Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten
Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.
Bevor wir in die vorgesehene Tagesordnung eintreten, teile ich mit, daß interfraktionell vereinbart worden
ist, die heutige Tagesordnung um den Antrag der Bundesregierung zu Osttimor zu erweitern. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an dem internationalen
Streitkräfteverband in Osttimor ({0}) zur
Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden
auf der Grundlage der Resolution 1264 ({1})
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
vom 15. September 1999
- Drucksache 14/1719 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({2})
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
Haushaltsausschuß
Eine Aussprache dazu ist für heute nicht vorgesehen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/1719 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion „Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren in der Bundesrepublik Deutschland“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Frau Dr. Edith Niehuis.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir haben als Bundesregierung die Beantwortung der
Großen Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur
Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren in
Deutschland zum Anlaß genommen, eine differenzierte
Darstellung der Lebenssituation der älteren Generation
zu veröffentlichen.
Derzeit leben in Deutschland 17,9 Millionen Menschen, die über 60 Jahre alt sind. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt 21,8 Prozent; zum Vergleich:
1970 betrug der Anteil 19,9 Prozent. Überproportional
angestiegen ist die Zahl der über 80jährigen.
Die zukünftige Entwicklung wird - davon müssen
wir ausgehen - von einem weiteren Anstieg des Anteils
Älterer an der Gesamtbevölkerung gekennzeichnet sein.
So wird für das Jahr 2010 ein Anteil von 25,6 Prozent
prognostiziert, für das Jahr 2039 ein Anteil von
36,8 Prozent. Diese Entwicklung wird sich in den neuen
und alten Bundesländern weitgehend parallel vollziehen.
Der demographische Wandel, das heißt die Zunahme
des Anteils der Älteren an der Bevölkerung, wird uns in
der Politik, in Wirtschaft und Gesellschaft in den nächsten Jahren verstärkt fordern. Er betrifft alle Industrienationen und nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche.
Neben den sozialen Sicherungssystemen und dem Arbeitsmarkt berührt diese Entwicklung auch den Wohnungs- und Verbrauchermarkt, das Verkehrswesen sowie den Bildungs-, Kultur- und Freizeitsektor.
Bislang gibt es wenig Erfahrung, wie eine so drastische Verschiebung der Relation zwischen Jung und Alt
eine Industriegesellschaft verändert. Dabei umfaßt die
demographische Entwicklung eben nicht nur die quantitative Zunahme, sondern wichtiger für die politische
Gestaltung werden die qualitativen und strukturellen
Veränderungen sein.
Ich möchte hier nur einige Schlagworte nennen. Die
Altersphase, markiert durch die berufliche Altersgrenze,
setzt immer früher ein. Frauen leben länger als Männer
und sind von allen Veränderungen stärker betroffen.
Älter werden ist häufig mit Alleinleben verbunden. Wir
haben es mit veränderten Familien- und Generationsbeziehungen zu tun. Die gesamte Altersphase umfaßt
selbst schon mehrere Generationen. Wir haben es mit
einem wachsenden Anteil hochaltriger Menschen, das
heißt über 80jähriger, zu tun.
Alter unterliegt zudem einem Bedeutungswandel. Die
heute Älteren treten in diese Lebensphase bei im Durchschnitt besserer Gesundheitsverfassung, mit besseren
Qualifikationen und mit besserer materieller Absicherung als frühere Altersgruppen ein. Statt auf Resignation
und Rückzug treffen wir auf Aktivität und Mobilität.
Auf diese Situation müssen wir in der Altenpolitik
und Altenarbeit reagieren. Neben den herkömmlichen,
von Hilfe- und Pflegebedarf geprägten Hauptakzenten
geht es auch um die Schaffung von Rahmenbedingungen, die es der älteren Generation ermöglichen, sich aktiv in unsere Gesellschaft einzubringen. Umgekehrt muß
die Gesellschaft auch wissen, daß sie auf das große
Potential an Erfahrungswissen der Älteren nicht verzichten kann.
Darum erlauben Sie mir, einige Daten aus der umfangreichen Antwort der Bundesregierung zu beleuchten. Erfreulich ist, daß die materielle Situation der Altengeneration im Durchschnitt keinen Anlaß zu übermäßiger Sorge bereitet. Der Anteil der über 65jährigen an
allen Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern ist prozentual, aber auch in absoluten Zahlen gesunken. Die weitere Bevölkerungsentwicklung hat natürlich auf unsere Solidarsysteme erhebliche Auswirkungen. Wir müssen bei diesen Auswirkungen insbesondere auf die Generationensolidarität achten. Wir
müssen die verschiedenen Generationen stärker zusammenbringen für eine Gesellschaft, in der alle Menschen
ihren Platz haben. Das Miteinander der Generationen
und ihre Solidarität untereinander sowie unsere Gesellschaft werden in Zukunft von diesen Fragen verstärkt
abhängig sein. Seniorinnen und Senioren sind bereit,
sich für andere Generationen einzusetzen und sie zu unterstützen. Das zeigt sich zum Beispiel am ehrenamtlichen Engagement. Nach bisherigen Schätzungen ist jede
bzw. jeder vierte der über 65jährigen ehrenamtlich tätig,
bei einem durchschnittlichen Einsatz von 15 Stunden
pro Monat.
Wir haben eine bundesweite Repräsentativerhebung
in Auftrag gegeben, um hierzu verläßlichere Daten zu
bekommen. Dieses Engagement ist erfreulich. Es gilt,
die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, damit Seniorinnen und Senioren sich aktiv in unsere Gesellschaft
einbringen können.
Es wird darauf ankommen, Partizipationsmöglichkeiten zu eröffnen und neue Tätigkeitsfelder zu entwikkeln. Noch fehlen in vielen Orten Betätigungsmöglichkeiten, die dem Anspruch nach Selbstverantwortung und
eigenständiger zeitlicher und inhaltlicher Gestaltung
Rechnung tragen. Denn auch ältere Menschen wollen
nicht einseitig auf karitative Hilfsdienste festgelegt sein,
sondern wollen sich kreativ einbringen. Voraussetzung
dafür ist eine engagementfördernde Infrastruktur. Darum
werden wir auch weiterhin die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenbüros unterstützen.
Ebenso muß die Möglichkeit zur Selbstorganisation der
Älteren gestärkt werden, wobei es insbesondere auf
Qualifizierung und Fortbildung ankommt.
Wenn wir uns die Situation anschauen, so stellen wir
mit Freude fest, daß sich Seniorinnen und Senioren auch
aktiv an den Hochschulen bewegen. Im vorletzten Wintersemester zum Beispiel waren 4 532 über 60jährige an
den Hochschulen eingeschrieben, 11 673 nahmen als
Gasthörerinnen und Gasthörer teil. Noch ist für viele
Seniorinnen und Senioren die Informations- und Kommunikationstechnologie Neuland. Daher ist es nötig, die
Älteren bei der Handhabung und Nutzung dieser Möglichkeiten zu unterstützen; das tun wir auch.
Auch im Sport sind die Seniorinnen und Senioren
ausgesprochen aktiv. 2,2 Millionen Mitglieder über 60
Jahre hat der Deutsche Sportbund im Jahre 1998 gehabt.
Frau
Staatssekretärin, darf ich Sie an die Redezeit erinnern.
Ist es schon soweit?
Ja, Sie
sind eine Minute über die Zeit.
Lassen Sie mich trotzdem noch eines sagen. Bei
all diesem Mobilitäts- und Aktivitätspotential der Seniorinnen und Senioren müssen wir natürlich auch an den
Pflege- und Hilfsbedarf der Senioren denken. Längst
überfällig war, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland die bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung auf
den Weg gebracht haben. Hier hatten wir in der Tat
einen Reformstau. Es ist für die Qualität von Pflegeheimen wichtig, daß der Standard, die Dauer und die
Struktur der Altenpflegeausbildung in der Bundesrepublik gesichert werden. Wir werden auch in Zukunft alles
daransetzen, die Qualitätsstandards von Pflege- und Altenheimen zu halten, insbesondere durch eine Novellierung des Heimgesetzes.
Da Sie die Große Anfrage und die Antwort der Bundesregierung gelesen haben und ich keinen längeren einführenden Beitrag geben darf, warte ich nun auf Ihre
Fragen.
Ich bitte,
zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über
den soeben berichtet wurde.
Als erste Fragestellerin hat die Kollegin Hannelore
Rönsch von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Frau
Rönsch, bitte.
Frau
Staatssekretärin, Sie haben auch heute wieder betont,
daß sich die ältere Generation aktiv in unsere Gesellschaft einbringen will. Wir stimmen dem ausdrücklich
zu. Wir fragen deshalb, wann die Gelegenheit geboten
wird, „Senioren im Parlament“ nachzuholen. Diese Veranstaltung ist ganz kurzfristig abgesagt worden. Die Seniorenverbände haben großes Unverständnis darüber bekundet. Das Jahr der Senioren dauert noch ein paar Monate. Ist es Absicht der Bundesregierung, die Veranstaltung „Senioren im Parlament“ jetzt unmittelbar durchzuführen, damit die ältere Generation Gelegenheit hat, mit
der Bundesregierung die Fragen, die sie bewegen, zu
diskutieren?
Eine zweite Frage. Sie haben in der Beantwortung der
Fragen zu Alzheimer-/Demenzpatienten mitgeteilt, daß
in erster Linie die Versorgungsforschung eine intensivere Förderung erfährt. Sie haben die Zahl bzw. die Bedeutung der Demenzpatienten in den Einrichtungen ausdrücklich angesprochen. Wir sind der Meinung, daß
auch die Ursachenforschung für die Alzheimer-/
Demenzpatienten dringend erforderlich ist. Was gedenkt
die Bundesregierung zu tun, um die Grundlagenforschung weiter auszubauen?
Frau
Staatssekretärin.
Frau Kollegin Rönsch, zu Recht sprechen Sie die
wichtige Veranstaltung „Alt und Jung im Dialog mit
Abgeordneten“ an. Diese Veranstaltung war, wie Sie gesagt haben, am 21. Juni geplant. Wir werden diese Veranstaltung am 29. November hier in der Hauptstadt Berlin durchführen. Ich denke, das ist eine wichtige Veranstaltung.
Dann haben Sie die Demenzforschung angesprochen.
Die Demenzforschung ist - das können Sie der Beantwortung der Großen Anfrage entnehmen - für uns ein
Forschungsschwerpunkt. Das betrifft zum einen die Modellprojekte, zum Beispiel „Altenhilfestrukturen der Zukunft“. Da wird die Situation der Demenzkranken eine
ganz besondere Rolle spielen. Die Situation der Demenzkranken wird auch eine besondere Rolle spielen,
wenn es um unsere Forschung hinsichtlich PLAISIR
geht: Wie können wir neue Maßstäbe bekommen? Wie
hoch muß die Fachkraftquote in den Altenheimen sein?
Auf diese Weise wird unser Haus sehr viel mehr Informationen bekommen, wie konkret mit der Situation der
Demenzkranken, deren Zahl zunehmen wird, umgegangen werden sollte.
({0})
Wollen
Sie noch einmal nachfragen, Frau Kollegin Rönsch? Bitte schön.
Frau
Staatssekretärin, das war nicht ganz die Beantwortung
meiner Frage. Alles, was Sie eben angesprochen haben,
geht in den Bereich der Versorgung von Demenzkranken. Meine Frage ging ausdrücklich in den Bereich der
Ursachenforschung. Wenn wir den Anstieg der Zahl der
Demenzpatienten in den Altenpflegeeinrichtungen in der
Zukunft bremsen wollen, dann müssen wir an die
Grundlagen, an die Ursachen gehen. Hier hätte ich gerne
Perspektiven der Bundesregierung.
Da Sie nun den Forschungsbereich im engeren
Sinne ansprechen, würde ich diese Frage an das Forschungsministerium - an meinen Kollegen Catenhusen weitergeben.
({0})
Herr
Staatssekretär Catenhusen, bitte.
Liebe
Kollegin Rönsch, wir sind dabei, die Schwerpunkte des
Gesundheitsforschungsprogramms der Bundesregierung
neu zu setzen. Dabei wird die Alzheimer-Forschung eine
besondere Rolle spielen. Ich weise aber darauf hin, daß
insbesondere die molekularbiologische Forschung, etwa
im Bereich Genomforschung, in Verbindung mit medizinischen Anwendungen heute das Schlüsselwissen erzeugt. In diesem Zusammenhang lernen wir sehr viel
Neues über die genetischen Grundlagen und das Entstehen von Alzheimer. In diesem Bereich haben wir schon
für diesen Haushalt und auch für das nächste Jahr unsere
finanziellen Anstrengungen verstärkt. Sie können sicher
sein, daß wir darauf achten werden, daß gerade bei der
molekularbiologischen Forschung die genetischen Hintergründe gerade solcher Volkskrankheiten wie Demenzerkrankungen verstärkt untersucht werden.
Dann
kommen wir zur Frage des Kollegen Gerald Weiß von
der CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön, Herr Weiß.
Frau
Staatssekretärin, Sie haben von der Sicherung der materiellen Situation der älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger gesprochen. In diesem Zusammenhang spielt die gesetzliche Rente die entscheidende Rolle, auch im Bewußtsein der Menschen und in der tatsächlichen Haushaltssituation. Sie wollen die lohnorientierte Rentenanpassung für zwei Jahre aussetzen und eine Rentenanpassung nur noch nach der Inflationsrate zugestehen - sozusagen in einem staatlichen Interventionsakt. Darf ich
Sie, weil Sie in Ihrem Bericht weitere Modernisierungen
- in Anführungszeichen - für das Rentensystem androhen, fragen, ob Sie in der längerfristigen Konzeptionierung Ihrer Vorstellung von Rente wieder zu einer Lohnbezogenheit der Rente zurückkehren wollen, die seit
1957 ein Stützpfeiler des Rentensystems ist?
Herr Präsident, wenn Sie erlauben, gebe ich diese
Frage an das zuständige Ministerium, an den Kollegen
Andres, weiter.
Ja. Herr
Andres, bitte schön.
Herr Kollege Weiß,
wie Sie wissen, arbeitet die Bundesregierung an einer
Gesamtreform der gesetzlichen Alterssicherung; sie wird
im nächsten Jahr stattfinden. Wir haben in der Tat die
Absicht - das ist auch schon gesetzgeberisch auf den
Weg gebracht -, in den nächsten beiden Jahren die Anpassung der Renten nach der Preissteigerungsrate vorzunehmen. Es gibt die Absicht, daß die Rente ab dem
Jahre 2002 wieder den Steigerungen von Löhnen und
Gehältern folgt.
Weitere
Frage, Herr Kollege Weiß.
Herr
Staatssekretär, darf ich Sie einmal fragen - weil im Bericht in bezug auf die Präsentation der längerfristigen
Rentenvorstellungen der Bundesregierung ständig von
Ende 1999 die Rede ist -, wie der Fahrplan genau aussieht? Wann werden Sie Ihre Konzeption vorstellen?
Bleibt es bei dem, was auch in der Antwort auf die Große Anfrage angekündigt worden ist?
Ja. Wir haben immer gesagt, daß wir die gesetzgeberische Umsetzung im
Jahre 2000 vollziehen werden. Alle, die in diesem Bereich tätig sind, wissen das auch. Es gibt da also keine
Veränderungen.
Herr
Weiß, eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Die Anpassung nach Inflationsrate wird bezüglich der absoluten
Zuwächse, der absoluten Zahlen besonders die Bezieherinnen und Bezieher kleiner Renten negativ betreffen.
Wie beurteilen Sie die Folge Ihres Interventionsaktes für
die Situation der Bezieherinnen und Bezieher kleiner
Renten, und wie sind die mittelbaren Wirkungen, beispielsweise auf die Sozialhilfe, einzuschätzen?
Zunächst muß ich Sie
darauf hinweisen, Herr Kollege Weiß, daß während der
letzten sechs Jahre in fünf Jahren Rentenanpassungen
stattgefunden haben, die unterhalb der Preissteigerungsrate lagen. Das deutet natürlich darauf hin, daß die letzten fünf Jahre - insbesondere, wenn ich Ihre Frage
zugrunde legen soll - ganz verheerende Jahre für Rentnerinnen und Rentner mit kleinen Renten gewesen sein
müssen. Wir sind der Meinung, daß wir - das werden
wir nachher bei anderen Fragen noch einmal diskutieren
- den Rentnerinnen und Rentnern die Maßnahme zumuten können, für die nächsten zwei Jahre eine Anpassung vorzunehmen, die der Preissteigerungsrate entspricht. Damit wird Lebensstandard gesichert, anders als
in den letzten sechs Jahren.
Wenn Sie den Bericht aufmerksam gelesen haben,
werden Sie festgestellt haben, daß etwa 280 000 Menschen über 60 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland Hilfe zum Lebensunterhalt, also Sozialhilfe, beziehen. In den Folgerungen wird dargestellt, daß sich
diese Größenordnung in den letzten Jahren zurückentwickelt hat.
Wir alle wissen aus den Alterseinkommensberichten
der Bundesregierung, daß die Rentnerhaushalte, was ihr
Eckeinkommen angeht, natürlich auf die Renten angewiesen sind, daß es aber noch eine ganze Reihe ergänzender Einkommensmöglichkeiten gibt. Von daher kann
man nicht einfach schließen, daß eine bestimmte Rentenanpassungsrate automatisch dazu führt, daß mehr
Rentner zu Sozialhilfeempfängern werden. Das ist eine
Schlußfolgerung, die man nicht so ziehen kann, weil
man sehen muß: Es handelt sich häufig um Rentnerpaare; die Rentner leben in einer Familiensituation. Sie
kennen die Voraussetzungen, wenn man Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen will. Es fließen dort auch viele
andere Faktoren mit ein, die man natürlich entsprechend
berücksichtigen muß.
Der
Kollege Walter Link möchte direkt dazu eine Frage
stellen; deswegen ziehe ich das vor. Herr Link, bitte
schön.
Herr Staatssekretär, der Herr Bundeskanzler hat in der Fernsehsendung mit Frau Christiansen am Sonntag abend gesagt, er
würde am liebsten zu allen Rentnerinnen und Rentnern
gehen und sich für die gemachten Versprechungen entschuldigen, die jetzt nicht eingehalten werden. Entschuldigen auch Sie sich bei allen Rentnern?
Da ich weiß, daß
dazu Dringliche Fragen für die Fragestunde, die gleich
beginnt, vorliegen, habe ich eine Frage an den Präsidenten. Sollen exakt diese Fragen, die gleich, in der Fragestunde, thematisiert werden, schon jetzt thematisiert
werden? Wie ist das Prozedere?
({0})
Es ist ja
die Frage gestellt worden. Es liegt bei Ihnen, wie Sie
darauf reagieren.
Ich sehe für mich
keine Veranlassung, dies zu tun. Ich finde, daß das, was
wir konzeptionell machen, richtig ist.
Die
nächste Frage will die Kollegin Maria Eichhorn von der
CDU/CSU-Fraktion stellen.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben gesagt, daß auf das Erfahrungswissen der Älteren nicht verzichtet werden kann, und in Ihrer Antwort
auf unsere Große Anfrage stellen Sie fest, daß die Seniorenbüros von Ihnen weiter gefördert werden sollen. Das
ist zu begrüßen, weil diese Seniorenbüros, die damals
unter unserer Bundesministerin Hannelore Rönsch eingerichtet worden sind, eine sehr segensreiche Einrichtung sind. Sie verweisen auch darauf, daß das Land Thüringen Mittel bereitstellt, um einen flächendeckenden
Ausbau von Seniorenbüros zu ermöglichen. Was
gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit dieser flächendeckende Ausbau in der gesamten Bundesrepublik
ermöglicht wird?
Ich habe noch eine zweite Frage. Frau Staatssekretärin, Sie haben auch hervorgehoben, daß mit zunehmendem Alter die Pflegebedürftigkeit zunimmt. In
Ihrer Antwort haben Sie leider keine aktuellen Zahlen
zu den Demenzkranken bringen können. Die Zahlen,
die Sie nennen, sind alt. Nach Aussage derer, die mit
Pflege zu tun haben, nimmt die Zahl Demenzkranker
zu, und auch die Probleme, die damit verbunden sind,
nehmen zu. Denkt die Bundesregierung daran, über die
Pflegeversicherung die Pflege von Demenzkranken
abzusichern, um so den besonderen Bedürfnissen bei
der Pflege von Demenzkranken Rechnung tragen zu
können?
Frau
Staatssekretärin, bitte schön.
Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend: Hinsichtlich der Seniorenbüros, Frau Kollegin
Eichhorn, möchte ich sagen, daß das ein Modellprogramm war - Sie wissen das -, und Modellprogramme
des Bundes haben nicht zum Ziel, daß wir für immer
und ewig flächendeckend für die Infrastruktur in der
Bundesrepublik Deutschland sorgen. Wir sind froh,
daß 90 Prozent der Seniorenbüros, die gefördert wurden, eine dauerhafte Absicherung erhalten haben. In
bezug auf alle anderen - das wissen Sie genausogut
wie ich - bleibt die Hoffnung, daß dieses Modell von
anderen übernommen wird. Die Fördermöglichkeiten
des Bundes sind nun einmal so; Sie und ich wissen
das.
Ihre Frage nach den Demenzkranken und der Pflegeversicherung möchte ich zuständigkeitshalber an meine
Kollegin aus dem Gesundheitsministerium, Frau Nikkels, weitergeben.
Wollen
Sie noch eine Zusatzfrage stellen, Frau Eichhorn?
Zu der Frage nach den
Seniorenbüros hätte ich noch eine Zusatzfrage. Unabhängig davon, daß es sich um ein Modellprojekt gehandelt hat und jetzt das Land Thüringen dankenswerterweise das Ganze flächendeckend betreiben will, könnte
doch die Bundesregierung auch außerhalb von diesen
Modellprojekten mit den Ländern Gespräche aufnehmen, die das Ziel haben, solche Seniorenbüros flächendeckend zu schaffen. Hat die Bundesregierung in dieser
Beziehung etwas getan?
Wie Sie wissen, sind wir mit den Ländern ständig
im Gespräch, um die Infrastruktur für ältere Menschen
zu verbessern. Das findet natürlich auch im Bereich der
Seniorenbüros statt. Es geht da beispielsweise um die
Frage: Wie kann man die ehrenamtliche Tätigkeit, das
Engagement der Senioren vor Ort fördern? Insoweit
bleibt der Bundesregierung, wie Sie wissen, nur dieses:
animieren, motivieren. Aber eine weitere finanzielle
Förderung ist, nachdem ein Modellprogramm ausgelaufen ist, leider nicht mehr möglich.
Bitte
schön.
Frau Kollegin Eichhorn,
wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, daß wir in
dieser Legislatur intensiv prüfen, wie man die Betreuung
der Demenzkranken verbessern kann. Sie wissen selber,
daß man angesichts des Beitragssatzes von 1,7 Prozent
sehr sorgfältig überlegen muß, wie man die Möglichkeiten, die man hat, noch verbessern kann. Das tun wir.
Wir sind in intensiven Gesprächen. Wir prüfen Verbesserungen in den verschiedensten Bereichen, und zwar
Möglichkeiten der Qualitätssicherung und der Optimierung im Bereich der Pflege.
Natürlich spielt dabei - Sie haben das angesprochen die Frage der finanziellen Mittel eine Rolle. Von Bayern
und Baden-Württemberg sind im Bundesrat entsprechende Initiativen eingebracht worden. Dabei war allerdings das Problem, daß diese Bundesländer den Finanzüberschuß von 9,7 Milliarden DM weit überschätzt haben; sie sind von 12,3 Milliarden DM ausgegangen.
Wenn man grundlegend etwas ändern will, muß man
sehr sorgsam planen. Schnellschüsse verträgt die Pflege
nicht. Wir sind in intensiven Gesprächen, können Ihnen
das Ergebnis aber noch nicht sagen.
Ich lasse
noch eine letzte Frage von Ihnen, Frau Eichhorn, zu.
Mein Frage bezieht
sich speziell auf dieses Thema: Warum hat es die Bun5330
desregierung versäumt, bei der Änderung des Pflegegesetzes, die ja erst in dieser Legislaturperiode passiert ist,
das zu tun, was sie sich vorgenommen hat? Sie haben
zwar gerade gesagt, das müsse lange vorbereitet werden,
aber ich verstehe nicht, warum Sie bei deren Beratungen
die Verbesserungen in der Pflege von Demenzkranken
nicht hineingenommen haben.
Wenn Sie jetzt auf den
Zeitraum, in dem die neue Bundesregierung amtiert, abheben, verstehe ich Ihre Frage nicht. Wir haben das, was
möglich war, getan. Sie wissen selber, daß schon in der
letzten Legislaturperiode, im letzten Jahr, ein Paket und zwar einvernehmlich, mit allen Fraktionen - hätte
durchgesetzt werden können. Es ist damals an Bedenken
der F.D.P. gescheitert. Wir haben jetzt entsprechende
Verbesserungen, die überschaubar sind und den Pflegenden - gerade den Frauen, die zu Hause pflegen maßgebliche Erleichterungen bringen, durchgesetzt und
schon in diesem Frühjahr beschlossen. Das ist auf Dauer
finanzierbar und etatisiert - Sie kennen das selber, Frau
Eichhorn, weil Sie in diesem Bereich lange gearbeitet
haben -: Die Finanzierung der Pflichtpflegeeinsätze
wird durch den Träger, nicht mehr durch die zu pflegende Person selber vorgenommen; Verbesserung der Verhinderungspflege; Neuregelung der anstehenden Rückzahlung im Sterbemonat, was den Familien bisher sehr
viel Ärger und Verdruß bereitet hat. All diese Punkte
sind jetzt geändert worden. Das, was machbar war, haben wir jetzt durchgesetzt. Dies ist in der letzten Legislatur nicht an den jetzigen Regierungsfraktionen gescheitert.
In bezug auf die Initiative von Bayern und BadenWürttemberg im Bundesrat habe ich Ihnen schon dargelegt, daß die Grundannahme völlig falsch war, die
Rückstellungen waren überhöht angesetzt. Ich hatte
schon eben gesagt, daß im Bereich der Demenzerkrankungen Pflegende wie Betroffene Schnellschüsse nicht
vertragen. Wir haben das intensiv geprüft und beraten.
Die Bundesratsinitiative wurde in die weiteren Überlegungen einbezogen, aber deren Grundannahme war
nicht richtig. Sie war nicht finanzierbar. Gerade in diesem Bereich darf man nicht versprechen, was man nicht
halten kann.
Als
nächster Fragesteller der Kollege Wolfgang Dehnel von
der CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr
Präsident. - Meine Frage richtet sich an den Staatssekretär Herrn Andres. Herr Staatssekretär, Ihre Kollegin
hat eingangs vorgetragen und statistisch belegt, daß in
der Bevölkerung der Anteil der Menschen über 60 Jahre
stark ansteigt und mittlerweile schon mehr als 20 Prozent beträgt. Dies ist ein relevanter demographischer
Faktor. Können Sie diesem Haus schlüssig erklären,
warum Sie in Ihren Rentenplänen den demographischen
Faktor nicht eingearbeitet haben und damit dieser Entwicklung nicht gerecht werden?
Herr
Andres, bitte.
Herr Kollege
Dehnel, wenn Sie die Rentendebatte der letzten Wochen
verfolgt haben, dann wissen Sie, daß es bei einer künftigen Rentenreform darum gehen muß, folgende Tatbestände zu erreichen: Wir brauchen erstens eine Rentenversicherung, die auf lange Sicht angelegte, kalkulierbare Beiträge hat, die von den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern bezahlt werden können, und die dazu
den Effekt haben, daß sie nicht so hoch sind, daß sie Beschäftigung verhindern. Zum zweiten brauchen wir ein
langfristig angelegtes Rentenniveau, das eine vernünftige Versorgung über die Rentenversicherung ermöglicht. Zum dritten müssen wir sehen, wie wir in diesem
Zusammenhang die Fragen Rentenanpassung, Beitragsleistung und Leistungsniveau der Rentenversicherung
übereinanderbringen.
Die Bundesregierung arbeitet, wie Sie wissen, an
einem Konzept. Bei der Erarbeitung spielt eine Rolle, ob
man eine zusätzliche private Vorsorge durch entsprechende Förderung und Unterstützung entwickeln kann,
und wenn das nicht geht möglicherweise als obligatorisches Instrument. Hieran arbeiten wir und werden in
dieser Richtung etwas auf den Weg bringen.
Ich habe in meiner Antwort auf eine andere Frage
vorhin darauf hingewiesen, daß wir in regelmäßigen Abständen Alterseinkommensberichte erstellen, auf Grund
derer wir wissen, wie die Einkommenssituation der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland aussieht. Wir wissen, daß die Einkünfte aus Renten die
Hauptsäule, die wichtigste Stütze bei der Altersversorgung sind. Wir wissen aber auch, daß es viele zusätzliche Einkünfte und Absicherungsmöglichkeiten gibt. Eine dieser Möglichkeiten ist eine zusätzliche private Altersvorsorge. Etwa 70 Prozent der Sozialversicherungspflichtigen in der Bundesrepublik verfügen darüber. Wir
wollen alles dafür tun, um auch den restlichen
30 Prozent, die noch nicht über eine zusätzliche Vorsorge verfügen, diese zu ermöglichen. Das werden wir fördern.
Herr
Kollege, ich würde Sie bitten, auf eine Zusatzfrage zu
verzichten, weil sich noch so viele Redner zu Wort gemeldet haben und die Zeit der Regierungsbefragung begrenzt ist.
Ich habe nur eine
kurze Frage.
Jeder
glaubt, daß seine Frage die wesentliche Frage ist. Das
liegt in der Natur der Sache.
Frau Kollegin Monika Balt von der PDS-Fraktion.
Frau Staatssekretärin Niehuis,
die gesetzliche Rentenversicherung ist ja bekanntlich
von der ökologischen Steuerreform insofern betroffen,
als für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch
das Sinken der Rentenversicherungsbeiträge positive Effekte entstehen. Welche Maßnahmen unternimmt die
Bundesregierung, um die negativen Effekte, die für die
Rentnerinnen und Rentner aus der ökologischen Steuerreform entstehen - ich denke an die Erhöhung der
Strompreise und an die Erhöhung der Preise im öffentlichen Personennahverkehr -, auszugleichen?
Da Sie eine Frage zur Steuer gestellt haben, gebe
ich weiter an meine Kollegin Frau Hendricks.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staassekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin, die erhöhten Preise, die durch die Ökosteuer entstehen können,
gehen selbstverständlich in die Berechnung der Inflationsraten ein. Die Anpassung der Renten in Höhe der
Inflationsrate berücksichtigt also diese Entwicklung.
Darüber hinaus darf ich darauf hinweisen, daß die
Bundesregierung an anderer Stelle für Entlastungen gesorgt hat, die insbesondere älteren Bürgerinnen und
Bürgern zugute kommen, wie zum Beispiel die Absenkung der Zuzahlungen im Medikamentenbereich.
({0})
- Es handelt sich in der Tat nur um Markbeträge. - Aber
auch bei der Zusatzbelastung durch die Ökosteuer handelt es sich um Markbeträge. Es gibt sehr viele Rentnerhaushalte, in denen kein Pkw vorhanden ist. Diejenigen
Rentner, die einen Pkw besitzen, fahren im Regelfall
nicht viel: Die durchschnittliche Fahrleistung liegt bei
unter 10 000 Kilometern. Die Mehrbelastung beträgt
hier weniger als 5 DM pro Monat.
Die Strompreise sinken nicht auf Grund unserer politischen Aktivitäten, sondern auf Grund der Entwicklungen auf dem Strommarkt. Hier findet also ein Ausgleich
statt.
Als
nächstem Fragesteller gebe ich dem Kollegen Andreas
Storm von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Ich weise
darauf hin, daß noch fünf Minuten für die Regierungsbefragung verbleiben.
Herr Präsident! Ich
habe eine Nachfrage an Herrn Staatssekretär Andres.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die
Frage des Kollegen Weiß darauf hingewiesen, daß es in
den letzten Jahren Situationen gab, daß die Rentenanpassung unterhalb der Preissteigerungsrate lag. Wenn
man einmal beiseite läßt, daß bei einer lohnbezogenen
Rente die Kaufkrafterhaltung der Rente eigentlich kein
Maßstab sein sollte, frage ich Sie, wie Sie zu folgendem
Sachverhalt stehen: Nach den Vorgaben der Bundesregierung gehen Sie davon aus, daß sich der Preisauftrieb
im nächsten Jahr auf 1,6 Prozent beschleunigt. Das steht
in den Erläuterungen zum Haushaltsgesetzentwurf.
Wenn nun den Rentnern eine Anpassung ihrer Renten in
der Größenordnung der Inflationsrate dieses Jahres von
0,7 Prozent gewährt wird, bedeutet das, daß sie einen
Realeinkommensverlust von fast einem Prozent haben.
Das heißt, daß das von Ihnen selbst vorgegebene Ziel
der Kaufkrafterhaltung der Renten im nächsten Jahr weit
verfehlt wird. Wie stehen Sie zu diesem Sachverhalt vor
dem Hintergrund des von Ihnen selbst gesetzten Maßstabes für die nächste Rentenanpassung?
Herr Abgeordneter
Storm, zunächst einmal will ich Ihnen sagen - das wissen Sie ja -, daß wir in diesem Jahr den demographischen Faktor ausgesetzt haben. Ich fand in Ihrer Fragestellung übrigens die Aussage sehr bemerkenswert, daß
der Kaufkrafterhalt bei der Rente nicht so wichtig oder
nicht die zentrale Frage sei. Wenn wir das nicht gemacht
hätten, wäre - wie Sie selbst wissen - in diesem Jahr die
Rentenanpassung um 0,55 Prozentpunkte niedriger ausgefallen. Wie Sie selbst ebenfalls wissen, ist jede Rentenanpassung immer auf einen vorherigen Zeitraum bezogen. Die Rentenanpassung bezieht sich also auch auf
die Preissteigerungsrate im Vorjahr. Das ist so. Insofern
bewegen wir uns hier innerhalb der Systematik.
Ich sage Ihnen noch einmal: In fünf der letzten sechs
Jahre lagen die Rentenanpassungen deutlich unter den
Preissteigerungsraten. Nur in einem einzigen Jahr lag sie
höher. Ich kann verstehen, daß Ihnen das nicht so besonders gefällt. Aber es ist so. Wir werden das in den
nächsten zwei Jahren entsprechend ändern.
Als
nächster Fragestellerin gebe ich der Kollegin Erika
Reinhardt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Staatssekretärin,
ich möchte auf die Hospizbewegung zu sprechen kommen und habe dazu eine Frage. Wir sind uns sicher darin
einig, daß das Ehrenamt gerade in der Hospizbewegung
eine wesentliche Rolle spielt. Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, welche Maßnahmen die
Bundesregierung ergreifen will, um diese Arbeit zu stärken und zum Beispiel Angebote wie die Supervision zu
unterstützen.
Ich habe noch eine zweite Frage. Darf ich sie gleich
anschließen? Sie betrifft den gleichen Bereich.
Bitte
schön.
Im zweiten Teil Ihrer
Antwort auf die Frage 68 in der Großen Anfrage gehen
Sie darauf ein, wie wichtig es ist, daß ein Bewußtseinswandel in der Gesellschaft, in der Bevölkerung dahingehend erfolgt, daß man sich mit dem Sterben mehr auseinandersetzt. Mich würde interessieren, wie Sie die ge5332
sellschaftliche Diskussion über das Thema Sterben anregen wollen, was Sie konkret tun wollen, damit die
Hospizbewegung mehr an Bedeutung gewinnt.
Wenn Sie erlauben, gebe ich an die Kollegin aus
dem Gesundheitsministerium weiter.
Frau
Nickels, bitte schön.
Schönen Dank für die
Frage, Frau Kollegin. Sie sprechen ein ganz wichtiges
Anliegen an. In diesem Bereich ist im Grunde durch intensives Engagement von Menschen, die sich mit dem
Sterben auseinandersetzen, sehr viel für die Sterbenden
getan haben und sich auch ein sehr großes Fachwissen
erworben haben, eine Lücke gefüllt worden.
Zum ersten Punkt: Es gibt eine bundesweite Vereinigung für Hospiz, die, seit die neue Bundesregierung im
Amt ist, in intensiven Gesprächen mit uns steht. Sie haben uns ihre Probleme vorgetragen. Sie bestanden unter
anderem darin, daß sie auf der Grundlage des geltenden
Rechts Probleme mit den Trägern hatten. Wie Sie ja
wissen, hat der frühere Minister Seehofer eine Regelung
vor allen Dingen für die stationäre Betreuung und die
Hospize geschaffen, die davon ausgeht, daß unter bestimmten, eng umschriebenen Bedingungen eine Förderung möglich ist, vorausgesetzt, 10 Prozent der Arbeit
wird ehrenamtlich getan, weil darin auch diese ganz besondere Verknüpfung mit den Wertefragen und die
Hinwendung zu den Betroffenen zum Ausdruck kommt.
Das ist aber in den Wohlfahrtsverbänden nicht allgemein
angenommen worden. Es gab Probleme, da einige Träger auf Bundesebene - zu meinem Bedauern auch gerade im kirchlichen Bereich - diese Regelung einfach
nicht akzeptieren wollten und dies auch heute noch nicht
wollen.
Wir haben vor diesem Hintergrund viele Gespräche
geführt. Wir hatten zu diesem Thema im Juli eine sehr
große Runde mit den Verbänden, auch mit den entsprechenden Krankenkassen und den Kassen, die da mit in
Leistung treten, aber eben auch mit den Wohlfahrtsverbänden, die oft Träger der Hospizarbeit sind. Wir
sind dabei, in intensiven Gesprächen auszuloten, wie
man einmal diese Selbstblockaden ausräumen kann
und wie man insgesamt auf diesem Gebiet weiterkommen kann. Wenn Sie sich dafür interessieren, bin ich
gerne bereit, Ihnen dazu auch noch weitere Informationen zu geben.
Zum zweiten Punkt, den Sie ansprachen: Es wird sehr
viel von Selbsthilfe getragen. Diese haben wir in unserem Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform ausdrücklich
mit verankert. Wir sehen darin die Möglichkeit vor, daß
Prävention und Selbsthilfe - dazu gehört auch die
Selbsthilfe im Bereich der Betreuung Sterbender - jetzt
auch von den Krankenkassen gefördert werden können.
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Ich hoffe, daß er Bestand hat und auch umgesetzt werden kann.
Zum dritten Punkt: Sie fragen, wie denn die Bundesregierung, die die Zuständigkeiten auf Bundesebene hat,
den Bewußtseinsbildungsprozeß vorantreiben kann. Wir
arbeiten bei uns im Haus intensiv an der ganzen Thematik, die die Parlamentarier unter dem Stichwort Bioethik
kennen. Sie wissen ja, daß die Bioethikkonvention sehr,
sehr viel Engagement bei den Abgeordneten ausgelöst
hat und intensive Fachdiskussionen zu ganz verschiedenen Bereichen in Gang gesetzt hat, unter anderem eben
auch zum Bereich Sterben und zum Bereich Sterbehilfe,
wozu wirklich noch viel Regelungs- und Diskussionsbedarf besteht.
Wir haben vorgesehen, daß wir dazu im Frühjahr
nächsten Jahres von unserem Ministerium aus einen
großen Kongreß unter Beteiligung der freien Träger
durchführen wollen. Wir wollen dazu begründete Leitfragen erarbeiten, um sie als Anstoß in die Debatte einzubringen.
Wir sind im Haus in intensiven Arbeitsgesprächen,
wie wir dieses Anliegen auf vielfältige andere Weise
auch zusammen mit dem Parlament voranbringen können. Wir befinden uns also schon in der Phase der intensiven Vorbereitung. Der nächste größere Fixpunkt ist
der Kongreß im Frühjahr 2000.
Wir haben die Zeit für die Befragung der Bundesregierung
schon um einige Minuten überzogen. Ich beende nun
den Themenbereich der heutigen Kabinettssitzung.
Ich würde noch eine Frage zu einem anderen Themenbereich zulassen, wenn es eine solche gäbe.
({0})
Wenn es keine weitere Frage gibt, dann beende ich
die Befragung der Bundesregierung. Vielen Dank.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 14/1705, 14/1712 Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres zur Verfügung.
Zuerst rufe ich die Frage Nummer 1 der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram auf:
Von welchen Berechnungen ist Bundeskanzler Schröder
ausgegangen, als er in der ARD-Sendung ,,Sabine Christiansen“
am 3. Oktober 1999 bezugnehmend auf den Bruch des Versprechens vom Februar 1999, daß die Renten auch zukünftig entsprechend der Nettolohnentwicklung steigen werden, sagte: ,,Ich
habe das seinerzeit auf dem Hintergrund von Berechnungen gesagt, die ich für zutreffend hielt. Und das war ein Irrtum. Das
habe ich einzugestehen.“
Herr Andres, bitte schön.
Frau SchnieberJastram, ich möchte, wenn Sie gestatten, beide Fragen
zusammen beantworten, weil sie in einem Zusammenhang stehen.
Dann
rufe ich zusätzlich die Frage Nummer 2 der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram auf:
Inwieweit haben sich diese Berechnungen der Bundesregierung als Irrtum erwiesen?
Ich beantworte die
Frage wie folgt:
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich zu der Frage von Frau Christiansen geäußert, ob durch die an der
Preissteigerungsrate orientierte Rentenanpassung in den
Jahren 2000 und 2001 das Wahlversprechen gebrochen
worden sei, die Renten wieder an die Nettolöhne anzukoppeln. Grundlage für die Aussagen des Bundeskanzlers im Wahlkampf waren die im Jahre 1998 vorliegenden Daten zur gesetzlichen Rentenversicherung, die dem
Rentenversicherungsbericht der alten Bundesregierung,
Bundestagsdrucksache 13/1190 vom 17. Juli 1998, zu
entnehmen waren.
In der Mittelfristrechnung bis 2002 ist im Rentenversicherungsbericht ein Beitragssatz von 20,2 Prozentpunkten nachgewiesen, der sich bei Herausnahme des
demographischen Faktors auf 20,4 Prozent erhöht. Der
Bundeskanzler hat auf die Korrektheit der Zahlen des
Rentenversicherungsberichts der alten Regierung vertraut.
({0})
Inzwischen hat sich herausgestellt, daß nach dem
Rechtsstand des Rentenreformgesetzes 1999 - einschließlich des demographischen Faktors und unter Berücksichtigung der von der alten Bundesregierung vorgesehenen Steuerreform - der Beitragssatz im Jahre
2001 bereits bei 21 Prozent und im Jahre 2002 bei
21,5 Prozent gelegen hätte. Dies hat zum Handeln gezwungen. Das heißt konkret: Erst im Laufe dieses Jahres
hat sich herauskristallisiert, daß ohne einen Beitrag der
Rentnerinnen und Rentner die notwendige Senkung und
Stabilisierung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung nicht verwirklicht werden könnten. Der Beitrag der
Rentnerinnen und Rentner hilft, die Lohnnebenkosten
dauerhaft niedrig zu halten sowie die gesetzliche Rentenversicherung zu stabilisieren und zukunftsfest zu machen.
Der Bundeskanzler hat sich in dem Gespräch mit
Frau Christiansen ausdrücklich für die Enttäuschungen
entschuldigt, die dadurch verursacht worden sind, daß
in den Jahren 2000 und 2001 die Renten - vorübergehend - nur in Höhe der Preissteigerungsrate angehoben werden. Es ist ein Zeichen politischer Handlungsfähigkeit, aus der Analyse der Situation die richtigen
Konsequenzen zu ziehen.
Eines darf in der Diskussion nicht vergessen werden:
Nach wie vor hält die Bundesregierung grundsätzlich
daran fest, die Entwicklung der Renten an die Entwicklung der Nettolöhne anzupassen. Demgegenüber würde
der von der alten Bundesregierung vorgesehene demographische Faktor die Renten auf viele Jahre von der
Anpassung an die Lohnentwicklung abkoppeln, weil die
Renten in jedem Jahr um 0,5 Prozent gekappt würden.
Unser Konzept beinhaltet dagegen, nach zwei Jahren
zu dem Grundsatz der nettlohnbezogenen Rentenanpassung zurückzukehren. Damit leisten die Rentnerinnen
und Rentner den notwendigen Beitrag zur Stabilisierung
der Generationensolidarität. Außerdem darf bei der Diskussion eines nicht vergessen werden: Unser Konzept
zielt darauf ab, die Kaufkraft der Rentnerinnen und
Rentner für zwei Jahre zu sichern. Die Erhaltung der
Kaufkraft war bei der alten Regierung keineswegs die
Regel, sondern die Ausnahme. So haben sich zum Beispiel die Rentenerhöhungen im Vergleich zu den Preissteigerungsraten in den alten Bundesländern von 1995
bis 1998 wie folgt entwickelt: 1995 wurden die Renten
effektiv um 0,07 Prozent erhöht. Die Preissteigerungsrate lag bei 1,9 Prozent. 1996 wurden die Renten um
0,46 Prozent angehoben. Die Preissteigerungsrate lag
bei 1,3 Prozent. 1997 wurden die Renten um 1,65 Prozent erhöht. Die Preissteigerungsrate lag bei 2,3 Prozent.
1998 wurden die Renten um 0,39 Prozent angehoben.
Die Preissteigerungsrate lag bei 1,4 Prozent. Einen
Kaufkraftzuwachs gibt es erst in diesem Jahr wieder,
und zwar vor allem deshalb - darauf habe ich vorhin
schon hingewiesen -, weil wir den demographischen
Faktor der alten Regierung ausgesetzt haben.
Frau
Schnieber-Jastram, möchten Sie eine Zusatzfrage stellen? - Bitte schön.
Herr
Staatssekretär, ich bin von Ihnen sonst die freie Rede
gewohnt. Heute war dies anders.
Ich möchte meine Frage stellen: Ich hätte gern gewußt, warum die Bundesregierung der Öffentlichkeit
nicht zu einem früheren Zeitpunkt vermittelt hat, daß die
Berechnungen, von denen Bundeskanzler Schröder bei
seinem Versprechen, die Renten würden auch zukünftig
an die Nettolohnentwicklung angepaßt, ausgegangen ist,
falsch sind.
Frau SchnieberJastram, die Position war abgestimmt. Deshalb habe ich
es für sinnvoll gehalten, sie auch so vorzutragen. Ich kann
Ihnen die Position wiederholen, wenn Sie es möchten.
Wir sind von den Zahlen des Rentenberichts des vergangenen Jahres ausgegangen. Diese habe ich Ihnen vorgetragen. Sie sind in Ihrer Frage von einer falschen Voraussetzung ausgegangen, wie ich finde. Ich möchte ganz
offen sagen: Der Bundeskanzler hat in der ARD-Sendung
„Sabine Christiansen“ die Größe aufgebracht,
({0})
zu sagen: Jawohl, wir haben uns getäuscht. Wir revidieren das. - Sie hätten nach meiner Auffassung eine ganze
Menge nachzuholen, wenn Sie sich anschauen, was Sie
im Bereich der Rentenversicherung angerichtet haben.
Frau
Schnieber-Jastram, möchten Sie eine weitere Zusatzfrage stellen?
Herr
Staatssekretär, Sie antworten derart ausweichend, daß
ich die Frage stellen muß: Haben Sie dem Bundeskanzler die falschen Zahlen vorgelegt?
Frau SchnieberJastram, ich weise Sie noch einmal auf den Rentenversicherungsbericht und auf die reale Entwicklung hin.
Der Kernpunkt in der Auseinandersetzung ist, daß wir
nach dem Rentenreformgesetz und nach den Steuererleichterungen in einer Situation gewesen wären, daß
wir, wenn wir nicht eingegriffen hätten, im Jahr 2001
bei einem Rentenversicherungsbeitrag von 21 Prozent
und im Jahr 2002 bei einem noch höheren Rentenversicherungsbeitrag gewesen wären.
Ich habe vorhin in einem anderen Zusammenhang
schon einmal deutlich gemacht: Wir sind der Auffassung, daß eine solche Entwicklung nicht hingenommen
werden kann. Wir müssen sehen, daß wir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Beitragszahlung, der
Höhe der Rente und dem, was jeder Bereich hinzuzufügen hat, bekommen. Die Anpassung entsprechend der
Preissteigerungsrate ist in der Tat der Beitrag der Rentnerinnen und Rentner zur langfristigen Stabilisierung
des Systems.
Wenn Sie noch einmal fragen, dann werde ich die
Zahlen wieder so vortragen, wie ich es eben getan habe.
Diese Zahlen sind die Ausgangsbasis dessen, womit wir
kalkuliert haben. Als wir dies festgestellt haben, haben
wir entsprechende Korrekturen vorgenommen.
Ich
möchte darauf aufmerksam machen, daß zu diesem
Komplex bereits sieben weitere Fragen angemeldet sind.
Ich bitte die Fragesteller, darauf zu achten, daß sich
nicht zu viele Wiederholungen ergeben.
Als nächstes hat Hannelore Rönsch das Fragerecht.
Herr
Staatssekretär, werden sich noch weitere Mitglieder des
Kabinetts bei den Rentnern entschuldigen? Mir liegt der
Brief eines Wiesbadener Bürgers vor. Ihm hat eine Ministerin nicht nur einen vorgefertigten Brief geschickt,
sondern auf diesem Brief vom 16. Dezember auch noch
handschriftliche Anmerkungen gemacht, daß sie sich für
die Nettolohnbezogenheit der Rente verbürgt und daß
dadurch in den nächsten Jahren weitere Erhöhungen der
Rente stattfinden. Gibt es noch weitere Entschuldigungen?
Frau Rönsch, ich
weiß nicht, was für Briefe Ihnen vorliegen.
({0})
Sie können sich vorstellen, daß auch wir im Bundesarbeitsministerium eine Menge Briefe bekommen.
Ich möchte auf meine Antwort von eben zurückkommen. Selbstverständlich werden wir zur nettolohnbezogenen Rentenanpassung zurückkommen. Diese Anpassung setzen wir lediglich für zwei Jahre aus. Dazu
hat sich der Bundeskanzler entsprechend geäußert.
Nächster
Fragesteller ist Johannes Singhammer.
Herr Staatssekretär, der Bundeskanzler hat eingeräumt, Opfer eines
Irrtums geworden zu sein. Weitere Opfer dieses Irrtums
des Bundeskanzlers sind die 18 Millionen Rentnerinnen
und Rentner, die auf seine Ankündigung vertraut haben.
Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang die Zusatzfrage: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um Irrtümer künftig auszuschließen, damit es
nicht zu einer Kette von Irrtümern kommt?
Herr Abgeordneter
Singhammer, wir beide gehören schon längere Zeit diesem Parlament an und kennen die Geschichte. Vor dem
Rentenreformgesetz 1999 mußten wir im vorigen Jahr
gemeinsam heftige Anstrengungen unternehmen, um
den Rentenversicherungsbeitrag überhaupt bei 20,3 Prozent zu stabilisieren. Es war unter anderem der heutige
Bundeskanzler, der in seiner Rolle als Ministerpräsident
über den Bundesrat dafür gesorgt hat, daß ein zusätzlicher Bundeszuschuß möglich wurde, damit nicht schon
zum damaligen Zeitpunkt der Rentenversicherungsbeitrag bei 21 Prozent oder mehr landen mußte.
Ich sage Ihnen noch einmal ganz ruhig und sachlich:
Nach den uns vorliegenden Berechnungen wären wir im
Falle der Beibehaltung des Rentenreformgesetzes plus
Anwendung des demographischen Faktors einschließlich der Steuerreform im Jahr 2001 bei einem Versicherungsbeitrag von 21 Prozent und im Jahr 2002 bei einem
noch höheren Versicherungsbeitrag angekommen.
Im Gegensatz zu all Ihren Ankündigungen, die Sie
während der 16 Jahre Ihrer Regierungsverantwortung
gemacht haben, haben wir die gesetzlichen Lohnnebenkosten und den Rentenversicherungsbeitrag gesenkt.
Wir werden nicht zulassen, daß er weiter ansteigt. Das
hat umgekehrt zur Folge, Herr Abgeordneter Singhammer, daß wir uns selbstverständlich Gedanken darüber
machen müssen, wie wir auf längere Sicht, gerechnet bis
zum Jahre 2020, 2022 oder 2023, in der Rentenversicherung ein Leistungsniveau erreichen können, das - bei
vernünftigen, bezahlbaren und kalkulierbaren Beiträgen etwa bei 67 Prozent liegt. Wir haben nämlich auch eine
Verpflichtung gegenüber den Jüngeren, die jetzt relativ
hohe Beiträge bezahlen müssen. Ihnen muß man im Gegenzug zusichern, daß auch sie entsprechende Leistungen erhalten werden.
All dies haben wir getan. Ich hielt das für vernünftig
und richtig. Was in diesem Zusammenhang zur Finanzierungsgrundlage gesagt werden mußte, ist gesagt worden.
Als
nächstem Fragesteller gebe ich das Wort dem Kollegen
Franz Romer von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Staatssekretär Andres, Sie haben bezüglich der Zahlen für die Berechnung
der Rente eine Reihe von Irrtümern eingeräumt.
({0})
Können Sie bestätigen, da es die Ihnen jetzt vorliegenden Zahlen ermöglichen, daß die Renten in zwei Jahren
wieder so steigen wie die Nettolöhne?
Entschuldigen Sie,
aber das habe ich in meiner Antwort eben schon gesagt.
Ich kann das aber gerne noch einmal wiederholen: Wir
werden nach den zwei Jahren, in denen die Rente entsprechend der Preissteigerungsrate steigt, wieder dazu
zurückkehren, daß die Rentenanpassung den Lohn- und
Gehaltssteigerungen entspricht. Das ist eine völlig klare
Sache.
({0})
Zur
nächsten Frage erteile ich dem Kollegen Thomas Strobl
das Wort.
Herr Staatssekretär,
gibt der durch falsche Berechnungen verursachte Irrtum
des Bundeskanzlers derzeit der Bundesregierung Veranlassung zu überprüfen, ob auch andere gesetzgeberische Neuregelungen im Bereich des Sozialversicherungsrechts - beispielsweise die Neuregelungen der
630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse oder bei der
Scheinselbständigkeit - auf falschen Berechnungen der
Bundesregierung beruhen?
Ich will noch einmal wiederholen, daß es nicht um falsche Berechnungen
geht.
({0})
- Sie können hier alle lachen, aber ich werde es bei jeder
Frage aufs neue wiederholen. - Ihre famose Koalition
hat eine Rentenreform durchgeführt, die dazu führte, daß
es nur mit großen Anstrengungen möglich war, den
Rentenversicherungsbeitrag bei 20,3 Prozent zu stabilisieren. Wir haben Maßnahmen eingeleitet, durch die der
Rentenversicherungsbeitrag auf 19,5 Prozent gesenkt
werden konnte. Wenn wir das Rentenreformgesetz so
übernommen und den Demographiefaktor nicht ausgesetzt hätten, dann wäre - ausgehend vom Rentenversicherungsbericht des letzten Jahres und unter Berücksichtigung der von Ihnen geplanten Steuerreform - im
Jahr 2001 ein Rentenversicherungsbeitrag von 21 Prozent notwendig geworden.
({1})
- Daß Sie das nicht wissen, weiß ich. Sie sind ja neu in
diesem Hause. - Es waren vielmehr Sie, die von falschen Berechnungen ausgegangen sind und uns damit in
diese schwierige Situation gebracht haben, in der wir
völlig richtig gehandelt haben. Wir haben nämlich den
Versicherungsbeitrag abgesenkt, den demographischen
Faktor ausgesetzt und
({2})
- ich komme doch gleich noch auf alles; aber ich muß es
Ihnen doch erklären, weil Sie neu im Hause sind ({3})
die Auswirkungen der EU- und BU-Rentenreform, die
nächstes Jahr anstehen, begrenzt. Bedingung dafür war,
daß wir in diesem Jahr die Eckpunkte einer Rentenreform vorstellen und sie im nächsten Jahr insgesamt umsetzen werden.
Auf Ihre Frage nach den 630-Mark-Arbeitsverhältnissen möchte ich Ihnen nur sagen, daß entgegen den
vorsichtigen Kalkulationen, die wir beim Gesetzgebungsverfahren zugrunde gelegt haben, deutlich mehr
Beiträge sowohl in die Kranken- als auch Rentenversicherung gezahlt werden. Das trägt mit dazu bei, das
Rentenversicherungssystem zu stabilisieren. Nicht nur
das: Wir halten die 630-Mark-Regelung auch deshalb
für vernünftig, weil man einem Wildwuchs von nicht
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen entgegenwirken muß. Dafür muß sich auch keiner
entschuldigen.
({4})
Wir werden das auch nicht ändern. Das sollten Sie ganz
klar so sehen.
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Wolfgang Meckelburg.
Ich hatte
eben den Eindruck, daß Sie die Erhöhung der Rente im
nächsten und übernächsten Jahr nur auf der Basis der
Inflationsrate damit begründen, daß in den letzten Jahren die Inflationsrate höher lag als der Prozentsatz, um
den die Renten wirklich gestiegen sind. Welche Logik
steckt dahinter, das Rentensystem, nachdem die InflaParl. Staatssekretär Gerd Andres
tionsrate jahrelang systembedingt etwas höher lag als
der Rentenausgleich, gerade in den Jahren, wo ein
Ausgleich gelingen würde, nämlich im nächsten Jahr
und im übernächsten Jahr, zu ändern und die Rentenerhöhung einfach zu kappen? Woher haben Sie den
Mut, jetzt, wo es zu einem Plus käme, was in den letzten fünf Jahren nicht der Fall war, aus diesem System
auszusteigen? Ich finde, das ist nicht logisch. Man
kann nicht einerseits beklagen, daß es so war, aber in
dem Moment, wo es ein Plus wird, sagen, jetzt machen
wir es gesetzlich mit staatlichem Eingriff und Rente
nach Kassenlage.
Herr Meckelburg,
ich muß sagen: Sie sind viel zu sehr Fachmann, um die
Frage in dieser Art und Weise überhaupt stellen zu können.
({0})
Es geht nicht nur darum, sich anzuschauen, was wir
im Bereich der Rentensteigerung, also der Rentenanpassung, tun. Wie Sie wissen, haben wir auf gesetzgeberischem Weg eine ganze Palette von Maßnahmen in der
Rentenversicherung umgesetzt. Lassen Sie mich in
Klammern sagen: Ihr ehemaliger Bundesarbeitsminister
Blüm hätte sich doch ein Loch ins Knie gefreut, wenn er
die Familienleistungen aus der Steuer ersetzt bekommen
hätte. Es hat doch in Ihrer Partei eine Diskussion darüber gegeben, die familienbezogenen Leistungen anders
zu ersetzen.
Wir haben - das gehört alles zu dem Gesamtpaket in der Zwischenzeit sichergestellt, daß es über die Einnahmen aus der Ökosteuerreform reale Beitragsleistungen für Kindererziehungszeiten gibt, was es vorher nicht
gab. Das macht im kommenden Jahr rund 22 Milliarden
DM aus. Wir ersetzen Folgen aus der einheitsbedingten
Veränderung der Rentenversicherung, Auffüllbeträge
und ähnliches, aus der Steuer, was immerhin noch
2,5 Milliarden DM ausmacht. Insofern gibt es natürlich,
was die langfristige Situation der Rentenversicherung
angeht, relativ unterschiedliche Komponenten. Es gibt
einen höheren Bundeszuschuß, es gibt reale Beitragszahlungen für bestimmte Leistungen, die es bisher nicht
gegeben hat, es gibt für zwei Jahre eine veränderte Anpassung.
Wenn man dieses Gesamtpaket mit entsprechenden
Änderungen in der Rentenversicherung insgesamt umgesetzt hat, gehen wir guten Mutes und sehr ernsthaft
davon aus, daß wir nach zwei Jahren zur nettolohnbezogenen Anpassung der Renten zurückkehren können. Das
war Ihre Frage, und ich habe Ihnen nun begründet, warum wir so vorgehen.
Ich habe
jetzt noch fünf Fragen zu diesem Komplex. Ich bitte um
Verständnis, daß ich weitere Fragen nicht mehr zulasse.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Andreas
Storm.
Ich habe zwei Fragen
an Herrn Staatssekretär Andres.
Eine
Frage, bitte.
({0})
- Entschuldigung, Herr Staatssekretär, die Geschäftsleitung habe ich. Ich habe die Frage von Herrn Storm
zugelassen.
Herr Staatssekretär,
Sie haben vorhin ausgeführt, der Bundeskanzler habe
auf der Basis der Angaben des Rentenversicherungberichts aus dem Jahr 1998 seine Angaben über die
nettolohnbezogene Rentenanpassung im nächsten Jahr
gemacht.
Nun hat die neue Mehrheit unmittelbar nach der Bundestagswahl ein Steuerreformgesetz in den Bundestag
eingebracht, das in den ersten Monaten dieses Jahres
verabschiedet worden ist, das in einer Größenordnung
von 0,8 Beitragssatzpunkten Rückwirkungen auf die
Rentenversicherung hat. Das heißt, durch die von Ihnen
beschlossene Steuerreform steigt der Rentenversicherungsbeitrag um 0,8 Prozentpunkte stärker, als dies im
Rentenversicherungsbericht 1998 ausgewiesen werden
konnte, weil damals diese Reform noch nicht vorlag.
Hat diesen Sachverhalt, die Auswirkungen der
Steuerreform auf die Rentenversicherungsfinanzen, der
Bundesarbeitsminister dem Bundeskanzler vorenthalten?
Nein, der Bundesarbeitsminister hat dem Bundeskanzler überhaupt nichts
vorenthalten, sondern ich möchte unabhängig davon für
Sie wiederholen: Auf der Grundlage geltenden Rechts,
Rentenreformgesetz 1999, bei Beibehaltung des Demographiefaktors und Umsetzung einer Steuerreform, die
Sie genauso vorhatten - wenn Sie die Wahl gewonnen
hätten, hätten Sie die Steuerreform versucht, so umzusetzen, wie Sie sie entworfen hatten -, wäre das Ergebnis gewesen, daß der Rentenversicherungsbeitrag im
Jahr 2001 auf 21 Prozent und im darauffolgenden Jahr
weiter angestiegen wäre.
Eine solche Ausgangsposition kann nicht gewollt sein
- die wollten wir auch nicht -, so daß wir auf der
Grundlage dessen die erforderlichen Korrekturen vornehmen mußten, die wir entsprechend angekündigt und
auch schon ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht
haben.
Nächste
Frage, der Kollege Julius Louven.
Herr Staatssekretär
Andres, als Rechtfertigung für die von Ihnen geplanten
Rentenkürzungen haben Sie soeben die Anpassungssätze
der letzten Jahre vorgetragen. Ist es nicht richtig, daß
diese Anpassungssätze auf Grund eines Beschlusses des
Deutschen Bundestages, nämlich auf Grund der Rentenreform von 1989, die Sie mitgetragen haben, zustande
gekommen sind, und ist es nicht weiter richtig, daß Sie
Maßnahmen, insbesondere das Gesetz für mehr Wachstum und Beschäftigung, die wir im vorigen und im vorvorigen Jahr durchgeführt haben, um den Beitragssatz
zu stabilisieren, abgelehnt haben?
Es ist einerseits
richtig, daß wir in diesem Zusammenhang Beschlüsse
mitgetragen haben. Denn wir haben beispielsweise die
Rentenreform von 1992 gemeinsam beschlossen. Das ist
nicht zu bestreiten. Andererseits haben wir eine Reihe
von Maßnahmen, die Sie in der letzten Legislaturperiode
auf den Weg gebracht haben, zum Beispiel das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, abgelehnt.
Aber das hat nichts mit der Auseinandersetzung, über
die wir hier sprechen, zu tun.
Herr Kollege Louven, Tatbestand ist aber, daß wir
unabhängig davon, wer die Mehrheit bildet bzw. der Gesetzgeber ist, in Zukunft darauf achten müssen, ein vernünftiges Verhältnis zwischen Beitragsleistung und
Rentenleistungsniveau zu erzielen und die Rente zukunftsfest zu machen. Ich bin fest davon überzeugt, daß
wir eine Menge Tatbestände auf den Weg gebracht
haben, mit denen wir erreicht haben, daß einerseits die
Rentenversicherung entgegen früheren Zeiten vernünftiger finanziert wird, weil ihr Beitragsleistungen erstattet
werden, die entsprechend finanziert werden müssen, und
wir andererseits durch eine veränderte Rentenanpassung
in den nächsten zwei Jahren die Chance erhalten, dieses
System auf eine vernünftige Grundlage zu stellen.
Nächste
Frage, Kollege Dirk Niebel.
Herr Staatssekretär, die ursprüngliche Fragestellung bezog sich auf den Irrtum des
Bundeskanzlers, der festgestellt hat, daß die nettolohnbezogene Rente sicher sei. Sie sagten, daß diese Aussage auf Grund eines Berechnungsfehlers getroffen worden ist.
In der Debatte um die Änderung der 630-DMBeschäftigungsverhältnisse sind Sie in der Begründung
zu dem entsprechenden Gesetzentwurf hinsichtlich dieser Beschäftigungsverhältnisse von einer Größenordnung von 5 bis 6 Millionen ausgegangen. Vor zirka zwei
Sitzungswochen hat Arbeitsminister Walter Riester in
diesem Hause mit Freude festgestellt, daß 2,4 Millionen
dieser Beschäftigungsverhältnisse angemeldet worden
sind. Das heißt, 3,6 Millionen dieser Beschäftigungsverhältnisse, die Sie in Ihre Rentenbeitragsberechnung einbezogen hatten, sind weggefallen. Wie hoch schätzen
Sie die Wahrscheinlichkeit ein, daß im Bundestagswahljahr 2002 nach der Rückkehr zur nettolohnbezogenen Rente ein weiterer Berechnungsfehler auftritt?
({0})
Ich möchte zunächst etwas zu den von Ihnen genannten Zahlen hinsichtlich der 630-DM-Verhältnisse sagen; denn sie sind
nicht ganz korrekt. Nach den Untersuchungen, die wir
vorliegen hatten und die noch die alte Bundesregierung
veranlaßt und deren Ergebnisse sie hier im Parlament
dargestellt hatte, ist man davon ausgegangen, daß es etwa 5,6 Millionen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse gibt. Davon sind etwa 1,4 Millionen geringfügig
Nebenbeschäftigte; der restliche Anteil wären dann geringfügig Beschäftigte, die ausschließlich einen solchen
Job haben. Die Zahl von 2,5 Millionen, die Sie zitiert
haben, umfaßt diejenigen Beschäftigungsverhältnisse,
die bisher angemeldet worden sind.
Ich verweise darauf, daß die diesbezügliche Regelung
seit 1. April 1999 gilt. Wir sollten die Entwicklung dieses Jahres abwarten. Die Rentenversicherungsträger und
andere sagen uns, daß weitere Beschäftigungsverhältnisse angemeldet werden. Nicht zu bestreiten ist, daß diejenigen, die als geringfügig Nebenbeschäftigte tätig waren, in einem großen Ausmaß ihre Jobs aufgegeben haben.
Des weiteren zu Ihrer Frage, wann man noch einmal
wie was korrigieren muß. Ich gehe davon aus, daß die
jetzigen Berechnungen und Konzeptionen sehr verläßlich sind, da sie von dieser Bundesregierung durchgeführt bzw. auf den Weg gebracht worden sind. Ich stelle
fest: In den nächsten zwei Jahren kommt es bei der
Rentenerhöhung zu einem Inflationsausgleich. Danach
kehren wir zur lohn- und einkommensbezogenen Rentenanpassung zurück.
Nächste
Frage, der Kollege Ilja Seifert von der PDS-Fraktion.
Herr Staatssekretär, Sie erwähnten vorhin die Aussetzung der Erwerbsminderungsrente, die ansonsten dieses Jahr in Kraft getreten wäre,
durch Ihre Regierung. Sie sagten in diesem Zusammenhang, daß die Erwerbsunfähigkeits- und die Berufsunfähigkeitsrente verändert werden sollen. Sie wissen
sicher, daß es mir am liebsten wäre, Sie würden für
Menschen mit Behinderungen ein Teilhabesicherungsgeld beschließen.
Können Sie uns wenigstens in einigen Punkten sagen,
wie Sie die EU- und BU-Rente ab 1. Januar 2000
gestalten wollen? Allmählich müßten Vorschläge auf
den Tisch, damit wir etwas Vernünftiges beschließen
können.
Herr Kollege Sei5338
fert, nach dem Rentenreformgesetz 1999 wären die EUund die BU-Rente faktisch weggefallen und durch die
neue Erwerbsminderungsrente ersetzt worden. Diese
Erwerbsminderungsrente hätte deutlich eingeschränkte
Leistungen gebracht und wäre am 1. Januar 2000 in Kraft
getreten und nicht ab dem Sommer dieses Jahres.
Da wir an dem Rentenreformgesetz 1999 in zwei
zentralen Punkten Kritik geübt hatten, haben wir den
demographischen Faktor für dieses Jahr und das
Inkrafttreten dieser Erwerbsminderungsrente ab dem
1. Januar kommenden Jahres aufgehoben. Das bedeutet
natürlich für uns, daß wir eine Neuregelung schaffen
müssen, an der wir schon arbeiten. Ich habe vorhin gesagt, daß es dazu Eckpunktepapiere gibt. Die Einzelheiten werden Ende des Jahres mitgeteilt. Die gesetzliche
Umsetzung wird im kommenden Jahr erfolgen. Ich bitte
Sie um Verständnis dafür, daß ich jetzt keine detaillierten Darstellungen über die Erwerbs- und die Berufsunfähigkeitsrente machen kann.
Wir kehren zu Prinzipien zurück, die in der Vergangenheit galten. Beispielsweise bedeutet die konkrete
Betrachtungsweise große Verbesserungen für die Versicherten, wie Sie wissen. Wie unser Vorschlag im einzelnen aussieht, wird sich Ende des Jahres zeigen.
Die
letzte Frage zu diesem Komplex hat der Kollege KarlJosef Laumann.
Herr Staatssekretär Andres, Sie sagten eben, der Bundeskanzler
habe seine falsche Aussage am 16. Februar bezüglich
der Möglichkeit einer Rentenerhöhung deswegen gemacht, weil er den Zahlen eines älteren Rentenversicherungsberichtes vertraut hatte. Meine Frage lautet:
Waren dem Bundeskanzler nicht die Zahlen über die
Entwicklung der Rentenfinanzen über die LVA in Niedersachsen mitgeteilt worden? Immerhin hat die Landesregierung von Niedersachsen die Aufsichtspflicht
über die LVA. Muß ich also daraus schließen, daß Herr
Schröder und sein zuständiger Minister in Niedersachsen ihre Aufsichtspflicht gegenüber der LVA nicht erfüllt haben? Ansonsten hätte er die neuesten Zahlen
kennen müssen.
Herr Kollege Laumann, Sie können davon ausgehen, daß die niedersächsische Landesregierung ihre Aufsichtspflicht jederzeit
korrekt erfüllt hat. Ob der Ministerpräsident des Landes
Niedersachsen jederzeit über jede einzelne Zahl der
Landesversicherungsanstalten in Niedersachsen - Sie
wissen ja, daß es in Niedersachsen mehrere gibt - informiert war, entzieht sich meiner Kenntnis. Sie können
davon ausgehen, daß die Bundesregierung, das Bundesarbeitsministerium und das Bundeskanzleramt jederzeit
über korrekte Zahlen verfügt.
({0})
Vorerst
vielen Dank, Herr Staatssekretär Andres. Eventuell müssen Sie uns im weiteren Verlauf noch zur Verfügung
stehen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Es
wurde um schriftliche Beantwortung der Frage 1 gebeten.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte
Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Werner Siemann, CDU/CSU-Fraktion, auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, im Rahmen der militärischen Zusammenarbeit auf die Türkei Einfluß
zu nehmen?
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Siemann hat
gefragt, welche Möglichkeiten die Bundesregierung
sieht, im Rahmen der militärischen Zusammenarbeit auf
die Türkei Einfluß zu nehmen.
Herr Kollege, die militärische Zusammenarbeit mit
der Türkei vollzieht sich, wie es unter NATO-Partnern
üblich ist, im Rahmen der täglichen Arbeit in Form der
integrierten Kommandostruktur der NATO oder bei
NATO-Übungen und NATO-Vorhaben. Darüber hinaus
besteht zur Zeit im Rahmen des Einsatzes im Kosovo
eine noch engere Zusammenarbeit mit den türkischen
Verbänden, da sie in unserem Abschnitt stationiert sind.
Bilateral waren die militärischen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland traditionell immer
gut. Derzeit geht es im wesentlichen um Ausbildungsbeziehungen.
Der Versuch, über diese militärischen Beziehungen
direkt und kurzfristig innenpolitische Entscheidungen in
der Türkei zu beeinflussen, würde unserer Meinung
nach als Einmischung in die inneren Angelegenheiten
verstanden werden und ist deshalb nicht erstrebenswert.
Aber natürlich bemühen sich die Bundesregierung und
die militärische Führung, auch die Inspekteure bei ihren
Besuchen, Fragen der Menschenrechte auf diplomatischem Wege anzusprechen.
Was die Rüstungszusammenarbeit mit der Türkei anbetrifft: Dies ist gerade Gegenstand der Beratungen im
Bundessicherheitsrat. Für kommende Exporte und sich
daraus ergebende Einflußmöglichkeiten weise ich auf
die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes und des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie hin.
Zusatzfrage, Herr Siemann.
Frau Staatssekretärin,
wie bewertet die Bundesregierung die Ablehnung des
Antrags auf vorübergehende Ausfuhr eines Leopard 2
in die Türkei zu Erprobungszwecken vor dem Hintergrund, daß die Türkei zum einen immerhin NATOPartner und zum anderen potentielles EU-Mitglied ist?
Wenn die Bundesregierung eine Absage erteilt hätte, dann könnte ich Ihnen
eine Antwort auf diese Frage geben. Die Bundesregierung hat dieses Thema aber erst im nächsten Bundessicherheitsrat, Mitte Oktober, zu behandeln.
Zweite
Zusatzfrage, Herr Kollege Siemann.
Wie wird die Bundesregierung dieses Thema behandeln?
Das werden wir mit Interesse verfolgen, Herr Kollege Siemann.
({0})
- Was Ihren Zuruf, Herr Hörster, „Lotteriespiel“ anbetrifft: Sie sollten sehr zurückhaltend sein angesichts dessen, was in der Vergangenheit an die Türkei geliefert
und dann auch gegen die Kurden eingesetzt wurde. Aber das war ja nur eine halblaute Anmerkung Ihrerseits.
Dann
kommen wir zu Frage 3:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Bedeutung des Truppenbetreuungssenders der Bundeswehr für die Einsatzkräfte des
deutschen Bosnien-Kontingentes, und ist eine solche Betreuung
auch für die Bundeswehrsoldaten im Kosovo in gleichem Umfang geplant wie in Bosnien-Herzegowina?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Siemann,
Sie haben gefragt, welche Bedeutung der Truppenbetreuungssender für die Einsatzkräfte des deutschen
Kontingents in Bosnien, aber auch jetzt im Kosovo hat.
Sie wissen im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen,
daß die Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina mit Teilen
des Bataillons für operative Information den Truppenbetreuungssender „Radio Andernach“ betreibt. Das Programm wird über einen UKW-Sender in Rajlovac täglich 24 Stunden lang ausgestrahlt. Beim Programmformat handelt es sich um eine Magazinsendung mit einer
Mischung von Information und Musik, wovon 10 Stunden täglich live moderiert werden. Hinsichtlich der Informationen und Nachrichten können wir uns dankenswerterweise auf das „Deutschlandradio“ beziehen.
Die Bedeutung des Senders „Radio Andernach“ zur
Betreuung der Truppe wird als sehr hoch eingestuft, da
der Sender nicht nur zur Information und Motivation der
Truppe dient, sondern auch die Verbindung zu Familienangehörigen und Freunden herstellt. Es werden relativ
viele Grußsendungen organisiert.
Sie werden in der nächsten Woche Gelegenheit haben, mit mir zu sehen, was wir im Kosovo aufbauen
wollen. Seit dem 10. Juli wird ein ziviler Sender in
Prizren von „Radio Andernach“ mit bedient. Im Rahmen
der Truppenbetreuung werden dort täglich erst drei
Stunden lang Beiträge für die deutschen Soldaten ausgestrahlt. Das hat natürlich damit zu tun, daß die Belastung
der Soldaten augenblicklich noch intensiver ist. Wir gehen aber davon aus, daß dieser Programmanteil erhöht
werden kann. Wir wollen versuchen, die Truppenbetreuung wie in Bosnien-Herzegowina umfangreicher
zu gestalten. Daher wird zur Zeit geprüft, ob wir einen
weiteren UKW-Sender beschaffen sollten.
Keine
Zusatzfrage.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Simone Probst zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zu Frage 4 der Kollegin Dr.
Erika Schuchardt:
Kann die Bundesregierung Aussagen von Sachverständigen
bestätigen, daß durch eine ambulante Behandlung von Patienten
mit Schilddrüsenüberfunktion mit Radiojod anstelle der heute
durch die Gesetzeslage in Deutschland quasi vorgeschriebenen,
bis zu 14 Tage dauernden, stationären Behandlung Kosten von
bis zu 200 Mio. DM jährlich gespart werden könnten?
Liebe Frau Schuchardt, bitte erlauben Sie, daß
ich Ihre beiden Fragen zusammen beantworte.
Dann rufe ich auch Frage 5 auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, daß z. B. Holland, Frankreich und Dänemark Radiojodbehandlungen bei Schilddrüsenüberfunktion ambulant durchführen, und hat sie besondere Kenntnisse, die begründen, daß in der
Bundesrepublik Deutschland von ambulant behandelten Patienten eine höhere Strahlenbelastung ausgeht?
Ihre erste Frage bezüglich der Kosten kann ich
nur so beantworten: Der Bundesregierung liegen keine
Erkenntnisse zu möglichen Kosteneinsparungen durch
eine ambulante Behandlung vor.
Ich möchte aber gleich zur Beantwortung Ihrer zweiten Frage übergehen, weil es inhaltliche Gründe hat,
warum die Bundesregierung eine ambulante Behandlung
bei einer Schilddrüsenüberfunktion mit radioaktivem
Jod nicht für sinnvoll hält. Dafür gibt es zum einen medizinische Gründe, zum anderen Strahlenschutzgründe.
Der medizinische Grund liegt darin - Sie wissen, daß
eine Strahlentherapie nur bei sehr strenger Indikation
vorgenommen werden sollte -, daß es darum geht, eine
Verlaufskontrolle des Therapieerfolges zu haben.
Das zweite sind Strahlenschutzgründe. Wir gehen davon aus, daß ein stationärer Aufenthalt in einer geeigneten Krankenhausabteilung erforderlich ist, um insbesondere in den ersten Tagen der Behandlung Personen in
der Umgebung des Patienten vor einer erhöhten Strahlenexposition zu schützen. Sie haben die Beispiele Niederlande, Frankreich und Dänemark genannt. Die Radioaktivitäten, die dort verwendet werden, sind vergleichbar mit denen in Deutschland. Aber die Strahlenexposition in der Umgebung der Patienten übersteigt in
vielen Fällen die deutschen Grenzwerte.
Es gibt zum anderen einen Strahlenschutzgrund, der
nicht darin liegt, Personen in der Umgebung von Patienten vor erhöhter Strahlenexposition zu schützen.
Wenn Sie die notwendige Gesamtmenge an Strahlenaktivität in einer ambulanten Behandlung in verschiedene
Fraktionen aufteilen - was durchaus gemacht wird,
wenn man feststellt, daß das unbedenklich ist - , dann
müssen Sie die Gesamtaktivität erhöhen, weil die Speicherfähigkeit der Schilddrüse von Dosis zu Dosis abnimmt. Dadurch kommt es zu einer erhöhten Strahlenbelastung des Körpers. Das halten wir nicht für vertretbar.
Sie sprechen in Ihrer ersten Frage von bis zu 14 Tage
dauernden stationären Behandlungen. Es gibt die Ausnahmeregelung, daß eine Patientin oder ein Patient bei
entsprechender medizinischer Indikation oder bei einem
entsprechenden sozialen Bedürfnis nach 48 Stunden
nach Hause entlassen werden kann, wenn dies mit Beratung und besonderen Vorsichtsmaßnahmen möglich
ist. Aber diese zwei Tage stationäre Behandlung halten
wir insbesondere aus medizinischen, aber auch aus
Strahlenschutzgründen für erforderlich.
Zusatzfrage, Frau Schuchardt? - Bitte schön.
Ich möchte eine
Zusatzfrage stellen. Ich habe in meiner Frage sehr deutlich gesagt, daß über 200 Millionen DM jährlich eingespart werden könnten, wenn man dem Modell der zitierten Länder folgen würde, die eindeutig nachweisen,
daß eine ambulante Behandlung möglich ist und keine
höhere Strahlenschädigung verursacht. Sie haben nicht
beantwortet, ob - da müßten Ihnen Unterlagen vorliegen
- durch eine ambulante Behandlung möglicherweise
eine höhere Strahlenschädigung bei den Betroffenen wie
bei den Kontaktpersonen einträte.
Dann wäre die Frage zu beantworten, wieso man auf
200 Millionen DM verzichtet, die man, wenn eben nicht
zutrifft, daß durch die ambulante Behandlung ein höherer Schaden entstehen würde, in Form von freien Betten
für andere Bereiche zur Verfügung stellen könnte.
Frau Schuchardt, ich denke, ich habe Ihre Frage beantwortet. Der Grund für die erhöhte Strahlenexposition bei ambulanter Versorgung liegt darin, daß Sie in
diesem Fall die Gesamtdosis erhöhen müssen. Die Gesamtaktivität, die bei einer Einzeitbehandlung, das heißt
bei einmaliger Gabe, notwendig ist, müssen Sie bei ambulanter Versorgung in fünf oder sechs Dosen aufteilen.
Dabei müssen Sie aber auf Grund der abnehmenden
Speicherfähigkeit der Schilddrüse die Gesamtaktivität
erhöhen, so daß es dadurch zu einer erhöhten Strahlenbelastung kommt.
Es sind inhaltliche Gründe, warum wir die 48 Stunden stationäre Behandlung für notwendig halten. Die
Strahlenschutzkommission hat sich im Februar 1996 ich glaube, es war die 136. Sitzung - sehr ausführlich
mit diesem Thema befaßt. Die Strahlenexposition ist in
den Ländern, die ich genannt habe, vergleichbar. Wir
halten diese Strahlenexposition der Bevölkerung in der
Umgebung der Patienten, aber auch für die Patienten
selbst nicht für hinnehmbar. Es ist eine sinnvolle Behandlungsmethode, aber die Strahlenbelastung und die
damit zusammenhängenden Nebenwirkungen müssen
minimiert werden. Man kann nicht auf Grund eines Kostenarguments von diesen qualitativen Kriterien abrükken.
Weitere
Zusatzfrage, Frau Schuchardt? - Bitte schön.
Ich muß beharrlich nachfragen. Die drei von uns beiden zitierten
Länder - Holland, Frankreich und Dänemark - weisen
nach, daß es nicht zu höheren Schäden kommt, und machen sogar den Vorschlag - was Sie jetzt ablehnen -,
diese Behandlung bei ambulanten Patienten zu fraktionieren. Ihre Aussage stimmt nicht mit den vorliegenden
wissenschaftlichen Untersuchungen überein. Darum
kann ich mich damit nicht zufrieden geben.
Die Begründung liegt darin, daß es unser Anliegen ist, den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung,
auch der Patienten, vor Strahlenexposition zu gewährleisten. Ich stelle Ihnen gerne das Protokoll der Strahlenschutzkommission zur Verfügung. Sie können es selber
im Internet unter ssk.de abrufen. Die Kommission
kommt zu dem Ergebnis, daß die Strahlenexposition für
uns nicht hinnehmbar ist - das ist eine Abwägungsfrage
- und daß wir mit einem 48stündigen stationären Aufenthalt einen besseren Schutz der Bevölkerung vor
Strahlung erreichen. Sonst würden deutsche Grenzwerte
in vielen Fällen überschritten. Das sind nationale Regelungen. Weil es unser Anliegen ist, Strahlenschutz zu
gewährleisten, hat die Strahlenschutzkommission entschieden, daß mindestens 48 Stunden Behandlung in
einer stationären Einrichtung notwendig sind. Ich denke,
das ist eine richtige Entscheidung.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister
Dr. Christoph Zöpel zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zu den beiden Fragen der
Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Herr Zöpel, wollen Sie die Fragen zusammen oder einzeln beantworten?
Einzeln.
Dann rufe ich zunächst Frage 6 auf:
Unterstützt die Bundesregierung die weißrussische Opposition im Exil in Litauen, und wenn ja, mit welchen Maßnahmen?
Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Kollegin!
Die Bundesregierung unterstützt gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedstaaten die Beratungs- und Beobachtungsgruppe der OSZE in Belarus, die von dem früheren
deutschen Botschafter Wieck geleitet wird. Sie hat das
Ziel, Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition in Gang zu bringen und den Verfassungskonflikt zu
entschärfen, um im nächsten Jahr freie und demokratische Parlamentswahlen zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang stehen sowohl die deutsche Botschaft als auch andere EU-Vertretungen und die
OSZE-Mission in einem - soweit wir das übersehen
können - umfassenden Kontakt mit den Gruppen der
weißrussischen Opposition, auch zu den Vertretern des
Obersten Sowjets - darum geht es Ihnen hauptsächlich -,
dessen Vorsitzender Scharetskij sich in Litauen aufhält.
Zusatzfrage, Frau Leutheusser?
Ja.
Bitte
schön.
Herr Staatsminister, ich habe eine ergänzende Frage:
Wie bewerten Sie, nachdem Sie die Maßnahmen, die die
Bundesregierung unternimmt, geschildert haben, insgesamt die Situation der Opposition in Weißrußland? Wie
ist die Einschätzung der Bundesregierung - gerade auch
was das Schicksal von Menschen angeht - nach dem
Verbot einer der wichtigsten Oppositionszeitungen?
Die Behandlung der Opposition in Weißrußland durch die Regierung ist weit entfernt von den Ansprüchen, die demokratische Prinzipien und unsere Vorstellungen von den politischen Aspekten der Menschenrechte in Europa darstellen. Das hat zu den bekannten
Maßnahmen gegenüber Weißrußland - Aussetzen der
Regierungskontakte und Nichtinkrafttreten des Abkommens - geführt. Das sind die Sanktionen, die im Augenblick möglich sind, da die Nachbarstaaten vor einer Isolierung warnen.
Der Ausweg ist die OSZE-Beobachtermission. Im
Augenblick ist allein die Tatsache, daß die weißrussische Regierung zu Gesprächen darüber bereit ist, ein
Anzeichen dafür, daß die in Einzelfällen noch sehr kritische Lage vielleicht doch perspektivisch auf dem Weg
der Besserung ist.
Weitere
Zusatzfragen? - Nein.
Dann kommen wir zu Frage 7:
Welche diplomatischen Bemühungen unternimmt die Bundesregierung gegen die offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen in Weißrußland, um damit auch ihrem selbstgestellten
moralischen Anspruch gerecht zu werden?
Diese Frage hängt eng mit Ihrer ersten Frage
zusammen. Die Bundesregierung setzt sich im EUZusammenhang für eine Verbesserung der Menschenrechtslage ein. Unter deutscher Präsidentschaft gab es
eine EU-Troika hoher Beamter, die im April 1999 in
Minsk Gespräche zu diesem Thema geführt hat. Es ist
dabei immer wieder klar gemacht worden, daß die Verbesserung der Menschenrechtslage eine unabdingbare
Voraussetzung für die Beendigung der eben von mir
dargestellten sanktionsähnlichen Maßnahmen ist.
Zusatzfrage, Frau Leutheusser-Schnarrenberger?
Ja, eine Zusatzfrage. - Herr Staatssekretär, in welchem
Umfang unterhält die Bundesregierung noch Kontakt
mit Weißrußland? Welche wirtschaftlichen Beziehungen
gibt es? Gibt es wirtschaftliche Hilfen? Welches Kreditvolumen besteht? In welcher Weise stellt sich diese Art
von Beziehungen zwischen Deutschland und Weißrußland zum jetzigen Zeitpunkt dar?
Ich habe Ihnen dargelegt, in welchen Bereichen
die restriktiven Maßnahmen erfolgen: keine Regierungskontakte, kein Inkrafttreten der entsprechenden
EU-Abkommen. Darüber hinausgehende Restriktionen
werden nicht systematisch betrieben, so daß ich Ihnen
jetzt nicht im einzelnen sagen kann, in welchem Maße
es Wirtschaftsbeziehungen gibt. Es gibt kein Wirtschaftsembargo. Das ist von den Nachbarn auch nicht
erwünscht; insofern wird diese Maßnahme auch nicht
ergriffen.
Die Frage ist letztlich, ob noch stärkere Restriktionen
als die bestehenden gewählt werden. Vor allem wegen
des Wunsches der Nachbarn, der baltischen Staaten und
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Polens, sind keine Sanktionen geplant, die über die jetzigen hinausgehen. Vielmehr gehen wir den Weg - der
mit der Idee der OSZE besser zu vereinbaren ist -, mit
der weißrussischen Regierung zu reden. Man muß feststellen, daß die Regierung Lukaschenko offenkundig
einer gewissen Fehleinschätzung ihrer internationalen
Möglichkeiten unterlegen ist. Ihre Annährungsversuche
an Rußland und an andere Nachbarn haben nicht den
gewünschten Erfolg, so daß im Augenblick einerseits
die Aufrechterhaltung normaler Wirtschaftsbeziehungen
- bei den genannten Restriktionen - und andererseits das
Verhandeln nicht ohne Aussicht auf Erfolg erscheinen.
Vielen
Dank. Wir kommen zur Frage 8 der Kollegin Sylvia
Bonitz:
Ist zutreffend, daß die deutschen Botschaften im Ausland
ihren Bürobedarf, vom fehlenden Druckerkabel bis hin zum
Bleistift, nur per Bestelliste über das Auswärtige Amt beschaffen können, und wie wird diese Verfahrensweise in einem Zeitalter, in dem Begriffe wie Budgetierung und Effizienzsteigerung
auch in der Verwaltung Einzug gehalten haben, begründet?
Frau Kollegin Bonitz, ich kann Ihnen sagen, daß es
nicht zutreffend ist, daß die deutschen Auslandsvertretungen ihren Bürobedarf nur per Bestelliste über das
Auswärtige Amt beschaffen. Die Beschaffungsstelle
sowie auch die Auslandsvertretung prüfen in jedem einzelnen Beschaffungsfall, ob der Kauf im Inland oder im
Ausland wirtschaftlicher ist. Bei der Entscheidung werden jeweils die Gesamtkosten und somit - was von besonderem Interesse ist - auch die Beförderungs- und
Verpackungskosten berücksichtigt. Sollte es sich erweisen, daß der Kauf im Ausland kostengünstiger ist, werden der Vertretung entsprechende Mittel zugewiesen.
({0})
In vielen Fällen erfolgt der Kauf auch aus den der
Vertretung zur Verfügung stehenden Eigenbewirtschaftungsmitteln. Die Möglichkeiten des Haushaltsrechts im
Rahmen der Flexibilisierung werden dabei vom Auswärtigen Amt genutzt. Dies hat zu einer Effizienzsteigerung geführt und hat teilweise den Effekt einer Budgetierung.
Zu beachten bleibt allerdings, daß es aus Gründen der
Sicherheit einige Materialien gibt, die sinnvollerweise
im Inland beschafft werden; dazu gehören Dienstsiegel,
Sichtvermerksetiketten und Paßformulare.
Eine Zuatzfrage.
Wie kommt es dann, daß
von deutschen Botschaften im Ausland Abgeordneten
gegenüber teilweise eine andere Auskunft gegeben
wird? Insbesondere EDV-Gerätschaften können demnach nicht immer angeschlossen werden, weil solche
Kleinigkeiten wie Druckerkabel von den Botschaften
eben nicht beschafft werden dürfen, so daß den wichtigen Aufgaben - zum Beispiel der Visaerteilung und
auch der vorausgehenden Visaprüfung, die ja dazu beiträgt, daß illegale Einreisen nach Deutschland vermieden werden können - teilweise nicht mit den nötigen
Arbeitsmitteln nachgegangen werden kann.
Frau Kollegin, da ich den Realitätsbezug Ihrer
Frage - aus blanker Lebenserfahrung, daß so etwas vorkommen kann - überhaupt nicht in Abrede stellen kann,
meine ich, es macht sehr großen Sinn, wenn Sie auf dem
von Ihnen für geeignet gehaltenen Wege die Bundesregierung, speziell das Auswärtige Amt, zu einem konkreten Fall befragen. Ein solch konkreter Fall kann dann
vom Auswärtigen Amt geprüft werden. Dann läßt sich
entweder feststellen, ob das zu Recht so geschieht, oder
es läßt sich feststellen, ob Abhilfe geschaffen werden
kann. Vor allem in letzterem Falle wäre eine solche
Frage von Ihnen, Frau Kollegin, im Interesse der Bundesrepublik ausgesprochen nützlich.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich bitte Sie, dies ganz
konkret für die deutsche Botschaft in Ghana zu prüfen,
die auf diesem Sektor erhebliche Schwierigkeiten hat.
Auf diese Weise kann sie vielleicht künftig noch besser
in ihrer Arbeitsfähigkeit unterstützt werden.
Dies ist hiermit zugesagt. Sobald die Prüfung zu
mitteilenswerten Ergebnissen geführt hat, werden wir
Sie informieren.
Die Frage 9 des Abgeordneten Koschyk wird schriftlich beantwortet.
Danke schön, Herr Staatsminister.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 10 des Kollegen
Koschyk und die Fragen 11 und 12 des Kollegen Stadler
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 13 des Kollegen Georg
Janovsky:
In welcher Form sind die von der Bundesregierung zugesagten 100 Millionen DM für die Sanierung des Leipziger Zentralstadions in einer ersten Rate für das Jahr 2000 etatisiert?
Herr Kollege Janovsky, ich setze Ihr Einverständnis voraus, daß wir die
Fragen 13 und 14 im Zusammenhang behandeln.
Ich rufe dann auch
die Frage 14 des Kollegen Janovsky auf:
In welcher Form sind die von der Bundesregierung zugesagten 100 Millionen DM für die Sanierung des Berliner Olympiastadions in einer ersten Rate für das Jahr 2000 etatisiert?
Die Bundesregierung unterstützt, wie Sie wissen, die Bewerbung des
Deutschen Fußball-Bundes um die Fußball-WM 2006
mit der Zusage, für die als Austragungsstätten vorgesehenen Stadien in Berlin und Leipzig jeweils 100 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Nachdem das Land
Berlin, vertreten durch die Senatorin für Finanzen, und
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den
Bundesminister der Finanzen, am 12. Juli dieses Jahres
Gespräche geführt hatten und, vorbehaltlich der Billigung durch die parlamentarischen Gremien, unter anderem vereinbart hatten, daß der Bund dem Land als Beitrag zur Sanierung und Modernisierung des Olympiastadions wegen des Reparaturstaus 100 Millionen DM
zahlt, hat die Bundesregierung das Parlament ersucht, im
Jahr 2000 die erste Rate des Bundeszuschusses für das
Olympiastadion in Berlin im Einzelplan 06 zu etatisieren. In den parlamentarischen Beratungen soll darüber
hinaus die Möglichkeit geprüft werden, ebenfalls im
Haushalt 2000 Mittel für die Anfinanzierung des Umbaus des Leipziger Zentralstadions zu veranschlagen.
Eine Zusatzfrage,
bitte, Kollege Janovsky.
Frau Staatssekretärin, sind gegebenenfalls Verpflichtungsermächtigungen
vorgesehen, um entsprechend dem Baufortschritt auch
die Finanzierung sicherstellen zu können?
Ich will Ihnen einige kleinere Erläuterungen geben. Dies geschieht unter
Vorbehalt in bezug auf das, was das Parlament in seiner
Zuständigkeit endgültig entscheiden wird. Es geht unter
anderem um den Vorschlag, im Jahr 2000 20 Millionen
DM und Verpflichtungsermächtigungen über je 40 Millionen DM, die dann im Jahre 2001 und im Jahre 2002
fällig werden, für die Sanierung und Modernisierung des
Berliner Stadions bereitzustellen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Darf ich auf Grund
der von Ihnen genannten Zahlen schlußfolgern, daß für
das Jahr 2000 die 100 Millionen DM nicht zur Verfügung stehen?
Das dürfen Sie
nicht folgern. Vielmehr sind das, was ich Ihnen eben beschrieben habe, Vorüberlegungen. Sie wissen ja, wie die
parlamentarischen Beratungen ablaufen.
Ich darf noch hinzufügen, daß wir am 4. Oktober, also Anfang dieser Woche, ein Berichterstattergespräch
hatten, auf dem die Modalitäten vorgeschlagen, erörtert
und abgesprochen wurden. Die endgültigen Entscheidungen werden ja dann im Zuge der weiteren Haushaltsberatungen fallen.
Ich rufe die Frage 15
der Kollegin Sylvia Bonitz auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, im Zusammenhang mit
der anstehenden Einrichtung einer direkten Flugverbindung von
Côte d‘Ivoire nach Deutschland Dokumentenberater in Côte
d‘Ivoire einzusetzen, um die Gefahr einer illegalen Einreise von
Ivorern nach Deutschland mittels gefälschter Pässe zu reduzieren, und, falls ja, ab wann wird dies der Fall sein?
Die Bundesregierung beabsichtigt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht,
einen Dokumentenberater in besagte Republik zu entsenden. Sollte sich aber herausstellen, daß die direkte
Flugverbindung zwischen diesem Land und der Bundesrepublik Deutschland verstärkt zur Einreise mit ge- oder
verfälschten Reisedokumenten benutzt wird, dann wird
die Bundesregierung dem oder den betroffenen Luftfahrtunternehmen geeignete Beratungs- und Schulungsmaßnahmen anbieten.
Eine Zusatzfrage,
bitte schön, Frau Kollegin.
Da inzwischen Erfahrungswerte aus benachbarten Ländern zur Verfügung
stehen, die besagen, daß zumindest die Rate der Fälschungen bei Pässen relativ hoch ausfällt, und da illegale
Einreisen eigentlich von vornherein verhindert werden
können, wenn solche Dokumentenberater rechtzeitig
eingesetzt werden, möchte ich Sie recht herzlich bitten,
sich doch noch einmal zu überlegen, ob über diese Frage
nicht schon frühzeitig nachgedacht werden kann, nämlich dann, sobald bekannt wird, daß eine Flugverbindung
eingerichtet wird. Man sollte also nicht erst darauf warten, daß Paßfälschungen vorgenommen werden, und
man sollte auch nicht warten, bis darüber statistische Erhebungen vorliegen. Denn dann ist es im Regelfall zu
spät. Dann sind die Menschen hier eingereist und werden im Regelfall auf Grund rechtlicher oder praktischer
Vollzugshemmnisse kaum wieder abgeschoben. Ich
möchte Sie daher bitten, das von mir Gesagte ganz gezielt in Erwägung zu ziehen, und die Frage zu beantworten, warum Sie nicht generell so verfahren, wie es
sich in Nachbarländern, wie zum Beispiel Ghana, bewährt hat.
Zunächst einmal
muß ich für die Bundesregierung betonen, daß ihr die
Verhinderung illegaler Einreisen, auch das Einreisen mit
gefälschten Dokumenten, selbstverständlich sehr am
Herzen liegt.
Zur Erläuterung will ich Ihnen darstellen, wann solche
Dokumentenberater bisher eingesetzt werden. Zum Beispiel muß der Wunsch eines Luftfahrtunternehmens bestehen, Schulungsmaßnahmen der dortigen Mitarbeiter
durchzuführen, oder einem Luftfahrtunternehmen muß es
aufgefallen sein, daß Personen in größerem Maß nach
Deutschland unerlaubt befördert werden. Wenn neue
Luftfahrtunternehmen ihre Tätigkeit aufnehmen, geht es
darum, daß sie von der Grenzschutzdirektion mittels bereitgestellten Informationsmaterials über das Erkennen
solcher Fälschungsmerkmale geschult werden wollen.
Natürlich gibt es bereits Dokumentenberater, und
zwar in Istanbul/Türkei, in Nairobi/Kenia, in Lagos/
Nigeria, in Tirana/Albanien und in Accra/Ghana. In diesen Ländern werden bereits Dokumentenberater beschäftigt.
Die Frage 16 des
Kollegen Luther wird schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Der Parlamentarische Staatssekretär Professor Pick stände zur Beantwortung der
Fragen zur Verfügung. Allerdings sollen sämtliche in
seinen Verantwortungsbereich fallenden Fragen, nämlich die Fragen 17 und 18 des Kollegen Geis und die
Frage 19 der Kollegin Lengsfeld, schriftlich beantwortet
werden. Damit sind Sie, lieber Kollege Pick, für heute
schon wieder entlassen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung ist die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Hendricks anwesend.
Die Fragen 21, 22, 23 und 24 werden schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich die Frage 25 des Kollegen Börnsen
auf:
Sind die Informationen korrekt, nach denen die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Oberfinanzdirektion Hamburg
die Schließung des Hauptzollamtes in Flensburg, in dem über
200 Zöllner tätig sind, beabsichtigt, obwohl sich die Umsätze
dieses Amtes seit 1988 von 2,5 auf knapp 5,4 Milliarden DM
mehr als verdoppelt haben, während die Umsätze der anderen
schleswig-holsteinischen Zollämter in Kiel, Lübeck und Neumünster stagniert haben, die Exportquote der Grenzstadt innerhalb der vergangenen zehn Jahre von 27 auf 59 Prozent gestiegen ist und auch nach dem Auslaufen des Schengener EUAbkommens an der deutsch-dänischen Grenze durch den Außenhandel mit den Staaten der Baltic Sea Region sowie den
Golfstaaten Bedarf für ein Hauptzollamt an der Flensburger
Förde besteht, oder welches andere Amt ist nach dem aktuellen
Stand der Überlegungen von der Schließung mit großer Wahrscheinlichkeit bedroht?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Börnsen,
das Aufgabenvolumen des Hauptzollamtes Flensburg ist
durch die Verwirklichung des Binnenmarktes zum 1. Januar 1993 und die Einstellung des Tax-free-Verkaufs
zum 30. Juni dieses Jahres erheblich zurückgegangen.
Eine weitere Aufgabenreduzierung zeichnet sich durch
den Beitritt Dänemarks zum Schengener Übereinkommen ab. Voraussichtlich zum 1. Oktober 2000 wird Dänemark das Ratifizierungsverfahren zum Schengener
Übereinkommen abschließen.
Eine Straffung der Organisationsstruktur auf der Ebene der Hauptzollämter in Schleswig-Holstein ist unter
Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte aus verwaltungsökonomischen Gesichtpunkten mittelfristig geboten. Die Entscheidung, ob das Hauptzollamt Flensburg
mit einem anderen Hauptzollamt zusammengelegt wird
und an welchem Standort dies geschieht, wird auf der
Grundlage eines strukturellen Gesamtkonzeptes für die
Hauptzollämter in Hamburg und Schleswig-Holstein
getroffen. Dieses Konzept wird derzeit erst erarbeitet.
Bitte schön, Kollege
Börnsen.
Frau
Staatssekretärin, welcher Zeitraum verbirgt sich hinter
Ihrem Hinweis „mittelfristig“?
Herr Kollege Börnsen,
wir haben die Oberfinanzdirektion Hamburg beauftragt,
ein Gesamtkonzept für die Länder Hamburg und
Schleswig-Holstein vorzulegen, wie das übrigens nicht
nur in diesen Ländern, sondern auch in den anderen
Ländern der Bundesrepublik der Fall ist. Dabei müssen
wir zum ersten auf die Entwicklung des Aufkommens,
zum zweiten auf verwaltungsökonomische Gesichtspunkte und zum dritten auf die vorgebenen Einsparbestimmungen, die im Haushalt des Bundesfinanzministers
in diesem Bereich ab dem Jahr 2001 zur besonderen
Wirksamkeit gelangen werden, Rücksicht nehmen.
Darüber hinaus müssen wir auch berücksichtigen,
daß der beabsichtigte Beitritt von Polen und Tschechien
zur Europäischen Union zu weiteren massiven Veränderungen im Zolldienst führen wird. Dies alles haben wir
zu beachten. Darum ist das Konzept auch noch nicht
fertig.
Ihre Frage nach dem Hauptzollamt Flensburg überrascht mich insofern nicht, als ich auch von vielen anderen Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hause gefragt
worden bin, wie es mit der jeweiligen Zollstelle in anderen Gegenden weitergeht. Sicher ist, daß wir nicht zusichern können, daß die heute bestehenden Hauptzollämter auch in aller Zukunft werden bestehenbleiben. Ebenso sicher ist auch, daß die Schließung eines Hauptzollamtes nicht notwendigerweise zum Arbeitsplatzabbau an
diesem Ort führt. Ihm könnten durchaus andere Aufgaben zugewiesen werden, oder Teile könnten als Nebenstelle eines bestehenden Hauptzollamtes bestehenbleiben.
Kollege Börnsen.
Frau
Staatssekretärin, wir wollten Sie mit dieser Frage nicht
überraschen. Sie haben ja Verständnis dafür, daß viele
Kolleginnen und Kollegen von uns in Verantwortung für
ihre Regionen und für die Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Bundesbehörden fragen
müssen, wenn sie den Eindruck haben, daß diese Arbeitsplätze stark gefährdet sind.
Warum stellen Sie Überlegungen an, das Flensburger
Hauptzollamt hinsichtlich seiner Aufgaben und Strukturen zu ändern, obwohl es seine Umsätze fast verdoppelt
hat, obwohl sich die Exportquote in dieser Region fast
verdreifacht hat und obwohl sich der Arbeitsanfall
dadurch erhöht hat?
Herr Kollege
Börnsen, ich kann den von Ihnen vorgetragenen
Schluß, wir hätten die Überlegung, das Hauptzollamt
Flensburg umzuwandeln oder zu schließen, nicht teilen. Ich habe gesagt: Wir stehen am Beginn der Erarbeitung eines Konzeptes. Es kann durchaus sein, daß
das Hauptzollamt Flensburg nach einer konzeptionellen Änderung bestehenbleibt.
Sie müssen bedenken, daß für den Fortbestand eines
Hauptzollamtes die Höhe der durch die Dienststelle erhobenen Abgaben kein erhebliches Kriterium für die
Entscheidung ist. Wesentliche Gesichtspunkte für den
Fortbestand eines Hauptzollamtes sind insbesondere der
Aufgabenumfang im Bereich der zoll- und verbrauchsteuerrechtlichen Verfahren einschließlich des
Marktordnungs-, Präferenz- und Außenwirtschaftsrechts
sowie die Anzahl der Wirtschaftsbeteiligten, die auf entsprechende Dienstleistungen der Zollverwaltung in den
vorgenannten Bereichen zwingend angewiesen sind. Da
der Betrieb eines Hauptzollamtes Steuermittel in nicht
unerheblichem Umfang erfordert, ist zudem die Wirtschaftlichkeit der Aufgabenerfüllung natürlich ein wesentliches Kriterium für die Erhaltung eines Amtes.
Darüber hinaus lassen wir auch strukturpolitische Gesichtspunkte nicht außer acht. Das ist auch ein mögliches Entscheidungskriterium, kann aber nicht das erste
Entscheidungskriterium sein.
Die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommende Befürchtung um die Arbeitsplätze vermag ich nicht zu teilen. Wie Sie wissen, handelt es sich bei den Bediensteten des Zolls um Beamte, die nicht mit dem Verlust des
Arbeitsplatzes, sondern möglicherweise nur mit einer
Versetzung an einen anderen Ort rechnen müßten.
Ich rufe die Frage 26
des Abgeordneten Wolfgang Börnsen auf:
Nach welchen Kriterien plant die Bundesregierung, eines der
vier schleswig-holsteinischen Hauptzollämter zu schließen, und
in welcher Größenordnung sollen Einsparungen durch eine etwaige Schließung auf Bundes- und Landesebene erreicht werden?
Herr Kollege Börnsen, ich habe den Eindruck, daß
Ihre Frage 26 durch die Ausführungen der Frau Staatssekretärin schon beantwortet ist. - Sie sehen das auch
so. Dann gebe ich Ihnen jetzt das Wort zu einer Zusatzfrage.
Uns
interessiert der Zeitraum, der alle Zollämter SchleswigHolsteins betrifft: Wann rechnen Sie damit, daß Ihr neues Konzept fertiggestellt werden kann?
Herr Kollege Börnsen,
darüber kann ich Ihnen im Moment keine abschließende
Auskunft geben. Ich sagte Ihnen aber schon, daß die
Oberfinanzdirektion Hamburg beauftragt worden ist,
eine solche Konzeption vorzulegen, so daß Entscheidungen sicherlich im nächsten Jahr fallen werden.
Ich rufe nun die
Frage 27 des Kollegen Baumann auf:
Ist die Bundesregierung angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage vieler kleiner und mittlerer ostdeutscher Unternehmen, die vor allem mit einer geringen Eigenkapitalausstattung und mit Liquiditätsproblemen auf Grund schlechter
Zahlungsmoral der Kunden zu begründen ist, bereit, deren hohe
„Investitionsbereitschaft“ durch eine Erweiterung der Möglichkeit der Umsatzsteuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten
bis zu einer Höhe von 10 Millionen DM zu fördern?
Herr Kollege Baumann,
nach Art. 10 Abs. 2 erster Unterabsatz der 6. Richtlinie
des Rates der Europäischen Gemeinschaft zur Harmonisierung der Umsatzsteuern in den Mitgliedstaaten, an die
Deutschland gebunden ist, ist die Umsatzsteuer grundsätzlich nach vereinbarten Entgelten zu berechnen. Dieser Grundsatz ist in § 16 des Umsatzsteuergesetzes in
das nationale Recht übernommen worden.
Auf Grund der Erweiterung des § 20 des Umsatzsteuergesetzes im Rahmen des Jahressteuergesetzes 1996
können Unternehmer aus den neuen Bundesländern und
aus dem Ostteil Berlins, abweichend vom Grundsatz, bis
zu einem Umsatz von 1 Million DM von der IstBesteuerung Gebrauch machen. Das gilt bis zum Jahr
2004. Eine weitere Erhöhung der Umsatzgrenze ist damals im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt worden. Sie
kann auch heute nicht befürwortet werden, denn die
Unternehmen können die ihnen in Rechnung gestellte
Umsatzsteuer als Vorsteuer bereits zu dem Zeitpunkt
geltend machen, in dem sie die Rechnung erhalten
haben. Unbeachtlich ist dabei, wann sie die Rechnung
bezahlt haben.
Bei einer Erweiterung der Ist-Besteuerung in dem
von Ihnen bezeichneten Umfang würden dem Fiskus im
ersten Jahr Steuerausfälle von zusätzlich zirka 600 Millionen DM entstehen. Im übrigen ist die Umsatzsteuer
vom System her wenig geeignet, die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen zu verbessern oder Liquiditätsprobleme infolge schlechter Zahlungsmoral der
Kunden zu beseitigen.
Die Verbesserung der Eigenkapitalausstattung ist vorrangiges Ziel der geplanten Reform der Unternehmensbesteuerung. Hinsichtlich des schlechten Zahlungseingangs darf ich Sie auf den Entwurf eines Gesetzes
zur Beschleunigung fälliger Zahlungen, Drucksache
14/1246, hinweisen, den die Koalitionsfraktionen am
23. Juni 1999 vorgelegt haben. Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, Maßnahmen zu ergreifen, die die Verzögerung von Zahlungen wirtschaftlich unattraktiv machen
und die Möglichkeiten, fällige Ansprüche zügig gerichtlich geltend zu machen, verbessern.
Wolfgang Börnsen ({0})
Eine Zusatzfrage,
bitte.
Frau Staatssekretärin, glauben Sie, daß es mit Blick auf einen mittelständischen Unternehmer - speziell in den neuen Bundesländern - gerecht und für seine Arbeit hilfreich ist, wenn er
für eine erbrachte Leistung, die er in Rechnung gestellt
hat, die der Auftraggeber aber noch nicht bezahlt hat, die
volle Vorsteuer an das Finanzamt abführen muß?
Herr Kollege, die Vorsteuer ist natürlich nach den vereinbarten Entgelten zu
leisten. Sie müssen aber auch davon ausgehen, daß der
Handwerksmeister, von dem Sie sprechen, die Umsatzsteuer, die ihm in Rechnung gestellt wird in Rechnungen, die er selbst eventuell noch nicht bezahlt hat, sofort
als Vorsteuer gegenüber dem Finanzamt geltend machen
kann. Wenn überall schlechte Zahlungsmoral herrschte,
müßte sich das eigentlich wieder ausgleichen.
Ich rufe Frage 28 des
Abgeordneten Günter Baumann auf:
Ist die Bundesregierung darüber hinaus bereit, Existenzgründern generell für fünf Jahre die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten zu ermöglichen?
Die Bundesregierung hält
umsatzsteuerrechtliche, vom System abweichende Maßnahmen nicht für ein geeignetes Mittel zur Förderung
von Existenzgründern, zumal deren wirtschaftliche Situation sehr unterschiedlich sein kann. Die angesprochene Maßnahme wäre im übrigen eine weitere Subvention,
die vor dem Hintergrund der EU-beihilferechtlich notwendigen Genehmigungen wohl kaum zu begründen
wäre, da die Fördermaßnahmen in den neuen Bundesländern nach allem, was wir wissen, an der Grenze des
Genehmigungsfähigen angelangt sind.
Kollege Baumann
bitte?
Frau Staatssekretärin, da das Gesetz zur Verbesserung der Zahlungsmoral,
von dem Sie sprachen, noch nicht auf den Weg gebracht
worden ist, möchte ich Sie fragen: Sehen Sie in Ihrem
Verantwortungsbereich andere Möglichkeiten, um mittelständischen Betrieben finanziell entgegenzukommen?
Herr Kollege, Sie haben
speziell die Umsatzsteuer angesprochen. Dazu habe ich
darauf hingewiesen, daß ich das nicht für zielführend
halte. Der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen
im Juni - immerhin nach wenigen Monaten Regierungstätigkeit - eingebracht haben, befindet sich im
parlamentarischen Verfahren. Das wird sicherlich sobald
wie möglich abgeschlossen werden. Ich gehe davon aus,
daß das in den nächsten Monaten der Fall sein wird. Im
übrigen gibt es natürlich andere Fördermöglichkeiten
wie Existenzgründungskredite und vieles andere.
Die Vorstellung, daß man über besondere steuerliche
Maßnahmen, die Sie zum Beispiel bei der Umsatzsteuer
ansiedeln wollen, eine tatsächlich zielführende Existenzgründungs- oder Existenzsicherungsförderung erreichen
könnte, teile ich nicht. Andererseits gibt es natürlich
jeweils Billigkeitsmaßnahmen wie etwa die Stundung von
Steuerzahlungen, wenn ein Betrieb nicht in der Lage ist,
eigentlich fällige Steuern zu zahlen. Dies wird im Einzelfall entsprechend den Notwendigkeiten von der Landesfinanzverwaltung auf Antrag geprüft. Ich halte es nicht für
zielführend, gesetzliche Regelungen im Steuerrecht, insbesondere im Umsatzsteuerrecht, nur für einen Teil der
Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland zu
schaffen. Das Umsatzsteuerrecht ist - einfach ausgedrückt
- eigentlich nur ein Durchlaufposten, mit dem der Betrieb
zunächst nur ganz wenig zu tun hat.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Michelbach.
Frau Staatssekretärin, ich habe eine Zusatzfrage zu Ihrer Aussage, daß Sie
Maßnahmen im Bereich der Umsatzsteuer als Liquiditätshilfe für den Mittelstand nicht als zielführend ansehen. Ist es nicht eine wesentliche Zusatzverschärfung,
wenn Sie jetzt im Steuerbereinigungsgesetz 1999 die
Ansparabschreibung nach § 7g des Einkommensteuergesetzes für Mittelständler in wesentlichen Branchen
streichen und damit die Liquidität weiter verschlechtern? Warum ist hier insbesondere Ihr Minister gegen
die Privilegierung von arbeitsintensiven Dienstleistungen bei der Mehrwertsteuer im Rahmen des Ecofin gewesen?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß mit der Reduzierung
des Mehrwertsteuersatzes auf arbeitsintensive Dienstleistungen das eigentliche angestrebte Ziel, nämlich die
Schaffung von Arbeitsplätzen und die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit, nicht erreicht werden wird. Es würde
im übrigen auch zu großen Abgrenzungsproblemen in
der Bundesrepublik Deutschland führen, wenn man einen Teil von arbeitsintensiven Dienstleistungen mit dem
reduzierten Mehrwertsteuersatz belegen würde. Die
Bundesregierung hat sich deshalb dazu entschlossen,
zwar im Rahmen des Ecofin der probeweisen Einführung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für zwei
Jahre in den Ländern, die es wollen, zuzustimmen, beabsichtigt aber gleichwohl nicht, an dieser Erprobung teilzunehmen.
Sie sprachen weiter die Ansparabschreibung nach
§ 7g des Einkommensteuergesetzes an, bezogen auf das
Steuerbereinigungsgesetz. Entschuldigung, Herr Kollege
Michelbach, da bin ich im Moment überfragt. Diese
Frage kann ich Ihnen im Moment nicht beantworten.
Daß Sie natürlich eine andere Vorstellung davon haben als die Bundesregierung, das sehe ich ein. Ich werde
Ihnen die Antwort in schriftlicher Form zukommen
lassen.
Ich rufe die Frage 29
des Kollegen Winfried Mante auf:
Aus welchen Gründen ist der südlich von Guben/Gubin mit
EU-Mitteln neu erbaute Grenzübergang ({0})
zur Republik Polen, der seit Mai 1999 fertiggestellt ist, nicht in
Betrieb?
Besteht Einverständnis, daß auch die Frage 30 gleich
mit beantwortet wird? - Das ist der Fall. Dann rufe ich
auch die Frage 30 des Abgeordneten Winfried Mante
auf:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um eine baldige
Inbetriebnahme zu sichern?
Herr Kollege Mante, die
Grenzabfertigungsanlage Guben/Gubin, die von der Republik Polen auf polnischem Gebiet errichtet wird, ist
weitgehend fertiggestellt. Einer Inbetriebnahme stehen
nach einer aktuellen Information der polnischen Seite
insbesondere noch die fehlende technische Ausstattung
sowie die fehlende Innenausstattung entgegen. Nach
diesen Informationen, die der deutschen Seite erst in
jüngster Vergangenheit in einem informellen Gespräch
mitgeteilt wurden, ist voraussichtlich nicht mehr mit
einer Fertigstellung und Eröffnung der Anlage in diesem
Jahr zu rechnen.
Nachdem bei diesem informellen Gespräch die deutsche Seite also erst vor sehr kurzer Zeit über die Verzögerungen unterrichtet worden ist, hat sie der polnischen
Seite bei dieser Gelegenheit ihr nachhaltiges Interesse an
einer baldigen Eröffnung der Anlage deutlich gemacht.
Weitere Schritte waren angesichts der Kürze der seit der
Informationserlangung vergangenen Zeit nicht möglich.
Nach einer Verifizierung des Ausmaßes der Verzögerung wird zu prüfen sein, ob Anlaß zu weiteren Interventionen, möglicherweise auch auf der politischen
Ebene, besteht.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Mante.
Frau Staatssekretärin, mir
liegen Pressemeldungen aus unserer Region vor, daß offensichtlich Personalschwierigkeiten beim Zoll und bei
der Grenzschutzbehörde auf der polnischen Seite die Ursache für die Nichtinbetriebnahme sind und daß man
auch in näherer Zukunft nicht bereit ist, das Personal
aufzustocken. Ist der Bundesregierung das bekannt? Wie
stellt man sich darauf ein?
Herr Kollege Mante, dies
ist der Bundesregierung so nicht bekanntgeworden. Der
Bundesregierung ist lediglich bekanntgeworden, daß die
technische und die Innenausstattung der Grenzabfertigungsstelle noch nicht fertig sei und daß deswegen noch
keine Inbetriebnahme erfolge. Von Personalschwierigkeiten ist jedenfalls der Bundesregierung nichts mitgeteilt worden. Wir werden aber dafür Sorge tragen, daß
diese Frage im bilateralen Verhältnis geklärt wird, und
unseren Einfluß natürlich auch dahin gehend geltend
machen, daß die Grenzabfertigungsstelle so rasch als
möglich geöffnet wird, um die Belastungen der Stadt
Guben zu vermindern.
Wir kommen zur
Frage 31 des Kollegen Dr. Götzer.
Welche Vorschläge hat die laut Bericht der „Süddeutschen
Zeitung“ vom 21. Juni 1999 angekündigte Arbeitsgruppe dem
Bundeskanzler zur Unterstützung der vom Pfingsthochwasser
1999 in Bayern Betroffenen gemacht, und welche in dem Bericht in Aussicht gestellten weiteren Mittel sind bisher zur Verfügung gestellt worden?
Als Ergebnis aus der Arbeitsgruppe und weiterer Gespräche mit der Bayerischen
Staatsregierung sind von der Bundesregierung folgende
Hilfsmaßnahmen anläßlich der Hochwasserkatastrophe
in Süddeutschland veranlaßt worden: Für Gewerbebetriebe und für landwirtschaftliche Betriebe stellt die
Kreditanstalt für Wiederaufbau ein Sonderkontingent
von Krediten zur Beseitigung von Hochwasserschäden
an Gebäuden und langlebigen Wirtschaftsgütern im Gesamtumfang von 200 Millionen DM zur Verfügung.
Aus diesem Volumen können auch Kredite für den
Ausgleich von durch das Hochwasser verursachten Liquiditätsengpässen, für die Finanzierung von Ersatz für
vernichtete Lagerbestände oder für die Finanzierung von
Aufräumarbeiten in Anspruch genommen werden. Die
Zinsen für diese Kredite der KfW liegen einen Prozentpunkt unter den Standardkonditionen der günstigen
KfW-Mittelstandskredite.
Für Privathaushalte steht ebenfalls ein Kontingent
zinsgünstiger Kredite von bis zu 200 Millionen DM zur
Verfügung, mit denen die Beseitigung von Hochwasserschäden an der Gebäudesubstanz finanziert werden
kann. Dieses Kreditkontingent der KfW wird bis zu
einem Volumen von 100 Millionen DM aus Mitteln des
Bundeshaushaltes zusätzlich verbilligt. Hierfür werden
der KfW 20 Millionen DM zur Verfügung gestellt.
Gleichzeitig wird die Möglichkeit einer 80prozentigen
Haftungsfreistellung angeboten, die vom Bund und von
Bayern gemeinsam getragen wird. Der Bund gewährt
Bayern weitere Hilfen, indem er zusätzlich 10 Millionen
DM im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ verfügbar macht.
Im Bereich der steuerlichen Maßnahmen können
Stundungen, Herabsetzung von Vorauszahlungen, Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen und Sonderabschreibungen beantragt werden. Der Bund hat ferner auf
die Erstattung der Kosten für den Einsatz der Bundeswehr, des Bundesgrenzschutzes und des Technischen
Hilfswerks verzichtet.
Zusatzfrage des
Kollegen Götzer.
Frau Staatssekretärin, im wesentlichen sind die Kreditbeihilfen und
-vergünstigungen des Bundes nur indirekten Hilfen.
Mich interessieren die indirekten Hilfen. Deshalb frage
ich: Warum ist die Bundesregierung nicht bereit, den
Opfern des Pfingst-Hochwassers in Süddeutschland entsprechend den Schäden direkte finanzielle Hilfen zukommen zu lassen, so wie es die alte Bundesregierung
beim Oder-Hochwasser getan hat? Die Schäden, die das
Pfingst-Hochwasser in Süddeutschland, insbesondere in
Bayern und ganz besonders in der Stadt Neustadt an der
Donau, angerichtet hat, waren doch um ein Vielfaches
größer als die, die das Oder-Hochwasser angerichtet hat.
Herr Kollege Götzer, die
Bundesregierung hat sich bei der Hilfe für die Opfer des
Pfingst-Hochwassers genauso verhalten, wie sich die alte
Bundesregierung bei Rheinhochwassern in RheinlandPfalz und in Nordrhein-Westfalen immer verhalten hat.
Sie erinnern sich bestimmt noch an die beiden sogenannten Jahrhunderthochwasser des Rheins vom Dezember
1993 und Januar 1995, die erhebliche Schäden verursacht
haben. Auch damals gab es ein Zinsverbilligungsprogramm der KfW. Bei der jetzigen Hilfe zur Beseitigung
der Hochwasserschäden in Süddeutschland bekommt
Bayern zusätzlich 10 Millionen DM für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es gerechtfertigt war, die neuen Bundesländer,
die vom Oder-Hochwasser betroffen waren, stärker durch
Bundesmittel zu fördern, weil die neuen Bundesländer
nicht über dieselbe Finanzkraft wie das Land Bayern oder
das Land Nordrhein-Westfalen verfügen.
Frage 32 wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 33 der Kollegin Lengsfeld auf:
Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder im Kabinettsausschuss
Neue Länder am 28. September 1999 in Magdeburg zu allen
Punkten des von der Bundesregierung vorgelegten sogenannten
Sparpakets die Unterstützung und Zustimmung des Landes
Sachsen-Anhalt erhalten?
Die Landesregierung von
Sachsen-Anhalt unterstützt den Kurs der Bundesregierung zur Sanierung der Haushalte von Bund und Ländern, um den finanziellen Spielraum für wachstums- und
beschäftigungsfördernde Zukunftsinvestitionen zu sichern.
Solide Staatsfinanzen bilden die Grundlage für Wachstum und Beschäftigung.
Das Sparpaket ist ein wichtiges Element des Zukunftsprogramms 2000 der Bundesregierung. Ein finanziell stabiler Bundeshaushalt liegt auch im Interesse der
neuen Länder und ihrer Kommunen. Der Bund erbringt
insbesondere in den neuen Ländern infrastrukturelle
Vorleistungen, die anderenfalls von anderen Gebietskörperschaften übernommen werden müßten. Der Aufbau Ost genießt beim Bund weiterhin oberste Priorität.
Die im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms beschlossene Finanzausstattung der neuen Länder bleibt unangetastet.
Die Länder haben auch auf die Maßnahmen des Zukunftsprogramms hingewiesen, die die Länder einschließlich ihrer Kommunen belasten. Aber das Sparpaket der Bundesregierung kann nicht an Hand einzelner
ausgewählter Maßnahmen beurteilt werden, sondern
muß in der Gesamtheit seiner Auswirkungen gesehen
werden, die zu einer Entlastung von Ländern und Kommunen führen. Die Regierung des Landes SachsenAnhalt stimmt dem Zukunftsprogramm 2000 der Bundesregierung deshalb grundsätzlich zu, unbenommen
einzelner Bereiche, über die noch gesprochen werden
wird.
Die Frage 34 wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen 35,
36 und 37 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Sämtliche Fragen zu diesem Geschäftsbereich - die Fragen 38, 39, 40, 41, 42 und 43 - werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich Bundeskanzler
und Bundeskanzleramt. Zur Beantwortung der Fragen
steht Staatssekretär Heye bereit. Ich rufe zunächst Frage
44 des Kollegen Bühler ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das dem Bundeskanzleramt unterstehende Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in diesem Jahr, in dem der Europarat sein 50jähriges Jubiläum begeht, ein 220 Seiten starkes „Handbuch zur
Europa-Politik“ herausgegeben hat, in dessen Teil 1 „Das demokratische Europa - Europa auf dem Weg ins Jahr 2000“ nur die
15 Mitgliedstaaten der EU genannt werden, der 41 Länder umfassende Europarat aber mit keinem Wort erwähnt wird, nicht
einmal in der graphischen Darstellung der „Etappen der europäischen Einigung“ auf Seite 11 und auch nicht unter der allgemeinen Überschrift „Viele Namen für Europa“ auf Seite 15?
Mit Einverständnis der Fragesteller möchte ich die Fragen 44, 45 und 46 gemeinsam beantworten, weil sie in
einem inneren Zusammenhang stehen.
Dann rufe ich auch
die Fragen 45 des Abgeordneten Bühler ({0}) und
46 des Abgeordneten Dr. Hornhuis auf:
Wenn ja, zählt die Bundesregierung Staaten wie die Schweiz,
Norwegen und Island oder die drei neuen NATOMitgliedstaaten Tschechien, Ungarn und Polen nicht zum „demokratischen Europa“, oder gibt es andere Gründe für die
Nichterwähnung im Teil 1 der Broschüre?
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Europarat
- die älteste und inzwischen gesamteuropäische Organisation ausreichend gewürdigt wird, wenn ihm in einem 220seitigen
„Handbuch zur Europa-Politik“ nur eine einzige Seite gewidmet
wird?
Zu
den Fragen 44 und 46: Die Bundesregierung hat auch
1999 in der vierten Auflage die stark nachgefragte und
erstmals 1994 erschienene Broschüre „Europa in 100
Stichworten“ herausgegeben. Der Schwerpunkt der Broschüre liegt auf der kurzen Erläuterung wichtiger Begriffe der Europäischen Union. Für 100 Stichworte aus allen
europapolitischen Bereichen stehen rund 180 Seiten zur
Verfügung. Die Stichworte werden durch die Geschichte
der EU und eine Zeittafel komplettiert. Insoweit kommt
der Broschüre durchaus der Charakter eines „Handbuchs
zur Europa-Politik“, wie Sie es in der Frage bezeichnen,
zu. In diesem Rahmen wurde sowohl als gesondertes
Stichwort als auch in der Zeittafel auf die Bedeutung des
Europarates hingewiesen.
Diese Broschüre hat die Bundesregierung im Rahmen
ihrer informationspolitischen Maßnahmen zum europäischen Einigungsprozeß herausgegeben. Dem Presseund Informationsamt der Bundesregierung kommt die
Aufgabe zu, den Prozeß des Zusammenwachsens der
Europäischen Union öffentlichkeitswirksam zu begleiten.
Die Öffentlichkeitsarbeit für den Europarat liegt hingegen nicht beim Bundespresseamt; vielmehr wird sie in
der Bundesrepublik Deutschland seit vielen Jahren von
der Europäischen Bewegung Deutschland wahrgenommen. Sie gibt unter anderem die Broschüren „Der Europarat - Fakten und Zahlen“ sowie die Broschüre „Der
Europarat - Funktionen und Arbeitsweise“ heraus. Auf
die Anschrift der Europäischen Bewegung Deutschland
wird in der Broschüre „Europa in 100 Stichworten“ hingewiesen.
Zu Frage 45: Wie eben bereits erwähnt, steht die
knappe Darstellung der Europäischen Union im Mittelpunkt der Broschüre. Da im Kapitel „Das demokratische
Europa“ die Geschichte der Europäischen Union beschrieben wird, werden die Staaten Schweiz, Norwegen
und Island unter dem EU-Aspekt notabene nicht erwähnt.
Erwähnung finden im Hinblick auf die Erweiterung
der Europäischen Union die Nato-Mitgliedstaaten
Tschechien, Ungarn und Polen, nicht jedoch die
Schweiz, Norwegen und Island. Wer sich diese Broschüre „Europa in 100 Stichworten“, von Agenda 2000 bis
Zollunion, anschaut, der wird sie sicherlich nicht als
Dementi dafür nehmen können, daß es auch außerhalb
der EU demokratische Staaten gibt.
Herr Kollege Bühler,
haben Sie eine Zusatzfrage?
Herr Präsident, ich habe zunächst eine Zusatzfrage zur Antwort
auf Frage 44.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für angemessen,
wenn in einer 222 Seiten umfassenden Broschüre das
älteste und größte parlamentarische Gremium Europas,
der Europarat, mit einer einzigen Seite gewürdigt wird?
Sind Sie der Meinung, daß die Begründung, der Europarat liege nicht im Kompetenzbereich des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, alleine genügt,
dieses Gremium mit einer einzigen Seite abzuspeisen?
Herr Abgeordneter, ich kann nicht von „abspeisen“
sprechen. Sie erlauben mir diesen Widerspruch. Im
Buch gibt es 100 Stichworte, und der Europarat ist mit
einer guten halben Seite in diesem Buch dargestellt.
Ich nehme Ihre Anregung aber gerne auf. Bei der
Überarbeitung im nächsten Jahr wird man das eine oder
andere Detail durchaus dazunehmen können. Aber es
würde den Rahmen dieses Handbuches sprengen, wenn
es über Stichworte hinaus den historischen Kontext des
Europarates beschreiben würde.
Im übrigen wäre diese Darstellung wirklich nicht unsere Aufgabe. Die Öffentlichkeitsarbeit des Europarates
wird von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit beim
Europarat in Straßburg verantwortet. Die Pressearbeit
wird von der Pressearbeit des Europarates koordiniert.
In der Bundesrepublik Deutschland nimmt die Europäische Bewegung Deutschland seit vielen Jahren die Pressevertretung des Europarates wahr. Das Bundespresseamt hat weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart eine Veranlassung gesehen, in die Kompetenzen
der umfassenden Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des
Europarates einzugreifen. Angesichts der knappen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, sollte das auch jetzt
nicht geändert werden.
Seit 1994 wurde, wie ich glaube, kein Anstoß daran
genommen, daß der Europarat in diesem Buch im Rahmen von 100 Stichworten erwähnt wird. Ich bin deshalb
etwas überrascht, aber man kann ja alles besser machen,
Herr Abgeordneter.
Können wir zur Frage 45 kommen, oder haben Sie noch eine Nachfrage zur
Frage 44?
Zu Frage 44,
bitte.
Bitte.
Darf ich nach
der Aussage in Ihrer letzten Antwort, man könne manches
anders und vieles besser machen, davon ausgehen, daß
die Bundesregierung endlich zu der Überzeugung gekommen ist, daß ihre Aussage „Wir werden vieles anders
und alles besser machen“ keine Gültigkeit mehr hat?
({0})
Das können Sie dieser meiner Antwort natürlich nicht
entnehmen.
Allein daraus, daß dieses Stichwortverzeichnis in den
letzten vier Jahren mittlerweile eine Auflage von einer
halben Million erreicht hat, kann man ersehen, daß es
den Zweck, für den es gedacht ist, außergewöhnlich gut
erfüllt und in Ordnung ist.
Wenn Sie mir den einen oder anderen Hinweis geben
würden, wo Sie sich bei dem Stichwort „Europarat“ eine
zusätzliche Präzisierung wünschten oder vorstellten, bin
ich gerne bereit, das entgegenzunehmen und zu schauen,
ob das zu leisten ist.
Wir kommen damit
zu den Nachfragen zu Frage 45 des Kollegen Bühler.
Herr Staatssekretär, werden das Bundeskanzleramt, die Bundesregierung und auch ihr Presse- und Informationsamt in
Zukunft versuchen, mehr und besser über die Zusammensetzung und die Aktivitäten des Europarates zu informieren, die Arbeit des Europarates mehr und intensiver zu begleiten und dieses Gremium auch einmal als
politisches Instrumentarium zu nutzen?
Sehr verehrter Herr Abgeordneter, das Bundespresseamt
arbeitet seit vielen Jahren intensiv mit der Europäischen
Bewegung Deutschland, der Pressevertretung des Europarates, zusammen. Das äußert sich in einer Vielzahl
von Informationstagungen und Veranstaltungen zur Idee
der europäischen Einigung und zu aktuellen europapolitischen Fragen. Dafür hat das Bundespresseamt in diesem Jahr bereits Zuwendungen in Höhe von rund
160 000 DM zur Verfügung gestellt. So wird zum Beispiel in wenigen Tagen, am 13. und 14. Oktober 1999,
in München ein Journalistenseminar aus Anlaß des
50jährigen Bestehens des Europarates unter dem Thema
„Werte statt Grenzen: Europa - Menschenrechte Wertegemeinschaft“ stattfinden. Dazu werden 80 bis
100 Multiplikatoren erwartet. Das Bundespresseamt beteiligt sich an dieser Informationsveranstaltung mit einer
Zuwendung in Höhe von 30 000 DM. Das unterstreicht
die großartige Zusammenarbeit, die hier besteht.
Die letzte Nachfrage
des Kollegen Bühler.
Herr Staatssekretär, darf ich dieser Antwort entnehmen, daß die
Bundesregierung bereit sein wird, den von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages geplanten Festakt
„50 Jahre Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland im Europarat“ im nächsten Jahr nicht nur ideell,
sondern auch materiell zu unterstützen?
Herr Abgeordneter, ich möchte nicht vorschnell mit Ja
antworten, denn das hängt davon ab, wieviel Geld die
Abgeordneten dem Bundespresseamt zur Verfügung
stellen. Danach bemißt sich eine solche Möglichkeit.
Herzlichen Dank.
Die Fragen 47, 48 und 49 werden schriftlich beantwortet.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Geringere Leistungsansprüche gesetzlich Krankenversicherter gegenüber Sozialhilfeempfängern,
Asylbewerbern und Strafgefangenen bei unveränderter Realisierung der Gesundheitsreform
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hermann Kues,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen
hat es Meldungen gegeben, daß auf Grund der Veränderungen bei der Arzneimittelversorgung mittlerweile
Kassenpatienten, die regelmäßig ihre Beiträge zahlen,
bei der Arznei- und Heilmittelversorgung schlechter behandelt werden als jene, die lediglich Krankenfürsorge
bekommen, ob als Sozialhilfeempfänger, ob als Strafgefangener oder auch als Asylbewerber. Ich meine, das ist
eine Sache, die wir hier diskutieren und erörtern müssen.
Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Die jetzt auftretenden Ungereimtheiten sind die Folge einer unsteten
Gesundheitspolitik, bei der der Eindruck entsteht, daß
die zahlenden Kassenpatienten im Endeffekt die Dummen sind.
({0})
Ich kann die Wut der Menschen verstehen, daß sie
angesichts des Zickzackkurses in der Gesundheitspolitik
mittlerweile Widersprüchlichkeiten und auch neue Ungerechtigkeiten entdecken, über die man hier reden muß.
Es kann nicht sein, daß jemand, der regelmäßig seine
Beiträge zahlt, mittlerweile schlechter behandelt wird als
jemand, der aus anderen Gründen von der Allgemeinheit
versorgt wird.
({1})
Ich kann auch die Wut der Menschen verstehen, die
den Eindruck haben, daß neue Widersprüchlichkeiten
noch zu neuen Ungerechtigkeiten führen - mit dem Ergebnis, daß es jetzt eine neue, ganz spezielle Form von
Zweiklassenmedizin gibt: Während die Beitragszahler
auf Grund der Vereinbarungen, die Sie auch mit der
Bundesärztekammer getroffen haben, ihren Gürtel enger
schnallen müssen, gilt das für die anderen nicht. Sie sind
nicht betroffen vom Globalbudget. Sie können Privilegien genießen, ohne auch nur irgendeinen Beitrag zu leisten. Das finde ich höchst ungerecht.
Meine Damen und Herren, Sie müssen den Kassenpatienten erklären, daß diejenigen, die Krankenfürsorge
bekommen, anders behandelt werden als Otto NormalStaatssekretär Uwe-Karsten Heye
verbraucher, der redlich seine Beiträge zahlt. Denn Otto
Normalverbraucher wird dank des Globalbudgets, bei
dem Sie auf die Rationierung von medizinischen Leistungen setzen, beispielsweise eine Massage verweigert,
die der andere problemlos bekommt, obwohl er dafür
keinen Beitrag geleistet hat. Das ist die Folge einer
Politik der Reglementierung, der Budgetierung und der
Bürokratisierung. Dies lehnen wir ab.
({2})
Mit solchen Regelungen, die nicht zu Ende gedacht
sind, gefährden Sie nicht nur die Versorgung mit dem
medizinisch Notwendigen, sondern - ich glaube, das ist
ganz wichtig für die Zukunft - erschüttern auch das
Vertrauen in die Funktionsfähigkeit dieses Systems, und
Sie verletzen vor allen Dingen das Gerechtigkeitsempfinden der Beitragszahler und der Patienten. Das hat zur
Folge, daß die Reformbereitschaft, die wir in Deutschland dringend benötigen, um auch beim Problem der
Gesundheitsvorsorge voranzukommen, auf der Strecke
bleibt.
({3})
Es ist doch ganz klar: Wer sich im Gesundheitsbereich nur an der Finanzlage orientiert und nicht an dem,
was medizinisch notwendig ist, muß scheitern.
({4})
Das ist im Grunde genommen auch unsere Kernkritik an
dem, was Sie jetzt im Gesundheitsreformgesetz vorgelegt haben. Sie richten sich nicht nach dem, was medizinisch notwendig ist, sondern nach dem, was irgendwie
einer bestimmten, von Ihnen definierten Kassenlage entspricht. Sie legen Ausgabenobergrenzen fest, und Sie
würgen damit letztlich Entwicklungen ab, die im Interesse der Menschen notwendig sind. Dies führt zu neuen
Ungerechtigkeiten. Es ist auch mit zusätzlicher Bürokratie verbunden. Das halten wir für falsch.
Aus eben diesem Grunde werden wir die Gesundheitsreform, so wie Sie sie jetzt vorgelegt haben, nicht
mitmachen. Wir werden sie nicht mitmachen, weil sie in
die Irre führt. Es wäre völlig töricht, wenn wir in einen
Zug mit einstiegen, der in die falsche Richtung fährt.
Das können Sie von uns nicht verlangen. Die Menschen
erwarten von uns, daß wir hier Widerstand leisten.
({5})
Sie machen eine Gesundheitspolitik zu Lasten der
Kassenpatienten. Sie machen eine Gesundheitspolitik zu
Lasten derjenigen, die krank sind, und Sie machen eine
Gesundheitspolitik zu Lasten derjenigen, die die Hilfe
benötigen. Letztlich läuft es auf eine Zweiklassenmedizin hinaus.
Das Thema, das heute ansteht, daß Sie mittlerweile
Beitragszahler anders behandeln als diejenigen, die keine Beiträge zahlen, ist eine ganz neue Prägung der
Zweiklassenmedizin. Das ist nicht in Ordnung, und das
werden wir auch nicht mitmachen.
({6})
Herr Kollege Kues,
Ihre Redezeit ist zu Ende.
Mein letzter Satz:
Wir wollen Ausgaben gemäß dem medizinischen Bedarf
und nicht nach Kassenlage, wir wollen Transparenz statt
Bürokratie, und wir wollen Wahlmöglichkeiten statt Bevormundung durch Kassenfunktionäre.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Brigitte Lange, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Berlin ist Wahlkampf, und der
CDU scheinen die Argumente auszugehen.
({0})
Soviel schändlichen Unsinn, wie Sie ihn hier verzapft
haben, hört man selten in fünf Minuten. Er ist deswegen
schändlich, Herr Kues, weil Sie es besser wissen müßten.
({1})
Es ist für keine Partei gut, Wählerinnen und Wählern
das Falsche zu erzählen und den Zorn gegen bestimmte
Gruppen zu richten.
({2})
Die Überschrift dieser Aktuellen Stunde lautet ganz
allgemein: „Geringere Leistungsansprüche gesetzlich
Krankenversicherter gegenüber Sozialhilfeempfängern,
Asylbewerbern und Strafgefangenen ...“ Daß Sie jetzt
versuchen, das auf den Arznei- und Heilmittelbereich
einzuengen, macht die Sache nicht besser. Falsch ist
alles.
({3})
Schauen wir einmal in die Geschichte bzw. in die Gesetzeslage: Sie beklagen hier, daß der Auftrag des SGB
V, Sozialhilfeempfänger über die Sozialhilfeträger in die
Krankenversicherung einzubeziehen, nicht geglückt ist.
Minister Seehofer hat ja damals einen entsprechenden
Vorschlag gemacht. Er hat mit den Ländern darüber diskutiert. Dieser Vorschlag ist dann nicht angenommen
worden, weil die Datenlage sehr unterschiedlich und
nicht gut belegt war. Die Umsetzung hat dann nicht geklappt. Es ist schade, daß das nicht gelungen ist.
({4})
Wenn es gelungen wäre, hätten wir es leichter. Wenn
Sie heute sagen würden: „Schade, daß das in unserer
Regierungszeit nicht gelungen ist“, würde ich Ihnen
zustimmen.
({5})
Sie beklagen, daß durch das von Ihnen in der letzten
Legislaturperiode beschlossene Reformgesetz, das sogenannte 2. GKV-Neuordnungsgesetz - für alle, die sich
nicht auskennen, ist hinzuzufügen, daß das für die Patienten eine Verschärfung der Bedingungen bedeutete: Sie
mußten beim Erhalt von Medikamenten sowie bei Krankenhaus- und Kuraufenthalten höhere Zuzahlungen leisten -, Menschen, die Sozialhilfe bezogen und nicht versichert waren,
({6})
möglicherweise weniger davon abgehalten wurden, zum
Arzt zu gehen, wenn sie krank waren, als Versicherte,
die keine Sozialhilfe bezogen und nachgerechnet hatten,
was sie hätten zuzahlen müssen. Das mag so sein. Das
beklage auch ich. Sicherlich hat aber Ihr damaliges
Gesetz dazu beigetragen, daß die Kommunen durch
erhöhte Zuzahlungen und Sozialhilfemittel belastet wurden. Dies ist keine gute Lösung - weder für die Patienten noch für die Kommunen.
Sie wissen im übrigen ganz genau, daß die Krankenhilfe, die nicht versicherte Sozialhilfeempfänger bekommen, den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung genau entspricht und daß bei allen das Prinzip
gilt, daß sie Anspruch auf ausreichende und zweckmäßige Leistungen haben. Sie erhalten nicht mehr. Sie bekommen keinen Luxus. Es ist nicht so, daß Sozialhilfeempfänger jede Arztleistung in Anspruch nehmen können. Es ist auch nicht so, daß ein Sozialamt ungeprüft
Rechnungen bezahlt; vielmehr wird über den Amtsarzt
genau festgelegt, welche Behandlung angemessen ist.
Ich denke, wir alle sind uns einig, daß wir keinem Menschen in unserem Lande eine zweckmäßige und ausreichende Behandlung versagen wollen.
({7})
Ihre Vorstellung, daß wir die Leistungen für Sozialhilfeempfänger budgetieren müßten, finde ich etwas
abenteuerlich. Denn diese Leistungen bezahlt das Sozialamt. Ich betone es noch einmal: Es wird kein Luxus
geboten, sondern genau die Leistungen, die jemand, der
gesetzlich versichert ist, auch in Anspruch nehmen kann.
Ganz abenteuerlich wird es, wenn Sie auf Asylbewerber abheben. Sie sollten sich daran erinnern - Sie
sollten zuhören, damit Sie den von Ihnen dargestellten
Blödsinn nicht weiter erzählen -,
({8})
daß für alle diejenigen, die hier um Asyl bitten, über deren Antrag noch nicht entschieden worden ist und die
aus irgendwelchen Gründen noch nicht nach Hause gehen können, und für Bürgerkriegsflüchtlinge nur nochmals eingeschränkte Leistungen gelten. Sie erhalten ausschließlich bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen Leistungen und Zahnersatz nur dann, wenn er
unaufschiebbar ist. Das heißt: Die Leistung für diese
große Personengruppe liegt noch weit unter der Leistung, die alle anderen bekommen.
({9})
Wer an Anhörungen zu diesem Thema teilgenommen
hat, wird sich daran erinnern, daß sich Ärzte vehement
dagegen gewehrt haben, so verfahren zu müssen, weil es
nämlich nicht ihrem ärztlichen Eid entspricht.
({10})
Wir bringen Ärzte damit in eine ganz unangenehme
Situation. Hören Sie also auf, Menschen einzureden, daß
alle anderen gegenüber den gesetzlich Krankenversicherten bevorzugt werden! Das ist schlichtweg gelogen.
Ich finde es schlimm, auf diese Art und Weise Wahlkampf zu machen.
({11})
Dasselbe Spielchen treiben Sie mit Strafgefangenen.
Was wollen Sie eigentlich damit erreichen? Auch diese
Personengruppe bekommt nur die notwendige Behandlung. Soll man einem Patienten mit offener Tb oder
einem HIV-Erkrankten keine angemessene Behandlung
zukommen lassen? Was wollen Sie eigentlich? Diese
Patienten müssen die Medikamente bekommen, die sie
brauchen.
({12})
- Was ist eigentlich Ihr Thema?
({13})
Es ist nicht wahr, was Sie sagen.
Ich sage Ihnen zum Abschluß: Wäre es nicht besser,
wenn wir alle gemeinsam diejenigen Ärzte, die sorgsam
mit dem Budget umgehen und die Medikamente verschreiben, die genauso wirksam, aber preiswerter sind,
in ihrem Tun unterstützen?
Frau Kollegin, Sie
müssen zum Schluß kommen.
Wäre es nicht besser, den Patientinnen und Patienten zu sagen: „Ihr braucht keine
Angst zu haben, weil das andere Medikament die gleichen Wirkstoffe hat“? Lassen Sie uns gemeinsam in diese Richtung arbeiten! Ich hätte etwas anderes von Ihnen
erwartet, als gerade im Wahlkampf Vorurteile zu verstärken.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Detlef Parr, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! „Lachen allein macht nicht gesund.“ Unter
diesem Motto demonstrierten vor wenigen Tagen über
25 000 Menschen im Rahmen des „Bündnisses Gesundheit 2000“ gegen die Gesundheitsreform. Sie spielten
damit vielleicht auf Roncalli an, den Patienteninformationszirkus, den Sie, Frau Ministerin, vor wenigen Monaten als ersten Veranstaltungsort Ihrer Aufklärungskampagne gewählt haben.
({0})
Leider sind, Frau Schmidt-Zadel, die dort vorgeführten
Kunststücke nicht nach dem Geschmack der Betroffenen. Bei näherem Hinsehen vergeht den am Gesundheitswesen Beteiligten das Lachen in starkem Maße.
Vielleicht hätte man einen anderen Veranstaltungsort
wählen sollen. Man hätte in das Kabarett-Theater „Bar
jeder Vernunft“ in Wilmersdorf gehen sollen.
({1})
Dieser Name hätte besser gepaßt; denn bar jeder Vernunft sind die Grundlagen dieser Gesundheitsreform,
über die wir schon lange diskutieren, zum Beispiel die
Deckelung der Ausgaben über ein Globalbudget, das
jetzt zur Debatte steht.
Der Widersinn der Budgetierung wird an dem heute
verhandelten Sachverhalt besonders deutlich. Nur weil
die Bundesregierung die Gesundheitsausgaben um jeden
Preis budgetieren will, entsteht die Situation, daß gesetzlich Versicherte dem Budget und damit auch der
Einschränkung von Gesundheitsleistungen unterliegen,
Sozialhilfeempfänger aber nicht.
Auch wenn man natürlich nicht vergessen darf, daß
Asylbewerber laut § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes an Gesundheitsleistungen ohnehin nur das bekommen, was unabwendbar ist - diesen Punkt haben Sie,
Frau Kollegin Lange, schon erwähnt -, und daß bei Sozialhilfeempfängern und bei Strafgefangenen nur das
geleistet wird, was notwendig ist: Sie können unseren
Bürgerinnen und Bürgern nicht erklären, warum diese
auf Grund des Aktionsprogrammes der Ärzte, der Krankenkassen und des Bundesgesundheitsministeriums von
Behandlungseinschränkungen betroffen sind, andere
Gruppen aber nicht.
Deshalb ist es gut, daß wir heute in der Aktuellen
Stunde an diesem Beispiel den ganzen Widersinn der
Reform deutlich machen und konkret belegen können.
Wir müssen den Patientinnen und Patienten darlegen,
daß Zuteilungsmedizin und Behandlungseinschränkungen das Ergebnis der beabsichtigten staatlichen Planwirtschaft sind, statt daß die Eigenverantwortung des
einzelnen gestärkt wird und der mündige Patient an Entscheidungsprozessen kompetent beteiligt wird.
({2})
- Frau Fuchs, das ist das Thema,
({3})
weil genau das, was die CDU/CSU-Fraktion auf die Tagesordnung gesetzt hat, die Folge ist.
({4})
- Nein, das alles hängt zusammen. - Auch den Patienten wird langsam klar, Frau Fuchs, daß sie das Wahlgeschenk einer geringfügigen Rücknahme der Zuzahlungen am Ende teuer bezahlen. Viele Medikamente
werden durch die Positivliste nicht mehr auf Rezept zu
haben sein. Das sogenannte Benchmarking - auch diesen Punkt will ich erwähnen - wird ein Weiteres dazu
tun, die Arzneimittelversorgung deutlich zu verschlechtern. Das müssen wir den Menschen immer wieder sagen, auch wenn es Ihnen nicht gefällt.
({5})
Wer ohne Ansehung der regionalen Besonderheiten einfach das untere Drittel der Arzneimittelausgaben für alle
Menschen gleich vorgibt, der handelt dilettantisch.
({6})
Die regionalen Budgetverhandlungen sollen sich nämlich an dem Mittelwert der drei Gebiete Deutschlands
mit den niedrigsten Pro-Kopf-Arzneimittelausgaben orientieren. Damit steht für uns und viele Fachleute fest:
Die Qualität der Versorgung der Patienten ist sehr wohl
gefährdet. In der Konsequenz bewirkt das in den Regionen, in denen der Gesundheitszustand der Menschen ohnehin schon schlechter ist als anderswo, eine starke Herabsetzung des Arzneimittelbudgets und damit eine weitere Verschlechterung der Volksgesundheit. Diese Form
der Ausgabenbegrenzung könnte in einem Kellertreppeneffekt enden, wenn sich die Regionen mit den geringsten Arzneimittelausgaben abwechseln und somit
das Budget immer weiter heruntergeschraubt wird.
Meine Damen und Herren, die Erkenntnis, daß die
Kollektivhaftung der Ärzte für Budgetüberschreitungen
ein überholtes, ungerechtes und ungeeignetes Mittel der
Ausgabenbegrenzung ist, scheint sich so langsam auch
in Regierungskreisen breitzumachen. Wie Sie, Frau Ministerin, allerdings Ihr Richtgrößenkonzept, das langsam
bekannt wird, unter Budgetbedingungen umsetzen wollen, ohne dabei letztendlich wieder die Allgemeinheit
für Überschreitungen haftbar zu machen, bleibt uns
schleierhaft. Das gilt letztlich für das ganze Konzept des
Globalbudgets.
({7})
- Herr Dreßler, wir sind hier anderer Meinung; das müssen Sie ertragen. - Aus Planwirtschaft wird Mangelverwaltung. Wir wollen nicht mehr Staat und immer mehr
Dirigismus, sondern weniger Staat und mehr Eigenverantwortung beim einzelnen.
({8})
Die Budgetierung ist das schwankende Fundament,
auf dem Sie eine Gesundheitsreform aufbauen, die nicht
halten wird. Das Beispiel von heute ist besonders kurios,
aber nur eines von vielen für die negativen Auswirkungen, die diese Reform haben wird.
Aus der „Süddeutschen Zeitung“ von gestern ist Marc
Hujer zu zitieren. Er schreibt:
An den Erfolg der Gesundheitsreform, die nur noch
auf mehr Staat setzt, glaubt niemand mehr.
Dies steht unter der Überschrift: „Andrea Fischer verrennt sich“.
Zu Beginn der Parlamentsdebatten über die Gesundheitsreform hatte ich Robert Musil zitiert: Sie irren vorwärts. - Mit zunehmender Beratungsintensität wird dieser Eindruck immer deutlicher bestätigt.
({9})
Als nächster erteile
ich der Kollegin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Kollege Kues! Sehr geehrter Herr
Parr! Ich hätte erwartet, daß Sie so viel parlamentarische
Korrektheit haben, den Mut aufzubringen und zu sagen,
daß Sie eine Diskussion über das Globalbudget und die
Gesundheitsstrukturreform führen möchten. Ich hätte
nicht erwartet, daß Sie so feige sind, auf Asylbewerberinnen und Asylbewerber abzustellen und eine Sozialneidkampagne daraus zu machen.
({0})
Darüber rege ich mich wirklich auf. Eine seriöse, ökonomisch korrekte, emanzipatorische Debatte über die
Ziele und Wege der Gesundheitsstrukturreform aber begrüße ich jederzeit.
({1})
Was haben wir in der letzten Legislaturperiode hier
im Bundestag erlebt, Herr Seehofer? Ich nenne nur das
Asylbewerberleistungsgesetz. Man hat Menschen, die
aus begründeten Anlässen hier leben, Leistungen der
Gesundheitsversorgung vorenthalten, obwohl es unserer
Gesellschaft nicht würdig ist, sie davon auszunehmen.
({2})
So ist es gewesen. Allein allerschwierigste Krankheitsbilder und Schmerzzustände, im Grunde genommen
äußerst krisenhafte Lebenssituationen sollten diese Menschen berechtigen, an unserem Versorgungssystem
teilzuhaben. Das waren die Seehoferschen Zeiten. Da
wurde viel Sozialneid geschürt.
Worüber ich allerdings staunen mußte, Herr Kues,
war, daß Sie in Ihren Darstellungen kein einziges
belastbares Argument angeführt haben.
({3})
Wie sieht denn die Realität aus? Der größte Teil der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger ist gesetzlich
krankenversichert. Daß ein Teil nicht gesetzlich krankenversichert ist, hat viel damit zu tun, daß man mit den
Ländern nicht zu einer Regelung gekommen ist, alle
Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger in die gesetzliche Krankenversicherung einzubeziehen.
({4})
Dieses Problem konnten Sie nicht lösen. Aber wir sagen
nicht, daß dies objektiv kein Problem darstellt. Man arbeitet
weiterhin daran. Aber wenn Sie sagen, daß die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger, die nicht gesetzlich
versichert sind, Objekte der Bereicherung der niedergelassenen Ärzteschaft sind, dann allerdings hoppla!
({5})
Sie unterstellen den niedergelassenen Ärztinnen und
Ärzten, daß sie mit Sozialhilfeempfängerinnen und
-empfängern Reibach machen! Ich muß doch sehr staunen, wie weit Sie da gehen.
Eigentlich - so offenbart es sich - haben Sie in der
Rolle der Opposition den Zielen - Integration, Ausbau,
Verstetigung und Verstärkung des Solidarprinzips in der
gesetzlichen Krankenkasse, Qualitätssteigerung, mehr
sektorenübergreifende Kooperation - gar nichts entgegenzusetzen.
({6})
Das ist Ihr großes Problem. Ich streite mich sehr gerne
darüber, ob die Instrumente richtig gewählt sind usw.
({7})
Aber worüber ich mich aufrege und wobei ich nicht
mitmache, ist die Tatsache, daß Sie hier eine Sozialneidkampagne initiieren wollen.
({8})
Das Wort hat nun
Kollege Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Über das von der Bundesregierung vorgesehene Generalbudget muß man selbstverständlich diskutieren.
Wir teilen die vielfach geäußerte Kritik, die daran geübt
wird. Man kann ein Gesundheitswesen, eine Gesundheitsstruktur nicht auf Kosten von Ärztinnen und Ärzten,
Schwestern, Patientinnen und Patienten reformieren.
({0})
Aber ich sage genauso deutlich: Das gehört in eine Debatte über die Gesundheitsstrukturreform und nicht in
eine Aktuelle Stunde.
({1})
Aber darum geht es der CDU/CSU-Fraktion nicht.
Es ist nicht so - das will ich als zweites feststellen -,
daß ich nicht akzeptiere, daß der Bundestag auch für
Wahlkampfzwecke benutzt wird.
({2})
- Nein, ich sage ja nicht, daß ich das nicht akzeptiere.
Das versuchen zu gegebener Zeit alle Fraktionen - mit
mehr oder weniger Erfolg. Das ist einfach so. Aber ich
finde, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
man darf dabei eine Grenze nicht überschreiten, und die
haben Sie überschritten.
({3})
- Nein, die setze nicht ich, sondern die setzt Art. 1 des
Grundgesetzes, und den verletzen Sie. Was Sie hier
machen, ist eine ganz miese Kampagne.
({4})
Sie hätten ja auch schreiben können: „Geringere Leistungsansprüche gesetzlich Krankenversicherter gegenüber denjenigen, bei denen der Staat für die Kosten haftet“, aber Sie benennen extra drei Gruppen. Die Absicht
ist doch deutlich.
({5})
Diese Situation im Berliner Wahlkampf zu nutzen, um
noch einmal Stimmung zu machen gegen die Ärmsten in
der Gesellschaft - die Sozialhilfeempfängerinnen und
Sozialhilfeempfänger, die Asylbewerberinnen und Asylbewerber und die Strafgefangenen -, ist Ihr einziges
Ziel. Sonst hätten Sie diese Aktuelle Stunde nicht gebraucht, denn die eigentliche Debatte steht an.
({6})
Ich sage Ihnen: An einem solchen miesen Wahlkampf
beteiligen wir uns nicht. Auf dieses Niveau lassen wir
uns nicht herunterziehen.
({7})
Deshalb werde ich dazu auch nicht mehr sagen, als daß
Sie nicht einmal die deutsche Sprache beherrschen.
Sonst hätten Sie nämlich das Thema ganz anders nennen
müssen. Sie behaupten hier im Ernst, es gebe geringere
Leistungsansprüche gesetzlich Krankenversicherter „gegenüber“ Sozialhilfeempfängern etc. Diese haben denen
gegenüber aber keine Ansprüche.
({8})
Sie meinen etwas völlig anderes, nämlich wahrscheinlich
({9})
„im Vergleich zu“, „gegenüber der Versicherung“ oder
„gegenüber dem Staat“; Aber daß Sie das so hingehauen
haben, daß der Satz nicht einmal stimmt, beweist, daß Sie
nur ein einziges Ziel hatten, nämlich auf der Grundlage
der Diffamierung der Schwächsten in der Gesellschaft
Wahlerfolge zu erzielen. Da machen wir nicht mit!
({10})
Das Wort hat der
Kollege Heinz Schemken, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben hier keine Germanistikstunde,
({0})
sondern eine Aktuelle Stunde, in der es um eine wichtige Sache geht. Vorab möchte ich erklären, daß das Bundessozialhilfegesetz ein Kind der CDU/CSU-Fraktion
aus den 60er Jahren ist, daß wir dazu stehen und daß
das, was im Bundessozialhilfegesetz verankert ist, einen
Rechtsanspruch begründet. Trotzdem muß man sich mit
Gefühlslagen auseinandersetzen,
({1})
- zu den Gefühlslagen werde ich schon noch etwas sagen -, um genau das zu verhindern, was soeben gesagt
worden ist, nämlich daß hier eine Neidkampagne aufgezogen werde.
({2})
Die Position der CDU/CSU im Gesundheitswesen ist
eindeutig: Wir wollen die Eigenverantwortung stärken.
({3})
Rotgrün bringt die Budgetierung. Das bedeutet am Ende
die Rationierung. Das wollen wir nicht. Sie, Rotgrün,
haben durch das „Aktionsprogramm im Gesundheitswesen“ und das Gesetzesvorhaben, das auf dem Tisch liegt,
({4})
die Eigenverantwortung zurückgenommen.
({5})
Dies ist - das muß ich Ihnen sagen - ein Dilemma, das
sich die Regierungskoalition selber geschaffen hat
({6})
und aus dem sie so schnell nicht wieder herauskommt.
({7})
Dies gilt sowohl für den ambulanten als auch für den
stationären Bereich.
({8})
Wir haben gerade durch die Härtefall- und durch die
Überforderungsklausel die medizinisch notwendigen Leistungen für jeden gesichert und möglich gemacht. Das
war immer unser Prinzip. Wir wollen eben keine Zweiklassengesellschaft in der Gesundheitsvorsorge einführen.
({9})
Am vergangenen Sonntag stand in einem Pressebericht der „Welt am Sonntag“ - ich zitiere; lasten Sie das
durch Ihre Vorurteile bitte nicht mir an -,
({10})
Sozialhilfeempfänger,
({11})
deren Gesundheitskosten direkt von den Sozialämtern
abgerechnet werden, bekommen bessere und teurere
Medikamente.
({12})
- Ich habe zitiert. Entschuldigung, ich darf doch wohl
zitieren.
({13})
- Entschuldigen Sie mal! Der Grund ist eben diese Gefühlslage. Da kommt es darauf an, daß wir den Bürgern
draußen etwas sagen.
({14})
Liebe Kollegen, lassen Sie doch den Kollegen Schemken zu Wort kommen!
Er hat es doch.
Grund dafür könnte
in Zukunft auch die Arznei- und Heilmittelbudgetierung
sein, weil sie den Krankenversicherten möglicherweise
in die schwierige Lage bringt, daß er die gewünschte
Leistung nicht bekommt. Dies ist die Lage, die wir ganz
nüchtern sehen müssen. Hier gilt es nicht zu kritisieren,
daß die Leistungen erbracht werden. Hier gibt es überhaupt nichts zu kritisieren. Wer sagt denn das?
({0})
Allerdings müssen wir feststellen, daß zwischen den
Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern, die gesetzlich versichert sind, und denen, die nicht versichert
sind, ein Unterschied besteht.
({1})
Das alleine schon ist eine Diskriminierung unter denen,
die in gleicher Lage sind:
({2})
Der eine hat Zutritt zum Gesundheitswesen über seine
Versicherung, der andere über die steuerfinanzierte
Sozialhilfe. Das muß man hier einmal feststellen.
({3})
Damit die Zahlen und die Betroffenheit hier keine
Rolle spielen - das sage ich bewußt an die Adresse von
Herrn Gysi; er ist nicht mehr da; vielleicht ist er schon
wieder im Wahlkampf -, darf ich die Regierung bitten,
Aufklärung über diesen Tatbestand herbeizuführen, da
insbesondere die örtlichen Träger der Sozialhilfe hier in
einer besonderen Weise belastet sind und zukünftig
durch entsprechende Gesetze noch stärker belastet werden. Es wäre sinnvoll - ich wiederhole es -, hier Aufklärung zu betreiben. Das heißt nicht, daß hier eine Diskriminierung stattfinden soll.
Es darf nicht sein - das sage ich ganz offen -, daß der
Rentner, der Arbeiter und auch der in der Beitragszahlung befindliche Sozialhilfeempfänger anders behandelt
werden als der, der über den steuerlichen Sektor, über
den Rechtsanspruch nach dem BSHG, abgesichert ist ({4})
was richtig ist; woher sollte er sonst die Absicherung
bekommen?
({5})
Deshalb bitte ich, diese Aktuelle Stunde so zu verstehen, daß wir Klarheit über den Handlungsbedarf - da
besteht Handlungsbedarf - schaffen wollen,
({6})
um Auskunft über diesen Tatbestand geben zu können,
zumal das große Gesetzesvorhaben uns wie auch die
Bürger in nächster Zeit in hohem Maße beschäftigen
wird. Sonst könnte Sozialneid entstehen, insbesondere
dann, wenn wir ungeordnete Verhältnisse haben.
Schönen Dank.
({7})
Das Wort hat nun die
Kollegin Regina Schmidt-Zadel, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Schemken, bezüglich
Ihrer Rede zum Thema Zweiklassengesellschaft muß ich
sagen: Wir sind gerade dabei, die Zweiklassengesellschaft im Gesundheitswesen, die Sie haben entstehen
lassen, abzubauen.
({0})
Das war Ihr Werk. Sie haben in der vergangenen Legislaturperiode eine Zweiklassengesellschaft herbeigeführt.
Ich muß Ihnen sagen: Sie können weder lesen, noch
können Sie die Dinge richtig aufnehmen. Sonst würde
Ihre Begründung anders aussehen.
({1})
Sie scheinen zur Zeit keine Gelegenheit auslassen zu
wollen, um mit eilig beantragten Aktuellen Stunden vor
dem Wahlsonntag Stimmung zu machen.
({2})
Natürlich ist klar, daß der Zeitungsbericht vom Sonntag
- ich möchte den Namen der betreffenden Zeitung gar
nicht nennen - über die angebliche Bevorzugung von
Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern
Sie gereizt hat, vor der Wahl in Berlin eine Aktuelle
Stunde dazu durchzuführen. Sie haben wohl den Eindruck, daß Sie heute zwei Fliegen mit einer Klappe
schlagen können: Zum einen haben Sie die Gelegenheit,
gegen die Gesundheitspolitik der Koalition zu polemisieren, zum anderen können Sie Ihre alten Klischees von
vermeintlich gut gestellten Sozialhilfeempfängerinnen
und -empfängern aus der Mottenkiste holen und sie um
eine neue Variante bereichern.
({3})
- Es nützt nichts, wenn Sie laut schreien. Sie sollten das
besser wissen. Das ist der Punkt.
Sie drängen den Menschen den Eindruck auf, als ob
die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger, faul in
der sozialen Hängematte liegend jetzt auch noch teure
Edelmedikamente schlucken dürfen, während der normale Arbeitnehmer mit billigen Generika vorliebnehmen
muß. Meine Damen und Herren, eine solch perfide
Kombination aus Sozialneidkampagne und Gesundheitsreformprotest verschlägt einem wirklich die Sprache.
({4})
Daß Sie aber noch nicht einmal davor zurückschrecken,
Sozialhilfeempfängerinnen bzw. -empfänger und Arbeitnehmer gegeneinander auszuspielen, um gegen die
Gesundheitsreform Front zu machen, finde ich wirklich
ein ganz starkes Stück. Sie sollten sich schämen, daß Sie
dies heute hier machen!
({5})
Herr Schemken, während Ihrer Rede hatte ich den Eindruck, daß Sie sich dessen, was Sie hier veranstalten, bereits geschämt haben.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie
stützen sich auf den Bericht einer Zeitung. Lassen Sie
sich folgendes gesagt sein: So, wie diese Zeitung die
Wirklichkeit gerne darstellt, ist sie nicht. Hier wird aufgebauscht. Das ist der Punkt. In Wahrheit besteht überhaupt kein Problem. Tatsache ist - hören Sie jetzt gut
zu; vielleicht begreifen Sie es ja noch -:
({7})
Das gemeinsam von der Kassenärztlichen Vereinigung,
den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem
BMG vereinbarte Aktionsprogramm sieht keinerlei Leistungseinschränkungen vor.
({8})
Ziel der Vereinbarung ist es, das Arzneimittel- und
Heilmittelbudget einzuhalten, indem bestehende Möglichkeiten zur Ausschöpfung vorhandener Einsparpotentiale genutzt werden.
({9})
Worin soll eigentlich der vermeintliche Vorteil für
den geringen Anteil der Sozialhilfeempfängerinnen und
Sozialhilfeempfänger bestehen, der nicht Mitglied der
gesetzlichen Krankenversicherung ist? Meine Vorredner
und Vorrednerinnen und ich vermögen hier keinen Vorteil zu sehen,
({10})
zumal dann nicht, wenn der behandelnde Arzt in Kenntnis der Wirkungsgleichheit auch bei dieser Patientengruppe Generika statt Originalpräparaten verordnet.
({11})
Täte er es nicht, wäre die Bevorzugung eines Sozialhilfeempfängers bewiesen. Es wäre wieder einmal ein
Beleg dafür erbracht, wie unwirtschaftlich - das unterstellen Sie - das Verordnungsverhalten einiger Ärzte
ist. Es wäre wirklich sehr interessant zu erfahren, in
welchen Praxen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger demnächst gern gesehene Patienten sein werden.
({12})
Der größte Teil der Sozialhilfeempfängerinnen und empfänger - das dürfte auch bis zu Ihnen vorgedrungen
sein - ist in der GKV versichert. Ihre Medikation wird
bis Ende dieses Jahres gemäß dem Aktionsprogramm
erfolgen.
({13})
Meine Damen und Herren von der Union, Ihr Gerede
von der Bevorteilung der Sozialhilfeempfänger ist eine
Seifenblase, die schnell zerplatzt, eine Spitzfindigkeit,
die mit der Realität in Arztpraxen und Sozialämtern
nichts zu tun hat. Es ist nichts anderes als der populistische Versuch, mit plumpen Klischees über Sozialhilfeempfänger gegen die Gesundheitspolitik der Koalition
Stimmung zu machen und Vorurteile zu schüren. Daß
Sie dies im Hinblick auf die Ereignisse der letzten
Wochen und des letzten Sonntags tun, finde ich besonders perfide.
Sie sollten sich wirklich schämen - ich muß es noch
einmal sagen -,
({14})
daß Sie eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt haben.
({15})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Aribert Wolf, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die Debatte zeigt eigentlich, in
welch falscher Denke sich die Kolleginnen und Kollegen von Rotgrün befinden. Es geht überhaupt nicht darum, daß wir jemandem das, was er hat, nehmen wollen,
so wie Sie das dauernd vorbringen, daß wir Sozialhilfeempfängern etwas wegnehmen möchten,
({0})
ganz im Gegenteil. Für uns geht es nicht darum, Stimmung gegen jemanden zu machen, sondern wir wollen
den gesetzlich Krankenversicherten mindestens die Versorgung zur Verfügung stellen, die auch Sozialhilfeempfängern zur Verfügung gestellt wird.
({1})
Das ist das Thema.
Ich frage mich, wie weit es gekommen ist, wenn wir
in bezug auf die medizinische Versorgung den Menschen nicht mehr das Gefühl geben, daß sie gut versorgt
werden, wenn die Politik in eine solche Schieflage gerät,
daß viele Menschen draußen das Gefühl haben: Wir
schreiten weiter auf dem Weg in einen unsozialen Sozialstaat. Sie können es doch niemandem begreiflich
machen, daß ein Sozialhilfeempfänger besser versorgt
werden soll als 90 Prozent der Bevölkerung, die in der
gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind.
({2})
Das müssen Sie sich natürlich vorhalten lassen. Denn
schließlich ist Ihr Kanzler ja mit dem hehren Wort angetreten, er wolle nicht alles anders, aber vieles besser
machen. Wir wollen heute gar nicht vom Rentenbetrug
reden, den der Kanzler inzwischen selber einräumt und
für den er sich jetzt entschuldigt hat. Damit kann es
natürlich nicht sein Bewenden haben. Vielmehr muß
man auch über die Bereitschaft verfügen, eine falsche
Politik zu korrigieren. Wir wollen auch nicht davon
reden, daß in der Pflegeversicherung durch einen beispiellosen Sozialraub den Pflegeversicherten der Spargroschen genommen wird.
({3})
Nein, wir wollen den Blick auf die Krankenversicherung lenken. Hier haben Sie in einem Jahr verflixt viel
zerstört und kaputtgemacht.
({4})
Begeben Sie sich doch einmal nach draußen, auf die
Straßen! Sind Sie wirklich so weit weg von der Bevölkerung? Eine Demonstration jagt die nächste. Alle protestieren gegen Ihre Gesundheitsreform in seltener Einhelligkeit:
({5})
Ärzte, Krankenschwestern, Zahnärzte, Pfleger,
({6})
Krankengymnasten, Apotheker, Patienten. Glauben Sie
denn im Ernst, daß Sie auf Dauer gegen den versammelten medizinischen Sachverstand und gegen den gemeinsamen Widerstand der Bürger regieren können?
Wie weit wollen Sie sich eigentlich noch von der
Lebenswirklichkeit entfernen? Ihr Kanzler gibt jetzt die
Parole aus: Helm auf und durch. Er raucht zwar nicht
mehr ganz so dicke Zigarren und trägt auch nicht mehr
so edle Tücher, aber es geht doch immer noch weiter in
die falsche Richtung.
Auch im Gesundheitswesen reicht es nicht aus, wenn
Sie die Verbände nur anhören; Sie müssen auch bereit
sein, Ihre falsche Politik zu korrigieren.
({7})
Das Schlimmste, was Sie mit Regelungen wie der Budgetierung bewirken, ist der fatale Ansehensverlust der gesetzlichen Krankenversicherung. Hören Sie sich einmal in
Ihren Wahlkreisen um und finden Sie heraus, was die
Menschen denken, wenn sie sagen: Ich bin bei einer
AOK, einer BKK, einer IKK oder einer Ersatzkasse versichert. Viele Menschen haben auf Grund Ihrer Politik
heute schon das Gefühl, sie hätten nur noch Anspruch auf
eine minderwertige Versorgung. Das kommt ja nicht von
ungefähr; das sind die direkten Folgen ihrer Reglementierungs- und Budgetierungspolitik. Wie wollen Sie denn
den Menschen klarmachen, daß jemand, der hart arbeitet,
der Monat für Monat seine Beiträge einzahlt, am Schluß
dank Ihrer Arznei- und Heilmittelbudgetierung schlechter
versorgt wird als ein Sozialhilfeempfänger?
Am Anfang konnte ich es gar nicht glauben, was ich
da in den Zeitungen lesen mußte.
({8})
Ich habe extra noch einmal nachgefragt, bei Ärzten und
in den Sozialämtern.
({9})
- Ja, sie haben mir bestätigt, daß es leider traurige
Wirklichkeit ist, daß heute ein Sozialhilfeempfänger,
dessen Kosten direkt von den Sozialämtern übernommen werden, nicht unter das Arznei- und Heilmittelbudget fällt.
({10})
- Ja, „das ist logisch“, aber doch falsch, oder? Ist das
vielleicht der richtige politische Weg? Darum geht es
doch!
Der Sozialhilfeempfänger wird damit medizinisch
mehr und besser als ein gesetzlich Krankenversicherter
versorgt. Das ist die traurige Lebenswirklichkeit nach
einem Jahr Rotgrün in Deutschland.
({11})
Deswegen meine ich: Eine solche Politik ist armselig.
({12})
Mit sozialer Gerechtigkeit und richtigem Sparen hat das
nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun.
({13})
Sie müssen erkennen: Ihre Reglementierungs- und Budgetierungspolitik führt in eine Sackgasse. Sie sind auf
dem Holzweg.
({14})
Sie sollten endlich die Kraft aufbringen, umzukehren
und Ihre Politik zu korrigieren, und nicht dauernd nur
dazwischenrufen. Das ist das richtige Rezept, mit dem
Sie die Probleme lösen können.
({15})
Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie mit den Rezepten von gestern und vorgestern die Probleme von
heute und morgen lösen können.
Die richtige Devise im Gesundheitswesen muß heißen: mehr Freiheit und mehr Eigenverantwortung. Trauen Sie den Versicherten doch etwas zu. Geben Sie den
gesetzlich Versicherten Wahlmöglichkeiten in der Krankenkasse.
({16})
Geben Sie den Krankenkassen mehr Spielraum für unterschiedliche Versorgungsangebote. Geben Sie den
Leistungserbringern ein Signal, daß wissenschaftlicher
und medizinischer Fortschritt willkommen ist und wir
den Einsatz der Gesundheitsberufe zur Verbesserung
unserer Lebensqualität dringend brauchen. Hören Sie
endlich auf, in Ihrem Wahn alles staatlich regeln zu
wollen. Geben Sie den Beteiligten und den Selbstverwaltungen mehr Luft! Wir von der Union sind bereit,
dabei mitzuhelfen, aber - das ist der Punkt - nicht unter
den Bedingungen eines Globalbudgets und nicht um den
Preis, die gesetzliche Krankenversicherung unter das
Niveau der Sozialhilfe zu drücken.
({17})
Ich bedanke mich bei meinen Kollegen dafür, daß wir
dies ansprechen können, damit die Öffentlichkeit erfährt, welch falsche Politik Sie hier betreiben.
({18})
Ich erteile das Wort
Bundesministerin Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist das
gute Recht eines jeden, gegen die Gesundheitsreform zu
sein. Es ist das gute Recht der parlamentarischen Opposition, jede Woche neu eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema zu beantragen; wir werden das jede Woche neu
erklären. Wenn es Ihnen um die Sache geht, machen wir
da mit, denn das gehört dazu.
In derselben Zeitung, in der Sie den Artikel, der Ihnen Anlaß für diese Aktuelle Stunde war, gefunden haben, hätten Sie einen Artikel mit Äußerungen von mir
finden können, die allemal Anlaß geboten hätten, in einer Aktuellen Stunde über Veränderungen bei der Gesundheitsreform zu diskutieren. Das aber ist nicht geschehen. Jetzt wird es interessant: Warum nehmen Sie
diese Äußerungen nicht zum Anlaß für die Beantragung
einer Aktuellen Stunde, wenn es Ihnen um eine Auseinandersetzung mit der von Ihnen für - das ist Ihr gutes
demokratisches Recht - falsch gehaltenen Gesundheitsreform geht? Nein, Sie wollen, daß wir über Sozialhilfeempfänger, Asylbewerber und Strafgefangene reden.
Das erregt unser Mißtrauen, da machen wir nicht mit.
({0})
- Er ist völlig zu Recht über Sie erregt.
Es geht um Äußerungen der Kollegen Kues und
Schemken, von mir sehr geschätzte Kollegen. Ich verlange auch von Mitgliedern der Opposition, daß sie ein
bißchen mehr tun als Zeitung lesen.
({1})
Dann können wir darüber reden, was passiert ist. Bereits
in diesem Artikel - Sie wollen gar nicht ernsthaft über
die Frage reden, wie das mit den Asylbewerbern oder
den Strafgefangenen ist - wird erwähnt, daß der Kollege
Thomae die Sache für einen Skandal hält und der Kollege Kues für eine Ungeheuerlichkeit. Jetzt haben Sie
gesagt, Herr Kues, es gebe neue Ungerechtigkeiten. Als
stärksten Satz in Ihrer Rede empfand ich den Satz: Sie
- gemeint sind Sozialhilfeempfänger, Asylbewerber und
Strafgefangene - genießen Privilegien, ohne nur einen
Pfennig Beitrag zu leisten. - Das finde ich eine Ungeheuerlichkeit.
({2})
Was Sie da sagen, ist auch wider besseres Wissen. Das
ist nicht in Ordnung.
Wir haben es hier mit einer Gesetzeslage zu tun - nebenbei bemerkt, sie ist von uns nicht geändert worden -,
die besagt, daß die Krankenhilfe für Sozialhilfeempfänger - ({3})
- Ich weiß schon, worum es geht, Herr Kollege. Sie
müssen mich nicht belehren. Daß Sie so aufgeregt werden, deutet darauf hin, daß Sie schon wissen, daß Ihr
Vorgehen eine Sauerei ist.
({4})
Ich habe jahrelang gegen das Asylbewerberleistungsgesetz gekämpft. Jetzt behaupten Sie, Herr Kollege Kues
- dieser Satz von Ihnen, gewisse Leute würden Privilegien genießen, steht -, Asylbewerber seien bessergestellt
als Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Wir haben es mit einer Unterversorgung bei Asylbewerbern zu tun. Da wird nur das Allernötigste gemacht, bevor sie dann abgeschoben werden.
({5})
Ich finde das nicht richtig. Daß Sie sich jetzt hier hinstellen und behaupten, diese Gruppe werde besser behandelt als die Mitglieder der GKV, das finde ich eine
bodenlose Frechheit.
({6})
Offenkundig wollen Sie Stimmung gegen diesen Personenkreis machen.
({7})
Jetzt zur Krankenhilfe in der Sozialhilfe: Zunächst
einmal muß man feststellen - es ist von vielen schon
darauf hingewiesen worden -, daß überhaupt nur
10 Prozent aller Sozialhilfeempfänger Krankenhilfe
bekommen; die anderen sind gesetzlich krankenversichert. Wer war denn bis zum letzten Jahr an der Regierung und hatte 1993 ein Gesetz beschlossen, in dem
stand, daß alle Sozialhilfeempfänger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung werden sollen? Daß Sie
dies in den Verhandlungen nicht hinbekommen haben,
ist ein Versäumnis. Ich habe vor einigen Wochen eine
Verabredung mit dem Landkreis- und dem Städtetag
darüber getroffen, daß wir im nächsten Jahr einen neuen
Versuch machen werden, sie zu integrieren. Mit Verlaub: Das ist Ihre Hypothek, die wir übernommen haben.
({8})
Herr Kollege Kues, Sie haben eben gesagt, daß Sie
Ausgaben nach medizinischem Bedarf und nicht nach
Kassenlage tätigen wollen. Ich war dabei, als der Kollege Lohmann zustimmend reagiert hat, als Herr Murmann letzte Woche beim Wirtschaftsrat der CDU gesagt
hat: 12 Prozent Beitrag sind genug. Das sind knappe
zwei Prozent weniger als heute. Offensichtlich ist das,
was wir jetzt mit Beitragssatzstabilität festschreiben
wollen, nicht ausreichend.
Sie sagen immer, Sie wollten Freiheit und Eigenverantwortung stärken. Freiheit stärken, bedeutet das für
Sie 20 Mark Eintrittsgeld beim Arzt?
({9})
Es wurde von der linken Seite des Hauses mit allem
Nachdruck deutlich gemacht, daß wir nicht bereit sind,
die Debatte um die gesetzliche Krankenversicherung,
die notwendig ist und die wir in den nächsten Wochen
zu führen haben, mit Sozialneid, mit Kampagnen gegen
Ausländer und weiteren spalterischen Kampagnen zu
führen. Das wird von uns niemand mehr mitmachen.
({10})
Wir wollen stabile Beitragssätze, weil die Leute nicht
immer mehr zahlen können. Deswegen brauchen wir eine Strukturreform innerhalb des Systems, damit wir mit
dem Geld gut arbeiten können. Was setzen Sie dagegen?
Sie sagen: Alles soll so bleiben, wie es ist, wir brauchen
aber mehr Geld im System.
({11})
Das sollen die Patienten zahlen. - Zwischen diesen
beiden Ansätzen müssen sich die Bürgerinnen und Bürger entscheiden.
({12})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Johannes Singhammer von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
wollen, daß Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung nicht schlechter behandelt werden als eine bestimmte Gruppe von Sozialhilfeempfängern. Darum
geht es uns.
({0})
Diese Gesundheitsreform - darüber muß man natürlich ein Wort verlieren - ist von Grund auf mißglückt.
Eine verhängnisvolle Systematik bringt ständig neue
Ungerechtigkeiten an die Oberfläche. Es werden zwei
Klassen geschaffen. Die große Masse von Patienten in
der gesetzlichen Krankenversicherung wird unter den
Folgen der Budgetierung zu leiden haben. Verschont
bleibt, wer entweder genügend Geld hat, alles selbst zu
bezahlen, oder wer einer bestimmten Gruppe von Sozialhilfeempfängern angehört. Nicht nur wir, sondern auch
die große Mehrheit der Menschen in unserem Land bemerken, daß aus einer Gerechtigkeitslücke ein Gerechtigkeitsgraben wird. Die unterschiedliche Behandlung,
die ich geschildert habe, ist für viele Menschen in unserem Land ein Lackmustest für die Verschlechterung ihrer Situation.
Wer muß fürchten, unter der Budgetierung zu leiden?
Es muß sicherlich nicht derjenige irgend etwas befürchten, der die neuesten und besten Arzneimittel seiner
Wahl selbst bezahlen kann
({1})
und der in der Lage ist, Gesundheitsleistungen aller Art
einzukaufen. Nichts befürchten muß auch eine Gruppe
von Sozialhilfeempfängern.
({2})
Damit wir uns richtig verstehen: Es entspricht dem Gebot der Menschlichkeit, denjenigen unter uns, denen es
am Nötigsten mangelt, Unterstützung zu gewähren. Das
ist nie von irgend jemandem bestritten worden.
Immer weniger Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung verstehen, warum Unterschiede gemacht werden und warum diese Unterschiede, wenn sie
zutage treten, nicht endlich ausgeglichen werden; das
ist der Punkt der heutigen Debatte. Budgetierung bedeutet doch letztendlich, daß ein Arzt beim Kassenpatienten überprüfen muß, ob eine Verschreibung im
Rahmen des Budgets noch möglich ist. Diese Prüfung
wird bei einer bestimmten Gruppe von Sozialhilfeempfängern nicht durchgeführt. Das hat natürlich Konsequenzen.
({3})
Es wird zu Nachfragen beispielsweise eines Facharbeiters führen, der in der gesetzlichen Krankenversicherung
ist und natürlich auch weiß, daß er Steuergelder zahlt,
mit denen die Leistungen der Sozialhilfe finanziert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von seiten
der Regierung, deshalb sage ich Ihnen: Ändern Sie Ihre
Politik. Sie ist von Grund auf falsch. Notwendig ist eine
nachhaltige Gesundheitspolitik, die durch Effizienzsteigerungen Kosten minimiert, die die Eigenverantwortung
fördert und jeglichen Mißbrauch verhindert.
({4})
Als nächste hat die
Kollegin Helga Kühn-Mengel, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Diese
unsägliche Aktuelle Stunde spiegelt die politische
Marschrichtung wider, die die CDU/CSU-Fraktion seit
der verlorenen Bundestagswahl eingeschlagen hat.
({0})
Dieses Vorgehen kann mit einfachen Worten beschrieben werden: Polemik statt Konzeption, Diskriminierung statt eigener Lösungen. Außer einem Abzocken
der Patienten ist Ihnen in der Vergangenheit auch nicht
viel mehr eingefallen.
({1})
Im übrigen ist es wohl so - korrigieren Sie mich,
wenn es anders ist -, daß auch die Mitglieder des Gesundheitsausschusses Ihrer Fraktionen von dieser Aktuellen Stunde nicht hellauf begeistert waren. Der populistische Versuch, soziale Gräben zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der neuen Bundesregierung aufzureißen, wird nicht aufgehen. Das Reformprojekt „Gesundheitsreform 2000“ ist richtig und wird auch von der
breiten Masse der Experten und der Patientinnen und
Patienten angenommen.
({2})
Wir stellen nach 16 Jahren Ungleichgewicht wieder
sicher, daß die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zukünftig angemessen versorgt werden und
zu angemessenen Beiträgen eine ausgewogene und gute
Gesundheitsversorgung bekommen. Diese Versorgung
bezieht sich nicht nur auf die akute Schmerzbehandlung,
sondern umfaßt auch Leistungen der Prävention und der
Gesundheitsförderung.
Der Vorwurf der CDU/CSU-Fraktion, daß die Reform unweigerlich zu Rationierungen von Gesundheitsleistungen führen würde,
({3})
wurde bereits durch die Expertenanhörung im Deutschen Bundestag ad absurdum geführt.
({4})
Was Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU-Fraktion, vertreten, ist - außer Polemik ganz klare Klientelpolitik. Ich habe den Eindruck, daß
Sie diejenigen im Gesundheitssystem unterstützen, die
nur wirtschaftliche Ziele verfolgen und sich nicht für das
Wohl und die Gesundheit der Patientinnen und Patienten
in Deutschland einsetzen.
Ich möchte an dieser Stelle verdeutlichen: Durch das
Projekt „Gesundheitsreform 2000“ wird kein Krankenversicherter, keine Krankenversicherte schlechtergestellt.
({5})
Wir wollen die Versorgung chronisch Kranker verbessern. Wir fördern Selbsthilfe, Prävention und den Patientenschutz.
({6})
Die Gesundheitsreform hat weiterhin zum Ziel, bei
stabilen Beitragssätzen durch strukturelle Reformen eine
gesundheitliche Versorgung auf hohem Niveau auch für
die Zukunft zu sichern. Die Bundesregierung hat zu Beginn des Jahres einen ersten Schritt gemacht und ein
deutliches Signal für alle Bürgerinnen und Bürger gesetzt: Die Zuzahlung für Medikamente, die Sie kontinuierlich erhöht haben, haben wir auf ein vernünftiges und
für alle Beitragszahler und Beitragszahlerinnen angemessenes Maß gesenkt.
({7})
Wir steigern die Qualität bei der medizinischen Versorgung und Betreuung und beseitigen Versorgungsdefizite. Aber das muß ich Ihnen, meine Damen und Herren
von der Opposition, eigentlich nicht sagen; das wissen
Sie. Sie wollen nur polemisch argumentieren. Strafgefangene - das wissen Sie auch - haben eine freie Heilfürsorge, die über Länder und Bund abgewickelt wird.
Wir haben das alles schon mehrere Male gehört, aber offensichtlich dringt es nicht durch. Dieser Personenkreis
wird nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt.
({8})
Von den Sozialhilfeempfängern und -empfängerinnen
- auch das haben wir gehört - sind 90 Prozent in der
GKV. Die anderen 10 Prozent erhalten einen Behandlungsschein. Der Rest liegt am Versorgungsverhalten
des Arztes, liegt am Sozialamt, liegt am Amtsarzt,
({9})
der die Möglichkeit hat, alle Vorgänge hinreichend zu
überprüfen.
Die letzte Gruppe, die nach Ihrer Aussage besser behandelt wird als die normal Versicherten, sind die Asylbewerber und -bewerberinnen. Auch hier Fehlanzeige:
Sie müssen ebenso wie die Sozialhilfeempfänger einen
Behandlungsschein beantragen. Das sieht dann so aus auch das haben wir schon mehrmals gehört, aber es muß
wohl noch einmal gesagt werden -:
In den ersten drei Jahren bekommt der Asylbewerber
oder die Asylbewerberin lediglich die Schmerzbehandlung und die Behandlung in akuten Notfällen vom Sozialamt bezahlt. Hierunter fällt noch nicht einmal der
Zahnersatz. Erst nach Ablauf der drei Jahre erhält er
oder sie Leistungen entsprechend dem Leistungskatalog
für Sozialhilfeempfänger.
Sie sehen, meine Damen und Herren, kein gesetzlich
Krankenversicherter wird durch unser Reformprojekt
schlechter gestellt sein als Sozialhilfeempfänger, Asylbewerber oder Strafgefangene.
({10})
Gesetzlich Krankenversicherte haben das Recht auf
eine gute und ausgewogene Behandlung auf einem hohen medizinischen Niveau, und genau das werden wir
sicherstellen und garantieren. Wir werden unsere gute
Reform einführen und fortführen, den eingeschlagenen
Kurs beibehalten.
({11})
Das Lamentieren der Opposition bezeugt Konzeptionslosigkeit und das Eingestehen eigener Fehler während
Ihrer Regierungszeit.
({12})
Sie waren verantwortlich für den Einstieg in die Zweiklassenmedizin und deren fortschreitende Zementierung.
({13})
Wir haben den Kurs korrigiert. Polemik und der Versuch, die Gesellschaft zu spalten, werden uns nicht davon abbringen, den Weg einer sozialen und gerechten
Gesundheitsreform zu gestalten.
({14})
Als nächster hat
Kollege Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir tun uns mit der
zunehmenden Gewohnheit, mit der Verbalkeule auf den
jeweils anderen einzuschlagen, mit Sicherheit keinen
Gefallen.
({0})
- Ich habe ja gerade erst angefangen.
Wenn hier beispielsweise Frau Lange sagt: „schlicht
gelogen“, Frau Schmidt-Zadel von „perfide“ spricht, Frau
Fischer sagt - der Höhepunkt -: „Sauerei“, dann kann ich
natürlich den Präsidenten nicht kritisieren, der das
ohne jede Abmahnung hinnimmt, aber ich meine, wir
sollten uns besinnen, daß die Öffentlichkeit bei solcher
Art von Diskussion sich eher von der Politik abwendet als
sich ihr zuwendet. Das ist meine feste Überzeugung.
({1})
Jetzt kommt der nächste Punkt - bevor Sie weiterschreien.
({2})
- Wenn Sie glauben, Sie könnten mir die fünf Minuten
dadurch wegnehmen, daß Sie mich durch Ihr Dazwischenrufen daran hindern, die Tatsache einmal klarzustellen, dann irren Sie sich.
Sie sagen, Frau Schmidt-Zadel, Sie stützen sich auf
einen Zeitungsbericht. Das haben ja mehrere gesagt.
({3})
Ich zitiere jetzt einmal aus einem Schreiben des Präsidenten des Hessischen Rechnungshofes, des Herrn
Professor Dr. Müller.
({4})
- Das haben Sie natürlich verschwiegen. Sie haben es
bekommen, aber Sie haben es verschwiegen. - Er hat am
22. September 1999 unter anderem geschrieben:
Es bedarf keiner Erläuterung, daß die Budgetierung
für die gesetzlich Krankenversicherten zu einem
anderen Verhalten der Ärzteschaft gegenüber den
Patienten geführt hat.
- Weiter schreibt er:
Ich habe allerdings in meinem Bericht zum Ausdruck gebracht, daß ich in der mangelnden Budgetierung der Krankheitskosten für Asylbewerber eine
Gerechtigkeitslücke zum Nachteil der gesetzlich
versicherten Bevölkerung erkenne.
({5})
- Dann sagt er - das ist das Schreiben an Herrn Bundesminister Riester - auch noch:
Ich habe daher die Bitte an Sie, dieser Frage nachzugehen und in Zusammenarbeit mit den Ländern
und den kommunalen Spitzenverbänden eine Lösung zu entwickeln, ...
({6})
Wir haben dieses Schreiben zum Anlaß genommen,
eben nicht die Bevorteilung von Asylbewerbern hier zu
kritisieren, sondern die Frage der Benachteiligung durch
eine Budgetierung, die unzweifelhaft gegeben ist.
Nun versuchen Sie dauernd, den Spieß herumzudrehen. Und dann wird unter anderem auch entgegengerufen, das sei Sozialneid. Meine Damen und Herren, in
den letzten 50 Jahren, so will ich einmal sagen, war es
doch das Privileg des linken Flügels dieses Hauses, anderen Sozialneid vorzuwerfen.
({7})
Natürlich ganz besonders von Herrn Gysi, aber auch
durch Sie, Herr Dreßler.
({8})
- Herr Dreßler, Sie sind ja einer von denen, die inzwischen gesagt haben, Sie seien bei einigen Maßnahmen
des Solidaritätsstärkungsgesetzes wohl zu voreilig gewesen, zumal bei den Festzuschüssen; das müßte geändert werden. Selbst Sie sind sicher noch lernfähig.
({9})
Wir wollen mit dieser Diskussion noch einmal klarmachen, daß die Budgetierung, vor allem auch die Budgetierung, die bereits in diesem Jahr durch das sogenannte Solidaritätsstärkungsgesetz wirkt, dazu führt, daß
gesetzlich Versicherten weniger Leistungen als in der
Vergangenheit zuerkannt werden.
Den letzten Beweis, daß dem so ist, hat doch Frau
Ministerin Fischer selbst vor nicht allzu langer Zeit geliefert, als sie nach einer polemisch geführten Debatte
über das Notprogramm der Ärzte das inzwischen umbenannte Aktionsprogramm unterschrieben hat. In diesem
Programm sind eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen,
die dazu führen werden, daß der Arzt dem Patienten sagen muß: Tut mir leid, das, was ich in der Vergangenheit verordnet habe, kann ich nicht mehr verordnen. Ich
muß Generika nehmen. Ich darf keine Originalpräparate
mehr verordnen. Das, worauf du, lieber Patient, dich
bislang verlassen konntest, weil es wirksam und medizinisch notwendig war, kann ich dir nicht mehr verordnen.
({10})
Man kann noch darüber streiten, ob die Verordnung
von Generika sinnvoll ist oder nicht. Aber man kann
nicht bestreiten, daß die gesetzlich Versicherten durch
die Fortentwicklung des hier skizzierten Systems in eine
schlechtere Lage hineinmanövriert werden als diejenigen, von denen wir eben gesprochen haben.
({11})
Es ging uns um nichts anderes, als dies klarzumachen.
Es geht nicht darum, anderen etwas wegzunehmen.
({12})
Gehen Sie in sich! Werden Sie sich bewußt, daß Budgetierung schrittweise und teilweise schleichend zu Rationierung führt! Dies kann für die Versicherten und Patienten nicht gut sein.
({13})
Deshalb appelliere ich an Sie, sich die Reform des Gesundheitswesens noch einmal zu überlegen.
Danke schön.
({14})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Gudrun Schaich-Walch, SPD-Fraktion.
Werte Kolleginnen
und Kollegen! Herr Präsident! Liebe Kollegen von der
Opposition! Ich bin der Meinung, Sie sollten doch wenigstens die Gesetze kennen, die während Ihrer Regierungszeit verabschiedet wurden. Wenn die Versicherten
jemals benachteiligt worden sind, dann dadurch, daß
Wolfgang Lohmann ({0})
Herr Seehofer durch seine Gesetze die Zuzahlungen
immer mehr erhöht hat. Dadurch sind Benachteiligungen
entstanden.
({1})
Wir haben seit unserem Regierungsantritt einen Teil dieser Benachteiligungen zurückgeführt, indem wir die Zuzahlungen vermindert haben. Wir hätten sie gerne noch
mehr vermindert, wenn es die Finanzsituation der GKV
erlaubt hätte.
({2})
Noch ein Punkt: Jemand, der nicht in die Versicherung einzahlt - ausgenommen Familienmitversicherte -,
erhält keine Leistungen von der gesetzlichen Krankenversicherung. Asylbewerber und Sozialhilfeempfänger,
die nicht versichert sind, bekommen keine Leistungen
aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Kein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung kann durch
diese Gruppen geschädigt werden.
({3})
- Ich verstehe die Relationen sehr wohl. Ich verstehe
eure Perfidität. Ihr habt nur einen Aufhänger gesucht.
Ich bin froh, daß es nicht die Kolleginnen und Kollegen
aus dem Gesundheitsausschuß waren. Im Gesundheitsausschuß haben wir andere Debatten geführt. Wir haben
uns im Ausschuß keine Gruppe herausgepickt, an der
wir uns dann abgearbeitet haben. Wir haben keine
Gruppe als Aufhänger benutzt, um Vorurteile und Neid
in unserer Gesellschaft zu schüren und dadurch bestimmte Dinge in Mißkredit zu bringen, die menschlich
geboten und notwendig sind.
Niemand erhält mehr Leistungen und gesundheitliche
Versorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung
als der gesetzlich Versicherte. Wenn es anders ist, dann
haben entweder die Ärzte falsch verordnet - darüber
müßten wir dann diskutieren -, oder das Sozialamt, auf
das Ihr Kollege aus München vorhin hingewiesen hat,
hat einen Fehler gemacht. Wenn Sie uns das Sozialamt,
das mehr Geld für medizinische Behandlungen als üblich ausgegeben hat, benennen, dann können wir uns
darum kümmern; denn dieses Sozialamt hätte gegen
Recht und Gesetz verstoßen.
({4})
- Mir ist es völlig egal, ob es sich dabei um einen Parteifreund handelt. Recht und Gesetz gelten für alle, egal,
ob sie in einer Partei sind und - wenn ja - in welcher.
({5})
Ich möchte jetzt etwas zur Gesamtsituation der gesetzlichen Krankenversicherung sagen. Wir haben die
Ausgaben an den Einnahmen orientiert. Dies ist nichts
Neues. Dieser Paradigmenwechsel begann bereits 1978.
Wir haben das Arzneimittelbudget im vorigen Jahr
um nahezu 4 Milliarden DM, das sind weit über 12 Prozent, erhöht.
({6})
Wir hatten noch nie ein Arzneimittelbudget, das so
hoch wie dieses war. Wir haben im letzten Jahr nicht
erleben müssen, daß mehr Patienten zu versorgen waren.
Auch sind die Patienten in der Bundesrepublik innerhalb
eines Jahres nicht um 10 oder 20 Jahre gealtert. Es ist
uns kein Fall bekannt, in dem jemandem in dieser Bundesrepublik Deutschland das medizinisch Notwendige
vorenthalten worden ist. Daß dies nicht geschehen darf,
steht schon seit langem in unserem Gesetz. Wenn jemandem das medizinisch Notwendige vorenthalten worden wäre, dann wäre es zwar widerrechtlich, aber nicht
aus Gründen des Finanzmangels geschehen. Wir haben
ein ausgeglichenes Budget: Das, was finanziert werden
soll, kann finanziert werden.
Kolleginnen und Kollegen, ein schöner Nebeneffekt
der heutigen Diskussion wäre es gewesen, wenn wir
endlich einmal erfahren hätten, was Sie denn machen
wollen. Wollen Sie die Beiträge erhöhen und damit die
Arbeit belasten? Wollen Sie die Zuzahlungen erhöhen,
wie wir es von Ihrem Sprecher Uldall - er hat von einer
jährlichen Selbstbeteiligung der Patienten in Höhe von
300 DM geredet - gehört haben? Oder wollen Sie dafür
sorgen, daß man jedesmal 20 DM Eintrittsgebühr bezahlen muß, wenn man zum Arzt geht? Na klar, die
Leute gehen schließlich genauso zum Arzt, wie sie ins
Kino, ins Theater oder ins Fußballstadion gehen. - Das
sind Ihre Alternativen.
({7})
Sie vertreten nichts anderes als bisher. Sie sprechen von
Eigenverantwortung und belasten die kranken Menschen.
Sie sind nicht bereit, an den Strukturen, die die Ursache
unserer Probleme sind, etwas zu ändern. Wir haben falsche
Strukturen: ein Zuviel an der einen Stelle und ein Zuwenig
an manch anderer Stelle. Wenn Sie bereit sind, mit uns über
die Veränderungen der Strukturen zu reden, dann werden
wir es gerne tun. Wenn Sie mit uns aber nur über höhere
Zuzahlungen der Patienten - Sie nennen es Eigenverantwortung - reden wollen, dann sagen wir: Nein, danke.
({8})
Die Aktuelle Stunde
ist damit beendet. Wir sind am Schluß unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 7. Oktober,
9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.