Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
noch eine Änderung bezüglich des Vermittlungsausschus-
ses vornehmen. Der Kollege Matthias Berninger scheidet
als stellvertretendes Mitglied aus dem Vermittlungsaus-
schuß aus. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt
als Nachfolgerin die Kollegin Kristin Heyne vor. Sind
Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch.
Damit ist die Kollegin Heyne als stellvertretendes Mit-
glied des Vermittlungsausschusses bestimmt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12a und 12b sowie
den Zusatzpunkt 4 auf:
12 a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zu den Ergebnissen der „5. Vertragsstaatenkon-
ferenz der Klimarahmenkonvention in Bonn“
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausJürgen Hedrich, Dr. Klaus W. Lippold ({0}), Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention in Bonn: Neue Impulse zur globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik ({1})
- Drucksache 14/1853 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherkeit
({2})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuß
ZP4 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Klimaschutz durch ökologische Modernisierung und Verbesserung der internationalen
Zusammenarbeit
- Drucksache 14/1956 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
({3})
Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. und der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin.
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine Damen und Herren! Kennen Sie „Mitch“? Kennen Sie „Floyd“? „Mitch“ verwüstete im letzten Jahr Mittelamerika. „Floyd“ war der
größte Wirbelsturm - mit einer Ausdehnung größer als
Mitteleuropa -, den man je verzeichnet hat. Dort, wo es
noch nicht so viele Fernsehstationen gibt, haben Wirbelstürme keinen Namen, richten aber trotzdem unermeßlichen Schaden an. Der Zyklon, der dieser Tage über Indien hinweg zog, hat wahrscheinlich 10 000 Menschenleben gekostet, 9 Millionen Menschen obdachlos gemacht, die gesamte Reisernte vernichtet.
Die kontinuierliche Erwärmung der Meere hat zu
einem unübersehbaren Anstieg der Zahl der Wirbelstürme geführt. Die von Menschen beeinflußte Veränderung des Klimas trifft uns nicht morgen, sondern teilweise schon heute. Sie hat Hunderttausende obdachlos
gemacht. Dies ist der Hintergrund einer aktiven Politik
des Klimaschutzes.
Beim Thema Klimaschutz fehlt es uns nicht an Erkenntnissen. Es fehlt aber nach wie vor an einem strin5986
genten Handeln der Staatengemeinschaft und an einem
stringenten Verhalten gerade derjenigen Staaten, die als
Hauptverursacher dieses Problems gelten.
({0})
Der Zwischenstaatliche Ausschuß für den Klimawandel hat bereits 1995 festgestellt: Erstens. Die Abwägung
der bisher auf Grund von Modellrechnungen gewonnenen Erkenntnisse legen einen erkennbaren menschlichen
Einfluß auf das Klima nahe.
Zweitens. Der Verzicht auf Maßnahmen zum Klimaschutz wird auch zu irreversiblen Schäden an den Öko-,
Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen dieses Globusses führen.
Schließlich hat der Ausschuß schon 1995 darauf hingewiesen, daß deutliche Reduktionen der Treibhausgasemissionen technisch möglich und ökonomisch vernünftig sind.
Niemand darf sich vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse mehr auf verbleibende Unsicherheiten in der
Wissenschaft herausreden. Wer seiner Verantwortung
gerecht werden will, der muß heute handeln. Mit dem
Protokoll von Kioto ist hierfür ein Rahmen geschaffen
worden.
Die heute in Bonn zu Ende gehende Klimakonferenz
war eine wichtige Station zur Regelung der noch offenen Fragen dieses Rahmens. Der sicherlich eher technische Charakter der Bonner Konferenz sollte nicht den
Blick dafür trüben, worum es eigentlich geht. Noch nie
zuvor waren die Signale für die drohende Klimakatastrophe so deutlich wie jetzt. Weltweit belaufen sich die
energiebedingten CO2-Emissionen auf rund 24 Milliarden Tonnen im Jahr. Mehr als drei Viertel dieser Emissionen werden von den Industriestaaten emittiert. Entgegen internationaler und selbst eingegangener Verpflichtungen steigen diese Emissionen in den meisten westlichen Industrieländern deutlich an. Beispiele hierfür
sind die USA und Kanada, die - allen Reduktionsversprechungen zum Trotz - zweistellige, teilweise über
20 Prozent liegende Zuwachsraten aufweisen.
Vor dem Hintergrund dieser besorgniserregenden
Entwicklung ist es auf der 5. Vertragsstaatenkonferenz
gelungen, Verhandlungstexte zu technischen Fragen etwa bei der Erfüllungskontrolle fortzuentwickeln. Aber
wir kommen nicht darum herum, festzustellen, daß es
zwischen den einzelnen Gruppen der Staatengemeinschaft nach wie vor erhebliche Meinungsunterschiede in
wichtigen politischen Fragen gibt. Dies gilt insbesondere
- hier hat die Bundesrepublik, indem sie eine lange
allein vertretene Position mittlerweile zu einer europäischen Position gemacht hat, eine führende Rolle gespielt - für die Frage der von uns geforderten konkreten
Obergrenze für die sogenannten flexiblen Mechanismen.
Ungeachtet dieser anhaltenden Meinungsverschiedenheiten - von denen auch nicht zu erwarten war, daß
sie in Bonn überwunden würden - ist es uns allerdings
gelungen, die politische Bewegung im Klimaprozeß
wieder zu stärken. Hierzu hat die Eröffnungsrede von
Bundeskanzler Schröder, die bei vielen Delegationen
nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, wesentlich beigetragen. Erfreulich ist es, daß von einer überwältigenden Mehrheit der anwesenden 173 Staaten das von Gerhard Schröder vorgegebene Ziel aufgegriffen worden ist:
Wir wollen - so haben diese Staaten gesagt - im Jahre
2002, zehn Jahre nach der Konferenz von Rio, das Protokoll von Kioto in Kraft setzen.
({1})
Damit haben die Bundesrepublik Deutschland und die
EU in der Staatengemeinschaft erneut eine Vorreiterrolle eingenommen. Ich begrüße es, daß es gelungen ist,
eine klare Struktur für die in den kommenden Monaten
stattfindenden Verhandlungen durchzusetzen. Nur so
wird ein Abschluß dieser Verhandlungen, den wir alle
wollen, auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz in Den Haag
auch tatsächlich gelingen können.
Bei diesem Verhandlungsprozeß werden eine Reihe von
Fragen noch zu klären sein. Die oberste Forderung muß
sein: Wir müssen die im Kioto-Protokoll bestehenden
Schlupflöcher schließen.
({2})
- Sehr richtig.
Dies gilt für Projekte, die Industrieländer im Ausland
durchführen. Dies gilt ganz besonders für das Problem
der „heißen Luft“, zu dem der Handel mit Verschmutzungsrechten nicht führen darf. Ich unterstreiche: Auch
Wälder, die Kohlenstoff speichern, dürfen nur nach noch
festzulegenden Regeln berücksichtigt werden. Es kann
nicht sein, daß wir uns auf der einen Seite Wiederaufforstung klimapolitisch anrechnen lassen und gleichzeitig
tatenlos zusehen, wie vielleicht im selben Land massiv
entwaldet wird. Das kann nicht Sinn dieser Mechanismen sein.
({3})
Wirksame Maßnahmen zur Begrenzung der drastisch
zunehmenden Treibhausgasemissionen aus dem internationalen Flugverkehr sind erforderlich, damit das
Kioto-Protokoll nicht unterlaufen wird; denn wenn die
Steigerungsraten im Flugverkehr anhalten, wird ungefähr die Hälfte dessen, was die Industrieländer in Kioto
zu reduzieren versprochen haben, allein dadurch wieder
wettgemacht.
Fortschritte in diesem Verhandlungsprozeß werden
nur dann möglich sein, wenn eine wichtige Voraussetzung erfüllt ist: Die Industrieländer müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Internationaler Verhandlungsprozeß und Reduktion von Treibhausgasen, die die
Industrieländer bei sich zu Hause vornehmen, gehören
untrennbar zusammen. Die internationale Glaubwürdigkeit und die internationale Verhandlungsposition hängen
davon ab, wie Aufgaben zu Hause gemacht werden.
({4})
Nur dann, wenn diese Hausaufgaben gemacht werden,
können die Kioto-Mechanismen eine sinnvolle Ergänzung sein.
Langfristig ist die Einbeziehung auch der Entwicklungsländer in das Kioto-Protokoll eine wichtige Herausforderung. Es ist wahr, daß die Entwicklungsländer
in bezug auf die Emissionen in absehbarer Zeit mit den
Industrieländern gleichziehen werden. Die Einbeziehung
der Entwicklungsländer wird aber nur schrittweise gelingen können. Sie wird nicht und darf nicht Entschuldigung dafür sein, daß man im eigenen Lande so lange
nichts tut, bis sich beispielsweise China und Indien zu
Aktionen bereitgefunden haben.
({5})
Ich füge hinzu: Es darf nicht sein, daß die Ratifizierung
des Kioto-Protokolls von dieser Frage abhängig gemacht
wird.
Wir haben uns in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit bemüht, den Anteil klimafreundlicher
Maßnahmen - insbesondere im Bereich erneuerbarer
Energien und Schutz der Tropenwälder - weiter zu erhöhen. Im multilateralen Bereich trägt die Bundesrepublik Deutschland rund 12 Prozent der Beiträge zum Finanzmechanismus der Klimarahmenkonvention, der
globalen Umweltfazilität, bei. Uns bereitet es Sorge, daß
es eine Reihe großer Länder gibt, die eine schlechte
Zahlungsmoral aufweisen. Das stärkt nicht, sondern das
schwächt unsere Verhandlungsposition gerade gegenüber den Entwicklungsländern.
Ich glaube, wir als Industrieländer müssen folgendes
Signal setzen: Wir erledigen unsere Hausaufgaben; wir
wollen, daß dieser Mechanismus im Jahre 2002 in Kraft
tritt. All die Mechanismen, die jetzt vielleicht noch umstritten sind, werden erst dann greifen und wir werden erst
dann den Emissionshandel einleiten können, wenn das
Protokoll in Kraft getreten ist. Wir werden den Mechanismus für eine umweltverträgliche Entwicklung erst dann
durchführen können, wenn das Protokoll in Kraft getreten
ist. Wenn wir dieses erreicht haben, dann, glaube ich, sind
wir einen Schritt weiter. Das setzt eine wirksame Kontrolle,
aber auch und gerade eigene Maßnahmen voraus.
Wir als Bundesrepublik Deutschland haben, wenn ich es
richtig sehe, ein von allen gesellschaftlichen Kräften getragenes, anspruchsvolles Ziel formuliert - von einem kleinen
Verband abgesehen -: Wir wollen unsere CO2-Emissionen
bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent senken.
Darüber hinaus haben wir uns innerhalb der EU verpflichtet, bis zum Jahre 2008/2012 die sechs „Kioto-Gase“ um
21 Prozent zu vermindern. Das hat eine Konsequenz, die
jede und jeden von uns treffen wird: Wir werden unsere
Produktions- und Konsumgewohnheiten in der bestehenden Form nicht beibehalten können. Vor allem dürfen wir
diese auf keinen Fall unverändert auf die Entwicklungsländer übertragen. Nur wenn wir weltweit alle Ressourcen so
effizient wie möglich einsetzen, wird ein ökologisch akzeptables Wachstum gelingen. Nur dann kann der ökologische
Kollaps verhindert werden.
({6})
Ich denke, wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind
auf einem richtigen Weg. Minderungen ihrer CO2Emissionen können von den westlichen Industriestaaten
bislang nur Deutschland, Großbritannien, die Schweiz
und Luxemburg melden. Allerdings ist es auch richtig,
daß die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, um die
gesetzten Ziele zu erreichen. Deshalb haben wir unmittelbar nach Regierungsantritt die Weichen für weitere
Fortschritte im Klimaschutz gestellt. Wir haben mit einer Verzehnfachung der Förderung von erneuerbaren
Energien angefangen. Wir sind in eine Ökologisierung
des Steuersystems eingestiegen. Wir werden in der
nächsten Woche deren kontinuierliche Fortschreibung
beschließen. Aber wir wissen, daß auch diese Maßnahmen - für sich genommen - noch nicht ausreichen, um
unsere Ziele zu erreichen. Deswegen hat der Bundeskanzler angekündigt, daß bis zum Sommer nächsten Jahres eine umfassende nationale Strategie zur Minderung
der Treibhausgase vorzulegen ist.
({7})
Die Anliegen der Klimavorsorge decken sich in weiten Feldern mit den Zielen einer nachhaltigen Energiepolitik und mit der Absicht der Bundesregierung, eine
Energiewende einzuleiten, die ohne die Nutzung der
Kernenergie auskommt.
Die Erkenntnis wächst, daß Energie zunehmend
knapper wird: Nicht akzeptable Risiken, politische Verknappung, umwelt- und klimapolitische Erfordernisse
sowie endliche Ressourcen markieren die Grenzen herkömmlicher Energieversorgung.
Was folgt daraus?
Die Energieversorgung braucht eine Effizienzrevolution.
Wir brauchen völlig neue Strukturen im Energiesektor.
Mich erstaunt immer wieder der Widerstand, der dieser einfachen Erkenntnis entgegengesetzt wird. Die Erkenntnisse sind da, die Technik ist vorhanden.
Kurz- und mittelfristig müssen die bekannten Möglichkeiten für eine rationale und sparsame Energienutzung auf allen Ebenen der Energieversorgung möglichst
weitgehend ausgeschöpft werden. Mittel- und langfristig
müssen wir den erneuerbaren Energien zum Durchbruch
verhelfen. Dies wird allerdings nur gelingen, wenn massive Anstrengungen die Energieträgerwende heute einleiten.
In seiner Rede zur Eröffnung der Klimakonferenz hat
Bundeskanzler Schröder dieses Ziel eindeutig und abschließend formuliert: „Wir wollen den Anteil erneuerbarer Energien bis 2010 verdoppeln!“
({8})
Man kann das auch in Zahlen ausdrücken: Es geht darum, den Anteil der erneuerbaren Energien an der
Stromerzeugung von 5 auf 10 Prozent zu steigern und
diejenigen, Primärenergieverbrauch von 2 auf 5 Prozent
zu erhöhen.
Schließlich muß die Übergangsphase zu einer neuen
Energieversorgungsstruktur mit einer möglichst klimaund ressourcenschonenden Nutzung umweltfreundlicher
fossiler Brennstoffe bewältigt werden.
In Konzernen wie Shell und BP scheint diese Abwägung von langfristigen Chancen und Risiken übrigens zu
ähnlichen Schlußfolgerungen geführt zu haben. Diese
Konzerne, die ihren Aufstieg der möglichst ungehemmten Exploration und Vermarktung von Öl zu verdanken
haben, entwickeln mittlerweile Visionen vom Einstieg in
das Solarzeitalter, das in weniger als einem Menschenalter Realität werden soll.
Wenn ich diese Rahmenbedingungen benenne, dann
lassen Sie mich auch über die konkreten Maßnahmen
sprechen. Hinsichtlich des notwendigen Maßnahmebündels muß man am Anfang eine Feststellung treffen: Es
gibt nicht d e n Weg zum Klimaschutz, es gibt nicht
d a s Patentrezept; es gibt nur ein ganzes Bündel von
Maßnahmen, die sich ergänzen und sich möglichst nicht
konterkarieren sollen. Wir haben ein breites Maßnahmebündel vorgelegt.
Weil diese Debatte immer wieder aufkommt, will ich
an dieser Stelle eines vorweg sagen: Die Nutzung der
Atomenergie ist mit dem Ziel einer nachhaltigen Energieversorgung nicht zu vereinbaren.
({9})
Wir erleben heute auf dem liberalisierten Energiemarkt,
daß die Atomenergie eine auf Effizienz und Ressourcenschonung ausgerichtete Energiestrategie geradezu konterkariert - jenseits aller Diskussionen über Betriebsrisiken und nicht gelöste Entsorgungsfragen. Aber der Einstieg in eine nachhaltige Energieversorgung bedeutet für
uns auch - neben der Förderung erneuerbarer Energien,
neben der Förderung hocheffizienter Kraftwerke - eine
Strategie der Energieeinsparung.
Wie sieht die Bilanz der Bundesrepublik Deutschland
beim Klimaschutz heute aus? Zwischen 1990 und 1998
nahmen die CO2-Emissionen um mehr als 13 Prozent ab.
Wenn sich dieser Trend so fortentsetzt, dann wären das
im Jahre 2005 15 bis 17 Prozent. Zu diesem Ergebnis haben insbesondere die Industrie mit einem Rückgang um
27 Prozent - darin steckt auch viel deutsche Einheit - und
die Energiewirtschaft mit einer Minderung von 17 Prozent beigetragen. - Die deutsche Einheit habe ich nicht
deswegen erwähnt, weil ich die Leistungen der Industrie
schmälern will. Sie hat in ihrem Bereich durchaus etwas
erreicht. - Aber die Emissionsentwicklung, die durch die
privaten Haushalte und den Verkehr verursacht wird,
geht in eine völlig andere Richtung und weist plus 8 bzw.
plus 9 Prozent aus. Diesen Trend des Auseinanderlaufens
der Entwicklungen müssen wir stoppen und umkehren.
Dies wird die Schlüsselfrage sein.
({10})
Wenn das nicht gelingt, werden die Erfolge in anderen
Bereichen zunichte gemacht, und unser Klimaschutzziel
wird ernsthaft gefährdet.
({11})
Meine Damen und Herren, diese Fehlentwicklung Reduktion bei der Industrie, aber Anstieg beim Verkehr
und bei den privaten Haushalten - ist allerdings nicht
vom Himmel gefallen. Sie ist auch die Folge einer politischen Fehlentscheidung. Die von Frau Merkel 1995
geäußerte, ja sogar vom CDU-Parteitag in Karlsruhe
unterstützte Forderung nach einer Ökologisierung des
Steuersystems wurde bekanntlich von BDI, CSU und
schließlich von Bundeskanzler Kohl gestoppt. Die starke
Konzentration des Klimaschutzes auf die Selbstverpflichtung der Industrie hat wesentliche Verursacher wie
den Verkehr und die privaten Haushalte ausgeblendet.
Meine Damen und Herren, wo stünden wir heute, wäre damals anders, wäre damals richtig entschieden worden!
({12})
Mit Sicherheit lägen wir jetzt nicht bei den von mir
genannten 15 Prozent bis 17 Prozent Reduktion, sondern hätten einen Wert erreicht, der sehr viel näher an
25 Prozent läge.
Ich kann Ihnen das an Zahlen verdeutlichen: Alleine
die von der jetzigen Bundesregierung eingeleitete ökologisch-soziale Steuerreform schlägt bei der CO2Reduzierung mit rund 2 Prozent, zu Buche. Wieviel
stärker wäre ihre Wirkung, wenn sie fünf Jahre früher
eingesetzt hätte!
({13})
In der künftigen Klimaschutzstrategie müssen wir uns
also - neben dem Energiesektor - auch auf die privaten
Haushalte und auf den Verkehr konzentrieren.
({14})
- RWI, das ist nicht unbedingt ein grünenfreundliches
Institut.
Die Potentiale sind auch heute noch groß. Selbst in
Deutschland, das im internationalen Vergleich, was
Energieeffizienz angeht, im oberen Feld rangiert, bestehen erhebliche Einsparpotentiale. Interessant ist, daß
man hierfür keine futuristischen Techniken braucht.
Rund 11 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland
werden allein durch Leerlaufverluste verursacht. Das
sind 20 Milliarden Kilowattstunden. Wenn diese Verschwendung nach dem Stand der Technik abgestellt
würde, würden unsere CO2-Emissionen um 1,5 Prozent
reduziert.
Ein anderes Beispiel. Das Kraftwerk der Zukunft vereint höchste Wirkungsgrade, geringste Umweltbelastung
und volkswirtschaftlich effiziente StromerzeugungskoBundesminister Jürgen Trittin
sten. Moderne Gas- und Dampfkraftwerke haben Wirkungsgrade, die noch vor zwei Jahrzehnten von jedem
Kraftwerkbauer für unmöglich gehalten wurden. Diese
Bundesregierung sorgt dafür, daß solch moderne Technik nicht länger gegenüber Kohle und Kernenergie steuerlich benachteiligt wird. Sie sorgt für Wettbewerbsgleichheit in dieser Frage.
({15})
Ganz besonders hervorheben möchte ich die Bedeutung der Kraft-Wärme-Kopplung, gerade wegen ihres
CO2-Minderungspotentials. Bestand und Ausbau der
Kraft-Wärme-Kopplung im kommunalen und industriellen Bereich sind zur Zeit massiv gefährdet. Lösungen, wie sie teilweise vorgeschlagen werden, die sich
nur auf einen kleinen Ausschnitt beziehen, reichen nicht
aus, der Kraft-Wärme-Kopplung eine Perspektive zu
geben. Es geht nicht um Hilfen für das eine oder andere
Kraftwerk oder für die eine oder andere Kommune auch
das ist wichtig. Aber es geht generell darum, daß KraftWärme-Kopplung sowohl im kommunalen wie im industriellen Umfeld eine verläßliche und auf Ausbau ausgerichtete Perspektive hat. Hierzu gibt es Vorschläge.
Ich glaube, das, was wir bisher gemacht haben - Erleichterungen bei der Ökosteuer, die jüngsten Beschlüsse, nunmehr auch Anlagen bis zu 2 Megawatt steuerlich
besserstellen -,
({16})
zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind.
Auf lange Sicht muß eine endgültige Lösung gefunden werden. Wir werden uns zwischen verschiedenen
Modellen, etwa zwischen Bonus und Quote, entscheiden
müssen. Aber ich hoffe, daß wir sehr schnell zu einem
Ergebnis kommen. Denn die Kraft-Wärme-Kopplung ist
in der Klimaschutzstrategie ein zentrales Element. Allein das durch Kraft-Wärme-Kopplung erschließbare
CO2-Minderungspotential wird auf 30 bis 60 Millionen
Tonnen pro Jahr geschätzt. Dieses müssen wir ausschöpfen, um unser Klimaschutzziel zu erreichen.
Ein weiterer Schwerpunkt des künftigen Klimaschutzprogrammes wird die Verabschiedung einer Energiesparverordnung sein, um die anerkannt hohen CO2Minderungspotentiale im Gebäudebereich so schnell wie
möglich zu erschließen. Von zentraler Bedeutung für die
Energiewende ist auch die Fortschreibung der ökologischen Steuerreform. Im Hinblick auf die beschäftigungsund umweltpolitischen Auswirkungen müssen wir diese
Frage sehr sorgfältig untersuchen.
Dringender Handlungsbedarf besteht schließlich beim
Stromeinspeisungsgesetz. Hier müssen wir schon in den
nächsten Wochen weiterkommen, weil der sogenannte
5-Prozent-Deckel im norddeutschen Raum sehr bald
ausgeschöpft ist und damit eine Vergütung nach den gesetzlichen Regeln abgewehrt werden könnte. Es sollen
künftig feste Vergütungssätze wirksam werden. Wir haben gerade in den letzten Monaten beobachten müssen,
daß die durch das Strompreisdumping verursachten Investitionsunsicherheiten sowohl potentielle Investoren
als auch Kreditgeber irritiert haben. Insgesamt gesehen,
wollen wir, wie gesagt, den Beitrag erneuerbarer Energien - Sonne, Wind, Wasser, Biomasse, Umgebungswärme, Geothermie - in Deutschland bis zum Jahre
2010 verdoppeln.
Schließlich will ich an dieser Stelle auf die Erklärung
der deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge eingehen.
Der jüngst vorgelegte zweite Monitoring-Bericht zeigt
die Erfolge der zurückliegenden Jahre und deckt gleichzeitig vorhandene Schwächen auf. Hier müssen in den
kommenden Wochen Verhandlungen mit der Wirtschaft
stattfinden. Hierbei geht es um die Anpassung an die
Ergebnisse von Kioto, die Fortschreibung von Zielen in
den Fällen, in denen die Zielerreichungsgrade bereits
hoch sind, und um das Einbeziehen weiterer Wirtschaftszweige, um produktbezogene Aktivitäten sowie
um die mögliche Verknüpfung der Selbstverpflichtungserklärung mit projektbezogenen Mechanismen wie Joint
Implementation und Clean Development Mechanism.
Nur, wenn die Zusagen der Wirtschaft anspruchsvoll
bleiben, wenn gewährleistet ist, daß bei der Selbstverpflichtung - indem sie zielgenauer gemacht wird Trittbrettfahrerei - das heißt, in einer Branche leisten
einige Unternehmen viel für den Klimaschutz und andere haben die Vergünstigung davon, indem auf bestimmte
ordnungsrechtliche und steuerrechtliche Maßnahmen
verzichtet wird - vermieden wird, werden wir das System der Selbstverpflichtung politisch effektiver gestalten und verbessern können. Hier liegt ein Reduktionspotential von gut 2 Prozent. Hier liegt aber auch ein großes wirtschaftliches Potential. In Zeiten steigender
Energiepreise wird Energieeffizienz zu einer wichtigen
Quelle für Kostensenkungen und damit zu einem Standortvorteil.
Abschließend will ich auf die große Bedeutung der
sogenannten weichen Maßnahmen wie Information und
Beratung, Aus- und Fortbildung hinweisen. Empirische
Studien belegen erhebliche Informations- und Ausbildungsdefizite selbst in den Berufen, deren täglich Brot
eigentlich die Technikanwendung und Energieeinsparung sein müßte. Kampagnen wie „Solar - na klar“ erlauben das Bündeln von Zuständigkeiten und Aktivitäten.
Wir werden diesen erfolgreichen Ansatz im kommenden Jahr im Bereich des rationellen und sparsamen
Energieeinsatzes in Haushalten und im Kleinverbrauch
gemeinsam mit den betroffenen Akteuren fortführen.
Deshalb sind Aktivitäten im Rahmen auch und gerade
der kommunalen Agenda 21 von zentraler Bedeutung.
({17})
Ich glaube, man sollte diese Aktivitäten in keiner Weise
unterschätzen. Wenn sich in Deutschland 500 Städte und
Kreise - das ist nicht nur die kommunale Politik, sondern das sind alle gesellschaftlichen Kräfte, Unternehmen, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen - in solchen
Prozessen zusammenfinden, wenn dabei für die jeweilige Stadt Pro-Kopf-CO2-Reduktionsziele definiert werden und wenn man sie zu erreichen versucht - beispielsweise hier in Berlin in Höhe von 25 Prozent; in
Bremen versucht man, glaube ich, sogar, 30 Prozent zu
schaffen -, dann zeigt dies eines: Erstens. Es gibt eine
Bereitschaft der Bevölkerung, sich aktiv für den Klimaschutz zu engagieren. Zweitens. Die Lehre für uns ist:
Es wird keinen Klimaschutz ohne Einbeziehung der Gesellschaft geben. Der Klimaschutz kann keine rein staatliche Veranstaltung sein.
({18})
Eines ist nirgendwo in der Umweltpolitik so wahr wie
in diesem Bereich: Wir können in der Frage des Klimaschutzes die europäische und globale Dimension gar
nicht stark genug betonen. Dies wird beispielsweise bei
der Liberalisierung der Märkte für leitungsgebundene
Energien deutlich. Unabgestimmte Aktionen können
hier leicht auch kontraproduktiv enden. Was hilft uns
zum Beispiel ein deutlicher Rückgang nationaler Treibhausgasemissionen, wenn der Grund für diesen Rückgang darin besteht, daß schlicht und ergreifend Produktionen in Nachbarstaaten abwandern und dort zu sehr
viel schlechteren Konditionen stattfinden?
Die Antwort kann nur lauten: Tue Gutes und sorge
dafür, daß auch deine Nachbarn so handeln. Deswegen
bin ich froh darüber, daß auf der Vertragstaatenkonferenz in Bonn gerade die Staaten der Europäischen Gemeinschaft ein großes Maß an Geschlossenheit an den
Tag gelegt haben. Dies hat uns von anderen Ländergruppen wohltuend unterschieden. Wir haben - durchaus auch mit einem gewissen Vergnügen - beobachtet,
daß innerhalb der Gruppe, die unter dem Namen „Umbrella“ bekannt ist, erhebliche Meinungsunterschiede
über die Ratifizierung bestehen. Aber wir haben auch
beobachten können, daß man sich auf ein konstruktives
Ergebnis hin bewegt.
Im Klimaschutz geht es oft um das, was wir auf Neudeutsch „win-win-options“ nennen. Hierzu nur ein einfaches Beispiel: Die Einführung eines Energiemanagements in Liegenschaften der Stuttgarter Stadtverwaltung
hat im Ergebnis dazu geführt, daß mit dem Einsatz von
1 DM Investitionsausgaben 5 DM Energiekosten pro
Jahr eingespart wurden. Auf diese Weise wird Umweltund Klimaschutz zum Selbstläufer. In diesem Zusammenhang möchte ich die Worte zitieren, die der Bundeskanzler bei der Eröffnung der 5. Vertragsstaatenkonferenz an die Vertreter von 173 Staaten richtete:
Ob eine technisch spektakuläre oder bloß schrittweise Innovation: Hier
- im Klimaschutz liegen die Märkte der Zukunft. Sie bieten nicht nur
Chancen für den Schutz unserer Umwelt, sondern
auch für den Erhalt und die Schaffung von modernen Arbeitsplätzen. Jeder, der politische Verantwortung trägt, sollte sich daher vor Augen führen:
Wer beim Klimaschutz bremst oder auch nur auf
der Stelle tritt, wird in nur wenigen Jahren den Anschluß an die wichtigsten Märkte des nächsten
Jahrhunderts verpassen.
({19})
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin spricht für die CDU/CSUFraktion die Kollegin Frau Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Bundesumweltminister
hat uns heute dargelegt, wie sich Deutschland in den
Prozeß des Klimaschutzes einläßt. Er hat lobend erwähnt, daß Deutschland weiter eine Vorreiterrolle spielen wird. Er hat dies auch öffentlich erklärt. Heute hat er
hier sehr wenig über die Ergebnisse der Klimakonferenz
in Bonn gesagt. Davon bin ich - ehrlich gesagt - ein
bißchen enttäuscht. Des weiteren hat er erklärt, daß er
den nächsten Konferenzen mit verhaltenem Optimismus
entgegensehe und daß die Fragen, die in Bonn zu klären
waren - dies habe ich allerdings mehr seinen öffentlichen Äußerungen entnommen -, auch geklärt wurden.
Ich habe mich gefragt, mit welcher Art von Kommentaren mich die Opposition bedacht hätte, wenn ich
als damalige Bundesumweltministerin einen solchen Bericht wie Herr Trittin abgegeben hätte.
({0})
Da wäre mit Sicherheit an vielen Stellen von Versagen,
von „dieses oder jenes nicht schaffen“, von Verheddern
und vor allen Dingen von einer unglaubwürdigen Haltung der Bundesrepublik Deutschland die Rede gewesen. Ich sage ausdrücklich, daß ich das hier nicht machen will, weil ich die Dinge kenne, weil ich weiß, wie
schwierig diese Verhandlungsprozesse sind. Ich hätte
mir allerdings schon gewünscht, Herr Trittin, daß Sie
vielleicht einmal gesagt hätten, daß die Konferenzen von
Berlin und von Kioto immerhin einen Rahmen gesetzt
haben, auf dem sich aufbauen läßt, auf dem sich weiter
verhandeln läßt. Diese Konferenzen haben den Optimismus, den Sie jetzt haben, überhaupt erst möglich
gemacht.
({1})
Auch das gehört zur Kontinuität.
Ich hatte den Eindruck, daß sich der Herr Bundeskanzler in dieser Woche mehr um die Vermarktung des
Transrapids kümmert als um dieses Thema oder etwa
um die Fortschritte bei der Gesundheitsreform. Aber das
ist bei dieser Bundesregierung eben so.
({2})
- Nun regen Sie sich doch nicht so auf!
({3})
Es ist eine Geschmacksfrage, ob man in so wichtigen
Parlamentswochen ganze Wochen lang internationale
Reisen macht.
({4})
Ich sage das hier ganz nüchtern. Der Bundeskanzler war
zumindest froh, sich bei der Klimakonferenz in Bonn
auf ein Erbe der vergangenen Bundesregierung berufen
zu können, das ihn in die Lage versetzt hat, dort eine einigermaßen erträgliche Rede zu halten.
({5})
Begleitend zu dem, was jetzt bis zur Konferenz in
Den Haag ansteht - denn dort kommt es ja an vielen
Stellen zum Schwur und zu der Frage, ob das Protokoll
im Jahre 2002 wirklich ratifiziert werden kann -, möchte
ich nur folgende Hinweise geben.
Ich glaube, daß es seitens der Europäischen Union
und vor allem seitens der Bundesrepublik Deutschland,
die hier Motor sein muß, ganz wichtig ist, Vorarbeiten
mit ausreichender Kraftanstrengung zu leisten, und zwar
in verschiedenen Richtungen. Das gilt einmal im Verhältnis zu den Entwicklungsländern. Es hat sich immer bewährt, wenn Deutschland und die Europäische
Union im Verhältnis zu den Entwicklungsländern ein
gutes Klima aufgebaut haben. Es gilt zweitens für die
strategisch ja nicht uninteressante Frage - Herr Trittin
hat soeben von den Umbrella-Ländern gesprochen; da
sind ja sehr verschiedene Länder vereinigt -, wie man
sich zu den USA und zu Rußland in der Frage der Klimastrategie einläßt. Denn davon wird abhängen, ob das
Protokoll ratifiziert werden kann.
Ich kann nur sagen: Machen Sie als Bundesregierung
eine Gesamtanstrengung! Lassen Sie auch den Bundesaußenminister, den Bundeskanzler und die Entwicklungshilfeministerin in einer gemeinsamen Anstrengung
hierfür arbeiten. Ich muß Ihnen aber ganz ehrlich sagen:
Das habe ich im letzten Jahr an vielen Stellen vermißt.
({6})
Die Einschnitte, die Sie im Entwicklungshilfeetat
vornehmen, werden der Glaubwürdigkeit Deutschlands
gerade bei der Armutsbekämpfung und bei den Umweltprogrammen, die ja zu einem großen Teil im Entwicklungshilfeetat stattfinden, absolut schaden.
({7})
Wenn Sie heute behaupten - diese Bemerkung hätte ich
mir verkniffen -, daß die Mittel in den Entwicklungshilfeprojekten nicht effizient eingesetzt worden seien und
deshalb jetzt gestrichen werden müßten, dann erklären
Sie das bitte den Entwicklungshilfeorganisationen und
sagen Sie das nicht nur hier im Parlament.
({8})
Man kann ja manches über die Notwendigkeit einer
soliden Finanzpolitik sagen. Ob man das aber nun sozusagen am Entwicklungshilfehaushalt austoben muß, das
ist nicht nur meine Frage, sondern auch meine Kritik.
Ich hätte es nicht getan. Aber daß Sie sich jetzt, wenn es
so kommt, auch noch hier hinsetzen und sagen, das sei
alles nur deshalb so, weil die Projekte nicht effizient seien, das würde ich außerhalb dieses Parlaments lieber
nicht wiederholen.
({9})
Das Verhältnis zu Rußland ist wichtig, das Verhältnis
zu den Entwicklungsländern ist wichtig, und zunehmend
wichtig werden wird eine Verzahnung der gesamten internationalen Politik, wie es die Agenda 21 vorgeschrieben hat.
Ich bin sehr froh, daß Deutschland insbesondere bei
den Verhandlungen einer Organisation, die ich in den
nächsten Jahren für strategisch absolut wichtig halte,
nämlich bei den Verhandlungen in der Welthandelsorganisation, weiter darauf drängt, wie auch wir es getan
haben, Umweltstandards und Sozialstandards in die Fragen des freien Handels mit hineinzunehmen. Das ist von
absoluter Bedeutung.
({10})
- Herr Rexrodt hat das genauso getan, wie es jetzt gemacht wird, und wenn Herr Müller das weiterhin so
schön macht, kommen wir auch voran. Das ist nämlich
eine extrem schwierige Frage. Wir müssen verhindern,
daß der Rio-Prozeß und der Prozeß der Entwicklung der
Welthandelsorganisation weiter auseinandergehen oder
daß es eine Inkompatibilität der Umweltabkommen im
Bereich der UNO und der Welthandelsabkommen gibt.
Das ist ein schwieriges, aber strategisch existentielles
Feld für die Weiterentwicklung einer ökologischen und
sozialen Marktwirtschaft.
Meine Damen und Herren, nun stellt sich die Frage:
Wie wollen wir das national umsetzen? Da muß ich der
Bundesregierung schon einige Vorwürfe machen. Herr
Trittin, wenn Sie im vergangenen Jahr mehr über die
Notwendigkeit der Bekämpfung internationaler Klimarisiken und weniger über die Abschaltung von ein oder
zwei Kernkraftwerken in diesem Land - darüber reden
Sie immer mit viel Wärme, Liebe und Vehemenz - gesprochen hätten, dann wäre dem Klimaschutz insgesamt
mehr gedient gewesen.
({11})
Ich glaube, daß eines der großen Probleme dieser
Bundesregierung - das zeigt sich auch im Bereich der
Umweltpolitik - darin besteht, daß sie die unwichtigsten
Dinge falsch und hektisch zuerst gemacht hat und sich
die wichtigsten für das Ende der Legislaturperiode aufhebt.
({12})
Das trifft für die 630-Mark-Jobs und die Scheinselbständigkeit ebenso zu wie für die Umweltpolitik.
Der Bundeskanzler hat gesagt, wer irgendwo aussteigt, muß auch wissen, wo er einsteigt. Sie machen es
aber genau umgekehrt: Sie reden über den Ausstieg der soll möglichst am Ende dieses Jahres geklärt sein -,
um Mitte des nächsten Jahres zu sehen, wie Sie Ihre
Energieeinsparungen in einem Maßnahmebündel wirklich weiter voranbringen können.
Sie - und nicht wir - haben den Wahlkampf mit dem
Slogan geführt: Wir sind bereit. Wenn Sie uns jetzt im
Sommer 2000 endlich sagen wollen, wie Sie Ihre Klimaschutzstrategien weiterentwickeln wollen, dann ist das,
so finde ich, eine tolle Sache. Dann ist nämlich die
Hälfte der Legislaturperiode vorbei. Das muß man erst
einmal festhalten.
({13})
Deshalb sage ich: Ein Viertel der Zeit ist bereits vergangen, und Sie haben keine Energieeinsparverordnung
vorgelegt, obwohl man bei Ihnen, Herr Müller - ich erinnere mich genau -, immer den Eindruck hatte, das
gehe im Handumdrehen. Sie haben wahrscheinlich fünf
Entwürfe in der Tasche. Ich weiß nur nicht, ob die bei
Herrn Mosdorf oder Herrn Müller auf soviel Begeisterung stoßen werden, wie das damals bei den Anträgen
der Opposition war.
({14})
Es fehlen einfach die richtigen Instrumente.
Heute ist die Ökosteuer genannt worden. Wenn ich
die Haushaltsansätze richtig im Kopf habe, dann verspricht man sich bis zum Jahre 2005 an Lenkungswirkung von dieser Ökosteuer vergleichsweise wenig bis
gar nichts; denn die Einnahmen sind beim Bundesfinanzminister als relativ konstant verbucht. Das heißt,
sollte die Ökosteuer irgend etwas mit der Masse der
CO2-Ausstöße zu tun haben, dann kann an den Einnahmen des Bundesfinanzministers nicht ersehen werden,
daß mit einer Verringerung der CO2-Ausstöße zu rechnen ist. Darüber müßten wir uns unter rein mathematischen Gesichtspunkten einig sein.
({15})
In Deutschland spitzt sich nun die Diskussion - auch
die in Ihrer Koalition - spannenderweise auf die Frage
zu: Wie kann man bei der mit keiner Lenkungswirkung
versehenen Ökosteuer wenigstens schädliche Prozesse
durch Ausnahmen wieder abfangen? Daß Sie darüber
tagelang verhandelt haben, ist eine ganz neue Qualität
von Verhandlungen. Sie müssen jetzt sehen, daß das,
was falsch war, durch Herausnahme bestimmter Punkte
wieder weniger falsch wird. Das ist vielleicht für die Insider spannend, aber ich kann nur sagen: Das sollte eigentlich nicht die Begleitmusik zu einer Ökosteuer sein.
Ich weiß nicht, ob Sie es sich so gedacht haben; ich hätte
mir das nicht so gedacht.
Das alles ist natürlich nur Ausdruck der Tatsache, daß
Sie jetzt von dem, was Sie selber in Ihre Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben haben, nämlich daß die
nächsten Stufen der Ökosteuer nur in einem europäischen Prozeß umgesetzt werden können - Herr Trittin
hat heute warmherzige Worte dafür gefunden, daß es
keinen Sinn macht, wenn bestimmte CO2-ausstoßende
Projekte ins Ausland abwandern -, völlig überstürzt abgewichen sind, um alles national zu regeln. Das ist das
Produkt, und nun müssen Sie sich tagelang damit herumstreiten, ob 57 Prozent oder 58 Prozent Wirkungsgrad die Bedingung dafür ist, daß man eine Ausnahme
bei den Gaskraftwerken moderner Bauart festlegen
kann.
Vielleicht ist das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen, sich bei 57,5 Prozent zu treffen, ein guter Hinweis
darauf, wie man in Zukunft internationale Verhandlungen führen kann. Das scheint mir ein Höchstmaß an Diplomatie zu sein. Ich hoffe, es hat auch etwas mit den
technischen Gegebenheiten zu tun. Herzlichen Glückwunsch, daß Sie diese Ausnahmeregelung hinbekommen haben!
Meine Damen und Herren, wir sind froh - ich sage
das ausdrücklich -, daß das von uns festgelegte Ziel, die
Verdoppelung der regenerativen Energien bis zum
Jahr 2010 zu erreichen, auch bei Ihnen im Programm
steht. Ich bin besonders froh, daß Sie inzwischen sagen
können, daß das Stromeinspeisungsgesetz dazu ein
ganz wesentliches Instrument ist. Es liegt in der Natur
der Sache, daß es weiterentwickelt werden muß. Wir
sind gerne bereit, bei dieser Weiterentwicklung in sinnvoller Art und Weise mitzudiskutieren und mitzumachen.
Ich bin erstaunt, mit welcher Warmherzigkeit Sie
heute über Maßnahmebündel, die notwendig sind, um
die CO2-Emissionen in Deutschland zu senken, sprechen können. Ich freue mich, daß Sie eingesehen haben
- Frau Hustedt hat dafür ziemlich lange gebraucht und
war, zumindest in der vergangenen Legislaturperiode,
dazu nicht in der Lage -,
({16})
daß es nötig ist, ein gutes Wort für die Selbstverpflichtungen der deutschen Wirtschaft einzulegen und diese
als ein mögliches Instrument darzustellen. Auch an diesem Punkt des Prozesses werden wir Sie gern vernünftig
weiter beraten.
Ich freue mich, daß Sie inzwischen bessere Worte
über die Erfolge der deutschen Einheit finden und auch
hier den Anteil der Wirtschaft in hervorragender Weise
loben können.
({17})
Auch das ist ein Erkenntniszugewinn Ihrerseits.
Ich würde mir noch wünschen, daß Sie auch darüber
sprechen, welche zähen und harten Verhandlungen wir
mit der deutschen Automobilindustrie zur Reduktion
von Kraftstoff geführt haben.
({18})
Ich weiß nicht, ob das unter einem Bundeskanzler
Schröder genauso funktionieren würde, wie es unter
Bundeskanzler Kohl funktioniert hat. Denn Schröder als
Autofreund hätte hier wahrscheinlich eine Menge
Schwierigkeiten.
Ich weiß nicht, ob Sie uns nächstes Jahr erzählen
werden, wie schön es wäre, wenn ein Land wie China
den Transrapid kaufen würde, da das ein umweltverträgliches Verkehrsmittel sei. Dieser Erkenntniszugewinn muß noch stattfinden. Wir freuen uns alle sehr, daß
China Interesse am Transrapid hat. Wir würden uns
noch mehr freuen, wenn Sie sich dafür einsetzen würden, daß in Deutschland endlich eine anständige Referenzstrecke gebaut wird.
({19})
Ich glaube im übrigen auch, daß es von ausschlaggebender Bedeutung ist, daß wir im privaten Bereich eine
weitere Reduktion der CO2-Emissionen hinbekommen.
Ich will darauf hinweisen, daß wir, was Wärmedämmungsmaßnahmen im Altbaubestand und die Installierung neuer Heizungsanlagen anbelangt, ganz effiziente
Dinge gemacht haben, die jetzt in der Kreditanstalt für
Wiederaufbau fortgeführt werden müssen. All dies hat
eine viel schnellere und bessere Lenkungswirkung als
jede Art von Ökosteuer, wie Sie sie jetzt eingeführt haben.
({20})
Es ist in der Tat wichtig, daß wir es schaffen, in unserer Gesellschaft ein Klima herzustellen, in dem die Menschen verstehen, welches die prioritären Projekte und
Ansätze sind. Ich denke, daß wir eine schwierige Situation bezüglich der Wichtigkeit und des Stellenwertes der
Umweltpolitik haben, und zwar auf Grund der Tatsache,
daß die Menschen spüren, daß die gesamte soziale
Marktwirtschaft in einer Umbruchphase ist, und daß sie
denken, daß die augenblicklichen Bedrängungen und
Bedrohungen durch die Umweltschäden nicht so gravierend sind, daß schon jetzt die Bedeutung erkannt würde,
die sie langfristig haben werden. Sie haben uns das zu
Beginn der Debatte an Hand der Wirbelstürme dargestellt.
Aber gerade deshalb käme es wirklich darauf an, daß
wir uns in einem breiten Konsens auf die wirklichen
Probleme konzentrieren, statt immer wieder Schattenkämpfe darüber zu führen, ob nun zuerst Stade oder ein
anderes Kraftwerk abgeschaltet wird. Ich glaube, was
Sie in der Kernenergiepolitik sozusagen als Trophäe
eines Restbestandes von ideologisierter Umweltpolitik
in diesem ersten Regierungsjahr präsentiert haben, hat in
der Umweltpolitik soviel Schaden angerichtet, wie Sie
lange nicht wieder werden gutmachen können, wenn Sie
noch mehr solche Reden halten wie heute.
({21})
Deshalb kann ich nur sagen: Verstärken Sie Ihre Anstrengungen, mit den Menschen in diesem Lande über
lokale Agenden 21 zu sprechen. Verstärken Sie Ihre Anstrengungen, mit den Menschen darüber zu sprechen,
was nachhaltige Entwicklung meint. Verstärken Sie Ihre
Anstrengungen, mit den Menschen darüber zu reden,
wie soziale und ökologische Anliegen mit der Wirtschaft
gemeinsam durchgesetzt werden können. Das ist die
einzige Möglichkeit, die Menschen davon zu überzeugen, daß Umwelt auch in Zukunft eine große Rolle
spielt.
Ich sage Ihnen nochmals: Auch dies muß man an bestimmten Taten sehen. Deshalb muß ich kritisieren, daß
alles, was Sie im Entwicklungshilfebereich machen, in
Deutschland eher populistisch anmutet - weil die Leute
sagen: Na klar, wir haben soviel Probleme, daß wir uns
um den Rest der Welt nicht zu kümmern brauchen -, als
daß es ein Signal in die richtige Richtung wäre. Da müssen Sie, besonders der Umweltminister, aufstehen und
dem Bundeskanzler klar Ihre Meinung sagen, der im
Moment ja sowieso auf dem Trip ist, nicht mehr zu sagen: „mehr Fischer und weniger Trittin“, sondern:
„mehr Trittin und weniger Fischer“. Insofern sind die
Chancen des Umweltministers gestiegen.
({22})
Also: Mund auf und ein klares Bekenntnis zu einer
internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik, die
mit der Wirtschaftspolitik verzahnt sein muß! Dieses
gemeinsame Konzept habe ich bei der Bundesregierung
im ersten Jahr vermißt. Vielleicht wird es besser. Wir
werden dafür kämpfen.
({23})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Dr. Uschi Eid.
Frau
Kollegin Merkel, Ihre Argumentation im Hinblick auf
die Kürzungen des Entwicklungsetats halte ich für
- vornehm ausgedrückt - nicht ganz redlich und hake sie
unter Parteipolemik ab.
({0})
Die alte Regierung hat den Entwicklungsetat wie
einen Steinbruch benutzt, um andere Bereiche zu finanzieren. Während Sie die öffentlichen Ausgaben in anderen Bereichen erhöht haben, wurden die Ausgaben im
Entwicklungsetat reduziert. Sie haben ihn von 1982 an
als Steinbruch benutzt, als noch 0,48 Prozent des Bruttosozialproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit
ausgegeben wurden. Dies wurde bis zum Jahre 1998 auf
0,26 Prozent reduziert.
Bitte nehmen Sie zur Kenntnis: Die neue Bundesregierung arbeitet daran, den Anteil der klimafreundlichen
Maßnahmen im Rahmen der entwicklungspolitischen
Zusammenarbeit weiter zu erhöhen. Bereits in diesem
Jahr haben wir im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit allein bei den erneuerbaren Energien ein Zusagevolumen von 200 Millionen DM vorgesehen. Das sind
25 Prozent mehr als in den vergangenen Jahren. Beim
Tropenwaldschutz werden wir mit fast 250 Millionen
DM das hohe Niveau der Vorjahre halten. Bitte nehmen
Sie dies zur Kenntnis, und behaupten Sie nicht das Gegenteil.
({1})
Zu einer Erwiderung Frau Angela Merkel.
Frau Kollegin, ich
weiß nicht, was Sie dazu treibt, die wirklich beschämenden Zahlen im Entwicklungshilfebereich immer wieder
schönzureden. Ich bin verwundert. Wenn Sie damit Erfolg haben, herzlichen Glückwunsch! Außerhalb dieses
Hauses überzeugt es niemanden und innerhalb dieses
Hauses wahrscheinlich die allerwenigsten.
Daß der Anteil der Entwicklungshilfeausgaben gesunken ist, hat - auch das müssen Sie zugeben - etwas
damit zu tun, daß die deutsche Einheit stattgefunden,
sich die Weltlage verändert hat und die Bundesrepublik
Deutschland neben den klassischen Entwicklungshilfeaufgaben - auch das weiß man in Ihrem Hause sehr gut
- in Mittel- und Osteuropa sehr viel geleistet hat, was
einem ähnlichen Zweck dient, nämlich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft Probleme zu lösen. Wenn wir
diese Ausgaben und die Entwicklungshilfeausgaben addieren, dann erkennen Sie, wie die Ausgabenentwicklung wirklich war.
({0})
Ferner sollten Sie einmal den Prozentsatz der Entwicklungshilfeausgaben im Jahre 2003 im Rahmen der
mittelfristigen Finanzplanung von Herrn Eichel ausrechnen. Dann werden Sie, selbst wenn Sie die für Rußland
und Osteuropa vorgesehenen Mittel hinzuaddieren, auf
klägliche Zahlen kommen. Ich bleibe dabei - ich muß
das hier wiederholen -: Wenn Sie für die Armutsbekämpfung 35 Prozent weniger und im Bereich der Umweltprojekte 25 Prozent weniger ausgeben, dann ist das
ein Signal in die falsche Richtung. Ihre Ministerin weiß
das im übrigen ganz genau. Die ist nämlich weniger
stolz als Sie auf diese Haushaltsentwicklung.
({1})
Das Wort in der
Aussprache hat nunmehr der Kollege Michael Müller,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In der 12. und 13. Legislaturperiode hat die Enquete-Kommission „Schutz der
Erdatmosphäre“ eine sehr gute Arbeit geleistet. Damit
haben wir international viel Anerkennung gefunden. Wir
haben im Bundestag Vorgaben gemacht, die sich sehen
lassen können. Wir werden mit diesen Vorgaben der Anforderung an ein Industrieland gerecht, globale Verantwortung und Zukunftsverantwortung zu übernehmen.
Das muß unser Maßstab sein. An diesem Maßstab werden wir unsere Politik orientieren; so schwierig das im
einzelnen auch ist.
({0})
Es ist uns klar: Das Thema Klimaschutz ist eine
Menschheitsherausforderung. Wir wissen, daß wir die
Klimaprobleme nur global lösen können. Wir wissen
aber auch, daß dies ohne nationale Vorreiterrollen auf
globaler Ebene nicht möglich sein wird. Der Zusammenhang, um den es hier geht, ist, daß diejenigen Länder, die industriell stärker sind, vorangehen müssen,
zum einen, weil sie mehr technische und finanzielle
Möglichkeiten haben, zum anderen aber auch deshalb,
weil sie die Hauptverursacher der heutigen Problemlage
sind. Das heißt, wir haben eine doppelte Verantwortung,
zum einen auf Grund unserer Altlasten und zum anderen, weil es nur wenige Länder gibt, die eine Vorreiterrolle einnehmen können. Daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung für uns, der wir uns auch stellen.
Meine Damen und Herren, angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre kann man den Aussagen von
Bob Watson, dem Generaldirektor beim IPCC, nur zustimmen: Die Trends haben sich verstärkt, es gibt keinen
Grund zur Entwarnung vor drohenden Klimaveränderungen. Im Gegenteil - das hat auch Professor Hasselmann vom Max-Planck-Institut in Hamburg gesagt -:
Heute liegt die Wahrscheinlichkeit schwerwiegender
Klimaänderungen bei 95 Prozent. Mit anderen Worten:
Wir müssen jetzt handeln, weil wir nur so unserer Verantwortung gerecht werden können.
({1})
Eine zweite Bemerkung: Aus meiner Sicht haben wir
nur die Wahl, sofort zu handeln. Je länger wir nämlich
warten, desto einschneidender, gravierender und problematischer werden die Einschnitte sein müsse. Dann
wird es sich nicht mehr „nur“ um ein ökologisches und
ökonomisches Problem handeln, sondern es wird auch
zu einem Problem für die Akzeptanz der Demokratie
und für ein friedliches Zusammenleben.
({2})
Wir müssen deshalb heute handeln, um dem Grundsatz,
daß Zukunftsvorsorge Bestandteil verantwortungsvoller
Politik sein muß, gerecht zu werden.
Ich möchte vier Fakten nennen, die mir große Sorgen
machen:
Erster Punkt: In der Klimaforschung wird ein globaler Temperaturanstieg von 1,5 Grad als eben noch
verkraftbare Obergrenze genannt.
({3})
Im Augenblick haben wir die Situation, daß wir in wenigen Jahrzehnten deutlich über diesen 1,5 Grad liegen
könnten. Die Situation ist sehr alarmierend.
Ein zweiter Punkt verschärft diese Problematik noch,
denn Klimaänderungen haben einen zeitlichen Vorlauf
von vier bis fünf Jahrzehnten. Mit anderen Worten: Die
Emissionen der letzten Jahre, die zu Veränderungen im
Klimasystem der Erde führen, haben sich in dem jetzt
festgestellten Temperaturanstieg noch gar nicht niedergeschlagen. Ein Teil der Erwärmung ist damit gar nicht
mehr zu korrigieren, sondern kann höchstens noch verlangsamt werden. Das ist der zweite wesentliche Grund
für die Notwendigkeit, schnell zu handeln.
Der dritte Punkt ist, daß man die Klimaprobleme vor
dem Hintergrund einer Welt mit ungleichem Entwicklungsstand und hohem Bevölkerungswachstum sehen
muß. Die Industriestaaten, deren Anteil an der Weltbevölkerung nur 23 Prozent beträgt, sind für ungefähr drei
Viertel der globalen Umweltprobleme verantwortlich.
Damit die von den Entwicklungsländern nachzuholende
Industrialisierung umweltverträglich verläuft, müssen erstens die Industriestaaten ihre Emissionen drastisch reduzieren, und zweitens müssen den Entwicklungs- und
Schwellenländern technische und ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden, die im Einklang mit
der Natur stehen. Sonst haben alle keine Chance, dieser
sich in Zukunft zuspitzenden Probleme Herr zu werden.
({4})
Ein vierter Faktor ist auch wesentlich: Es herrscht ein
hohes Maß an Unwissenheit über die mit den Klimaänderungen zusammenhängenden Wirkungen. Wir wissen
nicht, ob es beispielsweise Kumulationspunkte gibt, bei
denen sich die Klimaänderungen rapide zuspitzen. Ein
solches Phänomen hatten wir beim Ozonabbau. Hier
hatte sich das Problem von einem Jahr auf das andere
exponentiell vergrößert. Diese Entwicklung kann auch
im Klimabereich eintreten. Wir haben beispielsweise nur
ein begrenztes Wissen davon, welche Wechselbeziehungen es zwischen globaler Veränderung und Erwärmung
der Meeresschichten gibt und ob der hochwirksame
Wasserdampf die Erwärmungen massiv verstärkt. Von
daher muß Vorsorge getroffen werden.
Diese vier Punkte machen es notwendig, heute konsequent zu handeln, gerade in den Industriestaaten.
Hans-Peter Dürr drückt das so aus, daß die Industriezivilisation ihren Naturtresor knackt. Er macht das an
Hand von sogenannten Energiesklaven deutlich: Ein
Mitteleuropäer nutzt durch seine Lebens- und Wirtschaftsweise heute faktisch 60 Energiesklaven für sich,
ein Amerikaner 110, ein Chinese 8, ein Bewohner von
Bangladesch nicht einmal 1. Die globale Tragfähigkeit
der Erde liegt bei etwa 100 Milliarden Energiesklaven.
Wenn wir den Lebens- und Wirtschaftsstil der Vereinigten Staaten zum Maßstab nehmen würden, lägen wir
heute schon deutlich über der Tragfähigkeit der Erde.
Ich will auf die Konsequenzen aufmerksam machen: Es
ist, Frau Merkel, schlicht eine Illusion zu glauben - so
wichtig das im einzelnen ist -, daß man die Klimaprobleme allein durch Ökonomie, Technik und Wachstum
lösen könnte. Im Gegenteil, wir stehen vor Herausforderungen, die sehr viel tiefer greifen. Diesen Punkt, so
scheint mir, haben Sie bis heute nicht begriffen.
Es geht nicht um die Alternative Atomenergie oder
andere Energieträger. Es geht vielmehr um die radikale
Weichenstellung zugunsten von Einsparung und drastischer Reduktion der Energie- und Ressourcenflüsse. Das
ist die eigentliche Herausforderung.
({5})
Es geht also nicht um ein Austauschprogramm, sondern
um ein Reduktionsprogramm. Und das ist eine sehr viel
weitergehende Herausforderung.
Wir sollten uns nichts vormachen und glauben, wir
könnten alle Probleme mit der Wunderwaffe Technik lösen. So wichtig Technik auch ist - das ist gar keine Frage -, ist Technik immer nur ein Instrument, welches
daran gemessen werden muß, ob und wie man damit die
Ziele erreichen kann.
({6})
Die SPD begrüßt die Aktivitäten des Bundesumweltministers; sie begrüßt auch die Ankündigung des Bundeskanzlers, das Kioto-Abkommen schnell zu ratifizieren. Wir werden als Koalitionsfraktionen alles tun, um
dieses Ziel zu unterstützen und zu fördern.
Wir unterstützen auch, Herr Umweltminister, Ihre
Aussagen zu den flexiblen Maßnahmen. Für uns ist völlig klar: Es darf kein Herausmauscheln aus den nationalen Verpflichtungen und kein Wegdrücken der eigenen
Verantwortung geben. Das Schönrechnen einiger Länder
werden wir nicht mitmachen. Jeder, vor allem die Industrieländer, muß seine Pflicht erfüllen, um den globalen
Zielen zu entsprechen.
({7})
Wir sehen in der Klimafrage nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine große Chance, den Modernisierungsprozeß in unserem Land, in Europa und im Sinne
einer Eine-Welt-Politik voranzutreiben. Das letzte Ziel
kommt mir ein wenig zu kurz. Klimaschutzpolitik ist
nicht nur nationale Modernisierungsstrategie und nicht
nur nationales Handeln, sondern auch eine gewaltige
Chance für eine Eine-Welt-Politik. Wir befinden uns
durch die Informationstechnologie in einer Situation, in
der Maßnahmen hinsichtlich der Verantwortungsethik
und Verantwortungskultur zwischen Industriestaaten
und Entwicklungsländern, von denen wir immer reden,
praktisch umgesetzt werden können. Darin liegt eine
Chance für eine neue Weltinnenpolitik, die wir nutzen
wollen.
National will ich einige Anmerkungen machen.
Wir haben im Moment eine bundesdeutsche CO2Reduktion von etwa 12 bis 13 Prozent. Wir wissen, daß
dieser erste Reduktionsschritt unter sehr günstigen Voraussetzungen stattfand. Die Reduktion auf minus
25 Prozent wird sehr viel schwieriger werden, weil dazu
eine aktive Energiepolitik erforderlich ist. Diesen Prozeß
allein den Märkten zu überlassen wird nicht funktionieren. Man muß herausstellen: Klimaschutz erfordert eine
aktive Energiepolitik.
({8})
Wenn wir den Trend beobachten, werden wir feststellen, daß wir zwar den heutigen Anteil auf vielleicht
minus 17 Prozent erhöhen können. Wir werden aber die
Reduktion um 25 Prozent so nicht erreichen. Deshalb
will ich ein paar Punkte nennen, die unverzichtbar sind.
Erster Punkt. Bei der Sicherung der Kraft-WärmeKopplung kann es nicht nur darum gehen, den heutigen
Michael Müller ({9})
Anteil zu sichern. Wir müssen ihn, um das Klimaschutzziel zu erreichen, in den nächsten 10 Jahren verdoppeln.
({10})
In der aktuellen Diskussion über Kraft-WärmeKopplung geht es uns nicht nur darum, die Schwierigkeiten für einzelne KWK-Anlagen zu beseitigen. Das ist
nur ein Teil der Strategie. Es geht uns sehr viel mehr
darum, der Kraft-Wärme-Kopplung eine Zukunfts- und
Ausbauperspektive zu eröffnen.
({11})
Zweiter Punkt. Das Wachstum der Energieeffizienz
liegt in der Bundesrepublik bei nur 1,7 Prozent. Vor dem
Hintergrund des Einsparpotentials und der technologischen Möglichkeiten kann die Energieeffizienz deutlich
gesteigert werden. Wir halten es für möglich, sie auf
über 3 Prozent zu steigern. Diese Steigerung der Energieeffizienz wäre ein wesentlicher Beitrag, um die Energieströme zu reduzieren und um Klimaschutz und
Atomausstieg miteinander zu verbinden. Diese Steigerung der Energieeffizienz ist nur zu erreichen, wenn wir
heute in der Energiepolitik von den großstrukturellen
Angeboten der reinen Stromverkäufer zu mehr ökologischen Dienstleistungen auf der Nachfrageseite kommen.
Wir müssen uns also auf die Strategie zu Vermeidung
von Energieverbrauch konzentrieren.
({12})
Dritter Punkt. Wir wollen den Anteil der regenerativen Energien deutlich erhöhen. Es ist ein schwaches
Bild für ein Industrieland wie die Bundesrepublik, wenn
in unserem Land der Anteil der regenerativen Energien
an der Endenergie bei nur 2,3 Prozent liegt. Dieser Anteil muß und kann deutlich gesteigert werden. Dazu haben wir erste Schritte unternommen.
Vierter Punkt: ökologische Steuerreform. Ich hätte
es gut gefunden, Frau Merkel, wenn Sie gesagt hätten,
daß die internationalen Wirtschaftsinstitute auf den Klimakonferenzen die Bundesrepublik wegen ihrer ökologischen Steuerreform zwar nicht im Detail, aber im
Grundsatz loben. Sie sagen zu Recht, daß es sich dabei
um einen wichtigen Beitrag für eine internationale Klimaschutzpolitik handelt.
({13})
Warum haben Sie das nicht erwähnt? Warum sind Sie in
Ihren Aussagen so selektiv?
Ich höre mit einer Bitte an die Bundesregierung auf:
Klimaschutzpolitik ist nicht nur globale Verantwortung,
ist nicht nur Ökologie. Sie ist auch eine Chance für Innovation und mehr Beschäftigung. Lassen Sie uns den
Klimaschutz zu einem wichtigen Teil im Bündnis für
Arbeit und Umwelt machen!
Vielen Dank.
({14})
Für die F.D.P.
spricht die Kollegin Birgit Homburger.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst
einmal an Sie wenden, Herr Bundesumweltminister. Die
5. Vertragsstaatenkonferenz in Bonn tagt ja noch. Die
Ergebnisse stehen formal noch nicht fest. Einen solchen
Vorgang habe ich bisher nicht erlebt: Wenn man sich
über die Ergebnisse einer Vertragsstaatenkonferenz und
die zukünftigen Perspektiven unterhalten will, dann
kann man nicht an deren letzten Tag eine Debatte darüber im Plenum des Deutschen Bundestages ansetzen.
({0})
Daß der Termin verfrüht ist, zeigt sich auch an dem,
was Sie hier gesagt haben. Sie sind überhaupt nicht auf
das eingegangen, was dort stattgefunden hat. Dasselbe
gilt für den Antrag der Koalition: Dort wird in epischer
Länge noch einmal all das dargestellt, was wir über den
globalen Klimawandel sowieso schon wissen. Aber darüber, wie es international weitergehen könnte, steht kein
Wort. Das ist auch nicht möglich, weil Sie viel zu früh
dran sind. Ich halte das für einen Affront gegenüber all
denen, die ernsthaft an Klimaschutz interessiert sind.
({1})
Offensichtlich haben Sie besser als wir gewußt, daß im
Vorfeld nichts getan wurde und man deswegen auch
nichts erwarten konnte. Insofern - das habe ich aus Ihrer
Rede gerade eben gelernt - konnte man die Debatte
vielleicht doch auf heute morgen ansetzen.
Auf der Konferenz haben Sie noch am 2. November
verkündet - ich zitiere -:
Als Ergebnis der 5. Vertragsstaatenkonferenz müssen Verhandlungstexte für die Kioto-Mechanismen
und das System zur Erfolgskontrolle vorliegen.
Alles andere wäre einfach zu wenig.
Zwei Tage später schon haben Sie einräumen müssen, daß
man bei dem eigentlichen Konferenzthema, dem Handel
mit Emissionsrechten, nicht weitergekommen sei und es
daher Aufgabe der 6. Vertragsstaatenkonferenz in Den
Haag im Jahre 2000 bleibe, das zu erreichen.
Lassen Sie uns einfach einmal feststellen: In der Diskussion über die flexiblen Instrumente zum Erreichen
der Treibhausgasminderung in den Industrieländern ist
es zu keiner Lösung gekommen, nicht einmal zu einer
Annäherung. Beim Handel mit Emissionsrechten ist man
keinen Schritt weitergekommen. Die Anrechenbarkeit
von Senken ist hoch streitig geblieben. Der Prozeß der
Anrechenbarkeit von CO2-reduzierenden Maßnahmen ist
im übrigen dadurch, daß Sie, Herr Minister Trittin, zum
Michael Müller ({2})
erstenmal in diesem Zusammenhang die Kernenergie
thematisiert haben, auch nicht einfacher geworden.
({3})
An der Meßlatte, die Sie aufgelegt haben, werden auch
wir das Ergebnis messen. Ich kann Ihnen nur sagen:
Was endgültig herauszukommen droht, ist zu wenig.
Vor diesem Hintergrund wundert es mich, daß Sie
sich zuversichtlich darüber zeigen können, daß das
Kioto-Protokoll bis zum Jahr 2002 in Kraft treten kann.
Ich würde das zwar sehr begrüßen und wünsche mir das
auch - die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird auch daran
arbeiten, daß wir so weit kommen -, allein mir fehlt der
Glaube. Denn angesichts der Vorgänge auf der Vertragsstaatenkonferenz, die ich gerade geschildert habe,
muß man sagen: Die Ratifizierung des Kioto-Protokolls
hing für die allermeisten Vertragsstaaten im wesentlichen von der Ausgestaltung der flexiblen Instrumente
ab. Genau in diesem Bereich ist es zu keiner Einigung
gekommen; das wurde auf die nächste Vertragsstaatenkonferenz verschoben.
({4})
Deswegen weiß ich nicht, woher Sie Ihre Zuversicht
nehmen.
Die früheren Konferenzen waren deswegen so bedeutend für den Klimaschutzprozeß - der ja auch zwischen den Konferenzen abläuft -, weil durch das sogenannte High-level-Segment oft noch etwas in Bewegung
gebracht wurde. Diesmal war das anders. Das zeigt, daß
es einen ungeheuren Einsatz braucht, wenn internationale Überzeugungsarbeit geleistet werden soll. Das,
Herr Trittin, haben Sie sträflich vernachlässigt. Das
sollten Sie sich merken, wenn Ihnen am Klimaschutz
wirklich etwas liegt.
({5})
Es ist offensichtlich, daß Sie beim Klimaschutz nicht
genug getan haben. Die Verbände bestätigen dies zu diesem Thema der Regierungskoalition. Die Vorsitzende
des BUND sagt, Klimaschutz habe in der Politik der
Koalition keinen hohen Stellenwert.
Aber auch Außenminister Fischer muß sich den
Schuh anziehen, international nicht genug für den Klimaschutz getan zu haben. Sein Vorgänger, Herr Dr.
Kinkel, hat die Umweltpolitik stets mit seinen Kontakten und Möglichkeiten unterstützt.
({6})
Er hat die Außenpolitik als eine Querschnittsaufgabe begriffen. Deswegen hat er sich entsprechend eingesetzt. Wir
fordern von Ihnen, daß Sie sich genauso einsetzen. Internationale Umweltpolitik und ganz besonders Klimaschutz ist
eine Hausaufgabe für die gesamte Bundesregierung.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, Modelle für die flexiblen Instrumente zu entwickeln und
auch europäisch anzustoßen, um bis zum Beginn der internationalen Verpflichtungen im Jahre 2008 handelbare
Emissionsrechte wirklich einzuführen und nicht nur darüber zu reden.
({7})
Vor dem Hintergrund solcher Modelle bin ich überzeugt, daß sich bei der nächsten Konferenz auf einer
ganz anderen Grundlage handfest über die Instrumente
diskutieren und der überfällige Einigungsprozeß entsprechend vorantreiben ließe.
Bundeskanzler Schröder hat hierzu eine Rede gehalten; Herr Trittin hat es vorhin schon zitiert. Er hat auf
der Klimakonferenz gesagt:
Wer in der Klimadebatte glaubwürdig bleiben will,
muß der Welt zeigen, daß er tatsächlich große Anstrengungen unternimmt. Er muß zu Hause das umsetzen, was er auf der internationalen Bühne versprochen hat.
Herr Schröder, wir nehmen Sie beim Wort. Das heißt
zunächst einmal, daß die Bundesregierung Mitte nächsten Jahres, wie sie es versprochen hat, eine umfassende
nationale Minderungsstrategie für die Treibhausgase
vorlegen muß. Wir sind einmal gespannt, ob es wirklich
dazu kommt. Wenn ich allerdings die bisherige nationale Klimapolitik als Vorbild für die internationale
Machbarkeit sehe, dann muß ich sagen, habe ich für die
6. Vertragsstaatenkonferenz nicht viel Hoffnung.
({8})
Ich will das mit ein paar Beispielen belegen. Die Koalition hat mit der Einführung der sogenannten Ökosteuer im Hinblick auf den Klimaschutz - wir haben es
schon mehrfach diskutiert - nichts erreicht. Das produzierende Gewerbe wird mit einem ermäßigten Steuersatz
bedacht. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie wurde lange Zeit überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Heute morgen haben wir etwas anderes gehört.
Das Ergebnis von dem Ganzen ist auf der einen Seite,
daß umweltpolitisch nichts erreicht wurde. Auf der anderen Seite haben wir einen Scherbenhaufen bei der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Das zeigen die Diskussionen der letzten Wochen.
({9})
Sie belasten im übrigen die regenerativen Energien
und beziehen auch den schienengebundenen Verkehr
sowie den gesamten ÖPNV grundsätzlich in die Besteuerung mit ein. Mit der sogenannten Ökosteuer - das
will ich hier noch einmal klar und ausdrücklich feststellen - haben Sie ein ungeheuer kompliziertes, verwaltungsaufwendiges System geschaffen, das nur dem einen
Ziel dient: Abkassieren. Mit Umweltschutz hat das
nichts zu tun.
({10})
Ein Passus, Frau Professor Ganseforth, in Ihrem Antrag verrät Sie ganz besonders. In Ihrem Antrag, den Sie
heute hier zur Ökosteuer vorlegen, heißt es auf Seite 5 ich zitiere -:
Ein wesentlicher Bestandteil einer umfassenden
ökologischen Steuerreform ist der Abbau ökologisch kontraproduktiver Subventionen.
Wie richtig!
Staatliche Mittel dürfen nicht dazu dienen, Produktions- und Konsumstrukturen zu stabilisieren, die
eindeutig negative Effekte hervorrufen.
„Welche Erkenntnis!“, kann ich dazu nur sagen. Wir
von seiten der F.D.P. halten die Abschaffung ökologisch
kontraproduktiver Subventionen für wichtig und
richtig.
({11})
Wir haben dies in diesem Hause mehrfach beantragt. Ich
kann nur sagen: Sie haben es gerade diese Woche im
Finanzausschuß und im Umweltausschuß wieder abgelehnt.
({12})
Die Frau Kollegin Flach wird Ihnen hinterher im Detail sagen, welche Punkte das waren. Ich will nur einen
einzigen Punkt aufgreifen. Das ist der Punkt Kohle. Die
westdeutsche Steinkohle wird mit sieben Milliarden
DM subventioniert. Gegen ein endgültiges Auslaufen
der Dauersubventionen nach 2005 sperren Sie sich von
der rotgrünen Koalition schon heute. Ist das ein ökologisch und ökonomisch sinnvoller Umgang mit den Steuergeldern unserer Bürger?, müssen Sie sich fragen lassen.
({13})
Die jüngste Diskussion zur Ökosteuer über die Rücknahme der Begünstigung der GuD-Kraftwerke ist nichts
anderes als eine Diskussion über die Stützung und Sicherung der bestehenden Kohlekraftwerke. Im übrigen
ist auch bei der zweiten Stufe Ihrer sogenannten Ökosteuer die Kohle nicht von der Besteuerung erfaßt; sie ist
nach wie vor ausgenommen. Das ist der Beweis dafür,
daß dies keine umweltpolitisch sinnvollen Entscheidungen sind.
({14})
Hinter all den Diskussionen, die Sie diese Woche geführt haben, steckt doch nichts anderes als die blanke
Angst, die Wahl in Nordrhein-Westfalen zu verlieren.
Deswegen machen Sie Wahlgeschenke zu Lasten der
Klima- und Umweltpolitik. Das ist die Art von Politik,
die Sie betreiben.
({15})
Ähnlich unsinnig ist es, die Diskussion über den Ausstieg aus der Kernenergie zu führen, ohne ein Energiekonzept vorgelegt zu haben. Deswegen fordern wir von
der F.D.P.-Bundestagsfraktion Sie mit unserem Entschließungsantrag erneut auf, diesen Ausstieg im Hauruck-Verfahren zu beenden. Denn sonst müßten Sie verstärkt auf klimaschädliche, fossile Brennstoffe und die
Aktivierung alter Kraftwerke setzen. Wir fordern die
Vorlage eines Energiekonzepts unter Darstellung, wie
realistische Energie- und Energieersatzmengen in einem
angemessenen Zeitraum zu erreichen sind.
Ich komme zu meinem Fazit, meine Damen und Herren: Was bisher von der Konferenz in Bonn bekannt
wurde, bestätigt die schlimmsten Erwartungen. National
war Ihr erstes Regierungsjahr ein verlorenes Jahr für den
Klimaschutz. International haben Sie wenig getan. Auch
deswegen war die Konferenz in Bonn ein verlorenes
Treffen im Sinne des Klimaschutzes.
Wir fordern Sie auf, mit aller Kraft daran zu arbeiten,
daß die 6. Vertragsstaatenkonferenz endlich den Durchbruch bringt. Ein weiteres Dahindümpeln wäre das Ende
für den internationalen Klimaschutz und eine Katastrophe für die zukünftigen Generationen.
Herr Trittin, Sie wollten an die Macht. Jetzt haben Sie
die Verantwortung. Ich fordere Sie auf, Ihre Verantwortung endlich wahrzunehmen. Knüpfen Sie an die
Rolle der alten Bundesregierung als Motor im internationalen Klimaschutzprozeß an!
({16})
Ich gebe dem Kollegen Dr. Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir
reden heute über Klimapolitik, über den Schutz der Erdatmosphäre, eine der wichtigsten politischen Aufgaben
im 21. Jahrhundert. Deswegen wollte ich eigentlich
vermeiden, in das Klein-Klein der Alltagspolitik einzusteigen. Nachdem das Niveau in der letzten Rede aber so
weit gesunken ist, möchte ich doch einiges dazu sagen.
Ich will Ihnen zunächst einmal einige Fakten vorhalten, Frau Homburger:
({0})
Erstens. Das High-level-Segment, an dem der Minister
teilgenommen hat, ist gestern mittag abgeschlossen
worden.
({1})
Er durfte gestern nachmittag nach Hause gehen. Das hat
er Gott sei Dank auch gemacht; denn so konnte er - dafür bin ich dankbar - das Parlament so schnell unterrichten. - Das war die erste Anmerkung.
({2})
Zweitens muß ich Ihnen leider vorwerfen, daß Sie
sich nicht informiert haben. Die technischen Fragen, die
zu klären waren, wurden bis gestern mittag abschließend
besprochen. Die offene Frage bezogen auf die Inventarisierung der Treibhausgase ist gestern nachmittag mit
einem Text zum Abschluß gebracht worden. Insofern ist
dies abgeschlossen. Aber auch das wissen Sie nicht. Das
ist sehr bedauerlich.
Drittens. Sehr bedauerlich ist weiterhin, daß Sie sich
auch insofern nicht informiert haben, als es um die Flexibilitätsmechanismen geht. Bereits in Buenos Aires
wurde vor einem Jahr beschlossen - dort waren Sie
nicht -,
({3})
über die Flexibilitätsmechanismen in Bonn nicht zu
sprechen; diese Frage soll vielmehr abschließend in Den
Haag im Jahr 2000 behandelt werden. Auch in diesem
Punkt ist das, was Sie gesagt haben, völlig falsch.
({4})
Vierter und letzter Punkt. Wenn man Falsches in die
Welt setzt, sollte man es auch beim Namen nennen. Ich
merke schon, daß ich jetzt auch auf dieses Klein-Klein
übergehe; das will ich aber gar nicht. Ich möchte nur sagen: Bei aller Freundschaft - Herr Kinkel war ein prima
Außenminister,
({5})
ein Öko-Kinkel ist mir aber niemals untergekommen.
({6})
Frau Merkel kommt gerade wieder herein; deswegen
kann ich es ihr sagen: Ihre Rede hat mir sehr gut gefallen. Ich kann nur sagen: Prima! Trotzdem will ich noch
einige Punkte ansprechen.
Frau Merkel, bei der Ökosteuer liegen Sie wirklich
daneben. Sie haben quasi eine Argumentationsfigur aufgebaut, daß zuerst etwas Falsches gemacht wird, was
dann korrigiert wird. Es geht doch um die Gas- und
Dampfturbinenkraftwerke, die Blockheizkraftwerke und
die modernen KWK-Anlagen. Hier haben wir eine existierende Steuer abgeschafft, nämlich die Erdgassteuer.
Es geht also nicht darum, irgend etwas zu korrigieren.
Es gab bereits diese Steuer. Wir haben nur gesagt: Wenn
das Erdgas in hocheffizienten Kraftwerken und KWKAnlagen eingesetzt wird, soll es von der Steuer freigestellt werden. Das ist ein klarer ökologischer Lenkungseffekt; den haben Sie nie herbeigeführt.
({7})
Der zweite Punkt, Frau Merkel, bezieht sich ebenfalls
auf die Konstanz der Steuereinnahmen. Das Steueraufkommen - wir machen jetzt kein finanzwissenschaftliches Seminar - setzt sich aus Steuertatbestand und Steuersatz zusammen, also aus der Energiebesteuerung und
dem Steuersatz auf der Energiebesteuerung. Wenn die
Steuer schrittweise erhöht wird und der Energieverbrauch schrittweise zurückgeht, bleibt das Steueraufkommen konstant. Das ist gewissermaßen eine finanzpolitische Grundregel, und insofern dürfen Sie hier
nichts Falsches in die Welt setzen.
({8})
Der dritte und letzte Punkt zu Ihrer Rede. Ich fand es
wunderbar, daß Sie noch einmal auf die Umweltstandards in der WTO hinwiesen. In der vorigen Woche
hatten wir hier eine Debatte über die WTO, in der es
auch um Umweltstandards ging. Viele Ihrer Kollegen,
vor allen Dingen von der F.D.P., aber auch von der
CDU/CSU, haben so getan, als wäre das Traumtänzerei.
Soviel zur Glaubwürdigkeit!
({9})
Bevor ich jetzt endlich zur Klimadebatte komme, entschuldige ich mich für meine Eingangsbemerkung. Sie
war in der Tat zu schroff. Sie ist mir herausgerutscht,
weil sich Ihre Bemerkungen zu sehr im TageskleinKlein bewegten. Wir wollen heute aber eine große Debatte über Klimapolitik führen. Es war doch immer einer
der Vorzüge in Deutschland, daß über alle Fraktionen
hinweg Einigkeit bestand, an einem Strang zu ziehen. Es
hat nie größere Streitigkeiten bei der Klimapolitik gegeben. An dieser Tradition sollten wir festhalten und nicht
in dieses unwürdige Gezerre eintreten.
({10})
Das Klimaproblem ist uns im Grunde genommen seit
hundert Jahren bekannt. - Herr Lippold, ich weiß nicht,
was es da zu schmunzeln gibt. Es ist so. Es war Arrhenius
im Jahre 1896; das wissen Sie doch auch. Der Treibhauseffekt ist schon länger bekannt, das kann man doch
wohl sagen.
({11})
Es hat allerdings 80, 90 Jahre gedauert, bis er auf die politische Agenda vorgedrungen ist. Im Grunde genommen
kam er erst Mitte der 80er Jahre auf die Tagesordnung, als
sich die wissenschaftlichen Ergebnisse verdichtet hatten,
und auf der politischen Agenda im eigentlichen Sinne
steht er erst seit zehn Jahren. Insofern hat Frau Merkel
völlig recht. Alles, was wir heute machen, steht in einer
Tradition. Wichtige Meilensteine waren 1992 die Konferenz von Rio, als die Konvention von über 150 Staaten
unterzeichnet worden ist, 1995 die Berliner Konferenz,
als das Berliner Mandat erteilt wurde, und 1997 die Kioto-Konferenz, die das Protokoll zum Ergebnis hatte.
Klimapolitik ist das Bohren dicker Bretter. Das verlangt sehr viel Energie und Ausdauer. Es gibt keine Alternative dazu, auch wenn es noch so lange dauert. Wir
wissen, daß wir es mit divergierenden, sehr weit auseinanderklaffenden Interessen zu tun haben.
Wir haben bei der Klimapolitik drei grundsätzliche
Probleme, erstens ein globales Problem. Das heißt, bei
der Lösung des Problems müssen tendenziell alle mitmachen. Einige aber müssen voranschreiten, und das
können nach Lage der Dinge am ehesten die Industrieländer, also auch wir Europäer, sein.
Zweitens haben wir es hier, anders als bei den klassischen Umweltproblemen, bei denen wir klare UrsacheWirkungsbeziehungen haben - auf eine Schmutz ausstoßende Industrieanlage wird ein Filter montiert, dann
ist das Problem scheinbar gelöst -, mit einem sehr komplexen Problem zu tun, das weit in die Zukunft weist.
Wir sind also auf Modelle, auf Theorien und auf die
Wissenschaft angewiesen.
Drittens haben wir es hier insgesamt mit elementarer
Unsicherheit zu tun. Bei dem Problem wissen wir nicht
definitiv, was passiert. Aber wir wissen immerhin, daß
sich Indizien verdichten. Deshalb möchte ich - davon
war bislang nicht die Rede - auf die wissenschaftlichen
Fakten verweisen, die für uns Politiker die Grundlage
unseres Handelns sein sollten.
Was ist heute in den Klimawissenschaften Konsens,
sieht man einmal von ganz wenigen Ausnahmen ab? Erstens ist Konsens - das kann man ja messen; insofern ist
es völlig unproblematisch -, daß die treibhausrelevanten
Spurengaskonzentrationen in der Atmosphäre bei allen Spurengasen mit Ausnahme der FCKW deutlich ansteigen. Zweitens ist ein Temperaturanstieg um ungefähr 0,7 Grad Celsius in diesem Jahrhundert festzustellen. Das ist angesichts der klimatischen Zeiträume sehr
rapide. Dieser Effekt - das wird von den Wissenschaften
gesagt - kann nicht nur auf natürliche Ursachen zurückzuführen sein, sondern ist mit großer Wahrscheinlichkeit
auch auf menschliche Aktivitäten und Einflüsse zurückzuführen.
Dann komme ich zu den Indizien: Solange die Temperaturen weltweit systematisch gemessen werden, also
seit Anfang des Jahrhunderts, waren die zehn heißesten
Jahre in den 80er und 90er Jahren. Das heißeste Jahr war
1998. Von diesen zehn heißesten Jahren waren acht in
den 90er Jahren. Auch hier verdichten sich die Indizien.
Was sind die Prognosen? Die Temperaturen werden
im nächsten Jahrhundert um 2 bis 3 Grad Celsius ansteigen, wenn wir so weitermachen wie bisher, das heißt,
wenn die bisherigen Emissionstrends anhalten. Der
Meeresspiegel wird um einen halben Meter ansteigen.
Folgen werden Wetterextreme, Dürren, stärkere Zyklone, Verschiebungen von Klimazonen und Überflutungen
sein.
Ich finde es bemerkenswert, daß es in der Klimaforschung einen nur geringen Dissens gibt. Man kann als
Deutscher durchaus mit einem gewissen Stolz sagen:
Wir Deutschen haben im Bereich der Klimaforschung
international renommierte Institutionen und international
renommierte Wissenschaftler vorzuweisen. Ich will nur
Professor Graßl, Professor Hasselmann und Professor
Schellnhuber nennen. Es gibt das Klimarechenzentrum,
das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das
Max-Planck-Institut. In diesem Zusammenhang finde
ich es sehr bemerkenswert, daß ein sehr junger deutscher
Klimawissenschaftler, nämlich Stefan Rahmsdorf, vor
kurzer Zeit den höchstdotierten amerikanischen Wissenschaftspreis für die Frage „Wie reagiert der Golfstrom
auf die Klimaveränderungen?“ bekommen hat. Ich glaube, es ist auch an der Politik, zu bemerken, daß wir in
Deutschland ein solch hohes Niveau in der Klimaforschung haben.
({12})
All diese Indizien sprechen dafür, daß wir handeln
müssen, da wir in der politischen Verantwortung stehen.
Wir müssen uns klarmachen - Herr Kollege Müller hat
das schon angesprochen -, daß es nicht nur um ein
„ökologisches Problem“, sondern daß es in ganz hohem
Maße auch um ein ökonomisches und um ein soziales
Problem geht.
Man muß sich einmal die jüngsten Entwicklungen
anschauen. Das Hadley-Center aus Großbritannien hat
vor wenigen Wochen die neueste Studie vorgestellt, die
die Auswirkungen auf das menschliche Leben und auf
das menschliche Wirtschaften beschreibt:
Erstens. Immer mehr Menschen werden auf Grund
von Klimaveränderungen ihre Heimat verlieren. Es wird
immer mehr Umweltflüchtlinge geben. Schon heute
werden mehrere Millionen Menschen auf Grund von
Umweltveränderungen, wie dem Klimawandel, dauerhaft oder vorübergehend aus ihren angestammten Lebensräumen vertrieben. Ich glaube, das ist nicht respektabel. Es ist inhuman, das zu ignorieren.
({13})
Der zweite Punkt, der dort herausgestellt wird, betrifft die menschliche Gesundheit. Die menschliche Gesundheit wird gefährdet. Ich nehme nur ein Beispiel heraus: Wir haben auf Grund der globalen Erwärmung das
Problem, daß sich tropische Krankheiten immer weiter
nach Norden ausbreiten werden. Im Süden der USA
kann beispielsweise schon heute Malaria beobachtet
werden. Das ist auch für den Süden Europas keineswegs
ausgeschlossen. In diesem Bereich kann es sein, daß hohe Kosten auf uns zukommen.
({14})
Der dritte Punkt, der ganz bedrohlich ist: In verschiedenen Regionen der Welt sinkt die Verfügbarkeit von
Wasser. Damit sinken die landwirtschaftlichen Erträge.
Auch in diesem Bereich kann man voraussagen, daß in
Teilen der Welt, wie zum Beispiel in Afrika, im mittleren Osten und in Indien, die Folgen besonders erheblich
sein werden.
({15})
Der vierte und letzte Punkt, den ich hier nennen will,
bevor Frau Homburger ganz unruhig wird, sind die Versicherungsschäden. Die Zahl der Versicherungsschäden
eskaliert. Wir haben von der Münchener Rückversicherung aktuelle Zahlen bekommen: In den 90er Jahren
sind die Versicherungsschäden, die durch Umweltkatastrophen verursacht worden sind, so stark angestiegen
wie in den gesamten 70er und 80er Jahren nicht.
({16})
Wenn man die Argumente zusammenfaßt, kommt
man zu folgendem Schluß - ich komme gleich zum Bereich der Politik; Frau Homburger, gedulden Sie sich
noch etwas -: Wir müssen beim Klimaschutz etwas tun.
Diejenigen die immer nur von den Kosten des Klimaschutzes reden, ignorieren hartnäckig, wie hoch die Kosten durch die Klimaveränderungen sind. Diese sind
nämlich viel höher.
({17})
Man könnte auch sagen: Die Kosten des Nichthandelns
- mit denen kennen Sie sich ja aus - sind höher als die
Kosten des Klimaschutzes. Das ist der entscheidende
Punkt. Das muß man zur Kenntnis nehmen.
Ich komme nun zur Politik, damit Sie sich etwas beruhigen. Am Anfang möchte ich zwei Grundeinsichten ansprechen, die für den Gang der internationalen Verhandlungen sehr wichtig sind: Erstens. Die Industrieländer tragen - historisch und aktuell - die Hauptverantwortung für
das Klimaproblem. Die Zahlen wurden genannt: Das eine
Fünftel der Menschheit verursacht etwa drei Viertel des
Problems. Wenn das so ist, dann haben wir die Verantwortung, dann müssen wir mit glaubwürdigem Handeln
vorausgehen, dann müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Daran müssen wir uns messen lassen.
({18})
Zweitens. Eine weitere Grundeinsicht ist, daß die
Entwicklungsländer historisch relativ wenig zum Entstehen des Klimaproblems beigetragen haben. Wenn wir
jetzt über die Entwicklungsländer reden, dann müssen
wir ihnen zunächst einmal im Zuge ihrer Entwicklung
noch ein gewisses Wachstum von Emissionen zugestehen. Es ist unsere Aufgabe - Frau Merkel hat darauf zu
Recht hingewiesen -, ihnen dabei zu helfen, durch
Technologietransfer und durch bilaterale Kooperation
im Klimaschutz erfolgreicher zu werden. Politisch ist es
aber äußerst problematisch, wenn einige Länder jetzt so
tun, als müßte man im wesentlichen die Entwicklungsländer schon heute heranziehen.
({19})
Zwar müssen wir den Entwicklungsländern helfen;
aber wir müssen ganz klar erkennen: Vorangehen müssen wir, und wir können nicht den dritten Schritt vor
dem ersten fordern. Denn wer über den dritten Schritt
redet, bevor er den ersten tut, der will in Wahrheit den
ersten Schritt gar nicht. Das ist das Problem.
({20})
Es ist über kurz oder lang völlig richtig: Klimaschutz
ohne China, ohne Indien, ohne Brasilien und ohne Indonesien kann es nicht geben. Deswegen ist es in der Tat
eine ganz wichtige Aufgabe der Entwicklungskooperation, verstärkt ökologische Elemente einzubeziehen.
Was müssen wir aktuell tun? Das Wichtigste ist: Die
Europäische Union muß schnell ratifizieren, damit das
Kioto-Protokoll bis zum Jahre 2002 in Kraft treten
kann. Das Ratifizieren muß ohne Konditionen geschehen. Man sollte keine Vorbehalte schaffen, indem man
sagt: Nur wenn die Amerikaner dieses oder die Russen
jenes tun, dann ratifizieren wir. - Die Europäische Union muß um ihrer Glaubwürdigkeit willen ohne Konditionen ratifizieren. Das ist ganz wichtig.
({21})
Ich hoffe, daß wir heute alle gemeinsam Deutschlands Vorreiterrolle bekräftigen. Sie ist auch in der Rede
des Bundeskanzlers deutlich geworden. Ich möchte dem
Bundeskanzler für diese Rede ausdrücklich danken. Sie
steht in einer guten Tradition, und sie hat in Bonn ein
sehr gutes Klima erzeugt.
({22})
Ich glaube, daß wir es schaffen, diese Ratifizierung
schnell zustande zu bringen.
Wir haben ein Problem, dem sich gerade unsere Umweltaußenpolitik realistischerweise stellen muß: Damit
das Protokoll in Kraft tritt, müssen nicht nur 55 Staaten
ratifizieren; vielmehr müssen auch 55 Prozent der Emissionen durch die Staaten, die ratifiziert haben, abgedeckt
sein. Das heißt auf gut deutsch: Man kann das Geschäft
nicht ohne die Amerikaner und/oder die Russen machen,
und die haben in bestimmten Bereichen andere Ansichten als wir. Die Amerikaner wollen - das hat der Minister beschrieben - die völlige Freigabe der Flexibilitätsinstrumente. Die Russen wollen soviel wie möglich
von ihrer heißen Luft verkaufen; sie wollen also möglichst viel von dem verkaufen, was durch industriellen
Zusammenbruch an Emissionen „frei geworden“ ist.
Es bedarf eines großen diplomatischen Geschicks.
Gerade nach der Rede von Bundeskanzler Schröder
traue ich der Bundesregierung voll und ganz zu, da eine
Lösung zu finden. Für uns ist das Wichtigste, daß wir
die Schlupflöcher soweit wie möglich schließen und
durch glaubwürdiges Handeln im eigenen Land auch
international Glaubwürdigkeit erlangen.
({23})
An dieser Stelle möchte ich auf die Rolle der sogenannten NGOs, also der Nichtregierungsorganisationen,
eingehen. Sie ist heute noch nicht zur Sprache gekommen. Wir hatten bei uns bis vor kurzem häufig den Eindruck, daß eine übermäßige Beteiligung der Umweltgruppen den reibungslosen Ablauf von Planungen und politischen Prozessen behindert oder gar verlangsamt. Ich
glaube, am internationalen Klimaprozeß kann man ganz
eindeutig erkennen: Ohne die Umweltgruppen, ohne die,
wenn ich so sagen darf, Weltzivilgesellschaft und ohne
die kritischen Beobachter wären wir längst nicht so weit,
wie wir heute sind. Das ist ganz wichtig.
({24})
Ich komme zur nationalen Klimapolitik. Sie haben
den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen in Grund und Boden gestampft. Ich glaube, es
ist nicht angemessen, diesen Antrag so niederzumähen.
Wenn Sie ihn einmal genau lesen, dann stellen Sie fest:
Die Schnittmenge mit der alten Position liegt bei 80 oder
vielleicht sogar 90 Prozent.
({25})
- Sie glauben doch nicht im Ernst, daß wir unseren Antrag auf den Kopf stellen können, weil Sie die Atomenergie so lieben.
({26})
Unser Antrag bestätigt das 25-Prozent-Ziel der alten
Regierung von November 1990. Wenn hier in die goldenen Zeiten der Klimapolitik zurückgeblickt wird, dann
muß man schon sagen: Die Wahrheit war ja, daß das
Kabinett am 7. November 1990 einen Beschluß gefaßt
hat, in dem stand, in den alten Bundesländern, also in
Westdeutschland, solle die CO2-Emission bis 2005 um
25 Prozent gesenkt werden und in den neuen Bundesländern solle noch mehr gemacht werden. Dieser Beschluß wurde ein Jahr später revidiert, weil man erkannt
hat, wie schwer das ist. Die jetzt erreichten 13 Prozent
waren zwar nicht nur - der Minister hat zu Recht darauf
hingewiesen -, aber im wesentlichen doch „wall fall
profits“, also Ergebnisse des Mauerfalls. Wir wären
nicht annähernd so weit, wenn es die Wiedervereinigung
nicht gegeben hätte.
Heute sind die Emissionen in Ostdeutschland
47 Prozent niedriger als 1990, und in Westdeutschland
sind sie 3 Prozent höher. Das ist die Realität. Sie können
nicht so tun, als seien die letzten acht Jahre goldene
Zeiten des Klimaschutzes gewesen. Das waren sie nicht.
Es hat eine dramatische Lücke zwischen Zielsetzung
und Handeln gegeben. Diese wollen wir jetzt schließen.
({27})
Nun zu den einzelnen Aspekten, die im Antrag behandelt werden, und zwar zunächst zu dem wohl strittigen
Punkt der ökologischen Steuerreform. Dieser gehört zu
den 10 Prozent bis 20 Prozent, die strittig sind. „Mein
Gott!“ möchte ich wirklich manchmal sagen. Schon Minister Töpfer hat doch versucht, in Deutschland eine nationale CO2-Steuer, eine Klimaschutzsteuer, einzuführen. Er
hat dies 1990 glaubwürdig gemacht, und jetzt wird so getan, als sei dies Verrat an deutschen Interessen. Das ist der
blanke Blödsinn, die blanke Polemik.
({28})
Ich muß es noch einmal sagen - vielleicht war ich am
Anfang zu flott -: Die ökologische Steuerreform hat zunächst einmal die generelle Lenkungswirkung, auf
Grund steigender Energiepreise sparsam mit Energie
umzugehen.
({29})
Aber es gibt auch spezifische Detailregelungen. Dazu
gehört beispielsweise, daß wir Kraft-Wärme-Kopplung,
moderne Blockheizkraftwerke und moderne Gaskraftwerke ganz gezielt im Rahmen der ökologischen Steuerreform fördern. Das ist gut für den Klimaschutz. Denn
sonst erreichen wir diese Ziele nicht.
({30})
Zur Kraft-Wärme-Kopplung haben bereits der Kollege Müller und auch der Minister das Notwendige gesagt.
Hierbei - das müssen wir uns vor Augen führen - geht
es eben nicht nur um den Bestandsschutz, sondern auch
um den Ausbau. Denn die KWK ist neben den erneuerbaren Energien, neben den Energieeinsparungen im Gebäudebestand und der Umschichtung im Verkehrshaushalt das zentrale Instrument.
({31})
Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden
- deshalb will ich jetzt nicht mehr in die Tiefe gehen -,
daß wir gerade auch hinsichtlich der öffentlichen Kommunikation, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger für die
Klimaschutzziele gewinnen wollen, über die wir uns ja
einig sind, lernen müssen, daß wir über Klimaschutz nicht
nur als Last, als Bürde, als Kostenfaktor reden dürfen. Es
ist wichtig, diesen auch als Herausforderung und als
etwas darzustellen, was man gemeinsam angehen und
wobei man auch eine Menge gemeinsam erreichen kann.
Das Licht am Rednerpult fängt gerade an zu blinken.
Eben wurde noch eine ganz andere Zeit angezeigt. Nun
gut, ich respektiere das.
Herr Kollege, diese
Bemerkung können Sie sich sparen. Sie haben um
10.17 Uhr mit Ihrer Rede begonnen. Mittlerweile sind
20 Minuten verstrichen. Sie können natürlich in Übereinstimmung mit Ihrer Fraktion weiterreden. Das geht
dann aber zu Lasten Ihrer zweiten Rednerin. Das sollten
Sie bedenken.
({0})
Herr Präsident, ich entschuldige mich natürlich
für diese unhöfliche Bemerkung, aber die Uhr, die ich
vor mir habe, hat noch grade angezeigt, daß mir 3 Minuten und 18 Sekunden Redezeit bleiben.
Mein letzter Punkt betrifft die Wirtschaft. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft ist eine gute Sache. Diese muß man weiterentwickeln und auf andere Bereiche ausdehnen. Nur eines muß man auch sagen: Wenn
Herr Henkel auf der einen Seite sagt, freiwillige Selbstverpflichtungen seien wichtig, andererseits aber die Bundesregierung auffordert, ihre Vorreiterrolle aufzugeben,
so ist dies absolut unglaubwürdig und schädlich.
({0})
Ich komme zum Schluß, um meiner Fraktionskollegin
keine Zeit zu stehlen. Häufig ist in der Politik Pathos
nicht angebracht. Davon bin ich fest überzeugt. Wir
sollten an die Dinge so nüchtern wie nur möglich herangehen. Aber wenn wir über das Thema Klima und über
die Aufgaben für das 21. Jahrhundert reden, dann ist
meiner Meinung nach folgender alte Spruch der Ökologiebewegung angemessen: Wir haben die Erde nur von
unseren Kindern geborgt.
Danke schön.
({1})
Für die PDS spricht
nun die Kollegin Eva-Maria Bulling-Schröter.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben heute wieder die Vorreiterrolle Deutschlands beim
Klimaschutz beschworen. Dies ist Regierungstradition,
inzwischen sozusagen Gewohnheitsrecht. Natürlich
stimmt dies auch in gewisser Weise.
In den Industriestaaten ist es ja inzwischen schon revolutionär, wenn ein Land die globalen Probleme der
Menschheit nicht so offensichtlich ignoriert wie die
parlamentarische Mehrheit in den USA. Auf der Konferenz in Bonn hatte es zumindest nach meinem Eindruck
mehr als den Anschein, daß nicht der globale Klimaschutz verhandelt wird, sondern die Frage, wie man sich
am besten davor drücken kann. Ich hatte den Eindruck,
daß die Vereinigten Staaten gewillt sind, gerade hierbei
die Führungsrolle zu übernehmen. Die freundliche
Hoffnung Jürgen Trittins, wenn möglich sollten auch die
USA ratifizieren, entspringt aber vielleicht dem
schlechten Gewissen.
Schließlich relativiert sich die Vorreiterrolle
Deutschlands im Klimaschutz schon etwas, wenn wir
einmal genauer hinschauen. Die Bundesrepublik emittiert pro Kopf 10,9 Tonnen CO2 im Jahr; das ist fünfmal
mehr als klimaverträglich und zehnmal mehr als in Afrika. Die deutschen Emissionen liegen, pro Kopf gesehen,
um 20 Prozent über denen Japans und um 70 Prozent
über dem Niveau der Schweiz. Insofern sollte Deutschland also vor allem vor der eigenen Haustür kehren; das
wurde ja jetzt schon breit diskutiert.
({0})
Vor diesem Hintergrund begrüßt natürlich auch die
PDS, daß die Bundesregierung an der Eingebung festhält, die glücklicherweise irgendwann einmal Helmut
Kohl überkam. 25 Prozent bis 2005 - das ist ein ehrgeiziges Ziel, wenn man sich die internationale Debatte und
den Stand der Dinge in Deutschland anschaut. Klar ist:
Ein großer Teil der CO2-Einsparungen sind Vereinigungsrendite. Wir wissen natürlich auch, daß die
16 Millionen Ostdeutschen trotz Deindustrialisierung essen, sich wärmen und kleiden. Insofern werden sie in erheblichem Maße mitversorgt, was auch irgendwie Energie kostet und Klimagase produziert. Der Anstieg des
Ausstoßes in Westdeutschland um 3 Prozent ist also
auch unter diesem Aspekt zu sehen.
Die eigentliche Frage ist aber: Was hätte Deutschland
bringen können? Oder vor allem: Wie geht es weiter?
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat kürzlich eingeräumt, daß die bisher in Deutschland beschlossenen
Maßnahmen bis zum Jahre 2005 lediglich eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um etwa 17 Prozent,
bezogen auf 1990, ermöglichen würden. Momentan habe Deutschland diese Emissionen um 13,2 Prozent verringert. Es wird also eng werden. Gegenwärtig ist nicht
abzusehen, wie die Bundesrepublik das selbstgesteckte
Klimaschutzziel erreichen will. Eine an den Erfordernissen ausgerichtete Klimaschutzpolitik findet sich weder
in den Investitionsplänen der Wirtschaft noch in denen
der öffentlichen Haushalte wieder.
Was hierzulande seit Jahrzehnten im Verkehrssektor
abläuft, ist klimapolitisch der reinste Horror. Der deutsche Autowahn wird wohl nur noch von dem der USA
übertroffen. Laut einer aktuellen Studie des WuppertalInstituts für Klima, Umwelt, Energie wird - ohne Gegenmaßnahmen - das Wachstum des Verkehrs bis zum
Jahre 2020 sämtliche Einsparungen von Klimagasen in
den anderen Bereichen zunichte machen. Allein die
Lkw-Emissionen werden drastisch, um 38 Prozent,
wachsen. Außerdem wird mit einem Anstieg von
46 Millionen auf 120 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent
der Flugverkehr im Jahre 2020 das Klima genauso stark
belasten wie der Pkw-Verkehr.
Nun wurde in der Koalition fleißig zum Verkehrsinvestitionsplan bis 2002 getagt. Am Ende kam jedoch nur
ein recht dünner Kompromiß heraus: Von den 60,7 Milliarden DM, die bis zum Jahre 2002 für Schiene und
Straße ausgegeben werden sollen, fließen 47 Prozent in
die Schiene und 53 Prozent in den Straßenbau. Von der
postulierten Angleichung der Summen, die im übrigen
die ewige Privilegierung des Autoverkehrs gar nicht
umkehren kann, ist das noch um einiges entfernt. Bei
dieser Politik ist es nicht verwunderlich, daß von den
gegenwärtig 38 100 Kilometern betriebene Schienenstrecke der Bahn 11 000 Kilometer, also mehr als ein
Viertel - in der Regel die für die Flächenbahn so wichtigen Nebenstrecken -, von der Schließung betroffen sind.
90 Prozent des Reiseaufkommens der Bahn sind Reisen
unter 50 Kilometern. „Für wen wird hier eigentlich Verkehrspolitik gemacht?“, müssen wir uns alle fragen lassen.
Wenn wir uns die aktuelle Entwicklung anschauen,
werden wir sehen: Auch im Energiesektor stehen die
Zeichen auf mehr CO2 und nicht auf Nachhaltigkeit. Es
geht hier besonders um die Kraft-Wärme-KopplungAnlagen. Einige werden demnächst dichtgemacht; die
Firmen haben damit Probleme. Es geht um Quotenregelungen, die eingeführt werden sollen; darauf warten wir. Ferner geht es um weiteren Schutz vor den
Dumpingpreisen der Energieriesen. Die ökologische
Steuerreform hat kaum eine Lenkungswirkung, weil
Unternehmen, wenn sie über 1 000 DM Energiesteuern
zu zahlen hätten, fast alles zurückerstattet bekommen.
Darüber reden wir aber in der nächsten Woche; auch
über die soziale Schieflage der Reform wird noch zu
reden sein. Ich habe jetzt leider nicht mehr viel Redezeit.
Ich möchte deshalb abschließend auf zwei wichtige
Forderungen unseres Entschließungsantrags eingehen:
Die PDS ist der Auffassung, daß das selbstgesteckte
Ziel, mindestens 70 Prozent der CO2-Emissionen zu reduzieren, innerhalb Deutschlands zu erfüllen ist. Die in
Kioto und Bonn diskutierten flexiblen Mechanismen
dürfen demzufolge höchstens einen Anteil von
30 Prozent betragen. Darin stimmen wir mit den Umweltverbänden überein. Wir sollten noch einmal über
diesen Anteil nachdenken, Herr Trittin. Der Einsatz von
Atomkraft ist für die Erfüllung des Reduktionsziels auszuschließen. Ich begrüße Ihre Position. Sie haben sich
sehr dafür eingesetzt.
Wenn aber die Ergebnisse der 5. und 6. Vertragsstaatenkonferenzen zeigen sollten, daß die wichtigsten
Schlupflöcher der flexiblen Mechanismen nicht geschlossen werden konnten, dann ist der Anteil der flexiblen Mechanismen - unabhängig von internationalen
Festlegungen - für Deutschland auf Null zu setzen. So
lautet unser Antrag.
({1})
Eine andere Forderung betrifft den ökologischen
Rucksack unserer Komsumtions- und Wirtschaftsweise,
den wir anderen Ländern aufbürden. Ich hoffe, wir sind
uns darüber im klaren, daß zahlreiche Produktionsstätten
in anderen Teilen der Welt für die Rohstoffversorgung
Deutschlands, für die Herstellung von Halbfabrikaten
für deutsche Unternehmen oder für den deutschen Konsum arbeiten. Sie alle stoßen Klimagase aus, die nicht in
die deutsche Klimabilanz eingehen.
Deutschland exportiert im Gegenzug überwiegend
hochveredelte Produkte. Aber bei deren Produktion
werden tendenziell deutlich weniger Klimagase ausgestoßen als bei der Produktion, Förderung und beim
Transport von importierten niedrig veredelten Produkten und Rohstoffen. Wir meinen, dies muß in die Klimadebatte einbezogen werden. Wir meinen, die Klimabilanz muß dementsprechend verändert werden. Die
von mir beschriebene Entwicklung muß sich hier wiederfinden.
({2})
Der zusätzliche ökologische Rucksack, den auch die
Bundesrepublik anderen Völkern aufbürdet, muß im
Rahmen der Klimastrategie der Bundesrepublik und
der Bundesregierung berücksichtigt werden. Wir brauchen eine umweltökonomische Analyse, auf deren
Grundlage klar wird, was zu tun ist und wie wir handeln sollen.
Das, was für Klimagase gilt, gilt mittelfristig auch für
andere Ressourcen und Emissionen. Erst dann, wenn wir
beim Klimaschutz weiter zulegen, haben wir tatsächlich
eine internationale Vorreiterrolle inne.
Danke.
({3})
Nun spricht für die
SPD-Fraktion die Kollegin Monika Ganseforth.
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Klimapolitik sei das
Bohren dicker Bretter, hat Herr Loske gesagt. Als wir
1992 auf der Konferenz von Rio die Klimarahmenkonvention verabschiedet hatten, haben wir kurzfristig gedacht, dies sei der Durchbruch. Im Vorfeld dieser Konferenz war allenthalben gemunkelt worden, daß auf der
Konferenz nichts zustande komme. Hinterher waren alle
der Meinung, daß alles ganz toll gewesen sei und die
Ansätze richtig seien. Daß es so lange dauert und so
schwierig wird, haben wir damals nicht gewußt. Aber es
ist in der Tat ein schwieriger Prozeß. Ich möchte nicht
sagen, daß wir in den letzten Tagen weiter vorangekommen sind. Aber die Dynamik ist nicht abgebremst
worden; vielmehr geht der zähe Prozeß weiter.
Es war bisher eine gute Tradition in diesem Hohen
Hause, daß die Parteien das Klimaschutzziel gemeinsam getragen haben. Auf dieser Gemeinsamkeit und auf
den ehrgeizigen Zielvorgaben beruhten das Ansehen und
das Gewicht, das Deutschland hinsichtlich des Klimaschutzes auf internationaler Ebene hat. Ich fand es nicht
in Ordnung, daß Frau Merkel vorhin vermutet hat, wir
hätten sie kritisiert, wenn sie einen Bericht wie den von
Herrn Trittin abgegeben hätte. Als wir damals in der
Opposition waren, haben wir sowohl Minister Töpfer als
auch Ministerin Merkel bei der Durchsetzung des Klimaschutzes, über den seit einem Jahrzehnt auf internationaler Ebene verhandelt wird, unterstützt. Dies war eine gute Tradition. Ich hoffe, sie wird fortgesetzt.
({0})
Vor dem Hintergrund dieser Tradition gehe ich davon
aus, daß es alle begrüßen, daß Bundeskanzler Gerhard
Schröder auf der Klimakonferenz in Bonn deutliche
Worte zum Klimaschutz gesagt hat. Dies gilt auch für
den Umweltminister Trittin und seine Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, die verhandelt haben. Sie haben bei den
schwierigen und zähen Gesprächen auf der Vertragsstaatenkonferenz in Bonn alles in unserem Interesse getan - jedenfalls habe ich diesen Eindruck während der
Zeit, die ich auf der Konferenz verbracht habe, gewonnen -, um die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen
des Kioto-Protokolls weiter voranzutreiben.
({1})
Damit besteht die Hoffnung - und die Gefahr war, daß
das abgebremst wird -, daß möglichst bald, spätestens
bis zum Jahr 2002, also zehn Jahre nach dem Erdgipfel
in Rio, das Kioto-Protokoll in Kraft tritt.
Ich will noch einmal sagen: Nicht nur die USA sind
dabei ein Problem, sondern auch die OPEC-Länder.
Saudi-Arabien, Kuwait usw., die natürlich keine Gewinner einer Klimaschutzpolitik sind, haben sich inzwischen formiert und tun alles, um zu verhindern, daß eine
Klimaschutzentwicklung weltweit in dem notwendigen
Tempo vorankommt. Da ist viel zu tun, und ich habe
den Eindruck, daß unsere Regierung auf dem richtigen
Weg ist.
({2})
- Auch wenn die rechte Seite des Hauses jetzt nicht
klatscht, gehe ich davon aus, daß das Klimaschutzziel in
Deutschland nach wie vor nicht umstritten ist.
Großen Streit und Differenzen haben wir immer gehabt, wenn es um die konkrete Umsetzung dieses Ziels
ging. Seit den Empfehlungen der Klima-Enquete vor
zehn Jahren und den Beschlüssen der alten Regierung
Kohl im Jahr 1990 - Herr Loske hat es angesprochen ist aus unserer Sicht viel zuwenig geschehen.
Ich habe noch einmal nachgesehen. Den ersten Bericht der Klima-Enquete haben wir dem Bundestag im
Jahr 1988 vorgelegt, als von Einheit, Mauerfall noch gar
nicht die Rede war. Darin sind diese ehrgeizigen Ziele
angelegt. Das ist nun schon mehr als ein Jahrzehnt her.
Sie haben es in dieser Zeit an einer anspruchsvollen und
schlüssigen Klimaschutzpolitik fehlen lassen.
({3})
Statt dessen haben Sie uns alle möglichen Maßnahmen als Klimaschutz verkauft. Ich finde es immer sehr
schön, wenn ich sehe, was Sie da alles umdeklariert haben. Der Gipfel ist - da kann man nur den Kopf schütteln -, daß Sie den Bundesverkehrswegeplan als Klimaschutzmaßnahme verkaufen wollten und verkauft haben.
Das war Ihre Klimaschutzpolitik. An der Selbstverpflichtung knüpfen wir an, aber Sie haben dafür einen
hohen Preis gezahlt: Die Wärmenutzungsverordnung
haben Sie fallengelassen, auch andere Maßnahmen, die
man hätte ergreifen können und die durchaus mehr hätten bringen können - wie die Ökosteuer, die wir jetzt
angefangen haben. Sie haben also weitgehend mit Etikettenschwindel versucht, darüber hinwegzutäuschen,
daß Sie kein schlüssiges Konzept haben.
Das Ergebnis ist auch klar: In Ostdeutschland sind die
Emissionen gesunken, und wir wissen alle, warum. In
Westdeutschland haben die Treibhausgasemissionen in
diesen zehn Jahren nicht abgenommen, sondern sind
konstant geblieben.
({4})
Daß wir im internationalen Vergleich trotzdem ganz
gut dastehen, liegt einmal an der Entwicklung in Ostdeutschland, aber auch daran, daß viele Kommunen,
Länder, engagierte Gruppen, Schulen, Kirchen, Umweltverbände, auch engagierte Unternehmen dazu beigetragen haben, trotz schwieriger Rahmenbedingungen
Emissionsminderungen voranzubringen. Und wenn Sie
im Agendaprozeß der Kommunen verankert sind, dann
wissen Sie, wie schwierig die Arbeit ist, Bewußtseinsänderungen voranzutreiben, auch deshalb, weil die
Rahmenbedingungen, die Sie gesetzt haben, nicht stimmen.
({5})
Großer Dank gebührt allen, die trotz dieser Lage viel
getan haben. Deswegen stehen wir nicht so schlecht da.
Wenn ich mir aber Ihre Anträge ansehe, muß ich sagen: Wir hätten eine große Mehrheit dafür haben können, wenn Sie sie vor zehn Jahren gestellt hätten. Sie
schreiben in Ihrem CDU/CSU-Antrag unter Punkt 9 das muß ich einmal vorlesen -:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, endlich ein
schlüssiges nationales Programm zur Einhaltung
des zugesagten deutschen Klimaschutzziels vorzulegen, … Insbesondere ist offenzulegen, welche
weiteren Maßnahmen zur Verminderung von
Treibhausgasen durch Energiewandlung und Energieverbrauch im Verkehr, im Gebäudebestand und
bei der Energieerzeugung geplant sind.
({6})
Ist es Ihnen nicht ein bißchen peinlich, heute einen solchen Antrag zu stellen? Vor zehn Jahren hätten wir
Ihnen zugestimmt; aber das ist heute doch nun wirklich
lächerlich.
({7})
Auch der F.D.P.-Antrag enthält entsprechende Passagen. Da soll die neue Regierung bis zum Februar 2000
ein nationales Klimaschutzprogramm vorlegen. Was haben Sie denn die ganzen Jahre gemacht?
({8})
Der einzige Punkt, über den es unterschiedliche Auffassungen gibt - dem hätten wir auch früher nicht zugestimmt -, besteht darin, den geplanten Ausstieg aus der
Atomenergie im Zusammenhang mit Klimaschutzzielen
als positiven Effekt anzusprechen.
Sie wissen, daß wir in der Enquete-Kommission in
Studien belegt haben, daß der Ausstieg aus der Atomenergie und der Klimaschutz zusammenpassen. Es ist
sogar so, daß ein wirksamer Klimaschutz nur vorankommt, wenn auf die Atomenergie verzichtet wird.
({9})
Denn sie ist heute das größte Investitions- und Innovationshindernis für den Umstieg in eine Einspar- und Solarwirtschaft. Wir haben ein Überangebot an Energie,
was verhindert, daß die notwendigen richtigen Energiesparmaßnahmen und erneuerbare Energien eine Chance
auf dem Markt haben.
Der CDU/CSU-Antrag kommt in weiten Bereichen
zehn Jahre zu spät. Die flexiblen Instrumente - das steht
in Punkt 10 - werden von Ihnen ohne Einschränkung
behandelt. Sie wissen, daß Joint Implementation, Handel
mit Emissionsrechten und Clean-Development-Mechanismen die Schlupflöcher sind, mit denen die Länder,
zum Beispiel die USA, die im eigenen Land nichts machen wollen, versuchen, sich freizukaufen und Ablaßhandel zu betreiben. Wie kann man das in einen Antrag
so undifferenziert hineinschreiben? Glücklicherweise
teilt kein europäisches und kein anderes Land die Position, die Sie in diesem Antrag formuliert haben.
({10})
Frau Kollegin Ganseforth, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Hirche?
Ja, gern.
Frau Kollegin, darf ich davon ausgehen, daß Sie vielleicht den „Tagesspiegel“
vom Montag dieser Woche gelesen haben, in dem ein
größeres Interview mit dem Potsdamer Klimaforscher
Schellnhuber abgedruckt ist, der erstens davon ausgeht,
daß die weitere Nutzung der Kernenergie einen Beitrag
zur Lösung der Treibhauseffekte bieten kann, und der
zweitens sagt, daß man den USA bei der Forderung
eines vollständigen Emissionshandels entgegenkommen
sollte, weil es dem Weltklima egal ist, wo CO2 vermieden wird?
Es gibt immer Wissenschaftler, die solche Äußerungen machen. Sie wissen
sicher, daß auf der Klimakonferenz sogar das Atomforum als NGO für den Verkauf von Atomkraftwerken in
die dritte Welt im Rahmen von Joint Implementation als
Klimaschutzmaßnahme geworben hat. Sie wissen ebenfalls, daß auch dann, wenn der Zuwachs an Energie in
den Entwicklungsländern durch Joint-ImplementationMaßnahmen geringer wird, die Emissionen weltweit zunehmen. Der Anteil, der über die flexiblen Instrumente
gesteuert wird, muß reduziert werden, um im ganzen zu
einer Verringerung der Emissionen zu kommen. Sonst
werden Sie diese nicht erreichen. Das ist erwiesen, auch
wenn es den einen oder anderen Wissenschaftler geben
mag, der das anders sieht.
({0})
Frau Kollegin Ganseforth, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage Ihres
Fraktionskollegen Michael Müller?
Ja, gerne.
Frau Kollegin
Ganseforth, können Sie bestätigen, daß im Hauptbericht
der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
„Schutz der Erde“ von den damals 22 Mitgliedern nicht
einer für einen Ausbau der Atomenergie eingetreten ist
und daß selbst für die Beibehaltung des heutigen Status
quo weniger als ein Drittel, nämlich nur 7, plädiert haben?
Genauso ist es.
({0})
- Nein, da waren auch Politiker dabei. Die Hälfte sind
Politiker, und es waren auch Politiker Ihrer Partei dabei.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß alle Studien ergeben haben, daß es ein sehr anspruchsvolles und
ehrgeiziges Vorhaben ist, das Klimaschutzziel zu erreichen - egal, wie man zur Atomenergie steht oder welchen Beitrag die Atomenergie leistet -, das weitgehender Maßnahmen bedarf.
({1})
Es ist nicht im Selbstlauf möglich. Das zeigt ja auch Ihre
Politik. Sie sind nicht aus der Atomenergie ausgestiegen
und haben das Ziel trotzdem rasant verfehlt.
Mit dem Regierungswechsel haben wir in Deutschland einen neuen Anlauf in der Klimaschutzpolitik genommen. Es geht dabei um ein Herzstück rotgrüner
Politik. Wir haben nicht nur vom Klimaschutz geredet,
sondern unverzüglich eine große Zahl von Maßnahmen
ergriffen. Dazu gehört das 100 000-Dächer-Programm.
Sie hatten damals 5 000 Dächer in fünf Jahren, also
1 000 pro Jahr, vorgesehen. Das war Ihr Beitrag.
Zu den Maßnahmen gehört die ökologisch-soziale
Steuerreform. Was Frau Merkel dazu Merkwürdiges
vorgerechnet hat, hat Herr Müller bereits richtiggestellt.
Für eine Physikerin war das ein Trauerspiel. Ferner gehören dazu die Förderung von kleinen Blockheizkraftwerken innerhalb der ökologischen Steuerreform, das
Einführungsprogramm erneuerbarer Energien, das Programm „Solar, na klar“ - das ist eine Kampagne, in der
Handwerker, Umweltverbände und Architekten zusammenarbeiten; sie fängt jetzt an, im Wärmebereich zu
greifen - und die Energieeinsparverordnung, die mit der
Heizungsanlagen- und Wärmeschutzverordnung zusammengefaßt werden soll. Der Grund dafür ist, daß die
Wärmeschutzverordnung, die Sie erlassen haben, absolut unzureichend war. Das haben wir damals kritisiert.
Jetzt müssen wir hier erheblich nachbessern.
({2})
Weitere Aktivitäten waren zum Beispiel das Stromeinspeisungsgesetz und die Vermeidung von Leerlaufverlusten. Mit der Stand-by-Verordnung haben wir in
Europa während unserer Präsidentschaft dafür gesorgt,
daß Maßnahmen ergriffen werden, um im Büro und im
Haushalt den Leerlauf zu reduzieren.
({3})
Mit diesen Themen befaßt sich auch unser Antrag.
Wir fordern, daß die interministerielle Arbeitsgruppe
„CO2-Emission“ endlich wieder aktiv wird. Sie ist zwar
eingerichtet worden, aber ihre Arbeit ist in den vergangenen Jahren zum Erliegen gekommen. Allerdings verlangt die Fortführung ihrer Arbeit die entsprechende
personelle Unterstützung in den einzelnen Ministerien Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Landwirtschaft,
Wirtschaft usw. -, damit die interministerielle Arbeitsgruppe zu Ergebnissen kommen kann.
Ich möchte noch kurz den Verkehrssektor ansprechen; meine Redezeit läuft leider ab. Der Verkehrssektor
ist ein Sorgenkind; das wissen wir. In unserem Antrag
sind in diesem Zusammenhang diverse Maßnahmen enthalten. Ich bin sehr froh und dankbar, daß der Minister
auf der Konferenz in Bonn den Luftverkehr angesprochen hat, der riesige Wachstumszahlen aufweist und
eine große Klimarelevanz hat. Ich hoffe, daß wir in diesem Bereich weiterkommen.
Wir wissen, daß noch viel zu tun ist, um das zugesagte Klimaschutzziel zu erreichen. In den letzten zehn
Jahren wurde viel Zeit verloren. Daß Bundeskanzler
Schröder nun eine umfassende nationale Strategie für
eine Minderung der klimaschädlichen Treibhausgase
angekündigt hat, macht uns Hoffnung. Wir unterstützen
ihn dabei. Ich hoffe, daß wir auch international weiter
gemeinsam an einem Strang ziehen.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Klaus Lippold.
Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
teile die Einschätzungen des Kollegen Loske und des
Kollegen Müller hinsichtlich der Klimaanalyse. Ich teile
auch die Befürchtungen, die auf der Bonner Klimakonferenz geäußert worden sind. Wir müssen die Sorgen und
Ängste der Menschen ernst nehmen. Aber daß Sie, Herr
Müller, und insbesondere Sie, Herr Trittin, sich so lange
bei der Analyse aufgehalten haben, ist doch entlarvend.
Denn der Punkt ist: Sie haben nichts getan und auch
nichts dazu beigetragen, daß sich etwas tut.
({0})
Ich will Ihnen noch eines sagen: Sie - auch Herr
Müller hat diese Richtung eingeschlagen - haben zu
Frau Merkel gesagt, das kleinliche Gezerre solle unterbleiben. Blicken wir doch einmal zurück nach Kioto.
Was haben Sie, Herr Müller, nach der Konferenz von
Kioto gesagt? Sie haben sie so bewertet - schließlich
waren damals noch die anderen an der Regierung -, daß
wir dort eklatante Rückwärtsbewegungen erlebt hätten,
so ausweislich des Protokolls; die Welt sei in Gegenwartsproblemen gefangen.
Ihr Kanzler Schröder - mit dem Sie ja sowieso nicht
übereinstimmen - hingegen sagt, daß die Konferenz in
Kioto ein Durchbruch und ein voller Erfolg gewesen sei.
So fließt Ihr parteiliches Hickhack in Ihre Bewertung
ein.
({1})
Ihr Kanzler vertritt hier eine andere Auffassung als Sie.
Daß er in der Sache selbst nichts gemacht hat, dazu
komme ich noch.
Frau Hustedt hat schließlich noch gesagt: Wir übernehmen insofern Altlasten, als vier Jahre nichts für den
Klimaschutz getan wurde.
({2})
Ich habe Ihnen schon mehrfach gesagt, daß es für den
Fall, daß Sie sich nicht selbst entlarven, Gott sei Dank
ein Bundespresseamt gibt. Es gibt aber auch das Pressereferat des Umweltministeriums.
({3})
Dieses korrigiert die rotgrünen Falschaussagen, wie sie
zum Teil auch heute hier getroffen werden.
Sie haben gerade gehört: Rückgang in der Klimapolitik. Was schreibt rechtzeitig zur Berliner Konferenz am
19. Oktober 1999 das Pressereferat?
Seit 1990 hat Deutschland eine Vorreiterrolle in der
internationalen Klimapolitik innegehalten. Die
Warnungen der Atmosphärenphysiker, Meteorologen und Klimatologen wurden schon in einer frühen Phase sehr ernst genommen …
Ihr Umweltministerium, Herr Trittin, sagt das! Sagen
Sie doch etwas dazu, Frau Ganseforth! Wo waren denn
die Fehlleistungen?
({4})
Das BMU erklärt auch:
Die Kabinettsentscheidung vom 13. Juni 1990
brachte den Startschuß für ein nationales Klimaprogramm schon lange vor Rio!
Weiter heißt es vom BMU, daß eine interministerielle
Arbeitsgruppe eingesetzt worden sei, damit Deutschland
einen effektiven Beitrag zum Klimaschutz leisten könne.
Im Jahre 1997 habe - so das BMU - das Kabinett beschlossen, daß diese Gruppe im Jahr 2000 einen weiteren Zwischenbericht und einen Maßnahmenkatalog
vorlege. Das, was Sie heute vorlegen, ist doch nichts anderes, als die Entscheidungen von damals zu wiederholen. Sie fügen dem keinen einzigen neuen Beschluß hinzu!
({5})
Zwischen 1990 und 1998, zu einem Zeitpunkt also,
als Sie noch keinen Einfluß hatten, seien, so das Pressereferat des BMU, die jährlichen CO2-Emissionen um
140 Millionen Tonnen in Deutschland zurückgegangen.
({6})
Dieser Erfolg Deutschlands sei einmalig, so das BMU
im Oktober dieses Jahres.
Leider haben Sie diese Stellungnahme in einer englischsprachigen Broschüre verbreitet. Ich weiß nicht, warMonika Ganseforth
um Sie das nicht auf deutsch geschrieben haben. Dann
hätten dies ein paar mehr lesen können. Es wäre ganz gut
gewesen, wenn sie es einmal gelesen hätten. Sich aber in
Bonn mit unseren Erfolgen zu brüsten und hier zu sagen,
früher sei alles falsch gewesen, läuft nicht.
({7})
In der Presseerklärung wird auch mit der von Ihnen
verbreiteten Falschaussage aufgeräumt, daß die Reduktion der CO2-Emissionen ausschließlich auf Mauerfallgewinner zurückgeht. In diesem Zusammenhang werden
eine ganze Reihe von für diese Entwicklung verantwortlichen Faktoren angesprochen: Die Wärmedämmung
und die Altbausanierung seien äußerst erfolgreich gewesen. Die deutsche Bereitschaft, Asylanten und andere
aufzunehmen, was zu einem Zustrom von 2 Millionen
Menschen geführt habe, gehe in unsere Emissionsbilanz
mit zusätzlichen 50 Millionen Tonnen CO2 ein. Im Zuge
der Wiedervereinigung - dies alles schreibt das BMU seien 1 Million Menschen aus den neuen in die alten
Bundesländer gegangen. Die Produktionskapazität in
den alten Bundesländern sei bis zur Grenzbelastung
hochgefahren worden.
Jetzt zu Ihrer Frage, was wir geleistet haben:
Der entscheidende Faktor ist die ständige Verbesserung der Energieeffizenz in Wirtschaft und Haushalten. Diesen Fortschritt gab und gibt es nicht nur
in den neuen Bundesländern, sondern hat jahrelang
in den alten Bundesländern stattgefunden, und diese Entwicklung setzt sich ungebrochen fort.
So die Pressestelle des BMU.
({8})
Herr Trittin, was sagen Sie eigentlich zur Vergangenheit? Sie wissen ja noch nicht einmal, was Ihre Pressestelle schreibt. Ich sage Ihnen: Nicht Sie haben recht,
sondern Ihre Pressestelle. Das ist der Unterschied.
Herr Loske, Sie haben gerade zu Recht das gestrige
Ende des High-level-Segments angesprochen. Vor dem
Hintergrund dessen, was wir erleben konnten, ist festzuhalten: Der deutsche Minister hat das High-levelSegment nicht beeinflußt, und auch das High-levelSegment hat diese Konferenz nicht beeinflußt. Wir hätten auf all dies verzichten können; denn außer geringen
technischen Verbesserungen ist dabei - bedauerlicherweise, so füge ich hinzu - nichts herausgekommen. Es
kommt zu einer geringen Kapazitätserweiterung, zu „capacity building“. Es sind ein paar neue Expertenrunden
gebildet worden. Wenn ich das aber mit dem Durchbruch von Kioto vergleiche, dann ist festzustellen, daß
hier bedauerlicherweise eine Chance vertan worden ist.
Was mich und was auch Sie nachdenklich stimmen
sollte, ist, daß dort bereits darüber gesprochen wird, daß
durch die nächste Vertragsstaatenkonferenz eventuell
kein Abschluß herbeigeführt werden wird, sondern unter
Umständen erst durch die 7. Vertragsstaatenkonferenz.
Das stellt alle Formulierungen des Kioto-Protokolls in
bezug auf den Prozeß „Rio plus zehn“ in Frage.
({9})
Auf eine Verwirklichung dieser Vorgaben sollten wir
hinarbeiten. Das setzt doch voraus, daß Sie auf Spitzenebene Gespräche führen. Das hat der frühere Kanzler
getan. Ich möchte einmal wissen, ob von Herrn Schröder
bei seiner jetzigen Reise in Japan und in China die Klimakonvention angesprochen worden ist.
({10})
Ich wette, daß er das nicht getan hat. Er posaunt doch
immer alles heraus, was er tut. Wenn er dies nicht herausposaunt hat, hat er auch nichts getan. Das heißt also,
Sie haben auf dieser Ebene de facto nichts Konkretes
beigetragen.
({11})
Herr Kollege Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Loske?
Nein.
Der Kanzler hat in Bonn vor der Klimaschutzkonferenz ausgeführt, daß er das Klimaschutzziel bestätige. Er
hat die Maßnahmenpalette der Vorgängerregierung dargestellt und die Erfolge der Vorgängerregierung gepriesen, als wären es seine eigenen.
({0})
Dann hat er gesagt, die Hausaufgaben müßten zu Hause
erledigt werden, bevor man sich an andere wende. Ferner hat er auf die Ökosteuer hingewiesen, von der Wissenschaftler zutreffend sagen, daß sie keinen Lenkungseffekt hat. Ich will das jetzt nicht vertiefen.
Das Gerangel übrigens, das Sie gestern im Hinblick
auf die Ökosteuer veranstaltet haben, macht deutlich,
daß es Ihnen im Kern nicht um die Sache geht, sondern
daß Nebenziele zu Hauptzielen hochstilisiert werden.
Jeder, der als letzter mit Ihnen spricht, hat die Chance,
eine Änderung des Gesetzesvorhabens zu erreichen.
({1})
Der Kanzler hat weiterhin den Ausstieg aus der Kernenergie angesprochen. Sie auch, Herr Trittin. Nur, er hat
hinzugefügt - ich weiß langsam nicht mehr, was ich
glauben soll -: „Für mich steht nicht der Ausstieg aus
der Kernenergie im Vordergrund.“ - Damit müssen Sie
selber fertig werden. Sie haben nichts Konkretes vorgebracht, statt dessen nur Sprüche wie zum Beispiel „Effizenzrevolution“. Sie haben kein schlüssiges Energiesparkonzept vorgelegt. - Die Energieeinsparverordnung
schlummert seit einem Jahr bei Ihnen. Wir haben die
Vorarbeiten geleistet, Sie sind aber noch nicht einmal in
der Lage, diese abzuschließen.
Höhepunkt der Aussagen des Kanzlers in Bonn war
die Stellungnahme zur Verkehrspolitik. Er hat dort einige Schlagworte in den Raum gestellt und wie üblich
ein Scheinmachtwort gesprochen, indem er sagte: Hier
muß unbedingt etwas geschehen! Er hat aber nicht gesagt, was geschehen soll. Außerdem hat er ganz schnell
Dr. Klaus W. Lippold ({2})
hinzugefügt - zu Ihrer Unterrichtung, Frau Ganseforth -,
es gehe nicht um die Einschränkung von Mobilität. Was
wollen Sie denn eigentlich? Sie sprechen von Vermeidung und Zurückführung, der Kanzler aber sagt, daß die
Mobilität nicht eingeschränkt werden soll. Auch dazu,
wie die Verlagerung von der Straße auf die Schiene vonstatten gehen soll, gab es kein Wort.
({3})
Wo ist eine Minderungsstrategie? Wir hatten 1997
beschlossen, daß im nächsten Jahr ein neues Maßnahmenpaket erarbeitet werden soll. Warum stellt er dieses
neue Maßnahmenpaket nicht in Bonn vor? Wahrscheinlich ist nichts getan und nichts erarbeitet worden. Abgesehen von einer Weiterführung unserer Vorleistungen
hat diese Regierung nichts gebracht. Von Ihnen kam
auch nichts Neues.
({4})
Ich will ganz deutlich sagen: Wenn wir heiße Luft verhindern wollen, dann müssen wir leere Verprechungen
verhindern. Diese sind nämlich genauso schlimm wie
„hot air“ im Klimaprozeß. So kann das nicht laufen.
Herr Trittin hat ja in seiner Rede in Bonn das Ganze
noch etwas variiert. Zum additiven Maßnahmenbündel
der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz sagte er:
Wir streben an, Mitte nächsten Jahres ein Maßnahmenbündel vorzulegen. Der Zeitpunkt wird also schon wieder relativiert. Man könnte da auch heraushören, daß es
Ende nächsten Jahres wird. Wann soll es denn soweit
sein? Nach der nächsten Vertragsstaatenkonferenz?
({5})
Von Ihnen kommen nur Sprüche, heiße Luft und Ankündigungen; nichts setzen Sie konkret um. Was Sie bezüglich der Kernenergie vorhaben, ist genauso falsch
wie das, was Sie bei der Ökosteuer gemacht haben. So
kann man es nicht machen. Sie machen nicht, wie Sie es
versprochen haben, vieles anders und alles besser, sondern Sie machen alles wie früher, nur schlechter und
langsamer! Das darf so nicht sein.
({6})
Jetzt auf einmal wehren Sie sich, in der Energieeinsparverordnung Erleichterungen und Beschleunigungsmöglichkeiten für die Umsetzung vorzusehen. Wie
wollen Sie denn eine Akzeptanz für die Energieeinsparverordnung erzielen, wenn Sie ein komplexes Regelwerk vorlegen, das die Menschen nicht verstehen? Sie
muß doch von den Leuten angenommen werden, um angewandt zu werden. Wenn Sie sie schon im Vorfeld für
eventuell zu einfach und zu verständlich halten, dann
führt Ihre Kritik dazu, daß es hinterher an der Akzeptanz
hapert und die Verordnung nicht umgesetzt wird. Sie
glauben, möglichst viele Regelungen und ein starkes
Ordnungsrecht bringen es. Langsam ändern sich ja auch
Ihre Einstellungen, denn der Kanzler lobte kürzlich die
Selbstverpflichtungen. Ich meine aber, daß das nicht
weit genug geht.
Wir bestehen deshalb darauf, daß Sie jetzt umgehend
den zweiten Teil eines nationalen Klimaschutzprogrammes vorlegen, nachdem der erste Teil von uns vorgelegt wurde, und daß wir dieses ausführlich diskutieren
können. Die Debatte sollte dabei nicht kurzfristig nach
der Klimaschutzkonferenz eingeschoben werden, so daß
wir noch nicht einmal über das Schlußwort diskutieren
können. Warum sagen Sie, Herr Trittin, nachdem das
High-level-Segment gestern abgeschlossen wurde, wie
Herr Loske zu Recht anmerkte,
({7})
heute nicht, was in der Schlußerklärung steht? Oder haben Sie darauf verzichtet, dort Einfluß zu nehmen? Das
wäre früher so nicht gelaufen. Bis zur letzten Minute
hätten wir versucht, die Dinge auf den richtigen Weg zu
bringen, damit die Ausgangslage für weitere Diskussionen bei den nächsten Klimaverhandlungen stimmt. All
das machen Sie, meine Damen und Herren, nicht.
Vor allen Dingen vermissen wir den nötigen Druck
auf internationaler Ebene. Sie rühmen sich damit, daß
das, was wir auf europäischer Ebene erreicht haben, jetzt
gerade einmal so von Ihnen gehalten wird. Das kann so
nicht weitergehen. Wir müssen entschiedener dafür
kämpfen - da sind wir, Herr Loske, wieder bei einem
gemeinsamen Anliegen -, daß die Maßnahmen, die wir
auf Grund unserer Analyse für richtig halten, auch international durchgeführt werden. Diesen entschiedenen
Einsatz vermissen wir aber bei dieser Bundesregierung.
Darüber hilft auch Ihre intelligente Analyse nicht hinweg. Sie war gut und richtig, aber sie sagt zuwenig zum
Handeln.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre
Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Ulrich Kasparick.
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Ihre Empfehlung, bei
der Klimapolitik international besser zu kooperieren,
setzt eines voraus, Herr Lippold: Wir müssen aufhören
herumzubolzen.
({0})
Wir müssen sensibler und präziser werden. Die Art Ihres
Vortrages war nicht sehr einladend, um einen Dialog zu
führen. Das möchte ich Ihnen ganz deutlich ins Stammbuch schreiben.
({1})
Ich will deswegen auf Ihren Beitrag nicht näher eingehen, sondern das Augenmerk auf einen Punkt richten,
der nach meinem Eindruck heute in der Debatte etwas
zu kurz gekommen ist. Wir dürfen nicht vergessen: Wer
über Klimapolitik spricht, hat es mit einem Zeitproblem
Dr. Klaus W. Lippold ({2})
zu tun. Wir müssen politische Instrumente, die auf Kooperation angelegt sind, gegen das Exponentialwachstum bei den Schäden entwickeln.
Martin Schulze hat 1995 am Ende des Weltklimagipfels gesagt: Wenn junge Menschen die Delegierten gewesen wären, dann hätten wir sicher zum Abschluß des
Gipfels bessere Ergebnisse als die, die wir heute haben.
- Aber die ältere Generation hatte das Sagen; entsprechend waren die Ergebnisse.
({3})
Was Martin Schulze 1995 gesagt hat, wäre sicher auch
für manche der Konferenzen zutreffend, die danach
stattgefunden haben.
Was ist das Problem? Das Problem ist, daß die Schäden exponentiell wachsen. Ich will Ihnen das an einem
kleinen Beispiel zeigen. Wenn Sie ein Blatt Papier
40mal falten, dann entspricht der Gesamtumfang, der
sich aus dem Umfang der Einzelstücke zusammensetzt,
der Entfernung zwischen Erde und Mond, also 250 000
Kilometer. Sie haben es in diesem Beispiel mit Exponentialwachstum zu tun.
Diese Art von Wachstum ist auch bei den Umweltschäden zu finden. Unter diesem Blickwinkel waren die
vergangenen 10 Jahre eine vergeudete Zeit, weil in dieser Zeit die Politik viel zu zaghaft und viel zu unentschlossen war. Mich wundert, daß heute immer noch gesagt wird, der Einstieg in die ökologische Steuerreform
sei falsch.
({4})
Endlich haben wir den Schritt gemacht und die Volkswirtschaft auf einen neuen Entwicklungspfad umgestellt.
Sie aber sprechen davon, daß es der falsche Weg sei! Ich
will Ihnen dazu in aller Offenheit sagen: Ein Grund für
meine Kandidatur war damals, mitzuhelfen, daß diese
verfehlte Klimaschutzpolitik aufhört.
({5})
- Herr Grill, Sie gehören ja auch zu denen, die lieber
bolzen, anstatt zu argumentieren.
({6})
Ich will Ihnen noch einen zweiten Punkt nennen. Wir
wissen, daß Deutschland auf dem Gebiet der Klimaforschung gut ist. Während der Vorbereitung meines Redebeitrages habe ich mit den auf diesem Gebiet führenden Instituten persönlich gesprochen.
({7})
Die Meinung dieser Institute ist, daß wir gut, aber bei
weitem noch nicht die Besten sind. England ist in vielen
Bereichen der Klimaforschung besser. Insbesondere,
was die Rechnerleistung betrifft, müssen wir in
Deutschland besser werden. Wir brauchen einen europäischen Rechnerverbund.
({8})
- Ich fange die Diskussion an der Stelle an, an der Sie
offensichtlich nicht mehr auf dem neuesten Stand sind.
({9})
Wir müssen nämlich einmal darüber reden, was unsere
Forschungsinstitute uns Politikern an guter Sachinformation eigentlich zuarbeiten können. Ich will Sie einmal
über drei Trends aufklären, die wir derzeitig in der Klimaforschung haben:
({10})
- Frau Homburger, hören Sie ruhig zu! Sie können noch
eine Menge lernen.
Der erste Trend: Wir wissen immer genauer, wie sich
unsere bisherige verfehlte Energiepolitik auf regionale
Kreisläufe auswirkt. Aber um noch präzisere Informationen bekommen zu können, brauchen wir mehr Rechnerkapazitäten. Dazu braucht die Forschung in
Deutschland die Unterstützung des Parlamentes auch auf
europäischer Ebene. Ich lade Sie herzlich dazu ein, an
dieser Stelle mitzuhelfen.
({11})
Der zweite Trend: Wir brauchen Bewertungskriterien, um beurteilen zu können, wie das Klimasystem
überhaupt stabil gehalten werden kann. In diesem Bereich wissen wir zu wenig.
Der dritte Trend: Wir müssen in der Klimaforschung
lernen, systemisch zu forschen. An dieser Stelle möchte
ich gern ein Lob an das Bundesministerium für Bildung
und Forschung weitergeben. Mir ist von allen Instituten
gesagt worden, daß das BMBF genau an der richtigen
Stelle ansetzt, weil es die systemische Forschung fördert, um mehr über die Komplexität der Zusammenhänge zu erfahren. Insofern liegt der Sachverhalt nicht ganz
so einfach, wie Frau Homburger darzustellen versucht,
indem sie sagt, alles sei im Grunde genommen klar, nur
die politischen Handlungsansätze seien noch nicht richtig. Richtig ist: Wir verstehen das System noch zuwenig.
Deshalb müssen wir die Gratwanderung unternehmen,
auch angesichts des enormen Tempos der Zunahme der
Schäden sehr zielgenau in Forschung und Entwicklung
zu investieren. Insbesondere brauchen wir Großrechner,
die die komplexen Systeme besser abbilden können.
Ich darf noch eines bemerken: Für mich als Ostdeutschen ist es ein schönes Indiz, daß in der Klimaforschung in Deutschland das Hamburger Institut nicht alleiniger Hauptakteur am Markt ist, sondern daß es mittlerweile auch in Ostdeutschland führende Klimaforschungsinstitute gibt. Das Potsdamer Institut ist erwähnt worden; ich will noch auf das Institut in Kühlungsborn hinweisen.
Alle sagen uns: Die Schäden nehmen mit einem unglaublichen Tempo zu. Aus Kühlungsborn habe ich
noch gestern per Telefon gehört: Die Temperatur nimmt
in der Höhe, in der das Institut speziell forscht - 82 Kilometer über dem Boden -, zehnmal schneller ab, als
bislang errechnet worden ist. Wir wissen, daß nach
neuesten Messungen das Verschwinden der GletschersyUlrich Kasparick
steme in Europa dreimal schneller vor sich geht, als man
bisher angenommen hat. Wir wissen, daß die Veränderungen in der Atmosphäre - Herr Loske hat es heute angesprochen - mit einer Verzögerung von 40 bis 50 Jahren klimawirksam werden. Das Kunststück der Politik
muß darin bestehen, im Vorgriff auf diese Wirkungen
Maßnahmen zu ergreifen, von denen wir noch nicht wissen, ob sie ausreichend zielführend sind.
Wir brauchen ganz dringend eine Verstärkung der
Effizienzforschung. Ich habe mir die Institute in Ostdeutschland sehr genau angeschaut. Dresden macht das,
wie ich finde, gut. Dort entwickelt man ein Forschungsnetz für Materialforschung. Auch das Wirtschaftsministerium setzt den Akzent an eben dieser Stelle. Wir
brauchen die Vernetzung zwischen Klimaforschung und
angewandter Forschung, stärker noch, als das in der
Vergangenheit der Fall war.
Wir müssen lernen - das zeigt diese Debatte -, besser
zu kooperieren. Das sagen uns auch die Institute: Was
die Kooperationsfähigkeit betrifft, sind wir noch ganz
am Anfang der Debatte. Ich werbe dafür, die Forschungsprogramme, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft plaziert hat, fortzusetzen und zu stärken. Die
Entwicklung der Netzwerkforschung muß wesentlich
intensiver als bisher vorangetrieben werden.
Die Energieeffizienz muß weiter steigen. Dafür müssen wir sehr viel mehr Forschungsmittel bereitstellen.
Zudem müssen wir die Potentiale erneuerbarer Energie nutzen, was in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt worden ist. Und wir müssen die Entwicklung
neuer Technologien fördern. Da ist das Wirtschaftsministerium auf einem guten Weg.
({12})
Allerdings, so sage ich, ist das nicht genug angesichts
der Entwicklungen, mit denen wir es zu tun haben.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich habe
versucht, Ihnen einige wichtige Trends aufzuzeigen. Zwischen der dramatischen Beschleunigung der Zunahme der
Schäden auf der einen Seite und der Entwicklung der systemischen Arbeiten - deren Notwendigkeit unbestritten
ist - auf der anderen Seite öffnet sich eine Schere, die wir
bei den politischen Entscheidungen nicht aus dem Blick
verlieren dürfen. Wir müssen lernen, im politischen Raum
ergebnisorientierte Kommunikationsprozesse zu organisieren. Wir brauchen auch in der Politik eine bessere Vernetzung, eine bessere Kooperation.
Ich will schließen mit dem Zitat eines UN-Generalsekretärs:
Ich will die Zustände nicht dramatisieren. Aber
nach den Informationen, die mir als Generalsekretär der Vereinten Nationen zugehen, haben nach
meiner Schätzung die Mitglieder dieses Gremiums
noch etwa ein Jahrzehnt zur Verfügung, ihre alten
Streitigkeiten zu vergessen und eine weltweite Zusammenarbeit zu beginnen. Wenn eine solche Partnerschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht
zustande kommt, dann werden, fürchte ich, die erwähnten Probleme derartige Ausmaße erreicht haben, daß ihre Bewältigung menschliche Fähigkeiten
übersteigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das hat nicht Kofi
Annan gesagt, das war der frühere UN-Generalsekretär
U Thant, und zwar im Jahre 1969.
Herzlichen Dank.
({13})
Es spricht jetzt die
Kollegin Ulrike Flach, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben uns in den letzten zwei
Stunden sehr viel in luftigen Höhen bewegt. Wir haben
die berühmte heiße Luft sehr kräftig zirkulieren lassen.
Ich möchte mich aus diesem Grunde auf den denkwürdigen Satz des Ministers Trittin beschränken: Tue Gutes
im eigenen Lande. Sie haben immer wieder betont, daß
Deutschland beim Klimaschutz Vorreiter bleiben muß,
Frau Ganseforth. Vorreiter waren wir mit guten Ergebnissen bei den CO2-Reduktionen weiß Gott. Wenn man
Vorreiter sein will, muß man selbst Vorleistungen
erbringen. Hier geben Sie aus der Sicht der F.D.P. im
Augenblick leider das Bild eines Hausmanns ab, der
beim Nachbarn den Staub auf der Kommode kritisiert,
bei dem zu Hause sich das dreckige Geschirr aber immer
höher stapelt.
({0})
Was haben Sie zum Beispiel im Baubereich getan?
Die privaten Haushalte tragen einen erheblichen Teil
zum Ausstoß von CO2 bei, jeder Haushalt jährlich im
Schnitt 1,9 Tonnen CO2 und 9,24 Kilogramm Schwefeldioxid. Es ist unstreitig - da sind wir uns alle einig -,
daß hier die größten Einsparpotentiale ausgeschöpft
werden können.
Die CDU/CSU-F.D.P.-Regierung hat mit der Novellierung der Wärmeschutzverordnung 1995 einen
wichtigen Beitrag zur CO2-Reduzierung geleistet.
({1})
Damals war auf Grund eines Votums des Bundesrates
klar, daß bis zum Jahre 2000 eine Novellierung der
Wärmeschutzverordnung nötig sein würde. Jetzt schaue
ich mir Ihren Antrag an. Auf Seite 6 begrüßen Sie die
Absicht der Bundesregierung, mit „einer wirksamen und
einfach zu vollziehenden Energiesparverordnung 2000
den CO2-Verbrauch im Gebäudebereich nachhaltig zu
senken“. Da laufen Sie bei uns weiß Gott offene Türen
ein. Aber genau das haben Sie nicht gemacht. Sie haben
einen Entwurf vorgelegt, zu dem uns Experten, und
zwar Ihre eigenen Experten, mitteilen, daß bereits 100
Einwände vorliegen und daß die erste Vorlage eines beratungsreifen Entwurfs gerade einmal Ende 1999 zu erwarten ist.
({2})
Das heißt, Sie haben sich vom Termin 2000 bereits
jetzt verabschiedet. Das betrifft 20 Millionen Tonnen
CO2 im nächsten Jahr. Es wäre weiß Gott besser für dieses Land, wenn Sie einfach nur unsere Wärmeschutzverordnung novellieren würden. Wie wäre es denn damit?
({3})
- Wir haben gesagt, da laufen Sie bei uns offene Türen
ein.
Sie fordern weiterhin, „das Förderprogramm CO2Minderung im Gebäudebereich deutlich zu verstärken
und zu optimieren“. Dabei führen Sie als Anreiz die Kapitalisierung von Zinsvorteilen an. Ich habe geglaubt,
ich lese nicht richtig! Was haben Sie denn vorige Tage
im Umweltausschuß explizit abgelehnt, als ein solcher
Vorschlag der F.D.P. auf dem Tisch lag?
({4})
- Offensichtlich, Herr Müller!
({5})
Auf Seite 5 fordern Sie steuerliche Vorteile für Unternehmen im Rahmen eines Energieaudits. Genau dies
haben wir letzte Woche vorgeschlagen, und Sie haben es
abgelehnt.
({6})
Wie würden eigentlich Sie ein solches Verhalten nennen? Ich möchte an dieser Stelle nicht die Kollegin
Lengsfeld zitieren, die dazu in der letzten Sitzung des
Umweltausschusses sehr eindeutige Worte gefunden hat.
Ich schaue mir Ihren Haushalt an. Sie sagen selbst, im
Gebäudebestand liegen die größten CO2-Einsparpotentiale. Dann sehe ich, daß Sie die Mittel für Energieeinsparung bei Wohngebäuden bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau erhöht haben, aber Sie haben genau die gleichen Positionen bei den Gebäuden des Bundes gekürzt. Wir haben 1998 dafür 81 Millionen DM
ausgegeben, Sie geben in diesem Jahr nur noch 67 Millionen DM aus.
({7})
Sind wir immer noch Vorreiter, Herr Trittin, oder wie
läuft das jetzt weiter?
Was tun Sie zum Beispiel für die Förderung von Passivenergiehäusern und Plusenergiehäusern? Was machen Sie mit Ihrer Ökosteuer, wenn es wie in Freiburg
Firmen gibt, die Null-Emission-Fabriken erstellen?
Werden solche Betriebe von der Ökosteuer befreit?
({8})
Es ist zu überlegen, was mit freiwilligen Selbstverpflichtungen erreicht werden kann.
({9})
Immerhin haben wir 3,4 Millionen Tonnen CO2 auf
Grund der Selbstverpflichtung der Industrieverbände
eingespart. Sie berücksichtigen bei Ihren Ökosteuermodellen nichts in dieser Art. Sie verzichten auf die ökologische Lenkungsweise zugunsten einer Verbesserung
der Kassenlage.
({10})
- Dort sollten Sie wirklich eine Anleihe machen, Herr
Müller.
({11})
In Ihrem Antrag gibt es manche Forderungen - ich
komme jetzt auf Sie zu -, denen wir zustimmen können,
zum Beispiel beim Thema kontraproduktive ökologische
Subventionen. Die wollen Sie abbauen; die wollen
selbstverständlich auch wir abbauen. Nur lese ich voll
Erstaunen, daß Sie nach wie vor die Steinkohlesubventionen in erheblichem Umfang gewähren. Wir haben sie
sozial und regional verträglich von 9,25 Milliarden DM
auf 5,5 Milliarden DM gekürzt. Sie wollen da nicht
heran. Ihre Kollegen in Nordrhein-Westfalen - in
diesem Fall die grünen Kollegen - haben schon gesagt, sie dächten nicht im Traum daran, diese Subventionen zu kürzen. Ist das ökologisch? Nur leere
Worthülsen!
({12})
Wir waren es nicht, die behauptet haben, dies müsse
getan werden.
Weiter fordern Sie eine klimafreundliche Verkehrspolitik. Meinen Sie, daß es klimafreundlich ist, wenn
auf Grund der massiven Kürzungen der Mittel für den
Straßenbau die Menschen mit ihren Autos im Stau stehen? Denken Sie einmal darüber nach!
({13})
Als Nordrhein-Westfale habe ich mit meinem Auto viele
Stunden am Kölner Ring verbracht. Ich komme nie
durchs Ruhrgebiet. Es gibt 950 Ortsumgehungen.
({14})
- Verdammt noch mal, für den Zug haben Sie auch zuwenig getan.
({15})
Das ist doch genau der Punkt. Sie tragen dazu bei, daß
auf den Straßen Millionen Tonnen von CO2 ausgestoßen
werden, tun aber nichts für den öffentlichen Personennahverkehr.
({16})
Überlegen Sie doch einmal, wie lange wir Ihnen
schon sagen, Sie sollten den öffentlichen Personennahverkehr von der Ökosteuer ausnehmen. Jetzt verkaufen
Sie es uns als besonderen Gewinn, daß Sie an Ihrem eigenen Gesetz herumfummeln und es verbessern. Aber
ein Jahr ist ins Land gegangen.
({17})
Übrigens hat Kollegin Homburger recht: Das Gesetz ist
noch immer nicht schlüssig.
Meine Damen und Herren, wir haben dem nach unserer Sicht nicht optimalen Konzept der Ökosteuer eine
wirklich ökologische Alternative gegenübergestellt, die
Sie eigentlich mit Begeisterung unterstützen müßten,
nämlich die Abschaffung der Kfz-Steuer und Umlage
auf die Mineralölsteuer sowie die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale. All dies haben Sie in der
letzten Woche in den entsprechenden Ausschüssen abgelehnt.
({18})
Auf meine dezidierte Frage, wie Sie es sich sonst vorstellen, habe ich keine Antwort bekommen. Sie sind mit
dem Banner Ihrer Modelle durch die Lande gezogen und
haben Stimmen gesammelt, setzen sie aber nicht um.
Das Thema Schlupflöcher möchte ich angesichts
meiner noch zur Verfügung stehenden Redezeit einmal
außen vor lassen, obwohl ich der Meinung bin, daß diese
von Herrn Trittin endlich geschlossen werden müßten.
Frau Kollegin Flach,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Frau Kollegin Flach, ich
möchte Sie fragen, ob Sie mit mir der Meinung sind, daß
es positiv zu bewerten ist, daß Busse und Bahnen im
Rahmen der Ökosteuer bevorzugt behandelt werden, daß
die GVFG-Mittel nicht gekürzt worden sind? Ist Ihnen
bekannt, daß zum Jahr 2000 die streckenbezogene LkwGebühr eingeführt werden soll und daß dies aus technischen Gründen nicht eher möglich ist? Ich könnte noch
weitere Punkte anführen, möchte Sie aber nur fragen, ob
Sie meinen, mit Ihrer Argumentation richtig zu liegen.
Frau Kollegin Homburger und
ich haben ein Jahr lang immer wieder eingefordert, daß
bei der Ökosteuer nicht der öffentliche Personennahverkehr einbezogen wird. Das war ein Fehler in Ihrer
Gesetzesvorlage.
({0})
Die F.D.P. ist Ihnen ausgesprochen dankbar, daß Sie
diesen Fehler jetzt korrigieren. Das heißt nicht, daß wir
deswegen das gesamte Gesetz gut finden, aber es ist
zumindest an dieser Stelle verbessert worden. Wer sich
ökologisch verhält und mit Bahn oder Bus fährt, sollte
dafür nicht auch noch bestraft werden.
({1})
Damit wäre ich bei den regenerativen Energien. Sie
haben uns hier - auch gerade wieder - plakativ das
100 000-Dächer-Programm vorgestellt. Selbst Ihre eigenen Leute reden davon, daß dies vornehmlich für die
Publikationen in der Presse gut ist. Ich möchte an dieser
Stelle einmal das Wuppertal-Institut zitieren, das Ihnen
drastisch ins Stammbuch geschrieben hat, daß es sich
dabei um eine einseitige, imageträchtige Subventionierung von Solarstrom handelt. Kurz- bis mittelfristig wären biogene Energieträger ein deutlicherer Beitrag zum
Klimaschutz.
({2})
Meine Damen und Herren, Sie setzen ganz offensichtlich falsche Schwerpunkte. Herr Minister Trittin hat
eben wieder die Liberalisierung auf dem Energiemarkt
verteufelt. Auch damit stehen Sie alleine.
Frau Kollegin Flach,
Sie müssen bitte zum Schluß kommen.
({0})
Ich komme gerne zu meinem
Fazit.
Ich möchte den Klimaexperten von Greenpeace bei
der Klimakonferenz, Karsten Smid, zitieren, der der jetzigen Bundesregierung in Gestalt von Herrn Minister
Trittin bescheinigte, daß Zweckoptimismus wirklich fehl
am Platze sei und daß sich die Bundesregierung null
vorwärts bewegt habe.
Ich empfehle Ihnen also: Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Wir unterstützen Sie in guten Punkten. Ein erster
Schritt wäre, den Antrag der F.D.P. zu unterstützen.
({0})
Für die PDSFraktion spricht jetzt der Kollege Carsten Hübner.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich vorweg
zu sagen: Ich bin der Fraktion der CDU/CSU sehr dankbar
({0})
- ja, auch das kommt vor, wenngleich selten -, daß sie
uns mit ihrem Antrag die Gelegenheit gibt, hier im Parlament explizit über die Auswirkungen der Klimaveränderungen auf die Umwelt- und Lebensbedingungen in
den Entwicklungsländern zu debattieren. AußerordentUlrike Flach
lich erfreut bin ich darüber, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU, daß ich diesbezüglich große Teile
der Analyse und auch der Forderungen Ihres Antrags
durchaus teilen kann. Ich frage mich bloß, warum Sie
die darin enthaltenen Eckwerte und Maßnahmen in den
letzten Jahren nicht mit mehr Nachdruck umgesetzt haben. Die Möglichkeit dazu hätten Sie ja gehabt.
({1})
Sie erlauben mir aber, einige weitere Aspekte in die
Debatte einzubringen, um die Dringlichkeit von konsequenten Entscheidungen zu unterstreichen, die verdeutlichen, daß weitere Verzögerungen nicht hingenommen
werden können, und die die Frage nach der Verantwortung für den Klimaschutz vom Kopf auf die Füße stellen.
Für die Entwicklungsländer ist die ökologische und
damit an vorderer Stelle auch die Klimafrage eines der
dringlichsten Probleme, auch eines der dringlichsten sozialen Probleme. Bereits jetzt haben viele Verelendungsprozesse in der sogenannten dritten Welt neben
ökonomischen und politischen Herrschaftsverhältnissen
ökologische Zerstörungen als unmittelbare Ursache. Das
gilt zum Beispiel in der Sahelzone, wo seit Mitte der
70er Jahre die Niederschlagsmenge auf Grund der Erderwärmung um zirka 40 Prozent zurückgegangen ist.
Auch die Verwüstung großer Teile Mittelamerikas durch
den Hurrikan „Mitch“ oder die Verstärkung des Klimaphänomens El Niño, das unter anderem Dürrekatastrophen und riesige Waldbrände in Südostasien ausgelöst
hat, stehen nach bisherigem Wissensstand in einem direkten Zusammenhang mit der Erderwärmung.
So scheint es nur folgerichtig, wenn das FraunhoferInstitut für den Fall, daß sich der Prozeß der Erderwärmung nicht rasch und spürbar verlangsamt, bis zum Jahr
2030 900 Millionen bis 1,8 Milliarden zusätzliche Hungertote prognostiziert, womit ein Szenario an die Wand
projiziert wäre, wie man es sich grauenvoller wohl kaum
vorstellen kann. Damit ist auf das Gewicht der Verantwortung, das wir im entwickelten Norden als Hauptverursacher der Klimaveränderungen tragen, wohl hinreichend hingewiesen. Hierdurch wird der von den Industrienationen in vielen Verhandlungen formulierte Anspruch mehr als relativiert, daß die Entwicklungsländer
die gleiche oder gar eine größere Verantwortung für die
Bekämpfung von Klimaveränderungen zu tragen haben,
wenn es etwa um die Eingrenzung von Treibhauseffekten, also um die Reduzierung von CO2-Emissionen oder
um die sogenannte Überbevölkerung geht.
Die Realität ist schlicht eine andere: Der reiche Norden verschlechtert in Größenordnungen Luft und Klima,
und die Menschen in den armen Trikont-Staaten leiden
und sterben seit Jahrzehnten an den Folgen. In dieser
Frage also gegenwärtig von einer Gleichheit der Verantwortung zu reden ist, gelinde gesagt, reiner Nonsens. Zumindest ist das so lange so, wie es nicht auf
Grund einer weltweit vergleichbaren Lebens- und Verschmutzungssituation tatsächlich auch eine vergleichbare Verantwortung gibt.
Dieser Gedanke muß ja erlaubt sein, denn es ist die
Frage zu stellen, ob nicht dann, wenn wir so leben, wie
wir leben, auch die restlichen 80 Prozent der Weltbevölkerung, die in den Entwicklungsländern leben, zunächst
einmal grundsätzlich das gleiche Recht auf den gleichen
Anteil am Umweltraum und dessen Nutzung bzw. Verbrauch haben. Warum sollte eine Inderin grundsätzlich
weniger Anspruch auf natürliche Ressourcen als etwa
eine Holländerin haben? Mit welchem Selbstverständnis
können die USA zum Beispiel China und Indien einen
steigenden CO2-Verbrauch vorwerfen und daraus besondere Verpflichtungen ableiten, wo doch bis jetzt die
USA mit ihren rund 230 Millionen Einwohnern der
weltweit größte Emittent sind und ein Vielfaches an
Schäden wie China und Indien zusammen verursachen?
Meine Damen und Herren, wenn wir in der neoliberalen Logik bleiben, wenn wir unser Prinzip des globalen Höher, Schneller, Weiter, koste es, was es wolle,
weiterhin von jeder Kanzel predigen, dann können wir
von niemandem in diesen Ländern auch nur im Ansatz
erwarten, daß er nicht auf dasselbe Pferd, auf dasselbe
umweltzerstörende Entwicklungsmodell setzt, das die
letzten 150 Jahre bei uns geprägt hat. Genau deshalb ist
es die Voraussetzung für eine tatsächliche Verbesserung
der globalen Klimasituation, zuallererst bei uns in den
Metropolen Veränderungen herbeizuführen.
({2})
Ohne eine solche Veränderung trägt auch unsere Umwelt- und Klimapolitik gegenüber den Entwicklungsländern immer den faden Beigeschmack zynischer Arroganz und saturierter Besserwisserei.
({3})
An dieser Stelle muß auch mit einem weiteren Mythos aufgeräumt werden, der in diesem Zusammenhang
wieder und wieder auftaucht: die sogenannte Überbevölkerung. Nicht hohe Bevölkerungszahlen sind primär
verantwortlich für die Umweltzerstörung, für Verwüstung, für Wassermangel, für Zerstörung der Tropenwälder durch Abholzung, für erodierende Küsten, für
Bodenerosion auf Grund exportorientierter Landwirtschaft, für die Überfischung der Weltmeere, für die zunehmende Ausrottung und für den massiven Verlust an
Artenvielfalt. So zu argumentieren bedeutet, die Kausalkette von hinten aufzufädeln. Die primäre Ursache all
dieser Entwicklungen ist vielmehr eher in einer ungerechten, große Teile des Südens ausblutenden Weltwirtschaftsordnung zu suchen, die Menschen dazu
zwingt, für ein Minimum an sozialer Sicherheit den
Schutz großer Familien zu suchen oder unverantwortlich
mit der Natur umzugehen. Dabei will ich mit Blick auf
die Natur nochmals deutlich sagen: Sie tun das mit ungleich geringeren Schäden als jede oder als jeder hier im
Norden, auch wenn es oftmals anders erscheint, weil wir
ja alle brav unseren Müll trennen und ein Auto mit Kat
fahren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir,
zum Ende meiner Rede meine Verwunderung als Entwicklungspolitiker darüber zum Ausdruck zu bringen,
daß es angeblich mit bewußter Emissionssenkung zu tun
haben soll, wenn die Großverbraucher im Norden den
unter vielfältigen finanziellen und ökonomischen Zwängen stehenden niedrig verbrauchenden Ländern des SüCarsten Hübner
dens Emissionen abkaufen können. Heißt das nicht,
daß der Raubbau im Norden offensichtlich weitergehen
soll? Werden damit nicht, statt wirklich Emissionen zu
reduzieren, die bestehenden ungleichen Wirtschafts- und
Austauschverhältnisse zwischen den industrialisierten
Ländern des Nordens und den weniger industrialisierten
Ländern des Südens weiter verfestigt?
Herr Kollege Hübner, Sie haben Ihre Redezeit bereits deutlich überschritten.
Ich komme zum Ende.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie in einem
letzten Satz: Blicken Sie über den Tellerrand der Umweltpolitik hinaus. Wir in der Entwicklungspolitik sind
darauf sehr angewiesen.
Vielen Dank.
({0})
Es spricht jetzt der
Kollege Reinhold Hemker, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die heutige Diskussion
mit Bezug auf die Konferenz in Bonn und auf das vorgelegte und vorgetragene Datenmaterial zeigt eindeutig:
Die umfangreichsten Reduktionspotentiale sind, zumindest in den nächsten Jahren, in den Industrieländern zu
erzielen. Darum sind die heute hier vorgetragenen Bemühungen der Bundesregierung zu begrüßen und die
weiteren vorgeschlagenen Maßnahmen in der Zukunft
zu unterstützen.
({0})
Dazu gehört natürlich auch ein kritischer Dialog mit den
USA, dem größten Verbraucher von Energie pro Kopf
der Bevölkerung. „Good governance“ ist für uns in der
Entwicklungspolitik nicht nur ein Grundsatz für den
Dialog mit den Entwicklungsländern, mit der Türkei
oder mit China.
In Bonn wurde, unter anderem mit Bezug auf eine
Studie der US-amerikanischen Organisation Population
Action International, aber auch überdeutlich: Art und
Umfang der Entwicklung in nicht industriell geprägten
Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika werden in
Zukunft immer mehr die Probleme bestimmen, die Gegenstand der 5. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Bonn waren und weiteren Konferenzen sein werden.
Der Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung brachte es in Bonn mit Bezug auf die genannte Studie auf den Punkt:
Maßnahmen zur Verlangsamung des Bevölkerungswachstums können daher auch einen wichtigen Beitrag zur Verringerung des Treibhauseffektes
leisten.
Wenn das Bevölkerungswachstum mit Industrialisierung und Wirtschaftswachstum bisheriger Prägung verbunden ist, dann bedeutet das - Kollege Müller hat darauf hingewiesen - Wachstum beim Energieverbrauch
und bei materiellen Gütern.
Bei Verantwortlichen von UNDP, dem UNEntwicklungsprogramm, wird schon jetzt davon ausgegangen, daß - unter den Voraussetzungen, die ich angesprochen habe - innerhalb der nächsten 15 Jahre rund
60 Prozent der jährlichen CO2-Emissionen aus Entwicklungsländern stammen könnten. Darum ist es so
wichtig, die Entwicklungsländer unter besonderer Berücksichtigung der Strategien umfassend in eine nachhaltige Entwicklung einzubeziehen. Deshalb sagen wir
in unserem Antrag:
Nachholende Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, aber auch Abholzung und Brandrodung
von Wäldern sind die wichtigsten Gründe für die
wachsenden Treibhausgasemissionen in den Entwicklungsländern. Bei gleichbleibenden Trends
werden die weltweiten Emissionen in den nächsten
Jahrzehnten selbst dann deutlich steigen, wenn die
Industrieländer ihre Emissionen stark reduzieren.
Ich bin froh, daß die Bundesregierung das schon bei den
Bemühungen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt hat und offensichtlich auch in Zukunft besonders berücksichtigen will. Dies zeigt zum
Beispiel der Maßnahmenkatalog des 6. Tropenwaldberichtes. Wir haben darüber in dieser Woche im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung diskutiert.
Wir wissen nicht nur aus dem Kioto-Protokoll und
aus den Verhandlungen in Bonn um die Bedeutung der
Senken. Es handelt sich um Orte - Wälder, aber auch
frei zugängige Böden und Meere -, an denen CO2 gespeichert wird. Es wird Zeit, daß auf der Basis einer Definition des IPCC, des zwischenstaatlichen Forums zu
Klimaveränderungen in Genf, eine Klärung erfolgt, wie
Senken bei der Überprüfung der Einhaltung der nationalen Reduktionsziele eingerechnet werden können.
Frau Homburger, auch ich beklage, daß es in dieser
Frage noch keine Lösung gibt. Man muß allerdings darauf hinweisen, daß es einen Definitionsauftrag für das
zwischenstaatliche Forum zu Klimaveränderungen in
Genf gibt. Genau dort sind die Schulaufgaben noch nicht
erledigt worden.
Jede Maßnahme zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung ist eine Maßnahme zum Klimaschutz. Dabei geht
es nicht nur um Tropenholz. Die Diskussion hierzu wird
manchmal etwas zu eng geführt. Es geht unter anderem
um Regelungen, die wir in Deutschland schon seit Ende
des 18. Jahrhunderts haben. Die Menschen müssen die
Waldgebiete - ich denke an geschlagenes Holz als
wichtigen Rohstoff - auch für den Export nutzen können. Die Nutzung muß aber langfristig tragfähig sein.
({1})
Ein wichtiger Punkt ist dabei eine Festlegung in entsprechenden Forstgesetzen bezüglich der zu schlagenden
Holzmenge und der Wiederaufforstung. Auch sind alle
Bemühungen um die Ausweitung der Zertifizierung unter Berücksichtigung von ökologischen und sozialen
Standards zu unterstützen. Das gilt natürlich auch für die
Landwirtschaft und für ihre stärkere ökologische Orientierung. Weniger Dünger und weniger Pestizide führen
zu mehr Klimaschutz.
Leider sind die Bemühungen um die Diversifizierung
der Produktion im Agrarbereich - wie im gesamten
ländlichen Bereich in Entwicklungsländern - in diesem
Sinne noch nicht umfangreich genug. Hier gibt es für die
Bundesregierung, das heißt für die Bundesministerien
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Ernährung, Landwirtschaft, Forsten sowie Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, noch viel zu tun. Die
Regierungsverhandlungen im Rahmen bilateraler Vereinbarungen bieten ausreichend Gelegenheit dazu.
Ein weiterer ganz wichtiger Bereich - er ist heute
schon angesprochen worden - ist das, was „Joint Implementation and Clean Development Mechanism“ genannt wird. Ich halte den Grundgedanken für richtig,
daß die industriellen und energietechnischen Anlagen
eines Landes mit finanziellen und technischen Mitteln
eines anderen Landes so umgerüstet werden, daß sie
weniger Treibhausgase ausstoßen.
Es ist sicherlich verständlich und richtig, daß dann
erzielte Reduktionen in einem gewissen Umfang auch
dem Geberland gutgeschrieben werden. Wenn für ein
und denselben Mitteleinsatz in einem anderen Land international höhere Emissionsreduktionen erzielt werden, als es im eigenen Land möglich wäre, dann ist das
im Grundsatz zu begrüßen. Es darf aber auf keinen Fall
ein zu hohes Niveau der Anrechnung geben. Wenn das
geschehen würde, dann würden sich die reichen Industrieländer auf Kosten der armen Entwicklungsländer
freikaufen. Das darf nicht sein!
({2})
In diesem Zusammenhang ist wichtig, daß klare Bedingungen formuliert werden. So haben wir zum Beispiel in unserem Antrag eine Marge festgelegt: 50 Prozent der Reduktionsverpflichtungen müssen im eigenen
Land erwirtschaftet werden. Der Kollege Müller hat im
übrigen auch in diesem Zusammenhang recht, wenn er
davon spricht, daß die Belastungen nicht weggerechnet
- so hat er es vorhin genannt - werden dürfen.
Ein weiteres wichtiges Feld der technischen Zusammenarbeit ist die Förderung des Einsatzes der erneuerbaren Energien. Wer nicht will, daß in den Entwicklungsländern immer mehr Holz für die Nutzung als
Brennstoff zum Heizen und zum Kochen geschlagen
wird, der muß zum Beispiel etwas für den verstärkten
Einsatz der Solarkocher, der Solarkollektoren und auch
der Photovoltaik tun. Denn insbesondere in den sonnenreichen Entwicklungsländern kann eine Kampagne
„Solar - na klar!“, wie wir sie nennen, zum Erfolg führen. Dies ist auch notwendig, wenn es zu einer wirklichen Trendwende beim Klimaschutz kommen soll.
Ich sehe in den Förderansätzen der Bundesregierung,
im Haushalt des BMZ, und in den Bemühungen der
GTZ, der CDG und der KfW Schritte in die richtige
Richtung. Das gilt natürlich auch für den verstärkten
Einsatz der Windkraft zur Stromproduktion und für den
Betrieb von Pumpsystemen, zum Beispiel bei der Bewässerung und der Speicherung von Wasser, und zwar
nicht nur in Entwicklungsländern. Auch die Nutzung
von Wasserkraft durch Staudämme - nicht unbedingt
mit Mega-Dimensionen - hatte und hat eine große Bedeutung. Sie wird sie auch in Zukunft haben, wenn die
ökologischen und sozialen Faktoren bei der Planung und
Durchführung ausreichend Berücksichtigung finden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mitentscheidend für
eine positive Weiterentwicklung der Beschlüsse, die jetzt
in Bonn auf den Weg gebracht wurden, werden - darauf
ist hingewiesen worden - auch die Ergebnisse der nächsten Verhandlungsrunde auf der Ebene der WTO sein.
Die Frau Kollegin Merkel, die zur Zeit nicht anwesend
ist, hat das richtig ausgeführt. Nur, ich verweise in diesem
Zusammenhang auch auf das, was der Kollege Göhner
von der CDU/CSU-Fraktion in der letzten Woche hier
zum Ausdruck gebracht hat. Damit wurde eine ganz andere Richtung vorgegeben. Ich empfehle Frau Merkel und
Herrn Göhner, sich einmal zusammenzusetzen. Vielleicht
kann es dann ja zu einer Einigung kommen.
({3})
Insbesondere von der Einrichtung und der Arbeit einer Sonderarbeits- und Koordinierungsgruppe „Handel
und Umwelt“ wird es abhängen, ob das Thema „Umwelt
und Entwicklung“ die Handelsfragen im Zuge von Globalisierung und Liberalisierung nachhaltig beeinflußt.
Das ist unbedingt notwendig.
Es ist nicht nur für die Art und Weise der Produktion
und des Handels mit Nahrungsmitteln sehr wichtig, was
im Blick auf die Kohärenz von Agrar- und Entwicklungspolitik national und international vereinbart und
umgesetzt wird. Klimaschutz kann nur zum Erfolg führen, wenn die von mir angesprochenen und andere Bereiche der internationalen Zusammenarbeit als Teile des
Ganzen gesehen werden. Agrar- und Entwicklungspolitik sind Teil einer umfassenden Klimaschutzpolitik. Jeder kann nach dem Motto „Global denken und lokal
handeln“ einen Beitrag dazu leisten.
({4})
Als kleines Zeichen dafür, wie lokales Handeln im
Bundestag und überall auf der Welt aussehen kann, habe
ich Ihnen, Frau Präsidentin, zwei kleine Geschenke mitgebracht: einen kleinen Solarrechner und ein halbes
Pfund Kaffee aus biologisch-organischem Anbau und
fairem Handel. Möge dies also ein Zeichen dafür sein,
daß wir alle etwas tun können, nicht nur hier im Bundestag, sondern weltweit.
({5})
- Herr Kollege Müller, alle kundigen Thebaner wissen,
daß man solche Produkte mittlerweile in jedem kleinen
Eine-Welt-Laden bekommen kann.
({6})
- In diesem Fall stammt der Kaffee aus Mexiko, und der
kleine Solarrechner ist in Deutschland produziert worden.
({7})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, Sie wissen alle, daß so etwas nicht üblich
ist. Aber im Sinne der politischen Aussage nehme ich
die beiden Dinge kommentarlos entgegen.
Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe nicht, daß dies
unter „geldwertem Vorteil“ deklariert werden muß.
({0})
- Natürlich, der Haushälter!
Bereits in den 60er Jahren hat der Mitbegründer des
Club of Rome, Eduard Pestel, auf den Zusammenhang
von Entwicklung und Umwelt hingewiesen. Diese Erkenntnis hat dann 30 Jahre gebraucht, um auf einer großen Konferenz, der schon häufig angesprochenen Konferenz in Rio, auch international dokumentiert zu werden.
Sicherlich - das kann wohl nicht bestritten werden ist Rio eines der interessantesten Dokumente dieses ausgehenden Jahrhunderts. Rio war Ausdruck des Umweltbewußtseins der internationalen Gemeinschaft. Aber
vom Bewußtwerden und vom Bewußtmachen bis zur
Umsetzung ist es immer noch ein weiter Weg. Seit Rio
sind immerhin schon wieder viele Jahre vergangen.
Dennoch sind die Probleme, mit denen wir uns seinerzeit in der Welt auseinandersetzten, nach wie vor vorhanden.
Es ist darauf hingewiesen worden: Die Tropenwälder
verschwinden weiter; übrigens nicht nur die, sondern
auch die borealen Wälder in Rußland und Weißrußland.
Das Ergebnis: Die Armut und die Verelendung der Welt
nehmen auch zu. Dort, wo die Umwelt zerstört ist, findet
keine Entwicklung statt, und dort, wo keine Entwicklung
stattfindet, wird die Umwelt zerstört. Denn die Armen
auf dieser Erde müssen sich und ihre Kinder heute ernähren und können sich nicht darauf verlassen, daß sich
möglicherweise in 20 oder 30 Jahren die Situation, auch
die materielle Situation, für sie verbessert haben könnte.
Wir haben es also mit einer zunehmenden Verarmung
der Menschheit zu tun.
In einem sehr eindrucksvollen Bericht bei der letzten
Weltbank-Konferenz hat der Präsident der Weltbank,
Jim Wolfensohn, darauf hingewiesen, daß er davon ausgehe, daß sich im Gegensatz zu allen bisherigen Erwartungen die Zahl der Armen auf der Welt bis zum Jahre
2015 drastisch erhöhen werde und daß es die Entwicklungspolitik und die internationale Kooperation vielleicht gerade schaffen könnten, diesen Trend abzubremsen; sie könnten ihn aber bereits heute nicht mehr verhindern. Dies wird dazu führen, daß wir hinsichtlich des
Verbrauchs der natürlichen Ressourcen unserer Erde mit
weiteren Schreckensmeldungen zu rechnen haben.
Aber welche Konsequenzen ziehen wir daraus? Ich
will insbesondere fragen: Welche Konsequenzen zieht
eigentlich die Bundesregierung daraus? Ich erinnere
mich daran, daß wir in der letzten Legislaturperiode
einmal schüchtern darüber diskutiert haben, ob wir an
dem 0,7-Prozent-Ziel, das besonders in Rio deklariert
worden ist, wirklich festhalten sollten. Heftig wurden
wir dafür kritisiert; besonders die damalige entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen hat uns heftig
kritisiert. Jetzt, in ihrer neuen Funktion als Parlamentarische Staatssekretärin im Entwicklungshilfeministerium,
schlägt sie das selbst vor. Übrigens: Ich habe vorhin zu
Uschi Eid gesagt: ich würde nach ihr reden. Das hat sie
so eingeschüchtert, daß sie die Rednerliste hat umstellen
lassen, so daß sie nun nach mir spricht.
({1})
Ich stelle mir einmal vor, wie wir, wenn wir vorschlagen
würden, das 0,7-Prozent-Ziel aufzugeben, von den jetzigen Koalitionsfraktionen kritisiert werden würden.
Von diesem Problem einmal abgesehen: Die Bundesregierung enttäuscht nationale und internationale Erwartungen und Hoffnungen. Nicht nur, daß man die Zusagen der Koalitionsvereinbarung nicht einhält; nein,
man täuscht auch - ich habe das hier wiederholt gesagt die internationalen Partner. Man hört es nicht gerne,
aber es muß deutlich gesagt werden: Der Bundeskanzler
hat auf dem G-7-Gipfel in Köln ein Dokument unterschrieben, in dem steht, daß sich die G-7-Staaten, also
die großen Industriestaaten, verpflichten, ihre Mittel für
die entwicklungspolitische Zusammenarbeit zu erhöhen.
Das unterschrieb er, obwohl er zu diesem Zeitpunkt
wußte, daß sein Finanzminister eine drastische Kürzung
des Entwicklungshilfeetats um 10 Prozent vorbereitete.
Man kann auch noch einen Schritt weitergehen. Der
Kollege Reinhold Hemker hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Bevölkerungsentwicklung wahrscheinlich die entscheidende Herausforderung für die
Zukunft der Menschheit darstellt. Wir haben es in diesem Jahr wahrscheinlich erlebt - so genau wissen wir
das natürlich nicht -, daß sich die Zahl der Menschen
auf 6 Milliarden erhöht hat. Wir werden davon ausgehen
müssen, daß es in 10, 15 Jahren wahrscheinlich 7 oder 8
Milliarden Menschen geben wird. Also müssen wir in
dieser Frage etwas tun. Ich stimme Ihnen dabei völlig
zu. Aber was machen Sie in Ihrer Politik? Sie streichen
die Mittel für Bevölkerungsmaßnahmen drastisch zusammen und kürzen die Mittel für das entsprechende
UNO-Programm erheblich. Sie machen also genau das
Gegenteil von dem, was Sie ankündigen und was Sie bei
der Problemanalyse herausgefunden haben.
({2})
Ich darf darauf hinweisen, daß das gleiche für den
Umweltschutz zutrifft. Daß Sie übrigens das Tropenwaldprogramm, das Helmut Kohl auf dem G-7-Gipfel in
Houston initiiert hat, weitestgehend fortsetzen wollen,
findet unsere nachhaltige Unterstützung. Aber wenn
man sich den gesamten Entwicklungsetat anschaut, dann
muß man feststellen, daß Sie rund 25 Prozent der Ausgaben für Umweltmaßnahmen streichen. Auch hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit drastisch auseinander.
({3})
Sie verletzen mit dieser Politik nicht nur die Empfindungen vieler Menschen in Deutschland, sondern - darüber hinaus - auch die internationale Solidarität. Dies
hätte man von Rotgrün wahrscheinlich am wenigsten
erwartet.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Dr. Uschi Eid, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen
Sie mich zunächst etwas zu dem Thema, über das wir
heute debattieren, sagen, bevor ich auf die Polemik von
Herrn Hedrich eingehe.
Die heute zu Ende gehende 5. Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention hat uns noch einmal
vor Augen geführt: Klimaschutz ist ohne eine enge Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern überhaupt nicht denkbar. Dies ist so, weil nicht nur die Industrieländer, sondern auch die Entwicklungsländer, insbesondere die Schwellenländer, hohe Emissionen an
Treibhausgasen haben. Waren die Entwicklungsländer
1990 nur für knapp 45 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich, dürften sie die Industrieländer
mittlerweile eingeholt haben. Herr Hübner, dies ändert
sich auch nicht dadurch, daß man die Augen davor verschließt.
Die Entwicklungsländer sind für das Weltklima auch
deswegen so wichtig, weil sie mit ihren Tropenwäldern
und ihrer reichen Artenvielfalt über bedeutende Kohlenstoffspeicher verfügen. Es ist also nicht allein damit getan, wenn wir Industrieländer unsere Treibhausgasemissionen senken, während in den Entwicklungsländern die
nachgeholte Industrialisierung und Wohlfahrtssteigerung
für ein starkes Wachstum des Ausstoßes von Treibhausgasen sorgen und Armut und Landverteilungskonflikte
zu einem Raubbau an den natürlichen Ressourcen führen.
({0})
Im Klimaschutz brauchen wir die Entwicklungsländer
daher als enge Verbündete.
Was bedeutet dies konkret? Es bedeutet erstens, daß
wir, die Industrieländer, im Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen müssen. Wir sollten nicht schon jetzt
darauf bestehen, daß Entwicklungsländer verbindliche
Verpflichtungen zur Minderung ihrer Emissionen einzugehen haben. Schließlich sind die Pro-Kopf-Emissionen
in den Industrieländern auch heute noch fünfmal höher
als in den Entwicklungsländern. Wir brauchen - dies hat
Umweltminister Trittin heute morgen ausgeführt - andere Produktions- und Konsumgewohnheiten bei uns. Wir
brauchen insbesondere in der Energieversorgung eine
Effizienzrevolution.
Es bedeutet zweitens, daß wir Aspekte des Klimaschutzes in unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit durchgehend berücksichtigen. Wir müssen die Fähigkeiten der Entwicklungsländer stärken, sich am globalen Klimaschutz zu beteiligen. Dies tut diese Bundesregierung, auch wenn die Opposition das Gegenteil behauptet. Viele unserer Partner in den Entwicklungsländern unternehmen bereits erhebliche Eigenanstrengungen in diesem Bereich. Sie tun dies oftmals nicht um des
globalen Zieles „Klimaschutz“ willen; vielmehr tun sie
dies, weil viele Maßnahmen auch positive Auswirkungen auf den lokalen Umweltschutz haben, zum Beispiel
auf die Senkung des Großstadtsmogs.
Viele Maßnahmen des Klimaschutzes sind darüber
hinaus auch wirtschaftlich rentabel. Ein Land wie China
beispielsweise, das immerhin der zweitgrößte Emittent
von Treibhausgasen hinter den USA ist, hat durch einen
Mix aus Preisreformen, Subventionskürzungen, Luftreinhaltungsverordnungen und technologische Modernisierung erreicht, daß das Wachstum seiner Kohlendioxidemissionen in den letzten zehn Jahren weit hinter
seinem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum zurückblieb. Um eine Entkopplung von Emissionswachstum und Wirtschaftswachstum muß es uns vor allem
in den wirtschaftlich dynamischen Entwicklungsländern
und Schwellenländern gehen.
({1})
In der Entwicklungszusammenarbeit mit China unterstützen wir dies durch Politikberatung, durch Effizienzsteigerung bei der Kohleverbrennung, durch Modernisierung von Turbinen, aber auch durch die Förderung
erneuerbarer Energien wie Wind- und Solarkraft. Wir
tragen durch unsere entwicklungspolitische Zusammenarbeit dazu bei, daß China seine Treibhausgasemissionen in den nächsten zehn Jahren stabilisieren oder sogar
leicht reduzieren kann.
In anderen Ländern stehen zum Teil andere Ansätze
im Vordergrund: Boden- und Erosionsschutz in Mali
und Burkina Faso, Unterschutzstellung von Primärwäldern in Brasilien und Indonesien, Wiederaufforstung in
Vietnam und Peru. All das sind Maßnahmen, die den
Klimaschutz mit dem Ziel einer sozial und ökonomisch
nachhaltigen Entwicklung verbinden.
Diese Bundesregierung arbeitet im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit daran, den Anteil
klimafreundlicher Maßnahmen weiter zu erhöhen.
Wir wollen bei unseren Partnern in den Entwicklungsländern Anreize schaffen, in stärkerem Umfang als bisher erneuerbare Energien und Tropenwaldschutz zu fördern.
({2})
In diesem Jahr haben wir in der bilateralen Zusammenarbeit bei den erneuerbaren Energien ein ZusageKlaus-Jürgen Hedrich
volumen von 200 Millionen DM vorgesehen. Das sind
25 Prozent mehr als in den vergangenen Jahren.
({3})
Ich hoffe, Herr Hedrich, Sie haben zugehört. Beim Tropenwaldschutz werden wir mit fast 250 Millionen DM
das hohe Niveau der Vorjahre halten. Da setzen wir in
der Tat das fort, was Ihre Regierung begonnen hat; denn
was gut ist, muß man gut fortführen.
Auch in der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit gehört Deutschland beim Klimaschutz zu den
wichtigsten Gebern. Über den Finanzmechanismus der
Klimakonvention, die Globale Umweltfazilität, hat
Deutschland bislang rund 400 Millionen DM zum globalen Klimaschutz beigetragen.
Neben einer ausreichenden Finanzausstattung für
Klimamaßnahmen werden die Entwicklungsländer
künftig in mehreren Bereichen klare Signale der Industrieländer erwarten: So werden sie umfassende Maßnahmen zum Aufbau personeller und institutioneller
Kapazitäten fordern. Die Stärkung von Institutionen
ist beim Klimaschutz wie auch in allen anderen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit ein Schlüsselfaktor; denn vielen unserer Partner in Entwicklungsländern fällt es immer noch schwer, Handlungsstrategien
zur Emissionsminderung oder zur Anpassung an den
Klimawandel zu entwerfen. Immer noch fühlen sich
viele von ihnen, insbesondere die Ärmsten, überfordert,
ihrer Stimme und ihren Bedürfnissen in den Klimaverhandlungen Gehör bzw. Beachtung zu verschaffen.
Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - sind die
Erwartungen der Entwicklungsländer an den Ausgang
der nächsten - der 6. - Vertragsstaatenkonferenz in Den
Haag besonders hoch. Auf dieser Konferenz soll bekanntermaßen das Kioto-Protokoll von 1997 genauer
ausgestaltet werden. Besonderes Interesse findet dabei
derjenige Mechanismus des Protokolls, der es den Industrieländern ermöglichen soll, Emissionsminderungen in
Entwicklungsländern zu erzielen und sich diese auf die
eigene Klimaschutzverpflichtung anrechnen zu lassen:
der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung, kurz CDM genannt, der heute schon verschiedentlich angesprochen worden ist. Umweltminister Trittin
hat dargestellt, daß Deutschland und die Europäische
Union diesen und die anderen Mechanismen des KiotoProtokolls nur begrenzt zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen nutzen wollen. Ich stimme dem voll und ganz zu.
Wir müssen uns aber trotzdem klarmachen: Der CDM
kann - selbst dann, wenn er nur begrenzt genutzt wird zu einem der bedeutendsten neuen Instrumente der Zusammenarbeit zwischen Norden und Süden werden.
({4})
In der Klimapolitik ist dieser Mechanismus für mich
die Luftbrücke zur Dritten Welt. Damit er das werden
kann, muß er folgenden Kriterien genügen: Erstens. Er
braucht klare und verläßliche Regeln. Nur so kann eine
effektive Reduzierung des Treibhausgasausstoßes sichergestellt werden. Zweitens. Er darf anderen Umweltschutzzielen nicht zuwiderlaufen. Atomenergie darf daher in diesem Mechanismus keine Wiedergeburt erfahren.
({5})
Der Mechanismus muß sauberen Technologien wie Biogas, Solar- und Windenergie den Weg ebnen. Drittens.
Der Mechanismus muß entwicklungskonform sein. Die
vorgeschlagenen Projekte müssen den entwicklungspolitischen Prioritäten des Gastlandes entsprechen.
Entwicklungsländer werden den Mechanismus für
umweltverträgliche Entwicklung nur dann akzeptieren,
wenn sie sicher sein können, daß zusätzliche Mittel für
die Projektfinanzierung mobilisiert werden können, und
zwar über die Entwicklungszusammenarbeit hinaus. In
unserem Ministerium denken wir darüber nach, welche
Anreize notwendig sind, um diese zusätzlichen Investitionen insbesondere über ein verstärktes Engagement
des Privatsektors zu ermöglichen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Ausgang
der Bonner Klimakonferenz und insbesondere die Rede
des Bundeskanzlers zur Eröffnung der Konferenz haben
Zuversicht für die weiteren Verhandlungen geschaffen.
Wir tragen nun eine große Verantwortung dafür, weitere
konkrete Schritte im Dienst des globalen Klimaschutzes
zu tun. Die Entwicklungspolitik dieser Bundesregierung
ist bereit, dazu einen entscheidenden Beitrag zu leisten.
({6})
So, Herr Kollege Hedrich:
({7})
Ihre Regierung hat den Entwicklungsetat 16 Jahre lang
gekürzt, während die gesamten Ausgaben der öffentlichen Hand gestiegen sind. Sie haben gekürzt, ohne die
Qualität der Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen.
Sie haben gekürzt, ohne die Entwicklungspolitik zu reformieren, und Sie haben gekürzt, ohne sich den globalen Herausforderungen gestellt zu haben.
({8})
Wir sind längst fällige Reformen innerhalb eines
Jahres sehr erfolgreich angegangen. Wir haben Reformen zur Erhöhung der Effizienz und zur Verbesserung
der Koordination der Geber eingeleitet, und zwar nicht
nur auf der nationalen, sondern auch auf der supranationalen Ebene, zum Beispiel der EU. Wir haben versucht,
eine stärkere Kohärenz zwischen den einzelnen Ressorts
der Politik zu schaffen, was uns nicht nur auf der nationalen Ebene wichtig ist. Darüber hinaus haben wir versucht, eine Kohärenz zwischen den verschiedenen Ebenen herzustellen.
Wir haben im ersten Jahr unserer Regierungstätigkeit
eine Entschuldungsinitiative auf den Weg gebracht, die
Ihre Regierung seit 1996 blockiert hat, obwohl sie bereits auf dem G7-Gipfel 1996 beschlossen worden ist.
({9})
Sie können sich doch heute nicht, wie Frau Merkel es
tut, hinstellen und sagen, diese Regierung tue nichts zur
Armutsbekämpfung. Im Gegenteil: Die Entschuldungsinitiative, die 70 Milliarden US-Dollar umfaßt, führt dazu, daß Armutsbekämpfungsstrategien nicht nur national
entwickelt werden, sondern zusammen mit der Weltbank
und dem Internationalen Währungsfonds.
Es ist bereits vom Kollegen Hemker angesprochen
worden, daß es bei der Armutsbekämpfung eine Interdependenz zwischen Armut und Umwelt gibt. Das ist
die Grundlage dafür, daß durch den Einsatz der eingesparten Mittel Armut bekämpft werden kann. Damit
wird zum Beispiel auch etwas zur Verbesserung der Böden getan, und die Menschen erhalten eine Chance zur
Entwicklung.
({10})
Wir packen internationale Strukturveränderungen
an. Wir haben massiv dazu beigetragen, daß die WTOMillenniumsrunde als Entwicklungsrunde ausgestaltet
wird. Unsere Entwicklungspolitik weist bereits nach einem Jahr eine Bilanz auf, die sich sehen lassen kann,
und hält der kleinkarierten Argumentation der Opposition allemal stand.
({11})
Ich hoffe, Herr Kollege Ruck, daß Sie zumindest ich erwarte nicht, daß Sie alles würdigen - unsere Anstrengungen zum Klima- und Umweltschutz zu würdigen wissen.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Klaus-Jürgen
Hedrich.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Uschi Eid, ich weiß ja, in welcher Bredouille Sie sind. Deshalb tun Sie mir auch ein
bißchen leid. Ich will nicht darauf verweisen - Sie wissen das selber -, mit welcher Verbitterung die Entwicklungspolitiker aus Ihrer Fraktion und die Entwicklungspolitiker aus der SPD-Fraktion die Kürzungen im Entwicklungshaushalt verfolgen und kommentieren. Das
wissen Sie alles selber, darauf brauche ich nicht zu verweisen.
Aber: Wenn Sie zum Beispiel an die Rio-Konferenz
denken, zu der Deutschland einen ganz entscheidenden
Beitrag geleistet hat, übrigens unter der gemeinsamen
Federführung des Umwelt- und des Entwicklungshilfeministeriums: Warum erkennen Sie solche Erfolge - die
anderen Redner vorhin waren fairer, inklusive Herr
Loske, der mich so strahlend ansieht - nicht an?
({0})
Darüber hinaus haben wir die Entwicklungspolitik
nach Vollendung der deutschen Einheit auf die neuen
Gegebenheiten umgestellt. Wir haben 1992 eine gemeinsame Resolution - ich kann nichts dafür, daß Sie
damals nicht im Parlament saßen - zu den entwicklungspolitischen Grundlagen einvernehmlich verabschiedet, sowohl im Ausschuß als auch im Parlament.
Sie haben recht: Auch wir haben uns über so manches
nicht ausreichende Anwachsen des Entwicklungshilfeetats geärgert. Aber bereits Ihr erster Etat liegt unter den
Ansätzen des Etats des letzten Jahres. Somit geht es
nicht nur um den Etat des nächsten Jahres, bei dem Sie
sogar um knapp 10 Prozent unter den bisherigen Ansätzen liegen. Und es geht noch weiter: Wenn der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2003 gefolgt wird,
wird der Entwicklungshilfeetat - im Gegensatz zu den
Verhältnissen vor drei Jahren, als wir einen Etat von
8 Milliarden DM hatten - bei 6 Milliarden DM angelangt sein. Er wird dann der einzige Etat sein - möglicherweise noch der Verteidigungshaushalt -, der abgesenkt wird - falls Sie es so noch konzipieren können;
denn Sie werden ja bald keine Gelegenheit mehr haben,
Politik in Deutschland entscheidend zu gestalten.
({1})
Ich wiederhole meinen Vorwurf: Sie verletzten die
Prinzipien der internationalen Solidarität; das müssen
Sie sich nun einmal zurechnen lassen. Ich bitte um Verzeihung.
({2})
Zur Erwiderung,
Frau Kollegin Dr. Eid? - Nein, sie verzichtet.
Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Christian
Ruck, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich habe meine Gedanken
nicht niedergeschrieben, um Uschi Eid und die Regierungspolitik ausdrücklich zu loben, aber ich werde mal
schauen, was ich tun kann.
({0})
Zunächst etwas Ernstes: Die Umweltkonferenz, die
Klimakonferenz in Bonn hat deutlich gemacht, daß den
Regierenden sieben Jahre nach der Rio-Konferenz der
Schwung abhanden gekommen ist, obwohl die Probleme
geblieben sind und auch weiter wachsen, und dies nicht
nur wegen der wahrscheinlich klimabedingten Katastrophenschäden, die angewachsen sind, sondern auch wenn man sich einmal den UN-Bericht „Geo 2000“ ansieht - noch aus ganz anderen Gründen. In dem Bericht
wird ausdrücklich festgehalten: Verseuchung der Meere
und ihrer Lebewesen, gigantische Waldbrände, zum
Beispiel in Indonesien oder in der Mongolei, sowie Vordringen der Wüsten, die allein in Indien zwei Drittel des
Landes bedrohen.
In der Tat kann man sagen, daß die Menschheit mehr
und mehr dabei ist, die Erde zu entstellen und ihre
Schatzkammern, zum Beispiel die tropischen Regenwälder, zu plündern. Sie ist damit auch dabei, ihren eigenen ökonomischen Wohlstand und die Wohlfahrt
kommender Generationen in große Schwierigkeiten zu
bringen - um es einmal vorsichtig zu formulieren.
Meiner Ansicht nach wurden der Verlauf und die Ergebnisse der Klimakonferenz in Bonn dem Ernst der
Lage nicht gerecht. Es war die Fortsetzung des seit Jahren andauernden Taktierens und Teppichhändlergefeilsches. Dabei haben auch die Vereinigten Staaten - dies
wurde schon angesprochen - keine sehr konstruktive
Rolle gespielt. Wenn Sie, Herr Trittin, sagen, Sie hätten
dafür ein tiefes Verständnis, so kann ich als CSU-Mann
Ihre Ansicht über die Rolle der USA nicht teilen; ich
habe dieses Verständnis nicht.
Aber auch die Bundesregierung hat sich keineswegs
mit Ruhm bekleckert. Die konstruktive und staatstragende Rolle des Bundeskanzlers Schröder sehe ich
nicht. Er hat zwar große Töne gespuckt, ein Konzept
jedoch vorsichtshalber erst für das nächste Jahrtausend
angekündigt, als ob er gewissermaßen überrascht worden wäre, daß wir heuer die Klimakonferenz in Bonn
hatten. Er kam mit leeren Händen und bloßen Ankündigungen. Für den Gastgeber einer solchen Konferenz,
der eigentlich Motor spielen sollte, ist das zuwenig.
Deswegen gab es ja auch eine Watschen von Greenpeace.
Jetzt muß ich ein Wort zur Rolle der CSU sagen: Ich
muß mit Empörung zurückweisen, daß Minister Trittin
uns Untätigkeit unterstellt hat. Ich möchte in diesem Zusammenhang drei Punkte herausstellen: War es nicht ein
CSU-Verkehrsminister, der zum erstenmal die Ausgaben für die Schiene denen der Straße gleichgesetzt hat?
War es nicht Theo Waigel, der als Finanzminister die
Globale Umweltfazilität eingestellt und auch dafür gesorgt hat, daß wir, als wir wegen der Amerikaner in großen Schwierigkeiten waren, deren Ausfälle kompensiert
haben? War es nicht Minister Spranger, der im Kabinett
das BMZ zu einem ökologischen Stützpunkt im Konzert
der Ressorts gemacht hat? Das alles ist doch unbestritten. Deswegen sind solche pauschalen Verunglimpfungen fehl am Platze.
Zurück zur Klimakonferenz: Es wundert natürlich
nicht, daß man auf dieser Konferenz konzeptionell überhaupt nicht weitergekommen ist und daß Deutschland
überhaupt keine Rolle gespielt hat. Denn wer will die
Welt von einem Konzept überzeugen, das er selbst nicht
hat? Das beweisen Sie jeden Tag, zum Beispiel gestern
im Rahmen des Hickhacks im Hinblick auf die Ökosteuer bei GuD-Kraftwerken und der Kohle. Sie sind
immer so stolz auf die Ökosteuer. Die Ökosteuer - das
ist doch unbestritten - trifft wahllos klimafreundliche
und klimafeindliche Verkehrs- und Energieträger. Von
der Atomenergie will ich gar nicht sprechen. Eine solche
Ökosteuer ist doch keine Ökosteuer. Es ist auch kein
Geheimnis, daß Sie sie nur eingeführt haben, um damit
andere Haushaltspartien zu sanieren.
({1})
Ein solches Streichkonzert bei Schienenverkehrsprojekten, wie es unter Ihrer Regierung zum Beispiel in
Bayern geschieht, hat es unter den Vorgängerregierungen der Schwarzen und Liberalen noch nie gegeben.
Wenn man sich Ihren Entwurf einer Energieeinsparverordnung anschaut,
({2})
dann muß ich sagen - ({3})
- Herr Müller, die Energieeinsparverordnung, die Sie
gerade brutzeln.
({4})
- Herr Müller, die Energieeinsparverordnung, die Sie
gerade brutzeln.
({5})
- Sie kennen wohl Ihre eigene Energieeinsparverordnung nicht,
({6})
und Sie haben offensichtlich von Ihrer eigenen Politik
keine Ahnung. - Ihre Energieeinsparverordnung spart
gerade den Teil aus, bei dem am meisten zu holen wäre,
nämlich den Gebäudebestand. Angesichts dessen, Herr
Müller, können Sie doch nicht von einem Konzept sprechen.
({7})
Zu Ihrem Lieblingskind, zur Kohle: Herr Müller, ich
möchte einmal wissen, was Sie selber im stillen Kämmerlein von Ihrer eigenen Kohlepolitik halten. Die ist
doch haarsträubend, wenn man sie unter Klimagesichtspunkten betrachtet.
({8})
Eine solche Karikatur eines Energiekonzeptes kann ich
doch niemandem aufs Auge drücken, schon gar nicht
den Entwicklungs-, Schwellen- und Transformationsländern.
({9})
Gerade diese Länder werden uns aber in den nächsten 15
Jahren im Energieverbrauch überholt haben. Auf der einen Seite ist bewundernswert, wie zielstrebig in vielen
Ländern Lateinamerikas und Asiens Wachstums- und
Verkehrsprogramme durchgezogen werden. Auf der anderen Seite ist beängstigend, wie sehr gerade dort der
Ressourcenschutz und die Bewahrung der Schöpfung
hinterherhinken. Angesichts dessen kommen Sie mit Ihrem Konzept nicht durch und stehen mit leeren Händen
da. Auch wenn Herr Trittin es noch so sehr wünscht:
China, Iran, Argentinien, ganz Osteuropa und Brasilien
werden trotz ihrer viel schlechteren Energiekonzeption
als der, die wir in Deutschland haben, aus der Kernenergie nicht aussteigen.
Wir alle haben in den letzten Jahren in der Entwicklungspolitik - jetzt komme ich zu dem, was Uschi Eid
gesagt hat - eine ganze Reihe von Lösungsmöglichkeiten erarbeitet - beim Tropenwaldschutz, in der Agrarpolitik, beim Klimaschutz und in vielen anderen Bereichen. Sie sollten sich daran erinnern, daß wir die Vorschläge, die Sie als neue Regierung gemacht haben, mitgetragen haben. Was wir brauchen, ist mehr Geld. Deswegen fordere ich alle hier auf, sich vorbehaltlos zu
„joint implementation“ bzw. zu flexiblen Mechanismen
zu bekennen. Das ist in der Entwicklungspolitik dringend nötig.
Ich will jetzt auf das zu sprechen kommen, was Sie
gerne hören wollen, kann Ihnen dazu aber nicht viel sagen: Sie haben in allen Schlüsselpositionen gekürzt, zum
Beispiel auch bei den Bildungsprogrammen. Bildung
ist aber ein Schlüsselfaktor zur Durchsetzung von Geburtenkontrolle, wenn genügend junge Menschen erreicht werden. Ein Drittel der Menschen in der Dritten
Welt ist 15 Jahre oder jünger. Hier sind gute Bildungsprogramme entscheidend für die Zukunft. Sie haben da
aber bis zu 50 Prozent gekürzt, bei Programmen zur Geburtenkontrolle sogar bis zu 60 Prozent, bei Programmen zum Umwelt- und Ressourcenschutz - das sind Ihre
Zahlen, ich habe sie nicht gefälscht - ist ein Minus von
25 Prozent und bei der Armutsbekämpfung von 35 Prozent zu verzeichnen.
Es stimmt nicht, daß wir während der 16 Jahre unserer Regierungszeit nur gekürzt hätten. Die Wahrheit
hinter all diesen Zahlenspielereien ist, daß die Entwicklungspolitik unter unserer Regierung einsame Höhen erreicht hat. Zwar ist der Entwicklungshaushalt von 1991
bis 1998 um 3,8 Prozent zurückgefahren worden; das ist
schmerzlich und wurde von uns nie bestritten. Im Vergleich aber zum Beispiel zum Verteidigungshaushalt,
der um 12 Prozent abgesenkt wurde, ist dieser Wert immer noch relativ gering. Im Vergleich zu den 8,7 Prozent, um die Sie den Haushalt in einem Jahr gekürzt haben, ist das ein geradezu lächerlich geringer Prozentsatz.
Ich bitte bei Auseinandersetzungen darüber um ein wenig mehr Fairneß.
Der von Ihnen beschlossene Schuldenerlaß belastet
den BMZ-Haushalt jährlich mit 60 bis 80 Millionen
DM. Wenn Sie den Haushalt gleichzeitig um 600 Millionen DM kürzen und diesen Betrag bis auf 1 Milliarde
DM anwachsen lassen wollen, dann stellt sich für mich
angesichts dieses Kahlschlages die Frage, ob es gerechtfertigt ist, um die 60 bis 80 Millionen DM, die den Entwicklungsländern erlassen werden, so viel Wind zu machen. Das ist nicht ganz korrekt. Dieser Schuldenerlaß
war übrigens nicht einzig und allein Ihre Initiative, sondern die großen Kirchen haben ihn angestoßen, und wir
alle haben ihn unterstützt. Es war auch nicht der erste
Schuldenerlaß. Ich erinnere daran, daß Johnny Klein
damals einen Schuldenerlaß in Höhe von 3 Milliarden
DM durchsetzte. Ich möchte das deswegen doch ein wenig relativieren.
({10})
Herr Kollege Ruck,
Sie müssen bitte zum Schluß kommen. Noch ein Satz,
bitte.
Ich komme zum
Schluß und richte noch einen Satz an den Außenminister: Ich wünschte mir schon, daß der grüne Außenminister und seine linken und rechten Hände mehr
ökologische Tapferkeit an den Tag legten. Die Entwicklungspolitiker - ich erinnere dabei an die gemeinsame Aktion zum Stoppen der Waldbrände in Borneo
- sind nämlich mehr denn je auf die Tapferkeit der
führenden Leute im Auswärtigen Amt angewiesen.
Von einer solchen Tapferkeit merke ich aber nichts.
Es gilt wohl als wenig stilvoll und als undiplomatisch,
wenn man sich zum Beispiel gegenüber dem indonesischen Militär in dieser Frage zu weit aus dem Fenster
lehnt.
Herr Kollege Ruck,
der Satz ist ziemlich lang.
Ich bin gleich fertig. - Sie müssen wirklich aufpassen, daß Sie nicht auf
allen Gebieten der Umweltpolitik Ihren rotgrünen Mythos verspielen.
({0})
Frau Kollegin Dr.
Margrit Wetzel, Sie haben das Wort für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Klimaschutzpolitik ist nicht nur eine der
größten Herausforderungen für uns, sondern bietet auch
eine unglaublich spannende Perspektive für eine Politik
nachhaltigen Wirtschaftens. Ich möchte die Debatte
gerne von Aspekten der weiten Welt wegführen, sie
wieder ein wenig auf Probleme in der Bundesrepublik
Deutschland konzentrieren und einen Blick darauf werfen, was wir hier ganz praktisch tun können.
Wenn den armen Ländern unserer Erde das Recht auf
nachhaltige Entwicklung nicht vorenthalten werden soll,
dann müssen wir - das ist von verschiedenen Rednern
mehrfach gesagt worden - vorangehen, unsere eigenen
Hausaufgaben machen und Vorreiter einer entsprechenden, auch technisch ausgerichteten Klimapolitik sein.
Das heißt für mich, daß wir daran arbeiten müssen, daß
Deutschland von einem ehemaligen WirtschaftswunDr. Christian Ruck
derland zu einem Klimaschutzwunderland wird. Daran
müssen wir täglich mit neuer Energie arbeiten.
({0})
Die bisher erzielten Erfolge sind auf neue Kraftwerkstechnologien und hohe Investitionen in die Verbesserung der Energieeffizienz zurückzuführen, sie gehen also vor allen Dingen auf das Konto der Wirtschaft.
Wir konnten die energieintensiv produzierende Industrie
auch deshalb von der Ökosteuer ausnehmen, weil es in
ihrem originären Eigeninteresse liegt, den Betriebskostenfaktor Energie so gering wie möglich zu halten. Die
Betriebe müssen - schon um wettbewerbsfähig zu bleiben - Energie sparen und höchste Wirkungsgrade in den
Kraftwerken und bei ihren Produktionsprozessen erzielen.
Mehr und mehr begreifen aber auch die Privaten, daß
es sich lohnt, Energie zu sparen. Die Prozesse der lokalen Agenda, die sich überall in unserem Land abspielen
- mit ihrer Öffentlichkeitswirkung, mit ihrer Bürgerbeteiligung und mit ihrer Herausforderung an die Kommunen, vor Ort konkret etwas für den Erhalt der natürlichen
Lebensgrundlagen zu tun -, werden Wirkung zeigen.
Unsere Bürgerinnen und Bürger haben meines Erachtens heute ein weiterentwickeltes Bewußtsein für
Klima- und Umweltschutz, auch in den eigenen vier
Wänden. Wer heute baut, will natürlich einen hohen
Standard in bezug auf baulichen Wärmeschutz haben,
neue Dämmstoffe einsetzen und moderne Brennwerttechnik einbauen. Fernwärmeversorgung, neue Meßund Regeltechnik und erneuerbare Energien werden
heute ganz selbstverständlich auf ihre Wirtschaftlichkeit
hin geprüft. Herr Ruck, natürlich ist es so - das ist doch
völlig klar -, daß wir auch an den Gebäudebestand und
an die Wärmesanierung herangehen.
({1})
Die Programme des Bundes zur Förderung von Einzelmaßnahmen werden hervorragend angenommen, weil
die Bürger merken, daß sie damit Kosten senken können. Durch diese Programme wird das Bewußtsein für
den sparsamen und effizienten Umgang mit unseren
endlichen Rohstoffen eine erheblich größere Eigendynamik entwickeln. Das 100 000-Dächer-Programm ist
das beste Beispiel dafür.
({2})
Nur wenn wir die politischen Rahmenbedingungen
richtig setzen, haben Wirtschaft, Industrie und Private
überhaupt eine Chance, Umwelt- und Klimaschutz
praktisch werden zu lassen. Erneuerbare Energien sind
sichere Energiequellen. Deshalb müssen sie mittel- und
langfristig einen deutlich höheren Anteil an der Energieversorgung übernehmen.
({3})
Die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung, die nun
schon mehrfach erwähnt wurde, ist eine Technik, die in
sich wirtschaftlich ist. Gerade auch in Kooperationen
zwischen Stadtwerken und Industrie wird sie eine Zukunft haben. Daß wir sie im Moment sichern bzw. ihren
Ausbau überhaupt erst motivieren müssen, ist doch nicht
verursacht durch fehlende Produktivität, sondern ist lediglich eine Folge der Marktpreisentwicklung durch vagabundierende Überkapazitäten auf dem liberalisierten
Strommarkt.
({4})
Lassen Sie mich noch zu einem anderen Sektor
kommen, in dem wir in den nächsten Jahren ganz hohe
Klimaschutzpotentiale haben. Der Umweltminister hat
in seiner Regierungserklärung sehr deutlich gemacht,
daß wir in diesem Bereich eine Verantwortung haben,
der wir uns stellen müssen. Es handelt sich um den Verkehrsbereich. Wenn nämlich aus dem Fahrzeug ein
„Stehzeug“ wird, dann verlangt heute der moderne Verbraucher im Individualverkehr eher nach einem serienmäßigen „Stauevent“, als daß er über den freiwilligen Verzicht auf Automobilität nachdenkt. Vor diesem
Problem stehen wir. Es ist natürlich ein deutlicher Fortschritt, wenn wir zukünftig Autos haben, die nur noch
3 Liter schadstoffarme Kraftstoffe pro 100 Kilometer
verbrauchen. Aber auch das reicht nicht; das darf längst
nicht alles sein.
({5})
Die Verantwortung für den Ausbau - ich betone bewußt: für den Ausbau - des öffentlichen Personennahverkehrs haben wir vor einigen Jahren sinnigerweise den
Ländern überlassen - was im Prinzip auch gut ist. Wir
haben aber meines Erachtens vergessen, ihnen auch das
notwendige Kleingeld für den dauerhaft sicheren Ausbau mitzugeben. Die Länder und Kommunen bemühen
sich jetzt nach Kräften, das entsprechende Angebot attraktiv und kostengünstig zu gestalten. Ich fürchte aber:
Wenn wir den öffentlichen Personennahverkehr, gerade
auch im ländlichen Raum, wirklich deutlich ausbauen
wollen, dann wird uns dieses Thema immer weiter beschäftigen. Es wird nicht einfach werden, die CO2Belastung im Verkehrsbereich zu reduzieren.
Die neue Bundesregierung wird endlich - ich denke,
das ist ein großer Fortschritt - ein integriertes Verkehrskonzept vorlegen, in dem die verschiedenen Verkehrsträger so verknüpft werden, daß jeder seinen optimalen Systemvorteil ausspielen kann. Darauf haben wir
bei der alten Regierung leider vergeblich warten müssen.
Wir werden in absehbarer Zeit auch eine fahrleistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe einführen. Das
ist ein ganz großer Schritt in Richtung gerechter Wegekostenanlastung. Mit dieser Wegekostenanlastung werden die umweltverträglichen Verkehrsträger Schiene
und Schiff wettbewerbsfähiger.
({6})
Ich bin sicher, daß wir noch sehr viele reizvolle technische Möglichkeiten haben, diesen Prozeß weiter zu
unterstützen. Wir können nämlich die technischen
Potentiale beim Schienenverkehr, bei den Bahnen und
Lokomotiven, durch intelligente logistische und systemtechnische Konzepte, durch leichtere Fahrzeuge
sowie durch neue, effiziente und sparsame Antriebstechniken wirklich nutzen und somit Zukunftsmärkte erDr. Margrit Wetzel
schließen. Da ist auch in bezug auf die Klimaschutztechnik Musik drin. Das sollten wir nicht geringachten.
({7})
Lassen Sie mich bitte noch kurz auf das Thema Schiff
eingehen. Das wird normalerweise - leider wohnt ja nur
ein geringer Teil der Bevölkerung an der Küste - in den
meisten Bundesländern nicht ganz wahrgenommen: Das
Schiff ist eines der umweltfreundlichsten Verkehrsmittel
überhaupt. 90 Prozent unseres Welthandels laufen über
die Schiffahrt. Das ist ein expandierender Markt, an
dem wir teilhaben müssen. Wir forderten von der alten
Bundesregierung seit vielen, vielen Jahren immer wieder
Konzepte, die mit dem Schlagwort „from road to sea“
belegt wurden. Nur, die alte Bundesregierung hat nie
etwas gemacht, um den Straßengüterverkehr auf die
umweltfreundliche Küsten- und Binnenschiffahrt zu
verlagern. Deshalb freue ich mich, daß die neue Bundesregierung dieses Thema ernsthaft angeht.
Lassen Sie mich einen kleinen Schlenker machen: Es
ist jetzt 12.36 Uhr. Heute, an diesem Freitag, hat um
12 Uhr der EU-weite Aktionstag für den europäischen
Schiffbau begonnen. In ganz Europa, an sämtlichen
Werftstandorten, finden heute Demonstrationen für den
Erhalt unserer Werften und gegen das mit einer Kapazitätsausweitung einhergehende koreanische Preisdumping statt. In diesem Fall ist es so, daß Arbeitgeber und
Arbeitnehmer gemeinsam, die europäischen Gewerkschaften und die europäischen Arbeitgeberverbände,
Seite an Seite für den Schiffbau in Europa - ich betone:
an jedem Werftstandort! - demonstrieren, für die Zukunft ihrer modernen High-tech-Arbeitsplätze in einem
expandierenden Schiffbaumarkt. Ich denke, die Solidarität und die Unterstützung des ganzen deutschen Parlaments sind ihnen sicher.
({8})
Klimaschutz heißt aber auch, Materialforschung zu
betreiben und moderne, neue Produktionstechnologien
zu entwickeln. Die Bundesregierung hat - Sie hatten danach gefragt, Herr Lippold; offensichtlich ist Ihnen das
noch nicht bekannt - ein neues Programm aufgelegt, mit
dem dies endlich einmal anwendernah, das heißt am
Markt orientiert, passiert, in direkter Kooperation mit
den Betrieben. Es sollen also nicht mehr Forschungsgutachten in Auftrag gegeben werden - deren Ergebnisse
ohnehin nur in der Schublade liegen -, sondern es sollen
in Zusammenarbeit mit den Betrieben Produktionstechnologien entwickelt werden, die sich am Anwender, am
Markt orientieren. Ein besonderer Dank gilt an dieser
Stelle den kleinen und mittleren Unternehmen, die mehr
und mehr den Mut haben, neue Technologien zu entwikkeln und voranzutreiben.
({9})
Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Was die Teflonpfanne als Abfallprodukt der Raumfahrt für den modernen Hausmann wurde - die CDU hat davon wahrscheinlich nicht soviel Ahnung -,
({10})
das könnte die Kohlefaserverbundtechnologie für den
Fahrzeugbau werden. Wenn es uns gelingt, Materialien,
die nicht altern, die absolut leicht und unzerbrechlich
sind, in Serienproduktionen auch im bodengebundenen
Fahrzeugbau einzusetzen, dann sind wir bei der Realisierung unserer Klimaschutzabsichten ein ganzes Stück
weiter.
Ich wünsche mir, daß Deutschland unter der neuen
Bundesregierung diese Märkte der Zukunft ernst und
wahrnimmt, daß Deutschland das Exportland Nummer
eins in neuen Klimaschutztechnologien wird ({11})
denn das ist Umweltschutz, Entwicklungshilfe, aktive
Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik zugleich -,
({12})
damit es unseren Bürgern und Bürgerinnen jetzt bessergeht und damit es auch den kommenden Generationen
noch wirklich gutgeht.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dr. Peter Paziorek,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wenn man sich einige zentrale Aussagen der Reden der Vertreter der Regierungsfraktionen von heute morgen ins Gedächtnis ruft, dann
stellt man fest, daß immer wieder die Aussage im Mittelpunkt steht: Nach der Konferenz in Bonn können wir
auf eine internationale Klimaschutzpolitik hoffen. Das
Erstaunliche dabei ist aber, daß sich die Maßstäbe der
Vertreter der rotgrünen Regierungsfraktionen hinsichtlich der Bewertung solcher internationaler Vertragsstaatenkonferenzen im letzten Jahr ganz gewaltig verändert haben. Wenn Frau Merkel als Bundesumweltministerin hier eine solche Rede gehalten hätte, wie sie Herr
Trittin heute morgen gehalten hat, wäre auf der linken
Seite dieses Hauses ein Proteststurm losgebrochen.
Heute dagegen wird gesagt: Das Ganze in Bonn ist doch
eigentlich erfreulich abgelaufen.
({0})
Tatsache ist aber, daß die großen klimaschutzpolitischen Knackpunkte in Bonn nicht gelöst worden sind.
Wenn Frau Ganseforth dann hier sagt, das liege daran,
daß in den letzten Jahren viel Zeit vertrödelt worden sei,
dann muß man einfach folgendes in Erinnerung rufen:
1987 hat es die überhaupt erste echte klimapolitische
Konferenz auf UNO-Ebene gegeben. Erst seit 1991, im
Vorfeld von Rio, hat es international abgestimmte Maßnahmen gegeben.
({1})
Ihre heutige Aussage, wir seien jetzt, 1999, eigentlich
ein gewaltiges Stück weitergekommen, ist aus unserer
Sicht nichts anderes als ein verstecktes, aber durchaus
berechtigtes Lob an Professor Töpfer, den damaligen
Umweltminister, und an Frau Merkel, die damalige
Umweltministerin, dafür, daß sie international eine so
positive Vorreiterrolle für Deutschland übernommen
und 1997 Kioto, heute Bonn und im nächsten Jahr Den
Haag überhaupt ermöglicht haben.
({2})
Wenn Herr Loske sagt, in Bonn seien viele Punkte im
Detail geregelt worden, dann muß man fairerweise
zugeben, daß das zwar in einigen Bereichen stimmt;
aber in den großen umweltpolitischen und Klimaschutzthemen ist es nicht so gewesen. Bundesumweltminister Trittin hat selbst gesagt, daß das erst in Den
Haag geregelt werden kann. Es ist auch nicht so leicht.
Welchem Staat ordnen wir zum Beispiel bei der Einbeziehung des Flugverkehrs die Verursachung zu? Es gibt
die Frage der sogenannten Grundlinie beim Handel mit
Umweltzertifikaten. Für welchen Staat wird eigentlich
welche Grundlinie im Bereich Klimaschutz angenommen? Erst wenn diese Frage geklärt ist, kann man überhaupt verhandeln.
Lieber Herr Loske, dies alles ist in Bonn nicht geregelt worden. Man hat die Hoffnung, daß das in Den
Haag geregelt wird. Deshalb bin ich erstaunt, daß heute
von rotgrüner Seite gesagt wird: Wir haben in diesen
Punkten in Bonn einige Detailpunkte geklärt.
Frau Ganseforth hat darüber hinaus gesagt, es habe
immer einige Forscher gegeben, die das Ganze nicht
als so bedrohlich angesehen hätten wie einige andere
Forscher. Dann kann ich nur zitieren, was Professor
Grassel, der Mitglied der Enquete-Kommission
„Schutz der Erdatmosphäre“ gewesen ist, in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ vor einigen
Tagen gesagt hat: Wenn wir in Deutschland die Meßlatte bei internationalen Forderungen zu hoch hängen
und den Entwicklungsländern keine Möglichkeit geben, sich bei den Verhandlungen einzubringen, dann
liegt die Verhandlungslinie bei Deutschland falsch.
Deshalb ist es dringend notwendig, darauf hinzuweisen, daß wir in den letzten Jahren diesen Klimaprozeß
tatsächlich erfolgreich vorbereitet und eingeleitet haben.
({3})
Es hat auch Charme, wenn der Bundesumweltminister sagt: Da wir das in Bonn nicht erreicht haben, wollen wir im Jahr 2002, zehn Jahre nach Rio, fünf Jahre
nach Kioto, endlich ratifizieren. Es ist eine schöne Formulierung: Kioto plus fünf, Rio plus zehn. Aber das
reicht nicht aus, wenn wir für die weiteren Verhandlungen nur einen Zeitkorridor haben. Wir müssen auch die
inhaltliche Strategie festlegen, also das, was wir tatsächlich wollen.
Man muß als Gesamtergebnis der Bonner Konferenz
festhalten: Bei der inhaltlichen Ausformung einer wirklich tragfähigen internationalen Klimaschutzstrategie ist
der Umweltminister in Bonn ziemlich konzeptionslos
und ratlos gewesen. Auch die Ausführungen des Bundeskanzlers sind ziemlich oberflächlich gewesen. Herr
Loske hat in seiner Rede heute morgen mehrfach betont,
der Bundeskanzler habe viel Lob erfahren. Aber das
wird jetzt vom rotgrünen Regierungslager zu Unrecht
behauptet. Der Bundeskanzler hat Lob dafür bekommen,
daß er gesagt hat: Wir wollen das Versprechen von
Helmut Kohl, minus 25 Prozent, halten. Dafür ist er gelobt worden.
({4})
Zu seiner Ausführung, daß er das Konzept, wie er dies
erreichen wolle, erst im nächsten Jahr vorlegen werde,
haben alle Umweltverbände nach der Rede gesagt: Da
ist er blaß geblieben und hat nicht gesagt, was er will.
Ihre Sprachregelung soll jetzt bewirken, daß Sie über
diese Kritik hinwegkommen. Sie reden nur davon, daß
alle Bundeskanzler Schröder gelobt hätten. Sie hoffen,
dadurch - das muß man Ihnen ganz klar sagen - die öffentliche Meinung zu verdrängen. Ihre Aussage ist aber
nicht richtig. In Wirklichkeit war das Echo auf die Rede
des Bundeskanzlers viel, viel schlechter, als Sie es angesprochen haben.
({5})
Der Umweltminister lobte die Bundesrepublik
Deutschland dafür - er hat das gut gemacht; ich habe die
Rede selbst gehört; ich bin bei der Klimakonferenz gewesen -, daß wir bei den CO2-Emissionen ein Minus
von 13,2 Prozent erreicht hätten. Er ist erst ein Jahr im
Amt. Meinen Sie wirklich, der Rückgang der CO2Emissionen um 13,2 Prozent sei zustande gekommen,
weil er seit einem Jahr im Amt ist? Es muß doch Vorläuferentwicklungen gegeben haben.
Nun kommen Sie mit dem Argument, dies sei nur
durch die Neuordnung der Wirtschaft auf dem Gebiet
der ehemaligen DDR erreicht worden, und verweisen
darauf, daß es bei uns, in den westlichen Bundesländern,
einen Anstieg der Emissionen um 3 Prozent gegeben
habe. Sie sagen aber nicht, Herr Kollege Müller, daß
dieser Anstieg im Vergleich zu der Situation in den
Staaten, die Sie hier in den letzten Jahren immer lobend
erwähnt haben - Dänemark und Niederlande -, ein
hervorragendes Ergebnis ist.
Wissen Sie, was die Dänen mit ihrem Ökosteuermodell erreicht haben? Es gab ein Plus des CO2-Ausstoßes
um 20 Prozent. Die Niederländer, die von Ihnen ebenfalls gelobt worden sind, haben in den letzten Jahren bezüglich des CO2-Ausstoßes ein Plus von 10 Prozent erreicht. Ist es angesichts dessen nicht ein tolles Ergebnis,
wenn wir sagen: Wir haben es trotz unserer wirtschaftlichen Entwicklung geschafft, auch in den alten Bundesländern den CO2-Ausstoß unter Kontrolle zu halten?
Geben Sie doch zu, daß diese Entwicklung auch die
Vorläuferregierung zu verantworten hat! Dann wären
wir hier sicher ein Stück weiter.
({6})
Heute morgen haben Sie in Ihren Reden des öfteren
gesagt, daß wir alle Kräfte auf lokaler Ebene unterstützen müssen, die die lokale Agenda vor Ort befürworten.
Sie haben recht. Ganz wichtig bei der Entwicklung einer
Strategie vor Ort ist, daß erkannt wird, daß der Staat in
diesem Bereich nicht alles verordnen kann.
({7})
Der Staat greift nämlich sehr stark in die Lebenswirklichkeit der Gesellschaft, in die Unternehmen ein. Hier
kann Politik nur erfolgreich sein, wenn Sie eine Strategie entwickeln, die geprägt ist von dem Gedanken einer
Umweltallianz.
({8})
Sie müssen von dem Lagerdenken wegkommen und bereit sein, bei einer CO2-Minderungsstrategie die verschiedensten Kräfte der Gesellschaft einzubinden.
({9})
- Herr Müller, Sie sagen: „Das ist doch klar!“ Ich kann
aber nicht feststellen, daß Sie irgendwo Bereitschaft zeigen, in dieser Beziehung voranzugehen und das Gespräch mit den verschiedenen Akteuren zu suchen.
({10})
Bei Ihnen herrscht noch immer umweltpolitisches Lagerdenken vor. Wenn Sie bei dieser Grundkonzeption
bleiben, dann werden Sie es nicht schaffen, die Zusage
einzuhalten, die wir eingegangen sind, nämlich bis zum
Jahre 2005 eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes um
25 Prozent zu realisieren.
Deshalb unsere Aufforderung: Versuchen Sie, all die
Akteure zusammenzubringen, die bereit sind, in
Deutschland eine solche Politik zu unterstützen! Wenn
Sie lediglich parteipolitisch argumentieren und versuchen, die Erfolge nur dem rotgrünen Regierungslager
zuzurechnen, werden Sie der Klimaschutz- und Umweltpolitik im internationalen Sinne keinen Gefallen
tun!
Zum Schluß. Herr Müller, wenn Sie sagen, die Eingriffe in die Gesellschaft müßten wirklich massiv sein
Herr Kollege Paziorek, kommen Sie wirklich zum Schluß!
- ja! -, auch die
Eingriffe in unsere Industriegesellschaft,
({0})
dann verstehe ich nicht, daß Sie bei einer Ökosteuer
mitmachen, die beispielsweise die Kohle ausdrücklich
ausnimmt, aber erneuerbare Energieträger belastet.
({1})
Das paßt doch nicht zu Ihren Aussagen. Ich sage dies als
jemand, in dessen Wahlkreis noch eine Zeche ist. Ich
weiß also, was dies kohlepolitisch bedeutete. Wenn Sie
konsequent bleiben wollen, Herr Müller, dann müssen
Sie auch in dieser Frage einen anderen Kurs fahren, als
Sie es in den letzten Tagen gemacht haben.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Antrags
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/1853 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Der Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/1956 soll zur
federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung
an den Auswärtigen Ausschuß, den Finanzausschuß, den
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, den
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Ausschuß für die Angelegenheiten der
Europäischen Union und an den Haushaltsausschuß
überwiesen werden. Der Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/1998 und der Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/1992 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen
werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann sind auch die Überweisungen so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart, die gestern vorgenommene Ausschußüberweisung des Antrags der Fraktionen
von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und
F.D.P. zum OSZE-Gipfel auf Drucksache 14/1959 um
die Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung zu ergänzen. - Auch
hier gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Hildebrecht Braun ({0}), Rainer Brüderle, Jörg
van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse eingetragener Lebenspartnerschaften
({1})
- Drucksache 14/1259 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({2})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Dr. Guido Westerwelle, F.D.P.-Fraktion, das
Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die F.D.P.Bundestagsfraktion legt heute einen Gesetzentwurf vor,
mit dem wir die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher
Partnerschaften so weit wie möglich abbauen wollen.
Meine Partei hat in diesen Fragen eine lange Tradition. Wir sind von unserer liberalen Grundüberzeugung
her der Auffassung, daß Minderheiten nicht diskriminiert werden dürfen, daß der Staat nicht Zensor der privaten Lebensentwürfe ist, daß erlaubt ist, was gefällt
und keinem anderen schadet. Deswegen haben wir beispielsweise in der alten Koalition zu Beginn der 90er
Jahre den § 175 gestrichen, der seinerzeit im Strafgesetzbuch eine Diskriminierung von gleichgeschlechtlicher Liebe vorgesehen hat. Diese Politik wollen wir mit
unserem Gesetzentwurf fortsetzen, der heute hier eingebracht wird und jetzt zur Debatte steht.
Lassen Sie mich eines klar sagen: Es ist kein Entwurf,
der sich gegen die Ehe richtet, sondern es ist ein Entwurf, der sich gegen die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften wendet.
({0})
Ehe und Familie sind die tragenden Verantwortungsgemeinschaften in unserer Gesellschaft. Aber wir wissen, daß die Ehe den gleichgeschlechtlichen Paaren nach
der Verfassung verwehrt ist. Deshalb ist ein anderes Institut, nämlich das der eingetragenen Partnerschaft,
sinnvoll, weil jede Lebensgemeinschaft wertvoll ist, in
der Menschen füreinander Verantwortung übernehmen.
({1})
Nach unseren Vorstellungen sollen künftig zwei
volljährige, nicht verheiratete und in keiner anderen eingetragenen Lebensgemeinschaft lebende Personen gleichen Geschlechts eine eingetragene Lebenspartnerschaft
begründen können. Es geht also nicht darum, das Institut
der Ehe abzuwerten, sondern es geht darum, die Diskriminierung neuer Verantwortungsgemeinschaften abzubauen.
Wir respektieren die ständige Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes und den besonderen
Schutz von Ehe und Familie im Grundgesetz. Daher sind
die von uns vorgesehenen Regelungen auch bewußt unterhalb der Ehe angesiedelt. Es ist ein anderes Institut.
Deshalb ist unser Gesetzentwurf auch verfassungsfest.
({2})
Wir kennen die Verfassungsgrenzen und möchten nicht
riskieren, daß ein wichtiges gesellschaftspolitisches
Vorhaben so weit geht, daß es einem Urteil des Verfassungsgerichts nicht standhalten könnte. Ansonsten hätte
man etwas Gutes gewollt und nichts bewirkt.
Dennoch enthält unser Gesetzentwurf weitreichende
Regelungen, insbesondere dort, wo die Diskriminierung
am deutlichsten ist. Zum Beispiel sieht unser Gesetzentwurf im Mietrecht, im Erbrecht, im Erbschaftsteuerrecht und übrigens auch im Ausländerrecht umfangreiche Änderungen vor. Wir haben damit die wichtigsten
Forderungen, die auch von Verbänden an uns herangetragen wurden, aufgenommen.
Mit diesem Rechtsinstitut können gleichgeschlechtliche Paare erstmals ihre Beziehung nach außen dokumentieren und rechtlich absichern. Eine Partnerschaft, in
der zwei Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, verdient den Respekt der Gesellschaft und den
Respekt des Staates. Gerade in einer Zeit, die von der
Vereinzelung der Menschen geprägt wird, hilft es allen,
wenn Verantwortungsgemeinschaften gestärkt werden.
({3})
Die Umfragen der letzten Zeit zeigen, daß es in der
Bevölkerung eine Mehrheit gibt, die ein eingetragenes
Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Paare befürwortet. Wir wollen mit unserer Initiative für mehr Toleranz und Verständnis in der Gesellschaft werben. Ein
solches Rechtsinstitut kann nur dann Erfolg haben, wenn
es von der Gesellschaft akzeptiert und getragen wird;
das wissen wir wohl. Unser Gesetzentwurf enthält daher
auch keine Maximalforderungen, sondern Vorschläge,
die sich im Verfassungsrahmen bewegen.
An die Adresse der Kritiker, auch an die Adresse der
konservativen Kritiker, die in unserer Initiative einen
Werteverlust sehen, sei gesagt: Wenn in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft einer seinen Partner
bis in den Tod hinein pflegt, dann ist das kein Werteverlust, sondern ein Wertegewinn für unsere Gesellschaft.
({4})
Die Förderung der gegenseitigen persönlichen Hilfe
ist die menschlichste und die menschenwürdigste Form
jeder Politik. Die freiwillige Übernahme von Verantwortung und der Bürgersinn sind dem Zwang und dem
bevormundenden Fürsorgestaat überlegen. Der Bürger
kommt für die Liberalen vor der Institution. Der Staat
muß die Bürger aber auch lassen.
Rotgrün hat den Wählern vor der Bundestagswahl
versprochen, daß es innerhalb der ersten 100 Tage nach
der Regierungsübernahme eine eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare geben wird. Nach
Ablauf dieser 100 Tage wurden immer neue Fristen genannt: bis Ostern, bis zur Sommerpause, im Herbst, bis
zum Ende des Jahres. Bisher gibt es von der Justizministerin aber nur zaghafte Andeutungen und vage Vorstellungen über Inhalte; es gibt weder einen Referentenentwurf noch irgendein Papier, das man diskutieren
könnte. Deshalb war es Zeit, daß dieser Gesetzentwurf
von uns eingebracht wurde. Wir können nicht abwarten,
bis Sie sich bequemen zu handeln.
Wir wollen mit unserer Initiative parlamentarischen
Druck auf die Regierung ausüben.
({5})
Das ist - bei allem Respekt, Herr Staatssekretär, daß Sie
heute die Regierung vertreten - augenscheinlich nötig.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Ich bin der Auffassung: Nach all den öffentlichen Erklärungen der Bundesjustizministerin in den letzten Tagen
und Wochen, bei denen sie sich für etwas feiern ließ,
was noch nicht einmal geschrieben wurde, hätte sie zumindest aber der Parlamentarische Staatssekretär heute hier auf der Regierungsbank sitzen und erklären
müssen, wie weit sie ist und wie weit Sie gehen will. So
kann man sich meines Erachtens nicht verhalten. Sie
enttäuschen diejenigen, die Sie gewählt haben.
({6})
Weder bei der eingetragenen Partnerschaft noch bei Regelungen der Mietrechtsnachfolge, noch beim Abbau
von Diskriminierungen homosexueller Soldaten in der
Bundeswehr ist es bisher zu rechtlichen Änderungen gekommen. Rotgrün hat mit sehr vollmundigen Versprechungen viele homosexuelle Wähler für sich gewinnen
können. Diese sind - zu Recht - enttäuscht.
Ich weiß, daß das auch manchem auf den Plätzen der
Koalitionsfraktionen überhaupt nicht gefällt. Ich kann
Sie nur nach besten Kräften unterstützen und Sie dazu
ermutigen, in dieser Richtung die Initiative mitzuergreifen.
Herr Kollege Westerwelle, ich muß Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Vielen Dank. Ich
komme zum Schluß. - Es ist an der Zeit, daß wir mit
den längst überkommenen Moralvorstellungen Schluß
machen. Das Parlament muß, wo es die Möglichkeit dazu hat, die Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen
Partnerschaften beenden. Das ist unser Auftrag an alle.
Ich appelliere an Sie, unseren Gesetzentwurf als eine
Beratungsgrundlage zu verstehen, die man da oder dort
kritisieren kann. Wenn Sie aber kritisieren, dann legen
Sie etwas vor, machen Sie es besser! Dann reden wir
darüber, wo wir eine gemeinsame Mehrheit der Vernunft finden können.
Vielen Dank.
({0})
Frau Kollegin Margot von Renesse, Sie haben das Wort für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Lieber Herr Westerwelle!
Die Tatsache, daß die Ministerin nicht hier sitzt, mag
nicht in erster Linie mit der Bedeutung des Themas zu
tun haben, sondern mit der Bedeutung Ihres Entwurfs.
Ihr Entwurf entspricht vielleicht nicht dem, was wir unserer Verpflichtung nach denen, die von uns Gerechtigkeit erwarten, vorzulegen haben. Ich denke, es ist richtig, daß der beamtete Staatssekretär anwesend ist; denn
wir sind uns in der Regierungskoalition über die Ziele
einig; es geht nur noch um das Wie, nicht um das Ob.
Ich verspreche Ihnen: Ich werde nach so vielen Reden
an diesem Pult zu diesem Thema nichts mehr sagen, es
sei denn in der ersten Lesung eines Regierungsentwurfs,
und diese wird sehr bald sein.
Zur Sache. Ihr Entwurf ist mir aus einem sehr wichtigen Grund nicht unsympathisch: Sie machen etwas, was
unverzichtbar ist - aber es ist ein Problem, daß genau
Konservative, gerade Wertkonservative besonders stört -:
Sie machen den Schritt ins Familienrecht. Das ist im
Prinzip richtig. Ihren Schritt aber kann man so beschreiben: Sie heben den Fuß, deuten die Richtung an und
bleiben mitten in diesem Schritt stecken. Sie machen also nicht etwa zwei Schritte vor und einen zurück, sondern machen den Schritt, den Sie machen müßten, nicht
ganz. Das will ich Ihnen an drei Beispielen deutlich machen.
Zum ersten ergibt sich aus Ihrem Text eine Widersprüchlichkeit. Sie berufen sich zur Begründung dessen,
was Sie als Institut schaffen wollen, auf die berühmte
Formel des Bundesverfassungsgerichts, nämlich auf die
auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft. Gleichzeitig
machen Sie bei den Konsequenzen dieses Instituts an
vielen Stellen deutlich, daß es sich gerade nicht um eine
dauerhafte Verantwortungsübernahme handelt. Das gilt
insbesondere für das Unterhaltsrecht. Vor allem da, wo
es keine Liebe mehr gibt nach der Trennung, beschränken Sie den Unterhaltsanspruch der Lebenspartner gegeneinander auf das, was man im Nachehe- und
Nachtrennungsrecht den „positiven Billigkeitsanspruch“
nennt.
So positiv die Formulierung „positiver Billigkeitsanspruch“ klingt, so problematisch ist die Wirklichkeit dahinter. Dieser Fall ist nämlich die absolute Ausnahme.
Es gibt eben keine wirklich verläßliche Verantwortungsübernahme für Krankheit, für Alter und für das
Problem, daß man keine Arbeit findet, selbst wenn man
eine aufnehmen sollte oder müßte. Auch im Eherecht ist
der Unterhaltsanspruch nach der Trennung oder Scheidung eine Ausnahme, aber mit weiß Gott viel mehr Begründungen von Verantwortung für das, was innerhalb
der Gemeinsamkeit auf Stapel gelegt ist, als in Ihrem
Gesetzentwurf. Im Grunde ist es bei Ihnen ein Institut,
das Familienrecht heißt, aber nach dem Prinzip verfährt:
Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.
({0})
Offensichtlich trauen Sie Homosexuellen die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung nicht zu.
Der Kern für alle Diskriminierungen ist eigentlich genau das: daß man die Beziehungen zwischen zwei Männern oder zwei Frauen nicht für verläßlich, nicht für belastbar hält. Ich als nicht Betroffene glaube, daß man
den homosexuellen Menschen diese Übernahme von
Verantwortung nicht mit guten Gründen verweigern
kann.
Dieses Thema bestimmt sicherlich nicht das Wohl
und Wehe der Bundesrepublik Deutschland. Ich will
Ihnen aber sagen, warum man sich auf diesem Gebiet
engagiert, auch wenn man nicht betroffen ist. Für mich
gibt es immer wieder eine Notwendigkeit, diese Frage
zu beantworten. Wenn der Staat selber Unrecht tut, dann
ist dieses Thema für alle, die Gerechtigkeit lieben, ein
Stein im Schuh, ein Schmerz, der einen nicht losläßt,
weil einem immer wieder Fälle wie die von Ihnen geschilderten begegnen, wo Menschen einen gleichgeschlechtlichen Partner pflegen und im Ergebnis nicht
einmal die Totensorge haben; vielmehr können diese
Menschen von einer Familie von Begräbnis und Trauerfeier ausgeschlossen werden. Das Problem besteht darin,
daß Partner, die einander wichtig sind und die zueinander gehören wollen, selbst dann, wenn sie Unterhaltsverpflichtungen übernehmen wollen und können, nicht
die Möglichkeit haben, einen Nicht-EU-Ausländer bei
sich zu haben. Diese Menschen verzweifeln und verlieren ihren Lebenssinn.
Ich sage in aller Solidarität: Es ist das Problem von
Eltern homosexueller Kinder, die nichts, aber auch gar
nichts verschuldet haben - auch deren Kinder haben
nichts verschuldet - und die erleben müssen, daß ihre
Kinder auf ein Außenseiterdasein programmiert sind. Es
ist eine Angelegenheit, die mich auch als solidarisch
fühlende Mutter zutiefst mitnimmt und für die ich - einfach um der Gerechtigkeit willen - etwas zu tun wünsche.
({1})
Ein weiteres Beispiel, das deutlich macht, daß Sie auf
halbem Wege - sozusagen mitten im Schritt - steckenbleiben, ist das Problem mit dem Erbrecht. Sie wollen
homosexuellen Lebenspartnern mit Ihrem rumpfhaften,
verstümmelten Modell von Partnerschaft, die eben keine
lebenslange Unterhaltsverpflichtung enthält, ein gesetzliches Erbrecht wie Ehegatten geben. Dabei haben Sie
weiß Gott nicht gründlich genug nachgedacht. Worauf
beruht denn das Ehegattenerbrecht? Es beruht auf der
Unterhaltsverpflichtung, und dasselbe gilt für die gesetzliche Steuerbegünstigung für Ehegatten.
({2})
Der erbende Ehegatte erbt nicht wie jemand, der von
einem Onkel aus Amerika erbt. Er gewinnt doch nichts,
was er nicht schon vorher als Lebensgrundlage hatte.
Dem trägt das gesetzliche Erbrecht, dem trägt auch das
Steuerrecht, Herr Geis, Rechnung. Das gesetzliche
Erbrecht ist kein Privileg, sondern die Anerkennung von
Normalität.
({3})
Darum steht das Erbrecht nur jemandem zu, der sich
seinem Partner so unverbrüchlich verantwortlich weiß,
daß diese unverbrüchliche Verantwortung auch über den
Tod hinaus wirkt.
Ihr „Rumpfunterhaltsrecht“ kann solch weitreichende
Folgen nicht haben. Wir müßten geradezu fragen, warum Heterosexuelle, die ebenfalls so eine Verpflichtung
eingehen, von so etwas ausgeschlossen sind. Heterosexuelle bekommen solche „Privilegien“ - ich habe gerade
gesagt, daß es keine Privilegien sind, sondern der Respekt vor etwas, was rechtlich existiert - nicht. Auch
Heterosexuelle müßten so etwas „für billiger als Ehegatten“ bekommen können.
Ehegatten müssen sich einander über Kopf und Kragen verpflichten. Nur wenn sie das tun, bekommen sie
zum Beispiel solche Steuervorteile. Das müssen die homosexuellen Partner nach Ihrem Gesetzentwurf nicht.
Sie bekommen es billiger. Bei aller Liebe zur Gerechtigkeit: Homosexuelle sind nicht besser als Heterosexuelle und verdienen keine bessere Behandlung. Soweit
geht bei mir die Liebe jedenfalls nicht.
({4})
Entsprechendes gilt im Ausländerrecht. Worauf beruht denn das Ausländerzuzugsrecht? Ist es die Verbeugung vor der Liebe? Danach fragt bei der Eheschließung
keiner. Kein Standesbeamter fragt: Liebt ihr euch?
Vielmehr ist es die Verbeugung vor der Unterhaltspflicht. Der deutsche Staat, der den ausländischen Ehegatten ins Land läßt, weiß, daß er ein vorrangig verpflichtetes Portemonnaie vorfindet, das sich öffnen muß,
wenn der Ausländer zum Sozialproblem wird. Bei Ihnen
nicht. Ja, du liebe Güte! Warum ist dies nicht Heterosexuellen für ein bißchen weniger Verpflichtung, als es
gleich Eheleute haben müssen, auch geöffnet? Und was
Ehegattenverpflichtung und insbesondere Unterhaltsverpflichtung ist, davon weiß ich ein Lied zu singen. Ich
habe die armen Kerls und die armen Damen vor mir gesehen, die in solchen Situationen standen. Da kann ich
nur sagen: Mit Recht würde ich vor jedem Standesamt auch eines Tages bei Lebenspartnern, wenn das Institut
so ist, wie es sein muß - eine rote Warnlampe anbringen.
Es gibt ein schönes Zitat, das ich einmal angeführt
habe, als ein Mann meinte, er müsse seiner Frau nichts
zahlen; das wäre doch eine Gemeinheit. Es stammt von
Puschkin, und zwar aus dem Märchen vom Zaren Saltan, und lautet:
Seufzt der Schwan tief auf und spricht:
Eine Gattin kann man nicht
von der Hand wie'n Handschuh streifen
und nach einer andern greifen.
Drum erwäg es erst vernünftig,
daß du nichts bereuest künftig.
({5})
Ich denke, dies gilt eines Tages auch für ein korrektes
familienrechtliches Institut von Lebenspartnern.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ina Lenke?
Jetzt habe ich gerade
so ein schönes Gedicht aufgesagt! Wollen Sie dazu fragen? - Bitte sehr.
Ich gebe Ihnen eine
halbe Minute länger.
Frau Kollegin, vielleicht können
Sie mir jetzt auch mit einem Gedicht antworten. Ich
möchte Sie fragen: Nach dem, was Sie vorgetragen haben, nach dem, was an Kritik den Unterhalt zwischen
gleichgeschlechtlichen Partnern betrifft, gehe ich davon
aus, daß Sie dies in Ihrem Gesetzentwurf berücksichtigen und daß darin eine lebenslange Unterhaltspflicht
vorkommen wird. Können Sie das bestätigen?
Worauf Sie sich verlassen können! Darunter kommt es nicht in Frage. Denn
es gilt der alte Rechtsgrundsatz: Gleiche Rechte gibt es
nur für gleiche Pflichten.
({0})
Das kann man in Art. 3 nachlesen.
({1})
- Das können Sie gerne tun. - Drunter geht nichts.
Damit komme ich zu dem Problem, das wir immer
auszumachen haben: Warum Familienrecht überhaupt?
Warum müssen wir aus allen möglichen Beziehungen,
die auch Dreier-, Vierer- oder Fünferbeziehungen - wer
auch immer mit wem auch immer - sein können, die
Zweierbeziehung herausnehmen? Hier könnte ich mit
Plato, ja selbst mit Paulus antworten. Das kommt auch
gleich noch. Aber warten Sie bitte noch einen Augenblick.
({2})
Weil auch ich aus einem Hause komme und meine
Kinderstube in einer Familie gestanden hat, wo man
über Sexualität eigentlich nicht redete und lieber einen
Bogen darum schlug, habe ich lange Zeit versucht, das
Problem ohne Bezugnahme auf das sexuelle Potential zu
behandeln. Ich habe festgestellt: Es geht nicht.
Nun komme ich auf eine Formel des Bundesverfassungsgerichtes zu sprechen. Diese zitiere ich noch vor
Paulus. Bei den nichtehelichen Beziehungen, die
Karlsruhe genannt hat, handelt es sich um solche, die
neben sich keine andere Beziehung dulden, die keine
andere Beziehung zulassen, wie Karlsruhe sagt. Diese
schöne, gewundene Formulierung, heißt im Sprachgebrauch normalerweise „Treue“. Es muß also eine
Treueverpflichtung zwischen zweien geben, damit sie
eine so ganzheitliche Beziehung überhaupt begründen
können, wie sie zum Beispiel eine solche unverbrüchliche Unterhaltsverpflichtung überhaupt nur trägt. Normalerweise ist keine vertragliche Beziehung in der Lage,
dies zu leisten. Mit Recht nennen wir deswegen die Beendigung von sonstigen Dauerschuldverhältnissen Kündigung oder Beendigung, nur bei der Ehe spricht sogar
das Gesetz in solchen Fällen vom Scheitern. Das hat eine ganz andere Qualität.
Ich denke, das Familienrecht, dessen Liebhaberin ich
bin, muß drei Kriterien erfüllen. Erstens muß es identitätsprägend sein. Ich füge in Klammern hinzu: Namensrecht. Das machen Sie. Zweitens ist es ein Recht, das
Verpflichtungen auslöst, die nicht unbedingt von Gegenverpflichtungen abhängig sind, wie das Synallagma
im Kaufvertrag: do ut des. Da wird vielmehr geleistet,
weil der Bedarf besteht und nicht, weil eine Gegenleistung fließt. - „Sie bügelt mir die Hemden nicht mehr,
und trotzdem muß ich Unterhalt leisten“. Ich kenne dieses alte Problem.
Die dritte wichtige Qualität besteht darin, daß eine
familienrechtliche Beziehung prinzipiell lebenslang ist.
Es gibt keine Beziehung im Familienrecht, die nicht
prinzipiell lebenslang ist. Das gilt für die Ehe auch bei
Scheidung. Daraus folgt auch, daß die Unterhaltsverpflichtungen die Scheidung überleben - mit Recht. Das
ist nur in einer ganzheitlichen Beziehung möglich, die
der gute alte Paulus mit den Worten „Sie werden ein
Fleisch“ umschrieb und die der gute alte Plato mit seinem berühmten Gleichnis von der Einheit von zweien
kennzeichnete, die ein neidischer Gott zerschlug.
({3})
- Nein, Plato nicht. Vielmehr schilderte Plato die Situation, daß ursprünglich die Menschen als Einheit von
zweien geschaffen waren und eine neidische Gottheit sie
zerschlug, weil sie ihnen ihre Gottähnlichkeit neidete.
({4})
Daraus wurden dann jeweils zwei, manche ein Mann
und eine Frau, die einander suchten, manche ein Mann
und ein Mann, manche eine Frau und eine Frau.
({5})
- Ich redete gerade von Plato und seinem berühmten
Gleichnis.
({6})
- Wissen Sie, es sind sehr, sehr alte Texte, und sie sind
auf Grund ihres Alters und der Tatsache, daß sie überliefert wurden - ihnen ist die Ehre der Überlieferung zuteil
geworden -, klassisch wahr. Sie kann man mit Recht zitieren, weil sie Dinge beim Namen nennen, die wahrhaftig sind.
Jetzt kommen wir wieder in die Gegenwart zurück.
Ich habe öfter Leute gehört, die gute Menschen und
vielleicht auch konservativ sind.
({7})
Sie sagten: Laßt uns den Leuten mit dem Ausländerrecht, dem Erbrecht, dem Steuerrecht, dem Wohnungsrecht helfen. Das ist ja alles ganz furchtbar; also müssen
wir ihnen helfen. Dazu soll alles geschehen. - Nur, immer dann, wenn irgendwelche punktuellen Veränderungen auf den betreffenden Gebieten erörtert wurden, verfranste man sich in der Widersprüchlichkeit, die darin
lag, daß man es Leuten, die einander nicht verpflichtet
waren, dann für weniger gab als anderen, beispielsweise
Ehegatten. Das heißt, es führt kein Weg daran vorbei:
Wenn wir Menschen helfen wollen, die in einer solchen
Lage wie in den Beispielen, die ich geschildert habe,
sind, geht es nicht ohne gleiche Pflichten.
Eines macht auch Konservativen zu schaffen: Sie alle
wollen - jedenfalls alle, mit denen ich gesprochen habe
-, daß, wer in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft
lebt, auf keinen Fall gleichzeitig eine Ehe schließen soll.
Wer eine Ehe geschlossen hat, die nicht aufgelöst ist,
soll auf keinen Fall eine solche Partnerschaft schließen.
Ich frage: Welche anderen Möglichkeiten gibt es dann,
bitte schön, außer dem Familienrecht? Denn das gibt es
nicht, daß jemand eine Ehe nicht schließen darf, der in
einer Beziehung zu irgendeinem Dritten lebt, die nicht
familienrechtlicher Natur ist. Das ist nicht möglich. Es
muß kommensurabel und auf der gleichen Ebene sein.
Wer will, daß das eine das andere ausschließt, muß einfach zulassen, daß der Standesbeamte vor der Mitwirkung an einer beabsichtigten Eheschließung in irgendeinem Register nachschaut, ob es da so etwas wie eine
Partnerschaft gibt. Deshalb sehen Sie mit Recht eine
Registrierung vor, und damit befinden Sie sich im Bereich des öffentlichen Rechts. Also müssen Sie als Gesetzgeber ein Menü beschreiben, das angeklickt werden
muß, wenn man eine solche Partnerschaft schließt.
Also wird in dem Gesetzentwurf, den wir machen,
das Familienrecht in vollem Umfang zur Geltung gebracht. Ich nenne hier die Stichworte: identitätsstiftend,
lebenslang. Es wird sich um ein Verantwortungsrecht
handeln, das Verpflichtungen auslöst, die nicht von einer
Gegenverpflichtung abhängig sind. Das ist ein schwerer
Schritt. Es ist seit Ewigkeiten mein Kredo, daß man das
Familienrecht - selbst wenn man die Mehrheit hat nicht mit 51prozentigen Mehrheiten ändern sollte. Es ist
gefährlich, so etwas zu tun; denn Familienrecht ist der
Inbegriff von kulturell-ethischen Überzeugungen. Auch
ich denke - wie Sie -, daß die Zeit soweit ist, daß es genug Menschen in dieser Gesellschaft gibt, die fragen
werden: Warum haben wir das nicht schon lange gemacht? Aber es wird auch viele geben, die uns große
Schwierigkeiten machen und die mit Art. 6 des Grundgesetzes argumentieren werden. Ich muß sagen, das ist
ein falsches Verständnis von Art. 6: als ob Art. 6 verletzt
würde, wenn wir so etwas machten. Nein, Sie haben
recht, Herr Westerwelle: Er wird nicht verletzt. Eine soziale Konkurrenz gibt es sowieso nicht. Wer eine solche
Partnerschaft einzugehen bereit ist, ist mit Sicherheit
nicht jemand, dem auch eine Ehe mit einem Partner des
anderen Geschlechts offenstünde - so als ob man morgens früh überlegt: Heirate ich jetzt lieber einen Mann
oder eine Frau?
({8})
So sind die Dinge nicht.
({9})
Aber auch ein rechtliches Abstandsgebot - wie es
immer behauptet wird - vermag ich nicht zu sehen. Da
es schon keine Sozialkonkurrenz gibt, stellt sich die Frage nicht, ob das in Art. 6 niedergelegte Leitbild eines für
alle ist; für katholische Priester zum Beispiel kann es
keines sein. Vielmehr ist das rechtliche Leitbild der Ehe
ein Leitbild für diejenigen, die als Mann und Frau rechtlich zusammenleben wollen. In diesem Bereich ist die
Ehe eine Monopolinhaberin, und zwar mit Recht. Aber
für alle, die nicht heiraten wollen oder können, ist sie es
nicht. Sie verfehlen kein Leitbild, indem sie nicht heiraten.
Zum Abstandsgebot: Ich hätte manchmal lieber im
Recht durchgesetzt, daß die Ehe nicht zu einem rechtlichen Nachteil wird. Das Bundesverfassungsgericht hat
in seinem Urteil zu den Freibeträgen, die Sie uns hinterlassen haben, darauf hingewiesen, daß Ehegatten bis
heute schlechter behandelt werden, weil sie Ehegatten
sind. Dies ist in der Tat ein Verstoß gegen Art. 6 des
Grundgesetzes.
({10})
- Das ist nicht wahr, daß wir Alleinerziehende schlechter behandeln. Das ist dummes Zeug. Darauf kann ich
mich im Augenblick nicht konzentrieren.
Jedenfalls ist es verboten, Eheleute schlechter zu behandeln, nur weil sie verheiratet sind. Dies gibt es trotz
des Urteils des Bundesverfassungsgerichts noch immer
massenhaft.
Art. 6 des Grundgesetzes ist eine Vorschrift, die ich
gerne befolge; denn ich halte sie für richtig. Der Staat
und die Gesellschaft verdanken - ich habe es gerade
dargestellt - dem Rechtsinstitut der unverbrüchlichen
Verantwortungsübernahme - einer tritt für den anderen
lebenslang ein; Eltern für Kinder; Kinder für Eltern;
Ehepartner für Ehepartner - eine Riesenentlastung.
Wenn es dieses Rechtsinstitut nicht gäbe, dann wäre die
Pflegeversicherung schon heute bankrott. Auch die Sozialversicherung und die Sozialhilfe wären sofort am
Ende, wenn es die Solidarität durch Verantwortungsübernahme nicht gäbe. Darin sind wir uns wieder einig.
Ich hoffe, wir können uns überhaupt einigen, wenn Sie
Ihre Widersprüchlichkeiten in Ihrem Kopf und in Ihrem
Entwurf bereinigen.
Wir sind uns darin einig: Mehr Verantwortung unter
den Menschen schadet Familie und Ehe nicht. Mehr
Verantwortung ist ein Gewinn für uns alle.
Danke sehr.
({11})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Guido Westerwelle.
Frau Kollegin Renesse, Ihre Ausführungen haben uns allen viel Freude
bereitet, vor allen Dingen auch deshalb, weil wir uns auf
diese Art und Weise an gewisse altsprachliche Schulstunden erinnern konnten. Zu dieser Zeit am Freitag ist
dies schon ein Wert an sich.
Nun aber mit großem Ernst: Sie behaupten, es gebe
Widersprüchlichkeiten in unserem Gesetzentwurf. Das
muß man hinnehmen. Es ist immer das Schicksal desjenigen, der etwas vorlegt. Wer etwas vorlegt, läuft Gefahr, daß dieses oder jenes kritisiert wird. Ich kann nur
eines nicht verstehen: Sie haben vor ziemlich genau
zwei Jahren eine ähnliche, wie ich finde, bemerkenswerte Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Damals
waren Sie noch Oppositionsabgeordnete. Damals wurde
genau das gleiche diskutiert wie jetzt. Sie als ehemalige
Familienrichterin haben seinerzeit genauso brillant über
das Familienrecht und dessen Abgrenzung zum öffentlichen Recht referiert wie heute. Sie wissen, daß ich Ihnen
als Anwalt einigermaßen folgen kann. Aber Ihre Ausführungen helfen uns - offengestanden - nicht weiter.
Wir möchten jetzt einfach Taten sehen. Bisher gab es
nur schöne Worte.
({0})
Wir, die F.D.P., hatten in der alten Koalition nie die
Gelegenheit, solche Regelungen zu treffen, weil unser
konservativer Koalitionspartner dies nicht zugelassen
hätte. Dies mußten wir akzeptieren. Das ist in Ihrer Koalition bei anderen Fragen nicht wesentlich anders. Jetzt
gibt es aber eine neue Mehrheit der Vernunft im Deutschen Bundestag.
({1})
Es gab ja nicht nur parteipolitische Auseinandersetzungen; vielmehr wurden auch gute Gespräche geführt.
Wenn es eine solche Mehrheit der Vernunft gibt, dann
müssen Sie irgendwann einmal etwas vorlegen. Die Tatsache, daß wir einen Gesetzentwurf eingebracht haben
und daß die vielen guten Gespräche, die wir geführt haben, uns nicht mehr reichen, hängt damit zusammen, daß
wir die Sorge haben, Sie könnte der Mut vor der eigenen
Courage verlassen haben. Es wäre ein gutes Ergebnis
dieser Debatte, wenn Sie anschließend mit Ihren Vorstellungen überkämen.
({2})
Ich gebe das Wort
nunmehr dem Kollegen Norbert Geis für die CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Westerwelle,
ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß wir uns gegen alle
Diskriminierungen von Homosexuellen mit aller Entschiedenheit wehren müssen. Aber das bedeutet doch
nicht, daß ich zu rechtlichen und quasi rechtlichen Institutionen Zuflucht nehmen muß, um solche Diskriminierungen abzuwehren. Das halten wir nicht für notwendig. Deswegen - das sage ich vorweg - wenden wir uns
auch gegen Ihren Gesetzentwurf. Wir sind der Meinung,
daß wir dadurch, daß wir den Vorrang von Ehe und
Familie betonen und alles abwehren, was diesen Vorrang beschädigen könnte, niemanden diskriminieren.
Die Forderung nach Regelung außerehelicher Lebensgemeinschaften, nichtehelicher Lebensgemeinschaften ist schon lange auf dem Tisch. Aber interessant
ist, daß in der Diskussion bis 1988 nie jemand ernsthaft
die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften gefordert oder davon gesprochen hat. Es
ging immer um heterosexuelle Lebensgemeinschaften,
die gleichgestellt werden sollten. Das war noch auf dem
Deutschen Juristentag 1988 erkennbar, der dieses Thema
behandelte und kein Wort über gleichgeschlechtliche
Lebensgemeinschaften verloren hat. Auch das Hearing
der SPD aus dem gleichen Jahr hat kein Wort über
gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften verloren.
Es ging immer nur um die Diskussion heterosexueller
Lebensgemeinschaften.
({0})
Erst 1988, als in Dänemark dieses bekannte Gesetz
gekommen ist, und 1992, als 200 gleichgeschlechtliche
Paare unbedingt ihre Registrierung haben wollten, kam
dieses Thema nach vorne und hat auch - das kann ich
schon sagen - eine lautstarke Lobby gefunden. Deswegen wird der Druck stärker. Wir werden - davon gehe
ich aus, Herr Staatssekretär - in Kürze auch einen Gesetzentwurf der SPD-Fraktion auf dem Tisch haben, und
wir haben uns heute mit dem Entwurf der F.D.P.Fraktion vom Juni dieses Jahres zu beschäftigen.
Unsere Sorge ist, daß durch solche gesetzlichen Regelungen die eindeutige Vorrangstellung von Ehe und
Familie beschädigt wird. Wir wissen natürlich, daß die
Ehe nicht mehr so unangefochten ist, wie sie es einmal
war. Wir kennen die Scheidungsziffern, und wir wissen
auch, daß viele junge Paare erst einmal zusammenleben,
gewissermaßen auf Probe. Aber es gibt kein Leben auf
Probe, und es gibt auch keine Ehe auf Probe. Zum
Schluß finden viele dann doch zusammen. Immerhin
erleben 80 Prozent unserer Jugendlichen ihren 18. Geburtstag bei ihren verheirateten Eltern. Das zeigt, daß
Ehe und Familie - und das wird von Ihnen auch nicht
bestritten - immer noch eine ganz bedeutende Position
innerhalb unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit haben.
Ehe und Familie sind im Grundgesetz ganz besonders
hervorgehoben worden. Eine solche Hervorhebung, liebe Frau von Renesse, in einer Verfassung hatten wir
schon in der Weimarer Reichsverfassung. Hitler hat das
dann wieder zurückgedrängt. Aber im Erlebnis der Hitlerzeit und auch im Erlebnis der Bedrohung durch den
Kommunismus haben dann die Väter und Mütter unserer
Verfassung allergrößten Wert darauf gelegt, daß Ehe
und Familie in einer solch ausgezeichneten Weise herausgestellt werden, in einer besonderen Weise geschützt
werden.
Das Verfassungsgericht hat uns auch gesagt, warum.
Jetzt komme ich zu einem Widerspruch zu Ihnen. Ehe
und Familie sieht das Verfassungsgericht als eine Einheit, soweit Ehe eben auf Kinder hin offen ist. Diese
Hochschätzung geht so weit, daß Ehen auch dann unter
diesem besonderen Schutz stehen, wenn sie kinderlos
bleiben. Das wissen wir aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Aber das Verfassungsgericht begründet die besondere Hervorhebung von Ehe und Familie damit, daß in der Familie den Kindern das Leben
geschenkt wird, daß sie erzogen werden und daß sie in
der Familie an die Gesellschaft herangeführt werden.
Also Kindererziehung und das Schenken von Leben, das
ist letztendlich der Grund - so das Verfassungsgericht in
seinem Beschluß vom 3. Oktober 1993 -, weshalb Ehe
und Familie diese Vorrangstellung haben.
Deswegen, verehrte Frau von Renesse, kann es keinen Vergleich geben mit familiären oder ähnlichen Regelungen für nichteheliche Lebensgemeinschaften,
schon gar nicht für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften.
({1})
Das ist - jedenfalls nach diesen Grundentscheidungen
des Verfassungsgerichts - so nicht möglich und nach
meiner Überzeugung so nicht denkbar.
Nun wissen wir, daß diese besondere verfassungsrechtliche Position hier angefochten wird. Wir sehen in
Ihrer Gesetzesvorlage einen solchen Angriff. F.D.P. und
SPD haben versucht, bei den Beratungen der Verfassungskommission eine verfassungsähnliche Stellung für
gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften zu erreichen. Das ist mißlungen, weil sich die CDU/CSU dagegen gewandt hat. Nun soll aber über die Hintertür, durch
einfachgesetzliche Regelungen, eine solche verfassungsähnliche Position doch noch erreicht werden. Dagegen
wenden wir uns.
Wir meinen, daß es nicht möglich ist, ehespezifische
Regelungen, wie wir sie in unserem gesetzlichen Rahmen für Ehe und Familie finden, auf andere Lebensgemeinschaften zu übertragen, ohne daß dadurch die Ehe
und die Familie Schaden erleiden.
({2})
- Weil die Angleichung natürlich eine Abwertung des
Vorranges von Ehe und Familie ist! Wenn ich jemanden
gleichberechtigt neben einen anderen stelle, dann ist dies
eine Verletzung des Vorrangs, und der Vorrang ist nun
einmal in der Verfassung festgeschrieben.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ehespezifische Regelungen sehen wir im Ehegattensplitting und in
anderen öffentlich-rechtlichen Vergünstigungen, zum
Beispiel bei den Regelungen zum Familienunterhalt.
({4})
- Wenn Sie das nicht begreifen, Herr Ströbele, kann ich
Ihnen nicht helfen. Vielleicht müssen Sie sich dann
überlegen, ob Sie hier im Bundestag richtig sind.
({5})
Die Regelungen zum Unterhalt nach Scheidung, zum
Zugewinn und zum Versorgungsausgleich sind ebenso
ehespezifisch wie die Regelungen zum Erbrecht der
Ehegatten. Das alles entspringt dem Halbteilungsgrundsatz, der davon ausgeht, daß die Erziehung der Kinder
und die Führung des Haushalts auf der einen Seite und
die Erwerbstätigkeit auf der anderen Seite gleichberechtigt nebeneinander stehen. Nicht wegen des Unterhaltsanspruchs, sondern wegen des Halbteilungsgrundsatzes
gibt es die ehe- und erbrechtlichen Regelungen.
({6})
- Ich sehe es anders als Sie, verehrte Frau von Renesse.
Daneben gibt es natürlich auch Regelungen, die der
besonderen Beziehung zweier Menschen, dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen zwei Menschen
entspringen. Solche Regelungen haben wir in unserer
Rechtsordnung. Das sind allerdings Regelungen, die
bislang nur Ehe und Familie vorbehalten waren, wie beispielsweise im Mietrecht, bei der Zeugnisverweigerung,
in der ZPO und im Sozialrecht.
Es ist natürlich durchaus überlegenswert, ob nicht
solche Regelungen im Einzelfall auf Menschen Anwendung finden können, die ein Leben lang in einem besonderen Vertrauensverhältnis miteinander leben. Das ist
richtig. Wenn sie das im Einzelfall so entscheiden, mag
das für den Einzelfall durchaus plausibel sein. In der
Summe führt das aber dazu, daß Sie die eindeutige Vorrangstellung von Ehe und Familie verletzen. Da beißt
die Maus keinen Faden ab, das ist nun einmal so.
Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken zur
Frage des Regelungsbedürfnisses ausführen. Sie geben
in Ihrem Gesetzentwurf an, daß 2,5 Millionen Menschen
in Deutschland in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben. Das ist eine Schätzung. Sie müssen aber auch
die Feststellung im Zweiten Bericht der EnqueteKommission „Demographischer Wandel“ zur Kenntnis
nehmen, in dem steht, daß dazu keine Angaben gemacht
werden können.
Ich möchte zu bedenken geben, daß sich nach meinen
Informationen in Dänemark seit Einführung der Regelung zur Registrierung solcher Partnerschaften im Jahre
1988 nur 2000 haben eintragen lassen. Wenn sich diese
Zahl bestätigen lassen sollte, dann besteht in der Tat
kein Regelungsbedarf.
Im übrigen: Warum wollen wir etwas regeln, was im
Grunde genommen in unserem gesetzlichen Rahmen
schon geregelt ist? Wir haben die Möglichkeit der freien
Vertragsgestaltung, und wir haben die übrigen gesetzlichen Regelungen, die für alle gelten und allemal alle
Probleme, die bislang aufgetreten sind, haben lösen
können.
({7})
Ich sehe keine Schwierigkeiten, das Problem zu lösen,
daß jemand einen sterbenskranken Menschen im Krankenhaus besuchen kann. Das ist meist eine Frage, die in
dem jeweiligen Krankenhaus vom Arzt zu entscheiden
ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dies unmöglich
sein soll.
({8})
- Nein, das ist in der jeweiligen Krankenhausordnung
geregelt, die die Stadt oder der Kreistag erläßt. Damit
haben wir gar nichts zu tun.
Ich kann mir aber gut vorstellen, daß solche Regelungen getroffen werden können, ohne daß wir deswegen
die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu einem Institut erheben müßten.
({9})
Herr Kollege Geis,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Ja, bitte.
Herr Geis, ich hätte von Ihnen gerne eine Auskunft zu
einem Detail; in anderen Punkten stellt sich diese Frage
ähnlich. Ich möchte wissen, ob Ihnen ein Fall bekannt ist,
daß eine Krankenhausordnung vorsieht, daß der Ehegatte
nicht Zugang zum Krankenbett seiner Partnerin oder seines Partners bekommt? Ich kenne viele Fälle, in denen
das bei gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften
durchaus das Problem war. Wenn Sie meinen, das sei in
das Belieben der Krankenhausordnung gestellt, wüßte ich
gerne, ob sich dieses Belieben bislang in dieser Vielfalt
ausgelebt hat. Oder glauben Sie nicht eher, daß das Belieben der Krankenhausordnung seine Grenzen in dem Respekt vor der Intimsphäre und Privatsphäre der ehelichen
Lebensgemeinschaft findet und daß gleichgeschlechtliche
Lebensgemeinschaften ebenfalls einen durchaus verständlichen Anspruch auf einen vergleichbaren Respekt
vor ihrer Lebensgemeinschaft haben?
Ich kenne nur die Krankenhausordnung in meiner Umgebung. Dort habe ich
mich erkundigt. Da spielt diese Frage überhaupt keine
Rolle. Selbstverständlich kann man seinen schwerkranken Freund, Bekannten oder Partner besuchen, ohne daß
es irgendwelche Schwierigkeiten gibt. Ich kann mir
wirklich nicht vorstellen, daß in einer so schwierigen
Extremsituation eines Menschen, in der es um Leben
und Tod geht, derjenige, der diesem Menschen am nächsten steht, nicht an das Krankenbett darf. Diesen Fall
müssen Sie mir erst einmal zeigen.
({0})
Selbst wenn es so wäre, Herr Beck, vermag ich daraus nicht abzuleiten, daß wir deswegen den Bundestag
in Bewegung setzen müßten. Sie müssen einmal überlegen, daß es sich nur um eine ganz kleine Gruppe handelt. Selbst wenn die geschätzte Zahl von Herrn Westerwelle stimmt, wären von diesen 2,5 Millionen nicht
alle bereit, sich registrieren zu lassen,
({1})
so daß es eine noch geringere Zahl wäre. Wir müssen hier
nicht für kleine Gruppierungen Regelungen schaffen.
({2})
Ein letztes Argument - Frau Renesse, Sie haben es
schon angedeutet -: Warum treffen wir eine solche Regelung, wenn wir sie für die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften treffen, nicht auch - das wäre doch nur gerecht - für viele andere Partnerschaften, bei denen die Sexualität keine Rolle spielt? Wollen Sie diese benachteiligen? Das wäre nach meiner Auffassung eine Diskriminierung. Das müssen Sie sich einmal in Ruhe durch den
Kopf gehen lassen. Was Sie hier wollen, ist im Grunde
genommen die Diskriminierung von vielen anderen Lebenspartnerschaften, die keine sexuelle Beziehung haben,
zum Beispiel zwei Schwestern, die ihr ganzes Leben miteinander verbracht haben, die füreinander einstehen und
füreinander die Verantwortung tragen. Sie sollen außen
vor bleiben. Das wäre eine Diskriminierung!
Danke.
({3})
Es gibt noch eine
Zwischenfrage der Kollegin Lenke. Ich würde ihr auch
das Wort zu einer Kurzintervention erteilen, aber wir
bleiben doch lieber bei dem Dialog. - Sie haben das Wort.
Ich bin lieber für den Dialog. Lieber Herr Geis, die CDU hat ein Familienpapier.
Wenn ich nun Ihre Rede höre, stelle ich eine große Dissonanz zwischen dem Familienpapier der CDU und
Ihnen fest. In dem Familienpapier heißt es:
Wir respektieren die Entscheidung von Menschen,
die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Lebensentwurf verwirklichen.
Dann heißt es - das ist sehr wichtig -:
Wir anerkennen, daß in solchen Beziehungen auch
Werte bestehen, und wollen prüfen, welche rechtlichen Hindernisse dem gemeinsamen Leben im Wege stehen.
Ich habe von Ihnen keinen einzigen guten Vorschlag
zur Beseitigung dieser Hindernisse bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften gehört. Welche haben
Sie? Vielleicht könnten Sie mir das einmal beantworten.
Die CDU-Generalsekretärin Angela Merkel hat ein Gespräch mit den entsprechenden Verbänden geführt. Es ging dann folgende Erklärung hinaus:
Für die CDU-Generalsekretärin Dr. Angela Merkel
handelt es sich bei der LSU um eine gesellschaftliche Gruppe, der die CDU als Volkspartei für ein
Gespräch offen steht.
Im Vorfeld des kleinen Parteitages zur Familienpolitik werden wir alle gesellschaftlichen Gruppen
...
- darunter auch die Gruppen, die bei ihr vorgesprochen
hatten zu unserem familienpolitischen Leitantrag anhören.
Ich weiß nicht, wie Sie daraus eine besondere Bevorzugung ausgerechnet gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ablesen wollen. Ich vermag das nicht zu erkennen.
Herr Geis, hier geht es doch
wirklich nicht um eine Bevorzugung, sondern um die
Beseitigung bestehender Diskriminierung. Sagen Sie mir
doch bitte, ob Sie nun gegen den Inhalt dieses Familienpapieres sind oder ob Sie einen konkreten Vorschlag
vorlegen können. Die CDU/CSU sagt, man wolle prüfen, welche rechtlichen Hindernisse gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften im Wege stehen. Diese will
sie dann sicherlich auch beseitigen. Besteht Ihrer Meinung nach überhaupt eine Diskriminierung? Meinen Sie
denn, daß die Menschen, die in einer Verantwortungsgemeinschaft leben, nicht in vielerlei Hinsicht diskriminiert sind?
Der CDU-Parteitag hat
selbstverständlich das Recht, zu prüfen, ob Hindernisse
bestehen. Ich bin der Auffassung, daß keine Hindernisse
bestehen. Insbesondere bin ich der Auffassung - das habe ich eingangs schon gesagt -, daß überhaupt keine
Diskriminierung rechtlicher Art vorliegt.
({0})
Ich bin nicht der Auffassung, daß in unserem Recht und
unserer Gesetzgebung, in der Verfassung und den Gesetzen unterhalb der Verfassung, eine Diskriminierung
solcher Lebensgemeinschaften zu sehen ist. Ich vermag
keine Diskriminierungen zu erkennen.
({1})
Das Wort hat der
Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Geis, in
welcher Welt leben Sie? Ich muß mich über Ihre Realitätswahrnehmung wirklich wundern. Allerdings muß
man sich angesichts Ihrer Rede auch Sorgen um die
Konservativen machen.
({0})
Denn wenn Konservative Ehe und Familie nur noch
durch die Diskriminierung anderer Lebensformen begründen können, dann scheint in der Gesellschaft in der
Tat eine Wertekrise vorhanden zu sein. Denn hier besteht eine Krise in der zweiten großen Volkspartei.
Ehe und Familie machen ihren Sinn, weil sie Verantwortung und das Einstehen bei Problemen organisieren,
weil innerhalb der Familie - übrigens ehelich oder
nichtehelich - der Generationenvertrag vorgeprägt wird,
die Solidarität zwischen den Generationen organisiert
und sehr wichtige Sozialisationsaufgaben wahrgenommen werden, die der Staat nicht organisieren könnte.
Deshalb besteht der Sinn des Schutzes von Ehe und
Familie in der Verfassung nicht darin, daß man andere
Lebensgemeinschaften bzw. andere Lebensformen
benachteiligen, ignorieren oder diskriminieren müßte,
wie Sie das vorgetragen haben. Ich wünschte mir, Sie
hätten ein positiveres Verständnis von Ehe und Familie,
so wie das bei der Koalition der Fall ist.
({1})
Sie versuchen sich immer hinter der entsprechenden
Entscheidung von Karlsruhe zu verstecken. Ich finde,
man sollte sagen, was man für richtig und was man für
falsch hält und sich nicht hinter Verfassungsgerichtsentscheidungen verstecken, insbesondere dann, wenn sie
einen ganz anderen Tenor haben. Karlsruhe hat 1993 im
Hinblick auf die Aktion „Standesamt“ des Lesben- und
Schwulenverbandes entschieden, daß der Gesetzgeber
die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nicht öffnen
muß. Es wurde aber gleichzeitig gesagt, der Gesetzgeber
sei gehalten, die Benachteiligung der privaten Lebensführung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften dort zu
beseitigen, wo er sie vorfinde, und sich dafür einen Weg
auszudenken.
Wir befinden uns jetzt in der Diskussion darüber,
welcher der richtige Weg ist. Karlsruhe hat uns in seiner
Entscheidung keinen Weg verbaut. Deshalb ist es nicht
richtig, sich hinter dieser Entscheidung zu verstecken.
Vielmehr muß man politisch formulieren, was man für
richtig, für sachgerecht und politisch für wünschenswert
hält.
Meine Damen und Herren, die rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen ist eine Frage der Gerechtigkeit. Ich bin für jeden konstruktiven Beitrag
dankbar. So freut es mich, daß neuerdings in der CDU
darüber diskutiert wird, wie man sich aus wertkonservativer Sicht zu Verantwortungsgemeinschaften von Homosexuellen verhalten soll. Das finde ich sehr interessant und spannend. Ich lade diejenigen Kollegen, die
daran Interesse haben, ausdrücklich dazu ein, an der Reformdiskussion der Koalition produktiv teilzunehmen.
Bei der CSU - das wurde uns gerade vorgeführt scheint diese Diskussion offensichtlich noch nicht angekommen zu sein. Die steht eben nicht mitten im Leben,
sondern am Rand, rechts.
Im Entwurf der F.D.P. gibt es Vorschläge, über die es
sich zu diskutieren lohnt. Er enthält wichtige Punkte wie
den Güterstand der Zugewinngemeinschaft, das Nachzugsrecht für den ausländischen Lebenspartner und Regelungen zum Erbschaftssteuerrecht. Es ist in der Tat
absolut unverzichtbar, homosexuellen Paaren, die auf
Dauer füreinander einstehen wollen, diese Rechte endlich zu übertragen. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit
und Fairneß.
Leider spart der F.D.P.-Entwurf aber wichtige
Rechtsfolgen aus. Er will Homosexuellen ausdrücklich
nur ausgewählte Normen zubilligen. Von Gleichberechtigung ist nirgendwo die Rede. Es fehlen so entscheidende Dinge wie die Hinterbliebenenversorgung oder
das Sorgerecht für Kinder, das insbesondere in der Partnerschaft von vielen lesbischen Paaren sehr wichtig ist,
weil es da Kinder gibt. Unverständlich ist auch, warum
das Standesamt für sie weiterhin Sperrbezirk sein soll.
Homosexuelle sollen nur zum Notar dürfen; dieser
schickt dann den entsprechenden Schriftsatz an das Amt.
Aber eine Lebenspartnerschaft ist doch nicht die Eintragung eines Vereins.
({2})
Vielen Menschen geht es auch darum, in einer öffentlichen Zeremonie vor Freunden und Verwandten zu bekunden: Wir gehören zusammen. Schwule und Lesben
zahlen Steuern wie andere auch. Warum soll ihnen die
Zeremonie im Rathaus verweigert werden?
({3})
Ebenfalls fragwürdig ist, daß die F.D.P. die gegenseitigen Unterhaltspflichten stark einschränken will.
Hier scheint mir der familienrechtliche Ansatz verunglückt. Frau von Renesse hat das ausgeführt. Das führt,
wie ich glaube, auch zu verfassungsrechtlichen Problemen, weil wir nichtehelichen Lebensgemeinschaften
nicht etwas billiger geben können als ehelichen. Wer
gleiche Rechte will, muß auch gleiche Pflichten übernehmen.
({4})
Umgekehrt gilt der Satz aber auch: Wer gleiche Pflichten übernimmt, muß fairerweise auch die gleichen
Rechte bekommen. Auch da darf es keine Abstriche geben.
({5})
Die von der F.D.P. hier vorgelegten Vorschläge zum
Unterhaltsrecht mögen auf den ersten Blick locker, flokkig, libertär und pseudomodern wirken. Was heißt das
aber wirklich? Das heißt, Sie trauen homosexuellen Paaren nicht zu, ein Leben in gleicher Verbindlichkeit zu
führen wie heterosexuelle Eheleute. Das sagen Sie ja
auch in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes ganz
freizügig. Es geht Ihnen darum, vielleicht selbst nicht
gewollte statusmäßige Verdichtungen der Beziehungen
von Homosexuellen zu vermeiden. Wir fragen die Eheleute auch nicht, ob sie diese statusmäßige Verdichtung
wollen oder nicht. Sie müssen sich einfach entscheiden:
Entweder gehen sie zum Standesamt, oder sie lassen es
bleiben. So viel Mündigkeit kann man den homosexuellen Paaren durchaus zutrauen. Die Heterosexuellen
haben ja auch begriffen, daß der Satz Gültigkeit hat:
Drum prüfe, wer sich ewig bindet.
({6})
Trotz einiger guter Ansätze zeigt der Entwurf, wie
man es nicht machen sollte. Es zeigt sich auch, daß
dann, wenn Rechte und Pflichten herausgepickt werden,
schnell der Eindruck von Willkür entsteht. Wir wollen
weder Rosinenpickerei noch eine Regelung zweiter
Klasse, weder Privilegien noch mindere Rechte.
Deshalb hatten SPD wie Grüne schon in der letzten
Wahlperiode die skandinavische Methode empfohlen.
Dort hatte man die Rechte und Pflichten von Eheleuten
über Generalverweisungen im Paket auf die eingetragene Partnerschaft übertragen. Diese Methode hat sich
glänzend bewährt, weil sie einfach, transparent und gerecht ist. Der F.D.P.-Entwurf bleibt deutlich hinter diesem Modell zurück. Dennoch, ich sage es noch einmal,
wollen wir den Gesetzentwurf trotz aller Mängel gerne
ernsthaft im Ausschuß prüfen und auch in die Reformdiskussion mit einbeziehen.
Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., kritisieren, daß Rotgrün in Sachen Lebenspartnerschaften
noch nichts geliefert hat.
({7})
- Hören Sie mir doch erst einmal zu. - Ich bestätige Ihnen hiermit, daß Sie den Finger dabei in der Tat in eine
offene Wunde legen. SPD und Grüne haben beide vor
der Wahl die volle Gleichberechtigung homosexueller
Partnerschaften versprochen. Die Koalition steht bei den
Schwulen und Lesben im Wort. Die Ungeduld draußen
ist groß. Ich kann das gut verstehen.
Auch ich bin absolut unzufrieden, daß wir noch keinen gemeinsamen Entwurf präsentieren können, der an
die Vorschläge von SPD und Grünen aus der letzten
Wahlperiode anknüpft. Ich bin unzufrieden darüber, daß
durch einige Äußerungen aus der Umgebung des Justizministeriums der Eindruck entstanden ist, die Koalition würde Abstriche beim Projekt der Gleichbehandlung machen. Ich sage ausdrücklich: Bündnis 90/Die
Grünen stehen weiter zu dem Ziel der Gleichstellung.
Wenn es um die Verwirklichung von Gleichberechtigung geht - das richten Sie bitte der Justizministerin
aus, Herr Staatssekretär -, dann stehen wir mit aller
Kraft und mit allem Nachdruck auf seiten des Ministeriums.
Nicht einverstanden sind wir dann, wenn Schwule
und Lesben, wie zum Beispiel im F.D.P.-Entwurf, wieder nur am Katzentisch plaziert werden. Das ist nämlich
eine Fortsetzung von Diskriminierung auf einem anderen Niveau. Dafür will ich nicht zur Verfügung stehen.
Gleiche Pflichten und gleiche Rechte sollten der Grundsatz der Reform sein.
Ein letzter Aspekt. Wenn die Lebenspartnerschaft
dem Menschen wirklich etwas bringen soll, dann gehören dazu eine Reihe von Rechtsnormen, die nach unserer
Verfassung im Bundesrat zustimmungspflichtig sind.
Meine Damen und Herren von der F.D.P., wenn Sie für
die Rechte der Schwulen und Lesben etwas Sinnvolles
tun wollen, dann kämpfen Sie mit uns gemeinsam dafür,
daß die neuen Stimmenverhältnisse im Bundesrat nicht
zur Blockade führen.
({8})
Engagieren Sie sich dafür, daß die Länder Hessen und
Baden-Württemberg, in denen Sie ja mitregieren, die
Volker Beck ({9})
eingetragene Partnerschaft nicht zum Scheitern bringen,
sondern daß diese Länder diesem Gesetz zustimmen! Es
reicht nämlich nicht aus, hier im Bundestag aktiv zu
sein. Die Glaubwürdigkeit der F.D.P. wird sich daran
zeigen, wie sie in den Ländern agiert.
Für Bündnis 90/Die Grünen ist glasklar: Wir wollen
die volle Gleichberechtigung, eine eingetragene Partnerschaft mit allen Rechten und Pflichten. Das nimmt niemandem etwas weg; es schafft vielmehr Gerechtigkeit
für Menschen, die mit voller Verbindlichkeit füreinander
einstehen wollen. Solche Verantwortungsgemeinschaften verdienen unsere Unterstützung. Denn: Liebe verdient Respekt.
({10})
Für die Fraktion der
PDS spricht nunmehr die Kollegin Christina Schenk.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß die F.D.P. ihren Gesetzentwurf zur Diskussion
stellen will, noch bevor der seit langem angekündigte
Entwurf der Regierungskoalition im Parlament vorgelegt
wird. Die Koalititionsvereinbarung - Sie sehen das sicher genauso - hat große Hoffnungen geweckt, die bislang - das muß man leider konstatieren - auf schmerzhafte Weise enttäuscht wurden. Es handelt sich um eine
auch für mich nicht mehr nachvollziehbare Hinhaltetaktik der Bundesregierung.
Jedoch - das sage ich nun deutlich an die Adresse der
F.D.P. - macht ein solches Vorpreschen nur dann einen
Sinn, wenn damit tatsächlich Druck auf die Bundesregierung ausgeübt wird und sie in einen Zugzwang gerät,
indem Maßstäbe gesetzt werden. Leider wird mit Ihrem
Gesetzentwurf genau das Gegenteil erreicht. Der F.D.P.Entwurf hängt die Meßlatte tief; er bleibt weit hinter
dem zurück, was die Öffentlichkeit inzwischen zu akzeptieren bereit ist. So wird politischer Handlungsspielraum ganz eindeutig verschenkt. Sollte der Entwurf so
bleiben, wie er ist, dann ist dem Anliegen - ich will es
so hart ausdrücken -, die rechtliche Diskriminierung von
lesbischen und schwulen Paaren zumindest abzumildern,
Schaden zugefügt worden.
Generell finde ich es problematisch, wenn ein gesondertes Rechtsinstitut für homosexuelle Paare geschaffen
wird. Es ist nicht einzusehen, warum nicht auch heterosexuell lebenden Menschen eine solche Möglichkeit
unterhalb der Ehe angeboten werden soll. Dieser Weg ist
ja in Frankreich mit dem Zivilpakt beschritten worden.
Das heißt natürlich in der Konsequenz, daß man die Ehe
ohne Wenn und Aber für Homosexuelle öffnen müßte.
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1993 hat
dem nicht widersprochen und hat diesen Weg nicht versperrt.
Sonderrechte für Homosexuelle, um das noch einmal
klar zu sagen, schreiben Diskriminierungen fest und
benachteiligen Heterosexuelle in der Wahlfreiheit einer
ihrer Beziehung adäquaten Rechtsform. Die Problemlösung würde darin bestehe, alle Lebensformen rechtlich
gleich zu behandeln. Die PDS arbeitet an einem entsprechenden Antrag, der demnächst vorgelegt werden wird.
Eine weitere Bemerkung zur F.D.P. - Wenn Sie
schon nicht den Mut haben, die Öffnung der Ehe für
Lesben und Schwule vorzuschlagen, hätte ich wenigstens einen Generalverweis auf die bestehenden Regelungen für die Ehe erwartet, dem Sie ja - ich halte das
zwar nicht für gut, aber es wäre eine Möglichkeit gewesen - Ausnahmebestimmungen hätten beifügen können.
Statt dessen legen Sie hier ein Flickwerk von Einzelregelungen vor. Es passiert nun, was bei einem solchen
Vorgehen immer zu erwarten ist: Es tun sich Lücken
auf, und zwar sehr gravierende.
Es gibt diverse Mängel im Detail. Es fehlen Regelungen im Sozial-, Renten- und Steuerrecht. Auch das
Ausländerrecht ist meines Erachtens nicht befriedigend
geregelt worden. Aber der Hauptkritikpunkt, den ich
hier anführen will, ist, daß jegliche Regelungen für das
Zusammenleben mit Kindern fehlen.
In nicht wenigen Haushalten mit gleichgeschlechtlichen Paaren leben Kinder. Das muß durch die Gesetzgebung endlich zur Kenntnis genommen werden, insbesondere in Ostdeutschland, wo es zu DDR-Zeiten für
Frauen auch ohne Mann kein besonders großes und
schwerwiegendes Problem war, Kinder großzuziehen.
Es gibt Schätzungen, daß etwa 50 Prozent der lesbischen
Frauen in Ostdeutschland Kinder haben. Diese wachsen zu einem großen Teil in lesbischen Beziehungen
auf.
Das heißt, Herr Geis, es gibt auch homosexuelle Familien. Zumindest, wenn man auf den Familienbegriff
im CDU-Antrag an den kleinen Parteitag abstellt, müßten Sie dem eigentlich folgen.
Wir müssen hier also eine Regelung finden, die das
Sorgerecht in lesbischen und schwulen Beziehungen
regelt. Es muß eine Adoption des in der Beziehung lebenden Kindes durch den Nichtsorgeberechtigten möglich sein. Es muß Regelungen zur Mitelternschaft geben.
Es muß auch die Möglichkeit der gemeinsamen Adoption geben. Das ist übrigens eine Nagelprobe dafür, ob
die Diskriminierung von Lesben und Schwulen fortgesetzt oder beendet wird.
({0})
Auch Umgangsrecht und Kindesunterhalt nach der
Trennung sind Fragen, die geregelt werden müssen.
Insgesamt muß ich leider feststellen: Der Entwurf ist
völlig unzureichend. Er könnte - das finde ich das
Schlimmste dabei - für die Bundesregierung ein Freibrief sein, sich auf eine Minimalvariante zu beschränken.
Ich möchte Sie dringend bitten und dazu auffordern,
in den Ausschußberatungen hierzu Nachbesserungen
vorzunehmen.
Danke schön.
({1})
Volker Beck ({2})
Als letzter Redner
in dieser Debatte spricht nunmehr für die CDU/CSUFraktion der Kollege Eckart von Klaeden.
Herr Präsident!
Sehr verehrte Damen und Herren Kollegen! Es ist nicht
das erste Mal, daß ich für meine Fraktion in einer Debatte spreche, in der es um die Diskriminierung homosexueller Lebensgemeinschaften geht. Ich habe in den
vorangegangenen Debatten - nicht in diesem Haus, aber
in Bonn - schon mehrfach gesagt, daß es zu den bestehenden Kapiteln der deutschen Rechtsgeschichte gehört,
daß sich die Diskriminierung von Homosexuellen in der
Bundesrepublik Deutschland fortgesetzt hat. Es ist erst
im Rahmen der Wiedervereinigung gelungen, die Strafvorschriften aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, die
spezifisch an die homosexuelle Veranlagung von Menschen angeknüpft haben.
Diesen Weg, meine ich, müssen wir auch weitergehen. Für mich ist die Tatsache, daß wir heute diese Debatte führen, auch Ausdruck dafür, daß wir auf diesem
Weg erfolgreich sind. Die Frage ist allerdings, ob es zur
Beendigung der Diskriminierung oder zur Förderung der
gesellschaftlichen Akzeptanz homosexueller Veranlagung eines neuen familienrechtlichen Instituts bedarf,
insbesondere eines solchen Instituts, wie es die F.D.P.
hier vorschlägt.
Herr Kollege Westerwelle, wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, dann ordnen Sie eine eingetragene Lebenspartnerschaft als ein Aliud, also als ein
anderes Lebensverhältnis zur Ehe, ein. Dann stellt sich
aber in der Tat die Frage, warum dieses neue familienrechtliche Institut an die Veranlagung zur Gleichgeschlechtlichkeit gebunden sein soll. Bundesanwalt a. D.
Manfred Bruns, hat in zutreffender Weise in verschiedenen Anhörungen darauf hingewiesen, daß unter der Berücksichtigung von Art. 3 Grundgesetz die Gefahr bestünde, daß dieses Institut dann auch für heterosexuelle
Paare geöffnet wird, und daß ein Auslaufen der Ehe
nach unten zu befürchten sei.
Eine Zwischenfrage
des Kollegen Westerwelle.
Es gibt zwei Zwischenfragen, weil Sie mich direkt angesprochen haben.
Die erste Zwischenfrage. Ist Ihnen bekannt, daß die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bisher jedenfalls insoweit eindeutig ist, daß es einen besonderen Schutz von Ehe und Familie gibt und daß deswegen jedes Institut, das eine völlige Identität zu dem Institut der Ehe bedeuten würde, dramatisch Gefahr läuft,
verfassungsrechtlich nicht Bestand haben zu können?
Zweite Frage: Macht die Sache nicht einen Sinn, indem man sagt, diejenigen, die heterosexuell sind, haben
die Möglichkeit zu heiraten? Man will keine Ehe light,
man will kein Gegenmodell zur Ehe schaffen. Aber diejenigen, die nicht die Möglichkeit haben zu heiraten, die
brauchen ein solches Institut, was man tatsächlich nur
mit einem anderen Institut bilden kann.
Herr Kollege
Westerwelle, ich kann die Schwierigkeiten, die mit
Ihrem Gesetzentwurf verbunden sind, und auch die Motivation für diesen Gesetzentwurf gut nachvollziehen.
Dies hängt mit dem besonderen Schutz von Ehe und
Familie nach Art. 6 des Grundgesetzes zusammen. Umgekehrt ist das Problem, das sich insbesondere aus Art. 3
des Grundgesetzes ergibt, das von einigen Rednern angesprochen ist, doch nicht von der Hand zu weisen, daß
es für eine heterosexuelle Lebensgemeinschaft geradezu
typisch sein kann, das Verhältnis geringerer Rechte und
Pflichten, das in Ihrem Entwurf vorgesehen ist, genauso
in Anspruch nehmen zu wollen. Die Kritik, die in diesem Punkt vorgetragen ist, finde ich durchaus nachvollziehbar.
({0})
Ich komme gleich zu den Konsequenzen, Herr Kollege Beck, nach denen Sie sicherlich fragen wollen. Wenn
Sie meine Redezeit verlängern wollen, bin ich gerne bereit - natürlich ohne dem Präsidenten vorzugreifen -,
Ihre Frage zu beantworten.
Ihr macht das ganz
gut.
Bei Ihren bescheidenen vier Minuten Redezeit möchte
ich Ihnen gern ein wenig aushelfen.
Würden Sie mir zustimmen, daß das skandinavische
Modell nicht auf Ihre Bedenken treffen würde, nach
dem die eingetragene Partnerschaft die gleiche familienrechtliche Verbindlichkeit hat wie die Ehe und deshalb
nur für diejenigen angeboten wird, die diese Verbindlichkeit wollen, die aber bislang durch das Eheschließungsverbot keinen Zugang zu dieser Verbindlichkeitsregelung haben? Insofern besteht da eine wesentliche
Differenz zu dem französischen Modell oder dem Vorschlag der F.D.P., die beide unterhalb dieser Verbindlichkeit bleiben. Es würde doch - auch da hoffe ich auf
Ihre Zustimmung - keinen Sinn machen, Menschen, die
sich gegen die Eheschließung und damit die familienrechtlichen Pflichten der Ehe entschieden haben, das
Ganze unter neuem Namen noch einmal anzubieten, und
dies wäre auch verfassungsrechtlich nicht zulässig. Deshalb muß man bei der Bewertung der verschiedenen
Vorschläge differenzieren. Ihre Bewertung würde mich
interessieren.
Herr Kollege
Beck, ohne daß ich mich jetzt im Detail zum skandinavischen Modell äußern will, gebe ich Ihnen recht,
daß die Interessenlage derjenigen heterosexueller Veranlagung, die sich gegen die Ehe entschieden haben,
eine andere Interessenlage als derjenigen homosexueller Veranlagung ist, denen die Eheschließung vorenthalten wird. Insofern ist das, was Sie in Ihrer Zwischenfrage angesprochen haben, durchaus nachvollziehbar. Ich hoffe, daß ich das damit ausreichend erfaßt
habe.
Rechtssystematisch, meine ich, macht es tatsächlich
nur Sinn, eine eingetragene Lebensgemeinschaft zu konstituieren, die sich von der Ehe im wesentlichen nur dadurch unterscheidet, daß sie gleichgeschlechtlicher Natur ist und keine Kinder vorhanden sind.
({0})
- Keine gemeinsamen Kinder, genau.
Die Frage ist nur: Was ist der Grund für die Privilegierung der Ehe in Art. 6 des Grundgesetzes? Da gibt es zwei
Ansichten, die jedenfalls im Kern vorgetragen worden
sind. Die einen sagen, daß die auf lebenslängliche Dauer
angelegte Verantwortungsgemeinschaft die Privilegierung
in Art. 6 des Grundgesetzes begründet. Unsere Ansicht
ist, daß als Grund für die Privilegierung der auf Lebenslänglichkeit angelegten Verantwortungsgemeinschaft die
idealtypische Natur der Ehe für die Geburt, jedenfalls für
die Erziehung der Kinder hinzutritt.
({1})
Ich spreche deshalb von Idealtypizität, weil ich damit
kein Urteil über die Ehen, die, aus welchen Gründen
auch immer, kinderlos bleiben, oder über Alleinerziehende sprechen will. Jeder soll nach seiner Façon selig
werden, und jeder soll seinen eigenen Weg gehen können. Aber gerade in dieser Idealtypizität liegt der Grund
für die Privilegierung. Diese Privilegierung, glaube ich,
würde in Gefahr geraten, wenn wir weitere familienrechtliche Institute zuließen.
({2})
Ich will meine Gesprächsbereitschaft in der Frage anbieten, wo wir bestehende Benachteiligungen - ein typisches Beispiel ist das Auskunfts- und Besuchsrecht im
Krankenhaus - beseitigen können, glaube aber, einem
Bericht des Bundesjustizministeriums der letzten Legislaturperiode folgend, daß es dazu keines neuen familienrechtlichen Instituts bedarf.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/1259 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung
in der ehemaligen DDR
- Drucksache 14/1805 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder ({0})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem
Staatsminister im Bundeskanzleramt Rolf Schwanitz das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 17. Juni 1992, an jenem Datum, mit dem, wie
wir alle wissen, so viel Symbolkraft verbunden ist, entschied der Deutsche Bundestag über das Erste SEDUnrechtsbereinigungsgesetz. Damals ging es um die
Wiedergutmachung und Rehabilitierung für politische
Verfolgung, vor allen Dingen für aus politischen Gründen Inhaftierte, an Freiheit, Leib und Leben beraubte
Menschen.
Damals wurde auch über das zentrale Instrument der
Wiedergutmachung und der Entschädigung, die Höhe
der sogenannten Kapitalentschädigung, entschieden. In
einer namentlichen Abstimmung entschied die Mehrheit
des Deutschen Bundestages, die damals aus den Fraktionen CDU/CSU und F.D.P. bestand, daß diese Kapitalentschädigung unter der Summe von 600 DM pro
Haftmonat bleiben sollte.
({0})
Die Folge war ein Sturm der Entrüstung seitens der
Opfer, vor allen Dingen seitens der Opferverbände. Die
Liste des Abstimmungsverhaltens der einzelnen wurde
in den Verbandszeitschriften veröffentlicht. Es gab Briefe und Petitionen, - Hunderte, Tausende -; es gab sogar
eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, die noch
immer anhängig ist. Die Kritik manifestierte sich vor
allen Dingen darin, daß auf der einen Seite - diesen
Vergleich zogen die Betroffenen zu Recht - für unschuldig verbüßte Haft nach dem geltenden Gesetz über
die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen 600
DM für den erlittenen immateriellen Schaden infolge der
Haft gewährt werden, auf der anderen Seite aber die Kapitalentschädigung für politisch Verfolgte in Zeiten der
SBZ/DDR unter diesem Betrag liegt. Es wurde auch ein
Vergleich mit den vermeintlichen Tätern gezogen, die
nicht der Bestrafung zugeführt werden konnten.
Heute, nach mehr als sieben Jahren, legt die neue
Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der diesen
eklatanten Mangel beseitigt. Deswegen sage ich zunächst: Das ist ein guter Tag, insbesondere für die Opfer!
({1})
Neben der wichtigen Verbesserung, die Kapitalentschädigung einheitlich auf 600 DM pro Haftmonat festzulegen, werden wir zentrale Defizite der RehabilitieEckart von Klaeden
rungsgesetzgebung der vergangenen Jahre aufgreifen
und einer Verbesserung zuführen.
Insbesondere die Hinterbliebenen der zu Tode Gekommenen, der infolge der Haft oder in der Haft selbst
Verstorbenen, an denen die Entschädigungen in den zurückliegenden Jahren weitgehend vorbeigegangen sind,
werden wir besserstellen: Die Stiftung für ehemalige
politische Häftlinge wird künftig wiederholt Leistungen
gewähren können, unabhängig davon, wie die wirtschaftliche Situation des einzelnen aussieht.
Wir werden die Antragsfristen der drei Rehabilitierungsgesetze um zwei Jahre verlängern, weil mit neuen
Leistungen natürlich neue Ansprüche einhergehen und
hoffentlich neue Anträge gestellt werden. Wir werden
auch den Fonds für die Stiftung für ehemalige politische
Häftlinge aufstocken, damit die in den zurückliegenden
Jahren leider weitestgehend vergessene Opfergruppe der
Verschleppten, der östlich der Oder-Neiße-Grenze Internierten eine bessere Leistungsgewährung erfahren
kann.
Meine Damen und Herren, parallel dazu laufen Bemühungen der Bundesregierung, ausgehend von einem
Brief des Bundeskanzlers an die Ministerpräsidenten,
bei dem leidigen Thema der Anerkennung von gesundheitlichen Haftschäden endlich Verbesserungen zu erzielen. Das, was die Ministerpräsidenten uns gegenüber
signalisieren, ist - das sage ich ausdrücklich - sehr optimistisch. Sie entsprechen nicht nur unserem Wunsch,
alle abgelehnten Fälle noch einmal einer Überprüfung zu
unterziehen, sondern sie sind darüber hinaus bereit, zu
prüfen, ob bei bereits positiv beschiedenen Fällen eventuell ein zusätzlicher Leistungsanspruch entsteht.
Meine Damen und Herren, wir greifen also Kerndefizite auf. Wir wollen die Rehabilitierung einer Verbesserung zuführen, diesmal in den Herzbereichen der verbliebenen großen Defizite.
({2})
Wichtig ist mir auch, wie dieser Gesetzentwurf zustande gekommen ist. Ich erinnere mich noch sehr gut
an die Anhörung 1992, als die Opferverbände stark
frustriert - ich sage einmal etwas populistisch: sie sind
sich veralbert vorgekommen - aus der Anhörung herausgekommen sind. Wir haben ganz bewußt zwei Konsensrunden mit den Dachverbänden der Opferverbände
vorgeschaltet, bei denen die großen Verbände, die VOS,
der BSV und die UOKG, in schwierigen Debatten an der
Meinungsfindung teilhatten, weil es wichtig ist, von den
Verletzungen wegzukommen und Einfluß zu nehmen,
bevor die Regierung einen Gesetzentwurf vorlegt.
Zum Schluß ein Wort zum Geld: Wir werden einen
Leistungsumfang von insgesamt 400 Millionen DM für
diese Novelle etatisieren. Das ist keine Kleinigkeit, das
ist in diesen Tagen auch keine Selbstverständlichkeit.
Wir werden damit ein Drittel aller Leistungen, die seit
1990 für Wiedergutmachungen ausgegeben worden
sind, daraufpacken, weil es wichtig ist, diese Wunden zu
schließen.
Ich werbe deswegen überfraktionell und auch bei
denjenigen, die sich 1992 diesen Gedanken verschlossen
hatten, darum, nach einer zügigen Beratung inklusive
der geplanten Anhörung unserem Gesetzentwurf konstruktiv zuzustimmen. Die Opfer haben lange darauf
gewartet.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Michael Luther.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Endlich, ein
Jahr nach der Regierungserklärung, legt die Bundesregierung ein von ihr selbst für dringlich erklärtes Gesetz
zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vor. Angekündigt war, die Kapitalentschädigung von bisher 300 auf 600 DM zu erhöhen, Hinterbliebene von Todesopfern an der Grenze ebenso wie Zivildeportierte und -internierte jenseits von Oder und
Neiße mit einzubeziehen. Weiterhin sollten klare Regelungen zur Anerkennung von gesundheitlichen Haftschäden gefunden werden.
Zwar wird nun eine einheitliche Kapitalentschädigung für ehemalige politische Häftlinge auf 600 DM
festgelegt. Aber - das muß an dieser Stelle gesagt werden - § 17 Abs. 2, der bislang zusätzliche Nachteile in
den Lebensbiographien jener politischen Häftlinge ausgeglichen hat, die nach einer Haft in der DDR verbleiben mußten, wird bei dieser Gelegenheit kassiert. Das
bedeutet, daß dieser Personenkreis lediglich 50 DM
mehr Entschädigung pro Haftmonat erhält.
({0})
Trotzdem konstatiere ich, daß dies ein aus Sicht der politischen Häftlinge zu begrüßender Fortschritt ist.
Wer sich aber als Zivildeportierter oder -internierter
oder als Hinterbliebener von Todesopfern eingebildet
hatte, daß er nun mit in die Kapitalentschädigung einbezogen wird, sieht sich getäuscht. Faktisch bleibt es bei
den Grundzügen des bisher bestehenden Gesetzes; dies
zeigt auch der vorgesehene Finanzrahmen. Hinterbliebene von Todesopfern können so wie bisher Anträge an
die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge stellen.
Dafür sind im Haushalt 10 Millionen DM vorgesehen.
Zivildeportierte und -internierte von jenseits von Oder
und Neiße können wie bisher Anträge nach dem Häftlingshilfegesetz stellen. Die Bundesregierung rechnet
damit, daß es 250 Anträge zusätzlich pro Jahr gibt. Mir
ist dazu nur eingefallen, daß hoffentlich nicht alle Betroffenen einen Antrag stellen, da nur 250 eingeplant
sind.
Die größte Enttäuschung ist für mich jedoch der Versuch, nun endlich eine Regelung für die Anerkennung
gesundheitlicher Haftschäden zu finden. Was Sie, Herr
Schwanitz, eben als die große Neuerung dargestellt haStaatsminister Rudolf Schwanitz
ben, ist mir sehr wohl bekannt: Wir haben in der letzten
Legislaturperiode in Zusammenarbeit mit den Ländern
mehrfach versucht, auf die Gutachter in den Ländern
einzuwirken, um die Situation bei der Anerkennung gesundheitlicher Haftschäden zu verbessern.
({1})
- Wir haben eine Änderung auf diese Art und Weise
versucht.
Wir haben damals aber gesagt: Wenn dieser untergesetzliche Versuch nicht funktioniert, dann müssen wir
über eine gesetzliche Regelung nachdenken. 1999 können wir feststellen, daß dieser Versuch mißlungen ist.
Das heißt - das ist für mich die logische Folge - : Wir
müssen zu einer gesetzlichen Klarstellung kommen. Das
haben sowohl ich als auch die Opfer erwartet. Und was
steht im Gesetz? Dasselbe: Herr Schwanitz, Sie appellieren an die Gutachter, auf der Grundlage geltender Gesetze zu versuchen, gesundheitliche Haftschäden bei Opfern nun besser anzuerkennen. Ich kann Ihnen sagen,
was dabei herauskommen wird - es ist ja schon mehrere
Jahre probiert worden -: nichts anderes als bisher. Ich
glaube, daß die Opferverbände - heute stand eine
Mahnwache der Opfer vor dem Reichstag; es wurde
auch die Verbandszeitschrift „Der Stacheldraht“ verteilt
- recht haben, wenn sie sagen: Der Regelungsvorschlag
der Bundesregierung ist die „wohl schwammigste Formulierung zur Behebung erniedrigender Befragungen
von Verfolgten über die ihnen zugefügten psychischen
und physischen Schäden.“
({2})
Interessant ist für mich aber auch, was nicht geregelt
wird. Der Bundesrat mahnt in seiner Stellungnahme an:
Aus Sicht der Betroffenen hat sich nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts für Verfassungsmäßigkeit der Überführung von Ansprüchen
und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung die rentenrechtliche Ungleichbehandlung von
Tätern und Opfern verstärkt.
Die Opfer fordern deshalb eine „Ehrenpension“.
In unserem am 17. Juni dieses Jahres vorgelegten Gesetzentwurf schreiben wir die Überlegungen, die wir in
der letzten Legislaturperiode entwickelt haben und die
wir im Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften niedergelegt haben, fort: Wir wollen,
daß Opfer politischer Verfolgung ein regelmäßiges zusätzliches Einkommen beziehen. Wir wollen die Einkommensgrenze, die in diesem Gesetz noch besteht,
wegfallen lassen. - Das würde bedeuten, daß die Opfer
politischer Verfolgung unter bestimmten Umständen
200 bis 300 DM zusätzliches Einkommen pro Monat
bekämen. Damit kommen wir - so glaube ich - den Forderungen dieser Opfer eher entgegen als der mißglückte
Gesetzesvorschlag der Bundesregierung.
({3})
Lassen Sie sich nun von jemandem, der sich seit 1990
mit diesem Thema beschäftigt, das Problem erläutern:
Wir haben in den letzten acht Jahren versucht, das Problem der politischen Verfolgung und der damit in Zusammenhang stehenden Nachteile dieser Opfer auszugleichen. Kapitalentschädigung ist hier nur ein Punkt. Es
gibt viele andere Regelungen. Mittlerweile gibt es ein
umfangreiches Gesetzeswerk: strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz, verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz und das berufsrechtliche Rehabilitierungsgesetz.
Zum Schluß kann ich konstatieren: Man kann, auch
wenn ich mir noch so viel Mühe gebe, die vielen unterschiedlichen Lebensschicksale mit solchen Vorschriften,
wie wir sie bislang haben, letztendlich nicht fassen. Man
muß bedenken: Wer in der DDR politisch verfolgt worden ist, hat vielerlei Nachteile erlitten: Nachteile psychischer Art, Nachteile daraus, daß er sich nicht bilden
konnte usw. Diese kann man nicht ausgleichen. Auch
die Rentenbiographie kann letztendlich nicht ausgeglichen werden, weil kein hypothetischer Lebenslauf gezeichnet werden kann. Aus diesem Grunde bleibt eines
bestehen: Diejenigen, die politisch verfolgt worden sind,
haben heute noch Nachteile. Um diese auszugleichen,
gibt es eine ganz leichte Methode: Man erkennt das an
und gibt diesen Opfern zum monatlichen Einkommen
einen Betrag hinzu. - Unser Vorschlag beläuft sich auf
200 bis 300 DM.
Ich weiß, daß mehr getan werden müßte. Ich weiß
auch, daß die Forderungen der Opferverbände höher
sind: Sie wollen 1 400 DM Ehrenrente haben. Das ist
angelehnt an der Rente, die Verfolgte des NS-Regimes
haben. Schon aus diesem Grunde werde ich diese Forderung stellen; denn ich will nicht diesen Gleichklang herstellen, da es etwas anderes ist. Aber vom Grundansatz
her haben die Opferverbände der politisch Verfolgten
recht.
Ich wiederhole: Ein ganz wichtiger Grund dafür, dieses Thema in diesem Jahr noch einmal besonders aufgreifen zu müssen, besteht darin, daß sich die Diskussionslage verändert hat. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der DDR verletzt den Status quo.
({4})
Im Bemühen um eine gerechte Rentenüberleitung sollten diejenigen mehr bekommen, die, da politisch motiviert, weniger erhalten würden, und sollten diejenigen
weniger bekommen, die systembedingt ungerechtfertigt
zuviel Rente bekommen würden, wenn man eine Einszu-eins-Umstellung vornehmen würde.
Jetzt ist durch das Bundesverfassungsgericht die eine
Seite verbessert worden. Für meine Begriffe zieht das
unweigerlich den Schluß nach sich, daß man auch etwas
für die andere Seite tun muß. Wenn wir nur einen
Bruchteil der Kosten für die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils für die Opfer des Systems bereitstellen würden, für diejenigen, die in der DDR politisch
verfolgt worden sind, dann würden wir den Opfern mehr
als ein kleines Stück Gerechtigkeit widerfahren lassen.
({5})
Herr Schwanitz, Sie haben gesagt: Wir werden
400 Millionen DM etatisieren. Ich will klarstellen: Diesen Betrag werden Sie nicht bereitstellen. Tatsächlich
sind es 65 Prozent von 380 Millionen DM.
({6})
- Sie haben gesagt „wir“; Sie sind aber nicht alle Ebenen. - Das zur Wahrheit: 65 Prozent von 380 Millionen
DM und nicht mehr, auch wenn ein anderer Eindruck
erweckt worden ist.
Herr Schwanitz, wir würden an vielen Stellen mehr
tun können, wenn wir in der Sprache mehr Klarheit mitschwingen lassen würden und wenn wir nicht immer
versuchen würden, durch Sprache eine künstliche Besserstellung des Eigentlichen herzustellen. Das Ergebnis
Ihrer Sprache ist, daß es Mißverständnisse in der Öffentlichkeit gibt und zu einem Streit kommt. Das dient
uns allen nicht; deswegen wollte ich diesen Gedanken
an dieser Stelle klar formulieren.
Zum letzten Punkt, den ich ansprechen will. Wir hatten eine ausführliche Beratung dieses Gesetzentwurfs
im Ausschuß für die Angelegenheiten der neuen Länder
erwartet. Nun müssen wir aber erfahren, daß das Gesetz
am 1. Januar 2000 in Kraft treten soll. Sie wissen, daß
der Gesetzentwurf nicht bis zum Jahresende verabschiedet werden muß. Der Gesetzentwurf kann auch erst am
1. Februar 2000 verabschiedet werden und wegen der
entsprechenden Fristen am 1. Januar 2000 rückwirkend
in Kraft treten. Würde dies geschehen, hätten wir wenigstens die Gelegenheit, den Gesetzentwurf zu beraten. Sie
wollen den Gesetzentwurf aber beinahe überhaupt nicht
im Parlament beraten; vielmehr soll eine Anhörung in
aller Eile am 19. November in einer sitzungsfreien Woche mit Ausnahmegenehmigung des Bundestagspräsidenten stattfinden, und in der darauffolgenden Woche
soll der Gesetzentwurf verabschiedet werden.
({7})
Es ist keine darüber hinausgehende Beratung vorgesehen.
Diese Beratung hat eine reine Alibifunktion. Sie soll
nicht der Information des Parlamentes dienen. Dem
Deutschen Bundestag soll nicht die Chance gegeben
werden, durch die Beratung zu lernen und vielleicht die
eine oder andere Verbesserung vorzunehmen.
({8})
Noch ist Zeit, ein vernünftiges Gesetz zu machen.
Wir sind bereit mitzumachen. Ich hoffe auf die Zusammenarbeit im Ausschuß.
Schönen Dank.
({9})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie
uns vorwerfen, daß wir zu lange warten, oder ob Sie uns
vorwerfen, daß wir zu schnell machen. Wenn Sie uns
ernsthaft vorwerfen, daß wir den Gesetzentwurf noch in
den nächsten Wochen in zweiter und dritter Lesung beraten und dann verabschieden wollen, damit das Gesetz
am 1. Januar 2000 in Kraft tritt, dann erklären Sie bitte
den Betroffenen, die 50 DM oder 300 DM mehr pro
Monat bekommen sollen, daß Sie noch zwei oder drei
Monate Beratung brauchen, weswegen diese das Geld
vorher nicht bekommen können.
Die Opfer drängen, und sie drängen mit Recht, denke
ich. Wir alle bekommen immer wieder Briefe, in denen
uns ausführlich und ins Emotionale gehend aus den
Zeiten der sowjetischen Besatzungszone oder auch der
DDR geschildert wird, wie aus politischen Gründen in
der Schule, an der Universität usw. benachteiligt worden
ist, wie Schulbildung hat abgebrochen werden müssen,
wie es nicht möglich war, das Abitur zu machen oder
das Studium fortzusetzen, wie im Beruf benachteiligt
wurde oder der Beruf überhaupt nicht mehr ausgeübt
werden konnte. Alle wollen, daß wir ihr Schicksal berücksichtigen und daß wir Ersatz leisten. Nicht zuletzt darauf haben Sie auch hingewiesen - stehen heute Leute
vor dem Reichstag, demonstrieren und fordern Gerechtigkeit.
Wir müssen all jenen sagen - das steht auch zutreffend in der Begründung dieses Gesetzentwurfes -, daß
es einfach nicht möglich ist, 40 Jahre DDR und DDRUnrecht, das sehr vielen Menschen zugefügt worden ist,
in Geld aufzuwiegen. Dieser Gesetzentwurf kann und
will das nicht leisten. Er will vielmehr Ungerechtigkeiten beseitigen, auf die ich schon einmal hingewiesen habe, als wir mit der Beratung dieses Gesetzentwurfs begonnen und damit angefangen haben, solche Überlegungen überhaupt einzubeziehen. Diese Ungerechtigkeiten
sind etwa darin zu sehen, daß jemand, der früher in der
alten Bundesrepublik im Gefängnis gesessen hat und
von dem später festgestellt worden ist, daß er zu Unrecht
inhaftiert war, oder jemand, von dem heute festgestellt
wird, daß er zu Unrecht im Gefängnis sitzt, eine Haftentschädigung von 20 DM pro Tag bekommt und daß
die Menschen, die zu DDR-Zeiten zu Unrecht im Gefängnis gesessen haben, nur 10 DM Haftentschädigung
pro Tag erhalten. Das kann keiner einsehen. Wir haben
dies jetzt beseitigt.
Das wollen wir den Leuten klarmachen, und das gilt
natürlich für Menschen, die in der DDR großgeworden
und dann auch in der DDR geblieben sind, genauso wie
für Menschen, die in der DDR zu Unrecht inhaftiert
worden und dann in die Bundesrepublik gekommen
sind, um im Westteil weiterzuleben. Alle bekommen
jetzt eine einheitliche Entschädigung von 600 DM pro
angefangenem Monat zu Unrecht erlittener Haft.
Natürlich ist das kein Ausgleich. Natürlich können Sie
jemanden mit diesen 20 DM nicht ausreichend dafür entschädigen oder jemandem gar wiedergutmachen, daß er
einen Tag, einen Monat oder ein Jahr seines Lebens im
Gefängnis verbracht hat. All dies ist immer der unzulängDr. Michael Luther
lich bleibende Versuch, eine Anerkennungsgebühr dafür
zu bezahlen, daß jemandem Unrecht geschehen ist.
Genauso verhält es sich mit den anderen Rehabilitierungszahlungen; es ist sehr viel gemacht worden. Die
Urteile, die gesprochen worden sind, sind förmlich aufgehoben worden. In der alten Bundesrepublik hat es
Jahrzehnte gedauert, bis man dies hinsichtlich des Unrechts aus der NS-Zeit geschafft hatte. In den heute diskutierten Fällen hat man es inzwischen zumeist erreicht,
daß die Urteile nicht mehr bestehen, daß den Leuten bescheinigt worden ist: Ihr seid zu Unrecht verurteilt worden, das alte Urteil ist aufgehoben, euch wird gesagt und
ihr bekommt es auch mit einem neuen Urteil schriftlich,
daß das falsch war, daß dies eine Freiheitsentziehung
war, daß dies ein Unrechtsurteil gewesen ist. - Ich denke, das ist für sehr viele sehr viel wichtiger gewesen und
auch heute noch sehr viel wichtiger als die Zahlung, die
sie jetzt bekommen.
Wir sollten all denen, die an uns herantreten und
weitere Zahlungen verlangen, sagen: Wir versuchen, die
Ungleichheit und die Ungerechtigkeit im Verhältnis zu
den Ausgleichszahlungen, die im Westen geleistet worden sind und die gegenwärtig für West-Haft geleistet
werden, auszugleichen. Wir wollen damit nicht wiedergutmachen. Wir können den Menschen damit nicht ihre
verlorene Freiheit, ihre in der DDR verlorenen Chancen
wiedergeben, ihre Lebensläufe korrigieren. Wir können
nur Zeichen setzen.
Dafür ist dieses Gesetz erstens ein richtiger Ansatz,
und zweitens ist es ganz einfach das, was die Koalitionsparteien im Wahlkampf versprochen haben. Es ist also
das Einlösen eines Versprechens, das wir gegeben haben.
Wir wollen, daß die Betroffenen ab dem 1. Januar
2000 - das sind noch wenige Wochen - auch tatsächlich
merken, daß wir unsere Wahlversprechen erfüllen und
daß wir sie anerkennen.
({0})
Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht, wie Herr Kollege Ströbele eben zu Recht
ausgeführt hat, in die richtige Richtung. Wir haben zwar
1992 eine Entschädigung vorgesehen, die 1997 erhöht
worden ist, aber diese Zahlungen sind von den Betroffenen und ihren Verbänden in der Tat als zu niedrig ausgefallen bezeichnet worden. Die F.D.P.-Fraktion teilt die
Auffassung, daß angesichts der stärker sprudelnden
Steuereinnahmen und der sich ankündigenden Verbesserung der Weltkonjunkturlage eine höhere Entschädigung für rechtswidrige politische Haft gezahlt werden
sollte.
({0})
Auch die Aufspaltung der Entschädigungssätze zum
einen für Bürger, die bis zum Fall der Mauer in der
DDR verblieben sind, und zum anderen für solche, die
in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind,
sollte entfallen.
({1})
Schließlich sind die Monate und Jahre der Haft in der
DDR gleich schlimm gewesen.
Wir teilen die Auffassung, daß die Hinterbliebenen
der Todesopfer, unabhängig von der wirtschaftlichen
Situation, Zuwendungen von der Stiftung erhalten sollten. Ich halte gerade dieses Modell der Stiftung für besonders geeignet, weil diese Stiftung schneller und einfacher Hilfe gewähren kann.
Wir sind uns bewußt, daß durch höhere Zuwendungen
an die Opfer des SED-Unrechtsregimes die Leiden und
Schäden nicht wiedergutgemacht werden können. Diese
Zahlungen sind neben der moralischen und rechtlichen
Rehabilitierung lediglich sozusagen ein Trostpflaster.
In den Beratungen des Rechtsausschusses und auch
in Gesprächen mit den neuen Bundesländern, die wir
möglichst zügig vorantreiben wollen, muß durch eine
ausführliche Anhörung abgeklärt werden, ob wir nunmehr alle Betroffenen hinreichend erfaßt haben, damit
nach Ablauf der auch von uns als richtig angesehenen
Verlängerung der Antragsfristen dieses sicherlich trübe
Kapitel wenigstens von der gesetzgeberischen Seite her
abgeschlossen werden kann.
Ob allerdings der vorgesehene Ablauf der Beratungen, nämlich eine Anhörung zu machen, dann schnell,
holterdiepolter im Ausschuß zu beraten und anschließend das Gesetz durch den Bundestag zu peitschen wie Sie das ja in letzter Zeit mit allen Gesetzen machen
-, so zweckmäßig ist, wage ich zu bezweifeln.
({2})
Sie hatten ein Jahr Zeit, das Gesetz in Ruhe vorzubereiten, wie Sie das ja vor der Bundestagswahl versprochen
hatten.
({3})
Wir möchten, daß wir dieses Gesetz in Ruhe und Gelassenheit beraten,
({4})
damit hier nicht wieder Gesetze gemacht werden, die
den Betroffenen nicht helfen.
Vielen Dank.
({5})
Herr Kollege Gerhard Jüttemann, Sie haben das Wort für die PDSFraktion.
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Koalitionsfraktionen haben am 17. Juni 1999 in diesem Hause angekündigt, noch in diesem Jahr ein Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer
der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR einzubringen. Sie, meine Damen und Herren von der SPD
und von Bündnis 90/Die Grünen, haben Ihr Versprechen
gehalten, und dafür ist Ihnen ausdrücklich zu danken.
({0})
Aber nicht nur für die Einhaltung der selbst gesetzten
Frist zollen wir Ihnen Anerkennung, sondern auch dafür,
was der Gesetzentwurf im Verhältnis zu den bisherigen
in der Bundesrepublik gültigen Regelungen inhaltlich
anbietet.
Wir sind uns einig darin, daß ein Gesetz - wie gut es
auch gemacht ist und auf welche materiellen Leistungen
es auch abstellt - Wiedergutmachung im Sinne dieses
Wortes nicht leisten kann. In Gefängnissen verbrachte
Jahre, durch politische Verfolgung erlittene Verluste an
Bildungs- und Berufschancen, gesundheitliche Schädigungen: All das kann nicht wieder rückgängig gemacht
werden. Es beeinflußt ein ganzes Leben.
Auch materielle Leistungen für die Betroffenen
werden immer unvollkommen bleiben. Wer vermag
schon heute genau zu sagen, was der einzelne Mensch
durch politische Verfolgung tatsächlich an Einkünften
und Chancen der Vermögensbildung verloren hat? So
können Gesetze also nur für erlittenes Leid entschädigen
und nur die Folgen erlittenen Leids mildern.
Das nun vorliegende Gesetz leistet in diesem Sinne
Wichtiges: Es erhöht die Entschädigungsleistungen
spürbar, beseitigt einige Ungleichheiten in der Behandlung Betroffener aus Ost und West, bezieht betroffene
Familienangehörige überschaubarer in die Regelungen
ein und sorgt mit der Verschiebung des Antragsschlusses auf den 31. Dezember 2001 dafür, daß eine bürokratische Hürde künftig ein bißchen niedriger ist. Das alles
ist gut und wichtig und findet unsere volle Zustimmung.
Anläßlich des 10. Jahrestags des Mauerfalls, an dem
an die damaligen Ereignisse gedacht wird, ist es aber
auch angezeigt, darauf hinzuweisen, daß Ihr Gesetzentwurf noch immer deutlich hinter jenem Rehabilitierungsgesetz zurückbleibt, das im Jahre nach dem Mauerfall, nämlich im September 1990, in der Volkskammer der DDR beschlossen worden ist. Gerade die berufliche Rehabilitierung, die Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, mit dem Verweis auf
den ausgeschöpften finanziellen Spielraum des Gesetzgebers erneut nur stiefmütterlich behandeln, hatte in jenem DDR-Gesetz einen weit gewichtigeren Platz als in
den heute geltenden Regelungen.
Die PDS hat übrigens damals diesem Gesetz nicht nur
zugestimmt, sondern - schauen Sie ruhig einmal nach in
den Protokollen des Jahres 1990 - auch die Forderung
erhoben, dieses Gesetz mit dem Einigungsvertrag in den
Rang eines gesamtdeutschen Gesetzes zu erheben. Wieviel eher hätte den Betroffenen die mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf angestrebte Gerechtigkeit widerfahren können, wenn sich damals auch die anderen
Parteien unserer Forderung angeschlossen hätten!
({1})
Unsere Meinung zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf ist, daß er in mindestens zweierlei Hinsicht verbessert werden sollte, nämlich erstens hinsichtlich überfälliger Regelungen für die bereits genannte berufliche
Rehabilitierung und zweitens hinsichtlich einer weiteren
Entbürokratisierung des Antrags- und Gewährungsverfahrens. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob überhaupt
eine zeitliche Antragsgrenze gesetzt werden muß.
Natürlich erwarten wir, daß mit der Arbeit an diesem
Gesetzentwurf auch endlich der Blick dafür geöffnet
wird, daß es nicht wenige Opfer politischer Verfolgung
in Deutschland gibt, deren Entschädigungsansprüche
durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht berührt
werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Hans-Joachim Hacker,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In wenigen
Tagen, am 9. November, jährt sich zum zehntenmal der
Tag der Maueröffnung. Damit drängt sich die Frage auf,
warum es in neun Jahren seit der deutschen Einheit zehn Jahre nach dem Mauerfall - nicht gelungen ist,
eine abschließende, befriedende Regelung hinsichtlich
des DDR-Unrechts und stalinistischer Willkür zu finden,
soweit man überhaupt eine befriedende Regelung finden
kann, wenn man sich die schicksalhaften Eingriffe in die
Lebensbiographien der Opfer ansieht.
Herr Dr. Luther, die Wahrheit ist: Die Politik der alten Bundesregierung war für die Opfer des DDRRegimes durch Zeitverzug, durch unvollständige Lösungen und durch - dies sage ich hier sehr deutlich - Spaltung der Opfer in Ost und West gekennzeichnet. Die
Vorschläge, die Sie, Herr Dr. Luther, jetzt unterbreiten,
hätten Sie schon vor Jahren vorlegen können. Wenn Sie
dies getan hätten, dann hätten Sie in uns einen aktiven
Partner gehabt. Statt dessen haben Sie unsere Vorschläge, die wir über Jahre in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, abgelehnt und nur teilweise übernommen. Dies hat bei den Betroffenen verständlicherweise
Unmut, Frust und Enttäuschung über die Politik hervorgerufen. Nicht wenige der Opfer haben Zweifel gehabt,
ob es überhaupt gelingt, eine befriedigende Lösung der
Rehabilitierungsfrage zu erreichen. Eine solche Lösung
wird mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Die SPDBundestagsfraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung
jetzt diesen Gesetzentwurf vorlegt.
Die Bundesregierung löst damit auch die Versprechen
ein, die der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder vor
der Bundestagswahl den Opferverbänden und den einzelnen Opfern gegeben hat. Wir sind also in dieser Hinsicht zusagetreu. Das ergibt sich auch aus der Regierungserklärung und aus der Stellungnahme des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung vom 19. April 1999
zum Stand der deutschen Einheit.
Eines ist und bleibt für uns Sozialdemokraten unverrückbar: Gegenüber den Opfern politischer Verfolgung
in der DDR bleiben wir in der Pflicht, diese Schicksale
zu würdigen und alles Mögliche zu tun, um die heutige
Lebenssituation zu verbessern. Die Rehabilitierung
durch die Institutionen unseres Rechtsstaates und die
Gewährung materieller Ausgleichsleistungen können die
schweren Eingriffe in Lebensläufe nicht ungeschehen
machen. Das wissen wir alle. Sie können nicht das Leid
mildern, und sie können auch heute nur einen Teil des
Unrechts wiedergutmachen.
Zu Recht fordern aber die Opferverbände, daß wir
das, was leistbar ist, tun, und das werden wir in den
nächsten Wochen auf den Weg bringen. Wir sind daher
auch als gesamtdeutscher Gesetzgeber den Opfern und
der Gesellschaft gegenüber in der Pflicht, weil wir ein
Zeichen setzen müssen, daß Widerstand gegen jede
Form von Diktatur nicht vergessen wird und daß wir aus
den schweren Verwerfungen der deutschen Geschichte
in diesem Jahrhundert eines gelernt haben: Diktatur in
Deutschland darf es nie wieder geben.
({0})
Die Bundesregierung greift mit der vorgelegten Gesetzesinitiative die offensichtlichen Defizite der bisherigen Rehabilitierungsgesetzgebung der früheren Bundesregierung auf. Der Inhalt des Gesetzentwurfs ist intensiv
und offen mit den Opferverbänden beraten und diskutiert worden. Ich bin sicher, daß der vorgelegte Entwurf
bei den Opfern und ihren Vereinigungen eine positive
Resonanz finden wird und daß auch die Öffentlichkeit in
Deutschland versteht, daß es für uns eine Herzensangelegenheit ist, endlich mehr Gerechtigkeit für die Opfer
der SED-Diktatur und auch für ihre Angehörigen zu
schaffen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr
Staatsminister Rolf Schwanitz hat in seiner Rede bereits
die Eckpunkte der von der Bundesregierung vorgelegten
Gesetzesinitiative dargestellt. Ich möchte daher ergänzend nur folgendes vortragen.
Erstens. Auch ich begrüße die beabsichtigte einheitliche Haftentschädigung von 600 DM pro Haftmonat ohne Prüfung der Frage, wo der Häftling später gelebt hat,
ob noch in der DDR oder nach Freikauf oder Flucht in der
Bundesrepublik Deutschland. Für uns gilt ein Prinzip und das haben wir immer vertreten, Herr Dr. Luther; hören Sie jetzt einmal zu -: Ein Jahr Bautzen ist ein Jahr
Bautzen und muß zu gleichen Ansprüchen führen. Das
war bisher ein ganz schweres Defizit. Sie sind auf unsere
Vorschläge in all den Jahren nicht eingegangen.
Zweitens. Noch im Jahre 1989 - daran sollten wir
immer wieder erinnern -, wenige Monate vor dem Fall
dieser schändlichen Berliner Mauer, sind in unmittelbarer Nähe dieses Reichstages Schüsse auf Flüchtlinge gefallen, sind Menschen an der Grenze umgekommen. Die
Angehörigen haben ein Recht darauf, endlich auch materielle Leistungen zu bekommen - ohne Prüfung der
Bedürftigkeit! Für die Opfer - das wissen wir alle - stehen die Namen von Peter Fechter und Chris Gueffroy.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt es daher, daß die
Bundesregierung nun eine Regelung vorlegt, die bei den
Angehörigen sicherlich Akzeptanz und Anerkennung
finden wird.
({2})
Drittens. Seit der Anhörung zum Rehabilitationsgesetz in der ersten demokratisch gewählten Volkskammer
der DDR ist uns durch Anhörungen und Zeugenberichte
das Schicksal der aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße verschleppten Zivilpersonen bekannt. Wir wissen um die Bedingungen der
Verschleppung, und wir wissen auch, daß die bisherige
Bedürftigkeitsprüfung, die an eine ganz bescheidene
Ausstattung des Stiftungsfonds geknüpft war, bei den
Betroffenen kein Verständnis erwecken konnte. Der
Vorschlag der Bundesregierung sieht daher vor, die
Stiftungsleistungen deutlich aufzubessern, und zwar von
300 000 DM auf 1,5 Millionen DM. Herr Luther, das
sind konkrete Zahlen. Diese Aufstockung wird dazu führen, daß wir hier nicht um 100 oder 200 Anträge zu
streiten haben. Das sind vielmehr realistische Schätzungen. Wir werden für diese Gruppe, die über Jahre benachteiligt war, die wir, die SPD-Fraktion - und ich
denke, auch Bündnis 90/Die Grünen -, über Jahre in unsere Bemühungen eingeschlossen hatten, jetzt eine Regelung schaffen, die von der bisherigen Form der Prüfung der Antragsberechtigung abgeht.
Viertens appelliere ich an dieser Stelle ganz nachdrücklich an die Länder, endlich auf untergesetzlicher
Grundlage eine Regelung zu finden, damit wir bei der
Anerkennung von Gesundheitsschäden zu einer befriedigenden Lösung kommen.
({3})
Ich meine, der Handlungsrahmen ist möglich, und die
Länder müssen hier ihren Beitrag erbringen.
Ich sage hier noch einmal deutlich, daß wir neben den
materiellen Leistungen auch immer die moralische
Würdigung in den Mittelpunkt rücken müssen. Ich erinnere ausdrücklich daran, daß der Deutsche Bundestag
am 17. Juni 1992 eine Ehrenerklärung abgegeben hat.
Diese möchte ich auch in der heutigen Plenardebatte in
Erinnerung rufen.
Herr Kollege Hacker,
Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zum
Schluß.
Herr Luther, Ihr Gesetzentwurf erreicht das Ziel
nicht. Gewogen und für zu leicht befunden ist das Urteil.
Sie stellen wieder eine Verbindung zur Zusatzrente her.
Diese Verbindung ist unzulässig.
({0})
Ich lade Sie alle ganz herzlich ein, mit uns gemeinsam zügig und sachgerecht zu beraten, damit die neuen
Regelungen am 1. Januar 2000 in Kraft treten und wir
einen Beitrag für den Ausgleich in Deutschland und die
Gerechtigkeit gegenüber den Opfern der kommunistischen Verfolgung leisten können.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Ge-
setzentwurfs auf der Drucksache 14/1805 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen,
wobei die Federführung beim Ausschuß für Angelegen-
heiten der neuen Länder liegen soll. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 15a und 15b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS
Keine Zurückweisung von KosovoFlüchtlingen an den Grenzen, die Erteilung
von Visa für Familienangehörige, sowie unbürokratische Ausstellung von Reisedokumenten, und Aufnahme und Schutz von unbegleiteten Flüchtlings- und Waisenkindern
- Drucksache 14/1182 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({0})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS
Anerkennung eines Asylanspruchs für jugoslawische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer
- Drucksache 14/1183 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({1})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Ulla Jelpke für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Wir diskutieren heute über zwei Anträge
der PDS. Mir ist natürlich bewußt, daß diese Anträge
teilweise nicht mehr aktuell sind. Sie sind vor der Sommerpause eingebracht worden. Das betrifft insbesondere
den Antrag zu den Kosovo-Flüchtlingen. Dennoch meinen wir, daß es eine aktuelle Situation gibt, die es erlauben sollte, die Anträge im Innenausschuß zu diskutieren,
wobei ich betonen möchte, daß der Antrag zu den Deserteuren keineswegs unaktuell ist, wie Sie an meinem
Beitrag gleich nachvollziehen können.
Es gibt nämlich weiterhin - um zu dem KosovoAntrag zu kommen - Menschen, die aus dem Kosovo
fliehen, zum Beispiel die Roma. Schlimmer noch: Die
Vertreibung der Roma und anderer im Kosovo lebender
Minderheiten ist im Grunde erst nach dem NATOEinmarsch richtig losgegangen.
Insofern bleibt unsere Aufforderung an die Bundesregierung bestehen: Menschen, die aus dem Kosovo fliehen, dürfen an deutschen Grenzen nicht zurückgewiesen
werden. Für unbegleitete Flüchtlings- und Waisenkinder
muß die UN-Kinderrechtskonvention vollständig und
ohne Einschränkung gelten. Unseres Erachtens ist es ein
Skandal, wenn entgegen dieser Konvention Minderjährige bei uns wie Erwachsene ins Asylverfahren gehen
müssen und 16-jährige bereits in Abschiebehaft landen.
Es gibt aber noch weitere Punkte, die zur Diskussion
stehen. Einer ist ganz aktuell: Innenminister Schily hat
bekanntgegeben, Flüchtlinge noch vor dem Winter in
den Kosovo zurückzuschicken. Wir meinen - auch die
Presse hat das so beschrieben -, daß das nicht nur
Kraftmeierei, sondern auch menschenverachtend ist.
Hier sind wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen
dieses Hauses einig, und auch der UNHCR hat das vor
einigen Wochen bestätigt.
Ich denke, daß Innenminister Schily, der heute nicht
anwesend ist, unbedingt aufgefordert werden sollte,
Flüchtlinge nicht vor dem Winter in den Kosovo zurückzuschicken, sondern abzuwarten, bis die Häuser, die
nur sehr schwer wieder bewohnbar zu machen sind,
winterfest sind. Auch das hat der UNHCR gefordert.
({0})
Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß der Innenminister nicht auf das eingehen sollte, was beispielsweise
Herr Beckstein aus Bayern oder Herr Schäuble aus Baden-Württemberg gefordert haben, nämlich eine Sonderkonferenz durchzuführen, damit die Flüchtlinge möglichst
schnell zurückgeführt werden können. Man sollte sich ein
Beispiel an dem kleinen Land Mazedonien nehmen, das
wegen des einbrechenden Winters keine Flüchtlinge in
den Kosovo zurückschickt.
Noch einmal zur Erinnerung: Gerichte und Behörden
in diesem Land haben jahrelang Asylanträge von Menschen aus dem Kosovo abgelehnt. 99 Prozent aller Asylanträge aus dem Kosovo wurden noch in den ersten Monaten dieses Jahres als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
Ich erinnere mich noch genau, wie nervös diese Regierung wurde, als bekannt wurde, daß die Asylanträge
- jahrelang gestützt auf falsche Lageberichte des Auswärtigen Amtes - abgelehnt worden sind, obwohl Herr
Scharping gleichzeitig davon sprach, daß es im Kosovo
sogar Völkermord gegen Kosovo-Albaner geben solle.
Wie ist nun die aktuelle Situation? Sind die Asylbescheide im nachhinein kontrolliert und daraufhin überprüft worden, ob die Lageberichte falsch waren? Ich habe bisher nichts davon gehört, daß es irgendwelche Konsequenzen gegeben hätte. Die Bescheide wurden nicht
zurückgenommen. Auch das ist ein Grund, nach wie vor
nachzuhaken und zu diskutieren.
Bis spätestens Ende nächsten Jahres sollen etwa
180 000 hier geduldete Menschen aus dem Kosovo abgeschoben werden, notfalls mit Gewalt, und zwar auch
dann, wenn sie zehn Jahre und länger hier leben.
Eigentlich müßten sie in diesem Fall sogar in den Genuß
der Altfallregelung kommen, die leider immer noch aussteht. Ich meine, auch das wäre ein Punkt, der aktuell
diskutiert werden sollte.
Was Innenminister Schily mit den Kosovo-Flüchtlingen veranstalten will, ist eine Fortsetzung der abscheulichsten Instrumentalisierung des Leids dieser Menschen,
die diese Regierung von Beginn des Kosovo-Krieges an
vorgenommen hat. Offenbar braucht der Bundesinnenminister erheblichen Druck aus der Öffentlichkeit, vor allen
Dingen außerparlamentarischen, damit er den KosovoFlüchtlingen in diesem Land Schutz gewährt und vor dem
Winter keine Abschiebung durchführt.
Darüber hinaus habe ich den Eindruck, daß der Innenminister besonders in den letzten Tagen versucht, die
CDU/CSU von rechts zu überholen, wenn es um Fragen
des Asylrechts geht. Ich denke dabei beispielsweise an
die von ihm angezettelte Debatte, das Asylrecht zu
einem Gnadenrecht zu machen, oder auch an andere
Fälle, zum Beispiel an die Kinderrechtskonvention,
bei denen deutlich wird, daß er seine Vorbehalte - trotz
Anträgen in diesem Haus - noch immer nicht zurücknehmen will.
Ich komme zu unserem Antrag zum Abschiebestop
für jugoslawische Deserteure. Auch hier ist, trotz des
Bombenkrieges gegen Jugoslawien, keine Entspannung
eingetreten. Es ist zunächst ein Entscheidungsstop vom
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verhängt worden.
Frau Kollegin Jelpke,
Sie müssen bitte zum Schluß kommen.
Dieser ist aber Ende September
wieder aufgehoben worden. Es gibt jedoch noch 200 unerledigte Anträge. Wie soll mit diesen Menschen verfahren werden? Wir meinen, daß es ihnen nicht zugemutet
werden kann, daß sie in ihren Ländern wegen Desertierung verurteilt werden. In Jugoslawien beispielsweise
würde das eine Haftstrafe von 20 Jahren bedeuten. Deswegen muß eine Form der Aufnahme bzw. des Asyls für
sie hier gefunden werden.
Danke.
({0})
Das Wort hat der
Kollege Rüdiger Veit, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Auf ihrer Sitzung am 1. Juni 1999 hat die SPDBundestagsfraktion auf meinen Antrag hin mit nur drei
Gegenstimmen folgenden Beschluß gefaßt:
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf,
sich für eine vermehrte Aufnahme von Vertriebenen und Flüchtlingen aus dem Kosovo in der Europäischen Gemeinschaft und insbesondere auch in
der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen. Dies
gilt vor allem für Kranke, Verletzte und traumatisierte Menschen, für Kinder ({0}), gebrechliche Personen und deren Familien
sowie für diejenigen, die bereits von ihren in europäischen Staaten lebenden Verwandten aufgenommen werden können.
({1})
Dies geschah vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung bereits zugesagten Aufnahmebereitschaft
für 20 000 Flüchtlinge aus dem Kosovo. Sie sehen also,
daß die SPD-Fraktion bereits zu einem Zeitpunkt, als
dies wegen der andauernden Luftangriffe der NATO bedauerlicherweise hochaktuell war, in der Frage, die die
PDS-Fraktion erst mit ihrem Antrag vom 17. Juni 1999
- und damit zwei Wochen nach Beendigung der Luftangriffe - aufgegriffen hat, in einem besonderen Maße
sensibilisiert war.
Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, die Verhältnisse im Kosovo seien heute politisch in bezug auf
persönliche Sicherheit oder in bezug auf die Versorgungslage bestens in Ordnung. Gleichwohl können wir
feststellen, daß sich dank der engagierten und manchmal
auch mutbedürftigen Mithilfe vieler Menschen aus
staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen die Verhältnisse zu stabilisieren beginnen. Dabei sage ich bewußt: beginnen.
Nach Angaben der Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen sind aus Ländern außerhalb der Region
bisher über 84 000 Vertriebene in das Kosovo zurückgekehrt, davon nach Angaben des Bundesinnenministeriums seit dem 8. Juli dieses Jahres über 13 000 Personen aus Deutschland auf freiwilliger Basis.
Auf Grund dieser Entwicklung und unter Verweis auf
die guten Erfahrungen mit der freiwilligen Rückkehrbereitschaft der bosnischen Flüchtlinge gibt es nach
meinem Dafürhalten - das will ich an dieser Stelle ausdrücklich einflechten - keine Veranlassung, jetzt vor
dem Winter und im übrigen überhastet Flüchtlinge
zwangsweise zurückzuschicken, bevor sie menschenwürdige Lebensbedingungen in ihrer alten Heimat vorfinden können.
Der Bundesinnenminister war und ist daher gut beraten, daß er mit den Länderinnenministern die Übereinkunft erzielt hat, Abschiebungen von Flüchtlingen aus
dem Kosovo auf Ausnahmefälle - zum Beispiel bei
Straffällen - zu beschränken. Insoweit, Frau Kollegin
Jelpke, geht nach meinem Kenntnisstand Ihre soeben
bezüglich Bundesinnenminister Schily geäußerte Kritik
an der Sache vorbei.
Was die im PDS-Antrag angesprochene Familienzusammenführung angeht, so sollte es - jedenfalls in der
Regel - durchaus möglich sein, daß Flüchtlinge auf
freiwilliger Basis zu ihren Familien in das Kosovo zurückkehren. Ich bin allerdings dafür, daß wir in begründeten Ausnahmefällen die Bundesregierung auffordern,
auch weiterhin großzügig und unbürokratisch die notwendigen Papiere für die Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland zu erteilen. - Ich spreche deswegen von
Ausnahmefällen, weil wir abgesehen von der Überzeugung - das ist meine Grundposition -, daß Deutschland
eher zuwenig als zuviel Zuwanderung habe, damit leben
könnten, daß gerade vormalige jugoslawische Staatsangehörige, die sich hier besonders gut integrieren, durchaus in der Bundesrepublik bleiben.
Soweit schließlich in dem vorliegenden Antrag gefordert wird, Kindern in Deutschland nach den Bestimmungen der Kinderrechtskonvention der Vereinten
Nationen Aufnahme und Schutz zu gewähren, ist dieses
Begehren wohl keineswegs auf aus dem Kosovo stammende Kinder zu beschränken, sondern muß genereller
Maßstab unseres Handelns sein.
Nachdem der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung
vom 30. September 1999 - dies ist also noch gar nicht
lange her - die Bundesregierung unter anderem aufgefordert hat, die Rücknahme der Vorbehalte der früheren
Bundesregierung anläßlich der Ratifizierung der UNKonvention über die Rechte des Kindes zurückzunehmen, gehe jedenfalls ich davon aus, daß diese ausdrückliche Aufforderung des Parlaments, also des Souveräns,
auch unverzüglich durch die Bundesregierung umgesetzt
wird.
({2})
- Frau Kollegin Jelpke, ich gehe davon aus, daß die
Worte, die hier gesprochen werden, zwar in der Regel
keine so große Publizität erreichen, wie das andernorts
üblich ist. Aber ich werde mich bemühen, dafür zu sorgen, daß Kollege Schily das erfährt, was ich hier sage.
Aus den genannten Gründen ist daher der Antrag der
PDS insgesamt als erledigt anzusehen. Dennoch bestehen aus unserer Sicht keine Bedenken gegen eine Behandlung dieses Antrages in den entsprechenden Ausschüssen, wenn die Antragsteller - sie haben dies getan
- darauf bestehen.
Ich komme zum zweiten Antrag der PDS mit der
Überschrift „Anerkennung eines Asylanspruchs für jugoslawische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer“.
Ich persönlich halte manche Änderungen des Asylrechtes und des Asylverfahrensrechtes für wünschenswert, ja
sogar für notwendig, im übrigen auch solche, die den
Zustand, die Rechtssicherheit und die humanitäre Dimension, die vor dem sogenannten Asylkompromiß des
Jahres 1993 bestanden haben, wieder herstellen könnten.
Frau Kollegin Jelpke, die Sie auch in diesem Zusammenhang Herrn Schily bemüht haben, daran sehen Sie,
daß die Sozialdemokraten eine Volkspartei mit einer
gewissen Spannweite in grundsätzlichen Fragen ist.
({3})
- Das pflegen wir unter uns zu klären. Wir sind jedenfalls darum bemüht.
Die jetzt von der PDS begehrte gesetzgeberische Initiative zugunsten jugoslawischer Kriegsdienstverweigerer und Deserteure halte ich - jedenfalls derzeit - für
überflüssig. Auch hierfür gilt im übrigen: Wir können
und sollten darüber im Ausschuß sprechen.
Aber im Ergebnis werden wir den Antrag ablehnen
müssen. Denn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
können staatliche Maßnahmen gegen Deserteure jedenfalls dann asylrechtsrelevant werden, wenn zugleich eine
politische Disziplinierung und Einschüchterung von
politischen Gegnern in den eigenen Reihen, ein Umerziehen von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten durch staatliche Maßnahmen
insbesondere der Strafverfolgung bezweckt werden. Das
kann besonders daran deutlich werden, daß Verweigerer
oder Deserteure als Verräter der gemeinsamen Sache
angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen abkommandiert oder allgemein geächtet werden. Ob und inwieweit dies in der
Bundesrepublik Jugoslawien und Betroffenen welcher
Volkszugehörigkeit auch immer gegenüber geschieht,
kann derzeit jedoch in keiner Weise abgesehen werden.
Auch wenn in der Bundesrepublik Jugoslawien 1993
die Todesstrafe für Desertation abgeschafft wurde, ist es
theoretisch - dieser Hinweis war richtig - möglich, eine
im Vergleich zu unserer Rechtsordnung extrem hohe
Gefängnisstrafe zu verhängen. In der Praxis der Vergangenheit haben jedoch die jugoslawischen Gerichte oft
relativ milde bestraft, und Wehrstrafverfahren wurden
oftmals nicht weiter verfolgt. Im Zusammenhang mit
dem Abkommen von Dayton wurde am 22. Juni 1999
eine Amnestie in Kraft gesetzt, die für alle Fälle des
Wehrdienstentzuges zwischen 1982 und 1995 gilt. Daran hat man sich nach unserer Erkenntnis auch bis heute
gehalten.
Über die aktuelle Spruchpraxis von Militär- oder Zivilstrafgerichten gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen Wehrstraftätern gibt es derzeit so gut wie
keine Erkenntnisse. Richtigerweise - hier ist die Beamtenschaft, genauso aber auch das Ministerium zu loben sind daher die Einzelentscheider im Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zunächst mit
Datum vom 25. März 1999 - also unmittelbar nach Beginn der Luftschläge - und erneut am 29. September
1999 angewiesen worden, über Asylanträge aller Antragsteller aus der Bundesrepublik Jugoslawien, die Desertation oder Wehrdienstverweigerung geltend machten
- es handelt sich im übrigen um 203 Verfahren -, nicht
zu entscheiden. Dies ist mit Ausnahme eines einzigen
Falls der Rücküberstellung nach Frankreich auch so gehandhabt worden.
Ich bin durchaus dafür, die weitere Entwicklung und
auch die Praxis des Bundesamtes kritisch zu begleiten
und zu beobachten. Soweit und solange jedoch eine vernünftige Verwaltungspraxis und eine das Grundrecht auf
Asylgewährung jedenfalls in dieser Hinsicht beachtende
und gefestigte Rechtsprechung gegeben ist, gibt es keine
Lücke im berechtigten Schutzbedürfnis der Betroffenen,
die nun durch den Gesetzgeber geschlossen werden
müßte. Von daher gilt auch für uns das Gebot der Zurückhaltung. Wir sehen keine Veranlassung, in diesem
Punkt gesetzgeberisch tätig zu werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Es spricht jetzt der
Kollege Dietmar Schlee, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS will
weitere Flüchtlinge aus dem Kosovo nach Deutschland
holen. Der Antrag macht das ebenso deutlich wie das,
was die Kollegin Jelpke eben gesagt hat.
Die PDS hat offensichtlich noch nicht zur Kenntnis
genommen, daß es heute nicht mehr um die Aufnahme
von Kosovo-Flüchtlingen geht, sondern darum, daß die
Kosovo-Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgeführt werden, damit sie möglichst rasch am Wiederaufbau ihres
Landes mitwirken können. Der Rückkehrprozeß ist seit
Sommer dieses Jahres ja voll im Gange. Aus den Nachbarländern sind mehr als 800 000 Flüchtlinge und aus
der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Wochen
und Monaten rund 12 000 zurückgekehrt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der
PDS, Sie kommen jetzt und wollen uns einreden, daß
Flüchtlinge aus dem Kosovo an den deutschen Grenzen
nicht zurückgewiesen werden sollen. Wo leben Sie
überhaupt? Die Entwicklung geht doch in ganz Europa,
aber auch ganz konkret jeden Tag bei uns in eine völlig
andere Richtung. Trotz aller Probleme im Kosovo, die
ich gar nicht verniedlichen will - der anwesende Staatssekretär Kolbow kennt die Situation ja besonders gut -,
ist festzustellen, daß sich die Situation stabilisiert hat
und die Rückkehr möglich ist. Alle kundigen Thebaner
im In- und Ausland sind dieser Auffassung. Wer den
Menschen helfen will - und ich will das -, der muß den
Menschen da helfen, wo sie leben. Der Kosovo ist dafür
ein typisches Beispiel.
Wir helfen den Menschen doch nicht, wenn wir zu
den vielen Kosovo-Albanern, die hier legal und illegal
leben, noch weitere aufnehmen. Im Gegenteil: Wir
schaden dadurch dem so notwendigen Wiederaufbau im
Lande, wenn wir diejenigen, die zu Hause anpacken
sollen, bei uns behalten und dadurch andere in ihrer
Heimat die Arbeit leisten müssen.
Wer die Spannungen in Bosnien zwischen den zurückkehrenden Flüchtlingen und denen, die den Krieg,
die Not und die Verwüstung in der Heimat erdulden
mußten, erlebt hat, der weiß, wie groß das Konfliktpotential ist, das mit einer leichtfertigen Politik geschaffen
werden kann. Die Spannungen sind in Gemeinden und
Städten teilweise so groß gewesen, daß eine regelrechte
Lähmung eingetreten ist. In dieser Situation kann man
doch nicht leichtfertig mit Anträgen versuchen, bestimmten Leuten nach dem Munde zu reden.
Wir haben ein ganz anderes Problem. Ich gehe davon
aus, daß es zwischen 250 000 und 280 000 KosovoAlbaner gibt, die kein Bleiberecht mehr in der Bundesrepublik Deutschland haben, also nach Hause müßten.
Allein in Baden-Württemberg und in Bayern leben mehr
als 100 000 Kosovo-Albaner. Ein Teil von ihnen war
und ist noch im Arbeitsprozeß eingegliedert. Diese
Menschen haben hier Geld verdient und könnten dies in
ihrer Heimat investieren. Ihre Fertigkeiten bräuchte man
dringend für den Wiederaufbau im Kosovo. In diese
Richtung müßten unsere Anstrengungen gehen, aber
nicht in die Richtung, Frau Jelpke, die Sie angesprochen
haben.
Natürlich könnte der Wiederaufbau schneller vorangehen. Es sind unglaubliche Fehler in der ersten Phase
des Wiederaufbaus im Kosovo gemacht worden. Diese
Fehler wurden auch in Bosnien im ersten Jahr nach dem
Friedensschluß gemacht. Heerscharen von Helfern aus
aller Herren Ländern sind unterwegs. Viele arbeiten unkoordiniert nebeneinander her und versprechen den Kosovo-Albanern alles Mögliche. Sie kündigen umfangreiche Hilfe an, was bei den unmittelbar Betroffenen zu einer Lethargie führt, weil sie nun warten wollen, bis die
Hilfe kommt. Mit dem Wiederaufbau geht es dann nicht
so rasch voran, wie es eigentlich vorangehen könnte.
Hier ist die Bundesregierung gefordert; hier muß sie
Einfluß nehmen. Dies betrifft natürlich auch in erster
Linie die Art und Weise, wie dort die Zivilverwaltung
arbeitet, die immer noch nicht in die Gänge gekommen
ist und deren Unfähigkeit auf dem Rücken der kleinen
Leute ausgetragen wird. Die Situation kann so nicht
bleiben.
Was die UNO-Mission in der unmittelbaren Wiederaufbauphase nach dem Kosovo-Konflikt an Arbeit abliefert, ist in vielen Bereichen Dilettantismus pur. Dort sind
Leute unterwegs, die ihr Geschäft offensichtlich nicht
beherrschen und die das Chaos nicht stoppen, sondern es
immer wieder neu befördern und so die unmittelbar betroffenen Menschen in die größten Schwierigkeiten
bringen. Die Strom- und Wasserversorgung sowie die
Abwasserentsorgung funktionieren noch nicht, was man
auf Dauer nicht hinnehmen kann.
Die letzte Bemerkung zu diesem ersten Antrag ist an
Sie persönlich gerichtet, Frau Jelpke. Ich habe im Zuge
des Berliner Wahlkampfes in Hellersdorf und in Marzahn mit PDS-Mitgliedern diskutiert.
({0})
Diese haben in Sachen Ausländerpolitik eine völlig andere Auffassung als Sie. Sie fahren offensichtlich eine
Doppelstrategie: Sie bedienen mit Ihren Anträgen diejenigen, die Sie im Westen als Wähler gewinnen wollen.
In den neuen Bundesländern reden Sie aber in Sachen
Ausländerpolitik offensichtlich völlig anders als hier.
Das kann man Ihnen auf Dauer sicher nicht durchgehen
lassen.
Nun zu dem Antrag hinsichtlich des Asylanspruchs,
der unnötig ist wie ein Kropf. Er hat nur insofern eine
Bedeutung, als wir in diesem Zusammenhang die Bundesregierung fragen können - ich nehme an, daß Sie,
Frau Staatssekretärin, diese Frage nicht heute beantworten; aber in den nächsten Wochen sollten wir dies erfahren -, wie die neue Position des Bundesinnenministers zur Asylpolitik ist. Er hat ja im „Spiegel“, in der
„Zeit“ und in anderen Zeitungen höchst bemerkenswerte
Äußerungen gemacht: was die „Europäisierung des
Asylrechts“, eine gemeinschaftliche Asylpolitik auf der
Basis der Genfer Konvention angeht, wie es mit einer
gerechteren Verteilung der Lasten der Wanderungsbewegungen sei, was es bedeutet, eine flexiblere Praxis der
Asylgewährung einzuführen. Das alles müßte man schon
einmal ein bißchen konkreter formulieren.
Wie ist es mit der Äußerung, die Entscheidung über
Asylgesuche solle sich stärker an moralischen als an juristischen Maßstäben orientieren? Das würde interessieren. Heute wird eine Klärung nicht möglich sein, aber
irgendwann wird die Regierung dazu etwas sagen müssen; denn es sind nicht nur andere Zungenschläge als in
der Vergangenheit; es signalisiert etwas Neues. Ich gehe
davon aus, daß Sie dazu etwas sagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den Deserteuren nur noch einen Satz. Auch dieses Thema, Frau
Jelpke, die Anerkennung eines Asylanspruchs für Deserteure, haben wir im Zusammenhang mit den Deserteuren aus Bosnien in allen nur denkbaren Variationen
diskutiert. Es war immer klar, daß es kein generelles
Bleiberecht für Deserteure geben kann. Das haben wir
Ihnen auch von der Asylsystematik her immer wieder
dargelegt.
Wie ist die augenblickliche Situation? Derzeit werden
keine jugoslawischen Staatsangehörigen aus dem serbischen Gebiet, aus dem Hoheitsgebiet Belgrads, zurückgeführt oder abgeschoben. Das geht schon allein faktisch nicht. Die Innenminister haben am 27. Oktober
1999 diese Position erneut bekräftigt.
Wir haben auch die Frage diskutiert, daß derjenige,
der desertiert oder den Kriegsdienst verweigert, kein
dauerhaftes Bleiberecht bekommen kann. Er soll die
Möglichkeit haben, sich hier in der Zeit der Bedrohung, bis es ein Amnestiegesetz gibt, aufzuhalten. Das
gilt für Deserteure und natürlich auch für Kriegsdienstverweigerer. So ist in der Vergangenheit verfahren
worden.
Warum sollen wir jetzt mit diesen Deserteuren aus
Serbien anders verfahren als mit den Deserteuren aus
Bosnien? Das hat sich damals bewährt. Nun haben Sie
das Ganze in einen Antrag hineingeschrieben, weil es
„Pro Asyl“ in irgendeinem Blättchen abgehandelt hat.
Aber Sie hätten sich doch daran erinnern müssen, daß
wir praktikable Lösungen hatten.
Letzte Bemerkung. Ohne demokratische und rechtsstaatliche Ordnung - das ist das Entscheidende - treibt
Jugoslawien in den Abgrund. Das ist es, worauf es ankommt, Frau Jelpke, und nicht auf solche Nebenkriegsschauplätze. Die internationale Gemeinschaft muß Jugoslawien noch stärker als in der Vergangenheit auf dem
Weg zurück in die Völkergemeinschaft begleiten. Generelle Sanktionen und Embargos nützen nichts mehr. Hier
muß im Sinne der Konditionalität differenziert vorgegangen und geholfen werden, vor allem jetzt im Vorfeld des
Winters und der Kälte.
Dieses neue demokratisierte Jugoslawien muß dann
Schritt für Schritt an Europa herangeführt werden. Das
hilft den Menschen, das hilft den Ärmsten der Armen.
Sie warten auf unsere Hilfe und nicht auf irgendwelche
Diskussionen über abseitige Probleme, die wir längst
gelöst haben.
Vielen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der Tat sind die Anträge zu einer Zeit eingebracht worden, als die Lage sich etwas anders darstellte. Trotzdem ist es gut, daß wir heute über das Kosovo reden, weil ein uns alle im Augenblick beschäftigendes Thema die Rückführung ist. Es ist sehr wichtig,
noch einmal deutlich zu machen, weshalb diese Menschen hierhergekommen sind. Sie haben seit 1990 ihre
Heimat verlassen, weil sie zu Recht befürchten mußten,
daß sie wegen ihrer Volkszugehörigkeit verfolgt werden.
Trotz Asylablehnung - weil wir in unserem Asylrecht
die Schwierigkeit haben, daß diese Art von Verfolgung
oft nicht ausreichend anerkannt wird - handelt es sich
bei sehr vielen hier lebenden Kosovaren um wirkliche
Flüchtlinge. Ein Mißbrauch des Asylrechts, wie er in der
gesellschaftlichen Debatte oft behauptet wird, lag nicht
vor.
Nun haben sich die Verhältnisse weiterentwickelt.
Gegenwärtig besteht eine Gefahr der Verfolgung für
Kosovo-Albaner im Kosovo selbst regelmäßig nicht
mehr. Das ist einerseits eine gute Nachricht und andererseits ein Erfolg des Engagements der internationalen
Staatengemeinschaft. Allerdings ist im Kosovo eine
höchst prekäre Situation anzutreffen. Es gibt eine unendliche Zerstörung von Wohnraum, von Häusern. Mir
sind Berichte bekannt, daß die Zerstörungen sehr viel
größer sind, als erwartet worden war. Über 40 Prozent
des Wohnraums seien zerstört. Auch die schwierige
Versorgung mit Lebensmitteln setzt einer Rückkehr im
Augenblick Grenzen. Die Situation vor Ort ist sehr instabil. Die politische Zukunft des Kosovo ist nicht geklärt. Vor allen Dingen gibt es zunehmende Auseinandersetzungen und Übergriffe gegen Minderheiten im
Kosovo, gegen Serben und Roma.
Zunächst also ist Voraussetzung, daß sich die internationale Staatengemeinschaft weiterhin im Kosovo
stark engagiert. Nur vor diesem Hintergrund können wir
die Rückkehrdiskussionen hier in Deutschland führen.
Das Rückkehrinteresse der Kosovaren ist sehr groß.
Herr Kollege Schlee, ich möchte Ihnen widersprechen:
Es gibt keine Lethargie im Kosovo, im Gegenteil, es gibt
eine ungeheure Aufbruchstimmung. Anders als in Bosnien wissen die Menschen, wohin sie zurückkehren
können. Das ist der entscheidende Unterschied. Man
kann vor Ort spüren, daß die Menschen dabei sind, sich
mit aller Kraft wieder eine Bleibe zu verschaffen und ihre Häuser aufzubauen. Hier liegt der Ansatzpunkt: darauf zu setzen, daß die Rückkehr freiwillig erfolgen muß.
Wir haben hier eine gute Chance für ein Programm zur
freiwilligen Rückkehr der Kosovo-Albaner.
Dies fordert von unserer Seite nun bestimmte Maßnahmen: finanzielle Hilfen für Heimkehrer, Materialien
zum Aufbau zerstörter Häuser, was übrigens KFOR vor
Ort macht. Es gibt weitere Maßnahmen, die eine freiwillige Rückkehr unterstützen könnten. So könnte einem Familienmitglied, wenn die anderen nach Hause
zurückkehren, der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet
für einen bestimmten Zeitraum, zum Beispiel ein Jahr,
ermöglicht werden, dem Betreffenden eine Arbeitserlaubnis erteilt werden und auf diese Weise die Möglichkeit geschaffen werden, daß von diesem einen Brückenkopf in Deutschland die zurückgekehrte Familie im Kosovo wirksam unterstützt wird. Dieses Modell hat sich
bei der Rückkehr der Bosnien-Flüchtlinge als ausgesprochen effektiv erwiesen. Es war die beste Rückkehrhilfe, die es gegeben hat. Ich möchte, weil wir sonst mit
Bayern so über Kreuz liegen, sagen, daß Bayern mit einem solchen Modell in diesem Fall eine positive Vorreiterrolle gespielt hat.
Die Diskussion zur Förderung der freiwilligen Rückkehr darf auch nicht durch unnötige Abschiebungen erschwert werden. Ich bin der festen Überzeugung, daß
Abschiebungen während des beginnenden Winters nicht
stattfinden dürfen,
({0})
und werde dabei von allen humanitären Organisationen,
die vor Ort sind, unterstützt. Nach Einschätzung dieser
Organisationen können sie, wenn sie sich sehr anstrengen, eine humanitäre Katastrophe vermeiden, aber sie
bitten, die Situation vor Ort nicht dadurch zu verschärfen, daß Leute in diese labile Situation hineingedrückt
werden. So verhält sich auch der UNHCR. Das ist auch
die Einstellung der UN-Mission vor Ort.
Besonderen Schutzes bedürfen Roma und Serben.
Die KFOR sagt, daß sie, obwohl sie es möchte und alle
Anstrengungen unternimmt, nicht in der Lage ist, allen
diesen Menschen den notwendigen Schutz zuteil werden
lassen. Diese Menschen dürfen auf keinen Fall abgeschoben werden.
Bezüglich der Deserteure müssen wir dafür sorgen,
daß sie, solange es keine Amnestie gibt, Anspruch auf
Schutz haben, weil ihnen im Krieg gegen die KosovoAlbaner eine völkerrechtswidrige Handlung abverlangt
wurde. Auch darauf sollten wir uns verständigen.
Die Innenminister von Bund und Ländern werden
sich in Görlitz treffen, um diese Probleme zu besprechen. Meines Erachtens müssen zwei zentrale Botschaften von dieser Konferenz ausgehen: Erstens muß
die Förderung der Rückkehr auf dem Gedanken der
Freiwilligkeit basieren. Zweitens darf es keine Grenzübertrittsbescheinigung und Versagung der Sozialhilfe
geben. Von einem Land wie Deutschland darf nicht das
Zeichen ausgehen, daß wir durch die Versagung der
Unterstützung in Form der Sozialhilfe Menschen quasi
zwingen, freiwillig zurückzukehren. Das sind unwürdige
Aktivitäten; diese gibt es allerdings zum Teil bei Behörden, bedauerlicherweise auch in Berlin. Dieser Weg darf
nicht beschritten werden. Es gibt gute Chancen für eine
freiwillige Rückkehr in das Kosovo; denn die Menschen
wollen in ihre Heimat zurück.
Schönen Dank.
({1})
Das Wort hat der
Kollege Dr. Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Alle Redner haben betont - auch
Frau Jelpke selber -, daß die Anträge bereits teilweise
überholt sind. Dies hat zur Folge, daß heute mehr über
die aktuellen Bezüge zu reden ist als über den eigentlichen Text der Anträge. Aktuelle Bezüge gibt es allerdings in mehrfacher Hinsicht.
Hinsichtlich der Kosovo-Flüchtlinge liegt die Hauptproblematik derzeit wohl darin, ob und wie die Rückführung dieser Menschen in den Kosovo organisiert
wird. Von anderen wurde schon ausgeführt, daß ein sehr
großer Teil der Bürgerkriegsflüchtlinge freiwillig zurückgekehrt ist, daß aber darüber hinaus für weitere
180 000 Personen aus dem Kosovo eine Ausreisepflicht
besteht, von denen bisher nur wenige freiwillig heimgekehrt sind.
Dennoch möchte ich unterstützen, was die Ausländerbeauftragte gerade ausgeführt hat: Die freiwillige
Rückkehr ist gegenüber einer - juristisch möglichen zwangsweisen Rückführung vorziehenswert. Es ist zu
beachten, daß eine zwangsweise Rückführung in großem
Umfang zu einer Destabilisierung der Lage im Kosovo
führen könnte, gerade in den Wintermonaten. Deshalb
liegt es nicht nur im Interesse der Flüchtlinge, sondern
auch in unserem Interesse, daß hier sehr vorsichtig vorgegangen und auf Zwangsmaßnahmen verzichtet wird.
Im Namen der F.D.P.-Fraktion unterstütze ich ausdrücklich die Position der Ausländerbeauftragten.
({0})
Der zweite Antrag der PDS, die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen, daß jugoslawische Deserteure
und Kriegsdienstverweigerer einen Anspruch auf Asyl
erhalten, berührt eine weitere aktuelle Problematik. Die
Zahlen, um die es geht, wurden schon von meinen Vorrednern genannt.
Marieluise Beck ({1})
Tatsache ist, daß ein Entscheidungsstopp existiert.
Demnach droht den etwa 200 Deserteuren für ihre persönliche Sicherheit derzeit keine Gefahr. Im übrigen
wäre zu prüfen, ob Abschiebehindernisse gemäß § 53
Abs. 6 des Ausländergesetzes bestehen. Ich stimme dem
Kollegen Veit zu, daß somit kein Anlaß besteht, gesetzliche Maßnahmen im Eilverfahren zu treffen.
Dieser Antrag gibt aber Anlaß zu einer grundsätzlichen Betrachtung: Am Beispiel der Deserteure wird
deutlich, daß die Rechtslage sehr kompliziert ist: Desertion gilt grundsätzlich nicht als Grund für die Gewährung von Asyl, in Ausnahmefällen aber doch. Hier hat
sich eine Differenzierung entwickelt, die, so glaube ich,
nur noch von Juristen nachvollzogen werden kann.
Wenn man bedenkt, daß wir es zum Beispiel im Innenausschuß häufig mit anderen Fallgruppen zu tun
haben - ich erinnere nur an die Fluchtgründe wegen
geschlechtsspezifischer Verfolgung und an die nichtstaatliche Verfolgung -, dann muß dieser Antrag zu
folgender Überlegung führen: Im Rahmen der Asylpolitik wurde in den vergangenen Jahren sehr viel über
Verfahrensfragen diskutiert; es wurde aber auch gehandelt. Ich nenne nur das Flughafenverfahren und die
Regelung hinsichtlich sicherer Drittstaaten. Notwendig
wäre aber einmal eine prinzipielle Diskussion darüber,
welchen Personengruppen wir den Schutz des Asyls
gewähren wollen. Derzeit existiert ein eigentümliches
Konglomerat von Asylvorschriften in großer Ausdifferenzierung, die, wie ich schon sagte, eigentlich nur für
Juristen noch nachvollziehbar ist: Bleiberechte, Duldungsrechte, Abschiebungshindernisse und Hilfskonstruktionen, um Menschen, die offensichtlich schutzbedürfig sind, Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren. Diese Diskussion müßte einmal geleistet werden. Das geht allerdings nicht im Rahmen
eines Kurzbeitrages, zumal ich meine Redezeit fast
schon überschritten habe, sondern muß an anderer
Stelle erfolgen.
Ein Wort noch dazu, daß der Bundesinnenminister
das Grundrecht auf Asyl zur Disposition gestellt hat.
Meine Damen und Herren, der kritische und entscheidende Punkt ist doch folgender: Ein Grundrecht ist der
Verfügbarkeit der Tagespolitik entzogen.
({2})
Solange die Politik in der Versuchung ist, den Umgang
mit schutzbedürftigen Menschen immer wieder zum
Gegenstand tagespolitischer Auseinandersetzungen auch
um parteitaktischer Vorteile willen zu machen, meint die
F.D.P., daß es sehr gefährlich ist, ein Grundrecht zur
Disposition zu stellen.
({3})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Cornelie SonntagWolgast, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn sich
Frau Jelpke mit ihren eigenen Anträgen so differenziert
auseinandergesetzt hätte, wie es die letzten Rednerinnen
und Redner getan haben, die ich eben gehört habe, dann
hätte ich mich gar nicht zu Wort gemeldet. Aber da sie
ein Zerrbild deutscher Flüchtlingspolitik gezeichnet hat,
bitte ich Sie, mir noch zwei kurze klärende Anmerkungen zu erlauben.
Erstens erinnere ich daran, daß es maßgeblich durch
die Initiative des Bundesinnenministers überhaupt
gelungen war, im Frühling 15 000 Vertriebene aus dem
Kosovo in Deutschland aufzunehmen und die Solidarität
anderer EU-Mitgliedstaaten teilweise zu erreichen.
({0})
Das war noch nicht das Gesamtkonzept einer europäischen Flüchtlingsaufnahmepolitik in solchen akuten
Fällen, wie wir es für die Zukunft wünschen; aber es war
die Keimzelle. Schon das Signal, wie es funktionieren
kann - zum Start dessen, was wir alle schon lange wollen, nämlich den Bürgerkriegsflüchtlingsstatus mit einer
gerechten Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern
- ist maßgeblich durch die Initiative dieser Bundesregierung gesetzt worden.
Die zweite Anmerkung: Der Bundesinnenminister,
liebe Kollegin Jelpke, schiebt nicht ab. Ich muß das
klarstellen. Zuständig für die Durchführung der Ausländergesetze sind die Länder. Von einem massenhaften
Zurückschicken der Menschen in den rauhen Winter
kann nun wirklich keine Rede sein. Der Großteil der
Landesinnenminister hat ebenso wie der Bundesinnenminister unmißverständlich deutlich gemacht, daß bedächtig und unter Wahrung humanitärer Aspekte gehandelt werden wird, was in der Praxis bedeutet, daß der
Großteil der Betroffenen - vor allem derer, die im
Frühjahr gekommen waren - nicht vor dem Frühling zurückkehren wird. Ich hoffe ebenso wie die Kollegin
Beck eher auf freiwillige Rückkehr.
Ich bitte Sie also herzlich, bei einem derart sensiblen
Thema im Interesse der Betroffenen keine Angstkulissen
aufzubauen.
Danke schön.
({1})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/1182 und 14/1183 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die
nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. November 1999, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen allen - auch den Besuchern auf
der Tribüne - ein schönes Wochenende.