen, die zu klären waren, wurden bis gestern mittag abschließend besprochen. Die offene Frage bezogen auf die Inventarisierung der Treibhausgase ist gestern nachmittag mit einem Text zum Abschluß gebracht worden. Insofern ist dies abgeschlossen. Aber auch das wissen Sie nicht. Das ist sehr bedauerlich. Drittens. Sehr bedauerlich ist weiterhin, daß Sie sich auch insofern nicht informiert haben, als es um die Flexibilitätsmechanismen geht. Bereits in Buenos Aires wurde vor einem Jahr beschlossen - dort waren Sie nicht -, ({3}) über die Flexibilitätsmechanismen in Bonn nicht zu sprechen; diese Frage soll vielmehr abschließend in Den Haag im Jahr 2000 behandelt werden. Auch in diesem Punkt ist das, was Sie gesagt haben, völlig falsch. ({4}) Vierter und letzter Punkt. Wenn man Falsches in die Welt setzt, sollte man es auch beim Namen nennen. Ich merke schon, daß ich jetzt auch auf dieses Klein-Klein übergehe; das will ich aber gar nicht. Ich möchte nur sagen: Bei aller Freundschaft - Herr Kinkel war ein prima Außenminister, ({5}) ein Öko-Kinkel ist mir aber niemals untergekommen. ({6}) Frau Merkel kommt gerade wieder herein; deswegen kann ich es ihr sagen: Ihre Rede hat mir sehr gut gefallen. Ich kann nur sagen: Prima! Trotzdem will ich noch einige Punkte ansprechen. Frau Merkel, bei der Ökosteuer liegen Sie wirklich daneben. Sie haben quasi eine Argumentationsfigur aufgebaut, daß zuerst etwas Falsches gemacht wird, was dann korrigiert wird. Es geht doch um die Gas- und Dampfturbinenkraftwerke, die Blockheizkraftwerke und die modernen KWK-Anlagen. Hier haben wir eine existierende Steuer abgeschafft, nämlich die Erdgassteuer. Es geht also nicht darum, irgend etwas zu korrigieren. Es gab bereits diese Steuer. Wir haben nur gesagt: Wenn das Erdgas in hocheffizienten Kraftwerken und KWKAnlagen eingesetzt wird, soll es von der Steuer freigestellt werden. Das ist ein klarer ökologischer Lenkungseffekt; den haben Sie nie herbeigeführt. ({7}) Der zweite Punkt, Frau Merkel, bezieht sich ebenfalls auf die Konstanz der Steuereinnahmen. Das Steueraufkommen - wir machen jetzt kein finanzwissenschaftliches Seminar - setzt sich aus Steuertatbestand und Steuersatz zusammen, also aus der Energiebesteuerung und dem Steuersatz auf der Energiebesteuerung. Wenn die Steuer schrittweise erhöht wird und der Energieverbrauch schrittweise zurückgeht, bleibt das Steueraufkommen konstant. Das ist gewissermaßen eine finanzpolitische Grundregel, und insofern dürfen Sie hier nichts Falsches in die Welt setzen. ({8}) Der dritte und letzte Punkt zu Ihrer Rede. Ich fand es wunderbar, daß Sie noch einmal auf die Umweltstandards in der WTO hinwiesen. In der vorigen Woche hatten wir hier eine Debatte über die WTO, in der es auch um Umweltstandards ging. Viele Ihrer Kollegen, vor allen Dingen von der F.D.P., aber auch von der CDU/CSU, haben so getan, als wäre das Traumtänzerei. Soviel zur Glaubwürdigkeit! ({9}) Bevor ich jetzt endlich zur Klimadebatte komme, entschuldige ich mich für meine Eingangsbemerkung. Sie war in der Tat zu schroff. Sie ist mir herausgerutscht, weil sich Ihre Bemerkungen zu sehr im TageskleinKlein bewegten. Wir wollen heute aber eine große Debatte über Klimapolitik führen. Es war doch immer einer der Vorzüge in Deutschland, daß über alle Fraktionen hinweg Einigkeit bestand, an einem Strang zu ziehen. Es hat nie größere Streitigkeiten bei der Klimapolitik gegeben. An dieser Tradition sollten wir festhalten und nicht in dieses unwürdige Gezerre eintreten. ({10}) Das Klimaproblem ist uns im Grunde genommen seit hundert Jahren bekannt. - Herr Lippold, ich weiß nicht, was es da zu schmunzeln gibt. Es ist so. Es war Arrhenius im Jahre 1896; das wissen Sie doch auch. Der Treibhauseffekt ist schon länger bekannt, das kann man doch wohl sagen. ({11}) Es hat allerdings 80, 90 Jahre gedauert, bis er auf die politische Agenda vorgedrungen ist. Im Grunde genommen kam er erst Mitte der 80er Jahre auf die Tagesordnung, als sich die wissenschaftlichen Ergebnisse verdichtet hatten, und auf der politischen Agenda im eigentlichen Sinne steht er erst seit zehn Jahren. Insofern hat Frau Merkel völlig recht. Alles, was wir heute machen, steht in einer Tradition. Wichtige Meilensteine waren 1992 die Konferenz von Rio, als die Konvention von über 150 Staaten unterzeichnet worden ist, 1995 die Berliner Konferenz, als das Berliner Mandat erteilt wurde, und 1997 die Kioto-Konferenz, die das Protokoll zum Ergebnis hatte. Klimapolitik ist das Bohren dicker Bretter. Das verlangt sehr viel Energie und Ausdauer. Es gibt keine Alternative dazu, auch wenn es noch so lange dauert. Wir wissen, daß wir es mit divergierenden, sehr weit auseinanderklaffenden Interessen zu tun haben. Wir haben bei der Klimapolitik drei grundsätzliche Probleme, erstens ein globales Problem. Das heißt, bei der Lösung des Problems müssen tendenziell alle mitmachen. Einige aber müssen voranschreiten, und das können nach Lage der Dinge am ehesten die Industrieländer, also auch wir Europäer, sein. Zweitens haben wir es hier, anders als bei den klassischen Umweltproblemen, bei denen wir klare UrsacheWirkungsbeziehungen haben - auf eine Schmutz ausstoßende Industrieanlage wird ein Filter montiert, dann ist das Problem scheinbar gelöst -, mit einem sehr komplexen Problem zu tun, das weit in die Zukunft weist. Wir sind also auf Modelle, auf Theorien und auf die Wissenschaft angewiesen. Drittens haben wir es hier insgesamt mit elementarer Unsicherheit zu tun. Bei dem Problem wissen wir nicht definitiv, was passiert. Aber wir wissen immerhin, daß sich Indizien verdichten. Deshalb möchte ich - davon war bislang nicht die Rede - auf die wissenschaftlichen Fakten verweisen, die für uns Politiker die Grundlage unseres Handelns sein sollten. Was ist heute in den Klimawissenschaften Konsens, sieht man einmal von ganz wenigen Ausnahmen ab? Erstens ist Konsens - das kann man ja messen; insofern ist es völlig unproblematisch -, daß die treibhausrelevanten Spurengaskonzentrationen in der Atmosphäre bei allen Spurengasen mit Ausnahme der FCKW deutlich ansteigen. Zweitens ist ein Temperaturanstieg um ungefähr 0,7 Grad Celsius in diesem Jahrhundert festzustellen. Das ist angesichts der klimatischen Zeiträume sehr rapide. Dieser Effekt - das wird von den Wissenschaften gesagt - kann nicht nur auf natürliche Ursachen zurückzuführen sein, sondern ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf menschliche Aktivitäten und Einflüsse zurückzuführen. Dann komme ich zu den Indizien: Solange die Temperaturen weltweit systematisch gemessen werden, also seit Anfang des Jahrhunderts, waren die zehn heißesten Jahre in den 80er und 90er Jahren. Das heißeste Jahr war 1998. Von diesen zehn heißesten Jahren waren acht in den 90er Jahren. Auch hier verdichten sich die Indizien. Was sind die Prognosen? Die Temperaturen werden im nächsten Jahrhundert um 2 bis 3 Grad Celsius ansteigen, wenn wir so weitermachen wie bisher, das heißt, wenn die bisherigen Emissionstrends anhalten. Der Meeresspiegel wird um einen halben Meter ansteigen. Folgen werden Wetterextreme, Dürren, stärkere Zyklone, Verschiebungen von Klimazonen und Überflutungen sein. Ich finde es bemerkenswert, daß es in der Klimaforschung einen nur geringen Dissens gibt. Man kann als Deutscher durchaus mit einem gewissen Stolz sagen: Wir Deutschen haben im Bereich der Klimaforschung international renommierte Institutionen und international renommierte Wissenschaftler vorzuweisen. Ich will nur Professor Graßl, Professor Hasselmann und Professor Schellnhuber nennen. Es gibt das Klimarechenzentrum, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das Max-Planck-Institut. In diesem Zusammenhang finde ich es sehr bemerkenswert, daß ein sehr junger deutscher Klimawissenschaftler, nämlich Stefan Rahmsdorf, vor kurzer Zeit den höchstdotierten amerikanischen Wissenschaftspreis für die Frage „Wie reagiert der Golfstrom auf die Klimaveränderungen?“ bekommen hat. Ich glaube, es ist auch an der Politik, zu bemerken, daß wir in Deutschland ein solch hohes Niveau in der Klimaforschung haben. ({12}) All diese Indizien sprechen dafür, daß wir handeln müssen, da wir in der politischen Verantwortung stehen. Wir müssen uns klarmachen - Herr Kollege Müller hat das schon angesprochen -, daß es nicht nur um ein „ökologisches Problem“, sondern daß es in ganz hohem Maße auch um ein ökonomisches und um ein soziales Problem geht. Man muß sich einmal die jüngsten Entwicklungen anschauen. Das Hadley-Center aus Großbritannien hat vor wenigen Wochen die neueste Studie vorgestellt, die die Auswirkungen auf das menschliche Leben und auf das menschliche Wirtschaften beschreibt: Erstens. Immer mehr Menschen werden auf Grund von Klimaveränderungen ihre Heimat verlieren. Es wird immer mehr Umweltflüchtlinge geben. Schon heute werden mehrere Millionen Menschen auf Grund von Umweltveränderungen, wie dem Klimawandel, dauerhaft oder vorübergehend aus ihren angestammten Lebensräumen vertrieben. Ich glaube, das ist nicht respektabel. Es ist inhuman, das zu ignorieren. ({13}) Der zweite Punkt, der dort herausgestellt wird, betrifft die menschliche Gesundheit. Die menschliche Gesundheit wird gefährdet. Ich nehme nur ein Beispiel heraus: Wir haben auf Grund der globalen Erwärmung das Problem, daß sich tropische Krankheiten immer weiter nach Norden ausbreiten werden. Im Süden der USA kann beispielsweise schon heute Malaria beobachtet werden. Das ist auch für den Süden Europas keineswegs ausgeschlossen. In diesem Bereich kann es sein, daß hohe Kosten auf uns zukommen. ({14}) Der dritte Punkt, der ganz bedrohlich ist: In verschiedenen Regionen der Welt sinkt die Verfügbarkeit von Wasser. Damit sinken die landwirtschaftlichen Erträge. Auch in diesem Bereich kann man voraussagen, daß in Teilen der Welt, wie zum Beispiel in Afrika, im mittleren Osten und in Indien, die Folgen besonders erheblich sein werden. ({15}) Der vierte und letzte Punkt, den ich hier nennen will, bevor Frau Homburger ganz unruhig wird, sind die Versicherungsschäden. Die Zahl der Versicherungsschäden eskaliert. Wir haben von der Münchener Rückversicherung aktuelle Zahlen bekommen: In den 90er Jahren sind die Versicherungsschäden, die durch Umweltkatastrophen verursacht worden sind, so stark angestiegen wie in den gesamten 70er und 80er Jahren nicht. ({16}) Wenn man die Argumente zusammenfaßt, kommt man zu folgendem Schluß - ich komme gleich zum Bereich der Politik; Frau Homburger, gedulden Sie sich noch etwas -: Wir müssen beim Klimaschutz etwas tun. Diejenigen die immer nur von den Kosten des Klimaschutzes reden, ignorieren hartnäckig, wie hoch die Kosten durch die Klimaveränderungen sind. Diese sind nämlich viel höher. ({17}) Man könnte auch sagen: Die Kosten des Nichthandelns - mit denen kennen Sie sich ja aus - sind höher als die Kosten des Klimaschutzes. Das ist der entscheidende Punkt. Das muß man zur Kenntnis nehmen. Ich komme nun zur Politik, damit Sie sich etwas beruhigen. Am Anfang möchte ich zwei Grundeinsichten ansprechen, die für den Gang der internationalen Verhandlungen sehr wichtig sind: Erstens. Die Industrieländer tragen - historisch und aktuell - die Hauptverantwortung für das Klimaproblem. Die Zahlen wurden genannt: Das eine Fünftel der Menschheit verursacht etwa drei Viertel des Problems. Wenn das so ist, dann haben wir die Verantwortung, dann müssen wir mit glaubwürdigem Handeln vorausgehen, dann müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Daran müssen wir uns messen lassen. ({18}) Zweitens. Eine weitere Grundeinsicht ist, daß die Entwicklungsländer historisch relativ wenig zum Entstehen des Klimaproblems beigetragen haben. Wenn wir jetzt über die Entwicklungsländer reden, dann müssen wir ihnen zunächst einmal im Zuge ihrer Entwicklung noch ein gewisses Wachstum von Emissionen zugestehen. Es ist unsere Aufgabe - Frau Merkel hat darauf zu Recht hingewiesen -, ihnen dabei zu helfen, durch Technologietransfer und durch bilaterale Kooperation im Klimaschutz erfolgreicher zu werden. Politisch ist es aber äußerst problematisch, wenn einige Länder jetzt so tun, als müßte man im wesentlichen die Entwicklungsländer schon heute heranziehen. ({19}) Zwar müssen wir den Entwicklungsländern helfen; aber wir müssen ganz klar erkennen: Vorangehen müssen wir, und wir können nicht den dritten Schritt vor dem ersten fordern. Denn wer über den dritten Schritt redet, bevor er den ersten tut, der will in Wahrheit den ersten Schritt gar nicht. Das ist das Problem. ({20}) Es ist über kurz oder lang völlig richtig: Klimaschutz ohne China, ohne Indien, ohne Brasilien und ohne Indonesien kann es nicht geben. Deswegen ist es in der Tat eine ganz wichtige Aufgabe der Entwicklungskooperation, verstärkt ökologische Elemente einzubeziehen. Was müssen wir aktuell tun? Das Wichtigste ist: Die Europäische Union muß schnell ratifizieren, damit das Kioto-Protokoll bis zum Jahre 2002 in Kraft treten kann. Das Ratifizieren muß ohne Konditionen geschehen. Man sollte keine Vorbehalte schaffen, indem man sagt: Nur wenn die Amerikaner dieses oder die Russen jenes tun, dann ratifizieren wir. - Die Europäische Union muß um ihrer Glaubwürdigkeit willen ohne Konditionen ratifizieren. Das ist ganz wichtig. ({21}) Ich hoffe, daß wir heute alle gemeinsam Deutschlands Vorreiterrolle bekräftigen. Sie ist auch in der Rede des Bundeskanzlers deutlich geworden. Ich möchte dem Bundeskanzler für diese Rede ausdrücklich danken. Sie steht in einer guten Tradition, und sie hat in Bonn ein sehr gutes Klima erzeugt. ({22}) Ich glaube, daß wir es schaffen, diese Ratifizierung schnell zustande zu bringen. Wir haben ein Problem, dem sich gerade unsere Umweltaußenpolitik realistischerweise stellen muß: Damit das Protokoll in Kraft tritt, müssen nicht nur 55 Staaten ratifizieren; vielmehr müssen auch 55 Prozent der Emissionen durch die Staaten, die ratifiziert haben, abgedeckt sein. Das heißt auf gut deutsch: Man kann das Geschäft nicht ohne die Amerikaner und/oder die Russen machen, und die haben in bestimmten Bereichen andere Ansichten als wir. Die Amerikaner wollen - das hat der Minister beschrieben - die völlige Freigabe der Flexibilitätsinstrumente. Die Russen wollen soviel wie möglich von ihrer heißen Luft verkaufen; sie wollen also möglichst viel von dem verkaufen, was durch industriellen Zusammenbruch an Emissionen „frei geworden“ ist. Es bedarf eines großen diplomatischen Geschicks. Gerade nach der Rede von Bundeskanzler Schröder traue ich der Bundesregierung voll und ganz zu, da eine Lösung zu finden. Für uns ist das Wichtigste, daß wir die Schlupflöcher soweit wie möglich schließen und durch glaubwürdiges Handeln im eigenen Land auch international Glaubwürdigkeit erlangen. ({23}) An dieser Stelle möchte ich auf die Rolle der sogenannten NGOs, also der Nichtregierungsorganisationen, eingehen. Sie ist heute noch nicht zur Sprache gekommen. Wir hatten bei uns bis vor kurzem häufig den Eindruck, daß eine übermäßige Beteiligung der Umweltgruppen den reibungslosen Ablauf von Planungen und politischen Prozessen behindert oder gar verlangsamt. Ich glaube, am internationalen Klimaprozeß kann man ganz eindeutig erkennen: Ohne die Umweltgruppen, ohne die, wenn ich so sagen darf, Weltzivilgesellschaft und ohne die kritischen Beobachter wären wir längst nicht so weit, wie wir heute sind. Das ist ganz wichtig. ({24}) Ich komme zur nationalen Klimapolitik. Sie haben den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Grund und Boden gestampft. Ich glaube, es ist nicht angemessen, diesen Antrag so niederzumähen. Wenn Sie ihn einmal genau lesen, dann stellen Sie fest: Die Schnittmenge mit der alten Position liegt bei 80 oder vielleicht sogar 90 Prozent. ({25}) - Sie glauben doch nicht im Ernst, daß wir unseren Antrag auf den Kopf stellen können, weil Sie die Atomenergie so lieben. ({26}) Unser Antrag bestätigt das 25-Prozent-Ziel der alten Regierung von November 1990. Wenn hier in die goldenen Zeiten der Klimapolitik zurückgeblickt wird, dann muß man schon sagen: Die Wahrheit war ja, daß das Kabinett am 7. November 1990 einen Beschluß gefaßt hat, in dem stand, in den alten Bundesländern, also in Westdeutschland, solle die CO2-Emission bis 2005 um 25 Prozent gesenkt werden und in den neuen Bundesländern solle noch mehr gemacht werden. Dieser Beschluß wurde ein Jahr später revidiert, weil man erkannt hat, wie schwer das ist. Die jetzt erreichten 13 Prozent waren zwar nicht nur - der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen -, aber im wesentlichen doch „wall fall profits“, also Ergebnisse des Mauerfalls. Wir wären nicht annähernd so weit, wenn es die Wiedervereinigung nicht gegeben hätte. Heute sind die Emissionen in Ostdeutschland 47 Prozent niedriger als 1990, und in Westdeutschland sind sie 3 Prozent höher. Das ist die Realität. Sie können nicht so tun, als seien die letzten acht Jahre goldene Zeiten des Klimaschutzes gewesen. Das waren sie nicht. Es hat eine dramatische Lücke zwischen Zielsetzung und Handeln gegeben. Diese wollen wir jetzt schließen. ({27}) Nun zu den einzelnen Aspekten, die im Antrag behandelt werden, und zwar zunächst zu dem wohl strittigen Punkt der ökologischen Steuerreform. Dieser gehört zu den 10 Prozent bis 20 Prozent, die strittig sind. „Mein Gott!“ möchte ich wirklich manchmal sagen. Schon Minister Töpfer hat doch versucht, in Deutschland eine nationale CO2-Steuer, eine Klimaschutzsteuer, einzuführen. Er hat dies 1990 glaubwürdig gemacht, und jetzt wird so getan, als sei dies Verrat an deutschen Interessen. Das ist der blanke Blödsinn, die blanke Polemik. ({28}) Ich muß es noch einmal sagen - vielleicht war ich am Anfang zu flott -: Die ökologische Steuerreform hat zunächst einmal die generelle Lenkungswirkung, auf Grund steigender Energiepreise sparsam mit Energie umzugehen. ({29}) Aber es gibt auch spezifische Detailregelungen. Dazu gehört beispielsweise, daß wir Kraft-Wärme-Kopplung, moderne Blockheizkraftwerke und moderne Gaskraftwerke ganz gezielt im Rahmen der ökologischen Steuerreform fördern. Das ist gut für den Klimaschutz. Denn sonst erreichen wir diese Ziele nicht. ({30}) Zur Kraft-Wärme-Kopplung haben bereits der Kollege Müller und auch der Minister das Notwendige gesagt. Hierbei - das müssen wir uns vor Augen führen - geht es eben nicht nur um den Bestandsschutz, sondern auch um den Ausbau. Denn die KWK ist neben den erneuerbaren Energien, neben den Energieeinsparungen im Gebäudebestand und der Umschichtung im Verkehrshaushalt das zentrale Instrument. ({31}) Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden - deshalb will ich jetzt nicht mehr in die Tiefe gehen -, daß wir gerade auch hinsichtlich der öffentlichen Kommunikation, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger für die Klimaschutzziele gewinnen wollen, über die wir uns ja einig sind, lernen müssen, daß wir über Klimaschutz nicht nur als Last, als Bürde, als Kostenfaktor reden dürfen. Es ist wichtig, diesen auch als Herausforderung und als etwas darzustellen, was man gemeinsam angehen und wobei man auch eine Menge gemeinsam erreichen kann. Das Licht am Rednerpult fängt gerade an zu blinken. Eben wurde noch eine ganz andere Zeit angezeigt. Nun gut, ich respektiere das.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege, diese Bemerkung können Sie sich sparen. Sie haben um 10.17 Uhr mit Ihrer Rede begonnen. Mittlerweile sind 20 Minuten verstrichen. Sie können natürlich in Übereinstimmung mit Ihrer Fraktion weiterreden. Das geht dann aber zu Lasten Ihrer zweiten Rednerin. Das sollten Sie bedenken. ({0})

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich entschuldige mich natürlich für diese unhöfliche Bemerkung, aber die Uhr, die ich vor mir habe, hat noch grade angezeigt, daß mir 3 Minuten und 18 Sekunden Redezeit bleiben. Mein letzter Punkt betrifft die Wirtschaft. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft ist eine gute Sache. Diese muß man weiterentwickeln und auf andere Bereiche ausdehnen. Nur eines muß man auch sagen: Wenn Herr Henkel auf der einen Seite sagt, freiwillige Selbstverpflichtungen seien wichtig, andererseits aber die Bundesregierung auffordert, ihre Vorreiterrolle aufzugeben, so ist dies absolut unglaubwürdig und schädlich. ({0}) Ich komme zum Schluß, um meiner Fraktionskollegin keine Zeit zu stehlen. Häufig ist in der Politik Pathos nicht angebracht. Davon bin ich fest überzeugt. Wir sollten an die Dinge so nüchtern wie nur möglich herangehen. Aber wenn wir über das Thema Klima und über die Aufgaben für das 21. Jahrhundert reden, dann ist meiner Meinung nach folgender alte Spruch der Ökologiebewegung angemessen: Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt. Danke schön. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die PDS spricht nun die Kollegin Eva-Maria Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben heute wieder die Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz beschworen. Dies ist Regierungstradition, inzwischen sozusagen Gewohnheitsrecht. Natürlich stimmt dies auch in gewisser Weise. In den Industriestaaten ist es ja inzwischen schon revolutionär, wenn ein Land die globalen Probleme der Menschheit nicht so offensichtlich ignoriert wie die parlamentarische Mehrheit in den USA. Auf der Konferenz in Bonn hatte es zumindest nach meinem Eindruck mehr als den Anschein, daß nicht der globale Klimaschutz verhandelt wird, sondern die Frage, wie man sich am besten davor drücken kann. Ich hatte den Eindruck, daß die Vereinigten Staaten gewillt sind, gerade hierbei die Führungsrolle zu übernehmen. Die freundliche Hoffnung Jürgen Trittins, wenn möglich sollten auch die USA ratifizieren, entspringt aber vielleicht dem schlechten Gewissen. Schließlich relativiert sich die Vorreiterrolle Deutschlands im Klimaschutz schon etwas, wenn wir einmal genauer hinschauen. Die Bundesrepublik emittiert pro Kopf 10,9 Tonnen CO2 im Jahr; das ist fünfmal mehr als klimaverträglich und zehnmal mehr als in Afrika. Die deutschen Emissionen liegen, pro Kopf gesehen, um 20 Prozent über denen Japans und um 70 Prozent über dem Niveau der Schweiz. Insofern sollte Deutschland also vor allem vor der eigenen Haustür kehren; das wurde ja jetzt schon breit diskutiert. ({0}) Vor diesem Hintergrund begrüßt natürlich auch die PDS, daß die Bundesregierung an der Eingebung festhält, die glücklicherweise irgendwann einmal Helmut Kohl überkam. 25 Prozent bis 2005 - das ist ein ehrgeiziges Ziel, wenn man sich die internationale Debatte und den Stand der Dinge in Deutschland anschaut. Klar ist: Ein großer Teil der CO2-Einsparungen sind Vereinigungsrendite. Wir wissen natürlich auch, daß die 16 Millionen Ostdeutschen trotz Deindustrialisierung essen, sich wärmen und kleiden. Insofern werden sie in erheblichem Maße mitversorgt, was auch irgendwie Energie kostet und Klimagase produziert. Der Anstieg des Ausstoßes in Westdeutschland um 3 Prozent ist also auch unter diesem Aspekt zu sehen. Die eigentliche Frage ist aber: Was hätte Deutschland bringen können? Oder vor allem: Wie geht es weiter? Bundeskanzler Gerhard Schröder hat kürzlich eingeräumt, daß die bisher in Deutschland beschlossenen Maßnahmen bis zum Jahre 2005 lediglich eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um etwa 17 Prozent, bezogen auf 1990, ermöglichen würden. Momentan habe Deutschland diese Emissionen um 13,2 Prozent verringert. Es wird also eng werden. Gegenwärtig ist nicht abzusehen, wie die Bundesrepublik das selbstgesteckte Klimaschutzziel erreichen will. Eine an den Erfordernissen ausgerichtete Klimaschutzpolitik findet sich weder in den Investitionsplänen der Wirtschaft noch in denen der öffentlichen Haushalte wieder. Was hierzulande seit Jahrzehnten im Verkehrssektor abläuft, ist klimapolitisch der reinste Horror. Der deutsche Autowahn wird wohl nur noch von dem der USA übertroffen. Laut einer aktuellen Studie des WuppertalInstituts für Klima, Umwelt, Energie wird - ohne Gegenmaßnahmen - das Wachstum des Verkehrs bis zum Jahre 2020 sämtliche Einsparungen von Klimagasen in den anderen Bereichen zunichte machen. Allein die Lkw-Emissionen werden drastisch, um 38 Prozent, wachsen. Außerdem wird mit einem Anstieg von 46 Millionen auf 120 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent der Flugverkehr im Jahre 2020 das Klima genauso stark belasten wie der Pkw-Verkehr. Nun wurde in der Koalition fleißig zum Verkehrsinvestitionsplan bis 2002 getagt. Am Ende kam jedoch nur ein recht dünner Kompromiß heraus: Von den 60,7 Milliarden DM, die bis zum Jahre 2002 für Schiene und Straße ausgegeben werden sollen, fließen 47 Prozent in die Schiene und 53 Prozent in den Straßenbau. Von der postulierten Angleichung der Summen, die im übrigen die ewige Privilegierung des Autoverkehrs gar nicht umkehren kann, ist das noch um einiges entfernt. Bei dieser Politik ist es nicht verwunderlich, daß von den gegenwärtig 38 100 Kilometern betriebene Schienenstrecke der Bahn 11 000 Kilometer, also mehr als ein Viertel - in der Regel die für die Flächenbahn so wichtigen Nebenstrecken -, von der Schließung betroffen sind. 90 Prozent des Reiseaufkommens der Bahn sind Reisen unter 50 Kilometern. „Für wen wird hier eigentlich Verkehrspolitik gemacht?“, müssen wir uns alle fragen lassen. Wenn wir uns die aktuelle Entwicklung anschauen, werden wir sehen: Auch im Energiesektor stehen die Zeichen auf mehr CO2 und nicht auf Nachhaltigkeit. Es geht hier besonders um die Kraft-Wärme-KopplungAnlagen. Einige werden demnächst dichtgemacht; die Firmen haben damit Probleme. Es geht um Quotenregelungen, die eingeführt werden sollen; darauf warten wir. Ferner geht es um weiteren Schutz vor den Dumpingpreisen der Energieriesen. Die ökologische Steuerreform hat kaum eine Lenkungswirkung, weil Unternehmen, wenn sie über 1 000 DM Energiesteuern zu zahlen hätten, fast alles zurückerstattet bekommen. Darüber reden wir aber in der nächsten Woche; auch über die soziale Schieflage der Reform wird noch zu reden sein. Ich habe jetzt leider nicht mehr viel Redezeit. Ich möchte deshalb abschließend auf zwei wichtige Forderungen unseres Entschließungsantrags eingehen: Die PDS ist der Auffassung, daß das selbstgesteckte Ziel, mindestens 70 Prozent der CO2-Emissionen zu reduzieren, innerhalb Deutschlands zu erfüllen ist. Die in Kioto und Bonn diskutierten flexiblen Mechanismen dürfen demzufolge höchstens einen Anteil von 30 Prozent betragen. Darin stimmen wir mit den Umweltverbänden überein. Wir sollten noch einmal über diesen Anteil nachdenken, Herr Trittin. Der Einsatz von Atomkraft ist für die Erfüllung des Reduktionsziels auszuschließen. Ich begrüße Ihre Position. Sie haben sich sehr dafür eingesetzt. Wenn aber die Ergebnisse der 5. und 6. Vertragsstaatenkonferenzen zeigen sollten, daß die wichtigsten Schlupflöcher der flexiblen Mechanismen nicht geschlossen werden konnten, dann ist der Anteil der flexiblen Mechanismen - unabhängig von internationalen Festlegungen - für Deutschland auf Null zu setzen. So lautet unser Antrag. ({1}) Eine andere Forderung betrifft den ökologischen Rucksack unserer Komsumtions- und Wirtschaftsweise, den wir anderen Ländern aufbürden. Ich hoffe, wir sind uns darüber im klaren, daß zahlreiche Produktionsstätten in anderen Teilen der Welt für die Rohstoffversorgung Deutschlands, für die Herstellung von Halbfabrikaten für deutsche Unternehmen oder für den deutschen Konsum arbeiten. Sie alle stoßen Klimagase aus, die nicht in die deutsche Klimabilanz eingehen. Deutschland exportiert im Gegenzug überwiegend hochveredelte Produkte. Aber bei deren Produktion werden tendenziell deutlich weniger Klimagase ausgestoßen als bei der Produktion, Förderung und beim Transport von importierten niedrig veredelten Produkten und Rohstoffen. Wir meinen, dies muß in die Klimadebatte einbezogen werden. Wir meinen, die Klimabilanz muß dementsprechend verändert werden. Die von mir beschriebene Entwicklung muß sich hier wiederfinden. ({2}) Der zusätzliche ökologische Rucksack, den auch die Bundesrepublik anderen Völkern aufbürdet, muß im Rahmen der Klimastrategie der Bundesrepublik und der Bundesregierung berücksichtigt werden. Wir brauchen eine umweltökonomische Analyse, auf deren Grundlage klar wird, was zu tun ist und wie wir handeln sollen. Das, was für Klimagase gilt, gilt mittelfristig auch für andere Ressourcen und Emissionen. Erst dann, wenn wir beim Klimaschutz weiter zulegen, haben wir tatsächlich eine internationale Vorreiterrolle inne. Danke. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die SPD-Fraktion die Kollegin Monika Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Klimapolitik sei das Bohren dicker Bretter, hat Herr Loske gesagt. Als wir 1992 auf der Konferenz von Rio die Klimarahmenkonvention verabschiedet hatten, haben wir kurzfristig gedacht, dies sei der Durchbruch. Im Vorfeld dieser Konferenz war allenthalben gemunkelt worden, daß auf der Konferenz nichts zustande komme. Hinterher waren alle der Meinung, daß alles ganz toll gewesen sei und die Ansätze richtig seien. Daß es so lange dauert und so schwierig wird, haben wir damals nicht gewußt. Aber es ist in der Tat ein schwieriger Prozeß. Ich möchte nicht sagen, daß wir in den letzten Tagen weiter vorangekommen sind. Aber die Dynamik ist nicht abgebremst worden; vielmehr geht der zähe Prozeß weiter. Es war bisher eine gute Tradition in diesem Hohen Hause, daß die Parteien das Klimaschutzziel gemeinsam getragen haben. Auf dieser Gemeinsamkeit und auf den ehrgeizigen Zielvorgaben beruhten das Ansehen und das Gewicht, das Deutschland hinsichtlich des Klimaschutzes auf internationaler Ebene hat. Ich fand es nicht in Ordnung, daß Frau Merkel vorhin vermutet hat, wir hätten sie kritisiert, wenn sie einen Bericht wie den von Herrn Trittin abgegeben hätte. Als wir damals in der Opposition waren, haben wir sowohl Minister Töpfer als auch Ministerin Merkel bei der Durchsetzung des Klimaschutzes, über den seit einem Jahrzehnt auf internationaler Ebene verhandelt wird, unterstützt. Dies war eine gute Tradition. Ich hoffe, sie wird fortgesetzt. ({0}) Vor dem Hintergrund dieser Tradition gehe ich davon aus, daß es alle begrüßen, daß Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der Klimakonferenz in Bonn deutliche Worte zum Klimaschutz gesagt hat. Dies gilt auch für den Umweltminister Trittin und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die verhandelt haben. Sie haben bei den schwierigen und zähen Gesprächen auf der Vertragsstaatenkonferenz in Bonn alles in unserem Interesse getan - jedenfalls habe ich diesen Eindruck während der Zeit, die ich auf der Konferenz verbracht habe, gewonnen -, um die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen des Kioto-Protokolls weiter voranzutreiben. ({1}) Damit besteht die Hoffnung - und die Gefahr war, daß das abgebremst wird -, daß möglichst bald, spätestens bis zum Jahr 2002, also zehn Jahre nach dem Erdgipfel in Rio, das Kioto-Protokoll in Kraft tritt. Ich will noch einmal sagen: Nicht nur die USA sind dabei ein Problem, sondern auch die OPEC-Länder. Saudi-Arabien, Kuwait usw., die natürlich keine Gewinner einer Klimaschutzpolitik sind, haben sich inzwischen formiert und tun alles, um zu verhindern, daß eine Klimaschutzentwicklung weltweit in dem notwendigen Tempo vorankommt. Da ist viel zu tun, und ich habe den Eindruck, daß unsere Regierung auf dem richtigen Weg ist. ({2}) - Auch wenn die rechte Seite des Hauses jetzt nicht klatscht, gehe ich davon aus, daß das Klimaschutzziel in Deutschland nach wie vor nicht umstritten ist. Großen Streit und Differenzen haben wir immer gehabt, wenn es um die konkrete Umsetzung dieses Ziels ging. Seit den Empfehlungen der Klima-Enquete vor zehn Jahren und den Beschlüssen der alten Regierung Kohl im Jahr 1990 - Herr Loske hat es angesprochen ist aus unserer Sicht viel zuwenig geschehen. Ich habe noch einmal nachgesehen. Den ersten Bericht der Klima-Enquete haben wir dem Bundestag im Jahr 1988 vorgelegt, als von Einheit, Mauerfall noch gar nicht die Rede war. Darin sind diese ehrgeizigen Ziele angelegt. Das ist nun schon mehr als ein Jahrzehnt her. Sie haben es in dieser Zeit an einer anspruchsvollen und schlüssigen Klimaschutzpolitik fehlen lassen. ({3}) Statt dessen haben Sie uns alle möglichen Maßnahmen als Klimaschutz verkauft. Ich finde es immer sehr schön, wenn ich sehe, was Sie da alles umdeklariert haben. Der Gipfel ist - da kann man nur den Kopf schütteln -, daß Sie den Bundesverkehrswegeplan als Klimaschutzmaßnahme verkaufen wollten und verkauft haben. Das war Ihre Klimaschutzpolitik. An der Selbstverpflichtung knüpfen wir an, aber Sie haben dafür einen hohen Preis gezahlt: Die Wärmenutzungsverordnung haben Sie fallengelassen, auch andere Maßnahmen, die man hätte ergreifen können und die durchaus mehr hätten bringen können - wie die Ökosteuer, die wir jetzt angefangen haben. Sie haben also weitgehend mit Etikettenschwindel versucht, darüber hinwegzutäuschen, daß Sie kein schlüssiges Konzept haben. Das Ergebnis ist auch klar: In Ostdeutschland sind die Emissionen gesunken, und wir wissen alle, warum. In Westdeutschland haben die Treibhausgasemissionen in diesen zehn Jahren nicht abgenommen, sondern sind konstant geblieben. ({4}) Daß wir im internationalen Vergleich trotzdem ganz gut dastehen, liegt einmal an der Entwicklung in Ostdeutschland, aber auch daran, daß viele Kommunen, Länder, engagierte Gruppen, Schulen, Kirchen, Umweltverbände, auch engagierte Unternehmen dazu beigetragen haben, trotz schwieriger Rahmenbedingungen Emissionsminderungen voranzubringen. Und wenn Sie im Agendaprozeß der Kommunen verankert sind, dann wissen Sie, wie schwierig die Arbeit ist, Bewußtseinsänderungen voranzutreiben, auch deshalb, weil die Rahmenbedingungen, die Sie gesetzt haben, nicht stimmen. ({5}) Großer Dank gebührt allen, die trotz dieser Lage viel getan haben. Deswegen stehen wir nicht so schlecht da. Wenn ich mir aber Ihre Anträge ansehe, muß ich sagen: Wir hätten eine große Mehrheit dafür haben können, wenn Sie sie vor zehn Jahren gestellt hätten. Sie schreiben in Ihrem CDU/CSU-Antrag unter Punkt 9 das muß ich einmal vorlesen -: Die Bundesregierung wird aufgefordert, endlich ein schlüssiges nationales Programm zur Einhaltung des zugesagten deutschen Klimaschutzziels vorzulegen, … Insbesondere ist offenzulegen, welche weiteren Maßnahmen zur Verminderung von Treibhausgasen durch Energiewandlung und Energieverbrauch im Verkehr, im Gebäudebestand und bei der Energieerzeugung geplant sind. ({6}) Ist es Ihnen nicht ein bißchen peinlich, heute einen solchen Antrag zu stellen? Vor zehn Jahren hätten wir Ihnen zugestimmt; aber das ist heute doch nun wirklich lächerlich. ({7}) Auch der F.D.P.-Antrag enthält entsprechende Passagen. Da soll die neue Regierung bis zum Februar 2000 ein nationales Klimaschutzprogramm vorlegen. Was haben Sie denn die ganzen Jahre gemacht? ({8}) Der einzige Punkt, über den es unterschiedliche Auffassungen gibt - dem hätten wir auch früher nicht zugestimmt -, besteht darin, den geplanten Ausstieg aus der Atomenergie im Zusammenhang mit Klimaschutzzielen als positiven Effekt anzusprechen. Sie wissen, daß wir in der Enquete-Kommission in Studien belegt haben, daß der Ausstieg aus der Atomenergie und der Klimaschutz zusammenpassen. Es ist sogar so, daß ein wirksamer Klimaschutz nur vorankommt, wenn auf die Atomenergie verzichtet wird. ({9}) Denn sie ist heute das größte Investitions- und Innovationshindernis für den Umstieg in eine Einspar- und Solarwirtschaft. Wir haben ein Überangebot an Energie, was verhindert, daß die notwendigen richtigen Energiesparmaßnahmen und erneuerbare Energien eine Chance auf dem Markt haben. Der CDU/CSU-Antrag kommt in weiten Bereichen zehn Jahre zu spät. Die flexiblen Instrumente - das steht in Punkt 10 - werden von Ihnen ohne Einschränkung behandelt. Sie wissen, daß Joint Implementation, Handel mit Emissionsrechten und Clean-Development-Mechanismen die Schlupflöcher sind, mit denen die Länder, zum Beispiel die USA, die im eigenen Land nichts machen wollen, versuchen, sich freizukaufen und Ablaßhandel zu betreiben. Wie kann man das in einen Antrag so undifferenziert hineinschreiben? Glücklicherweise teilt kein europäisches und kein anderes Land die Position, die Sie in diesem Antrag formuliert haben. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Ganseforth, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Hirche?

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gern.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, darf ich davon ausgehen, daß Sie vielleicht den „Tagesspiegel“ vom Montag dieser Woche gelesen haben, in dem ein größeres Interview mit dem Potsdamer Klimaforscher Schellnhuber abgedruckt ist, der erstens davon ausgeht, daß die weitere Nutzung der Kernenergie einen Beitrag zur Lösung der Treibhauseffekte bieten kann, und der zweitens sagt, daß man den USA bei der Forderung eines vollständigen Emissionshandels entgegenkommen sollte, weil es dem Weltklima egal ist, wo CO2 vermieden wird?

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es gibt immer Wissenschaftler, die solche Äußerungen machen. Sie wissen sicher, daß auf der Klimakonferenz sogar das Atomforum als NGO für den Verkauf von Atomkraftwerken in die dritte Welt im Rahmen von Joint Implementation als Klimaschutzmaßnahme geworben hat. Sie wissen ebenfalls, daß auch dann, wenn der Zuwachs an Energie in den Entwicklungsländern durch Joint-ImplementationMaßnahmen geringer wird, die Emissionen weltweit zunehmen. Der Anteil, der über die flexiblen Instrumente gesteuert wird, muß reduziert werden, um im ganzen zu einer Verringerung der Emissionen zu kommen. Sonst werden Sie diese nicht erreichen. Das ist erwiesen, auch wenn es den einen oder anderen Wissenschaftler geben mag, der das anders sieht. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Ganseforth, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage Ihres Fraktionskollegen Michael Müller?

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Ganseforth, können Sie bestätigen, daß im Hauptbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz der Erde“ von den damals 22 Mitgliedern nicht einer für einen Ausbau der Atomenergie eingetreten ist und daß selbst für die Beibehaltung des heutigen Status quo weniger als ein Drittel, nämlich nur 7, plädiert haben?

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Genauso ist es. ({0}) - Nein, da waren auch Politiker dabei. Die Hälfte sind Politiker, und es waren auch Politiker Ihrer Partei dabei. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß alle Studien ergeben haben, daß es ein sehr anspruchsvolles und ehrgeiziges Vorhaben ist, das Klimaschutzziel zu erreichen - egal, wie man zur Atomenergie steht oder welchen Beitrag die Atomenergie leistet -, das weitgehender Maßnahmen bedarf. ({1}) Es ist nicht im Selbstlauf möglich. Das zeigt ja auch Ihre Politik. Sie sind nicht aus der Atomenergie ausgestiegen und haben das Ziel trotzdem rasant verfehlt. Mit dem Regierungswechsel haben wir in Deutschland einen neuen Anlauf in der Klimaschutzpolitik genommen. Es geht dabei um ein Herzstück rotgrüner Politik. Wir haben nicht nur vom Klimaschutz geredet, sondern unverzüglich eine große Zahl von Maßnahmen ergriffen. Dazu gehört das 100 000-Dächer-Programm. Sie hatten damals 5 000 Dächer in fünf Jahren, also 1 000 pro Jahr, vorgesehen. Das war Ihr Beitrag. Zu den Maßnahmen gehört die ökologisch-soziale Steuerreform. Was Frau Merkel dazu Merkwürdiges vorgerechnet hat, hat Herr Müller bereits richtiggestellt. Für eine Physikerin war das ein Trauerspiel. Ferner gehören dazu die Förderung von kleinen Blockheizkraftwerken innerhalb der ökologischen Steuerreform, das Einführungsprogramm erneuerbarer Energien, das Programm „Solar, na klar“ - das ist eine Kampagne, in der Handwerker, Umweltverbände und Architekten zusammenarbeiten; sie fängt jetzt an, im Wärmebereich zu greifen - und die Energieeinsparverordnung, die mit der Heizungsanlagen- und Wärmeschutzverordnung zusammengefaßt werden soll. Der Grund dafür ist, daß die Wärmeschutzverordnung, die Sie erlassen haben, absolut unzureichend war. Das haben wir damals kritisiert. Jetzt müssen wir hier erheblich nachbessern. ({2}) Weitere Aktivitäten waren zum Beispiel das Stromeinspeisungsgesetz und die Vermeidung von Leerlaufverlusten. Mit der Stand-by-Verordnung haben wir in Europa während unserer Präsidentschaft dafür gesorgt, daß Maßnahmen ergriffen werden, um im Büro und im Haushalt den Leerlauf zu reduzieren. ({3}) Mit diesen Themen befaßt sich auch unser Antrag. Wir fordern, daß die interministerielle Arbeitsgruppe „CO2-Emission“ endlich wieder aktiv wird. Sie ist zwar eingerichtet worden, aber ihre Arbeit ist in den vergangenen Jahren zum Erliegen gekommen. Allerdings verlangt die Fortführung ihrer Arbeit die entsprechende personelle Unterstützung in den einzelnen Ministerien Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Landwirtschaft, Wirtschaft usw. -, damit die interministerielle Arbeitsgruppe zu Ergebnissen kommen kann. Ich möchte noch kurz den Verkehrssektor ansprechen; meine Redezeit läuft leider ab. Der Verkehrssektor ist ein Sorgenkind; das wissen wir. In unserem Antrag sind in diesem Zusammenhang diverse Maßnahmen enthalten. Ich bin sehr froh und dankbar, daß der Minister auf der Konferenz in Bonn den Luftverkehr angesprochen hat, der riesige Wachstumszahlen aufweist und eine große Klimarelevanz hat. Ich hoffe, daß wir in diesem Bereich weiterkommen. Wir wissen, daß noch viel zu tun ist, um das zugesagte Klimaschutzziel zu erreichen. In den letzten zehn Jahren wurde viel Zeit verloren. Daß Bundeskanzler Schröder nun eine umfassende nationale Strategie für eine Minderung der klimaschädlichen Treibhausgase angekündigt hat, macht uns Hoffnung. Wir unterstützen ihn dabei. Ich hoffe, daß wir auch international weiter gemeinsam an einem Strang ziehen. Schönen Dank. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Klaus Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich teile die Einschätzungen des Kollegen Loske und des Kollegen Müller hinsichtlich der Klimaanalyse. Ich teile auch die Befürchtungen, die auf der Bonner Klimakonferenz geäußert worden sind. Wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen. Aber daß Sie, Herr Müller, und insbesondere Sie, Herr Trittin, sich so lange bei der Analyse aufgehalten haben, ist doch entlarvend. Denn der Punkt ist: Sie haben nichts getan und auch nichts dazu beigetragen, daß sich etwas tut. ({0}) Ich will Ihnen noch eines sagen: Sie - auch Herr Müller hat diese Richtung eingeschlagen - haben zu Frau Merkel gesagt, das kleinliche Gezerre solle unterbleiben. Blicken wir doch einmal zurück nach Kioto. Was haben Sie, Herr Müller, nach der Konferenz von Kioto gesagt? Sie haben sie so bewertet - schließlich waren damals noch die anderen an der Regierung -, daß wir dort eklatante Rückwärtsbewegungen erlebt hätten, so ausweislich des Protokolls; die Welt sei in Gegenwartsproblemen gefangen. Ihr Kanzler Schröder - mit dem Sie ja sowieso nicht übereinstimmen - hingegen sagt, daß die Konferenz in Kioto ein Durchbruch und ein voller Erfolg gewesen sei. So fließt Ihr parteiliches Hickhack in Ihre Bewertung ein. ({1}) Ihr Kanzler vertritt hier eine andere Auffassung als Sie. Daß er in der Sache selbst nichts gemacht hat, dazu komme ich noch. Frau Hustedt hat schließlich noch gesagt: Wir übernehmen insofern Altlasten, als vier Jahre nichts für den Klimaschutz getan wurde. ({2}) Ich habe Ihnen schon mehrfach gesagt, daß es für den Fall, daß Sie sich nicht selbst entlarven, Gott sei Dank ein Bundespresseamt gibt. Es gibt aber auch das Pressereferat des Umweltministeriums. ({3}) Dieses korrigiert die rotgrünen Falschaussagen, wie sie zum Teil auch heute hier getroffen werden. Sie haben gerade gehört: Rückgang in der Klimapolitik. Was schreibt rechtzeitig zur Berliner Konferenz am 19. Oktober 1999 das Pressereferat? Seit 1990 hat Deutschland eine Vorreiterrolle in der internationalen Klimapolitik innegehalten. Die Warnungen der Atmosphärenphysiker, Meteorologen und Klimatologen wurden schon in einer frühen Phase sehr ernst genommen … Ihr Umweltministerium, Herr Trittin, sagt das! Sagen Sie doch etwas dazu, Frau Ganseforth! Wo waren denn die Fehlleistungen? ({4}) Das BMU erklärt auch: Die Kabinettsentscheidung vom 13. Juni 1990 brachte den Startschuß für ein nationales Klimaprogramm schon lange vor Rio! Weiter heißt es vom BMU, daß eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt worden sei, damit Deutschland einen effektiven Beitrag zum Klimaschutz leisten könne. Im Jahre 1997 habe - so das BMU - das Kabinett beschlossen, daß diese Gruppe im Jahr 2000 einen weiteren Zwischenbericht und einen Maßnahmenkatalog vorlege. Das, was Sie heute vorlegen, ist doch nichts anderes, als die Entscheidungen von damals zu wiederholen. Sie fügen dem keinen einzigen neuen Beschluß hinzu! ({5}) Zwischen 1990 und 1998, zu einem Zeitpunkt also, als Sie noch keinen Einfluß hatten, seien, so das Pressereferat des BMU, die jährlichen CO2-Emissionen um 140 Millionen Tonnen in Deutschland zurückgegangen. ({6}) Dieser Erfolg Deutschlands sei einmalig, so das BMU im Oktober dieses Jahres. Leider haben Sie diese Stellungnahme in einer englischsprachigen Broschüre verbreitet. Ich weiß nicht, warMonika Ganseforth um Sie das nicht auf deutsch geschrieben haben. Dann hätten dies ein paar mehr lesen können. Es wäre ganz gut gewesen, wenn sie es einmal gelesen hätten. Sich aber in Bonn mit unseren Erfolgen zu brüsten und hier zu sagen, früher sei alles falsch gewesen, läuft nicht. ({7}) In der Presseerklärung wird auch mit der von Ihnen verbreiteten Falschaussage aufgeräumt, daß die Reduktion der CO2-Emissionen ausschließlich auf Mauerfallgewinner zurückgeht. In diesem Zusammenhang werden eine ganze Reihe von für diese Entwicklung verantwortlichen Faktoren angesprochen: Die Wärmedämmung und die Altbausanierung seien äußerst erfolgreich gewesen. Die deutsche Bereitschaft, Asylanten und andere aufzunehmen, was zu einem Zustrom von 2 Millionen Menschen geführt habe, gehe in unsere Emissionsbilanz mit zusätzlichen 50 Millionen Tonnen CO2 ein. Im Zuge der Wiedervereinigung - dies alles schreibt das BMU seien 1 Million Menschen aus den neuen in die alten Bundesländer gegangen. Die Produktionskapazität in den alten Bundesländern sei bis zur Grenzbelastung hochgefahren worden. Jetzt zu Ihrer Frage, was wir geleistet haben: Der entscheidende Faktor ist die ständige Verbesserung der Energieeffizenz in Wirtschaft und Haushalten. Diesen Fortschritt gab und gibt es nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern hat jahrelang in den alten Bundesländern stattgefunden, und diese Entwicklung setzt sich ungebrochen fort. So die Pressestelle des BMU. ({8}) Herr Trittin, was sagen Sie eigentlich zur Vergangenheit? Sie wissen ja noch nicht einmal, was Ihre Pressestelle schreibt. Ich sage Ihnen: Nicht Sie haben recht, sondern Ihre Pressestelle. Das ist der Unterschied. Herr Loske, Sie haben gerade zu Recht das gestrige Ende des High-level-Segments angesprochen. Vor dem Hintergrund dessen, was wir erleben konnten, ist festzuhalten: Der deutsche Minister hat das High-levelSegment nicht beeinflußt, und auch das High-levelSegment hat diese Konferenz nicht beeinflußt. Wir hätten auf all dies verzichten können; denn außer geringen technischen Verbesserungen ist dabei - bedauerlicherweise, so füge ich hinzu - nichts herausgekommen. Es kommt zu einer geringen Kapazitätserweiterung, zu „capacity building“. Es sind ein paar neue Expertenrunden gebildet worden. Wenn ich das aber mit dem Durchbruch von Kioto vergleiche, dann ist festzustellen, daß hier bedauerlicherweise eine Chance vertan worden ist. Was mich und was auch Sie nachdenklich stimmen sollte, ist, daß dort bereits darüber gesprochen wird, daß durch die nächste Vertragsstaatenkonferenz eventuell kein Abschluß herbeigeführt werden wird, sondern unter Umständen erst durch die 7. Vertragsstaatenkonferenz. Das stellt alle Formulierungen des Kioto-Protokolls in bezug auf den Prozeß „Rio plus zehn“ in Frage. ({9}) Auf eine Verwirklichung dieser Vorgaben sollten wir hinarbeiten. Das setzt doch voraus, daß Sie auf Spitzenebene Gespräche führen. Das hat der frühere Kanzler getan. Ich möchte einmal wissen, ob von Herrn Schröder bei seiner jetzigen Reise in Japan und in China die Klimakonvention angesprochen worden ist. ({10}) Ich wette, daß er das nicht getan hat. Er posaunt doch immer alles heraus, was er tut. Wenn er dies nicht herausposaunt hat, hat er auch nichts getan. Das heißt also, Sie haben auf dieser Ebene de facto nichts Konkretes beigetragen. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Loske?

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Der Kanzler hat in Bonn vor der Klimaschutzkonferenz ausgeführt, daß er das Klimaschutzziel bestätige. Er hat die Maßnahmenpalette der Vorgängerregierung dargestellt und die Erfolge der Vorgängerregierung gepriesen, als wären es seine eigenen. ({0}) Dann hat er gesagt, die Hausaufgaben müßten zu Hause erledigt werden, bevor man sich an andere wende. Ferner hat er auf die Ökosteuer hingewiesen, von der Wissenschaftler zutreffend sagen, daß sie keinen Lenkungseffekt hat. Ich will das jetzt nicht vertiefen. Das Gerangel übrigens, das Sie gestern im Hinblick auf die Ökosteuer veranstaltet haben, macht deutlich, daß es Ihnen im Kern nicht um die Sache geht, sondern daß Nebenziele zu Hauptzielen hochstilisiert werden. Jeder, der als letzter mit Ihnen spricht, hat die Chance, eine Änderung des Gesetzesvorhabens zu erreichen. ({1}) Der Kanzler hat weiterhin den Ausstieg aus der Kernenergie angesprochen. Sie auch, Herr Trittin. Nur, er hat hinzugefügt - ich weiß langsam nicht mehr, was ich glauben soll -: „Für mich steht nicht der Ausstieg aus der Kernenergie im Vordergrund.“ - Damit müssen Sie selber fertig werden. Sie haben nichts Konkretes vorgebracht, statt dessen nur Sprüche wie zum Beispiel „Effizenzrevolution“. Sie haben kein schlüssiges Energiesparkonzept vorgelegt. - Die Energieeinsparverordnung schlummert seit einem Jahr bei Ihnen. Wir haben die Vorarbeiten geleistet, Sie sind aber noch nicht einmal in der Lage, diese abzuschließen. Höhepunkt der Aussagen des Kanzlers in Bonn war die Stellungnahme zur Verkehrspolitik. Er hat dort einige Schlagworte in den Raum gestellt und wie üblich ein Scheinmachtwort gesprochen, indem er sagte: Hier muß unbedingt etwas geschehen! Er hat aber nicht gesagt, was geschehen soll. Außerdem hat er ganz schnell Dr. Klaus W. Lippold ({2}) hinzugefügt - zu Ihrer Unterrichtung, Frau Ganseforth -, es gehe nicht um die Einschränkung von Mobilität. Was wollen Sie denn eigentlich? Sie sprechen von Vermeidung und Zurückführung, der Kanzler aber sagt, daß die Mobilität nicht eingeschränkt werden soll. Auch dazu, wie die Verlagerung von der Straße auf die Schiene vonstatten gehen soll, gab es kein Wort. ({3}) Wo ist eine Minderungsstrategie? Wir hatten 1997 beschlossen, daß im nächsten Jahr ein neues Maßnahmenpaket erarbeitet werden soll. Warum stellt er dieses neue Maßnahmenpaket nicht in Bonn vor? Wahrscheinlich ist nichts getan und nichts erarbeitet worden. Abgesehen von einer Weiterführung unserer Vorleistungen hat diese Regierung nichts gebracht. Von Ihnen kam auch nichts Neues. ({4}) Ich will ganz deutlich sagen: Wenn wir heiße Luft verhindern wollen, dann müssen wir leere Verprechungen verhindern. Diese sind nämlich genauso schlimm wie „hot air“ im Klimaprozeß. So kann das nicht laufen. Herr Trittin hat ja in seiner Rede in Bonn das Ganze noch etwas variiert. Zum additiven Maßnahmenbündel der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz sagte er: Wir streben an, Mitte nächsten Jahres ein Maßnahmenbündel vorzulegen. Der Zeitpunkt wird also schon wieder relativiert. Man könnte da auch heraushören, daß es Ende nächsten Jahres wird. Wann soll es denn soweit sein? Nach der nächsten Vertragsstaatenkonferenz? ({5}) Von Ihnen kommen nur Sprüche, heiße Luft und Ankündigungen; nichts setzen Sie konkret um. Was Sie bezüglich der Kernenergie vorhaben, ist genauso falsch wie das, was Sie bei der Ökosteuer gemacht haben. So kann man es nicht machen. Sie machen nicht, wie Sie es versprochen haben, vieles anders und alles besser, sondern Sie machen alles wie früher, nur schlechter und langsamer! Das darf so nicht sein. ({6}) Jetzt auf einmal wehren Sie sich, in der Energieeinsparverordnung Erleichterungen und Beschleunigungsmöglichkeiten für die Umsetzung vorzusehen. Wie wollen Sie denn eine Akzeptanz für die Energieeinsparverordnung erzielen, wenn Sie ein komplexes Regelwerk vorlegen, das die Menschen nicht verstehen? Sie muß doch von den Leuten angenommen werden, um angewandt zu werden. Wenn Sie sie schon im Vorfeld für eventuell zu einfach und zu verständlich halten, dann führt Ihre Kritik dazu, daß es hinterher an der Akzeptanz hapert und die Verordnung nicht umgesetzt wird. Sie glauben, möglichst viele Regelungen und ein starkes Ordnungsrecht bringen es. Langsam ändern sich ja auch Ihre Einstellungen, denn der Kanzler lobte kürzlich die Selbstverpflichtungen. Ich meine aber, daß das nicht weit genug geht. Wir bestehen deshalb darauf, daß Sie jetzt umgehend den zweiten Teil eines nationalen Klimaschutzprogrammes vorlegen, nachdem der erste Teil von uns vorgelegt wurde, und daß wir dieses ausführlich diskutieren können. Die Debatte sollte dabei nicht kurzfristig nach der Klimaschutzkonferenz eingeschoben werden, so daß wir noch nicht einmal über das Schlußwort diskutieren können. Warum sagen Sie, Herr Trittin, nachdem das High-level-Segment gestern abgeschlossen wurde, wie Herr Loske zu Recht anmerkte, ({7}) heute nicht, was in der Schlußerklärung steht? Oder haben Sie darauf verzichtet, dort Einfluß zu nehmen? Das wäre früher so nicht gelaufen. Bis zur letzten Minute hätten wir versucht, die Dinge auf den richtigen Weg zu bringen, damit die Ausgangslage für weitere Diskussionen bei den nächsten Klimaverhandlungen stimmt. All das machen Sie, meine Damen und Herren, nicht. Vor allen Dingen vermissen wir den nötigen Druck auf internationaler Ebene. Sie rühmen sich damit, daß das, was wir auf europäischer Ebene erreicht haben, jetzt gerade einmal so von Ihnen gehalten wird. Das kann so nicht weitergehen. Wir müssen entschiedener dafür kämpfen - da sind wir, Herr Loske, wieder bei einem gemeinsamen Anliegen -, daß die Maßnahmen, die wir auf Grund unserer Analyse für richtig halten, auch international durchgeführt werden. Diesen entschiedenen Einsatz vermissen wir aber bei dieser Bundesregierung. Darüber hilft auch Ihre intelligente Analyse nicht hinweg. Sie war gut und richtig, aber sie sagt zuwenig zum Handeln. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Ulrich Kasparick.

Ulrich Kasparick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003158, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ihre Empfehlung, bei der Klimapolitik international besser zu kooperieren, setzt eines voraus, Herr Lippold: Wir müssen aufhören herumzubolzen. ({0}) Wir müssen sensibler und präziser werden. Die Art Ihres Vortrages war nicht sehr einladend, um einen Dialog zu führen. Das möchte ich Ihnen ganz deutlich ins Stammbuch schreiben. ({1}) Ich will deswegen auf Ihren Beitrag nicht näher eingehen, sondern das Augenmerk auf einen Punkt richten, der nach meinem Eindruck heute in der Debatte etwas zu kurz gekommen ist. Wir dürfen nicht vergessen: Wer über Klimapolitik spricht, hat es mit einem Zeitproblem Dr. Klaus W. Lippold ({2}) zu tun. Wir müssen politische Instrumente, die auf Kooperation angelegt sind, gegen das Exponentialwachstum bei den Schäden entwickeln. Martin Schulze hat 1995 am Ende des Weltklimagipfels gesagt: Wenn junge Menschen die Delegierten gewesen wären, dann hätten wir sicher zum Abschluß des Gipfels bessere Ergebnisse als die, die wir heute haben. - Aber die ältere Generation hatte das Sagen; entsprechend waren die Ergebnisse. ({3}) Was Martin Schulze 1995 gesagt hat, wäre sicher auch für manche der Konferenzen zutreffend, die danach stattgefunden haben. Was ist das Problem? Das Problem ist, daß die Schäden exponentiell wachsen. Ich will Ihnen das an einem kleinen Beispiel zeigen. Wenn Sie ein Blatt Papier 40mal falten, dann entspricht der Gesamtumfang, der sich aus dem Umfang der Einzelstücke zusammensetzt, der Entfernung zwischen Erde und Mond, also 250 000 Kilometer. Sie haben es in diesem Beispiel mit Exponentialwachstum zu tun. Diese Art von Wachstum ist auch bei den Umweltschäden zu finden. Unter diesem Blickwinkel waren die vergangenen 10 Jahre eine vergeudete Zeit, weil in dieser Zeit die Politik viel zu zaghaft und viel zu unentschlossen war. Mich wundert, daß heute immer noch gesagt wird, der Einstieg in die ökologische Steuerreform sei falsch. ({4}) Endlich haben wir den Schritt gemacht und die Volkswirtschaft auf einen neuen Entwicklungspfad umgestellt. Sie aber sprechen davon, daß es der falsche Weg sei! Ich will Ihnen dazu in aller Offenheit sagen: Ein Grund für meine Kandidatur war damals, mitzuhelfen, daß diese verfehlte Klimaschutzpolitik aufhört. ({5}) - Herr Grill, Sie gehören ja auch zu denen, die lieber bolzen, anstatt zu argumentieren. ({6}) Ich will Ihnen noch einen zweiten Punkt nennen. Wir wissen, daß Deutschland auf dem Gebiet der Klimaforschung gut ist. Während der Vorbereitung meines Redebeitrages habe ich mit den auf diesem Gebiet führenden Instituten persönlich gesprochen. ({7}) Die Meinung dieser Institute ist, daß wir gut, aber bei weitem noch nicht die Besten sind. England ist in vielen Bereichen der Klimaforschung besser. Insbesondere, was die Rechnerleistung betrifft, müssen wir in Deutschland besser werden. Wir brauchen einen europäischen Rechnerverbund. ({8}) - Ich fange die Diskussion an der Stelle an, an der Sie offensichtlich nicht mehr auf dem neuesten Stand sind. ({9}) Wir müssen nämlich einmal darüber reden, was unsere Forschungsinstitute uns Politikern an guter Sachinformation eigentlich zuarbeiten können. Ich will Sie einmal über drei Trends aufklären, die wir derzeitig in der Klimaforschung haben: ({10}) - Frau Homburger, hören Sie ruhig zu! Sie können noch eine Menge lernen. Der erste Trend: Wir wissen immer genauer, wie sich unsere bisherige verfehlte Energiepolitik auf regionale Kreisläufe auswirkt. Aber um noch präzisere Informationen bekommen zu können, brauchen wir mehr Rechnerkapazitäten. Dazu braucht die Forschung in Deutschland die Unterstützung des Parlamentes auch auf europäischer Ebene. Ich lade Sie herzlich dazu ein, an dieser Stelle mitzuhelfen. ({11}) Der zweite Trend: Wir brauchen Bewertungskriterien, um beurteilen zu können, wie das Klimasystem überhaupt stabil gehalten werden kann. In diesem Bereich wissen wir zu wenig. Der dritte Trend: Wir müssen in der Klimaforschung lernen, systemisch zu forschen. An dieser Stelle möchte ich gern ein Lob an das Bundesministerium für Bildung und Forschung weitergeben. Mir ist von allen Instituten gesagt worden, daß das BMBF genau an der richtigen Stelle ansetzt, weil es die systemische Forschung fördert, um mehr über die Komplexität der Zusammenhänge zu erfahren. Insofern liegt der Sachverhalt nicht ganz so einfach, wie Frau Homburger darzustellen versucht, indem sie sagt, alles sei im Grunde genommen klar, nur die politischen Handlungsansätze seien noch nicht richtig. Richtig ist: Wir verstehen das System noch zuwenig. Deshalb müssen wir die Gratwanderung unternehmen, auch angesichts des enormen Tempos der Zunahme der Schäden sehr zielgenau in Forschung und Entwicklung zu investieren. Insbesondere brauchen wir Großrechner, die die komplexen Systeme besser abbilden können. Ich darf noch eines bemerken: Für mich als Ostdeutschen ist es ein schönes Indiz, daß in der Klimaforschung in Deutschland das Hamburger Institut nicht alleiniger Hauptakteur am Markt ist, sondern daß es mittlerweile auch in Ostdeutschland führende Klimaforschungsinstitute gibt. Das Potsdamer Institut ist erwähnt worden; ich will noch auf das Institut in Kühlungsborn hinweisen. Alle sagen uns: Die Schäden nehmen mit einem unglaublichen Tempo zu. Aus Kühlungsborn habe ich noch gestern per Telefon gehört: Die Temperatur nimmt in der Höhe, in der das Institut speziell forscht - 82 Kilometer über dem Boden -, zehnmal schneller ab, als bislang errechnet worden ist. Wir wissen, daß nach neuesten Messungen das Verschwinden der GletschersyUlrich Kasparick steme in Europa dreimal schneller vor sich geht, als man bisher angenommen hat. Wir wissen, daß die Veränderungen in der Atmosphäre - Herr Loske hat es heute angesprochen - mit einer Verzögerung von 40 bis 50 Jahren klimawirksam werden. Das Kunststück der Politik muß darin bestehen, im Vorgriff auf diese Wirkungen Maßnahmen zu ergreifen, von denen wir noch nicht wissen, ob sie ausreichend zielführend sind. Wir brauchen ganz dringend eine Verstärkung der Effizienzforschung. Ich habe mir die Institute in Ostdeutschland sehr genau angeschaut. Dresden macht das, wie ich finde, gut. Dort entwickelt man ein Forschungsnetz für Materialforschung. Auch das Wirtschaftsministerium setzt den Akzent an eben dieser Stelle. Wir brauchen die Vernetzung zwischen Klimaforschung und angewandter Forschung, stärker noch, als das in der Vergangenheit der Fall war. Wir müssen lernen - das zeigt diese Debatte -, besser zu kooperieren. Das sagen uns auch die Institute: Was die Kooperationsfähigkeit betrifft, sind wir noch ganz am Anfang der Debatte. Ich werbe dafür, die Forschungsprogramme, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft plaziert hat, fortzusetzen und zu stärken. Die Entwicklung der Netzwerkforschung muß wesentlich intensiver als bisher vorangetrieben werden. Die Energieeffizienz muß weiter steigen. Dafür müssen wir sehr viel mehr Forschungsmittel bereitstellen. Zudem müssen wir die Potentiale erneuerbarer Energie nutzen, was in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt worden ist. Und wir müssen die Entwicklung neuer Technologien fördern. Da ist das Wirtschaftsministerium auf einem guten Weg. ({12}) Allerdings, so sage ich, ist das nicht genug angesichts der Entwicklungen, mit denen wir es zu tun haben. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich habe versucht, Ihnen einige wichtige Trends aufzuzeigen. Zwischen der dramatischen Beschleunigung der Zunahme der Schäden auf der einen Seite und der Entwicklung der systemischen Arbeiten - deren Notwendigkeit unbestritten ist - auf der anderen Seite öffnet sich eine Schere, die wir bei den politischen Entscheidungen nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Wir müssen lernen, im politischen Raum ergebnisorientierte Kommunikationsprozesse zu organisieren. Wir brauchen auch in der Politik eine bessere Vernetzung, eine bessere Kooperation. Ich will schließen mit dem Zitat eines UN-Generalsekretärs: Ich will die Zustände nicht dramatisieren. Aber nach den Informationen, die mir als Generalsekretär der Vereinten Nationen zugehen, haben nach meiner Schätzung die Mitglieder dieses Gremiums noch etwa ein Jahrzehnt zur Verfügung, ihre alten Streitigkeiten zu vergessen und eine weltweite Zusammenarbeit zu beginnen. Wenn eine solche Partnerschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht zustande kommt, dann werden, fürchte ich, die erwähnten Probleme derartige Ausmaße erreicht haben, daß ihre Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das hat nicht Kofi Annan gesagt, das war der frühere UN-Generalsekretär U Thant, und zwar im Jahre 1969. Herzlichen Dank. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt die Kollegin Ulrike Flach, F.D.P.-Fraktion.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben uns in den letzten zwei Stunden sehr viel in luftigen Höhen bewegt. Wir haben die berühmte heiße Luft sehr kräftig zirkulieren lassen. Ich möchte mich aus diesem Grunde auf den denkwürdigen Satz des Ministers Trittin beschränken: Tue Gutes im eigenen Lande. Sie haben immer wieder betont, daß Deutschland beim Klimaschutz Vorreiter bleiben muß, Frau Ganseforth. Vorreiter waren wir mit guten Ergebnissen bei den CO2-Reduktionen weiß Gott. Wenn man Vorreiter sein will, muß man selbst Vorleistungen erbringen. Hier geben Sie aus der Sicht der F.D.P. im Augenblick leider das Bild eines Hausmanns ab, der beim Nachbarn den Staub auf der Kommode kritisiert, bei dem zu Hause sich das dreckige Geschirr aber immer höher stapelt. ({0}) Was haben Sie zum Beispiel im Baubereich getan? Die privaten Haushalte tragen einen erheblichen Teil zum Ausstoß von CO2 bei, jeder Haushalt jährlich im Schnitt 1,9 Tonnen CO2 und 9,24 Kilogramm Schwefeldioxid. Es ist unstreitig - da sind wir uns alle einig -, daß hier die größten Einsparpotentiale ausgeschöpft werden können. Die CDU/CSU-F.D.P.-Regierung hat mit der Novellierung der Wärmeschutzverordnung 1995 einen wichtigen Beitrag zur CO2-Reduzierung geleistet. ({1}) Damals war auf Grund eines Votums des Bundesrates klar, daß bis zum Jahre 2000 eine Novellierung der Wärmeschutzverordnung nötig sein würde. Jetzt schaue ich mir Ihren Antrag an. Auf Seite 6 begrüßen Sie die Absicht der Bundesregierung, mit „einer wirksamen und einfach zu vollziehenden Energiesparverordnung 2000 den CO2-Verbrauch im Gebäudebereich nachhaltig zu senken“. Da laufen Sie bei uns weiß Gott offene Türen ein. Aber genau das haben Sie nicht gemacht. Sie haben einen Entwurf vorgelegt, zu dem uns Experten, und zwar Ihre eigenen Experten, mitteilen, daß bereits 100 Einwände vorliegen und daß die erste Vorlage eines beratungsreifen Entwurfs gerade einmal Ende 1999 zu erwarten ist. ({2}) Das heißt, Sie haben sich vom Termin 2000 bereits jetzt verabschiedet. Das betrifft 20 Millionen Tonnen CO2 im nächsten Jahr. Es wäre weiß Gott besser für dieses Land, wenn Sie einfach nur unsere Wärmeschutzverordnung novellieren würden. Wie wäre es denn damit? ({3}) - Wir haben gesagt, da laufen Sie bei uns offene Türen ein. Sie fordern weiterhin, „das Förderprogramm CO2Minderung im Gebäudebereich deutlich zu verstärken und zu optimieren“. Dabei führen Sie als Anreiz die Kapitalisierung von Zinsvorteilen an. Ich habe geglaubt, ich lese nicht richtig! Was haben Sie denn vorige Tage im Umweltausschuß explizit abgelehnt, als ein solcher Vorschlag der F.D.P. auf dem Tisch lag? ({4}) - Offensichtlich, Herr Müller! ({5}) Auf Seite 5 fordern Sie steuerliche Vorteile für Unternehmen im Rahmen eines Energieaudits. Genau dies haben wir letzte Woche vorgeschlagen, und Sie haben es abgelehnt. ({6}) Wie würden eigentlich Sie ein solches Verhalten nennen? Ich möchte an dieser Stelle nicht die Kollegin Lengsfeld zitieren, die dazu in der letzten Sitzung des Umweltausschusses sehr eindeutige Worte gefunden hat. Ich schaue mir Ihren Haushalt an. Sie sagen selbst, im Gebäudebestand liegen die größten CO2-Einsparpotentiale. Dann sehe ich, daß Sie die Mittel für Energieeinsparung bei Wohngebäuden bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau erhöht haben, aber Sie haben genau die gleichen Positionen bei den Gebäuden des Bundes gekürzt. Wir haben 1998 dafür 81 Millionen DM ausgegeben, Sie geben in diesem Jahr nur noch 67 Millionen DM aus. ({7}) Sind wir immer noch Vorreiter, Herr Trittin, oder wie läuft das jetzt weiter? Was tun Sie zum Beispiel für die Förderung von Passivenergiehäusern und Plusenergiehäusern? Was machen Sie mit Ihrer Ökosteuer, wenn es wie in Freiburg Firmen gibt, die Null-Emission-Fabriken erstellen? Werden solche Betriebe von der Ökosteuer befreit? ({8}) Es ist zu überlegen, was mit freiwilligen Selbstverpflichtungen erreicht werden kann. ({9}) Immerhin haben wir 3,4 Millionen Tonnen CO2 auf Grund der Selbstverpflichtung der Industrieverbände eingespart. Sie berücksichtigen bei Ihren Ökosteuermodellen nichts in dieser Art. Sie verzichten auf die ökologische Lenkungsweise zugunsten einer Verbesserung der Kassenlage. ({10}) - Dort sollten Sie wirklich eine Anleihe machen, Herr Müller. ({11}) In Ihrem Antrag gibt es manche Forderungen - ich komme jetzt auf Sie zu -, denen wir zustimmen können, zum Beispiel beim Thema kontraproduktive ökologische Subventionen. Die wollen Sie abbauen; die wollen selbstverständlich auch wir abbauen. Nur lese ich voll Erstaunen, daß Sie nach wie vor die Steinkohlesubventionen in erheblichem Umfang gewähren. Wir haben sie sozial und regional verträglich von 9,25 Milliarden DM auf 5,5 Milliarden DM gekürzt. Sie wollen da nicht heran. Ihre Kollegen in Nordrhein-Westfalen - in diesem Fall die grünen Kollegen - haben schon gesagt, sie dächten nicht im Traum daran, diese Subventionen zu kürzen. Ist das ökologisch? Nur leere Worthülsen! ({12}) Wir waren es nicht, die behauptet haben, dies müsse getan werden. Weiter fordern Sie eine klimafreundliche Verkehrspolitik. Meinen Sie, daß es klimafreundlich ist, wenn auf Grund der massiven Kürzungen der Mittel für den Straßenbau die Menschen mit ihren Autos im Stau stehen? Denken Sie einmal darüber nach! ({13}) Als Nordrhein-Westfale habe ich mit meinem Auto viele Stunden am Kölner Ring verbracht. Ich komme nie durchs Ruhrgebiet. Es gibt 950 Ortsumgehungen. ({14}) - Verdammt noch mal, für den Zug haben Sie auch zuwenig getan. ({15}) Das ist doch genau der Punkt. Sie tragen dazu bei, daß auf den Straßen Millionen Tonnen von CO2 ausgestoßen werden, tun aber nichts für den öffentlichen Personennahverkehr. ({16}) Überlegen Sie doch einmal, wie lange wir Ihnen schon sagen, Sie sollten den öffentlichen Personennahverkehr von der Ökosteuer ausnehmen. Jetzt verkaufen Sie es uns als besonderen Gewinn, daß Sie an Ihrem eigenen Gesetz herumfummeln und es verbessern. Aber ein Jahr ist ins Land gegangen. ({17}) Übrigens hat Kollegin Homburger recht: Das Gesetz ist noch immer nicht schlüssig. Meine Damen und Herren, wir haben dem nach unserer Sicht nicht optimalen Konzept der Ökosteuer eine wirklich ökologische Alternative gegenübergestellt, die Sie eigentlich mit Begeisterung unterstützen müßten, nämlich die Abschaffung der Kfz-Steuer und Umlage auf die Mineralölsteuer sowie die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale. All dies haben Sie in der letzten Woche in den entsprechenden Ausschüssen abgelehnt. ({18}) Auf meine dezidierte Frage, wie Sie es sich sonst vorstellen, habe ich keine Antwort bekommen. Sie sind mit dem Banner Ihrer Modelle durch die Lande gezogen und haben Stimmen gesammelt, setzen sie aber nicht um. Das Thema Schlupflöcher möchte ich angesichts meiner noch zur Verfügung stehenden Redezeit einmal außen vor lassen, obwohl ich der Meinung bin, daß diese von Herrn Trittin endlich geschlossen werden müßten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Flach, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Flach, ich möchte Sie fragen, ob Sie mit mir der Meinung sind, daß es positiv zu bewerten ist, daß Busse und Bahnen im Rahmen der Ökosteuer bevorzugt behandelt werden, daß die GVFG-Mittel nicht gekürzt worden sind? Ist Ihnen bekannt, daß zum Jahr 2000 die streckenbezogene LkwGebühr eingeführt werden soll und daß dies aus technischen Gründen nicht eher möglich ist? Ich könnte noch weitere Punkte anführen, möchte Sie aber nur fragen, ob Sie meinen, mit Ihrer Argumentation richtig zu liegen.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Homburger und ich haben ein Jahr lang immer wieder eingefordert, daß bei der Ökosteuer nicht der öffentliche Personennahverkehr einbezogen wird. Das war ein Fehler in Ihrer Gesetzesvorlage. ({0}) Die F.D.P. ist Ihnen ausgesprochen dankbar, daß Sie diesen Fehler jetzt korrigieren. Das heißt nicht, daß wir deswegen das gesamte Gesetz gut finden, aber es ist zumindest an dieser Stelle verbessert worden. Wer sich ökologisch verhält und mit Bahn oder Bus fährt, sollte dafür nicht auch noch bestraft werden. ({1}) Damit wäre ich bei den regenerativen Energien. Sie haben uns hier - auch gerade wieder - plakativ das 100 000-Dächer-Programm vorgestellt. Selbst Ihre eigenen Leute reden davon, daß dies vornehmlich für die Publikationen in der Presse gut ist. Ich möchte an dieser Stelle einmal das Wuppertal-Institut zitieren, das Ihnen drastisch ins Stammbuch geschrieben hat, daß es sich dabei um eine einseitige, imageträchtige Subventionierung von Solarstrom handelt. Kurz- bis mittelfristig wären biogene Energieträger ein deutlicherer Beitrag zum Klimaschutz. ({2}) Meine Damen und Herren, Sie setzen ganz offensichtlich falsche Schwerpunkte. Herr Minister Trittin hat eben wieder die Liberalisierung auf dem Energiemarkt verteufelt. Auch damit stehen Sie alleine.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Flach, Sie müssen bitte zum Schluß kommen. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme gerne zu meinem Fazit. Ich möchte den Klimaexperten von Greenpeace bei der Klimakonferenz, Karsten Smid, zitieren, der der jetzigen Bundesregierung in Gestalt von Herrn Minister Trittin bescheinigte, daß Zweckoptimismus wirklich fehl am Platze sei und daß sich die Bundesregierung null vorwärts bewegt habe. Ich empfehle Ihnen also: Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Wir unterstützen Sie in guten Punkten. Ein erster Schritt wäre, den Antrag der F.D.P. zu unterstützen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDSFraktion spricht jetzt der Kollege Carsten Hübner.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin der Fraktion der CDU/CSU sehr dankbar ({0}) - ja, auch das kommt vor, wenngleich selten -, daß sie uns mit ihrem Antrag die Gelegenheit gibt, hier im Parlament explizit über die Auswirkungen der Klimaveränderungen auf die Umwelt- und Lebensbedingungen in den Entwicklungsländern zu debattieren. AußerordentUlrike Flach lich erfreut bin ich darüber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß ich diesbezüglich große Teile der Analyse und auch der Forderungen Ihres Antrags durchaus teilen kann. Ich frage mich bloß, warum Sie die darin enthaltenen Eckwerte und Maßnahmen in den letzten Jahren nicht mit mehr Nachdruck umgesetzt haben. Die Möglichkeit dazu hätten Sie ja gehabt. ({1}) Sie erlauben mir aber, einige weitere Aspekte in die Debatte einzubringen, um die Dringlichkeit von konsequenten Entscheidungen zu unterstreichen, die verdeutlichen, daß weitere Verzögerungen nicht hingenommen werden können, und die die Frage nach der Verantwortung für den Klimaschutz vom Kopf auf die Füße stellen. Für die Entwicklungsländer ist die ökologische und damit an vorderer Stelle auch die Klimafrage eines der dringlichsten Probleme, auch eines der dringlichsten sozialen Probleme. Bereits jetzt haben viele Verelendungsprozesse in der sogenannten dritten Welt neben ökonomischen und politischen Herrschaftsverhältnissen ökologische Zerstörungen als unmittelbare Ursache. Das gilt zum Beispiel in der Sahelzone, wo seit Mitte der 70er Jahre die Niederschlagsmenge auf Grund der Erderwärmung um zirka 40 Prozent zurückgegangen ist. Auch die Verwüstung großer Teile Mittelamerikas durch den Hurrikan „Mitch“ oder die Verstärkung des Klimaphänomens El Niño, das unter anderem Dürrekatastrophen und riesige Waldbrände in Südostasien ausgelöst hat, stehen nach bisherigem Wissensstand in einem direkten Zusammenhang mit der Erderwärmung. So scheint es nur folgerichtig, wenn das FraunhoferInstitut für den Fall, daß sich der Prozeß der Erderwärmung nicht rasch und spürbar verlangsamt, bis zum Jahr 2030 900 Millionen bis 1,8 Milliarden zusätzliche Hungertote prognostiziert, womit ein Szenario an die Wand projiziert wäre, wie man es sich grauenvoller wohl kaum vorstellen kann. Damit ist auf das Gewicht der Verantwortung, das wir im entwickelten Norden als Hauptverursacher der Klimaveränderungen tragen, wohl hinreichend hingewiesen. Hierdurch wird der von den Industrienationen in vielen Verhandlungen formulierte Anspruch mehr als relativiert, daß die Entwicklungsländer die gleiche oder gar eine größere Verantwortung für die Bekämpfung von Klimaveränderungen zu tragen haben, wenn es etwa um die Eingrenzung von Treibhauseffekten, also um die Reduzierung von CO2-Emissionen oder um die sogenannte Überbevölkerung geht. Die Realität ist schlicht eine andere: Der reiche Norden verschlechtert in Größenordnungen Luft und Klima, und die Menschen in den armen Trikont-Staaten leiden und sterben seit Jahrzehnten an den Folgen. In dieser Frage also gegenwärtig von einer Gleichheit der Verantwortung zu reden ist, gelinde gesagt, reiner Nonsens. Zumindest ist das so lange so, wie es nicht auf Grund einer weltweit vergleichbaren Lebens- und Verschmutzungssituation tatsächlich auch eine vergleichbare Verantwortung gibt. Dieser Gedanke muß ja erlaubt sein, denn es ist die Frage zu stellen, ob nicht dann, wenn wir so leben, wie wir leben, auch die restlichen 80 Prozent der Weltbevölkerung, die in den Entwicklungsländern leben, zunächst einmal grundsätzlich das gleiche Recht auf den gleichen Anteil am Umweltraum und dessen Nutzung bzw. Verbrauch haben. Warum sollte eine Inderin grundsätzlich weniger Anspruch auf natürliche Ressourcen als etwa eine Holländerin haben? Mit welchem Selbstverständnis können die USA zum Beispiel China und Indien einen steigenden CO2-Verbrauch vorwerfen und daraus besondere Verpflichtungen ableiten, wo doch bis jetzt die USA mit ihren rund 230 Millionen Einwohnern der weltweit größte Emittent sind und ein Vielfaches an Schäden wie China und Indien zusammen verursachen? Meine Damen und Herren, wenn wir in der neoliberalen Logik bleiben, wenn wir unser Prinzip des globalen Höher, Schneller, Weiter, koste es, was es wolle, weiterhin von jeder Kanzel predigen, dann können wir von niemandem in diesen Ländern auch nur im Ansatz erwarten, daß er nicht auf dasselbe Pferd, auf dasselbe umweltzerstörende Entwicklungsmodell setzt, das die letzten 150 Jahre bei uns geprägt hat. Genau deshalb ist es die Voraussetzung für eine tatsächliche Verbesserung der globalen Klimasituation, zuallererst bei uns in den Metropolen Veränderungen herbeizuführen. ({2}) Ohne eine solche Veränderung trägt auch unsere Umwelt- und Klimapolitik gegenüber den Entwicklungsländern immer den faden Beigeschmack zynischer Arroganz und saturierter Besserwisserei. ({3}) An dieser Stelle muß auch mit einem weiteren Mythos aufgeräumt werden, der in diesem Zusammenhang wieder und wieder auftaucht: die sogenannte Überbevölkerung. Nicht hohe Bevölkerungszahlen sind primär verantwortlich für die Umweltzerstörung, für Verwüstung, für Wassermangel, für Zerstörung der Tropenwälder durch Abholzung, für erodierende Küsten, für Bodenerosion auf Grund exportorientierter Landwirtschaft, für die Überfischung der Weltmeere, für die zunehmende Ausrottung und für den massiven Verlust an Artenvielfalt. So zu argumentieren bedeutet, die Kausalkette von hinten aufzufädeln. Die primäre Ursache all dieser Entwicklungen ist vielmehr eher in einer ungerechten, große Teile des Südens ausblutenden Weltwirtschaftsordnung zu suchen, die Menschen dazu zwingt, für ein Minimum an sozialer Sicherheit den Schutz großer Familien zu suchen oder unverantwortlich mit der Natur umzugehen. Dabei will ich mit Blick auf die Natur nochmals deutlich sagen: Sie tun das mit ungleich geringeren Schäden als jede oder als jeder hier im Norden, auch wenn es oftmals anders erscheint, weil wir ja alle brav unseren Müll trennen und ein Auto mit Kat fahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir, zum Ende meiner Rede meine Verwunderung als Entwicklungspolitiker darüber zum Ausdruck zu bringen, daß es angeblich mit bewußter Emissionssenkung zu tun haben soll, wenn die Großverbraucher im Norden den unter vielfältigen finanziellen und ökonomischen Zwängen stehenden niedrig verbrauchenden Ländern des SüCarsten Hübner dens Emissionen abkaufen können. Heißt das nicht, daß der Raubbau im Norden offensichtlich weitergehen soll? Werden damit nicht, statt wirklich Emissionen zu reduzieren, die bestehenden ungleichen Wirtschafts- und Austauschverhältnisse zwischen den industrialisierten Ländern des Nordens und den weniger industrialisierten Ländern des Südens weiter verfestigt?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hübner, Sie haben Ihre Redezeit bereits deutlich überschritten.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Ende. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie in einem letzten Satz: Blicken Sie über den Tellerrand der Umweltpolitik hinaus. Wir in der Entwicklungspolitik sind darauf sehr angewiesen. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Kollege Reinhold Hemker, SPD-Fraktion.

Dr. Reinhold Hemker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die heutige Diskussion mit Bezug auf die Konferenz in Bonn und auf das vorgelegte und vorgetragene Datenmaterial zeigt eindeutig: Die umfangreichsten Reduktionspotentiale sind, zumindest in den nächsten Jahren, in den Industrieländern zu erzielen. Darum sind die heute hier vorgetragenen Bemühungen der Bundesregierung zu begrüßen und die weiteren vorgeschlagenen Maßnahmen in der Zukunft zu unterstützen. ({0}) Dazu gehört natürlich auch ein kritischer Dialog mit den USA, dem größten Verbraucher von Energie pro Kopf der Bevölkerung. „Good governance“ ist für uns in der Entwicklungspolitik nicht nur ein Grundsatz für den Dialog mit den Entwicklungsländern, mit der Türkei oder mit China. In Bonn wurde, unter anderem mit Bezug auf eine Studie der US-amerikanischen Organisation Population Action International, aber auch überdeutlich: Art und Umfang der Entwicklung in nicht industriell geprägten Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika werden in Zukunft immer mehr die Probleme bestimmen, die Gegenstand der 5. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Bonn waren und weiteren Konferenzen sein werden. Der Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung brachte es in Bonn mit Bezug auf die genannte Studie auf den Punkt: Maßnahmen zur Verlangsamung des Bevölkerungswachstums können daher auch einen wichtigen Beitrag zur Verringerung des Treibhauseffektes leisten. Wenn das Bevölkerungswachstum mit Industrialisierung und Wirtschaftswachstum bisheriger Prägung verbunden ist, dann bedeutet das - Kollege Müller hat darauf hingewiesen - Wachstum beim Energieverbrauch und bei materiellen Gütern. Bei Verantwortlichen von UNDP, dem UNEntwicklungsprogramm, wird schon jetzt davon ausgegangen, daß - unter den Voraussetzungen, die ich angesprochen habe - innerhalb der nächsten 15 Jahre rund 60 Prozent der jährlichen CO2-Emissionen aus Entwicklungsländern stammen könnten. Darum ist es so wichtig, die Entwicklungsländer unter besonderer Berücksichtigung der Strategien umfassend in eine nachhaltige Entwicklung einzubeziehen. Deshalb sagen wir in unserem Antrag: Nachholende Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, aber auch Abholzung und Brandrodung von Wäldern sind die wichtigsten Gründe für die wachsenden Treibhausgasemissionen in den Entwicklungsländern. Bei gleichbleibenden Trends werden die weltweiten Emissionen in den nächsten Jahrzehnten selbst dann deutlich steigen, wenn die Industrieländer ihre Emissionen stark reduzieren. Ich bin froh, daß die Bundesregierung das schon bei den Bemühungen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt hat und offensichtlich auch in Zukunft besonders berücksichtigen will. Dies zeigt zum Beispiel der Maßnahmenkatalog des 6. Tropenwaldberichtes. Wir haben darüber in dieser Woche im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung diskutiert. Wir wissen nicht nur aus dem Kioto-Protokoll und aus den Verhandlungen in Bonn um die Bedeutung der Senken. Es handelt sich um Orte - Wälder, aber auch frei zugängige Böden und Meere -, an denen CO2 gespeichert wird. Es wird Zeit, daß auf der Basis einer Definition des IPCC, des zwischenstaatlichen Forums zu Klimaveränderungen in Genf, eine Klärung erfolgt, wie Senken bei der Überprüfung der Einhaltung der nationalen Reduktionsziele eingerechnet werden können. Frau Homburger, auch ich beklage, daß es in dieser Frage noch keine Lösung gibt. Man muß allerdings darauf hinweisen, daß es einen Definitionsauftrag für das zwischenstaatliche Forum zu Klimaveränderungen in Genf gibt. Genau dort sind die Schulaufgaben noch nicht erledigt worden. Jede Maßnahme zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung ist eine Maßnahme zum Klimaschutz. Dabei geht es nicht nur um Tropenholz. Die Diskussion hierzu wird manchmal etwas zu eng geführt. Es geht unter anderem um Regelungen, die wir in Deutschland schon seit Ende des 18. Jahrhunderts haben. Die Menschen müssen die Waldgebiete - ich denke an geschlagenes Holz als wichtigen Rohstoff - auch für den Export nutzen können. Die Nutzung muß aber langfristig tragfähig sein. ({1}) Ein wichtiger Punkt ist dabei eine Festlegung in entsprechenden Forstgesetzen bezüglich der zu schlagenden Holzmenge und der Wiederaufforstung. Auch sind alle Bemühungen um die Ausweitung der Zertifizierung unter Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Standards zu unterstützen. Das gilt natürlich auch für die Landwirtschaft und für ihre stärkere ökologische Orientierung. Weniger Dünger und weniger Pestizide führen zu mehr Klimaschutz. Leider sind die Bemühungen um die Diversifizierung der Produktion im Agrarbereich - wie im gesamten ländlichen Bereich in Entwicklungsländern - in diesem Sinne noch nicht umfangreich genug. Hier gibt es für die Bundesregierung, das heißt für die Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Ernährung, Landwirtschaft, Forsten sowie Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, noch viel zu tun. Die Regierungsverhandlungen im Rahmen bilateraler Vereinbarungen bieten ausreichend Gelegenheit dazu. Ein weiterer ganz wichtiger Bereich - er ist heute schon angesprochen worden - ist das, was „Joint Implementation and Clean Development Mechanism“ genannt wird. Ich halte den Grundgedanken für richtig, daß die industriellen und energietechnischen Anlagen eines Landes mit finanziellen und technischen Mitteln eines anderen Landes so umgerüstet werden, daß sie weniger Treibhausgase ausstoßen. Es ist sicherlich verständlich und richtig, daß dann erzielte Reduktionen in einem gewissen Umfang auch dem Geberland gutgeschrieben werden. Wenn für ein und denselben Mitteleinsatz in einem anderen Land international höhere Emissionsreduktionen erzielt werden, als es im eigenen Land möglich wäre, dann ist das im Grundsatz zu begrüßen. Es darf aber auf keinen Fall ein zu hohes Niveau der Anrechnung geben. Wenn das geschehen würde, dann würden sich die reichen Industrieländer auf Kosten der armen Entwicklungsländer freikaufen. Das darf nicht sein! ({2}) In diesem Zusammenhang ist wichtig, daß klare Bedingungen formuliert werden. So haben wir zum Beispiel in unserem Antrag eine Marge festgelegt: 50 Prozent der Reduktionsverpflichtungen müssen im eigenen Land erwirtschaftet werden. Der Kollege Müller hat im übrigen auch in diesem Zusammenhang recht, wenn er davon spricht, daß die Belastungen nicht weggerechnet - so hat er es vorhin genannt - werden dürfen. Ein weiteres wichtiges Feld der technischen Zusammenarbeit ist die Förderung des Einsatzes der erneuerbaren Energien. Wer nicht will, daß in den Entwicklungsländern immer mehr Holz für die Nutzung als Brennstoff zum Heizen und zum Kochen geschlagen wird, der muß zum Beispiel etwas für den verstärkten Einsatz der Solarkocher, der Solarkollektoren und auch der Photovoltaik tun. Denn insbesondere in den sonnenreichen Entwicklungsländern kann eine Kampagne „Solar - na klar!“, wie wir sie nennen, zum Erfolg führen. Dies ist auch notwendig, wenn es zu einer wirklichen Trendwende beim Klimaschutz kommen soll. Ich sehe in den Förderansätzen der Bundesregierung, im Haushalt des BMZ, und in den Bemühungen der GTZ, der CDG und der KfW Schritte in die richtige Richtung. Das gilt natürlich auch für den verstärkten Einsatz der Windkraft zur Stromproduktion und für den Betrieb von Pumpsystemen, zum Beispiel bei der Bewässerung und der Speicherung von Wasser, und zwar nicht nur in Entwicklungsländern. Auch die Nutzung von Wasserkraft durch Staudämme - nicht unbedingt mit Mega-Dimensionen - hatte und hat eine große Bedeutung. Sie wird sie auch in Zukunft haben, wenn die ökologischen und sozialen Faktoren bei der Planung und Durchführung ausreichend Berücksichtigung finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mitentscheidend für eine positive Weiterentwicklung der Beschlüsse, die jetzt in Bonn auf den Weg gebracht wurden, werden - darauf ist hingewiesen worden - auch die Ergebnisse der nächsten Verhandlungsrunde auf der Ebene der WTO sein. Die Frau Kollegin Merkel, die zur Zeit nicht anwesend ist, hat das richtig ausgeführt. Nur, ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf das, was der Kollege Göhner von der CDU/CSU-Fraktion in der letzten Woche hier zum Ausdruck gebracht hat. Damit wurde eine ganz andere Richtung vorgegeben. Ich empfehle Frau Merkel und Herrn Göhner, sich einmal zusammenzusetzen. Vielleicht kann es dann ja zu einer Einigung kommen. ({3}) Insbesondere von der Einrichtung und der Arbeit einer Sonderarbeits- und Koordinierungsgruppe „Handel und Umwelt“ wird es abhängen, ob das Thema „Umwelt und Entwicklung“ die Handelsfragen im Zuge von Globalisierung und Liberalisierung nachhaltig beeinflußt. Das ist unbedingt notwendig. Es ist nicht nur für die Art und Weise der Produktion und des Handels mit Nahrungsmitteln sehr wichtig, was im Blick auf die Kohärenz von Agrar- und Entwicklungspolitik national und international vereinbart und umgesetzt wird. Klimaschutz kann nur zum Erfolg führen, wenn die von mir angesprochenen und andere Bereiche der internationalen Zusammenarbeit als Teile des Ganzen gesehen werden. Agrar- und Entwicklungspolitik sind Teil einer umfassenden Klimaschutzpolitik. Jeder kann nach dem Motto „Global denken und lokal handeln“ einen Beitrag dazu leisten. ({4}) Als kleines Zeichen dafür, wie lokales Handeln im Bundestag und überall auf der Welt aussehen kann, habe ich Ihnen, Frau Präsidentin, zwei kleine Geschenke mitgebracht: einen kleinen Solarrechner und ein halbes Pfund Kaffee aus biologisch-organischem Anbau und fairem Handel. Möge dies also ein Zeichen dafür sein, daß wir alle etwas tun können, nicht nur hier im Bundestag, sondern weltweit. ({5}) - Herr Kollege Müller, alle kundigen Thebaner wissen, daß man solche Produkte mittlerweile in jedem kleinen Eine-Welt-Laden bekommen kann. ({6}) - In diesem Fall stammt der Kaffee aus Mexiko, und der kleine Solarrechner ist in Deutschland produziert worden. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen alle, daß so etwas nicht üblich ist. Aber im Sinne der politischen Aussage nehme ich die beiden Dinge kommentarlos entgegen. Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe nicht, daß dies unter „geldwertem Vorteil“ deklariert werden muß. ({0}) - Natürlich, der Haushälter! Bereits in den 60er Jahren hat der Mitbegründer des Club of Rome, Eduard Pestel, auf den Zusammenhang von Entwicklung und Umwelt hingewiesen. Diese Erkenntnis hat dann 30 Jahre gebraucht, um auf einer großen Konferenz, der schon häufig angesprochenen Konferenz in Rio, auch international dokumentiert zu werden. Sicherlich - das kann wohl nicht bestritten werden ist Rio eines der interessantesten Dokumente dieses ausgehenden Jahrhunderts. Rio war Ausdruck des Umweltbewußtseins der internationalen Gemeinschaft. Aber vom Bewußtwerden und vom Bewußtmachen bis zur Umsetzung ist es immer noch ein weiter Weg. Seit Rio sind immerhin schon wieder viele Jahre vergangen. Dennoch sind die Probleme, mit denen wir uns seinerzeit in der Welt auseinandersetzten, nach wie vor vorhanden. Es ist darauf hingewiesen worden: Die Tropenwälder verschwinden weiter; übrigens nicht nur die, sondern auch die borealen Wälder in Rußland und Weißrußland. Das Ergebnis: Die Armut und die Verelendung der Welt nehmen auch zu. Dort, wo die Umwelt zerstört ist, findet keine Entwicklung statt, und dort, wo keine Entwicklung stattfindet, wird die Umwelt zerstört. Denn die Armen auf dieser Erde müssen sich und ihre Kinder heute ernähren und können sich nicht darauf verlassen, daß sich möglicherweise in 20 oder 30 Jahren die Situation, auch die materielle Situation, für sie verbessert haben könnte. Wir haben es also mit einer zunehmenden Verarmung der Menschheit zu tun. In einem sehr eindrucksvollen Bericht bei der letzten Weltbank-Konferenz hat der Präsident der Weltbank, Jim Wolfensohn, darauf hingewiesen, daß er davon ausgehe, daß sich im Gegensatz zu allen bisherigen Erwartungen die Zahl der Armen auf der Welt bis zum Jahre 2015 drastisch erhöhen werde und daß es die Entwicklungspolitik und die internationale Kooperation vielleicht gerade schaffen könnten, diesen Trend abzubremsen; sie könnten ihn aber bereits heute nicht mehr verhindern. Dies wird dazu führen, daß wir hinsichtlich des Verbrauchs der natürlichen Ressourcen unserer Erde mit weiteren Schreckensmeldungen zu rechnen haben. Aber welche Konsequenzen ziehen wir daraus? Ich will insbesondere fragen: Welche Konsequenzen zieht eigentlich die Bundesregierung daraus? Ich erinnere mich daran, daß wir in der letzten Legislaturperiode einmal schüchtern darüber diskutiert haben, ob wir an dem 0,7-Prozent-Ziel, das besonders in Rio deklariert worden ist, wirklich festhalten sollten. Heftig wurden wir dafür kritisiert; besonders die damalige entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen hat uns heftig kritisiert. Jetzt, in ihrer neuen Funktion als Parlamentarische Staatssekretärin im Entwicklungshilfeministerium, schlägt sie das selbst vor. Übrigens: Ich habe vorhin zu Uschi Eid gesagt: ich würde nach ihr reden. Das hat sie so eingeschüchtert, daß sie die Rednerliste hat umstellen lassen, so daß sie nun nach mir spricht. ({1}) Ich stelle mir einmal vor, wie wir, wenn wir vorschlagen würden, das 0,7-Prozent-Ziel aufzugeben, von den jetzigen Koalitionsfraktionen kritisiert werden würden. Von diesem Problem einmal abgesehen: Die Bundesregierung enttäuscht nationale und internationale Erwartungen und Hoffnungen. Nicht nur, daß man die Zusagen der Koalitionsvereinbarung nicht einhält; nein, man täuscht auch - ich habe das hier wiederholt gesagt die internationalen Partner. Man hört es nicht gerne, aber es muß deutlich gesagt werden: Der Bundeskanzler hat auf dem G-7-Gipfel in Köln ein Dokument unterschrieben, in dem steht, daß sich die G-7-Staaten, also die großen Industriestaaten, verpflichten, ihre Mittel für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit zu erhöhen. Das unterschrieb er, obwohl er zu diesem Zeitpunkt wußte, daß sein Finanzminister eine drastische Kürzung des Entwicklungshilfeetats um 10 Prozent vorbereitete. Man kann auch noch einen Schritt weitergehen. Der Kollege Reinhold Hemker hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Bevölkerungsentwicklung wahrscheinlich die entscheidende Herausforderung für die Zukunft der Menschheit darstellt. Wir haben es in diesem Jahr wahrscheinlich erlebt - so genau wissen wir das natürlich nicht -, daß sich die Zahl der Menschen auf 6 Milliarden erhöht hat. Wir werden davon ausgehen müssen, daß es in 10, 15 Jahren wahrscheinlich 7 oder 8 Milliarden Menschen geben wird. Also müssen wir in dieser Frage etwas tun. Ich stimme Ihnen dabei völlig zu. Aber was machen Sie in Ihrer Politik? Sie streichen die Mittel für Bevölkerungsmaßnahmen drastisch zusammen und kürzen die Mittel für das entsprechende UNO-Programm erheblich. Sie machen also genau das Gegenteil von dem, was Sie ankündigen und was Sie bei der Problemanalyse herausgefunden haben. ({2}) Ich darf darauf hinweisen, daß das gleiche für den Umweltschutz zutrifft. Daß Sie übrigens das Tropenwaldprogramm, das Helmut Kohl auf dem G-7-Gipfel in Houston initiiert hat, weitestgehend fortsetzen wollen, findet unsere nachhaltige Unterstützung. Aber wenn man sich den gesamten Entwicklungsetat anschaut, dann muß man feststellen, daß Sie rund 25 Prozent der Ausgaben für Umweltmaßnahmen streichen. Auch hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit drastisch auseinander. ({3}) Sie verletzen mit dieser Politik nicht nur die Empfindungen vieler Menschen in Deutschland, sondern - darüber hinaus - auch die internationale Solidarität. Dies hätte man von Rotgrün wahrscheinlich am wenigsten erwartet. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Uschi Eid, Bündnis 90/Die Grünen.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst etwas zu dem Thema, über das wir heute debattieren, sagen, bevor ich auf die Polemik von Herrn Hedrich eingehe. Die heute zu Ende gehende 5. Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention hat uns noch einmal vor Augen geführt: Klimaschutz ist ohne eine enge Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern überhaupt nicht denkbar. Dies ist so, weil nicht nur die Industrieländer, sondern auch die Entwicklungsländer, insbesondere die Schwellenländer, hohe Emissionen an Treibhausgasen haben. Waren die Entwicklungsländer 1990 nur für knapp 45 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich, dürften sie die Industrieländer mittlerweile eingeholt haben. Herr Hübner, dies ändert sich auch nicht dadurch, daß man die Augen davor verschließt. Die Entwicklungsländer sind für das Weltklima auch deswegen so wichtig, weil sie mit ihren Tropenwäldern und ihrer reichen Artenvielfalt über bedeutende Kohlenstoffspeicher verfügen. Es ist also nicht allein damit getan, wenn wir Industrieländer unsere Treibhausgasemissionen senken, während in den Entwicklungsländern die nachgeholte Industrialisierung und Wohlfahrtssteigerung für ein starkes Wachstum des Ausstoßes von Treibhausgasen sorgen und Armut und Landverteilungskonflikte zu einem Raubbau an den natürlichen Ressourcen führen. ({0}) Im Klimaschutz brauchen wir die Entwicklungsländer daher als enge Verbündete. Was bedeutet dies konkret? Es bedeutet erstens, daß wir, die Industrieländer, im Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen müssen. Wir sollten nicht schon jetzt darauf bestehen, daß Entwicklungsländer verbindliche Verpflichtungen zur Minderung ihrer Emissionen einzugehen haben. Schließlich sind die Pro-Kopf-Emissionen in den Industrieländern auch heute noch fünfmal höher als in den Entwicklungsländern. Wir brauchen - dies hat Umweltminister Trittin heute morgen ausgeführt - andere Produktions- und Konsumgewohnheiten bei uns. Wir brauchen insbesondere in der Energieversorgung eine Effizienzrevolution. Es bedeutet zweitens, daß wir Aspekte des Klimaschutzes in unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit durchgehend berücksichtigen. Wir müssen die Fähigkeiten der Entwicklungsländer stärken, sich am globalen Klimaschutz zu beteiligen. Dies tut diese Bundesregierung, auch wenn die Opposition das Gegenteil behauptet. Viele unserer Partner in den Entwicklungsländern unternehmen bereits erhebliche Eigenanstrengungen in diesem Bereich. Sie tun dies oftmals nicht um des globalen Zieles „Klimaschutz“ willen; vielmehr tun sie dies, weil viele Maßnahmen auch positive Auswirkungen auf den lokalen Umweltschutz haben, zum Beispiel auf die Senkung des Großstadtsmogs. Viele Maßnahmen des Klimaschutzes sind darüber hinaus auch wirtschaftlich rentabel. Ein Land wie China beispielsweise, das immerhin der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen hinter den USA ist, hat durch einen Mix aus Preisreformen, Subventionskürzungen, Luftreinhaltungsverordnungen und technologische Modernisierung erreicht, daß das Wachstum seiner Kohlendioxidemissionen in den letzten zehn Jahren weit hinter seinem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum zurückblieb. Um eine Entkopplung von Emissionswachstum und Wirtschaftswachstum muß es uns vor allem in den wirtschaftlich dynamischen Entwicklungsländern und Schwellenländern gehen. ({1}) In der Entwicklungszusammenarbeit mit China unterstützen wir dies durch Politikberatung, durch Effizienzsteigerung bei der Kohleverbrennung, durch Modernisierung von Turbinen, aber auch durch die Förderung erneuerbarer Energien wie Wind- und Solarkraft. Wir tragen durch unsere entwicklungspolitische Zusammenarbeit dazu bei, daß China seine Treibhausgasemissionen in den nächsten zehn Jahren stabilisieren oder sogar leicht reduzieren kann. In anderen Ländern stehen zum Teil andere Ansätze im Vordergrund: Boden- und Erosionsschutz in Mali und Burkina Faso, Unterschutzstellung von Primärwäldern in Brasilien und Indonesien, Wiederaufforstung in Vietnam und Peru. All das sind Maßnahmen, die den Klimaschutz mit dem Ziel einer sozial und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung verbinden. Diese Bundesregierung arbeitet im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit daran, den Anteil klimafreundlicher Maßnahmen weiter zu erhöhen. Wir wollen bei unseren Partnern in den Entwicklungsländern Anreize schaffen, in stärkerem Umfang als bisher erneuerbare Energien und Tropenwaldschutz zu fördern. ({2}) In diesem Jahr haben wir in der bilateralen Zusammenarbeit bei den erneuerbaren Energien ein ZusageKlaus-Jürgen Hedrich volumen von 200 Millionen DM vorgesehen. Das sind 25 Prozent mehr als in den vergangenen Jahren. ({3}) Ich hoffe, Herr Hedrich, Sie haben zugehört. Beim Tropenwaldschutz werden wir mit fast 250 Millionen DM das hohe Niveau der Vorjahre halten. Da setzen wir in der Tat das fort, was Ihre Regierung begonnen hat; denn was gut ist, muß man gut fortführen. Auch in der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit gehört Deutschland beim Klimaschutz zu den wichtigsten Gebern. Über den Finanzmechanismus der Klimakonvention, die Globale Umweltfazilität, hat Deutschland bislang rund 400 Millionen DM zum globalen Klimaschutz beigetragen. Neben einer ausreichenden Finanzausstattung für Klimamaßnahmen werden die Entwicklungsländer künftig in mehreren Bereichen klare Signale der Industrieländer erwarten: So werden sie umfassende Maßnahmen zum Aufbau personeller und institutioneller Kapazitäten fordern. Die Stärkung von Institutionen ist beim Klimaschutz wie auch in allen anderen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit ein Schlüsselfaktor; denn vielen unserer Partner in Entwicklungsländern fällt es immer noch schwer, Handlungsstrategien zur Emissionsminderung oder zur Anpassung an den Klimawandel zu entwerfen. Immer noch fühlen sich viele von ihnen, insbesondere die Ärmsten, überfordert, ihrer Stimme und ihren Bedürfnissen in den Klimaverhandlungen Gehör bzw. Beachtung zu verschaffen. Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - sind die Erwartungen der Entwicklungsländer an den Ausgang der nächsten - der 6. - Vertragsstaatenkonferenz in Den Haag besonders hoch. Auf dieser Konferenz soll bekanntermaßen das Kioto-Protokoll von 1997 genauer ausgestaltet werden. Besonderes Interesse findet dabei derjenige Mechanismus des Protokolls, der es den Industrieländern ermöglichen soll, Emissionsminderungen in Entwicklungsländern zu erzielen und sich diese auf die eigene Klimaschutzverpflichtung anrechnen zu lassen: der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung, kurz CDM genannt, der heute schon verschiedentlich angesprochen worden ist. Umweltminister Trittin hat dargestellt, daß Deutschland und die Europäische Union diesen und die anderen Mechanismen des KiotoProtokolls nur begrenzt zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen nutzen wollen. Ich stimme dem voll und ganz zu. Wir müssen uns aber trotzdem klarmachen: Der CDM kann - selbst dann, wenn er nur begrenzt genutzt wird zu einem der bedeutendsten neuen Instrumente der Zusammenarbeit zwischen Norden und Süden werden. ({4}) In der Klimapolitik ist dieser Mechanismus für mich die Luftbrücke zur Dritten Welt. Damit er das werden kann, muß er folgenden Kriterien genügen: Erstens. Er braucht klare und verläßliche Regeln. Nur so kann eine effektive Reduzierung des Treibhausgasausstoßes sichergestellt werden. Zweitens. Er darf anderen Umweltschutzzielen nicht zuwiderlaufen. Atomenergie darf daher in diesem Mechanismus keine Wiedergeburt erfahren. ({5}) Der Mechanismus muß sauberen Technologien wie Biogas, Solar- und Windenergie den Weg ebnen. Drittens. Der Mechanismus muß entwicklungskonform sein. Die vorgeschlagenen Projekte müssen den entwicklungspolitischen Prioritäten des Gastlandes entsprechen. Entwicklungsländer werden den Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung nur dann akzeptieren, wenn sie sicher sein können, daß zusätzliche Mittel für die Projektfinanzierung mobilisiert werden können, und zwar über die Entwicklungszusammenarbeit hinaus. In unserem Ministerium denken wir darüber nach, welche Anreize notwendig sind, um diese zusätzlichen Investitionen insbesondere über ein verstärktes Engagement des Privatsektors zu ermöglichen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Ausgang der Bonner Klimakonferenz und insbesondere die Rede des Bundeskanzlers zur Eröffnung der Konferenz haben Zuversicht für die weiteren Verhandlungen geschaffen. Wir tragen nun eine große Verantwortung dafür, weitere konkrete Schritte im Dienst des globalen Klimaschutzes zu tun. Die Entwicklungspolitik dieser Bundesregierung ist bereit, dazu einen entscheidenden Beitrag zu leisten. ({6}) So, Herr Kollege Hedrich: ({7}) Ihre Regierung hat den Entwicklungsetat 16 Jahre lang gekürzt, während die gesamten Ausgaben der öffentlichen Hand gestiegen sind. Sie haben gekürzt, ohne die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen. Sie haben gekürzt, ohne die Entwicklungspolitik zu reformieren, und Sie haben gekürzt, ohne sich den globalen Herausforderungen gestellt zu haben. ({8}) Wir sind längst fällige Reformen innerhalb eines Jahres sehr erfolgreich angegangen. Wir haben Reformen zur Erhöhung der Effizienz und zur Verbesserung der Koordination der Geber eingeleitet, und zwar nicht nur auf der nationalen, sondern auch auf der supranationalen Ebene, zum Beispiel der EU. Wir haben versucht, eine stärkere Kohärenz zwischen den einzelnen Ressorts der Politik zu schaffen, was uns nicht nur auf der nationalen Ebene wichtig ist. Darüber hinaus haben wir versucht, eine Kohärenz zwischen den verschiedenen Ebenen herzustellen. Wir haben im ersten Jahr unserer Regierungstätigkeit eine Entschuldungsinitiative auf den Weg gebracht, die Ihre Regierung seit 1996 blockiert hat, obwohl sie bereits auf dem G7-Gipfel 1996 beschlossen worden ist. ({9}) Sie können sich doch heute nicht, wie Frau Merkel es tut, hinstellen und sagen, diese Regierung tue nichts zur Armutsbekämpfung. Im Gegenteil: Die Entschuldungsinitiative, die 70 Milliarden US-Dollar umfaßt, führt dazu, daß Armutsbekämpfungsstrategien nicht nur national entwickelt werden, sondern zusammen mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds. Es ist bereits vom Kollegen Hemker angesprochen worden, daß es bei der Armutsbekämpfung eine Interdependenz zwischen Armut und Umwelt gibt. Das ist die Grundlage dafür, daß durch den Einsatz der eingesparten Mittel Armut bekämpft werden kann. Damit wird zum Beispiel auch etwas zur Verbesserung der Böden getan, und die Menschen erhalten eine Chance zur Entwicklung. ({10}) Wir packen internationale Strukturveränderungen an. Wir haben massiv dazu beigetragen, daß die WTOMillenniumsrunde als Entwicklungsrunde ausgestaltet wird. Unsere Entwicklungspolitik weist bereits nach einem Jahr eine Bilanz auf, die sich sehen lassen kann, und hält der kleinkarierten Argumentation der Opposition allemal stand. ({11}) Ich hoffe, Herr Kollege Ruck, daß Sie zumindest ich erwarte nicht, daß Sie alles würdigen - unsere Anstrengungen zum Klima- und Umweltschutz zu würdigen wissen. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Klaus-Jürgen Hedrich.

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Uschi Eid, ich weiß ja, in welcher Bredouille Sie sind. Deshalb tun Sie mir auch ein bißchen leid. Ich will nicht darauf verweisen - Sie wissen das selber -, mit welcher Verbitterung die Entwicklungspolitiker aus Ihrer Fraktion und die Entwicklungspolitiker aus der SPD-Fraktion die Kürzungen im Entwicklungshaushalt verfolgen und kommentieren. Das wissen Sie alles selber, darauf brauche ich nicht zu verweisen. Aber: Wenn Sie zum Beispiel an die Rio-Konferenz denken, zu der Deutschland einen ganz entscheidenden Beitrag geleistet hat, übrigens unter der gemeinsamen Federführung des Umwelt- und des Entwicklungshilfeministeriums: Warum erkennen Sie solche Erfolge - die anderen Redner vorhin waren fairer, inklusive Herr Loske, der mich so strahlend ansieht - nicht an? ({0}) Darüber hinaus haben wir die Entwicklungspolitik nach Vollendung der deutschen Einheit auf die neuen Gegebenheiten umgestellt. Wir haben 1992 eine gemeinsame Resolution - ich kann nichts dafür, daß Sie damals nicht im Parlament saßen - zu den entwicklungspolitischen Grundlagen einvernehmlich verabschiedet, sowohl im Ausschuß als auch im Parlament. Sie haben recht: Auch wir haben uns über so manches nicht ausreichende Anwachsen des Entwicklungshilfeetats geärgert. Aber bereits Ihr erster Etat liegt unter den Ansätzen des Etats des letzten Jahres. Somit geht es nicht nur um den Etat des nächsten Jahres, bei dem Sie sogar um knapp 10 Prozent unter den bisherigen Ansätzen liegen. Und es geht noch weiter: Wenn der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2003 gefolgt wird, wird der Entwicklungshilfeetat - im Gegensatz zu den Verhältnissen vor drei Jahren, als wir einen Etat von 8 Milliarden DM hatten - bei 6 Milliarden DM angelangt sein. Er wird dann der einzige Etat sein - möglicherweise noch der Verteidigungshaushalt -, der abgesenkt wird - falls Sie es so noch konzipieren können; denn Sie werden ja bald keine Gelegenheit mehr haben, Politik in Deutschland entscheidend zu gestalten. ({1}) Ich wiederhole meinen Vorwurf: Sie verletzten die Prinzipien der internationalen Solidarität; das müssen Sie sich nun einmal zurechnen lassen. Ich bitte um Verzeihung. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung, Frau Kollegin Dr. Eid? - Nein, sie verzichtet. Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe meine Gedanken nicht niedergeschrieben, um Uschi Eid und die Regierungspolitik ausdrücklich zu loben, aber ich werde mal schauen, was ich tun kann. ({0}) Zunächst etwas Ernstes: Die Umweltkonferenz, die Klimakonferenz in Bonn hat deutlich gemacht, daß den Regierenden sieben Jahre nach der Rio-Konferenz der Schwung abhanden gekommen ist, obwohl die Probleme geblieben sind und auch weiter wachsen, und dies nicht nur wegen der wahrscheinlich klimabedingten Katastrophenschäden, die angewachsen sind, sondern auch wenn man sich einmal den UN-Bericht „Geo 2000“ ansieht - noch aus ganz anderen Gründen. In dem Bericht wird ausdrücklich festgehalten: Verseuchung der Meere und ihrer Lebewesen, gigantische Waldbrände, zum Beispiel in Indonesien oder in der Mongolei, sowie Vordringen der Wüsten, die allein in Indien zwei Drittel des Landes bedrohen. In der Tat kann man sagen, daß die Menschheit mehr und mehr dabei ist, die Erde zu entstellen und ihre Schatzkammern, zum Beispiel die tropischen Regenwälder, zu plündern. Sie ist damit auch dabei, ihren eigenen ökonomischen Wohlstand und die Wohlfahrt kommender Generationen in große Schwierigkeiten zu bringen - um es einmal vorsichtig zu formulieren. Meiner Ansicht nach wurden der Verlauf und die Ergebnisse der Klimakonferenz in Bonn dem Ernst der Lage nicht gerecht. Es war die Fortsetzung des seit Jahren andauernden Taktierens und Teppichhändlergefeilsches. Dabei haben auch die Vereinigten Staaten - dies wurde schon angesprochen - keine sehr konstruktive Rolle gespielt. Wenn Sie, Herr Trittin, sagen, Sie hätten dafür ein tiefes Verständnis, so kann ich als CSU-Mann Ihre Ansicht über die Rolle der USA nicht teilen; ich habe dieses Verständnis nicht. Aber auch die Bundesregierung hat sich keineswegs mit Ruhm bekleckert. Die konstruktive und staatstragende Rolle des Bundeskanzlers Schröder sehe ich nicht. Er hat zwar große Töne gespuckt, ein Konzept jedoch vorsichtshalber erst für das nächste Jahrtausend angekündigt, als ob er gewissermaßen überrascht worden wäre, daß wir heuer die Klimakonferenz in Bonn hatten. Er kam mit leeren Händen und bloßen Ankündigungen. Für den Gastgeber einer solchen Konferenz, der eigentlich Motor spielen sollte, ist das zuwenig. Deswegen gab es ja auch eine Watschen von Greenpeace. Jetzt muß ich ein Wort zur Rolle der CSU sagen: Ich muß mit Empörung zurückweisen, daß Minister Trittin uns Untätigkeit unterstellt hat. Ich möchte in diesem Zusammenhang drei Punkte herausstellen: War es nicht ein CSU-Verkehrsminister, der zum erstenmal die Ausgaben für die Schiene denen der Straße gleichgesetzt hat? War es nicht Theo Waigel, der als Finanzminister die Globale Umweltfazilität eingestellt und auch dafür gesorgt hat, daß wir, als wir wegen der Amerikaner in großen Schwierigkeiten waren, deren Ausfälle kompensiert haben? War es nicht Minister Spranger, der im Kabinett das BMZ zu einem ökologischen Stützpunkt im Konzert der Ressorts gemacht hat? Das alles ist doch unbestritten. Deswegen sind solche pauschalen Verunglimpfungen fehl am Platze. Zurück zur Klimakonferenz: Es wundert natürlich nicht, daß man auf dieser Konferenz konzeptionell überhaupt nicht weitergekommen ist und daß Deutschland überhaupt keine Rolle gespielt hat. Denn wer will die Welt von einem Konzept überzeugen, das er selbst nicht hat? Das beweisen Sie jeden Tag, zum Beispiel gestern im Rahmen des Hickhacks im Hinblick auf die Ökosteuer bei GuD-Kraftwerken und der Kohle. Sie sind immer so stolz auf die Ökosteuer. Die Ökosteuer - das ist doch unbestritten - trifft wahllos klimafreundliche und klimafeindliche Verkehrs- und Energieträger. Von der Atomenergie will ich gar nicht sprechen. Eine solche Ökosteuer ist doch keine Ökosteuer. Es ist auch kein Geheimnis, daß Sie sie nur eingeführt haben, um damit andere Haushaltspartien zu sanieren. ({1}) Ein solches Streichkonzert bei Schienenverkehrsprojekten, wie es unter Ihrer Regierung zum Beispiel in Bayern geschieht, hat es unter den Vorgängerregierungen der Schwarzen und Liberalen noch nie gegeben. Wenn man sich Ihren Entwurf einer Energieeinsparverordnung anschaut, ({2}) dann muß ich sagen - ({3}) - Herr Müller, die Energieeinsparverordnung, die Sie gerade brutzeln. ({4}) - Herr Müller, die Energieeinsparverordnung, die Sie gerade brutzeln. ({5}) - Sie kennen wohl Ihre eigene Energieeinsparverordnung nicht, ({6}) und Sie haben offensichtlich von Ihrer eigenen Politik keine Ahnung. - Ihre Energieeinsparverordnung spart gerade den Teil aus, bei dem am meisten zu holen wäre, nämlich den Gebäudebestand. Angesichts dessen, Herr Müller, können Sie doch nicht von einem Konzept sprechen. ({7}) Zu Ihrem Lieblingskind, zur Kohle: Herr Müller, ich möchte einmal wissen, was Sie selber im stillen Kämmerlein von Ihrer eigenen Kohlepolitik halten. Die ist doch haarsträubend, wenn man sie unter Klimagesichtspunkten betrachtet. ({8}) Eine solche Karikatur eines Energiekonzeptes kann ich doch niemandem aufs Auge drücken, schon gar nicht den Entwicklungs-, Schwellen- und Transformationsländern. ({9}) Gerade diese Länder werden uns aber in den nächsten 15 Jahren im Energieverbrauch überholt haben. Auf der einen Seite ist bewundernswert, wie zielstrebig in vielen Ländern Lateinamerikas und Asiens Wachstums- und Verkehrsprogramme durchgezogen werden. Auf der anderen Seite ist beängstigend, wie sehr gerade dort der Ressourcenschutz und die Bewahrung der Schöpfung hinterherhinken. Angesichts dessen kommen Sie mit Ihrem Konzept nicht durch und stehen mit leeren Händen da. Auch wenn Herr Trittin es noch so sehr wünscht: China, Iran, Argentinien, ganz Osteuropa und Brasilien werden trotz ihrer viel schlechteren Energiekonzeption als der, die wir in Deutschland haben, aus der Kernenergie nicht aussteigen. Wir alle haben in den letzten Jahren in der Entwicklungspolitik - jetzt komme ich zu dem, was Uschi Eid gesagt hat - eine ganze Reihe von Lösungsmöglichkeiten erarbeitet - beim Tropenwaldschutz, in der Agrarpolitik, beim Klimaschutz und in vielen anderen Bereichen. Sie sollten sich daran erinnern, daß wir die Vorschläge, die Sie als neue Regierung gemacht haben, mitgetragen haben. Was wir brauchen, ist mehr Geld. Deswegen fordere ich alle hier auf, sich vorbehaltlos zu „joint implementation“ bzw. zu flexiblen Mechanismen zu bekennen. Das ist in der Entwicklungspolitik dringend nötig. Ich will jetzt auf das zu sprechen kommen, was Sie gerne hören wollen, kann Ihnen dazu aber nicht viel sagen: Sie haben in allen Schlüsselpositionen gekürzt, zum Beispiel auch bei den Bildungsprogrammen. Bildung ist aber ein Schlüsselfaktor zur Durchsetzung von Geburtenkontrolle, wenn genügend junge Menschen erreicht werden. Ein Drittel der Menschen in der Dritten Welt ist 15 Jahre oder jünger. Hier sind gute Bildungsprogramme entscheidend für die Zukunft. Sie haben da aber bis zu 50 Prozent gekürzt, bei Programmen zur Geburtenkontrolle sogar bis zu 60 Prozent, bei Programmen zum Umwelt- und Ressourcenschutz - das sind Ihre Zahlen, ich habe sie nicht gefälscht - ist ein Minus von 25 Prozent und bei der Armutsbekämpfung von 35 Prozent zu verzeichnen. Es stimmt nicht, daß wir während der 16 Jahre unserer Regierungszeit nur gekürzt hätten. Die Wahrheit hinter all diesen Zahlenspielereien ist, daß die Entwicklungspolitik unter unserer Regierung einsame Höhen erreicht hat. Zwar ist der Entwicklungshaushalt von 1991 bis 1998 um 3,8 Prozent zurückgefahren worden; das ist schmerzlich und wurde von uns nie bestritten. Im Vergleich aber zum Beispiel zum Verteidigungshaushalt, der um 12 Prozent abgesenkt wurde, ist dieser Wert immer noch relativ gering. Im Vergleich zu den 8,7 Prozent, um die Sie den Haushalt in einem Jahr gekürzt haben, ist das ein geradezu lächerlich geringer Prozentsatz. Ich bitte bei Auseinandersetzungen darüber um ein wenig mehr Fairneß. Der von Ihnen beschlossene Schuldenerlaß belastet den BMZ-Haushalt jährlich mit 60 bis 80 Millionen DM. Wenn Sie den Haushalt gleichzeitig um 600 Millionen DM kürzen und diesen Betrag bis auf 1 Milliarde DM anwachsen lassen wollen, dann stellt sich für mich angesichts dieses Kahlschlages die Frage, ob es gerechtfertigt ist, um die 60 bis 80 Millionen DM, die den Entwicklungsländern erlassen werden, so viel Wind zu machen. Das ist nicht ganz korrekt. Dieser Schuldenerlaß war übrigens nicht einzig und allein Ihre Initiative, sondern die großen Kirchen haben ihn angestoßen, und wir alle haben ihn unterstützt. Es war auch nicht der erste Schuldenerlaß. Ich erinnere daran, daß Johnny Klein damals einen Schuldenerlaß in Höhe von 3 Milliarden DM durchsetzte. Ich möchte das deswegen doch ein wenig relativieren. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Ruck, Sie müssen bitte zum Schluß kommen. Noch ein Satz, bitte.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluß und richte noch einen Satz an den Außenminister: Ich wünschte mir schon, daß der grüne Außenminister und seine linken und rechten Hände mehr ökologische Tapferkeit an den Tag legten. Die Entwicklungspolitiker - ich erinnere dabei an die gemeinsame Aktion zum Stoppen der Waldbrände in Borneo - sind nämlich mehr denn je auf die Tapferkeit der führenden Leute im Auswärtigen Amt angewiesen. Von einer solchen Tapferkeit merke ich aber nichts. Es gilt wohl als wenig stilvoll und als undiplomatisch, wenn man sich zum Beispiel gegenüber dem indonesischen Militär in dieser Frage zu weit aus dem Fenster lehnt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Ruck, der Satz ist ziemlich lang.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig. - Sie müssen wirklich aufpassen, daß Sie nicht auf allen Gebieten der Umweltpolitik Ihren rotgrünen Mythos verspielen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Dr. Margrit Wetzel, Sie haben das Wort für die SPDFraktion.

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Klimaschutzpolitik ist nicht nur eine der größten Herausforderungen für uns, sondern bietet auch eine unglaublich spannende Perspektive für eine Politik nachhaltigen Wirtschaftens. Ich möchte die Debatte gerne von Aspekten der weiten Welt wegführen, sie wieder ein wenig auf Probleme in der Bundesrepublik Deutschland konzentrieren und einen Blick darauf werfen, was wir hier ganz praktisch tun können. Wenn den armen Ländern unserer Erde das Recht auf nachhaltige Entwicklung nicht vorenthalten werden soll, dann müssen wir - das ist von verschiedenen Rednern mehrfach gesagt worden - vorangehen, unsere eigenen Hausaufgaben machen und Vorreiter einer entsprechenden, auch technisch ausgerichteten Klimapolitik sein. Das heißt für mich, daß wir daran arbeiten müssen, daß Deutschland von einem ehemaligen WirtschaftswunDr. Christian Ruck derland zu einem Klimaschutzwunderland wird. Daran müssen wir täglich mit neuer Energie arbeiten. ({0}) Die bisher erzielten Erfolge sind auf neue Kraftwerkstechnologien und hohe Investitionen in die Verbesserung der Energieeffizienz zurückzuführen, sie gehen also vor allen Dingen auf das Konto der Wirtschaft. Wir konnten die energieintensiv produzierende Industrie auch deshalb von der Ökosteuer ausnehmen, weil es in ihrem originären Eigeninteresse liegt, den Betriebskostenfaktor Energie so gering wie möglich zu halten. Die Betriebe müssen - schon um wettbewerbsfähig zu bleiben - Energie sparen und höchste Wirkungsgrade in den Kraftwerken und bei ihren Produktionsprozessen erzielen. Mehr und mehr begreifen aber auch die Privaten, daß es sich lohnt, Energie zu sparen. Die Prozesse der lokalen Agenda, die sich überall in unserem Land abspielen - mit ihrer Öffentlichkeitswirkung, mit ihrer Bürgerbeteiligung und mit ihrer Herausforderung an die Kommunen, vor Ort konkret etwas für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen zu tun -, werden Wirkung zeigen. Unsere Bürgerinnen und Bürger haben meines Erachtens heute ein weiterentwickeltes Bewußtsein für Klima- und Umweltschutz, auch in den eigenen vier Wänden. Wer heute baut, will natürlich einen hohen Standard in bezug auf baulichen Wärmeschutz haben, neue Dämmstoffe einsetzen und moderne Brennwerttechnik einbauen. Fernwärmeversorgung, neue Meßund Regeltechnik und erneuerbare Energien werden heute ganz selbstverständlich auf ihre Wirtschaftlichkeit hin geprüft. Herr Ruck, natürlich ist es so - das ist doch völlig klar -, daß wir auch an den Gebäudebestand und an die Wärmesanierung herangehen. ({1}) Die Programme des Bundes zur Förderung von Einzelmaßnahmen werden hervorragend angenommen, weil die Bürger merken, daß sie damit Kosten senken können. Durch diese Programme wird das Bewußtsein für den sparsamen und effizienten Umgang mit unseren endlichen Rohstoffen eine erheblich größere Eigendynamik entwickeln. Das 100 000-Dächer-Programm ist das beste Beispiel dafür. ({2}) Nur wenn wir die politischen Rahmenbedingungen richtig setzen, haben Wirtschaft, Industrie und Private überhaupt eine Chance, Umwelt- und Klimaschutz praktisch werden zu lassen. Erneuerbare Energien sind sichere Energiequellen. Deshalb müssen sie mittel- und langfristig einen deutlich höheren Anteil an der Energieversorgung übernehmen. ({3}) Die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung, die nun schon mehrfach erwähnt wurde, ist eine Technik, die in sich wirtschaftlich ist. Gerade auch in Kooperationen zwischen Stadtwerken und Industrie wird sie eine Zukunft haben. Daß wir sie im Moment sichern bzw. ihren Ausbau überhaupt erst motivieren müssen, ist doch nicht verursacht durch fehlende Produktivität, sondern ist lediglich eine Folge der Marktpreisentwicklung durch vagabundierende Überkapazitäten auf dem liberalisierten Strommarkt. ({4}) Lassen Sie mich noch zu einem anderen Sektor kommen, in dem wir in den nächsten Jahren ganz hohe Klimaschutzpotentiale haben. Der Umweltminister hat in seiner Regierungserklärung sehr deutlich gemacht, daß wir in diesem Bereich eine Verantwortung haben, der wir uns stellen müssen. Es handelt sich um den Verkehrsbereich. Wenn nämlich aus dem Fahrzeug ein „Stehzeug“ wird, dann verlangt heute der moderne Verbraucher im Individualverkehr eher nach einem serienmäßigen „Stauevent“, als daß er über den freiwilligen Verzicht auf Automobilität nachdenkt. Vor diesem Problem stehen wir. Es ist natürlich ein deutlicher Fortschritt, wenn wir zukünftig Autos haben, die nur noch 3 Liter schadstoffarme Kraftstoffe pro 100 Kilometer verbrauchen. Aber auch das reicht nicht; das darf längst nicht alles sein. ({5}) Die Verantwortung für den Ausbau - ich betone bewußt: für den Ausbau - des öffentlichen Personennahverkehrs haben wir vor einigen Jahren sinnigerweise den Ländern überlassen - was im Prinzip auch gut ist. Wir haben aber meines Erachtens vergessen, ihnen auch das notwendige Kleingeld für den dauerhaft sicheren Ausbau mitzugeben. Die Länder und Kommunen bemühen sich jetzt nach Kräften, das entsprechende Angebot attraktiv und kostengünstig zu gestalten. Ich fürchte aber: Wenn wir den öffentlichen Personennahverkehr, gerade auch im ländlichen Raum, wirklich deutlich ausbauen wollen, dann wird uns dieses Thema immer weiter beschäftigen. Es wird nicht einfach werden, die CO2Belastung im Verkehrsbereich zu reduzieren. Die neue Bundesregierung wird endlich - ich denke, das ist ein großer Fortschritt - ein integriertes Verkehrskonzept vorlegen, in dem die verschiedenen Verkehrsträger so verknüpft werden, daß jeder seinen optimalen Systemvorteil ausspielen kann. Darauf haben wir bei der alten Regierung leider vergeblich warten müssen. Wir werden in absehbarer Zeit auch eine fahrleistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe einführen. Das ist ein ganz großer Schritt in Richtung gerechter Wegekostenanlastung. Mit dieser Wegekostenanlastung werden die umweltverträglichen Verkehrsträger Schiene und Schiff wettbewerbsfähiger. ({6}) Ich bin sicher, daß wir noch sehr viele reizvolle technische Möglichkeiten haben, diesen Prozeß weiter zu unterstützen. Wir können nämlich die technischen Potentiale beim Schienenverkehr, bei den Bahnen und Lokomotiven, durch intelligente logistische und systemtechnische Konzepte, durch leichtere Fahrzeuge sowie durch neue, effiziente und sparsame Antriebstechniken wirklich nutzen und somit Zukunftsmärkte erDr. Margrit Wetzel schließen. Da ist auch in bezug auf die Klimaschutztechnik Musik drin. Das sollten wir nicht geringachten. ({7}) Lassen Sie mich bitte noch kurz auf das Thema Schiff eingehen. Das wird normalerweise - leider wohnt ja nur ein geringer Teil der Bevölkerung an der Küste - in den meisten Bundesländern nicht ganz wahrgenommen: Das Schiff ist eines der umweltfreundlichsten Verkehrsmittel überhaupt. 90 Prozent unseres Welthandels laufen über die Schiffahrt. Das ist ein expandierender Markt, an dem wir teilhaben müssen. Wir forderten von der alten Bundesregierung seit vielen, vielen Jahren immer wieder Konzepte, die mit dem Schlagwort „from road to sea“ belegt wurden. Nur, die alte Bundesregierung hat nie etwas gemacht, um den Straßengüterverkehr auf die umweltfreundliche Küsten- und Binnenschiffahrt zu verlagern. Deshalb freue ich mich, daß die neue Bundesregierung dieses Thema ernsthaft angeht. Lassen Sie mich einen kleinen Schlenker machen: Es ist jetzt 12.36 Uhr. Heute, an diesem Freitag, hat um 12 Uhr der EU-weite Aktionstag für den europäischen Schiffbau begonnen. In ganz Europa, an sämtlichen Werftstandorten, finden heute Demonstrationen für den Erhalt unserer Werften und gegen das mit einer Kapazitätsausweitung einhergehende koreanische Preisdumping statt. In diesem Fall ist es so, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam, die europäischen Gewerkschaften und die europäischen Arbeitgeberverbände, Seite an Seite für den Schiffbau in Europa - ich betone: an jedem Werftstandort! - demonstrieren, für die Zukunft ihrer modernen High-tech-Arbeitsplätze in einem expandierenden Schiffbaumarkt. Ich denke, die Solidarität und die Unterstützung des ganzen deutschen Parlaments sind ihnen sicher. ({8}) Klimaschutz heißt aber auch, Materialforschung zu betreiben und moderne, neue Produktionstechnologien zu entwickeln. Die Bundesregierung hat - Sie hatten danach gefragt, Herr Lippold; offensichtlich ist Ihnen das noch nicht bekannt - ein neues Programm aufgelegt, mit dem dies endlich einmal anwendernah, das heißt am Markt orientiert, passiert, in direkter Kooperation mit den Betrieben. Es sollen also nicht mehr Forschungsgutachten in Auftrag gegeben werden - deren Ergebnisse ohnehin nur in der Schublade liegen -, sondern es sollen in Zusammenarbeit mit den Betrieben Produktionstechnologien entwickelt werden, die sich am Anwender, am Markt orientieren. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle den kleinen und mittleren Unternehmen, die mehr und mehr den Mut haben, neue Technologien zu entwikkeln und voranzutreiben. ({9}) Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Was die Teflonpfanne als Abfallprodukt der Raumfahrt für den modernen Hausmann wurde - die CDU hat davon wahrscheinlich nicht soviel Ahnung -, ({10}) das könnte die Kohlefaserverbundtechnologie für den Fahrzeugbau werden. Wenn es uns gelingt, Materialien, die nicht altern, die absolut leicht und unzerbrechlich sind, in Serienproduktionen auch im bodengebundenen Fahrzeugbau einzusetzen, dann sind wir bei der Realisierung unserer Klimaschutzabsichten ein ganzes Stück weiter. Ich wünsche mir, daß Deutschland unter der neuen Bundesregierung diese Märkte der Zukunft ernst und wahrnimmt, daß Deutschland das Exportland Nummer eins in neuen Klimaschutztechnologien wird ({11}) denn das ist Umweltschutz, Entwicklungshilfe, aktive Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik zugleich -, ({12}) damit es unseren Bürgern und Bürgerinnen jetzt bessergeht und damit es auch den kommenden Generationen noch wirklich gutgeht. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich einige zentrale Aussagen der Reden der Vertreter der Regierungsfraktionen von heute morgen ins Gedächtnis ruft, dann stellt man fest, daß immer wieder die Aussage im Mittelpunkt steht: Nach der Konferenz in Bonn können wir auf eine internationale Klimaschutzpolitik hoffen. Das Erstaunliche dabei ist aber, daß sich die Maßstäbe der Vertreter der rotgrünen Regierungsfraktionen hinsichtlich der Bewertung solcher internationaler Vertragsstaatenkonferenzen im letzten Jahr ganz gewaltig verändert haben. Wenn Frau Merkel als Bundesumweltministerin hier eine solche Rede gehalten hätte, wie sie Herr Trittin heute morgen gehalten hat, wäre auf der linken Seite dieses Hauses ein Proteststurm losgebrochen. Heute dagegen wird gesagt: Das Ganze in Bonn ist doch eigentlich erfreulich abgelaufen. ({0}) Tatsache ist aber, daß die großen klimaschutzpolitischen Knackpunkte in Bonn nicht gelöst worden sind. Wenn Frau Ganseforth dann hier sagt, das liege daran, daß in den letzten Jahren viel Zeit vertrödelt worden sei, dann muß man einfach folgendes in Erinnerung rufen: 1987 hat es die überhaupt erste echte klimapolitische Konferenz auf UNO-Ebene gegeben. Erst seit 1991, im Vorfeld von Rio, hat es international abgestimmte Maßnahmen gegeben. ({1}) Ihre heutige Aussage, wir seien jetzt, 1999, eigentlich ein gewaltiges Stück weitergekommen, ist aus unserer Sicht nichts anderes als ein verstecktes, aber durchaus berechtigtes Lob an Professor Töpfer, den damaligen Umweltminister, und an Frau Merkel, die damalige Umweltministerin, dafür, daß sie international eine so positive Vorreiterrolle für Deutschland übernommen und 1997 Kioto, heute Bonn und im nächsten Jahr Den Haag überhaupt ermöglicht haben. ({2}) Wenn Herr Loske sagt, in Bonn seien viele Punkte im Detail geregelt worden, dann muß man fairerweise zugeben, daß das zwar in einigen Bereichen stimmt; aber in den großen umweltpolitischen und Klimaschutzthemen ist es nicht so gewesen. Bundesumweltminister Trittin hat selbst gesagt, daß das erst in Den Haag geregelt werden kann. Es ist auch nicht so leicht. Welchem Staat ordnen wir zum Beispiel bei der Einbeziehung des Flugverkehrs die Verursachung zu? Es gibt die Frage der sogenannten Grundlinie beim Handel mit Umweltzertifikaten. Für welchen Staat wird eigentlich welche Grundlinie im Bereich Klimaschutz angenommen? Erst wenn diese Frage geklärt ist, kann man überhaupt verhandeln. Lieber Herr Loske, dies alles ist in Bonn nicht geregelt worden. Man hat die Hoffnung, daß das in Den Haag geregelt wird. Deshalb bin ich erstaunt, daß heute von rotgrüner Seite gesagt wird: Wir haben in diesen Punkten in Bonn einige Detailpunkte geklärt. Frau Ganseforth hat darüber hinaus gesagt, es habe immer einige Forscher gegeben, die das Ganze nicht als so bedrohlich angesehen hätten wie einige andere Forscher. Dann kann ich nur zitieren, was Professor Grassel, der Mitglied der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ gewesen ist, in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ vor einigen Tagen gesagt hat: Wenn wir in Deutschland die Meßlatte bei internationalen Forderungen zu hoch hängen und den Entwicklungsländern keine Möglichkeit geben, sich bei den Verhandlungen einzubringen, dann liegt die Verhandlungslinie bei Deutschland falsch. Deshalb ist es dringend notwendig, darauf hinzuweisen, daß wir in den letzten Jahren diesen Klimaprozeß tatsächlich erfolgreich vorbereitet und eingeleitet haben. ({3}) Es hat auch Charme, wenn der Bundesumweltminister sagt: Da wir das in Bonn nicht erreicht haben, wollen wir im Jahr 2002, zehn Jahre nach Rio, fünf Jahre nach Kioto, endlich ratifizieren. Es ist eine schöne Formulierung: Kioto plus fünf, Rio plus zehn. Aber das reicht nicht aus, wenn wir für die weiteren Verhandlungen nur einen Zeitkorridor haben. Wir müssen auch die inhaltliche Strategie festlegen, also das, was wir tatsächlich wollen. Man muß als Gesamtergebnis der Bonner Konferenz festhalten: Bei der inhaltlichen Ausformung einer wirklich tragfähigen internationalen Klimaschutzstrategie ist der Umweltminister in Bonn ziemlich konzeptionslos und ratlos gewesen. Auch die Ausführungen des Bundeskanzlers sind ziemlich oberflächlich gewesen. Herr Loske hat in seiner Rede heute morgen mehrfach betont, der Bundeskanzler habe viel Lob erfahren. Aber das wird jetzt vom rotgrünen Regierungslager zu Unrecht behauptet. Der Bundeskanzler hat Lob dafür bekommen, daß er gesagt hat: Wir wollen das Versprechen von Helmut Kohl, minus 25 Prozent, halten. Dafür ist er gelobt worden. ({4}) Zu seiner Ausführung, daß er das Konzept, wie er dies erreichen wolle, erst im nächsten Jahr vorlegen werde, haben alle Umweltverbände nach der Rede gesagt: Da ist er blaß geblieben und hat nicht gesagt, was er will. Ihre Sprachregelung soll jetzt bewirken, daß Sie über diese Kritik hinwegkommen. Sie reden nur davon, daß alle Bundeskanzler Schröder gelobt hätten. Sie hoffen, dadurch - das muß man Ihnen ganz klar sagen - die öffentliche Meinung zu verdrängen. Ihre Aussage ist aber nicht richtig. In Wirklichkeit war das Echo auf die Rede des Bundeskanzlers viel, viel schlechter, als Sie es angesprochen haben. ({5}) Der Umweltminister lobte die Bundesrepublik Deutschland dafür - er hat das gut gemacht; ich habe die Rede selbst gehört; ich bin bei der Klimakonferenz gewesen -, daß wir bei den CO2-Emissionen ein Minus von 13,2 Prozent erreicht hätten. Er ist erst ein Jahr im Amt. Meinen Sie wirklich, der Rückgang der CO2Emissionen um 13,2 Prozent sei zustande gekommen, weil er seit einem Jahr im Amt ist? Es muß doch Vorläuferentwicklungen gegeben haben. Nun kommen Sie mit dem Argument, dies sei nur durch die Neuordnung der Wirtschaft auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erreicht worden, und verweisen darauf, daß es bei uns, in den westlichen Bundesländern, einen Anstieg der Emissionen um 3 Prozent gegeben habe. Sie sagen aber nicht, Herr Kollege Müller, daß dieser Anstieg im Vergleich zu der Situation in den Staaten, die Sie hier in den letzten Jahren immer lobend erwähnt haben - Dänemark und Niederlande -, ein hervorragendes Ergebnis ist. Wissen Sie, was die Dänen mit ihrem Ökosteuermodell erreicht haben? Es gab ein Plus des CO2-Ausstoßes um 20 Prozent. Die Niederländer, die von Ihnen ebenfalls gelobt worden sind, haben in den letzten Jahren bezüglich des CO2-Ausstoßes ein Plus von 10 Prozent erreicht. Ist es angesichts dessen nicht ein tolles Ergebnis, wenn wir sagen: Wir haben es trotz unserer wirtschaftlichen Entwicklung geschafft, auch in den alten Bundesländern den CO2-Ausstoß unter Kontrolle zu halten? Geben Sie doch zu, daß diese Entwicklung auch die Vorläuferregierung zu verantworten hat! Dann wären wir hier sicher ein Stück weiter. ({6}) Heute morgen haben Sie in Ihren Reden des öfteren gesagt, daß wir alle Kräfte auf lokaler Ebene unterstützen müssen, die die lokale Agenda vor Ort befürworten. Sie haben recht. Ganz wichtig bei der Entwicklung einer Strategie vor Ort ist, daß erkannt wird, daß der Staat in diesem Bereich nicht alles verordnen kann. ({7}) Der Staat greift nämlich sehr stark in die Lebenswirklichkeit der Gesellschaft, in die Unternehmen ein. Hier kann Politik nur erfolgreich sein, wenn Sie eine Strategie entwickeln, die geprägt ist von dem Gedanken einer Umweltallianz. ({8}) Sie müssen von dem Lagerdenken wegkommen und bereit sein, bei einer CO2-Minderungsstrategie die verschiedensten Kräfte der Gesellschaft einzubinden. ({9}) - Herr Müller, Sie sagen: „Das ist doch klar!“ Ich kann aber nicht feststellen, daß Sie irgendwo Bereitschaft zeigen, in dieser Beziehung voranzugehen und das Gespräch mit den verschiedenen Akteuren zu suchen. ({10}) Bei Ihnen herrscht noch immer umweltpolitisches Lagerdenken vor. Wenn Sie bei dieser Grundkonzeption bleiben, dann werden Sie es nicht schaffen, die Zusage einzuhalten, die wir eingegangen sind, nämlich bis zum Jahre 2005 eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 25 Prozent zu realisieren. Deshalb unsere Aufforderung: Versuchen Sie, all die Akteure zusammenzubringen, die bereit sind, in Deutschland eine solche Politik zu unterstützen! Wenn Sie lediglich parteipolitisch argumentieren und versuchen, die Erfolge nur dem rotgrünen Regierungslager zuzurechnen, werden Sie der Klimaschutz- und Umweltpolitik im internationalen Sinne keinen Gefallen tun! Zum Schluß. Herr Müller, wenn Sie sagen, die Eingriffe in die Gesellschaft müßten wirklich massiv sein

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Paziorek, kommen Sie wirklich zum Schluß!

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ja! -, auch die Eingriffe in unsere Industriegesellschaft, ({0}) dann verstehe ich nicht, daß Sie bei einer Ökosteuer mitmachen, die beispielsweise die Kohle ausdrücklich ausnimmt, aber erneuerbare Energieträger belastet. ({1}) Das paßt doch nicht zu Ihren Aussagen. Ich sage dies als jemand, in dessen Wahlkreis noch eine Zeche ist. Ich weiß also, was dies kohlepolitisch bedeutete. Wenn Sie konsequent bleiben wollen, Herr Müller, dann müssen Sie auch in dieser Frage einen anderen Kurs fahren, als Sie es in den letzten Tagen gemacht haben. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/1853 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Der Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/1956 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union und an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Der Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/1998 und der Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/1992 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann sind auch die Überweisungen so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart, die gestern vorgenommene Ausschußüberweisung des Antrags der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. zum OSZE-Gipfel auf Drucksache 14/1959 um die Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu ergänzen. - Auch hier gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Hildebrecht Braun ({0}), Rainer Brüderle, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse eingetragener Lebenspartnerschaften ({1}) - Drucksache 14/1259 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({2}) Innenausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Kollegen Dr. Guido Westerwelle, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die F.D.P.Bundestagsfraktion legt heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften so weit wie möglich abbauen wollen. Meine Partei hat in diesen Fragen eine lange Tradition. Wir sind von unserer liberalen Grundüberzeugung her der Auffassung, daß Minderheiten nicht diskriminiert werden dürfen, daß der Staat nicht Zensor der privaten Lebensentwürfe ist, daß erlaubt ist, was gefällt und keinem anderen schadet. Deswegen haben wir beispielsweise in der alten Koalition zu Beginn der 90er Jahre den § 175 gestrichen, der seinerzeit im Strafgesetzbuch eine Diskriminierung von gleichgeschlechtlicher Liebe vorgesehen hat. Diese Politik wollen wir mit unserem Gesetzentwurf fortsetzen, der heute hier eingebracht wird und jetzt zur Debatte steht. Lassen Sie mich eines klar sagen: Es ist kein Entwurf, der sich gegen die Ehe richtet, sondern es ist ein Entwurf, der sich gegen die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften wendet. ({0}) Ehe und Familie sind die tragenden Verantwortungsgemeinschaften in unserer Gesellschaft. Aber wir wissen, daß die Ehe den gleichgeschlechtlichen Paaren nach der Verfassung verwehrt ist. Deshalb ist ein anderes Institut, nämlich das der eingetragenen Partnerschaft, sinnvoll, weil jede Lebensgemeinschaft wertvoll ist, in der Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. ({1}) Nach unseren Vorstellungen sollen künftig zwei volljährige, nicht verheiratete und in keiner anderen eingetragenen Lebensgemeinschaft lebende Personen gleichen Geschlechts eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründen können. Es geht also nicht darum, das Institut der Ehe abzuwerten, sondern es geht darum, die Diskriminierung neuer Verantwortungsgemeinschaften abzubauen. Wir respektieren die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und den besonderen Schutz von Ehe und Familie im Grundgesetz. Daher sind die von uns vorgesehenen Regelungen auch bewußt unterhalb der Ehe angesiedelt. Es ist ein anderes Institut. Deshalb ist unser Gesetzentwurf auch verfassungsfest. ({2}) Wir kennen die Verfassungsgrenzen und möchten nicht riskieren, daß ein wichtiges gesellschaftspolitisches Vorhaben so weit geht, daß es einem Urteil des Verfassungsgerichts nicht standhalten könnte. Ansonsten hätte man etwas Gutes gewollt und nichts bewirkt. Dennoch enthält unser Gesetzentwurf weitreichende Regelungen, insbesondere dort, wo die Diskriminierung am deutlichsten ist. Zum Beispiel sieht unser Gesetzentwurf im Mietrecht, im Erbrecht, im Erbschaftsteuerrecht und übrigens auch im Ausländerrecht umfangreiche Änderungen vor. Wir haben damit die wichtigsten Forderungen, die auch von Verbänden an uns herangetragen wurden, aufgenommen. Mit diesem Rechtsinstitut können gleichgeschlechtliche Paare erstmals ihre Beziehung nach außen dokumentieren und rechtlich absichern. Eine Partnerschaft, in der zwei Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, verdient den Respekt der Gesellschaft und den Respekt des Staates. Gerade in einer Zeit, die von der Vereinzelung der Menschen geprägt wird, hilft es allen, wenn Verantwortungsgemeinschaften gestärkt werden. ({3}) Die Umfragen der letzten Zeit zeigen, daß es in der Bevölkerung eine Mehrheit gibt, die ein eingetragenes Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Paare befürwortet. Wir wollen mit unserer Initiative für mehr Toleranz und Verständnis in der Gesellschaft werben. Ein solches Rechtsinstitut kann nur dann Erfolg haben, wenn es von der Gesellschaft akzeptiert und getragen wird; das wissen wir wohl. Unser Gesetzentwurf enthält daher auch keine Maximalforderungen, sondern Vorschläge, die sich im Verfassungsrahmen bewegen. An die Adresse der Kritiker, auch an die Adresse der konservativen Kritiker, die in unserer Initiative einen Werteverlust sehen, sei gesagt: Wenn in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft einer seinen Partner bis in den Tod hinein pflegt, dann ist das kein Werteverlust, sondern ein Wertegewinn für unsere Gesellschaft. ({4}) Die Förderung der gegenseitigen persönlichen Hilfe ist die menschlichste und die menschenwürdigste Form jeder Politik. Die freiwillige Übernahme von Verantwortung und der Bürgersinn sind dem Zwang und dem bevormundenden Fürsorgestaat überlegen. Der Bürger kommt für die Liberalen vor der Institution. Der Staat muß die Bürger aber auch lassen. Rotgrün hat den Wählern vor der Bundestagswahl versprochen, daß es innerhalb der ersten 100 Tage nach der Regierungsübernahme eine eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare geben wird. Nach Ablauf dieser 100 Tage wurden immer neue Fristen genannt: bis Ostern, bis zur Sommerpause, im Herbst, bis zum Ende des Jahres. Bisher gibt es von der Justizministerin aber nur zaghafte Andeutungen und vage Vorstellungen über Inhalte; es gibt weder einen Referentenentwurf noch irgendein Papier, das man diskutieren könnte. Deshalb war es Zeit, daß dieser Gesetzentwurf von uns eingebracht wurde. Wir können nicht abwarten, bis Sie sich bequemen zu handeln. Wir wollen mit unserer Initiative parlamentarischen Druck auf die Regierung ausüben. ({5}) Das ist - bei allem Respekt, Herr Staatssekretär, daß Sie heute die Regierung vertreten - augenscheinlich nötig. Vizepräsidentin Petra Bläss Ich bin der Auffassung: Nach all den öffentlichen Erklärungen der Bundesjustizministerin in den letzten Tagen und Wochen, bei denen sie sich für etwas feiern ließ, was noch nicht einmal geschrieben wurde, hätte sie zumindest aber der Parlamentarische Staatssekretär heute hier auf der Regierungsbank sitzen und erklären müssen, wie weit sie ist und wie weit Sie gehen will. So kann man sich meines Erachtens nicht verhalten. Sie enttäuschen diejenigen, die Sie gewählt haben. ({6}) Weder bei der eingetragenen Partnerschaft noch bei Regelungen der Mietrechtsnachfolge, noch beim Abbau von Diskriminierungen homosexueller Soldaten in der Bundeswehr ist es bisher zu rechtlichen Änderungen gekommen. Rotgrün hat mit sehr vollmundigen Versprechungen viele homosexuelle Wähler für sich gewinnen können. Diese sind - zu Recht - enttäuscht. Ich weiß, daß das auch manchem auf den Plätzen der Koalitionsfraktionen überhaupt nicht gefällt. Ich kann Sie nur nach besten Kräften unterstützen und Sie dazu ermutigen, in dieser Richtung die Initiative mitzuergreifen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Westerwelle, ich muß Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. Ich komme zum Schluß. - Es ist an der Zeit, daß wir mit den längst überkommenen Moralvorstellungen Schluß machen. Das Parlament muß, wo es die Möglichkeit dazu hat, die Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften beenden. Das ist unser Auftrag an alle. Ich appelliere an Sie, unseren Gesetzentwurf als eine Beratungsgrundlage zu verstehen, die man da oder dort kritisieren kann. Wenn Sie aber kritisieren, dann legen Sie etwas vor, machen Sie es besser! Dann reden wir darüber, wo wir eine gemeinsame Mehrheit der Vernunft finden können. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Margot von Renesse, Sie haben das Wort für die SPDFraktion.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Westerwelle! Die Tatsache, daß die Ministerin nicht hier sitzt, mag nicht in erster Linie mit der Bedeutung des Themas zu tun haben, sondern mit der Bedeutung Ihres Entwurfs. Ihr Entwurf entspricht vielleicht nicht dem, was wir unserer Verpflichtung nach denen, die von uns Gerechtigkeit erwarten, vorzulegen haben. Ich denke, es ist richtig, daß der beamtete Staatssekretär anwesend ist; denn wir sind uns in der Regierungskoalition über die Ziele einig; es geht nur noch um das Wie, nicht um das Ob. Ich verspreche Ihnen: Ich werde nach so vielen Reden an diesem Pult zu diesem Thema nichts mehr sagen, es sei denn in der ersten Lesung eines Regierungsentwurfs, und diese wird sehr bald sein. Zur Sache. Ihr Entwurf ist mir aus einem sehr wichtigen Grund nicht unsympathisch: Sie machen etwas, was unverzichtbar ist - aber es ist ein Problem, daß genau Konservative, gerade Wertkonservative besonders stört -: Sie machen den Schritt ins Familienrecht. Das ist im Prinzip richtig. Ihren Schritt aber kann man so beschreiben: Sie heben den Fuß, deuten die Richtung an und bleiben mitten in diesem Schritt stecken. Sie machen also nicht etwa zwei Schritte vor und einen zurück, sondern machen den Schritt, den Sie machen müßten, nicht ganz. Das will ich Ihnen an drei Beispielen deutlich machen. Zum ersten ergibt sich aus Ihrem Text eine Widersprüchlichkeit. Sie berufen sich zur Begründung dessen, was Sie als Institut schaffen wollen, auf die berühmte Formel des Bundesverfassungsgerichts, nämlich auf die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft. Gleichzeitig machen Sie bei den Konsequenzen dieses Instituts an vielen Stellen deutlich, daß es sich gerade nicht um eine dauerhafte Verantwortungsübernahme handelt. Das gilt insbesondere für das Unterhaltsrecht. Vor allem da, wo es keine Liebe mehr gibt nach der Trennung, beschränken Sie den Unterhaltsanspruch der Lebenspartner gegeneinander auf das, was man im Nachehe- und Nachtrennungsrecht den „positiven Billigkeitsanspruch“ nennt. So positiv die Formulierung „positiver Billigkeitsanspruch“ klingt, so problematisch ist die Wirklichkeit dahinter. Dieser Fall ist nämlich die absolute Ausnahme. Es gibt eben keine wirklich verläßliche Verantwortungsübernahme für Krankheit, für Alter und für das Problem, daß man keine Arbeit findet, selbst wenn man eine aufnehmen sollte oder müßte. Auch im Eherecht ist der Unterhaltsanspruch nach der Trennung oder Scheidung eine Ausnahme, aber mit weiß Gott viel mehr Begründungen von Verantwortung für das, was innerhalb der Gemeinsamkeit auf Stapel gelegt ist, als in Ihrem Gesetzentwurf. Im Grunde ist es bei Ihnen ein Institut, das Familienrecht heißt, aber nach dem Prinzip verfährt: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß. ({0}) Offensichtlich trauen Sie Homosexuellen die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung nicht zu. Der Kern für alle Diskriminierungen ist eigentlich genau das: daß man die Beziehungen zwischen zwei Männern oder zwei Frauen nicht für verläßlich, nicht für belastbar hält. Ich als nicht Betroffene glaube, daß man den homosexuellen Menschen diese Übernahme von Verantwortung nicht mit guten Gründen verweigern kann. Dieses Thema bestimmt sicherlich nicht das Wohl und Wehe der Bundesrepublik Deutschland. Ich will Ihnen aber sagen, warum man sich auf diesem Gebiet engagiert, auch wenn man nicht betroffen ist. Für mich gibt es immer wieder eine Notwendigkeit, diese Frage zu beantworten. Wenn der Staat selber Unrecht tut, dann ist dieses Thema für alle, die Gerechtigkeit lieben, ein Stein im Schuh, ein Schmerz, der einen nicht losläßt, weil einem immer wieder Fälle wie die von Ihnen geschilderten begegnen, wo Menschen einen gleichgeschlechtlichen Partner pflegen und im Ergebnis nicht einmal die Totensorge haben; vielmehr können diese Menschen von einer Familie von Begräbnis und Trauerfeier ausgeschlossen werden. Das Problem besteht darin, daß Partner, die einander wichtig sind und die zueinander gehören wollen, selbst dann, wenn sie Unterhaltsverpflichtungen übernehmen wollen und können, nicht die Möglichkeit haben, einen Nicht-EU-Ausländer bei sich zu haben. Diese Menschen verzweifeln und verlieren ihren Lebenssinn. Ich sage in aller Solidarität: Es ist das Problem von Eltern homosexueller Kinder, die nichts, aber auch gar nichts verschuldet haben - auch deren Kinder haben nichts verschuldet - und die erleben müssen, daß ihre Kinder auf ein Außenseiterdasein programmiert sind. Es ist eine Angelegenheit, die mich auch als solidarisch fühlende Mutter zutiefst mitnimmt und für die ich - einfach um der Gerechtigkeit willen - etwas zu tun wünsche. ({1}) Ein weiteres Beispiel, das deutlich macht, daß Sie auf halbem Wege - sozusagen mitten im Schritt - steckenbleiben, ist das Problem mit dem Erbrecht. Sie wollen homosexuellen Lebenspartnern mit Ihrem rumpfhaften, verstümmelten Modell von Partnerschaft, die eben keine lebenslange Unterhaltsverpflichtung enthält, ein gesetzliches Erbrecht wie Ehegatten geben. Dabei haben Sie weiß Gott nicht gründlich genug nachgedacht. Worauf beruht denn das Ehegattenerbrecht? Es beruht auf der Unterhaltsverpflichtung, und dasselbe gilt für die gesetzliche Steuerbegünstigung für Ehegatten. ({2}) Der erbende Ehegatte erbt nicht wie jemand, der von einem Onkel aus Amerika erbt. Er gewinnt doch nichts, was er nicht schon vorher als Lebensgrundlage hatte. Dem trägt das gesetzliche Erbrecht, dem trägt auch das Steuerrecht, Herr Geis, Rechnung. Das gesetzliche Erbrecht ist kein Privileg, sondern die Anerkennung von Normalität. ({3}) Darum steht das Erbrecht nur jemandem zu, der sich seinem Partner so unverbrüchlich verantwortlich weiß, daß diese unverbrüchliche Verantwortung auch über den Tod hinaus wirkt. Ihr „Rumpfunterhaltsrecht“ kann solch weitreichende Folgen nicht haben. Wir müßten geradezu fragen, warum Heterosexuelle, die ebenfalls so eine Verpflichtung eingehen, von so etwas ausgeschlossen sind. Heterosexuelle bekommen solche „Privilegien“ - ich habe gerade gesagt, daß es keine Privilegien sind, sondern der Respekt vor etwas, was rechtlich existiert - nicht. Auch Heterosexuelle müßten so etwas „für billiger als Ehegatten“ bekommen können. Ehegatten müssen sich einander über Kopf und Kragen verpflichten. Nur wenn sie das tun, bekommen sie zum Beispiel solche Steuervorteile. Das müssen die homosexuellen Partner nach Ihrem Gesetzentwurf nicht. Sie bekommen es billiger. Bei aller Liebe zur Gerechtigkeit: Homosexuelle sind nicht besser als Heterosexuelle und verdienen keine bessere Behandlung. Soweit geht bei mir die Liebe jedenfalls nicht. ({4}) Entsprechendes gilt im Ausländerrecht. Worauf beruht denn das Ausländerzuzugsrecht? Ist es die Verbeugung vor der Liebe? Danach fragt bei der Eheschließung keiner. Kein Standesbeamter fragt: Liebt ihr euch? Vielmehr ist es die Verbeugung vor der Unterhaltspflicht. Der deutsche Staat, der den ausländischen Ehegatten ins Land läßt, weiß, daß er ein vorrangig verpflichtetes Portemonnaie vorfindet, das sich öffnen muß, wenn der Ausländer zum Sozialproblem wird. Bei Ihnen nicht. Ja, du liebe Güte! Warum ist dies nicht Heterosexuellen für ein bißchen weniger Verpflichtung, als es gleich Eheleute haben müssen, auch geöffnet? Und was Ehegattenverpflichtung und insbesondere Unterhaltsverpflichtung ist, davon weiß ich ein Lied zu singen. Ich habe die armen Kerls und die armen Damen vor mir gesehen, die in solchen Situationen standen. Da kann ich nur sagen: Mit Recht würde ich vor jedem Standesamt auch eines Tages bei Lebenspartnern, wenn das Institut so ist, wie es sein muß - eine rote Warnlampe anbringen. Es gibt ein schönes Zitat, das ich einmal angeführt habe, als ein Mann meinte, er müsse seiner Frau nichts zahlen; das wäre doch eine Gemeinheit. Es stammt von Puschkin, und zwar aus dem Märchen vom Zaren Saltan, und lautet: Seufzt der Schwan tief auf und spricht: Eine Gattin kann man nicht von der Hand wie'n Handschuh streifen und nach einer andern greifen. Drum erwäg es erst vernünftig, daß du nichts bereuest künftig. ({5}) Ich denke, dies gilt eines Tages auch für ein korrektes familienrechtliches Institut von Lebenspartnern.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ina Lenke?

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt habe ich gerade so ein schönes Gedicht aufgesagt! Wollen Sie dazu fragen? - Bitte sehr.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe Ihnen eine halbe Minute länger.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, vielleicht können Sie mir jetzt auch mit einem Gedicht antworten. Ich möchte Sie fragen: Nach dem, was Sie vorgetragen haben, nach dem, was an Kritik den Unterhalt zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern betrifft, gehe ich davon aus, daß Sie dies in Ihrem Gesetzentwurf berücksichtigen und daß darin eine lebenslange Unterhaltspflicht vorkommen wird. Können Sie das bestätigen?

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Worauf Sie sich verlassen können! Darunter kommt es nicht in Frage. Denn es gilt der alte Rechtsgrundsatz: Gleiche Rechte gibt es nur für gleiche Pflichten. ({0}) Das kann man in Art. 3 nachlesen. ({1}) - Das können Sie gerne tun. - Drunter geht nichts. Damit komme ich zu dem Problem, das wir immer auszumachen haben: Warum Familienrecht überhaupt? Warum müssen wir aus allen möglichen Beziehungen, die auch Dreier-, Vierer- oder Fünferbeziehungen - wer auch immer mit wem auch immer - sein können, die Zweierbeziehung herausnehmen? Hier könnte ich mit Plato, ja selbst mit Paulus antworten. Das kommt auch gleich noch. Aber warten Sie bitte noch einen Augenblick. ({2}) Weil auch ich aus einem Hause komme und meine Kinderstube in einer Familie gestanden hat, wo man über Sexualität eigentlich nicht redete und lieber einen Bogen darum schlug, habe ich lange Zeit versucht, das Problem ohne Bezugnahme auf das sexuelle Potential zu behandeln. Ich habe festgestellt: Es geht nicht. Nun komme ich auf eine Formel des Bundesverfassungsgerichtes zu sprechen. Diese zitiere ich noch vor Paulus. Bei den nichtehelichen Beziehungen, die Karlsruhe genannt hat, handelt es sich um solche, die neben sich keine andere Beziehung dulden, die keine andere Beziehung zulassen, wie Karlsruhe sagt. Diese schöne, gewundene Formulierung, heißt im Sprachgebrauch normalerweise „Treue“. Es muß also eine Treueverpflichtung zwischen zweien geben, damit sie eine so ganzheitliche Beziehung überhaupt begründen können, wie sie zum Beispiel eine solche unverbrüchliche Unterhaltsverpflichtung überhaupt nur trägt. Normalerweise ist keine vertragliche Beziehung in der Lage, dies zu leisten. Mit Recht nennen wir deswegen die Beendigung von sonstigen Dauerschuldverhältnissen Kündigung oder Beendigung, nur bei der Ehe spricht sogar das Gesetz in solchen Fällen vom Scheitern. Das hat eine ganz andere Qualität. Ich denke, das Familienrecht, dessen Liebhaberin ich bin, muß drei Kriterien erfüllen. Erstens muß es identitätsprägend sein. Ich füge in Klammern hinzu: Namensrecht. Das machen Sie. Zweitens ist es ein Recht, das Verpflichtungen auslöst, die nicht unbedingt von Gegenverpflichtungen abhängig sind, wie das Synallagma im Kaufvertrag: do ut des. Da wird vielmehr geleistet, weil der Bedarf besteht und nicht, weil eine Gegenleistung fließt. - „Sie bügelt mir die Hemden nicht mehr, und trotzdem muß ich Unterhalt leisten“. Ich kenne dieses alte Problem. Die dritte wichtige Qualität besteht darin, daß eine familienrechtliche Beziehung prinzipiell lebenslang ist. Es gibt keine Beziehung im Familienrecht, die nicht prinzipiell lebenslang ist. Das gilt für die Ehe auch bei Scheidung. Daraus folgt auch, daß die Unterhaltsverpflichtungen die Scheidung überleben - mit Recht. Das ist nur in einer ganzheitlichen Beziehung möglich, die der gute alte Paulus mit den Worten „Sie werden ein Fleisch“ umschrieb und die der gute alte Plato mit seinem berühmten Gleichnis von der Einheit von zweien kennzeichnete, die ein neidischer Gott zerschlug. ({3}) - Nein, Plato nicht. Vielmehr schilderte Plato die Situation, daß ursprünglich die Menschen als Einheit von zweien geschaffen waren und eine neidische Gottheit sie zerschlug, weil sie ihnen ihre Gottähnlichkeit neidete. ({4}) Daraus wurden dann jeweils zwei, manche ein Mann und eine Frau, die einander suchten, manche ein Mann und ein Mann, manche eine Frau und eine Frau. ({5}) - Ich redete gerade von Plato und seinem berühmten Gleichnis. ({6}) - Wissen Sie, es sind sehr, sehr alte Texte, und sie sind auf Grund ihres Alters und der Tatsache, daß sie überliefert wurden - ihnen ist die Ehre der Überlieferung zuteil geworden -, klassisch wahr. Sie kann man mit Recht zitieren, weil sie Dinge beim Namen nennen, die wahrhaftig sind. Jetzt kommen wir wieder in die Gegenwart zurück. Ich habe öfter Leute gehört, die gute Menschen und vielleicht auch konservativ sind. ({7}) Sie sagten: Laßt uns den Leuten mit dem Ausländerrecht, dem Erbrecht, dem Steuerrecht, dem Wohnungsrecht helfen. Das ist ja alles ganz furchtbar; also müssen wir ihnen helfen. Dazu soll alles geschehen. - Nur, immer dann, wenn irgendwelche punktuellen Veränderungen auf den betreffenden Gebieten erörtert wurden, verfranste man sich in der Widersprüchlichkeit, die darin lag, daß man es Leuten, die einander nicht verpflichtet waren, dann für weniger gab als anderen, beispielsweise Ehegatten. Das heißt, es führt kein Weg daran vorbei: Wenn wir Menschen helfen wollen, die in einer solchen Lage wie in den Beispielen, die ich geschildert habe, sind, geht es nicht ohne gleiche Pflichten. Eines macht auch Konservativen zu schaffen: Sie alle wollen - jedenfalls alle, mit denen ich gesprochen habe -, daß, wer in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, auf keinen Fall gleichzeitig eine Ehe schließen soll. Wer eine Ehe geschlossen hat, die nicht aufgelöst ist, soll auf keinen Fall eine solche Partnerschaft schließen. Ich frage: Welche anderen Möglichkeiten gibt es dann, bitte schön, außer dem Familienrecht? Denn das gibt es nicht, daß jemand eine Ehe nicht schließen darf, der in einer Beziehung zu irgendeinem Dritten lebt, die nicht familienrechtlicher Natur ist. Das ist nicht möglich. Es muß kommensurabel und auf der gleichen Ebene sein. Wer will, daß das eine das andere ausschließt, muß einfach zulassen, daß der Standesbeamte vor der Mitwirkung an einer beabsichtigten Eheschließung in irgendeinem Register nachschaut, ob es da so etwas wie eine Partnerschaft gibt. Deshalb sehen Sie mit Recht eine Registrierung vor, und damit befinden Sie sich im Bereich des öffentlichen Rechts. Also müssen Sie als Gesetzgeber ein Menü beschreiben, das angeklickt werden muß, wenn man eine solche Partnerschaft schließt. Also wird in dem Gesetzentwurf, den wir machen, das Familienrecht in vollem Umfang zur Geltung gebracht. Ich nenne hier die Stichworte: identitätsstiftend, lebenslang. Es wird sich um ein Verantwortungsrecht handeln, das Verpflichtungen auslöst, die nicht von einer Gegenverpflichtung abhängig sind. Das ist ein schwerer Schritt. Es ist seit Ewigkeiten mein Kredo, daß man das Familienrecht - selbst wenn man die Mehrheit hat nicht mit 51prozentigen Mehrheiten ändern sollte. Es ist gefährlich, so etwas zu tun; denn Familienrecht ist der Inbegriff von kulturell-ethischen Überzeugungen. Auch ich denke - wie Sie -, daß die Zeit soweit ist, daß es genug Menschen in dieser Gesellschaft gibt, die fragen werden: Warum haben wir das nicht schon lange gemacht? Aber es wird auch viele geben, die uns große Schwierigkeiten machen und die mit Art. 6 des Grundgesetzes argumentieren werden. Ich muß sagen, das ist ein falsches Verständnis von Art. 6: als ob Art. 6 verletzt würde, wenn wir so etwas machten. Nein, Sie haben recht, Herr Westerwelle: Er wird nicht verletzt. Eine soziale Konkurrenz gibt es sowieso nicht. Wer eine solche Partnerschaft einzugehen bereit ist, ist mit Sicherheit nicht jemand, dem auch eine Ehe mit einem Partner des anderen Geschlechts offenstünde - so als ob man morgens früh überlegt: Heirate ich jetzt lieber einen Mann oder eine Frau? ({8}) So sind die Dinge nicht. ({9}) Aber auch ein rechtliches Abstandsgebot - wie es immer behauptet wird - vermag ich nicht zu sehen. Da es schon keine Sozialkonkurrenz gibt, stellt sich die Frage nicht, ob das in Art. 6 niedergelegte Leitbild eines für alle ist; für katholische Priester zum Beispiel kann es keines sein. Vielmehr ist das rechtliche Leitbild der Ehe ein Leitbild für diejenigen, die als Mann und Frau rechtlich zusammenleben wollen. In diesem Bereich ist die Ehe eine Monopolinhaberin, und zwar mit Recht. Aber für alle, die nicht heiraten wollen oder können, ist sie es nicht. Sie verfehlen kein Leitbild, indem sie nicht heiraten. Zum Abstandsgebot: Ich hätte manchmal lieber im Recht durchgesetzt, daß die Ehe nicht zu einem rechtlichen Nachteil wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zu den Freibeträgen, die Sie uns hinterlassen haben, darauf hingewiesen, daß Ehegatten bis heute schlechter behandelt werden, weil sie Ehegatten sind. Dies ist in der Tat ein Verstoß gegen Art. 6 des Grundgesetzes. ({10}) - Das ist nicht wahr, daß wir Alleinerziehende schlechter behandeln. Das ist dummes Zeug. Darauf kann ich mich im Augenblick nicht konzentrieren. Jedenfalls ist es verboten, Eheleute schlechter zu behandeln, nur weil sie verheiratet sind. Dies gibt es trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts noch immer massenhaft. Art. 6 des Grundgesetzes ist eine Vorschrift, die ich gerne befolge; denn ich halte sie für richtig. Der Staat und die Gesellschaft verdanken - ich habe es gerade dargestellt - dem Rechtsinstitut der unverbrüchlichen Verantwortungsübernahme - einer tritt für den anderen lebenslang ein; Eltern für Kinder; Kinder für Eltern; Ehepartner für Ehepartner - eine Riesenentlastung. Wenn es dieses Rechtsinstitut nicht gäbe, dann wäre die Pflegeversicherung schon heute bankrott. Auch die Sozialversicherung und die Sozialhilfe wären sofort am Ende, wenn es die Solidarität durch Verantwortungsübernahme nicht gäbe. Darin sind wir uns wieder einig. Ich hoffe, wir können uns überhaupt einigen, wenn Sie Ihre Widersprüchlichkeiten in Ihrem Kopf und in Ihrem Entwurf bereinigen. Wir sind uns darin einig: Mehr Verantwortung unter den Menschen schadet Familie und Ehe nicht. Mehr Verantwortung ist ein Gewinn für uns alle. Danke sehr. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Guido Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Renesse, Ihre Ausführungen haben uns allen viel Freude bereitet, vor allen Dingen auch deshalb, weil wir uns auf diese Art und Weise an gewisse altsprachliche Schulstunden erinnern konnten. Zu dieser Zeit am Freitag ist dies schon ein Wert an sich. Nun aber mit großem Ernst: Sie behaupten, es gebe Widersprüchlichkeiten in unserem Gesetzentwurf. Das muß man hinnehmen. Es ist immer das Schicksal desjenigen, der etwas vorlegt. Wer etwas vorlegt, läuft Gefahr, daß dieses oder jenes kritisiert wird. Ich kann nur eines nicht verstehen: Sie haben vor ziemlich genau zwei Jahren eine ähnliche, wie ich finde, bemerkenswerte Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Damals waren Sie noch Oppositionsabgeordnete. Damals wurde genau das gleiche diskutiert wie jetzt. Sie als ehemalige Familienrichterin haben seinerzeit genauso brillant über das Familienrecht und dessen Abgrenzung zum öffentlichen Recht referiert wie heute. Sie wissen, daß ich Ihnen als Anwalt einigermaßen folgen kann. Aber Ihre Ausführungen helfen uns - offengestanden - nicht weiter. Wir möchten jetzt einfach Taten sehen. Bisher gab es nur schöne Worte. ({0}) Wir, die F.D.P., hatten in der alten Koalition nie die Gelegenheit, solche Regelungen zu treffen, weil unser konservativer Koalitionspartner dies nicht zugelassen hätte. Dies mußten wir akzeptieren. Das ist in Ihrer Koalition bei anderen Fragen nicht wesentlich anders. Jetzt gibt es aber eine neue Mehrheit der Vernunft im Deutschen Bundestag. ({1}) Es gab ja nicht nur parteipolitische Auseinandersetzungen; vielmehr wurden auch gute Gespräche geführt. Wenn es eine solche Mehrheit der Vernunft gibt, dann müssen Sie irgendwann einmal etwas vorlegen. Die Tatsache, daß wir einen Gesetzentwurf eingebracht haben und daß die vielen guten Gespräche, die wir geführt haben, uns nicht mehr reichen, hängt damit zusammen, daß wir die Sorge haben, Sie könnte der Mut vor der eigenen Courage verlassen haben. Es wäre ein gutes Ergebnis dieser Debatte, wenn Sie anschließend mit Ihren Vorstellungen überkämen. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort nunmehr dem Kollegen Norbert Geis für die CDU/CSUFraktion.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Westerwelle, ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß wir uns gegen alle Diskriminierungen von Homosexuellen mit aller Entschiedenheit wehren müssen. Aber das bedeutet doch nicht, daß ich zu rechtlichen und quasi rechtlichen Institutionen Zuflucht nehmen muß, um solche Diskriminierungen abzuwehren. Das halten wir nicht für notwendig. Deswegen - das sage ich vorweg - wenden wir uns auch gegen Ihren Gesetzentwurf. Wir sind der Meinung, daß wir dadurch, daß wir den Vorrang von Ehe und Familie betonen und alles abwehren, was diesen Vorrang beschädigen könnte, niemanden diskriminieren. Die Forderung nach Regelung außerehelicher Lebensgemeinschaften, nichtehelicher Lebensgemeinschaften ist schon lange auf dem Tisch. Aber interessant ist, daß in der Diskussion bis 1988 nie jemand ernsthaft die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften gefordert oder davon gesprochen hat. Es ging immer um heterosexuelle Lebensgemeinschaften, die gleichgestellt werden sollten. Das war noch auf dem Deutschen Juristentag 1988 erkennbar, der dieses Thema behandelte und kein Wort über gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften verloren hat. Auch das Hearing der SPD aus dem gleichen Jahr hat kein Wort über gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften verloren. Es ging immer nur um die Diskussion heterosexueller Lebensgemeinschaften. ({0}) Erst 1988, als in Dänemark dieses bekannte Gesetz gekommen ist, und 1992, als 200 gleichgeschlechtliche Paare unbedingt ihre Registrierung haben wollten, kam dieses Thema nach vorne und hat auch - das kann ich schon sagen - eine lautstarke Lobby gefunden. Deswegen wird der Druck stärker. Wir werden - davon gehe ich aus, Herr Staatssekretär - in Kürze auch einen Gesetzentwurf der SPD-Fraktion auf dem Tisch haben, und wir haben uns heute mit dem Entwurf der F.D.P.Fraktion vom Juni dieses Jahres zu beschäftigen. Unsere Sorge ist, daß durch solche gesetzlichen Regelungen die eindeutige Vorrangstellung von Ehe und Familie beschädigt wird. Wir wissen natürlich, daß die Ehe nicht mehr so unangefochten ist, wie sie es einmal war. Wir kennen die Scheidungsziffern, und wir wissen auch, daß viele junge Paare erst einmal zusammenleben, gewissermaßen auf Probe. Aber es gibt kein Leben auf Probe, und es gibt auch keine Ehe auf Probe. Zum Schluß finden viele dann doch zusammen. Immerhin erleben 80 Prozent unserer Jugendlichen ihren 18. Geburtstag bei ihren verheirateten Eltern. Das zeigt, daß Ehe und Familie - und das wird von Ihnen auch nicht bestritten - immer noch eine ganz bedeutende Position innerhalb unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit haben. Ehe und Familie sind im Grundgesetz ganz besonders hervorgehoben worden. Eine solche Hervorhebung, liebe Frau von Renesse, in einer Verfassung hatten wir schon in der Weimarer Reichsverfassung. Hitler hat das dann wieder zurückgedrängt. Aber im Erlebnis der Hitlerzeit und auch im Erlebnis der Bedrohung durch den Kommunismus haben dann die Väter und Mütter unserer Verfassung allergrößten Wert darauf gelegt, daß Ehe und Familie in einer solch ausgezeichneten Weise herausgestellt werden, in einer besonderen Weise geschützt werden. Das Verfassungsgericht hat uns auch gesagt, warum. Jetzt komme ich zu einem Widerspruch zu Ihnen. Ehe und Familie sieht das Verfassungsgericht als eine Einheit, soweit Ehe eben auf Kinder hin offen ist. Diese Hochschätzung geht so weit, daß Ehen auch dann unter diesem besonderen Schutz stehen, wenn sie kinderlos bleiben. Das wissen wir aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Aber das Verfassungsgericht begründet die besondere Hervorhebung von Ehe und Familie damit, daß in der Familie den Kindern das Leben geschenkt wird, daß sie erzogen werden und daß sie in der Familie an die Gesellschaft herangeführt werden. Also Kindererziehung und das Schenken von Leben, das ist letztendlich der Grund - so das Verfassungsgericht in seinem Beschluß vom 3. Oktober 1993 -, weshalb Ehe und Familie diese Vorrangstellung haben. Deswegen, verehrte Frau von Renesse, kann es keinen Vergleich geben mit familiären oder ähnlichen Regelungen für nichteheliche Lebensgemeinschaften, schon gar nicht für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. ({1}) Das ist - jedenfalls nach diesen Grundentscheidungen des Verfassungsgerichts - so nicht möglich und nach meiner Überzeugung so nicht denkbar. Nun wissen wir, daß diese besondere verfassungsrechtliche Position hier angefochten wird. Wir sehen in Ihrer Gesetzesvorlage einen solchen Angriff. F.D.P. und SPD haben versucht, bei den Beratungen der Verfassungskommission eine verfassungsähnliche Stellung für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften zu erreichen. Das ist mißlungen, weil sich die CDU/CSU dagegen gewandt hat. Nun soll aber über die Hintertür, durch einfachgesetzliche Regelungen, eine solche verfassungsähnliche Position doch noch erreicht werden. Dagegen wenden wir uns. Wir meinen, daß es nicht möglich ist, ehespezifische Regelungen, wie wir sie in unserem gesetzlichen Rahmen für Ehe und Familie finden, auf andere Lebensgemeinschaften zu übertragen, ohne daß dadurch die Ehe und die Familie Schaden erleiden. ({2}) - Weil die Angleichung natürlich eine Abwertung des Vorranges von Ehe und Familie ist! Wenn ich jemanden gleichberechtigt neben einen anderen stelle, dann ist dies eine Verletzung des Vorrangs, und der Vorrang ist nun einmal in der Verfassung festgeschrieben. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ehespezifische Regelungen sehen wir im Ehegattensplitting und in anderen öffentlich-rechtlichen Vergünstigungen, zum Beispiel bei den Regelungen zum Familienunterhalt. ({4}) - Wenn Sie das nicht begreifen, Herr Ströbele, kann ich Ihnen nicht helfen. Vielleicht müssen Sie sich dann überlegen, ob Sie hier im Bundestag richtig sind. ({5}) Die Regelungen zum Unterhalt nach Scheidung, zum Zugewinn und zum Versorgungsausgleich sind ebenso ehespezifisch wie die Regelungen zum Erbrecht der Ehegatten. Das alles entspringt dem Halbteilungsgrundsatz, der davon ausgeht, daß die Erziehung der Kinder und die Führung des Haushalts auf der einen Seite und die Erwerbstätigkeit auf der anderen Seite gleichberechtigt nebeneinander stehen. Nicht wegen des Unterhaltsanspruchs, sondern wegen des Halbteilungsgrundsatzes gibt es die ehe- und erbrechtlichen Regelungen. ({6}) - Ich sehe es anders als Sie, verehrte Frau von Renesse. Daneben gibt es natürlich auch Regelungen, die der besonderen Beziehung zweier Menschen, dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen zwei Menschen entspringen. Solche Regelungen haben wir in unserer Rechtsordnung. Das sind allerdings Regelungen, die bislang nur Ehe und Familie vorbehalten waren, wie beispielsweise im Mietrecht, bei der Zeugnisverweigerung, in der ZPO und im Sozialrecht. Es ist natürlich durchaus überlegenswert, ob nicht solche Regelungen im Einzelfall auf Menschen Anwendung finden können, die ein Leben lang in einem besonderen Vertrauensverhältnis miteinander leben. Das ist richtig. Wenn sie das im Einzelfall so entscheiden, mag das für den Einzelfall durchaus plausibel sein. In der Summe führt das aber dazu, daß Sie die eindeutige Vorrangstellung von Ehe und Familie verletzen. Da beißt die Maus keinen Faden ab, das ist nun einmal so. Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken zur Frage des Regelungsbedürfnisses ausführen. Sie geben in Ihrem Gesetzentwurf an, daß 2,5 Millionen Menschen in Deutschland in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben. Das ist eine Schätzung. Sie müssen aber auch die Feststellung im Zweiten Bericht der EnqueteKommission „Demographischer Wandel“ zur Kenntnis nehmen, in dem steht, daß dazu keine Angaben gemacht werden können. Ich möchte zu bedenken geben, daß sich nach meinen Informationen in Dänemark seit Einführung der Regelung zur Registrierung solcher Partnerschaften im Jahre 1988 nur 2000 haben eintragen lassen. Wenn sich diese Zahl bestätigen lassen sollte, dann besteht in der Tat kein Regelungsbedarf. Im übrigen: Warum wollen wir etwas regeln, was im Grunde genommen in unserem gesetzlichen Rahmen schon geregelt ist? Wir haben die Möglichkeit der freien Vertragsgestaltung, und wir haben die übrigen gesetzlichen Regelungen, die für alle gelten und allemal alle Probleme, die bislang aufgetreten sind, haben lösen können. ({7}) Ich sehe keine Schwierigkeiten, das Problem zu lösen, daß jemand einen sterbenskranken Menschen im Krankenhaus besuchen kann. Das ist meist eine Frage, die in dem jeweiligen Krankenhaus vom Arzt zu entscheiden ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dies unmöglich sein soll. ({8}) - Nein, das ist in der jeweiligen Krankenhausordnung geregelt, die die Stadt oder der Kreistag erläßt. Damit haben wir gar nichts zu tun. Ich kann mir aber gut vorstellen, daß solche Regelungen getroffen werden können, ohne daß wir deswegen die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu einem Institut erheben müßten. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Geis, ich hätte von Ihnen gerne eine Auskunft zu einem Detail; in anderen Punkten stellt sich diese Frage ähnlich. Ich möchte wissen, ob Ihnen ein Fall bekannt ist, daß eine Krankenhausordnung vorsieht, daß der Ehegatte nicht Zugang zum Krankenbett seiner Partnerin oder seines Partners bekommt? Ich kenne viele Fälle, in denen das bei gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften durchaus das Problem war. Wenn Sie meinen, das sei in das Belieben der Krankenhausordnung gestellt, wüßte ich gerne, ob sich dieses Belieben bislang in dieser Vielfalt ausgelebt hat. Oder glauben Sie nicht eher, daß das Belieben der Krankenhausordnung seine Grenzen in dem Respekt vor der Intimsphäre und Privatsphäre der ehelichen Lebensgemeinschaft findet und daß gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften ebenfalls einen durchaus verständlichen Anspruch auf einen vergleichbaren Respekt vor ihrer Lebensgemeinschaft haben?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kenne nur die Krankenhausordnung in meiner Umgebung. Dort habe ich mich erkundigt. Da spielt diese Frage überhaupt keine Rolle. Selbstverständlich kann man seinen schwerkranken Freund, Bekannten oder Partner besuchen, ohne daß es irgendwelche Schwierigkeiten gibt. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß in einer so schwierigen Extremsituation eines Menschen, in der es um Leben und Tod geht, derjenige, der diesem Menschen am nächsten steht, nicht an das Krankenbett darf. Diesen Fall müssen Sie mir erst einmal zeigen. ({0}) Selbst wenn es so wäre, Herr Beck, vermag ich daraus nicht abzuleiten, daß wir deswegen den Bundestag in Bewegung setzen müßten. Sie müssen einmal überlegen, daß es sich nur um eine ganz kleine Gruppe handelt. Selbst wenn die geschätzte Zahl von Herrn Westerwelle stimmt, wären von diesen 2,5 Millionen nicht alle bereit, sich registrieren zu lassen, ({1}) so daß es eine noch geringere Zahl wäre. Wir müssen hier nicht für kleine Gruppierungen Regelungen schaffen. ({2}) Ein letztes Argument - Frau Renesse, Sie haben es schon angedeutet -: Warum treffen wir eine solche Regelung, wenn wir sie für die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften treffen, nicht auch - das wäre doch nur gerecht - für viele andere Partnerschaften, bei denen die Sexualität keine Rolle spielt? Wollen Sie diese benachteiligen? Das wäre nach meiner Auffassung eine Diskriminierung. Das müssen Sie sich einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Was Sie hier wollen, ist im Grunde genommen die Diskriminierung von vielen anderen Lebenspartnerschaften, die keine sexuelle Beziehung haben, zum Beispiel zwei Schwestern, die ihr ganzes Leben miteinander verbracht haben, die füreinander einstehen und füreinander die Verantwortung tragen. Sie sollen außen vor bleiben. Das wäre eine Diskriminierung! Danke. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Es gibt noch eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke. Ich würde ihr auch das Wort zu einer Kurzintervention erteilen, aber wir bleiben doch lieber bei dem Dialog. - Sie haben das Wort.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin lieber für den Dialog. Lieber Herr Geis, die CDU hat ein Familienpapier. Wenn ich nun Ihre Rede höre, stelle ich eine große Dissonanz zwischen dem Familienpapier der CDU und Ihnen fest. In dem Familienpapier heißt es: Wir respektieren die Entscheidung von Menschen, die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Lebensentwurf verwirklichen. Dann heißt es - das ist sehr wichtig -: Wir anerkennen, daß in solchen Beziehungen auch Werte bestehen, und wollen prüfen, welche rechtlichen Hindernisse dem gemeinsamen Leben im Wege stehen. Ich habe von Ihnen keinen einzigen guten Vorschlag zur Beseitigung dieser Hindernisse bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften gehört. Welche haben Sie? Vielleicht könnten Sie mir das einmal beantworten.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die CDU-Generalsekretärin Angela Merkel hat ein Gespräch mit den entsprechenden Verbänden geführt. Es ging dann folgende Erklärung hinaus: Für die CDU-Generalsekretärin Dr. Angela Merkel handelt es sich bei der LSU um eine gesellschaftliche Gruppe, der die CDU als Volkspartei für ein Gespräch offen steht. Im Vorfeld des kleinen Parteitages zur Familienpolitik werden wir alle gesellschaftlichen Gruppen ... - darunter auch die Gruppen, die bei ihr vorgesprochen hatten zu unserem familienpolitischen Leitantrag anhören. Ich weiß nicht, wie Sie daraus eine besondere Bevorzugung ausgerechnet gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ablesen wollen. Ich vermag das nicht zu erkennen.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Geis, hier geht es doch wirklich nicht um eine Bevorzugung, sondern um die Beseitigung bestehender Diskriminierung. Sagen Sie mir doch bitte, ob Sie nun gegen den Inhalt dieses Familienpapieres sind oder ob Sie einen konkreten Vorschlag vorlegen können. Die CDU/CSU sagt, man wolle prüfen, welche rechtlichen Hindernisse gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften im Wege stehen. Diese will sie dann sicherlich auch beseitigen. Besteht Ihrer Meinung nach überhaupt eine Diskriminierung? Meinen Sie denn, daß die Menschen, die in einer Verantwortungsgemeinschaft leben, nicht in vielerlei Hinsicht diskriminiert sind?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der CDU-Parteitag hat selbstverständlich das Recht, zu prüfen, ob Hindernisse bestehen. Ich bin der Auffassung, daß keine Hindernisse bestehen. Insbesondere bin ich der Auffassung - das habe ich eingangs schon gesagt -, daß überhaupt keine Diskriminierung rechtlicher Art vorliegt. ({0}) Ich bin nicht der Auffassung, daß in unserem Recht und unserer Gesetzgebung, in der Verfassung und den Gesetzen unterhalb der Verfassung, eine Diskriminierung solcher Lebensgemeinschaften zu sehen ist. Ich vermag keine Diskriminierungen zu erkennen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Geis, in welcher Welt leben Sie? Ich muß mich über Ihre Realitätswahrnehmung wirklich wundern. Allerdings muß man sich angesichts Ihrer Rede auch Sorgen um die Konservativen machen. ({0}) Denn wenn Konservative Ehe und Familie nur noch durch die Diskriminierung anderer Lebensformen begründen können, dann scheint in der Gesellschaft in der Tat eine Wertekrise vorhanden zu sein. Denn hier besteht eine Krise in der zweiten großen Volkspartei. Ehe und Familie machen ihren Sinn, weil sie Verantwortung und das Einstehen bei Problemen organisieren, weil innerhalb der Familie - übrigens ehelich oder nichtehelich - der Generationenvertrag vorgeprägt wird, die Solidarität zwischen den Generationen organisiert und sehr wichtige Sozialisationsaufgaben wahrgenommen werden, die der Staat nicht organisieren könnte. Deshalb besteht der Sinn des Schutzes von Ehe und Familie in der Verfassung nicht darin, daß man andere Lebensgemeinschaften bzw. andere Lebensformen benachteiligen, ignorieren oder diskriminieren müßte, wie Sie das vorgetragen haben. Ich wünschte mir, Sie hätten ein positiveres Verständnis von Ehe und Familie, so wie das bei der Koalition der Fall ist. ({1}) Sie versuchen sich immer hinter der entsprechenden Entscheidung von Karlsruhe zu verstecken. Ich finde, man sollte sagen, was man für richtig und was man für falsch hält und sich nicht hinter Verfassungsgerichtsentscheidungen verstecken, insbesondere dann, wenn sie einen ganz anderen Tenor haben. Karlsruhe hat 1993 im Hinblick auf die Aktion „Standesamt“ des Lesben- und Schwulenverbandes entschieden, daß der Gesetzgeber die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nicht öffnen muß. Es wurde aber gleichzeitig gesagt, der Gesetzgeber sei gehalten, die Benachteiligung der privaten Lebensführung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften dort zu beseitigen, wo er sie vorfinde, und sich dafür einen Weg auszudenken. Wir befinden uns jetzt in der Diskussion darüber, welcher der richtige Weg ist. Karlsruhe hat uns in seiner Entscheidung keinen Weg verbaut. Deshalb ist es nicht richtig, sich hinter dieser Entscheidung zu verstecken. Vielmehr muß man politisch formulieren, was man für richtig, für sachgerecht und politisch für wünschenswert hält. Meine Damen und Herren, die rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen ist eine Frage der Gerechtigkeit. Ich bin für jeden konstruktiven Beitrag dankbar. So freut es mich, daß neuerdings in der CDU darüber diskutiert wird, wie man sich aus wertkonservativer Sicht zu Verantwortungsgemeinschaften von Homosexuellen verhalten soll. Das finde ich sehr interessant und spannend. Ich lade diejenigen Kollegen, die daran Interesse haben, ausdrücklich dazu ein, an der Reformdiskussion der Koalition produktiv teilzunehmen. Bei der CSU - das wurde uns gerade vorgeführt scheint diese Diskussion offensichtlich noch nicht angekommen zu sein. Die steht eben nicht mitten im Leben, sondern am Rand, rechts. Im Entwurf der F.D.P. gibt es Vorschläge, über die es sich zu diskutieren lohnt. Er enthält wichtige Punkte wie den Güterstand der Zugewinngemeinschaft, das Nachzugsrecht für den ausländischen Lebenspartner und Regelungen zum Erbschaftssteuerrecht. Es ist in der Tat absolut unverzichtbar, homosexuellen Paaren, die auf Dauer füreinander einstehen wollen, diese Rechte endlich zu übertragen. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit und Fairneß. Leider spart der F.D.P.-Entwurf aber wichtige Rechtsfolgen aus. Er will Homosexuellen ausdrücklich nur ausgewählte Normen zubilligen. Von Gleichberechtigung ist nirgendwo die Rede. Es fehlen so entscheidende Dinge wie die Hinterbliebenenversorgung oder das Sorgerecht für Kinder, das insbesondere in der Partnerschaft von vielen lesbischen Paaren sehr wichtig ist, weil es da Kinder gibt. Unverständlich ist auch, warum das Standesamt für sie weiterhin Sperrbezirk sein soll. Homosexuelle sollen nur zum Notar dürfen; dieser schickt dann den entsprechenden Schriftsatz an das Amt. Aber eine Lebenspartnerschaft ist doch nicht die Eintragung eines Vereins. ({2}) Vielen Menschen geht es auch darum, in einer öffentlichen Zeremonie vor Freunden und Verwandten zu bekunden: Wir gehören zusammen. Schwule und Lesben zahlen Steuern wie andere auch. Warum soll ihnen die Zeremonie im Rathaus verweigert werden? ({3}) Ebenfalls fragwürdig ist, daß die F.D.P. die gegenseitigen Unterhaltspflichten stark einschränken will. Hier scheint mir der familienrechtliche Ansatz verunglückt. Frau von Renesse hat das ausgeführt. Das führt, wie ich glaube, auch zu verfassungsrechtlichen Problemen, weil wir nichtehelichen Lebensgemeinschaften nicht etwas billiger geben können als ehelichen. Wer gleiche Rechte will, muß auch gleiche Pflichten übernehmen. ({4}) Umgekehrt gilt der Satz aber auch: Wer gleiche Pflichten übernimmt, muß fairerweise auch die gleichen Rechte bekommen. Auch da darf es keine Abstriche geben. ({5}) Die von der F.D.P. hier vorgelegten Vorschläge zum Unterhaltsrecht mögen auf den ersten Blick locker, flokkig, libertär und pseudomodern wirken. Was heißt das aber wirklich? Das heißt, Sie trauen homosexuellen Paaren nicht zu, ein Leben in gleicher Verbindlichkeit zu führen wie heterosexuelle Eheleute. Das sagen Sie ja auch in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes ganz freizügig. Es geht Ihnen darum, vielleicht selbst nicht gewollte statusmäßige Verdichtungen der Beziehungen von Homosexuellen zu vermeiden. Wir fragen die Eheleute auch nicht, ob sie diese statusmäßige Verdichtung wollen oder nicht. Sie müssen sich einfach entscheiden: Entweder gehen sie zum Standesamt, oder sie lassen es bleiben. So viel Mündigkeit kann man den homosexuellen Paaren durchaus zutrauen. Die Heterosexuellen haben ja auch begriffen, daß der Satz Gültigkeit hat: Drum prüfe, wer sich ewig bindet. ({6}) Trotz einiger guter Ansätze zeigt der Entwurf, wie man es nicht machen sollte. Es zeigt sich auch, daß dann, wenn Rechte und Pflichten herausgepickt werden, schnell der Eindruck von Willkür entsteht. Wir wollen weder Rosinenpickerei noch eine Regelung zweiter Klasse, weder Privilegien noch mindere Rechte. Deshalb hatten SPD wie Grüne schon in der letzten Wahlperiode die skandinavische Methode empfohlen. Dort hatte man die Rechte und Pflichten von Eheleuten über Generalverweisungen im Paket auf die eingetragene Partnerschaft übertragen. Diese Methode hat sich glänzend bewährt, weil sie einfach, transparent und gerecht ist. Der F.D.P.-Entwurf bleibt deutlich hinter diesem Modell zurück. Dennoch, ich sage es noch einmal, wollen wir den Gesetzentwurf trotz aller Mängel gerne ernsthaft im Ausschuß prüfen und auch in die Reformdiskussion mit einbeziehen. Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., kritisieren, daß Rotgrün in Sachen Lebenspartnerschaften noch nichts geliefert hat. ({7}) - Hören Sie mir doch erst einmal zu. - Ich bestätige Ihnen hiermit, daß Sie den Finger dabei in der Tat in eine offene Wunde legen. SPD und Grüne haben beide vor der Wahl die volle Gleichberechtigung homosexueller Partnerschaften versprochen. Die Koalition steht bei den Schwulen und Lesben im Wort. Die Ungeduld draußen ist groß. Ich kann das gut verstehen. Auch ich bin absolut unzufrieden, daß wir noch keinen gemeinsamen Entwurf präsentieren können, der an die Vorschläge von SPD und Grünen aus der letzten Wahlperiode anknüpft. Ich bin unzufrieden darüber, daß durch einige Äußerungen aus der Umgebung des Justizministeriums der Eindruck entstanden ist, die Koalition würde Abstriche beim Projekt der Gleichbehandlung machen. Ich sage ausdrücklich: Bündnis 90/Die Grünen stehen weiter zu dem Ziel der Gleichstellung. Wenn es um die Verwirklichung von Gleichberechtigung geht - das richten Sie bitte der Justizministerin aus, Herr Staatssekretär -, dann stehen wir mit aller Kraft und mit allem Nachdruck auf seiten des Ministeriums. Nicht einverstanden sind wir dann, wenn Schwule und Lesben, wie zum Beispiel im F.D.P.-Entwurf, wieder nur am Katzentisch plaziert werden. Das ist nämlich eine Fortsetzung von Diskriminierung auf einem anderen Niveau. Dafür will ich nicht zur Verfügung stehen. Gleiche Pflichten und gleiche Rechte sollten der Grundsatz der Reform sein. Ein letzter Aspekt. Wenn die Lebenspartnerschaft dem Menschen wirklich etwas bringen soll, dann gehören dazu eine Reihe von Rechtsnormen, die nach unserer Verfassung im Bundesrat zustimmungspflichtig sind. Meine Damen und Herren von der F.D.P., wenn Sie für die Rechte der Schwulen und Lesben etwas Sinnvolles tun wollen, dann kämpfen Sie mit uns gemeinsam dafür, daß die neuen Stimmenverhältnisse im Bundesrat nicht zur Blockade führen. ({8}) Engagieren Sie sich dafür, daß die Länder Hessen und Baden-Württemberg, in denen Sie ja mitregieren, die Volker Beck ({9}) eingetragene Partnerschaft nicht zum Scheitern bringen, sondern daß diese Länder diesem Gesetz zustimmen! Es reicht nämlich nicht aus, hier im Bundestag aktiv zu sein. Die Glaubwürdigkeit der F.D.P. wird sich daran zeigen, wie sie in den Ländern agiert. Für Bündnis 90/Die Grünen ist glasklar: Wir wollen die volle Gleichberechtigung, eine eingetragene Partnerschaft mit allen Rechten und Pflichten. Das nimmt niemandem etwas weg; es schafft vielmehr Gerechtigkeit für Menschen, die mit voller Verbindlichkeit füreinander einstehen wollen. Solche Verantwortungsgemeinschaften verdienen unsere Unterstützung. Denn: Liebe verdient Respekt. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht nunmehr die Kollegin Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß die F.D.P. ihren Gesetzentwurf zur Diskussion stellen will, noch bevor der seit langem angekündigte Entwurf der Regierungskoalition im Parlament vorgelegt wird. Die Koalititionsvereinbarung - Sie sehen das sicher genauso - hat große Hoffnungen geweckt, die bislang - das muß man leider konstatieren - auf schmerzhafte Weise enttäuscht wurden. Es handelt sich um eine auch für mich nicht mehr nachvollziehbare Hinhaltetaktik der Bundesregierung. Jedoch - das sage ich nun deutlich an die Adresse der F.D.P. - macht ein solches Vorpreschen nur dann einen Sinn, wenn damit tatsächlich Druck auf die Bundesregierung ausgeübt wird und sie in einen Zugzwang gerät, indem Maßstäbe gesetzt werden. Leider wird mit Ihrem Gesetzentwurf genau das Gegenteil erreicht. Der F.D.P.Entwurf hängt die Meßlatte tief; er bleibt weit hinter dem zurück, was die Öffentlichkeit inzwischen zu akzeptieren bereit ist. So wird politischer Handlungsspielraum ganz eindeutig verschenkt. Sollte der Entwurf so bleiben, wie er ist, dann ist dem Anliegen - ich will es so hart ausdrücken -, die rechtliche Diskriminierung von lesbischen und schwulen Paaren zumindest abzumildern, Schaden zugefügt worden. Generell finde ich es problematisch, wenn ein gesondertes Rechtsinstitut für homosexuelle Paare geschaffen wird. Es ist nicht einzusehen, warum nicht auch heterosexuell lebenden Menschen eine solche Möglichkeit unterhalb der Ehe angeboten werden soll. Dieser Weg ist ja in Frankreich mit dem Zivilpakt beschritten worden. Das heißt natürlich in der Konsequenz, daß man die Ehe ohne Wenn und Aber für Homosexuelle öffnen müßte. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1993 hat dem nicht widersprochen und hat diesen Weg nicht versperrt. Sonderrechte für Homosexuelle, um das noch einmal klar zu sagen, schreiben Diskriminierungen fest und benachteiligen Heterosexuelle in der Wahlfreiheit einer ihrer Beziehung adäquaten Rechtsform. Die Problemlösung würde darin bestehe, alle Lebensformen rechtlich gleich zu behandeln. Die PDS arbeitet an einem entsprechenden Antrag, der demnächst vorgelegt werden wird. Eine weitere Bemerkung zur F.D.P. - Wenn Sie schon nicht den Mut haben, die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule vorzuschlagen, hätte ich wenigstens einen Generalverweis auf die bestehenden Regelungen für die Ehe erwartet, dem Sie ja - ich halte das zwar nicht für gut, aber es wäre eine Möglichkeit gewesen - Ausnahmebestimmungen hätten beifügen können. Statt dessen legen Sie hier ein Flickwerk von Einzelregelungen vor. Es passiert nun, was bei einem solchen Vorgehen immer zu erwarten ist: Es tun sich Lücken auf, und zwar sehr gravierende. Es gibt diverse Mängel im Detail. Es fehlen Regelungen im Sozial-, Renten- und Steuerrecht. Auch das Ausländerrecht ist meines Erachtens nicht befriedigend geregelt worden. Aber der Hauptkritikpunkt, den ich hier anführen will, ist, daß jegliche Regelungen für das Zusammenleben mit Kindern fehlen. In nicht wenigen Haushalten mit gleichgeschlechtlichen Paaren leben Kinder. Das muß durch die Gesetzgebung endlich zur Kenntnis genommen werden, insbesondere in Ostdeutschland, wo es zu DDR-Zeiten für Frauen auch ohne Mann kein besonders großes und schwerwiegendes Problem war, Kinder großzuziehen. Es gibt Schätzungen, daß etwa 50 Prozent der lesbischen Frauen in Ostdeutschland Kinder haben. Diese wachsen zu einem großen Teil in lesbischen Beziehungen auf. Das heißt, Herr Geis, es gibt auch homosexuelle Familien. Zumindest, wenn man auf den Familienbegriff im CDU-Antrag an den kleinen Parteitag abstellt, müßten Sie dem eigentlich folgen. Wir müssen hier also eine Regelung finden, die das Sorgerecht in lesbischen und schwulen Beziehungen regelt. Es muß eine Adoption des in der Beziehung lebenden Kindes durch den Nichtsorgeberechtigten möglich sein. Es muß Regelungen zur Mitelternschaft geben. Es muß auch die Möglichkeit der gemeinsamen Adoption geben. Das ist übrigens eine Nagelprobe dafür, ob die Diskriminierung von Lesben und Schwulen fortgesetzt oder beendet wird. ({0}) Auch Umgangsrecht und Kindesunterhalt nach der Trennung sind Fragen, die geregelt werden müssen. Insgesamt muß ich leider feststellen: Der Entwurf ist völlig unzureichend. Er könnte - das finde ich das Schlimmste dabei - für die Bundesregierung ein Freibrief sein, sich auf eine Minimalvariante zu beschränken. Ich möchte Sie dringend bitten und dazu auffordern, in den Ausschußberatungen hierzu Nachbesserungen vorzunehmen. Danke schön. ({1}) Volker Beck ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzter Redner in dieser Debatte spricht nunmehr für die CDU/CSUFraktion der Kollege Eckart von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren Kollegen! Es ist nicht das erste Mal, daß ich für meine Fraktion in einer Debatte spreche, in der es um die Diskriminierung homosexueller Lebensgemeinschaften geht. Ich habe in den vorangegangenen Debatten - nicht in diesem Haus, aber in Bonn - schon mehrfach gesagt, daß es zu den bestehenden Kapiteln der deutschen Rechtsgeschichte gehört, daß sich die Diskriminierung von Homosexuellen in der Bundesrepublik Deutschland fortgesetzt hat. Es ist erst im Rahmen der Wiedervereinigung gelungen, die Strafvorschriften aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, die spezifisch an die homosexuelle Veranlagung von Menschen angeknüpft haben. Diesen Weg, meine ich, müssen wir auch weitergehen. Für mich ist die Tatsache, daß wir heute diese Debatte führen, auch Ausdruck dafür, daß wir auf diesem Weg erfolgreich sind. Die Frage ist allerdings, ob es zur Beendigung der Diskriminierung oder zur Förderung der gesellschaftlichen Akzeptanz homosexueller Veranlagung eines neuen familienrechtlichen Instituts bedarf, insbesondere eines solchen Instituts, wie es die F.D.P. hier vorschlägt. Herr Kollege Westerwelle, wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, dann ordnen Sie eine eingetragene Lebenspartnerschaft als ein Aliud, also als ein anderes Lebensverhältnis zur Ehe, ein. Dann stellt sich aber in der Tat die Frage, warum dieses neue familienrechtliche Institut an die Veranlagung zur Gleichgeschlechtlichkeit gebunden sein soll. Bundesanwalt a. D. Manfred Bruns, hat in zutreffender Weise in verschiedenen Anhörungen darauf hingewiesen, daß unter der Berücksichtigung von Art. 3 Grundgesetz die Gefahr bestünde, daß dieses Institut dann auch für heterosexuelle Paare geöffnet wird, und daß ein Auslaufen der Ehe nach unten zu befürchten sei.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es gibt zwei Zwischenfragen, weil Sie mich direkt angesprochen haben. Die erste Zwischenfrage. Ist Ihnen bekannt, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bisher jedenfalls insoweit eindeutig ist, daß es einen besonderen Schutz von Ehe und Familie gibt und daß deswegen jedes Institut, das eine völlige Identität zu dem Institut der Ehe bedeuten würde, dramatisch Gefahr läuft, verfassungsrechtlich nicht Bestand haben zu können? Zweite Frage: Macht die Sache nicht einen Sinn, indem man sagt, diejenigen, die heterosexuell sind, haben die Möglichkeit zu heiraten? Man will keine Ehe light, man will kein Gegenmodell zur Ehe schaffen. Aber diejenigen, die nicht die Möglichkeit haben zu heiraten, die brauchen ein solches Institut, was man tatsächlich nur mit einem anderen Institut bilden kann.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westerwelle, ich kann die Schwierigkeiten, die mit Ihrem Gesetzentwurf verbunden sind, und auch die Motivation für diesen Gesetzentwurf gut nachvollziehen. Dies hängt mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 des Grundgesetzes zusammen. Umgekehrt ist das Problem, das sich insbesondere aus Art. 3 des Grundgesetzes ergibt, das von einigen Rednern angesprochen ist, doch nicht von der Hand zu weisen, daß es für eine heterosexuelle Lebensgemeinschaft geradezu typisch sein kann, das Verhältnis geringerer Rechte und Pflichten, das in Ihrem Entwurf vorgesehen ist, genauso in Anspruch nehmen zu wollen. Die Kritik, die in diesem Punkt vorgetragen ist, finde ich durchaus nachvollziehbar. ({0}) Ich komme gleich zu den Konsequenzen, Herr Kollege Beck, nach denen Sie sicherlich fragen wollen. Wenn Sie meine Redezeit verlängern wollen, bin ich gerne bereit - natürlich ohne dem Präsidenten vorzugreifen -, Ihre Frage zu beantworten.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ihr macht das ganz gut.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bei Ihren bescheidenen vier Minuten Redezeit möchte ich Ihnen gern ein wenig aushelfen. Würden Sie mir zustimmen, daß das skandinavische Modell nicht auf Ihre Bedenken treffen würde, nach dem die eingetragene Partnerschaft die gleiche familienrechtliche Verbindlichkeit hat wie die Ehe und deshalb nur für diejenigen angeboten wird, die diese Verbindlichkeit wollen, die aber bislang durch das Eheschließungsverbot keinen Zugang zu dieser Verbindlichkeitsregelung haben? Insofern besteht da eine wesentliche Differenz zu dem französischen Modell oder dem Vorschlag der F.D.P., die beide unterhalb dieser Verbindlichkeit bleiben. Es würde doch - auch da hoffe ich auf Ihre Zustimmung - keinen Sinn machen, Menschen, die sich gegen die Eheschließung und damit die familienrechtlichen Pflichten der Ehe entschieden haben, das Ganze unter neuem Namen noch einmal anzubieten, und dies wäre auch verfassungsrechtlich nicht zulässig. Deshalb muß man bei der Bewertung der verschiedenen Vorschläge differenzieren. Ihre Bewertung würde mich interessieren.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, ohne daß ich mich jetzt im Detail zum skandinavischen Modell äußern will, gebe ich Ihnen recht, daß die Interessenlage derjenigen heterosexueller Veranlagung, die sich gegen die Ehe entschieden haben, eine andere Interessenlage als derjenigen homosexueller Veranlagung ist, denen die Eheschließung vorenthalten wird. Insofern ist das, was Sie in Ihrer Zwischenfrage angesprochen haben, durchaus nachvollziehbar. Ich hoffe, daß ich das damit ausreichend erfaßt habe. Rechtssystematisch, meine ich, macht es tatsächlich nur Sinn, eine eingetragene Lebensgemeinschaft zu konstituieren, die sich von der Ehe im wesentlichen nur dadurch unterscheidet, daß sie gleichgeschlechtlicher Natur ist und keine Kinder vorhanden sind. ({0}) - Keine gemeinsamen Kinder, genau. Die Frage ist nur: Was ist der Grund für die Privilegierung der Ehe in Art. 6 des Grundgesetzes? Da gibt es zwei Ansichten, die jedenfalls im Kern vorgetragen worden sind. Die einen sagen, daß die auf lebenslängliche Dauer angelegte Verantwortungsgemeinschaft die Privilegierung in Art. 6 des Grundgesetzes begründet. Unsere Ansicht ist, daß als Grund für die Privilegierung der auf Lebenslänglichkeit angelegten Verantwortungsgemeinschaft die idealtypische Natur der Ehe für die Geburt, jedenfalls für die Erziehung der Kinder hinzutritt. ({1}) Ich spreche deshalb von Idealtypizität, weil ich damit kein Urteil über die Ehen, die, aus welchen Gründen auch immer, kinderlos bleiben, oder über Alleinerziehende sprechen will. Jeder soll nach seiner Façon selig werden, und jeder soll seinen eigenen Weg gehen können. Aber gerade in dieser Idealtypizität liegt der Grund für die Privilegierung. Diese Privilegierung, glaube ich, würde in Gefahr geraten, wenn wir weitere familienrechtliche Institute zuließen. ({2}) Ich will meine Gesprächsbereitschaft in der Frage anbieten, wo wir bestehende Benachteiligungen - ein typisches Beispiel ist das Auskunfts- und Besuchsrecht im Krankenhaus - beseitigen können, glaube aber, einem Bericht des Bundesjustizministeriums der letzten Legislaturperiode folgend, daß es dazu keines neuen familienrechtlichen Instituts bedarf. Vielen Dank. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/1259 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR - Drucksache 14/1805 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder ({0}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem Staatsminister im Bundeskanzleramt Rolf Schwanitz das Wort.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 17. Juni 1992, an jenem Datum, mit dem, wie wir alle wissen, so viel Symbolkraft verbunden ist, entschied der Deutsche Bundestag über das Erste SEDUnrechtsbereinigungsgesetz. Damals ging es um die Wiedergutmachung und Rehabilitierung für politische Verfolgung, vor allen Dingen für aus politischen Gründen Inhaftierte, an Freiheit, Leib und Leben beraubte Menschen. Damals wurde auch über das zentrale Instrument der Wiedergutmachung und der Entschädigung, die Höhe der sogenannten Kapitalentschädigung, entschieden. In einer namentlichen Abstimmung entschied die Mehrheit des Deutschen Bundestages, die damals aus den Fraktionen CDU/CSU und F.D.P. bestand, daß diese Kapitalentschädigung unter der Summe von 600 DM pro Haftmonat bleiben sollte. ({0}) Die Folge war ein Sturm der Entrüstung seitens der Opfer, vor allen Dingen seitens der Opferverbände. Die Liste des Abstimmungsverhaltens der einzelnen wurde in den Verbandszeitschriften veröffentlicht. Es gab Briefe und Petitionen, - Hunderte, Tausende -; es gab sogar eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, die noch immer anhängig ist. Die Kritik manifestierte sich vor allen Dingen darin, daß auf der einen Seite - diesen Vergleich zogen die Betroffenen zu Recht - für unschuldig verbüßte Haft nach dem geltenden Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen 600 DM für den erlittenen immateriellen Schaden infolge der Haft gewährt werden, auf der anderen Seite aber die Kapitalentschädigung für politisch Verfolgte in Zeiten der SBZ/DDR unter diesem Betrag liegt. Es wurde auch ein Vergleich mit den vermeintlichen Tätern gezogen, die nicht der Bestrafung zugeführt werden konnten. Heute, nach mehr als sieben Jahren, legt die neue Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der diesen eklatanten Mangel beseitigt. Deswegen sage ich zunächst: Das ist ein guter Tag, insbesondere für die Opfer! ({1}) Neben der wichtigen Verbesserung, die Kapitalentschädigung einheitlich auf 600 DM pro Haftmonat festzulegen, werden wir zentrale Defizite der RehabilitieEckart von Klaeden rungsgesetzgebung der vergangenen Jahre aufgreifen und einer Verbesserung zuführen. Insbesondere die Hinterbliebenen der zu Tode Gekommenen, der infolge der Haft oder in der Haft selbst Verstorbenen, an denen die Entschädigungen in den zurückliegenden Jahren weitgehend vorbeigegangen sind, werden wir besserstellen: Die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge wird künftig wiederholt Leistungen gewähren können, unabhängig davon, wie die wirtschaftliche Situation des einzelnen aussieht. Wir werden die Antragsfristen der drei Rehabilitierungsgesetze um zwei Jahre verlängern, weil mit neuen Leistungen natürlich neue Ansprüche einhergehen und hoffentlich neue Anträge gestellt werden. Wir werden auch den Fonds für die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge aufstocken, damit die in den zurückliegenden Jahren leider weitestgehend vergessene Opfergruppe der Verschleppten, der östlich der Oder-Neiße-Grenze Internierten eine bessere Leistungsgewährung erfahren kann. Meine Damen und Herren, parallel dazu laufen Bemühungen der Bundesregierung, ausgehend von einem Brief des Bundeskanzlers an die Ministerpräsidenten, bei dem leidigen Thema der Anerkennung von gesundheitlichen Haftschäden endlich Verbesserungen zu erzielen. Das, was die Ministerpräsidenten uns gegenüber signalisieren, ist - das sage ich ausdrücklich - sehr optimistisch. Sie entsprechen nicht nur unserem Wunsch, alle abgelehnten Fälle noch einmal einer Überprüfung zu unterziehen, sondern sie sind darüber hinaus bereit, zu prüfen, ob bei bereits positiv beschiedenen Fällen eventuell ein zusätzlicher Leistungsanspruch entsteht. Meine Damen und Herren, wir greifen also Kerndefizite auf. Wir wollen die Rehabilitierung einer Verbesserung zuführen, diesmal in den Herzbereichen der verbliebenen großen Defizite. ({2}) Wichtig ist mir auch, wie dieser Gesetzentwurf zustande gekommen ist. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Anhörung 1992, als die Opferverbände stark frustriert - ich sage einmal etwas populistisch: sie sind sich veralbert vorgekommen - aus der Anhörung herausgekommen sind. Wir haben ganz bewußt zwei Konsensrunden mit den Dachverbänden der Opferverbände vorgeschaltet, bei denen die großen Verbände, die VOS, der BSV und die UOKG, in schwierigen Debatten an der Meinungsfindung teilhatten, weil es wichtig ist, von den Verletzungen wegzukommen und Einfluß zu nehmen, bevor die Regierung einen Gesetzentwurf vorlegt. Zum Schluß ein Wort zum Geld: Wir werden einen Leistungsumfang von insgesamt 400 Millionen DM für diese Novelle etatisieren. Das ist keine Kleinigkeit, das ist in diesen Tagen auch keine Selbstverständlichkeit. Wir werden damit ein Drittel aller Leistungen, die seit 1990 für Wiedergutmachungen ausgegeben worden sind, daraufpacken, weil es wichtig ist, diese Wunden zu schließen. Ich werbe deswegen überfraktionell und auch bei denjenigen, die sich 1992 diesen Gedanken verschlossen hatten, darum, nach einer zügigen Beratung inklusive der geplanten Anhörung unserem Gesetzentwurf konstruktiv zuzustimmen. Die Opfer haben lange darauf gewartet. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Michael Luther.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Endlich, ein Jahr nach der Regierungserklärung, legt die Bundesregierung ein von ihr selbst für dringlich erklärtes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vor. Angekündigt war, die Kapitalentschädigung von bisher 300 auf 600 DM zu erhöhen, Hinterbliebene von Todesopfern an der Grenze ebenso wie Zivildeportierte und -internierte jenseits von Oder und Neiße mit einzubeziehen. Weiterhin sollten klare Regelungen zur Anerkennung von gesundheitlichen Haftschäden gefunden werden. Zwar wird nun eine einheitliche Kapitalentschädigung für ehemalige politische Häftlinge auf 600 DM festgelegt. Aber - das muß an dieser Stelle gesagt werden - § 17 Abs. 2, der bislang zusätzliche Nachteile in den Lebensbiographien jener politischen Häftlinge ausgeglichen hat, die nach einer Haft in der DDR verbleiben mußten, wird bei dieser Gelegenheit kassiert. Das bedeutet, daß dieser Personenkreis lediglich 50 DM mehr Entschädigung pro Haftmonat erhält. ({0}) Trotzdem konstatiere ich, daß dies ein aus Sicht der politischen Häftlinge zu begrüßender Fortschritt ist. Wer sich aber als Zivildeportierter oder -internierter oder als Hinterbliebener von Todesopfern eingebildet hatte, daß er nun mit in die Kapitalentschädigung einbezogen wird, sieht sich getäuscht. Faktisch bleibt es bei den Grundzügen des bisher bestehenden Gesetzes; dies zeigt auch der vorgesehene Finanzrahmen. Hinterbliebene von Todesopfern können so wie bisher Anträge an die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge stellen. Dafür sind im Haushalt 10 Millionen DM vorgesehen. Zivildeportierte und -internierte von jenseits von Oder und Neiße können wie bisher Anträge nach dem Häftlingshilfegesetz stellen. Die Bundesregierung rechnet damit, daß es 250 Anträge zusätzlich pro Jahr gibt. Mir ist dazu nur eingefallen, daß hoffentlich nicht alle Betroffenen einen Antrag stellen, da nur 250 eingeplant sind. Die größte Enttäuschung ist für mich jedoch der Versuch, nun endlich eine Regelung für die Anerkennung gesundheitlicher Haftschäden zu finden. Was Sie, Herr Schwanitz, eben als die große Neuerung dargestellt haStaatsminister Rudolf Schwanitz ben, ist mir sehr wohl bekannt: Wir haben in der letzten Legislaturperiode in Zusammenarbeit mit den Ländern mehrfach versucht, auf die Gutachter in den Ländern einzuwirken, um die Situation bei der Anerkennung gesundheitlicher Haftschäden zu verbessern. ({1}) - Wir haben eine Änderung auf diese Art und Weise versucht. Wir haben damals aber gesagt: Wenn dieser untergesetzliche Versuch nicht funktioniert, dann müssen wir über eine gesetzliche Regelung nachdenken. 1999 können wir feststellen, daß dieser Versuch mißlungen ist. Das heißt - das ist für mich die logische Folge - : Wir müssen zu einer gesetzlichen Klarstellung kommen. Das haben sowohl ich als auch die Opfer erwartet. Und was steht im Gesetz? Dasselbe: Herr Schwanitz, Sie appellieren an die Gutachter, auf der Grundlage geltender Gesetze zu versuchen, gesundheitliche Haftschäden bei Opfern nun besser anzuerkennen. Ich kann Ihnen sagen, was dabei herauskommen wird - es ist ja schon mehrere Jahre probiert worden -: nichts anderes als bisher. Ich glaube, daß die Opferverbände - heute stand eine Mahnwache der Opfer vor dem Reichstag; es wurde auch die Verbandszeitschrift „Der Stacheldraht“ verteilt - recht haben, wenn sie sagen: Der Regelungsvorschlag der Bundesregierung ist die „wohl schwammigste Formulierung zur Behebung erniedrigender Befragungen von Verfolgten über die ihnen zugefügten psychischen und physischen Schäden.“ ({2}) Interessant ist für mich aber auch, was nicht geregelt wird. Der Bundesrat mahnt in seiner Stellungnahme an: Aus Sicht der Betroffenen hat sich nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts für Verfassungsmäßigkeit der Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung die rentenrechtliche Ungleichbehandlung von Tätern und Opfern verstärkt. Die Opfer fordern deshalb eine „Ehrenpension“. In unserem am 17. Juni dieses Jahres vorgelegten Gesetzentwurf schreiben wir die Überlegungen, die wir in der letzten Legislaturperiode entwickelt haben und die wir im Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften niedergelegt haben, fort: Wir wollen, daß Opfer politischer Verfolgung ein regelmäßiges zusätzliches Einkommen beziehen. Wir wollen die Einkommensgrenze, die in diesem Gesetz noch besteht, wegfallen lassen. - Das würde bedeuten, daß die Opfer politischer Verfolgung unter bestimmten Umständen 200 bis 300 DM zusätzliches Einkommen pro Monat bekämen. Damit kommen wir - so glaube ich - den Forderungen dieser Opfer eher entgegen als der mißglückte Gesetzesvorschlag der Bundesregierung. ({3}) Lassen Sie sich nun von jemandem, der sich seit 1990 mit diesem Thema beschäftigt, das Problem erläutern: Wir haben in den letzten acht Jahren versucht, das Problem der politischen Verfolgung und der damit in Zusammenhang stehenden Nachteile dieser Opfer auszugleichen. Kapitalentschädigung ist hier nur ein Punkt. Es gibt viele andere Regelungen. Mittlerweile gibt es ein umfangreiches Gesetzeswerk: strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz, verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz und das berufsrechtliche Rehabilitierungsgesetz. Zum Schluß kann ich konstatieren: Man kann, auch wenn ich mir noch so viel Mühe gebe, die vielen unterschiedlichen Lebensschicksale mit solchen Vorschriften, wie wir sie bislang haben, letztendlich nicht fassen. Man muß bedenken: Wer in der DDR politisch verfolgt worden ist, hat vielerlei Nachteile erlitten: Nachteile psychischer Art, Nachteile daraus, daß er sich nicht bilden konnte usw. Diese kann man nicht ausgleichen. Auch die Rentenbiographie kann letztendlich nicht ausgeglichen werden, weil kein hypothetischer Lebenslauf gezeichnet werden kann. Aus diesem Grunde bleibt eines bestehen: Diejenigen, die politisch verfolgt worden sind, haben heute noch Nachteile. Um diese auszugleichen, gibt es eine ganz leichte Methode: Man erkennt das an und gibt diesen Opfern zum monatlichen Einkommen einen Betrag hinzu. - Unser Vorschlag beläuft sich auf 200 bis 300 DM. Ich weiß, daß mehr getan werden müßte. Ich weiß auch, daß die Forderungen der Opferverbände höher sind: Sie wollen 1 400 DM Ehrenrente haben. Das ist angelehnt an der Rente, die Verfolgte des NS-Regimes haben. Schon aus diesem Grunde werde ich diese Forderung stellen; denn ich will nicht diesen Gleichklang herstellen, da es etwas anderes ist. Aber vom Grundansatz her haben die Opferverbände der politisch Verfolgten recht. Ich wiederhole: Ein ganz wichtiger Grund dafür, dieses Thema in diesem Jahr noch einmal besonders aufgreifen zu müssen, besteht darin, daß sich die Diskussionslage verändert hat. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der DDR verletzt den Status quo. ({4}) Im Bemühen um eine gerechte Rentenüberleitung sollten diejenigen mehr bekommen, die, da politisch motiviert, weniger erhalten würden, und sollten diejenigen weniger bekommen, die systembedingt ungerechtfertigt zuviel Rente bekommen würden, wenn man eine Einszu-eins-Umstellung vornehmen würde. Jetzt ist durch das Bundesverfassungsgericht die eine Seite verbessert worden. Für meine Begriffe zieht das unweigerlich den Schluß nach sich, daß man auch etwas für die andere Seite tun muß. Wenn wir nur einen Bruchteil der Kosten für die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils für die Opfer des Systems bereitstellen würden, für diejenigen, die in der DDR politisch verfolgt worden sind, dann würden wir den Opfern mehr als ein kleines Stück Gerechtigkeit widerfahren lassen. ({5}) Herr Schwanitz, Sie haben gesagt: Wir werden 400 Millionen DM etatisieren. Ich will klarstellen: Diesen Betrag werden Sie nicht bereitstellen. Tatsächlich sind es 65 Prozent von 380 Millionen DM. ({6}) - Sie haben gesagt „wir“; Sie sind aber nicht alle Ebenen. - Das zur Wahrheit: 65 Prozent von 380 Millionen DM und nicht mehr, auch wenn ein anderer Eindruck erweckt worden ist. Herr Schwanitz, wir würden an vielen Stellen mehr tun können, wenn wir in der Sprache mehr Klarheit mitschwingen lassen würden und wenn wir nicht immer versuchen würden, durch Sprache eine künstliche Besserstellung des Eigentlichen herzustellen. Das Ergebnis Ihrer Sprache ist, daß es Mißverständnisse in der Öffentlichkeit gibt und zu einem Streit kommt. Das dient uns allen nicht; deswegen wollte ich diesen Gedanken an dieser Stelle klar formulieren. Zum letzten Punkt, den ich ansprechen will. Wir hatten eine ausführliche Beratung dieses Gesetzentwurfs im Ausschuß für die Angelegenheiten der neuen Länder erwartet. Nun müssen wir aber erfahren, daß das Gesetz am 1. Januar 2000 in Kraft treten soll. Sie wissen, daß der Gesetzentwurf nicht bis zum Jahresende verabschiedet werden muß. Der Gesetzentwurf kann auch erst am 1. Februar 2000 verabschiedet werden und wegen der entsprechenden Fristen am 1. Januar 2000 rückwirkend in Kraft treten. Würde dies geschehen, hätten wir wenigstens die Gelegenheit, den Gesetzentwurf zu beraten. Sie wollen den Gesetzentwurf aber beinahe überhaupt nicht im Parlament beraten; vielmehr soll eine Anhörung in aller Eile am 19. November in einer sitzungsfreien Woche mit Ausnahmegenehmigung des Bundestagspräsidenten stattfinden, und in der darauffolgenden Woche soll der Gesetzentwurf verabschiedet werden. ({7}) Es ist keine darüber hinausgehende Beratung vorgesehen. Diese Beratung hat eine reine Alibifunktion. Sie soll nicht der Information des Parlamentes dienen. Dem Deutschen Bundestag soll nicht die Chance gegeben werden, durch die Beratung zu lernen und vielleicht die eine oder andere Verbesserung vorzunehmen. ({8}) Noch ist Zeit, ein vernünftiges Gesetz zu machen. Wir sind bereit mitzumachen. Ich hoffe auf die Zusammenarbeit im Ausschuß. Schönen Dank. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Christian Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie uns vorwerfen, daß wir zu lange warten, oder ob Sie uns vorwerfen, daß wir zu schnell machen. Wenn Sie uns ernsthaft vorwerfen, daß wir den Gesetzentwurf noch in den nächsten Wochen in zweiter und dritter Lesung beraten und dann verabschieden wollen, damit das Gesetz am 1. Januar 2000 in Kraft tritt, dann erklären Sie bitte den Betroffenen, die 50 DM oder 300 DM mehr pro Monat bekommen sollen, daß Sie noch zwei oder drei Monate Beratung brauchen, weswegen diese das Geld vorher nicht bekommen können. Die Opfer drängen, und sie drängen mit Recht, denke ich. Wir alle bekommen immer wieder Briefe, in denen uns ausführlich und ins Emotionale gehend aus den Zeiten der sowjetischen Besatzungszone oder auch der DDR geschildert wird, wie aus politischen Gründen in der Schule, an der Universität usw. benachteiligt worden ist, wie Schulbildung hat abgebrochen werden müssen, wie es nicht möglich war, das Abitur zu machen oder das Studium fortzusetzen, wie im Beruf benachteiligt wurde oder der Beruf überhaupt nicht mehr ausgeübt werden konnte. Alle wollen, daß wir ihr Schicksal berücksichtigen und daß wir Ersatz leisten. Nicht zuletzt darauf haben Sie auch hingewiesen - stehen heute Leute vor dem Reichstag, demonstrieren und fordern Gerechtigkeit. Wir müssen all jenen sagen - das steht auch zutreffend in der Begründung dieses Gesetzentwurfes -, daß es einfach nicht möglich ist, 40 Jahre DDR und DDRUnrecht, das sehr vielen Menschen zugefügt worden ist, in Geld aufzuwiegen. Dieser Gesetzentwurf kann und will das nicht leisten. Er will vielmehr Ungerechtigkeiten beseitigen, auf die ich schon einmal hingewiesen habe, als wir mit der Beratung dieses Gesetzentwurfs begonnen und damit angefangen haben, solche Überlegungen überhaupt einzubeziehen. Diese Ungerechtigkeiten sind etwa darin zu sehen, daß jemand, der früher in der alten Bundesrepublik im Gefängnis gesessen hat und von dem später festgestellt worden ist, daß er zu Unrecht inhaftiert war, oder jemand, von dem heute festgestellt wird, daß er zu Unrecht im Gefängnis sitzt, eine Haftentschädigung von 20 DM pro Tag bekommt und daß die Menschen, die zu DDR-Zeiten zu Unrecht im Gefängnis gesessen haben, nur 10 DM Haftentschädigung pro Tag erhalten. Das kann keiner einsehen. Wir haben dies jetzt beseitigt. Das wollen wir den Leuten klarmachen, und das gilt natürlich für Menschen, die in der DDR großgeworden und dann auch in der DDR geblieben sind, genauso wie für Menschen, die in der DDR zu Unrecht inhaftiert worden und dann in die Bundesrepublik gekommen sind, um im Westteil weiterzuleben. Alle bekommen jetzt eine einheitliche Entschädigung von 600 DM pro angefangenem Monat zu Unrecht erlittener Haft. Natürlich ist das kein Ausgleich. Natürlich können Sie jemanden mit diesen 20 DM nicht ausreichend dafür entschädigen oder jemandem gar wiedergutmachen, daß er einen Tag, einen Monat oder ein Jahr seines Lebens im Gefängnis verbracht hat. All dies ist immer der unzulängDr. Michael Luther lich bleibende Versuch, eine Anerkennungsgebühr dafür zu bezahlen, daß jemandem Unrecht geschehen ist. Genauso verhält es sich mit den anderen Rehabilitierungszahlungen; es ist sehr viel gemacht worden. Die Urteile, die gesprochen worden sind, sind förmlich aufgehoben worden. In der alten Bundesrepublik hat es Jahrzehnte gedauert, bis man dies hinsichtlich des Unrechts aus der NS-Zeit geschafft hatte. In den heute diskutierten Fällen hat man es inzwischen zumeist erreicht, daß die Urteile nicht mehr bestehen, daß den Leuten bescheinigt worden ist: Ihr seid zu Unrecht verurteilt worden, das alte Urteil ist aufgehoben, euch wird gesagt und ihr bekommt es auch mit einem neuen Urteil schriftlich, daß das falsch war, daß dies eine Freiheitsentziehung war, daß dies ein Unrechtsurteil gewesen ist. - Ich denke, das ist für sehr viele sehr viel wichtiger gewesen und auch heute noch sehr viel wichtiger als die Zahlung, die sie jetzt bekommen. Wir sollten all denen, die an uns herantreten und weitere Zahlungen verlangen, sagen: Wir versuchen, die Ungleichheit und die Ungerechtigkeit im Verhältnis zu den Ausgleichszahlungen, die im Westen geleistet worden sind und die gegenwärtig für West-Haft geleistet werden, auszugleichen. Wir wollen damit nicht wiedergutmachen. Wir können den Menschen damit nicht ihre verlorene Freiheit, ihre in der DDR verlorenen Chancen wiedergeben, ihre Lebensläufe korrigieren. Wir können nur Zeichen setzen. Dafür ist dieses Gesetz erstens ein richtiger Ansatz, und zweitens ist es ganz einfach das, was die Koalitionsparteien im Wahlkampf versprochen haben. Es ist also das Einlösen eines Versprechens, das wir gegeben haben. Wir wollen, daß die Betroffenen ab dem 1. Januar 2000 - das sind noch wenige Wochen - auch tatsächlich merken, daß wir unsere Wahlversprechen erfüllen und daß wir sie anerkennen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Rainer Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht, wie Herr Kollege Ströbele eben zu Recht ausgeführt hat, in die richtige Richtung. Wir haben zwar 1992 eine Entschädigung vorgesehen, die 1997 erhöht worden ist, aber diese Zahlungen sind von den Betroffenen und ihren Verbänden in der Tat als zu niedrig ausgefallen bezeichnet worden. Die F.D.P.-Fraktion teilt die Auffassung, daß angesichts der stärker sprudelnden Steuereinnahmen und der sich ankündigenden Verbesserung der Weltkonjunkturlage eine höhere Entschädigung für rechtswidrige politische Haft gezahlt werden sollte. ({0}) Auch die Aufspaltung der Entschädigungssätze zum einen für Bürger, die bis zum Fall der Mauer in der DDR verblieben sind, und zum anderen für solche, die in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, sollte entfallen. ({1}) Schließlich sind die Monate und Jahre der Haft in der DDR gleich schlimm gewesen. Wir teilen die Auffassung, daß die Hinterbliebenen der Todesopfer, unabhängig von der wirtschaftlichen Situation, Zuwendungen von der Stiftung erhalten sollten. Ich halte gerade dieses Modell der Stiftung für besonders geeignet, weil diese Stiftung schneller und einfacher Hilfe gewähren kann. Wir sind uns bewußt, daß durch höhere Zuwendungen an die Opfer des SED-Unrechtsregimes die Leiden und Schäden nicht wiedergutgemacht werden können. Diese Zahlungen sind neben der moralischen und rechtlichen Rehabilitierung lediglich sozusagen ein Trostpflaster. In den Beratungen des Rechtsausschusses und auch in Gesprächen mit den neuen Bundesländern, die wir möglichst zügig vorantreiben wollen, muß durch eine ausführliche Anhörung abgeklärt werden, ob wir nunmehr alle Betroffenen hinreichend erfaßt haben, damit nach Ablauf der auch von uns als richtig angesehenen Verlängerung der Antragsfristen dieses sicherlich trübe Kapitel wenigstens von der gesetzgeberischen Seite her abgeschlossen werden kann. Ob allerdings der vorgesehene Ablauf der Beratungen, nämlich eine Anhörung zu machen, dann schnell, holterdiepolter im Ausschuß zu beraten und anschließend das Gesetz durch den Bundestag zu peitschen wie Sie das ja in letzter Zeit mit allen Gesetzen machen -, so zweckmäßig ist, wage ich zu bezweifeln. ({2}) Sie hatten ein Jahr Zeit, das Gesetz in Ruhe vorzubereiten, wie Sie das ja vor der Bundestagswahl versprochen hatten. ({3}) Wir möchten, daß wir dieses Gesetz in Ruhe und Gelassenheit beraten, ({4}) damit hier nicht wieder Gesetze gemacht werden, die den Betroffenen nicht helfen. Vielen Dank. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Gerhard Jüttemann, Sie haben das Wort für die PDSFraktion.

Gerhard Jüttemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002693, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Koalitionsfraktionen haben am 17. Juni 1999 in diesem Hause angekündigt, noch in diesem Jahr ein Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR einzubringen. Sie, meine Damen und Herren von der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen, haben Ihr Versprechen gehalten, und dafür ist Ihnen ausdrücklich zu danken. ({0}) Aber nicht nur für die Einhaltung der selbst gesetzten Frist zollen wir Ihnen Anerkennung, sondern auch dafür, was der Gesetzentwurf im Verhältnis zu den bisherigen in der Bundesrepublik gültigen Regelungen inhaltlich anbietet. Wir sind uns einig darin, daß ein Gesetz - wie gut es auch gemacht ist und auf welche materiellen Leistungen es auch abstellt - Wiedergutmachung im Sinne dieses Wortes nicht leisten kann. In Gefängnissen verbrachte Jahre, durch politische Verfolgung erlittene Verluste an Bildungs- und Berufschancen, gesundheitliche Schädigungen: All das kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Es beeinflußt ein ganzes Leben. Auch materielle Leistungen für die Betroffenen werden immer unvollkommen bleiben. Wer vermag schon heute genau zu sagen, was der einzelne Mensch durch politische Verfolgung tatsächlich an Einkünften und Chancen der Vermögensbildung verloren hat? So können Gesetze also nur für erlittenes Leid entschädigen und nur die Folgen erlittenen Leids mildern. Das nun vorliegende Gesetz leistet in diesem Sinne Wichtiges: Es erhöht die Entschädigungsleistungen spürbar, beseitigt einige Ungleichheiten in der Behandlung Betroffener aus Ost und West, bezieht betroffene Familienangehörige überschaubarer in die Regelungen ein und sorgt mit der Verschiebung des Antragsschlusses auf den 31. Dezember 2001 dafür, daß eine bürokratische Hürde künftig ein bißchen niedriger ist. Das alles ist gut und wichtig und findet unsere volle Zustimmung. Anläßlich des 10. Jahrestags des Mauerfalls, an dem an die damaligen Ereignisse gedacht wird, ist es aber auch angezeigt, darauf hinzuweisen, daß Ihr Gesetzentwurf noch immer deutlich hinter jenem Rehabilitierungsgesetz zurückbleibt, das im Jahre nach dem Mauerfall, nämlich im September 1990, in der Volkskammer der DDR beschlossen worden ist. Gerade die berufliche Rehabilitierung, die Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, mit dem Verweis auf den ausgeschöpften finanziellen Spielraum des Gesetzgebers erneut nur stiefmütterlich behandeln, hatte in jenem DDR-Gesetz einen weit gewichtigeren Platz als in den heute geltenden Regelungen. Die PDS hat übrigens damals diesem Gesetz nicht nur zugestimmt, sondern - schauen Sie ruhig einmal nach in den Protokollen des Jahres 1990 - auch die Forderung erhoben, dieses Gesetz mit dem Einigungsvertrag in den Rang eines gesamtdeutschen Gesetzes zu erheben. Wieviel eher hätte den Betroffenen die mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf angestrebte Gerechtigkeit widerfahren können, wenn sich damals auch die anderen Parteien unserer Forderung angeschlossen hätten! ({1}) Unsere Meinung zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf ist, daß er in mindestens zweierlei Hinsicht verbessert werden sollte, nämlich erstens hinsichtlich überfälliger Regelungen für die bereits genannte berufliche Rehabilitierung und zweitens hinsichtlich einer weiteren Entbürokratisierung des Antrags- und Gewährungsverfahrens. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob überhaupt eine zeitliche Antragsgrenze gesetzt werden muß. Natürlich erwarten wir, daß mit der Arbeit an diesem Gesetzentwurf auch endlich der Blick dafür geöffnet wird, daß es nicht wenige Opfer politischer Verfolgung in Deutschland gibt, deren Entschädigungsansprüche durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht berührt werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Hans-Joachim Hacker, SPD-Fraktion.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In wenigen Tagen, am 9. November, jährt sich zum zehntenmal der Tag der Maueröffnung. Damit drängt sich die Frage auf, warum es in neun Jahren seit der deutschen Einheit zehn Jahre nach dem Mauerfall - nicht gelungen ist, eine abschließende, befriedende Regelung hinsichtlich des DDR-Unrechts und stalinistischer Willkür zu finden, soweit man überhaupt eine befriedende Regelung finden kann, wenn man sich die schicksalhaften Eingriffe in die Lebensbiographien der Opfer ansieht. Herr Dr. Luther, die Wahrheit ist: Die Politik der alten Bundesregierung war für die Opfer des DDRRegimes durch Zeitverzug, durch unvollständige Lösungen und durch - dies sage ich hier sehr deutlich - Spaltung der Opfer in Ost und West gekennzeichnet. Die Vorschläge, die Sie, Herr Dr. Luther, jetzt unterbreiten, hätten Sie schon vor Jahren vorlegen können. Wenn Sie dies getan hätten, dann hätten Sie in uns einen aktiven Partner gehabt. Statt dessen haben Sie unsere Vorschläge, die wir über Jahre in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, abgelehnt und nur teilweise übernommen. Dies hat bei den Betroffenen verständlicherweise Unmut, Frust und Enttäuschung über die Politik hervorgerufen. Nicht wenige der Opfer haben Zweifel gehabt, ob es überhaupt gelingt, eine befriedigende Lösung der Rehabilitierungsfrage zu erreichen. Eine solche Lösung wird mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Die SPDBundestagsfraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung jetzt diesen Gesetzentwurf vorlegt. Die Bundesregierung löst damit auch die Versprechen ein, die der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder vor der Bundestagswahl den Opferverbänden und den einzelnen Opfern gegeben hat. Wir sind also in dieser Hinsicht zusagetreu. Das ergibt sich auch aus der Regierungserklärung und aus der Stellungnahme des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung vom 19. April 1999 zum Stand der deutschen Einheit. Eines ist und bleibt für uns Sozialdemokraten unverrückbar: Gegenüber den Opfern politischer Verfolgung in der DDR bleiben wir in der Pflicht, diese Schicksale zu würdigen und alles Mögliche zu tun, um die heutige Lebenssituation zu verbessern. Die Rehabilitierung durch die Institutionen unseres Rechtsstaates und die Gewährung materieller Ausgleichsleistungen können die schweren Eingriffe in Lebensläufe nicht ungeschehen machen. Das wissen wir alle. Sie können nicht das Leid mildern, und sie können auch heute nur einen Teil des Unrechts wiedergutmachen. Zu Recht fordern aber die Opferverbände, daß wir das, was leistbar ist, tun, und das werden wir in den nächsten Wochen auf den Weg bringen. Wir sind daher auch als gesamtdeutscher Gesetzgeber den Opfern und der Gesellschaft gegenüber in der Pflicht, weil wir ein Zeichen setzen müssen, daß Widerstand gegen jede Form von Diktatur nicht vergessen wird und daß wir aus den schweren Verwerfungen der deutschen Geschichte in diesem Jahrhundert eines gelernt haben: Diktatur in Deutschland darf es nie wieder geben. ({0}) Die Bundesregierung greift mit der vorgelegten Gesetzesinitiative die offensichtlichen Defizite der bisherigen Rehabilitierungsgesetzgebung der früheren Bundesregierung auf. Der Inhalt des Gesetzentwurfs ist intensiv und offen mit den Opferverbänden beraten und diskutiert worden. Ich bin sicher, daß der vorgelegte Entwurf bei den Opfern und ihren Vereinigungen eine positive Resonanz finden wird und daß auch die Öffentlichkeit in Deutschland versteht, daß es für uns eine Herzensangelegenheit ist, endlich mehr Gerechtigkeit für die Opfer der SED-Diktatur und auch für ihre Angehörigen zu schaffen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Staatsminister Rolf Schwanitz hat in seiner Rede bereits die Eckpunkte der von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesinitiative dargestellt. Ich möchte daher ergänzend nur folgendes vortragen. Erstens. Auch ich begrüße die beabsichtigte einheitliche Haftentschädigung von 600 DM pro Haftmonat ohne Prüfung der Frage, wo der Häftling später gelebt hat, ob noch in der DDR oder nach Freikauf oder Flucht in der Bundesrepublik Deutschland. Für uns gilt ein Prinzip und das haben wir immer vertreten, Herr Dr. Luther; hören Sie jetzt einmal zu -: Ein Jahr Bautzen ist ein Jahr Bautzen und muß zu gleichen Ansprüchen führen. Das war bisher ein ganz schweres Defizit. Sie sind auf unsere Vorschläge in all den Jahren nicht eingegangen. Zweitens. Noch im Jahre 1989 - daran sollten wir immer wieder erinnern -, wenige Monate vor dem Fall dieser schändlichen Berliner Mauer, sind in unmittelbarer Nähe dieses Reichstages Schüsse auf Flüchtlinge gefallen, sind Menschen an der Grenze umgekommen. Die Angehörigen haben ein Recht darauf, endlich auch materielle Leistungen zu bekommen - ohne Prüfung der Bedürftigkeit! Für die Opfer - das wissen wir alle - stehen die Namen von Peter Fechter und Chris Gueffroy. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt es daher, daß die Bundesregierung nun eine Regelung vorlegt, die bei den Angehörigen sicherlich Akzeptanz und Anerkennung finden wird. ({2}) Drittens. Seit der Anhörung zum Rehabilitationsgesetz in der ersten demokratisch gewählten Volkskammer der DDR ist uns durch Anhörungen und Zeugenberichte das Schicksal der aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße verschleppten Zivilpersonen bekannt. Wir wissen um die Bedingungen der Verschleppung, und wir wissen auch, daß die bisherige Bedürftigkeitsprüfung, die an eine ganz bescheidene Ausstattung des Stiftungsfonds geknüpft war, bei den Betroffenen kein Verständnis erwecken konnte. Der Vorschlag der Bundesregierung sieht daher vor, die Stiftungsleistungen deutlich aufzubessern, und zwar von 300 000 DM auf 1,5 Millionen DM. Herr Luther, das sind konkrete Zahlen. Diese Aufstockung wird dazu führen, daß wir hier nicht um 100 oder 200 Anträge zu streiten haben. Das sind vielmehr realistische Schätzungen. Wir werden für diese Gruppe, die über Jahre benachteiligt war, die wir, die SPD-Fraktion - und ich denke, auch Bündnis 90/Die Grünen -, über Jahre in unsere Bemühungen eingeschlossen hatten, jetzt eine Regelung schaffen, die von der bisherigen Form der Prüfung der Antragsberechtigung abgeht. Viertens appelliere ich an dieser Stelle ganz nachdrücklich an die Länder, endlich auf untergesetzlicher Grundlage eine Regelung zu finden, damit wir bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden zu einer befriedigenden Lösung kommen. ({3}) Ich meine, der Handlungsrahmen ist möglich, und die Länder müssen hier ihren Beitrag erbringen. Ich sage hier noch einmal deutlich, daß wir neben den materiellen Leistungen auch immer die moralische Würdigung in den Mittelpunkt rücken müssen. Ich erinnere ausdrücklich daran, daß der Deutsche Bundestag am 17. Juni 1992 eine Ehrenerklärung abgegeben hat. Diese möchte ich auch in der heutigen Plenardebatte in Erinnerung rufen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hacker, Sie müssen zum Schluß kommen.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß. Herr Luther, Ihr Gesetzentwurf erreicht das Ziel nicht. Gewogen und für zu leicht befunden ist das Urteil. Sie stellen wieder eine Verbindung zur Zusatzrente her. Diese Verbindung ist unzulässig. ({0}) Ich lade Sie alle ganz herzlich ein, mit uns gemeinsam zügig und sachgerecht zu beraten, damit die neuen Regelungen am 1. Januar 2000 in Kraft treten und wir einen Beitrag für den Ausgleich in Deutschland und die Gerechtigkeit gegenüber den Opfern der kommunistischen Verfolgung leisten können. Vielen Dank. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Ge- setzentwurfs auf der Drucksache 14/1805 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuß für Angelegen- heiten der neuen Länder liegen soll. Gibt es dazu ander- weitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 15a und 15b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS Keine Zurückweisung von KosovoFlüchtlingen an den Grenzen, die Erteilung von Visa für Familienangehörige, sowie unbürokratische Ausstellung von Reisedokumenten, und Aufnahme und Schutz von unbegleiteten Flüchtlings- und Waisenkindern - Drucksache 14/1182 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({0}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS Anerkennung eines Asylanspruchs für jugoslawische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer - Drucksache 14/1183 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({1}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Ulla Jelpke für die PDS-Fraktion.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über zwei Anträge der PDS. Mir ist natürlich bewußt, daß diese Anträge teilweise nicht mehr aktuell sind. Sie sind vor der Sommerpause eingebracht worden. Das betrifft insbesondere den Antrag zu den Kosovo-Flüchtlingen. Dennoch meinen wir, daß es eine aktuelle Situation gibt, die es erlauben sollte, die Anträge im Innenausschuß zu diskutieren, wobei ich betonen möchte, daß der Antrag zu den Deserteuren keineswegs unaktuell ist, wie Sie an meinem Beitrag gleich nachvollziehen können. Es gibt nämlich weiterhin - um zu dem KosovoAntrag zu kommen - Menschen, die aus dem Kosovo fliehen, zum Beispiel die Roma. Schlimmer noch: Die Vertreibung der Roma und anderer im Kosovo lebender Minderheiten ist im Grunde erst nach dem NATOEinmarsch richtig losgegangen. Insofern bleibt unsere Aufforderung an die Bundesregierung bestehen: Menschen, die aus dem Kosovo fliehen, dürfen an deutschen Grenzen nicht zurückgewiesen werden. Für unbegleitete Flüchtlings- und Waisenkinder muß die UN-Kinderrechtskonvention vollständig und ohne Einschränkung gelten. Unseres Erachtens ist es ein Skandal, wenn entgegen dieser Konvention Minderjährige bei uns wie Erwachsene ins Asylverfahren gehen müssen und 16-jährige bereits in Abschiebehaft landen. Es gibt aber noch weitere Punkte, die zur Diskussion stehen. Einer ist ganz aktuell: Innenminister Schily hat bekanntgegeben, Flüchtlinge noch vor dem Winter in den Kosovo zurückzuschicken. Wir meinen - auch die Presse hat das so beschrieben -, daß das nicht nur Kraftmeierei, sondern auch menschenverachtend ist. Hier sind wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses einig, und auch der UNHCR hat das vor einigen Wochen bestätigt. Ich denke, daß Innenminister Schily, der heute nicht anwesend ist, unbedingt aufgefordert werden sollte, Flüchtlinge nicht vor dem Winter in den Kosovo zurückzuschicken, sondern abzuwarten, bis die Häuser, die nur sehr schwer wieder bewohnbar zu machen sind, winterfest sind. Auch das hat der UNHCR gefordert. ({0}) Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß der Innenminister nicht auf das eingehen sollte, was beispielsweise Herr Beckstein aus Bayern oder Herr Schäuble aus Baden-Württemberg gefordert haben, nämlich eine Sonderkonferenz durchzuführen, damit die Flüchtlinge möglichst schnell zurückgeführt werden können. Man sollte sich ein Beispiel an dem kleinen Land Mazedonien nehmen, das wegen des einbrechenden Winters keine Flüchtlinge in den Kosovo zurückschickt. Noch einmal zur Erinnerung: Gerichte und Behörden in diesem Land haben jahrelang Asylanträge von Menschen aus dem Kosovo abgelehnt. 99 Prozent aller Asylanträge aus dem Kosovo wurden noch in den ersten Monaten dieses Jahres als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Ich erinnere mich noch genau, wie nervös diese Regierung wurde, als bekannt wurde, daß die Asylanträge - jahrelang gestützt auf falsche Lageberichte des Auswärtigen Amtes - abgelehnt worden sind, obwohl Herr Scharping gleichzeitig davon sprach, daß es im Kosovo sogar Völkermord gegen Kosovo-Albaner geben solle. Wie ist nun die aktuelle Situation? Sind die Asylbescheide im nachhinein kontrolliert und daraufhin überprüft worden, ob die Lageberichte falsch waren? Ich habe bisher nichts davon gehört, daß es irgendwelche Konsequenzen gegeben hätte. Die Bescheide wurden nicht zurückgenommen. Auch das ist ein Grund, nach wie vor nachzuhaken und zu diskutieren. Bis spätestens Ende nächsten Jahres sollen etwa 180 000 hier geduldete Menschen aus dem Kosovo abgeschoben werden, notfalls mit Gewalt, und zwar auch dann, wenn sie zehn Jahre und länger hier leben. Eigentlich müßten sie in diesem Fall sogar in den Genuß der Altfallregelung kommen, die leider immer noch aussteht. Ich meine, auch das wäre ein Punkt, der aktuell diskutiert werden sollte. Was Innenminister Schily mit den Kosovo-Flüchtlingen veranstalten will, ist eine Fortsetzung der abscheulichsten Instrumentalisierung des Leids dieser Menschen, die diese Regierung von Beginn des Kosovo-Krieges an vorgenommen hat. Offenbar braucht der Bundesinnenminister erheblichen Druck aus der Öffentlichkeit, vor allen Dingen außerparlamentarischen, damit er den KosovoFlüchtlingen in diesem Land Schutz gewährt und vor dem Winter keine Abschiebung durchführt. Darüber hinaus habe ich den Eindruck, daß der Innenminister besonders in den letzten Tagen versucht, die CDU/CSU von rechts zu überholen, wenn es um Fragen des Asylrechts geht. Ich denke dabei beispielsweise an die von ihm angezettelte Debatte, das Asylrecht zu einem Gnadenrecht zu machen, oder auch an andere Fälle, zum Beispiel an die Kinderrechtskonvention, bei denen deutlich wird, daß er seine Vorbehalte - trotz Anträgen in diesem Haus - noch immer nicht zurücknehmen will. Ich komme zu unserem Antrag zum Abschiebestop für jugoslawische Deserteure. Auch hier ist, trotz des Bombenkrieges gegen Jugoslawien, keine Entspannung eingetreten. Es ist zunächst ein Entscheidungsstop vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verhängt worden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Jelpke, Sie müssen bitte zum Schluß kommen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Dieser ist aber Ende September wieder aufgehoben worden. Es gibt jedoch noch 200 unerledigte Anträge. Wie soll mit diesen Menschen verfahren werden? Wir meinen, daß es ihnen nicht zugemutet werden kann, daß sie in ihren Ländern wegen Desertierung verurteilt werden. In Jugoslawien beispielsweise würde das eine Haftstrafe von 20 Jahren bedeuten. Deswegen muß eine Form der Aufnahme bzw. des Asyls für sie hier gefunden werden. Danke. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Rüdiger Veit, SPD-Fraktion.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf ihrer Sitzung am 1. Juni 1999 hat die SPDBundestagsfraktion auf meinen Antrag hin mit nur drei Gegenstimmen folgenden Beschluß gefaßt: Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für eine vermehrte Aufnahme von Vertriebenen und Flüchtlingen aus dem Kosovo in der Europäischen Gemeinschaft und insbesondere auch in der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen. Dies gilt vor allem für Kranke, Verletzte und traumatisierte Menschen, für Kinder ({0}), gebrechliche Personen und deren Familien sowie für diejenigen, die bereits von ihren in europäischen Staaten lebenden Verwandten aufgenommen werden können. ({1}) Dies geschah vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung bereits zugesagten Aufnahmebereitschaft für 20 000 Flüchtlinge aus dem Kosovo. Sie sehen also, daß die SPD-Fraktion bereits zu einem Zeitpunkt, als dies wegen der andauernden Luftangriffe der NATO bedauerlicherweise hochaktuell war, in der Frage, die die PDS-Fraktion erst mit ihrem Antrag vom 17. Juni 1999 - und damit zwei Wochen nach Beendigung der Luftangriffe - aufgegriffen hat, in einem besonderen Maße sensibilisiert war. Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, die Verhältnisse im Kosovo seien heute politisch in bezug auf persönliche Sicherheit oder in bezug auf die Versorgungslage bestens in Ordnung. Gleichwohl können wir feststellen, daß sich dank der engagierten und manchmal auch mutbedürftigen Mithilfe vieler Menschen aus staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen die Verhältnisse zu stabilisieren beginnen. Dabei sage ich bewußt: beginnen. Nach Angaben der Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen sind aus Ländern außerhalb der Region bisher über 84 000 Vertriebene in das Kosovo zurückgekehrt, davon nach Angaben des Bundesinnenministeriums seit dem 8. Juli dieses Jahres über 13 000 Personen aus Deutschland auf freiwilliger Basis. Auf Grund dieser Entwicklung und unter Verweis auf die guten Erfahrungen mit der freiwilligen Rückkehrbereitschaft der bosnischen Flüchtlinge gibt es nach meinem Dafürhalten - das will ich an dieser Stelle ausdrücklich einflechten - keine Veranlassung, jetzt vor dem Winter und im übrigen überhastet Flüchtlinge zwangsweise zurückzuschicken, bevor sie menschenwürdige Lebensbedingungen in ihrer alten Heimat vorfinden können. Der Bundesinnenminister war und ist daher gut beraten, daß er mit den Länderinnenministern die Übereinkunft erzielt hat, Abschiebungen von Flüchtlingen aus dem Kosovo auf Ausnahmefälle - zum Beispiel bei Straffällen - zu beschränken. Insoweit, Frau Kollegin Jelpke, geht nach meinem Kenntnisstand Ihre soeben bezüglich Bundesinnenminister Schily geäußerte Kritik an der Sache vorbei. Was die im PDS-Antrag angesprochene Familienzusammenführung angeht, so sollte es - jedenfalls in der Regel - durchaus möglich sein, daß Flüchtlinge auf freiwilliger Basis zu ihren Familien in das Kosovo zurückkehren. Ich bin allerdings dafür, daß wir in begründeten Ausnahmefällen die Bundesregierung auffordern, auch weiterhin großzügig und unbürokratisch die notwendigen Papiere für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu erteilen. - Ich spreche deswegen von Ausnahmefällen, weil wir abgesehen von der Überzeugung - das ist meine Grundposition -, daß Deutschland eher zuwenig als zuviel Zuwanderung habe, damit leben könnten, daß gerade vormalige jugoslawische Staatsangehörige, die sich hier besonders gut integrieren, durchaus in der Bundesrepublik bleiben. Soweit schließlich in dem vorliegenden Antrag gefordert wird, Kindern in Deutschland nach den Bestimmungen der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen Aufnahme und Schutz zu gewähren, ist dieses Begehren wohl keineswegs auf aus dem Kosovo stammende Kinder zu beschränken, sondern muß genereller Maßstab unseres Handelns sein. Nachdem der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung vom 30. September 1999 - dies ist also noch gar nicht lange her - die Bundesregierung unter anderem aufgefordert hat, die Rücknahme der Vorbehalte der früheren Bundesregierung anläßlich der Ratifizierung der UNKonvention über die Rechte des Kindes zurückzunehmen, gehe jedenfalls ich davon aus, daß diese ausdrückliche Aufforderung des Parlaments, also des Souveräns, auch unverzüglich durch die Bundesregierung umgesetzt wird. ({2}) - Frau Kollegin Jelpke, ich gehe davon aus, daß die Worte, die hier gesprochen werden, zwar in der Regel keine so große Publizität erreichen, wie das andernorts üblich ist. Aber ich werde mich bemühen, dafür zu sorgen, daß Kollege Schily das erfährt, was ich hier sage. Aus den genannten Gründen ist daher der Antrag der PDS insgesamt als erledigt anzusehen. Dennoch bestehen aus unserer Sicht keine Bedenken gegen eine Behandlung dieses Antrages in den entsprechenden Ausschüssen, wenn die Antragsteller - sie haben dies getan - darauf bestehen. Ich komme zum zweiten Antrag der PDS mit der Überschrift „Anerkennung eines Asylanspruchs für jugoslawische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer“. Ich persönlich halte manche Änderungen des Asylrechtes und des Asylverfahrensrechtes für wünschenswert, ja sogar für notwendig, im übrigen auch solche, die den Zustand, die Rechtssicherheit und die humanitäre Dimension, die vor dem sogenannten Asylkompromiß des Jahres 1993 bestanden haben, wieder herstellen könnten. Frau Kollegin Jelpke, die Sie auch in diesem Zusammenhang Herrn Schily bemüht haben, daran sehen Sie, daß die Sozialdemokraten eine Volkspartei mit einer gewissen Spannweite in grundsätzlichen Fragen ist. ({3}) - Das pflegen wir unter uns zu klären. Wir sind jedenfalls darum bemüht. Die jetzt von der PDS begehrte gesetzgeberische Initiative zugunsten jugoslawischer Kriegsdienstverweigerer und Deserteure halte ich - jedenfalls derzeit - für überflüssig. Auch hierfür gilt im übrigen: Wir können und sollten darüber im Ausschuß sprechen. Aber im Ergebnis werden wir den Antrag ablehnen müssen. Denn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung können staatliche Maßnahmen gegen Deserteure jedenfalls dann asylrechtsrelevant werden, wenn zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, ein Umerziehen von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten durch staatliche Maßnahmen insbesondere der Strafverfolgung bezweckt werden. Das kann besonders daran deutlich werden, daß Verweigerer oder Deserteure als Verräter der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen abkommandiert oder allgemein geächtet werden. Ob und inwieweit dies in der Bundesrepublik Jugoslawien und Betroffenen welcher Volkszugehörigkeit auch immer gegenüber geschieht, kann derzeit jedoch in keiner Weise abgesehen werden. Auch wenn in der Bundesrepublik Jugoslawien 1993 die Todesstrafe für Desertation abgeschafft wurde, ist es theoretisch - dieser Hinweis war richtig - möglich, eine im Vergleich zu unserer Rechtsordnung extrem hohe Gefängnisstrafe zu verhängen. In der Praxis der Vergangenheit haben jedoch die jugoslawischen Gerichte oft relativ milde bestraft, und Wehrstrafverfahren wurden oftmals nicht weiter verfolgt. Im Zusammenhang mit dem Abkommen von Dayton wurde am 22. Juni 1999 eine Amnestie in Kraft gesetzt, die für alle Fälle des Wehrdienstentzuges zwischen 1982 und 1995 gilt. Daran hat man sich nach unserer Erkenntnis auch bis heute gehalten. Über die aktuelle Spruchpraxis von Militär- oder Zivilstrafgerichten gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen Wehrstraftätern gibt es derzeit so gut wie keine Erkenntnisse. Richtigerweise - hier ist die Beamtenschaft, genauso aber auch das Ministerium zu loben sind daher die Einzelentscheider im Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zunächst mit Datum vom 25. März 1999 - also unmittelbar nach Beginn der Luftschläge - und erneut am 29. September 1999 angewiesen worden, über Asylanträge aller Antragsteller aus der Bundesrepublik Jugoslawien, die Desertation oder Wehrdienstverweigerung geltend machten - es handelt sich im übrigen um 203 Verfahren -, nicht zu entscheiden. Dies ist mit Ausnahme eines einzigen Falls der Rücküberstellung nach Frankreich auch so gehandhabt worden. Ich bin durchaus dafür, die weitere Entwicklung und auch die Praxis des Bundesamtes kritisch zu begleiten und zu beobachten. Soweit und solange jedoch eine vernünftige Verwaltungspraxis und eine das Grundrecht auf Asylgewährung jedenfalls in dieser Hinsicht beachtende und gefestigte Rechtsprechung gegeben ist, gibt es keine Lücke im berechtigten Schutzbedürfnis der Betroffenen, die nun durch den Gesetzgeber geschlossen werden müßte. Von daher gilt auch für uns das Gebot der Zurückhaltung. Wir sehen keine Veranlassung, in diesem Punkt gesetzgeberisch tätig zu werden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Kollege Dietmar Schlee, CDU/CSU-Fraktion.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS will weitere Flüchtlinge aus dem Kosovo nach Deutschland holen. Der Antrag macht das ebenso deutlich wie das, was die Kollegin Jelpke eben gesagt hat. Die PDS hat offensichtlich noch nicht zur Kenntnis genommen, daß es heute nicht mehr um die Aufnahme von Kosovo-Flüchtlingen geht, sondern darum, daß die Kosovo-Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgeführt werden, damit sie möglichst rasch am Wiederaufbau ihres Landes mitwirken können. Der Rückkehrprozeß ist seit Sommer dieses Jahres ja voll im Gange. Aus den Nachbarländern sind mehr als 800 000 Flüchtlinge und aus der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Wochen und Monaten rund 12 000 zurückgekehrt. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der PDS, Sie kommen jetzt und wollen uns einreden, daß Flüchtlinge aus dem Kosovo an den deutschen Grenzen nicht zurückgewiesen werden sollen. Wo leben Sie überhaupt? Die Entwicklung geht doch in ganz Europa, aber auch ganz konkret jeden Tag bei uns in eine völlig andere Richtung. Trotz aller Probleme im Kosovo, die ich gar nicht verniedlichen will - der anwesende Staatssekretär Kolbow kennt die Situation ja besonders gut -, ist festzustellen, daß sich die Situation stabilisiert hat und die Rückkehr möglich ist. Alle kundigen Thebaner im In- und Ausland sind dieser Auffassung. Wer den Menschen helfen will - und ich will das -, der muß den Menschen da helfen, wo sie leben. Der Kosovo ist dafür ein typisches Beispiel. Wir helfen den Menschen doch nicht, wenn wir zu den vielen Kosovo-Albanern, die hier legal und illegal leben, noch weitere aufnehmen. Im Gegenteil: Wir schaden dadurch dem so notwendigen Wiederaufbau im Lande, wenn wir diejenigen, die zu Hause anpacken sollen, bei uns behalten und dadurch andere in ihrer Heimat die Arbeit leisten müssen. Wer die Spannungen in Bosnien zwischen den zurückkehrenden Flüchtlingen und denen, die den Krieg, die Not und die Verwüstung in der Heimat erdulden mußten, erlebt hat, der weiß, wie groß das Konfliktpotential ist, das mit einer leichtfertigen Politik geschaffen werden kann. Die Spannungen sind in Gemeinden und Städten teilweise so groß gewesen, daß eine regelrechte Lähmung eingetreten ist. In dieser Situation kann man doch nicht leichtfertig mit Anträgen versuchen, bestimmten Leuten nach dem Munde zu reden. Wir haben ein ganz anderes Problem. Ich gehe davon aus, daß es zwischen 250 000 und 280 000 KosovoAlbaner gibt, die kein Bleiberecht mehr in der Bundesrepublik Deutschland haben, also nach Hause müßten. Allein in Baden-Württemberg und in Bayern leben mehr als 100 000 Kosovo-Albaner. Ein Teil von ihnen war und ist noch im Arbeitsprozeß eingegliedert. Diese Menschen haben hier Geld verdient und könnten dies in ihrer Heimat investieren. Ihre Fertigkeiten bräuchte man dringend für den Wiederaufbau im Kosovo. In diese Richtung müßten unsere Anstrengungen gehen, aber nicht in die Richtung, Frau Jelpke, die Sie angesprochen haben. Natürlich könnte der Wiederaufbau schneller vorangehen. Es sind unglaubliche Fehler in der ersten Phase des Wiederaufbaus im Kosovo gemacht worden. Diese Fehler wurden auch in Bosnien im ersten Jahr nach dem Friedensschluß gemacht. Heerscharen von Helfern aus aller Herren Ländern sind unterwegs. Viele arbeiten unkoordiniert nebeneinander her und versprechen den Kosovo-Albanern alles Mögliche. Sie kündigen umfangreiche Hilfe an, was bei den unmittelbar Betroffenen zu einer Lethargie führt, weil sie nun warten wollen, bis die Hilfe kommt. Mit dem Wiederaufbau geht es dann nicht so rasch voran, wie es eigentlich vorangehen könnte. Hier ist die Bundesregierung gefordert; hier muß sie Einfluß nehmen. Dies betrifft natürlich auch in erster Linie die Art und Weise, wie dort die Zivilverwaltung arbeitet, die immer noch nicht in die Gänge gekommen ist und deren Unfähigkeit auf dem Rücken der kleinen Leute ausgetragen wird. Die Situation kann so nicht bleiben. Was die UNO-Mission in der unmittelbaren Wiederaufbauphase nach dem Kosovo-Konflikt an Arbeit abliefert, ist in vielen Bereichen Dilettantismus pur. Dort sind Leute unterwegs, die ihr Geschäft offensichtlich nicht beherrschen und die das Chaos nicht stoppen, sondern es immer wieder neu befördern und so die unmittelbar betroffenen Menschen in die größten Schwierigkeiten bringen. Die Strom- und Wasserversorgung sowie die Abwasserentsorgung funktionieren noch nicht, was man auf Dauer nicht hinnehmen kann. Die letzte Bemerkung zu diesem ersten Antrag ist an Sie persönlich gerichtet, Frau Jelpke. Ich habe im Zuge des Berliner Wahlkampfes in Hellersdorf und in Marzahn mit PDS-Mitgliedern diskutiert. ({0}) Diese haben in Sachen Ausländerpolitik eine völlig andere Auffassung als Sie. Sie fahren offensichtlich eine Doppelstrategie: Sie bedienen mit Ihren Anträgen diejenigen, die Sie im Westen als Wähler gewinnen wollen. In den neuen Bundesländern reden Sie aber in Sachen Ausländerpolitik offensichtlich völlig anders als hier. Das kann man Ihnen auf Dauer sicher nicht durchgehen lassen. Nun zu dem Antrag hinsichtlich des Asylanspruchs, der unnötig ist wie ein Kropf. Er hat nur insofern eine Bedeutung, als wir in diesem Zusammenhang die Bundesregierung fragen können - ich nehme an, daß Sie, Frau Staatssekretärin, diese Frage nicht heute beantworten; aber in den nächsten Wochen sollten wir dies erfahren -, wie die neue Position des Bundesinnenministers zur Asylpolitik ist. Er hat ja im „Spiegel“, in der „Zeit“ und in anderen Zeitungen höchst bemerkenswerte Äußerungen gemacht: was die „Europäisierung des Asylrechts“, eine gemeinschaftliche Asylpolitik auf der Basis der Genfer Konvention angeht, wie es mit einer gerechteren Verteilung der Lasten der Wanderungsbewegungen sei, was es bedeutet, eine flexiblere Praxis der Asylgewährung einzuführen. Das alles müßte man schon einmal ein bißchen konkreter formulieren. Wie ist es mit der Äußerung, die Entscheidung über Asylgesuche solle sich stärker an moralischen als an juristischen Maßstäben orientieren? Das würde interessieren. Heute wird eine Klärung nicht möglich sein, aber irgendwann wird die Regierung dazu etwas sagen müssen; denn es sind nicht nur andere Zungenschläge als in der Vergangenheit; es signalisiert etwas Neues. Ich gehe davon aus, daß Sie dazu etwas sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den Deserteuren nur noch einen Satz. Auch dieses Thema, Frau Jelpke, die Anerkennung eines Asylanspruchs für Deserteure, haben wir im Zusammenhang mit den Deserteuren aus Bosnien in allen nur denkbaren Variationen diskutiert. Es war immer klar, daß es kein generelles Bleiberecht für Deserteure geben kann. Das haben wir Ihnen auch von der Asylsystematik her immer wieder dargelegt. Wie ist die augenblickliche Situation? Derzeit werden keine jugoslawischen Staatsangehörigen aus dem serbischen Gebiet, aus dem Hoheitsgebiet Belgrads, zurückgeführt oder abgeschoben. Das geht schon allein faktisch nicht. Die Innenminister haben am 27. Oktober 1999 diese Position erneut bekräftigt. Wir haben auch die Frage diskutiert, daß derjenige, der desertiert oder den Kriegsdienst verweigert, kein dauerhaftes Bleiberecht bekommen kann. Er soll die Möglichkeit haben, sich hier in der Zeit der Bedrohung, bis es ein Amnestiegesetz gibt, aufzuhalten. Das gilt für Deserteure und natürlich auch für Kriegsdienstverweigerer. So ist in der Vergangenheit verfahren worden. Warum sollen wir jetzt mit diesen Deserteuren aus Serbien anders verfahren als mit den Deserteuren aus Bosnien? Das hat sich damals bewährt. Nun haben Sie das Ganze in einen Antrag hineingeschrieben, weil es „Pro Asyl“ in irgendeinem Blättchen abgehandelt hat. Aber Sie hätten sich doch daran erinnern müssen, daß wir praktikable Lösungen hatten. Letzte Bemerkung. Ohne demokratische und rechtsstaatliche Ordnung - das ist das Entscheidende - treibt Jugoslawien in den Abgrund. Das ist es, worauf es ankommt, Frau Jelpke, und nicht auf solche Nebenkriegsschauplätze. Die internationale Gemeinschaft muß Jugoslawien noch stärker als in der Vergangenheit auf dem Weg zurück in die Völkergemeinschaft begleiten. Generelle Sanktionen und Embargos nützen nichts mehr. Hier muß im Sinne der Konditionalität differenziert vorgegangen und geholfen werden, vor allem jetzt im Vorfeld des Winters und der Kälte. Dieses neue demokratisierte Jugoslawien muß dann Schritt für Schritt an Europa herangeführt werden. Das hilft den Menschen, das hilft den Ärmsten der Armen. Sie warten auf unsere Hilfe und nicht auf irgendwelche Diskussionen über abseitige Probleme, die wir längst gelöst haben. Vielen Dank. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat sind die Anträge zu einer Zeit eingebracht worden, als die Lage sich etwas anders darstellte. Trotzdem ist es gut, daß wir heute über das Kosovo reden, weil ein uns alle im Augenblick beschäftigendes Thema die Rückführung ist. Es ist sehr wichtig, noch einmal deutlich zu machen, weshalb diese Menschen hierhergekommen sind. Sie haben seit 1990 ihre Heimat verlassen, weil sie zu Recht befürchten mußten, daß sie wegen ihrer Volkszugehörigkeit verfolgt werden. Trotz Asylablehnung - weil wir in unserem Asylrecht die Schwierigkeit haben, daß diese Art von Verfolgung oft nicht ausreichend anerkannt wird - handelt es sich bei sehr vielen hier lebenden Kosovaren um wirkliche Flüchtlinge. Ein Mißbrauch des Asylrechts, wie er in der gesellschaftlichen Debatte oft behauptet wird, lag nicht vor. Nun haben sich die Verhältnisse weiterentwickelt. Gegenwärtig besteht eine Gefahr der Verfolgung für Kosovo-Albaner im Kosovo selbst regelmäßig nicht mehr. Das ist einerseits eine gute Nachricht und andererseits ein Erfolg des Engagements der internationalen Staatengemeinschaft. Allerdings ist im Kosovo eine höchst prekäre Situation anzutreffen. Es gibt eine unendliche Zerstörung von Wohnraum, von Häusern. Mir sind Berichte bekannt, daß die Zerstörungen sehr viel größer sind, als erwartet worden war. Über 40 Prozent des Wohnraums seien zerstört. Auch die schwierige Versorgung mit Lebensmitteln setzt einer Rückkehr im Augenblick Grenzen. Die Situation vor Ort ist sehr instabil. Die politische Zukunft des Kosovo ist nicht geklärt. Vor allen Dingen gibt es zunehmende Auseinandersetzungen und Übergriffe gegen Minderheiten im Kosovo, gegen Serben und Roma. Zunächst also ist Voraussetzung, daß sich die internationale Staatengemeinschaft weiterhin im Kosovo stark engagiert. Nur vor diesem Hintergrund können wir die Rückkehrdiskussionen hier in Deutschland führen. Das Rückkehrinteresse der Kosovaren ist sehr groß. Herr Kollege Schlee, ich möchte Ihnen widersprechen: Es gibt keine Lethargie im Kosovo, im Gegenteil, es gibt eine ungeheure Aufbruchstimmung. Anders als in Bosnien wissen die Menschen, wohin sie zurückkehren können. Das ist der entscheidende Unterschied. Man kann vor Ort spüren, daß die Menschen dabei sind, sich mit aller Kraft wieder eine Bleibe zu verschaffen und ihre Häuser aufzubauen. Hier liegt der Ansatzpunkt: darauf zu setzen, daß die Rückkehr freiwillig erfolgen muß. Wir haben hier eine gute Chance für ein Programm zur freiwilligen Rückkehr der Kosovo-Albaner. Dies fordert von unserer Seite nun bestimmte Maßnahmen: finanzielle Hilfen für Heimkehrer, Materialien zum Aufbau zerstörter Häuser, was übrigens KFOR vor Ort macht. Es gibt weitere Maßnahmen, die eine freiwillige Rückkehr unterstützen könnten. So könnte einem Familienmitglied, wenn die anderen nach Hause zurückkehren, der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet für einen bestimmten Zeitraum, zum Beispiel ein Jahr, ermöglicht werden, dem Betreffenden eine Arbeitserlaubnis erteilt werden und auf diese Weise die Möglichkeit geschaffen werden, daß von diesem einen Brückenkopf in Deutschland die zurückgekehrte Familie im Kosovo wirksam unterstützt wird. Dieses Modell hat sich bei der Rückkehr der Bosnien-Flüchtlinge als ausgesprochen effektiv erwiesen. Es war die beste Rückkehrhilfe, die es gegeben hat. Ich möchte, weil wir sonst mit Bayern so über Kreuz liegen, sagen, daß Bayern mit einem solchen Modell in diesem Fall eine positive Vorreiterrolle gespielt hat. Die Diskussion zur Förderung der freiwilligen Rückkehr darf auch nicht durch unnötige Abschiebungen erschwert werden. Ich bin der festen Überzeugung, daß Abschiebungen während des beginnenden Winters nicht stattfinden dürfen, ({0}) und werde dabei von allen humanitären Organisationen, die vor Ort sind, unterstützt. Nach Einschätzung dieser Organisationen können sie, wenn sie sich sehr anstrengen, eine humanitäre Katastrophe vermeiden, aber sie bitten, die Situation vor Ort nicht dadurch zu verschärfen, daß Leute in diese labile Situation hineingedrückt werden. So verhält sich auch der UNHCR. Das ist auch die Einstellung der UN-Mission vor Ort. Besonderen Schutzes bedürfen Roma und Serben. Die KFOR sagt, daß sie, obwohl sie es möchte und alle Anstrengungen unternimmt, nicht in der Lage ist, allen diesen Menschen den notwendigen Schutz zuteil werden lassen. Diese Menschen dürfen auf keinen Fall abgeschoben werden. Bezüglich der Deserteure müssen wir dafür sorgen, daß sie, solange es keine Amnestie gibt, Anspruch auf Schutz haben, weil ihnen im Krieg gegen die KosovoAlbaner eine völkerrechtswidrige Handlung abverlangt wurde. Auch darauf sollten wir uns verständigen. Die Innenminister von Bund und Ländern werden sich in Görlitz treffen, um diese Probleme zu besprechen. Meines Erachtens müssen zwei zentrale Botschaften von dieser Konferenz ausgehen: Erstens muß die Förderung der Rückkehr auf dem Gedanken der Freiwilligkeit basieren. Zweitens darf es keine Grenzübertrittsbescheinigung und Versagung der Sozialhilfe geben. Von einem Land wie Deutschland darf nicht das Zeichen ausgehen, daß wir durch die Versagung der Unterstützung in Form der Sozialhilfe Menschen quasi zwingen, freiwillig zurückzukehren. Das sind unwürdige Aktivitäten; diese gibt es allerdings zum Teil bei Behörden, bedauerlicherweise auch in Berlin. Dieser Weg darf nicht beschritten werden. Es gibt gute Chancen für eine freiwillige Rückkehr in das Kosovo; denn die Menschen wollen in ihre Heimat zurück. Schönen Dank. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Redner haben betont - auch Frau Jelpke selber -, daß die Anträge bereits teilweise überholt sind. Dies hat zur Folge, daß heute mehr über die aktuellen Bezüge zu reden ist als über den eigentlichen Text der Anträge. Aktuelle Bezüge gibt es allerdings in mehrfacher Hinsicht. Hinsichtlich der Kosovo-Flüchtlinge liegt die Hauptproblematik derzeit wohl darin, ob und wie die Rückführung dieser Menschen in den Kosovo organisiert wird. Von anderen wurde schon ausgeführt, daß ein sehr großer Teil der Bürgerkriegsflüchtlinge freiwillig zurückgekehrt ist, daß aber darüber hinaus für weitere 180 000 Personen aus dem Kosovo eine Ausreisepflicht besteht, von denen bisher nur wenige freiwillig heimgekehrt sind. Dennoch möchte ich unterstützen, was die Ausländerbeauftragte gerade ausgeführt hat: Die freiwillige Rückkehr ist gegenüber einer - juristisch möglichen zwangsweisen Rückführung vorziehenswert. Es ist zu beachten, daß eine zwangsweise Rückführung in großem Umfang zu einer Destabilisierung der Lage im Kosovo führen könnte, gerade in den Wintermonaten. Deshalb liegt es nicht nur im Interesse der Flüchtlinge, sondern auch in unserem Interesse, daß hier sehr vorsichtig vorgegangen und auf Zwangsmaßnahmen verzichtet wird. Im Namen der F.D.P.-Fraktion unterstütze ich ausdrücklich die Position der Ausländerbeauftragten. ({0}) Der zweite Antrag der PDS, die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen, daß jugoslawische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer einen Anspruch auf Asyl erhalten, berührt eine weitere aktuelle Problematik. Die Zahlen, um die es geht, wurden schon von meinen Vorrednern genannt. Marieluise Beck ({1}) Tatsache ist, daß ein Entscheidungsstopp existiert. Demnach droht den etwa 200 Deserteuren für ihre persönliche Sicherheit derzeit keine Gefahr. Im übrigen wäre zu prüfen, ob Abschiebehindernisse gemäß § 53 Abs. 6 des Ausländergesetzes bestehen. Ich stimme dem Kollegen Veit zu, daß somit kein Anlaß besteht, gesetzliche Maßnahmen im Eilverfahren zu treffen. Dieser Antrag gibt aber Anlaß zu einer grundsätzlichen Betrachtung: Am Beispiel der Deserteure wird deutlich, daß die Rechtslage sehr kompliziert ist: Desertion gilt grundsätzlich nicht als Grund für die Gewährung von Asyl, in Ausnahmefällen aber doch. Hier hat sich eine Differenzierung entwickelt, die, so glaube ich, nur noch von Juristen nachvollzogen werden kann. Wenn man bedenkt, daß wir es zum Beispiel im Innenausschuß häufig mit anderen Fallgruppen zu tun haben - ich erinnere nur an die Fluchtgründe wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung und an die nichtstaatliche Verfolgung -, dann muß dieser Antrag zu folgender Überlegung führen: Im Rahmen der Asylpolitik wurde in den vergangenen Jahren sehr viel über Verfahrensfragen diskutiert; es wurde aber auch gehandelt. Ich nenne nur das Flughafenverfahren und die Regelung hinsichtlich sicherer Drittstaaten. Notwendig wäre aber einmal eine prinzipielle Diskussion darüber, welchen Personengruppen wir den Schutz des Asyls gewähren wollen. Derzeit existiert ein eigentümliches Konglomerat von Asylvorschriften in großer Ausdifferenzierung, die, wie ich schon sagte, eigentlich nur für Juristen noch nachvollziehbar ist: Bleiberechte, Duldungsrechte, Abschiebungshindernisse und Hilfskonstruktionen, um Menschen, die offensichtlich schutzbedürfig sind, Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren. Diese Diskussion müßte einmal geleistet werden. Das geht allerdings nicht im Rahmen eines Kurzbeitrages, zumal ich meine Redezeit fast schon überschritten habe, sondern muß an anderer Stelle erfolgen. Ein Wort noch dazu, daß der Bundesinnenminister das Grundrecht auf Asyl zur Disposition gestellt hat. Meine Damen und Herren, der kritische und entscheidende Punkt ist doch folgender: Ein Grundrecht ist der Verfügbarkeit der Tagespolitik entzogen. ({2}) Solange die Politik in der Versuchung ist, den Umgang mit schutzbedürftigen Menschen immer wieder zum Gegenstand tagespolitischer Auseinandersetzungen auch um parteitaktischer Vorteile willen zu machen, meint die F.D.P., daß es sehr gefährlich ist, ein Grundrecht zur Disposition zu stellen. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Cornelie SonntagWolgast, SPD-Fraktion.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn sich Frau Jelpke mit ihren eigenen Anträgen so differenziert auseinandergesetzt hätte, wie es die letzten Rednerinnen und Redner getan haben, die ich eben gehört habe, dann hätte ich mich gar nicht zu Wort gemeldet. Aber da sie ein Zerrbild deutscher Flüchtlingspolitik gezeichnet hat, bitte ich Sie, mir noch zwei kurze klärende Anmerkungen zu erlauben. Erstens erinnere ich daran, daß es maßgeblich durch die Initiative des Bundesinnenministers überhaupt gelungen war, im Frühling 15 000 Vertriebene aus dem Kosovo in Deutschland aufzunehmen und die Solidarität anderer EU-Mitgliedstaaten teilweise zu erreichen. ({0}) Das war noch nicht das Gesamtkonzept einer europäischen Flüchtlingsaufnahmepolitik in solchen akuten Fällen, wie wir es für die Zukunft wünschen; aber es war die Keimzelle. Schon das Signal, wie es funktionieren kann - zum Start dessen, was wir alle schon lange wollen, nämlich den Bürgerkriegsflüchtlingsstatus mit einer gerechten Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern - ist maßgeblich durch die Initiative dieser Bundesregierung gesetzt worden. Die zweite Anmerkung: Der Bundesinnenminister, liebe Kollegin Jelpke, schiebt nicht ab. Ich muß das klarstellen. Zuständig für die Durchführung der Ausländergesetze sind die Länder. Von einem massenhaften Zurückschicken der Menschen in den rauhen Winter kann nun wirklich keine Rede sein. Der Großteil der Landesinnenminister hat ebenso wie der Bundesinnenminister unmißverständlich deutlich gemacht, daß bedächtig und unter Wahrung humanitärer Aspekte gehandelt werden wird, was in der Praxis bedeutet, daß der Großteil der Betroffenen - vor allem derer, die im Frühjahr gekommen waren - nicht vor dem Frühling zurückkehren wird. Ich hoffe ebenso wie die Kollegin Beck eher auf freiwillige Rückkehr. Ich bitte Sie also herzlich, bei einem derart sensiblen Thema im Interesse der Betroffenen keine Angstkulissen aufzubauen. Danke schön. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/1182 und 14/1183 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. November 1999, 13 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen allen - auch den Besuchern auf der Tribüne - ein schönes Wochenende.