Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/13/1998

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich Ihnen noch folgendes mitzuteilen. In der gestrigen Sit- zung wurde der Antrag der Fraktion der PDS zum Vermögenszuordnungsgesetz auf Drucksache 14/17 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für An- gelegenheiten der neuen Länder und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und Technologie, an den Rechtsausschuß und an den Haushaltsausschuß überwie- sen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Federführung jedoch beim Rechtsausschuß liegen. Sind Sie mit dieser Änderung einverstanden? - Das ist offen- bar der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Fortsetzung der Aussprache zur Regierungserklä- rung des Bundeskanzlers Die Themenbereiche sind jetzt Finanzen und Steuern. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 10. a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 - Drucksache 14/23 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({0}) Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Aussschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuß für Bildung und Forschung Ausschuß für Tourismus Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zur Kindergeldauszahlung und zur Er- stellung der Lohnsteuertabellen 1999 - Drucksache 14/28 - c) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS Wiedererhebung der Vermögensteuer - Drucksache 14/11 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({1}) Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Besteuerung von Luxusgegenständen - Drucksache 14/27 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Es wird mir gerade mitgeteilt, daß das Plenum nach dieser Debatte für zirka 30 Minuten wegen einer Fraktionssitzung der SPD unterbrochen werden soll. Ich bitte um Ihr Einverständnis. ({2}) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine. ({3})

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung das wichtigste Ziel der Bundesregierung deutlich gemacht: Das ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich glaube, daß alle in diesem Hause zustimmen werden, wenn ich sage, daß wir, solange die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt etwa 4 Millionen beträgt, nicht von einer zufriedenstellenden Situation, nicht von einem wohlbestellten Haus sprechen können. ({0}) Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß wir uns auch mit den Oppositionsparteien in dem Ziel einig sind, die Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Diese Feststellung ist mir wichtig. Die Diskussion geht also lediglich um die Frage: Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die Arbeitslosigkeit zurückzuführen? Eine der Maßnahmen, die wir ergreifen wollen, ist eine Veränderung des Steuerrechts. Ich möchte aber zu Beginn darauf hinweisen, daß ich nicht der Auffassung bin, daß man allein oder auch nur in erster Linie mit dem Steuerrecht die Aufgabe bewältigen kann, die Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Das kann man auch nicht ausschließlich mit Maßnahmen zur Senkung der Lohnnebenkosten. Vielmehr braucht man, wenn man die Arbeitslosigkeit zurückführen will, ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die aufeinander abgestimmt sein müssen. Eine dieser Maßnahmen ist die Reform des Steuerrechts. ({1}) Ich sage das deshalb, weil - sicherlich aus Überzeugung - von Vertretern der jetzigen Oppositionsparteien im Bundestagswahlkampf immer wieder geäußert wurde, das Steuerrecht sei der Schlüssel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich werde nachher noch im einzelnen darauf eingehen. Wir sind der Auffassung, daß das Steuerrecht eine wichtige Rolle spielt. Aber wir würden das Steuerrecht insbesondere angesichts der Tatsache, daß wir in Deutschland die niedrigste Steuerquote in Europa haben, überfordern, wenn wir glaubten, das Steuerrecht biete die Möglichkeit, ganz entscheidende Impulse zu geben, mit denen die Arbeitslosigkeit zurückgeführt werden kann. Die unterschiedlichen Steuerkonzepte standen bei der Bundestagswahl zur Diskussion. Die ehemaligen Regierungsparteien haben ebenso für ihre Konzepte geworben, wie SPD und Grüne für die ihren geworben haben; die Konzepte unterscheiden sich deutlich voneinander. Insofern kann man wirklich davon sprechen - da die Steuerpolitik ein Hauptthema der Bundestagswahl war -, daß die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler die Steuerkonzeption befürwortet und gutgeheißen hat, die wir Ihnen jetzt in Form eines Gesetzentwurfes vorstellen. ({2}) Unsere Steuerpolitik hat einen Ansatz, von dem wir glauben, daß er in den letzten Jahren viel zuwenig beachtet worden ist, nämlich den Ansatz, daß das Steuerrecht auch Steuergerechtigkeit herstellen muß, um von der großen Mehrheit der Bevölkerung angenommen zu werden. ({3}) Verstößt man gegen den Grundsatz der Steuergerechtigkeit im Steuerrecht, dann ist das nicht in erster Linie eine ökonomische Frage, sondern betrifft in erster Linie die Gesamtgesellschaft. Es geht hier um den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Der Zusammenhalt einer Gesellschaft wird gestärkt und gefestigt, wenn die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler den Eindruck haben: Es geht in unserem Staate gerecht zu. ({4}) Deshalb haben die Meinungsforschungsinstitute insgesamt von der Gerechtigkeitslücke gesprochen, und diese hat die Diskussion im Vorfeld der Bundestagswahlen bestimmt. Sie haben festgestellt, daß es Auftrag der Wählerinnen und Wähler war, diese Gerechtigkeitslücke zu schließen. Die Regierung Schröder nimmt diese Aufgabe an und setzt sie jetzt in die Tat um. ({5}) Unsere Steuerrechtsvorschläge zielen darauf ab, die große Mehrheit der Bevölkerung zu entlasten. Es ist keine Aussage, die nur aus dem Dialog der Parteien entstanden ist, wenn wir feststellen, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den letzten Jahren überproportional belastet worden sind, während andere Gruppen unserer Bevölkerung überproportional entlastet worden sind. Das gilt nach der Statistik insbesondere für die Belastung der Arbeitnehmerschaft im Verhältnis zu Beamten, zu Selbständigen, zu Unternehmern und anderen Gruppen der Bevölkerung. Deshalb war es notwendig, gezielt die Arbeitnehmerschaft und die Familien zu entlasten. ({6}) Diesem politischen Anliegen trägt dieser Gesetzentwurf Rechnung. Dieser Gesetzentwurf unterscheidet sich an einer wichtigen Stelle von den üblichen Verhaltensweisen von Regierungen - nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Staaten der Welt. Häufig sind vor den Wahlen Steuersenkungen versprochen worden, während nach den Wahlen die Steuern erhöht wurden. ({7}) Eine solche Vorgehensweise bevorzugte auch die alte Koalition. Nicht zuletzt deshalb haben Sie in der Bevölkerung soviel Vertrauen verloren. ({8}) Wir setzen mit diesem Steuerreformentwurf genau das um, was wir den Wählerinnen und Wählern vor der Wahl versprochen haben. Das ist, so glaube ich, tatsächlich ein Neuanfang der Politik in Deutschland. ({9}) Diese Steuerreform ist arbeitnehmerfreundlich, sie ist aber auch familienfreundlich. Ich habe kein Verständnis dafür gehabt, daß im Vorfeld der Auseinandersetzungen immer wieder, auch von Industrieverbänden, behauptet wurde - von der Sache her im übrigen fälschlicherweise -, die Erhöhung des Kindergeldes schaffe keinen einzigen Arbeitsplatz. Der ökonomische Zusammenhang ist die eine Sache - klar ist, daß die Familien, die auf jede Mark angewiesen sind, diese auch ausgeben, und somit wird sie in Nachfrage umgesetzt -, ({10}) aber uns geht es um etwas anderes: Es genügt nicht, immer nur die Bedeutung der Familie zu beschwören; wir müssen auch die materiellen Grundlagen dafür schaffen, daß die Familien in unserem Staate gefördert werden. ({11}) Deshalb haben wir kein Verständnis dafür, daß die Oppositionsparteien so hartnäckig Widerstand gegen die Verbesserung der Stellung der Familien im Steuerrecht ({12}) und die Erhöhung des Kindergeldes geleistet haben. ({13}) Ich bin der Auffassung: Es wäre auch in Ihrem Interesse, diese Haltung zu korrigieren. Es ist nicht übertrieben, wenn die Familienverbände und die Kirchen feststellen, daß die Familien auch im Steuerrecht in den letzten Jahren zu schlecht gestellt worden sind. Deshalb wollen wir das korrigieren. ({14}) Im Zusammenhang mit einer Steuerreform, die arbeitnehmerfreundlich und familienfreundlich ist, wird von Ihrer Seite, meine Damen und Herren, immer der Vorwurf der Umverteilung erhoben. Dies ist ein ganz und gar spaßiger Vorwurf, und zwar deshalb, weil das Steuerrecht stets - in welcher Form auch immer - eine Umverteilung darstellt. Die Frage ist nur, wem gegeben und wem genommen wird, wer der Nutznießer und wer der Benachteiligte der Umverteilung ist. ({15}) Wenn also die einen Umverteiler die anderen Umverteiler Umverteiler nennen, dann mag das zwar ganz spaßig sein; aber hier wird auch der Unterschied deutlich: Man kann von unten nach oben umverteilen in dem Glauben, daß damit die Wachstumskräfte und die Investitionskräfte gestärkt würden; man kann aber auch für mehr Steuergerechtigkeit sorgen und Ungerechtigkeiten abbauen im Hinblick darauf, daß wir in der Wirtschaftspolitik zwei Augen haben müssen, Angebot und Nachfrage, und unter Beachtung der Tatsache, daß eine ständige Schwächung der Nachfrage zum Verlust von Arbeitsplätzen führt. ({16}) Ihr Vorwurf der Umverteilung trifft uns mitten ins Herz. Sie haben recht: Ihre Umverteilung haben wir rückgängig gemacht. Die Umverteilung von unten nach oben ist gestoppt. Jetzt wird der großen Mehrheit des Volkes gegeben. Das ist unser Wählerauftrag; und genau den setzen wir um. ({17}) Bei der sogenannten Gegenfinanzierung, meine Damen und Herren, sind natürlich auch die Verteilungswirkungen und die ökonomischen Auswirkungen zu beachten. Wir haben Ihrem Steuerkonzept widersprochen, weil es einen systematischen Fehler hatte; daß Entlastungswirkungen zwar immer wieder angepriesen worden sind, aber zuwenig darauf geachtet wurde, was die Entlastung für den einzelnen bedeutet. Es hat keinen Sinn, von Steuerentlastungen zu reden, wenn dabei - wie das in der Debatte immer wieder geschehen ist - die Begriffe völlig durcheinandergemengt werden. Steuerentlastung für die Gesamtheit, also Nettoentlastung, sagt zunächst noch gar nichts darüber aus, wer der Nutznießer und wer der Benachteiligte einer solchen Entlastung ist. Wir haben das durchgerechnet. Im Gegensatz zu Ihrem Steuerkonzept werden bei uns die Leistungsträger der aktiven Arbeitnehmerschaft nicht belastet, sondern entlastet. Das ist der Unterschied zwischen Ihrem und unserem Konzept. ({18}) Sie haben - das ist ja nicht zu bestreiten - mit steuersystematischen Gründen dafür geworben, die Schichtarbeiter zu besteuern. Sie haben - das ist ja nicht zu bestreiten - mit steuersystematischen Gründen dafür geworben, die Kilometerpauschale drastisch zu reduzieren. Sie haben - das ist ja nicht zu bestreiten - auch dafür geworben - von der Steuerwissenschaft, wie ich meine, falsch beraten -, den Arbeitnehmerpauschbetrag deutlich zu reduzieren. Aber Sie haben versäumt, durchzurechnen, was dies im einzelnen heißt. Dies korrigiert die Bundesregierung. Die Facharbeiter, die Krankenschwestern, die Fernfahrer, die Busfahrer, sie dürfen nicht die Verlierer einer Steuerreform sein; sie sind bei uns die Gewinner der Steuerreform. ({19}) Natürlich, meine Damen und Herren, würden wir gern auch bei der Nettoentlastung noch größere Schritte machen. Obwohl sich die Vorurteile hartnäckig halten, obwohl viele meinen, Deutschland sei ein Hochsteuerland, sind die Tatsachen ganz, ganz andere. Tatsache ist, daß wir die niedrigste Steuerquote in der Europäischen Gemeinschaft haben. Wer in einer solchen Situation sagt, wir müßten die Steuerquote noch weiter zurückführen, der ist damit auch für schlechtere Schulen, schlechtere Forschung, schlechtere Straßen, schlechtere Ausbildung, schlechtere Krankenhäuser, schlechtere Kindergärten usw. Man darf den Leuten doch nicht Dinge erzählen, die nicht zusammenpassen! ({20}) Wer für ein weiteres Absenken der Steuerquote plädiert, plädiert auch für ein deutliches Zurückfahren der öffentlichen Infrastrukturleistungen. Das muß einmal gesagt werden, um die Debatte wieder auf eine rationale Grundlage zu stellen. ({21}) Wenn ich höre, meine Damen und Herren, wie vorbildlich die Holländer sind, wie vorbildlich die Dänen sind, dann bin ich manchmal versucht, in Deutschland die Steuer- und Abgabenquote Hollands oder Dänemarks einzuführen. Dann möchte ich das Geschrei derjenigen hören, die Holland und Dänemark immer als große Vorbilder in der Europäischen Gemeinschaft darstellen. ({22}) Natürlich entlasten wir nicht nur Arbeitnehmer und Familien. Vielmehr greifen wir Vorschläge der Wirtschaftsverbände auf, die darauf abzielten, die nominalen Steuersätze der Wirtschaft zu senken, sie aber gegenzufinanzieren durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Darüber diskutieren wir jetzt viele Jahre. Interessanterweise haben eine Reihe von Vorschlägen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, die insbesondere in Nordrhein-Westfalen entwickelt worden sind, auch in das Steuerkonzept der ehemaligen Regierung Eingang gefunden. Daran ist nichts Verwerfliches. Wenn wir da einer Auffassung sind, ist das in Ordnung. Nur besteht hier ein Konflikt, den man mit den Wirtschaftsverbänden austragen muß. Die Wirtschaftsverbände wollen nämlich in einem falschen Verständnis von Lobbyismus die Öffentlichkeit glauben machen, man könnte amerikanische Steuersätze und deutsche Abschreibungsmöglichkeiten haben. Das geht nicht. Das ist unehrlich. Deshalb bitten wir hier um etwas mehr Wahrhaftigkeit. ({23}) Meine Damen und Herren, es ist immer wieder kritisiert worden, daß wir die Steuersätze erst schrittweise senken. Aber das ergibt sich aus der Systematik: Wenn wir Steuersubventionen abbauen, dann bauen sich die Mehreinnahmen des Staates erst langsam auf. Wenn wir, wie wir überall lesen, bei der niedrigsten Steuerquote in Europa - ich wiederhole das - Haushaltsprobleme haben, wäre es fahrlässig und nicht verantwortbar, Steuersenkungen weiterhin auf Pump zu finanzieren. Deshalb mußten wir diesen Weg gehen und die Steuersätze schrittweise in dem Maße senken, in dem der Staat Mehreinnahmen hat. ({24}) Im übrigen haben wir 70 Subventionstatbestände in den Gesetzentwurf geschrieben. Selbstverständlich kann an diesen Listen einiges geändert werden. Die Bundesregierung hätte ein ganz falsches Verständnis von parlamentarischer Beratung, wenn wir der Auffassung wären: Wir bringen ein solch umfangreiches Gesetz in die Ausschüsse ein, und es kommt genauso aus den Ausschüssen, wie es in die Ausschüsse hineingegangen ist. Es gibt eine ganze Reihe von sachbezogenen Argumenten, bei denen wir nicht sicher sind, ob sie nicht eine Überprüfung bestimmter Streichtatbestände erfordern. Aber eines möchte ich für die Bundesregierung sagen: Das Gesamtkonzept muß insoweit durchgehalten werden, als nicht in unvertretbarem Ausmaße Einnahmeausfälle beschlossen werden. Denn es ist klar: Steuersenkungen will jeder, aber bei der Gegenfinanzierung sind dann viele zurückhaltend und zögerlich. ({25}) Insoweit glauben wir, eine in sich ausgewogene Vorlage gemacht zu haben, die wir immer auch - das sage ich auch bei allen anderen Maßnahmen, die ich anspreche - im Hinblick auf die Europäische Gemeinschaft sehen müssen. Das ist vielleicht noch zuwenig bedacht worden. Aber wir müssen uns angewöhnen, fast alle Vorlagen, die wir zu Steuer-, Sozial- und ähnlichen Gesetzen machen, immer auch auf die Vereinbarkeit mit den Zielsetzungen der Europäischen Gemeinschaft hin durchzuchecken. Denn die Europapolitik wird mehr und mehr zur Innenpolitik, und das verlangt eine schrittweise Harmonisierung der jeweiligen Vorschriften in den einzelnen Ländern. ({26}) Hier genau ergibt sich auch die Verbindung zu den Lohnnebenkosten. Auch bei den Lohnnebenkosten haben wir ein anderes Konzept als Sie. Im ersten Punkt des Konzeptes stimmen wir sicherlich überein. Dieser lautet: Die Lohnnebenkosten sind zu hoch; sie müssen auch durch strukturelle Reformen gesenkt werden. Ich möchte hier ganz klar sagen - der Bundeskanzler hat es in seiner Regierungserklärung angesprochen -: Wer bei der Höhe der Lohnnebenkosten glaubt, man komme ohne strukturelle Reformen aus, der macht einen Fehler. ({27}) Worüber wir wieder streiten müssen, ist, wie das im einzelnen aussehen soll. Das hatte ich hier an Hand der Rentenformel erläutert. Ich will es wiederholen, damit man mir nicht den Vorwurf macht: Der redet nur so allgemein daher. Wir haben bei der Rentenformel kritisiert, daß die Kürzungen über den gesamten Rententarif vorgenommen worden sind. Dann wurden wir mitten im Wahlkampf mit der jetzt vielleicht schon wieder vergessenen Tatsache konfrontiert, daß die Unionsparteien insbesondere vor der bayerischen Landtagswahl die Rentenkürzung für die Rentnerinnen und Rentner mit mindestens 45 Versicherungsjahren zurücknehmen wollten. Das macht nun im Rahmen von Reformvorstellungen gar keinen Sinn, nämlich daß die höheren Renten von Kürzungen ausgenommen werden und die kleinsten Renten gekürzt werden. Solche Wege können wir nicht gehen. Deshalb mußten wir hier Ihre sogenannte Reform zurücknehmen, ({28}) zumal Sie selbst - das möchte ich bei der öffentlichen Diskussion der Redlichkeit halber sagen - Ihre sogenannte Reform zurücknehmen wollten, allerdings an der falschen Stelle. Bei der Senkung der Lohnnebenkosten wollen wir einem weiteren Prinzip unserer Regierungsarbeit Rechnung tragen; das ist das Prinzip der Gerechtigkeit. Dieses gilt auch für das Steuerrecht. Was meine ich damit? Auf Grund der Struktur der Zusammensetzung der Sozialversicherungsbeiträge nimmt derjenige, der die Sozialkassen über Gebühr in Anspruch nimmt, auch Umverteilungseffekte in Kauf. Er belastet nämlich über Gebühr den Teil der Arbeitnehmerschaft, der die Hauptlast der Sozialversicherungsbeiträge trägt. Insofern war es ein Fehler von Ihnen, zur Finanzierung der deutschen Einheit nicht in erster Linie die Steuer, sondern die Sozialabgaben heranzuziehen. Das war eine falsche Umverteilung, die wir schrittweise korrigieren müssen. ({29}) Das Gerechtigkeitsempfinden unseres Volkes besagt, daß die Finanzierung des Aufbaus Ost nicht in erster Linie eine Aufgabe desjenigen Teils der Bevölkerung ist, der Sozialversicherungsbeiträge zahlt, natürlich ergänzt um die Beiträge der Unternehmerschaft; vielmehr ist dies eine Aufgabe der Allgemeinheit, also aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland, nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit. Deshalb war dies eine Fehlentscheidung, die Sie getroffen haben, deren Ursache und Entstehen wir verfolgen konnten. Ich wollte das hier noch einmal anmerken. Neben der Gerechtigkeit haben wir bei der Senkung der Lohnnebenkosten noch ein anderes Ziel im Auge, das darin besteht, Arbeit und Umwelt miteinander zu versöhnen. Es ist in der ganzen Europäischen Gemeinschaft nicht mehr streitig, daß es richtig ist, die Besteuerung der Arbeitsplätze zurückzuführen und die Besteuerung des Umweltverbrauchs schrittweise und maßvoll zu erhöhen. Deshalb sehen wir diese beiden Reformvorstellungen im Zusammenhang. Sie dienen der Gerechtigkeit. Sie entlasten die Arbeit, und sie dienen auch längerfristig bei der Neuordnung des Abgabenrechts dem Umweltschutz. Insofern handelt es sich um eine wirkliche Reform, die wir auf den Weg bringen mußten, von der wir wußten, daß viele von Ihnen hier ähnliche Vorhaben umsetzen wollten, aber Sie konnten sich nicht darauf verständigen. Deshalb mußte eine neue Regierung gewählt werden, um jetzt diese Reform in Angriff zu nehmen. ({30}) Auch bei den Lohnnebenkosten und der Energieverbrauchsbesteuerung möchten wir auf die Notwendigkeit der europäischen Harmonisierung hinweisen. Es ist schlicht und einfach eine Tatsache, daß wir auch bei dem Vergleich unserer Steuern und Abgaben mit anderen immer wieder die europäischen Nachbarn im Auge haben müssen und daß wir bei der Harmonisierung einen Bedarf haben. Hier ergibt sich insgesamt eine große Aufgabe für die Europäische Gemeinschaft, die heute angesprochen werden muß. Der Steuerwettbewerb, wir sagen: Steuersenkungswettlauf zwischen den einzelnen europäischen Mitgliedstaaten, ergänzt um die sogenannten Steueroasen, hat zu einem nicht haltbaren Zustand der Ungerechtigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft geführt. Man kann es nicht oft genug sagen: Während sich diejenigen, die Geld, hohe Einkommen und Gewinne haben, durch Wohnsitzverlagerung, Kontoverlagerung, Firmensitzverlagerung oder Gewinnverlagerung der nationalen Besteuerung entziehen konnten und noch immer können, mußten die Arbeitnehmer in ganz Europa immer höhere Lohnsteuern, Verbrauchsteuern und Sozialabgaben zahlen. Das müssen wir ändern, um Gerechtigkeit auch auf europäischer Ebene herzustellen. ({31}) Im übrigen sind uns bei der Verwirklichung dieses Prinzips andere Staaten vorangegangen, Staaten, die - ich nenne Holland und Dänemark als Beispiele; ich erwähne auch den extrem hohen Benzinpreis in Großbritannien - uns immer wieder als Vorbilder hingestellt wurden. Diese Staaten sind bei der Veränderung der Steuer- und Abgabenstruktur in bezug auf Lohnnebenkosten und die Belastung durch Energieverbrauchsteuern vorangeschritten. Insofern sehen wir eine Maßnahme vor, die sich sehr wohl in den Kontext der europäischen Zusammenarbeit einbetten läßt. Neben der Steuerpolitik und der Politik bei den Sozialversicherungsausgaben ist natürlich auch die Haushaltspolitik stets heranzuziehen, wenn wir über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit reden. Nur, meine Damen und Herren, es ist mittlerweile unstreitig in ganz Europa, daß auf Grund des hohen Schuldenaufbaus der letzten Jahre - das gilt nicht nur für Europa, das gilt auch für die großen Industrienationen außerhalb Europas - die Möglichkeiten der Haushaltspolitik, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, immer mehr reduziert worden sind. Auch hierzu noch einmal etwas zur Debatte der letzten Tage. Es mag ja sein, daß der eine oder andere die gegenwärtige Haushaltssituation als außerordentlich befriedigend ansieht. Darüber will ich mich gar nicht streiten. Nur, eine Kennziffer jeden Haushalts ist die Zins-Steuer-Quote. Bei einer Zins-Steuer-Quote von 26 Prozent sind wir der Auffassung, daß der Haushalt im Ungleichgewicht ist und daß die Spielräume der Haushaltspolitik so gering sind, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland noch nie waren. Das ist doch eine Tatsache. ({32}) Ich wurde in früheren Jahren - wenn Sie mir diese Reminiszenz gestatten - immer mit dem Einwurf „Saarland“ konfrontiert. Das Erbe, das ich dort angetreten hatte, war noch relativ gemäßigt, weil die ZinsSteuer-Quote nur bei 19 Prozent lag. Es ist leider nicht gelungen, sie deutlich zu senken - sie liegt jetzt bei 21 Prozent. ({33}) Aber Ihr Marsch bei der Zins-Steuer-Quote von 12 Prozent auf 26 Prozent ist beachtlich und sollte keine Selbstzufriedenheit in Ihren Reihen hervorrufen. ({34}) Die Haushaltspolitik hat also keine großen Spielräume. Aber eines wollen wir im Bundeshaushalt wirklich wieder einführen, nämlich daß wir uns darum bemühen, auch dem Prinzip der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit wieder zum Durchbruch zu verhelfen; denn dieser Wust von Schatten- und Nebenhaushalten führt doch dazu, daß die wahre Verschuldung in Deutschland überhaupt nicht mehr bekannt ist. ({35}) Immer wieder geistern unterschiedlichste Zahlen über die Verschuldung, die Zins-Steuer-Quote und andere Meßziffern des Haushaltes durch die Gegend, weil im Haushaltsbuch nicht mehr das steht, was eigentlich in das Haushaltsbuch hineingehört, nämlich die gesamte Last der Schulden, die gesamte Last der Ausgaben und natürlich auch das gesamte Bündel der Einnahmen. Wenn wir darüber streiten, ob denn die Strukturen des Haushaltes so, wie Sie ihn übergeben, in Ordnung seien, dann ist ein ganz einfacher Sachverhalt Beweis dafür, daß sie eben nicht in Ordnung sind: Sie haben sowohl im Haushalt 1998 als auch im Haushalt 1999 Veräußerungen von Bundesvermögen in einer Größenordnung von über 20 Milliarden DM angesetzt. Das ist genau das strukturelle Defizit, das wir festgestellt haben; denn das Tafelsilber steht nicht grenzenlos zur Verfügung. Was soll also die Diskussion? Bleiben wir doch bei den Tatsachen. Diese Defizite sind schlicht und einfach vorhanden. ({36}) Mittlerweile wird dies nicht nur in Deutschland so gesehen, sondern in ganz Europa. Diese Erkenntnis führte zu der Frage, die auch in der letzten Zeit die Gemüter beschäftigt hat: Welche Politik kann zur schrittweisen Zurückführung der Arbeitslosigkeit gemacht werden, wenn die Möglichkeiten der Steuerpolitik, die Möglichkeiten der Neuordnung der Sozialversicherungsstrukturen und die Möglichkeiten der Haushaltspolitik zwar gegeben, aber begrenzt sind? Es wäre fahrlässig, zu sagen, allein wegen des Vorhandenseins der Möglichkeiten könnte ein deutlicher und dramatischer Abbau der Arbeitslosigkeit eingeleitet werden. Wenn man sich solche Fragen stellt, dann blickt man eben auch über den Zaun zu anderen Ländern. Ich hatte vorhin gesagt: Wer das Heil in der Steuerpolitik sucht, der muß schlicht und einfach von der Sache her beantworten, warum in früheren Jahrzehnten bei höheren Grenzsteuersätzen, etwa bei der privaten Einkommensteuer, und bei einer höheren Besteuerung der Unternehmen gleichwohl ein größeres Wachstum und ein stärkerer Abbau der Arbeitslosigkeit oder gar ein Aufwuchs der Beschäftigung vorzufinden waren. Dieser Sachfrage muß er sich zunächst einmal stellen. Bei den Lohnnebenkosten ist es ohne Zweifel so, daß sie auf Grund der Entscheidungen im Zusammenhang mit der Vereinigung ein Rekordniveau erreicht haben. Dies ist eine strukturelle Fehlentwicklung, insbesondere im Hinblick auf die personalintensiven Betriebe im Einzelhandel, im Mittelstand und im Handwerk. Bei der Haushaltspolitik sind die Spielräume nicht mehr vorhanden. Das muß man in aller Klarheit sagen. Also: Wo und wie kann angesetzt werden, um wieder zu mehr Beschäftigung zu gelangen? Wenn wir beispielsweise auf die Vereinigten Staaten blicken, dann sehen wir, daß dort eine selbstverständliche Diskussion im Gange ist, von der ich mir wünschen würde, daß sie auch in Deutschland in derselben Sachbezogenheit und Unaufgeregtheit in Gang kommen könnte. Es handelt sich um eine Diskussion darüber, was die Fiskalpolitik, also die Haushalts- und Steuerpolitik, was die Lohn - und Einkommenspolitik und was die Geldpolitik - vielleicht koordiniert - tun können, um Wachstum und Beschäftigung zu erreichen und die Arbeitslosigkeit langsam abzubauen. Ich möchte Sie mit einem Zitat konfrontieren, um auch hier einmal etwas von der Debatte, die in anderen Ländern stattfindet, einzuführen. Im Hinblick auf das Zusammenwirken von Haushaltspolitik und Geldpolitik hat mein französischer Kollege Dominique StraussKahn kürzlich in einem Vortrag gesagt: Wir stehen doch vor verschiedenen Konzepten, entweder das Konzept Reagan/Volcker oder Clinton/Greenspan, was das Zusammenwirken von Haushaltspolitik und Geldpolitik angeht. Er hat sich dafür ausgesprochen, daß wir in Zukunft versuchen sollten, eher dem Konzept Clinton/Greenspan zu folgen als dem Konzept Reagan/Volcker. Was ist damit gemeint? Damit ist gemeint, daß der Irrglaube, es sei nicht notwendig, die Haushaltspolitik und die Geldpolitik zu koordinieren, zu erheblichen Beschäftigungsverlusten führt. ({37}) Dieser Irrglaube hat nicht nur in Amerika dazu geführt, sondern auch in Deutschland, wie ich gleich ausführen werde. Reagan hat eine expansive Haushaltspolitik mit großer Staatsverschuldung betrieben. Die Geldpolitik konnte darauf nur mit Zinsen im zweistelligen Bereich reagieren. Eine solche Konstellation ist auf Grund der Haushaltsentwicklung nicht machbar. Sie ist auch gar nicht wünschenswert, weil ein solches Bremsen der Geldpolitik längerfristig zu Beschäftigungsverlusten führen muß, wie sie Anfang der 90er Jahre in den Vereinigten Staaten zu verzeichnen waren. Auf der anderen Seite besteht jetzt in Amerika eine Situation, in der Haushaltspolitik - in den USA gibt es sogar leichte Überschüsse - und Geldpolitik so aufeinander abgestimmt sind, daß, abgesehen von der Rezession zu Beginn der 90er Jahre, ein langsames und schrittweises Wachstum mit ständig zunehmenden Beschäftigungserfolgen stattgefunden hat. Was hindert uns eigentlich daran, in der Zukunft eine ähnliche Abstimmung, und zwar nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene - das geht jetzt nämlich nicht mehr -, sondern auf europäischer Ebene, zu versuchen? ({38}) In diesem Zusammenhang möchte ich ein paar Bemerkungen zur Geldpolitik machen, wobei ich wirklich darum bitten möchte, mich wörtlich zu zitieren und nicht irgendwelche Dinge in die Welt zu setzen, die von der Sache her nicht gedeckt sind. Erstens. Niemand stellt die Unabhängigkeit der Geldpolitik in Frage. ({39}) - Es kann sein, daß Sie nicht lesen oder nicht zuhören; das ist dann Ihre Sache. ({40}) Ich muß Ihnen noch einmal sagen: Niemand stellt die Unabhängigkeit der Geldpolitik in Frage. Die Unabhängigkeit der Geldpolitik hat einen einfachen Grund, der in den Schwächen all derjenigen liegt, die hier rechts und links - jetzt zuhören. Wenn die Unabhängigkeit der Geldpolitik nicht gegeben wäre und die Politik über die Geldpolitik zu entscheiden hätte, dann bestünde vor Wahlen immer die Gefahr, daß sachgemäße Entscheidungen im Interesse des Hauptziels der Geldpolitik, der Wahrung der Preisstabilität, nicht getroffen würden; deshalb ist es richtig, die Geldpolitik einer unabhängigen Instanz zu übertragen und dem politischen Zugriff zu entziehen. Daran gibt es keinen Zweifel. ({41}) Wenn wir darin einig sind, dann ist das in Ordnung. Kein Zweifel besteht auch daran, daß das vorrangige Ziel der Geldpolitik - so heißt es überall in Amerika und in Europa - die Preisstabilität ist, weil alle ökonomischen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte gezeigt haben, daß ohne Einhaltung des Ziels der Preisstabilität Wachstum und Beschäftigung nicht in Gang kommen können. Aber aus dem Begriff „vorrangiges Ziel“ ergibt sich schon, daß es daneben weitere Ziele der Geldpolitik geben muß. Genau darüber diskutiert man in Amerika und in Gesamteuropa. Die Antwort, die die Mehrheit mittlerweile gibt, ist einfach: In dem Maße, in dem die Preisstabilität gewahrt bleibt und gesichert ist - ich nenne einmal die deutschen Zahlen: jetzt beträgt die Inflationsrate 0,7 Prozent; die Bundesbank sagt: davon sind 0,75 auf Grund von Qualitätssteigerungen überzeichnet; demnach hätten wir, wenn man das so rechnet, ein Minus von 0,05 -, ist die Geldpolitik gehalten, Wachstum und Beschäftigung zu unterstützen. Das kann man für richtig oder falsch halten; es ist unsere Auffassung. ({42}) - Das steht wörtlich auch im Vertrag, Frau Kollegin Matthäus-Maier, das ist richtig. In der jetzigen Situation stellt sich die Frage: Was kann die Geldpolitik tun? Ich möchte noch einen Irrtum ansprechen. Meine Damen und Herren, es hat keinen Sinn mehr, sich in diesen drei, vier Wochen noch über die deutsche Geldpolitik zu streiten. ({43}) - Sie müssen zuhören und nachlesen. Ich sage Ihnen noch einmal: Wenn Sie nicht in der Lage sind, wörtlich zu zitieren, zuzuhören und nachzulesen, dann laufen Sie Gefahr, irgendwelche Märchen in die Welt zu setzen, weil Sie die Zusammenhänge nicht verstanden haben. Das liegt dann aber an Ihnen; es tut mir leid. ({44}) Deshalb ist die Frage, ob wir jetzt in Europa Spielräume haben, um über die Geldpolitik die Beschäftigung und das Wachstum zu unterstützen. Diese Frage wird in Gesamteuropa beantwortet, und zwar auch ohne die Debatte hier. Acht europäische Banken sind dabei, die Geldmarktzinsen Schritt für Schritt zurückzunehmen. ({45}) - Ja, sie liegen höher; ich will das ja gerne aufgreifen. Aber daß es mittlerweile zu einer Veränderung der gesamteuropäischen Geldpolitik gekommen ist, können Sie daran erkennen, daß es ursprünglich einmal hieß das können Sie überall nachlesen -, daß sich die Geldpolitik, was die Geldmarktzinsen angeht, schrittweise einem höheren Niveau als dem deutschen annähern müsse. Ursprünglich war einmal ein Ziel von 5 Prozent in der Diskussion. Dann kam ein Ziel von 4 Prozent in die Diskussion. Dann kam vor vielen Monaten die Entscheidung, den Repro-Satz um 0,3 Prozent anzuheben. Mittlerweile ist die Preisstabilität so stark, daß man insgesamt eine Annäherung nach unten vertreten kann. Genau das ist doch gewollt: daß bei Wahrung der Preisstabilität sinkende Geldmarktzinsen in Europa günstigere Bedingungen für Wachstum und Beschäftigung schaffen. Meine Damen und Herren, es war an der Zeit, dies hier noch einmal klarzustellen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister Lafontaine, ich muß Sie darauf hinweisen, daß die für Sie vereinbarte Redezeit schon überschritten ist. Das weitere geht auf das Konto der SPD-Fraktion. ({0})

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Vielen Dank, Herr Präsident. Die Fraktion hat mir in ihrer Großzügigkeit freigestellt, ruhig zwei, drei Minuten länger zu sprechen. ({0}) Ich bin jetzt bei der vierten Minute und werde versuchen alsbald zum Ende zu kommen. ({1}) Meine Damen und Herren, das Entscheidende ist, daß wir Fehler der 70er und 80er Jahre und auch Fehler, die zu Beginn der 90er Jahre gemacht wurden, nicht wiederholen. Hier wurde beispielsweise von Herrn Wissmann - ich sehe ihn im Moment nicht - gesagt, wir seien jetzt dabei, die alten Hüte der 70er Jahre wieder hervorzunehmen und eine veraltete Politik zu machen. Solche Äußerungen finden sich auch in vielfältigen Stellungnahmen, die leider eine Auseinandersetzung mit den Fakten und Daten vermissen lassen. Genau die Konstellation, die wir in den 70er Jahren hatten, als nämlich die Lohnpolitik weit über das Produktivitätsziel hinausschoß - jeder erinnert sich an die zweistelligen Forderungen der ÖTV -, die Geldpolitik mit einem ganz harten Kurs gegenhalten mußte und damit eben auch Wachstum und Beschäftigung ausbremste, müssen wir in Zukunft vermeiden. Deshalb müssen wir über die Frage diskutieren, wie die wesentlichen Politikbereiche in Deutschland und Europa zusammenspielen müssen. ({2}) Meine Damen und Herren, gerade weil es für unsere Diskussion wichtig ist, möchte ich noch die Situation zu Beginn der 90er Jahre ansprechen. Zu Beginn der 90er Jahre haben Sie exakt den gleichen Fehler gemacht, natürlich gestützt durch eine besondere Situation, ohne aus den früheren Konstellationen die immer zu Beschäftigungseinbrüchen geführt haben, zu lernen. Sie haben gegen den Rat auch der Bundesbank und der Sachverständigen den Aufbau Ost über Gebühr kreditfinanziert, also eine expansive Finanzpolitik betrieben. Auf Grund von Plakaten, die ich in Berlin gesehen habe - man hört diesen Quatsch ja schon wieder: gleicher Lohn für gleiche Arbeit -, setzte man dann auch noch eine Lohndrift in Gang, die weit über das Produktivitätsziel hinausschoß. Man hatte genau die Konstellation der 70er Jahre, und die Geldpolitik konnte nur durch scharfes Treten auf die Bremse mit einem Diskontsatz von 83/4 Prozent gegenhalten. Dieses unabgestimmte Vorgehen, aus dem Sie offensichtlich immer noch nichts gelernt haben, hat dann zu einem deutlichen Wiederanstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Ich bitte Sie, einmal über diese Zusammenhänge nachzudenken und dann vielleicht auch zu den entsprechenden Schlußfolgerungen zu kommen. ({3}) Meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldigung, daß ich die Redezeit etwas überzogen habe. ({4}) - Das überlassen wir immer den Wählerinnen und Wählern, verehrter Herr, und da haben Sie in letzter Zeit ein bißchen schlecht ausgesehen. ({5}) Wir stellen fest, daß die Wählerinnen und Wähler uns den Auftrag gegeben haben, die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu ändern. ({6}) Sie haben uns den Auftrag gegeben, die Steuerpolitik zu ändern. Sie haben uns den Auftrag gegeben, die Lohnnebenkosten zu senken und dabei Fehlentwicklungen aus der deutschen Einheit zu korrigieren, und sie haben uns den Auftrag gegeben, eine Wirtschafts- und Finanzpolitik zu machen, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Ich will an einem Satz noch einmal deutlich machen, warum Ihre Ablösung notwendig war. Wie oft haben Sie hier gestanden und gesagt: Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause! Die Regierung Schröder sagt: Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause, aber mehr und mehr auch auf europäischer Ebene. Deshalb wartete ganz Europa auf eine neue deutsche Regierung. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lafontaine, Sie haben viel über Europa gesprochen. Das hatte durchaus einen Sinn. Aber wir hätten doch erwartet, daß Sie heute morgen einmal zu den Spekulationen, die Sie selbst in die Welt gesetzt haben, ein Wort sagen, nämlich ob Sie nun hier in Deutschland ein Finanzminister auf Abruf sind, ({0}) ob Sie also die Lage, in der Sie jetzt sind, nämlich die Nummer zwei zu sein, eben nicht so lange ertragen und wieder die Nummer eins werden wollen. Herr Lafontaine, dazu hätte von Ihnen heute morgen durchaus ein klärendes Wort kommen können. ({1}) - Die Tatsache, daß Sie so unruhig werden, zeigt doch, daß Sie sich offensichtlich mit dem Gedanken anfreunden, Ihren Parteivorsitzenden zu verlieren. ({2}) Meine Damen und Herren, ich will zu Beginn auf einige Punkte zu sprechen kommen, die Sie, Herr Lafontaine, in Ihrer Einführung dargelegt haben. Lassen Sie mich zunächst zu dem Thema der Zinsquote im Bundeshaushalt etwas sagen. Es ist wahr, die Zinsquote des Bundeshaushaltes ist relativ hoch. Sie ist aber auch deshalb so hoch, weil wir die finanziellen Lasten, die mit der Überwindung der deutschen Teilung verbunden waren, ganz überwiegend über den Bundeshaushalt finanziert haben. Dazu, Herr Lafontaine, haben Sie nicht ein einziges Wort gesagt. ({3}) Beim Bundeshaushalt haben wir schon eine etwas andere Lage als beim Haushalt des Saarlandes, den Sie bis vor kurzem noch zu verantworten hatten, Herr Lafontaine. Ich werde auch auf die Geldpolitik gleich noch zu sprechen kommen. Lassen Sie mich vorweg etwas zu den versicherungsfremden Leistungen sagen, die Sie angesprochen haben. Herr Lafontaine, richtig ist, daß auch die Sozialversicherungssysteme in der Bundesrepublik Deutschland über eine gewisse Zeit - wie alle öffentlichen Haushalte - von den Konsequenzen aus der Überwindung der deutschen Teilung betroffen waren. Aber Sie selbst, die SPD-Bundestagsfraktion, wir alle haben in diesem Jahr gemeinsam eine Mehrwertsteuererhöhung beschlossen. ({4}) Diese ist am 1. April 1998 in Kraft getreten. Der Bundesrat hat dem mit der Mehrheit der SPD-geführten Bundesländer zugestimmt. Mit Leistungen aus dem Bundeshaushalt von jetzt insgesamt gut 100 Milliarden DM im Jahr 1999 sind sämtliche sogenannten versicherungsfremden Leistungen, die die Rentenversicherung zu tragen hat, abgegolten. Das Thema versicherungsfremde Leistungen, Herr Lafontaine, ist erledigt. ({5}) Das, was Sie jetzt beginnen, ist eine Umverteilung aus dem Steuerhaushalt in die Sozialhaushalte. Ich zitiere hier einmal aus dem Buch Ihres Ministerkollegen Bodo Hombach - der jetzt gerade nicht da ist -, einem Buch, das ich mit großem Interesse gelesen habe, das ich mir beinahe sogar gekauft hätte, um einen Beitrag dazu zu leisten, daß er irgendwann einmal sein Haus bezahlen kann. ({6}) In diesem Buch schreibt Herr Hombach: Langfristig darf es aber nicht einfach bedeuten, daß beitragsfinanzierte Lasten nun auf steuerfinanzierte Lasten umgewälzt werden. Wörtlich heißt es weiter: Das hieße, von einer Tasche in die andere zu wirtschaften. Herr Lafontaine, mit der Umfinanzierung aus dem Steuerhaushalt in die Sozialhaushalte beginnen Sie genau mit diesen Umfinanzierung von einer Tasche in die andere. ({7}) Nachdem Sie, Herr Bundeskanzler, am Dienstag in Ihrer Regierungserklärung - man mußte schon ziemlich aufmerksam zuhören, um das auch wahrzunehmen - zu Recht einen Hinweis darauf gegeben haben, daß die Staatsquote in Deutschland weiter sinken müsse, hätten wir nun von Ihnen, Herr Lafontaine, als dem dafür zuständigen Bundesfinanzminister erwartet, daß Sie dieses etwas konkreter darlegen. Denn aus der Summe von Abgabenquote und Sozialleistungsquote, also aus dem Staatsverbrauch, ergibt sich die Staatsquote. Gegenwärtig sinkt die Staatsquote in der Bundesrepublik Deutschland - richtigerweise. ({8}) Wenn Sie weitere Umfinanzierungen vornehmen, wird die Staatsquote steigen. Nun sagen Sie bitte nicht, dies sei nur eine akademische Größe, über die sich vielleicht irgendwelche Finanzpolitiker unterhalten, die aber gesamtwirtschaftlich keine Bedeutung habe. Das Gegenteil ist richtig. Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hat in den Jahren von 1982 bis 1991 die Staatsquote in der Bundesrepublik Deutschland von den gut 51 Prozent, die sie von Helmut Schmidt übernommen hatte, auf gut 46 Prozent abgesenkt. Das Ergebnis war, daß in diesen Jahren in Deutschland 3,2 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen konnten. ({9}) Wenn Sie, Herr Lafontaine, ohne Rückführung der gesamten Abgabenbelastung eine reine Umfinanzierung durch Umschichtung von Geldern aus den Steuerhaushalten in die Sozialhaushalte vornehmen, werden Sie das Ziel, das Sie sich gesetzt haben und das wir teilen, nämlich die Absenkung der Arbeitslosigkeit, nicht erreichen. Damit schon zu Beginn - wir reden ja über die Schluß- und die Eröffnungsbilanz - die richtigen Zahlen unserer weiteren Diskussion zugrunde gelegt werden, will ich nicht nur die Arbeitslosenzahlen, sondern vordringlich noch einmal die Beschäftigtenzahlen nennen. In der Zeit zwischen Dezember 1982 - das war der Beginn der 16jährigen Amtszeit von Helmut Kohl - und Herbst 1992 - das war der Höhepunkt des Aufbaus an neuer Beschäftigung - haben wir eine Zunahme der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 20,1 Millionen auf 23,3 Millionen erlebt. Die Zahl der soziFriedrich Merz alversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland ist also um 3,2 Millionen gestiegen. Von diesen 3,2 Millionen zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen gibt es heute in den alten Bundesländern immer noch 1,8 Millionen. Damit wir von den richtigen und den gleichen Zahlen ausgehen, Herr Lafontaine, wenn wir uns in den nächsten Jahren hier im Hause häufiger über Mißerfolge und Erfolge der Politik Ihrer Regierung unterhalten, halte ich fest: Wir haben heute in den alten Bundesländern immer noch 21,9 Millionen Beschäftigte. Ich nenne diese Zahlen deswegen und lasse sie auch im Protokoll festhalten, damit Sie nicht in einem Jahr herkommen und sagen: Wir haben dadurch, daß wir mehrere hunderttausend Menschen in die Frühverrentung oder in die Rente geschickt und ein paar hunderttausend Jugendlichen neue Arbeit verschafft haben, das Problem der Arbeitslosigkeit gelöst. Herr Lafontaine, das Problem der Arbeitslosigkeit in Deutschland werden Sie nur lösen, wenn die Arbeitslosenquote sinkt und die Beschäftigtenquote in Deutschland steigt. Anderes lassen wir nicht durchgehen. ({10}) Sie haben erfreulicherweise - ich sage das wirklich ohne irgendwelche Hintergedanken - im wesentlichen darauf verzichtet, eine Rede über die Erblast zu halten, die Sie von Helmut Kohl und Theo Waigel übernommen haben. ({11}) - Herr Poß, ich komme auf die Haushaltszahlen gleich noch zu sprechen. Aber, Herr Bundeskanzler, diesen Hinweis kann ich mir nicht verkneifen: Der einzige Teil ihrer Regierungserklärung, den Sie am Dienstag in freier Rede gehalten haben und in dem eine gewisse Emotion bei Ihnen zu erkennen war - ansonsten war Ihre Rede völlig emotionslos, wie das die Presse zutreffend beschrieb -, war der Teil, in dem Sie sich mit der Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt haben. ({12}) Herr Schröder und Herr Lafontaine, es ist in der Tat wahr: Wir haben in Deutschland ein Problem im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit. ({13}) Dieses Problem stellt sich in den einzelnen Bundesländern aber höchst unterschiedlich dar. ({14}) Ich will Ihnen die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit nicht vorenthalten: Wir haben im Saarland eine Jugendarbeitslosigkeit von 11,2 Prozent, in Niedersachsen von 11,5 Prozent, in Hamburg von 14,2 Prozent, in Brandenburg von 15,7 Prozent und in Sachsen-Anhalt, wo jetzt die DVU im Landtag sitzt - das eine hat etwas mit dem anderen zu tun -, von 16,5 Prozent. ({15}) Das ist in der Tat für die neue rotgrüne Regierung unter Oskar Lafontaine eine Erblast, die Sie mit nach Bonn bringen. In Bayern liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 5,8 Prozent und in Baden-Württemberg bei 7 Prozent. ({16}) In diesen Ländern gibt es das Problem in dem von Ihnen so emotional beschriebenen Umfang nicht, Herr Bundeskanzler. ({17}) Lassen Sie mich noch einmal auf die Ausgangslage zu sprechen kommen, die Sie vorfinden. Zur Schlußbilanz der Regierung Helmut Kohl und zur Eröffnungsbilanz der Regierung Lafontaine ({18}) - Entschuldigung: der Regierung Schröder - gehört: ({19}) Die Währung ist stabil, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Gesamtverschuldung ist rückläufig, das Staatsdefizit wird in diesem Jahr weit unter dem MaastrichtKriterium von 3 Prozent, nämlich bei ungefähr 2,5 Prozent liegen. Damit liegen alle gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten und Plandaten für den Bundeshaushalt auf dem Tisch - und nicht erst seit dieser Woche, Herr Lafontaine, sondern schon seit drei oder vier Wochen. Es gab zu keinem Zeitpunkt irgendeine Zahl, die Sie nicht kennen konnten und die Ihnen die Beamten Ihres Hauses - Sie haben aus der gesamten Führungsetage nur einen Beamten übernommen - nicht vorgelegt haben. Alle Rahmendaten und alle Plandaten liegen Ihnen vor. ({20}) Das Fazit lautet: Die neue Bundesregierung übernimmt nicht eine Erblast, sondern sie trifft auf alle Voraussetzungen für einen dauerhaften wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland in den nächsten Jahren. ({21}) Dies wird durch die gestern veröffentlichte Steuerschätzung eindrucksvoll belegt. ({22}) Im Jahre 1998, im ersten Jahr eines beginnenden wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland, werden die Staatseinnahmen aller Gebietskörperschaften, also des Bundes, der Länder und der Gemeinden, um 7,8 Milliarden DM höher sein, als noch im Mai dieses Jahres geschätzt. Davon entfallen - ich will diesen Punkt nur der Vollständigkeit halber erwähnen, weil an uns häufig die Kritik geübt worden ist, wir ließen die Gemeinden allein - über 5 Milliarden DM auf die Kommunen. Dies ist ein großartiger Erfolg der Finanz- und Wirtschaftspolitik des Jahres 1998, die wir noch zu verantworten hatten. ({23}) Herr Lafontaine, es gibt im nächsten Jahr nicht etwa eine große Lücke und Defizite auf Grund der Verhältnisse, die Sie vorgefunden haben. Vielmehr werden die Gebietskörperschaften insgesamt im nächsten Jahr höhere Steuereinnahmen von insgesamt 38 Milliarden DM gegenüber dem laufenden Jahr 1998 haben. Davon entfallen mehr als 26 Milliarden DM auf den Bund. Sie finden einen Haushaltsplan und einen Etat für das nächste Jahr vor, Herr Lafontaine, der Ihnen 26 Milliarden DM höhere Einnahmen als im laufenden Haushaltsjahr 1998 bringt. Das heißt im Klartext: Der Bund hat gegenüber dem laufenden Jahr 1998 um 7,5 Prozent höhere Steuereinnahmen. Ich komme auf dieses Thema noch zu sprechen. Diese Zahlen zeigen zweierlei: Erstens. Die von Ihnen häufig zitierte Steuerquote steigt. Zweitens. Sie finden im Bundeshaushalt den Spielraum für eine durchgreifende Steuerreform mit Nettoentlastungen bei gleichzeitiger Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage vor. ({24}) Herr Minister Lafontaine, wenn Sie jetzt bestreiten, daß Sie bei diesen Steuermehreinnahmen des kommenden Jahres den Spielraum für eine durchgreifende Steuerreform haben, dann haben Sie mit den Steuereinnahmen, die Sie im nächsten Jahr zusätzlich haben werden, etwas anderes vor als eine vernünftige Steuerpolitik. ({25}) Ich sage Ihnen vorsorglich - denn es gab heute in den Zeitungen wieder Hinweise auf Art. 115 des Grundgesetzes, der die Grenze der Neuverschuldung des Bundeshaushaltes bestimmt -: ({26}) Die steigenden Steuereinnahmen, die sich langsam abbauende Arbeitslosigkeit in Deutschland, die zurückgehende Verschuldung der öffentlichen Haushalte und die anhaltende Preisstabilität verbieten Ihnen schon jetzt für das gesamte nächste Jahr die Feststellung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. ({27}) Herr Lafontaine, es gibt jetzt im übrigen überhaupt keinen Grund mehr dafür, daß Sie dem Bundestag den Entwurf des Haushaltsplanes für das Jahr 1999 vorenthalten. Wir erwarten, daß Sie spätestens in der ersten Dezemberwoche den Etatentwurf für das Jahr 1999 vorlegen. ({28}) Nun lassen Sie mich noch einmal auf die Steuerpolitik im engeren Sinne zurückkommen und auf einige grundlegende Unterschiede hinweisen, die uns in der Tat trennen. Zunächst zu dem von Ihnen immer wieder angesprochenen Begriff der Steuerquote. Herr Lafontaine, Sie wissen genauso gut wie wir, daß die volkswirtschaftliche Steuerquote überhaupt nichts darüber aussagt, wie hoch die tatsächliche Steuerbelastung der einzelnen Steuerzahler ist. Ich will Ihnen auch sagen, warum die Steuerquote kein Parameter für eine gute und vernünftige Steuerpolitik ist. Wir haben durch die Anhebung bzw. Verdoppelung des Grundfreibetrages, die im Jahre 1996 - ich gebe zu, durch das Bundesverfassungsgericht erzwungen - vom Gesetzgeber durchgesetzt worden ist, und durch die Neuregelung beim Kindergeld rund 30 Prozent der Arbeitnehmerhaushalte in Deutschland steuerfrei gestellt. Das betrifft die von Ihnen immer wieder zitierten unteren Einkommen. ({29}) Herr Lafontaine, Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen zahlen also seit 1996 praktisch keine Steuern mehr. ({30}) Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang noch etwas zu Ihrer im wesentlichen nachfrageorientierten Steuerund Finanzpolitik sagen: Wenn Ihre Theorie stimmen würde, daß durch eine Stärkung der Massenkaufkraft, wie Sie das im Wahlkampf immer ausgeführt haben, die Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen seien, dann hätte es im Jahre 1996 eine durchgreifende Veränderung auf dem Arbeitsmarkt geben müssen. ({31}) Denn, Herr Lafontaine, im Jahre 1996 hat es durch die Verdoppelung des Grundfreibetrages und durch die Anhebung des Kindergeldes eine Entlastung der Arbeitnehmer in Deutschland in Höhe von netto 12 Milliarden DM gegeben. Die Wahrheit ist - wir haben das nicht anders erwartet -, daß im Jahre 1996 durch diese Maßnahmen praktisch keine Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt eingetreten sind. Sie sagen jetzt ja noch nicht einmal eine Nettoentlastung für die Jahre 1999 ff. voraus, sondern Sie nehmen eine reine Umfinanzierung vor, wobei für die Steuerzahler netto keine D-Mark mehr herauskommt. Wir sagen Ihnen, Herr Lafontaine, voraus: Diese einseitig auf die Nachfragekraft konzentrierte Steuerpolitik der Bundesregierung wird auf dem Arbeitsmarkt keine positiven Ergebnisse bringen. ({32}) Wenn Sie sich einmal über die Wirkungen einer so einseitig nachfrageorientierten Steuer- und Finanzpolitik informieren wollen, dann können Sie meinetwegen darauf verzichten, alle diesbezüglichen Dokumente der alten Regierung zu lesen. Sie brauchen nur ein Dokument der neuen Regierung heranzuziehen. Ich zitiere noch einmal aus dem Buch Ihres Kabinettskollegen Bodo Hombach, der richtigerweise darauf hingewiesen hat - ich habe es gestern noch einmal nachgelesen, daß bei einer Zunahme des verfügbaren Einkommens einer Arbeitnehmerfamilie um 100 DM für den Binnenmarkt 27,23 DM übrigbleiben. ({33}) Er weist zudem darauf hin, daß aus der Sicht des Unternehmers eigentlich nicht 100 DM, sondern 121 DM aufgewendet werden müssen, weil der Arbeitgeber natürlich einen zusätzlichen Anteil an Sozialversicherungsbeiträgen zu zahlen hat. ({34}) Also, Herr Lafontaine, die Arbeitskosten und die Steuerquote und damit die Steuerbelastung in Deutschland müssen gesenkt werden, damit wir zu einer durchgreifenden Entlastung der Familien und der Betriebe kommen. Damit hier gar keine Mißverständnisse auftreten: Niemand von uns widerspricht der Anhebung des Kindergeldes. ({35}) Jeder von uns wünscht sich, daß wir noch höhere Leistungen an die Familien zahlen könnten. Aber was nützt es einem Familienvater, wenn er am 1. Januar 1999 ein höheres Kindergeld bekommt und am 1. Juli 1999 arbeitslos wird? Das nützt ihm überhaupt nichts, Herr Lafontaine. ({36}) Entscheidend ist, daß wir die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt - das sind die strukturellen Probleme unseres Steuersystems und unserer Sozialversicherung - lösen. Hier sage ich Ihnen noch einmal: Wir vertreten eine völlig andere Philosophie. Das Problem, das die Bundesrepublik Deutschland im international sich verschärfenden Wettbewerb hat, ist nicht in erster Linie eine Nachfrageschwäche, sondern das Problem, das wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, ist eine trotz aller Bemühungen der letzten Jahre anhaltende Investitions- und Wachstumsschwäche der deutschen Volkswirtschaft. Ich will Ihnen das an einem ganz einfachen Beispiel nachweisen, einem Beispiel, das nun wirklich nichts mit ungezügeltem Shareholder-Kapitalismus zu tun hat, sondern es sind Fakten, die noch nicht einmal Ihre Ehefrau in Frage stellen dürfte, Herr Lafontaine. ({37}) Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben im internationalen Vergleich mit die geringste Risikoprämie für eingesetzes Eigenkapital. Diese Risikoprämie, die sich als der Abstand zwischen den Zinsen definiert, die Sie für risikolose Staatsanleihen bekommen, und den Zinsen, die Sie für risikobehaftetes Eigenkapital in unternehmerischer Tätigkeit bekommen, beträgt in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig zwischen 0,5 und 1 Prozent. Das heißt im Klartext: Ein Unternehmer in Deutschland, der sein Geld nicht zur Bank trägt, sondern es als Investitionskapital in das Unternehmen steckt - risikobehaftet, mit vollem persönlichen Risiko - hat in Deutschland gegenwärtig die Chance, 0,5 bis 1 Prozent mit Arbeit mehr zu verdienen, als wenn er es - ohne Arbeit - auf der Bank ließe. ({38}) Die Risikoprämie in den wichtigsten Wettbewerbsländern der Bundesrepublik Deutschland - ich nenne nur einmal zwei: Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika - beträgt 10 Prozent. Jetzt lassen Sie mich, weil Sie es angesprochen haben, noch ein Wort zu Amerika sagen. Sie können sich natürlich nicht immer nur die Rosinen herauspicken und sagen: „Was dort in Amerika so gut ist, übernehmen wir,“ aber den Rest verschweigen Sie großzügig. Herr Lafontaine, Sie wissen es, - und der Bundeswirtschaftsminister wird es vielleicht aus eigener Anschauung noch besser wissen -, daß die Amerikaner die notwendige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die wir hier von dieser Stelle aus immer wieder angemahnt und die Sie immer wieder blockiert haben, längst hinter sich haben. ({39}) Herr Lafontaine, das konnten Sie jetzt nicht sehen. Ich will fair bleiben, aber beim Bundeswirtschaftsminister war ein leichtes Nicken zu erkennen. Die Amerikaner haben die strukturellen Reformen des Arbeitsmarktes und der Sozialversicherungssysteme - soweit man in Amerika überhaupt von Sozialversicherung sprechen kann - längst gemacht. Wenn Sie also mit Amerika vergleichen, Herr Lafontaine, dann bitte doch nur dann, wenn Sie gleichzeitig zugestehen, daß wir einige grundlegende Reformen unseres Sozial- und Steuersystems zusätzlich brauchen. Da offensichtlich Tony Blair - lassen Sie mich nun etwas zu Großbritannien sagen - eines Ihrer großen Vorbilder ist, lassen Sie mich anmerken, daß der Premierminister von Großbritannien bereits zweimal nach seiner erfolgreichen Wahl die Körperschaftsteuersätze gesenkt hat. Herr Lafontaine, Sie stellen die Senkung der Körperschaftsteuersätze für das Jahr 2002 in Aussicht. ({40}) Bis dahin werden Sie durch die Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage die Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland mit höheren Steuern massiv belasten. Das ist die Wahrheit in Deutschland. ({41}) Ich will wegen der Kürze der Zeit darauf verzichten, zu einzelnen Aspekten - wir werden dazu noch Gelegenheit haben - Ihrer steuerpolitischen Vorschläge Stellung zu nehmen. Ich hätte gerne noch etwas zum Thema steuerliche Bemessungsgrundlage, Teilwertabschreibung und all diesen Dingen gesagt. Sie haben aber zugesichert - dafür bedanke ich mich -, daß darüber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal geredet werden kann. Darüber muß geredet werden, weil es eine Reihe von höchst problematischen Vorschlägen gibt, die Sie hier gemacht haben. Lassen Sie mich noch etwas Grundsätzliches sagen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Merz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das tue ich deswegen gern, weil er dann aufhören kann, zu schreien. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Merz, ich höre gern auf, zu schreien, wenn Sie aufhören, die Unwahrheit zu sagen. ({0}) Könnten Sie dem Hohen Hause bitte bestätigen - Sie sind doch sicher in der Lage, Gesetzentwürfe zu lesen -, daß die Körperschaftsteuer nach unserem Gesetzentwurf im ersten Schritt schon im Jahre 1999 von 45 auf 40 Prozent gesenkt wird? Das Ziel von 35 Prozent ist für das Jahr 2002 - wenn möglich, schon früher - angepeilt. Könnten Sie dem Hohen Hause bitte bestätigen, daß dadurch eine nachhaltige Entlastung der Wirtschaft erfolgt?

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Poß, wenn es zu Ihrer Beruhigung beiträgt, bestätige ich Ihnen gern, daß Sie eine marginale Absenkung ({0}) - lassen Sie mich doch wenigstens aussprechen - des Steuersatzes für die betrieblichen Einkünfte im Einkommensteuergesetz und eine geringfügige Absenkung des Körperschaftsteuersatzes zum 1. Januar 1999 vorschlagen. Gleichzeitig treten fast alle Maßnahmen in Kraft, die zur Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlage herangezogen werden. Dies heißt im Klartext: Sie werden in den Jahren 1999, 2000 und 2001 die Betriebe in Deutschland mit erheblich höheren Steuern belasten, als sie im laufenden Jahr 1998 belastet wurden. Das ist die Wahrheit. ({1}) Herr Poß, wenn Sie uns nicht glauben, dann lesen Sie doch die frei gehaltene Rede des Bundesfinanzministers, dem ich gut zugehört habe! ({2}) Er hat sich ausdrücklich dazu bekannt, daß die Steuerbelastung für die Betriebe steigen und für die Arbeitnehmer sinken muß. Das ist seine Philosophie. ({3}) Das ist die Wahrheit, Herr Poß. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Poß möchte noch einmal nachfragen.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte jetzt gern zum Schluß kommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Solms?

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann lasse ich auch noch eine weitere Zwischenfrage von Herrn Poß zu. Herr Solms, bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, würden Sie bitte, um die Fakten richtigzustellen, dem Kollegen Poß mitteilen, daß von der rotgrünen Regierung geplant ist, den Körperschaftsteuersatz erst zum 1. Januar 2000 in einer ersten Stufe zu senken. ({0}) Ich habe es hier: Die gewerblichen Einkünfte für Personengesellschaften werden zum 1. Januar 1999 gesenkt, die Körperschaftsteuersätze zum 1. Januar 2000 in einer ersten Stufe. ({1}) Ich habe es nun wirklich schriftlich hier. Ich bitte, es entgegenzunehmen.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Poß, möchten Sie eine weitere Zwischenfrage stellen? ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte, Herr Poß.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Merz, ({0}) können Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß Sie vorhin wahrheitswidrig behauptet haben, wir würden die Unternehmensteuersätze nicht vor dem Jahre 2002 senken? Das können wir ja dann dem Protokoll entnehmen.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Poß, wenn es denn zur Klarheit beiträgt ({0}) - und zur Wahrheit -, will ich Ihnen gerne noch einmal bestätigen, daß Ihre steuerpolitische Konzeption vorsieht - das ist auch gar nicht ehrenrührig; ({1}) das haben Sie ausdrücklich so gewollt, ich habe Sie nur auf die Konsequenzen hingewiesen -, daß die Steuerbelastungen zuerst eintreten und die Steuerentlastungen später. Das ist die Konsequenz. ({2}) Das, was der Kollege Solms gerade zitiert hat, ist die Wahrheit. Sie planen zuerst die Steuererhöhungen und stellen für das Wahljahr 2002 geringfügige Steuerentlastungen in Aussicht. Das ist die Wahrheit. ({3}) Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß noch einmal auf die Geld- und Zinspolitik zu sprechen kommen. Herr Lafontaine, die Zeit reicht jetzt nicht mehr aus, um ausführlich über diese Frage zu diskutieren. Ich will nur den wesentlichen Kernpunkt unserer Kritik an Ihren Äußerungen der letzten Wochen wiederholen. Man kann sich über die Funktion von Geldpolitik und Notenbankentscheidungen durchaus unterhalten. Aber wenn Sie ein Ergebnis in Ihrem Sinne gewollt hätten, dann hätten Sie nicht mit diesen maßlosen Angriffen die Deutsche Bundesbank in die Rolle hineinversetzen sollen, überhaupt nicht anders entscheiden zu können, als sie in der letzten Woche entschieden hat. Herr Lafontaine, das Ergebnis Ihrer Attacken - Sie haben in Wahrheit die Europäische Zentralbank und nicht die Deutsche Bundesbank gemeint - ist heute in den Zeitungen nachzulesen. Das erste Ergebnis ist nicht, daß die Geldmarktzinsen sinken, sondern das erste Ergebnis ist, daß es einen massiven Vertrauensschwund der Öffentlichkeit in die Stabilität des Euro gibt. Das ist das Ergebnis Ihrer Attacken auf die Notenbank. ({4}) Geldwertstabilität ist kein Selbstzweck und ist nicht etwas, was irgendwo in den Büchern steht und was dunkel gekleidete Herren in den Elfenbeintürmen der Notenbanken für sich entscheiden. Geldwertstabilität - das ist die Erfahrung von 50 Jahren Geldpolitik in der Bundesrepublik Deutschland - ist die Grundlage für die Dauerhaftigkeit und Verläßlichkeit von Investitionen, sie ist die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und neue Arbeitsplätze, und, Herr Lafontaine, sie ist die Grundlage für die Sicherheit von Renten, von kleinen Einkommen und von kleinen Ersparnissen. Inflation ist der Taschendieb des kleinen Mannes. ({5}) Wir werden Ihnen nicht durchgehen lassen, daß Sie ein Ablenkungsmanöver starten, indem Sie es zulassen, daß die zwei neuen beamteten Staatssekretäre Ihres Hauses ständig über Deflation in Deutschland reden, und damit eine höhere Geldentwertung in Deutschland für die Zukunft billigend in Kauf nehmen. Mit uns wird ein solcher Weg nicht zu machen sein. ({6}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß etwas sagen, weil es notwendig ist, in einer solchen grundsätzlichen ersten Aussprache über die zukünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik darüber zu sprechen. Sie werden sich auch mit der Flucht in eine, wie Sie es formuliert haben, Politik der Wechselkurszielzonen nicht den Erfordernissen in der Bundesrepublik Deutschland entziehen können. Ich sage es sogar umgekehrt: Die Erfahrungen, die die asiatischen Länder gemacht haben - Indonesien, Malaysia, Korea, Thailand -, Länder, die zum Teil seit Anfang der 80er Jahre eine feste Wechselkursbindung an den Dollar vorgenommen haben, sind genau andersherum gewesen. Dort, wo es eine zu lange Bindung an Währungen gegeben hat, sind Spekulationsblasen entstanden. Es war mit eine Ursache für die Finanzkrise in Asien, daß die Wechselkurse nicht die realen Austauschverhältnisse dargestellt haben. ({7}) Dies ist der falsche Weg. Die Ursachen für Krisen internationaler, europäischer und auch nationaler Art liegen nicht in den Wechselkursentwicklungen, sondern in den entscheidenden politischen Weichenstellungen in den nationalen Volkswirtschaften. Zu diesen Weichenstellungen, im Sinne des Arbeitsmarktes, im Sinne der gesunden Entwicklung der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, Herr Lafontaine, fordern wir Sie auf. Wenn Sie auf dem Weg, den Sie heute morgen beschrieben haben, weiter voranschreiten, wird es nicht mehr Beschäftigung, sondern weniger Beschäftigung, und nicht weniger Arbeitslose, sondern mehr Arbeitslose in Deutschland geben. Dies wird unseren entschiedenen Widerspruch zu jeder Zeit herausfordern. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Ingrid Matthäus-Maier, SPD.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Merz hat behauptet, im Jahr 1999, also im nächsten Jahr, werde der Körperschaftsteuersatz nicht gesenkt, ({0}) sondern erst im Jahre 2002. Der Kollege Solms hat dies noch ausdrücklich unterstützt. Ich weise darauf hin: In dem hier auf den Tischen liegenden Gesetzentwurf steht auf Seite 2: Senkung des Körperschaftsteuersatzes für einbehaltene Gewinne auf 40 Prozent ab 1. Januar 1999. Das gleiche steht im Gesetzestext auf Seite 137, und es steht in der Begründung zum Gesetzestext auf Seite 278. Ich gehe davon aus, daß Sie vielleicht nicht bewußt die Unwahrheit gesagt haben. Allerdings kommt es mir vor, als wäre es so, weil der Kollege Poß Sie darauf hingewiesen hat. Ich fordere Sie hiermit offiziell auf, ({1}) hier heute morgen Ihre unwahre Behauptung zurückzunehmen und zu bestätigen, daß der Körperschaftsteuersatz sinkt. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Merz, Sie haben Gelegenheit zu einer Antwort. ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist immer so, wenn man frei spricht und kein ausformuliertes Manuskript hat ({0}) - Entschuldigung -, daß man Gefahr läuft, mißverstanden zu werden. Ich will das noch einmal ausdrücklich klarstellen: Ich bezweifle nicht, daß Sie nach dem Gesetzestext, der uns gegenwärtig vorliegt - das ändert sich ja immer wieder -, ({1}) die Absicht haben, die Steuersätze des Körperschaftsteuergesetzes bereits im nächsten Jahr zu senken. ({2}) Ich lege aber Wert auf die Feststellung - ich bleibe dabei -, daß die Bilanz zwischen Entlastung und Belastung - ({3}) - Wir können das ja gemeinsam, Frau Matthäus-Maier, im Protokoll noch einmal nachlesen. Ich habe gesagt und bleibe auch dabei, daß für das Jahr 1999, für das Jahr 2000 und für das Jahr 2001 - vor dem Zeitpunkt, für den Sie eine weitere Absenkung der Körperschaftsteuersätze vage in Aussicht stellen; das steht nicht in diesem Gesetzentwurf -, für diese drei Jahre, für die Wirtschaft und damit für die Arbeitsplätze in Deutschland nicht eine geringere, sondern eine höhere Steuerbelastung kommt. Das ist die Konsequenz Ihres Gesetzentwurfes. ({4}) Davon, Frau Matthäus-Maier, habe ich nicht nur nichts zurückzunehmen, sondern den Nachweis, daß dies so ist, werden wir Ihnen Jahr für Jahr in den nächsten drei Jahren von dieser Stelle aus führen. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Atmosphäre ein wenig zu besänftigen, erlaube ich mir, der Kollegin Kerstin Müller herzlich zu ihrem 35. Geburtstag zu gratulieren. ({0}) Ich freue mich, daß Sie Ihren Geburtstag mit uns zusammen verbringen. Alles Gute für Sie! Nun erteile ich das Wort der Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir ja jetzt geklärt haben, wer lesen oder wer nicht lesen kann, Herr Solms, denke ich, daß wir zur Senkung von Unternehmensteuern 1999 an dieser Stelle zumindest keine so klaren Aussagen mehr zu machen brauchen. Ich brauche das alles nicht noch einmal vorzulesen. Ich denke, Sie wissen jetzt mittlerweile, wo es steht. ({0}) Herr Merz, ich finde es allerdings etwas eigenartig, wenn Sie sagen, Sie hätten hier in freier Rede natürlich Schwierigkeiten gehabt, die Zuordnung der Steuersatzsenkungen auf die nächsten Jahre klar vorzutragen oder das klar im Hinterkopf zu haben. Wir waren ja auch lange genug in der Opposition. Jetzt sind wir Regierungsparteien. Man sollte doch einmal von folgendem ausgehen - das muß man wirklich einmal sagen, gerade an die Adresse der Steuerfachleute; das gilt für Herrn Solms genauso, wie es für Herrn Merz gilt -: Die Leute, die sich hier hinstellen und zu einer Steuerreform reden, die jetzt von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt worden ist und die in kürzester Zeit zuwege gebracht worden ist, sollten wenigstens wissen, wie die Steuersätze in den nächsten Jahren aussehen. ({1}) Mit einem Punkt, Herr Merz, ist es mir als Frau - ich sage das wirklich bewußt - sehr ernst: Sie haben in Ihren Ausführungen Herrn Lafontaines Ehefrau, Christa Müller, angesprochen. Anscheinend ist es für Sie unerträglich, daß eine Frau so denken kann. ({2}) Eine weitere Bemerkung vorab: Ich dachte eigentlich, die CDU habe gelernt, daß die Vergleiche der Bundesländer, mit denen Sie durch alle Lande gezogen sind, ({3}) Ihnen im Wahlkampf nicht dienlich waren. Denn schließlich haben sie nicht dazu geführt, daß Sie die Wahl gewonnen haben. Ich glaube, auch in dieser DeIngrid Matthäus-Maier batte nutzen sie nichts; denn sie bringen uns in keiner Weise weiter. Zum Gesetzentwurf selbst: Dieser Gesetzentwurf ist solide durchgerechnet und sauber finanziert. Das ist der große Unterschied zu den Entwürfen, mit denen wir es in der Vergangenheit, in der letzten Legislaturperiode, zu tun hatten. ({4}) Mit diesem Gesetzentwurf wird die Investitionskraft der Unternehmen gestärkt, und die Binnennachfrage wird entsprechend nachhaltig belebt. Es ist, Herr Merz, in keiner Weise richtig, wenn Sie sagen, damit werde nur Nachfragepolitik betrieben. In diesem Gesetzentwurf ist vielmehr ein ausgewogenes Verhältnis von angebotsund nachfrageorientierter Politik verankert. Wir haben im Wahlkampf immer gesagt, daß wir die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten wollen, daß wir das Zusammenleben mit Kindern begünstigen wollen. Das haben wir hier umgesetzt. Zudem wurde - dies ist für die Ländervertreter, Herr Faltlhauser, sehr wichtig - der sehr schwierigen Situation der öffentlichen Haushalte Rechnung getragen. Auf Grund dieser angespannten Haushaltslagen mußte in der ersten und zweiten Stufe eine strikte Aufkommensneutralität gewahrt werden, und erst in der dritten Stufe konnte eine Nettoentlastung von rund 15 Milliarden DM vorgesehen werden. Das ist richtig und finanzpolitisch äußerst vernünftig. Nun zu dem Punkt, der immer wieder angesprochen wird, nämlich inwiefern die Entlastung bei der Einkommensteuer mit dem Ziel der Senkung der Lohnnebenkosten und der Erhebung von Ökosteuern vereinbar ist. Ich finde, diese Bereiche müssen zumindest punktuell in Verbindung gesehen werden. Schließlich kommt es doch darauf an, was den Leuten am Schluß bleibt. Das ist es, was interessiert. Die Zahlen aus bestimmten Teilbereichen, die irgendwo herumschwirren, verunsichern die Leute nur. Alleinerziehende mit zwei Kindern und 2 500 DM brutto im Monat werden, Stand 1998, insgesamt mit 277 DM an Steuern und Abgaben belastet. Nach der Umsetzung der ökologisch-sozialen Steuerreform und der Einkommensteuerreform wird ebendiese alleinerziehende Mutter oder dieser alleinerziehende Vater mit zwei Kindern um monatlich 127 DM entlastet. Ich denke, das ist ein Schritt in die richtige Richtung; damit wird - unter Einbeziehung der Erhebung der Ökosteuern und der Senkung der Einkommensteuern - in diesen Einkommensgruppen der richtige Effekt erzielt. ({5}) Um der Kritik vorzubeugen, wir hätten die Tarife weiter senken sollen: Natürlich wäre dies wünschenswert gewesen; das wissen alle. Aber das Erbe der KohlRegierung - das muß auch in diesem Zusammenhang betont werden - hat uns im Haushalt keinen Spielraum gelassen. Der Bundeshaushalt weist allein für 1999 gegenüber der Waigelschen Vorstellung Risiken in Höhe von mehr als 10 Milliarden DM aus, und den Ländern und Kommunen geht es - ich denke, ich kann das beurteilen - auch nicht besser. Eine alte Mär, mit der wir vielleicht endlich einmal aufräumen sollten, ist: Wir haben die Finanzierung deswegen so geplant, weil wir den öffentlichen Kassen wie es in den Petersberger Beschlüssen der alten Koalition vorgesehen war - Einnahmeausfälle in Höhe von 57 Milliarden DM ersparen wollten. Herr Waigel hat damit - das ist das Problem - immer wieder Begehrlichkeiten geweckt, die in keiner Weise erfüllt werden konnten. Es waren schlicht unseriöse Vorschläge, mit denen er und auch andere aus der CDU, CSU und F.D.P. durch den Wahlkampf gezogen sind. Die Finanzpolitik steht jetzt endlich wieder auf einer soliden Grundlage. ({6}) Meine Damen und Herren, auch im Wirtschaftsbereich haben wir insgesamt gute Ergebnisse erzielt. Der Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte wird im nächsten Jahr, wie gesagt - das haben wir jetzt alle gelernt -, auf 45 Prozent und im Jahr 2000 auf 43 Prozent gesenkt. Die Körperschaftsteuer - das ist jetzt klar wird im nächsten Jahr von 45 auf 40 Prozent gesenkt. Natürlich streben wir eine Unternehmensteuerreform an. Demnächst wird dafür eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese Unternehmensteuerreform hat als Ziel die rechtsformunabhängige Besteuerung von Unternehmen, und zwar mit einem Steuersatz von etwa 35 Prozent. Es wäre natürlich wunderbar - dafür werden wir uns gemeinsam einsetzen -, wenn diese Reform nicht erst im Jahr 2002, sondern schon im Jahr 2000 umgesetzt werden könnte. ({7}) Wir gehen auch einen Schritt in Richtung Gleichbehandlung aller Einkunftsarten, indem wir zukünftig zum Beispiel - das ist ein heikles Thema, das weiß ich; ich nenne es trotzdem - Einkünfte in der Landwirtschaft über einen bestimmten Sockel ähnlich bzw. gleich behandeln wie gewerbliche Einkünfte. Wir haben hier natürlich auch eine soziale Komponente eingeführt: Kleinen bäuerlichen Familienbetrieben bis zu 15 Hektar soll die Durchschnittsbesteuerung erhalten bleiben. Das ist auch in Ordnung so. Insgesamt - auch das muß man einmal zur Kenntnis nehmen - gehen wir einen sehr mutigen Schritt in Richtung Steuervereinfachung und Abbau von Steuervergünstigungen. Es gibt über 70 Maßnahmen zur Bereinigung der Bemessungsgrundlage. Das ist vom Umfang, von der Dimension her die größte Steuerreform, die in der Geschichte der Bundesrepublik jemals mit einer solch affenartigen Geschwindigkeit - positiv gesehen - und so gut durchgerechnet vorgelegt worden ist. ({8}) Außerdem ist es gelungen - da hatten Sie angeblich immer Ihre Probleme -, durch eine frühzeitige Einbindung der Bundesländer in die Beratungen sicherzustellen, daß im Bundesrat die nötigen Abstimmungsergebnisse erzielt werden können, um diese Reform sehr schnell auf den Weg zu bekommen. Es gibt einen negativen Begleiteffekt der Diskussionen, die in den letzten Tagen, in den letzten Wochen geführt worden sind. Man muß feststellen, daß die Erarbeitung dieses Konzeptes teilweise regelrecht zu einem Spießrutenlaufen geworden ist. Ich meine, es ist ziemlich einmalig, daß, bevor ein Gesetz im Entwurf vorliegt, von allen möglichen Gruppen und Kreisen aus der Opposition, aus der Bevölkerung und vor allen Dingen von einigen wenigen aus der Wirtschaft Kritik geübt wurde, Nebelkerzen ins Blaue geworfen wurden. In den laufenden Beratungen müssen sie aber feststellen, daß sich einige der Vorbehalte und auch Teile der Kritik erübrigen. Dies ist natürlich etwas schwierig, weil so bestimmte Stimmungen erzeugt werden. Es ist auch unwahr, daß insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen die Hauptlast dieser Reform zu tragen haben. Kleine und mittlere Unternehmen werden entlastet, und zwar in einer Größenordnung von etwa 4 Milliarden DM. Belastet werden Großunternehmen und Konzerne. Das sind genau die, die in den letzten Jahren einen Gestaltungsspielraum genutzt haben. Das hatte mit Steuergerechtigkeit und mit leistungsgerechter Besteuerung überhaupt nichts mehr zu tun. Das fahren wir zurück, um die Gerechtigkeit auch innerhalb des Unternehmensbereiches wiederherzustellen. ({9}) Die Gesamtgewinnbelastung der Unternehmen wird übrigens nicht geschmälert; es gibt eine zeitliche Verschiebung bei der Besteuerung. Heute werden sehr früh stille Reserven gebildet, die am Ende der Besteuerung irgendwann wieder aufgelöst werden. Dies wollen wir in der nächsten Zeit verhindern. Das ist auch richtig. So zeigt dieser Entwurf, daß die meisten Befürchtungen auch in der Frage der Unternehmensbesteuerung unbegründet sind und daß gerade im Bereich des Mittelstandes einiges getan wird. Ich sage Ihnen noch ein Beispiel. Unternehmerische Verluste bleiben trotz neuer Mindestbesteuerung voll verrechenbar. Der Verlustrücktrag wird für Verluste bis 2 Millionen DM auf ein Jahr begrenzt. Bis Ende 2000 bleibt dies erhalten; dann haben wir sehr niedrige Steuersätze, dann ist das in Ordnung. Der Verlustvortrag bleibt weiter unbegrenzt möglich. Die Mär, daß die kleinen und mittelständischen Unternehmen von den Möglichkeiten, die sie heute haben, nicht mehr Gebrauch machen können, ist einfach falsch. Deswegen ist es notwendig und richtig, hier zu sagen, daß wir selbstverständlich die ganze Zeit vor allem an die kleinen und mittelständischen Unternehmen gedacht haben. ({10}) Es ist auch für die Arbeitgeber sinnvoll, daß wir vom 1. Januar an die Kindergeldauszahlungen nicht mehr über die Arbeitgeber vornehmen. Dies wird nach Berechnungen des Deutschen Industrie- und Handelstages eine Entlastung von 60 Millionen DM bei den Verwaltungskosten bringen. Das ist, finde ich, ein gutes Angebot an die Arbeitgeber. ({11}) Wenn hier von der Opposition immer wieder der Topf aufgemacht wird, wir würden die Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland über Gebühr schröpfen, so möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen, Herr Dr. Waigel, daß in den - ({12}) - Ich sagte ja: Ich rufe in Erinnerung. Ich habe nicht gesagt, daß Sie etwas gesagt haben. Ich möchte nur bitten, daß Sie sich in Erinnerung bringen, daß die alte Regierung ({13}) in den Petersberger Steuerbeschlüssen zum Beispiel Regelungen zum Thema außerordentliche Einkünfte hatte. Das hatten Sie in gleicher Form vorgesehen, wie wir es jetzt tun: Wegfall des halben durchschnittlichen Steuersatzes, statt dessen progressionsmildernde Besteuerung durch rechnerische Verteilung auf fünf Jahre. Deswegen braucht es hier von seiten der jetzigen Opposition überhaupt kein Geschrei zu geben. Das ist das, was damals sinnvoll war; das haben wir übernommen. Was nicht sinnvoll war, haben wir eben anders gestaltet. ({14}) Aus bündnisgrüner Sicht sind die wesentlichen Reformziele bei der Einkommensteuer erreicht worden: die dringende Entlastung von Durchschnittsverdienern, Aufkommensneutralität, Lichtung des Steuerdschungels. Aber in einigen Punkten wären wir - das müssen wir der Ehrlichkeit halber sagen; ich finde es gut, daß wir das so handhaben können - natürlich gern weitergegangen. Das ist klar. Wir hätten gerne eine stärkere Erhöhung des Kindergeldes gehabt, um den Kinderfreibetrag überflüssig zu machen. Aber wir denken, daß wir in den nächsten Jahren noch Zeit genug haben, um gemeinsam einen Schritt weiterzukommen. ({15}) Nachbesserungsbedarf gibt es aus unserer Sicht auch bei der Kilometerpauschale. Nach wie vor setzen wir uns für eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale ein, die auch den Benutzern öffentlicher Verkehrsmittel gerecht wird. ({16}) Wir wissen ja, daß die heutige Kilometerpauschale mißbrauchsanfällig ist und weit über den realen Kosten liegt. ({17}) Wir wollen uns auch weiterhin für eine weitere Absenkung des Spitzensteuersatzes stark machen, um verstärkt Impulse für ausländische Unternehmen, die hier investieren und bei denen es auch darum geht, was der Manager verdient und wie hoch er besteuert wird, zu setzen. Zusammenfassend möchte ich sagen, daß vom vorgelegten Steuerentlastungsgesetz mit Sicherheit Impulse für mehr Beschäftigung und Binnennachfrage ausgehen werden. Daß die bisher in der Bundesrepublik Deutschland geäußerten Befürchtungen im Ausland so überhaupt nicht gesehen werden, wie Sie das immer gern darstellen, zeigt ein Artikel aus der „Financial Times“ vom 13. Oktober 1998. Dort steht geschrieben: Dieser Steuerplan gibt einigen Grund zur Hoffnung. Er ist ziemlich vernünftig und stufenweise vielleicht unvermeidbar angesichts des ungünstigen globalen Wirtschaftsklimas. Aber seine Betonung auf Transparenz ist ein definitiver Schritt in die richtige Richtung. Die Entscheidung, den Plan fiskalisch neutral zu halten, ist ebenso begrüßenswert. Mit einer Staatsverschuldung von immerhin 2,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts hat Deutschland nicht viel Spielraum für Neuverschuldung. ({18}) Das ist eine Aussage, die deutlich macht, wie wir im Ausland wahrgenommen werden. Ich finde es sehr schön, daß das so ist. ({19}) Außerdem scheint die Börse die Aufregung der konservativen Kreise nicht ganz zu teilen. Der DAX hat sich soweit konsolidiert; die Baisse ist überwunden. ({20}) Das hat sicherlich damit zu tun, Herr Glos, daß im Unternehmensbereich jetzt das nachgeholt wird, was woanders längst üblich ist, nämlich eine objektivierte Gewinnermittlung mit reeller Ausweisung der tatsächlichen Gewinnsituation der Unternehmen. Das ist eine Anpassung an internationale Standards, die sonst von der Industrie immer eingefordert wurde. Dies tun wir. Ich sage: Die Sache ist rund und schafft Steuergerechtigkeit in diesem Land. Wir sind auf einem verdammt guten Weg. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat für die F.D.P.-Fraktion der Abgeordnete Dr. Hermann Otto Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich bei Frau Scheel, daß sie so sehr an den Mittelstand gedacht hat. Nur, das hilft dem Mittelstand, der sogenannten Neuen Mitte, nichts. Sie hätten dafür etwas durchsetzen müssen. ({0}) Der ganze Erfolg der Grünen bei der steuerpolitischen Konzeption war, daß sie die SPD gezwungen haben, den Spitzensteuersatz von 49 Prozent auf 48,5 Prozent zu senken. Ein toller Erfolg, immerhin ein halber Prozentpunkt. Das wird den mittelständischen Unternehmen nicht helfen. Ich bestätige ausdrücklich, Herr Poß und Frau Matthäus-Maier, daß Sie bereits ab 1999 damit beginnen, die Tarife zu senken. Nur, Sie beginnen vorsichtig zu senken. Aber Sie setzen die Gegenfinanzierung sowie den Abbau von Steuersubventionen und Abschreibungsbedingungen in der Wirtschaft sehr schnell durch. ({1}) Das Ergebnis wird sein, daß gerade in der Neuen Mitte, die dazu beigetragen hat - während des Wahlkampfes auf vielfältige Weise vom Bundeskanzler geködert -, daß anders gewählt wurde, die Betrogenen zu finden sein werden. Sie müssen die Zeche bezahlen. Die Belastung für die mittelständischen Unternehmen steigt. Das ist das Ergebnis. Das wird den Investitionsprozeß, den wir brauchen, um Arbeitsplätze zu schaffen, eben nicht in Gang setzen. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Poß?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Solms, würden Sie bestätigen, daß auch bei den Plänen von Herrn Waigel, die erste Stufe voll gegenfinanziert war, weil der Steuersenkungsspielraum auch nach Meinung von Herrn Waigel nicht gegeben war, höchstens in einem Umfang von 1,5 Milliarden DM? Diese Zahl hat er jedenfalls in der Haushaltsdebatte und in seiner Vorlage zur symmetrischen Finanzplanung genannt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der ursprüngliche Plan war, die erste Stufe aufkommensneutral zu gestalten. Ihre erste Stufe ist gerade für die mittelständischen Unternehmen nicht aufkommensneutral, sondern führt zu einer erheblichen Mehrbelastung. ({0}) Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel hatte auf Grund der guten Entwicklung bei den Steuereinnahmen vor der Wahl in Aussicht gestellt, daß wir bei der ersten Stufe schon eine Nettosteuerentlastung von 10 Milliarden DM ermöglichen könnten. ({1}) Das ist alles bekannt. Die Haushaltszahlen und die Steuermehreinnahmen, wie es Herr Merz auch dargestellt hat, würden das auch für Sie zulassen. Aber Sie brauchen ja das Geld, um Ihre Wahlgeschenke zu finanzieren. Deswegen bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als den Steuerzahler, der zu hoch belastet ist, nicht zu entlasten. ({2}) Ich bin dem Bundesfinanzminister ausgesprochen dankbar, daß er hier bestätigt hat - es ist ja erst ein anderer Eindruck erweckt worden -, daß er Systemkorrekturen und -reformen im Sozialsystem für notwendig hält. Ich bin dankbar, daß Sie das bestätigen. Nur, was Sie angekündigt haben, ist doch das genaue Gegenteil von dem, was Sie tun. Sie wollen die Rentenreform mit dem Einbau eines Altersfaktors aussetzen. Sie wollen eine Frühverrentung einführen. Irgendein Fonds soll das finanzieren. Natürlich müssen das Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezahlen - das wird dazu nicht gesagt. Sie wollen die Gesundheitsreform wieder so korrigieren, daß Mehrbelastungen herauskommen. Sie wollen die Lohnfortzahlung korrigieren. Sie wollen den Kündigungsschutz rückabwickeln. All das wird die Belastungen erhöhen und nicht senken, wird weniger Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen und wird ihn belasten. Wenn schon Strukturreformen, dann richtige! ({3}) Ich würde von Ihnen erwarten, daß Sie Ihren Haushaltsplan, den Sie längst vorgelegt haben müßten - so wie wir unseren Haushaltsplan vor der Bundestagswahl vorgelegt haben -, jedenfalls vor der hessischen Landtagswahl vorlegen, damit nicht der Eindruck eines Wahlbetrugs oder Wahlmanövers entsteht. ({4}) Das heißt: spätestens im Januar des nächsten Jahres. Nein, die Tarifreform, die Sie vorlegen, ist nicht ausreichend. Sie erreichen nämlich nicht die notwendige Senkung der Steuerbelastung, die Voraussetzung dafür ist, daß der Leistungsprozeß angeregt und finanziert wird und daß Investitionen in Gang kommen. Sie vergessen dabei - darüber ist kein Wort gesagt worden -, daß Sie den Solidaritätszuschlag nicht abschaffen oder senken wollen. Wenn Sie ihn zum Spitzensteuersatz addieren, bleiben Sie bei über 50 Prozent. Das ist eine viel zu hohe Besteuerung, die eine entsprechende Abwehr in der Öffentlichkeit erzeugen wird. ({5}) Das kann so nicht weitergehen. Wissen Sie, was Ihr zentraler Fehler ist? - Wie Sie die Menschen hinters Licht führen wollen. Sie rechnen Steuerbelastung und -entlastung und Kindergeld zusammen. Nur, das Kindergeld nützt den Familien mit Kindern. ({6}) Das ist aber ein kleinerer Prozentsatz. Die große Masse der Arbeitnehmer, die zu einem gut Teil nicht vom Kindergeld begünstigt wird, wird dadurch nicht entlastet. Deren Steuerbelastung bleibt hoch. Gerade die vom Bundesfinanzminister angeführten Facharbeiter - Krankenschwestern, Fernfahrer und wer dabei alles zu nennen ist - werden eben fast nicht entlastet, weil Sie den Tarif zwischen dem entlasteten Eingangssteuersatz und dem gesenkten Spitzensteuersatz kaum korrigieren. In diesem Bereich schlägt der Tarif zu. ({7}) Daher müssen die Facharbeiter weiterhin die hohen Grenzsteuersätze in Kauf nehmen. ({8}) Das führt dazu, daß es nicht nur die kleinen und mittleren Unternehmen sind, die diese Last zu tragen haben, sondern daß es eben auch die Facharbeiter sind, die diese Last zu tragen haben. Das sind die beiden Gruppen, die die Wirtschaft in Gang halten und den Leistungsprozeß voranbringen. Um deren Entlastung wäre es in Wirklichkeit gegangen. ({9}) Das Steuerrecht wird durch Ihre Vorschläge auch nicht einfacher. Sie führen zwei neue Steuerarten ein. Wann hat es das gegeben? Wir haben in den letzten Jahren viele Steuerarten beseitigt. Eine Mindeststeuer und eine Stromsteuer sind die zwei neuen Steuerarten. Bei der Mindeststeuer ist sowieso die Frage, ob sie verfassungsrechtlich möglich ist. Sie wollen die sogenannten passiven Einkünfte besteuern, obwohl beispielsweise die Tätigkeit im Immobilienbereich keine passive Tätigkeit ist. Damit erreichen Sie außerdem eine zusätzliche Steuerungerechtigkeit, weil Einkünfte unterschiedlich behandelt werden: die einen mit Mindeststeuer, die anderen ohne Mindeststeuer. Überlegen Sie sich noch einmal, ob Sie dabei bleiben wollen. Die Stromsteuer führt uns zu dem Thema Einstieg in die ökologische Steuerreform. Was ist darüber alles verbreitet worden, und was ist dabei herausgekommen? Die Grünen, ruhmreich wie häufig, sind angetreten mit 5 DM pro Liter Benzin und sind bei 6 Pfennig mehr gelandet. Tolle Leistung! 6 Pfennig Erhöhung der Mineralölsteuer wird das Verhalten der Verbraucher in keiner Weise ändern. ({10}) Das wird also keine ökologische Wirkung auslösen. Wegen eines um 6 Pfennig höheren Benzinpreises wird niemand einen Kilometer weniger fahren. Das zeigt, daß die ökologische Steuerreform nichts anderes als eine gute Begründung für mehr Steuereinnahmen ist. Darum geht es Ihnen ja auch. ({11}) Sie brauchen diese Steuereinnahmen eben, um die verschiedenen Wahlgeschenke zu finanzieren. ({12}) - Die Wahlgeschenke, mit denen Sie die Wähler der Mitte geködert haben, beispielsweise die Kindergelderhöhung, die Gesundheitspolitik, die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge, ({13}) aber auch der interessante neue Vorschlag vom Bundesfinanzminister - den ich mit Interesse zur Kenntnis genommen habe -, die Pflegeversicherung durch Steuern zu finanzieren. Das ist ein interessanter Vorschlag. Herr Lafontaine, wo waren Sie als Ministerpräsident des Saarlandes, als es um die Einführung der Pflegeversicherung ging? Die F.D.P. hat damals händeringend gefordert und nach Unterstützung gesucht, die Pflegeversicherung einzuführen. Sie sollte allerdings anders finanziert werden, nicht im Umlageverfahren, sondern im Kapitaldeckungsverfahren. ({14}) Man hätte natürlich die Lösung finden können, die Pflegeversicherung für die pflegenahen Jahrgänge vorübergehend steuerzufinanzieren und für die jüngeren Jahrgänge ein eigenständiges, kapitalgedecktes Versicherungssystem aufzubauen. Aber, Herr Bundesfinanzminister, auch das Saarland hat damals einem Antrag des Bundesrates zugestimmt - 16 : 0 Stimmen -, die umlagefinanzierte Pflegeversicherung einzuführen. Ich will keine alten Wunden wieder öffnen. Ich sage nur: Wir sehen jetzt, daß diese Entscheidung falsch war, weil sie dazu beigetragen hat, daß die Arbeitsplätze durch höhere Lohnzusatzkosten auf Grund der Beiträge zur Pflegeversicherung belastet werden. Wir erkennen, daß wir von diesem Weg herunterkommen müssen. ({15}) Insofern bin ich gern bereit, in der Zukunft über diese Frage mit Ihnen zu diskutieren. Aber das muß im Sinne einer Übergangsregelung durch Steuerfinanzierung geschehen, die zu einer individuellen, kapitalgedeckten Pflegeversicherung hinführen muß. Ihre Pläne zu einer Steuerreform sind so chaotisch und wirr, weil Sie versucht haben, die unterschiedlichsten Interessen miteinander zu verbinden. Dabei herausgekommen ist eben nur der kleinste gemeinsame Nenner. Das Ergebnis der Steuerreform wird sein, daß diejenigen, auf die es ankommt, nämlich die Facharbeiter, die Leistungsbereiten, die Leistungsträger der Gesellschaft, die Ingenieure, aber auch die kleinen und mittleren Unternehmen - zum Beispiel die Handwerker -, die die Arbeitsplätze anbieten müssen, die Geld in die Hand nehmen müssen, um etwas auf den Weg zu bringen und zu investieren, enttäuscht sind, sich abwenden werden und möglicherweise ins Ausland gehen werden. Genau das ist die Gefahr, die damit verbunden ist. Das Hinausschieben auf neue Kommissionen führt dazu, daß wir wichtige Jahre verlieren, in denen wir im Wettbewerb mit den Konkurrenzländern in Europa und in der Welt zurückfallen werden. Ich kann nur an Sie appellieren: Überprüfen Sie Ihre Pläne, machen Sie mit uns eine Steuerreform, die für niedrigere Steuersätze sorgt und das Steuersystem einfacher und gerechter macht. Nur dann erzielen wir die notwendige Wirkung. Wir müssen uns an den Konkurrenzländern und deren Steuersystemen messen. Wenn wir deren Niveau nicht erreichen, dann fallen wir zurück. Ihre Pläne taugen nichts. Vielen Dank.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat für die PDS-Fraktion Frau Dr. Christa Luft.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn es wirklich so wäre, wie die Abgeordneten der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P., die hier gesprochen haben, gesagt haben, daß eine sinkende Steuerbelastung der Wirtschaft zu mehr Arbeitsplätzen führt, dann hätte es in der Zeit der Regierung Kohl geradezu einen Beschäftigungsboom geben müssen. ({0}) Denn es war die Regierung Kohl, die die Vermögensteuer ausgesetzt hat. Sie hat die Körperschaftsteuer reduziert. Sie hat den Solidarbeitrag für die Unternehmen gesenkt, und sie hat die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft. Der Anteil der Unternehmensteuern am Gesamtsteueraufkommen in diesem Lande beträgt noch ganze 18 Prozent. Ich habe aber nicht vernommen, daß die Wirtschaft inzwischen ihre nicht unerheblichen Ansprüche an die Finanzierung öffentlicher Leistungen zurückgenommen hat. Ich denke beispielsweise an eine exzellente öffentlich finanzierte Infrastruktur, die wir in diesem Lande haben und die ein hervorragender Wettbewerbsfaktor ist. Ich denke an Kultur und an eine gute Schulbildung der Lehrlinge, die die Arbeitgeber aufzunehmen haben. Es wird immer wieder verlangt, daß die Lehrlinge, wenn sie in die Ausbildung kommen, mehr Schulbildung mitbringen müssen. Dies alles stellt höhere Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen. Das alles ist teuer, das alles muß die öffentliche Hand bezahlen. Diesen Zusammenhang zwischen dem, was man von der öffentlichen Hand fordert, und dem, was man in den öfDr. Hermann Otto Solms fentlichen Topf hineinzutun bereit ist, muß die Wirtschaft natürlich erkennen und beachten. ({1}) Trotz der erheblichen Steuerentlastungen in den vergangenen Jahren beobachteten wir aber einen ganz rigiden Personalabbau. Insbesondere die Großunternehmen haben Scheinselbständige produziert, um sich von Sozialabgaben zu entlasten. Ihre wachsenden Gewinne aber investierten sie nicht in die Produktion, um damit Beschäftigung zu schaffen, sondern sie nutzten wachsende Gewinne für Finanzanlagen und Immobiliengeschäfte. Wie man diese spekulativen Geschäfte bekämpfen oder zumindest begrenzen kann, davon habe ich von der CDU/CSU und vom F.D.P.-Sprecher leider nichts vernommen. ({2}) Insofern ist das jetzt einsetzende Standortverschlechterungsgeschrei der Vertreter der Großindustrie wirklich fehl am Platze. Hoffentlich läßt sich die neue Bundesregierung davon auch nicht beeindrucken. Als durchsichtig empfinde ich es auch, wenn sich die Großindustrie nun zum Fürsprecher des Mittelstandes macht. ({3}) Wenn sie wirklich mit dem Mittelstand solidarisch sein wollte, dann hätte sie ihn längst entlastet, indem sie sich an den erheblichen Kosten für die Ausbildung junger Menschen beteiligt hätte. Damit läßt sie jedoch den Mittelstand, Handwerk und Gewerbe, allein. Gleichwohl macht sie sich jetzt zum angeblichen Fürsprecher des Mittelstandes; das ist schon ziemlich zynisch. Wir jedenfalls halten den vorgesehenen Abbau der steuerlichen Bevorzugung von Großunternehmen für gerechtfertigt. Wir halten das auch für fair gegenüber dem Mittelstand, der die meisten Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze in diesem Lande schafft. ({4}) Wir könnten uns eine stärkere Förderung des Mittelstandes vorstellen, indem insbesondere eine direkte Wirtschaftsförderung und nicht nur eine Förderung auf dem indirekten Wege, also über Steuerentlastungen erfolgt. ({5}) Wir brauchen hier einen anderen Ansatz; den sollten wir nicht aus dem Auge verlieren. Vorbehaltlos ja sagen wir ebenfalls zur stärkeren Besteuerung von Veräußerungsgewinnen beim Handel mit Wertpapieren und privaten, nicht selbstgenutzten Grundstücken. Das ist endlich der Einstieg in die Spekulationsbekämpfung. Auch wir haben das lange gefordert, und diese Tendenz unterstützen wir ausdrücklich. ({6}) Meine Damen und Herren, das hat nichts mit Sozialneid zu tun, sondern das ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. Es ist unsere Verpflichtung, die Sozialpflicht des Eigentums, die die Verfassung dieses Landes vorsieht, einzufordern. ({7}) Es muß doch aufhören, daß das Steuerrecht für eine Gesellschaftspolitik zielgebend ist, wie es die alte Bundesregierung vorhatte. Es muß doch umgekehrt sein: Gesellschaftspolitische Ziele müssen Steuerpolitik und Steuerrecht bestimmen. ({8}) Insofern unterstützen wir die Intention des neuen Bundesfinanzministers. Aber, Herr Bundesfinanzminister, es gibt auch Schritte in Ihrem uns vorgelegten Paket, das ja ziemlich umfangreich ist, die uns auf dem Wege zu mehr sozialer Gerechtigkeit viel zu kurz ausgefallen sind. Ich nenne zum Beispiel die Senkung des Eingangssteuersatzes und die Kindergelderhöhung. Die marginale Senkung des Eingangssteuersatzes 1999 wird - das vermute ich - durch Mieterhöhungen, durch Erhöhung von Abgaben und von Tarifen aufgefressen werden, wie sie sich in den Kommunen und überall in diesem Lande anbahnt. Bei dem Schrittmaß, mit dem Sie die Kindergelderhöhung angehen - Sie wollen es in vier Jahren um 40 DM anheben -, bräuchten wir mehr als eine Generation, um an das Existenzminimum von Kindern heranzukommen. Das ist keine akzeptable Aussicht, ({9}) zumal diese Regierung bei der Familienpolitik neue Maßstäbe setzen will, was wir natürlich ausdrücklich unterstützen. Frau Scheel, wir werden Sie an das erinnern, was Sie eben gesagt haben: daß auch Sie sich ein höheres Schrittempo bei der Erhöhung des Kindergeldes vorstellen könnten. Wir werden darauf zurückkommen und meinen, daß im Laufe dieser Legislaturperiode dafür noch Nachbesserungen notwendig sind. Warum könnte man nicht, Herr Bundesfinanzminister - auch das sollte in dem Katalog der Überlegungen einen Platz finden können -, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Kinderbekleidung und Kinderschuhe ins Auge fassen? ({10}) Wer Kinder oder Enkelkinder hat, der weiß, wie viele Hundertmarkscheine jeden Monat herausgehen, vor allem bei Kindern, die sich noch in der Wachstumsphase befinden. ({11}) Auf jeden Fall - das ist unsere grundsätzliche Kritik an Ihrem Entwurf -: Mit den vorgesehenen richtigen, aber doch sehr marginalen Verbesserungen für untere Einkommen und Familien läßt sich nicht kaschieren, daß Sie die Wurzeln der in 16 Jahren Kohl-Regierung entstandenen sozialen Schieflage in diesem Lande nur sehr, sehr zaghaft anpacken. Der Zustand wird doch eher eingefroren. Ich nenne den Grundfreibetrag. Die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums auf 13 000 DM im Jahre 1999 läßt sich nun wahrlich nicht als große Errungenschaft verkaufen. Die SPD war in der vergangenen Legislaturperiode der Auffassung, daß dieser Grundfreibetrag bereits 1996 auf 13 000 DM zu erhöhen sei. Die Bündnisgrünen sprachen damals von mindestens 14 000 DM, um dem Gebot des Bundesverfassungsgerichtes nach Steuerfreistellung des Existenzminimums gerecht zu werden. Berücksichtigt man die Erhöhung der Lebenshaltungskosten seit 1996, dann sind 13 000 DM und auch die 14 000 DM, die ab dem Jahr 2002 als steuerfreies Existenzminimum vorgesehen sind, zu gering. Die Nationale Armutskonferenz hat sich Anfang dieses Monats dafür ausgesprochen, den Grundfreibetrag auf etwa 17 000 DM anzuheben, und das ist auch unsere Forderung. ({12}) Den Spitzensteuersatz wollen Sie, beginnend mit dem Jahr 2000, senken. Wir sehen, ehrlich gestanden, dafür keine Spielräume. Auch das ist kein Ausdruck von Sozialneid. Ich kann daran erinnern, daß es erst wenige Monate her ist, daß die Finanzexpertinnen und -experten der SPD-Bundestagsfraktion ebenfalls keine Spielräume für eine Absenkung des Spitzensteuersatzes gesehen haben. Ich frage mich: Wo ist denn dieser Spielraum in den wenigen Monaten hergekommen? Was tatsächlich an Vergünstigungen für Besserverdienende und Unternehmen abgebaut wird, bleibt bislang noch unklar. Jeden Tag gelingt es mal diesem, mal jenem Minister, mal auch den Unternehmerverbänden, die Streichliste weiter schrumpfen zu lassen. Herr Bundesfinanzminister, Sie werden sich, wenn das mit der Schrumpfung der Streichliste so weitergeht, bei gleichbleibender Wirtschaftsentwicklung ganz erhebliche Finanznöte organisieren. Unsere Forderung ist, daß die Mehreinnahmen durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht zur Finanzierung der Senkung der Spitzensteuersätze bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, sondern zur Erhöhung des Grundfreibetrages und zur Senkung des Eingangssteuersatzes genutzt werden. ({13}) Damit könnte ein wirksamer Beitrag zur Entlastung gerade unterer und mittlerer Einkommen und auch der kleinen und mittleren Unternehmen geleistet werden. Ein darüber hinausgehendes freies Finanzierungsvolumen sollte für eine steuerbegünstigte Investitionsrücklage verwendet werden, die aus unserer Sicht für den Mittelstand ebenfalls unendlich wichtig wäre. Wenn ich sage, daß Sie soziale Ungerechtigkeit eher einfrieren als spürbar abbauen, dann meine ich damit beispielsweise, daß Sie unverständlicherweise auf die sofortige Wiedererhebung der Vermögensteuer verzichten. Milliarden lassen Sie sich auf diese Weise entgehen. Wir können das nicht verstehen und stoßen heute mit einem entsprechendem Antrag dazu die Debatte in diesem Hause wieder an. Eine weitere Kritik: Die Steuerreformpläne erwecken über weite Teile den Eindruck, als habe man bei der SPD nicht so richtig mit dem Wahlsieg gerechnet. Denn sonst müßten Sie doch schon viel mehr ausgearbeitete Konzepte in der Schublade haben. Aber hier wird vieles auf dem Verschiebebahnhof verschoben, ({14}) indem man eine Kommission hierfür, eine Kommission dafür bildet. Früher haben wir in der DDR gesagt: Wenn du nicht mehr weiterweißt, bilde einen Arbeitskreis! ({15}) Ich denke, die SPD hatte Zeit genug, ihre Pläne ausgearbeitet in der Schublade zu haben. Ich komme zum Schluß und sage Ihnen, meine Damen und Herren: Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung mehr Mut zum Ausprobieren neuer Modelle gefordert. Auf steuerpolitischem Gebiet, meinen wir, könnte ein Weg dafür sein, beispielsweise über eine Wertschöpfungsabgabe nachzudenken, mit der nicht nur die Personalkosten mit Sozialversicherungsausgaben belegt werden, sondern die gesamte Wirtschaftsleistung. Das würde die personalintensiven kleinen und mittleren Unternehmen entlasten. Die PDS wurde bei der Bundestagswahl 1998 von 30 Prozent der Selbständigen in den neuen Ländern gewählt. Sie können uns glauben wir sind dort mit vielen im Gespräch -, daß diese sich einen solchen Weg sehr wünschen. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja. Man könnte auch neue Modelle ausprobieren. So könnte eine Debatte über eine Devisentransaktionssteuer, zunächst zwischen den Ländern der Europäischen Union und schließlich darüber hinaus, angeschoben werden. All das wären aus unserer Sicht angemessene Innovationen. Wir werden an Ihrer Seite stehen, Herr Bundesfinanzminister, wenn es darum geht, durch die Steuerpolitik soziale Gerechtigkeit zu befördern, Anreize für die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu stimulieren und die Binnennachfrage anzufachen. Danke schön. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Frau Ingrid Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident Seiters! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Bemerkung vorweg: Auch Herr Merz hat eine süffisante Bemerkung darüber gemacht, daß sich Christa Müller, die Frau des Finanzministers, zur WirtschaftsDr. Christa Luft und Finanzpolitik äußert. Das geht nun schon die ganze Woche so. Ich habe mir das angehört. Es begann mit Herrn Schäuble und ging mit anderen weiter, so kam das zum Beispiel gleich mehrfach in der Rede von Herrn Wissmann vor, der ja ein ausgewiesener Spezialist für das partnerschaftliche Zusammenleben von Mann und Frau ist. ({0}) Ich sage Ihnen - ich hoffe, daß damit die Debatte darüber in dieser Woche ein Ende hat, ({1}) - wer austeilt, muß auch einstecken, meine Damen und Herren, ich war dabei, als Herr Wissmann hier geredet hat: Die Zeiten, in denen Ehepartner von führenden Politikern Denk- und Diskussionsverbot hatten, sind endgültig vorbei. Und das ist gut so. ({2}) Wenn Sie meinen, daß Sie mit solch einem MachoGerede Wähler und Wählerinnen zurückgewinnen, liegen Sie schief. Deswegen bitte ich Sie, das zu lassen. ({3}) Die SPD hält Wort: Keine drei Wochen nach der Kanzlerwahl liegt dem Deutschen Bundestag der Gesetzentwurf zur großen Steuerreform vor. Die SPD ist von der Opposition in die Regierungsverantwortung in einem Tempo durchgestartet, von dem die heutige Opposition nur träumen kann. ({4}) Aber nicht nur das Tempo der Politik hat sich geändert, auch der Inhalt der Politik und schließlich auch noch das ist ganz wichtig - der Stil der Politik. Nachdem es vorher jede Menge Steuerlügen gegeben hat, können wir nämlich ein Gesetzespaket vorlegen, in dem genau das verwirklicht wird, was wir vor der Wahl versprochen haben. Das hat es in diesem Lande in steuerpolitischen Fragen selten gegeben. Es ist gut, daß wir das ändern. ({5}) Wir haben versprochen, drei Schwerpunkte anzugehen: Erstens. Wir stoppen die bisherigen Umverteilungen zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Familien und entlasten eine Familie mit zwei Kindern und durchschnittlichem Einkommen stufenweise. Im nächsten Jahr werden es 1 000 DM sein, im Jahre 2002 sogar 2 700 DM. Zweitens. Wir senken die Steuersätze für die Unternehmen, für die großen, aber auch für den Mittelstand, und reduzieren dafür Ausnahmeregelungen, Schlupflöcher, Steuervergünstigungen und Rückstellmöglichkeiten auf ein international übliches Niveau. Drittens. Wir steigen in eine ökologische Steuerreform ein, in der die Entlastung der Arbeit durch eine Verteuerung der Energie finanziert wird. Wir beginnen damit schon 1999. Der Rentenversicherungsbeitrag, so hat es Herr Riester vorgestern gesagt, wird am 1. Januar 1999 auf 19,5 Prozent abgesenkt, nachdem Sie ihn dauernd angehoben haben. Drei Wochen, nachdem wir die politische Mehrheit erhalten haben, haben wir in drei wichtigen Fragen das, was wir versprochen haben, eingehalten. Darauf sind wir stolz, meine Damen und Herren. ({6}) Zum ersten Schwerpunkt gehören die Anhebung des Grundfreibetrages und die Absenkung des Eingangssteuersatzes. Beides, besonders aber die Anhebung des Grundfreibetrages, ist geboten, - vor allen Dingen verfassungsrechtlich. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich habe nie verstanden, warum Sie nicht mit uns zusammen den Grundfreibetrag, also das steuerfreie Existenzminimum, auf 14 000 DM im Jahr erhöhen wollen. Sie haben doch immer das Thema Lohnabstandsgebot, also einen ausreichenden Abstand zwischen Sozialhilfe und niedrigen Einkommen, in die Debatte gebracht. Sie reden doch so gerne davon, daß sich Leistung lohnen muß. Dies ist ein guter Satz; er darf aber nicht auf Ihre Weise interpretiert werden. Sie argumentieren nämlich folgendermaßen: Leistung muß sich lohnen! Frage: Wer leistet etwas? Antwort: Derjenige leistet etwas, der viel verdient. Folge: Derjenige, der viel verdient, muß noch etwas oben draufgelegt bekommen. Sie wollen daher die Steuersätze insbesondere für Spitzenverdiener senken. Das ist nicht unsere Philosophie. Für uns ist derjenige Leistungsträger, der eine Familie ernährt, der Kinder großzieht, der morgens ins Büro oder an die Werkbank geht. Diese Menschen sind bei Ihnen und Ihrer Steuerpolitik schmählich unter die Räder gekommen. Das hört auf. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Thiele?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Matthäus-Maier, würden Sie dem Hohen Haus bestätigen, daß in der letzten Periode das Existenzminimum für alle Steuerpflichtigen, auch für Kinder, von der alten Koalition erheblich erhöht wurde, daß der Familienleistungsausgleich komplett neu geregelt wurde und daß das Kindergeld von seinerzeit 70 DM auf derzeit 220 DM erIngrid Matthäus-Maier höht wurde? Wir haben also erhebliche Leistungen für die Familien erbracht. ({0}) Und können Sie bestätigen, daß durch das Jahressteuergesetz 1996 und durch den Fortfall des Kohlepfennigs im Jahre 1996 die Bürger in unserem Lande mit etwa 30 Milliarden DM entlastet wurden und daß insbesondere die niedrigen Einkommen diese Entlastung erfahren haben? ({1})

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, es steht fest, daß nicht Sie, die alte Koalition, sondern wir, der Bundestag, zusammen mit dem Bundesrat und dem Vermittlungsausschuß das Kindergeld erhöht haben. Ich darf daran erinnern, daß Herr Waigel bis zum letzten Tag dagegen war, das Kindergeld von 70 DM weiter anzuheben. Wir haben es gegen Ihren Widerstand durchgesetzt. ({0}) Bis zum letzten Tag in diesem Wahlkampf haben Sie gesagt: 250 DM Kindergeld ist nicht drin. Viele von Ihnen haben die Erhöhung des Kindergeldes herabwürdigend als eine Art Steuergeschenk bezeichnet, was man besser sein lasse, womit man sich Wähler kaufen würde. Ist Ihnen nicht klar, daß nicht nur der normale Steuerzahler das Recht auf ein steuerfreies Existenzminimum hat - das erreichen wir über den Grundfreibetrag -, sondern daß auch die Familien mit Kindern das Recht auf Steuerfreiheit in Höhe der Kosten für die Ausgaben für die Kinder haben? Die Steuerfreistellung geschieht in Deutschland zu 95 Prozent über das Kindergeld. Deswegen ist es notwendig, daß wir entgegen Ihren dauernden Äußerungen das Kindergeld auf 250 DM anheben. Auch den Grundfreibetrag wollen Sie nicht auf 14 000 DM anheben. Wenn sich Ihre Meinung in dieser Frage geändert hat - nach Ihrer Zwischenfrage zu schließen, könnte das der Fall sein -, dann kann ich nur sagen: Machen Sie mit uns mit! Das Angebot liegt vor. Es ist nichts einfacher, als daß Sie zustimmen. ({1}) Daß auch Spitzenforscher - ich will das einmal so sagen - nicht vor Torheit in dieser Frage geschützt sind, sieht man daran, daß in ihrem Herbstgutachten die sechs wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute meinen, man könnte auf die Erhöhung des Transfers - gemeint war das Kindergeld - verzichten, um etwas anderes mit dem Geld zu finanzieren. ({2}) Ich darf Ihnen einmal § 31 des Einkommensteuergesetzes vorlesen, damit dieser Quatsch, von einem Wahlgeschenk zu reden, aufhört. Die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes wird durch den Kinderfreibetrag . . . oder durch das Kindergeld . . . bewirkt. Sie sehen, ein Blick in das Gesetz erleichtert manchmal die Rechtsfindung. ({3}) Wir werden im Jahre 2002 die Höhe des Kindergeldes auf 260 DM anheben. Wir finanzieren das durch eine wirklich maßvolle Reduzierung des Ehegattensplittings, beginnend oberhalb eines zu versteuernden Einkommens von 170 000 DM. ({4}) Ich habe in diesem Hause oft darüber gesprochen, aber lassen Sie mich eines dazu sagen: Wir gelten steuerlich auf der ganzen Welt als ein besonders ehefreundliches Land, nicht aber als ein kinderfreundliches. Denn wenn Sie sechs Kinder haben und großziehen, erhalten Sie keine so hohe Steuerentlastung wie ein Ehepaar mit einem hohen Einkommen, das keine Kinder hat. Wo sind wir eigentlich hingekommen? ({5}) Erst ab dem siebten Kind haben Sie mehr Kindergeld, als im Vergleich dazu der maximale Splittingvorteil ergeben würde. Wenn wir das ein wenig umschichten, dann ist das eine maßvolle, richtige Reform. Frau Eichhorn sagte in diesen Tagen, sie habe Zweifel an der Wirksamkeit der Kindergelderhöhung. Denn das Kindergeld für das erste und das zweite Kind sei nicht so wichtig. Wichtiger sei die Höhe des Kindergeldes für Familien mit mehr Kindern. Liebe Frau Eichhorn, vielleicht ist Ihnen entgangen, daß eine Familie mit vier oder fünf Kindern auch ein erstes und ein zweites Kind hat. Auch diese Familie wird also eindeutig entlastet. ({6}) Herr Merz sagte in seiner Rede, eine Erhöhung des Kindergeldes sei nicht in Ordnung. ({7}) - Also gut, es ist doch in Ordnung. - Eigentlich finde er es nicht so gut. Denn was habe der Familienvater davon, wenn er mehr Kindergeld habe, aber arbeitslos werde? Das führt zu einer grundsätzlich unterschiedlichen Betrachtungsweise dessen, was wir hier tun. Meine Partei war immer der Ansicht, es sei ein vernünftiges Miteinander von Nachfragepolitik und Angebotspolitik erforderlich. Klar ist auch: Wenn ein Familienvater nicht genug Geld in der Tasche hat, um einzukaufen, dann kann auch die Wirtschaft nicht die Produkte verkaufen, die sie gerne verkaufen möchte. Ich weiß, daß Sie das nie glauben, wenn die SPD das sagt. Das betrifft das alte Wort von Ford: Autos kaufen keine Autos. Aber ich las in diesen Tagen ein Wort des BMW-Chefs Pischetsrieder; vielleicht überzeugt Sie das eher. Er sagte: Arbeitsplätze werden nicht von Unternehmen geschaffen, - das ist eben ein weitverbreiteter Irrtum sondern von Kunden. Nur wenn wir Kunden finden, die unsere Produkte oder Dienstleistungen so attraktiv finden, daß sie bereit sind, Teile ihres Einkommens dafür auszugeben, dann können wir mehr Arbeitsplätze schaffen. Deswegen sage ich Ihnen: Eine richtige Mischung von Angebots- und Nachfragepolitik zu schaffen, diese Politik unterscheidet uns von Ihrer. Dafür hat uns der Wähler eine Mehrheit gegeben. Denn Ihre Politik war abgewirtschaftet. ({8}) Wir werden die Steuerreform in Stufen durchführen. Im Jahre 2002 wird es zu einer Nettoentlastung in Höhe von 15 Milliarden DM kommen. In den Zeitungen ist zu lesen, daß man uns mehr Mut gewünscht hätte, daß wir kleinmütig seien. Mein Eindruck ist, daß viele, die so vornehm von „mehr Mut“ sprechen, mehr Schulden meinen. ({9}) Manche sagen es auch. Ich habe zum Beispiel ein Interview mit Herrn Wohlers, einem Vertreter der Forschungsinstitute, gelesen. Er sagte zur Steuerreform unserer Koalition, ein etwas höheres Staatsdefizit kollidiere nicht mit den Stabilitätskriterien des MaastrichtVertrages. Ich hätte eigentlich erwartet, daß dieser Herr nicht nur den Maastricht-Vertrag kennt, sondern auch Art. 115 des Grundgesetzes. Nachdem Herr Waigel uns einen Haushalt lieferte, der bei den Ausgaben für Investitionen nur 1 Milliarde DM über dem Betrag der Verschuldung liegt, wäre es wirklich fahrlässig zu meinen, hier könnte man netto noch etwas drauflegen. ({10}) Oder ein von mir wirklich geschätzter Journalist schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ noch offener: Es ehrt Rotgrün, daß es keine Schuldenwirtschaft betreiben will. Auf dem Wege zu einer durchschlagenden Steuerreform aber ist soviel Seriosität hinderlich. Es wäre besser, die Steuersätze kompromißlos zu drücken und dafür steigende Haushaltsdefizite in Kauf zu nehmen. Nein, ich antworte: Finanzpolitische Seriosität ist nie hinderlich. Gerechte Steuern und solide Finanzen gehören zusammen. Wir haben vor der Wahl versprochen: Unsere Steuerreform ist bescheidener, aber solide finanziert. Dafür haben wir den Wählerauftrag. Das werden wir tun. ({11}) Ein weiterer Schwerpunkt: Senkung der Unternehmensteuersätze, nicht nur für die Großen, sondern auch für Mittelstand, Handwerk und Einzelhandel auf 35 Prozent in Stufen und dafür Beseitigung bzw. Reduzierung von Ausnahmen und Rückstellungsmöglichkeiten. Das Feldgeschrei, das entstanden ist, hatte ich erwartet. Ich will nicht verhehlen: Ich habe meine Partei immer gewarnt, daß die Steuersenkungen sehr schnell einkassiert würden, aber bei jeder Gegenfinanzierungsmaßnahme ein großes Wehklagen anheben würde. Aber hier handelt insbesondere die Wirtschaft nach dem System der Rosinenpicker. Sie sagt: Steuersätze wie in Amerika und die Ausnahmen weg. Tatsächlich aber wollen sie sich die Rosinen aus beiden Systemen herauspicken, nämlich niedrige Steuersätze wie in Amerika und viele Ausnahmen wie in Deutschland. Beides geht aber nicht zusammen. Das werden wir auch nicht tun. ({12}) Drei Argumente, warum dieses Wehklagen nicht besonders glaubwürdig ist. Erstes Argument: Hätten wir der Steuerreform von CDU/CSU und F.D.P. im letzten Jahr zugestimmt - wozu uns die Wirtschaftsverbände aufgefordert hatten -, dann würde der Großteil der Gegenfinanzierungsmaßnahmen, über die sie jetzt klagen, bereits im Gesetzblatt stehen. Es kann ja wohl nicht sein, daß Gegenfinanzierung bei Schwarzgelb besser als bei Rotgrün ist. Zweitens. Sie finden bei denen, die uns sagen, wir sollten die Steuersätze senken und viele Ausnahmen abschaffen, dann, wenn es um Ihren persönlichen geschäftlichen Bereich geht, immer wieder genau die entgegengesetzte Haltung. Mir kommt ein neues Buch in die Hand: „Aktie, Arbeit, Aufschwung“ mit einem Vorwort von Rolf E. Breuer. Beredte Forderung, daß die Steuersätze gesenkt und keine Ausnahmen gemacht werden sollen. Dann lese ich auf Seite 153: Weiteren Auftrieb könnte der Finanzplatz durch eine andere steuerliche Ausnahmebestimmung erhalten: eine zeitlich befristete Senkung der Steuersätze für ausländische Experten. Dabei sollte man nicht bei Halbherzigkeiten bleiben. Das Beste wäre eine vollständige Steuerfreiheit auf fünf Jahre. Das hätte mit den sonstigen Ausnahmebestimmungen, etwa Verlustzuweisungen und Sonderpauschbeträge für einzelne Berufsgruppen, nichts gemein. Nein, es ist unglaubwürdig, das Prinzip zu fordern und bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit von uns Politikern dann eine Sondervorschrift für die eigene Klientel zu verlangen. ({13}) Drittes Beispiel - ich muß zugeben, ich wußte nicht recht, ob ich mich nun ärgern sollte oder ob es geradezu unverschämt ist -: Heute morgen steht in der Zeitung, wie sich die Versicherungswirtschaft über unsere Pläne beschwert. Eigentlich hatte ich erwartet, es kämen Dankesschreiben. Ich erinnere mich daran, daß im Steuerreformpaket der alten Koalition zum Beispiel eine scharfe Besteuerung der Lebensversicherung vorgesehen war, und zwar im Bestand. So etwas gibt es bei uns nicht. Trotzdem beschwert sich die Versicherungswirtschaft. Ich lese Ihnen einmal einen Kommentar von meiner örtlichen Zeitung, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, vor. Sie schreibt: Jammern gehört zum Geschäft, das ist beim Versicherungsverband nicht anders als bei anderen Lobbyisten. Doch sollten die Versicherer bei ihrer Kritik an den Bonner Steuerplänen die Kirche im Dorf lassen. . . . Viele Konkurrenten im Ausland beneiden die hiesigen Unternehmen seit langem um die üppigen Abschreibungs- und Rückstellungsregeln . . . Platte Drohungen, man werde Stellen abbauen, Ausbildungsplätze kürzen oder gar ins Ausland abwandern, sind vor diesem Hintergrund ziemlich fehl am Platze. Rationalisieren wird die Branche, die in den letzten sechs Jahren bereits rund 20 000 Stellen strich, weiterhin, auch ohne die Bonner Pläne. Daß Sie uns deswegen angreifen und uns den Arbeitsplatzabbau, den die Unternehmen zwecks Rationalisierung ohnehin vorhatten, in die Schuhe schieben wollen, weise ich zurück. Manche bekommen den Hals nicht voll. ({14}) Nun zum Mittelstand. Viele vergessen, daß sowohl von der Verbesserung des Grundfreibetrages als auch von der Senkung des Eingangssteuersatzes und der Erhöhung des Kindergeldes selbstverständlich auch der Mittelstand, Handwerker und Einzelhändler, profitiert. Da gesagt wird, es gebe diese und jene Mehrbelastung: Wenn es Mittelständler gab - und vereinzelt muß es diese gegeben haben -, die exzessiv von Ausnahmevorschriften Gebrauch gemacht haben, die wir abschaffen, dann kann es sein, daß diese stärker belastet werden. Tatsache aber ist: Auch der Mittelstand wird durch unser Konzept entlastet. ({15}) Wir haben gerade die Frist für Sonderregelungen zugunsten des Mittelstandes verlängert. Diese - ich darf es einmal etwas frech formulieren Spitzensteuersatzfetischisten, die so tun, als käme in aller erster Linie dem Mittelstand die Spitzensteuersatzsenkung zugute, darf ich einmal darauf aufmerksam machen, daß der Spitzensteuersatz für die gewerblichen Betriebe - und darum geht es -, der 47 Prozent beträgt, von einem Mittelständler, zum Beispiel Handwerker, dann erreicht wird, wenn er als Verheirateter im Jahr mehr als 214 000 DM zu versteuern hat. Ich weiß aus vielen Gesprächen in meinem Wahlkreis, daß die Masse der Einzelhändler, der Handwerker, des Mittelstandes, nicht 214 000 DM zu versteuerndes Einkommen im Jahr hat. Deswegen ist eines klar: Wer etwas für den Mittelstand tun will, der muß auch den Mut haben, mittelstandsfreundliche Sonderregelungen zu machen. Das tun wir mit unserem Paket, und dabei bleibt es. Wissen Sie, woran es mich erinnert, wenn sich zum Beispiel Herr Henkel als Schutzpatron des Mittelstandes aufführt? Ich habe noch die Zeiten miterlebt, in denen Herr von Heereman der Präsident des Bauernverbandes war, ein Großgrundbesitzer - den Hof im Münsterland hätten Sie einmal sehen sollen. Wenn es darum ging, die Subventionen für die großen Bauern zu streichen oder anzutasten, dann setzte er die kleinen Bauern in Hessen und Bayern in Gang, damit sie für ihn die Kartoffeln aus dem Feuer holen. So kommt es mir vor, wenn sich Herr Henkel zum Mittelstand äußert. Nein, die Bedrohung kommt nicht durch das Steuerrecht, sondern durch die großen Konzerne, die die kleinen schlucken. ({16}) Letzter Punkt: Herr Solms, Sie haben gesagt, wir erfänden neue Steuern, und nannten die sogenannte Mindeststeuer. ({17}) Nein, wir führen keine neue Steuer ein. Wir begrenzen die Möglichkeit der Verrechnung von Verlusten. Gestern habe ich in der Zeitung die Anzeige gelesen: „Hohe Verlustzuweisungen locken - Flugzeugleasing“. Darin ist von Verlustzuweisungen in Höhe von 198 Prozent in vier Jahren die Rede. Dazu kann ich nur sagen: Wir verhindern, daß Einkommensmillionäre durch die Verrechnung der Verluste aus anderen Einkunftsarten überhaupt keine Steuern mehr zahlen, während die Edeka-Verkäuferin enorm zur Kasse gebeten wird. ({18}) Das ist keine Steuer. Wir stellen eine Mindestbemessungsgrundlage her. Wer will, mag sich an solchen Verlustzuweisungsgesellschaften gerne auch in Zukunft beteiligen. Aber die Gewinne, die er daraus zieht, werden wir kräftig reduzieren. Das, meine Damen und Herren, hat der Wähler gewollt. Ihre Politik, die empirisch, durch Erfahrung gescheitert ist, wollte er nicht mehr. Er hat uns die Chance gegeben, all das, was wir vor der Wahl zur Steuerpolitik gesagt haben, umzusetzen. Das werden wir tun. Damit werden Sie sich abfinden müssen. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Kollegin Gerda Hasselfeldt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Lobeshymne, Frau Matthäus-Maier, auf das, was Sie uns als Steuerreform vorgelegt haben, war völlig unangebracht. In Wahrheit ist es nichts anderes als ein Finanzierungsmanöver, ein Umverteilungsmanöver, ein Abkassierungsmanöver. ({0}) Es belastet zusätzlich diejenigen, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen sollen. Es belastet die Betriebe, die Unternehmen, es belastet die Wirtschaft zugunsten des Konsums. Das kann es nicht sein, wenn es darum geht, Herr Lafontaine, daß diese Steuerreform auch - natürlich nicht alleine - dazu beitragen soll und muß, die wirtschaftliche Situation zu verbessern und für mehr Investitionen und für mehr Arbeitsplätze zu sorgen. ({1}) Daß mit diesem Vorhaben ein Umverteilungsmanöver verbunden ist, hat der Finanzminister selbst zugegeben. Er hat zugegeben, daß diejenigen, die die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen sollen, in der Vergangenheit schon entlastet wurden und jetzt nicht mehr entlastet werden müssen. Er hat völlig außer acht gelassen, wie die Situation im internationalen Vergleich ist. Herr Lafontaine, wir müssen uns dort orientieren, wo wir sind. Wir sind nicht auf einer Insel der Seligen. Wir haben uns an die Bedingungen in den anderen Ländern anzugleichen. ({2}) Wir können nicht einfach zusehen, daß wegen der besseren steuerlichen Bedingungen in anderen Ländern um uns herum die Arbeitsplätze aus Deutschland weg verlagert werden und die Arbeitslosen, diejenigen, die dringend auf Arbeit angewiesen sind, dann die Leidtragenden sind. Ich weiß sehr wohl, daß die Steuerreform dies nicht alles alleine schultern kann, aber sie ist ein ganz wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. ({3}) Deshalb muß sich jede Steuerreform daran messen lassen: Ist sie dazu geeignet, Wachstumskräfte zu stimulieren, ist sie dazu geeignet, das Steuerrecht an die internationalen Bedingungen anzugleichen, ist sie dazu geeignet, Arbeitsplätze und Investitionen zu schaffen? Da stellt sich natürlich die zentrale Frage: Brauchen wir dazu mehr Nachfrage, oder brauchen wir mehr Investitionen? Diese Frage ist von den Fachleuten beantwortet, die brauchen wir uns gar nicht erneut zu stellen. Wir haben nicht in erster Linie ein Nachfrageproblem. Unser Problem liegt auf der Angebotsseite. Die Bedingungen für die Unternehmer müssen verbessert werden. ({4}) Da steht an allererster Stelle die Senkung der Steuersätze. In unserem Konzept war eine deutliche Senkung auf 15 Prozent Eingangssteuersatz, 39 Prozent Spitzensteuersatz und 35 Prozent Steuersatz für die Unternehmen vorgesehen. Wir brauchen die Senkung nicht erst irgendwann, sie darf nicht nur in Aussicht gestellt werden. Wir brauchen sie als erstes. Die Senkung der Steuersätze ist der zentrale Punkt. ({5}) Sie haben sie nur in Trippelschritten vorgesehen; beim Eingangssteuersatz ganz minimal und beim Spitzensteuersatz nur als Kosmetik. Wenn Sie von 35 Prozent Steuersatz bei Unternehmen sprechen, so wollen wir das erst einmal sehen. ({6}) Das sind nichts als vage Versprechungen. Die Gegenfinanzierung haben Sie ohnehin schon verbraten. Sie verbraten sie schon jetzt zu Lasten derjenigen, die die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen sollen, um das Kindergeld zu erhöhen. Das nämlich ist Ihre Finanzierungsquelle. Einen Steuersatz von 35 Prozent haben wir also noch nicht. Im übrigen ist das Problem, das sich verfassungsrechtlich zeigt, noch gar nicht gelöst. Herr Lafontaine sprach heute davon, es müsse gerecht zugehen, es müse Steuergerechtigkeit herrschen. Wie ist es - vorausgesetzt, Sie schaffen die 35 Prozent wirklich - denn mit der Gerechtigkeit, wenn Einkommen aus unselbständiger Arbeit um vieles höher besteuert wird als Einkommen aus selbständiger Arbeit? Diese Spreizung der Steuersätze müssen Sie nicht nur dem Verfassungsgericht, sondern auch den Betroffenen erst einmal erklären! ({7}) Mit Gerechtigkeit hat dies überhaupt nichts zu tun. ({8}) Notwendig wäre es, neben niedrigeren Steuersätzen und durch sie eine Nettoentlastung zu erreichen. ({9}) Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Von Ihnen wird immer wieder argumentiert: Das können wir uns nicht leisten, weil die Haushaltsspielräume nicht so sind. Erst vor wenigen Wochen haben Wirtschaftsforschungsinstitute deutlich gemacht, daß für das Jahr 1999 Entlastungsspielräume von 20 bis 30 Milliarden DM möglich seien. ({10}) - Von der Steuerschätzung, deren Ergebnis in diesen Tagen bekanntgegeben wurde, Herr Poß, hat Herr Lafontaine bei seinen Ausführungen überhaupt nicht gesprochen; er hat sie einfach totgeschwiegen. Eine der wichtigsten Nachrichten in diesen Tagen, wenn wir über Steuerpolitik diskutieren, ist doch, daß die Steuerschätzung ergeben hat, daß in diesem Jahr 7,8 Milliarden DM mehr zu erwarten sind, als dies Anfang des Jahres zunächst einmal angenommen werden mußte. Herr Lafontaine, da können Sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und das totschweigen. Das ist eine Tatsache. Das ist nicht von allein gekommen, sondern das ist das Ergebnis der vernünftigen, soliden, sparsamen Haushalts- und Finanzpolitik von Theo Waigel. ({11}) Die Spielräume, die wir haben, müssen genutzt werden, um die Steuerpflichtigen zu entlasten, nicht, um Ihre Haushaltslöcher zu schließen, die daraus entstanden sind, daß Sie das Geld schon verbraten haben. Es geht darum, diese Entlastungsspielräume den Steuerpflichtigen, den Frauen und Männern in unserem Land, zugute kommen zu lassen; es geht darum, Spielräume für Arbeitsplätze und Investitionen zu schaffen. ({12}) Sehr wichtig ist dabei auch, das Ganze gerecht zu gestalten, es solide zu finanzieren und dabei natürlich die Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Auch das hatten wir vorgesehen. Allerdings hatten wir vorgesehen - das ist ein ganz entscheidender Unterschied -, das nur in Verbindung mit deutlichen Steuersatzsenkungen zu machen. Das haben Sie so nicht vorgesehen. Wir haben es auch vom zeitlichen Ablauf her anders vorgesehen als Sie. Sie machen es nämlich so, daß Sie die steuerliche Entlastung weit in die Zukunft hinein verschieben; erst in einigen Jahren soll sie kommen. ({13}) Selbst die Kindergelderhöhung zum jetzigen Zeitpunkt führt nicht zu einer Nettoentlastung. Das Ausmaß dieser Entlastung ist eigentlich lächerlich. Sie finanzieren obendrein das Ganze über Belastungen, ({14}) und zwar nicht erst dann, wenn die Entlastung eintritt, sondern schon jetzt, nämlich über zusätzliche Belastungen für diejenigen, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen sollen. Das machen Sie, um konsumtive Ausgaben zu finanzieren. ({15}) Das führt nicht nur nicht zu zusätzlichen Arbeitsplätzen, sondern es ist darüber hinaus kontraproduktiv. ({16}) Es wird mit Sicherheit dazu führen, daß wir einen Verlust von Arbeitsplätzen haben. Alles, was sich in den letzten Wochen und Monaten auf Grund unserer Politik am Arbeitsmarkt positiv getan hat, nämlich daß die Arbeitslosenzahlen zurückgegangen sind und daß die Staatsquote zurückgegangen ist, all das, was wir in den vergangenen Jahren trotz schwierigster Ausgangsposition durch die Wiedervereinigung geleistet haben, wird durch Ihre einseitige nachfrageorientierte Steuerpolitik wieder aufs Spiel gesetzt. ({17}) Es wird einem dann gelegentlich gesagt, man habe ja viele Nachbesserungen vorgenommen. Welche Nachbesserungen haben Sie, gerade für den Mittelstand, denn vorgesehen? Sie haben nur etwas verschoben; Sie haben nur Anspar- und Sonderabschreibungen nicht gleich abgeschafft, sondern wollen das erst in ein paar Jahren tun. Beim Verlustrücktrag genauso. Sie haben hier nur minimale Korrekturen vorgenommen; Sie haben nichts Substantielles gemacht. Sie haben vor allem zu keiner Zeit - das ist meines Erachtens ein ganz wichtiger Punkt - über die Verringerung der Staatsquote diskutiert. Bei Ihnen waren weder die Verringerung der Staatsquote und der Staatsausgaben noch Ausgabenkürzungen ein Thema. Wir haben diese Trendwende bei den Staatsausgaben eingeleitet; Sie verspielen sie wieder. Meine Damen und Herren, Sie hätten die gute Gelegenheit gehabt, am Anfang Ihrer Regierungszeit durch Vorlage eines vernünftigen, ausgewogenen, vor allem zielgerichteten Steuerreformkonzeptes dazu beizutragen, mehr Arbeitsplätze und mehr Investitionen in Deutschland zu ermöglichen. So aber, wie Sie sich in der vergangenen Legislaturperiode einer sinnvollen Lösung verweigert haben, sind Sie auch heute zu einer richtigen Lösung nicht bereit. Sie haben damit schon am Anfang Ihrer Regierungszeit eine große Chance selbst vertan. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort für Bündnis 90/Die Grünen dem Kollegen Klaus Müller.

Klaus Wolfgang Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003195, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Auch ich kann es mir nicht verkneifen, noch einmal auf den Kollegen Merz zurückzukommen. Ich habe heute morgen gelernt, daß es ihm leider nicht möglich war, sich das Buch des Herrn Staatsministers Hombach zu leisten. Nun ist es ja so, daß auch Bundestagsabgeordnete von Steuersatzsenkungen profitieren. Ich schlage vor, daß Sie das Geld, das ab dem 1. Januar 1999 auch bei Ihnen mehr im Geldsäckel ist, für dieses Buch ausgeben und so die Wirtschaft fördern. Es gibt noch mehrere andere Bücher - eines von dem Herrn Finanzminister, eines von den Herren Mosdorf und Kleinert -, bei denen das Geld sicherlich gut angelegt ist. ({0}) Aber jetzt zum Thema: Neben der Ökosteuer und der Einkommensteuerreform werden wir in dieser Legislaturperiode noch ein drittes Reformpaket anschieben: eine wirtschafts- und finanzpolitisch sinnvolle Unternehmensteuerreform. Dabei stehen wir vor einer etwas paradoxen Situation: Einerseits klagen Unternehmen, Verbände und demnächst bestimmt auch die Opposition - Herr Solms hat damit heute schon angefangen - über die hohen Steuersätze für Unternehmen. Andererseits hat man sich im Zuge der größten Fusion der jüngeren deutschen Geschichte, der von Daimler und Chrysler, sicherlich nicht aus ideologischen Gründen für den Steuerort Deutschland entschieden. Ich bin sicher, das hat etwas mit der steuerpolitischen Realität in diesem Lande zu tun. Auch daran, daß der Anteil des Steueraufkommens der deutschen Wirtschaft von 1980 bis 1996 von 27 Prozent auf 15 Prozent gesunken ist, erkennen wir, daß die Realität anscheinend anders ist, als es die Klagen glauben machen wollen. Wie kann das sein angesichts der vielzitierten hohen Tarife? Das Problem des deutschen Steuerrechtes im Bereich der Unternehmen ähnelt dem Dilemma bei der Einkommensteuer: Die Steuertarife sind vergleichsweise hoch, die Bemessungsgrundlage aber, also der ausgewiesene Gewinn der Unternehmen, ist im Vergleich zu anderen Ländern auffällig gering. Für eine seriöse Debatte in den kommenden Wochen und Monaten müssen wir also zwischen den nominellen Steuersätzen und der realen Steuerbelastung unterscheiden. Wenn wir jetzt die Steuerreform im Unternehmensbereich durchführen wollen, sind wir, so glaube ich, gut beraten, aus der Debatte um die Einkommensteuerreform zu lernen. Kollegin Christa Luft, wir setzen nicht umsonst Arbeitskreise ein - nicht weil wir nicht wüßten, was wir sonst tun sollten, sondern weil wir die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Unternehmerinnen und Unternehmer und ihre Funktionäre von Anfang an dabeihaben wollen. Ob in einer Bund-LänderKommission oder im Rahmen des Bündnisses für Arbeit, es sind sicherlich verschiedene Möglichkeiten denkbar. Aber wichtig ist eben, daß man dies nicht lediglich von oben herab vorschlägt und durchsetzt, sondern es gemeinsam diskutiert. ({1}) Trotz des Shareholder-value-Gedankens gilt in Deutschland der handelsrechtliche Bilanzierungsgrundsatz: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Deswegen sollten wir gemeinsam diskutieren, wie wir es in Zukunft mit der Bewertung von immateriellem Vermögen, materiellem Anlagevermögen, Wertpapieren, Verbindlichkeiten und mit der Rückstellungsbildung halten wollen. Fragen der Bilanzierungsvorschriften und das Verhältnis von Steuer- und Handelsrecht werden wir sehr sorgsam diskutieren müssen, da das sehr viele Unternehmen betrifft. Sinnvoll wäre hier eine Umkehr der Beweislast. Das heißt, je breiter wir die Bemessungsgrundlage machen, je realitätsnäher die Bilanzierung, desto weiter können die Grenzsteuersätze sinken. Ich bin froh, daß sowohl Bundeswirtschaftsminister Müller gestern als auch Finanzminister Lafontaine heute ausgeführt haben, daß unser Ziel eine schrittweise Reduzierung der Sätze auf 35 Prozent ist. Mit konstruktiver Unterstützung der Verbände und vielleicht sogar der Opposition werden wir dieses Ziel, so glaube ich, erreichen. Zumindest in dem Ziel müßten wir uns mit dem ehemaligen Finanzminister Herrn Dr. Theo Waigel eigentlich einig sein, der im August letzten Jahres an dieser Stelle ausführte: Wir brauchen das Stopfen der Schlupflöcher, damit mehr Geld zur Schaffung von arbeitsplatzschaffenden Investitionen eingesetzt wird als zur Suche nach dem günstigen Steuersparmodell. Ich kann nur sagen: Dieses Ziel, Herr Waigel, verfolgen auch wir. ({2}) Internationale Vergleichbarkeit und Vereinfachung ist unser Ziel. Die internationale Vergleichbarkeit ist insbesondere auch deshalb von Bedeutung, da in der Wirtschaftspolitik die Zeit der Nationalstaaten längst vorbei ist. Wenn wir wirksam politisch gestalten wollen, dann im europäischen Rahmen. In einer europäischen Steuerharmonisierung liegt die politische Aufgabe der kommenden Jahre. ({3}) Selbstverständlich gehören dazu ein stabiler Euro und eine unabhängige und transparente Europäische Zentralbank. ({4}) Eine europäische Einigung über die steuerliche Behandlung von Kapital und Gewinnen eröffnet auch den nationalen Regierungen neue Gestaltungsmöglichkeiten. Kapitalflucht und Betriebsverlagerungen verlieren dann einen Teil ihres Schreckens. Ich gehe davon aus, daß die europäische Steuerpolitik und -harmonisierung ein wesentliches Thema der deutschen Ratspräsidentschaft sein wird. Im Hinblick auf die Europäische Union ist noch ein anderer Punkt von Bedeutung. Spätestens mit der EUOsterweiterung wird die Weiterentwicklung des europäischen Finanzsystems auf der Tagesordnung stehen. Auch wenn die Fragen einer europäischen Steuerhoheit verfassungsrechtlich und die Diskussion eines Finanzausgleichs politisch nicht ganz einfach sind, sollten wir uns dieser Debatte stellen. Aber auch auf deutscher Ebene ist die Finanzverfassung reformbedürftig. Gerade die Gemeinden haben unter dem steuersystematisch sinnvollen Wegfall der Gewerbekapitalsteuer gelitten. Auch wenn die Einnahmeausfälle durch höhere Umsatzsteueranteile teilweise kompensiert worden sind - ein Autonomieverlust war es allemal. In unseren Augen sind Städte und Gemeinden im Hinblick auf die Agenda 21 wichtige Träger des Nachhaltigkeitsprozesses. Hier müssen wir wieder Handlungsspielräume schaffen. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag entschlossen, die Finanzkraft der Gemeinden zu stärken und das Gemeindefinanzsystem einer umfassenden Prüfung zu unterziehen. Wir haben uns vorgenommen, die Neuordnung der Finanzverfassung für das Jahr 2005 vorzubereiten. Dafür wollen wir eine Enquete-Kommission einrichten. Im Vordergrund stehen dabei natürlich finanzpolitische Fragen, insbesondere, wie es für alle Länder wieder attraktiv sein kann, zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Ich möchte den Bogen aber gerne noch etwas weiter spannen und an die Antrittsrede des neuen Bundesratspräsidenten, Herrn Ministerpräsident Eichel, vor einer Woche anknüpfen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu, daß die Bundesländer nicht zu „regionalen Verwaltungskörperschaften des Bundes absinken“ dürfen. Ich kann mir vorstellen, daß das auch auf die Unterstützung der CDU trifft. Klaus Wolfgang Müller ({5}) Wir sollten deshalb neu über die Verzahnung und Aufgabenverteilung von Bund und Ländern und über die Funktion der Mischfinanzierungen und Gemeinschaftsaufgaben nachdenken. Die Rahmen- und die konkurrierende Gesetzgebung dürfen die Länder nicht zu gefesselten Tigern machen. Es geht bei der Diskussion auch um eine größere Transparenz und um erweiterte parlamentarische Spielräume für unsere Kolleginnen und Kollegen in den Länderparlamenten. Aufgabenzuweisungen seitens des Bundes dürfen in Zukunft nicht mehr allein zu Lasten von Ländern und Gemeinden gehen und diese mit den Kosten belasten. Wir erinnern uns nur ungern an die Nebenwirkungen des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz oder die Verpflichtungen aus dem Bundesnaturschutzgesetz. Das Konnexitätsprinzip - auf deutsch: „Wer bestellt, der bezahlt“ - muß gelten, insbesondere solange Länder und Gemeinden nicht über eigene Einnahmespielräume verfügen. Im Rahmen der Enquete-Kommission sollten wir uns Gedanken über das steuerpolitische Trennsystem machen, ohne dabei allerdings die berechtigten Interessen der Länder an stabilen Steuereinnahmen zu ignorieren. Wir werden uns Gedanken über die Gratwanderung der Länder zwischen Pluralität und Wettbewerb untereinander machen müssen. Ich gehe davon aus, daß wir hier über Fraktionsgrenzen hinweg eine konstruktive Debatte erleben werden, inklusive der Beiträge der Ministerpräsidentin und Ministerpräsidenten von Bayern bis Schleswig-Holstein. Rotgrün hat sich für die kommenden vier Jahre viel vorgenommen. Wie heißt es so schön: Packen wir's an! Vielen Dank. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat der bayerische Staatsminister der Finanzen, Professor Dr. Kurt Faltlhauser. Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt nicht nur in Kirchen und in barocker Umgebung Weihrauchfaßschwenker. Die gibt es auch - das wissen wir alle - in der Politik: ({1}) Die neugewählte Finanzausschußvorsitzende, Frau Scheel, hat sich heute in die Reihe der politischen Weihrauchschwenker eingereiht, indem sie verkündet hat: Diese Steuerreform ist die größte, die bisher in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt wurde, sozusagen die GröStaZ. Das fordert natürlich einen Vergleich heraus. Wir müssen in das Jahr 1982 zurückgehen. Damals ist der Bundeskanzler, der jetzt hier in den Reihen sitzt, mit einer Steuerreform angetreten, die in drei Stufen umgesetzt wurde und ein Entlastungsvolumen von 44 Milliarden DM umfaßte, 44 Milliarden DM in einer Zeit, in der das Steueraufkommen insgesamt etwas mehr als die Hälfte von heute ausmachte. Sie müssen das Ganze also etwa auf 88 Milliarden DM Nettoentlastung verdoppeln. Dann wollen Sie das, was Sie heute vorlegen, damit vergleichen? Was wichtiger ist: Gestartet wurde diese Steuerreform damals schon mit einem ersten Schritt von 11 Milliarden DM Nettoentlastung. ({2}) Der Kollege Uldall hat erst neulich noch einmal eine Zusammenstellung gemacht. Die würde ich Ihnen empfehlen. Danach gab es mehr als 10 Milliarden DM Steuerentlastung für die Wirtschaft. Das Ergebnis: In einer langanhaltenden wirtchaftlichen Wachstumsentwicklung wurden Arbeitsplätze geschaffen. Das war in den 80er Jahren das Resultat der drei Stufen einer - auch systematisch - vernünftigen Steuerreform. ({3}) Jetzt sagt der neue Finanzminister Lafontaine: Mit Steuern alleine kann man ja letztlich keine Arbeitsplätze schaffen; das wird die wirtschaftliche Entwicklung nicht entsprechend beeinflussen. Herr Lafontaine - Herr Schlauch, unterbrechen Sie einmal kurz die Unterhaltung, dann kann er zuhören -, genau das Gegenteil haben aber alle wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten in den 80er Jahren bestätigt: Durch die vernünftig gestaltete Nettoentlastung der Bürger wurden damals tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen. Sogar das Institut von Herrn Flaßbeck, das DIW, hat damals bestätigt, daß dies das Ergebnis der Steuerpolitik war. Heute wollen Sie gewissermaßen zur Steuerpolitik sagen, sie könne sowieso nicht helfen, aber nur, weil Sie einen Vorschlag gemacht haben, der völlig unzureichend ist. Natürlich haben Sie, Frau Matthäus-Maier, 5 Prozent Senkung der Körperschaftsteuersätze für 1999 angekündigt. Haben wir denn vergessen, daß die Bundesregierung, die am 27. September abgelöst wurde, die Körperschaftsteuer um 16 Prozentpunkte gesenkt hat? Das waren noch Zeiten: 16 Prozent! Das sind große Schritte. ({4}) Genau das wurde damals gemacht: Entlastung der Wirtschaft zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Und heute - wir haben es genau nachgerechnet - das Gegenteil: Ihre Steuerreform führt zu einer Belastung der Wirtschaft von insgesamt 16,5 Milliarden DM. Damit wollen Sie die Konjunktur und die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes fördern? Ich glaube, es ist der gegenteilige Weg, den Sie gehen. Ich habe von Gerechtigkeit gehört. Vor den Wahlen, Herr Lafontaine, habe ich immer gehört, Sie wollen Arbeitsplätze schaffen! Hätten Sie doch das Instrument des Steuerrechts Klaus Wolfgang Müller ({5}) genutzt, um Arbeitsplätze zu schaffen! Sie haben die Sache hier völlig verfehlt. ({6}) Die große Reform in den 80er Jahren, die ich gerade erwähnt habe, und die Petersberger Beschlüsse verdienen vom Volumen und vom Konzept her den Begriff „groß“, Frau Scheel. Das, was hier vorgelegt wird, können Sie bestenfalls als Mickymausreform darstellen. ({7}) Lassen Sie mich noch etwas zur Unausgewogenheit des Konzeptes sagen. Wir haben errechnet, Herr Lafontaine, daß die Unternehmer, die vom Steueraufkommen insgesamt 21 Prozent erbringenen, 77 Prozent der gesamten Gegenfinanzierung tragen. Im übrigen - das sage ich insbesondere als Bayer -: Die Landwirtschaft, die bisher 1 Prozent des Steueraufkommens erbringt, wird jetzt durch die Gegenfinanzierung mit 3 Prozent belastet. Eine Verdreifachung der steuerlichen Belastung das nenne ich Bauernlegen, meine Damen und Herren. Mir ist aber jetzt eine zweite Anmerkung zum neuen Finanzminister noch wichtiger. Herr Lafontaine, Sie haben heute hier ausdrücklich noch einmal betont: Sie wollen die Unabhängigkeit der Bundesbank und des künftigen Systems der europäischen Zentralbanken nicht antasten. Gleichzeitig haben Sie gesagt - ich habe genau mitgeschrieben -, daß Sie in Zukunft Haushalts- und Geldpolitik abstimmen wollen. ({8}) Die Haushaltspolitik ist Aufgabe der Exekutive, dieses Finanzministeriums und dieser Regierung, und des Bundestages. Sie ist Aufgabe der Politik. Die Philosophie der Geldpolitik in diesem Land und jetzt auch in Europa ist, daß Geldpolitik alleine von der Bundesbank und in Zukunft von der Europäischen Zentralbank gemacht wird, alleine und unbeeinflußt. Wer abstimmen will, will beeinflussen. Wer abstimmen will, will die Unabhängigkeit dieses Systems gezielt aushöhlen. Das ist der Punkt! Sie haben es hier gesagt. ({9}) Dieser Punkt verstößt auch gegen den Artikel 108 des Maastrichter Vertrages, in dem es ausdrücklich heißt ich erlaube mir, Herr Lafontaine, das vorzulesen -: Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft - ({10}) - Offenbar nicht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Staatsminister, darf ich Sie kurz unterbrechen? - Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, die im hinteren Teil des Saales Gespräche führen, bitten, diese Gespräche draußen zu führen. - Herr Staatsminister, Sie haben das Wort. ({0}) Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser ({1}): Ich möchte fortfahren, indem ich noch einmal anfange, den letzten Satz des Artikels 108 des Maastrichter Vertrags zu zitieren: Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, diesen Grundsatz - der Nichtbeeinflussung zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlußorgane der EZB oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen. Jetzt frage ich einmal: Was bedeutet „abstimmen“ denn anderes als beeinflussen? ({2}) Dieser Vorschlag und diese Rede des Bundesfinanzministers waren nichts anderes als ein Angriff auf die Unabhängigkeit des Systems der europäischen Zentralbanken. ({3}) Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu dem Wort machen, das dem Finanzminister offenbar so sehr gefällt, die Zins-Steuer-Quote. Die Zins-Steuer-Quote, die Sie mit 23 Prozent angegeben haben, beträgt nach meinen Unterlagen - die Zahl kann jedermann aus der Bibliothek dieses Hauses herausholen - 17 Prozent. ({4}) - 17 Prozent. Ich gebe es dem Finanzminister dann weiter. - Wichtig sind jedoch nicht Ihre 23 Prozent im Saarland oder die 4 Prozent in Bayern. Wichtig ist die Steigerungsrate. Von 1969 bis 1982 - das ist die Zeit der Regierungen von Brandt und Schmidt - ist diese Quote von 2,8 Prozent auf 12,1 Prozent gestiegen. Während der Regierungszeit von Stoltenberg und Waigel ist sie lediglich von 12,1 Prozent auf 17 Prozent gestiegen, obwohl die Lasten der deutschen Einigung bewältigt werden mußten. ({5}) Das ist der entscheidende Unterschied. Trauen Sie sich ja nicht, hier mit irgendwelchen Zahlen anzukommen; da schauen Sie schlecht aus. ({6}) Zum Abschluß möchte ich - ich bitte Sie, daß Sie mir diese Zeit noch gönnen - etwas zu einer Angelegenheit Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser ({7}) zwischen Bund und Ländern sagen, Herr Finanzminister. Sie haben mit diesem Steuergesetz vorgeschlagen, das Kindergeld zu erhöhen. Wir widersprechen dem nicht. Nur, man muß das finanzieren, und vor allem muß man in dem Gesetz auch festlegen, wer das bezahlen soll. Das steht in keiner Zeile in diesem Gesetz. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich - der ehemalige Finanzminister Waigel wird das sicherlich auch tun - an folgendes: Damals saßen uns in der nordrheinwestfälischen Vertretung unter anderem Herr Schleußer und Frau Matthäus-Maier ({8}) gegenüber. Sie haben uns damals gesagt, daß unbedingt ins Grundgesetz hineingeschrieben werden muß - ein ungewöhnlicher Vorgang -, daß bei der Umstellung der Kindergeldzahlungen die Länder tatsächlich entlastet werden müssen. Die Länder sollten also ihren entsprechenden Anteil haben. Das wurde ungewöhnlicherweise in Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes festgelegt. In § 1 des Finanzausgleichsgesetzes wurde nach langen Verhandlungen die Quote von 74 Prozent zu 26 Prozent festgelegt. Wenn dies rechtlich so klar ist, Herr Lafontaine, dann müssen Sie Ihren Haushalt so gestalten, daß die 1,8 Milliarden DM, um die die Kindergelderhöhung die Länder über diese Quote hinaus belastet - insgesamt kostet die Kindergelderhöhung 5,7 Milliarden DM -, den Ländern unmittelbar weitergegeben werden; sonst machen Sie sich eines Gesetzesbruchs und eines Verfassungsbruchs schuldig. ({9}) Das hat nichts zu tun mit dem üblichen Streit um die Deckungsquote, der durch alle Regierungen hindurchgeht. Das ist ein abgekoppeltes Geschäft. Das müssen Sie den Ländern zugestehen. Darüber hinaus müssen Sie übrigens auch weitere Beträge - ich habe das auf der Finanzministerkonferenz entsprechend vorgetragen - von insgesamt 9,5 Milliarden DM vorsehen. Ich komme - in einem letzten Schlußsatz, Herr Präsident - noch einmal auf etwas zurück: Ich hatte eigentlich nach so langer Ablehnung eines guten Steuerkonzeptes, der sogenannten Petersberger Beschlüsse, erwartet, daß eine neue Regierung mit Mut und mit Gestaltungskraft eine Steuerreform vorlegt, die Arbeitsplätze schaffen kann. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist bitter enttäuschend. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat für die F.D.P.-Fraktion der Kollege Carl-Ludwig Thiele.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung ein Gesetz, welches die Überschrift „Steuerentlastungsgesetz“ trägt. Schon der Titel dieses Gesetzes ist falsch und irreführend. Es handelt sich nämlich um ein Steuererhöhungsgesetz. ({0}) Denn obwohl in den nächsten vier Jahren die Steuereinnahmen nach der Steuerschätzung ohne die Steuererhöhung durch die Ökosteuer um 160 Milliarden DM steigen werden, will die neue rotgrüne Koalition lediglich im vierten Jahr, im Jahr 2002, die Bürger um 15 Milliarden DM entlasten. Selten hat es eine solch drastische Steuererhöhung gegeben, die ohne entsprechende Entlastungen der Bürger zu einer weiteren Strangulierung der Wirtschaft unseres Landes führen wird. ({1}) Viele Bürger haben nach dem Wahlsieg der neuen Koalition gehofft, daß diese neue Koalition zu neuen Ufern aufbrechen würde und daß eine Steuerreform vorgelegt würde, die diesen Namen tatsächlich verdient. Das Gegenteil ist der Fall. Dies haben wir insbesondere Ihnen, Herr Bundesfinanzminister Lafontaine, zu verdanken; denn diese Koalition kennt einen Kanzler - der in den Koalitionsverhandlungen nicht anwesend war - und einen Regierungschef, nämlich Sie, Herr Bundesfinanzminister Lafontaine. Deshalb ist es gut, daß diese Debatte als zentrale Debatte auch ohne Anwesenheit des Kanzlers, aber mit Ihrer Anwesenheit hier geführt werden kann. ({2}) Nach Ihrem Selbstverständnis, Herr Minister Lafontaine, hatte in den vergangenen Jahren nicht nur Deutschland, sondern letztlich auch Europa auf den Makroökonomen Oskar Lafontaine gewartet. Ich habe den Eindruck, daß Ihr persönliches Ziel nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern Europa ist. Sie sind hier auf der Durchreise und wollen zukünftig weite Teile Europas mit Ihrer Auffassung von Politik und Wirtschaft beglücken. Ihre Auffassung von Politik vertraut eben nicht den Bürgern in unserem Lande. Ihre Auffassung von Politik vertraut nur auf den allmächtigen, alles regelnden Staat: Steuerung der Konjunktur durch Nachfrage, Beschädigung der Unabhängigkeit der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank, Aufweichen der Stabilitätskriterien. Damit gehen Sie das Risiko ein, die Stabilität des Euro langfristig zu gefährden. Das ist die falsche Politik zur Lösung der Probleme unseres Landes. ({3}) Das jetzt vorgelegte Steuerkonzept trägt eindeutig die Handschrift einer strukturkonservativen SPD. Die Grünen mit ihren ursprünglichen Vorstellungen fanden sowieso nicht statt. Wenn Frau Scheel erklärt, Sie wollten sich jetzt bemühen, dann muß ich dazu sagen: Das reicht nicht, Sie werden sich durchsetzen müssen! Sie haben sich nicht durchgesetzt, und Sie werden sich auch zukünftig nicht durchsetzen, weil Ihre Politik der SPD ziemlich egal ist. ({4}) Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser ({5}) Denn - das möchte ich noch einmal in die Diskussion bringen - wo bleibt eigentlich die drastische Vereinfachung des Steuerrechts? Wo bleibt die Umsetzung des Bareis-Gutachtens, nämlich die Streichung aller Ausnahmen, die die Grünen ursprünglich vorgesehen haben? Wo bleiben die deutlichen Steuersenkungen über den gesamten Tarif? Nichts ist vom Steuerkonzept der Grünen übriggeblieben. Das einzige, was in diesem Steuergesetz übriggeblieben ist, ist eine massive steuerliche Mehrbelastung, die für die Wirtschaft seitens der neuen Koalition auch eingeräumt wird. Den einfachen Bürgern wird vorgegaukelt, daß eine Steuerentlastung für sie stattfinde. Aber nicht einmal das ist richtig. In der Steuertabelle der Koalition wird das zu versteuernde Einkommen in D-Mark miteinander verglichen. Dabei unterschlagen Sie die schleichende Steuererhöhung durch den Progressionstarif. Eine Familie mit zwei Kindern und 60 000 DM zu versteuerndem Einkommen wird in drei Jahren ein erheblich höheres steuerpflichtiges Einkommen haben als in diesem Jahr. Bei einer Steigerung der Bruttolohns um 4 Prozent hat eine Familie mit zwei Kindern bei erhöhtem Kindergeld im Jahr 2001 300 DM mehr Steuern zu zahlen als derzeit. Wenn ein Ehepaar keine Kinder hat, dann haben diese Bürger in unserer Gesellschaft sogar 1 000 DM mehr Steuern zu zahlen, als sie es derzeit tun müssen. Das ist keine Entlastung der Bürger; das ist ein schamloses Abkassieren der Bürger durch den Staat. ({6}) In den nächsten vier Jahren steigen die Steuereinnahmen um 160 Milliarden DM, um etwa 20 Prozent des derzeitigen Steueraufkommens. Davon lediglich 15 Milliarden DM zurückzugeben bedeutet mehr Staatseinnahmen, Abzocken der Bürger. Die Neue Mitte wird von Ihnen als Melkkuh der Nation betrachtet. ({7}) Herr Bundesfinanzminister, ich frage Sie: Wie sollen auf diesem Wege die von Ihrer Regierung propagierten neuen Arbeitsplätze entstehen? Wie sollen mit diesem Steuerreformkonzept die Weichen für die Zukunft unseres Landes so gestellt werden, daß mehr in zukünftige Arbeitsplätze investiert wird? Wie sollen bei diesem Steuerkonzept ausländische Investoren ermutigt werden, in Deutschland und nicht in anderen - auch europäischen - Mitbewerberländern zu investieren? Das wird mit diesem Konzept nicht passieren! Sehr geehrter Herr Finanzminister, das Problem in Deutschland besteht nach wie vor nicht darin, daß wir zuwenig Staatseinnahmen haben; vielmehr besteht das Problem darin, daß wir zu viele Staatsausgaben haben. ({8}) Ein ernster Sparwille ist bei Ihnen nicht vorhanden. Die Sanierung der öffentlichen Haushalte über die Ausgabenseite findet nicht statt. Deshalb wird nach Ihrem Rezept die Staatsquote nicht sinken. Das ist der Punkt, der allerorts vermißt wird. Es kann doch nicht angehen, daß der Sozialstaat weiter ausufert. Diejenigen, die Vorsorge betreiben, werden höher belastet, während diejenigen, die keine Vorsorge betreiben, durch einen ausufernden Sozialstaat zu Lasten der Leistungsfähigen in unserem Land belohnt werden. Zugleich entdecken Sie neue Mehrbelastungen in Ihrem Haushalt in Höhe von 10 Milliarden DM im Jahr 1999. Wenn man sich die Pressemeldungen genauer anschaut - den Haushaltsentwurf haben wir ja bis heute nicht -, dann kann man feststellen, daß von den 10 Milliarden DM angeblicher Mehrbelastung allein 3 Milliarden DM dadurch entstehen, daß Bremen und das Saarland zusätzlich mit 3 Milliarden DM beglückt werden sollen. ({9}) Sie, Herr Finanzminister Lafontaine, haben sich schon in Ihrer Zeit als Ministerpräsident des Saarlandes vom Bund die Kosten Ihrer politischen Führung bezahlen lassen. Daß Sie nun auch als neuer Finanzminister eine Morgengabe in dieser Größenordnung Ihrem Nachfolger im Saarland - zu Lasten aller anderen Steuerzahler, zu Lasten der neuen Bundesländer, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, und zu Lasten von Investitionen im neuen Haushalt - zukommen lassen, das ist schon eine besondere Form der Vetternwirtschaft. ({10}) Die F.D.P. bekennt sich zur freien und zur sozialen Marktwirtschaft. Aber Leistung muß sich in unserem Lande auch lohnen, und das kann nicht dadurch erfolgen, daß für diejenigen, die Leistung erbringen, die Steuerlast erheblich erhöht wird. Die F.D.P. hat in der vergangenen Legislaturperiode darauf gedrängt, daß die Bürger um 30 Milliarden DM netto entlastet werden. Das, Frau Matthäus-Maier, hat - ebenso wie die Erhöhung des Kindergeldes - nicht die SPD durchgesetzt. Wenn Sie ehrlich sind, dann werden Sie zugeben müssen, daß die Mehrheit in den letzten vier Jahren bei der Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. und nicht bei Ihnen war. ({11}) Diese Koalition hat den Familienleistungsausgleich durchgesetzt und die Leistungen für Kinder in unserer Gesellschaft von 70 DM auf 220 DM erhöht. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wagner?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Thiele, wären Sie bereit, zuzugeben, daß das, was Sie als Beglückungsaktion des Herrn Lafontaine für das Saarland bezeichnet haben, auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts beruht und daß Ihre Regierung die weiteren Hilfen für Bremen und das Saarland im Haushalt 1999 - zwar ohne Zahlen, aber dem Grunde nach - vorgesehen hatte, über den wir in erster Lesung beraten haben?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wagner, Sie werden mir vermutlich zustimmen, daß im derzeit geltenden Finanzausgleichsgesetz geregelt ist, welche Mittel die Länder Bremen und Saarland bis zum Jahr 1998 erhalten. Mir ist aber kein Gesetz bekannt, welches den Bundestag und den Bundesfinanzminister zwingt, entsprechende Sonderzuweisungen für Bremen und das Saarland in den Haushalt 1999 einzustellen. Eine gesetzliche Grundlage gibt es also nicht. Es gibt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ich vermute, daß der Herr Finanzminister irgendwann einen Entwurf zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes vorlegen wird, weil er ja eine gesetzliche Grundlage für diese Morgengabe braucht. Dann werden wir darüber diskutieren können, ob diese Mittel seitens des Saarlandes und seitens Bremens tatsächlich zum Schuldenabbau verwandt wurden, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt hatte, oder nur dazu, den Spardruck von den Haushalten in Bremen und dem Saarland zu nehmen. ({0}) Diese Diskussion werden wir noch führen. Eine gesetzliche Grundlage für die 3 Milliarden DM ist derzeit nicht vorhanden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wagner?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gern, ja.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Thiele, können Sie mir sagen, welche Beweggründe der ehemalige Bundesfinanzminister Dr. Waigel hatte, Hilfen für Bremen und das Saarland in den Haushaltsentwurf 1999 hineinzuschreiben? ({0}) Außerdem ist doch von allen Finanzministern in unserer Republik festgestellt worden, daß beide Bundesländer ihre Aufgaben erfüllt haben, was den Schuldenabbau angeht. Ich verstehe Ihre jetzige Haltung nicht, wenn Sie behaupten, das sei für Schönwetterzeiten des Saarlandes oder Bremens gedacht. Das ist unzutreffend; das müssen Sie mir bitte zugeben.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wagner, ich möchte Sie doch bitten, sich einmal mit dem neuen Finanzstaatssekretär Diller zu unterhalten, der zu dem Haushaltsentwurf des jetzigen Abgeordneten und damaligen Bundesfinanzministers Dr. Waigel erklärt hat, er sei so gut, daß er von der SPD neu in den Bundestag eingebracht werden könne. ({0}) In diesem Haushalt des ehemaligen Bundesfinanzministers Dr. Waigel gibt es keine Leistung für das Saarland und Bremen. Es ist überhaupt nichts beziffert. Insofern soll diesen beiden Ländern eine Morgengabe überreicht werden. Wir werden darüber diskutieren müssen. Aber es ist ganz interessant, daß eine solche - nicht unwichtige - Information derzeit zwischen den Zeilen aus der Presse herausgelesen werden kann. Dies zeigt, daß es Ihnen nicht darum geht, zu sparen und über die Ausgabenseite die öffentlichen Haushalte zu sanieren, sondern daß es Ihnen nur um Umverteilung und stärkere Belastung der Bürger und der Wirtschaft unseres Landes geht. ({1}) Der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand hat festgestellt, daß die Bürger schon im nächsten Jahr entlastet werden könnten. Aber Sie tun es nicht. Sie könnten die Bürger entlasten, aber Sie wollen es nicht. Sie brauchen das Geld, um es in Ihrem Sinne umzuverteilen. Dann aber erzählen Sie den Bürgern nicht, daß Sie sie entlasten wollten. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Bleiben Sie bitte einfach bei der Wahrheit! ({2}) Ich möchte hier abschließend feststellen: Die neue rotgrüne Koalition will mehr Staat, mehr Bürokratie, mehr Umverteilung zu Lasten der Leistungswilligen. Das ist der falsche Weg. Deshalb werden Sie von den gesamten Medien und dem gesamten wissenschaftlichen Sachverstand kritisiert. Es kommt doch nicht von ungefähr, daß sich diejenigen, die Sie im Wahlkampf positiv begleitet haben, enttäuscht abwenden, weil sie etwas anderes erwartet haben. Es kommt auch nicht von ungefähr, daß viele Bürger, die möglicherweise durch Wählen der SPD eine große Koalition wollten, sich jetzt getäuscht sehen und von den Reformkonzepten, die Sie tatsächlich vorgelegt haben, enttäuscht sind. Nehmen Sie einfach diese Kritik auf, orientieren Sie sich an dem Steuerkonzept der F.D.P., ({3}) das von allen gelobt worden ist. Dann können wir Sie auf diesem Wege auch positiv begleiten. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Joachim Poß.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil hier einige mit Zahlen, Daten, Fakten und Wahrheiten auf Kriegsfuß stehen, möchte ich zunächst einmal etwas zu den Steuersenkungsspielräumen sagen, die wir auf Grund der neuen Steuerschätzung haben. Sie hat gegenüber der Mai-Schätzung festgestellt, daß wir in diesem Jahr unter anderem 900 Millionen DM weniger an die EU abführen müssen, der Bund 700 Millionen DM mehr zu erwarten hat, bei den Ländern 2,4 Milliarden DM mehr eingehen sollen und die Gemeinden insbesondere als Nachzahlung aus der Gewerbesteuer 4,9 Milliarden DM mehr erhalten. Das ergibt Schätzabweichungen von insgesamt 7,8 Milliarden DM. Für 1999 kommen die Steuerschätzer zu folgendem Ergebnis: für den Bund minus 1 Milliarde DM, für die Länder minus 1,2 Milliarden DM, für die Gemeinden plus 1,1 Milliarden DM. Das heißt im Klartext: Der Steuersenkungsspielraum beim Bund für 1998 und 1999, den der frühere Bundesfinanzminister Waigel, auf das Jahr bezogen, noch mit rund 1,5 Milliarden DM beziffert hat, wird durch die Steuerschätzung keineswegs vergrößert, sondern eher verringert. Das ist die Feststellung, die hier zu treffen ist. ({0}) Von Abgeordneten dieses Hauses - nicht von Konjunkturforschern, auch wenn sie Professoren sind, die offensichtlich die Zusammenhänge nicht kennen -, ob sie jetzt Hasselfeldt oder Thiele heißen, muß ich die Kenntnis des Art. 115 des Grundgesetzes verlangen. ({1}) Danach haben wir den Spielraum von 20 bis 30 Milliarden DM für Steuersenkungen eben nicht. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren, die hier festzustellen ist. Wir haben diesen Steuersenkungsspielraum nicht. ({2}) Historische Wahrheit ist aber, Herr Kollege Thiele, daß die alte Koalition ein umsetzungsfähiges Steuerreformkonzept nicht vorgelegt hat. ({3}) Ihre Vorschläge waren unfinanzierbar. ({4}) Sie haben aus wahltaktischen Gründen der Bevölkerung eine Schaufensterauslage ohne Preisauszeichnung präsentiert. ({5}) Für diese Absicht hatte Waigel in seinem Haushalt keinerlei Vorsorge getroffen. ({6}) Das hat er doch am 2. September in seiner Haushaltsrede, in seinen Ausführungen zur „symmetrischen Finanzpolitik“ hier festgestellt. Das heißt: Wenn Sie bei der Bundestagswahl noch einmal gewonnen hätten, was der Wähler ja Gott sei Dank verhindert hat, dann hätten Sie erst noch die Entscheidung über die Finanzierung treffen müssen. Dabei hätten Sie dann die Mehrwertsteuererhöhung ins Auge fassen müssen, die Sie ja schon angekündigt hatten, die bereits im Konzept enthalten war. Ich frage mich nur, was Herr Philipp vom Handwerksverband, ({7}) der unser Konzept so kritisiert, dazu sagt. Natürlich hätten Sie das nur mit einer Mehrwertsteuererhöhung finanzieren können, was im Moment, wie wir wissen, für die Binnenkonjunktur Gift wäre. ({8}) Sie hätten Ausgaben streichen müssen, ohne konkret sagen zu können, welche. Nein, meine Damen und Herren, der wesentliche Unterschied zwischen alter und neuer Regierung ist der: Bei Kohl, Waigel & Co. galt nur das Versprechen, das gebrochene Wort. Wir halten unser Wort. Das ist der wesentliche Unterschied. ({9}) Deswegen werden wir unsere Steuerreform in drei Stufen in den Jahren 1999, 2000 und 2002 umsetzen. Was erreichen wir damit? Damit nähern wir uns dem Verfassungsgebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, das bei Ihnen in den letzten Jahren und Jahrzehnten unter die Räder gekommen ist. Die alte Bundesregierung und insbesondere die F.D.P. haben das Steuerrecht verwüstet, aber hier spielen sie sich als große Reformer auf. So sind die Tatsachen. ({10}) Jetzt ist es an der Zeit, die wahren Leistungsträger der Gesellschaft zu entlasten: Arbeitnehmer und Familien, aber auch den Mittelstand. Es darf doch nicht so weitergehen, daß die Finanzierung unserer Gemeinschaftsaufgaben nur noch von Arbeitnehmern, Verbrauchern und Teilen des Mittelstandes vorgenommen wird. Wir dürfen nicht akzeptieren, daß Krankenschwestern, Handwerker, Industriefacharbeiter und Ingenieure weiter die Lastesel der Nation sind, die sie bei Ihnen waren. ({11}) Unsere Steuerreform ist auch mutig. Darauf ist schon hingewiesen worden. Steuersubventionen von mehr als 40 Milliarden DM abzubauen, gegen den Widerstand der Betroffenen, ist ein mutiger Schritt. Bei Stoltenberg waren es 18 Milliarden DM, Herr Kollege Faltlhauser. Unser Entwurf unterscheidet sich in entscheidenden Punkten von Ihrer Vorlage: ({12}) Unsere Steuerreform führt zu mehr Steuergerechtigkeit, sie ist solide finanziert, sie ist wirtschaftspolitisch vernünftig - alles Anforderungen, die Ihr Konzept nicht erfüllt hat. Ihr Konzept hätte - was Sie genau wissen - dazu geführt, daß Bund, Länder und Kommunen eine ungedeckte Finanzierungslücke von über 50 Milliarden DM hätten hinnehmen müssen. Sie hätten hier den Staatsruin beschlossen. Das war doch unsolide bis zum gehtnichtmehr, was Sie sich geleistet haben. ({13}) Die Kritik der Verbände nehmen wir doch locker hin. Was hat denn der BDI zu dem Gesetzentwurf der alten Regierung geschrieben? „Im Unternehmensbereich sehen wir nur Verlierer“, hat der BDI 1997 geschrieben, wobei er die Vorschriften zur Objektivierung der Gewinnermittlung meinte, die Abschaffung des halben durchschnittlichen Steuersatzes für außerordentliche Gewinne. Das hat er angesprochen, aber auch die Beschneidung des Verlustvortrages, was Sie vorhatten. Das haben wir gar nicht vor. Eine Verschlechterung der Bedingungen bei der degressiven Abschreibung wollten Sie durchsetzen. Dagegen haben wir uns gewehrt. In unserem Konzept hat die degressive Abschreibung Bestand. Das heißt, unser Entwurf, wenn man die Sicht des BDI zugrunde legt, ist in diesen Teilbereichen wirtschaftsfreundlicher als Ihr Entwurf. Ich bedauere nur, daß der BDI, der zu den Wahlverlierern gehört, und speziell Herr Henkel nicht die Kraft aufbringen, das auch einmal sachlich festzustellen. ({14}) Im übrigen ist eine wie auch immer geartete Steuerund Abgabenreform kein Wundermittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und auch keine Jobmaschine. Das gilt für jedes Konzept. ({15}) Herr Lafontaine hat heute morgen zu Recht darauf hingewiesen. Seriöse wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben - egal, ob man Ihr Konzept, das nicht finanzierbar ist, ({16}) oder unseres zugrunde legt -, daß man, wenn es gutgeht, 150 000 bis 250 000 Arbeitsplätze schaffen kann. ({17}) Das ist gut für die Menschen, die davon profitieren, aber das geht auch nicht von heute auf morgen. Unserem Konzept werden dieselben Qualitäten zugetraut. Ich kann Ihnen da eine einschlägige RWI-Untersuchung zeigen. ({18}) - Nein, die wäre dann vom DIW. Sie kennen sich da offenbar nicht so gut aus. ({19}) Meine Damen und Herren, es muß endlich Schluß damit sein, daß Sie den Standort schlechtreden. Erinnern wir uns: Das Bundeswirtschaftsministerium hat erst vor wenigen Monaten - fast verschämt - gemeldet, daß Deutschland aus der Sicht internationaler Investoren konkurrenzfähig ist und die ausländischen Investitionen in Deutschland kräftig gestiegen sind. ({20}) Unsere Steuerreform wird einen geeigneten Beitrag sowohl zur dauerhaften Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung als auch zur Wiederherstellung einer geordneten Finanzwirtschaft leisten. Darauf lege ich großen Wert: Unsere Steuerreform ist ein Beitrag zur Wiederherstellung des inneren Friedens in unserem Volke, indem endlich mehr Steuergerechtigkeit verwirklicht wird. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter Rauen. ({0})

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz einer Ankündigung von Bundeskanzler Schröder, in den Koalitionsvereinbarungen Nachbesserungen für den Mittelstand vorzunehmen, ist das Gesetz noch schlimmer geworden, als ursprünglich anzunehmen war. ({0}) Dieses Gesetz kassiert den Mittelstand ab; es entlastet ihn nicht, sondern belastet ihn ganz massiv. Herr Lafontaine, Sie haben vor ein paar Tagen gesagt, daß nur die Verbände gegen das Gesetz seien und die Unternehmer selbst nichts dagegen sagen würden. Frau Matthäus-Maier, für mich braucht nicht Herr Henkel zu sprechen. Ich bin seit 32 Jahren selbständiger Bauunternehmer und habe alle Höhen und Tiefen eines Unternehmers erlebt. ({1}) Ich habe Geld verdient, war aber auch in Gefahr, in Konkurs zu gehen und vor dem Nichts zu stehen. Ich weiß also sehr genau, wovon ich hier rede. Wenn Sie, Herr Poß, sagen, daß die Gewinnermittlungsvorschriften in aller Regel die kleinen und mittleren Unternehmen nicht betreffen würden, dann ist dieses ausweislich des Gesetzentwurfes unwahr, irreführend und fast schon zynisch. ({2}) Welchen Begriff haben Sie überhaupt vom Mittelstand? Der Mittelstand in Deutschland umfaßt die Eigentümer-Unternehmer, vom Einzelhändler bis hin zum modernen 500-Mann-Betrieb im Maschinen- und Anlagenbau. Das sind 98 Prozent aller Unternehmen, sie erwirtschaften über 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, in ihnen arbeiten zwei Drittel aller Menschen, und sie bilden über 80 Prozent unserer jungen Menschen aus. Es sind die Betriebe, die von 1983 bis 1990 in den alten Bundesländern 3 Millionen und von 1991 bis 1996 - ebenfalls in den alten Bundesländern - über 1 Million zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben; auch in den neuen Bundesländern tragen diese Betriebe maßgeblich zur Beschäftigung bei. ({3}) Wer diese Betriebe be- und nicht entlastet, vernichtet mittelfristig Arbeitsplätze. Genau das tut diese Reform. Ausweislich Ihrer Zahlen im Gesetzentwurf entlasten Sie die Wirtschaft in der dreistufigen Reform durch Tarifsenkungen um ca. 13 Milliarden DM, während Sie gleichzeitig durch veränderte Gewinnermittlungsvorschriften die Wirtschaft um ca. 35 Milliarden DM belasten. Sie holen sich dieses Geld teilweise bei den großen Konzernen, vor allem aber - trotz aller Dementis, Beteuerungen und Täuschungen - überwiegend beim Mittelstand. Die Abschaffung des hälftigen Steuersatzes bei Betriebsveräußerungen trifft den Mittelstand ins Mark, ({4}) vor allem die Hunderttausende von Unternehmern, die alles in den Betrieb gesteckt haben, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, und die den Betriebswert als Altersversorgung angesehen haben. ({5}) - Herr Poß, auch wir hatten die Abschaffung des hälftigen Steuersatzes des § 34 Einkommensteuergesetz vorgesehen, jedoch mit der Maßgabe, daß sich der durchschnittliche Steuersatz dann zwischen den Grenzen von 15 und 39 Prozent bewegt und nicht zwischen 23,9 und 53 Prozent liegt. ({6}) - Halten Sie jetzt einmal den Mund, Herr Poß! Auch der ab 2002 vorgesehene Tarif von 19,9 Prozent Eingangssteuersatz und 48,5 Spitzensteuersatz mildert diese Zumutung für den Mittelstand nur unwesentlich. Mit der Abschaffung der Sonderabschreibungen und der Ansparabschreibung ab dem Jahr 2000 bzw. 2001 treffen Sie die Kleinbetriebe mit einem Einheitswert unter 400 000 DM zutiefst in ihrer Liquidität, ohne sie andererseits maßgeblich zu entlasten. Für den Mittelstand sind jedoch vor allem die Maßnahmen der Gegenfinanzierung gravierend, die bei der alten Bundesregierung nicht vorgesehen waren. Ich kann den Sachverhalt aus zeitlichen Gründen nur an zwei Beispielen deutlich machen: Erstes Beispiel: Mit der Streichung der Teilwertabschreibung legen Sie nicht nur die Axt an das Steuerrecht, Sie gefährden damit auch die Existenz vieler Betriebe. ({7}) Sie zwingen Betriebe nicht nur, sich in der Steuerbilanz besser darzustellen, als sie sind - wenn Sie dies in der Handelsbilanz täten, würden Sie sich strafbar machen, sogar möglicherweise wegen Konkursverschleppung ins Gefängnis gehen -, Sie zwingen sie sogar, auf Waren oder Betriebsanlagen, die nichts mehr wert sind, Steuern zu zahlen. Was muß demnächst ein Textilhändler mit Modeartikeln tun, die nicht mehr zu verkaufen sind und daher nichts mehr wert sind? Sie zwingen ihn, die Ware zum Einkaufspreis zu bilanzieren und damit Steuern zu zahlen, obwohl er durch diese Waren keine Einnahmen hat. ({8}) Was soll ich als Bauunternehmer mit genormten Gerüst- und Schalungsteilen tun, die auf drei Jahre abgeschrieben werden, die aber nach einem Jahr kaputt sind? Ich muß sie weiter bilanzieren, Steuern zahlen und nach Liquidität suchen, um die neuen Gerüst- oder Schalungsteile zu kaufen, damit meine Leute arbeiten können. ({9}) Das ist schlicht und einfach die Wahrheit über das, was Sie mit der Teilwertabschreibung bewirken. ({10}) Zweites Beispiel: Begrenzung des Verlustrücktrags auf ein Jahr, Rückführung auf 2 Millionen DM und Abschaffung ab dem Jahr 2001. Das ist ein Frontalangriff auf die Existenz moderner mittelständischer Betriebe. Ich habe einen Betrieb in Baden-Württemberg vor Augen, den ich kürzlich besucht habe. Er wurde vor 16 Jahren gegründet; er hat 280 hochbezahlte Spezialisten als Mitarbeiter und beschäftigt sich mit modernstem Anlagenbau und der Entwicklung von Prototypen, die in der ganzen Welt reißenden Absatz finden. Der Gründer und Firmenchef nannte mir als die beiden Probleme für seine Firma, erstens qualifizierte Mitarbeiter zu finden und zweitens - auf Grund überbordender Gewährleistungs- und Bürgschaftsverpflichtungen - Kapital zu beschaffen. Dieser Betrieb verdient gutes Geld, bezahlt viel Steuern, läuft aber auch permanent Gefahr, auf Grund der Produktenhaftpflicht - zum Beispiel in Amerika - ein oder zwei Geschäftsjahre total „in den Sand zu setzen“. Dieser Betrieb soll nun nicht mehr - ansonsten verkraftbare - Verluste auf ein oder zwei Jahre zurücktragen können, um sich Liquidität beim Finanzamt zu besorgen, Liquidität, die er möglicherweise bei den Kreditinstituten nicht mehr bekommt. Das gilt gleiPeter Harald Rauen chermaßen für Hunderttausende von mittelständischen Betrieben. ({11}) Wer solche Gewinnermittlungsvorschriften durchsetzen will, hat vom Mittelstand in Deutschland keine Ahnung. ({12}) Meine Damen und Herren, viel aufschlußreicher im Rahmen der Gegenfinanzierung ist aus meiner Sicht eine Maßnahme, die Sie nicht durchführen, obwohl die alte Bundesregierung den Mut dazu hatte. Ich spreche von der Begrenzung der Verlustvorträge auf 50 Prozent der Gewinne bei einem Freibetrag von 2 Millionen DM für mittelständische Betriebe. Ihr Verzicht auf diese Gegenfinanzierung begünstigt nicht den Mittelstand. Im Gegenteil: Er begünstigt ausschließlich die Großindustrie, die es verstanden hat, durch Mantelkäufe nach dem Umwandlungssteuerrecht unter anderem große Verluste preiswert einzukaufen. Daß es in Deutschland zur Zeit Verlustvorträge in Höhe von zirka 400 Milliarden DM gibt, hat nur zum Teil mit operativen Verlusten zu tun, in hohem Maße aber mit diesen Mantelkäufen. Mit diesen Verlustvorträgen ist in Deutschland teilweise ein schwunghafter Handel getrieben worden, weil man sich damit leicht Liquidität verschaffen konnte. ({13}) Ein großes deutsches Unternehmen hatte - Stand Ende 1996 - einen Verlustvortrag in Höhe von 16,6 Milliarden DM. Dieses Unternehmen hat in 1997 ausweislich des eigenen Geschäftsberichtes einen Gewinn von 4,3 Milliarden DM gemacht. Zahlung von Körperschaftund Gewerbeertragsteuer: null DM. Stünde das Gesetz der alten Bundesregierung im Gesetzblatt, würde dieser Konzern 1998 bei einem gleichen Gewinn 2,15 Milliarden DM mit Verlusten verrechnen können, aber von den anderen 2,15 Milliarden DM Körperschaft- und Gewerbeertragsteuer in Höhe von über 1 Milliarde DM zahlen. Ich kann Ihnen aus der Erinnerung fünf ähnlich gelagerte Fälle großer deutscher Konzerne nennen. Von dieser Maßnahme läßt die neue Bundesregierung die Finger. Es ist ja auch einfacher, Zehntausende kleiner Betriebe mit der Novellierung der Sonder- und Ansparabschreibung um Liquidität zu bringen, ({14}) als sich mit den Interessen derjenigen anzulegen, mit denen man jahrelang im gleichen Aufsichtsrat gesessen hat. ({15}) Ich muß zum Schluß kommen. Die rund 3 Millionen selbständigen Unternehmen des Mittelstandes werden dies alles sehr genau beobachten. Wer in Deutschland gegen den Mittelstand Arbeitslosigkeit abbauen will, mag bei der Arbeitsbewirtschaftung möglicherweise Erfolge vorweisen können, nicht aber bei der Zunahme von Arbeitsplätzen bzw. von Beschäftigung, was zu mehr Zahlungen von Steuern und Abgaben führen würde, wodurch letztlich der Staat finanziert wird. Ich bleibe dabei: Dieser Gesetzentwurf zur Steuerreform ist ein Mittelstands- und Arbeitsplatzvernichtungsprogramm. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die PDS-Fraktion hat Frau Dr. Barbara Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler pries in seiner Regierungserklärung die Steuerreform als Einsicht in ökonomische Notwendigkeiten, in welcher sich moderner Pragmatismus mit einem starken Sinn für soziale Fairneß verbindet. Frau Professor Luft sagte schon, daß wir viele Maßnahmen der Steuerreform begrüßen. Aber die soziale Fairneß vermissen wir an einigen Stellen. Oder meinen Sie, daß betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Halbierung der Freibeträge im Rahmen von Abfindungen als sozial fair empfinden werden und daß die bereits ab 1. Januar 1999 vorgesehene Streichung des Vorkostenabzuges bei eigenheimzulagebegünstigten Wohnungen den Häuslebauern Freude machen wird? Wo ist die Individualisierung des Steuerrechtes, wo seine größere Transparenz? Es gibt auch viel Diskussionsstoff bezüglich der Ökosteuer. Ich sage aber auch: Wir unterstützen Ihren Antrag bezüglich der Kindergeldauszahlung und der Erstellung der Lohnsteuertabellen. Hier tut Eile tatsächlich not. Aber ich frage Sie: Warum lassen Sie sich andererseits bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag Zeit? Wer mehr soziale Gerechtigkeit will, wer Armut bekämpfen will, muß Reichtum begrenzen. ({0}) Gerade weil die alte Regierung von Christdemokraten und Liberalen eine große finanzielle Erblast hinterlassen hat, reicht es nicht aus, nur erste kleine Entlastungsschritte zu machen, die zum Teil schon gesetzlich verankert waren und nur erste Schritte sein können. Es reicht nicht aus, in der Regierungserklärung die alte Leier der staatlichen Ausgabenbeschränkung und der Mißbrauchskontrolle - nur neu arrangiert - weiter zu spielen. Es gilt, den Mut aufzubringen, tatsächliche Einnahmeerhöhungen anzustreben. Hier sind wir bei dem Stichwort Vermögensteuer. Im Koalitionsvertrag stellen Sie in Aussicht, eine Sachverständigenkommission einzuberufen, die die Grundlage für eine wirtschafts- und steuerpolitisch sinnvolle Vermögensbesteuerung schaffen soll. Ich frage Sie: Was soll denn das, meine Damen und Herren von der Regierungskoaltion? Ein elegantes Begräbnis? - Damit sind wir von der PDS nicht einverstanden. Wir fordern Sie deshalb mit unserem Antrag auf, bis zum 30. März nächsten Jahres einen Gesetzentwurf für die Wiedererhebung der Vermögensbesteuerung auf der Basis einer reformierten Bemessungsgrundlage vorzulegen. ({1}) Ich muß Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen: Sie scheinen vergessen zu haben, daß Sie selber schon fix und fertige Gesetzentwürfe dazu hatten: Drucksache 13/5504 und Drucksache 13/4838. Nehmen Sie sie, schauen Sie, wo Ihre Berührungspunkte sind. Sie sind zu finden. Sie von der SPD haben unter anderem noch vor zwei Jahren fast einheitliche Tarife für natürliche und juristische Personen gefordert. Sie legten Vorschläge für die Neugestaltung der Freibeträge vor. Von den Grünen gab es dazu ein Änderungsgesetz. Sie können also sofort handeln. Ich verstehe nicht, warum sich die Regierung berechtigterweise den Vorwurf von Matthias Geis gestern in der „Zeit“ machen läßt: Wir warten auf Reformkonzepte, die diesen Namen verdienen. In den Schubladen jedenfalls liegt wenig. Herr Bundeskanzler, seien Sie froh, daß die PDS als linke Opposition im Bundestag ist. Wir werden Sie veranlassen, ruhig ein bißchen tiefer in Ihren Schubladen zu kramen und auch die alten Gesetzentwürfe hervorzuholen. Auf dieser Basis soll ein Neuvorschlag zur Vermögensbesteuerung bis zum 30. März vorgelegt werden. ({2}) Im Grundgesetz ist nicht nur der Schutz des Eigentums verankert. Im Grundgesetz ist eben auch das Sozialstaatsprinzip verankert, die Verantwortung des Staates für den Ausgleich sozialer Gegensätze und für eine gerechte Sozialordnung. Diese Verantwortung muß er unserer Meinung nach vor allem auch mit der Erhebung von Steuern wahrnehmen. Wir unterbreiten Ihnen noch einen zweiten Vorschlag. Herr Poß hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es notwendig ist, zum Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zurückzukehren. Deshalb schlagen wir Ihnen vor: Erarbeiten wir gemeinsam ein Gesetz zur Besteuerung des Erwerbs von Luxusgütern; denn die Menschen, die sich zum Beispiel ein Schmuckstück im Wert von 10 000 DM kaufen können, können auch auf die 16 Prozent Mehrwertsteuer die 6 Prozent einer erhöhten Verbrauchssteuer drauflegen. ({3}) Lassen Sie uns hier anfangen. Dann haben wir wirklich ein Zeichen für soziale Gerechtigkeit und für Ausgleich gesetzt, auch bei der Steuerreform. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/23, 14/11 und 14/27 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Das Steuerentlastungsgesetz auf Drucksache 14/23 soll zusätzlich an den Ausschuß für Tourismus und an den Ausschuß für Bildung und Forschung überwiesen werden. Der Haushaltsausschuß soll diesen Gesetzentwurf zur Mitberatung gemäß § 96 der Geschäftsordnung erhalten. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Kindergeldauszahlung und zur Erstellung der Lohnsteuertabellen 1999 auf Drucksache 14/28. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalition und der PDS bei Enthaltungen der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beabsichtigt die Durchführung einer kurzen Fraktionssitzung. Daher unterbreche ich die Sitzung für etwa 30 Minuten. Der Wiederbeginn wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an der NATO-Luftüberwachungsoperation über dem Kosovo - Drucksachen 14/16, 14/32 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel Karl Lamers Dr. Helmut Lippelt Wolfgang Gehrcke Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über diese Vorlage namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Ich erteile das Wort dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gemäß § 66 Abs. 1 der Geschäftsordnung erstatte ich Ihnen im Einvernehmen mit den Kollegen Vorsitzenden des Rechts-, Haushalts- und Verteidigungsausschusses Bericht über die Beratung des Antrages der Bundesregierung „Deutsche Beteiligung an der NATO-Luftüberwachungsoperation über dem Kosovo“, „NATO Kosovo Air Verification Mission“, Drucksache 14/16. Dieser Antrag ist am Dienstag dieser Woche dem Auswärtigen Ausschuß federführend und den genannten Ausschüssen zur Mitberatung überwiesen worden. Unmittelbar nach der Konstituierung am heutigen Morgen haben sich die Ausschüsse in ihren ersten Arbeitssitzung eingehend mit diesem Antrag befaßt. Der Rechtsausschuß empfiehlt, dem Antrag zuzustimmen. Der Beschluß wurde mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktion der PDS bei einer Enthaltung seitens der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gefaßt. Der Haushaltsausschuß hat mehrheitlich mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSUFraktion und der F.D.P.-Fraktion bei drei Stimmenthaltungen der Fraktion der SPD ({0}) gegen die Stimmen der Fraktion der PDS empfohlen, dem Antrag zuzustimmen. Der Verteidigungsausschuß hat mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktion der PDS ebenfalls den Beschluß gefaßt, dem Plenum zu empfehlen, dem Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 14/16 seine Zustimmung zu erteilen. Der Auswärtige Ausschuß hat in Anwesenheit des Bundesministers des Auswärtigen und des Bundesverteidigungsministers beraten und beschlossen. Beiden danke ich für die ausführlichen Erläuterungen. Ich stelle fest, daß sich schon in der ersten Sitzung des Ausschusses eine gute Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung gezeigt hat. So soll es sein, und so soll es bleiben. Der Auswärtige Ausschuß hat in Kenntnis der Voten der mitberatenden Ausschüsse beschlossen. Er empfiehlt dem Hohen Hause mit der großen Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion der PDS die Annahme des Antrags der Bundesregierung. Damit verbindet sich unsere Hoffnung auf eine, wie es im Antrag heißt, „Stabilisierung der Verhältnisse im Kosovo“ und auf die Schaffung eines Umfeldes, welches zu einer dauerhaften und tragfähigen Friedensregelung beiträgt und auf die Abwendung einer humanitären Katastrophe abzielt. In diesem Sinne empfehlen alle Ausschüsse die Zustimmung zu dem Antrag. Ich bedanke mich. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Bundesaußenminister Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung bittet heute den Deutschen Bundestag, der Entsendung deutscher Kräfte zur Teilnahme an einer NATO-Operation zur Luftüberwachung der VNSicherheitsratsresolutionen 1160 und 1199 zuzustimmen. Die Bundesregierung beabsichtigt, nach der Zustimmung des Deutschen Bundestages an dieser Operation mit unbewaffneten, unbemannten und ferngesteuerten Aufklärungsflugzeugen teilzunehmen. Für die Bedienung einschließlich des Schutzes dieses empfindlichen Geräts sollen bis zu 350 Soldaten eingesetzt werden. Darüber hinaus soll deutsches Personal im fliegenden NATO-Frühwarn- und -führungssystem AWACS eingesetzt werden. Ich möchte nochmals den Zusammenhang zu der Sondersitzung des 13. Deutschen Bundestages herstellen, der in seiner letzten Sitzung beschlossen hat, an einer möglichen NATO-Militäraktion teilzunehmen. Die Konsequenz dieses Beschlusses war dann eine in letzter Minute erreichte Einigung zwischen dem USSondergesandten Richard Holbrooke und der Regierung in Belgrad. Sie hat eine Militäraktion verhindert. Diese geplante Militäraktion hatte zum Zweck, eine humanitäre Katastrophe im Kosovo angesichts zahlloser Flüchtlinge, zerstörter Dörfer, zerstörter Wohnungen und des drohenden Winters abzuwehren. Heute können wir sagen, daß die humanitäre Katastrophe - alle vor Ort berichten dies - abgewehrt werden konnte. Ich denke, das ist ein erster wichtiger Erfolg. ({0}) Die Flüchtlinge sind zum überwiegenden Teil in ihre Dörfer und Häuser zurückgekehrt. Worauf es jetzt ankommt, ist, die Abwendung der humanitären Katastrophe in eine Verstetigung des friedlichen Zusammenlebens, des friedlichen Alltags, des Wiederaufbaus, der Hilfe zum Wiederaufbau und einer politischen Lösung zu führen. Holbrooke hatte drei Körbe verhandelt. Die Umsetzung von allen drei Körben wird für die Abwendung der humanitären Katastrophe, für die Beendigung des Krieges und für eine politische Lösung letztendlich unabweisbar sein. Es besteht hier ein Sachzusammenhang; deswegen müssen wir den Bundestag heute erneut mit einem Beschluß beschäftigen und werden ihn in absehbarer Zukunft mit einem weiteren Beschluß zu beschäftigen haben. Ich füge gleich hinzu: Das liegt nicht an der Bundesregierung, sondern allein an den Problemen, die sich aus dem Konsultationsprozeß des NATO-Rates und der Beschlußfassung dort ergeben. Wir hätten dies gern in einem Beschluß zusammengefaßt. Lassen Sie mich in aller Kürze auf die Realisierung der drei Körbe zu sprechen kommen. Zum ersten, dem humanitären Korb: Mit dem nach Meinung westlicher Beobachter und der entsprechenden NATO-Stellen weitestgehend umgesetzten Rückzug der jugoslawischen Truppen und Sondereinheiten ist die Rückkehr der Flüchtlinge ermöglicht worden. Damit ist eine humanitäre Katastrophe abgewendet worden. Der zweite Korb ist die Überwachung dieses Prozesses. Auch dieser Korb ist sowohl für die Sicherheit der Menschen im Kosovo als auch für den Fortgang der politischen Lösung unabweisbar. Dafür hat die BundesreHans-Ulrich Klose gierung in ihrer ersten Kabinettssitzung beschlossen, daß wir uns mit bis zu 200 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der OSZE-Mission beteiligen. Ich habe es an anderer Stelle schon gesagt: Hierin liegt ein entscheidender Schritt nach vorne für die Rolle der OSZE im Peacekeeping, das heißt im Überwachen des Friedens, in der Durchsetzung des Friedens mit zivilen Mitteln in Europa. Ich sehe hier ebenfalls einen großen Fortschritt. ({1}) Der Kollege Scharping und das Auswärtige Amt werden je 80 Personen, das Bundesinnenministerium wird 40 Personen - jeweils als Höchstgrenze - bereitstellen und in den Kosovo entsenden. Die Entsendung wird im Dezember, nachdem alle Vorarbeiten getroffen sind und die Einstellungen entsprechend abgeschlossen wurden, vorgenommen werden. Wenn man sich dazu durchringt, diesen Schritt zu tun - ich sehe in diesem zivilen Peacekeeping einen wirklich historischen Durchbruch -, dann wird es entscheidend sein, daß man den Menschen, die man dort hinschickt, optimale Bedingungen schafft. Ich weiß, sehr viele Kolleginnen und Kollegen - auch und gerade auf der linken Seite des Hauses - haben, als sie in der Sondersitzung zugestimmt haben, auf Grund der rechtlichen Aspekte und auch der politischen Folgen, die sich daraus ergeben können, offene Fragen gehabt. Ich weiß, es gibt nach wie vor Fragen und Probleme in diesem Zusammenhang. Ich bitte aber alle, die sich mit der Zustimmung schwertun, zu bedenken, daß die Verifikation der OSZE-Mission daran hängt, daß die militärische, aber unbewaffnete Luftraumüberwachung ebenfalls stattfindet. ({2}) Die Bundesregierung bittet Sie heute um Ihre Zustimmung; denn es geht nicht nur um die Verifikation am Boden; vielmehr muß diese Verifikation am Boden durch eine militärische, aber unbewaffnete Luftraumüberwachung gestützt werden. Da es sich hier um hochgeheimes Gerät handelt - der Kollege Scharping wird noch auf das Erfordernis einer klaren Vereinbarung mit der Regierung in Makedonien zu sprechen kommen -, wird es hier ebenfalls zum Einsatz von bewaffneten Kräften seitens der Bundeswehr zwecks Bewachung des unbemannten Fluggeräts kommen. Der Fall, der hier eingetreten ist, ist konstitutiv. Deswegen muß der Gesetzgeber, der Deutsche Bundestag, darüber abstimmen. Ich hoffe, Sie werden mit Ja stimmen. Lassen Sie mich noch auf den dritten und, ich glaube, schwierigsten Punkt zu sprechen kommen, den Korb 3, die politische Lösung. Wir müssen davon ausgehen, daß die beiden beteiligten Konfliktparteien sich ausschließende, hochsymbolisch aufgeladene Interessen verfolgen. Die albanische Seite will die Unabhängigkeit, die Sezession des Kosovos. Ich kenne keine politische Kraft in Belgrad, die bereit ist, dies zu akzeptieren. Wir haben hier eine sehr schwierige Situation. Die Haltung des Westens ist klar definiert. Die Haltung des Westens, die der Bundesrepublik Deutschland, die der Vorgängerregierung und auch die dieses Hauses war immer die, daß wir Sezession, Unabhängigkeit nicht unterstützen; vielmehr unterstützen wir die Durchsetzung der Menschenrechte und ein weitgehendes Autonomiestatut, allerdings im Rahmen der Bundesrepublik Jugoslawien. Dies ist Gegenstand der HolbrookeMilosevic-Vereinbarung. ({3}) Gestern habe ich, wie ich heute den Ausschüssen berichtete - auch hier möchte ich es noch einmal erwähnen -, in einem Gespräch im Ministerium mit Vertretern der Kosovo-Albaner aus Pristina und auch mit hier lebenden Exilalbanern auch darauf hingewiesen, daß wir mit großer Sorge die Entwicklung von Gewalteinsatz auf albanischer Seite sehen. Der Friedensprozeß setzt Gewaltverzicht auf beiden Seiten voraus. ({4}) Damit es in diesem Friedensprozeß im Interesse der Bevölkerung tatsächlich zu positiven Ergebnissen kommen kann, brauchen wir jetzt diese OSZE-Mission und die dazu notwendige Luftraumüberwachung. Sie ist Bestandteil dieser Mission. Wir brauchen jetzt vor allen Dingen eine Einigung über das entsprechende Statut, ein Autonomiestatut für die Dauer von drei Jahren. Auf der Grundlage dieses Statuts kann dann im Kosovo ein konstitutioneller Prozeß beginnen, begründend auf freien Wahlen, begründend auf einem aus diesen freien Wahlen hervorgegangenen Regionalparlament, begründend auf einer eigenen Justiz, begründend auf einer eigenen Polizei. Ich denke, das ist es, was jetzt angegangen werden muß. Hier liegen allerdings noch erhebliche Schwierigkeiten. Nur glaube ich nicht, daß wir, ohne daß wir hier zu einem positiven Abschluß kommen, tatsächlich eine Entwicklung hin zu dauerhafter Gewaltfreiheit und zu Frieden in dieser Region erleben werden. An einer solchen Entwicklung haben wir aber großes Interesse. ({5}) Ich bitte Sie also, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen. Ich möchte auch all diejenigen, die aus nachvollziehbaren Gründen mit einem Ja Schwierigkeiten haben, bitten, nochmals über ihre Entscheidung nachzudenken. Ich sage Ihnen ganz persönlich - das gilt für den Kollegen Scharping und für den Kollegen Schily -: ({6}) Wir schicken unbewaffnete zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in eine sehr schwierige Mission. Die Bundesregierung tut dies als Ganzes; aber ich betone auch die persönliche Seite. Gerade dann, wenn wir politisch von der Notwendigkeit einer stärkeren Rolle der OSZE überzeugt sind, müssen wir den Menschen, die bereit sind, dieses Risiko in unserem Auftrag einzugehen, optimale Bedingungen schaffen. Dazu gehört ein Ja zur heutigen Beschlußvorlage. Ich bedanke mich. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Breuer, CDU/CSU.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSUFraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierung betreffend die Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-Luftraumüberwachungsoperation über dem Kosovo. Es geht uns darum, daß Deutschland seinen verantwortungsvollen und verantwortungsbewußten Beitrag dazu leistet, daß die Menschen im Kosovo nicht nur vor der humanitären Katastrophe geschützt werden, die sich hier angedeutet hatte und zum Teil schon eingetreten war, sondern auch auf Dauer eine Lebens- und Friedensperspektive im Kosovo erhalten. ({0}) Es wäre natürlich gut gewesen, Herr Minister Fischer, wenn wir heute auch über die Entsendung der Schutzund Evakuierungstruppe, der sogenannten Extraction Force, hätten debattieren und entscheiden können. Aber es ist richtig: Die Zeitabläufe bei der NATO ließen dies nicht zu. Gleichwohl müssen wir heute beides im Zusammenhang debattieren und würdigen. Meine Damen und Herren, für uns muß feststehen, daß Milosevic im Abkommen mit dem US-Sonderbotschafter Holbrooke nicht zu derart weitreichenden Zugeständnissen, wie sie zustande gekommen sind, hätte gebracht werden können, wenn nicht auch der Deutsche Bundestag, wenn nicht Deutschland seine Verantwortung in der Art und Weise wahrgenommen hätte, wie wir es getan haben. ({1}) Deswegen ist es für mich unverständlich - wir werden im Laufe der Debatte sicherlich noch einiges dazu hören -, daß es in diesem Hause nach wie vor Kollegen gibt, die meinen, die Debatte von gestern über Rechtsgrundlagen usw. erneut führen zu müssen. Wir müssen heute sagen: Es war ein Erfolg der internationalen Staatengemeinschaft, es war ein Erfolg insbesondere der NATO, Milosevic zu diesen Zugeständnissen zu bringen. Wir können das, was wir heute einleiten, nur auf der Basis dieses Prozesses, der unter Druck zustande kam, weiter beraten. Es ist wichtig, daß wir nun den zweiten Schritt tun, indem wir unseren Willen bekunden, die Einhaltung dieser Zusagen auch wirkungsvoll zu überwachen. Solange nicht eindeutig nachprüfbar ist, inwieweit die Bundesrepublik Jugoslawien in allen vereinbarten Teilen die Zusagen einhält, muß die Drohkulisse der NATO so bestehenbleiben, wie sie besteht. ({2}) Der Abzug der serbischen Sicherheitskräfte, der wohl weitestgehend erfolgt ist - das wurde auch von der Bundesregierung deutlich gemacht -, ist nur der erste Schritt. Vorrangig wird sein, wie rasch die Modalitäten dafür geschaffen werden können, daß alle Flüchtlinge, die zum Teil nach wie vor in den Wäldern hausen müssen, die Angst haben und vom Winter bedroht sind, in ihre zerstörten Dörfer oder andere Liegenschaften zurückkehren können. Ich begrüße ausdrücklich, daß sich die neue Bundesregierung zur, wie sie sagt, Kontinuität deutscher Außen- und Sicherheitspolitik bekennt. Aber es muß schon erlaubt sein, darauf hinzuweisen, daß es die alte Koalition war, die die neue Verantwortungsrolle Deutschlands in der Staatengemeinschaft zu Beginn der 90er Jahre maßgeblich befördert hat, und daß Sie damals auf einer anderen Seite gestanden haben. ({3}) Ohne uns hätten das Ansehen Deutschlands in der Welt und die Berechenbarkeit der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik damals schweren Schaden erlitten. Wir nehmen die innere und äußere Anpassungsfähigkeit des neuen Außenministers zur Kenntnis. Der Lernprozeß, den Sie, Herr Minister Fischer, vollzogen haben, ist nun in gleichem Maße auch von Ihren Kolleginnen und Kollegen in der bündnisgrünen Fraktion nachzuvollziehen. Ich möchte darauf hinweisen - weil man es muß -, daß am 16. Oktober bei der Abstimmung des alten Bundestages immerhin nur 26 von 47 Mitgliedern der Grünen-Fraktion dem Einsatz zugestimmt haben. Das war etwas mehr als die Hälfte. Bei so wenig Unterstützung aus den eigenen Reihen von einer Kontinuität der Politik zu reden, das, Herr Minister Fischer, ist schon etwas verwegen. Auch das muß deutlich gesagt werden. ({4}) Wir werden schon genau darauf achten, und zwar heute wie in Zukunft, ob die neue Bundesregierung in der Lage ist, ({5}) für Auslandseinsätze hier im Deutschen Bundestag, in diesem Hohen Hause, die erforderlichen Mehrheiten sicherzustellen. Um es klar zu sagen, Herr Kollege Schlauch: Wir stellen uns unserer Verantwortung, gar keine Frage; das wissen Sie auch. Aber wir sind natürlich nicht dazu bereit, Unstimmigkeiten bei Ihnen durch unsere Stimmen zu überdecken. Wir achten genau darauf und werden Sie in namentlicher Abstimmung fordern. ({6}) Spielen Sie also bitte nicht - da möchte ich Sie persönlich ansprechen, Herr Minister - die Qualität des heute und in der kommenden Woche zu beratenden Einsatzes herunter! Sie sprachen eben von einem zivilen Peacekeeping. Dieser Einsatz, und zwar sowohl die Luftverifikation wie der Einsatz am Boden, der Einsatz der 2 000 OSZE-Beobachter ist eine höchst gefährliche Unternehmung und kein Weihnachtsspaziergang. Wenn ich heute in der „Bild“-Zeitung lese - sicher etwas falsch, etwas überzogen dargestellt -, daß die Bundesrepublik Jugoslawien Waffeneinkäufe bei der Russischen Föderation tätige - ich denke, ich weiß es richtig einzuschätzen; da besteht nach wie vor ein Rüstungsabkommen -, dann weiß ich, daß deutsche Streitkräfte dort auch modernsten Waffensystemen begegnen können. Wenn man weiß, daß es ständig - täglich - Provokationen zwischen UCK und serbischen Sicherheitskräften gibt - wir sehen beide Seiten -, dann weiß man, in welches schwierige Szenario jeder einzelne OSZEBeobachter dort jeden Tag kommen kann, dann weiß man, wie notwendig es ist, daß bewaffnete Streitkräfte als Schutz- und Evakuierungstruppe, und zwar gut ausgebildet, bestausgebildet, zur Verfügung stehen. Hier dann von einem zivilen Peacekeeping zu reden, könnte, wenn man es so verstehen will, schon dazu dienen, daß Sie Ihren Leuten, insbesondere in der Grünen-Fraktion, verkaufen wollen, daß das alles einfach sei, und daß Sie eine hohe Zustimmungsrate bekommen wollen. Das ist nicht zugelassen. Wir müssen den Menschen in unserem Lande, den Beobachtern und den Soldaten, schon klar sagen, daß es um eine gefährliche Operation geht. Nur wenn wir dies feststellen, besteht auch mental die Sicherheit, daß diese Menschen wohlbehalten wieder nach Hause kommen können. ({7}) Das ist verantwortliche Politik, meine Damen und Herren. In diesem Zusammenhang will ich eines sagen: Wenn es darum geht, die deutschen Truppenteile für die Schutz- und Evakuierungstruppe festzustellen, zu identifizieren - das wird ja in der kommenden Woche geschehen -, dann fordern wir schon, daß es die Besten sind, die die Bundeswehr hat. Das heißt dann, daß in der Einsatzreserve - die braucht man nicht nach Mazedonien zu schicken - das Kommando Spezialkräfte vorgehalten wird. Das sind die in bestimmten Szenarien am besten ausgebildeten Soldaten. Es kann nicht sein, daß deshalb, weil die Grünen-Fraktion in der Vergangenheit etwas dagegen hatte, daß diese Truppen aufgestellt werden, möglicherweise davon abgesehen wird. Auch das will ich hier deutlich feststellen. ({8}) Ein letztes Wort zur Finanzierung des Einsatzes. Dieser Einsatz kostet viel Geld. Er wird - so schreiben Sie es ja in der Vorlage - in diesem Jahr das Geld des Verteidigungsetats kosten; das soll aus dem Einzelplan 14 erwirtschaftet werden. Ich spreche jetzt einmal mit der Sprache, in der die SPD-Opposition - jetzt in der Regierung - in der Vergangenheit mit uns geredet hat. Sie haben den damaligen Finanzminister, den Kollegen Dr. Waigel, ständig dazu aufgefordert, daß er das Geld aus dem Gesamthaushalt geben solle. Ich fordere auch Sie jetzt dazu auf. Sollten Sie, Herr Minister Scharping, damit Schwierigkeiten haben: Unsere Unterstützung ist Ihnen sicher. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Maßnahmen, die die internationale Staatengemeinschaft trifft, müssen im Zusammenhang gesehen werden. Darauf hat mein Kollege Fischer hingewiesen. Der Aufbau militärischen Drucks hat zu dem Abkommen zwischen Herrn Milosevic und Herrn Holbrooke geführt. Ich will an dieser Stelle sagen, damit das auch für die weiteren Debatten klar ist: Die Bundesrepublik Deutschland hat keine Schwierigkeiten mit dem serbischen Volk und hegt keine Animositäten und schon gar nicht Feindschaft gegen das serbische Volk; sie bedauert aber, daß das serbische Volk eine diktatorische Regierung hat, die das eigene Land und andere unter Druck setzt. ({0}) Mit diesem Abkommen und den Folgevereinbarungen ist erstens die Verifikation am Boden, also die Mission durch die OSZE, und zweitens die bemannte und unbemannte Verifikation in der Luft geregelt. Hierfür gibt es mehrere Rechtsgrundlagen, über die ich Sie jetzt informiere: Neben diesem Abkommen, das häufig erwähnt wird, gibt es ein zweites zwischen dem NATOOberbefehlshaber und dem jugoslawischen Generalstabschef; außerdem gibt es einen entsprechenden Beschluß des Ständigen Rates der OSZE und schließlich auch die Resolution des Weltsicherheitsrates mit der Nummer 1203, die all dies aufgreift und bekräftigt und die Staatengemeinschaft ermuntert, in diesem Sinne zu verfahren. Hinsichtlich der Bedenken gegenüber einer Verifikation am Boden kann ich das Haus darüber informieren, daß mittlerweile alle Staaten begonnen haben, ihre Beobachter zu notifizieren, also anzumelden. Das gilt übrigens für alle europäischen Staaten, einschließlich Rußlands und der Ukraine, sowie für die Vereinigten Staaten von Amerika. Ich sage das deshalb, damit sich einzelne Mitglieder des Hauses oder möglicherweise eine Fraktion nicht hinstellen und sich für klüger halten kann als die internationale Staatengemeinschaft, Rußland und die Ukraine eingeschlossen. ({1}) Im übrigen unterliegen diese 2 000 Beobachter einer Gefahr. Es hat keinen Sinn, daran vorbeizureden. Die Gefahr ergibt sich daraus, daß in dem Abkommen zwar geregelt ist, daß die Bundesrepublik Jugoslawien für die Sicherheit der OSZE-Beobachter die Gewährleistung zu übernehmen hat, daß aber die UCK eigene Interessen verfolgt. Im Kosovo gibt es nicht nur von beiden Seiten verursachte Scharmützel, sondern auch den Anspruch, bestimmte Gebiete mit angemaßter ziviler Autorität zu kontrollieren. Aus diesem Widerstreit einerseits zwischen den Garantien des Abkommens und andererseits den Ansprüchen, die die UCK stellt, ergeben sich Risiken. Es gibt leider auch andere, aber ich wollte das an diesem einen Beispiel deutlich machen. Es sollte uns also bewußt sein, daß wir mit der Entsendung der Verifikateure auch ein gewisses Risiko eingehen, das für diese Menschen erheblich werden kann. Das ist - ich stimme dem Kollegen Breuer ausdrücklich zu kein Spaziergang, sondern ein mit Risiko behafteter Einsatz. Um so wichtiger wird es sein, daß die Verifikation in der Luft funktioniert. Da wird eine Drohnenbatterie der Bundeswehr entsandt; diese Informationen haben Sie alle. Deswegen will ich mich jetzt auf den Hinweis beschränken, daß die Stationierung dieser Batterie erst erfolgen wird, wenn es zu einer entsprechenden Vereinbarung mit der mazedonischen Regierung gekommen ist. Dazu konnte es wegen des Regierungswechsels in diesem Lande nicht kommen. Er hat nicht so gut funktioniert wie hier. Aber das ist eine eher scherzhafte Bemerkung am Rande. Ich möchte darauf aufmerksam machen - damit komme ich auf eine Bemerkung zurück, die ich in der ersten Debatte am Dienstag schon gemacht habe -, daß wir für politische Lösungen nur ein sehr enges Zeitfenster haben. Auch wenn das Abkommen eine Zeit von drei Jahren vorsieht und wenn jetzt für ein halbes Jahr Entscheidungen innerhalb der OSZE oder der NATO getroffen werden, für die politische Lösung gibt es vermutlich nur ein sehr enges Zeitfenster. Es gibt hier eine gegenseitige Verantwortung. Man muß das auf mehreren Seiten klarmachen. Deswegen will ich in diesem Zusammenhang sagen, daß Waffenlieferungen gleich welchen Staates - das gilt auch für Rußland - und aus welchen Motiven auch immer in dieses Gebiet hinein angesichts der Chance eines Friedensprozesses ein unverantwortliches Verhalten darstellen. Dabei ist es ganz egal, von wem es kommt. ({2}) Ich will auch deutlich machen, daß beispielsweise innerhalb der OSZE die Weigerung Rußlands, im Rahmen der OSZE-Maßnahmen auch eine unabhängige Berichterstattung durch Journalisten aus dem Kosovo heraus zu ermöglichen, die Situation ebenfalls eher erschwert als erleichtert. ({3}) Denn für eine demokratische Entwicklung braucht man mehreres, darunter auch eine unabhängige und freie Presse. ({4}) Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund des engen Zeitfensters, eines nicht sehr konsistenten Verhaltens einzelner Staaten und der Risiken, die dadurch entstehen, wird es um so wichtiger sein, auch die Entscheidungen sorgfältig vorzubereiten, die sich mit der sogenannten Notfalltruppe ergeben werden. Ich will Sie darüber informieren, daß im Militärausschuß der NATO die entsprechenden Operationspläne abgeschlossen sind. Das geschah gestern abend und ist heute dann folgerichtig im Verteidigungsausschuß wie im Auswärtigen Ausschuß berichtet worden. Ich greife diesen Gesichtspunkt deshalb auf, weil aus den Planungen der NATO und aus den Absichten aller Mitgliedstaaten ganz eindeutig hervorgeht, daß mit dieser Notfalltruppe nichts verbunden ist, was militärische Intervention bedeuten würde. Der Auftrag ist vielmehr absolut klar: den OSZE-Beobachtern im Falle eines Risikos, das sehr verschieden eintreten kann, die Hilfe zu geben, die sie brauchen, und sie notfalls aus den Gebieten, in denen sie bedroht sind, herausholen zu können. Ich weiß, welche Diskussionen hier und da darum herumgeflochten werden. Ich will deswegen in aller Deutlichkeit sagen: Es ist eine Notfalltruppe, die helfen soll, gegebenenfalls auch zu evakuieren. Sie hat aber keinen Auftrag, die OSZE-Mission in dem Sinne durchzusetzen, daß militärisch interveniert würde. ({5}) Ich sage das in aller Deutlichkeit, weil hier im Hause häufiger einmal das Wort der militärischen Intervention eine Rolle gespielt hat. Mit Blick auf aktuelle Berichterstattung und weil Sie schon etwas dazwischenrufen, Herr Kollege Rossmanith, will ich auch sagen: Es gibt jetzt Gerüchte über einen angeblichen Geheimbericht. Das Bundesministerium der Verteidigung pflegt nicht nur in diesem Jahr, sondern seit vielen Jahren die gute Praxis, die Ausschüsse regelmäßig über die Umstände des Einsatzes der Soldaten im Rahmen von SFOR zu informieren. In diesem Zusammenhang ist dem Verteidigungsausschuß bzw. seinem damaligen Vorsitzenden am 15. Oktober ein Bericht zur Verfügung gestellt worden, der referiert, was Diplomaten aus den Kreisen Moskauer Militärattachés beispielsweise in Belgrad hören. Das wird heute öffentlich als ein angeblicher Geheimbericht dargestellt. Das ist er nicht. Diese Darstellung könnte man noch hinnehmen. Aber die Prüfung von Fragen, die sich mit möglichen Luftschlägen der NATO ergeben, die Gott sei Dank nicht erforderlich geworden sind, in einen Zusammenhang mit der Aufstellung einer Notfalltruppe zu bringen, die die OSZE-Beobachter schützen soll, was etwas Grundverschiedenes und etwas ganz anderes ist, ist in jeder Hinsicht unzulässig ({6}) und erweckt übrigens auch in der Öffentlichkeit den Eindruck, als wolle man gewissermaßen herbeischreiben, was von keinem der NATO-Partner gewollt ist, nämlich militärische Intervention gewissermaßen „auf Teufel komm raus“. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man diese Maßnahmen alle im Zusammenhang sieht, dann bleibt am Schluß nur eine einzige Feststellung: Wenn wir es mit der Verifikation und mit dem Schutz der Menschen, die sie in unserem Auftrag übernehmen, ernst meinen, wenn wir es mit dem Friedensprozeß, der eine Chance, aber noch längst keine Gewißheit ist, ernst meinen, wenn wir es mit den über 50 000 Menschen, die die Wälder verlassen konnten, aber noch keine dauerhafte Sicherheit in ihren Wohngebieten haben, ernst meinen, dann ist es dringend erforderlich, daß wir neben den Maßnahmen, die unter Begleitung des Militärs getroffen werden und auch getroffen werden müssen, die politischen Bemühungen unterstützen und verstärken, damit das - so befürchte ich - leider nur sehr schmale Zeitfenster, das uns zur Verfügung steht, genutzt wird und die eingesetzten Menschen nicht länger als unbedingt erforderlich einem Risiko ausgesetzt sind, das sie jetzt eingehen. Vielen Dank. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Abgeordnete Ulrich Irmer, F.D.P.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die F.D.P.-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Dieser Antrag ist die logische Folge des Beschlusses, den der 13. Deutsche Bundestag am 16. Oktober gefaßt hat. Ich möchte auf eines hinweisen: Das Beste an dem Beschluß vom 16. Oktober ist jetzt, in der Rückschau, daß die damals als möglich beschlossene militärische Zwangsmaßnahme bisher nicht ergriffen werden mußte. Richtig ist es aber, daß die Drohkulisse aufrechterhalten bleiben muß, weil wir nicht wissen, wie sich ein unberechenbares Regime wie das von Milosevic in Zukunft verhalten wird. ({0}) Manchmal erlebt man ja Situationen, die einen etwas gespenstisch anmuten. ({1}) Wenn ich höre, wie Herr Außenminister Fischer das vorschlägt und gut begründet, überkommt mich ein wenig die Erinnerung ({2}) an eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurückliegt. Was haben wir uns in diesem Hause alles anhören müssen! Ich will einmal daran erinnern, daß wir seinerzeit, als die Rechtsgrundlage für die Beteiligung der Bundeswehr an friedenserhaltenden Maßnahmen noch ungeklärt war, der SPD vorgeschlagen haben, man möge durch eine Klarstellung im Grundgesetz diese Zweifel beseitigen, und daß die SPD dies abgelehnt hat, nicht weil sie rechtliche Bedenken hatte, sondern weil sie es politisch nicht wollte. Das ist erst wenige Jahre her. ({3}) Ich habe noch im Ohr, wie insbesondere eine Kollegin und ein Kollege aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - ich nenne sie mit Namen -, Frau Kollegin Beer - sie nickt zustimmend; danke, Frau Kollegin und der Kollege Ludger Volmer, uns, als wir die Beteiligung Deutscher an den AWACS-Einsätzen beschlossen haben, vorgehalten haben, wir täten dies nicht aus humanitären Gründen, wir täten dies nicht, um den Frieden zu erhalten, sondern wir täten dies ganz bewußt und bösartig, um die deutsche Außenpolitik zu militarisieren. ({4}) Und heute steht der frühere Fraktionssprecher und jetzige Außenminister, Joseph Fischer, vor uns und empfiehlt uns dringend - in Richtung seiner Fraktion fast beschwörend - die Zustimmung zu dem Vorschlag der Bundesregierung. Ich kann nur sagen: Ich freue mich über diese Entwicklung. Aber ich sage in Abwandlung eines alten Spruches: Welch eine Wendung durch Joschkas Fügung. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas sehr Ernstes sagen. Herr Fischer hat auf den dritten Korb der Vereinbarungen Holbrooke-Milosevic hingewiesen. Wir müssen uns über eines klar sein: Wir haben immer betont, militärische Maßnahmen können nur das letzte Mittel sein, wenn politische Maßnahmen nicht gefruchtet haben. Ich beschwöre alle Beteiligten, eine Friedenslösung für den Kosovo zu suchen. Ich rege an, daß die Staatengemeinschaft ein zweites DaytonAbkommen initiiert und vorbereitet. In diesen Prozeß müssen alle Interessen eingebunden werden. Die Positionen stehen sich heute unversöhnlich gegenüber. Die einen wollen nicht Autonomie, sondern Unabhängigkeit, die anderen sagen: An unserem Staatsverband wird keinen Deut gerüttelt. Hier muß, auch durch äußeren Druck, eine Vereinbarung politischer Natur zustande kommen. Ansonsten werden wir Jahr für Jahr, auch in ferner Zukunft, hier stehen und werden immer wieder solche Beschlüsse zu fassen haben wie heute. Auch das Völkerrecht muß weiterentwickelt werden. Das Völkerrecht ist nicht darauf eingestellt, daß es Konflikte innerhalb von Staaten gibt. Wir müßten im Völkerrecht für Situationen wie im Kosovo Regeln entwikBundesminister Rudolf Scharping keln, wonach eine Bevölkerung ihre legitimen Rechte wahrnehmen kann, ohne sich aus einem Staatsverband zu lösen. Ich wiederhole: Die F.D.P.-Fraktion stimmt der Vorlage der Bundesregierung zu. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt die Abgeordnete Heidi Lippman-Kasten, PDS.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung des bereits abgewählten 13. Bundestages vom 16. Oktober, durch einen völkerrechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO Jugoslawien gegebenenfalls zu bombardieren, stellte einen tiefen Einschnitt in die deutsche Geschichte dar. ({0}) Wer allerdings erwartet hatte, daß Rotgrün neue friedenspolitische Wege beschreiten würde, der wurde arg enttäuscht. Der unter Mißachtung des Völkerrechts zustande gekommene Beschluß wurde, nachdem Abkommen über die Entschärfung des Konflikts erzielt wurden, nicht etwa zurückgenommen, sondern der Angriffsbefehl wurde aufrechterhalten. Durch die Entsendung von Kampftruppen nach Mazedonien, über die wir in den nächsten Tagen beraten werden, wird Mazedonien als bisher unbeteiligtes Land in den Strudel des Konfliktes hineingezogen, ({1}) und zwar ohne daß Mazedonien bis heute einer Stationierung zugestimmt hat. Man hofft lediglich darauf, daß die neue Regierung zustimmen wird. Die aktuelle Debatte und auch die Koalitionsvereinbarung beweisen, daß die neue Regierung nicht den versprochenen Wechsel bringen wird, sondern die altbekannte Machtpolitik der Regierung Kohl nahezu nahtlos von Kanzler Schröder und Außenminister Fischer fortgesetzt wird und die Dominanz des Militärischen in der Außenpolitik unseligerweise fortbesteht. ({2}) Statt sich auf den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes rückzubesinnen, wonach die Bundeswehr nur zu Verteidigungszwecken eingesetzt werden darf, machen Sie sich durch Ihre Zustimmung zu Kampfeinsätzen im vorauseilenden Gehorsam zu Befehlsempfängern der USA und der NATO. An der Verschärfung der Situation im Kosovo trägt die bisherige deutsche Außen- und Innenpolitik ein Teil Mitverantwortung, zum Beispiel auf Grund des Rücknahmeabkommens, das 1996 Herr Kinkel mit Herrn Milosevic unterzeichnet hat, mit dem man die Apartheids- und Vertreibungspolitik gegen die KosovoAlbaner unterstützte. Denkbare Sanktionen unterhalb eines militärischen Einsatzes wurden nicht ausreichend genutzt, und auch im Dayton-Vertrag wurde die Kosovo-Frage ausgeklammert. Die PDS-Fraktion hat die Entsendung einer OSZEBeobachtermission begrüßt. ({3}) Nicht einverstanden sind wir mit der Stationierung von Bundeswehrkräften im Rahmen eines NATO-Einsatzes. Denn dadurch wird der zunächst positiv erscheinende Ansatz der Einbeziehung der OSZE, die Ausweitung und Stärkung ihrer Rolle bei der zivilen Konfliktbearbeitung, konterkariert. Meine Damen und Herren, das bleibt, auch wenn sich die UN-Resolution 1203 als Mandat für die Überwachungs- und sogenannten Notfallmaßnahmen interpretieren lassen sollte, ein falscher Weg. Meine Fraktion wird dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen. Ich warne ausdrücklich davor, daß die heutige Entscheidung zu einem Präzedenzfall dafür wird, künftige humanitäre, zivile Missionen generell durch das Militär zu unterstützen. An die neue Regierung appelliere ich: Verzichten Sie auf eine bellizistisch ausgerichtete Politik, und beenden Sie Ihre Politik militärischer Interventionen! Dann werden Sie auch unsere Unterstützung bekommen. ({4}) Danke. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lippmann-Kasten, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen dazu. ({0}) In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und im Sinne eines flüssigen Ablaufs der namentlichen Abstimmung bitte ich um Ruhe in diesem Haus. Jetzt hat noch einmal Bundesminister Joseph Fischer das Wort.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung wurde von der CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich gebeten - da wir keinen Formalstreit wollen und es aus unserer Sicht darüber nichts zu streiten gibt, komme ich diesem Wunsch im Einverständnis mit den anderen Fraktionen gerne nach -, eine aktuelle Unterrichtung über die IrakKrise zu geben. Wir haben darüber heute morgen im Auswärtigen Ausschuß bereits ausführlich unterrichtet und diskutiert. Ich will in der gebotenen Kürze die wichtigsten Punkte hier vortragen. Wir sehen die Zuspitzung der Lage im Irak als sehr, sehr ernst an. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß es in der kommenden Woche zu einer sehr ernsten Konfrontation kommen könnte. Die Bundesregierung unterstützt vorbehaltlos die Position des Sicherheitsrates. Alle Mitglieder des Sicherheitsrates verurteilen das Vorgehen des Irak und fordern den Irak auf - der Sicherheitsrat vertritt, wenn man die jetzige Situation mit der Situation in der letzten Irak-Krise vor etwa einem halben Jahr vergleicht, eine sehr einmütige Haltung -, die Resolution des Sicherheitsrates und die Vereinbarung zwischen dem UNGeneralsekretär Kofi Annan und der irakischen Regierung vollständig und rückhaltlos zu erfüllen. ({0}) Ich möchte vor der Abstimmung in aller Kürze, es ist wirklich nur im Telegrammstil möglich, - ({1}) - Ich schleudere nicht. Sie wollten die Unterrichtung. Ich wußte ganz genau, daß es nicht um eine Unterrichtung geht. Ich dachte mir, daß wir uns in einer solch zugespitzten Situation, in einer solchen Krise zumindest darin einig sind, daß wir die Position des Sicherheitsrates inhaltlich voll unterstützen. ({2}) Ich weiß gar nicht, wo es da ein Schleudern gibt. Wenn es am Ende zu einem Zusammenprall kommt, ist es, so sage ich Ihnen, allein die Schuld der irakischen Regierung ({3}) und eines, wie ich finde, verbrecherischen Regimes, ({4}) dessen Vorgehensweise von der Völkergemeinschaft und auch von der Volksrepublik China, von Rußland, von Frankreich, von allen ständigen und nichtständigen Mitgliedern abgelehnt wird. ({5}) - Dies ist eine ernsthafte Unterrichtung in einer Situation, in der es unter Umständen in der nächsten Woche eine militärische Konfrontation geben kann, die das, was seit dem Golfkrieg im Bereich des Denkbaren ist, durchaus übersteigen kann. Solch eine Unterrichtung quittieren Sie - seien Sie mir nicht böse - mit nicht gerade sehr kompetenten Zwischenrufen. Deshalb frage ich mich, was der Wunsch nach Unterrichtung in diesem Hause wirklich soll. ({6}) Ich dachte, Sie wollten eine ernsthafte Unterrichtung haben. Ich wollte Ihnen nochmals klarmachen, daß es nun vor allem beim Irak liegt, der Arbeit der UNAbrüstungsbehörde entgegenzukommen, sie aktiv zu unterstützen, um die Aufhebung der schwer auf dem Land lastenden Maßnahmen des Boykotts und der Isolation, die vor allen Dingen die Bevölkerung treffen, zu erreichen. Hier betreibt die irakische Regierung ein zynisches Spiel mit den Schwächsten in der eigenen Bevölkerung. ({7}) Die Aufhebung dieser Maßnahmen ist gebunden an die volle Erfüllung der UN-Sicherheitsratsresolution. Das ist die Haltung der Bundesregierung. Ich möchte hier noch einmal klarmachen, warum. Die Haltung des Irak ist nicht akzeptabel. Wir unterstützen die Haltung des Sicherheitsrates. Die Präsidentschaft des Sicherheitsrates haben gegenwärtig die USA inne. Insofern unterstützen wir selbstverständlich alle Bemühungen, um einen Zusammenprall zu verhindern. Wir haben mit Frau Albright und mit Präsident Clinton gesprochen, der Bundeskanzler hat gestern noch mit Präsident Clinton telefoniert. Ziel der US-Regierung ist es, eine militärische Konfrontation zu verhindern. Das bedeutet, daß der Irak auf die Grundlage der Erfüllung der Sicherheitsratsresolution zurückgehört. ({8}) Sie werden hieraus keine kleinliche parteipolitische Münze schlagen können. Das verspreche ich Ihnen. Ich möchte hier nochmals klarmachen, meine Damen und Herren: Das atomare Potential des Irak ist weitestgehend erfaßt und zerstört. Das sogenannte atomare Dossier kann nach Meinung der UN-Abrüstungskommission geschlossen werden. Beim Lenkwaffen-Dossier gibt es noch Probleme, gibt es noch offene Fragen, auch wenn sie weitestgehend abgearbeitet sind. Bei den Chemiewaffen gibt es noch sehr ernste Fragen, die allerdings nach Meinung von Herrn Butler, dem Leiter der UN-Abrüstungskommission für den Irak, innerhalb von drei bis vier Monaten hätten abgearbeitet werden können. Dann wäre in der Tat die Möglichkeit eröffnet gewesen, zumindest eine teilweise Aufhebung des von den Vereinten Nationen angeordneten Boykotts gegenüber dem Irak zu beraten und dann auch zu beschließen. Bei den biologischen Waffen sind nach wie vor noch sehr viele ernste Fragen offen. Das ist die Situation. Der Irak hat sich aus dieser Zusammenarbeit verabschiedet, obwohl die UN-Abrüstungsbehörde seinen Vorstellungen immer wieder entgegengekommen ist. Daß er sich darBundesminister Joseph Fischer aus verabschiedet hat, ist die eigentliche Ursache der Krise. Ich sage Ihnen nochmals: Wenn es auch manchmal schwierig ist, die Dinge zu Ende zu denken, kann es nicht akzeptiert werden - niemand im UN-Sicherheitsrat, weder ein ständiges noch ein nicht ständiges Mitglied, ist bereit, das zu akzeptieren - daß Massenvernichtungsmittel in den Händen von Saddam Hussein verbleiben. Das kann nicht akzeptiert werden. ({9}) Hier muß die irakische Führung wissen, daß die Völkergemeinschaft - ich betone nochmals: alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrates - nicht bereit ist, dieses zu akzeptieren. Ich entnehme Ihrem Beifall, daß Sie hier die Haltung der Bundesregierung unterstützen. Vielen Dank. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner in der Debatte ist der Abgeordnete Volker Rühe.

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist in einer Situation, in der nicht ausgeschlossen werden kann, daß es bis zum nächsten Zusammentreten des Deutschen Bundestages zu schwerwiegenden militärischen Handlungen kommt, angemessen, daß die CDU/CSUFraktion um diese Unterrichtung gebeten hat und daß wir uns hier im deutschen Parlament abstimmen. Unser Interesse muß sein, daß die deutsche Stimme in dieser zugespitzten Situation klar, deutlich und von einem möglichst breiten Konsens getragen wird. ({0}) Nur dann haben wir auch einen Einfluß auf die Entwicklung. Wir stimmen dem zu, was hier gesagt worden ist: natürlich die Unterstützung für den Weltsicherheitsrat, natürlich weiterhin alle Bemühungen. Aber die Frage ist offengeblieben: Was passiert - und das zeichnet sich ab -, wenn das nicht zu einem Erfolg führt? Saddam Hussein hat einseitig die Kooperation mit der Weltgemeinschaft aufgekündigt. Tony Blair, der englische Premierminister, hat heute gesagt: Dies hat schwerwiegende Konsequenzen für die ganze Welt. Wenn es nötig ist, mit Waffengewalt - und das kann in den nächsten Tagen erfolgen - durch die amerikanischen Freunde, durch die Engländer auf einer klaren rechtlichen Grundlage der Vereinten Nationen zu handeln, dann ist meine herzliche Bitte, damit der deutsche Einfluß zum Tragen kommt, daß wir uns darüber verständigen, daß Deutschland an der Seite derjenigen steht, die dafür sorgen, daß dem Irak nicht durchgehen kann, sich aus der Weltgemeinschaft durch die Aufkündigung dieser Vereinbarung zu entfernen. Das ist eine Haltung, die wir von der Bundesregierung in dieser Situation erwarten. Im Februar hat der damalige Bundeskanzler, Helmut Kohl, - wir waren in München zusammen auf der Sicherheitskonferenz; Herr Kollege Scharping hat sich damals schon sehr eindeutig geäußert - gesagt: Wenn es zur Anwendung von Waffengewalt kommt, dann stehen wir an der Seite unserer amerikanischen Verbündeten. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen - auch logistisch, was die Basen angeht -, um sie zu unterstützen. Herr Außenminister Fischer und Herr Bundeskanzler, das ist das, was wir gerne auch von Ihnen hören möchten. Bis zur letzten Minute muß versucht werden, den Irak wieder in die Weltgemeinschaft und in die Verabredung zurückzuführen. ({1}) Falls das scheitert, muß klar sein: Deutschland steht an der Seite unserer Freunde und Verbündeten, auch wenn es zu einer militärischen Aktion kommt. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte wird fortgesetzt. Deswegen erteile ich jetzt das Wort dem Abgeordneten Gernot Erler, SPD. Ich bitte, daß die Kolleginnen und Kollegen vielleicht doch noch einmal die Plätze einnehmen. ({0})

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sehe einen Unterschied, Herr Kollege Rühe, zwischen Ihrer Position und der, die der Bundesaußenminister dargelegt hat. Der Bundesaußenminister hat deutlich gemacht, daß es auch in einer solchen prekären Situation vernünftiger ist, noch einmal in einem Restoptimismus auf eine Lösung zu setzen, die eben nicht zu einem militärischen Einsatz führt. Sie dagegen machen hier nichts weiter als einen Appell, der darauf abzielt, einer anderen Lösung zuzustimmen. Dazu muß ich sagen: Ich finde das, was Herr Fischer hier vorgetragen hat, sympathischer ({0}) und konstruktiver, und ich finde, daß das in einer besseren deutschen Tradition steht. ({1}) Wir haben in den letzten Stunden und Tagen durchaus noch Signale bekommen, die anzeigten, daß es eine Möglichkeit gibt, in letzter Minute noch ein Einlenken der irakischen Führung zu erreichen. Herr Fischer hat mit aller notwendigen Deutlichkeit hier zum Ausdruck gebracht, daß es keine andere Möglichkeit gibt. Unsere Appelle richten sich an niemand anderen als an die iraBundesminister Joseph Fischer kische Führung, als an Saddam Hussein selbst. Er hat es in der Hand, Unheil von seinem Land und seiner Bevölkerung abzuwenden. Darüber sind wir uns doch hoffentlich einig. Wir sind uns auch darüber einig - das hat Herr Fischer deutlich gesagt -, daß es einfach nicht akzeptabel ist - es ist vor allem deshalb nicht akzeptabel, weil hier die Autorität der Vereinten Nationen, der Weltorganisation, auf dem Spiel steht -, daß sich der Irak einseitig aus seinen Verpflichtungen verabschiedet hat. Aber es gab auch Signale in den letzten Stunden, die darauf hindeuteten, vielleicht durch eine Vermittlung, um die geradezu gebeten wurde, einen Ausweg aus der Falle, die hier entstanden ist, zu finden. Herr Rühe, leider haben Sie dazu gar nichts gesagt. Das heißt, ich hab den Eindruck, daß Sie eher wünschen, daß es hier zu einer solchen Auseinandersetzung kommt. ({2}) Herr Rühe, warum haben Sie denn dem Außenminister nicht zugestimmt, daß bis zum letzten Moment - ich habe darauf gewartet, daß Sie, Herr Rühe, das sagen hier verhandelt wird? Ich habe nur festgestellt, daß eine solche Äußerung nicht gekommen ist. ({3}) Ich möchte noch etwas Grundsätzliches zu der ganzen Politik gegenüber dem Irak anmerken. Wir haben heute morgen hier eine sehr akzeptable und sehr vernünftige Diskussion mit dem Außenminister im Auswärtigen Ausschuß geführt. Wir müssen auch darüber nachdenken, daß die bisherige Politik des Embargos den Irak in eine Situation von individueller Ausweglosigkeit geführt hat. Es ist eine grundsätzliche Überlegung, ob es richtig ist, eine solche Situation aufrechtzuerhalten. Es muß auch in Zukunft wieder die Möglichkeit geben, ein politisches Mittel in der Hand zu haben. Wir haben eine ganz ähnliche Situation bei Milosevic in der Bundesrepublik Jugoslawien. ({4}) Hier haben wir kein politisches Mittel mehr in der Hand. - Ich sehe Herrn Kinkel. Sie haben uns einmal im Auswärtigen Ausschuß über Gespräche mit Milosevic berichtet. Sie haben gesagt: Er hat mir geantwortet: Ihr könnt machen, was ihr wollt, ihr könnt mir nicht mehr weh tun; ihr könnt mich mit nichts mehr bedrohen. Deswegen waren auch die Möglichkeiten reduziert, mit ihm überhaupt ein Agreement, einen Konsens zu finden. Leider verhält es sich ähnlich - das ist eine grundsätzliche Frage - in bezug auf den Irak. ({5}) Deswegen müssen wir gemeinsam darüber nachdenken. Solche Fragen, wie es überhaupt zu solchen Fallen kommen kann, in der Außenpolitik mitzubedenken, ist wichtiger, als einseitige Forderungen zu stellen, die meines Erachtens spekulativ sind. Vielen Dank. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Kinkel, F.D.P.

Dr. Klaus Kinkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002696, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin in der Tat der Meinung, daß wir eine sehr zugespitzte Situation in der Region haben. Anders als im Februar, wo es relativ lange danach aussah, daß die Situation durch politischdiplomatische Gespräche bereinigt werden könnte, ist die Situation diesmal komplizierter, weil eben Saddam Hussein zum wiederholten Male das, was er dem Generalsekretär der Vereinten Nationen fest zugesagt hatte, nicht eingehalten hat. Das ist der entscheidende Unterschied. Trotzdem glaube ich, daß wir uns hier im Haus gemeinsam - deshalb bin ich an das Rednerpult gegangen - über folgende Verfahrensweisen einig sein sollten: Erstens. Es muß alles, aber auch wirklich alles versucht werden, um auf politisch-diplomatischem Wege zu einer Lösung zu kommen. Deshalb fordere ich Kofi Annan nochmals auf - ich habe das heute schon an anderer Stelle getan -, unverzüglich in den Irak zu reisen und genau wie im Februar den Versuch zu machen, doch noch in letzter Minute zu einer politisch-diplomatischen Lösung zu kommen, zumal der Irak erklärt hat, daß er zu solchen Gesprächen mit Kofi Annan bereit ist. Das ist Aufgabe des Generalsekretärs. Der Sicherheitsrat sollte nicht nur darüber reden, sondern ihm den Auftrag erteilen, hinzureisen und diese letzte politisch-diplomatische Anstrengung zu machen, um doch noch zu einer friedlichen Lösung zu kommen. ({0}) Zweitens. Wenn das nicht gelingt, dann allerdings glaube ich, daß es diesmal wirklich zwingend notwendig ist, Saddam Hussein zu zeigen, wohin die Reise zu gehen hat. Denn - ich habe mich mit der Materie auch selbst sehr beschäftigt; was der Kollege Fischer vorhin erklärt hat, ist zutreffend - wir haben nach wie vor absolute Unsicherheit im Bereich der biologischen Waffen. Was das für die Region und für die Welt bedeuten kann, brauche ich hier nicht auszumalen. Das würde bedeuten, daß wir, wenn die Amerikaner bereit sind und die notwendige Rechtsgrundlage gegeben ist - ich glaube, daß sie gegeben ist; ich habe mich gestern noch einmal damit beschäftigt -, auf Grund der Sicherheitsratsresolution 687 - vor allem der alten, aber auch der neuen Resolution vom 5. November Gernot Erler politische und logistische Unterstützung zu leisten haben. Zu mehr werden wir nicht gefordert werden, aber das ist notwendig; die alte Bundesregierung hat es im Februar zugesagt. ({1}) Dazu sollten wir uns in einer so ernsten Situation dann aber gemeinsam bereit finden. Deshalb nochmals mein Appell - ich glaube, es sollte unser aller Appell sein -, alles politisch und diplomatisch Mögliche zu versuchen. Für meine Begriffe hat neben Rußland und Frankreich, die Einfluß haben, im Grunde - wenn überhaupt - nur Kofi Annan die Chance, die Sache nochmals zu wenden. Deshalb der Appell an den Sicherheitsrat: Gebt ihm den Auftrag! Redet nicht immer nur darüber, sondern gebt ihm in der Funktion als Sicherheitsrat den klaren Auftrag, dorthinzureisen! Im Sicherheitsrat wird nämlich immer herumgeredet - heute kann ich das einmal deutlich sagen. Gebt ihm den Auftrag, als Generalsekretär dorthinzureisen und eine diplomatische, politische Lösung zu suchen. Wenn das allerdings keinen Erfolg hat, müssen diejenigen, die handeln, wissen, daß sie unsere politische und logistische Unterstützung haben. Vielen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion sieht die aktuelle Entwicklung im Irak mit allergrößter Sorge. Wir wissen wohl, daß die Situation noch ein Stückchen ernster und gefährlicher ist als zu dem Zeitpunkt, zu dem wir sie im Frühjahr hier diskutieren mußten. Gerade in dieser Minute, in diesen Stunden laufen die letzten diplomatischen Bemühungen, um zu erreichen, daß Kofi Annan überhaupt noch einen Vermittlungsversuch starten kann. Ich finde es richtig, daß wir in dieser Situation vom Bundesaußenminister Fischer über die aktuelle Situation unterrichtet wurden. ({0}) Ich finde es vollkommen fahrlässig, Herr Kollege Rühe, wenn diese Situation parteipolitisch mißbraucht wird, ({1}) um hier jetzt - zu einem Zeitpunkt, zu dem wir die internationale Unterstützung und Verurteilung Saddams benötigen, um klarzumachen, daß dieser Diktator, dieser Vernichter der Zivilisation im Irak, international auf der Anklagebank sitzt - mit einer Bundesregierung, die genau diesen diplomatischen Weg unterstützt, eine militärische Diskussion zu führen, die uns aus dem Dilemma, das doch offensichtlich ist, nicht herausführt. Es ist nun einmal so, Herr Kollege Rühe - als Verteidigungsminister haben Sie sehr viel zurückhaltender geredet, als Sie das eben getan haben -, ({2}) daß Luftangriffe allein keine politische Lösung für diese Situation im Irak sind. Wir wissen doch, daß die Menschen zu leiden haben und daß wir in der fatalen Situation sind, daß Saddam glaubt, sich in dieser Notsituation auch noch selbst stärken zu können, und daß er Luftschläge deshalb fast schon provoziert. Das ist doch das Zynische an dieser Politik des - man kann es eigentlich nicht mehr so nennen - irakischen Regimes. Eigentlich müßte man von einem Amoklauf sprechen, der geradezu eingefordert wird. Die Herausforderung an die internationale Staatengemeinschaft besteht doch darin, nicht einfach zu sagen: „Wir hauen jetzt drauf“, sondern nach einer Lösung in dieser Region zu suchen. ({3}) Das heißt, daß wir jede Sekunde nutzen müssen, die Diplomatie zu unterstützen, zu stärken, um die Arbeit der UNSCOM nicht leichtfertig - wie etwa durch einen Luftangriff - aufs Spiel zu setzen. Wir müssen vielmehr mit allen Mitteln versuchen, die UNSCOM dort wieder arbeiten zu lassen - auch im Sinne der Bevölkerung im Irak - und müssen in sehr engen Kontakten mit den Partnern und den Verbündeten in genau diese Richtung wirken. Wenn das geschieht, Herr Kollege Rühe, dann wird da bin ich zuversichtlich - unsere Regierung rechtzeitig verantwortlich diskutieren und unterrichten; denn das, was dort bei einem Militärschlag passiert, wird schlimmere Folgen als alles andere zusammen haben. Ich will hier betonen: Unsere Sorge gilt auch Israel und der Bevölkerung dort. Fahrlässige Militärschläge könnten auf Grund des unberechenbaren und verantwortungslosen Regimes im Irak eine Eskalationsspirale hervorrufen. Das heißt, daß wir dort mit Fingerspitzengefühl und nicht mit Parteipolitik zu agieren haben. Die können wir jetzt nicht gebrauchen. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner ist der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke, PDS. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Zwischenruf war: „Das fehlt uns gerade noch“. Darauf habe ich geantwortet: „Ja, das fehlt Ihnen auch noch.“ Man hätte diese Debatte nach der sehr ernsthaften und differenzierten Information durch den Bundesaußenminister vermeiden können, wenn es nicht die maßlose und, wie ich fand, schamlose Rede von Volker Rühe gegeben hätte - maßlos und schamlos! ({0}) Der Bundesaußenminister hat hier das Gefühl signalisiert, daß in der Tat auch die Bundesregierung versuchen wird, ihren Einfluß geltend zu machen, so daß nicht auf die Ultima ratio, den Militärschlag, gesetzt wird, sondern daß alle Möglichkeiten zur Verhandlung, die Saddam Hussein dazu zwingen, die Resolution des UNSicherheitsrates einzuhalten und die übrigens auch das Leiden der Zivilbevölkerung im Irak mildern können, genutzt werden, um diesen Militärschlag zu verhindern. Für diesen Militärschlag gibt es ein Wort, das man hier im Bundestag auch ansprechen sollte: Krieg. Es handelt sich um Krieg, bei dem Menschen in großer Zahl umkommen werden. Wenn man dies zu einer scharfmacherischen Rede nutzt, in der nicht gesagt wird: „Nutzt alle Verhandlungen!“, sondern die Losung ausgegeben wird: „Jetzt Augen zu und durch!“, dann versündigt man sich an der Sicherheitspolitik und macht das eigene Anliegen unglaubwürdig. ({1}) Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, daß vor dem Hintergrund der komplizierten Situation, die wir in der europäischen Region, im Kosovo und anderswo, haben, ein solcher Militärschlag nicht ohne Auswirkungen bleiben wird. Der Bundesaußenminister hat deutlich gemacht, daß sich der UN-Sicherheitsrat, was die Verurteilung der Politik von Saddam Hussein angeht, einig ist. Er muß aber gleichzeitig sagen, daß in der Frage eines Militärschlages die Meinungen im UN-Sicherheitsrat sehr unterschiedlich sein werden. Auch das mahnt zur Besonnenheit, zu Verhandlungen und zur Vernunft. Dieses Zeichen sollte von diesem Hause ausgehen und nicht solche Reden wie die, wie wir sie uns hier anhören mußten. Danke sehr. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe damit die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be- kannt, daß es zwei schriftliche Erklärungen zur Ab- stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung gibt. Es han- delt sich zum einen um eine schriftliche Erklärung der Kollegin Annelie Buntenbach und anderer1) und zum anderen um eine schriftliche Erklärung des Kollegen Winfried Nachtwei und anderer.2) Wir kommen damit zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an der NATO Luftüberwachungsoperation über dem Kosovo, Drucksachen 14/16 und 14/32. Der Ausschuß empfiehlt, dem Antrag zuzustimmen. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Bevor ich die Abstimmung eröffne, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für folgenden Hinweis: Es sind sechs Urnen aufgestellt; jeder Urne ist eine bestimmte Buchstabengruppe zugeordnet. Sie dürfen Ihre Stimmkarte ausschließlich in diejenige Urne werfen, deren Buchstabengruppe den Anfangsbuchstaben Ihres Nachnamens umfaßt. Achten Sie bitte darauf, daß die von Ihnen benutzte Abstimmungskarte Ihren Namen trägt. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab- stimmung über die Beschlußempfehlung des Auswär- tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an der NATO-Luftüber- wachungsoperation über dem Kosovo auf den Druck- sachen 14/16 und 14/32 bekannt. Abgegebene Stim- men 582. Mit Ja haben gestimmt 540, mit Nein haben gestimmt 30, Enthaltungen 12. ------ 1) Anlage 2 2) Anlage 3 Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 582; davon: ja: 540 nein: 30 enthalten: 12 Ja SPD Adler, Brigitte Andres, Gerd Arnold, Rainer Bachmaier, Hermann Bahr, Ernst Barnett, Doris Bartels, Dr. Hans-Peter Barthel ({0}), Eckhardt Barthel ({1}), Klaus Becker-Inglau, Ingrid Behrendt, Wolfgang Berg, Dr. Axel Bertl, Hans-Werner Beucher, Friedhelm Julius Bierwirth, Petra Bindig, Rudolf Binding ({2}), Lothar Bodewig, Kurt Brandner, Klaus Brandt-Elsweier, Anni Brase, Willi Brecht, Dr. Eberhard Brinkmann ({3}), Bernhard Brinkmann ({4}), Rainer Bruckmann, Hans-Günter Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula Bürsch, Dr. Michael Bury, Hans Martin Büttner ({5}), Hans Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Däubler-Gmelin, Dr. Herta Danckert, Dr. Peter Deichmann, Christel Diller, Karl Dreßen, Peter Dreßler, Rudolf Dzembritzki, Detlef Dzewas, Dieter Eckardt, Dr. Peter Edathy, Sebastian Eich, Ludwig Elser, Marga Enders, Peter Erler, Gernot Ernstberger, Petra Faße, Annette Fischer ({6}), Lothar Fograscher, Gabriele Follak, Iris Formanski, Norbert Fornahl, Rainer Forster, Hans Freitag, Dagmar Friedrich ({7}), Lilo Friedrich ({8}), Peter Friese, Harald Fuchs ({9}), Anke Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gleicke, Iris Gloser, Günter Göllner, Uwe Gradistanac, Renate Graf ({10}), Günter Graf ({11}), Angelika Grasedieck, Dieter Großmann, Achim Grotthaus, Wolfgang Haack ({12}), Karl-Hermann Hacker, Hans-Joachim Hagemann, Klaus Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Hartenbach, Alfred Hasenfratz, Klaus Heil, Hubertus Hemker, Reinhold Hempel, Frank Hempelmann, Rolf Hendricks, Dr. Barbara Herzog, Gustav Heubaum, Monika Hiller ({13}), Reinhold Hilsberg, Stephan Höfer, Gerd Hoffmann ({14}), Iris Hoffmann ({15}), Jelena Hoffmann ({16}), Walter Hofmann ({17}), Frank Holzhüter, Ingrid Humme, Christel Ibrügger, Lothar Imhof, Barbara Irber, Brunhilde Iwersen, Gabriele Jäger, Renate Janssen, Jann-Peter Janz, Ilse Jens, Dr. Uwe Jung ({18}), Volker Kahrs, Johannes Kasparick, Ulrich Kaspereit, Sabine Kastner, Susanne Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, Siegrun Klose, Hans-Ulrich Körper, Fritz Rudolf Kolbow, Walter Kramme, Anette Kressl, Nicolette Kröning, Volker Krüger-Leißner, Angelika Kubatschka, Horst Küchler, Ernst Kühn-Mengel, Helga Küster, Dr. Uwe Kumpf, Ute Kunick, Konrad Labsch, Werner Lafontaine, Oskar Lambrecht, Christine Lange, Brigitte Lange ({19}), Christian Larcher von, Detlev Lehder, Christine Lehn, Waltraud Leidinger, Robert Lennartz, Klaus Leonhard, Dr. Elke Lewering, Eckhart Lörcher, Christa Lohmann ({20}), Götz-Peter Lotz, Erika Lucyga, Dr. Christine Maaß ({21}), Dieter Mante, Winfried Manzewski, Dirk Marhold, Tobias Mark, Lothar Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Mehl, Ulrike Merten, Ulrike Mertens, Angelika Moosbauer, Christoph Mosdorf, Siegmar Müller ({22}), Jutta Müller ({23}), Michael Müntefering, Franz Neumann ({24}), Volker Neumann ({25}), Gerhard Niehuis, Dr. Edith Niese, Dr. Rolf Nietan, Dietmar Ohl, Eckhard Onur, Leyla Opel, Manfred Ortel, Holger Ostertag, Adolf Palis, Kurt Papenroth, Albrecht Penner, Dr. Willfried Pfannenstein, Georg Pflug, Johannes Pick, Dr. Eckhart Poß, Joachim Rehbock-Zureich, Karin Renesse von, Margot Rennebach, Renate Reuter, Bernd Robbe, Reinhold Rossmann, Dr. Ernst Dieter Roth ({26}), Birgit Roth ({27}), Michael Rübenkönig, Gerhard Rupprecht, Marlene Sauer, Thomas Schäfer, Dr. Hansjörg Schaich-Walch, Gudrun Scharping, Rudolf Scheelen, Bernd Scheer, Dr. Hermann Scheffler, Siegfried Schild, Horst Schily, Otto Schloten, Dieter Schmidbauer ({28}), Horst Schmidt ({29}), Dagmar Schmidt ({30}), Silvia Schmidt ({31}), Ulla Schmidt ({32}), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina Schmitt ({33}), Heinz Schneider, Carsten Schnell, Dr. Emil Schöler, Walter Scholz, Olaf Schönfeld, Karsten Schösser, Fritz Schreiner, Ottmar Schröder, Gerhard Schröter, Gisela Schubert, Dr. Mathias Schütz ({34}), Dietmar Schuhmann ({35}), Richard Schulte ({36}), Brigitte Schultz ({37}), Reinhard Schultz ({38}), Volkmar Schumann, Ilse Schurer, Ewald Schuster, Dr. R. Werner Schwall-Düren, Dr. Angelica Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf Seidenthal, Bodo Simm, Erika Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Sonntag-Wolgast, Dr. Cornelie Sorge, Wieland Spanier, Wolfgang Spielmann, Dr. Margrit Spiller, Jörg-Otto Staffelt, Dr. Ditmar Steen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig Stöckel, Rolf Streb-Hesse, Rita Struck, Dr. Peter Stünker, Joachim Tappe, Joachim Tauss, Jörg Teuchner, Jella Thalheim, Dr. Gerald Thierse, Wolfgang Thönnes, Franz Titze-Stecher, Uta Tröscher, Adelheid Urbaniak, Hans-Eberhard Veit, Rüdiger Violka, Simone Vogt ({39}), Ute Vizepräsidentin Petra Bläss Wagner, Hans Georg Wegener, Hedi Wegner, Dr. Konstanze Weiermann, Wolfgang Weis ({40}), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen ({41}), Gert Weizsäcker von, Dr. Ernst Ulrich Welt, Hans-Joachim Wend, Dr. Rainer Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge Wetzel, Dr. Margrit Wieczorek, Dr. Norbert Wieczorek ({42}), Helmut Wieczorek ({43}), Jürgen Wiefelspütz, Dieter Wiese ({44}), Heino Wiesehügel, Klaus Wimmer ({45}), Brigitte Wistuba, Engelbert Wittig, Barbara Wodarg, Dr. Wolfgang Wohlleben, Verena Wolf ({46}), Hanna Wolff ({47}), Waltraud Wright, Heidemarie Zapf, Uta Zöpel, Dr. Christoph Zumkley, Peter CDU/CSU Adam, Ulrich Aigner, Ilse Barthle, Norbert Bauer, Dr. Wolf Baumann, Günter Baumeister, Brigitte Belle, Meinrad Bernhardt, Otto Blank, Renate Blens, Dr. Heribert Bleser, Peter Blüm, Dr. Norbert Böhmer, Dr. Maria Bonitz, Sylvia Borchert, Jochen Börnsen ({48}), Wolfgang Bosbach, Wolfgang Brähmig, Klaus Brauksiepe, Dr. Ralf Breuer, Paul Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler ({49}), Klaus Büttner ({50}), Hartmut Buwitt, Dankward Caesar, Cajus Deittert, Hubert Deß, Albert Diemers, Renate Dörflinger, Thomas Dött, Marie-Luise Doss, Hansjürgen Eppelmann, Rainer Eymer, Anke Falk, Ilse Faust, Dr. Hans Georg Fink, Ulf Fischbach, Ingrid Fischer ({51}), Axel E. Frankenhauser, Herbert Friedrich ({52}), Dr. Gerhard Friedrich ({53}), Dr. Hans-Peter Fritz, Erich G. Fromme, Jochen-Konrad Gehb, Dr. Jürgen Geis, Norbert Geißler, Dr. Heiner Girisch, Georg Glos, Michael Göhner, Dr. Reinhard Grill, Kurt-Dieter Gröhe, Hermann Grund, Manfred Hasselfeldt, Gerda Hauser ({54}), Hansgeorg Hauser ({55}), Norbert Heinen, Ursula Heise, Manfred Helias, Siegfried Henke, Hans Jochen Hinsken, Ernst Hintze, Peter Hörster, Joachim Hofbauer, Klaus Hohmann, Martin Holetschek, Klaus Hollerith, Josef Hornhues, Dr. Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert Jaffke, Susanne Janovsky, Georg Jork, Dr.-Ing. Rainer Kansy, Dr. Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker Klaeden von, Eckart Klinkert, Ulrich Königshofen, Norbert Kohl, Dr. Helmut Kolbe, Manfred Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf Krogmann, Dr. Martina Krüger, Dr. Paul Kues, Dr. Hermann Lamers, Karl Lamers ({56}), Dr. Karl A. Lammert, Dr. Norbert Laumann, Karl-Josef Lengsfeld, Vera Lensing, Werner Letzgus, Peter Lietz, Ursula Link ({57}), Walter Lischewski, Dr. Manfred Lohmann ({58}), Wolfgang Luther, Dr. Michael Maaß ({59}), Erich Marschewski, Erwin Mayer ({60}), Dr. Martin Meckelburg, Wolfgang Meister, Dr. Michael Merz, Friedrich Michels, Meinolf Müller ({61}), Bernward Müller ({62}), Elmar Müller, Dr. Gerd Nooke, Günter Obermeier, Franz Ost, Friedhelm Oswald, Eduard Otto ({63}), Norbert Paziorek, Dr. Peter Pfeifer, Anton Pflüger, Dr. Friedbert Philipp, Beatrix Pofalla, Ronald Pretzlaff, Marlies Protzner, Dr. Bernd Pützhofen, Dieter Rachel, Thomas Raidel, Hans Ramsauer, Dr. Peter Reichard ({64}), Christa Reiche, Katherina Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Riegert, Klaus Romer, Franz Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Rossmanith, Kurt Röttgen, Norbert Ruck, Dr. Christian Rühe, Volker Rüttgers, Dr. Jürgen Schäfer, Anita Schäuble, Dr. Wolfgang Schauerte, Hartmut Schemken, Heinz Scherhag, Karl-Heinz Scheu, Gerhard Schlee, Dietmar Schmidbauer, Bernd Schmidt ({65}), Andreas Schmidt ({66}), Christian Schmidt ({67}), Dr.-Ing. Joachim Schnieber-Jastram, Birgit Schockenhoff, Dr. Andreas Scholz, Dr. Rupert Schorlemer Freiherr von, Reinhard Schuchardt, Dr. Erika Schwarz-Schilling, Dr. Christian Seehofer, Horst Seiffert, Heinz Seiters, Rudolf Siemann, Werner Späte, Margarete Stetten Freiherr von, Dr. Wolfgang Störr-Ritter, Dorothea Storm, Andreas Straubinger, Max Strobl, Thomas Süssmuth, Dr. Rita Tiemann, Dr. Susanne Töpfer, Edeltraut Uhl, Dr. Hans-Peter Vaatz, Arnold Volquartz, Angelika Voßhoff, Andrea Waigel, Dr. Theodor Weiß ({68}), Gerald Weiß ({69}), Peter Widmann-Mauz, Annette Wiese ({70}), Heinz Wilhelm ({71}), Hans-Otto Willner, Gert Willsch, Klaus-Peter Wittlich, Werner Wöhrl, Dagmar Wolf, Aribert Wülfing, Elke Würzbach, Peter Kurt Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Wolfgang BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Altmann ({72}), Gila Beck ({73}), Marieluise Beck ({74}), Volker Beer, Angelika Berninger, Matthias Deligöz, Ekin Dückert, Dr. Thea Eichstädt-Bohlig, Franziska Eid, Dr. Uschi Fell, Hans-Josef Fischer ({75}), Andrea Fischer ({76}), Joseph Göring-Eckardt, Katrin Grießhaber, Rita Hermann, Winfried Hermenau, Antje Heyne, Kristin Höfken, Uli Hustedt, Michaele Köster-Loßack, Dr. Angelika Lippelt, Dr. Helmut Loske, Dr. Reinhard Müller ({77}), Kerstin Müller ({78}), Klaus Wolfgang Nachtwei, Winfried Özdemir, Cem Probst, Simone Roth ({79}), Claudia Scheel, Christine Schlauch, Rezzo Schmidt ({80}), Albert Vizepräsidentin Petra Bläss Sterzing, Christian Vollmer, Dr. Antje Voß, Sylvia Ingeborg Wilhelm ({81}), Helmut Wolf ({82}), Margareta F.D.P. Braun ({83}), Hildebrecht Brüderle, Rainer Burgbacher, Ernst Essen van, Jörg Flach, Ulrike Frick, Gisela Friedhoff, Paul K. Friedrich ({84}), Horst Funke, Rainer Gerhardt, Dr. Wolfgang Goldmann, Hans-Michael Guttmacher, Dr. Karlheinz Haupt, Klaus Heinrich, Ulrich Hirche, Walter Homburger, Birgit Hoyer, Dr. Werner Irmer, Ulrich Kinkel, Dr. Klaus Kolb, Dr. Heinrich Leonhard Kopp, Gudrun Lenke, Ina Niebel, Dirk Nolting, Günter Friedrich Otto ({85}), Hans-Joachim Parr, Detlef Pieper, Cornelia Rexrodt, Dr. Günter Schmidt-Jortzig, Dr. Edzard Schüßler, Gerhard Schwaetzer, Dr. Irmgard Sehn, Marita Solms, Dr. Hermann Otto Stadler, Dr. Max Thiele, Carl-Ludwig Thomae, Dr. Dieter Türk, Jürgen Westerwelle, Dr. Guido Nein SPD Hiksch, Uwe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Knoche, Monika PDS Balt, Monika Bläss, Petra Fink, Dr. Heinrich Fuchs, Dr. Ruth Gebhardt, Fred Gehrcke-Reymann, Wolfgang Grehn, Dr. Klaus Gysi, Dr. Gregor Hübner, Carsten Jelpke, Ulla Jünger, Sabine Jüttemann, Gerhard Kenzler, Dr. Evelyn Knake-Werner, Dr. Heidi Kutzmutz, Rolf Lippmann-Kasten, Heidi Lötzer, Ursula Lüth, Heidemarie Marquardt, Angela Müller ({86}), Manfred Naumann, Kersten Neuhäuser, Rosel Ostrowski, Christine Rössel, Dr. Uwe-Jens Schenk, Christina Schur, Gustav-Adolf Seifert, Dr. Ilja Wolf, Dr. Winfried Enthaltungen SPD Gilges, Konrad Hauer, Nina Kortmann, Karin Nahles, Andrea Oesinghaus, Günter Röspel, René CDU/CSU Carstens ({87}), Manfred Wimmer ({88}), Willy BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Buntenbach, Annelie Schewe-Gerigk, Irmingard Simmert, Christian Ströbele, Hans-Christian Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({89}) Verheugen, Günter, SPD Zierer, Benno, CDU/CSU Damit ist die Beschlußempfehlung und zugleich der Antrag der Bundesregierung angenommen. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. November 1998, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.