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Guten
Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Zur Nutzung und Anwendung der neuen
Medien in Deutschland - Chancen in der Informationsgesellschaft“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Herr Siegmar
Mosdorf.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat in seiner heutigen Sitzung die Antwort der
Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSUFraktion zum Thema „Zur Nutzung und Anwendung der
neuen Medien in Deutschland - Chancen in der Informationsgesellschaft“ beschlossen. Die Bundesregierung
wird dem Deutschen Bundestag diese unverzüglich zuleiten.
In ihrer Antwort auf die Große Anfrage stellt die
Bundesregierung ihre umfangreichen Initiativen und
Maßnahmen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene dar. Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, vor wenigen Wochen das Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft
des 21. Jahrhunderts“ beraten und verabschiedet. Dieses
Aktionsprogramm ist sowohl vom Haus des Bundeswirtschaftsministers als auch vom Haus des Bundesministers für Bildung und Forschung erarbeitet worden.
Deshalb stehen wir beide, Herr Catenhusen und ich,
heute zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Das Aktionsprogramm hat für die Bundesrepublik
Deutschland eine große Bedeutung, weil wir glauben,
daß auf dem Sektor der Informationstechnologie im
Moment die größten wirtschaftlichen Veränderungen
stattfinden und daß die Multimediabranche das Epizentrum dieser Veränderungen ist. Wir müssen uns auf diese Veränderungen einstellen, wenn wir die zu erwartenden Potentiale an Beschäftigung auch ausschöpfen wollen. Neuere Untersuchungen von Booz, Allen und Hamilton, die uns vorliegen, besagen, daß bis zum Jahr
2002 in dieser wichtigen Zukunfts- und Wachstumsbranche bis zu 350 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen können, wenn alles getan wird, um Voraussetzungen
für Medienkompetenz, für Existenzgründungen und für
die Erschließung der interessanten Zukunftsmärkte zu
schaffen.
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung
vom 10. November 1998 die Bedeutung der neuen Medien in der Informations- und Kommunikationswirtschaft als zentrales Politikfeld herausgestellt. Die beschleunigte Nutzung und Verbreitung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien haben für
die Bundesregierung wirtschafts-, forschungs-, technologie- und bildungspolitische Priorität. In der Antwort
der Bundesregierung auf die Große Anfrage werden wie bereits durch das Aktionsprogramm - deutlich die
wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Chancen
herausgestellt, die mit dem Wandel zur Informationsgesellschaft für unser Land verbunden sind. Die Verbesserung des Zugangs zu den neuen Medien, der weitere
Ausbau der Infrastruktur und die Fortentwicklung der
rechtlichen Rahmenbedingungen zum Beispiel für den
Daten- und Verbraucherschutz sind wichtige Schwerpunkte unseres Aktionsprogramms.
Weltweit ist die Informationswirtschaft Wachstumsund Beschäftigungsmotor Nummer eins. Alle Initiativen
und Maßnahmen der Bundesregierung, die in der Antwort auf die Große Anfrage, im Aktionsprogramm und
im Bericht über das IuKDG beschrieben sind, zielen auf
die entscheidenden Herausforderungen in den nächsten
Jahren: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Sicherung
eines hohen, zukunftsfähigen Beschäftigungsniveaus in
der Bundesrepublik Deutschland.
Vor diesem Hintergrund ist es erklärtes Ziel der Politik der Bundesregierung, Deutschland einen internatio5512
nalen Spitzenplatz in der Informationswirtschaft zu sichern. Dies setzt voraus, daß es noch besser gelingt, den
Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft zu meistern und damit neue Wachstums- und Beschäftigungspotentiale zu erschließen. Dies setzt voraus,
daß wir weitere Fortschritte bei der Medienkompetenz
machen und daß wir die Zahl der kleinen Start-ups, der
kleinen Selbständigen, in Deutschland weiter erhöhen.
Die Zahl ist deutlich gestiegen - wir haben jetzt 1 500
Multimediaunternehmen - aber sie muß weiter erhöht
werden. Die Bundesregierung will alles tun, um dafür
die Voraussetzungen zu schaffen.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage macht deutlich, daß es zur beschleunigten Nutzung
und Verbreitung der neuen Informations- und Kommunikationsmedien an der Schwelle zum 21. Jahrhundert
eines übergreifenden Gesamtentwurfs der Politik bedarf.
Die Bundesregierung hat diesen bereits mit ihrem Aktionsprogramm vorgelegt. Die Umsetzung fordert gemeinsame Anstrengungen von Politik und Wirtschaft.
Dabei geht es vor allem um folgende konkrete Ziele.
Erstens. Die Steigerung der Zahl der Internetanschlüsse
in der Bevölkerung von derzeit neun Prozent auf über
40 Prozent bis zum Jahr 2005. Dazu wird unter anderem
eine breitangelegte Demonstrations- und Informationskampagne der Bundesregierung unter dem Motto „Internet für alle“ gestartet.
Zweitens. Schaffung von Vertrauen und Sicherheit
durch verbesserte Rahmenbedingungen. Hierzu wird
unter anderem eine Informationskampagne zur IT Sicherheit fortgeführt und ein Vertrauensrahmen für eine
sichere Verschlüsselungstechnik in Deutschland geschaffen, ohne den I-Commerce und I-Business keinen
Erfolg haben können. Wir werden außerdem unsere internationalen Anstrengungen fortsetzen, um hier gemeinsame Spielregeln zu verabreden.
Drittens. Deutliche Steigerung der Zahl der Multimediaunternehmen und Förderung der Vernetzung kleiner
und mittlerer Unternehmen auf ein mit Großunternehmen vergleichbares Niveau. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist die neue Chance von I-Business
und I-Commerce so etwas wie das Fenster zum Weltmarkt, und deshalb gibt es mehr Chancen gerade auch
für den Mittelstand. Da aber die Quote derer, die im
Mittelstand das Internet nutzen, noch gering ist, haben
wir zusammen mit den Kammern und Consultants
Kompetenzcenter eingerichtet, um diese Unternehmen
auf die neue Entwicklung vorzubereiten. Außerdem haben wir Gründerwettbewerbe gestartet, die eine große
Resonanz erfahren haben.
Viertens. Förderung der Verbreitung neuer Technologien durch eine intelligente und moderne Regulierungspolitik. Innovationen in der Telekommunikation sollen
größtmögliche Entfaltungsspielräume erhalten. Für die
dritte Generation des Mobilfunks, UMTS, mit der auch
das drahtlose Internet, also die nächste Generation des
Internet möglich wird, wird die Lizenzvergabe Anfang
2000 durchgeführt.
Fünftens. Fortentwicklung des Ordnungsrahmens für
Information, Kommunikation und Medien. Die durch
die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien angestoßenen Entwicklungen werden dazu führen,
daß früher getrennte Bereiche wie Telekommunikation,
Informationstechnik und Medien immer stärker zusammenwachsen, daß es hier einen Konvergenzprozeß gibt.
Diesen Entwicklungen steht in Deutschland die historisch gewachsene dezentrale Struktur der Aufsichtsbehörden etwa im Bereich der Telekommunikation, der
Medien sowie des Jugend- und Datenschutzes teilweise
noch entgegen. Der derzeitige Medienordnungsrahmen
mit der Aufteilung der Angebote in Informations- und
Kommunikationsdienste, Tele- und Maildienste und
klassischen Rundfunk gibt einen pragmatischen entwicklungsoffenen Weg vor, um den besonderen Anforderungen einer sich verändernden Medienlandschaft gerecht zu werden.
Gleichwohl ist abzusehen, daß die inhaltliche Differenzierung der Medienangebote auf Grund der fortschreitenden wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung neue Fragen aufwirft. Deshalb wird die Bundesregierung Gespräche mit den Ländern über die
Struktur der künftigen Zusammenarbeit auf diesem
Sektor suchen. Ziel dieser Gespräche ist es, unter Beachtung der jeweiligen Kompetenzen gemeinsame Vorschläge für eine zukunftsfähige Fortentwicklung des nationalen Ordnungsrahmens unter Einbeziehung der wirtschaftlichen, technologischen und internationalen Entwicklungen zu machen.
Bei der beschleunigten Nutzung und Verbreitung der
neuen Informations- und Kommunikationsmedien geht
es um mehr Wachstum und Beschäftigung. Um die betreffenden Potentiale wirklich ausschöpfen zu können,
müssen wir alle Chancen wahrnehmen, die mit der Anwendung der neuen Technologien in der Gesellschaft,
im Staat und in der Wirtschaft verbunden sind. Hierzu
zählen unter anderem innovative Anwendungen im Gesundheitswesen und in der Verkehrstelematik, die Verbesserung der staatlichen Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger oder etwa die elektronische Steuerverwaltung.
Abschließend, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auf den Maßnahmen der Bundesregierung können andere Initiativen aufbauen. Von
den Diskussionen mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit“ sowie
von der Initiative „Deutschland 21 - ein neuer Typ von
Innovationspartnerschaft der Wirtschaft mit dem Staat“
- die Wirtschaft hat den Bundeskanzler gebeten, an dieser wichtigen Initiative für Deutschland federführend
mitzuwirken und den Beiratsvorsitz zu übernehmen;
diese Initiative soll die Aktivitäten in der Wirtschaft zu
einer gemeinsamen Offensive zusammenführen - versprechen wir uns einen besonderen Schub für die Innovationsentwicklung in Deutschland.
Wir wollen die Vorsprünge anderer Länder aufholen.
Wir wollen in der Zukunft zur ersten Adresse der Multimediabranche werden. Wir wollen einen Spitzenplatz
in diesem Bereich.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Ich bitte zunächst darum, Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet worden ist.
Als erster hat der Kollege Dr. Martin Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr
Staatssekretär, wir gehen gemeinsam davon aus, daß die
Informations- und Kommunikationstechnik in allen Lebensbereichen, so schreibt es auch die Bundesregierung,
zu dramatischen Veränderungen führen wird. Ich stelle
die Frage, ob die Antwort der Bundesregierung diesen
Herausforderungen gerecht wird. In der Antwort der
Bundesregierung ist ein ganz wichtiges Thema ausgespart, nämlich die Veränderungen in der allgemeinen
Sozialgesetzgebung. In dem Land, in dem die Informations- und Kommunikationstechnologien am weitesten
fortgeschritten sind, in den USA, hat ein großer Handlungsspielraum im Arbeits- und Sozialrecht diese Entwicklung ermöglicht.
Nach der Lektüre des Berichts der Bundesregierung,
soweit sie mir in der kurzen Zeit möglich war, habe ich
weder das Wort „Deregulierung“ noch einen einzigen
Ansatz gefunden, wie Sie den Arbeitnehmern in den
neuen Dienstleistungs- bzw. Hard- und Softwarefirmen
den Übergang vom Arbeitnehmerverhältnis in die Selbständigkeit erleichtern wollen. Im Gegenteil, die Bundesregierung und die Koalition haben mit der Gesetzgebung zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit diesen
Übergang erschwert. Was plant die Bundesregierung in
diesem Bereich?
Lieber Herr
Kollege Mayer, die Bundesregierung kann nur auf
Fragen antworten, die ihr gestellt worden sind; sonst
würden wir einer Großen Anfrage nicht gerecht werden.
Es ist richtig, daß wir uns in vielen Aspekten international umsehen müssen. Seattle ist von Berlin ungefähr
9 600 Kilometer entfernt. Es gibt in dem Heimatstaat
von Bill Gates durchaus einen Spirit, eine Kultur der
Selbständigkeit. Dies kann für die Gründungskultur, die
wir in Deutschland brauchen, ein Stück weit Vorbild
sein. Sie wissen, daß die Bundesregierung hier nichts
verordnen kann. Es geht darum, wie man sich selbständig macht und wie man eine solche Kultur entwickeln
kann.
Dieses Thema fängt schon in der Schule und in der
Hochschule an. Deshalb bringen das Bundesministerium
für Bildung und Forschung und das Bundesministerium
für Wirtschaft vielfältige Initiativen auf den Weg, um
die Kultur der Selbständigkeit zu fördern. Wir haben mit
einer Reihe von Diskussionen - etwa mit der Deutschen
Ausgleichsbank - die Initiative ergriffen, das Thema der
Förderung von mehr Selbständigkeit in der Schule aufzunehmen. Wir sind der Meinung, daß die Universitäten
in Zukunft nicht nur Quellenstandorte für mehr Bildung
sein dürfen; vielmehr müssen sie auch Quellenstandorte
für den Schritt in die Selbständigkeit und für Neugründungen sein.
Herr Mayer, Sie wissen, daß die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt hat, die einen neuen Entwurf
des Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit
erarbeiten wird. Die Koalitionsfraktionen bereiten das
Gesetzgebungsverfahren vor. Es geht darum, daß durch
die Gesetzeslage eine Kultur der Selbständigkeit, wie
wir sie uns vorstellen, nicht beschädigt wird.
Sie wissen, daß das eigentliche Anliegen dieses Gesetzes ein anderes war. Es stellte sich aber die Frage, ob
es durch dieses Gesetz möglicherweise Auswirkungen
auf diese neuen Typen von Selbständigen gibt, die oftmals von der Universität kommen und mit einem einzigen Auftraggeber beginnen. Dieser Punkt wird korrigiert. Dazu hat die vom Bundesarbeitsminister eingesetzte Kommission unter Leitung von Herrn Professor
Dieterich - auch ich habe mitgewirkt - bereits Vorschläge unterbreitet.
Sie
wollen eine weitere Frage stellen, Herr Kollege Mayer?
Ja.
Bitte
schön.
Herr
Staatssekretär, darf ich Ihnen zur Kenntnis geben, daß es
in Frage 8 heißt:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung, die arbeitsund sozialrechtlichen Vorschriften künftigen Erfordernissen anzupassen?
und daß dann noch eine Erläuterung folgt, daß es eine
umfassende Frage ist, die darauf abzielt, daß für die
Branche der Informations- und Kommunikationstechnik
die zeitweilige Überlassung von Arbeitnehmern und der
Übergang von der abhängigen Beschäftigung in die
Selbständigkeit Kernfragen sind, weil es darauf ankommt, daß Arbeitnehmer, die sich ausgründen, noch
für eine bestimmte Zeit im Betrieb bleiben können, daß
es die verschiedensten Formen der Zusammenarbeit und
des Übergangs gibt, denen das deutsche Sozialrecht gegenwärtig nicht genügend Gestaltungsspielraum bietet,
und daß, unabhängig von dem Problem der Selbständigkeit, der Bundesregierung zu diesem Thema weder im
Aktionsprogramm noch in der Antwort auf die Große
Anfrage irgend etwas eingefallen ist?
Herr
Staatssekretär.
Herr Kollege Mayer, nach meiner Einschätzung, so wie ich die
Branche und auch die Entwicklung kenne, ist dies sicherlich eine wichtige, aber nicht die zentrale Frage. Die
zentralen Fragen stellen sich in den Schulen und an den
Hochschulen und lauten, wie wir Selbständigkeit fördern
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
können, wie man mit Beratung, mit Businessplänen, mit
Business-Angels - Sie kennen die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten, die man überlegt - den Startups helfen kann. Insoweit besteht durchaus die Absicht,
für diese neuen Gründungen, für die Start-ups, soviel
Flexibilität wie möglich zu schaffen, damit sie schnell
ermöglicht werden. Deshalb sind wir im Wirtschaftsministerium gegenwärtig darum bemüht, alles zu tun, um
das Verfahren bei Anmeldung einer Gründung deutlich
zu beschleunigen. In einigen Städten und Gemeinden
Deutschlands hat man das Verfahren der Anmeldung des
Gewerbes bereits enorm beschleunigt, was dazu führt,
daß es inzwischen einen regelrechten Run auf diese
Gemeinden gibt. Wir überlegen gegenwärtig daher auch,
ob man nicht diese Best-Practice-Beispiele, die positiven
Beispiele, hervorheben sollte; denn es ist wichtig, daß
das Genehmigungsverfahren, die Möglichkeit sich selbständig zu machen, befördert wird und daß alles getan
wird, um entsprechende Bürokratien und administrative
Verfahren abzubauen.
Der
Kollege Jürgen Koppelin von der F.D.P.-Fraktion
möchte ebenfalls eine Frage stellen. - Bitte schön, Herr
Koppelin.
Herr Staatssekretär, an
diese Diskussion anschließend - Sie haben auch Amerika angesprochen -, darf ich Sie fragen: Teilen Sie
meine Auffassung, daß dort viele der Unternehmen, die
sich mit den neuen Medien beschäftigen, um es salopp
zu sagen: in Garagen gegründet worden sind, daß wir
aber in Deutschland das Problem haben, noch nicht einmal eine Genehmigung für den Bau einer Garage zu bekommen?
({0})
Lieber verehrter Herr Koppelin, diese alte Bill-Gates-Geschichte,
die wir seit zehn Jahren mit uns herumtragen, ist nach
wie vor richtig. Deshalb wundert es mich auch, daß Sie
nicht schon längst eine Garage angemietet haben, um
sich selbständig zu machen.
Sie haben völlig recht: Es gibt hier administrative
Hemmnisse, die abgebaut werden müssen, denn die jungen Leute fangen nicht in fertigen Fabrikgebäuden, in
fraktalen Fabriken an, sondern meist ganz klein und
meistens mit einem Auftraggeber. Ich finde, wir müssen
alles tun, damit sie ihre Chance bekommen. Deshalb
wollen wir versuchen, die Rahmenbedingungen genau in
diesem Sektor, den ich für sehr beschäftigungsintensiv
halte, entsprechend zu verändern.
Allerdings hängt die Beschäftigungswirkung, also der
Saldo des Beschäftigungseffektes - Herr Mayer, Sie,
Herr Koppelin, und ich haben uns in der EnqueteKommission über einige Jahre hinweg damit befaßt -,
sehr stark davon ab, wie schnell wir sind. Wenn andere
Länder bei der Unterstützung von Selbständigkeit
schneller sind, dann entstehen diese Jobs nicht bei uns.
Deshalb hat die Bundesregierung - dies will ich einmal
hervorheben - in intensiver Zusammenarbeit mit dem
Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits
nach elf Monaten ein Aktionsprogramm vorgelegt, das
die Fachwelt positiv bewertet, weil sie weiß, daß die
Bundesrepublik auf diesem Sektor tatsächlich Nachholbedarf hat.
Wir wollen alles dazu tun, um zur ersten Adresse zu
werden. Dazu gehört auch die Frage, die Sie aufgeworfen haben, Herr Koppelin.
Eine Zusatzfrage, Herr Koppelin? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, nun
wissen wir ja, daß gerade in diesem Bereich vor allem
Existenzgründer oft wenig Geld zur Verfügung haben,
um Unternehmen zu gründen, und von den Banken teilweise keine Kredite bekommen, weil sie keine Sicherheiten haben. Die Frage an Sie lautet also: Was unternimmt die Bundesregierung und wie viele Mittel hat sie
in den nächsten Haushaltsplänen zur Verfügung, um gerade die Gründung dieser Unternehmen zu fördern und
anzustoßen?
Dies
ist eine sehr wichtige Frage, wobei ich Ihnen, Herr
Koppelin, den Hinweis geben möchte, daß sich da etwas
verändert hat. Ich registriere sehr aufmerksam und mit
großem Interesse, daß mittlerweile viele amerikanische,
asiatische und australische Venture Capital Häuser einen
Standort in Deutschland suchen, weil es insbesondere in
Amerika die Erkenntnis gibt - da gibt es sehr viel breit
gestreutes Chancenkapital -, daß man in Europa aufgewacht ist, daß in Europa auf einmal etwas in Bewegung
kommt. Das gilt keineswegs nur für Deutschland. Das
können Sie auch in Großbritannien und in einigen anderen europäischen Ländern, zum Beispiel in Dänemark,
sehen. Die Skandinavier sind auf diesem Sektor ungeheuer dynamisch.
Das heißt, daß es auf der einen Seite inzwischen erhebliche Anstrengungen von VC-Companies, Venture
Capital Companies, gibt, in Deutschland eine Niederlassung zu gründen, um Chancenkapital nach Deutschland
zu bringen, weil es hier offensichtlich Möglichkeiten
gibt. Auf der anderen Seite besteht jedoch durchaus das
Problem, Herr Koppelin, daß die deutschen Banken immer noch zurückhaltend sind.
Das ist übrigens ein Grund dafür, warum wir vor wenigen Wochen zusammen mit der Deutschen Ausgleichsbank ein neues Konzept vorgelegt haben, das
insbesondere für Gründungen kleiner Unternehmen ganz
wichtig ist und das inzwischen eine große Beachtung gefunden hat. Dies ist das sogenannte Startgeld. Wir haben
jetzt mit diesem Startgeld die Möglichkeit geschaffen,
Projekte von bis zu 100 000 DM mit sehr zinsgünstigen
Darlehen zu fördern. Wir bieten der Hausbank des jeweiligen Petenten bzw. Kunden über die Deutsche Ausgleichsbank an, daß 80 Prozent der notwendigen SicherParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
heiten bei der Ausgleichsbank liegen. Ein wichtiger
Punkt in administrativen Verfahren von Hausbanken ist
es immer gewesen, daß erst einmal alle erforderlichen
Sicherheiten vorliegen müssen. Dies hat dazu geführt,
daß das neue Konzept eines Startgeldes eine enorme Resonanz ausgelöst hat und ein bißchen die von Ihnen angesprochene Lücke schließt, die aber nach wie vor besteht.
Eine
weitere Frage des Kollegen Dr. Martin Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion. - Herr Mayer, bitte.
Herr
Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
daß die vorhin angesprochene Frage der Kapitalbeschaffung bereits durch die frühere Bundesregierung auf
einen guten Weg gebracht worden ist und daß die jetzige
Entwicklung in Europa zu einem wesentlichen Teil auch
auf Initiativen der früheren Bundesregierung zurückzuführen ist?
Ich möchte eine Anmerkung hinzufügen: Sie haben
vorhin meine Frage sehr elegant umgangen. Es geht darum, daß es im deutschen Sozialversicherungssystem nur
ein Schwarz oder Weiß gibt: Entweder ist jemand abhängig beschäftigt oder selbständig. Der eine befindet
sich voll im System der Rentenversicherung, der Krankenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der
Unfallversicherung; der andere befindet sich außerhalb
dieser Systeme. Aber gerade diese neu wachsende Branche der Selbständigen bräuchte eigentlich eine Brücke
vom einen System zum anderen. Ich stelle fest, daß im
Bericht der Bundesregierung zu dieser Brückenfunktion
sowie zu Innovationen und Kreativität, die im Hinblick
auf das Sozialversicherungssystem notwendig wären,
nichts enthalten ist.
Lieber
Kollege Mayer, wenn Sie feststellen, daß es in
Deutschland offensichtlich ein sehr statisches Verhältnis
zwischen Vollbeschäftigten- bzw. Angestelltenverhältnissen und der Selbständigkeit gibt, dann ist das nach
den vielen Jahren Ihrer Regierung eine traurige Bilanz.
Aber Sie haben recht: Wir müssen Brücken bauen.
Wir brauchen sehr viel mehr Flexibilität. Es wird in Zukunft - das wissen wir beide - immer mehr unterbrochene und im Unterschied zur Vergangenheit veränderte
Biographien geben. Es wird Biographien geben, bei denen es nicht mehr so ist, daß der Maschinenschlosser
seine Lehre macht, 40 Jahre lang in einem Unternehmen
arbeitet und hinterher dort noch seinen Jungen unterbringt. Es wird also neue Biographien geben. Es gibt
auch Biographien, in denen Zeiten der Selbständigkeit,
der Teilzeit- und der Vollzeitbeschäftigung vorkommen.
Sie haben also völlig recht: Wir müssen Brücken bauen.
Da ist auch das Sozialrecht gefordert; das ist überhaupt
keine Frage. Hier müssen wir experimentieren und Erfahrungen sammeln. Dann müssen wir versuchen, Lösungen anzubieten.
Was das Venture Capital, die Leistungen, Erfahrungen und Erfolge der alten Regierung angeht, will ich
wirklich nicht auf die Frage der Datenautobahn und den
Verweis des früheren Bundeskanzlers auf den Verkehrsminister zurückkommen. Wir haben Anstrengungen unternommen.
({0})
- Ich spreche nur von dem Klima, das es durchaus gab.
Es gab doch Probleme. Wir haben jetzt aufgeholt. Ich
weiß auch, daß Sie eine Reihe von Initiativen ergriffen
haben. Wir alle wissen aber, daß wir, wenn wir uns mit
den Skandinaviern, den Briten, Amerikanern und Kanadiern vergleichen, wirklich einen Nachholbedarf haben.
Den wollen wir gemeinsam angehen.
Ich darf jetzt die Gelegenheit nutzen, Herr Präsident,
noch eine Frage, die Herr Koppelin angeschnitten hat
und die ich noch nicht beantwortet habe, zu beantworten. Wir haben, was die Haushaltsmittel angeht, tatsächlich Konsequenzen aus der Prioritätensetzung gezogen.
Wir haben ausdrücklich gesagt, daß wir trotz der Sparzwänge und der schwierigen finanziellen Situation, in
der wir uns befinden, den Multimediabereich in unserem
Ministerium so positionieren wollen, daß es keine Einbrüche geben wird. Für diese neuen Technologiegebiete
streben wir eine Erhöhung der Fördermittel im Jahr
2000 um 10 Millionen auf 47 Millionen DM an. Darüber
hinaus ist ein weiterer Aufwuchs im Rahmen der von
der Bundesregierung geplanten Innovationsmilliarde
vorgesehen.
Sie wissen, wir haben alle gemeinsam bedauert, daß
der Forschungs- und Technologieetat in den letzten Jahren real um 30 Prozent gesenkt wurde. Deshalb hat die
neue Bundesregierung, haben der Bundeskanzler und
der Finanzminister mit den Ressorts entschieden, jedes
Jahr eine zusätzliche Innovationsmilliarde vorzusehen.
Diese wird im Wettbewerb zwischen dem Bundesbildungsministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium vergeben, um genau in diesem Sektor die notwendigen Prioritäten setzen zu können. Das heißt: Wir sparen
nicht nur gezielt, sondern wir investieren auch intelligent mit diesen zusätzlichen, allerdings begrenzten Mitteln. Deshalb, Herr Koppelin, ist es wichtig, daß wir
darauf achten, daß diese Dinge - ich sage das in Richtung Haushalt - nicht unter die Räder kommen.
Gibt es
weitere Fragen zu diesem Themenbereich? - Das ist
nicht der Fall. Dann schließen wir diesen Bereich ab.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Mosdorf.
Es verbleiben jetzt noch einige Minuten, um Fragen
zu anderen Themenbereichen zu stellen. Der Kollege
Manfred Grund, von der CDU/CSU-Fraktion, hat sich
zu Wort gemeldet. - Bitte schön, Herr Grund.
In der Tagesordnung
der Kabinettssitzung war ursprünglich vorgesehen, das
Investitionsprogramm des Bundes 1999 bis 2002 zu behandeln. Da das Investitionsprogramm betreffend die
Verkehrswege zwischen den Koalitionsfraktionen offenParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
sichtlich strittig ist, ist dieser Tagesordnungspunkt für
die heutige Kabinettssitzung abgesetzt worden. Mich
würde interessieren, ob das Investitionsprogramm trotz
der Absetzung in der Kabinettssitzung eine Rolle gespielt hat.
Wer ist
bereit, zu antworten? - Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, der Bundesverkehrsminister hat
in der Kabinettssitzung über den Entwurf des Investitionsprogramms berichtet. Einige Detailfragen sind noch
zu klären. Ich gehe davon aus, daß das Bundeskabinett
in der nächsten Woche über das Investitionsprogramm
beschließen wird.
Gehen Sie davon aus,
daß das Investitionsprogramm, so wie es in dieser Woche vorgelegen hat, auch in der nächsten Woche eingebracht werden wird?
Es wird in seinen Grundzügen, was das Investitionsvolumen und die Herstellung der Planungssicherheit für Länder und Kommunen anbelangt, in der nächsten Woche voraussichtlich verabschiedet werden.
Ich habe noch eine
Nachfrage. Wird es Verschiebungen zwischen den Projekten, die die Schiene und die die Straße betreffen, geben?
Ich kann den Beratungen zwischen den Koalitionsfraktionen und dem Kabinett nicht vorgreifen, aber
wir werden Sie gerne in der nächsten Woche an dieser
Stelle über die Beratungen informieren.
Eine
weitere Frage des Kollegen Michelbach von der
CDU/CSU-Fraktion.
Heute vormittag
gab es eine Tickermeldung von ADN und AFP, daß der
Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Struck, die Aufhebung des Bankgeheimnisses durch die Herausgabe von
Kontrollmitteilungen der Banken einführen möchte.
Gleichzeitig hat er sich für eine Erbschaftsteuererhöhung ausgesprochen.
Meine Frage hierzu ist: Werden durch diese neuerliche Besteuerung von Kapitaleinkünften und die von den
Banken eingeforderten Kontrollmitteilungen nicht die
Rechte zum Schutz der Banken und der Anleger erheblich eingeschränkt? Kontrollmitteilungen in der von
Herrn Struck gewünschten Form wären doch letztlich
dazu geeignet, in- und ausländische Anleger aus dem
Lande zu verjagen. Vielleicht könnte man mir hierzu
von seiten des Wirtschafts- bzw. Finanzministeriums die
entsprechenden Folgen aufzeigen.
Zunächst einmal kann die Bundesregierung keine Fragen
nach Plänen von Fraktionen beantworten. Es müßte
eigentlich gefragt werden, ob die Bundesregierung diese
Pläne übernimmt. Dann ist immer noch offen, ob jemand von Seiten der Bundesregierung anwesend ist, der
diese Frage beantworten kann.
({0})
Herr Mosdorf, sind Sie in der Lage, diese Frage zu beantworten?
({1})
- Das Kanzleramt? Dann Herr Bury, bitte schön.
Herr Kollege Michelbach, das Kabinett hat keine diesbezüglichen Pläne diskutiert.
({0})
Herr
Michelbach, möchten Sie eine weitere Frage stellen?
Ich möchte Herrn
Staatssekretär Mosdorf fragen, wie er aus wirtschaftspolitischer Sicht eine solche Vorgehensweise - Einführung von Kontrollmitteilungen und Erbschaftsteuererhöhung - beurteilen würde.
Herr
Staatssekretär Mosdorf.
Eine Antwort darauf würde die heutige Sitzung sprengen. Deshalb möchte ich Ihnen nur mitteilen, daß wir grundsätzlich keine Tickermeldungen kommentieren.
({0})
Es liegt
eine weitere Frage des Kollegen Jürgen Koppelin von
der F.D.P.-Fraktion vor. Vielleicht könnten Sie sagen,
an wen aus der Bundesregierung sich Ihre Frage richtet.
Das muß die Bundesregierung selber entscheiden, wenn ich die Frage gestellt
habe. Ich möchte da nicht vorgreifen.
In diesen Tagen wurde ja über die Lieferung eines
Testpanzers an die Türkei diskutiert. Wurde in diesem
Zusammenhang innerhalb der Bundesregierung über die
Handhabung des Koalitionsvertrages gesprochen? Auf
den letzten Seiten steht dort ja geschrieben, daß man bei
Abstimmungen keinen Koalitionspartner überstimmen
will. Hat im Kabinett außerdem die Geschäftsordnung
des Kabinetts eine Rolle gespielt, gemäß der nicht nach
außen dringen soll, wer wie bei Entscheidungen des Kabinetts gestimmt hat, sondern dieses vertraulich bleiben
soll?
Wer von
seiten der Bundesregierung möchte antworten? - Für das
Kanzleramt Herr Kollege Bury, bitte schön.
Herr Kollege Koppelin, beides hat in der heutigen Sitzung des Kabinetts keine Rolle gespielt.
Eine Zusatzfrage, Herr Koppelin, bitte schön.
({0})
Ich möchte dann fragen,
warum das keine Rolle gespielt hat und warum man
sich, wenn die Geschäftsordnung bekannt ist, nicht daran gehalten hat.
Herr
Staatsminister Bury.
Herr Kollege Koppelin, die in Ihrer Frage enthaltene Unterstellung weise ich zurück.
({0})
Außerdem möchte ich Ihnen sagen, daß die Bundesregierung die Themen der Kabinettsitzung unabhängig
von den Wünschen der F.D.P.-Oppositionfraktion festlegt.
({1})
Der
Kollege Manfred Grund möchte eine weitere Frage
stellen.
Ich habe die Nachricht
bekommen - ich frage das auch auf die Gefahr hin, noch
einmal eine Tickermeldung zitieren zu müssen -, daß
die Bundesregierung das Sparpaket in zustimmungspflichtige und nicht zustimmungspflichtige Teile auseinanderschnüren will. Diese Absicht hat wohl der Bundesfinanzminister, glaube ich, heute geäußert. War diese
Maßnahme Gegenstand der Kabinettsitzung? Kann das
die Bundesregierung bestätigen?
({0})
Zur
Aufklärung darf ich darauf hinweisen, daß der Finanzausschuß zur gleichen Zeit tagt. Die Frau Staatssekretärin Hendricks ist meines Wissens dort.
({0})
- Schön, daß Sie kommen. Ich wollte Sie gerade in
Schutz nehmen. Da Sie nun anwesend sind, bitte ich
Herrn Grund, seine Frage zu wiederholen.
Frau Staatssekretärin,
nach neuesten Meldungen soll die Bundesregierung beabsichtigen, das Sparpaket in zustimmungspflichtige
und nicht zustimmungspflichtige Teile aufzuschnüren.
Das wäre eine neue Entwicklung, die einen anderen
Diskussionsstand mit sich brächte. Können Sie dies bestätigen?
Frau
Staatssekretärin, bitte.
Ja, Herr Kollege, das
kann ich bestätigen.
Danke schön.
Gibt es
weitere Fragen an die Bundesregierung? - Herr Kollege
Michelbach, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, wird im Bundesministerium der Finanzen an einer
Einführung von Kontrollmitteilungen im Bankenbereich
und an einer Erhöhung der Erbschaftsteuer gearbeitet?
Frau
Staatssekretärin, bitte schön.
Herr Kollege Michelbach,
was die Zinsbesteuerung anbelangt, so legen wir großen
Wert darauf, zu einer europäischen Regelung zu kommen. Morgen wird es in Brüssel eine weitere Besprechung zum sogenannten „tax package“ geben, in der die
einheitliche Zinsbesteuerung in Europa eines der
Hauptthemen sein wird. Dies ist unser vorrangiges Ziel.
Sollten wir auf der europäischen Ebene nicht zu Lösungen kommen, werden wir über andere Wege nachdenken
müssen. Mit anderen Worten: Zur Zeit wird nicht an anderen Lösungen gearbeitet.
Die zweite Frage, die Sie gestellt haben, ist in diesem
Hause schon einmal erörtert worden. Es gibt eine Kommission von Fachleuten aus Bund und Ländern, die sich
mit der Bewertung von Grundvermögen befaßt. Diese
Bewertung von Grundvermögen ist unter verfassungsrechtlichen Aspekten notwendig, weil wir, wie wir ja
aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur
Vermögensbesteuerung wissen, zu einer einheitlichen
Bewertung sowohl des Grundvermögens als auch anderer Vermögen kommen müssen. Damit ist aber keine
Vorentscheidung darüber gefallen, ob eine Neubewertung von Grundvermögen etwa bei der Erbschaftsteuer
Platz greifen sollte. Eine solche Bewertung hinsichtlich
der Grundsteuer ist aber auf auf jeden Fall zeitnah und
unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben erforderlich.
Herr
Michelbach, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, Sie können also nicht dementieren und ausschließen,
daß die heute vormittag in Tickermeldungen verbreiteten Vorstellungen des Fraktionsvorsitzenden Struck zur
Einführung von Kontrollmitteilungen - diese würden eine Aushebelung des Bankgeheimnisses bedeuten - und
zur Erhöhung der Erbschaftsteuer umgesetzt werden?
Herr Kollege Michelbach,
Sie haben mich vorhin gefragt, ob im Finanzministerium
an diesen Vorschlägen gearbeitet wird. Dies habe ich
verneint und dazu eine Begründung geliefert. Ich habe
Ihnen ferner gesagt, daß das Finanzministerium bzw. der
Gesetzgeber möglicherweise über andere Wege nachdenken muß, wenn wir auf der europäischen Ebene nicht
vorankommen. Dieser Weg wird aber dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten sein. Unsere erste Zielrichtung bleibt, auf der europäischen Ebene zu einer einheitlichen Besteuerung der Zinserträge zu kommen, wie
es dem Vorschlag der EU-Kommission entspricht und
wie es die große Mehrheit der EU-Mitgliedsländer
möchte.
Es gibt aber noch gewisse Widerstände zu einzelnen
Punkten - Stichwort: Euro-Bonds - in Großbritannien.
In Luxemburg gibt es hinsichtlich der Investmentfonds
gewisse Widerstände. Ob diese Widerstände zu überwinden sein werden, wird sich bis zum europäischen
Gipfel Anfang Dezember dieses Jahres in Helsinki zeigen. Wenn wir dann in diesen Fragen nicht vorwärtskommen, muß sich der Gesetzgeber überlegen, ob er
nicht zu nationalen Maßnahmen greift. Eine Vorentscheidung in dieser Frage gibt es also nicht.
Ich muß aber der Ehrlichkeit halber sagen, daß ich
andere Maßnahmen heute nicht vollständig ausschließen
kann, weil ich dem Bundesgesetzgeber natürlich nicht
vorgreifen kann. Ich sage noch einmal: Unser angestrebtes Ziel ist eine einheitliche europäische Regelung.
So viel zu Ihrer Frage bezüglich der Kontrollmitteilungen.
Von einer höheren Erbschaftsbesteuerung kann nicht
die Rede sein. Wenn es aber dazu kommt, daß eine verfassungsgemäße Überprüfung der Bewertung von
Grundbesitz tatsächlich angezeigt erscheint, so wäre die
Folge nicht eine Erhöhung der Erbschaftsteuer, sondern
sozusagen eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
auf verfassungsrechtlich gebotener Basis.
Es
verbleiben jetzt noch anderthalb Minuten für die Regierungsbefragung. Es kann daher nur noch eine kurze Frage gestellt werden. Herr Michelbach, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, bedeutet nicht eine solche Verbreiterung der Bemessungsgrundlage für den Steuerzahler, daß er eine höhere
Erbschaftsteuer auf Grund der Neubewertung zu entrichten hat?
Herr Kollege Michelbach,
Sie dürfen nicht vergessen, daß es hinsichtlich der Erbschaftsteuer sehr hohe Freibeträge gibt. Wenn man zu
einer Neubewertung des Grundbesitzes käme, würde
man diese Freibeträge entsprechend anheben. Es geht
dem Bundesgesetzgeber nämlich nicht darum, zum Beispiel das Vererben eines normalen Einfamilienhauses
auch in einer teuren Wohngegend höher zu besteuern.
Darum geht es nicht. Das will ich ausdrücklich ausschließen. Wenn es tatsächlich zu einer Neubewertung
des Grundbesitzes käme, würden sicherlich zugleich die
Freibeträge für nahe Familienangehörige angehoben
werden.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/1836 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Cornelie SonntagWolgast zur Verfügung.
Zunächst rufe ich die Frage 1 des Abgeordneten
Dietmar Schlee von der CDU/CSU-Fraktion auf:
Kann die Bundesregierung einen Bericht der „Stuttgarter
Nachrichten“ vom 4. September 1999 bestätigen, wonach in
jüngster Zeit Schleuserbanden, vermehrt Chinesen, die als
Touristengruppe getarnt sind, illegal auf dem Luftweg nach
Deutschland einschleusen und hierzu die Geschleusten mit
Schengen-Visa ausstatten, die von der griechischen Botschaft in
Hongkong ausgestellt werden?
Die Antwort der
Bundesregierung lautet, daß dieser Bericht der „StuttParl. Staatssekretär Dr. Barbara Hendricks
garter Nachrichten“ zutreffend ist. Sie sind also tatsächlich auf dem Luftweg unerlaubt nach Deutschland eingereist. Darunter befanden sich auch chinesische Reisegruppen, die über Schengen-Visa der griechischen Botschaft in Hongkong verfügten. Brennpunkte bildeten die
Flughäfen München mit insgesamt 94 und Stuttgart mit
61 festgestellten chinesischen Staatsangehörigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte schön.
Frau Kollegin, hat die
Bundesregierung Hinweise, daß solche Gruppen von
Chinesen auch in andere Schengen-Staaten eingereist
sind, oder ist das ein deutsches Problem?
Es ist kein deutsches Problem, sondern ein Problem der SchengenStaaten. Man muß dazu sagen, daß die Neigung, daß
Chinesen auf dem Wege über Touristenvisa versuchen,
in Schengen-Staaten einzureisen, schon seit etwa zehn
Jahren, seit 1989, zu beobachten ist. Die Hauptursache
ist natürlich wirtschaftliche Not. Dieses Motiv ist bis in
die jüngste Zeit hinein zu beobachten.
Eine
weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
diese Reisen werden formell offensichtlich von Reisebüros abgewickelt. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse,
wer hinter diesen Reisebüros steht? Es müssen Drahtzieher am Werke sein, da dies in konzertierten Aktionen
vorangetrieben wird. Allein im Raum Stuttgart wurden
in wenigen Wochen weit mehr als 100 Flüchtlinge aufgegriffen.
Es ist tatsächlich
so, daß professionelle Schleuserorganisationen am Werke sind und daß sie gefälschte oder verfälschte Pässe
asiatischer Herkunft zur Einreise in den europäischen
Raum verwenden. Bei den Auslandsvertretungen der
Schengen-Staaten werden für solche fiktiven Reisegruppen - es sind im allgemeinen Menschen, die mit Touristenvisa ausgestattet sind - Schengen-Visa beantragt.
Tatsächlich ist, wie Sie in Ihrer ersten Frage angesprochen haben, die Auslandsvertretung Griechenlands ein
Schwerpunkt.
Das sieht dann so aus, daß die „Reisegruppen“ mit
vorbereiteten Papieren auch in die Bundesrepublik
Deutschland kommen. Wenn bei den Einreisekontrollen
die Papiere eindeutig als Fälschungen erkannt werden,
dann wird von den Ermittlungsbehörden ein entsprechendes Strafverfahren eingeleitet und werden die Betroffenen in Absprachen mit den örtlich zuständigen
Staatsanwaltschaften in den Transit- oder in den Herkunftsstaat zurückgewiesen. Wenn eine Fälschung nicht
eindeutig feststellbar ist, muß ihnen die Einreise tatsächlich erst einmal gestattet werden.
Wir
kommen zur Frage 2 des Kollegen Schlee:
Wenn ja, was hat die Bundesregierung zur Verhinderung
weiterer Einreisen dieser Art unternommen, und entspricht die
Ausstellung der Schengen-Visa durch die griechische Botschaft
in Hongkong den Schengen-Vereinbarungen, insbesondere vor
dem Hintergrund, daß es sich um gefälschte Pässe gehandelt haben soll?
Die Reiseunternehmen sind bereits Gegenstand von Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Einschleusung chinesischer Staatsangehöriger. Die jeweils zuständige Grenzschutzdirektion sammelt und koordiniert die bisher gewonnenen Erkenntnisse. Darüber hinaus informierte die
Grenzschutzdirektion bereits im Juni/Juli dieses Jahres
die Schengen-Contact-Points über diesen Modus operandi. Der Sachverhalt wurde auch in den entsprechenden EU-Gremien erörtert. Ende September 1999 erfolgte
die Unterrichtung von Interpol durch die Grenzschutzdirektion. Sie sensibilisierte auch die Grenzdienststellen
hinsichtlich der Einschleusungsversuche chinesischer
Personengruppen. Seit Anfang Oktober sind derartige
Touristengruppen nicht mehr in Erscheinung getreten.
Wir hoffen, daß die eingeleiteten Maßnahmen einen ersten Erfolg gezeigt haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Schlee.
Frau Staatssekretärin,
die Visa sind offensichtlich vom griechischen Generalkonsulat in Hongkong ausgestellt worden. Hat die Bundesregierung diese Thematik mit der griechischen Regierung erörtert? Das scheint mir auch deshalb wichtig
zu sein, weil, zumindest was die Flugreisen angeht, klar
ist, daß diese Gruppen über Athen nach Deutschland
eingereist sind.
Ich gehe davon aus,
daß die Bundesregierung so gehandelt hat. Ich kann Ihnen auch sagen, daß griechische Agenturen dabei tatsächlich eine große Rolle spielten und daß wir in der
Zeit vom 12. März 1999 bis zum 21. Juli 1999 in
Deutschland acht solcher Touristengruppen mit Schengen-Visa festgestellt haben, die über das griechische
Generalkonsulat in Hongkong das Visum erhalten haben
und besonders auffällig in Erscheinung getreten sind.
Darunter waren 227 sogenannte ethnische Chinesen.
Davon hatte wiederum ein Viertel gefälschte Pässe. Das
ist ein Thema - ich wollte es Ihnen nur noch einmal bestätigen -, das in den entsprechenden Gremien der EU
und auf den Wegen, die wir zur Verfügung haben, intensiv erörtert wird.
Parl. Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast
Herr
Schlee, eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben gesagt, Sie gingen davon aus, daß die Bundesregierung die Problematik mit der griechischen Regierung besprochen hat. Wären Sie bereit, mir schriftlich
die Frage zu beantworten, wann und wie das abgelaufen
ist? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir in der
schriftlichen Antwort auch Auskunft darüber erteilen
könnten, ob diese Thematik auf die Tagesordnung der
nächsten EU-Innen- und Justizministerkonferenz gesetzt
wird; denn es gibt offensichtlich Anhaltspunkte dafür,
daß sich diese Einreise in den letzten Wochen fortgesetzt hat.
Wir werden Ihnen
die entsprechenden Informationen über den aktuellen
Stand zukommen lassen. Ich will nur noch einmal daran
erinnern, daß sich diese Welle seit Anfang Oktober offensichtlich beruhigt hat. Natürlich beschäftigen wir uns
trotzdem weiterhin intensiv mit dieser Frage.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin Sonntag-Wolgast.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Die Frage 3 soll schriftlich beantwortet werden.
Deswegen kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Michelbach
auf.
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung zu der Erhöhung der Erbschaftsteuer durch eine Veränderung der Bewertungen von Immobilien und zur Wiedereinführung der Vermögensteuer bzw. -abgabe?
Herr Kollege Michelbach,
eine interne Untersuchung der Finanzverwaltung zeigt,
daß das derzeitige Bewertungsverfahren für Grundstükke bei der Erbschaftsteuer zu einer insgesamt niedrigen
Erfassung, zugleich auch zu einer starken Streubreite der
Werte, gemessen an den Verkehrswerten, führt. Wir prüfen, ob diese Bewertung den Geboten des Verfassungsrechts entspricht. Sollte dies nicht der Fall sein, müßte
das geändert werden. Insofern komme ich auf die eben
in der Regierungsbefragung von Ihnen gestellte Frage
zurück.
Die Bundesregierung hat im übrigen eine Sachverständigenkommission einberufen, die die Grundlage für
eine wirtschafts- und sozialpolitisch sinnvolle Vermögensbesteuerung schaffen soll. Die Kommission befaßt
sich mit der Bewertung des Grundbesitzes und arbeitet
Vorschläge für ein einfaches Bewertungsverfahren aus.
Sie wird ihre Arbeit voraussichtlich im Frühjahr des
nächsten Jahres beenden. Erst dann kann entschieden
werden, ob und in welcher Weise an der gegenwärtigen
Vermögensbesteuerung Änderungen vorgenommen werden sollen.
Sowohl für die derzeit nicht erhobene Vermögensteuer wie auch für die Erbschaftsteuer gilt im übrigen, daß
das Aufkommen ausschließlich den Ländern zusteht. Es
wäre daher nach Auffassung der Bundesregierung Sache
der Länder, bezüglich dieser Steuerarten Initiativen mit
dem Ziel einer Gesetzesnovellierung zu entfalten.
Wollen
Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Michelbach?
Frau Staatssekretärin, Ihre Aussage bezüglich der Länder beinhaltet nicht
die Erhebung einer Vermögensabgabe, die dem Bund
allein zustehen würde. Wie sehen Sie die Entwicklung
der Forderung nach Erhebung einer solchen Vermögensabgabe, und wie sehen Sie den verfassungsrechtlichen Hintergrund?
Herr Kollege Michelbach,
die Entwicklung der Forderung vermag ich aus Sicht der
Bundesregierung nicht zu bewerten. Verfassungsrechtlich ist die Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe zumindest zweifelhaft. Sie scheint völlig unzweifelhaft dann zu sein, wenn sie zur unmittelbaren Behebung
zum Beispiel von Kriegsfolgelasten dient. Das hat es in
der Bundesrepublik Deutschland auch schon gegeben.
Sie ist aber offenbar verfassungsrechtlich nicht zulässig,
wenn sie den Bedürfnissen des Staates in der Weise
dient, daß sie sowieso durch den Staat zu leistende Ausgaben sozusagen anderweitig finanziert.
Weitere Zusatzfrage, Herr Michelbach? - Das ist nicht der
Fall.
Dann kommen wir zur Frage 5 des Kollegen Dr.
Michael Meister:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die unterschiedliche
steuerliche Behandlung von dieselölbetriebenen und erdgasbetriebenen Binnenschiffen einander anzugleichen?
Die Bundesregierung
sieht keine Veranlassung, die Besteuerungspraxis für
Binnenschiffe im gewerblichen Verkehr zu ändern, da
andere Kraftstoffe als Dieselkraftstoffe bzw. schweres
Heizöl nach der Rheinschiffsuntersuchungsordnung, die
für die Binnenschiffahrt im gesamten Bundesgebiet bindend ist, aus Sicherheitsgründen nicht zugelassen sind.
Im privaten, nichtgewerblichen Schiffsverkehr, zum
Beispiel für Sportboote, ist jegliche Steuerbegünstigung
ausgeschlossen. Insofern findet keine steuerliche Ungleichbehandlung statt, da hier auch die herkömmlichen
Kraftstoffe, in der Regel Otto-Kraftstoffe, der vollen Besteuerung unterliegen.
Herr
Meister, bitte Ihre Zusatzfrage.
Herr Präsident!
Frau Staatssekretärin, da möchte ich gerne nachfragen.
Es gab dazu eine Stellungnahme aus dem Bundesfinanzministerium zur Zeitschrift „Binnenschiffahrt“ vom
September 1999. Dort hat ein Mitarbeiter des Finanzministeriums auf die Anfrage der Redaktion geantwortet:
„Es hat schlicht und einfach niemand daran gedacht, daß
Gas auch als Treibstoff eingesetzt werden kann.“ Dies
wurde als Begründung wörtlich auf die Frage gesagt,
weshalb man Dieselkraftstoff als Treibstoff begünstigt
und Erdgas nicht. In der Antwort wurde wohl durchaus
unterstellt, daß es möglich sei, Erdgas als Treibstoff zu
nutzen. Darf ich Sie fragen, ob das eine Fehlinformation
an die Zeitschrift war und ob Sie das noch einmal überprüfen wollen?
Herr Kollege, ich weiß
nicht genau, wer diese Antwort gegeben hat. Aber da ist
man offenbar von falschen rechtlichen Voraussetzungen
ausgegangen. Wir haben uns auf Grund Ihrer Frage natürlich sachkundig gemacht; das ist ja nicht unser tägliches Brot. Aber nach Auskunft des Bundesverbandes
der Deutschen Binnenschiffahrt e. V. und der Zentralstelle Schiffsuntersuchungskommission ist unter anderem Erdgasantrieb bei Binnenschiffen strikt untersagt.
Für Schiffe im gewerblichen Verkehr zur Beförderung
von Personen oder Sachen sind nur Brennstoffe zugelassen, deren Flammpunkt über 55 Grad Celsius liegt. Diese Voraussetzung erfüllen nur Dieselkraftstoffe und
Schweröle, so daß sich die Frage einer Befreiung für den
gewerblichen Verkehr in der Binnenschiffahrt einfach
nicht stellt.
Keine
weitere Zusatzfrage.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die
dort gestellte Frage 6 soll schriftlich beantwortet werden.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Dr. Jürgen Gehb
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtmäßigkeit einer
Genehmigung zum Bau und Betrieb eines Zwischenlagers für
abgebrannte Brennelemente am Standort eines Kernkraftwerkes
ohne Beteiligung der Öffentlichkeit ({0})?
Herr Kollege Gehb, Sie stellen die Frage nach der
Öffentlichkeitsbeteiligung bei Genehmigungsverfahren
für Zwischenlager. Die Antwort lautet folgendermaßen:
Soweit für Bau und Betrieb eines Zwischenlagers für
abgebrannte Brennelemente am Standort eines Atomkraftwerks nach den Vorschriften des Atomgesetzes und
der atomrechtlichen Verfahrensverordnung eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben ist, wäre eine ohne
Beteiligung der Öffentlichkeit erteilte Genehmigung
rechtswidrig.
Wollen
Sie eine Zusatzfrage stellen?
({0})
- Nicht.
Dann kommen wir zur Frage 8 des Kollegen Gehb:
Welche Konsequenzen sind zu erwarten, wenn eine bestandskräftige Genehmigung zum Bau und Betrieb von Zwischenlagern am Standort von Kernkraftwerken - sei es wegen
Zeitablaufs oder durch Anrufung der zuständigen Verwaltungsgerichte - nicht erfolgen kann, die Aufnahmekapazität bestehender Lagerbecken aber erschöpft sein sollte - Stillegung oder
Castor-Transporte?
Die Betreiber von Atomkraftwerken sind nach § 9a
des Atomgesetzes zu einer ausreichenden Entsorgungsvorsorge für die beim Betrieb der Atomkraftwerke anfallenden bestrahlten Brennelemente verpflichtet. Hierzu
stehen ihnen grundsätzlich der Weg der schadlosen
Verwertung oder die direkte Endlagerung mit vorlaufender Zwischenlagerung zur Verfügung. Für einen Abtransport der bestrahlten Brennelemente zur schadlosen
Verwertung oder zu einem externen Zwischenlager bedarf es einer atomrechtlichen Beförderungsgenehmigung
nach § 4 des Atomgesetzes.
Für die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen
ist derjenige verantwortlich, der für den Betreiber des
Atomkraftwerkes die Beförderungsgenehmigung beantragt. Soweit ein Abtransport der bestrahlten Brennelemente vom Atomkraftwerk wegen fehlender Beförderungsgenehmigung nicht möglich ist, ist es Aufgabe des
Betreibers des Atomkraftwerkes, auf andere Weise den
Nachweis der ausreichenden Entsorgung gegenüber den
zuständigen atomrechtlichen Landesaufsichtsbehörden
zu erbringen. Soweit dies nicht möglich ist, entscheidet
die für das jeweilige Atomkraftwerk zuständige atomrechtliche Landesbehörde.
Eine Zusatzfrage.
Meine zweite Frage
fokussierte auf folgendes Problem: Eine Genehmigung
zur Errichtung und zum Betrieb eines Zwischenlagers
kommt nicht rechtzeitig - aus welchen Gründen auch
immer -, und gleichzeitig sind die Zwischenlagerkapazitäten erschöpft. Ich möchte jetzt noch einmal nachfragen, ob es da nur die Wahl zwischen Skylla und Charybdis gibt, das heißt, ob diese Kernkraftwerke stillgelegt werden müssen oder ob es zur Entsorgung einen
Transport von Castor-Behältern geben kann. Das bitte
ich doch noch einmal zu beantworten.
Es hat dazu am 25. Oktober ein Gespräch zwischen
dem Bundesumweltministerium, Vertretern aus BadenWürttemberg, Hessen und Niedersachsen und deren
Gutachtern gegeben. Es waren ferner zugegen: Vertreter
von RWE Energie, Preussen-Elektra, Energie BadenWürttemberg und des Gemeinschaftsatomkraftwerks
Neckar GmbH. Es ging dabei um ebensolche Entsorgungsengpässe. Ich kann Ihnen sagen, daß das Gespräch
zu diesem Problem sehr konstruktiv verlaufen ist und
daß es darum ging, daß man zum Beispiel durch kraftwerksinterne Bereitstellung von Transportleistungen das ist auch in der Vergangenheit schon praktiziert worden - diesen Notstand beheben könnte. Das Bundesumweltministerium hat vorgeschlagen, für die Erhöhung
der Lagerkapazitäten schon jetzt Genehmigungen bei
den zuständigen Länderbehörden zu beantragen. Es gibt
nämlich die Möglichkeit, diese Brennelemente in Castor-Behältern, die auf einer Betonplatte in Modulen
gelagert sind - das ist von der GNS vorgeschlagen und
konzipiert worden -, zwischenzulagern.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Ich habe noch eine
konkrete Nachfrage, deren Antwort besonders mich als
hessischen Abgeordneten interessiert: Wie stellt sich die
Bundesregierung das Schicksal des Kernkraftwerks Biblis, Block B, vor, in dem demnächst nur noch 14 freie
Lagerplätze für wahrscheinlich 84 abgebrannte Brennelemente zur Verfügung stehen? Ich erinnere in diesem
Zusammenhang an eine Frage, die ich im Januar dieses
Jahres gestellt habe, nämlich ob durch den Verweis auf
die Entsorgungspflicht des Betreibers und durch gleichzeitige Verweigerung der Entsorgungsmöglichkeiten im
Grunde genommen auf kaltem Wege, nämlich durch
Vollmachen der Lagerbecken, erreicht werden soll, daß
die Stillegung als Ultima ratio angesehen wird.
Wir haben, Herr Kollege Gehb, hinsichtlich der
Atomtransporte nach Recht und Gesetz zu entscheiden.
Hier müssen wir bei der Entscheidungsfindung besonders genau sein; denn wir müssen Vertrauen, das durch
die verspätete Information bezüglich der Verstrahlung
im vorletzten Jahr verlorengegangen ist, wiedergewinnen. Das müßte eigentlich auch im Sinne der Unternehmen sein. - Das ist das eine.
({0})
Das andere betrifft Biblis B. Nach Aussagen der
Betreiber - das war ebenfalls Gegenstand des Gesprächs
am 25. Oktober 1999 - gibt es noch Kapazitäten für dieses Atomkraftwerk bis Mai 2000. Darüber hinaus haben
die Betreiber von Biblis B einen Antrag nach § 7 des
Atomgesetzes gestellt, um im Brennelementebecken zusätzliche Gestelle aufstellen zu dürfen. Das würde für
ein weiteres Jahr reichen. Dieses Genehmigungsverfahren müssen wir abwarten. Dann wird nach Recht und
Gesetz entschieden.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich danke der Frau Staatssekretärin, daß
sie zur Verfügung gestanden hat.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Staatsminister Hans Martin Bury anwesend.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Thomas Dörflinger auf:
Hat die Bundesregierung bei der kurzfristigen Absage des
Besuchs von Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Schweiz
am 1. Oktober 1999 angesichts der offenbar nicht zur Verfügung
stehenden Flugbereitschaft, die vermutlich nicht erst eine halbe
Stunde vor Reiseantritt festgestellt werden konnte, alternative
Reisemöglichkeiten für den Bundeskanzler geprüft, und stehen
generell bei Auslandsreisen des Bundeskanzlers mehrere Transportmöglichkeiten parallel zur Verfügung?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege Dörflinger, der Abflug des Bundeskanzlers nach Basel am 1. Oktober 1999 mit der
Flugbereitschaft der Bundeswehr war für 8.30 Uhr ab
Flughafen Tegel geplant. Etwa 40 Minuten vor der geplanten Startzeit wurde dem Bundeskanzler mitgeteilt,
daß eine mögliche Fehlfunktion der Bremsanlage festgestellt worden war. Die Beschaffung des in Köln-Wahn
bereitstehenden Ersatzflugzeuges sollte zirka zwei Stunden in Anspruch nehmen. Die Ersatzmaschine hätte damit kaum vor 10 Uhr starten können. Unter diesen Voraussetzungen wäre der Termin des Bundeskanzlers in
Basel nicht mehr zu halten gewesen. Er war eingeladen
worden, eine Rede in der Zeit von 10 bis 11 Uhr zu halten.
Die Nutzung einer Linienmaschine durch den Bundeskanzler ist aus Sicherheitsgründen generell nicht zu
empfehlen. Die kurzfristige Anmietung einer Privatmaschine war aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen. Ein
Flug mit dem Hubschrauber oder gar eine Fahrt mit dem
Pkw kamen wegen der Entfernung und des damit verbundenen Zeitaufwandes nicht in Frage.
Der Bundeskanzler hat sein Bedauern über die kurzfristige Absage sowohl dem Veranstalter in Basel als
auch der Bundespräsidentin in Bern in persönlichen Telefongesprächen mitgeteilt. Mit der Bundespräsidentin
wurde vereinbart, den Termin nachzuholen.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege. bitte.
Herr Staatsminister, ich bin Ihnen vor allen Dingen für die letzten beiDr. Jürgen Gehb
den Sätze dankbar; denn bei seinem Aufenthalt in der
Schweiz wollte der Bundeskanzler ja nicht nur eine Rede beim Prognos-Institut in Basel halten, sondern auch
einen Besuch bei Bundespräsidentin Ruth Dreifuss machen. Insofern hatte der Besuch durchaus auch offiziellen Charakter.
Können Sie sich vorstellen, daß ein ähnliches Ereignis, nämlich eine kurzfristige Absage eines derartigen
Besuchs, auch dann stattgefunden hätte, wenn der Herr
Bundeskanzler nicht in die Schweiz, sondern eventuell
zu einem EU-Gipfel oder zu einem G-8-Gipfel hätte reisen müssen?
Herr Kollege Dörflinger, ich habe bereits in der
ersten Antwort darauf hingewiesen, daß der Herr Bundeskanzler mit Frau Bundespräsidentin Dreifuss persönlich telefoniert hat und man sich darauf verständigt hat,
den Termin zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.
Ich hoffe, daß dies im Februar am Rande des Besuchs
des Bundeskanzlers in Davos stattfinden kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte sehr.
Sie haben meine
Frage nicht beantwortet. Ich stelle Ihnen eine andere
Frage in der Hoffnung, daß ich darauf eine Auskunft bekomme. Welche konkreten Schritte hat das Bundeskanzleramt bisher unternommen, um in Zukunft ähnliche Situationen zu vermeiden?
Herr Kollege Dörflinger, generell steht bei Flügen des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten eine Ersatzmaschine zur Verfügung. Entweder steht eine
Maschine in Köln, oder eine Maschine, die sich anderweitig im Einsatz befindet, steht in Rufbereitschaft. Am
1. Oktober 1999, also in dem konkreten Fall, der Ihrer
Frage zugrunde liegt, stand die Maschine in Köln bereit.
Ich habe Ihnen bereits dargestellt, warum sie nicht
rechtzeitig hier zur Verfügung gestellt werden konnte.
Deshalb wird jetzt im Bundesministerium der Verteidigung geprüft, ob es sinnvoll und finanziell vertretbar ist,
die Ersatzmaschine bei Flügen des Bundeskanzlers oder
des Bundespräsidenten routinemäßig nach Berlin zu beordern. Ich weise allerdings darauf hin, daß dies mit erheblichen Kosten verbunden wäre.
Vielen Dank. Wir
verlassen damit den Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes und bedanken uns bei Herrn Staatsminister Bury für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. Zöpel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Jürgen Koppelin auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesministers des Auswärtigen, Joseph Fischer, die er in einem Interview mit der Zeitung „Der Nordschleswiger“ ({0}) geäußert hat, daß der Bundeskanzler zur Zeit ein Martyrium durchmacht?
Herr Staatsminister, bitte sehr.
Die von Ihnen, Herr Kollege Koppelin, zitierte
Auffassung von Herrn Bundesminister Fischer über Betroffenheiten und Herausforderungen an den Herrn Bundeskanzler ist eine persönliche Meinungsäußerung. Ihr
Bedeutungsgehalt ergibt sich aus dem Kontext des Zitats. Mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitiere
ich diesen Kontext:
Was der Kanzler und SPD-Vorsitzende derzeit
durchmacht, ist ein Martyrium. Nicht nur die
Kraftlinien der Partei, die Kraftlinien des ganzen
Landes gehen durch ihn hindurch.
Dieser Kontext erläutert den Gebrauch des Begriffes
„Martyrium“ in diesem Zusammenhang.
Herr Kollege Koppelin, eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Mehr als eine, Frau Präsidentin, aber jetzt erst einmal eine.
Herr Staatsminister, haben Sie sich einmal die Mühe
gemacht, in einem Fremdwörterduden nachzusehen, was
„Martyrium“ heißt? Ich habe es getan und will Ihnen
gerne nachhelfen. Im Fremdwörterduden steht: „schweres Leiden [um des Glaubens oder der Überzeugung
willen]“.
({0})
Ich frage Sie, um welches schwere Leiden es sich denn
zur Zeit beim Bundeskanzler nach Auskunft von Joseph
Fischer handelt. Kann es zum Beispiel sein, daß er keine
Zustimmung für das Schröder-Blair-Papier in der eigenen Koalition findet?
Herr Kollege Koppelin, der Duden steht der
Bundesregierung ebenso wie viele andere Nachschlagewerke zur Verfügung.
({0})
In dem von Ihnen hier angesprochenen Zusammenhang halte ich allerdings die von Herrn Bundesminister
Fischer gemeinte Interpretation des Begriffs für diejenige, die er selbst gewählt hat. Jeder Bundesminister ist
frei, Begriffe so zu definieren, wie er es für richtig hält.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatsminister, nun
muß ich mich bei Ihnen für meine nächste Frage fast
entschuldigen; denn ich habe nicht alles aus dem
Fremdwörterduden zitiert. „Martyrium“ heißt nämlich
auch „Opfertod“. In diesem Fall wäre es der politische
Opfertod. Ist demnächst damit zu rechnen?
({0})
Herr Kollege Koppelin, ich bin bei der Antwort, die ich Ihnen nun gebe, sehr zurückhaltend. Sie
verweisen auf einen Sinngehalt des Wortes, der an die
christliche Tradition unserer Gesellschaft rührt. Ich wäre
zurückhaltend, ihn in die Nähe von Interpretationen zu
bringen, die man auch als Blasphemie bezeichnen
könnte. Das hat Herr Bundesminister Fischer auf keinen
Fall getan. Wenn andere dies tun, möchte ich mich hierzu nicht äußern.
({0})
Nun kommt Ihre
letzte Zusatzfrage, bitte sehr.
Frau Präsidentin, ich habe zwei Fragen gestellt. Daher habe ich vier Zusatzfragen.
Ja, das ist jetzt Ihre
vierte.
Nein, die dritte.
Entschuldigung, ich
habe nicht ganz genau mitgezählt, wie viele Fragen Sie
gestellt haben, weil das Thema so wahnsinnig spannend
ist. Natürlich bekommen Sie jetzt Ihre dritte Zusatzfrage.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich, auch für die Kommentierung, daß das
Thema so spannend ist.
Der Herr Bundesminister ist ja ein intelligenter
Mann; er hat nicht ohne Grund diesen Ausdruck gewählt. Ich frage Sie als Staatsminister im Auswärtigen Amt, der Sie wohl fast täglich mit dem Bundesminister zu tun haben: Es muß doch den Bundesminister
irgend etwas dazu verleitet haben, einen solchen Ausdruck zu benutzen. Können Sie das konkret interpretieren?
Ich kann Ihrer Frage insoweit zustimmen, als
auch ich Herrn Bundesaußenminister für einen sehr intelligenten Mann halte. Wir besprechen nicht jede einzelne Äußerung, die Herr Bundesaußenminister Fischer
oder andere in Medien tun. In diesem Fall haben wir das
auch nicht getan. Deshalb kann ich Ihre Frage nicht beantworten. Ich halte dies auch nicht für im Aufgabenbereich meines Amtes liegend.
Nun kommt aber die
letzte Zusatzfrage. Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Staatsminister,
nachdem wir festgestellt haben, was im Fremdwörterduden steht - „schweres Leiden [um des Glaubens oder der
Überzeugung willen]“ -, muß ich Sie doch noch fragen,
wer es dem Bundeskanzler besonders schwer macht. Ist
es der Koalitionspartner, also die Grünen, ist es die eigene Fraktion, oder ist es die Opposition?
({0})
Herr Kollege, hier kann ich nur den Minister
im Originalwortlaut zitieren: sämtliche Kraftlinien, die
man sich denken kann.
({0})
Wir verlassen hiermit den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, weil
die Fragen 12 und 13 schriftlich beantwortet werden.
Ich danke Herrn Staatsminister Dr. Zöpel für die Beantwortung der Fragen.
Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Mosdorf zur Verfügung. Die Frage 14 des Kollegen
Wolfgang Börnsen ({0}) wird schriftlich beantwortet, so daß ich jetzt die Frage 15 des Kollegen Hans
Michelbach aufrufe:
Was unternimmt die Bundesregierung gegen die Einführung
eines Interbanken-Entgeltes durch die Kreditwirtschaft zu Lasten der Verbraucher und Einzelhändler?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Michelbach, Ihre Frage zur Einführung eines Interbankenentgeltes durch die Kreditwirtschaft spielt wahrscheinlich an auf die Überlegungen der Kreditwirtschaft, die
Kostenverteilung zwischen den Kreditinstituten, die bei
Zahlung unter Einsatz der EC-Karte beteiligt sind, durch
eine Vereinbarung zu regeln. Erwogen wird, den kartenausgebenden Banken und Sparkassen einen Gebührenanspruch, das sogenannte Interbankenentgelt, gegenüber
den kartenakzeptierenden Kreditinstituten einzuräumen.
Es kann nicht ausgeschlossen werden - das war ja
Anlaß Ihrer Frage -, daß die Einführung eines derartigen
Interbankenentgeltes den Zahlungsverkehr mit ECKarten verteuert und im Ergebnis Handel und Verbraucher belastet. Die Vereinbarung bzw. Regelung der Kreditwirtschaft über ein Interbankenentgelt müßte deshalb
unseres Erachtens, sollte sie denn getroffen werden das ist noch nicht definitiv - , zuvor beim Bundeskartellamt angemeldet werden und würde dort nach Maßgabe des § 29 Abs. 7 GWB auf ihre wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit geprüft werden.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? - Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär. - Ich sehe hier Handlungsbedarf. Meinen
Sie nicht, daß das Kartellamt präventiv tätig werden und
auf die Banken zugehen müßte? Die Banken haben die
Einführung einer solchen Strafgebühr für das elektronische Lastschriftverfahren einheitlich vereinbart, und
darüber hinaus steht die Aussage im Raume, daß zur
Verbesserung der Ertragslage ein neues Debit-Verfahren
vorbereitet wird, um das im Handel weit verbreitete
elektronische Lastschriftverfahren abzulösen. Sind Sie
mit mir der Auffassung, daß das einerseits angesichts
der niedrigen Nettoumsatzrentabilität im Handel zu Existenzgefährdungen führen und andererseits die Verbraucherpreise unnötig in die Höhe treiben könnte?
Herr Kollege Michelbach, ich habe in meiner Antwort bereits
darauf hingewiesen, daß es nicht ausgeschlossen werden
kann, daß es zu Verteuerungen für Handel und Verbraucher kommt. Allerdings möchte ich mich nicht an Spekulationen darüber beteiligen, ob diese Interbankenentgeltregelung der Kreditwirtschaft nun kommt oder nicht.
Wir werden, sobald es eine Regelung gibt, diese genau
prüfen, und im Zweifelsfall wird sich das Bundeskartellamt mit dieser Frage beschäftigen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Barbara
Wittig werden schriftlich beantwortet. Somit verlassen
wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie; ich danke dem Herrn
Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen ist die Parlamentarische Staatssekretärin
Frau Ulrike Mascher anwesend. Ich rufe die Frage 18
des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage, die monatlich publizierten Arbeitslosenzahlen nicht nur in Bezug zu setzen auf die
Arbeitslosenzahlen des gleichen Vorjahresmonats, sondern vor
allem auch auf die Gesamtzahl der im gleichen Zeitraum sozialversicherungspflichtig Beschäftigten?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Wenn Sie gestatten, beantworte ich die Fragen 18 und 19 zusammen.
Dann rufe ich auch
die Frage 19 des Abgeordneten Hofbauer auf:
Kann die Bundesregierung genaue Angaben machen zu den
seit der Bundestagswahl vom 27. September 1998 weggefallenen und neu geschaffenen Arbeitsplätzen?
Die Antwort
zu Frage 18 lautet: Nein. Die Statistik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten basiert auf den Meldungen, die von den Arbeitgebern an die Krankenkassen
gegeben und von dort an die Träger der gesetzlichen
Rentenversicherung und die Bundesanstalt für Arbeit
weitergeleitet werden. Die Aufbereitung der Ergebnisse
erfolgt als Vollauswertung nach einer Wartezeit von
sechs Monaten. Das heißt, die Ergebnisse für einen bestimmten Stichtag, in der Regel das Quartalsende, liegen
erst sieben bis acht Monate später vor. Eine Verwendung dieser Zahlen als Bezugsgröße für Arbeitslosenquoten ist angesichts dieser zeitlichen Verzögerung auszuschließen.
Neben diesen Totalauswertungen werden auch Ergebnisse auf Basis von 10-Prozent-Stichproben ermittelt, und zwar nach zwei bis drei Monaten Wartezeit.
Die Ergebnisse dieser Stichproben sind zur Erkennung
von Trends und für interne Berechnungen durchaus geeignet. Aber sie erfüllen keinesfalls die Genauigkeitskriterien, die bei der Berechnung der Arbeitslosenquote
heranzuziehen sind. Darüber hinaus gäbe es auch hier
eine Verzögerung von mindestens drei Monaten.
Die Antwort auf Frage 19 lautet: Nein. Auf Grund der
am 10. Februar 1998 veröffentlichten und seit Januar
1999 geltenden neuen Datenerfassungs- und Übermittlungsverordnung in der Sozialversicherung gab es seit
Januar 1999 Unstimmigkeiten im Meldefluß. Seit Einführung des neuen Meldeverfahrens haben viele Arbeitgeber die Daten unvollständig oder verspätet an die
Krankenkassen übermittelt. Deshalb führen die Auswertungen der Statistik der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten seit dem Stichmonat September 1998 zu
unkorrekten Ergebnissen, die nicht veröffentlicht werden.
Die Träger der Sozialversicherung arbeiten seit Anfang 1999 mit Hochdruck an der Behebung dieses Mangels. Es wird davon ausgegangen, daß die zur Zeit noch
fehlenden Zahlen bis zum Jahresende vorliegen und
dann wieder, wie üblich, ausgewertet, aufbereitet und
veröffentlicht werden. Derzeit kann aus den genannten
Gründen die Zahl der seit September 1998 abgemeldeten
bzw. neu angemeldeten sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigten nicht ermittelt werden.
Da das Statistische Bundesamt die Entwicklung der
Erwerbstätigkeit im wesentlichen auf der Basis der Zahl
der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten schätzt,
können derzeit auch keine Erwerbstätigenzahlen berechnet werden. Allerdings liegen seit dem 26. Oktober 1999
erste, vorläufige Schätzungen des Statistischen Bundesamtes über die Erwerbstätigenzahlen, nämlich die
Durchschnittswerte für das erste und das zweite Quartal
1999, vor. Nach diesen Schätzungen ist die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland leicht gestiegen. Eine abschließende Bewertung der Zahl der seit September
letzten Jahres neu geschaffenen bzw. weggefallenen Arbeitsplätze ist auf der Grundlage dieser vorläufigen
Schätzungen nicht möglich.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege Hofbauer.
Frau Staatssekretärin,
geben Sie mir recht, daß für eine Beurteilung der aktuellen Arbeitsmarktlage genaue und differenzierte Zahlen
notwendig sind, und zwar nicht nur in bezug auf die Arbeitslosen, sondern auch in bezug auf die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten?
Frau Präsidentin, darf ich meine Fragen zusammenfassen?
Mit Freuden.
Ich darf insgesamt
vier Zusatzfragen stellen.
Zweite Frage. Was werden Sie, Frau Staatssekretärin,
unternehmen, um die unbefriedigende Situation, die Sie
selbst geschildert haben, zu beseitigen?
Dritte Frage. Die Bundesregierung ist seit einem Jahr
im Amt. Der Bundeskanzler höchstpersönlich hat versprochen, daß die Zahl der Arbeitslosen deutlich gesenkt
wird. Ich muß jetzt feststellen, daß die Zahl der Beschäftigten stagniert und die Zahl der Arbeitslosen
gleichgeblieben ist. Damit ist das große Versprechen,
die Arbeitslosigkeit zu senken, überhaupt nicht eingehalten worden.
Herr Kollege
Hofbauer, ich gebe Ihnen darin recht, daß es ausgesprochen ärgerlich ist, daß sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die als Grundlage dient,
um die Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland
einzuschätzen, nicht präzise feststellen läßt. Dies bedauert niemand mehr als die Bundesregierung, insbesondere
auch das Arbeitsministerium, weil wir auf Grund von
Trendschätzungen die Vermutung haben, daß die Zahlen
für uns gar nicht so schlecht sind. Aber wir können im
Moment keine präzisen Zahlen nennen, weil es nach der
Umstellung der Datenübermittlung Schwierigkeiten gibt.
Wir haben die zuständigen Stellen - die Kranken- und
Rentenversicherungsträger und das Statistische Bundesamt - gebeten, alles Erdenkliche zu tun, um diesen Zustand rasch zu beseitigen. Daran haben wir ein großes
Interesse. Wir hoffen, daß zum Ende des Jahres wieder
aussagekräftige Zahlen vorliegen.
Ihre Schlußfolgerung, die Sie in der dritten Frage gezogen haben, kann ich nicht teilen. Es ist zwar nachvollziehbar, daß die Opposition so etwas behauptet, aber
durch die Statistik wird es nicht gestützt.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Wiese, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang, was die Zahl der versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse angeht, die neuerdings mit
Krankenversicherungsbeiträgen und Rentenversicherungsbeiträgen belegten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse? Kommen sie in Ihrer Arbeitsplatzstatistik
vor, und wenn ja, in welcher Art und Weise?
Wir haben
Auswertungen über die Anmeldungen von geringfügig
Beschäftigten. Deren Zahl liegt bei etwa 2,7 Millionen.
Auch die Einnahmen bei der Rentenversicherung und
bei der Krankenversicherung liegen weit über den
Schätzungen, die wir im Gesetzgebungsverfahren genannt haben. Von daher können wir für diesen Bereich,
allerdings eben noch nicht für die Gesamtzahl der Erwerbstätigen, feststellen, daß die Vermutung, es würden
Arbeitsplätze wegfallen, wie sie von der Opposition geäußert worden ist, nicht zutrifft.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Josef Hollerith
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 22:
Wie steht die Bundesregierung zu der Tatsache, daß bei einer
Befristung von „Tariffonds“ die jungen Arbeitnehmer nicht in
den Genuß der „Rente mit 60“ kommen können und damit das
Ungleichgewicht zwischen der Belastung der Generationen im
Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung noch weiter verschärft wird?
Frau Staatssekretärin, wollen Sie die beiden Fragen
der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram zusammen
beantworten?
Ja.
Frau Kollegin, sind
Sie damit einverstanden?
Ja.
Dann rufe ich die
Frage 23 der Kollegin Birgit Schnieber-Jastram auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in den neuen Bundesländern nur ca. 60 Prozent der Arbeitnehmer in Firmen arbeiten,
die Mitglied eines Arbeitgeberverbandes sind und nur die ArParl. Staatssekretär Ulrike Mascher
beitnehmer in diesen Firmen in den Genuß der „Rente mit 60“
kommen werden und wie will die Bundesregierung darauf
reagieren?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Frau Kollegin
Schnieber-Jastram, die Überlegung zur Befristung von
Tariffonds folgt aus ihrer beschäftigungspolitischen
Zielsetzung, Arbeitsplätze, die durch finanziellen Ausgleich für Rentenabschläge bei vorzeitigem Rentenzugang frei werden, mit Arbeitslosen wiederzubesetzen.
Von einem in dieser Form beabsichtigten vorübergehenden solidarischen Ausgleich kann je nach der Größenordnung von Tariffonds Entlastungswirkung in bezug
auf den Arbeitsmarkt und damit auf die Beitragsbelastung der aktiven Generation zur Arbeitslosenversicherung erwartet werden.
Es besteht Einvernehmen darüber, daß ein solches
Modell nicht zu einer zusätzlichen Belastung der Rentenversicherung führen darf. Die Rahmenbedingungen
eines Tariffonds müssen deshalb entsprechend gestaltet
werden. Die Tarifvertragsparteien können unter dieser
Prämisse entscheiden, ob sie das Modell eines Tariffonds aufgreifen und in welchem Rahmen sie es
schließlich umsetzen. Die Entwicklung in der nächsten
Tarifrunde 2000 sollte daher abgewartet werden, bevor
abschließende Bewertungen getroffen werden.
Zur Frage 23: Die Tarifbindung der Arbeitgeber in
den neuen Bundesländern entspricht nach den mir bekannten Daten in etwa der Größenordnung, die in Ihrer
Frage angesprochen wird.
Die Frage, ob und in welchem Umfang von einem
Tariffonds Gebrauch gemacht wird, liegt, wie ich bereits
gesagt habe, in der Verantwortung der Tarifvertragsparteien. Sie entscheiden in freier Verhandlung darüber,
wie ein derartiges Instrument tarifpolitisch umgesetzt
wird.
Erste Zusatzfrage -,
bitte, Frau Kollegin.
Frau
Staatssekretärin, da drängen sich mir dann doch einige
Fragen auf.
Wenn ich mich richtig erinnere, dann hat der Bundeskanzler anläßlich eines Gewerkschaftstages der IGMetall am 7. Oktober 1999 in meiner Heimatstadt Hamburg die Einführung von Tariffonds abgelehnt. Eine
Woche später dann allerdings hat er anläßlich des
50jährigen DGB-Jubiläums die Rente mit 60 begrüßt.
Ich würde gern von Ihnen wissen: Gibt es neue Tatsachen, sind neue Ereignisse eingetreten, die zu diesem
Meinungswechsel geführt haben, oder liegt ein falsches
Papier vor? Gibt es einen Irrtum, und haben wir, wie in
anderen Fällen, eine Entschuldigung zu erwarten?
Frau Schnieber-Jastram, als aufmerksame Zeitungsleserin und als
politisch interessierte Abgeordnete ist Ihnen sicher bekannt, daß der Bundeskanzler und der Arbeitsminister
immer wieder darauf hingewiesen haben, daß eine Rente
mit 60, die zu Belastungen der Rentenversicherung und
damit auch zu steigenden Beitragssätzen führen würde,
nicht in Frage kommt.
Sie haben sicher auch verfolgt, daß immer wieder
betont worden ist, daß Regelungen, die zwischen den
Tarifvertragsparteien abgeschlossen werden - ob es nun
in Form von Tariffonds oder in Form anderer Regelungen zur Vermeidung von Abschlägen, die es in einer
ganzen Reihe von Branchen schon gibt, geschieht - in
der Verantwortung dieser Parteien liegen. Da diese Regelungen ein mögliches Mittel sind, um den Arbeitsmarkt zu entlasten, werden sie von der Bundesregierung
durchaus begrüßt.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Frau
Staatssekretärin, weil Sie sagen, die Rentenkassen dürften nicht belastet werden, drängt sich mir eine weitere
Zusatzfrage auf. Nach Schätzungen des Verbandes
Deutscher Rentenversicherungsträger müßte bei voller
Ausnutzung der geplanten neuen Regelungen zur Rente
mit 60 von den Tariffonds mehr als 66 Milliarden DM
als Ausgleich der Vorfinanzierungskosten an die Rentenversicherung gezahlt werden. Geht die Bundesregierung davon aus, daß der arbeitsmarktpolitische Nutzen
einer solchen Regelung in einem angemessenen Verhältnis zu dem enormen finanziellen Aufwand steht?
Die von Ihnen genannte Zahl bezieht sich auf eine 100prozentige
Ausschöpfung. Deswegen bedingt diese Zahl ein so erhebliches finanzielles Volumen. Die Ergebnisse von solchen Tariffondsregelungen werden also sicherlich nicht
zu einer 100prozentigen Ausschöpfung führen.
({0})
Das tatsächliche Volumen ist schwer abzuschätzen. Ich
gebe allerdings zu, daß das Volumen beachtlich ist und
daß sich die Tarifvertragsparteien eine große Aufgabe
zumuten, wenn sie dieses Thema anpacken.
Ich darf Sie daran erinnern, daß der Präsident der
Bundesanstalt für Arbeit, Herr Jagoda, erklärt hat, er
halte es angesichts der Zahl der Arbeitslosen für sinnvoll, auch solche Instrumente zu nutzen.
Dritte Zusatzfrage,
Frau Kollegin.
Frau
Staatssekretärin, ich bin ziemlich erstaunt, weil einiges
in Ihren Aussagen sehr widersprüchlich ist. Da das BunVizepräsidentin Anke Fuchs
desministerium für Arbeit und Sozialordnung bei langjährig Versicherten von einem Potential für den Rentenzugang mit 60 Jahren von mindestens 1 Million und maximal 1,2 Millionen Personen ausgeht und der VDR dagegen berechnet, daß nur 570 000 Arbeitsplätze durch
die Rente mit 60 frei werden, wundere ich mich über Ihre eben gemachten Aussagen. Sagen Sie mir bitte, wie
Sie sich diese Diskrepanz erklären. Was für Zahlen erwartet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
wirklich? Schließlich bestreiten Sie die Höhe der dort
entstehenden Kosten.
Ich bestreite
nicht die Höhe der Kosten. Ich kann Ihnen keine genauen Zahlen nennen. Man kann nur sagen: Soundso viele
Personen im entsprechenden Alter sind als Potential
vorhanden; sie kämen in Frage, wenn entsprechende Tariffonds gebildet werden. Wieweit sie gebildet und in
Anspruch genommen werden, kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nicht prognostizieren, weil
dies, wie gesagt, in der freien Vereinbarung der Tarifvertragsparteien liegt.
Die vierte Zusatzfrage, Frau Kollegin Schnieber-Jastram.
Schätze ich
Ihre Stellungnahme richtig ein: Sie hoffen, daß es möglichst wenige sind, die das in Anspruch nehmen?
Nein, Sie
schätzen meine Aussagen falsch ein.
Nun hat die Kollegin
Ilse Aigner eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, die
Bundesregierung hat erklärt, daß sie den Anteil der kapitalgedeckten Altersvorsorge ausbauen will. Wenn die
Arbeitnehmer einen Teil des Lohnzuwachses in den Tariffonds zur Finanzierung der Rente mit 60 abführen
müssen, dann fehlt ihnen aber der finanzielle Spielraum
zum Ausbau einer kapitalgedeckten Alterssicherung.
Wie will die Bundesregierung darauf reagieren?
Frau Aigner,
Bestandteil eines solchen Tariffonds kann sein, daß die
angesparten Beträge genutzt werden, um die Abschläge,
die bei vorzeitigem Ausscheiden in Kauf genommen
werden müssen, ausgeglichen werden. Es gibt schon bei
einer ganzen Reihe von Regelungen zur Altersteilzeit
Komponenten, die einen individuellen Sparvorgang ermöglichen, um Abschläge auszugleichen. Ich wiederhole: Es liegt in der Entscheidung der Tarifvertragsparteien, solche Tariffonds zu bilden.
Frau Kollegin Aigner, Ihre zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, folgendes verstehe ich nicht ganz: Die jetzige Generation
muß in den Tariffonds einzahlen. Gleichzeitig ist diese
Maßnahme befristet, so daß diese Generation nicht in
den Genuß kommen wird, den Fonds auszuschöpfen.
Zusätzlich muß die jetzt einzahlende Generation privat
vorsorgen, um den Einkommensverlust im Alter zu
überbrücken.
Frau Aigner,
ich kann nur wiederholen: Sie sollten diese Frage an die
Tarifvertragsparteien richten, wenn ein solcher Tariffonds vereinbart wird.
Wir haben hier Tarifautonomie. Sie können entsprechende Regelungen treffen. Wenn sie in ihrer eigenen
Verantwortung eine solche Regelung für sinnvoll und
nützlich halten, auch unter dem Gesichtspunkt, daß Arbeitsplätze für Jüngere freigemacht werden, dann halte
ich das für eine Entscheidung, die wir als Ausdruck von
Generationensolidarität respektieren und anerkennen
sollten.
Nun hat der Kollege
Axel Fischer eine Frage.
Frau
Staatssekretärin, Sie haben soeben die Frage von Frau
Aigner dahin gehend beantwortet, daß Sie gesagt haben,
das, was der Arbeitsminister die ganze Zeit zum Thema
Rente mit 60 sage, habe mit der Bundesregierung eigentlich nichts zu tun.
({0})
Jetzt würde ich gerne von Ihnen wissen: Warum mischt
sich dann der Bundesminister ein und der Bundeskanzler
gleich noch dazu, wenn dies anscheinend gar nicht
Thema der Bundesregierung ist?
Herr Fischer,
ich habe gesagt, daß es die Bundesregierung natürlich
etwas angeht, klar zu sagen, daß in der Verantwortung
der Bundesregierung eine Belastung der gesetzlichen
Rentenversicherung nicht möglich ist. Die freie Vereinbarung zwischen den Tarifvertragsparteien ist nicht Angelegenheit der Bundesregierung. Ich kann es nur noch
einmal wiederholen.
({0})
Der Arbeitsminister hat deutlich gemacht, wie ein
solcher Tariffonds in die gesetzlichen Regelungen einzuordnen ist, hat aber immer wieder auch unmißverständlich deutlich gemacht, daß das Ganze nicht zu BeBirgit Schnieber-Jastram
lastungen der Rentenversicherungen führen darf. Das ist,
denke ich, auch seine Aufgabe.
Eine weitere Frage
stellt der Herr Kollege Fischer. Bitte sehr.
Frau
Staatssekretärin, ist dem Arbeitsministerium bekannt,
daß auch dann, wenn sich die Tarifvertragsparteien hierauf einigen, eine zusätzliche Belastung der Arbeitnehmer zustande kommt, und wie gedenken Sie, dem auf
anderem Wege - vielleicht steuerlich oder was Ihnen
sonst noch einfällt - entgegenzuwirken?
Ich kann es
nur wiederholen: Die Tarifabschlüsse kommen in der
Verantwortung der Tarifvertragsparteien zustande. Die
Bundesregierung tut gut daran, das, was hier vereinbart
wird, nicht politisch zu bewerten. Dies liegt in der Verantwortung der Tarifvertragsparteien.
Jetzt hat der Kollege
Dr. Göhner eine Frage.
Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung und auch Ihr Minister haben bis vor kurzem immer die Auffassung vertreten, daß
eine Änderung der gesetzlichen Altersgrenzen der Rentenversicherung nicht in Betracht komme. Wie vereinbart es sich damit, daß nunmehr Herr Bundesminister
Riester mit dem mit Herrn Zwickel vereinbarten Modell
dafür eintreten will, einen neuen Renteneintrittstatbestand für die Rente mit 60, für fünf Jahre befristet, zu
schaffen, also das ansteigende Renteneintrittsalter, das
sich ansonsten nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen vollziehen würde, durch eine solche gesetzliche Maßnahme, wenn auch für fünf Jahre befristet, umzukehren?
Der Arbeitsminister hat deutlich gemacht, daß er das im Zusammenhang mit einer Regelung im Rahmen von Tariffonds
sieht, die eine finanzielle Belastung der Rentenversicherung ausschließen, weil nach § 187a SGB VI hier ein
voller finanzieller Ausgleich stattfindet. In diesem Zusammenhang ist es verantwortbar.
Herr Dr. Göhner
stellt eine weitere Frage. - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, da die Bundesregierung nunmehr doch eine
Änderung der gesetzlichen Altersgrenzen beabsichtigt:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Steuerausfall
und den Ausfall an Beiträgen für die Sozialversicherung
ein, wenn tatsächlich, wie von Herrn Riester und Herrn
Zwickel in dem Modell angenommen, 1,2 Millionen
Menschen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden
würden, das heißt keine Beiträge mehr an die Sozialversicherung zahlen würden, und wenn - wie etwa bei dem
früheren Vorruhestandsmodell - nur jede siebte Stelle
neu besetzt würde? Selbst wenn ein höherer Anteil an
Wiederbesetzungen erfolgen würde: Wie gedenkt die
Bundesregierung die ausfallenden Beiträge auszugleichen?
Herr Göhner,
da im Moment nicht klar ist, wie die Tarifvertragsparteien solche Vereinbarungen abschließen, und weil deswegen auch über das Potential der möglichen Altersgruppen hinaus nicht gesagt werden kann, wie die tatsächliche Inanspruchnahme sein wird, kann man auch nicht
sagen, wie diese Zahlen aussehen. Es wäre unredlich,
Ihnen hierzu präzise Zahlen zu nennen. Die wären rein
spekulativ.
Nun hat die Kollegin
Ursula Heinen eine Frage.
Uns allen liegt das
Thema der Schaffung von Arbeitsplätzen ganz besonders am Herzen. Es war ja so - das wurde schon angesprochen -, daß nach Aussagen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger in den Jahren 1992 bis
1997 im Rahmen der Frühverrentungsprogramme nur
jeder siebte Arbeitsplatz wieder besetzt worden ist. Die
Unternehmen haben auf Kosten der Sozialversicherungsträger freiwerdende Stellen nicht wieder besetzt
und ihre Belegschaften insgesamt verjüngt.
Gehen Sie jetzt davon aus, daß im Rahmen der geplanten Rente mit 60 eine höhere Wiederbesetzungsquote als bei den in der Vergangenheit durchgeführten
Programmen zu erwarten sein wird, und, wenn ja, warum gehen Sie davon aus?
Das hängt
davon ab, in welchen Branchen solche Tarifverträge abgeschlossen werden. Denn der Rationalisierungsgrad
und die Umstrukturierung sind in den einzelnen Branchen sehr unterschiedlich. Es gibt ohne Zweifel Branchen, die ihre große Umstrukturierungs- und Rationalisierungszeit schon hinter sich haben und bei denen der
Wiederbesetzungsgrad deswegen erheblich höher liegen
würde als in der Vergangenheit.
Ihre zweite Frage,
Frau Kollegin Heinen.
Sind Sie mit mir einer
Meinung, daß man Arbeitsvolumen nicht einfach umschichten kann - sei es von Alt auf Jung oder von wem
auch immer auf wen auch immer - und daß es vielleicht
ein besserer Ansatz wäre, das Arbeitsvolumen insgesamt
zu steigern, das heißt, sich Maßnahmen zu überlegen,
die dazu führen können, daß in Deutschland mehr Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, statt in überkommenen Umverteilungsprogrammen zu verharren?
Sie haben völlig
recht. Das ist sicher der bessere Weg. Leider haben wir
keine guten Vorbilder. Während der 16 Jahre der letzten
Bundesregierung ist das Arbeitsvolumen - jedenfalls
seit 1990, seitdem ich im Bundestag bin - nicht gesteigert worden. Vielleicht haben Sie konkrete Vorschläge
zu machen, wie wir das ändern können.
Jetzt hat Kollege
Westerwelle eine Frage.
Da Sie uns als
Abgeordnete der Opposition die ganze Zeit empfehlen,
wir mögen unsere Fragen auch an die Tarifvertragsparteien stellen, und Sie feststellen, der Arbeitsminister sei
nicht der richtige Ansprechpartner für diese Fragen
({0})
- eine Antwort darauf verkneife ich mir jetzt -, besteht
doch folgende Frage: Ich entnehme den Zeitungen vom
14. Oktober 1999, daß in München am 13. Oktober 1999
zwischen Walter Riester, dem IG-Metall-Vorsitzenden,
Klaus Zwickel, und dem Chef des Verbandes Deutscher
Rentenversicherungsträger, Franz Ruland, ein Gespräch
stattgefunden hat, in dem man sich auf die Rente mit 60
geeinigt habe. Ist diese Nachricht, die im gesamten deutschen Pressewald zu lesen war, eine Falschmeldung gewesen, und wird die Bundesregierung das dementieren?
Sprich: Wann wird sie es dementieren?
Herr Westerwelle, Sie haben hier eine ganz überraschende Nachricht vorgelesen. Sie wissen sehr genau, worin die Einigung bestanden hat, nämlich darin, daß ganz klar gesagt
worden ist - deswegen war der Vertreter des VDR dabei
-, daß bei Einführung der Rente mit 60 eine Belastung
der Rentenversicherung nicht möglich ist. Der Vertreter
des VDR hat deutlich gemacht, wie groß das Finanzvolumen ist, daß nach § 187a SGB IV zu leisten ist, um
eine solche vorgezogene Rente ohne Abschläge zu finanzieren. Das steht ja schon im SGB IV.
Darüber hinaus hat der Arbeitsminister klargemacht,
wie die Rahmenbedingungen für eine solche Tarifrente
aussehen. Es ist immer völlig unmißverständlich gewesen, daß der materielle Gehalt dieser Regelungen
zwischen den Tarifvertragsparteien ausgehandelt werden muß. Nichts anderes ist in München verhandelt
worden.
Ihre zweite Frage,
Herr Westerwelle.
Wenn Sie jetzt
eben allerdings gesagt haben, Sie könnten nicht absehen,
wie hoch der Finanzierungsaufwand sei, weil das davon
abhänge, inwieweit das Potential der Betroffenen von
der Möglichkeit der Rente mit 60 Gebrauch mache,
heißt das dann, daß der Arbeitsminister in diesem Gespräch politisch einer Idee Vorschub geleistet hat, obwohl er tatsächlich gar nicht weiß, wie hoch die Kosten
sind?
Auf Grund
der Abschätzungen von Inanspruchnahmen solcher Regelungen schien es vertretbar zu sein, im Interesse der
Verbesserung von Beschäftigungschancen von Jüngeren
Möglichkeiten auszuloten. Hier ist nach präzisen Zahlen
gefragt worden, diese kann ich Ihnen im Moment aber
nicht nennen.
Nun hat die Kollegin
Renate Blank eine Frage.
Frau Staatssekretärin,
mit den Antworten zu den Steuerausfällen bin ich nicht
so ganz einverstanden; denn wir sind doch mitten in den
Haushaltsberatungen, und Sie müssen Steuerausfälle im
nächsten Jahr irgendwo kompensieren. Vielleicht könnten Sie überlegen, ob Sie die Zahlen nicht doch präzisieren können; denn die Verbände haben die Werte
schon in etwa ausgerechnet. Ich könnte mir vorstellen,
daß die Bundesregierung genauso klug ist wie die Verbände.
Frau Blank,
Sie können sich jede Mühe geben, irgendwelche Zahlen
aus mir herauszulocken; ich werde Ihnen dennoch keine
Zahlen mit der Präzision nennen, die Sie von uns fordern. Sie können so nicht geliefert werden; das wäre unverantwortlich.
Zweite Frage, Frau
Kollegin.
Die nächste Frage lautet: Ist das Vorgehen zur Rente ab 60 bereits mit dem
Bundesfinanzminister abgestimmt?
In Vorbereitung auf Gespräche im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit“ und mit dem Vorsitzenden der IG Metall hat es
auch Gespräche im Finanzministerium gegeben. Da
können Sie ganz sicher sein.
Nun hat der Kollege
Michelbach eine Frage.
Frau Staatssekretärin, warum kommt diese Bundesregierung nicht ihrer
gesamtwirtschaftlichen Verantwortung für Wachstum
und Beschäftigung nach, indem sie eine klare Planung
auch für die Entwicklung der Arbeitskosten vornimmt.
Kennen Sie die Zusammensetzung der Arbeitskosten gar
nicht? Es ist doch völlig gleich, ob Sie einerseits eine
Lohnnebenkostenerhöhung oder andererseits eine Einzahlung in Tariffonds verzeichnen müssen. Die Entwicklung der Arbeitskosten wird zu negativen Einstellungsentscheidungen führen. Wo sehen Sie hier Ihre gesamtwirtschaftliche Verantwortung?
Herr Michelbach, Ihnen ist doch sicher bekannt, daß es in der Tat um
die Arbeitskosten geht, und zwar um den Gesamtzusammenhang zwischen Löhnen und Lohnnebenkosten.
Von daher wird das, was in einem Jahr zur Verteilung
auf Gehalt, Arbeitszeit und möglicherweise in den Tariffonds ansteht, zwischen den Tarifvertragsparteien in den
Tarifvertragsverhandlungen festgelegt. Ob das im Gehalt landet oder in den Tariffonds geht, stellt, denke ich,
für die Arbeitskosten insgesamt keine zusätzliche Belastung dar.
Es gibt noch eine
Zusatzfrage von Herrn Michelbach.
Ich habe diese Interpretation von Arbeitskosten noch nicht gehört. Aber
vielleicht können Sie mir einmal sagen, was Sie beim
„Bündnis für Arbeit“ machen, wenn Sie dies alles als
völlig unbedachtes freies Spiel der Kräfte ansehen und
überhaupt keine klare Zielvorgabe haben, wie Einstellungsentscheidungen in der Zukunft durch eine möglichst stabile Arbeitskostenentwicklung stattfinden sollen.
Herr Michelbach, Ihnen dürfte bekannt sein, daß wir zum 1. April
dieses Jahres die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt
haben. Damit haben wir die Lohnnebenkosten und, in
der Summe, die Arbeitskosten entlastet. Das ist etwas,
was Ihnen in der Vergangenheit leider nicht mehr gelungen ist. Von daher denke ich, daß wir gezeigt haben,
daß wir uns unserer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung und der Verantwortung gegenüber den Arbeitskosten durchaus bewußt sind.
Ich möchte auf folgendes aufmerksam machen: Wir haben noch vier weitere Fragen zu diesem Thema. Sie müssen nun einmal
unter sich klären, ob Sie es fairer finden, wenn wir die
Frau Staatssekretärin die Fragen 24 und 25 des Kollegen
Schemken und die Fragen 26 und 27 des Kollegen
Singhammer beantworten lassen und dann auf die Beantwortung der jetzigen Fragen zurückkommen oder
wenn wir so weitermachen wie bisher. Sie sollten sich
mit den Kollegen beraten, die die Fragen gestellt haben.
Ich muß für Fairneß gegenüber denjenigen sorgen, die
sich vorbereitet haben. Bis Sie sich entschieden haben,
gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Weiß, der eine
Frage hat.
({0})
- Sie können fragen, wie Sie wollen. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, Herr Kollege Hörster, weil es
manchmal in den Fraktionen nicht ganz klar ist, wie die
Sachlage ist. Die Sachlage ist, daß wir noch vier weitere
Fragen haben, die beantwortet werden könnten. Vielleicht geben Sie mir einen Tip, ob Sie so weitermachen
wollen oder ob wir die anderen Fragen vorab beantworten lassen können. Das wäre auch ein Weg.
Herr Kollege Dr. Weiß, bitte.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen sehr für die Promotion. Aber
ich bin der Abgeordnete Weiß ohne Doktor.
({0})
Frau Staatssekretärin, Sie haben auf eine der Fragen,
die Ihnen heute nachmittag gestellt worden sind, unter
anderem geantwortet, daß die Bundesregierung deswegen eine gewisse Sympathie für das Modell „Rente ab
60“ hege - wenn die Tarifpartner dieses vereinbaren
würden -, weil sie sich davon eine Stabilisierung des
Niveaus des Rentenversicherungsbeitrages erwarte. So
habe ich jedenfalls eine Ihrer Antworten verstanden.
Nun möchte ich Sie fragen: Gibt es Modellberechnungen der Bundesregierung, und könnten Sie uns diese
vielleicht an einigen Beispielen vorstellen, wie sich das
Niveau des Rentenversicherungsbeitrages entwickelt,
wenn das Modell „Rente ab 60“ eingeführt wird? Dabei
müßte berücksichtigt werden - das machte Frau Kollegin Heinen in ihrer Nachfrage ja schon deutlich -, daß
nicht alle freiwerdenden Arbeitsplätze wiederbesetzt
werden und - danach hatte Herr Kollege Dr. Göhner ja
schon gefragt - die mit 60 in Rente gegangenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinen Rentenversicherungsbeitrag mehr bezahlen. Könnten Sie an Hand einer
Modellberechnung darlegen, daß sich für die junge Generation, die ja durch Gehaltverzicht die Beiträge für einen Tariffonds aufbringen muß, eine Senkung des Niveaus der Rentenversicherungsbeiträge ergeben könnte?
Herr Abgeordneter Weiß, ich habe Sympathien der Bundesregierung für dieses Modell auf Grund der dadurch möglichen Entlastung des Arbeitsmarktes zum Ausdruck gebracht. Im Zusammenhang mit dem Rentenniveau habe
ich dazu keine Aussagen gemacht. Es geht darum - das
ist das Ziel aller Überlegungen, ob es sich um Altersteilzeit oder solche Tariffondsmodelle handelt -, eine Entlastung des Arbeitsmarktes zu erreichen, der in den
nächsten Jahren durch Heraufsetzung der gesetzlichen
Altersgrenzen erheblich belastet wird. Deswegen haben
wir eine gewisse Sympathie für dieses Modell, aller5532
dings mit Einschränkungen, die ich hier schon in verschiedenen Antworten geäußert habe.
Zu einer weiteren
Frage, Herr Kollege Weiß.
Frau
Staatssekretärin, wie sieht es mit den Gesichtspunkten
soziale Gerechtigkeit und Generationengerechtigkeit
aus, wenn die heute im Erwerbsleben stehende Generation über fünf Jahre durch Tarifverträge und nicht durch
Gesetze der Bundesregierung - darauf haben Sie ja Wert
gelegt - dazu herangezogen werden soll, Gehaltsverzicht
zu üben und in einen Tariffonds einzuzahlen? Hat die
Bundesregierung Modellberechnungen dazu aufgestellt,
welche Entlastungen Sie dieser Generation, die jetzt
über fünf Jahre Sonderbeiträge zu bezahlen hat, in den
Sicherungssystemen insgesamt anbieten kann?
Herr Abgeordneter Weiß, ich habe ja schon deutlich gemacht, daß
die Frage der Wiederbesetzung schwer abschätzbar ist,
weil es auf die jeweilige Branche ankommt, in der sich
das alles abspielt. Von daher sind präzise Aussagen zu
der von Ihnen gestellten Frage nicht möglich. Es kommt
darauf an, wie viele Arbeitsplätze wiederbesetzt werden
und wie sich die Situation insgesamt entwickelt. Das
werden wir dann konkret in den einzelnen Branchen
feststellen und an Hand dieser Daten Berechnungen anstellen.
Das Wort zu einer
Frage hat nun der Kollege Niebel.
Frau Staatssekretärin, meine
Frage schließt sich im Grunde an die des Kollegen Weiß
an. Bei einer Rente ab 60 hätten wir ja tatsächlich die
Situation, daß gerade die jüngere Generation dadurch
zusätzlich belastet wird, daß sie einen Beitrag für eine
Leistung aufbringen muß, in deren Genuß sie nie kommen wird, zugleich aber - das wissen wir alle - noch
weitere Eigenvorsorge wird betreiben müssen, um einen
annähernd gesicherten Lebensstandard im Alter zu haben. Inwiefern deckt sich das mit dem Anspruch der
Bundesregierung - mit dem sind Sie ja angetreten -, für
mehr Generationengerechtigkeit zu sorgen?
Herr Niebel,
die Frage ist, wie Sie Generationengerechtigkeit definieren.
({0})
- Ich weiß nicht, was an dieser Aussage komisch ist.
({1})
Aber Ihr Humor sei Ihnen unbenommen.
({2})
Die Frage ist, ob wir mehr Generationengerechtigkeit
dadurch erreichen, daß der jüngeren Generation bessere
Chancen auf einen Erwerbsarbeitsplatz gegeben werden,
oder dadurch, daß wir die junge Generation bei den
Beitragszahlungen entlasten - das hat die neue Bundesregierung gemacht -, oder dadurch, daß wir über tarifvertragliche Vereinbarungen eine Zusatzversorgung ermöglichen. Welche Maßnahme das höhere Maß an Generationengerechtigkeit bietet, hängt von der individuellen politischen Wertung ab, die Sie vornehmen.
Ich kann mir vorstellen, daß für einen arbeitslosen
Jugendlichen ein Arbeitsplatz das höchste Maß an Generationengerechtigkeit ist,
({3})
daß aber für jemanden, der einen Arbeitsplatz hat und
gut verdient, die Möglichkeit, in eine private Zusatzvorsorge einzusteigen, ein Ausdruck von Generationengerechtigkeit ist. Für die große Mehrheit der Beitragszahler wiederum ist die Tatsache, daß der Beitragssatz gesenkt worden ist und dauerhaft bei ungefähr 20 Prozent
liegt, ein Ausdruck von Generationengerechtigkeit.
Die zweite Frage,
Herr Kollege Niebel.
Auf Grund Ihrer Antwort vermute ich, daß wir den Begriff „Generationengerechtigkeit“ unterschiedlich definieren. Mich interessiert es
deswegen sehr, wie Sie den Umstand beurteilen, daß die
Bundesregierung im Vorfeld der Überlegungen zur
„Rente mit 60“ nicht berechnet hat, mit welchen Ausfällen bei Beiträgen und Steuern zu rechnen ist. Inwieweit beurteilen Sie diese Vorgehensweise der Bundesregierung als vorausschauende Politik?
Die Bundesregierung hat eine Abschätzung vorgenommen und damit vorausschauend politisch gehandelt. Aber die von
Ihnen geforderten präzisen Zahlen können wegen der
noch nicht erkennbaren konkreten Ausgestaltung der Tariffonds und ihrer noch nicht abschätzbaren Inanspruchnahme im Moment nicht vorgelegt werden.
({0})
Nun hat der Kollege
Storm eine Frage.
Frau Staatssekretärin
Mascher, vor einigen Tagen sind zwei Papiere in die Öffentlichkeit gelangt, in denen Abteilungsleiter aus dem
Bundesarbeitsministerium und dem Bundeskanzleramt
rentenpolitische Strategien im Hinblick auf SPD-WahlParl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
erfolge bei den kommenden Landtagswahlen und im
Hinblick auf den SPD-Bundesparteitag im Dezember
entwickelt haben. Die Existenz dieser Papiere wird zwar
nicht mehr bestritten. Aber der Bundesarbeitsminister
hat behauptet, daß er die genannten Papiere nicht kenne.
Nun ist auf der Titelseite des Papiers aus dem Bundeskanzleramt vom 8. Oktober 1999 allerdings vermerkt,
daß es der Leitung des BMA vorliege. Kann die Bundesregierung diesen Widerspruch aufklären?
Ich kann die
Erklärung des Bundesarbeitsministers nur bestätigen,
daß ihm dieses Papier nicht vorgelegen hat und daß es
bei dem Strategiegespräch, auf das dieses Papier gezielt
hat, keine Rolle gespielt hat.
({0})
Die zweite Frage,
Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin,
wenn es heißt, daß ein solches Papier der Leitung des
Ministeriums vorliegt, bedeutet das dann etwa, daß
Staatssekretäre dem Minister solche Papiere vorenthalten, oder bedeutet das, daß die Abteilungsleiter diese
Angabe fälschlicherweise gemacht haben?
Es bedeutet
ganz sicher nicht, daß Staatssekretäre dem Minister Papiere vorenthalten. Ich glaube auch nicht, daß Abteilungsleiter in diesem Zusammenhang falsche Erklärungen abgegeben haben. Es war vielmehr ein Papier, das
der Vorbereitung diente, aber nicht weitergegeben worden ist, weil es verworfen wurde und weil es keine Rolle
bei den entscheidenden Gesprächen gespielt hat.
({0})
Nun hat der Kollege
Meister eine Frage.
Frau Präsidentin,
Frau Staatssekretärin Mascher, ich hätte eine Frage zu
Ihrer Antwort, die Sie vorhin der Kollegin Blank gegeben haben. Das bezieht sich auf den Vorschlag von
Herrn Kollegen Riester, die Beiträge der Arbeitnehmer
zu den Tariffonds steuerfrei zu stellen. Sie haben vorhin
vorgetragen, daß das Bundesfinanzministerium an der
Erarbeitung der Vorschläge in München beteiligt war.
Meine Frage geht dahin: Waren die Vorschläge von
Herrn Riester, die er in München zu dem eben genannten Punkt unterbreitet hat, mit dem Bundesfinanzministerium abgestimmt? Das heißt im Klartext: Hat das
Bundesfinanzministerium diesen Vorschlag mitgetragen,
und trägt es diesen mit?
Das Bundesfinanzministerium hat Vorschlägen, daß Mittel von den
Arbeitgebern unmittelbar in solche Tariffonds eingespeist werden, zugestimmt. Das kann so ausgestaltet
werden, daß keine Steuerbelastung anfällt. Das ist keine
neue Erkenntnis, wie Ihnen Ihr Nachbar, Herr Göhner,
sicher bestätigen wird.
Die zweite Zusatzfrage.
Ich hatte eben
nicht nach den Arbeitgebern gefragt, Frau Staatssekretärin, sondern nach den Arbeitnehmern und der Steuerfreistellung der Beiträge der Arbeitnehmer zu diesen Tariffonds. Ich möchte die Frage deshalb wiederholen: Was
geschieht konkret mit den Steuerausfällen durch die
Beiträge der Arbeitnehmer, und hat das Bundesfinanzministerium diesen Vorschlag zu dem damaligen Zeitpunkt nicht nur begleitet, sondern ihm auch ausdrücklich
zugestimmt, und war dieser Vorschlag abgestimmt?
Da die konkrete Ausgestaltung dieser Tariffonds - ich wiederhole
das - in Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien festgelegt wird und uns derzeit nicht vorliegt, kann
ich Ihnen dazu auch keine Antwort geben.
({0})
Nun hat der Kollege
Holetschek eine Frage.
Frau Staatssekretärin, ich darf an die Frage des Kollegen Storm anknüpfen.
Wenn dieses Papier weder dem Bundesarbeitsminister
noch Ihnen bekannt war, dann können Sie sicher die
Identität dessen ermitteln, der es dann verworfen hat.
Wer hat es verworfen?
Ich habe hier
keine Veranlassung, Spekulationen, die Sie anstellen, zu
kommentieren. Ich kann Ihnen nur sagen, daß dieses Papier dem Arbeitsminister und den Staatssekretären nicht
vorgelegen hat, daß es ein Arbeitspapier der Arbeitsebene war und daß es hier offensichtlich keine Rolle mehr
gespielt hat.
Noch eine Frage,
Herr Kollege Holetschek.
Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mir zu, daß anscheinend im Arbeitsministerium erheblicher Koordinierungsbedarf besteht, was
die Leitungsebene usw. angeht?
Dem kann ich
nicht zustimmen. Wir koordinieren uns gut.
({0})
Jetzt hat der Kollege
Strobl eine Frage.
Frau Staatssekretärin,
ich wollte nur fragen, ob dieses interne Papier Ihnen
persönlich zur Kenntnis gelangt ist.
Nein.
({0})
Nun hat die Kollegin
Bonitz eine Frage.
Vielleicht darf ich daran
anknüpfen. Wenn dieses Papier weder dem Minister
noch Ihnen bekannt ist: Welche Arbeitsebene in Ihrem
Ministerium ist dann befugt, ein solches Papier, das für
die Leitung des Hauses vorgesehen ist, zu verwerfen?
Das scheint eine grundsätzliche Fragestellung zu sein,
auch wenn Sie es in diesem Einzelfall jetzt nicht wissen.
({0})
Es werden in
allen Ministerien laufend Arbeitspapiere erstellt,
({0})
die dann auf welcher Ebene auch immer verworfen werden, weil man sie nicht mehr für zielführend hält und
von daher dann eben auch nicht an die Leitungsebene
weitergibt.
Ich rufe jetzt die
Fragen 24 und 25 des Kollegen Heinz Schemken auf:
Sieht die Bundesregierung Erfolgsaussichten für die Durchsetzung des Modells der „Tariffonds“ im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit“, obwohl die Arbeitgeber erklärtermaßen der
Einführung von „Tariffonds“ nicht zustimmen werden?
Wie steht die Bundesregierung zu der Tatsache, daß durch
die Einführung von „Tariffonds“ die Lohnnebenkosten erhöht
werden und dies im direkten Widerspruch zu dem erklärten Ziel
der Bundesregierung steht, die Lohnnebenkosten zu senken?
Zur Beantwortung steht weiterhin Frau Staatssekretärin Frau Ulrike Mascher zur Verfügung. Frau Staatssekretärin, bitte schön.
Am 7. Dezember 1998 haben sich unter Leitung von Bundeskanzler Gerhard Schröder die Vertreter von Regierung,
Gewerkschaften und Arbeitgeber in einer gemeinsamen
Erklärung unter anderem darauf verständigt, flexibilisierte und verbesserte Möglichkeiten für das vorzeitige
Ausscheiden im Rahmen der bestehenden gesetzlichen
Altersgrenzen durch gesetzliche, tarifvertragliche und
betriebliche Regelungen anzustreben. Das von Bundesminister Riester in der letzten Arbeitsgruppensitzung am
21. September 1999 den Bündnispartnern vorgelegte
Konzept für eine vorgezogene Tarifrente zeigt Wege
auf, wie die Tarifvertragsparteien dieses gemeinsame
Ziel verwirklichen könnten.
Dabei ist die Bildung von Tariffonds eine der denkbaren Möglichkeiten. Die Frage, ob und wie dieser Weg
von den Tarifvertragsparteien beschritten wird, das
heißt, ob es zur Bildung von Tariffonds oder zu Lösungen auf betrieblicher Ebene kommt, berührt Angelegenheiten, die ausschließlich in der Verantwortung der Tarifsvertragsparteien liegen.
Erste Frage, Herr
Kollege Schemken.
Ich habe eine Zusatzfrage, Frau Staatssekretärin Mascher, die sich auf
das demographische Problem bezieht, das vor dem Hintergrund der Tatsache zu betrachten ist, daß Männer bereits heute - das ist mit Zahlen zu belegen - in den alten
Bundesländern mit 59 Jahren und in den jungen Bundesländern sogar mit 57 Jahren und neun Monaten, also
mit unter 60 Jahren, in Rente gehen. Ist es angesichts
dessen zu vertreten, daß das Renteneintrittsalter auf
60 Jahre gesenkt wird? Gibt es Berechnungen dazu, in
welchem Umfang unter dieser neuen Linie Menschen
früher in Rente gehen, und ist dabei die demographische
Problematik berücksichtigt worden, nämlich daß sich die
Zahl der 60jährigen in den nächsten vierzig Jahren sogar
verdoppeln wird?
Herr Schemken, die Zahlen, die Sie zu dem realen Zugangsalter genannt haben, das jenseits aller gesetzlichen Altersgrenzen, jenseits der Bemühungen, durch eine Anhebung der
gesetzlichen Altersgrenzen Einfluß zu nehmen, liegt,
haben verschiedene Ursachen. Sie resultieren vor allem
aus der Frühverrentungspraxis, die bis 1996 gegolten
hat. Wir haben einen erheblichen Anteil von Frühverrentungen wegen gesundheitlicher Einschränkungen.
Ich denke, wir alle sollten gemeinsam versuchen, Anstrengungen zu unternehmen, um durch Gesundheitsprävention, durch Arbeitsschutz in den Betrieben Arbeitsbedingungen zu schaffen - dazu gehört auch die
Schaffung von geeigneten Arbeitsbedingungen für Ältere -, die eine längere Erwerbstätigkeit ermöglichen. Sie
wissen selbst sehr gut, wie die Haltung in vielen Betrieben gegenüber älteren Arbeitnehmern ist. Ich denke, Sie
bedauern es genauso wie ich, daß wir eine sehr jugendzentrierte Personalpolitik haben. Ich meine, da muß sich
etwas ändern, wobei das nicht ausschließlich in der Verantwortung der Regierung liegt; vielmehr sind da auch
die Tarifpartner gefordert.
Zweite Frage, Herr
Kollege.
Ist vor diesem Hintergrund nicht auch zu bedenken, daß bei einer Senkung
des Renteneintrittsalters die Höhe der Rente nicht
durchzuhalten ist, sondern daß sie reduziert werden
muß? Sind diese Gesichtspunkte berücksichtigt worden?
Herr Schemken, es ist, glaube ich, inzwischen bei fast allen Parteien
in diesem Hause eine gesicherte Erkenntnis, daß wir eine Absenkung des Rentenniveaus in Kauf nehmen müssen, um auch in Zukunft eine stabile Finanzierung der
Rentenversicherung bei verträglichen Beiträgen zu haben, daß wir aber auch alle Anstrengungen unternehmen
müssen, um jenseits der Frage der gesetzlichen Grenzen
ein höheres Rentenzugangsalter zu erreichen. Dabei
wird in Zukunft sicherlich auch die Frage des Arbeitsmarktes eine Rolle spielen, wobei die demographische
Entwicklung, nämlich der Rückgang des Arbeitskräftepotentials, auch eine positive Wirkung haben kann.
Dritte Frage, Herr
Kollege.
Vor diesem Hintergrund, Frau Staatssekretärin, stellt sich die Frage, wie
Sie, was den Tariffonds angeht, die Finanzierung gestalten wollen. Sie propagieren das Dreisäulenmodell.
Die eine Säule bildet die Rente. Sie haben eben darauf
hingewiesen, daß die Höhe der Rente nicht zu halten
sein wird. Sie propagieren darüber hinaus die Säule der
Betriebsrente oder der Tariffonds; ich will es einmal so
deuten. Ferner kann möglicherweise die Vermögensbildung einfließen. Ich gehe davon aus, daß ich, soweit es
mir möglich ist, hier sachlich vortrage.
Eigentlich müssen
Sie eine Frage stellen, Herr Kollege.
({0})
Ja. - Vor dem Hintergrund, daß das Kapitaldeckungsverfahren als dritte
Säule genannt wird, frage ich Sie, wie der Arbeitnehmer
es bewältigen soll, gleichzeitig in den Tariffonds einzuzahlen und ein Kapitaldeckungsverfahren zu bedienen.
({0})
Die Antwort,
die Ihnen Ihr Kollege Hörster gegeben hat, nämlich daß
das zum einen in der Verantwortung der Tarifvertragsparteien liegt, ist in der Tat richtig. Zum anderen schaffen wir durch die Entlastung der Beitragssätze, durch die
Entlastung der Arbeitnehmer und durch eine Steuerpolitik, die die unteren und mittleren Einkommen entlastet,
Spielraum für solch eine zusätzliche Altersvorsorge, die
wir für richtig und notwendig halten. Wenn ich das
richtig verstehe, wird das auch in Kreisen der CDU, jedenfalls von denjenigen, die hier verantwortungsvoll
handeln wollen, für richtig gehalten.
Die vierte Zusatzfrage, Herr Kollege Schemken.
Meine vierte Frage
ist auch deswegen grundsätzlicher Natur, weil dabei der
runde Tisch beim Kanzler eine Rolle spielt. Aber steht
es nicht außer Frage - da beißt die Maus doch keinen
Faden ab -, daß der Rückgang der Beschäftigung - dieser ist eindeutig klar, da nie 1 : 1 wiederbesetzt wird zu geringeren Beiträgen führt, so daß wir letztlich eine
höhere Belastung der Arbeit noch fördern und damit der
Generationenvertrag im Grunde genommen nicht gefördert wird?
Herr Schemken, wenn nicht 1 : 1 wiederbesetzt wird, liegt das daran,
daß in den Betrieben Rationalisierungsmaßnahmen stattfinden, und zwar unabhängig davon, ob es einen solchen
Tariffonds gibt oder nicht. Wenn die Betriebe die Chance haben, durch den Einsatz von Maschinen oder den
Einsatz moderner Kommunikationstechnologien zu rationalisieren, dann rationalisieren sie. Von daher denke
ich, daß die Frage, wie sich das Erwerbstätigenvolumen
entwickelt, ein Stück weit vom technologischen Fortschritt abhängt. Ich glaube nicht, daß wir hier negative
Auswirkungen durch den Tariffonds erwarten müssen.
Im Gegenteil, hier wird versucht, einen möglichen Spielraum zu nutzen, um Jüngeren eine Chance zu geben.
Nun hat der Kollege
Peter Dreßen eine Frage. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, nachdem der Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, dem
Arbeitsminister das Angebot unterbreitet hat, die Rente
mit 60, den Vorruhestand oder wie immer man das nennen will per Tariffonds zu ermöglichen, und er ihn gebeten hat, das unter Umständen gesetzlich zu begleiten:
Können Sie sich vorstellen, was in der Öffentlichkeit mit
uns passiert wäre und vor allen Dingen, was die Opposition mit uns veranstaltet hätte, wenn der Arbeitsminister dieses Angebot, das die Rentenversicherung, wie
gesagt, keinen Pfennig kostet, abgelehnt hätte?
({0})
Ja, ich kann
mir das vorstellen. Ich denke, es ist richtig, jede Möglichkeit zu nutzen, um die Erwerbschancen für Jüngere
zu verbessern, wenn ich das auch nicht für ein Patentrezept halte. Ich beziehe mich da noch einmal auf den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Jagoda, der
ebenfalls in diesem Zusammenhang begrüßt hat, daß die
Erwerbschancen verbessert werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege? - Nein. Nun kommt der Kollege
Storm mit einer Frage.
Frau Staatssekretärin
Mascher, am vergangenen Wochenende hat Bundeswirtschaftsminister Müller sich öffentlich skeptisch hinsichtlich der Finanzierbarkeit der Rente ab 60 geäußert
und gesagt, er sei gespannt, wie das funktionieren solle.
Darüber hinaus hat er darauf verwiesen, daß bei solchen
Programmen nur jeder siebte bis jeder fünfte Arbeitsplatz der durch die Frühverrentung frei wird, wiederbesetzt wird. Gehe ich recht in der Annahme, daß der Vorschlag des Bundesarbeitsministers nicht mit dem Bundeswirtschaftsminister abgestimmt war?
Herr Storm,
ich verweise noch einmal auf eine Antwort, die ich
schon vor einigen Minuten gegeben habe. Ich habe
nämlich gesagt, daß die Frage der Wiederbesetzung sehr
unterschiedlich zu beurteilen ist, je nach Branche. Ich
denke, man kann auch die Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht einfach nur linear hochrechnen, weil inzwischen in der Tat der Umstrukturierungsprozeß und
der Rationalisierungsgrad in vielen Branchen weiter
fortgeschritten sind, so daß mit einer höheren Wiederbesetzungsquote in einzelnen Branchen - ich betone das zu rechnen ist.
Die Erklärung des Wirtschaftsministers Müller, daß
er gespannt darauf ist, wie die Tarifvertragsparteien das
lösen, ist eine Äußerung, die ich nicht zu kommentieren
habe.
Eine weitere Frage,
Herr Kollege. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin
Mascher, ich entnehme Ihrer Antwort, daß es wohl nicht
mit dem Wirtschaftsminister abgestimmt war; denn er
hat ja die Sicht der Dinge, die Sie vorgetragen haben,
erkennbar nicht geteilt. Meine Frage: Trifft es zu, daß
die Vorgehensweise des Bundesarbeitsministers auch
mit dem Bundeskabinett insgesamt nicht abgestimmt
war?
Das ist nicht
Gegenstand von Kabinettsbefassungen, da es sich hier
nicht um eine Aktion der Bundesregierung handelt.
Vielmehr geht es darum, Initiativen der Tarifvertragsparteien zu begleiten, und darum - das hat mein Kollege
Dreßen hier angesprochen -, ein Angebot, das von einer
Gewerkschaft gemacht wird, nicht von vornherein zurückzuweisen. Es muß auch unter dem Gesichtspunkt
gesehen werden, daß es Chancen für Erwerbstätigkeit
bietet.
Das Problem ist, wie gesagt, nicht in der Verantwortung der Bundesregierung, sondern in der Verantwortung der Tarifvertragsparteien zu lösen.
Nun hat der Kollege
Meckelburg eine Frage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade auf den Kollegen Dreßen Bezug genommen, der ja eben gefragt hat, was denn wohl
passiert wäre, wenn die Gesprächsangebote von Herrn
Zwickel von der Regierung direkt zurückgewiesen worden wären. Meine Frage ist: Hätten Sie es nicht ehrlicher
gefunden, wenn man von vornherein gesagt hätte: „Wir
als Regierung werden da nichts tun; das ist Sache der
Tarifvertragsparteien“, statt ständig herumzueiern und
an einem Tag zu sagen: „Wir führen Gespräche; wir machen Modelle“ und am nächsten Tag zu sagen: „Es ist
kein Modell“? Wäre man nicht ehrlicher gewesen, wenn
man gesagt hätte: „Mit uns nicht“?
Herr Meckelburg, können Sie sich vorstellen, daß es sehr sinnvoll ist,
Gespräche mit einem großen Verband, mit einer großen
Gewerkschaft abzulehnen? Ich halte das nicht für sinnvoll.
({0})
Noch eine Frage,
Herr Kollege Meckelburg? - Bitte sehr.
Ich habe danach gefragt, ob es nicht von vornherein - so haben Sie
es eben auch formuliert - ehrlicher gewesen wäre zu sagen: Wir führen darüber ein Gespräch, aber wir als Bundesregierung werden uns nicht an einem Ergebnis beteiligen; das ist Sache der Tarifvertragsparteien.
({0})
Es gab ja zwei Tage lang ein Hin und Her, ein Herumgeeiere, so daß man stündlich Nachrichten hören mußte,
wenn man wissen wollte, was denn nun Sache im Arbeitsministerium ist.
Herr Meckelburg, wenn Sie die Erklärungen des Arbeitsministers,
wie ich einmal annehme, präzise gelesen haben, dann
werden Sie wissen, daß der Arbeitsminister nichts anderes gesagt hat, nämlich daß es nicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung zu regeln ist, daß er aber Gespräche
führt, um solche Angebote von Tarifpartnern, von Gewerkschaften im Interesse von Jugendlichen und jungen
Erwachsenen, die dadurch möglicherweise eine bessere
Chance auf einen Erwerbsarbeitsplatz bekommen, positiv zu begleiten.
Nun hat die Kollegin
Schnieber-Jastram eine Frage.
Frau
Staatssekretärin, ich habe doch noch eine Frage, weil ich
finde, daß einige Äußerungen vorhin etwas widersprüchlich waren. Ich komme noch einmal auf das Papier zurück, das die Runde gemacht hat. Dem Vermerk
des Bundeskanzleramts vom 8. Oktober kann ich entnehmen - ich zitiere -, daß das Papier der Leitung des
Bundesministeriums für Arbeit vorliegt. Sie haben sehr
deutlich gesagt, es habe der Leitung nicht vorgelegen.
Deswegen meine Frage: Wer sagt hier die Unwahrheit?
Ist es das Kanzleramt, das die Unwahrheit sagt?
({0})
Das steht in
dem Papier. Ich kann für Sie nur noch einmal wiederholen: Es hat der Leitung des Bundesarbeitsministeriums nicht vorgelegen.
Zweite Frage, Frau
Kollegin.
Frau
Staatssekretärin, noch einmal: Es ist ja klar, daß irgend
jemand nicht die Wahrheit gesagt hat, entweder das
BMA oder das Kanzleramt. Sie bekunden hier ja sehr
deutlich, daß Sie der Meinung sind, Ihnen habe es nicht
vorgelegen. Dann muß ja offensichtlich das Bundeskanzleramt die Unwahrheit sagen.
In dem Zusammenhang habe ich die Frage: Schließen
Sie hier aus, daß einer der Beamten des Bundesministeriums für Arbeit das Haus verlassen muß, und schließen
Sie aus, daß der Bundesminister für Arbeit wegen einer
unwahren Äußerung zurücktritt?
Ich schließe
eine unwahre Äußerung des Bundesarbeitsministers aus.
Ich halte auch den Schluß, den Sie hier ziehen, daß das
Bundeskanzleramt zu einem Papier die Unwahrheit sagt,
das auf Arbeitsebene erstellt worden ist, für falsch. Es
hat - wie ich noch einmal wiederhole - bei dem Strategiegespräch, auf das es sich bezieht, keine Rolle gespielt
und hat auch dem Arbeitsminister nicht vorgelegen. Ich
kann Ihre Schlußfolgerungen bezüglich der Unwahrheit
nicht nachvollziehen.
Nun kommt der
Kollege Meister mit einer Frage.
({0})
Ich habe sie
vielleicht nicht so beantwortet, wie Sie sich das gewünscht haben.
({0})
Wir haben gehört,
daß die vorgeschlagene Rente mit 60 zunächst einmal
auf fünf Jahrgänge befristet sein soll und deshalb auch
nur fünf Geburtsjahrgänge in den Genuß dieser Regelung, wenn sie denn realisiert würde, kommen könnten.
Gleichzeitig diskutieren wir momentan das Haushaltssanierungsgesetz, in dessen Rahmen der Bundeskanzler insbesondere in seinen öffentlichen Stellungnahmen immer wieder darauf hinweist, daß das Gemeinwohl vor Partikularinteressen und Gruppeninteressen gehen muß.
Wie passen diese beiden Äußerungen - einerseits
fünf Jahrgänge eindeutig zu Lasten der Gesellschaft zu
begünstigen und andererseits zu sagen, daß bei dieser
Bundesregierung das Gemeinwohl grundsätzlich vor
Gruppeninteressen gehen soll - zusammen?
Erstens auch wenn es Sie langweilt - betone ich noch einmal,
daß es sich hier um die Absicht von Tarifvertragsparteien handelt, eine solche Regelung zu treffen.
Zweitens dürfte es Ihnen nicht entgangen sein, daß
Ziel der IG Metall - das ist immer wieder erklärt worden
- ist, hierdurch die Chance für jüngere Arbeitnehmer zu
verbessern, einen Erwerbsarbeitsplatz zu finden, und
daß die IG Metall bereit ist, hierfür in die Tarifverträge
einen Teil des ihr zur Verfügung stehenden Spielraums
einzubringen. Ich finde, dies ist eine solidarische Anstrengung, die sich die IG Metall hier vornimmt. Ob es
ihr gelingt, hängt auch von den Diskussionen innerhalb
der Gewerkschaft ab. Aber wir sollten dies nicht so abwerten, wie Sie das tun. Ob das aus Ihrer Sicht der richtige Weg ist, mögen Sie entscheiden. Aber daß eine Gewerkschaft mit dem Ziel, Arbeitslosen eine Chance zu
geben, bereit ist, in Tarifverhandlungen auf mögliche
Gehaltssteigerungen zu verzichten, finde ich erst einmal
aller Ehren wert.
({0})
Ich finde, das ist ein solidarischer Beitrag.
({1})
Ob es gelingt, werden die Tarifverhandlungen zeigen.
Aber ich finde die Abwertung, die dieser Vorschlag erhält, dem Problem nicht angemessen.
Eine zweite Frage,
Herr Kollege Meister, bitte sehr.
Frau Präsidentin,
ich würde gern eine Nachfrage konkret zu dieser Antwort stellen. Sie haben gesagt, die IG Metall habe sich
in den Gesprächen verpflichtet, in den kommenden Tarifrunden Abschläge, die dann in den Tariffonds fließen
sollen, hinzunehmen. Gibt es hierzu konkrete Absprachen? Wenn ja, welcher Art sind diese? Was hat die IG
Metall konkret zugesagt, welche Lohnabschläge sie einbringen will?
Herr Meister,
ich weiß nicht, ob Sie jemals an Tarifverhandlungen
teilgenommen haben. Ich habe an Tarifverhandlungen
mit der IG Metall teilgenommen. Es wird immer über
ein bestimmtes Volumen verhandelt. Es wird darüber
gestritten, ob dies in die Arbeitszeitverkürzung, in den
Urlaub oder in andere Leistungen fließt und wie sich das
auf die Gehaltssteigerungen auswirkt.
Die IG Metall wird doch nicht, bevor sie in solche
Tarifverhandlungen geht, öffentlich erklären, was sie in
diese Verhandlungen wie einbringt. Sie hat sich bereit
erklärt, das im Rahmen von Tarifverhandlungen zu regeln, und hat ihre Vorstellungen dazu genannt. Aber wie
die Verhandlungsstrategie im einzelnen aussieht, sollten
wir in der Tat den Tarifvertragsparteien überlassen.
({0})
Nun rufe ich die
Fragen 26 und 27 des Kollegen Johannes Singhammer
auf:
Müßte bei Einführung von „Tariffonds“ das Rentenalter von
63 bei der Rente wegen langjähriger Versicherung abgesenkt
werden?
Inwieweit würde das Nettorentenniveau in der gesetzlichen
Rentenversicherung durch die Einführung von „Tariffonds“ abgesenkt werden?
Ich weise darauf hin, daß die CDU/CSU-Fraktion eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt hat.
Deswegen bitte ich Sie, zu erwägen, die Behandlung
dieser Fragen nicht allzu sehr auszudehnen, zumal dann
auch noch andere Fragen beantwortet werden könnten.
Zur Beantwortung der aufgerufenen Fragen steht Frau
Staatssekretärin Ulrike Mascher zur Verfügung. Frau
Staatssekretärin, bitte.
Zunächst zur
Frage 26: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für einen vorzeitigen Rentenbezug für langjährig Versicherte
werden hergestellt, wenn es im „Bündnis für Arbeit“ zu
einer entsprechenden einvernehmlichen Empfehlung
kommt. Die Bundesregierung wird tarifliche Vorschläge
in diesem Bereich nur unterstützen können, die außerhalb der Rentenversicherung finanziert werden.
Nun zur Frage 27: Das Nettorentenniveau ist als das
Verhältnis der Nettorente eines Durchschnittsverdieners
mit 45 Versicherungsjahren zum Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer definiert. Durch die Einführung
von Tariffonds ändert sich dieses Verhältnis nicht. Das
Nettorentenniveau bleibt somit unverändert.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, halten Sie es angesichts der demographischen
Entwicklung, die hier jedermann kennt, wirklich für den
Königsweg bei der Lösung der ungeheuren Rentenproblematik, die vor uns liegt, wenn wir jetzt eine Frühverrentung in großem Stil betreiben?
Herr
Singhammer, es gibt überhaupt keinen Königsweg, sondern es geht darum - ich wiederhole es -, mit Tariffonds, die außerhalb der Rentenversicherung finanziert
werden, jüngeren Arbeitnehmern eine Chance auf Erwerbsarbeitsplätze zu eröffnen. Die demographischen
Probleme sind unbestreitbar; aber sie sind in den nächsten fünf Jahren noch nicht dramatisch. Sie werden erst
nach dem Jahr 2010 - hier gibt es unterschiedliche Prognosen - immer drängender. Für die begrenzte Absicht
der IG Metall ist die demographische Entwicklung kein
Hinderungsgrund. Es geht um die Frage, ob das Volumen, das hierfür notwendig ist, von den Tarifvertragsparteien solidarisch aufgebracht wird.
Die zweite Frage,
Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, welche Auswirkungen auf die Einstellungschancen von älteren Arbeitnehmern, die in das Alter
kommen, in dem bald eine Frühverrentung möglich wäre, erwarten Sie, falls die jetzt angedachte Regelung
umgesetzt wird? Sind Sie mit mir der Meinung, daß die
in Rede stehende Regelung die Einstellungschancen von
älteren Arbeitnehmern eher erschwert als erleichtert?
Herr
Singhammer, ich kenne wahrscheinlich genauso wie Sie
die großen Probleme, die ältere Arbeitnehmerinnen und
ältere Arbeitnehmer haben, eingestellt zu werden. Insgesamt geht die Entwicklung - das habe ich schon auf die
Frage des Kollegen Schemken gesagt - hin zu einer
stark jugendzentrierten Personalpolitik, um es einmal so
auszudrücken. Gerade im Zusammenhang mit der deParl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
mographischen Entwicklung brauchen wir eine Einstellungsveränderung bei den großen Betrieben, weil es auf
die Dauer keine Volkswirtschaft aushält, wenn qualifizierte und motivierte ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen quasi zum alten Eisen erklärt und nicht gefördert werden. Ich sehe diese Entwicklung mit großer
Sorge. Aber die Einführung von Tariffonds verstärkt
diesen generellen Trend hin zu einer jugendzentrierten
Personalpolitik nicht; vielmehr haben wir es mit einer
Entwicklung zu tun, die leider insgesamt vorherrscht.
Nun die dritte Frage.
Frau Präsidentin, ich verzichte auf weitere Fragen.
({0})
Die nächste Frage
stellt der Kollege Dr. Göhner.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben bei der Beantwortung der Frage
26 des Kollegen Singhammer, wie mir scheint, eine besonders wichtige Mitteilung gemacht, als Sie sagten,
eine gesetzliche Regelung zur Herabsetzung des Renteneintrittsalters für langjährig Versicherte werde von
der Bundesregierung vorgelegt, wenn ein Einvernehmen
darüber im „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ erzielt sein sollte. Heißt dies umgekehrt, daß dann, wenn es im „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ kein Einvernehmen
in der Frage der Herabsetzung der gesetzlichen Altersgrenzen gibt, die Bundesregierung auch keine gesetzliche Initiative ergreifen wird?
Herr Göhner,
ich hoffe, daß es im Interesse der jüngeren Arbeitnehmer
im „Bündnis für Arbeit“ ein Einvernehmen in dieser
Richtung gibt. Denn ich würde es sehr bedauern, wenn
im „Bündnis für Arbeit“ dieses Angebot einer großen
Gewerkschaft, jüngeren Arbeitnehmern Chancen zu eröffnen, abgelehnt würde, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß diese Regelung außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung finanziert würde und damit zu
keiner zusätzlichen Beitragsbelastung führte.
({0})
Haben Sie noch eine
Frage, Herr Kollege? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, Ihr Bedauern über einen etwaig fehlenden Konsens in dieser Frage kann ich nachvollziehen. Da im
„Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ bisher ausdrücklich schriftlich vereinbart wurde, nicht für eine Änderung der gesetzlichen Altersgrenzen einzutreten, frage ich Sie noch einmal: Wenn es, wie
zum Beispiel die Arbeitgeber öffentlich erklärt haben,
bei dieser Position bleibt - es also keine einvernehmliche Änderung dieser Position gibt -, wird das dann bedeuten, daß Sie hier keine Gesetzgebungsinitiative ergreifen?
Herr Göhner,
ich denke, daß es durchaus möglich wäre, sich darauf zu
verständigen, im Rahmen der Vereinbarung keine Änderung der gesetzlichen Altersgrenzen vorzunehmen. Denn
es handelt sich ja nicht um eine Änderung der Altersgrenzen, sondern darum, einer bestimmten Personengruppe, nämlich langjährig Versicherten, Zugang zur
vorgezogenen Rente zu eröffnen - eine Regelung, die
nicht im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung,
sondern von den Tarifvertragsparteien finanziert würde.
Damit sind wir am
Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für
Arbeit und Sozialordnung. Nun bitte ich Sie alle, meine
Damen und Herren, der Kollegin Ulrike Mascher einmal
Applaus zu zollen. Sie hat sich wacker geschlagen in
dieser Fragestunde. Herzlichen Dank dafür, daß Sie die
Fragen beantwortet haben!
({0})
- Sportlicherweise hätten Sie ruhig alle Beifall klatschen
können, finde ich.
({1})
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte
zur Verfügung. Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Niebel auf:
Was hält die Bundesregierung von dem Vorschlag, Partnerinnen und Partnern von zur Versetzung ins Ausland anstehenden Soldaten für Wohnungsbesichtigungsreisen zum neuen
Stützpunkt freie Plätze auf Bundeswehrmaschinen zur Verfügung zu stellen und damit die Akzeptanz des neuen Lebensumfeldes zu verbessern, vor dem Hintergrund, daß derzeit bei einer
für mehrere Jahre geplanten Verwendung z.B. in den USA keine
gemeinsame Wohnungsbesichtigung vorgesehen ist?
Herr Kollege Niebel, die
Auslagenerstattung aus Anlaß einer Wohnungsbesichtigungsreise in das Ausland ist, wie sich das für eine gute,
qualifizierte Administration in diesem Land gehört, im
Bundesumzugskostengesetz und in der Auslandsumzugskostenverordnung geregelt. Danach werden unter
anderem bestimmte Fahrtkosten für die Reise einer Person zum Suchen oder Besichtigen einer Wohnung erstattet. Fahrtkosten werden nicht erstattet, wenn ein
Verkehrsmittel unentgeltlich benutzt werden kann, wie
zum Beispiel die Luftfahrzeuge der Bundeswehr, die die
entsprechenden Standorte anfliegen.
Wenn der Versetzte seinen Dienst im Ausland bereits
angetreten hat, aber eine Wohnung noch nicht anmieten
konnte, können in Übereinstimmung mit dem Wortlaut
der Auslandsumzugskostenverordnung die Auslagen aus
Anlaß einer Wohnungsbesichtigungsreise des Ehepartners, der noch nicht umgezogen ist, erstattet werden. In
diesem Fall kann dem Ehepartner ein Mitflug in einem
Flugzeug der Bundeswehr gewährt werden. Damit würde die gemeinsame Wohnungsbesichtigung möglich.
Zusatzfrage, Herr
Kollege? - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, Sie haben die geltende Rechtslage geschildert, wonach eine
gemeinsame Wohnungsbesichtigung selbst bei mehrjähriger Auslandsverwendung von Soldatinnen und Soldaten nur dann möglich ist, wenn der Dienstantritt bereits
erfolgt ist. Stimmen Sie mir zu, daß es manchmal dem
Familienfrieden dienlich sein könnte - gerade auch,
wenn man in gering bevölkerten Regionen dieser Welt
eingesetzt ist -, wenn sich die Betroffenen vor der Versetzung gemeinsam nach einer Wohnung oder einem
Haus für die Familie umsehen könnten? Wenn Sie mir
da zustimmen, stimmen Sie mir dann auch darin zu, daß
es bei den Bundeswehrmaschinen öfters freie Kapazitäten gibt - gerade auf Flügen zu diesen teilweise gering
bevölkerten Standorten - und es somit kein Problem wäre, den Ehepartner mitzunehmen?
Sehr geehrter Herr Kollege Niebel, ich stimme Ihnen zu, weil ich der Meinung
bin, daß ein Ehepaar gemeinsam über die Auswahl der
Wohnung entscheiden sollte. Leider sind die Reisekostenregelungen nicht entscheidend durch die Bundeswehr geprägt worden. Diese Regelungen sind das Ergebnis von Absprachen zwischen allen Bundesministerien. Federführend ist - wie in vielen anderen Bereichen
auch - das Bundesinnenministerium. Andere Ministerien, zum Beispiel das Auswärtige Amt, vertreten leider
die Auffassung, daß dann, wenn ein Ehepartner bereits
umgezogen ist, der andere Partner keinen Anspruch
mehr auf eine Wohnbesichtigungsreise hat. Insoweit ist
das Bundesverteidigungsministerium schon ein bißchen
großzügiger. Hier muß abgewogen werden. Ein Ehepaar
sollte sich vielleicht vor dem Umzug gemeinsam darüber Gedanken machen, welchen Anforderungen die
neue Wohnung gerecht werden soll. Der eine Partner
sollte dem anderen vertrauen, daß dieser dann die entsprechende Wohnung aussucht.
Aus aktuellem Anlaß: Ich habe während meiner
USA-Reise einen qualifizierten Mitarbeiter des Auswärtigen Amts getroffen, der mit seiner Familie in Washington in einem sehr mittelmäßigen Hotel leben mußte, weil es nicht möglich war, eine Wohnung zu finden,
und weil er sich angesichts seiner mehrköpfigen Familie
nicht getraut hat, vor dem Umzug eine Wohnung allein
auszusuchen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir gemeinsam darüber nachdenken könnten, ob die angesprochene Regelung heute noch zeitgemäß ist.
Ich rufe nun Frage 29 des Kollegen Werner Lensing auf:
Wie ist die vom Bundesminister der Verteidigung, Rudolf
Scharping, am 8. September 1999 vor dem Konversionskongreß
der rheinland-pfälzischen Landesregierung in Mainz gemachte
Ankündigung, „zur Senkung der Betriebskosten an den Standorten der Bundeswehr eine stärkere Zusammenarbeit mit den
Kommunen zu suchen“, vor dem Hintergrund der Tatsache einzuschätzen, daß die lokalen Stromversorger von den Ausschreibungen von Stromlosen im Bereich der Bundeswehr faktisch
ausgeschlossen sind?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege Lensing, die
Aussage des Bundesministers der Verteidigung steht
keinesfalls im Gegensatz zum praktizierten Verfahren
der Bundeswehr bei der Ausschreibung für Stromlieferungen. Das Verfahren soll zur Absenkung der Betriebskosten und damit zur Steigerung der Effizienz beitragen.
Die angesprochene stärkere Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und den kommunalen Unternehmen zur Senkung der Betriebskosten an den Standorten
soll insbesondere auf den Gebieten der Wärme- und
Wasserversorgung sowie der Mülltrennung und Müllbeseitigung, aber auch beim Austausch technischen Wissens stattfinden und zur Nutzung vorhandener Kapazitäten beitragen. Die Stromversorger haben sich allerdings inzwischen anders ausgerichtet. Ihre Fachkompetenz reicht oft über den kommunalen Bereich hinaus.
Aber erfreulicherweise gibt es eine ganze Reihe von
kommunalen Versorgungsunternehmen, die in Zusammenarbeit mit anderen Stromversorgern die Bundeswehr
beraten können. Auf Ihren konkreten Fall eingehend:
Die Stadtwerke Düsseldorf zum Beispiel haben in Zusammenarbeit mit einem großen Stromunternehmer der
Bundeswehr Angebote für viele Standorte im Wehrbereich III unterbreitet. Es liegt natürlich in unserem Interesse, daß auch die kommunalen Stadtwerke Energieberatung und -management wahrnehmen können.
Das Problem, das Sie angesprochen haben, besteht
bei der Stromlieferung. Nachdem Wettbewerb auch im
Stromhandel zugelassen worden ist, nimmt selbstverständlich auch die Bundeswehr alle gebotenen Einsparmöglichkeiten wahr. Die Bundeswehr mit ihren vielen
Liegenschaften erhält heute auf dem freien Markt Angebote bezüglich Stromerzeugung, An- und Verkauf von
Strom, die kommunale Unternehmen nicht machen können. Diese Entwicklung kann man bedauern. Ich bedauere dies auch. Aber die Realität ist heute so.
Eine Zusatzfrage? Bitte sehr.
Ihre bisherigen Ausführungen stehen, denke ich, nicht im Widerspruch zu
unser beider Auffassung, daß die lokalen Stromversorger durch die Ausschreibung von Stromlosen in eine
schwierige Lage geraten. Mit dieser Frage haben wir uns
schon einmal befaßt. Stimmen Sie mit mir darin überein,
daß die direkte, konkrete Zusammenarbeit vor Ort zwischen Stromversorgern und Bundeswehrliegenschaften
die erwünschten Synergieeffekte und Kostenvorteile
bringen würde?
Herr Kollege Lensing, Sie
haben zu Recht auf die Leistungsfähigkeit der kommunalen Unternehmen hingewiesen, die oft nicht nur
Strom, sondern auch Wasser und Gas liefern. Nachdem
aber die Energiegesetze und der Strommarkt liberalisiert
worden sind, erhält die Bundeswehr - das können Sie
sich vorstellen -, als attraktiver Kunde Angebote, die
kommunale Unternehmen selbstverständlich nicht machen können.
Jetzt hat Herr Kollege Wiese eine Frage.
({0})
- Wenn Sie gestatten, jetzt habe ich den Kollegen Wiese
aufgerufen. Sie können dann noch eine weitere Frage
stellen. Entschuldigung! - Bitte sehr.
Wenn Ihnen,
Frau Staatssekretärin, bekannt ist, daß gerade vor Ort die
Zusammenarbeit fruchtbar war und auch in der Vergangenheit ein großes Interesse von seiten der Bundeswehr
und ihrer Dienststellen vorhanden war, in diesem Bereich zusammenzuarbeiten, glauben Sie dann nicht, daß
durch die vorgesehene Regelung dieses Prinzip der Subsidiarität unnötig gefährdet oder vorschnell aufgekündigt
wird?
Sehen Sie nicht eine Möglichkeit, daß auch in der
Zukunft vor Ort trotz der angestrebten Zentralisierung
und der Synergieeffekte die Subsidiarität gegenüber der
Bundeswehr gewahrt werden kann?
Herr Kollege Wiese, Sie
sprechen hier die frühere Vorsitzende des Gesprächskreises Kommunalpolitik an, die aus diesen Gründen
natürlich damals bei der Liberalisierung des Strommarktes große Probleme hatte - und dies ausdrücklich
nicht, weil ich nicht für eine Modernisierung auch unseres wirtschaftlichen Handelns seitens des Staates einstehen würde -, die nämlich damals gewußt hat, daß die
Verlierer in großen Teilen die kommunalen Unternehmen sind, die zum Teil eine hervorragende Versorgung
in der Fläche bieten. Nur: Die Liberalisierung des
Strommarktes wurde ganz besonders durch unseren früheren Kollegen Bangemann in der EU vorangetrieben,
und das sind nun heute die Folgen.
Wir haben eine derart umfangreiche Stromkostenvergünstigung durch dieses Angebot der Liberalisierung,
daß die Bundeswehr kaum in der Lage sein wird, Einsparungen nicht in Anspruch zu nehmen. Anderenfalls
würde der Bundesrechnungshof und würden auch Sie als
Vertreter der Opposition uns wahrscheinlich sehr mahnen, mit dem Geld des Steuerzahlers vorsichtig umzugehen.
({0})
- Ob die immer vernünftig waren? - Bei dieser Frage
würde ich sehr vorsichtig sein, Herr Kollege.
Die Diskussion führen wir gern fort, denn ich bin
wirklich der Meinung, daß die kommunale Infrastruktur
zum Teil eine hervorragende Versorgung in der Fläche
geleistet hat, und diese geht dabei ein Stück weit verloren.
Ich bedauere dies und habe die Hoffnung, daß mindestens im Bereich der Wärmeversorgung, aber auch bei
Wasser und Abwasser weiterhin entsprechende Möglichkeiten bestehen. Ich sehe sie bei der Lieferung von
Strom kaum. Daran sind fast gar keine Stadtwerke beteiligt, es sei denn, sie seien wie in diesem Fall in Düsseldorf in Zusammenarbeit mit einem sehr großen Energieunternehmen in der Lage, eine Region zu versorgen.
Auf der Strecke bleiben die guten alten kommunalen
Stadtwerke.
Nun kann Herr
Kollege Lensing seine zweite Zusatzfrage stellen.
Frau Staatssekretärin,
ich beziehe mich noch einmal auf die Antwort auf meine
erste Zusatzfrage. Wenn ich von diesen Überlegungen,
die Sie angestellt haben, ausgehen darf, hoffe ich, daß
Sie mich mit meiner Sorge und meiner Bewertung verstehen. Ich entdecke einen Widerspruch zwischen dem
Handeln der Regierung einschließlich der von Ihnen
vorgetragenen Begründung und dem Bemühen der SPD,
gerade die Stadtwerke vor der Liberalisierung des Energiewirtschaftsrechtes schützen zu wollen. Ich denke unter anderem an die juristische Bewertung und an das
Verwaltungsverfahren, das Sie anstreben - oder gegebenenfalls nicht mehr anstreben?
Ich kann Ihnen sagen,
Herr Kollege Lensing, weil ich diese Verhandlungen
recht gut in Erinnerung habe, daß auch die Vertreter der
CDU-geführten Kommunen mit eigenen Stadtwerken,
die es ja auch gibt, eine ähnliche Position eingenommen
haben wie die sozialdemokratischen Vertreter der
Stadtwerke. Hier ist einfach die Sorge vorhanden, daß in
den letzten Jahrzehnten gewachsene Strukturen dadurch
aufgegeben werden müssen, und darauf bezog sich auch
mein Hinweis.
Da ich wie Sie einen Wahlkreis vertrete, der nicht nur
städtische, sondern auch ländliche Gebiete hat, ist mir
bekannt, daß zum Beispiel die Versorgung in der Fläche
in der Regel von kommunalen Unternehmen geleistet
wurden, die dafür natürlich auch einen höheren Preis
nehmen wollten.
Wir werden sehr deutlich sehen, daß am Ende der
normale Kunde in der Fläche die Liberalisierung des
Strommarktes bezahlen muß. Ich habe dies bedauert,
weil ich gesehen habe, daß die Stadtwerke zum Teil
hervorragende Arbeit geleistet haben. Ich kann Ihnen
nur sagen, daß wir aus Gründen der Sparsamkeit als
Bundeswehr, verteilt über die gesamte Bundesrepublik
Deutschland uns jetzt auf die neuen Gegebenheiten einstellen müssen.
Die Fragen 30 und
31 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die letzte Frage aus dem Geschäftsbereich
des Bundesministeriums der Verteidigung auf, die Frage
32 der Kollegin Annette Widmann-Mauz:
Welche Umstände, auf die das Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung vom 29. Juli 1999 im Zusammenhang
mit meiner schriftlichen Frage mit der Arbeitsnummer 6/35 vom
1. Juni 1999 zur Absage eines Besuchs bei der Bundeswehr in
Stetten am kalten Markt Bezug nimmt, sind eingetreten, die es
rechtfertigen, daß meine o. g. Frage bis heute nicht beantwortet
ist?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Frau Widmann-Mauz, der
Oberstleutnant a. D. Ulrich Dinkelacker hatte sich am
30. März 1999 telefonisch an den Kommandeur des in
Stetten am kalten Markt stationierten Panzergrenadierbataillons, Herrn Oberstleutnant Schönfeld, gewandt.
Herr Dinkelacker nannte seine militärische Herkunft
und erklärte damit seine Kontakte zur Bundeswehr. Er
bat zu prüfen, ob das Bataillon im Rahmen des Ferienprogramms der Stadt Mössingen - nicht im Rahmen des Ferienprogramms der CDU - einen Truppenbesuch für Kinder und Eltern der Stadt durchführen
könne.
Für Herrn Oberstleutnant Schönfeld, also den aktiven
Kommandeur, war zu diesem Zeitpunkt nicht zu erkennen, daß Herr Dinkelacker als Vorsitzender des CDUStadtverbandes handelte. Er ging vielmehr davon aus,
daß sein Bataillon einen Beitrag zu einem Vorhaben
unter ausschließlicher Trägerschaft der Stadt leisten
solle.
({0})
Er sagte daher eine wohlwollende Prüfung zu und bat
Herrn Dinckelacker, den Wunsch schriftlich zu formulieren.
Am 8. Mai 1999 erhielt er ein Schreiben von Herrn
Dinkelacker, in dem dieser die Zustimmung zu einer
Einladung des CDU-Stadtverbandes zu einem Tag bei
der Bundeswehr einholen wollte. Hier wurde für den
Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 294 erstmals deutlich, daß es sich bei dem Veranstalter für einen
geplanten Truppenbesuch im Rahmen des städtischen
Ferienprogramms um den CDU-Stadtverband handelte,
der diese Veranstaltung im Programm als seine anbieten
wollte. Der Kommandeur hielt sich angesichts des für
Soldaten gemäß § 15 des Soldatengesetzes bestehenden
Verbots, sich im Dienst zugunsten oder zuungunsten
einer bestimmten politischen Richtung zu betätigen, für
verpflichtet, dem CDU-Stadtverband, nicht aber der
Stadt Mössingen abzusagen.
Auf Grund Ihres Hinweises, den Sie mir auch geschrieben haben, daß in der Vergangenheit derartige
Veranstaltungen unterstützt wurden, habe ich eine
nochmalige Überprüfung der Angelegenheit angeordnet;
ich wollte Ihnen ja keine unkorrekte Antwort geben.
Meine Ermittlungen haben ergeben, daß das Panzergrenadierbataillon 294 in den vergangenen fünf Jahren keine durch den CDU-Stadtverband initiierte Veranstaltung
durchgeführt hat.
Zwar schließen die geltenden Bestimmungen Truppenbesuche, auch wenn sie von Parteien - geschweige
denn von den in den Bundestag gewählten demokratischen Parteien - und ihren Verbänden initiiert werden,
nicht aus. Bei der Vorbereitung und Durchführung eines
derartigen städtischen Ferienprogramms darf aber nicht
der Eindruck entstehen, daß eine Partei Trägerin der
Veranstaltung ist. Dies war der Grund, warum der
Kommandeur abgesagt hatte.
So lag der Fall vor, daß der CDU-Stadtverband Mössingen beabsichtigte, im Rahmen des Ferienprogramms
der Stadt Mössingen als Veranstalter des Besuchs bei
der Bundeswehr aufzutreten. Der späteren Bitte der
Stadt Mössingen, den Besuch von Kindern und Eltern
der Stadt zu ermöglichen, wurde am 8. September entsprochen.
Frau WidmannMauz hat eine Zusatzfrage.
Zunächst
möchte ich Ihnen für die Antwort danken. Es hat rund
fünf Monate gedauert, bis ich eine Antwort des Bundesministeriums erhalten habe. Ich sehe insofern die
Frage, die ich Ihnen gestellt habe, nach wie vor nicht
beantwortet: Weshalb hatte ich so lange auf eine schriftliche Antwort zu warten? Teilen Sie meine Meinung,
daß dies eine wirklich eklatante Mißachtung der parlamentarischen Rechte der Abgeordneten darstellt?
({0})
- Ich habe gefragt, ob sie diesen Vorgang als eine Mißachtung der parlamentarischen Rechte der Mitglieder
dieses Hauses betrachtet. - Ich erwarte nach wie vor eine Antwort auf meine schriftliche Frage.
Liebe Frau Kollegin
Widmann-Mauz, ich bin über Ihre Frage sehr verwundert. Normalerweise hätten wir Ihnen deutlich und klar
sagen müssen, daß dies nicht geht. Da die CDU, eine
demokratische Partei, angefragt hatte, habe ich sorgfältig nachprüfen lassen, Frau Kollegin, ob es sich um ein
städtisches Programm handelte. Wäre es darum gegangen, daß der CDU-Stadtverband einen solchen Besuch
machen wollte, dann hätte niemand etwas dagegen gehabt. Aber der Kommandeur hat völlig richtig gehandelt,
als er feststellte, daß der CDU-Stadtverband dies im
Rahmen des städtischen Programms anbietet.
Weil ich als Parlamentarierin - nach 23jähriger Tätigkeit in diesem Parlament glaube ich, etwas dazu sagen
zu können - nicht der Meinung war, man könne einfach
sagen, das gehe nicht, haben wir den Vorfall kritisch geprüft. Dabei haben wir festgestellt, daß die Veranstaltung in der Tat stattgefunden hat, nachdem die Stadt diesen Antrag gestellt hatte.
Sie hat am 8. September stattgefunden. Ich denke, ich
habe Ihnen heute in aller Deutlichkeit gesagt, warum der
aktive Kommandeur richtig gehandelt hat. Sie sollten
vielleicht einmal den Oberstleutnant Dinkelacker fragen,
warum er sich bei seiner ersten Anfrage am 30. März
nicht gleich zu erkennen gegeben und gesagt hat, daß er
in seiner Funktion als CDU-Stadtverbandsvorsitzender
und nicht als ehemaliger Angehöriger der Bundeswehr
gehandelt hat.
({0})
Das sollten Sie ihn fragen. Dann würde sich nämlich
manches nicht ergeben haben. Deswegen sage ich Ihnen:
Ich habe versucht, Ihnen in aller Sorgfalt zu erklären,
daß mein Staatsverständnis, wenn es sich um eine politische Partei wie die CDU handelt, immer zunächst davon
ausgeht, daß geprüft wird, ob die Wünsche erfüllt werden können. Wenn aber das dabei herausgekommen ist,
dann, denke ich, ist unser Handeln richtig gewesen.
Deswegen haben Sie die Antwort heute im Parlament
bekommen.
Und nun stellt die
Kollegin ihre letzte Frage. - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, erstens liegt mir ein Schriftverkehr zwischen
dem Oberstleutnant a.D. Dinkelacker, dem Wehrbereichskommando und dem entsprechenden Panzergrenadierbataillon vor, bei dem jedes Mal auf das Ferienprogramm der Stadt und die Einführung durch den CDUOrtsverband hingewiesen wurde. Aber meine Frage geht
trotzdem in eine andere Richtung.
Mit Schreiben vom 28. Juli hat der CDU-Ortsverband
Mössingen die schriftliche Zusage erhalten, daß der
Truppenbesuch im Rahmen des Ferienprogramms
durchgeführt werden kann. Am 29. Juli habe ich vom
Parlaments- und Kabinettsreferat des Bundesministeriums für Verteidigung ein Schreiben bekommen,
({0})
Sie müssen eine
Frage stellen!
- die Frage
kommt -, dem zufolge nach meiner schriftlichen Anfrage Umstände eingetreten seien, die weitere Rückfragen
und Prüfungen erforderlich machten, und daß deshalb
eine Beantwortung meiner schriftlichen Fragen vom 1.
Mai nicht möglich sei.
Ich frage Sie, Frau Staatssekretärin: Weshalb ist es
möglich, dem CDU-Ortsverband Mössingen eine positive Antwort - daß der Truppenbesuch möglich ist - zu
geben, allerdings einem Mitglied dieses Hauses keine
Antwort auf die Frage zukommen zu lassen? Fünf Monate sind vergangen, bis ein Mitglied dieses Hauses eine
konkrete Antwort auf die Frage erhalten hat. Wie erklären Sie sich dies?
Sehr klar mit den Sachzusammenhängen, daß die Stadt Mössingen diese Veranstaltung durchgeführt hat. Wenn Sie sich das Programm
ansehen, so fand diese nicht auf Einladung des CDUStadtverbandes statt, sondern auf Einladung der Stadt
Mössingen. Das ist geklärt worden, und damit haben wir
Ihnen auch klare Auskunft gegeben. Vielleicht fragen
Sie den zuständigen Bundestagskollegen, der diesen
Wahlkreis vertritt, auch einmal - ich glaube, es ist ein
CDU-Wahlkreis -, was er von der Angelegenheit hält.
Ich kann Ihnen nur deutlich sagen, daß es völlig korrekt ist, wie wir vorgegangen sind. Ich hätte Ihnen gerne
auch schriftlich geantwortet, wenn Sie uns Zeit gelassen
hätten. Am 8. September ist diese Veranstaltung durchgeführt worden. Es ist etwas merkwürdig, wenn Sie sich
daran erinnern, daß in diesem Jahr in BadenWürttemberg Kommunalwahlen stattgefunden haben.
Sie wissen, wann sie stattgefunden haben.
({0})
Es ist zu fragen, ob dann am 8. September im Rahmen
eines Programmes des CDU-Stadtverbandes solche Veranstaltungen durchgeführt werden müssen.
Ich kann mich gut erinnern, daß wir uns immer darüber einig waren, daß die Bundeswehr aus dem parteipolitischen Bereich herausgelassen werden sollte.
({1})
Wir haben prüfen lassen, Frau Kollegin, und festgestellt,
daß es in den letzten fünf Jahren mitnichten vorgekommen ist, daß die CDU eine solche Veranstaltung beantragt hat. Sie hat sie in einem Wahljahr beantragt. Ich
würde Ihnen sehr empfehlen, dies nicht zu tun.
({2})
Die Bundeswehr ist aus gutem Grund die Armee des
demokratischen Rechtstaates und ist nicht für solche Sachen zu vereinnahmen. Ich denke mir, daß das ziemlich
klar ist.
({3})
Damit sind wir am
Ende der Fragestunde angelangt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß Ziffer 1b der
Richtlinien für die Aktuelle Stunde zu den Antworten
der Bundesregierung auf die Fragen aus dem Geschäftsbereich des BMA eine Aktuelle Stunde verlangt. Die
Aussprache muß nach Ziffer 2a der Richtlinien unmittelbar im Anschluß an die Fragestunde durchgeführt
werden.
Ich rufe daher auf:
Aktuelle Stunde
Rente mit 60 und Bündnis für Arbeit
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was
ich hier vor mir liegen habe, ist kein Redemanuskript,
sondern das Geheimpapier, von dem heute in der Fragestunde schon einige Male die Rede war.
({0})
Frau Staatssekretärin Mascher, ich glaube, daß in der
Fragestunde eine Reihe von Fragen dazu nicht hinreichend beantwortet worden sind
({1})
und daß zu Beginn dieser Aktuellen Stunde noch einmal
allgemein über dieses Papier gesprochen werden muß.
({2})
- Es würde Ihnen so passen, das zu erfahren. Aber es
wurde ja zunächst von der Presse veröffentlicht, und da
konnte man das Notwendige lesen.
({3})
Wer so etwas zu Papier bringt oder zu Papier bringen
läßt - obwohl Sie alles leugnen -, offenbart allein dadurch seine ganze politische Verkommenheit.
({4})
Leugnen nützt nichts. Herr Riester hat sich in der
letzten Woche, als das „Handelsblatt“ die wesentlichen
Passagen veröffentlicht hat, sehr hart getan. Noch am
Morgen des Tages der Veröffentlichung hat er dementiert und geleugnet, daß es dieses Papier überhaupt gibt.
Am Nachmittag waren die Seiten dieses Papieres auf
den Bildschirmen der Fernsehsender zu sehen. Da nützte
Leugnen nichts mehr, und er ist abgetaucht.
Leugnen nützt auch deswegen nichts, weil hier steht,
daß das Papier absolut vertraulich ist und daß es der
Leitung des Bundesministeriums für Arbeit vorliegt. Am
Ende des Papieres steht immerhin der Name eines Abteilungsleiters. Ein Abteilungsleiter gehört zur politischen Führung eines Hauses.
Alles deutet jetzt darauf hin, daß das, was in dem Papier steht - auch wenn Sie nach wie vor leugnen, daß
dieses Papier eine politische Bedeutung hätte -, umgesetzt wird.
({5})
Heute ist beispielsweise die Agenturmeldung zu lesen,
daß die Rentenanpassung des nächsten Jahres aus dem
Haushaltssanierungsgesetz herausgenommen werden
soll.
({6})
Bei diesem Papier geht es aber nicht nur um die
Rentenpolitik, sondern auch um etwas ganz anderes,
nämlich darum, mit welchen politischen, taktischen und
strategischen Finessen die SPD es schafft, ihren Parteitag Anfang Dezember zu überstehen und in diesem Zusammenhang sowie im Hinblick auf die nächsten Landtagswahlen im Februar und im Mai des nächsten Jahres
das Thema Renten irgendwie zu neutralisieren. Ich finde
es ein Stück weit beschämend, daß die Rentenpolitik zu
einem parteipolitischen Vehikel verkommt. Dazu ist die
Rentenpolitik zu wichtig.
({7})
Hier steht ja auch - ich finde es empörend -:
Die Verantwortung, wenn Rentengespräche scheitern, muß glaubhaft bei der Opposition liegen.
Wir, die Opposition also, sollen der Sündenbock sein.
Zu den einzelnen Punkten dieses Papieres: Hier ist
davon die Rede, daß die Anpassung der Rente an die Inflation aus dem Sparpaket ausgelagert werden soll. Dies
ist, wie ich gerade gesagt habe, heute bestätigt worden.
Es heißt hier:
Da die Festlegung der Rentenerhöhung 2000 erst
im Frühsommer 2000 erfolgen muß, haben wir ausreichend Zeit, im Konsens ein für uns
- für die Regierung positives Ergebnis zu erreichen.
({8})
Das lassen wir mit uns natürlich nicht machen: Jetzt
tut man so, als ob man im Sommer nächsten Jahres
vielleicht ein höheres Rentenangebot vorlegen würde,
und legt uns in Form eines Rentenkompromisses herein,
um dann im nächsten Mai doch wieder etwas anderes zu
tun. Daß Ihnen alles zuzutrauen ist, zeigt die Tatsache,
daß solche Papiere gefertigt werden. Das lassen wir mit
uns nicht machen.
Hier heißt es weiter, die Bundesregierung sollte eine
interne Verhandlungslinie haben, um statt einer Erhöhung von 0,7 Prozent mir nichts, dir nichts eine Erhöhung von 1,7 Prozent zu gewähren. Das hat mit solider
Rentenpolitik nichts mehr zu tun. Das ist maghrebinische Teppichhändlerei. Für uns in der Union ist die
Rentenpolitik kein orientalischer Basar. Die Rentenpolitik zählt für uns vielmehr zum Sensibelsten, was es in
Vizepräsidentin Anke Fuchs
der Bundespolitik gibt. An den Maßnahmen in diesem
Bereich messen viele Menschen unsere politische
Glaubwürdigkeit.
({9})
Das Ganze hat auch einen erheblichen finanzpolitischen Aspekt. Hier heißt es:
Höhere Staatsverschuldung ist dann der fiskalische
Preis für einen politischen Erfolg an der Rentenfront.
Ich kann nur sagen: Schäbig!
Am allerschäbigsten finde ich den Satz:
Die Öffentlichkeit muß wissen, wer die Guten und
wer die Schlechten sind.
({10})
Da frage ich mich in der Tat: Sind die Schlechten diejenigen, die wie wir in der letzten Legislaturperiode notwendige, wenn auch harte rentenpolitische Reformschritte durchgeführt haben, und sind die Guten vielleicht diejenigen, die mit solch einem Papier buchstäblich Anstiftung zum politischen Betrug betreiben und
eine Art Leitfaden zur Wählertäuschung vorlegen?
Das ist eine wirkliche Verdrehung der politischen Tatsachen.
({11})
Ich wünsche meinen politischen Gegnern wirklich
nichts Schlechtes, aber in der letzten Woche ist einiges
eingetreten, was in der Presse, auch in der linken
Presse
Herr Kollege, wir
sind in der Aktuellen Stunde.
- ich weiß -, ein
entsprechendes Echo gefunden hat.
Herr Kollege, Sie
sind jetzt über die Zeit. Ich muß darauf achten, wir befinden uns in der Aktuellen Stunde.
Die „Süddeutsche Zeitung“ spricht nur noch von der Kraft zur Selbstbeschädigung bei der rotgrünen Regierung. Die „Abendzeitung“ in München schreibt: Selbst Optimisten in der
Regierung sind verzweifelt. - Dem ist in der Tat nichts
mehr hinzuzufügen.
({0})
Jetzt hat der Kollege
Kurt Bodewig, SPD, das Wort. Ich bitte alle, darauf zu
achten, daß wir in der Aktuellen Stunde sind und die
Redezeit fünf Minuten beträgt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als erstes möchte ich mein Bedauern darüber aussprechen, daß der Bundesarbeitsminister erkrankt ist und nicht hier sein kann. Ich denke, es
besteht hier insoweit Konsens, daß wir ihm gute Besserung wünschen.
({0})
Nun komme ich mit einer ganz kurzen Bemerkung zu
den Ausführungen des Kollegen Ramsauer. Ich kann nur
sagen: Wenn Sie den Begriff des politischen Betrugs in
den Mund nehmen, dann trifft das vielleicht auf andere
Regionen zu, aber hier in Berlin herrschen keine Münchener Verhältnisse.
({1})
Jetzt komme ich zu Ihrem Thema. Sie sprechen davon, die Renten zu neutralisieren. Ich weiß zwar nicht,
wie das geht, aber was wir leisten könnten, wäre, die
Rentendebatten zu versachlichen. Dazu würde ich gern
beitragen. Ich möchte gern einen Hauptirrtum, der bei
Ihnen vorherrscht, klären.
({2})
Sie sprechen von der Rente mit 60. Es gibt eine Tarifrente mit 60. Diese kann es geben, weil wir dafür die
Möglichkeiten eröffnen. Ich habe auch an die Vertreter
der Presse die Bitte, hier sachlicher und präziser zu sein;
denn es geht hier um einen völlig anderen Vorgang als
eine Rente mit 60. Es geht um eine Tarifrente, in die
man vielleicht im Alter von 60 Jahren eintreten kann.
Ich möchte auch die Mißverständnisse aufklären, die
die Kollegin Schnieber-Jastram formuliert hat. Der Bundeskanzler hat sich auf dem IG-Metall-Kongreß keineswegs gegen Tariffonds ausgesprochen. Er hat wie der
Bundesarbeitsminister sehr deutlich gemacht, daß er
kein vorgezogenes Renteneintrittsalter, also keinen gesetzlichen Renteneintritt im Alter von 60 Jahren will.
Das hat etwas damit zu tun, daß wir verantwortlich mit
Finanzen umgehen. Das steht im Gegensatz zu der Verschuldungspolitik, die Sie in den letzten Jahren betrieben haben.
({3})
Aus dem einfachen Grunde, daß ein vorgezogenes Renteneintrittsalter nicht bezahlbar ist, hat er es abgelehnt.
Das halte ich für sehr konsequent.
Wir haben statt dessen etwas anderes gemacht, Sie
kennen das: Wir werden die Entrichtung einer Beitragsnachzahlung zum vollständigen Ausgleich der anfallenden Abschläge einführen. Das ist politischer Wille und
eine Option, die wir den Tarifparteien ermöglichen. Die
F.D.P., die sonst Gralshüter der Freiheit ist, müßte doch
vor Begeisterung darüber schreien, daß neue Optionen
entstehen, die genutzt werden können.
Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was der Bundesarbeitsminister vorschlägt, ist ein kluges Modell, weil es
gleichzeitig den Tarifvertragsparteien Verantwortung
zuweist. Die Reaktionen darauf sind doch interessant.
Nach der lauten Schreierei der ersten Tage gibt es nun
differenzierte Auffassungen. Ich will nicht den Gewerkschaftsbereich zitieren; da ist die Auffassung von
der IG BCE bis zur IG Metall ohnehin klar. Alle sagen: Es geht um Altersabschläge, die vorfinanziert werden.
Ich zitiere den Gesamtmetallvize Martin Kannegießer, der sagt: „Ein Kompromiß ist möglich“. Ich
zitiere den Arbeitgeberpräsidenten Hundt aus dem
„Handelsblatt“ vom 22. Oktober; dort bietet er Politik
und Gewerkschaften an, daß im Rahmen der Altersteilzeit anfallende Rentenabschläge im Rahmen einer moderaten Lohnpolitik ausgeglichen werden können. Das
ist nichts anderes, als daß hier ein Modell, das wir vorschlagen, auch in der Gedankenwelt der Arbeitgeber
vorhanden ist und dort wahrscheinlich geprüft wird.
Ich denke, die Tarifvertragsparteien, die beide Zustimmung signalisieren, werden mit dieser Verantwortung umgehen. Sie unterscheiden sich in diesem Sinne
etwas von Ihnen, die Sie eine solche Möglichkeit, Arbeit
herzustellen, ablehnen. Ich will es Ihnen ganz genau sagen: Wenn die Tarifvertragsparteien mit der Gründung
von Tariffonds das Ziel verbinden, Beschäftigung herzustellen, jungen Menschen den Eintritt ins Berufsleben zu
ermöglichen, dann hat das sehr wohl etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun, die wir ernst nehmen müssen. Es geht um die Ausgestaltung solcher Tarifmodelle.
Politik eröffnet Möglichkeiten. Arbeitgeber und Gewerkschaften werden darüber entscheiden, wie, mit welchen Konditionen und mit welchem Ziel das ablaufen
wird. Ein Ziel ist klar: Wir müssen jungen Menschen
Beschäftigung ermöglichen. Das würde ich als Chance
für junge Menschen beschreiben. Im Umkehrschluß sage
ich: Menschen, die 45 Jahre Beiträge bezahlt haben, haben ihren Teil des Generationenvertrages erfüllt. Das
sollten wir endlich einmal zur Kenntnis nehmen.
({4})
Auch junge Menschen haben sich in einer Umfrage
des Wirtschaftsmagazins „DM“ dafür ausgesprochen,
eine Tarifrente mit 60 zu akzeptieren: Die Zustimmung
bei den bis 30jährigen lag bei 40 Prozent, bei den bis zu
44jährigen sogar bei 77 Prozent. Danach steigt der Prozentsatz noch weiter an. Ich kann Ihnen nur raten, vom
Bewußtsein der Menschen zu lernen, daß jede Möglichkeit, die für die Rentenversicherungsträger kostenneutral
ist, genutzt werden sollte um so Beschäftigung herzustellen.
Ich denke, wir führen eine sachgerechte Debatte. Ich
würde mich freuen, wenn Sie sich daran beteiligten. Ich
würde mich auch freuen, wenn Sie sich unserer Auffassung anschließen, daß ein Vorfinanzierungsvolumen,
das durch entsprechend höhere Beiträge aufgebracht
wird, dazu führt, daß ohne Belastung der sozialen Sicherungssysteme ein Modell verwirklicht werden kann, das
die Beschäftigten wollen. Sie werden nämlich mit ihren
Interessenvertretern, den Gewerkschaften, selber entscheiden können, ob sie es wollen. Ich bin mir sicher,
daß sie es wollen, weil es kostenneutral ist und zukünftige Generationen nicht durch höhere Sozialversicherungsabgaben belastet.
Ein letztes Wort dazu: Sie schlagen Modelle wie das
aus Ihrem Familienprogramm vor, wodurch auf einmal
ganz sachfremde Elemente in die Rentenversicherung
eingeführt werden. Ich kann dazu nur die heutige Pressemitteilung von Professor Rürup zu Forderungen aus
der Union zitieren:
Die Beitragsstaffelung nach der Kinderzahl und
Elternrente sollte dort bleiben, wo sie herkommt,
nämlich in der Mottenkiste gutgemeinter, aber
deswegen nicht guter sozialpolitischer Ideen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß.
Hören Sie einmal zu. Man
kann immer wieder dazulernen. Ich bin guter Hoffnung.
({0})
Jetzt hat der Kollege
Dr. Westerwelle von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal schließe ich mich natürlich den Besserungswünschen des Kollegen Bodewig an den Bundesarbeitsminister an. Wir Freien Demokraten wünschen dem Bundesarbeitsminister in jeder Hinsicht gute Besserung.
({0})
Ich möchte nun auf die Fragestunde eingehen. Die
bemerkenswerteste Nachfrage ist von Herrn Kollegen
Göhner gekommen. Die bemerkenswerteste Antwort
war die anschließende Eierei auf der Regierungsbank.
({1})
Es wurde die klare Frage gestellt: Werden Sie als Bundesregierung die Rechtslage ändern, wenn es nicht zu
einer Einigung zwischen den betroffenen Tarifparteien
am runden Tisch kommt? Dieser Frage sind Sie ausgewichen. Man kam sich deswegen nicht vor wie in einer
Fragestunde, sondern wie in einer Mischung aus
Schwimmstunde und Grillparty.
({2})
Es ist unglaublich, was für ein Zickzackkurs hier gefahren wurde. Hierbei überbietet sich die Bundesregierung ja immer wieder selbst.
({3})
Am 29. September 1999 hieß es: Riester und Zwickel
völlig entzweit. Bei der Rente mit 60 werfen sich Arbeitsminister und IG-Metall-Chef gegenseitig UnredKurt Bodewig
lichkeit vor. Riester erteilt Rente mit 60 eine klare Absage.
({4})
Etwas später lesen wir in der „Süddeutschen Zeitung“
vom 16. Oktober 1999: Riester sieht nur geringe Chancen für Rente mit 60. Etwas früher, am 14. Oktober,
hieß es noch: Einigkeit über die Rente mit 60. - Diesen
Wirrwarr kann man nicht, Herr Kollege Bodewig, irgendwelchen „dümmlichen Journalisten“ vorwerfen.
Das Problem ist nicht die deutsche Presse, sondern das
Problem ist die Rentenpolitik der Regierung.
({5})
Deswegen ist es aus Sicht der Freien Demokraten
grober Unfug, wenn hier erklärt wird, es handele sich
bei der Rente mit 60 um einen Beitrag zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit in der jungen Generation. Wir haben viele Erfahrungen mit einer Frühverrentungspolitik
gemacht, die früher von überparteilichem Konsens getragen wurde. Unter den daraus resultierenden Lasten
leiden die deutschen Rentenkassen noch heute. Außerdem hat die Frühverrentungspolitik früherer Tage nicht
einem einzigen jungen Menschen einen Arbeitsplatz gebracht. Sie hat nur dazu geführt, daß Arbeitsplätze auf
Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wegrationalisiert wurden.
({6})
Die Frühverrentung bringt den Jungen keine neuen Arbeitsplätze; sie bringt ihnen höhere Abgaben. Deswegen
wurde die Frühverrentungspolitik korrigiert. Sie aber
wollen aber wieder dorthin zurück. Daher bekommen
Sie in dieser Frage den Widerstand der Opposition zu
spüren.
({7})
Was Sie vorschlagen, hat mit Generationengerechtigkeit nichts zu tun. Hier kommt vielmehr die Konzeptionslosigkeit Ihrer Regierung gerade in der Sozial- und
Rentenpolitik zum Ausdruck.
({8})
Es ist eine skandalöse Belastung für die Angehörigen
meiner Altersgruppe. Für die jungen Leute bedeuten
diese Vorschläge, daß sie jährlich etwa 3 Milliarden bis
4 Milliarden DM, also etwa 100 000 DM pro Frührentner, aufbringen müßten. Insgesamt soll meine Generation mit 60 Milliarden DM zur Kasse gebeten werden,
ohne irgendwann jemals die Aussicht zu haben, davon
profitieren zu können. Dieser Vorschlag ist nicht generationengerecht, sondern skandalös gegenüber der jungen Generation.
({9})
Es handelt sich um ein Programm von alten Gewerkschaftsfunktionären für alte Gewerkschaftsfunktionäre,
aber bestimmt nicht um ein Programm für Generationengerechtigkeit in Deutschland.
({10})
Wenn Sie so einen Unsinn in die Welt setzen, dann
dürfen Sie nicht den Eindruck erwecken, Sie hätten damit nichts zu tun. Es ist ja unglaublich und geradezu
mitleidserregend gewesen, Frau Kollegin Mascher, was
Sie hier geboten haben. Sie tun ja allen Ernstes so - Sie
selbst können ja nichts für den Vorschlag; es ist der
Vorschlag Ihres Ministers, für den Sie ebenfalls nichts
können -, als hätte Ihr Minister mit der Frühverrentungsidee Rente mit 60 nichts zu tun. Daß wir dieses
Thema im Parlament diskutieren, liegt allein am Bundesarbeitsminister, der die Teilnehmer an dem entsprechenden Gespräch motiviert hat, diese Vorschläge in die
Öffentlichkeit zu bringen. Jetzt werden die Gewerkschaftsfunktionäre, übrigens auch von den jüngeren Gewerkschaftsmitgliedern, kritisiert. Diese Kritik unterstützt meine Partei nachhaltig. Es ist nämlich ein Fehler,
diesen Weg zu gehen.
({11})
Ich weise noch auf einen wichtigen Punkt hin. In der
Debatte am 30. September, in der beispielsweise Sie,
Herr Kollege Kurt Bodewig, und auch ich gesprochen
haben, haben wir noch den Mannesmut von Herrn Arbeitsminister Riester eingefordert, angesichts der Appelle Rente mit 60 standhaft zu bleiben. Seine Haltung
wurde von der Opposition positiv beurteilt. Wenn er
jetzt umfällt, wird er von uns dafür kritisiert. Wir sind
konsequent, Sie aber eiern.
({12})
Nun hat die Kollegin
Katrin Göring- Eckardt vom Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Koalition ist sich einig - ich hatte den Eindruck, daß Sie
von der CDU/CSU und der F.D.P. in diesem Punkt mit
uns übereinstimmen -, daß wir über ein langfristiges
Rentenkonzept diskutieren müssen. Die Menschen brauchen nämlich endlich Sicherheit, und zwar Sicherheit,
die auf Ehrlichkeit beruht. Sie brauchen aber nicht die
Sicherheit, die Sie ihnen jahrelang vorgegaukelt haben,
indem Sie gesagt haben, es gebe kein Problem. Mit dem
Satz, die Rente sei sicher, haben Sie die Alten beruhigt
und die Sorgen der Jungen nicht ernst genommen.
Heute habe ich der Zeitung „Die Welt“ entnommen,
daß Ihnen dieses auch die Vorsitzende der Jungen Union
ins Stammbuch geschrieben hat. Ich zitiere mit Ihrer
Erlaubnis, Frau Präsidentin: Für die junge Generation
war das mit der Rente - sie meint damit Ihre Politik eine Ente. Dieser Satz bringt die damalige Rentenpolitik
auf den Punkt. Es ging Ihnen damals ausschließlich
um die jetzige Rentnergeneration. Wir verlangen eine
Politik, die die notwendigen Belastungen gleichmäßig
auf die verschiedenen Generationen verteilt. Die Jungen
sind zur Solidarität bereit, was die Diskussion in den
letzten Tagen und Wochen über die Rente mit 60 zeigt.
Aber sie erwarten Solidarität natürlich auch von den anderen Generationen.
Zur Solidarität gehört es, das Rentenniveau so zu gestalten, daß die Beitragsbelastung erträglich bleibt. Nicht
umsonst hat unsere Regierung dafür gesorgt, daß die
Lohnzusatzkosten sinken. Einerseits ging es darum, die
Wende am Arbeitsmarkt herbeizuführen. In der Fragestunde wurde über die entsprechenden Zahlen diskutiert.
Frau Staatssekretärin Mascher hat in diesem Zusammenhang gesagt, die Prognosen seien positiv. Andererseits ging es darum, den Menschen endlich wieder mehr
Geld - netto - in die Tasche zu geben.
Was man nicht mehr tun kann, ist, die Beiträge weiter
in die Höhe zu schrauben und zugleich die Aussicht auf
immer weniger Absicherung im Alter zu geben. Genau
das haben Sie jahrelang getan. Daß wir in der Gesellschaft jetzt so intensiv über die Rente diskutieren, hat
nicht damit zu tun, daß es plötzlich und unerwartet zu
einer Krise gekommen wäre, weil die Regierung gewechselt hat, sondern es hat damit zu tun, daß Sie ignoriert haben, was die Realität war: sinkende Geburtenzahlen, höhere Lebenserwartung und höhere Arbeitslosigkeit. Das alles sind Ursachen für die Probleme, die es
ja nicht erst seit einem Jahr gibt. Inzwischen haben Sie
sich immerhin dazu durchgerungen, zu erklären, sie
wollten über ein Gesamtkonzept reden - angeboten haben Sie bis heute bedauerlicherweise nichts.
({0})
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf das zu sprechen
kommen, was Sie hier heute ausgewalzt haben, als sei es
der zentrale Punkt der Rentenpolitik dieser Regierung
oder - möglicherweise - Ihr zentraler Punkt, nämlich
auf die Frage der Rente mit 60. Das ist, wie gesagt, ein
Aspekt dessen, was wir arbeitsmarktpolitisch und auch
rentenpolitisch voranbringen wollen. Ich finde, der Arbeitsminister hat sehr zu Recht gesagt: Es gibt Bedingungen für alles, was wir in dieser Beziehung diskutieren. Genauer gesagt gibt es zwei Bedingungen. Die erste
Bedingung ist: Die Beitragssätze dürfen nicht steigen.
Die zweite Bedingung ist: Es darf keine weitere Belastung der Rentenkassen geben.
({1})
Deshalb ist das, was der Arbeitsminister gemacht hat,
nämlich mit den Gewerkschaften - in dem Fall mit der
IG Metall - zu reden, nach meiner Ansicht nicht zu verurteilen.
Natürlich muß man, wenn man über diese Frage redet, die Erfahrungen, die in der Vergangenheit mit
Frühverrentung gemacht worden sind - Herr Westerwelle hat das angesprochen -, einbeziehen. Die Tatsache, daß von sieben Arbeitsplätzen nur einer wiederbesetzt worden ist - Sie haben gesagt, es sei keiner wiederbesetzt worden -, zeigt, daß der von Frühverrentung
ausgehende Effekt allein nicht ausreicht. Deswegen muß
darüber diskutiert werden, ob den jungen Leuten Möglichkeiten geboten werden, zusätzlich privat vorzusorgen. Das wird zentral sein für die Rentenpolitik dieser
Regierung, weil wir ein zusätzliches Standbein brauchen.
({2})
Es wird auch notwendig sein, zu gewährleisten, daß
es nicht zu weiteren Beitragsbelastungen kommt. Es
muß aus unserer Sicht auch gewährleistet werden, daß
Menschen, die in kleinen und mittleren Unternehmen
möglicherweise nicht tarifgebunden arbeiten, von solchen Maßnahmen profitieren können.
({3})
Dabei geht es um Stabilität, dabei geht es um langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen, und dabei geht es uns
darum, daß alle Generationen etwas davon haben, wenn
Arbeitnehmer vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Das kann arbeitsmarktpolitische Effekte haben. Unsere Fraktion glaubt, daß der Vorschlag der IG Metall,
der hier auf dem Tisch liegt, dafür noch lange nicht ausreicht. Deswegen finden wir: Darüber muß weiter diskutiert werden, und zwar konstruktiv und nicht mit gegenseitigen Beschimpfungen; die bringen uns in dieser
Frage definitiv nicht weiter.
Vielen Dank.
({4})
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Monika Balt, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Herr Minister Riester hätte gleich nach dem
Ratschlag von George F. Kennan handeln sollen:
Aus dem Lexikon jedes ernstzunehmenden Politikers sollten die Wörter „immer“ und „niemals“ gestrichen werden.
Es ist schon bemerkenswert, daß Herr Riester und der
Bundeskanzler noch vor Wochen kategorisch nein zur
Rente mit 60 sagten. Erst nachdem sich der Streit mit
der IG Metall zuspitzte und Klaus Zwickel damit drohte,
die Gesprächsrunde „Bündnis für Arbeit“ platzen zu lassen, lenkten sie ein. Sicherlich werden die Schlappen bei
den Landtagswahlen in den letzten Wochen und Monaten das ihre dazu beigetragen haben. Aber sei es, wie es
sei: Wir begrüßen jeden Schritt, der wegführt vom Starrsinn und hinführt zu mehr Flexibilität in der Politik, gerade bei dem sensiblen Thema Rente.
({0})
Vor dem Hintergrund der anhaltend hohen Massenarbeitslosigkeit ist jede Initiative, so auch die der IG Metall, zu begrüßen, die nach Wegen sucht, gerade jüngeren Menschen einen Arbeitsplatz zu schaffen.
Es ist nicht nur legitim, sondern gesellschaftspolitisch
geradezu notwendig, darüber nachzudenken, wie der
Produktivitätsfortschritt genutzt werden kann, um einerseits die Löhne und Gehälter von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern zu erhöhen und andererseits die Arbeitszeit zu kürzen: Die Steigerung von Löhnen und Gehältern ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, erhöht
die Kaufkraft und damit die Nachfrage und senkt indirekt die Finanzierung der Sicherungssysteme. Eine Kürzung der Arbeitszeit eröffnet die Chance, jene, die heute
ohne Erwerbsarbeit sind, schrittweise in die Erwerbsarbeit zurückzubringen. Genau dies ist der Vorschlag der
IG Metall. Dieser Vorschlag ist mithin nicht absurd,
sondern sehr logisch.
Allerdings sind hinsichtlich der Tragfähigkeit des
nunmehr vorgestellten Modells Zweifel angebracht.
Zum ersten könnten unter den vereinbarten Bedingungen - Tariffondsmodell, 35 Jahre Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung etc. - lediglich 260 000
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der Regelung
„Rente mit 60“ ohne Abschläge Gebrauch machen. Bedenkt man - Professor Ruland bestätigte das gestern im
Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Haushaltssanierungsgesetz nachdrücklich -, daß von sieben freigesetzten Stellen nur eine wiederbesetzt wird, ergäbe das rund
37 000 Arbeitsplätze. Das ist selbst in dem kleinen Bundesland Brandenburg, in dem ich lebe, nur ein Tropfen
auf den heißen Stein.
({1})
Soll das die bundesweit spürbare Entlastung des Arbeitsmarktes sein?
Zum zweiten: Wieso soll das Modell auf fünf Jahre
beschränkt werden? Meinen Sie, daß es zur Stärkung des
Generationenvertrages beiträgt, wenn die junge und
mittlere Arbeitnehmergeneration die Frührente mit Verzicht auf Lohnzuwächse finanzieren soll, ohne selbst,
befreit von den 18prozentigen Abschlägen, mit 60 in
Rente gehen zu können? Wo bleibt da der Grundsatz der
Gerechtigkeit?
({2})
Zum dritten ist die Bundesregierung fein heraus,
wenn gesagt wird, die Rente mit 60 sei Verhandlungssache der Tarifparteien. Außerdem steht in den Sternen, ob
die anderen Gewerkschaften dem IG-Metall-Modell folgen und ob die Arbeitgeber mitspielen, auch wenn ihnen
das Modell mit moderaten Lohnzuwächsen schmackhaft
gemacht wird.
In Ostdeutschland sind nur 44 Prozent der Unternehmen tariflich gebunden. Sehe ich mir diese Unternehmen an, dann stelle ich fest, daß das Großunternehmen
oder Ableger der großen Konzerne sind. In den alten
Bundesländern sind es auch nur 60 Prozent der Unternehmen. Zwar stemmen sich die Arbeitgeberverbände
lautstark gegen das Modell, aber letzten Endes werden
sie ihm folgen, finanzieren doch die Arbeitnehmer die
Rationalisierungsvorhaben der großen Unternehmen.
Billiger kann man es nicht haben!
Man muß schon sagen: Genauso wie bei der Rentenanpassung 2000 und 2001, für die die Kassenlage des
Bundesfinanzministers maßgebend ist, hat die Bundesregierung hier einen Anlauf genommen, um einen riesengroßen Sprung zu landen. Herausgekommen ist aber
nur ein kleiner Hopser.
Wenn eine Altersrente mit 60 ermöglicht werden soll,
warum wird dies dann auf die tarifliche Ebene abgeschoben? Eine bundesweit einheitliche Regelung kann
nur auf gesetzlichem Wege erzielt werden. Wer behauptet, das sei nicht finanzierbar, erhebt die Beitragssatzstabilität ebenso zum Dogma wie die Erhöhung des
Bundeszuschusses. Für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber macht es keinen Unterschied, ob sie jeweils 0,5 Prozent zusätzlich in einen Tariffonds oder gleich in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen.
({3})
Nur so könnten alle Arbeitnehmer - egal, ob jung oder
alt - von dieser Lösung profitieren; denn nur ohne zeitliche Begrenzung kann der Generationenvertrag stabil
bleiben.
Wir sagen ja zur Rente mit 60, aber nicht so. Wir
bleiben bei unserer Forderung nach sozial verträglichen,
fließenden und flexiblen Übergängen aus dem beruflichen in den nachberuflichen Lebensabschnitt.
({4})
Jetzt hat die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Das
Schlagwort „Rente mit 60“ beherrscht die derzeitige sozialpolitische Diskussion. Es wird zur scheinbar zentralen rentenpolitischen Frage hochstilisiert, ohne daß jedoch - wie die gerade abgelaufene Fragestunde gezeigt
hat - der Kerngehalt und die Reichweite dieses Modells
auch nur im Ansatz erfaßt worden sind.
Was ist denn die Grundlage dieses Vorschlages?
Grundlage ist die allen gemeinsame Zielsetzung, Maßnahmen zu entwickeln, die angesichts der nach wie vor
hohen Arbeitslosigkeit den Arbeitsmarkt entlasten. Wir
hatten im vergangenen Jahr in Deutschland im Durchschnitt 4,3 Millionen Arbeitslose. Wir haben daher die
Aufgabe, alles zu tun, um eine Wende zum Besseren
herbeizuführen und Vorschläge zu unterstützen, die die
Chancen für Arbeitslose verbessern. Auf dieses Ziel haben sich auch alle Teilnehmer des „Bündnisses für Arbeit“ verpflichtet.
Als ersten Schritt wollen wir die bisherigen Regelungen zur Altersteilzeit verbessern. Durch das Gesetz, das
morgen beraten wird, sollen noch mehr Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen - insbesondere Teilzeitbeschäftigte, die durch das alte Gesetz ausgeschlossen waren -,
aber auch mehr Unternehmen die Altersteilzeit nutzen.
Wir schaffen gleichzeitig einen Anreiz, neue Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen einzustellen, indem wir die Wiederbesetzung der Arbeitsplätze - das ist ja das Entscheidende dabei - für kleine und mittlere Unternehmen erleichtern.
Genau auf diesen Punkt - Abbau der Arbeitslosigkeit
und bessere Chancen für Arbeitslose - zielt auch der
Vorschlag der Tarifrente mit 60. Wenn auch für Versicherte mit mindestens 35 Versicherungsjahren - hier
sind Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten anrechnungsfähig - der Rentenzugang mit 60 ermöglicht werden kann, dann haben wir die begründete
Erwartung, daß es dadurch zu Entlastungseffekten auf
dem Arbeitsmarkt kommen wird.
Natürlich ist eine Tarifrente mit 60 nicht zum Nulltarif zu haben. Das ist auch niemals behauptet worden.
Das Modell sieht vielmehr vor, daß die Tarifpartner über
die Finanzierung von Tariffonds einen Teil des Lohnzuwachses zum Ausgleich von Rentenabschlägen und
damit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einsetzen.
Ich kann nur sagen: Ich halte das für ein bemerkenswertes solidarisches Angebot, das man nicht so abwerten sollte, wie es vorhin geschehen ist.
({0})
Die Bundesregierung hat ihren Standpunkt klar formuliert: Die Tarifrente mit 60 darf die Rentenkasse nicht
belasten, und sie darf nicht zu Beitragssatzsteigerungen
führen. Die Konsolidierung der Rentenfinanzen bleibt
für uns absolut unabdingbar. Das ist der grundlegende
Rahmen für jedes Modell eines vorzeitigen Rentenbezugs. Denn wir haben uns mit der Rentenstrukturreform
das Ziel gesetzt, die Beiträge zu senken und zu stabilisieren. Das haben wir in einem ersten Schritt auch tatsächlich gemacht und es nicht nur versprochen.
({1})
Von diesem Ziel werden wir nicht abrücken.
Was wir vor diesem Hintergrund tun können ist: Wir
können die arbeitsmarktpolitisch belastende, noch von
der alten Regierung beschlossene rasche Anhebung der
Altersgrenzen und die Einführung der versicherungsmathematischen Abschläge für eine Übergangszeit neutralisieren. Darauf zielt das auf fünf Jahre befristete Modell der Tarifrente ab 60 ab. Es geht darum, kurzfristig
die Erwerbschancen für Jüngere zu verbessern. Denn
langfristig - das zeigen alle demographischen Projektionen - wird das Erwerbspotential zurückgehen, und damit wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt entspannen. Deshalb haben wir das Modell auf nur fünf Jahre
befristet.
Die Tarifrente ab 60, realisiert über das Modell des
Tariffonds, beschreibt nur einen möglichen Vorschlag.
Das Ob und Wie des Tariffondsmodells fällt ausschließlich in die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien. Es
müssen sicher noch viele rechtliche, organisatorische
und finanzielle Fragen erörtert werden. Es sollten aber
alle in Betracht kommenden Ideen und Alternativen in
einem ergebnisoffenen Prozeß unter den Tarifpartnern
diskutiert werden.
({2})
Es ist kein „Modell Riester“, sondern es liegt in der
Verantwortung der Tarifpartner, wie sie auf diesem Feld
zu Fortschritten gelangen. Die Gewerkschaften werden
jetzt in die Detailarbeit einsteigen und vor allem die
Diskussion mit der jüngeren Generation führen, um zu
verdeutlichen, daß hier der Grundsatz „Jung für Alt“ falls beide dies wollen - für einen vorübergehenden
Zeitraum durchaus beiden Seiten nutzen kann. Ich hoffe,
daß das Modell Chancen für junge Arbeitslose eröffnet.
Denn das ist doch das, worüber wir streiten müssen und
wofür wir kämpfen sollten!
({3})
Ich hoffe, daß die Opposition begreift, daß sie hier
eine Chance zu zerstören droht, die vielleicht einigen
Erwerbslosen eine Möglichkeit eröffnen würde, auf die
diese dringend hoffen. Ich würde Sie wirklich herzlich
bitten und auffordern, in einen konstruktiven Dialog
über dieses Modell einzutreten und es nicht in einer
Weise kaputt zu reden, wie Sie es vorhin in der Fragestunde versucht haben.
Danke.
({4})
Nun erteile ich
das Wort der Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, der aktuelle rentenpolitische Vorstoß von Rotgrün ist schon ein ganz
besonders starkes Stück.
({0})
Frau Mascher, das ist für mich der traurige Höhepunkt
einer ganzen Reihe willkürlicher Aktionen und Eingriffe
dieser Regierung in die Sozialpolitik.
({1})
- Herr Bodewig, ich habe Sie auch ausreden lassen.
Die gesetzliche Rente baut auf Verläßlichkeit und auf
Gerechtigkeit. Gerade einmal zwölf Monate hat Arbeitsminister Riester gebraucht, um das Vertrauen in
dieses System zu zerstören, und gerade zwölf Monate
hat es gedauert, um ältere und jüngere Menschen zutiefst
zu verunsichern ({2})
die Älteren, weil sie mit niedrigen Rentenanpassungen
und der Ökosteuer zur Kasse gebeten werden, die Jüngeren, weil sie hohe Beiträge zahlen müssen, ohne zu wissen, ob sie jemals eine vernünftige Gegenleistung erhalten.
Das Drama begann im vergangenen Jahr mit der
Aussetzung der von CDU/CSU und F.D.P. verabschiedeten Rentenreform. Damals wollten Sie glauben machen, daß für Rotgrün die Gesetze der Mathematik nicht
gelten; alle Fakten wurden von Ihnen ignoriert: weniger
Beitragszahler, mehr Rentner und eine höhere Lebenserwartung. Es kann alles so bleiben, wie es ist, war Ihre
falsche Botschaft.
({3})
Jetzt hat die Realität Sie eingeholt.
({4})
Der von uns vorgesehene demographische Faktor
hätte die drängendsten Probleme gelöst. Er wäre fair und
gerecht gewesen. Er hätte den Anforderungen einer
verläßlichen Rentenpolitik entsprochen, und er hätte vor
allem eines deutlich gemacht: daß die Rentenversicherung ein Generationenvertrag ist, daß Jung und Alt gemeinsam für das Funktionieren des Systems einstehen.
Jeder gibt seinen Teil dazu.
({5})
Und dann: rotgrüne Flickschusterei. Betroffen sind
die Rentnerinnen und Rentner, weil ihre Rente nur noch
in Höhe der Inflationsrate angepaßt wird, und die Beitragszahler, weil ihnen mit dieser „Rente nach Kassenlage“ deutlich gemacht wurde, daß die rotgrüne Regierung willkürlich in das Rentensystem eingreift und Verläßlichkeit - vor allem für die Zukunft - nicht mehr gegeben ist.
({6})
Und jetzt: Frühverrentung ab 60. Sie soll nach einem
ganz einfachen Muster funktionieren: Alle Arbeitnehmer
müssen zahlen, aber nur die über 55jährigen können sie
in Anspruch nehmen. Für die junge Generation, für meine Generation heißt das: Leistung ohne Chance auf Gegenleistung.
({7})
Ich frage Sie: Nennen Sie das gerecht?
({8})
Hat das etwas mit Generationensolidarität zu tun?
Die Frühverrentung ab 60 ist ungerecht. Sie ist ungerecht, weil sie Jüngeren einseitig Belastungen zumutet. Noch nicht einmal, lieber Herr Bodewig, die jungen
Mitglieder der IG Metall
({9})
unterstützen noch diesen Vorschlag. So sagt zum Beispiel der norddeutsche IG-Metall-Jugendsekretär im
„Spiegel“ dieser Woche - ich zitiere ihn -:
Junge Arbeitnehmer, die ohnehin jede Mark umdrehen müssen, sollen in Tariffonds einzahlen,
werden aber nie von der Frührente profitieren.
({10})
Junge Arbeitnehmer brauchen ihr Geld, auch noch so
geringe Lohnerhöhungen, um für ihre eigene Zukunft,
für ihre eigenen Familien vorzusorgen.
Noch etwas: Die Frühverrentung ab 60 wird keine
neuen Arbeitsplätze schaffen, weil sie die Arbeitskosten
erhöht und damit die Betriebe zu weiteren Rationalisierungen zwingt.
({11})
Die Wirtschaftsforschungsinstitute kommen in ihrem
gestern vorgestellten Herbstgutachten zu einem wirklich
vernichtenden Ergebnis. Da heißt es:
Wahrscheinlich mindern die Rentenvorschläge die
Beschäftigung und die gesamtwirtschaftliche Produktion. Zu der notwendigen Erhöhung der Beschäftigungsdynamik tragen sie nichts bei.
Klare Worte, wie ich meine.
Sie, Frau Mascher, und Ihre Regierung machen die
Altersvorsorge zum Spielball der Politik. Sie verunsichern die Menschen, ganz gleich, ob sie jung oder alt
sind. Sie provozieren mit Ihren willkürlichen Maßnahmen, daß sich junge Menschen andere Formen von Arbeit suchen, mit dem Ergebnis, daß immer weniger in
die Rentenkassen einzahlen. Dieser Weg wird irgendwann in die Rentenpleite führen.
({12})
Haben Sie gar kein schlechtes Gewissen? Haben Sie
kein schlechtes Gewissen, daß Sie der jungen Generation verläßliche Perspektiven für ihre eigene Zukunftsgestaltung nehmen? Ich kann Sie nur auffordern und bitten: Binden Sie uns, die junge Generation, ein! Lassen
Sie uns beim Generationenvertrag bleiben, beim Miteinander von jung und alt!
({13})
„Wir sitzen alle in einem Boot“, hat Norbert Blüm gesagt. Bleiben Sie dabei!
({14})
Nehmen Sie Ihren ungerechten Vorschlag von der Frühverrentung auf Kosten der jungen Arbeitnehmer zurück;
sonst muß es nämlich heißen: Rente für Riester und Ihre
Regierung, und zwar sofort!
Wir zeigen Ihnen für Ihre Rentenpolitik die rote Karte, so wie es die jungen Wähler bei den vielen Wahlen in
diesem Jahr schon getan haben.
Danke.
({15})
Nun erteile ich dem
Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Beiträge der CDU und der F.D.P. zeigen ein erschrekkendes Bild der Kenntnisse über die Arbeitswelt.
({0})
Das ist im übrigen schon einmal schiefgegangen, nämlich als der Vorsitzende der IG Metall ein „Bündnis für
Arbeit“ vorgeschlagen und der Politik die ausgestreckte
Hand gereicht hat, Sie diese aber fahrlässigerweise ausgeschlagen haben. Sie haben das Bündnis platzen lassen.
Das hat dem sozialen Frieden in diesem Lande nicht
gedient. Damit haben Sie großen Schaden angerichtet.
Ich habe den Eindruck, daß das gleiche jetzt wieder passiert.
({1})
Ich hatte den Eindruck, daß die Fragestunde eine Art
Nachhilfeunterricht über Tarifautonomie und Zuständigkeiten war.
({2})
Frau Heinen - ich sage das ganz offen -, Sie haben
vom rotgrünen Rentenkonzept gesprochen. Das Thema,
zu dem Sie eine Aktuelle Stunde beantragt haben, lautet: „Rente mit 60“. Wenn wir hier in der Schule wären, würde der Lehrer sagen müssen: Thema verfehlt! Setzen! Fangen Sie bitte noch einmal von vorne
an.
({3})
Rente mit 60: Sie fragen nur nach den Belastungen.
Fragen Sie auch einmal nach den Chancen? Es geht
letztlich darum, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mehr als 35 Versicherungsjahre dem täglichen Arbeitsdruck standgehalten haben - das werden
viele von Ihnen niemals erreichen; das sollte man nicht
vergessen -, deshalb verschlissen sind und nun fragen: Wie kann ich in Würde aus dem Arbeitsleben
aussteigen? Diese Arbeitnehmer erwarten sowohl von
der Politik als auch von ihrer Gewerkschaft eine Antwort.
Wir dürfen in dieser Situation nicht vergessen, daß
diejenigen, für die eine Rente mit 60 überhaupt in Frage
kommen würde, diejenigen sind, die noch mit 14 oder
15 Jahren - und nicht wie heute mit 19 oder 20 Jahren ins Arbeitsleben eingestiegen sind. Wir dürfen das
nicht vergessen, wenn wir ältere Menschen wirklich
in Würde aus dem Arbeitsleben ausscheiden lassen
wollen.
35 und mehr Versicherungsjahre als Grundvoraussetzung! Das, was der Gesetzgeber ermöglichen sollte, ist,
daß er diejenigen, die diese Voraussetzung erfüllen, vorzeitiger unter normalen Umständen in Rente gehen lassen sollte, ohne daß dadurch die Beitragskassen belastet
werden. Das ist eine sozialpolitische und eine arbeitsmarktpolitische Chance. Dies entspringt der gesellschaftlichen Verantwortung, der sich die Gewerkschaften stellen, wenn sie versuchen, ein solches Tariffondsmodell zu vereinbaren.
({4})
Daß die Gewerkschaft die Chancen für die Älteren,
unter erleichterten Bedingungen aussteigen zu können,
mit den Chancen für Jüngere mischt, ist ein weiteres
Beispiel dafür, daß sie sich als ein Interessenverband
dem Gemeinwohl verantwortlich fühlt. Jüngere erwarten
- wenn wir sie heute ansprechen, sagen sie das -, daß
sie nach der Ausbildung in den Betrieben einen qualifizierten Arbeitsplatz bekommen, der ihnen sonst häufig
verwehrt wird. Jüngere sollten die Chance haben, nach
der Ausbildung überhaupt ins Erwerbsleben einsteigen
zu können.
Dies geht ohne Beitragserhöhung und ohne Steuererhöhung. Dies steht also im Gegensatz zu dem Modell,
das Sie in der Vergangenheit verfolgt haben, nämlich
den Vorruhestand über Steuer- und Beitragserhöhungen
zu finanzieren.
({5})
Das war so; das muß an dieser Stelle einmal deutlich gesagt werden.
Nun sagen Sie, es sei in Frage gestellt, in welcher
Größenordnung eine Wiederbesetzung der freiwerdenden Stellen stattfindet. Zuallererst ist hier Kreativität gefragt, um tarifvertragliche Regelungen hinzubekommen,
die eine entsprechende Wiederbesetzungsregelung enthalten. Die Tarifparteien haben die Chance, vernünftige
Regelungen zu vereinbaren.
Insgesamt gesehen - das sollte man deutlich sagen geht es um etwa 2,5 Millionen Arbeitnehmer, die zwischen 55 und 60 Jahre alt sind.
({6})
Würden nur 80 Prozent dieser 2,5 Millionen Arbeitnehmer vorzeitig in Rente gehen und würde nur ein Drittel
der freigewordenen Arbeitsplätze neu besetzt werden, wären das immerhin 660 000 Neueinstellungen.
Würde die Hälfte der Arbeitsplätze neu besetzt werden,
wären es 1,32 Millionen. Das ist eine bedeutende Zahl,
die die arbeitsmarktpolitische Dimension deutlich
macht.
({7})
- Frau Schnieber-Jastram, Ihr Zwischenruf „Was kostet
das den Steuerzahler?“ hat erneut gezeigt, daß Sie das
Thema immer noch nicht verstanden haben; denn die
Tarifvertragsparteien haben erklärt, sie wollten die Beiträge aufbringen, die notwendig sind, um Menschen mit
60 oder mit 61 oder mit 62 Jahren unter vernünftigen
finanziellen Bedingungen aus dem Arbeitsleben ausscheiden zu lassen. Die Sozialkassen sollen nicht belastet werden, die Steuerkassen sollen auch nicht belastet
werden. Was haben Sie eigentlich gegen ein solches
Modell, das dem Grundgedanken der Solidarität entspricht?
({8})
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Das kostet nicht die Rentenversicherung einen Haufen Geld, sondern das kostet
diejenigen einen Haufen Geld, die das zusammentragen
müssen. Angesichts dessen schlage ich vor, daß Sie den
Prozeß zwischen denjenigen, die das sozial verantwortlich erreichen wollen, nicht stören, sondern fördern. Es
ist christlich, wenn man hilft. Es geht in dieser Situation
darum, nicht zu spalten, sondern Brücken zu bauen. Sie
sollten mithelfen, älteren Menschen einen Ausstieg aus
dem Arbeitsleben zu ermöglichen,
({0})
anstatt den Ausstieg aus dem Arbeitsleben zu verteufeln.
({1})
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Ihr Konflikt ist politisch
motiviert. Mir ist das besonders aufgefallen, als Herr
Göhner geredet hat. Wir haben der Presse entnommen,
daß viele Arbeitgeberverbandsfunktionäre sagen, der
Einstieg in die Rente mit 60 sei ein Modell, das man
überdenken und mit den Tarifvertragsparteien erörtern
müsse. Wenn Herr Göhner im „Bündnis für Arbeit“ auf
der anderen Seite sitzt, also ein Verbandsfunktionär mit
Parteibuch ist, dann ist dies eigentlich schlimm für die
ältere Generation, die keine Chance hat, auszusteigen,
und noch schlimmer für die jüngere Generation, die keine Chance hat, einzusteigen.
Herzlichen Dank.
({0})
Jetzt hat der Kollege
Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann es
drehen und wenden und auch verdrehen, wie man will:
Die Bundesregierung hat mit dem Frühverrentungskompromiß, den der Bundesarbeitsminister mit dem IGMetall-Vorsitzenden zum Thema „Rente mit 60“ ausgehandelt hat, erneut ein falsches wirtschafts- und sozialpolitisches Signal gesetzt.
({0})
Frühverrentung - egal, wie sie organisiert und bezahlt
wird - ist kein erfolgversprechender Weg zur Schaffung
neuer Arbeitsplätze. Höheren Kosten, die vor allem viele
jüngere Arbeitnehmer für einige, die davon begünstigt
werden, tragen müssen, steht ein sehr zweifelhafter Nutzen gegenüber. Wir sagen dies im übrigen auch in der
Erkenntnis, daß alle bisherigen Frühverrentungsaktionen
nicht annähernd die gewünschten Effekte auf dem Arbeitsmarkt erbracht haben. Desto verwunderlicher ist es,
daß diese Regierung trotzdem erneut in diese Richtung
gehen möchte. Hier weigert man sich schon mit einer
besonderen Hartnäckigkeit, aus vergangenen Fehlern zu
lernen. Für die Bundesregierung, für den Bundesarbeitsminister, für den IG-Metall-Chef, für die SPDFraktion, möglicherweise auch für den Bundeskanzler bei ihm weiß man es nicht so richtig - gilt offensichtlich
inzwischen das Motto: „Und ist der Weg auch falsch
und steinig, Hauptsache, wir sind uns einig.“
({1})
Meine Damen und Herren, überall ist von Flexibilisierung die Rede. Wir brauchen - das hat auch manch
einer in der IG Chemie begriffen - möglichst flexible
Arbeitszeiten. Das gilt natürlich auch für die Lebensarbeitszeit. Die Frage ist, warum ein Arbeitnehmer nicht
selbst entscheiden soll, wann er in Rente geht; wenn er
nur bis 60 arbeiten möchte, dann soll er dies auch tun.
({2})
Dabei muß man allerdings so ehrlich sein, Herr Kollege
Dreßen, ihm zu sagen, daß er dafür Abschläge bei der
Rente in Kauf nehmen muß.Wer nicht den Mut hat, zu
sagen, daß die Rente ab 60 ohne Abschläge nicht geht,
wer der Auffassung ist, dies auf dem Rücken der Beitragszahler, insbesondere der jüngeren Beitragszahler,
austragen zu können, der betreibt schlicht eine Umverteilung von Jung zu Alt. Mit der Schaffung von Arbeitsplätzen hat dies nichts zu tun.
({3})
Es ist klar: In Anbetracht der demographischen Entwicklung bei der Rente, aber auch der Lage auf dem Arbeitsmarkt ist davon auszugehen, daß die Lebensarbeitszeit tendenziell steigen muß. Wer immer länger lebt,
kann nicht immer früher in Rente gehen, sondern muß
tendenziell eher später in Rente gehen.
({4})
Dies muß man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern klar sagen, damit sich jeder darauf einstellen kann.
Übrigens, die Rechnung der IG Metall, durch die
Rente mit 60 würden bis zu einer Million neue Stellen
geschaffen, ist eine Milchmädchenrechnung. Schon der
DGB spricht von lediglich 170 000 neuen Stellen. Diese
neuen Stellen sind im übrigen nicht wirklich neu. Vielmehr sind es alte Stellen, die lediglich neu besetzt werden. Auch hier hat man den Eindruck, daß gelegentlich Klaus Brandner
vielleicht sogar bewußt - mit falschen Begriffen gearbeitet wird. Ob diese sogenannten freiwerdenden
Stellen überhaupt neu besetzt werden, bleibt absolut
fraglich.
({5})
Wahr ist, Herr Andres, daß in der Vergangenheit
Frühverrentungsregelungen - in erster Linie von Großbetrieben - dazu benutzt wurden, kostengünstig Personal
zu reduzieren und zu rationalisieren.
({6})
Die Zeche bezahlen, wie so oft, die kleinen und mittleren Betriebe. Sie und ihre Arbeitnehmer müßten in den
Tariffonds mit einbezahlen, könnten selbst aber kaum
Frühverrentungen vornehmen. Nach Angaben von Gesamtmetall gibt es schon jetzt allein in der Metallbranche einen Facharbeitermangel von 120 000 Beschäftigten. Es wäre für viele Unternehmen blanke Selbstzerstörung, wenn sie ihre bewährten Facharbeiter früher in
Rente schicken würden. Denn sie würden auf dem Arbeitsmarkt nur schwer qualifizierten Ersatz finden.
Ein letzter Punkt. Die Finanzierungsform über Tariffonds ist reine Augenwischerei.
({7})
Ein Tariffonds entsteht nicht durch den Kompromiß einiger älterer Herren. Nein, meine Damen und Herren,
die Betriebe und die Arbeitnehmer sollen aus dem
Lohnzuwachs zusammen 1 Prozent aufbringen - anders
gesagt: Sie sollen auf 1 Prozent des Lohnzuwachses verzichten. Fakt ist, daß ein Frührentner die Rentenkasse
zusätzlich 50 000 DM im Jahr kostet. Nach Angaben des
VDR würde die gesamte Frühverrentungsaktion, angelegt auf fünf Jahre, insgesamt 66 Milliarden DM kosten.
Dieses Geld müßte - egal, ob über die Rentenkasse oder
ob über den Tariffonds - von den jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufgebracht werden. Diese
Umverteilung wäre eine zusätzliche Hypothek, insbesondere für die jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen es völlig egal ist, ob sie Steuern bezahlen, ob sie in die Rentenkasse einzahlen oder ob sie
in einen Tariffonds einbezahlen.
({8})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit!
Meine Damen und
Herren, bleibt abschließend zu sagen - das ist in einigen
Presseberichten dieser Tage erwähnt worden -: Möglicherweise trifft die nächste teure Frühverrentungswelle
der Bundesregierung den Bundesarbeitsminister selbst.
Nach der freiwilligen Frühverrentung Oskar Lafontaines
wäre das dann die Zwangsrente für Riester.
({0})
All das können wir nicht verhindern, aber wir wären
schon dankbar, wenn Sie die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, wenn Sie das Land mit weiteren solchen
Luftnummern verschonen würden.
Danke sehr.
({1})
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Sie von der
Opposition haben gerade eingeklagt, daß wir hier eine
ehrliche Debatte führen. Dafür bin auch ich, selbstverständlich auch beim Thema „Rente mit 60“. Aber zuallererst gehört zu dieser Ehrlichkeit, festzustellen, daß
das Mißtrauen, das die junge Generation gegenüber dem
Rentensystem hegt, und die Verunsicherung - das ist ja
richtig bemerkt worden - damit zu tun haben, daß Sie in
der Vergangenheit 16 Jahre eine falsche Rentenpolitik
betrieben haben. Dies hat systematisch zur Verunsicherung der jungen Generation beigetragen.
({0})
Ich sage Herrn Westerwelle und Herrn Ramsauer, der
von sogenannten Geheimpapieren gesprochen hat
({1})
und die Anhebung der Renten in Höhe der Inflationsrate
thematisiert hat: Sie haben das heutige Thema nur aufgegriffen, um davon abzulenken, daß Sie acht Jahre lang
die Renten noch nicht einmal in Höhe der Inflationsrate
angehoben haben. Davon wollen Sie mit dieser Debatte
ablenken. Das ist ganz billiger Wahlkampf.
({2})
Sie wollen auch davon ablenken, daß es Ihnen in der
Vergangenheit nicht gelungen ist, ein politisches Klima
zu erzeugen, in dem um neue Ansätze zur Lösung der
Rentenproblematik gerungen werden konnte.
({3})
Die Vorschläge, die jetzt zum Beispiel von den Gewerkschaften mit der Rente mit 60 in die Debatte eingebracht worden sind, sind erste gute Versuche zur Lösung
sowohl des Renten- als auch des Beschäftigungsproblems. Wir diskutieren bisher lediglich über ein Beispiel, nämlich über den Vorschlag der IG Metall, den
Sie thematisiert haben.
({4})
Ich bin der Ansicht, daß die Tarifpartner selbstverständlich frei in ihren Entscheidungen sind. Trotzdem
bedarf es eines klaren politischen Kommentars, gerade
wenn es um das „Bündnis für Arbeit“ geht. Deswegen
sage ich in diesem Zusammenhang auch deutlich: Der
jetzige Vorschlag der IG Metall ist nicht geeignet, das
Beschäftigungsproblem so zu lösen, wie es sich die IG
Metall wünscht. Dies hängt mit unterschiedlichen Einschätzungen zusammen. Frau Mascher hat zu Recht darauf hingewiesen, daß dies auch mit der unterschiedlichen Entwicklung in den einzelnen Branchen zusammenhängt.
Wenn wir die Politik der Frühverrentung weiterbetreiben, dann müssen wir bedenken, daß die Rationalisierungswellen in vielen Branchen, beispielsweise bei
den Versicherungen und den Banken, noch ausstehen.
Gerade vor diesem Hintergrund muß der Vorschlag
„Rente mit 60“ unter beschäftigungspolitischen Aspekten sehr kritisch abgeklopft und bewertet werden. Ich
glaube, daß er beschäftigungspolitisch nicht in die richtige Richtung führt. Gleichwohl müssen wir die Problematik diskutieren. Wir können überhaupt nicht leugnen,
daß wir eine Lösung finden müssen, die den jungen
Leuten nicht nur höhere Beiträge abverlangt, sondern
ihnen auch Leistungen bietet.
({5})
Auf das Angebot solcher Leistungen muß die Beschäftigungspolitik hinwirken. Dies gebietet uns die Notwendigkeit eines neuen Generationenvertrags.
Ich habe Verständnis dafür, daß auch ältere Arbeitnehmer nach Lösungen suchen, um frühzeitig aus dem
Arbeitsleben ausscheiden zu können; denn schon in der
Vergangenheit wurde in den Betrieben moralischer
Druck auf die älteren Arbeitnehmer in dieser Richtung
ausgeübt. Aber das sympathisch wirkende Bild - die
Alten machen in Solidarität Platz für die Jungen stimmt meines Erachtens auf Grund der Erfahrungen in
der Vergangenheit nicht mehr. Die jungen Leute sollen
Beiträge in einen Tariffonds während einer Phase ihres
Lebens einzahlen, in der sie ihre Familien gründen wollen. Deswegen werden die jungen Leute besondere
Schwierigkeiten haben, in eine private Vorsorge zu investieren.
Einen anderen Aspekt des Tariffonds - dies möchte
ich an die Adresse der Gewerkschaften sagen - halte ich
unter frauenpolitischen Gesichtspunkten für sehr relevant: Die Nutznießer des jetzt vorgeschlagenen Modells
sind zu 90 Prozent Männer. Nur 10 Prozent der Frauen
werden Nutznießer sein. Vor diesem Hintergrund muß
man fragen, ob es jüngeren Frauen zumutbar ist, in einen
Tariffonds einzuzahlen, von dem letzten Endes ältere
Männer in ihren besten Jahren profitieren.
Ich möchte erreichen, daß wir auch im „Bündnis für
Arbeit“ eine offene Debatte darüber führen, ob andere
Modelle von Tariffonds in beschäftigungspolitischer
Sicht nicht viel weiter führen. Die IG Metall selbst hat
im Bezirk Hannover einen Vorschlag gemacht, an dessen Umsetzung gerade gearbeitet wird. Dort wird ein
Fonds gebildet, an den Ausgleichszahlungen beispielsweise für die Reduzierung von Arbeitszeiten geleistet
werden, wenn gleichzeitig neue Beschäftigte, neue
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, eingestellt werden.
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.
Ich komme zum Schluß mit dem Vorschlag, im „Bündnis für Arbeit“ ernsthaft einen alternativen Tariffonds zu
erwägen, der ein Tariffonds für Job-sharing und nicht
für Rente mit 60 ist.
({0})
Jetzt hat der Kollege
Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute
genau vor einem Jahr ist diese Bundesregierung angetreten, und seither wächst die Sorge bei 18 Millionen
Rentnerinnen und Rentnern in unserem Land.
({0})
Rotgrün zerstört jeden Tag mehr das Herzstück der gesetzlichen Rentenversicherung, nämlich das Vertrauen,
die Nachhaltigkeit und die Zukunftssicherheit; selbst die
unablässige Höchststrafe bei den Wahlen in den vergangenen Wochen hält Sie nicht davon ab. Der Bruch gegebener Wahlversprechen hat sich fest in das Bewußtsein
der Menschen in unserem Land eingeprägt.
({1})
Daran kann auch die spektakuläre Entschuldigung des
Bundeskanzlers vor zweieinhalb Wochen in einer Sendung bei Frau Christiansen nichts ändern. Er hat gesagt - ich zitiere: Ich habe das seinerzeit vor dem
Hintergrund von Berechnungen gesagt, die ich für zutreffend hielt, und das war ein Irrtum. Das habe ich einzugestehen. Lassen Sie es mich mal so sagen: Wenn ich
könnte, würde ich zu jedem gehen und sagen: Es tut mir
leid.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen keinen Bundeskanzler, der sich ständig entschuldigt,
({2})
Wir brauchen einen Bundeskanzler, der endlich die
Wahrheit sagt.
({3})
Die Rente ab 60 ist das nächste Kapitel einer Kette
von Unehrlichkeiten.
({4})
Am 8. November 1998 kündigte der Bundeskanzler an:
Volle Rente mit 60. Knapp ein Jahr später, am 6. Oktober 1999, sagte der gleiche Kanzler auf dem IG-MetallKongreß: Das kann ich nicht verantworten.
({5})
Wiederum nur wenige Tage später überraschte uns
der Arbeitsminister mit der Erklärung, die Rente mit 60
gehe doch. - Was sich hier abspielt, ist ein rentenpolitisches Tollhaus. Damit muß Schluß sein.
({6})
Natürlich wünschen sich viele Arbeitnehmer in
Deutschland eine Rente mit 60, natürlich gingen sie gern
in den Ruhestand. Aber wenn es richtig ist, daß die Ausbildung immer länger dauert und die Menschen in
Deutschland immer älter werden, also die Rentenbezugszeit zunimmt, dann kann doch nicht der frühere
Rentenbeginn die Lösung sein.
Ich möchte auf den Punkt bringen, was Ihr Modell
bedeutet. Wir haben 27 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland, die Rentenbeiträge zahlen.
({7})
Die Pläne der Regierung gehen davon aus, daß zirka
1 Million Arbeitnehmer vorzeitig in Rente gehen könnten. Wenn man 1 Million Beschäftigte zugrunde legt, die
dieses Angebot nutzen, müßten 26 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer 0,5 Prozent vom
Bruttolohn für die Finanzierung dieser Vergünstigung
zahlen, ohne dafür jemals eine Gegenleistung zu erhalten.
({8})
Hinzu kommt natürlich auch noch das zeitliche Moment. Sie wissen doch genau, was sich in den Betrieben
abspielt. Jeder rechnet nach: Gehöre ich noch dazu, oder
bin ich vielleicht zu jung? Wenn jemand bei Inkrafttreten dieses Gesetzes 54 Jahre und 11 Monate alt ist, dann
kann er zwar zahlen, hat aber keine Chance, mit 60 in
Rente zu gehen, während derjenige, der 55 Jahre und
einen Tag alt ist, vorzeitig in Rente gehen kann. Das ist
eine grobe Ungerechtigkeit.
({9})
Für die Arbeitnehmer wirkt sich dieses Modell letzlich wie eine private Steuer aus. Sie haben das Wort Privatisierung gründlich mißverstanden. Privatisierung bedeutet nicht die Zulassung von privaten Steuern.
Frau Dückert, auch Sie haben hier interessante Vorschläge gemacht, die mit denen der Bundesregierung
allerdings nicht deckungsgleich sind. Ich nenne Ihnen
einen gerechten, realistischen und nicht utopischen Weg:
Wer sich 45 Jahre lang krummgelegt hat und 45 Jahre
lang seine Rentenbeiträge gezahlt hat, wer eine geschlossene Rentenbiographie aufweist, der soll ab 60 in
die Rente gehen können - aber auch nur der.
({10})
- Ohne Abschläge. - Das ist der richtige Weg, der auch
bezahlbar ist.
({11})
Ihr Weg ist eine Sackgasse. Sie schüren die Verunsicherung bei den Rentnerinnen und Rentnern. Jedermann
hier im Plenum weiß, daß diese Regelung so, wie sie Ihnen vorschwebt, garantiert nicht kommen wird.
({12})
Jetzt hat die Kollegin Erika Lotz, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Singhammer, wenn Sie hier
von den Sorgen von 18 Millionen Rentnern reden, dann
muß ich Ihnen sagen, daß Sie an dieser Sorge und an
dieser Verunsicherung einen maßgeblichen Anteil haben.
({0})
Wer hat denn von diesem Pult aus jahrelang verkündet, die Rente sei sicher? Wer hat auf der anderen Seite
die Beiträge zur Rentenversicherung erhöht und die Leistungen aus der Rentenversicherung gesenkt? Wer hat
darüber diskutiert, das Rentenalter von 65 auf 68 oder
70 Jahre heraufzusetzen?
({1})
Sie tragen die Schuld für die Verunsicherung der Rentnerinnen und Rentner.
Ich frage mich eigentlich schon gut zwei Stunden
lang, was der Zweck dieser Veranstaltung ist.
({2})
Eine Gewerkschaft hat einen Vorschlag für eine tarifvertragliche Regelung über das frühere Ausscheiden aus
dem Berufsleben, für eine Tarifrente, gemacht, weil die
Arbeitslosigkeit leider noch immer zu hoch ist. Die Gewerkschaft will mit diesem Vorschlag den Weg öffnen,
ohne das Ziel, Beiträge zur Rentenversicherung zu senken, zu verfehlen. Ihnen ist die Senkung der Beiträge zur
Rentenversicherung wahrlich nicht gelungen.
({3})
Älteren, langjährig Beschäftigten soll tarifvertraglich
die Möglichkeit eingeräumt werden, ohne Abschläge mit
60 oder mit 61 in Rente zu gehen. Warum diskreditieren
Sie so etwas? Warum machen Sie so etwas schlecht?
Warum reden Sie es hier kaputt?
({4})
Sie wissen doch genau: Es gibt eine ganze Reihe von
langjährig beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die kaputt sind. Diese Menschen können nicht
mit 60 in Rente gehen und Abschläge in Kauf nehmen,
weil sie ihr Leben lang einen zu geringen Verdienst
hatten. Diese Menschen schleppen sich weiterhin an den
Arbeitsplatz. Der Situation dieser Menschen will die IG
Metall mit ihrem Vorschlag Rechnung tragen.
({5})
Ist das so etwas Schlimmes? Warum reden Sie das kaputt? Das ist doch auch für junge Arbeitnehmer eine
Chance.
({6})
Machen wir uns nichts vor: Die Durchsetzung dieser
Regelung wird kein Spaziergang und kein Zuckerschlecken sein, weil sie letztendlich Solidarität erfordert.
Aber Sie machen doch den Weg zur Solidarität, die beinhaltet, daß sich auch die Jungen solidarisch einbringen, mit Ihrer Diskussion kaputt.
({7})
- Solidarität, Herr Westerwelle, scheint bei Ihnen ohnehin ein Fremdwort zu sein.
({8})
Ich mache in meinem Wahlkreis andere Erfahrungen.
Ich mache in meinem Wahlkreis die Erfahrung, daß die
Jungen durchaus den Vorschlag der IG Metall begrüßen
und auch bereit sind, einen Beitrag zu leisten.
({9})
Arbeitnehmer haben sich schon immer solidarisch verhalten. Ich erinnere an das Beispiel VW: Verkürzung der
Arbeitszeit, um Kündigungen zu verhindern. Stellen Sie
es also bitte nicht so dar, als ob Junge den Rentenversicherungsbeitrag einzahlen, dann genau die Leistung erwarten und nicht bereit sind, das große Ganze zu sehen.
Es geht nicht generell um Rente mit 60. Es geht ganz
einfach darum, eine tarifliche Möglichkeit zu eröffnen.
Sie machen mit Ihrer Diskussion den Versuch zu spalten, eine Gewerkschaft auf einem, wie ich meine, guten
Weg zu schwächen und den anderen Tarifpartner an dieser Stelle zu stärken.
Ich sage Ihnen: Ich begrüße diesen Weg, wir begrüßen diesen Weg, den wir beschreiten, und ich denke, daß
bei den Verhandlungen hierüber, auf dem Weg dorthin,
noch weitere Dinge, beispielsweise Frauenfragen, diskutiert werden. Ich würde mir einen Weg wünschen, der
auch den Frauen zugute kommt, die oftmals aus sehr bekannten Gründen, was die Arbeit angeht, keine so
durchgängige Biographie haben wie die Männer.
({10})
Warum soll das Parlament die Tarifvertragsparteien
bevormunden? Warum wollen wir hier eine Lösung, den
Tariffonds, kaputtreden? Wir befinden uns erst am Anfang der Diskussion auch in den Gewerkschaften. Erschweren wir sie doch nicht. Es ist doch ein Weg, der
letztlich auch Arbeitsplätze sichert, Jungen die Möglichkeit gibt, in einen Betrieb hineinzukommen, und Älteren, die kaputt sind, die wegen des geringen Einkommens nicht die Möglichkeit haben, dauerhaft auf 18 Prozent oder 10 Prozent der Rente zu verzichten, ebenfalls
eine Chance gibt.
({11})
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit!
Insoweit bitte ich einfach um ein
bißchen mehr Fairneß. Lassen Sie die Tarifparteien ihre
Angelegenheiten in Ruhe beraten.
Danke schön.
({0})
Jetzt hat der Kollege
Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor einem
Jahr haben Sie die Regierung übernommen. Ich denke,
Sie von der SPD-Fraktion und auch Sie von den Grünen
haben sich den Jahrestag der Wahl des Bundeskanzlers
Schröder ein wenig anders vorgestellt, als er heute tatsächlich ist. Heute nacht sind die Grünen bei den Waffenexporten eingebrochen. Sie müssen heute eine vermurkste Rentenpolitik verteidigen. Hätten Sie sich das
alles vor einem Jahr vorstellen können, frage ich mich
schon während der ganzen Debatte.
({0})
Warum reden wir heute in diesem Parlament über die
Rente mit 60 mit so unterschiedlicher Meinung? Weil
schlicht und ergreifend in der Bevölkerung, vor allem im
jüngeren Teil der Bevölkerung, für diese Art der Politik
keine Mehrheit mehr zu finden ist.
Ich kann mich noch gut erinnern. Auf die Regierungserklärung der neuen Regierung, auf die erste Rede
von Herrn Riester, habe ich hier im Deutschen Bundestag für meine Fraktion geantwortet und gesagt: Herr
Riester, passen Sie auf, daß Sie nicht die Solidarität der
Generationen in der Rente verletzen.
({1})
Seien Sie vorsichtig, die demographische Formel außer
Kraft zu setzen. Was haben Sie gemacht? Sie haben die
demographische Formel, die berechenbar war, außer
Kraft gesetzt und machen jetzt Rente nach Kassenlage
mit Inflationsausgleich. Das finde ich unanständig gegenüber der Rentnergeneration in Deutschland.
({2})
Jetzt machen Sie zusammen mit der IG Metall einen
zweiten Deal, indem Sie - um es einmal ganz deutlich
zu sagen - auf einen Teil Ihrer Strukturreformen noch
einmal ein Sahnehäubchen setzen, was eine Menge Geld
kostet. Denn ob ich als jemand, der nicht von der Rente
mit 60 profitieren kann, 1 Prozent mehr Beiträge in die
Rentenkasse oder in einen Tariffonds einzahle, ist völlig
belanglos. Das Geld ist weg.
({3})
Wenn dies über die Rentenversicherung organisiert
würde, hätte ich zumindest den Vorteil, daß jede Mark
Beitrag zu einem Rentenanspruch führt. Aber eine Einzahlung in den Tariffonds führt zu gar nichts. Das, was
Sie dort planen, ist eine Enteignung der Arbeitnehmer.
({4})
Ein weiterer Punkt ist, daß man dies nur finanzieren
kann - dies hat Herr Riester der IG Metall zugesagt -,
wenn man 1 Prozent der Lohnerhöhungen steuer- und
beitragsfrei stellt.
({5})
Wenn ich 1 Prozent der Lohnerhöhungen beitragsfrei
stelle, bedeutet das weitere 6 bis 8 Milliarden DM weniger für die Rentenkassen. Das ist doch eindeutig belegbar und beweisbar.
Sie sagen dann: In den Genuß von dieser Regelung
sollen nur Menschen kommen, die 35 Beitragsjahre in
der Rentenversicherung vorweisen können, wobei Kindererziehungszeiten mitgerechnet werden - wobei wir
alle wissen, daß in der Rentenversicherung die Generation, die bis jetzt davon berührt ist, pro Kind nur ein Jahr
angerechnet bekommt; denn diese Generation hat ja ihre
Kinder vor 1992 bekommen. Ich will ganz sachlich darauf antworten, daß die allermeisten Frauen von dieser
Regelung mit Sicherheit nicht profitieren können. Deswegen ist folgender Slogan richtig: Hier haben zwei alte
Männer mit Rezepten der Urgroßväter versucht, noch
einmal für alte Männer etwas zu tun. Damit kann man
die jetzige Lösung am besten beschreiben.
({6})
In dieser Debatte heute hat mich etwas nachdenklich
gemacht, wer für die SPD gesprochen hat. Es sind sehr
nette Kollegen, deren Sachverstand ich sehr schätze; das
ist keine Frage.
({7})
Aber wenn man dann feststellt, daß Kollege Bodewig
Abteilungsleiter beim DGB, Kollege Brandner Erster
Bevollmächtigter der IG Metall Gütersloh und Kollegin
Lotz Gewerkschaftssekretärin, Mitglied des Landesvorstandes des DGB Hessen und Mitglied der IG Metall
sind,
({8})
dann muß ich sagen, daß die jetzige Politik der SPD nur
noch diejenigen vertreten wollen und werden, die in einer ganz engen beruflichen Abhängigkeit zum Deutschen Gewerkschaftsbund stehen. Das sollte jeden hier
etwas nachdenklich stimmen.
({9})
Deswegen fordere ich Sie auf: Kehren Sie zu einer
Rentenpolitik zurück, die für Gerechtigkeit zwischen
den Generationen sowie zwischen Männern und Frauen
sorgt. Dann werden wir das Vertrauen in die wichtigsten
Systeme der Sozialversicherung sichern. Sie sind dabei,
es zu zerstören.
({10})
Jetzt hat Kollege
Adolf Ostertag, SPD-Fraktion, das Wort. Bitte sehr.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin bekennender Gewerkschafter.
({0})
Norbert Blüm stand hier an diesem Rednerpult zwar
sehr wenig, aber in Bonn sehr oft und hat sich auch immer als bekennender Gewerkschafter dargestellt. Damals habt ihr allerdings noch Beifall geklatscht. Inzwischen ist er wahrscheinlich bekennender Politikpensionär. Das haben wir ihm auch gewünscht.
Vor einem Jahr sind Sie gerade wegen der Verunsicherung der Rentner abgewählt worden. Insbesondere
die Rentnerinnen und Rentner haben uns gewählt, weil
sie mehr Vertrauen in diese neue als in die alte Regierung setzten.
({1})
- Auch aus den letzten, für uns nicht sehr gut verlaufenden Wahlen wissen Sie, wenn Sie sie analysieren, daß
wir bei den Rentnerinnen und Rentnern immer noch die
größte Zustimmung haben. Das muß etwas mit unserer
Politik und mit Verläßlichkeit zu tun haben. Von daher
weise ich es zurück, wenn hier gesagt wird, es werde eine Rente nach Kassenlage gemacht.
({2})
Sie wissen genau, daß Sie sehr viel schlimmere Einschnitte vorgenommen haben. Sie sollten sich die Liste
Ihrer Maßnahmen anschauen; wir haben sie im einzelnen schon durchdiskutiert.
Ich möchte noch etwas zur Lebenswirklichkeit sagen,
die bei Ihnen etwas zu kurz kommt. Ich glaube, daß
viele ältere Menschen aus der Maloche heraus wollen.
Bei uns im Ruhrgebiet heißt es: Sie sind kaputtgeschrieben. Der Kollege aus meinem Nachbarwahlkreis hat
vorhin darauf hingewiesen, wie viele inzwischen aus
dem Arbeitsleben ausscheiden, weil sie es nicht mehr
bewältigen. So ist es doch, Herr Schemken. Das kennen
wir gerade in unserer Region, weil dort schwer gearbeitet wird. Die Menschen wollen nicht raus, weil sie keine
Lust mehr zum Arbeiten haben, sondern weil sie zum
großen Teil nicht mehr können, weil der Leistungsdruck
und dergleichen mehr zugenommen haben.
Diesen Menschen haben wir in den letzten Jahren
Chancen verbaut, das wissen Sie genausogut wie ich.
Sie sind systematisch verbaut worden; denn mit einem
18prozentigen Abschlag kann keiner aus dem Erwerbsleben gehen, dann findet er sich bei der ergänzenden Sozialhilfe wieder.
Ein Yuppie, der zusätzlich noch Generalsekretär ist,
kann das überhaupt nicht verstehen.
({3})
Die jungen Leute in den Betrieben können das beurteilen. Das ist die eine Seite der Medaille.
({4})
Die andere Seite der Medaille ist, daß die jungen
Menschen Chancen erhalten wollen. Die Menschen sind
eben nicht alle so, wie einige von der Opposition sie beurteilt haben. Das sind Menschen, die wirklich noch um
einen Arbeitsplatz kämpfen, die sich dreißig-, vierzigmal bewerben und dennoch keine Chance haben, einen
Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu bekommen.
Sie wissen, daß wir hier gegenwärtig relativ viel tun,
obwohl auch das von Ihnen verurteilt wird. Morgen
nachmittag haben wir das Vergnügen, mit Ihnen über
das JUMP-Programm zu diskutieren. Das ist nur ein
Punkt unseres Konzepts, mit dem wir jungen Menschen
eine Chance eröffnen wollen. Darüber hinaus gibt es
natürlich noch weitere Punkte.
({5})
Die Tarifrente mit 60 ist ein Modell, das kreiert werden und den Tarifvertragsparteien mit wohlwollender
Unterstützung der Politik im „Bündnis für Arbeit“
Chancen für die Älteren eröffnen soll, die in der Tat kaputt sind und von denen sich die Betriebe trennen wollen, weil sie nicht mehr die Leistungskraft besitzen, von
denen sie sich aber nicht ohne weiteres trennen können,
weil die Älteren tarifvertraglich abgesichert sind. Auch
das muß man sehen. Es gibt immer zwei Seiten der Medaille.
In der Fragestunde wurde viel von der Wiederbesetzung der Stellen gesprochen. Die Frau Staatssekretärin
wurde gefragt, wie die Situation ist. Natürlich war sie in
der Vergangenheit nicht erfreulich, und es kommt darauf
an, wie ein Tarifvertrag ausgestaltet wird. Das ist aber
nur die eine Seite der Medaille, die andere ist zum Beispiel, daß wir auch Entlassungen verhindern wollen. Das
muß man bedenken, wenn man über Arbeitsplätze redet
und Arbeitsplätze erhalten will. Bei diesem einen unter
mehreren Instrumenten geht es in der Tat um die Solidarität der Generationen untereinander, zwischen Jung und
Alt.
Gehen Sie davon aus: Von Solidarität verstehen wir
ein bißchen mehr als Sie.
({6})
Die Solidarität zwischen den Generationen ist ein wesentliches Element des Generationenvertrags.
({7})
Dazu gehört auch die Solidarität der Arbeitsplatzbesitzer
im Hinblick auf die Arbeitslosen. Auch das ist ein Stück
Solidarität. Ein dritter Aspekt der Solidarität - er ist angesprochen worden - hat mit dem zu tun, was innerhalb
der jeweiligen Generation möglich ist. Es gibt also drei
Aspekte der Solidarität, denen wir uns stellen und zu
denen wir wirklich unseren Beitrag mit dem Konzept
der Tarifrente mit 60 leisten wollen. Das ist ein Projekt
im Bündnis für Arbeit, ein Projekt zwischen den Tarifvertragsparteien, das von uns unterstützt wird.
Die Tarifvertragsparteien haben in diesem Land
schon sehr viel zustande gebracht. Sie haben diese Gesellschaft vorangebracht, sie haben diese Gesellschaft
politisch und sozial stabilisiert und wesentlich zu unserer internationalen Konkurrenzfähigkeit beigetragen.
Diese soziale Stabilität haben die Tarifvertragsparteien
immer wieder in den Mittelpunkt ihrer Gesamtverantwortung gestellt.
Ich glaube, wir sollten den Tarifvertragsparteien einiges zutrauen. Das ist keine Politik, die gegen die Gesellschaft oder gegen eine Partei gerichtet ist, sondern es ist
eine Politik, die für die Gesellschaft insgesamt gemacht
wird. Die verschiedenen Tarifvertragsmodelle sind hier
schon dargestellt worden, dazu gehört auch das Arbeitszeitmodell von VW. Ich könnte viele Punkte hinzufügen, um Sie noch ein bißchen zu ärgern.
Ein besonders großer tarifpolitischer Fortschritt war
damals zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Andere Länder beneiden uns darum. Sie haben
sie gecancelt. Wir haben sie wiederhergestellt, weil die
Menschen seit Jahrzehnten darin eine Vertrauensbasis
hatten und sie auch künftig haben sollen.
({8})
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluß,
Frau Präsidentin. Wir vertrauen auf die Tarifvertragsparteien. Zwei der Partner im „Bündnis für Arbeit“
wollen das Modell probieren, der dritte Partner, die ArAdolf Ostertag
beitgeber, werden auch noch gute Gründe dafür finden davon bin ich überzeugt -, wenn sie mit den Menschen
in den Betrieben bei Betriebsversammlungen diskutieren. Ich glaube, wie werden einen erheblichen Schritt
weiterkommen. Arbeiten Sie mit, und schimpfen Sie
nicht! Schimpfen ist keine Politik und hilft vor allem
nicht den Menschen.
Vielen Dank.
({0})
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. Oktober 1999,
9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.