Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/29/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der humanitären Hilfe für Osttimor. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen Dr. Christoph Zöpel.

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Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat sich heute wie in den vergangenen Sitzungen mit der Situation in Osttimor beschäftigt. Ich gehe davon aus, daß Ihnen die Ereignisse dort und die Politik der Vereinten Nationen, die von der Bundesregierung eingefordert wurde und unterstützt wird, bekannt sind. Von Bedeutung ist die Frage, welchen Beitrag die Bundesrepublik Deutschland leisten kann, um die humanitäre Katastrophe, die durch die Gewalttätigkeiten von Milizen und Nationalisten entstanden ist, zu bewältigen. Die Bundesregierung beteiligt sich in finanzieller Hinsicht an der Verbesserung der humanitären Situation. Das Auswärtige Amt hat bislang 1 Million DM zur Verfügung gestellt, davon gingen 500 000 DM an das Internationale Rote Kreuz und 265 000 DM an die „Ärzte für die Dritte Welt“. Um die Situation im Blick zu haben und um die Vergabe dieser Mittel beobachten zu können, ist ein Sonderkoordinator des Auswärtigen Amts nach Indonesien entsandt worden, der dort am 22. September oder am Tag danach eingetroffen ist. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat die Hilfe für Indonesien bzw. Osttimor auf 4,5 Millionen DM aufgestockt. Das Geld soll überwiegend für die Wiederherstellung der Wasserversorgung und für die medizinische Grundversorgung eingesetzt werden. Darüber hinaus hat das Kabinett heute darüber diskutiert, ob auch im Bereich der Sicherheit mit militärischer Komponente im weiteren Sinne ein Beitrag geleistet werden kann. Das wesentliche, was ich Ihnen dazu sagen möchte, ist: Das Kabinett wird seine Beratung darüber erst fortsetzen, wenn es - wie von einigen gewünscht - mit allen Fraktionen dieses Hauses in Konsultationen eingetreten ist. Falls die Konsultationen zu einem entsprechenden Ergebnis führen, wird das Kabinett in der nächsten Woche gegebenenfalls einen Beschluß fassen. Die sich stellende Beschlußlage ist dabei von mehreren unterschiedlichen Zielen und Notwendigkeiten bestimmt: Seitens der Vereinten Nationen ist die Bundesregierung gefragt worden, inwieweit sie sich beteiligen könnte. Fast alle größeren europäischen Länder beteiligen sich. Die Bundesregierung vertritt prinzipiell die Auffassung, daß die Menschenrechte auf der ganzen Welt, in allen Regionen, also nicht nur - was manchmal unterstellt wird - in Europa, sondern auch in Asien, zu gelten haben und zu verteidigen sind. Es sind aber auch Überlegungen anzustellen, inwieweit das starke regionale Engagement betont wird, indem Europa sich zurückhält. Schließlich ist die Haushaltslage der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen. Im Rahmen der bisher angestellten Überlegungen, welche Maßnahmen in der Region möglich sind, haben Beauftragte des Verteidigungsministeriums vorgeschlagen, im Bereich der medizinischen Evakuierung tätig zu werden, also Kranke auszufliegen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen möchte die Bundesregierung ab heute mit Ihnen Gespräche führen. Bei erfolgreichem Verlauf dieser Gespräche könnte am Ende der Antrag auf ein konstitutives Votum angenommen werden. Wir sind darauf bedacht, hierzu die Meinungen aller Fraktionen einzuholen. Herzlichen Dank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Wir kommen nun zu Fragen zu dem Themenbereich, über den berichtet worden ist. Der erste Fragesteller ist der Kollege von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie schätzt die Bundesregierung die aktuelle Lage in Osttimor ein, insbesondere vor dem Hintergrund der Arbeit der Interfet? Sie haben heute sicherlich die Kritik von Bischof Belo in der „FAZ“ gelesen. Wie steht die Bundesregierung zu diesen Äußerungen?

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Die Bundesregierung hat sich in ihrer Sitzung mit der Kritik von Bischof Belo nicht befaßt. Soweit ich informiert bin, steht ein Gespräch von Bundesaußenminister Fischer mit Herrn Belo an. Möglicherweise wird man danach Näheres wissen. Ich möchte an dieser Stelle aber generell darauf hinweisen, daß nach den wenigen Tagen, die Interfet in der Region tätig ist, ein Urteil der Bundesregierung über die Effizienz der dort geleisteten Arbeit - vor allem auch vor dem Hintergrund, daß die Bundesrepublik Deutschland bisher an dieser internationalen Schutztruppe nicht beteiligt ist und daß es auch noch offen ist, ob eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland überhaupt sinnvoll ist - nicht sonderlich nützlich ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage, Herr von Klaeden. Bitte schön.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In diesem Zusammenhang möchte ich fragen, wie die Bundesregierung die Versorgungslage der Flüchtlinge in Westtimor einschätzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatsminister, bitte sehr.

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Nach unserer Kenntnis sind in Westtimor über 215 000 Flüchtlinge registriert. Diese Flüchtlinge sind dort - soweit uns bekannt - bisher unbehelligt geblieben. Aber es besteht weiterhin die Möglichkeit, daß Milizen ihre Aktivitäten nach Westtimor verlegen, um auch dort Flüchtlinge zu terrorisieren. Es ist daher ratsam, daß die Flüchtlingslager regelmäßig von internationalen Beobachtern besucht werden. Die hygienischen Verhältnisse und die medizinische Versorgung sind - Sie haben es in Ihrer Frage bereits angedeutet - nach unseren Erkenntnissen unzulänglich. Dieses Problem kann sich noch verschärfen, wenn - wie üblich - die Regenzeit in vier bis sechs Wochen beginnt. Aber auch die humanitäre Hilfe für Westtimor ist inzwischen angelaufen. Zusammen mit der Staatengemeinschaft ist die Bundesregierung der Hoffnung, daß die humanitäre Katastrophe, die bestimmt nicht auszuschließen ist, wenn nichts getan wird, abgewendet werden kann. Entsandte der Botschaft in Indonesien und auch der von mir entsandte Sonderkoordinator sorgen als Beobachter dafür, daß wir trotz sonstiger relativer personeller Abstinenz zumindest voll informiert sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, Herr von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie schätzen Sie die Ergebnisse der Sondersitzung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und insbesondere die Haltung der anderen asiatischen Staaten gegenüber der Situation in Osttimor ein?

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Wie Sie wissen, hat sich die Bundesregierung für die Sondersitzung der Menschenrechtskommission eingesetzt. Die etwas reservierte Haltung der asiatischen Staaten ist uns bekannt. Es spricht aber einiges dafür, daß die europäischen Staaten die asiatischen Länder nicht zu früh moralisch verurteilen sollten. Es macht Sinn, mit allen asiatischen Regierungen, die in diesem Konflikt involviert sind, Gespräche zu führen und in diesen auf unsere Vorstellungen von Menschenrechten und Humanität hinzuweisen. Aber auch vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse in Osttimor lassen sich die in der Vergangenheit entstandenen Urteile der Asiaten über europäische Doppelstandards nicht innerhalb weniger Tage ausräumen. Dies müssen wir realistisch sehen, wenn wir nicht überheblich erscheinen wollen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich würde gern anderen Kollegen Gelegenheit geben, eine Frage zu stellen. Als nächster hat sich der Kollege Norbert Blüm von der CDU/CSU-Fraktion gemeldet. Bitte schön, Herr Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich teile die Ansicht der Dringlichkeit humanitärer Hilfen. Doch noch dringlicher als die humanitären Hilfen ist, daß die Schlächtereien aufhören. Um es zynisch zu sagen: Je länger die Schlächtereien dauern, um so geringer ist der Bedarf an humanitärer Hilfe. Erste Aufgabe sollte also sein, die Schlächtereien zu beenden. Wenn ich es richtig sehe: Die Milizen sind die Handlanger der Militärs. Die Milizen sind nur vorgeschickt. Mit eiskalter Kalkulation sollen sie ein abschreckendes Beispiel für den Widerstand der Militärs gegen Autonomiebestrebungen innerhalb Indonesiens statuieren. Was tun wir beispielsweise vor dem Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte? Ich meine, wir müssen das ganze Drohpotential - bis hin zur Sperrung der Konten aufbieten. Die Militärs verstehen nur eine Sprache. Aus meiner Sicht handelt es sich um keine Frage der Diplomatie. Es geht nicht allein um Habibie. Seine Nachfolgerin steht den Militärs möglicherweise näher. Es geht um die Fragen: Wie legen wir den Schlächtern, also den Militärs, das Handwerk? Welche Instrumente können wir vorweisen? Ich sage das nicht, weil ich gegen humanitäre Hilfe bin, sondern weil ich glaube, daß es fast zynisch ist, große Programme zu diskutieren, während täglich Tausende abgeschlachtet werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatsminister, Ihre Antwort, bitte schön.

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Herr Kollege Blüm, die Staatengemeinschaft reagiert aus meiner Sicht, verglichen mit der Reaktion Europas beim Krieg auf dem Balkan - sie hat sich trotz der Nähe relativ viel Zeit gelassen -, verhältnismäßig zügig. Gemessen an dem Datum des UNO-Beschlusses ist die Stationierung im Rahmen der UNO-Mission vor allem von Soldaten aus der Region relativ zügig vorangekommen. Nach unserem Kenntnisstand ist in Osttimor die Ihnen aus den vorhergehenden Tagen bekannte Schlächterei beendet. Die Einschaltung von UNO-Gerichtshöfen analog zum Balkan läuft. Die Bundesregierung hat in bezug auf Indonesien dieselbe Position, wie sie sie bei vergleichbaren Menschenrechtsverletzungen auf dem Balkan eingenommen hat. Die Konzentration auf die humanitären Maßnahmen, die ich Ihnen vortragen konnte, liegt im Rahmen der Arbeitsteilung innerhalb der Staatengemeinschaft begründet. Diese Arbeitsteilung wurde sehr bewußt so gewählt, daß überwiegend Australien, Portugal, die frühere Kolonialmacht dieser Region, und asiatische Nachbarstaaten die Militärkontingente stellen sollen. Hinsichtlich der Einstellung zur indonesischen Regierung stehen wir vor einer Situation, die, wie in vergleichbaren Fällen, nicht einfach ist. Der indonesische Außenminister hat in seiner Rede vor den Vereinten Nationen völlig zufriedenstellende Erklärungen hinsichtlich der Einstellung seiner Regierung abgegeben. Uns ist bekannt, daß viele Beobachter die reale Situation etwas anders sehen. Aber wann der Punkt gekommen ist, eine Regierung, die sich in ihren formellen Erklärungen einigermaßen so verhält, wie es unter Menschenrechtsgesichtspunkten zu erwarten wäre, zu verurteilen, ist eine schwierige Sache. Im Augenblick sind die Handlungsmöglichkeiten auf die Diskussion und auf die Einleitung von möglichen Menschenrechtsprozessen vor UNOGerichten beschränkt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der nächste Fragesteller ist der Kollege Wolfgang Gehrcke von der PDS-Fraktion.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatsminister, gestatten Sie mir, Ihnen für Ihren ersten Beitrag, den Sie nicht als Abgeordneter, sondern wegen Ihrer Berufung zum Staatsminister von der Regierungsbank aus leisten, Glückwünsche auszusprechen. Stimmen Sie mir zu, daß der Bundesaußenminister mit seinem Vorpreschen im Plenum dieses Hauses hinsichtlich der Entsendung von Sanitätssoldaten sich selbst, die Bundesregierung und das ganze Haus in eine mißliche Situation gebracht hat, nachdem er vorformuliert hat, daß deutsche Soldaten nicht in Frage kommen? Denn jetzt besteht ein Begründungszwang, wenn man sich anders entscheidet. Würden Sie mir zustimmen, daß die jetzt im Raum stehende Summe von 10 Millionen DM für den Einsatz von Sanitätssoldaten inklusive der Kräfte, die diesen Einsatz in Osttimor sichern müssen, in keinem Verhältnis zu den notwendigen humanitären Aktionen steht?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatsminister, bitte schön.

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Herr Kollege Gehrcke, ich beginne mit der Beantwortung des zweiten Teiles Ihrer Frage. Es macht keinen Sinn, eine bestimmte Zahl, nämlich diese 10 Millionen DM für eine noch nicht entschiedene Beteiligung im medizinisch-militärischen Bereich, unter dem Gesichtspunkt des Zuviel oder des Zuwenig zu beurteilen. Diese Zahl mag im Raum stehen, sie hat aber keinen Bezug zu möglichen realen Beschlüssen. Die Kosten hängen vor allem von der Dauer eines Einsatzes, wenn er denn beschlossen würde, ab. Je länger er nämlich dauert, um so teurer wird er. Ihre damit verbundene Frage, ob der Aufwand für einen Einsatz, den ich durchaus als humanitär bewerten würde, nämlich Kranke auszufliegen, im Vergleich zu im engeren Sinne klassischen humanitären Maßnahmen zu groß ist, hat auch die Bundesregierung sehr intensiv diskutiert. Es gibt bei einem Einsatz im Rahmen der Vereinten Nationen angesichts der fiskalischen Situation zweifellos Zielkonflikte für die deutsche Politik. Ihren Bedenken muß man aber entgegenhalten, daß der Wunsch nach einer Beteiligung Deutschlands von den Vereinten Nationen selber ausgesprochen wurde. Eine sozusagen undiskutierte Ablehnung des Wunsches des UNO-Generalsekretärs, sich hier zu beteiligen und sich so wie die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu verhalten, wäre problematisch und wäre vermutlich auch von diesem Hause kritisiert worden. Hinsichtlich der vor allem durch Herrn Bundesaußenminister Fischer vorgenommenen Positionsbestimmung der Bundesregierung halte ich es für notwendig, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung der Auffassung ist und daran auch unstreitig festhält, daß Menschenrechte in allen Teilen der Welt prinzipiell gleichermaßen zu achten und zu verteidigen sind und der Schutz unter Hinzuziehung militärischer Komponenten nirgendwo grundsätzlich ausgeschlossen werden kann. Ein zunächst einmal positives Eingehen auf eine entsprechende Anforderung des UNO-Generalsekretärs war aus unserer Sicht unumgänglich. Daß angesichts des auch von uns gesehenen Konflikts auf Grund unterschiedlicher Ziele und Bewertungen eine Beratung mit den Fraktionen dieses Hauses notwendig ist, sehen alle Mitglieder der Bundesregierung als eine demokratische Selbstverständlichkeit an. Dieses international zu vermitteln wirkt sich demokratiefördernd aus. Aus unserer Sicht wäre es auch vertretbar, wenn die Beratungen zu einer Modifizierung der Meinungen des Bundesaußenministers führten. Sie verlieren deshalb nicht an Wert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage, Herr Gehrcke? - Bitte schön.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Mir erscheint die Summe eher zu niedrig als zu hoch. Wir beziehen uns dabei anscheinend auf andere Bezugsgrößen. Ich möchte als weitere Frage anschließen, wie die Bundesregierung die im Beschluß des Bundestages zu Osttimor enthaltenen Komponenten, den Druck gerade auf die Militärs in Osttimor nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern zu vergrößern, umgesetzt hat. Im Beschluß sind ja konkrete Maßnahmen angesprochen worden wie das Unterbrechen der Militärhilfe und eine Verringerung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Ich glaube, daß in der jetzigen Situation der Druck nicht nachlassen darf, sondern vergrößert werden muß. Ich wäre dankbar, wenn die Bundesregierung auch aktuelle Ereignisse zum Anlaß nimmt, ihre diesbezügliche Position unmißverständlich deutlich zu machen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatsminister.

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Herr Kollege Gehrcke, Sie haben meine Antwort schon richtig verstanden: Natürlich sind 10 Millionen DM zuwenig, wenn ein möglicherweise stattfindender Einsatz lange dauert. Das kann man so festhalten; heute schon weiterzugehen, würde den Beratungen mit den Fraktionen des Hauses vorgreifen. Das dürfte auch nicht in Ihrem Interesse liegen. Hinsichtlich des notwendigen Druckes auf Indonesien teilt die Bundesregierung voll die Position, die der Bundestag in seiner Resolution festgehalten hat: Der Druck steht immer in Relation zu dem, was passiert. In Osttimor wird die entsprechende Resolution des VNSicherheitsrates offensichtlich umgesetzt und ihre Implementierung von den Militärs nicht behindert. Das scheint mir im Augenblick der Punkt zu sein, dem bei der Beurteilung vorrangig unser Augenmerk gelten sollte. Die Lage in Westtimor dagegen ist ungeklärt. Hier mag Druck sinnvoll sein, hier mag aber auch punktuell forcierte Hilfe an Indonesien notwendig sein, um das unter indonesischer Hoheit stehende Gebiet Westtimor nicht in eine humanitäre Katastrophe schlittern zu lassen. Hier ist tagtägliche Abwägung notwendig. Dabei dürfen wir uns - das möchte ich hinzufügen - nicht übernehmen. Ich glaube, wir alle haben gelernt, daß ein isolierter Druck der Bundesregierung nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt. Das wird dort noch viel weniger als in Europa der Fall sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächsten Fragesteller rufe ich den Kollegen Volker Neumann, Bramsche, auf. Herr Neumann, bitte schön.

Volker Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001598, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wer sich nicht erst jetzt, sondern seit nahezu zwanzig Jahren mit Osttimor beschäftigt, der weiß, daß das Selbstbestimmungsrecht durch die Kirchen gefördert, ja vielleicht letztlich durchgesetzt worden ist. Ich frage daher die Bundesregierung, ob sie die Erfahrungen beider Kirchen, insbesondere aber der katholischen Kirche, im Hinblick darauf abfragt, was in Osttimor notwendig ist. Ich weiß, daß heute ein Gespräch mit Bischof Belo stattfindet. Ich möchte zu bedenken geben, was er gestern in Aachen gesagt hat: Keine militärische Präsenz der Deutschen sei nötig; aber für ein humanitäres Hilfsteam wären seine Gesprächspartner und er sehr dankbar. Wird das in Ihre Beratungen einbezogen?

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Sie selber, Herr Kollege Neumann, haben - worauf auch ich hingewiesen habe - aufgezeigt, daß Minister Fischer mit Bischof Belo spricht. Da Gespräche der Bundesregierung grundsätzlich dazu dienen, die Argumente des Gesprächspartners aufzunehmen, beantwortet sich damit Ihre Frage weitestgehend. ({0}) - Ja, das ist alles Zeitverschwendung, Herr Kollege. Das sollte man nicht tun. Die Frage, ob ein Einsatz von deutschen Menschen so formuliere ich es einmal -, von der Bundesregierung finanziert, anders aussehen könnte, als im Augenblick hauptsächlich angedacht - Hilfe durch militärische Kräfte bei Evakuierung aus medizinischen Gründen -, würde ich schon wegen der Offenheit der Gespräche mit den Bundestagsfraktionen mit Ja beantworten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage. Herr Kollege Neumann, bitte schön.

Volker Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001598, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte noch eine Frage stellen, die in eine etwas andere Richtung zielt. Wird die Bundesregierung ihre Maßnahmen, Osttimor betreffend - ich meine jetzt nicht die rein humanitären Maßnahmen, sondern die von Ihnen angedeuteten Maßnahmen -, mit der indonesischen Regierung besprechen, und wird sie die Folgerungen, die sich daraus zum einen für den Demokratisierungsprozeß, zum anderen aber auch für das Verhältnis zu den anderen asiatischen Staaten ergeben, beachten und uns mitteilen?

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Die Bundesregierung wird dies tun und selbstverständlich die Ergebnisse mitteilen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächsten Fragesteller rufe ich den Kollegen Reinhold Robbe von der SPD-Fraktion auf.

Reinhold Robbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, in der Öffentlichkeit besteht allgemeine Unkenntnis über die Verteilung der finanziellen Lasten von UN-Einsätzen, natürlich auch bezogen auf das, was jetzt in Osttimor ansteht. Können Sie ungefähr beziffern, wie hoch der deutsche Anteil ist? Auch aus dem Topf der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und aus Mitteln der Europäischen Union fließt einiges. Kann man ungefähr sagen, wie hoch der deutsche Anteil ist?

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Herr Kollege, die derzeit geleisteten oder beabsichtigten Zahlungen der Bundesregierung habe ich genannt: 4,5 Millionen DM aus dem Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit; 1 Million DM - mit der Möglichkeit der Aufstockung auf bis zu 2 Millionen DM - aus dem Etat des Auswärtigen Amtes. Ich gebe zu, daß ich auf die Frage, wie hoch die EUBeiträge sind, jetzt nicht anworten kann, bin aber gerne bereit, in schriftlicher oder einer anderen von Ihnen gewünschten Form Auskunft zu geben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächsten Fragesteller - ({0})

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Ich merke, wie sinnvoll es ist, die Bundesregierung im Parlament zu befragen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatsminister, die Frage war beantwortet. Als nächsten Fragesteller rufe ich den Kollegen Carsten Hübner von der PDS-Fraktion auf.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich möchte auf den Bereich der medizinischen Hilfe zurückkommen. Bis heute ist ein Kontingent der Bundeswehr im Gespräch gewesen. Dabei ging es weniger um die Evakuierung von Kranken und Verwundeten als vielmehr um die Errichtung eines Feldlazarettes durch ein Sanitätsbataillon. Ich selber hatte die Möglichkeit, am Freitag in Osttimor mit Mitarbeitern von Ocha und des Internationalen Roten Kreuzes zu sprechen, die im Moment versuchen, die Koordination in diesem Bereich dort zu leisten. Von beiden Seiten ist deutlich gemacht worden, daß es auf der Insel selber keinerlei Bedarf für ein zusätzliches Feldlazarett oder für militärisches Sanitätspersonal in Bataillonsstärke gibt. Es wird vielmehr darum gebeten, die Basisversorgung sicherzustellen, das heißt, Medikamente für dezentrale Krankenstationen zu beschaffen, Ausrüstungsgegenstände und mobile Teams zur Verfügung zu stellen. Ihren Äußerungen kann ich entnehmen, daß dieser Wunsch durchaus zur Kenntnis genommen wurde. Mir geht es um folgende Fragen: Erstens. Ist das Feldlazarett und damit der Einsatz des Sanitätsbataillons wirklich vom Tisch? Zweitens. Woraus ergibt sich die Zielbestimmung im Rahmen der aktuellen Diskussion mit den Vereinten Nationen über die Notwendigkeit von Evakuierungen im medizinischen Bereich? Zumindest bei meinen Gesprächen war dieser Bedarf niemals ein Thema. Ich kann aber in diesem Punkt Informationslükken haben. Drittens. Wenn es nicht die Notwendigkeit eines Sanitätsbataillons gibt und damit möglicherweise nicht die Notwendigkeit von Einheiten, die für eine Evakuierung verantwortlich sind: Wäre die Bundesregierung bereit, die dafür vorgesehenen Mittel dem BMZ und dem Auswärtigen Amt zur Aufstockung ihrer Mittel zur Verfügung zu stellen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatsminister, bitte schön.

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Vielen Dank, Herr Präsident. Zunächst möchte ich mich über meinen spontanen Freudenausbruch gegenüber dem Kollegen Bindig entschuldigen. Ich möchte aber wiederholen: Herzlichen Dank an den Bundestag für diesen profunden Ratschlag an die Bundesregierung. Diesen Dank, Herr Kollege Hübner, möchte ich auf Sie erstrecken. Das Auswärtige Amt war über Ihren Besuch in Dili, der von der Deutschen Botschaft begleitet wurde und der der Bundesregierung zusätzliche Informationen gebracht hat, erfreut. Ihre erste Frage, ob noch ein größeres Sanitätskontingent in Rede sei, kann ich so beantworten: Dieses Thema stand heute bei der Erörterung im Bundeskabinett nicht in Rede. ({0}) - Im Raum steht immer viel; das ist bekannt. ({1}) Ich persönlich - zu den früheren Sitzungen hat mir liebenswürdigerweise meine Kollegin aus dem Bundesverteidigungsministerium assistiert - kann sagen: In dieser und in der vorigen Kabinettsitzung ist dieses Thema nicht erörtert worden. Das kann ich Ihnen präzise mitteilen. Das Diskussionsthema heute, nämlich die Evakuierungsmöglichkeit im medizinischen Bereich, ist unter anderem das Ergebnis der Erkundungen, die Beauftragte des Bundesverteidigungsministeriums in Osttimor und in Australien vorgenommen haben. Die letzte Frage beantworte ich so, wie ich eine vergleichbare Frage des Herrn Kollegen Neumann beantwortet habe: Die Offenheit der Diskussion mit den Bundestagsfraktionen schließt derzeit keine Lösung von vornherein aus.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Fragestellerin rufe ich die Kollegin Adelheid Tröscher von der SPD-Fraktion auf.

Adelheid Tröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben schon eine sehr positive Antwort gegeben, Herr Staatsminister. Wir sind hier alle bemüht, zur Lösung des Konflikts in Osttimor beizutragen und darüber nachzudenken, wie diese Konflikte in Zukunft von uns - und nicht nur von uns alleine - sehr viel früher wahrgenommen werden können. Heute findet in Washington im Rahmen der Jahrestagung von IWF und Weltbank eine große OsttimorKonferenz statt. Ich hätte gerne gewußt: Wie beteiligen wir uns an dieser Konferenz? In welchem Rahmen bringen wir uns in die internationale Gemeinschaft ein?

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An dieser Stelle muß ich zum zweiten Mal mein Bedauern äußern. Ich kann Ihnen in diesem Moment keine konkreten Informationen über den Grad der deutschen Beteiligung an dieser Konferenz geben. Ich beantworte Ihre Frage gerne in jeder anderen von Ihnen gewünschten Form.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es verbleiben jetzt noch gut fünf Minuten für die Regierungsbefragung. Als nächsten Fragesteller rufe ich den Kollegen Hermann Gröhe von der CDU/CSU-Fraktion auf.

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, auch meine Frage bezieht sich auf den Umfang einer möglichen deutschen Beteiligung. Sie sprachen im Hinblick auf den festgestellten Bedarf von dem Ausfliegen von Kranken und Verletzten. Gleichzeitig sprachen Sie von der Diskussion mit den Fraktionen - das ist zunächst erfreulich - in bezug auf einen konstitutiven Beschluß. Muß daraus geschlossen werden, daß Sie der Auffassung sind, daß es auch bei einem in diesem Bedarfsumfang vorzunehmenden Einsatz für das Ausfliegen Sicherungsgruppen geben müßte, das heißt, würde es sich um einen militärischen Einsatz handeln, der der konstitutiven Beschlußfassung durch das Parlament bedarf? Zweite Frage. Sie sprachen die Anforderung der UNO und das Verhalten der anderen europäischen größeren Nationen an. Zugleich wiesen Sie auf Haushaltszwänge - sicher auch durch die Belastungen, die der Bundeswehr durch andere Einsätze bereits auferlegt sind - und anderes hin. Ist im Zusammenhang mit solchen Anforderungen zukünftig an den Versuch eines Rahmenkonzeptes für deutsche Beteiligungen an Friedensmissionen gedacht? Wenn ja, wann gedenken Sie hier erste Überlegungen vorzutragen?

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Bei den heute - nicht in diesem Raum, sondern im Kabinett - stattfindenden Erörterungen war in der Tat an eine Maßnahme gedacht, die in die Aktion nach Kap. VII der UNO-Charta einzubeziehen ist. Sie würde damit im Rahmen der Interfet-Mission stattfinden und somit eine Integration in die mit Interfet generell verbundenen Kommando- und Sicherungsstrukturen bedeuten. Da für eine derartige Maßnahme ein konstitutiver Beschluß notwendig ist, hat die Bundesregierung diese Möglichkeit für den Eventualfall vorgesehen; das ist eine Selbstverständlichkeit. Hinsichtlich der finanziellen Enge auch in diesem Bereich, weil es in den letzten Jahren viele Einsätze der Bundeswehr außerhalb Deutschlands gab, müssen diese Maßnahmen in den Gesamtzusammenhang der deutschen Leistungen für UNO- und internationale Maßnahmen aller Art gestellt werden. Dies hat die Bundesregierung heute ebenfalls erörtert. Der Bundesfinanzminister hat im Kabinett gesagt, er arbeite an einer entsprechenden Übersicht. Ich will nicht sagen: Konzept; manchmal ist eine Übersicht schon erhellend genug. Er hat kein Datum genannt, wann er die Überlegungen abgeschlossen haben würde, so daß ich Ihnen das an dieser Stelle nicht sagen kann. Aber die Bundesregierung nimmt durch Ihre Frage das Interesse des Parlaments daran zur Kenntnis. Ich kann Ihnen aber, um die Diskussion mit einer auch im internationalen Rahmen zu gebrauchenden Komponente zu belegen, folgendes sagen: Überproportional, auch im Vergleich zu vielen anderen Staaten Europas und den hochentwickelten Staaten darüber hinaus, ist das finanzielle Engagement der Bundesrepublik Deutschland in Rußland und einigen anderen osteuropäischen Staaten, was man sicherlich in einem Gesamtbudget - darauf hat der Finanzminister hingewiesen - bei einer Betrachtung, die sich alleine auf UNOInstitutionen bezieht, gegenrechnen muß.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Gröhe, ich gebe Ihnen noch einmal das Wort zu einer letzten Frage im Rahmen der Befragung der Bundesregierung.

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine Nachfrage. Sie sprachen davon, daß im Rahmen einer Übersicht möglicherweise der Kern eines Konzeptes beinhaltet sei. Deswegen meine Frage, ob an diesen Überlegungen außer dem Finanzminister auch das Verteidigungsministerium und das Auswärtige Amt beteiligt sind.

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Das ergibt sich fast aus der Sache. ({0}) - Nein. Diese Regierung vollzieht ihr Handeln ganz grundsätzlich in dem Rahmen, der durch Verfassung, Recht und Gesetz vorgegeben ist. Da eine Übersicht des Finanzministers über Ausgaben von Einzeletats die betreffenden Ressorts berührt und der Finanzminister bei der Aufstellung derselben mit den Betroffenen redet, ergibt sich das fast von selbst. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich beende nun den Themenbereich der heutigen Kabinettsitzung. Vielen Dank, Herr Staatsminister Dr. Zöpel. Gibt es darüber hinaus Fragen an die Bundesregierung? - Bitte schön, Herr Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Ich entnehme einer Tickermeldung der dpa von 11:51 Uhr, daß sich die Bundesregierung heute auch mit dem Schlechtwettergeld befaßt hat. Dieser Tickermeldung ist zu entnehmen, daß das Kabinett entschieden hat, daß die Schlechtwettergeldregelung nach zwei Jahren überprüft werden soll. Da Frau Staatssekretärin Mascher in der heutigen Debatte des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung die Eventualität einer derartigen Überprüfung mit keinem Wort erwähnt hat, weil sie vielleicht auch nicht darüber informiert war, daß das Kabinett darüber berät, würde mich interessieren, wie denn diese Überprüfung tatsächlich aussehen soll und ob wir noch mit Änderungsanträgen zu rechnen haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Antwort steht zur Verfügung die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Mascher.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Niebel, ich habe mich inzwischen informiert. Das Bundeskabinett hat sich heute mit einer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates beschäftigt. Der Bundesrat hat gewünscht, daß nach zwei Jahren ein Bericht der Bundesregierung über die Entwicklungen im Bereich des Schlechtwettergeldes vorgelegt wird. Die Bundesregierung hat diesem Wunsch des Bundesrates in ihrer Gegenäußerung Rechnung getragen. Ein solcher Bericht wird in zwei Jahren vorgelegt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, mich würde die Abwicklung dieses Berichts interessieren; denn der Tickermeldung ist nur zu entnehmen, daß die Bundesregierung etwas Derartiges zugesagt hat. Ist denn tatsächlich bis zur abschließenden Beratung am nächsten Dienstag noch mit einem Änderungsantrag der Bundesregierung oder der Regierungsfraktionen zu rechnen, oder ist diese Zusage mehr als allgemeines Versprechen zu verstehen?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Das ist eine Zusage, die die Bundesregierung auf einen Wunsch des Bundesrates hin gemacht hat. Das muß im Gesetz nicht festgelegt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit sind wir am Ende der Regierungsbefragung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksache 14/1649 Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 1 des Abgeordneten Dr. Heinrich Fink: Ist mein Eindruck richtig, daß die Bundesregierung in der Frage des Künstlergemeinschaftsrechts im Umdenken begriffen ist, wenn in der „Agenda 1999“ des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien zu lesen ist, daß die Schaffung eines solchen Rechts „erwogen“ wird, während es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion ({0}) vom 1. Juni 1999 noch rundweg abgelehnt wurde?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Präsident! Ich darf die Frage des Kollegen Dr. Fink wie folgt beantworten: Die Bundesregierung ist hier nicht im Umdenken begriffen. Sie hat vielmehr in diesem Jahr in ihren öffentlichen Stellungnahmen stets mitgeteilt, sie prüfe den Gesetzgebungsbedarf. Gegenwärtig beabsichtige sie aber nicht, einen solchen Gesetzentwurf einzubringen. An diesen Passagen aus der Antwort der Bundesregierung in der Bundestagsdrucksache 14/1106 vom 1. Juni 1999, die unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz in Abstimmung mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, dem Bundesministerium für Wirtschaft und dem Bundesministerium der Finanzen erteilt wurde, hält die Bundesregierung auch weiterhin fest. Die von Ihnen angesprochenen Sätze in der Agenda 1999 des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien stehen hierzu nicht im Widerspruch. In der Agenda 1999 heißt es nämlich ebenfalls, nach Prüfung des Gesetzgebungsbedarfs solle gegebenenfalls - mit anderen Worten: bei positivem Ausgang der Prüfung des Gesetzgebungsbedarfs - die Schaffung eines sogenannten Künstlergemeinschaftsrechts, auch Urhebernachfolgevergütung oder „Goethegroschen“ genannt, geregelt werden. Zu den rechtspolitischen und rechtlichen Gründen, die derzeit gegen ein solches Vorhaben sprechen, darf ich Sie auf die Bundestagsdrucksache 14/1106 verweisen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Kollege Fink?

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich bedanke mich sehr herzlich für die ausführliche Antwort. Aber mich würde doch interessieren: Was heißt „gegebenenfalls, bei positivem Ausgang der Prüfung“?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege, die Bundesregie5080 rung wird - wie bei jedem Gesetzgebungsvorhaben sorgfältig prüfen, ob ein Regelungsbedarf besteht und, wenn sie das bejaht, wie dieser Regelungsbedarf auszufüllen ist. Aus der Antwort der Bundesregierung auf Ihre Kleine Anfrage, die ich hier zitiert habe, geht hervor, daß die Bundesregierung derzeit einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf nicht erkennt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wollen Sie eine weitere Zusatzfrage stellen? - Bitte schön.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Können Künstler damit rechnen, gegebenenfalls, bei positivem Ausfall der Prüfung, auch eine Einzelfallprüfung zugestanden zu bekommen?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege, die Bundesregierung ist mit den Problemen der bildenden Künstlerinnen und Künstler und auch der übrigen Künstlerinnen und Künstler sehr genau vertraut. Sie ist im Gespräch mit den Interessenverbänden, und sie wird auf Grund dieser Gespräche dann entscheiden, ob sie über das hinaus, was bisher vorgesehen ist und was auch in dieser Antwort steht, nämlich daß wir durchaus Handlungsbedarf im Urheberrecht und auch im Urhebervertragsrecht, aber auch auf anderen - steuerrechtlichen und wirtschaftsrechtlichen - Gebieten sehen, aktiv werden wird. Wir haben also die gesamte soziale Situation der Künstlerinnen und Künstler im Auge. Nach dieser Prüfung und nach den Gesprächen wird die Bundesregierung entscheiden, ob sie gesetzgeberisch tätig wird oder nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Die Fragen aus den Geschäftsbereichen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sollen schriftlich beantwortet werden. Das sind die Fragen 2 und 3. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Klaus Hofbauer von der CDU/CSU-Fraktion: Was hat die Bundesregierung bei der Sitzung der deutschtschechischen Umweltkommission am 20./21. September 1999 in Dresden erreicht, um die geplante Hühneraufzuchtstation in Vseruby unmittelbar an der Grenze zu Deutschland zu verhindern? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Danke schön, Herr Vorsitzender. - Herr Hofbauer, die Antwort lautet folgendermaßen: Die tschechische Delegation zur Sitzung der Umweltkommission am 20./21. September 1999, die unter der Leitung des Umweltministeriums stand, bestätigte, daß die Hühneraufzuchtstation bei Vseruby bereits genehmigt sei. In einem ersten Schritt soll eine Anlage für 200 000 Aufzuchthennen errichtet werden. Gegen diese Anlage können aus Sicht des Tierschutzes in bezug auf die Käfiggröße keine zwingenden Einwände erhoben werden, da derartige Anlagen von der neuen EURichtlinie nicht erfaßt sind. Um die grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen, die nach bayerischen Berechnungen unterhalb der nach gängiger Genehmigungspraxis zulässigen Werte liegen sollen, zu überwachen, wurde die Durchführung eines gemeinsamen Imissionsmeßprogramms vereinbart. Das Luftmeßprogramm wird vom Bayerischen Landesamt für Umweltschutz durchgeführt. Grundwassermessungen sind von der Betreiberfirma Česka dzubež vorgesehen. Die Meßergebnisse sollen gemeinsam ausgewertet werden. Die tschechische und die deutsche Seite gaben ihrer Erwartung Ausdruck, daß in den Genehmigungsverfahren für zwei weitere geplante Anlagen für Legehennen EU-Normen als Maßstab angelegt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege. - Bitte schön.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin. Sie geben ja selbst zu, daß diese Anlage, die unmittelbar an der Grenze errichtet wird, Auswirkungen auf die deutsche Seite hat. Es besteht seit Januar dieses Jahres ein Umweltabkommen. In diesem Umweltabkommen ist zum Beispiel festgehalten, daß bei relevanten Anlagen oder Entscheidungen auch unsere Seite rechtzeitig und frühzeitig eingeschaltet wird. Sie wissen, Frau Staatssekretärin, daß Ihr Haus nichts gewußt hat. Erst auf Grund unserer Initiativen ist Ihr Haus überhaupt über die Anlage informiert worden. Welche Bedeutung hat dieses Umweltabkommen überhaupt, wenn in solchen ganz konkreten Fällen diese Vereinbarung bzw. dieses Abkommen nicht greift?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Zu Ihrer letzten Anmerkung: Was die Bekanntmachung auf Bundesebene angeht, so kann ich Ihnen leider nur sagen, daß die Genehmigungspraxis vorangeschritten war, bevor die neue Bundesregierung tätig werden konnte. Das heißt, der Antrag war bereits 1997 gestellt worden, und die Genehmigung war dann auf tschechischer Seite im Jahre 1998 erteilt worden. Die Bayerische Staatsregierung hat ja selbst auch erst im Februar 1999 davon Kenntnis erhalten. Insofern ist die Bundesregierung sofort tätig geworden, nachdem sie davon Kenntnis hatte. Der alten Bundesregierung war ja vorher die Möglichkeit verwehrt, schon vorher tätig zu werden. Daher ist es sehr schwierig, jetzt noch auf das Projekt, das in Vseruby realisiert werden soll, Einfluß zu nehmen. Wir haben eine VerrinParl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick gerung erreicht: Es war geplant, dort 600 000 Küken aufzuziehen. Jetzt sind es 200 000. Nach Einschätzung des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz geht man davon aus, daß, was die Immissionen angeht, überhaupt keine Gefährdungen für die deutsche Seite zu erwarten sind. Bei den noch zu genehmigenden Anlagen, auf die auch noch Einfluß genommen werden sollte, werden für die deutsche Seite noch weniger grenzüberschreitende Immissionen erwartet, da sich diese Anlagen 20 bis 30 Kilometer von der Grenze entfernt befinden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Hofbauer? - Bitte.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Zusatzfrage geht in Richtung der Verbindlichkeit der Vereinbarung, die in Dresden getroffen wurde. Ist es verbindlich, daß die Aufzuchtstation nicht für 600 000 Hühner, sondern für nur 200 000 Hühner gebaut werden soll, und welche Bedeutung hat diese Vereinbarung?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Es heißt - ich beziehe mich dabei auf einen Bericht der Bayerischen Staatsregierung -, daß es am Standort Vseruby zunächst um die Errichtung von nur einer Halle für die Aufzucht von 200 000 Junghennen geht. Dazu ist noch zu sagen, daß der Betrieb davon abhängt, ob die beiden anderen Hallen gebaut werden, die für die Unterbringung von Großhühnern, die zur Eierproduktion vorgesehen sind - das sind ja noch einmal 1,2 Millionen Hühner -, geplant sind. Wenn nämlich der Bau dieser Hallen nicht genehmigungsfähig ist, dann wäre der Bau einer Aufzuchtstation für 200 000 Junghennen in Frage gestellt. Insofern besteht hier Handlungsbedarf, wobei sich das Bundesumweltministerium im Rahmen seiner Kompetenzen einbringt. Zum Beispiel könnte auf den deutschen Investor Einfluß genommen werden, wenn wir ihn denn kennen würden. Leider ist die bisherige Sachlage dergestalt, daß die tschechische Betreiberseite den Namen des deutschen Investors bzw. Betreibers erst dann bekanntgeben will, wenn die beiden genannten Großhallen genehmigt sind. Es bedarf, so denke ich, gemeinsamer Anstrengungen, hier tätig zu werden und zu einer anderen Reihenfolge zu kommen. Für jede Hilfe und alle Hinweise in diesem Zusammenhang sind wir dankbar.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Girisch. Bitte schön.

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie können also nicht verbindlich zusagen, daß kein Erweiterungsbau über die 200 000 Küken hinaus mehr vorgesehen ist?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Wir können der tschechischen Regierung schlecht ihre Genehmigungspraxis vorschreiben. Was wir tun können, ist, im Rahmen des bestehenden Twinning-Projektes und im Rahmen unserer politischen Möglichkeiten im Vorgriff auf den EU-Beitritt von Tschechien dahin gehend zu wirken, daß die in den EU-Richtlinien enthaltenen Rahmenbedingungen verwirklicht werden. Bestandteil der Vereinbarung ist, daß bei den geplanten Anlagen zur Eierproduktion die Einhaltung der neuen EUAnforderung zur Käfighaltung erfolgen muß.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können wir davon ausgehen, daß die Bundesregierung ihrerseits alles unternimmt, damit keine weitere Käfighaltung mehr stattfindet?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Die neue Bundesregierung hätte schon früher all ihre Möglichkeiten ausgeschöpft. Ich denke, das hätte auch die alte Bundesregierung getan, wenn sie es gewußt hätte. Die neue Bundesregierung hat in dem Augenblick eingegriffen, als das Projekt auf deutscher Seite bekannt wurde. Im Protokoll der Sitzung der Umweltkommission am 20./21. September steht, daß beide Seiten, die tschechische und die deutsche, ihrer Erwartung Ausdruck verliehen haben, daß in den Genehmigungsverfahren für zwei weitere geplante Anlagen - da haben wir noch die Möglichkeit, tätig zu werden - die EU-Normen als Maßstab festgelegt werden. Ich kann Ihnen nur noch einmal bestätigen, daß wir im Rahmen unserer Möglichkeiten alles tun werden, damit das, was auf EU-Ebene bereits geregelt ist, auch für die neuen Anwärter Gültigkeit haben soll.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage der Kollegin Lippmann von der PDS-Fraktion. - Bitte schön.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, entspricht die neue EU-Richtlinie zur Käfighaltung den Erklärungen, die die rotgrüne Bundesregierung im Vorfeld ihres Amtsantrittes abgegeben hat? Inwieweit hat die deutsche Seite dieser EU-Richtlinie zugestimmt?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Die Umsetzung der EU-Richtlinie, die im Jahr 2000 in Kraft treten soll? Ist es richtig, daß Sie sich darauf beziehen? - Also: Ja, ich gehe davon aus.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das war keine Antwort auf meine Frage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wollen Sie eine weitere Frage stellen? Das können Sie gerne tun. - Bitte schön.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe nach der deutschen Position zu dieser EU-Richtlinie gefragt.

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Ja, Sie haben gefragt, ob sie den rotgrünen Befindlichkeiten entspricht. Darauf habe ich gesagt: Davon gehe ich einmal aus. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Beide Fragen, die Fragen 5 und 6, werden jedoch schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, und zwar zunächst zur Frage 7 des Abgeordneten Christian Schmidt: Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der zahlreichen bevorstehenden Schließungen deutscher Auslandsvertretungen die seit Jahren auf dem Tisch liegenden Vorschläge zur Schaffung gemeinsamer Botschaften der EU in Drittländern „unter einem Dach“? Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Ludger Volmer zur Verfügung.

Not found (Gast)

Herr Kollege Schmidt, Sie fragten nach den Bemühungen der Bundesregierung, gemeinsame Botschaften oder Kanzleien mit anderen EU-Staaten zu errichten. Diese Frage beantworte ich wie folgt: Sie beziehen sich in Ihrer Frage auf die Rahmenvereinbarung über die gemeinsame Unterbringung diplomatischer und konsularischer Vertretungen, mit der die EU-Mitgliedstaaten im Februar 1996 „Leitlinien für die gemeinsame Nutzung von Gebäuden und unterstützenden Diensten“ verabschiedeten. Ziel war es, die Zusammenarbeit in Drittländern zu fördern und Synergieeffekte bei der Verwaltung des Netzes der Auslandsvertretungen zu erreichen. Wir haben uns stets für die Stärkung eines gemeinschaftlichen Handelns und Auftretens eingesetzt und verfolgen dabei neben dem politischen Ziel auch einen wirtschaftlicheren Einsatz der Mittel. Das Auswärtige Amt hat sich in bilateralen Kontakten und in der Ratsarbeitsgruppe für Verwaltungsfragen intensiv dafür eingesetzt. Auch vor Ort werden von unseren Auslandsvertretungen die Möglichkeiten von Gemeinschaftsvorhaben geprüft. Mit Großbritannien und Frankreich nutzen wir bereits gemeinsame Kanzleiräume in Almaty. In Reykjavik sind die Botschaften Großbritanniens und Deutschlands gemeinsam untergebracht, in Lima die beiden Visastellen. Soeben wurden die Räumlichkeiten der deutschbritischen Gemeinschaftskanzlei in Quito bezogen. Wir sind am Projekt einer EU-Gemeinschaftskanzlei in Daressalam mit Großbritannien, den Niederlanden und der Kommission beteiligt. Mit Frankreich gibt es eine entsprechende Zusammenarbeit in Chisiman und Praia, wo wir die Infrastruktur der französischen Botschaft nutzen. In Abuja wird das bisher anspruchsvollste Gemeinschaftsvorhaben verfolgt, nämlich eine Gemeinschaftskanzlei mit Frankreich, Italien, Österreich, den Niederlanden, Griechenland und der Kommission. Die genannten Vertretungen sind jedoch auf politischer Ebene getrennt und haben auch im völkerrechtlichen Sinne einen eigenen Status. Unser Ziel bleibt - über die gegenwärtigen Formen der Zusammenarbeit hinaus -, weitere Schritte auf dem Weg hin zu vollständig integrierten Gemeinschaftsbotschaften zu tun. Hier gibt es jedoch noch völkerrechtliche sowie nationale rechtliche Hindernisse. Innerstaatlich haben wir jetzt erneut die Initiative ergriffen, um die verfassungsrechtliche Lage zu klären und im Dialog mit EU-Staaten nach Möglichkeiten der Ausweitung und Vertiefung der Zusammenarbeit der Auslandsvertretungen in Drittländern zu suchen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Schmidt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, im Hinblick auf die soeben in der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses von Herrn Minister Fischer angedeutete Notwendigkeit weiterer Schließungen von Auslandsvertretungen in den kommenden Jahren möchte ich die Frage stellen: Wie groß schätzen Sie das Einsparpotential für den Haushalt in den nächsten Jahren durch die Synergieeffekte auf Grund der Einrichtung solcher Botschaften oder Kanzleien unter einem gemeinsamen Dach ein? An welche weiteren, über die von Ihnen genannten Projekte hinaus denkt man, etwa auch daran, größere Botschaften zusammenzulegen?

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen keine Zahl nennen. Wir verfolgen diesen Ansatz, weil wir davon ausgehen, daß die Einsparpotentiale nennenswert sind. Sie brauchen nur zu berücksichtigen, daß Doppelstrukturen bei Gemeinschaftseinrichtungen vermieden werden können. Dabei geht es nicht so sehr um die eigene Belegschaft, sondern eher um den Bereich der Ortskräfte. Hier kann eine große Zahl von Kräften eingespart werden. Man braucht zum Beispiel nur eine Pforte, nur ein Büro, in dem die Nutzer der Botschaft eingewiesen werden, also nur eine Informationsstelle; man braucht möglicherweise nur einen Wagenpark. Man kann die Sachmittel aufteilen, die in den Büros benötigt werden. Wir verfolgen diesen Weg. Wir stoßen dabei aber auf praktische Hindernisse von der Art, wie ich sie gerade geschildert habe. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß etwa Planungen, die wir mit der französischen Seite vorgenommen hatten, auf Grund höchstrichterlicher Entscheidungen in Frankreich zurückgenommen werden mußten. Deshalb bleiben, unabhängig von unserem guten Willen, in dieser Richtung weiter zu planen, einfach objektive Hindernisse bestehen. Wir arbeiten aber daran.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Schmidt, eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Dann eine Zusatzfrage des Kollegen Wiese von der CDU/CSU-Fraktion.

Heinz Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003261, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wir haben in der letzten Sitzungswoche anläßlich der Haushaltsdebatte hier im Plenum darüber gesprochen - der Kollege Schmidt genauso wie ich -, daß es nach den Ausführungen von Außenminister Joschka Fischer aus der Sicht der Bundesregierung notwendig sei, mehrere Botschaften zu schließen. Ich nannte beispielsweise das Generalkonsulat in Temeswar in Rumänien und weitere Konsulate in anderen osteuropäischen Staaten. Wir sind aber davon ausgegangen, daß gerade den osteuropäischen Staaten und den deutschen Minderheiten dort im Hinblick auf die Osterweiterung der EU eine große Bedeutung zukommt. Ist die Bundesregierung nicht der Ansicht, daß, wie in der Anfrage des Kollegen Schmidt deutlich geworden ist, trotz der Synergie- und Einsparungseffekte durch Zusammenlegung von Botschaften die Schließung von Konsulaten in Staaten, die der Europäischen Union beitreten sollen, vermieden werden sollte?

Not found (Gast)

Sie haben das Beispiel Temesvar angesprochen. Ich war selber letzte Woche als Begleiter des Bundeskanzlers in Rumänien und hatte Gelegenheit, dort mit Vertretern der deutschen Minderheiten zu sprechen. Die Schließung von Generalkonsulaten ist sicherlich ein Schritt, der bitter ist. Wir tun das auch überhaupt nicht gerne. Sie wissen, daß es keine politischen Hintergründe gibt, sondern ausschließlich haushaltstechnische. Wir versuchen, dies aufzufangen, indem wir Parallelstrukturen entwickeln, so daß andere die Arbeit mit übernehmen können. So versuchen wir, die Arbeit der Konsulate entweder auf andere Konsulate, die in dem Land noch existieren, oder auf die Botschaften zu verlagern. Eine weitere Möglichkeit, zu Synergieeffekten zu kommen, liegt in der Suche nach gemeinsamen europäischen Lösungen. Es ist vernünftig, darüber nachzudenken, daß man gemeinsame Auslandsvertretungen in dem Maße betreibt, wie sich die Gemeinsame Europäische Außenund Sicherheitspolitik entwickelt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Lippmann. Übrigens, Frau Lippmann, die Sie betreffende Namensänderung ist noch nicht im Handbuch enthalten. Ich möchte Sie bitten, das dem Bundestag offiziell mitzuteilen.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatsminister, soweit mir bekannt ist, ist die Schließung der Botschaft in Ruanda geplant. Es ist bekannt, daß Ruanda seit vielen Jahren ein starkes Konfliktpotential aufweist. Inwieweit erachten Sie angesichts dieses Konfliktpotentials eine Schließung für sinnvoll, gerade auch im Hinblick auf die frühzeitige Konflikterkennung und Krisenvorbeugung?

Not found (Gast)

Ich möchte zunächst darauf aufmerksam machen, daß diese Frage eigentlich keine Zusatzfrage zu dem behandelten Komplex der EU-Botschaften ist, weil es hier generell um Botschaftsfragen geht. Ich will dennoch sagen: Soweit ich informiert bin, steht die Schließung der Botschaft in Ruanda nicht an; wahrscheinlich meinen Sie Burundi. Auch in diesem Fall gilt, was gerade gesagt wurde: Das ist ein bitterer Schritt, so er denn endgültig getan werden müßte. Zu rechtfertigen ist er nicht aus der Regionalpolitik, sondern nur aus der Haushaltsproblematik heraus, in die diese Regierung, wie Sie wissen, ohne eigene Schuld geraten ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Vielen Dank, daß Sie so freundlich waren, meine Zusatzfrage zu beantworten, auch wenn sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang zur Ausgangsfrage stand. Gibt es aus Ihrer Sicht Möglichkeiten, die Schließung in Burundi zu verhindern?

Not found (Gast)

Wir haben das Problem, daß wir zirka 20 Auslandsvertretungen schließen müssen; hinzu kommen noch mehrere Goethe-Institute. Der Titel des Auswärtigen Amtes ist nun einmal so beschaffen, daß dort nur relativ wenige Mittel für politische Projekte, für Programme, die man kürzen könnte, vorhanden sind. Fast zwei Drittel aller Mittel des Auswärtigen Amtes sind Strukturmittel. Wenn wir den Kürzungsvorgaben nachkommen wollen - das müssen und das wollen wir -, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als auch im Bereich der Infrastruktur zu kürzen. Daß dies mit manchmal bedenklichen Nachteilen verbunden ist, liegt auf der Hand. Wir wollen auch nichts schönreden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Frage 8 wird schriftlich beantwortet. Vielen Dank, Herr Staatsminister Volmer. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung. Als erste Frage die Frage Nummer 9 des Abgeordneten Dietmar Schlee: In welchem Umfang und in welchen zeitlichen Abschnitten plant die Bundesregierung die Kürzung bzw. den Ausstieg aus der finanziellen Beteiligung des Bundes an der Beschaffung von Führungs- und Einsatzmitteln für die Bereitschaftspolizeien der Länder?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Schlee, folgende Antwort: Der Regierungsentwurf zum Haushalt 2000 sieht für das Kapitel 0624, das den Titel „Beschaffungen für die Bereitschaftspolizeien der Länder“ trägt, eine Kürzung von 35 auf 32 Millionen DM vor. Im Haushaltsjahr 2001 verringert sich der Ansatz auf 6 Millionen DM; für die Folgejahre 2002 und 2003 sind in der Finanzplanung derzeit keine Mittel für die Beschaffung von Führungs- und Einsatzmitteln in Ansatz gebracht worden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Schlee.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie kennen die Position der Innenministerkonferenz, die Position aller Bundesländer, die diese Pläne einheitlich ablehnen. Nachdem Sie das wissen, wollen Sie wirklich - anders werden Sie das nicht bewerkstelligen können das Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den Ländern bezüglich der Bereitschaftspolizeien kündigen? Das wäre wohl die Konsequenz. Haben Sie sich das genau überlegt? Wann würden Sie gegebenenfalls kündigen? Für den Fall, daß Sie nicht kündigen: Wie wollen Sie sich in Zukunft in diesen Fragen vertrauensvoll mit den Ländern auseinandersetzen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Wir haben über diese Fragen vertrauensvoll mit den Ländervertretern geredet. Es gab dazu sehr differenzierte Stellungnahmen. Es ist völlig klar: Wenn es um Einsparungen geht, ist keiner Begeistert; das liegt in der Natur der Sache. Was das Verwaltungsabkommen anbelangt, haben wir derzeit nicht die Absicht, dies zu kündigen. Deswegen wollte ich auch sehr deutlich machen, daß wir diese Mittel in den Jahren 2002 und 2003 aussetzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage gibt es nicht. Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Schlee: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß bei erheblichen Mittelstreichungen in diesem Bereich die Einsatzfähigkeit der Bereitschaftspolizeien der Länder im bisherigen Umfang und in bisheriger Qualität nicht mehr geleistet werden kann sowie erhebliche Einbußen im Bereich der Inneren Sicherheit zu erwarten sind, da für komplexe Einsatzlagen wie z. B. Castor-Transporte, bundesweite demonstrative Aktionen ({0}) oder Großveranstaltungen wie die EXPO 2000 nicht mehr wie bisher ausreichend und kompatibel ausgestattete Einsatzeinheiten zur Verfügung stehen werden?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Diese Auffassung wird von der Bundesregierung - das überrascht Sie wohl nicht - nicht geteilt, weil die Einsatzfähigkeit und Kompatibilität der Bereitschaftspolizeien der Länder in bisherigem Umfang und damit die Qualität ein gemeinsames Anliegen der Länder und des Bundes sind und sich auf die von allen vereinbarten Inhalte der Verwaltungsabkommen begründet. Danach beschafft der Bund Führungs- und Einsatzmittel für die Bereitschaftspolizeien im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel. Das bedeutet, daß auch die Länder eigene Beschaffungen durchführen müssen. So wünschenswert eine von den Ländern geforderte Bereitstellung von Finanzmitteln für die Bereitschaftspolizeien ist, so müssen dennoch in diesem Bereich im Rahmen der Konsolidierungsbemühungen Mittelkürzungen vorgesehen werden. Die beabsichtigten Reduzierungen stellen zunächst einen Planungsrahmen dar, der unter dem Vorbehalt einer erneuten haushalts- und sicherheitspolitischen Prioritätensetzung steht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Schlee. Bitte schön.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es in einer ganzen Reihe von Ländern unabhängig von der parteipolitischen Ausrichtung als Folge dessen, was Sie planen, Überlegungen gibt, geschlossene Einheiten der Bereitschaftspolizei stillzulegen? Wie schätzen Sie die Konsequenzen ein? Sie haben vorhin davon gesprochen, daß das Verwaltungsabkommen ausgesetzt würde. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie noch einen Satz dazu sagen würden, wie man ein Verwaltungsabkommen einseitig aussetzt.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ob wir es einseitig aussetzen oder nicht - an unseren Planungen gibt es derzeit nichts zu diskutieren. Sie sind Ihnen von mir zur Kenntnis gebracht worden. Herr Schlee, ich habe fast geahnt, daß Sie fragen könnten: Welche Konsequenzen könnte das für die Bereitschaftspolizeien der Länder haben? Ich will Ihnen folgendes zu Gemüte führen: Wir hatten im Einzelplan 06 Kapitel 24 beispielsweise im Jahre 1995 einen Ansatz von 38,97 Millionen DM. Beschaffungen wurden allerdings nur für 23,5 Millionen DM vorgenommen. Im Jahre 1996 waren sogar 39 Millionen DM im Haushalt eingestellt. Abgerufen wurden aber nur 12,6 Millionen DM. Im Jahre 1997 waren 34 Millionen DM im Haushalt vorgesehen und abgerufen wurden lediglich 14,259 Millionen DM. Wenn man also betrachtet, wie in der Vergangenheit Beschaffungen vorgenommen und Haushaltsmittel ausgeschöpft worden sind, kann der Aufholbedarf im Grunde genommen nicht so groß sein. Deswegen bin ich der Auffassung, daß wir mit unserer Planung für diese vier Jahre auf einem guten, vernünftigen Wege sind. Ich gehe davon aus, daß auch die Ländervertreter dies einsehen werden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Herr Schlee?

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich habe natürlich erwartet, daß Sie diese Zahlen vortragen werden, deren Aussagewert nahe Null ist. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, mit mir nachzuvollziehen, daß solche Investitionen natürlich nicht Jahr für Jahr in gleicher Höhe gemacht werden, daß aber das Gesamtbudget, der Gesamtrahmen stimmen muß, weil alles andere in höchstem Maße unsachgerecht wäre. Herr Staatssekretär, ich darf Sie fragen, ob Sie das nachvollziehen können.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Wenn man das Gesamtbudget sieht, erkennt man eine große Differenz zwischen Soll und Ist. Man muß darüber spekulieren, welches die Gründe dafür sind. Herr Kollege Schlee, ich sage Ihnen: Ich hätte diese Zahlenreihe noch für die Jahre 1994 und 1993 fortsetzen können. Ich wollte Sie aber nicht langweilen. Deswegen habe ich mich auf diese drei Jahre konzentriert. Ich bin der Auffassung und möchte das auch noch einmal deutlich machen, daß wir diese Maßnahme nicht aus irgendeiner Beliebigkeit heraus vollziehen, sondern daß auch wir verpflichtet sind, einen Einsparbeitrag zu erbringen. Diesen müssen wir nicht nur aus Lust und Laune heraus erbringen, sondern weil die Finanzsituation so ist, wie sie ist. Deswegen ist dies eine vertretbare Planung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Fuhrmann, bitte schön.

Arne Fuhrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, interpretiere ich Sie auf Grund Ihrer Antworten richtig, daß so meine ganz persönliche Hoffnung - möglicherweise bis zu einer politischen Klärung der Endlagerfragen, die auch etwas mit den Castor-Transporten zu tun haben, deshalb kein Castor-Transport stattfindet, weil die notwendige Ausrüstung von Polizei und BGS durch das Innenministerium nicht gewährleistet sein könnte?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Fuhrmann, ich muß Sie leider enttäuschen. Ich glaube, daß diese Haushaltsplanungen und Haushaltsansätze mit der von Ihnen aufgeworfenen Sachfrage nicht im Zusammenhang stehen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Die Fragen 11 und 12 des Kollegen Hinsken sollen schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 13 und 14 sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden. ({0}) - Ja, der Kollege ist nicht anwesend. Das wird mir gerade gesagt. Es wird verfahren wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Damit haben Sie sich, Frau Staatssekretärin, umsonst herbemüht. Ich bedanke mich dafür. Es tut mir leid, daß uns dies so spät zur Kunde gekommen ist. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher zur Verfügung. Die Frage 18 soll schriftlich beantwortet werden. Die Frage 19 des Kollegen Thomas Dörflinger - er ist anwesend - kommt jetzt zur Beantwortung: Wie hoch beziffert die Bundesregierung den Fehlbetrag in der gesetzlichen Rentenversicherung, der durch die vorgesehene Absenkung der durch den Bund zu leistenden Versicherungsbeiträge der Zivildienstleistenden entsteht, und ist eine analoge Regelung auch für die Rentenversicherungsbeiträge der Wehrpflichtigen in Planung?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Dörflinger, in Art. 29 Nr. 2a des Entwurfs des Haushaltssanierungsgesetzes ist die Herabsetzung der Bemessungsgrundlage für die Rentenversicherungsbeiträge sowohl für Wehrdienstleistende als auch für Zivildienstleistende von 80 Prozent auf 60 Prozent der Bezugsgröße vorgesehen. Das Beitragsaufkommen zur gesetzlichen Rentenversicherung vermindert sich durch diese Änderung nach den vorliegenden Schätzungen um rund 500 Millionen DM jährlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege?

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, können Sie Angaben darüber machen, ob dieser Fehlbetrag in der gesetzlichen Rentenversicherung Auswirkungen auf den Bundeszuschuß an die gesetzliche Rentenversicherung hat?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Er hat keine Auswirkungen auf den gesetzlich geregelten Bundeszuschuß.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verstehe ich Sie richtig, daß die gesetzliche Rentenversicherung diesen Fehlbetrag von 500 Millionen DM selbst zu erwirtschaften hat?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Nein. Die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung fließen aus zwei Quellen: einmal aus dem Beitragsaufkommen, das entweder von den abhängig Beschäftigten und ihren Arbeitgebern gezahlt wird oder - für die Gruppen, die wir hier angesprochen haben - auch aus Steuermitteln finanziert wird, und darüber hinaus aus dem allgemeinen Bundeszuschuß, dem besonderen Bundeszuschuß und dem Bundeszuschuß, den wir aus dem Aufkommen der Ökosteuerreform haben. Von daher muß in der Rentenversicherung nicht etwas zusätzlich - zum Beispiel durch Beitragssatzanhebung - erwirtschaftet werden; vielmehr wird das aus den steuerfinanzierten Bundeszuschüssen aufgebracht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Seifert von der PDS-Fraktion.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, können Sie uns auch sagen, welche Auswirkungen die Senkung der Versicherungsbeiträge für Zivildienstleistende auf die Zivildienstleistenden selber hat, wenn diese eines Tages in Rente gehen? Ich frage das insbesondere in Anbetracht der Tatsache, daß viele von ihnen nach Beendigung ihrer Dienstzeit eine Zeitlang keine Arbeit haben, bevor sie zum Beispiel studieren.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie selbst haben in Ihrer Frage ja deutlich gemacht, daß es, je nach dem, was sich an die Zivildienstzeit anschließt, sehr unterschiedliche Rentenbiographien gibt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage des Kollegen Fuhrmann.

Arne Fuhrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, können Sie mir die Frage beantworten, welche fiktive Höhe als Berechnungsgrundlage für die 80 Prozent bzw. 60 Prozent für die Rentenversicherung der ZEL angenommen wird?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Fuhrmann, das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich möchte Ihnen das gerne präzise schriftlich beantworten. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Die Fragen 20 bis 23 werden schriftlich beantwortet. Nun kommen wir zur Frage 24 der Kollegin Gudrun Kopp von der F.D.P.-Fraktion: Wie viele Strafverfahren und Verurteilungen hat es nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten 10 Jahren nach § 25 Ladenschlußgesetz gegeben?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Frau Kollegin Kopp! Sie haben nach der Zahl der Strafverfahren und Verurteilungen wegen eines Verstoßes gegen § 25 des Ladenschlußgesetzes gefragt. Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse über die Zahl der Strafverfahren und Verurteilungen nach § 25 des Ladenschlußgesetzes. Entsprechende kriminalstatistische Daten liegen der Bundesregierung nicht vor. Allerdings dürfte die Anzahl der Strafverfahren und Verurteilungen nach § 25 des Ladenschlußgesetzes gering sein. Verstößen gegen Bestimmungen des Ladenschlußgesetzes kann in der Regel mit aufsichtsbehördlichen Mitteln begegnet werden. Die Aufsichtsbehörden in den Bundesländern haben nach § 25 des Ladenschlußgesetzes insbesondere die Möglichkeit, Verstöße als Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen. Der Straftatbestand des § 25 des Ladenschlußgesetzes dürfte nur in besonderen Ausnahmefällen erfüllt sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Frau Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für die Beantwortung, Frau Staatssekretärin. Sind Sie angesichts dieser Antwort mit mir der Meinung, daß § 25 des Ladenschlußgesetzes dann wegfallen könnte? Von Verstößen bei regelrechten Straftaten einmal abgesehen: Wir haben doch die einschlägigen Arbeitnehmerschutzgesetze und das Strafgesetzbuch. Denken Sie nicht auch, dieses Gesetz brauchen wir nicht länger?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie der Meinung, daß das Ladenschlußgesetz insgesamt wegfallen soll. Habe ich Sie da richtig verstanden? ({0}) - Dazu ist anzumerken, daß wir - wie Sie wissen - anläßlich der Beratungen am 1. November 1996 festgelegt haben, daß von der Bundesregierung ein Erfahrungsbericht im Zusammenhang mit dem Ladenschlußgesetz vorgelegt werden soll. In diesem Zusammenhang sind zwei Gutachten in Auftrag gegeben worden: eines an das Ifo-Institut, ein anderes an die Sozialforschungsstelle Dortmund. Diese Erfahrungsberichte werden der Öffentlichkeit voraussichtlich im Oktober vorgestellt. Ich denke, wir sollten - wie das in diesem Hause, noch mit den alten Mehrheitsverhältnissen, vereinbart war im Lichte dieser Erfahrungsberichte die Fragen, wie wir mit dem Ladenschluß umgehen und wie wir mit dem Ladenschlußgesetz umgehen, gemeinsam beraten und so zu einem Ergebnis kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, Frau Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine kurze Zusatzfrage. Wir beziehen uns heute ausschließlich auf § 25 des Ladenschlußgesetzes. Insofern stelle ich Ihnen die Frage, ob Sie aus den Gutachten, die in Auftrag gegeben wurden, auch Erkenntnisse speziell zu diesem Paragraphen erwarten. Wenn Sie bisher keinerlei Unterlagen zu Verstößen oder Straftaten haben, dann erwarte ich eigentlich auch aus diesen Gutachten keine neuen Erkenntnisse. Insofern habe ich eben die Frage gestellt, ob man dann nicht auf diesen Paragraphen verzichten kann. Im Rahmen der Diskussion über das gesamte Gesetzeswerk werden wir mit Sicherheit noch darüber reden. Aber heute geht es mir speziell um § 25 des Ladenschlußgesetzes.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Frau Kopp, wir haben uns im Bundesarbeitsministerium und auch zusammen mit dem Wirtschaftsministerium darauf verständigt, daß wir die Veröffentlichung der beiden in Auftrag gegebenen Gutachten abwarten, bevor wir zu einzelnen Punkten des Ladenschlußgesetzes Stellung nehmen. Die wenigen Wochen bis zur Veröffentlichung dieser Gutachten sollten wir noch warten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung wird übergangen, weil alle Fragen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen damit zum Bereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels zur Verfügung. Ich rufe Frage 30 des Kollegen Gerald Weiß ({0}) auf: Ist nach den Erkenntnissen der Bundesregierung mittlerweile wieder eine reibungslose Praxis bei der Versorgung Pflegebedürftiger in Heimen mit Hilfsmitteln nach § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ({1}) - vor dem Hintergrund der unveränderten Gesetzeslage gegeben, oder zieht sie eine klarstellende Gesetzesänderung in Erwägung?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Weiß, der Bundesregierung ist bekannt, daß in der Vergangenheit Probleme bei der Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mit Hilfsmitteln in Pflegeheimen aufgetreten sind. Die Spitzenverbände haben ausdrücklich bestätigt, daß ein Anspruch auf individuelle Versorgung mit Hilfsmitteln im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung auch bei den in Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten zweifelsfrei besteht. Das heißt, daß sich die aus § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ergebenden Rechtsansprüche auch uneingeschränkt für die in Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten gelten. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist die medizinische Notwendigkeit durch eine ärztliche Verordnung zu bestätigen. Ob Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein Hilfsmittel durch die gesetzliche Krankenversicherung besteht, entscheiden die Krankenkassen nach Prüfung der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls. Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Pflegekassen stimmen darin überein, daß die Übernahme der Kosten für die Hilfsmittel, die zur notwendigen allgemeinen Ausstattung der Pflegeheime zu rechnen sind, nicht zur Leistungspflicht der Krankenkassen gehört. Eine Gesetzesänderung ist aus Sicht der Bundesregierung nicht erforderlich. Das Bundesministerium für Gesundheit hat allerdings Hinweise erhalten, daß Mißstände - viele sind abgestellt worden; Ihre Frage war deshalb gerechtfertigt - teilweise noch immer bestehen. Deshalb hat mein Haus die Spitzenverbände der Krankenkassen erneut um Sachstandsmitteilung gebeten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß?

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, es ist trotz Ihrer Klarstellung zutreffend, daß es offenkundig weiterhin Mißhelligkeiten gibt, nämlich daß schwerkranke Menschen die Übernahme der Kosten für von ihnen benötigte medizinische Hilfsmittel durch die Krankenkassen vor den Sozialgerichten einklagen müssen. Wenn es nicht anders als auf dem Klageweg möglich ist, daß die Kosten übernommen werden, ist dann eine klarstellende Gesetzesänderung vielleicht doch erwägenswert?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Weiß, wenn es wirklich nicht anders möglich wäre, würde ich Ihnen beipflichten. Aber Sie kennen den Grundsatz, daß untergesetzliche Regelungen Vorrang vor gesetzlichen Regelungen haben. Dies ist auch deshalb sinnvoll, weil nicht alle Einzelfälle gesetzlich geregelt werden können. Wir sind sehr zuversichtlich, daß bei der Versorgung von Pflegebedürftigen in Heimen weitere grundsätzliche Verbesserungen möglich sind. Daran arbeiten wir im Augenblick. Ich denke, dies ist Ihnen auch bekannt. Die Spitzenverbände der Pflegekassen sind Ende letzten Jahres gebeten worden, sich in einer Arbeitsgruppe mit den für Investitionsförderung zuständigen Ländern darauf zu verständigen, was zur Grundausstattung eines Pflegeheimes gehört. Die Arbeiten an einem Abgrenzungskatalog, in dem die Zuordnung der einzelnen Hilfsmittel geregelt ist und mit dem den bisherigen Abgrenzungsstreitigkeiten ein Ende gesetzt werden soll - dies haben Sie im Interesse der Betroffenen zu Recht gefordert -, sind kürzlich abgeschlossen worden. Dieser Abgrenzungskatalog könnte entweder über die Rahmenempfehlungen nach § 75 SGB XI oder die Vereinbarung zur Qualitätssicherung nach § 80 SGB XI verbindlichen Charakter für die Beteiligten erlangen. Die dazu not5088 wendigen Abstimmungsprozesse laufen im Augenblick noch. Die Bemühungen der Selbstverwaltung und der Länder, hier zu einer durchgreifenden und dauerhaften Problemlösung zu gelangen, werden - wie ich schon dargelegt habe - von uns auch aus den von Ihnen schon dargelegten Gründen nachdrücklich unterstützt. Wir sind zuversichtlich, daß wir über diesen Abgrenzungskatalog auf untergesetzlichem Wege zu einer eindeutigen Regelung mit eindeutigen Ansprüchen entweder gegenüber dem Heim bzw. gegenüber den in der Pflicht stehenden Ländern oder aber gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, die Bemühungen um diesen Abgrenzungskatalog sind, wenn ich es richtig sehe, anderthalb Jahre alt. Vielleicht umfassen sie auch noch größere Zeiträume. Warum wird bei einem so sensiblen Gegenstand nicht Druck gemacht, damit endlich etwas zustande kommt, was tragfähige Entscheidungen möglich macht? Warum dauert so etwas so lange?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Weiß, Sie haben zu Recht angesprochen, daß diese Bemühungen schon seit anderthalb Jahren im Gange sind. Die Vorgängerregierung hat sich erheblich bemüht, und sie hat ziemlich große Schwierigkeiten gehabt. Ihnen als ehemaligem Staatssekretär in einem Bundesland ist sicherlich bekannt, daß der besonders sensible Bereich der Investitionsförderung der Länder immer eine große Rolle spielt. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die vergeblichen Versuche der alten Bundesregierung erinnern, auf der Basis des § 83 Abs. 1 Nr. 5 SGB XI eine Abgrenzungsverordnung zu erlassen. Es ging unter anderem darum, die für den Betrieb der Pflegeeinrichtung notwendigen abschreibungsfähigen Anlagegüter aufzulisten, die als Investitionsaufwendungen nicht in der Pflegevergütung und in den Entgelten für Unterkunft und Verpflegung berücksichtigt werden können. Sie wissen, daß diese Versuche leider gescheitert sind. Ich bin der Auffassung, daß sie sehr lohnend waren. Wir als neue Bundesregierung sind erst ein Jahr im Amt. Wir haben Ende letzten Jahres eine Arbeitsgruppe einberufen. Der Abgrenzungskatalog ist fertig. Wir befinden uns in der Phase der Abstimmung. Ich habe Ihnen schon dargelegt, wo unseres Erachtens die Möglichkeit besteht, diesem Abgrenzungskatalog Verbindlichkeit zu verleihen. Wir sind wirklich einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Ich glaube, diejenigen, die sich in der Problematik auskennen, ziehen alle an einem Strang. Wir hoffen, zügig zu einem Ergebnis zu kommen. Ich bin zuversichtlich, daß uns das gelingt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, Sie räumten ein, daß es bei der Versorgung mit Hilfsmitteln Mißstände gibt. Außerdem haben Sie angekündigt, die Spitzenverbände der Kassen zu fragen, wo solche Mißstände noch vorhanden sind. Haben Sie vor, entweder eigene Befragungen bei den Betroffenen in den Einrichtungen durchzuführen oder gegebenenfalls Behindertenorganisationen zu bitten, für Sie diese Befragungen zu vorzunehmen, damit auch die Sicht der anderen Seite dargestellt wird? Es ist klar, daß die befragten Kassen ein gewisses Eigeninteresse an der Antwort haben.

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Dr. Seifert, die Bundesregierung ist nicht einäugig, wenn es darum geht, Sachverhalte abzufragen, die in ganz fundamentalem Interesse von betroffenen Menschen stehen. Sie wissen, daß wir im Deutschen Bundestag einen Petitionsausschuß haben, bei dem entsprechende Petitionen in sehr großer Zahl eingegangen sind. Einiges ist verbessert worden. Durch den Petitionsausschuß bekommen auch die Ministerien viele konkrete Einzelbeispiele. Sie können sicher sein, daß die Petitionen gelesen werden. Ich bin früher Vorsitzende des Petitionsausschusses gewesen. Mir ist sehr wichtig, daß die Petitionen gelesen werden. Ich bin froh, wenn unser Haus auf diesem Weg eine Fülle von Beispielen erhält. Darüber hinaus steht unser Haus mit allen Fachverbänden und vor allen Dingen mit den Behindertenverbänden in intensivem Austausch. Selbstverständlich ist uns daran gelegen, deren Erfahrungen zu hören. Daß diese Verbände zu unserem Haus Zugang haben, ist gängige Praxis. Die Erfahrungen dieser Verbände werden dauernd einbezogen. Aus diesem Grund haben wir festgestellt: Es bestehen noch immer einige Mißstände, obwohl es erheblich besser geworden ist. Wir müssen an der Verbesserung der Mißstände weiterarbeiten, und das tun wir auch.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Michael Meister.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben in Ihrer letzten Antwort die Vielzahl der Einzelfälle angesprochen, die auch dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages vorliegen. In der Praxis sieht es leider so aus, daß viele Krankenkassen, zumindest auf der Bearbeitungsebene, die Ansprüche der Pflegebedürftigen keineswegs in der von Ihnen beschriebenen Weise einordnen; vielmehr weisen die Krankenkassen die Einordnung der Ansprüche der Pflegebedürftigen an die Träger der Pflegeheime und der anderen Einrichtungen zurück. Wenn die einzelnen Pflegebedürftigen dagegen vorgehen wollen, dann steht ihnen nur der Rechtsweg offen. Deshalb kommt es wohl auch zu dieser Vielzahl von anhängigen Petitionen und Rechtswegeverfahren. Darf ich auf Grund Ihrer bisherigen Aussagen unterstellen, daß die Bundesregierung die seitherige Praxis, die pflegebedürftigen Menschen sozusagen auf den Rechtsweg zu verweisen, nicht akzeptiert und eine Änderung befürwortet?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege, natürlich ermöglicht es die Rechtswegegarantie den Betroffenen, sachgerecht Beschwerde zu führen und die Aufsichtsbehörden einzuschalten. Die Krankenkassen müssen den Betroffenen ja auch die Adressen nennen. Ich finde, man darf auf dieses Recht nicht verzichten. Es herrscht natürlich ein Mißstand vor, wenn verhältnismäßig viele Pflegebedürftige diesen Weg gehen müssen. Das war der Grund für die alte Regierung gewesen, sich auf einen, so wie es Ihr Kollege Weiß beschrieben hat, mühsamen Weg zu begeben. Wir haben diesen alten Weg weiterverfolgt und auf der Basis der Ergebnisse der Arbeitsgruppe noch einen neuen Weg beschritten. Wir sind sehr zuversichtlich, daß durch eine eindeutige Abgrenzung dem Pingpongspiel ein Stück weit ein Riegel vorgeschoben wird. Trotzdem kann man den Betroffenen aber nicht raten, auf ihre Möglichkeiten, sich bei den Aufsichtsbehörden zu beschweren oder den Rechtsweg einzuschlagen, zu verzichten. Das wäre falsch. Von Bundesseite aus tun wir alles, was getan werden kann. Wir erleichtern dieses durch eindeutige Abgrenzungskataloge und schaffen klare Zuständigkeiten. Der Abgrenzungskatalog ist, wie gesagt, fertig. Wir hoffen, ihn so bald wie möglich verbindlich machen zu können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zwei Zusatzfragen hat immer nur der Fragesteller. Ich war vorhin etwas großzügig. Aber pro Person darf jeweils nur eine weitere Fragen gestellt werden. Wir kommen jetzt zur Frage 31 des Kollegen Gerald Weiß: Welche dauerhafte Regelung mit Blick auf die Leistungspflicht bei Behandlungspflege in Heimen strebt die Bundesregierung nach Auslaufen der jetzt noch geltenden, aber bis Jahresende befristeten Regelung an?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Weiß, die Pflegekassen übernehmen zur Zeit im Rahmen einer Übergangsregelung bei stationärer Pflege neben den Aufwendungen für die Grundpflege und die soziale Betreuung auch die Kosten der medizinischen Behandlungspflege, allerdings nur im Rahmen der gedeckelten leistungsrechtlichen Höchstbeträge. Die Übergangsregelung - darauf stellen Sie ja mit Ihrer Frage ab - läuft am 31. Dezember 1999 aus. Das heißt, es muß für den Zeitraum ab 1. Januar 2000 eine Anschlußregelung gefunden werden. Aus sach- und ordnungspolitischen Gründen könnte daran gedacht werden, die Kostenverantwortung für die stationäre Behandlungspflege der gesetzlichen Krankenversicherung zu übertragen und damit sowohl die häusliche wie auch die stationäre Behandlungspflege bei ein und demselben Kostenträger anzubinden. Allerdings kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß der gesetzlichen Krankenversicherung bei einer vollen Übernahme der Kosten der medizinischen Behandlungspflege in Pflegeheimen erhebliche Mehrkosten auferlegt würden. Darum haben sich die Koalitionspartner darauf verständigt, die derzeitige Übergangsregelung um weitere zwei Jahre zu verlängern. Wir wollen diesen Zeitraum auch zu einer Verbesserung der Datenlage nutzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben es im Grunde angedeutet, daß man aus ordnungspolitischen Gründen anders entscheiden könnte. Wäre es in der Sache nicht richtig, wenn die Krankenkassen für medizinische Behandlungspflege zu bezahlen hätten, da sich die Übergangsregelung in der Praxis nicht bewährt hat? Schließen Sie sich dieser Bewertung an?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Weiß, ich möchte Sie bei der Beantwortung der Frage daran erinnern, welche Motive die damalige Bundesregierung bewogen haben - 1996 wurden ja erstmals Leistungen gezahlt -, diese Übergangsregelung zu treffen. Die Krankenversicherungen sind ja unstreitig durch diesen stationären Zweig der Pflegeversicherung stark entlastet worden. Man ging davon aus, daß man erproben müsse, wie diese Abgrenzung funktioniert, ohne daß es zu einer einseitigen Entlastung der Krankenversicherung bei gleichzeitiger Belastung der Pflegeversicherung kommt. Deshalb hat man diese Regelung für einen Übergangszeitraum ermöglicht. Allerdings reicht die Datenlage des bisherigen Zeitraums noch nicht aus. Die Krankenversicherung ist ja nicht etwas ganz anderes als die Pflegeversicherung, sondern beide stellen Säulen der bewährten gesetzlichen Versicherungssysteme dar. Man muß Abgrenzungen vornehmen, um beide auf Dauer zu sichern, und vorrangig das tun, was im Interesse der Betroffenen liegt. Darum haben wir uns entschlossen, diese Übergangsregelung um zwei Jahre zu verlängern. Wir haben damit keine bleibende Regelung konzipiert, sondern wir verlängern sie ausdrücklich aus dem Grund, um die Datenlage zu verbessern, und nicht etwa, weil wir sagen: Kommt Zeit, kommt Rat. Wir haben bisher keine ausreichenden Daten zur Abgrenzung von Behandlungspflege und anderer Pflege.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, Herr Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, welchen Umfang hat die Kostenlast, um die es hier geht?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Die Angaben differieren sehr stark; auch deshalb brauchen wir eine verbesserte Datenlage. Der AOK-Bundesverband geht von einer Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung bei Übernahme der Kosten von 3 Milliarden DM jährlich aus. Andere Schätzungen gehen von rund 1,5 Milliarden DM jährlich aus. Beide Berechnungen sind durch entsprechende Annahmen abgesichert. Bei einer so großen Differenz brauchen wir mehr Daten, um sachgerecht entscheiden zu können. Denn gerade in der Pflege - ich glaube, Herr Kollege, da sind wir uns einig - vertragen die Betroffenen kein kurzfristiges Hin und Her. Das muß man sorgfältig und kreuzsolide angehen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Dr. Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, wenn ich Sie richtig verstanden habe, verlängern Sie die Übergangsregelung deshalb, weil Sie vermuten, daß die Pflegeversicherung etwas mehr Geld als die gesetzliche Krankenversicherung hat. Denn sachlich und ordnungspolitisch tendieren Sie - so habe ich den Eindruck - eher dazu, daß es so wie vor der Einführung der Pflegeversicherung sein soll, nämlich daß die Krankenversicherung diese Leistungen finanziert.

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Dr. Seifert, da haben Sie mich nicht richtig verstanden, oder ich habe mich nicht ausreichend klar ausgedrückt. Wir wollen diese Übergangsregelung deshalb verlängern, weil wir der Auffassung sind, daß wir ausreichende Datentransparenz brauchen. Bisher konnten die Träger der Einrichtungen die Abgrenzung nicht mit ausreichender Klarheit auf den Tisch legen. Das ist nicht nur aus Kostengesichtspunkten, sondern auch aus generellen Gesichtspunkten wichtig. Denn wir wollen die Pflegeversicherung und auch die gesetzliche Krankenversicherung dauerhaft stabilisieren und dafür sorgen, daß die zu Pflegenden eine vernünftige und verläßliche Basis haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Dr. Meister.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, können wir davon ausgehen, daß die Bundesregierung nach der Übergangsfrist von zwei Jahren, die Sie jetzt angesprochen haben, wenn die Daten erhoben sind, eine Ungleichbehandlung von stationärer und ambulanter Versorgung nicht dauerhaft zementieren wird? Sonst würden diejenigen Pflegefälle, die in stationären Einrichtungen behandelt werden, unter Umständen durch die dortige Vorhaltung von Heilmitteln, die gesetzlich vorgeschrieben ist, zusätzlich belastet.

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege, ich bin nicht die Buchela von Bonn, die in den 50er Jahren im Kaffeesatz rührte und den Politikern sagte, was in näherer oder fernerer Zukunft passiert. In zwei Jahren kann sehr viel passieren. Ich habe dargelegt, daß wir die Übergangsfrist nicht deshalb im Rahmen der GKVStrukturreform um zwei Jahre verlängern, weil wir dann nichts tun wollen. Vielmehr wollen wir eine größere Datentransparenz. Dann wird gründlich ausgewertet. Das, was diese Auswertung vernünftig erscheinen läßt, ausdrücklich auch im Sinne der Betroffenen, werden wir dann tun. Ich kann Ihnen aber jetzt noch nicht sagen, wie das aussehen wird. Ich spekuliere auch nicht gerne; das vertragen die Betroffenen und diejenigen, die die Arbeit in den Pflegeeinrichtungen tun, nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Dann kommen wir zur Frage 32 des Kollegen Dr. Michael Meister: Sind die Krankenkassen nach der Klarstellung in der „gemeinsamen Verlautbarung“ vom 26. Mai 1998, daß die sich aus § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ergebenden Rechtsansprüche uneingeschränkt auch für die in Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten gelten, insgesamt gesehen wieder zu der Bewilligungspraxis zurückgekehrt, die vor der Einführung der stationären Leistungen der Pflegeversicherung selbstverständlich war, dahingehend, daß alle Versicherten mit Hilfsmitteln gleich zu versorgen sind, egal wo sie wohnen?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Dr. Meister, wir haben schon einiges von dem, was Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, in Zusatzfragen und Zusatzantworten angesprochen. Generell haben die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung ausdrücklich bestätigt, daß ein Anspruch auf individuelle Versorgung mit Hilfsmitteln im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung auch bei den in Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten besteht. Sie haben in Ihrer Frage ausdrücklich auf die Klarstellung hingewiesen, die wir dankenswerterweise bekommen haben. Das heißt, daß die aus § 33 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches sich ergebenen Rechtsansprüche auch uneingeschränkt für die in Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten gelten. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist die medizinische Notwendigkeit durch eine ärztliche Verordnung zu bestätigen. Ob Anspruch auf die Übernahme der Kosten eines Hilfsmittels durch die gesetzliche Krankenversicherung besteht, entscheiden die Krankenkassen nach Prüfung der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalles. So sieht es auch § 33 SGB V vor. Die Spitzenverbände der Kranken- und Pflegekassen stimmen darin überein, daß bestimmte Hilfsmittel, die zu den notwendigen allgemeinen Ausstattungen der Pflegeheime gerechnet werden, nicht zur Leistungspflicht der Krankenkassen gehören. Dazu zählen - diesen Punkt hat Ihr Kollege Weiß eben angesprochen beispielsweise Rollstühle, die nicht individuell angepaßt werden und die dazu benötigt werden, um zu Pflegende ins Bad zu fahren. Dies gehört zur allgemeinen Infrastruktur und hat nichts mit Hilfsmitteln im Einzelfall zu tun. Anders verhält es sich natürlich, wenn es um einen maßgeschneiderten Rollstuhl geht. Dieser gehört nach § 33 SGB V ohne jeden Zweifel zu den Hilfsmitteln, die die gesetzlichen Krankenversicherungen zahlen müssen. Gegen die Entscheidung der Krankenkassen kann Widerspruch eingelegt werden. Darüber hinaus können die Entscheidungen der Krankenkassen von der zuständigen Aufsichtsbehörde überprüft werden. Wenn die Versicherten eine solche Überprüfung vornehmen lassen wollen, muß ihnen die Krankenkasse die Anschrift der jeweiligen Aufsichtsbehörde mitteilen. Unser Ministerium kann darauf zwar keinen Einfluß nehmen; wir tun aber das uns Mögliche. Ich habe eben schon dargelegt, daß wir in der Arbeitsgruppe den Abgrenzungskatalog erarbeitet haben und nun versuchen, ihn verbindlich einzusetzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Meister.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich habe eine Nachfrage. Sie haben sowohl in Ihrer Antwort auf die letzte Frage als auch in den Antworten auf die Fragen des Kollegen Weiß Ihre Gespräche mit den Spitzenverbänden der Kassen angesprochen. Wird von der Bundesregierung verfolgt, inwieweit die Ergebnisse der Spitzengespräche in die Praxis der Kassen umgesetzt werden? Wenn dies nicht der Fall ist: Wird von seiten der Bundesregierung versucht - ich habe in meiner Zusatzfrage diesen Fall schon angesprochen -, im Einzelfall im Sinne der Betroffenen Druck auszuüben, damit in der täglichen Praxis diese Vereinbarung eingehalten wird?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege, in meiner Antwort auf die Frage von Herrn Dr. Seifert habe ich schon ausgeführt, daß uns diese Einzelfälle bekannt sind. Betroffene schreiben das Ministerium an und bekommen eine vernünftige Antwort und - soweit es in unserer Kompetenz liegt - auch Hilfestellung. Die Aufsichtsgremien sind aber Ländersache; der entsprechende Rechtsweg muß beachtet werden. Soweit die Bundesregierung aber helfen kann, tut sie es. Daß diese Gespräche nicht ungehört verhallen, mögen Sie daran erkennen, daß auch die Bemühungen der Vorgängerregierung gezeigt haben, daß man durch Nachfassen und durch Abfragen eine erhöhte Sensibilität bei den Krankenkassen erzeugen kann. Man kann so einen positiven Druck im Interesse der zu Pflegenden ausüben. Es hat schon eine gewisse Bedeutung, wenn die Bundesgesundheitsministerin abfragt. Obwohl die Situation schon erheblich besser geworden ist, bestehen in einigen Bereichen noch Mißstände, weshalb wir eine weitere Abfrage durchgeführt haben. Dies ist aber nicht alles. Wir haben nämlich, wie schon erwähnt, den Abgrenzungskatalog festgelegt. Wenn er eindeutig verbindlich festgelegt ist, dann wird die Situation für die Betroffenen viel einfacher werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich habe eine Frage zu dem wiederholt von Ihnen erwähnten Abgrenzungskatalog, der in einer Arbeitsgruppe erarbeitet worden ist: Ist dieser Abgrenzungskatalog im Konsens zwischen Heimträgern auf der einen Seite und den Kassen auf der anderen Seite geschaffen worden? Andersherum gefragt: Waren die Heimträger in dem Arbeitskreis bei der Erarbeitung vertreten?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Die Träger waren daran beteiligt. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen zur genauen Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe eine schriftliche Mitteilung zukommen lassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Damit kommen wir zur Frage 33 der Kollegin Gudrun Kopp: In welcher Art und mit welchen konkreten Haushaltsansätzen plant die Bundesregierung die Finanzierung eines neutralen Patientenberatungsnetzwerks? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Frau Kollegin Kopp, die Bundesregierung hat sich in ihrer Koalititionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 auch für eine Stärkung der Patienten- und Patientinnenrechte und des Patientenschutzes sowie für eine Verbesserung der Verbraucherberatung ausgesprochen. Zur Umsetzung dieses Punktes des Koalitionsvertrages hat die Bundesregierung im Rahmen ihres Entwurfes eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 vom 23. Juni 1999 auch Verbesserungen der Beratung der Versicherten durch folgende neue Vorschriften des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches vorgeschlagen: Erstens. Die Krankenkassen sollen danach künftig in § 66 Sozialgesetzbuch V verpflichtet werden, die Versicherten bei der Verfolgung von Behandlungsfehleransprüchen, die nicht auf die Krankenkassen übergeleitet worden sind, das heißt vor allen Dingen von Ansprüchen auf Schmerzensgeld, zu unterstützen. Das Nähere hierzu ist in den Satzungen der Krankenkassen zu regeln. Zu der Unterstützung des Patienten oder der Patientin durch die Krankenkasse gehört selbstverständlich eine eingehende Beratung. Zweitens sieht der Gesetzentwurf darüber hinaus einen neuen § 65 b Sozialgesetzbuch V vor, in dem eine Förderung von Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung durch die Krankenkasse im Wege von Modellvorhaben festgeschrieben werden soll. Die Förderungsfähigkeit dieser Einrichtung soll den Nachweis über ihre Neutralität und Unabhängigkeit voraussetzen. - Neutralität und Unabhängigkeit der Verbraucherberatungen waren ein Bestandteil Ihrer Frage. Eine dritte Verbesserung im Rahmen der Novelle zur GKV-Gesundheitsreform 2000 soll das Recht der Versicherten umfassen, sich im Rahmen bestimmter Beratungsfelder unmittelbar vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen beraten zu lassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Frau Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich möchte gerne präziser wissen, was Sie unter einer „unabhängigen Patientenberatung“ verstehen. Ist Ihnen beispielsweise das Bremer Modell bekannt, bei dem sich vier Institutionen zusammengeschlossen haben, nämlich die Ärztekammer, die Gesundheitssenatorin, die Krankenhausgesellschaft und die örtlichen Krankenkassen?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Frau Kollegin Kopp, uns ist dieses Modell bekannt. Die gerade von mir skizzierten Ansätze in dem neuen Gesetzentwurf, den wir gerade erarbeiten, sind ein erster Schritt. Das ist natürlich nicht alles, aber es ist ein wichtiger Schritt. Wir freuen uns, wenn wir das durchsetzen können. Wir haben über den von uns vorgelegten Gesetzentwurf zur Gesundheitsstrukturreform hinaus mit den von mir genannten Elementen, die in diese Richtung gehen, weitere Verbesserungen geplant. Wir beziehen da auch die Erfahrungen ein, die in den verschiedenen Bundesländern in vielfältiger Weise vor Ort gemacht werden. In dem Zusammenhang denkt unser Haus an mögliche Verbesserungen der Patienteninformation, der Patientenbeteiligung sowie der Patientenrechte. Im Rahmen einer verbesserten Information des Patienten wird es auch um die Verbesserung seiner Beratung im Einzelfall gehen. Weil die Zuständigkeiten für solche weiteren Verbesserungen des Patientenschutzes und der Patientenrechte in dem vielfältig gegliederten System der gesundheitlichen Versorgung ganz unterschiedlich verteilt sind, wie Sie es gerade schon angedeutet haben, bereitet unser Haus gegenwärtig die Einsetzung einer Bund-LänderArbeitsgruppe vor, welche die Erfahrungen einbeziehen und die unterschiedlichsten Vorschläge prüfen und aufbereiten soll. An dieser Arbeitsgruppe, die wir im Oktober dieses Jahres, also im nächsten Monat, einrichten wollen, werden unter der Leitung des Bundesgesundheitsministeriums Vertreter der anderen zuständigen Ressorts, der obersten Landesgesundheitsbehörden, der Krankenkassen, der Ärzteschaft und natürlich nicht zuletzt, Herr Dr. Seifert, von Patientenorganisationen teilnehmen. Bei den Beratungen dieser Arbeitsgruppe wird dann auch zu prüfen sein, wie die unterschiedlichen Beratungsmöglichkeiten verstärkt und untereinander vernetzt werden können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, Frau Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich bitte Sie, noch auf die Kostensituation Bezug zu nehmen. Auch danach habe ich gefragt. Wenn Sie eine unabhängige Patientenberatung ins Leben rufen wollen, dann verursacht das Kosten. In welchem Umfang haben Sie diese eingeplant, und wie wollen Sie sie darstellen? Denn wir wollen keine weitere Erhöhung der Lohnnebenkosten verursachen. Siedeln Sie eine Patientenberatung eher bei Verbraucherzentralen an, wobei das Problem bestünde, daß völlig neue Strukturen geschaffen werden müßten, wahrscheinlich verbunden mit sehr hohen Kosten?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Frau Kollegin, ich habe schon bei der Beantwortung Ihrer Eingangsfrage dargestellt, daß wir solche Möglichkeiten im Rahmen der Gesundheitsstrukturreform im Wege von Modellvorhaben, die nach § 65 b Sozialgesetzbuch V eingeführt werden sollen, erproben lassen wollen. Alle Erfahrungen von Selbsthilfeorganisationen - wir konnten auf Grund dieser Erfahrungen auch die Soziotherapie einführen - zeigen, daß Prävention oder auch Gesundheitsförderung entgegen der oft beschworenen Meinung, daß diese kostensteigernd sei, kostendämpfend ist und der Gesundheit dient, wenn sie nach Qualitätskriterien erfolgt. Indem wir das im Wege von Modellvorhaben ermöglichen, glauben wir, daß wir hier einen Schritt in die richtige Richtung gehen, ohne Kosten und bestimmte Muster im Vorfeld festzuschreiben. Ich glaube, das ist ein ganz guter Ansatz. Die Kostenfrage war heiß umstritten; das wissen Sie. Sie hat auch bei den Themen Prävention und Förderung der Selbsthilfe eine Rolle gespielt. Da haben wir, glaube ich, mit der Regelung einen ganz guten Weg gefunden. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß wir darüber hinaus im Rahmen von bestehenden Initiativen beim Einsatz elektronischer Informationstechnologien bereits unter der Vorgängerregierung sehr viel getan haben, um die konzeptionellen Rahmenbedingungen für die Nutzung von elektronischen Kommunikations- und Informationssystemen zu verbessern, gerade auch für die Betroffenen, für die Selbsthilfeorganisationen. Ich kann Ihnen ankündigen, daß wir dazu, anknüpfend an das, was jetzt schon besteht, für den 9. November 1999 in Bonn einen Initiativkongreß planen, auf dem die Bildung eines offenen Aktionsforums angestoßen werden soll, mit dem Ziel, eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Informationssysteme, die wir schon haben, hin zu einem modellhaften Gesundheitsinformationssystem in Gang zu setzen. Es ist nicht so, daß wir bei Null anfangen. Es gibt eine Menge Vorarbeit. Natürlich knüpfen wir an das, was an guten Vorarbeiten da ist, an. Ich glaube, die Tatsache, daß wir bereits im November diesen Kongreß durchführen, zeigt Ihnen, daß wir in dem einen Jahr gerade im Bereich Verbraucherberatung, Verbraucherschutz, Vernetzung sehr intensiv gearbeitet haben. Das ist auch ein großes Herzensanliegen von Frau Fischer, die diesen Bereich immer als sehr vorrangig und wichtig betrachtet hat und die Bemühungen auf diesem Gebiet als Ministerin weiter vorantreibt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Dr. Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich zunächst einmal, daß Sie in Ihrer Antwort auf die erste Nachfrage der Kollegin Kopp schon eine potentielle Frage von mir mit beantwortet haben. Daher kann ich jetzt eine andere Frage stellen, nämlich eine Verständnisfrage zu einer Bemerkung in Ihrer Eingangsantwort. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gegebenenfalls den MDK als direkten Ansprechpartner für die Patientenberatung ansehen? Wenn das der Fall ist, muß ich allerdings sagen, daß ich das nicht in Einklang bringe mit Ihrem Postulat, daß Sie eine unabhängige Beratung wollen; denn der Medizinische Dienst der Krankenkassen ist alles andere als unabhängig.

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Dr. Seifert, die Förderung und Unterstützung der Patienteninteressen und der Verbraucherinteressen ist keine Einbahnstraße, sondern ist im Prinzip ein Mosaik mit vielen verschiedenen Bausteinen. Unser Ministerium ist der Meinung, man sollte überall da, wo Sachverstand vorhanden ist und ohne Aufblähung des Apparates oder sehr bürokratische Hürden für die Betroffenen verfügbar gemacht werden kann, diesen auch zugänglich machen. Dazu gehört die Möglichkeit, auf das Wissen des MDK zurückzugreifen. Ich habe im Rahmen der Beantwortung der Frage der Kollegin drei Bausteine genannt und auch das kurz angerissen, was sonst noch an Aktivitäten läuft. Das ist keine Einbahnstraße. Ich weiß nicht, warum man den Betroffenen den Zugang zum MDK vorenthalten sollte. Ich finde das nicht gut. Ich meine, da ist ein ganz spezifischer Sachverstand vorhanden, der für die Patientinnen und Patienten sehr nützlich ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Die Fragen 34 bis einschließlich 43 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 44 bis 46 sind zurückgezogen worden. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Der Zusatzpunkt 1, die Aktuelle Stunde, ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung auf 15:35 Uhr festgelegt, so daß ich die Sitzung jetzt unterbreche und Sie bitte, um 15:35 Uhr wieder hier zu erscheinen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zur Forderung nach einer Jahrtausendamnestie Die Fraktion der F.D.P. hat diese Aktuelle Stunde verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion der F.D.P. hat unser Kollege Dr. Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn führende Repräsentanten der grünen Regierungspartei eine Jubelamnestie fordern, dann haben die Öffentlichkeit und das Parlament ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Bundesregierung dazu offiziell steht. Ich hätte mir, da es sich dabei nicht um irgendwelche nachrangigen Größen der Grünen handelt, sondern diese Repräsentanten immerhin von der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, von unserer Kollegin Frau Vollmer, und vom rechtspolitischen Sprecher, von unserem Kollegen Herrn Beck, angeführt werden, gewünscht, daß in diesem Fall auch die Justizministerin nicht nur durch ihren Pressesprecher öffentlich erklärt hätte, was sie darüber denkt, sondern daß sie auch persönlich, am besten in dieser Debatte - bei allem Respekt, Herr Professor Pick -, das Wort ergriffen hätte. Ich glaube, daß sich hier eine traurige Entwicklung fortsetzt, die wir in den letzten Jahren immer wieder feststellen konnten. ({0}) - Frau Kollegin Vollmer, da Sie mehrfach das Wort liberal dazwischenrufen, möchte ich Ihnen gerne gleich zu Beginn sagen: Nachgiebigkeit gegenüber verurteilten Straftätern ist nicht liberal, sondern gefährlich für die Liberalität unseres Landes. ({1}) Ausdruck des Rechtsstaates ist das demokratisch legitimierte staatliche Gewaltmonopol. Ohne Sicherheit gibt es für die Bürger keine Freiheit. Setzt der Staat das Gewaltmonopol nicht durch, wird der Respekt vor dem Recht ausgehöhlt, und das Rechtsbewußtsein wird dann untergraben. Schienenblockaden, zu denen die Abgeordneten der Grünen aufrufen, Entkriminalisierung des Schwarzfahrens und Straffreiheit für Ladendiebstähle, das ist die rechtsstaatliche Tradition der Grünen. Der nun von führenden Grünen vorgelegte Plan für eine Generalamnestie für bestimmte Straftäter legt die Axt an die Wurzeln des Rechtsstaates. ({2}) Die Begründung für die Amnestie, die Gefängnisse seien zu voll und die Freiheitsstrafen seien zu teuer, muß in den Ohren der Opfer wie Zynismus klingen. ({3}) Der Rechtsstaat ist in Deutschland seit Jahren einer schleichenden Erosion ausgesetzt, und die Politik trägt daran eine gehörige Portion Mitschuld. ({4}) Die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, die offizielle Haltung der Bundesregierung und der sie tragenden Regierungsparteien zu erfahren. Deswegen denken wir, es wäre richtig, wenn hier auch die Bundesregierung ihrer Aufgabe eindeutig gerecht würde und nicht parteipolitische Rücksichtnahme gegenüber ihrem grünen Koalitionspartner übte. ({5}) Mit dem Versuch, ein solches Thema niedrig zu halten, wird man der rechtsstaatlichen Verantwortung jedenfalls nicht gerecht. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion erteilt dieser sogenannten Amnestie eine Absage. Amnestie ist stets eine Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips. Die Gesetzgebung versucht dadurch, nachträglich Korrekturen an Entscheidungen der Rechtsprechung vorzunehmen. Eine solche Korrektur, egal auf welcher Ebene unserer Gesetzgebung, muß wohlabgewogen und begründet sein. ({6}) Sie mit dem Jahrtausendwechsel zu begründen entbehrt jeder rechtsstaatlichen Grundlage. ({7}) Der Aufruf zur Amnestie 2000 sieht äußerlich nach einem Schnellschuß aus. Die Details zeigen, daß er nicht durchdacht ist. Nicht die Täter müssen vor Strafe geschützt werden, sondern die Opfer vor den Tätern. Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ist die Feststellung individueller Schuld, und zwar nach einem rechtsstaatlichen Verfahren. ({8}) Eine Generalamnestie würde niemals diese individuelle Schuld berücksichtigen. ({9}) Eine pauschalierte Amnestie widerspricht fast allen Zielen unseres Strafrechts. Dieser Vorschlag der Grünen ist nichts anderes als ein pauschalierter Rückzug des Rechtsstaates aus der Strafverfolgung. ({10}) Wenn führende Repräsentanten der grünen Regierungspartei auch in dieser Debatte dies augenscheinlich für richtig halten, dann zeigt das, daß die heutige Aktuelle Stunde durchaus ihren Sinn hat. ({11}) Deutschland verfügt über ein funktionierendes Gnadenrecht. Das brauchen wir auch. Dieses Gnadenrecht der Ministerpräsidenten und des Bundespräsidenten ist das geeignete rechtsstaatliche Mittel, um unter Berücksichtigung der individuellen Schuld und der nachträglichen Einsichten Gnade vor Recht walten zu lassen. Ein Amnestiegesetz zum Jahr 2000 setzt aber nicht Gnade vor Recht, sondern Zufall vor Recht. Das kann nicht richtig sein. ({12}) Bezeichnend für diesen Beitrag der Grünen zur Rechtspolitik ist die vollkommene Außerachtlassung der Interessen und Schutzbedürfnisse der Opfer. ({13}) Wer in der Bundesrepublik eine Freiheitsstrafe verbüßt, hat entweder eine schwere Straftat begangen ({14}) oder ist, wenn wir zum Beispiel den Bereich der Kleinkriminalität betrachten, mehrfacher Wiederholungstäter. ({15}) Wenn wir von Straftaten bzw. von zu Freiheitsstrafen Verurteilten sprechen, meinen wir nicht irgendwelche Kavaliersdelikte bzw. Schwarzfahrer, sondern diejenigen, die mehrfach vorbestraft sind oder eine schwere kapitale Straftat begangen haben. Deswegen bekommen sie eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung. ({16}) Es ist ein Fehler, daß Sie von den Grünen die Opfer gefährden, indem Sie pauschal und ruck, zuck alle Täter wieder auf die Öffentlichkeit loslassen wollen. Das ist nicht sinnvoll. ({17})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Westerwelle, kommen Sie bitte zum Schluß.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das war es. Ich danke Ihnen sehr. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Herr Parlamentarische Staatssekretär Eckhart Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, ich denke, es ist Ausdruck des Respekts vor der Meinung einzelner Bundestagsabgeordneter, daß sich die Bundesregierung nicht immer veranlaßt fühlt, zu einzelnen Vorschlägen Stellung zu nehmen. Da wir dies heute aber im Rahmen dieser Aktuellen Stunde tun müssen, werde ich die Auffassung der Bundesregierung hier sehr deutlich zum Ausdruck bringen. Heute haben wir eine andere Situation, als es etwa früher zu Zeiten des Absolutismus der Fall war, als der König oder der Fürst Großmut in Form einer Amnestie hat walten lassen. Das ist sicher richtig. Schon in der Weimarer Reichsverfassung sind dieser früher unbegrenzten Macht dadurch Zügel angelegt worden, daß für eine Amnestie eine Gesetzesform verlangt wurde. Für die rechtsstaatlich verfaßte Bundesrepublik bestehen im Hinblick auf Amnestien noch engere Grenzen. Der Rechtsstaat kann nach unserem heutigen Verständnis nur verwirklicht und von den Bürgern als solcher auch anerkannt werden, wenn sichergestellt ist, daß Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden. Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten, umfaßt deshalb auch die Pflicht, die Durchführung eingeleiteter Strafverfahren und die Vollstreckung rechtskräftiger Strafen sicherzustellen. Als eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht auch die Amnestie anerkannt. Ein Amnestiegesetz bedarf aber in einem Rechtsstaat stets einer besonderen Legitimation. Denn durch den Erlaß bzw. die Milderung rechtskräftig anerkannter Strafen stellt ein solches Gesetz einen Eingriff in die unabhängige Rechtspflege durch den Gesetzgeber dar. Eine Amnestie hat nach bundesdeutschem Rechtsverständnis ausnahmsweise dann ihren Platz, wenn andere rechtliche Mittel zur Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens nicht zur Verfügung stehen, nicht durchgreifen oder wenn im Zuge von Rechtsänderungen, etwa des Strafrechts, Strafen, die nach altem Recht verhängt worden waren, ermäßigt oder erlassen werden sollen. Es überrascht nicht, daß die Bundesrepublik von Amnestien bisher nur sehr sparsam Gebrauch gemacht hat. Große Bundesamnestien beinhalten nur die Straffreiheitsgesetze aus den Jahren 1949 und 1954 sowie 1968 und 1970, ({0}) und diese waren jeweils den besonderen Situationen angemessen. Die Straffreiheitsgesetze von 1949 und 1954 waren von dem Gedanken bestimmt, nach außergewöhnlichen Lebensumständen einen Schlußstrich zu ziehen. Diese Lebensumstände haben ein ganzes Volk oder zumindest große Teile davon betroffen und die Menschen derart beeinflußt, daß sie Straftaten begingen, die sie ohne diese Umstände nicht begangen hätten. Es war die Zeit des Mangels; diese Straftaten haben damals auch der Sicherung des Überlebens gedient. Die beiden anderen Straffreiheitsgesetze - von 1968 und 1970 waren Rechtskorrekturamnestien. Diese amnestierten Straftaten, die nach dem neuen Recht nicht mehr strafbar waren. Bei diesen Amnestien hat der Gedanke der Befriedung die ausschlaggebende Rolle gespielt. Neben diesen großen Amnestien gab es im Zuge von Strafrechtsänderungsgesetzen immer wieder auch kleine Amnestien. Dabei wurde der Grundgedanke des § 2 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs, der Richter habe das mildere Recht anzuwenden, wenn das Recht vor der Entscheidung geändert wurde, auch auf rechtskräftig verhängte, aber noch nicht vollstreckte Strafen ausgedehnt. In diesen Rahmen paßt eine Amnestie aus Anlaß des Jahrtausendwechsels nicht hinein. ({1}) Die Feier eines Jubiläums, eines wiederkehrenden Gedenktages oder ähnliches vermag nach bundesdeutschem Rechtsverständnis gerade keine Amnestie zu tragen. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zur Praxis Preußens im Kaiserreich oder auch zur Praxis der DDR. Auf Grund unterschiedlicher nationaler Rechtskulturen ist auch die Amnestiepraxis anderer Länder nicht einfach auf unsere Staatspraxis zu übertragen. ({2}) Daneben besteht aber auch ein weiterer Grund für Zurückhaltung bei der Amnestierung von Strafgefangenen: Unser modernes Strafrecht und unser Strafverfahrensrecht geben den Strafverfolgungsbehörden ein umfassendes Instrumentarium an die Hand, dem einzelnen Fall gerecht zu werden. Das fängt mit den Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft an und setzt sich in einer breiten Palette fort, bis zur Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung nach §§ 57, 57a des Strafgesetzbuchs. Mir scheint, daß damit der Gerechtigkeit mehr gedient ist als mit einer Amnestie, die sich als generelle Regelung - bei allem Bemühen um eine Ausdifferenzierung - auf einzelne Verurteilte sicherlich auch ungerecht auswirken könnte. ({3}) Auch angesichts der maßvollen Strafzumessungspraxis bundesdeutscher Gerichte ist ein Grund für eine breite Amnestierung von zu Freiheitsstrafen Verurteilten nicht zu erkennen. Nach bundesdeutscher Rechtspraxis werden Freiheitsstrafen nämlich nur als Ultima ratio verhängt. Wer daher von einem bundesdeutschen Gericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, hat die Rechtsordnung in vorwerfbarer Weise mißachtet. Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund werden Sie sicher verstehen, daß das Bundesministerium der Justiz dem Vorschlag für eine Jahrtausendamnestie ablehnend gegenübersteht. Ich bedanke mich. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Norbert Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Staat hat die Pflicht, Rechtsgüter zu schützen. Dazu stehen ihm viele Möglichkeiten zur Verfügung. Ein Mittel ist das Strafrecht. Aber das geschriebene Gesetz hat keine Wirkung, wenn es nicht durch Urteile und auch durch Strafvollstreckung umgesetzt wird. Der Täter muß wissen, wohin die Reise geht; der Dieb, der Brandstifter, der Betrüger müssen für ihre Tat einstehen. Nur so wird das Recht durchgesetzt, und nur so entsteht auch Rechtsfrieden. Deshalb ist es nicht richtig, ohne Not ein Gesetz zu erlassen, das generell und pauschal - so wie das eben vom Parlamentarischen Staatssekretär geschildert worden ist - Strafen aufhebt. Eine Amnestie widerspricht unserem System. Durch eine lasche Justiz, durch laschen Strafvollzug, ({0}) durch die Diskussion um eine Entkriminalisierung gewisser Tatbestände und - ich reihe das hier ein - auch durch eine Amnestie wird die Wirkung des Strafrechtes unterlaufen. Am Ende verliert die Bevölkerung das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates. ({1}) Insbesondere aber sind die Opfer betroffen. Sie müssen erleben, daß ihre Peiniger straflos und frei davonkommen. Es gibt wichtige Persönlichkeiten in unserem Land, die vor einer solchen Amnestie warnen. Generalstaatsanwalt Schaefgen, der insbesondere das SED-Unrecht verfolgt hat, sagt, daß die Opfer einen legitimen Anspruch auf Sühne haben und daß dies der Staat im Rahmen seiner Möglichkeiten auch gewährleisten muß. Jutta Limbach, die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, sagt, daß jedes Straffreiheits- oder Strafbefreiungsgesetz letztendlich die Erklärung einer staatlich verordneten Teilnahmslosigkeit gegenüber den Opfern ist. Steffen Heitmann sagt, daß ein solches Straffreiheitsgesetz mit Blick auf das SED-Unrecht eine erneute Diffamierung der Opfer darstellen würde. Ich schließe mich dem an. Wie verhalten sich die Täter? Ist zu erwarten, daß sie staatstreue Bürger werden, oder ist es nicht vielmehr so, daß beispielsweise ein Dieb die Straffreiheit natürlich gern mitnimmt, aber bei nächster Gelegenheit wieder straffällig wird? Wie ist es denn bei den Terroristen gewesen? Sie waren nicht einsichtig. Wir haben auch nicht den Eindruck, daß viele Täter im Bereich des SEDUnrechts einsichtig sind; oft haben wir den Eindruck, daß man hier auf Beton trifft. Die Grünen verweisen auf den christlichen Gedanken der Versöhnung zwischen Täter und Opfer. Das macht sich ja gut und ist eigentlich ein vernünftiger Gedanke. Aber eine solche Versöhnung kann nicht von Staats wegen verordnet werden. Vielmehr muß sie freiwillig erfolgen. Der Staat kann nicht befehlen, daß sich das Opfer mit seinem Peiniger versöhnt. Das schafft im Grunde nur neuen Unfrieden. Eine Amnestie hilft deshalb dem Täter, nicht aber dem Opfer; sie hilft auch nicht dem Staat und dient nicht der Befriedung. Deshalb haben wir in den zurückliegenden Jahren der Versuch ist ja oft genug unternommen worden - eine Amnestie im Bereich des SED-Unrechts abgelehnt. Das ging quer durch alle Parteien. Es gab ja den Versuch dazu am Anfang, 1990. Es wäre denkbar gewesen - das haben wir vorhin von dem Herrn Staatssekretär gehört -, bei einer solchen Gelegenheit - nicht, weil wir über die Wiedervereinigung gejubelt hätten, sondern weil man den Versuch hätte unternehmen können, einen Ausgleich zwischen Taten im Osten und Taten im Westen herzustellen - so etwas zu machen. Aber wir sind damals davon abgekommen, und zwar mit Blick auf das Unrecht, das vielen Bürgerinnen und Bürgern drüben geschehen ist und das einem ordentlichen Strafverfahren unterzogen werden sollte. Das war oft genug mühsam. Es ist ja schwierig, in einem Strafprozeß die Wahrheit an das Licht zu bringen und damit das Unrecht zu markieren. Wir haben uns für diesen Weg entschieden, und ich bin der Meinung - wie mühsam es gewesen ist, und wie unbefriedigend es im Einzelfall auch gewesen sein mag -, daß dieser Weg richtig gewesen ist. Das gilt auch für alle anderen Straftaten. Eine solche Jubelamnestie - wir unterscheiden ja mehrere Formen von Amnestie - lehnen wir ab. Wir meinen, daß wir uns in dieser Frage nicht nach anderen Staaten zu richten haben. Manche Staaten kommen mit solchen Amnestiegesetzen ganz gut zurecht. England ist schon immer ({2}) ohne ein solches Amnestiegesetz zurechtgekommen, und auch wir kommen, wie ich meine, gut zurecht, ohne daß wir allzusehr von dem Instrument der Amnestie Gebrauch machen. Das kann in bestimmten historischen Situationen richtig sein. Aber ganz gewiß ist die Jahrtausendwende dazu ein ungeeigneter Zeitpunkt. Danke schön. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Volker Beck. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Ihnen, Herr Westerwelle: Ich glaube, Herr Hirsch und Herr Baum hätten sich heute angesichts dessen, was Sie hier heute aufgeführt haben, für die F.D.P. geschämt. ({0}) Gemeinsam haben wir, einige Innenpolitiker der Grünen, eine maßvolle Amnestie zur Jahrtausendwende und zum Jubiläum von 50 Jahren Demokratie vorgeschlagen. Wir können uns vorstellen, daß unter bestimmten Voraussetzungen rechtskräftig verhängte und noch nicht vollstreckte kürzere Freiheitsstrafen und Reststrafen erlassen werden, wenn sichergestellt ist, daß von den Verurteilten keine Bedrohung mehr für die Gesellschaft ausgeht. Die Strafvollstreckungsbehörde soll die Amnestie nur für solche Straftäter gewähren, bei denen feststeht, daß sie in Zukunft das Recht auf Leben, sexuelle Selbstbestimmung, Gesundheit und die Menschenwürde anderer nicht verletzen. Der Widerhall unseres Vorschlags zeigt: Wir haben offensichtlich an einem Tabu gerüttelt. Was wurde uns nicht alles entgegengehalten: Die Grünen würden Straftaten bagatellisieren oder sogar - wie der Kollege Rüttgers, der heute gar nicht da ist, meint - den Rechtsstaat gezielt schädigen. Meine Damen und Herren, wie können Sie sich über andere Länder so arrogant erheben? Woher nehmen Sie eigentlich den Hochmut, einem Land wie Frankreich, das schon länger ein Rechtsstaat ist, als diese Republik überhaupt besteht, zu unterstellen, es würde rechtsstaatunwürdig handeln, nur weil es in aller Regelmäßigkeit Amnestien erläßt? ({1}) Herr Kollege Westerwelle, werfen Sie dem österreichischen Justizminister allen Ernstes vor, er sei irregeleitet und wolle sein Land mutwillig schwächen, wie Sie uns das vorwerfen? ({2}) Über den Amnestiegedanken kann man sicherlich streiten. Das wollen wir auch, aber sachlich. Also bleiben Sie bitte auf dem Teppich! Unser Vorschlag ist kein Beschluß der Koalition, es ist kein Beschluß der Fraktion. Es ist eine Initiative von mehreren Abgeordneten, die eine Frage gemeinsam mit der Gesellschaft debattieren wollen. Warum sollte eine solche Diskussion nicht erlaubt sein? „Gnade vor Recht oder gnadenlos gerecht?“, so überschrieb Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ seinen Kommentar zu unserer Initiative. Er warf die Frage auf, ob eine maßvolle Amnestie als kollektiver Gnadenakt in unserem Land tatsächlich so abwegig wäre. Der ehemalige Oberstaatsanwalt Prantl kommt zu dem Ergebnis - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -: Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern ist die Haftdauer in Deutschland relativ lang. Von einer besonderen Milde der deutschen Justiz kann entgegen landläufiger Meinung nicht die Rede sein. Und: Entlastung durch eine kleine Amnestie könnte ein Beitrag sein, um die Summen für den Ausbau der Gefängnisse in den nächsten Jahren in Grenzen zu halten. Wir, Herr Westerwelle, wollen keine Klientelamnestie, wie es von Ihnen, von der F.D.P., bereits ein um das andere Mal gefordert wurde. ({3}) Ich erinnere nur an Ihren kläglich gescheiterten Gesetzentwurf aus dem Jahre 1984. Da wollten Sie allen Ernstes Straffreiheit in eigener Sache. Sie wollten Straferlaß im Zusammenhang mit der Parteispendenaffäre, die vor allem auch eine F.D.P.-Affäre war. ({4}) Oder der ebenso gescheiterte Versuch, 1990 eine Amnestie für politische Straftäter aus der DDR zu erreichen. Nein, Herr Kollege Westerwelle, wer wie Ihre Partei Gnade immer nur für eine ausgesuchte Klientel - Ihre Klientel - will, der sollte sich in dieser Amnestiediskussion etwas mehr zurückhalten. ({5}) Gnade und Verzeihen fußen auf dem christlichen Versöhnungsgedanken. Sie sind unserem Rechtssystem auch nicht fremd: So haben wir Gnadenordnungen der Länder und das Gnadenrecht des Bundespräsidenten. Da wird jeder Einzelfall eingehend geprüft. Und genau dies müßten auch die Strafvollstreckungsbehörden bei der von uns vorgeschlagenen Amnestie tun. Zu Ihnen, Herr Geis: Keiner der begnadigten Terroristen ist rückfällig, ist straffällig geworden. Gnade kann auch Rechtsfrieden auf Dauer herstellen und Menschen eine zweite Chance geben. Trotz stagnierender Kriminalität steigt die Zahl der Gefangenen bei uns kontinuierlich an, da die Justiz die Strafzumessungsmaßstäbe verschärft hat. Die Folge: Die Resozialisierung bleibt im Strafvollzug auf der Strecke, und steigende Kosten für den Gefängnisbau fressen die Mittel für die Opferhilfe auf. Ein einmaliger Gnadenakt durch eine maßvolle Amnestie könnte hier für Entlastung sorgen. Langfristig wollen wir Alternativen zur Freiheits- und Geldstrafe stärken, beispielsweise durch gemeinnützige Arbeit als selbständige Sanktion. Diese notwendige Reform und die Verbesserung der Situation der Opferhilfe haben in den letzten Jahren nicht wir, sondern Generationen von F.D.P.-Justizministern, liberale Lichtgestalten wie Herr Schmidt-Jortzig, versäumt. Denen haben Sie in Ihrer Rede bescheinigt, die Schlußbilanz der F.D.P.-Rechtspolitik in den letzten Jahren sei die Erosion des Rechtsstaats. ({6}) Da haben Sie sich selbst richtigerweise ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDSFraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man darüber nachdenkt, warum die F.D.P. ausgerechnet heute diese Aktuelle Stunde beantragt hat, muß man keine besondere Weisheit an den Tag legen, um das mit zwei Worten beschreiben zu können: Berliner Wahlkampf. ({0}) Ich glaube, das ist der eigentliche Hintergrund für die Tonlage, die heute hier angeschlagen worden ist. Nun halte ich das nicht für illegitim. Ich weiß, wie oft von hier vorn Wahlkampf geführt wird. Ich muß ehrlich sagen: Beim Nachdenken darüber, warum der Vorschlag von den Grünen in dieser personellen Zusammensetzung zu diesem Zeitpunkt gekommen ist, liegt auch die Vermutung „Wahlkampf“ nicht allzu fern. Ich will dazu nur ein Argument nennen. Ich halte dieses Thema nicht für wahlkampffähig. ({1}) Ich glaube, daß man gerade bei Wahlkämpfen ein so sensibles Thema nur schlecht behandeln kann und ihm daher eher Schaden zufügt. ({2}) Man muß bei den Bürgerinnen und Bürgern um Verständnis für solche Gedanken werben, und man muß eine solche Debatte sachlich und öffentlich führen. Dazu braucht man längere Vorläufe. Meine Fraktion und ich haben eine Menge Erfahrung damit gesammelt, was passieren kann, wenn man den Amnestiegedanken ohne eine öffentliche Debatte und ohne Vorläufe in die Welt setzt. Wenn ich das jetzt zusammenfasse, könnte ich zu den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen bestenfalls sagen: Gute Absicht ist oftmals das Gegenteil von guter Tat. In diesem Fall bedauere ich das außerordentlich. Zu den Kollegen von der F.D.P. möchte ich sagen: Wenn ich in früheren Jahren - es ist immer schlecht, wenn ein 68er von früher spricht - einen solchen Vorschlag gehört hätte, hätte ich blind auf F.D.P. getippt. Das verbietet sich heute. ({3}) Kollege Westerwelle, ich habe Ihre Rede verfolgt. Sie hatte den Tenor: Das Abendland ist ob des sehr eingeschränkten - ich will nicht sagen: beschränkten - Vorschlags der Grünen-Kollegen in Gefahr. Ich will Ihnen prognostizieren: Sie schneiden sich, wenn Sie sich als Law-and-order-Partei profilieren wollen, ins eigene Fleisch. ({4}) Nutznießer werden ganz andere sein, zum Beispiel die Kollegen von der CDU. Schauen Sie sich doch die Plakate im Berliner Wahlkampf an. Dort werben die Kollegen von der CDU mit dem Spruch „Null Toleranz für Kriminelle“, daneben sind Handschellen zu sehen. Es geht überhaupt nicht darum, Kriminellen Toleranz entgegenzubringen, sondern es geht darum, ein sachliches Klima zu schaffen und Debatten darüber zu führen, wie die Kriminalität am besten bekämpft werden kann, ({5}) wie man auch Kriminellen Versöhnung entgegenbringt und Rechtsstaatlichkeit durchsetzt. Dabei dürfen soziale Komponenten nicht ausgeklammert werden. Ich weiß nicht, ob es den Kollegen von der CDU nicht aufgefallen ist, daß das Thema der Kriminalität in Wahlkämpfen mit dem plakativen Herausstellen von Handschellen nur von drei politischen Kräften angepackt wird: von der CDU, der DVU und den Republikanern. ({6}) Volker Beck ({7}) In dieser Art und Weise mit dem Thema umzugehen, das schafft den rechten Sumpf, aus dem die Wahlerfolge der DVU hervorgehen. Dagegen sollten wir uns gemeinsam wehren. ({8}) Herr Westerwelle, eigentlich sind Sie eine rheinische Frohnatur, wenn ich das so sagen darf. Sie sollten sich nicht in diesem Ton und in dieser Art und Weise einbringen. Das schadet Ihrer Partei mehr, als es ihr nützt. ({9}) Aus meiner Sicht müssen die Ängste der Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität ernst genommen werden. Ich glaube nicht, daß eine Amnestie, die in anderen europäischen Ländern normal ist, Kriminalität fördert oder daß durch eine Amnestie die Gefahr der Kriminalität zunimmt. Aber das Gefühl der Unsicherheit belastet viele Bürgerinnen und Bürger. Wir sollten ihnen in ihrer Not und ihrer Unsicherheit durch vernünftige Debatten und durch eine vernünftige Argumentation helfen. Ich will einen letzten Gedanken nennen. Ich finde den Vorschlag, dies an die Jahrtausendwende zu koppeln, nicht besonders überlegt; das ist mir zu sehr von oben, zu sehr nach Gutsherrenart. Ich wäre für ein vernünftiges, sachliches Amnestiegesetz. Im Rahmen eines solchen Amnestiegesetzes muß auch Raum für einen sinnvollen Umgang mit politisch motivierten Straftaten und mit politischer Verfolgung geschaffen werden, die es in West wie in Ost gegeben hat, muß auch über Versöhnung und Aussöhnung nachgedacht werden, zumal dies mit einer abgeschlossenen Entwicklung der jeweiligen Staatlichkeit zu tun hat. Das wäre mir ein wichtiges Anliegen. Ich glaube, das sollten wir aus dieser Debatte nicht verdrängen. An einem solchen Amnestiegesetz mitzuarbeiten, wäre meiner Fraktion - auch mir persönlich - ein Bedürfnis, weil ich glaube, daß es wirklich eine Aussöhnung bewirken kann. Ich möchte auch für mich persönlich sagen: Ich bin Nutznießer der 68er Amnestie. Sie hat mir fünf Monate erspart. Für diese fünf Monate war ich damals außerordentlich dankbar. Es gibt verschiedene Wege, Irrungen und Wendungen im Leben jedes einzelnen, wo Amnestie etwas Hilfreiches sein kann. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker, SPD-Fraktion.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daß wir uns heute in einer Aktuellen Stunde mit der Frage einer Jahrtausendamnestie als eines allgemeinen Gnadenerweises für eine unbestimmte Zahl von rechtskräftig verhängten, noch nicht vollstreckten Freiheitsstrafen befassen, überzeugt wenig, Herr Westerwelle. Der rechtspolitische Sinn dieser Aktuellen Stunde erschließt sich mir auch nach Ihrem Redebeitrag nicht. Vielleicht ist es kein Zufall, daß gerade Ihre Fraktionskollegen aus dem Rechtsausschuß heute während dieser Aktuellen Stunde nicht anwesend sind. Rechtspolitisch kann diese Frage keine Priorität haben. Es ist vielmehr die Frage zu stellen: Haben wir vorausschauend beim Übergang in das neue Jahrtausend nicht ganz andere Probleme zu lösen und Antworten auf ganz andere gesellschaftliche Fragen in der Rechtspolitik zu geben? Eine Massenamnestie, meine Damen und Herren, paßt weder in das rechtsstaatliche Selbstverständnis unserer 50 Jahre alten Republik noch zu Theorie und Praxis unseres Strafrechtssystems und der Ausgestaltung des Strafvollzuges im Strafvollzugsgesetz, das eine der großen Errungenschaften der sozialliberalen Koalition am Ende der 70er Jahre war. Nach deutschem Recht kann eine Amnestie nur in Ausnahmefällen durch ein vom Parlament beschlossenes Gesetz gewährt werden. Solche Ausnahmefälle bedürfen eines sachlichen Grundes wie etwa einer nachträglichen Gesetzesänderung oder einer nachträglichen Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder des Bundesverfassungsgerichtes. Zweck ist dann jeweils die Herstellung von Rechtsfrieden und/oder Rechtssicherheit; so geschehen - Staatssekretär Pick hat darauf hingewiesen - mit den Straffreiheitsgesetzen 1949 und 1954 für Straftaten, die in der schweren Zeit der Kriegsund Nachkriegswirren begangen worden waren, sowie 1968 und 1970 zur Anpassung an geändertes Recht oder - wie vor kurzem - nachdem das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zum Gewaltbegriff im Rahmen des Nötigungstatbestandes geändert hatte, so daß eine ganze Reihe von Urteilen im Gnadenwege kassiert werden mußte. Ein vergleichbarer Anlaß ist meines Erachtens mit dem Datum 1. Januar 2000 nicht gegeben. Zur Rechtsdogmatik lassen Sie mich folgendes sagen. Der oberste Grundsatz unseres Strafrechts lautet: Strafe setzt Schuld voraus. Deshalb ist bei jeder einzelnen Verurteilung die subjektive Schuld des Täters festzustellen und die Sanktion im gesetzlich vorgegebenen Strafrahmen, abgestuft nach Maß und Schwere der persönlich vorwerfbaren Schuld, im Urteil festzusetzen. Dieser Grundsatz setzt sich im Strafvollzugsgesetz fort. Im Strafvollzug ist wiederum in jedem Einzelfall subjektiv zu beurteilen, ob eine vorzeitige Entlassung zu verantworten ist oder gar ein Gnadenerweis in Betracht kommt. Ich habe in meiner langjährigen Praxis immer gesagt: Ein gutes Strafurteil ist ein Urteil, in dem die Grundlagen für die Entscheidungen über Maßnahmen im Strafvollzug und danach für die Zweidrittelentscheidung oder für Halbstrafengesuche gleich mit gelegt werden. Diese Einzelfallprüfungen, die, wie ich meine, Verfassungsrang haben, sind im Interesse der Resozialisierung jedes einzelnen Verurteilten, im Interesse der Gleichbehandlung jedes einzelnen Verurteilten und im Interesse des Schutzes der Bevölkerung vor Straftaten und vor Straftätern unerläßlich. Eine Massenamnestie als „Jubelamnestie“ vermag diese Ziele meines Erachtens nicht zu gewährleisten. Wann würde die nächste erWolfgang Gehrcke folgen? Wieder in 1000 Jahren? In 10 Jahren? In 20 Jahren? Wo ist der sachliche Grund? ({0}) Noch eine Anmerkung zur praktischen Umsetzung solch einer Amnestie: Die deutsche Strafgerichtsbarkeit arbeitet seit Jahren an der Grenze - ich möchte behaupten: an der Obergrenze - ihrer Belastbarkeit. Neue, zusätzliche Belastungen sind nicht mehr verkraftbar; die Gerichte würden das nicht leisten können. Der Vorschlag einer deliktsbezogenen Teilamnestie für kürzere Freiheits- und Restfreiheitsstrafen mit einer Entscheidung der Vollzugsstelle im Einzelfall - wer soll das sein? - und der Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung - so habe ich den Vorschlag verstanden - würde eine Flut von neuen Verfahren auslösen und damit weitere Belastungen der Gerichte mit sich bringen. Die Strafvollstreckungskammern wären dafür zuständig. Die Praxis würde, glaube ich, für eine solche gesetzliche Regelung wenig Verständnis haben. Der Gesetzgeber ist daher gut beraten, diesen Weg nicht zu gehen. Für den Gedanken einer Jahrtausendamnestie würde der Satz gelten: „Wenig Recht, viel Politik!“ ({1}) Meine Damen und Herren, schauen wir deshalb lieber nach vorne! Schauen wir auf das, was im Bereich der Strafrechtspflege rechtspolitisch notwendig ist, um den Rechtsgüterschutz der Menschen in unserem Land und um den Schutz der Gesellschaft vor Straftaten und Straftätern zu gewährleisten! Ich meine damit die notwendige Reform des Sanktionensystems, die wir noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen werden, um die Verhängung von kurzfristigen Freiheitsstrafen zu verhindern, die Reform des Rechtsmittelsystems mit mehr Bürgernähe, Transparenz und Effizienz des Strafprozesses, einen verbesserten Opferschutz und Zeugenschutz im Strafprozeß, ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz, auf das wir seit Jahrzehnten warten, und die wirksamere Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Das sind große Aufgaben; an ihrer Lösung sollten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam arbeiten und uns nicht mit solchen Pseudodebatten wie heute beschäftigen. Für mich stellt sich deshalb zum Abschluß noch einmal die Frage: Welchen Sinn sollte die heutige Aktuelle Stunde haben, Herr Westerwelle? Sollte vielleicht doch richtig sein, was gestern in der „FAZ“ zu lesen war: Kopfloser Aktionismus der F.D.P. Muß sie solche Scheingefechte führen, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden? Dem habe ich nichts hinzuzufügen. ({2}) Schönen Dank. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für den Bundesrat spricht jetzt der Senator für Inneres der Stadt Berlin, Dr. Eckart Werthebach.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Harald Schmidt glaubt, daß die Grünen mit ihrem Vorschlag einer Jubiläumsamnestie etwas für ihre Stammwähler tun wollen. Das ist natürlich falsch. Ich denke aber schon, daß dieses Thema jedenfalls derzeit besser in einer Satire zu behandeln ist. Meine Damen und Herren, heute steht nicht mehr die Sicherheit vor dem Staat, sondern die Sicherheit im Staat ganz oben auf der Tagesordnung unserer Gesellschaft. Sicherheit, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung hängen heute in Deutschland und in Europa unauflöslich zusammen. Dies gilt uneingeschränkt gerade auch für den Bereich unserer Justiz. Vor diesem Hintergrund ist es mir unverständlich, wenn die Grünen anläßlich der Jahrtausendwende eine Jubiläumsamnestie für eine bestimmte Gruppe von Strafgefangenen fordern. Wir leben nicht in einer Bananenrepublik, die anläßlich des Millenniums eben einmal gönnerhaft die staatliche Macht für kurze Zeit vermindert, um hinterher wieder die Zähne der Staatsmacht zu zeigen. Deutschland ist ein in fünf Jahrzehnten gereifter Rechtsstaat, dessen Justiz und Strafvollstreckung auch sozialen Hintergründen Rechnung tragen und auf die Schuld des einzelnen abstellen. Es gibt daher nicht den geringsten Anlaß, die Gewaltenteilung zu durchbrechen und eine Fülle von gerichtlichen Entscheidungen auf willkürliche Weise außer Kraft zu setzen. Wir brauchen keine Erosion des Rechtsbewußtseins, sondern das Gegenteil: eine moralische und wertbezogene Orientierung an rechtsstaatlichen Grundprinzipien, und dazu gehört vor allem auch, daß kleinere Straftaten genauso verfolgt und geahndet werden wie große. Insoweit stimme ich Herrn Westerwelle ausdrücklich zu. ({0}) Niemals darf die Tatsache, daß ein bestimmtes Delikt massenweise begangen wird, dazu führen, daß der Staat davor zurückschreckt, eine entsprechende Anzahl von Strafverfahren durchzuführen und die Taten zu ahnden. Wenn dies geschähe, wäre das eine Ermunterung all derjenigen, die es für selbstverständlich halten, zu stehlen, fremde Sachen zu zerstören oder andere Menschen körperlich zu attackieren. ({1}) Das deutsche Strafrecht knüpft an die individuelle Schuld des Täters an und verfügt über ein überaus modernes und liberales Vollzugssystem, welches im Bereich der Rechtsfolgen eine Vielzahl von Möglichkeiten eröffnet, nicht nur die Persönlichkeitsstruktur des Täters, sondern auch die Prognose seines sozialen Verhaltens angemessen zu berücksichtigen. Dies ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich. Genauso selbstverständlich muß es jedoch in einem Rechtsstaat sein, daß über die Folgen strafbaren Tuns auch nur im Einzelfall entJoachim Stünker schieden wird. Dieser Aspekt der Generalprävention ist in den 70er Jahren und bis zum Beginn der 80er Jahre oft schmählich vernachlässigt und insbesondere von den Grünen massiv angegriffen worden. Sie haben genau deshalb jetzt eine Amnestiedebatte losgetreten, um zu verhindern, daß im Bereich des Täter-Opfer-Ausgleichs eine Verschiebung zu Lasten des Täters erfolgt. Keinesfalls kann es richtig sein, mit einer Amnestie Signale zu setzen, die das Strafen im unteren Bereich als überflüssig erscheinen läßt. Dies ist eine Rechtspolitik, die glücklicherweise von der überwiegenden Mehrheit unserer Mitbürger nicht geteilt wird; denn unsere Bürger erwarten, daß ihr Eigentum genauso wie ihre körperliche Integrität geschützt wird. ({2}) Eine Amnestie ist deshalb ein denkbar ungeeignetes Mittel, um Verbrechensbekämpfung wirksam voranzutreiben. Sie würde auf keinerlei Verständnis in unserer Bevölkerung stoßen. Mit einer Jubelamnestie wird das Opfer verhöhnt. Nur im Bereich des Täter-OpferAusgleichs kann Versöhnung, also Gnade und Verzeihen, stattfinden. Niemals kann Versöhnung jedoch zwischen Staat und Täter erfolgen, wie es die Grünen fordern. ({3}) Unser Staat spricht Recht auf der Basis der geltenden Gesetze. Durch Amnestien wird einseitig und pauschal der Täter privilegiert. Dies ist keine verantwortungsvolle Rechtspolitik. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Christian Ströbele das Wort.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte sehen, wie die Connection Werthebach/Westerwelle/Geis ({0}) gemeinsam nach Frankreich reist ({1}) und dem französischen Staatspräsidenten in einem persönlichen Gespräch klarmacht, daß das, was in Frankreich alle sieben Jahre praktiziert wird, einer „Bananenrepublik“ - so haben Sie, Herr Werthebach, es genannt würdig sei und daß dies ein Rückfall in vordemokratische Usancen sei. Ich wäre gern bei diesem Gespräch, in dem Sie dies vermitteln wollen, dabei. ({2}) Herr Westerwelle, Sie müssen sich doch darüber im klaren sein, daß Sie nur dann europäisch sein können, wenn Sie auch die Gepflogenheiten in den anderen Ländern berücksichtigen. Österreich hat zum Beispiel ein ähnliches Rechtssystem und weist eine ähnliche Rechtsentwicklung wie die Bundesrepublik Deutschland auf. Dort gibt es alle zehn Jahre nicht eine „Jubelamnestie“, wie Sie es hier diffamierend bezeichnet haben, sondern eine Jubiläumsamnestie. Anläßlich der Feierlichkeiten zur 10jährigen, 20jährigen und 30jährigen Unabhängigkeit Österreichs wurden Amnestien verkündet. Solche Amnestien gibt es auch in Italien, in Frankreich und in vielen anderen demokratisch verfaßten Ländern Europas. Es ist vorstellbar, Herr Geis - dazu liegen entsprechende Berichte bereits vor -, daß das bevorstehende christliche Jahrtausendjubiläum auch in anderen Ländern Anlaß sein könnte, eine Amnestie am 1. Januar 2000 durchzuführen. Wollen Sie diesen Ländern mit Ihrer Begründung kommen und sagen: „Wir haben aber ein viel gerechteres System; wir machen das ganz anders“? Gehen Sie doch einmal nach Frankreich! Auch in Frankreich kann man Freiheitsstrafen zur Bewährung aussetzen, kurze Freiheitsstrafen überhaupt nicht antreten müssen und in Freigang kommen. All diese Rechtsinstitute sind in Frankreich, in Italien und in Österreich genauso wie in Deutschland zu Hause. Sie wehren sich gegen unseren Versuch, eine Diskussion über ein vergessenes Rechtsinstitut, das es auch in der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat, in Gang zu bringen. In einer Rundfunksendung haben Sie dieses Rechtsinstitut mit der Aussage diffamiert, wir wollten die Schwerverbrecher auf die Bevölkerung loslassen. In Wirklichkeit sind Sie völlig neben dem Text, den wir vorgelegt haben. Wir wollen diejenigen Menschen, die kurze Freiheitsstrafen oder kurze Reststrafen zu verbüßen haben, zum 1. Januar 2000 amnestieren. Herr Werthebach, ich hätte von Ihnen als Landespolitiker erwartet, daß Sie uns einmal sagen, wie viele Menschen wegen Freiheitsstrafen zur Zeit in Berlin im Gefängnis sitzen. Herr Geis, es ist nicht so, wie Sie behauptet haben, daß in Deutschland Menschen immer nur wegen schwerer Gewalttaten im Gefängnis sitzen. ({3}) Wenn das der Fall ist, dann müssen sie schon sehr viel ausgefressen haben. Es gibt Menschen, die wegen Verletzung der Unterhaltspflicht im Gefängnis sitzen. ({4}) Es nützt weder den Opfern noch den Familien, daß Menschen wegen Straftaten wie Verkehrsdelikten, Verletzung der Unterhaltspflicht oder weil sie ihre Geldstrafen nicht bezahlen konnten im Gefängnis sitzen. ({5}) In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Strafgefangenen in den letzten Jahren von 16 000 auf 19 000 gestiegen. Man beabsichtigt eine neue Haftanstalt zu bauen. ({6}) Ein Drittel dieser neu zu verbüßenden Strafen sind Geldstrafen, die nicht bezahlt werden können und die jetzt im Gefängnis abgesessen werden müssen. Das ist in jeder Hinsicht Unsinn. Wir wollen umsteuern und versuchen, etwas anderes zu machen. ({7}) Das hier vorgetragene Argument, man müsse bei jedem Gefangenen eine unzumutbare Prüfung vornehmen, die einen ungeheuren bürokratischen Aufwand nach sich ziehe, zeigt, daß Sie offenbar schon lange nicht mehr in Gerichtssälen und schon gar nicht in Gefängnissen waren. Ich sage Ihnen, liebe Kollegen Rechtsanwälte und Juristen: Schon heute ist es so, daß bei jedem Gefangenen jedes Jahr eine solche Prüfung vorgenommen wird, nämlich dann, wenn die Frage geklärt wird, ob er in Urlaub gehen darf, ob er Besucher empfangen darf oder ob er vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Solche Prognoseentscheidungen werden sowieso gefällt, und sie sind alle gerichtlich überprüfbar. Das ist überhaupt nichts Neues. Alles, was wir wollen, ist, neue Folgerungen an diese Prognoseentscheidungen zu knüpfen. Es war das vornehmste Recht der Könige in früheren Gesellschaften und auch noch in manchen heutigen Gesellschaften, Gnade zu üben. ({8}) Dieses Recht, individuell Gnade zu gewähren, hat in Deutschland der Bundespräsident. ({9}) Das vornehmste Recht des Souveräns der Bundesrepublik Deutschland, der Bevölkerung, vertreten durch ihr Parlament, ist es, Gnade auch für viele zu gewähren, wie es früher nur Könige konnten. Wenn das Parlament jetzt einen Gnadenerlaß beschließt, mit dem man ein Zeichen setzt, dann wäre das nicht nur für die Verurteilten und ihre Familien gut, sondern auch für die Gesellschaft, weil es zeigt, daß wir großmütig liberale Signale setzen können. Es wäre auch gut für den Staat, weil er dadurch sehr viel Geld spart und, jedenfalls im Augenblick, keine neuen Haftanstalten bauen muß, und es wäre gut für die Opfer - Sie vergessen das immer wieder -, weil viele von den dann Entlassenen in die Lage versetzt werden, ein bißchen von dem Schaden, den sie angerichtet haben, durch eigene Arbeit, durch Zahlungen im Täter-Opfer-Ausgleich wiedergutzumachen. ({10}) Deshalb wollen wir einen solchen Gnadenakt. Wir diskutieren über diesen Gnadenakt mit der Evangelischen Akademie Loccum. Sie hat ein Seminar für November angekündigt. Wir kämpfen zusammen mit der Humanistischen Union, mit der Rechtsanwaltsvereinigung und mit vielen anderen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Ströbele, Sie müssen zum Schluß kommen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sind in guter Gesellschaft. Lassen Sie uns diese Debatte, die wir heute im Deutschen Bundestag geführt haben, in der Gesellschaft fortsetzen, um eine Akzeptanz in der Gesellschaft zu erreichen! Lassen Sie uns nicht mit Horrorgemälden polemisieren. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt für die F.D.P.-Fraktion der Kollege Dr. Edzard SchmidtJortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Amnestie-Aufruf der Grünen offenbart, wie ich finde, ein höchst erstaunliches Staatsverständnis, und Sie müssen sich schon gefallen lassen, daß wir das hier im Parlament zur Sprache bringen. Ich habe ohnehin den Eindruck, Sie sind sich in der Koalition - es ist ja doch ein Koalitionsthema nicht ganz einig über die Strategie, wie Sie sich zu diesem peinlichen Vorfall stellen sollen. Auf der einen Seite höre ich, man müsse das alles ganz tiefhalten, und es wird gefragt, wie die böse F.D.P. dazu komme, solch eine Lächerlichkeit hier im Parlament auch nur zur Sprache zu bringen. Auf der anderen Seite höre ich, daß Sie überzeugt zu diesem Vorschlag stehen und darüber in der Tat eine Diskussion anstoßen wollen. Offenbar kommt Ihnen diese Debatte also gelegen. Dann ist es auch gut, daß wir das Staatsverständnis analysieren, das dahintersteht. Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, sind nicht mehr irgend jemand, der für sich relativ unverbindlich Vorschläge formulieren kann, sondern Sie sind eine Regierungsfraktion. Wenn zwar nicht Ihre Fraktion als solche, aber führende Vertreter Ihrer Fraktion diese Vorschläge machen, ist das ein Thema für dieses Parlament. Ich wüßte nicht, was das Parlament sonst zu tun hätte, als die Regierung zu beobachten, zu kritisieren, zu kontrollieren und die Dinge, die dem Parlament einigermaßen komisch vorkommen, auch zur Sprache zu bringen. Soviel vorweg. ({0}) Wenn ich es richtig sehe, beweist die AmnestieInitiative mindestens in dreierlei Hinsicht - ich möchte versuchen, mich darüber ein wenig zu vergewissern und es ein wenig deutlich zu machen - ein doch recht beHans-Christian Ströbele denkliches Verhältnis zu unserem Staat, man könnte auch erschreckendes Verhältnis sagen; auf alle Fälle jedenfalls ein fragwürdiges Verhältnis. Zum einen finde ich es schon bemerkenswert, daß die Grünen ganz offensichtlich die rechtlichen Reaktionen, die deutsche Gerichte auf Straftaten gefunden haben - es geht nicht um einzelne Urteile, über die man rechten könnte, sondern ganz pauschal -, aus Gerechtigkeitsgründen für korrigierungsbedürftig halten. Ohne eine solche inhaltliche Differenz würde ja nicht einmal der schon zitierte „Gutsherr“ daherkommen und einmal getroffene Entscheidungen aufheben. Man muß dafür also Gründe haben. So weit wird man mir ja wohl folgen können. Wenn diese Gründe nicht ausreichen, um vom Rechtsstaatsverständnis her eine Amnestie zu rechtfertigen, also etwa Vorbereitung einer Befriedung der Gesellschaft, Bewältigung einer abgeschlossenen Zeit oder wie auch immer, dann frage ich mich, welche Gründe wirklich dahinterstehen. Nur daß jetzt der Kalender zufällig umspringt, kann jedenfalls kein Grund sein, den ich den Grünen, wenn ich sie ernst zu nehmen versuche, abnehmen könnte. ({1}) - Nein, ich lasse Sie jetzt nicht nach Frankreich oder Österreich ausweichen. Wir sind hier in Deutschland und haben uns mit unserem deutschen System auseinanderzusetzen. Nur darum geht es. ({2}) Es geht nur um Deutschland unter dem Grundgesetz. Ich würde Sie gerne fragen: Mißtrauen Sie denn den deutschen Gerichten? Halten Sie das, was und wie dort judiziert wird, im Grunde für falsch und ungerecht? Ich fand es dabei ganz erhellend - das hat meine Frage zu diesem Punkt eigentlich schon beantwortet -, daß der Kollege Beck deutlich gesagt hat, daß man eigentlich etwas ganz anderes wolle, nämlich die alte Diskussion über die Entkriminalisierungspolitik wieder aufwärmen, nach der Strafen durch etwas anderes ersetzt werden sollen. Das soll jetzt durch das etwas dekorativere Gewand einer Jahrhundertamnestie wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden. ({3}) Zum zweiten bedrückt mich schon, wie bedenkenlos eine Regierungsfraktion oder wenigstens wesentliche Mitglieder derselben einen Eingriff in die Abläufe der Justiz inszenieren wollen. Eine Intervention der Politik in den gerichtlichen Rechtsvollzug aus Opportunitätsgründen - wie gesagt, andere Gründe liegen ja wohl nicht vor - wollten die Deutschen nicht wiederhaben. Deswegen enthält das Grundgesetz in Art. 97 die bekannte eherne Garantie der Unabhängigkeit der Gerichte als Eckpunkt und Eckpfeiler der Rechtsstaatlichkeit. ({4}) Ich hoffe doch nicht, daß Sie diesen Eckpfeiler einreißen wollen. Wenn doch, dann wüßte ich gerne, ob das nur aus reiner Feiertagslaune, aus Millenniums-Erwartungen, oder vielleicht aus tiefergehenden grundsätzlichen Erwägungen stattfinden soll. ({5}) Schließlich zum dritten: Lieber Herr Kollege Ströbele, bei Ihrem Vorschlag spielen - ich glaube, daß Sie das erkennen, wenn Sie es einmal ganz nüchtern betrachten; Sie werden das mit Verve abstreiten - vordemokratische Vorstellungen mit. Die Initianten verstehen unseren Staat, die Bundesrepublik Deutschland unter dem Grundgesetz - nicht irgendeinen Nachbarstaat -, offenbar als eine von Natur aus übermächtige, absolutistische Hoheitsinstanz, die bei selbstgewählten Anlässen ebenso frank Huld und Wohltaten verteilen kann, wie sie zuvor Strafen und Lasten verhängt hat. Was sind denn das für Vorstellungen? Der Staat sind doch wir. Alle Regierungsmacht geht vom Volke aus und nicht von irgendwelchen politischen Opportunitätserwägungen zu bestimmten Anlässen mit sehr partikulären Interessen. Ich frage also die Grünen ganz konkret: Sind Sie sich eigentlich über diese Hintergründe - fast hätte ich gesagt: Untergründe - Ihrer Initiative im klaren? Wenn nicht Staatssekretär Pick schon mit ruhiger Stimme, aber in der Sache sehr deutlich Stellung bezogen hätte, hätte ich zum Abschluß nachgefragt: Halten Sie, lieber Herr Pick oder verehrte Frau Ministerin, hält also die Bundesregierung solche Strömungen und Provenienzen für die Regierung eines Rechtsstaates für angängig?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Schmidt-Jortzig, Sie müssen leider zum Schluß kommen.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke sehr. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Kollege Hans-Joachim Hacker, SPD-Fraktion.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Abgesehen von der allgemeinen Frage, ob anläßlich der Jahrtausendwende eine Amnestie für bestimmte Straftaten verkündet werden sollte, drängt sich für mich zwangsläufig die Frage auf, ob nicht wegen der jüngsten deutschen Vergangenheit und zur Überwindung der immer noch bestehenden Gräben in unserem Volk eine Amnestie für politische Straftäter aus dem DDR-Apparat angezeigt ist. Ich spreche das auch deswegen an, weil Herr Kollege Gehrcke diese Frage hier heute erneut thematisiert hat. Die PDS als Anwalt dieser Gruppe hat diese Frage öfDr. Edzard Schmidt-Jortzig fentlich und auch im parlamentarischen Raum in der zurückliegenden Zeit mehr als einmal aufgeworfen, zuletzt anläßlich des 50. Jahrestages des Grundgesetzes. Meine Damen und Herren, eine Amnestie ist jedoch von der überwältigenden Mehrheit des Deutschen Bundestages und von der deutschen Öffentlichkeit - zu Recht, meine ich - als ungeeigneter Beitrag zum Rechtsfrieden und zur inneren Einheit Deutschlands abgelehnt worden. Denn worum geht es bei dieser Thematik? In der DDR wurden aus politischen und ideologischen Gründen und in nicht wenigen Fällen aus reinem Machtkalkül Rechtsverletzungen staatlicherseits begangen bzw. zugelassen, die wegen des zugrunde liegenden Motivs von der SED-hörigen Justiz nicht verfolgt wurden - und dies, obwohl in fast allen Fällen auch gegen DDR-Recht verstoßen wurde. Erst nach dem politischen Umbruch, nach der deutschen Einheit und dem Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz in den neuen Ländern konnte mit der Aufarbeitung dieses Relikts der DDRGeschichte begonnen werden. Daß die erreichten Ergebnisse - das ist hier schon vermerkt worden - bei den Bürgerinnen und Bürgern und vor allen Dingen bei den Opfern nicht generell auf Zustimmung gestoßen sind und nicht befriedigen konnten, steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber bedenken wir: Auch darin unterscheiden sich rechtsstaatliche Verfahren in Deutschland von politischen Strafprozessen, ob in Waldheim oder in anderen Strafprozessen bis in die letzten Monate der DDR unter der SED-Herrschaft. Meine Damen und Herren, von den Rechtfertigern der Unrechtstaten im DDR-System wird für die juristische Aufarbeitung von DDR-Unrecht der in der Nachkriegszeit aufgekommene Begriff der Siegerjustiz verwendet. Schon der geschichtliche Bezug ist mehr als fragwürdig. Dazu kommt, daß die Ergebnisse der Strafverfahren zum DDR-Unrecht einen, so meine ich, überzeugenden Beweis dafür liefern, daß die Rechte der Angeklagten gewahrt und daß rechtsstaatliche Prozesse durchgeführt wurden. Die strafrechtliche Auseinandersetzung mit den Unrechtstaten während der DDR-Zeit, die schlechthin als Regierungskriminalität bezeichnet werden, war und ist unabdingbar. Der Rechtsstaat war dazu nicht nur gegenüber den Opfern verpflichtet; vielmehr hat er damit auch eine geschichtliche Lehre umgesetzt, die darin besteht, daß es sich nicht lohnen darf, politisches Unrecht zu begehen, weil am Ende Gerechtigkeit siegt und Täter zur Verantwortung gezogen werden. Wer Demokratie schützen und verhindern will, daß sich ähnliche Entwicklungen wiederholen, muß nach dem Zusammenbruch der DDR auch die Auseinandersetzung mit dem Unrecht dieses Regimes suchen. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition sind dabei nicht auf einem Rachefeldzug, sondern sie überlassen diesen Prozeß der unabhängigen Justiz. Gleichzeitig sagen wir, daß wir für die Opfer der Diktatur in der SBZ und in der DDR endlich Gerechtigkeit schaffen müssen und die offensichtlichen Defizite in den Rehabilitierungsgesetzen, die an dieser Stelle mehrfach erwähnt worden sind, endlich beseitigen müssen. Dazu hat die Bundesregierung Initiativen ergriffen. Ich hoffe, daß wir noch in diesem Jahre das Gesetzgebungsverfahren abschließen können. Um es auf den Punkt zu bringen: In Deutschland, insbesondere in den neuen Ländern, gibt es weder einen sachlichen noch einen zeitlichen Ansatzpunkt dafür, eine Amnestie für politische Straftäter zu erlassen. Eine Amnestie würde einen nicht zu verantwortenden Schlußstrich unter die Aufarbeitung der DDR- und der SEDGeschichte bedeuten. Dieses wäre ein falsches Signal und würde erneut Risse in der Gesellschaft vertiefen. Insofern ist die allgemeine Debatte über eine Amnestie für bestimmte Straftaten genauso überflüssig wie die Diskussion über einen Straferlaß für Täter des DDRSystems. Eine Amnestie oder eine Teilamnestie für SED-Straftäter wäre eine Verhöhnung der Opfer. Unser Augenmerk muß sich darauf richten, für die Entschädigung der Opfer einzutreten und endlich die notwendigen gesetzlichen Regelungen zu schaffen. Wir dürfen aber nicht Entlastung und Wohl der Straftäter in den Blick nehmen. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Volker Kauder.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Amnestie ist dem deutschen Rechtswesen nicht fremd. Aber sie ist in einem Rechtsstaat an enge Voraussetzungen gebunden. Der Vorschlag aus der Fraktion der Grünen mißachtet, daß man über dieses Instrument, das nur sehr spärlich eingesetzt werden darf, nicht täglich frei verfügen kann. Wie wenig man in der Fraktion der Grünen über dieses Thema nachgedacht hat, ist mir durch Zwischenrufe und Äußerungen gerade in dieser Debatte deutlich geworden. Auch Sie, sehr geschätzte Frau Kollegin Vollmer, verwenden in der Diskussion über die Amnestie ständig den Begriff der Gnade. Dabei sind Amnestie und Gnade zwei unterschiedliche Begriffe, die nichts miteinander zu tun haben und von unserem Rechtssystem klar unterschieden werden. Das sollten Sie eigentlich wissen. ({0}) Das Gnadenrecht, das wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, ist eine ganz systematische und logische Fortsetzung der Einzelfallgerechtigkeit durch die Rechtsprechung. Hier wird in einem Einzelfall geprüft, ob sich vielleicht noch Gründe ergeben, die außerhalb des eigentlichen Rechtssystems liegen, um im Ausnahmefall Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Es wird eben nicht das Recht außer Kraft gesetzt. Es heißt nämlich ausdrücklich: Gnade vor Recht. Das Entscheidende beim Gnadenrecht ist - ganz im Gegensatz zur Amnestie -, daß wie bei einem Gerichtsurteil einer die Verantwortung für eine solche Entscheidung übernimmt. Ich bin einigermaßen zufrieden, daß sich die Bundesregierung klar erklärt hat. Ihr Koalitionspartner hat aber gesagt - dieser Punkt schmerzt Sie etwas, Herr Staatssekretär Professor Pick -, er befinde sich mit seinen Vorschlägen in guter Gesellschaft. Er hat Sie aber heute damit nicht gemeint, was Sie angesichts der Tatsache, daß Ihre Haltung in der Sache richtig ist, verkraften können. Richtig ist auch: Wenn wir über Amnestie reden, darf keine falsche Botschaft ins Land gehen. Genau diese falsche Botschaft geht aber von Ihrem Vorschlag aus, Herr Beck und Herr Ströbele. Ihre Botschaft, die bei den Menschen ankommt, heißt doch: Aus Anlaß eines großen Festes machen wir ausgerechnet denjenigen ein Geschenk, die dem Volk und dem einzelnen geschadet haben. Aber mit keinem Satz wird gesagt, daß wir den Opfern dieser Straftaten ein Geschenk machen müßten. ({1}) Dies ist die Verschiebung in der ganzen Diskussion. Damit haben Sie dem Thema Opferschutz und OpferTäter-Ausgleich keinen guten Dienst erwiesen. Der zweite Punkt: Sie sind es gewesen, die, zusammen mit uns allen, gesagt haben: Es gibt Bereiche der Kriminalität, in denen wir mehr machen müssen; Stichwort: Jugendkriminalität und Sexualkriminalität. In diesem Zusammenhang muß die Botschaft, daß eine Amnestie erfolgen soll, bei den Menschen falsch ankommen. Ich halte es auch für völlig überzogen, daß der Deutsche Bundestag aus Anlaß eines solchen Festes eine Gruppe herausgreift und ihr ein Geschenk macht. Wenn wir ein Geschenk machen wollen, müssen wir uns überlegen, ob wir ein Geschenk an die Bevölkerung insgesamt machen. Aber wir dürfen nicht eine Gruppe herausgreifen, die auch noch besonders problematisch ist. ({2}) Wir lehnen die Amnestie deshalb ab. Von der Amnestie, wie Sie sie vorgeschlagen haben bzw. wie ich sie verstanden habe, geht auch keinerlei Gerechtigkeit aus. Wieso soll gerade derjenige amnestiert werden, der eine Freiheitsstrafe bekommen hat, während derjenige, der mit einer Geldstrafe belegt worden ist, nicht berücksichtigt wird. Aus welchem Grund wollen Sie das so machen? Ich habe manchmal den Eindruck - dieser eine, vielleicht etwas ironisierende Punkt soll in dieser ansonsten ernsthaften Debatte doch angesprochen werden -, daß Sie bei der Amnestie der Straftäter so verfahren wie bei der Ökosteuer: Wer am meisten hat, dem wird am meisten erlassen, und derjenige, der weniger hat, kommt nicht davon. Wir können nur sagen: Es ist eine falsche Verbindung, die Sie zu knüpfen versuchen. Sie haben damit dem Gedanken einer rechtsstaatlich begründeten Amnestie keinen guten Dienst erwiesen. Sie haben im übrigen der Bevölkerung wieder einmal gezeigt: Das Thema Rechtsstaat, der Schutz vor Verbrechen ist bei Ihnen am wenigsten gut aufgehoben. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auf den Kern reduziert, lautet die zur Diskussion stehende Frage: Ist es angemessen, den Beginn des dritten Jahrtausends mit der Forderung nach übergesetzlicher Gerechtigkeit zu verbinden? Die erste Jahrtausendwende nach Christi Geburt wurde damals in ein hochdramatisches Verhältnis zu dem Wunsch nach höherer Gerechtigkeit gesetzt. Man erwartete die Wiederkunft Christi und damit nicht weniger als den Endpunkt der Geschichte, das Ende der Welt. Man erhoffte oder befürchtete - je nach Länge des Sündenregisters - den Beginn der göttlichen Herrschaft und damit ein Zeitalter himmlischer Gerechtigkeit. Der Glaube an die Magie der Zahl gehört heute der Vergangenheit an. Aber auch die vergleichsweise bescheidene Verknüpfung des anstehenden Übergangs in das nächste Jahrtausend mit der Frage eines Amnestiegesetzes erscheint aus unserer Sicht nicht angemessen. Um die Anwort der großen Regierungsfraktion gleich vorwegzunehmen: Wir sind der Meinung, daß wir kein Amnestiegesetz brauchen. Wir haben dafür gute Gründe: Erstens. Es bedarf keines Amnestiegesetzes, um dem Gesichtspunkt der Resozialisierung oder der Möglichkeit der Schadenswiedergutmachung Rechnung zu tragen. Das Sanktionensystem des geltenden Strafrechts dient nicht der blinden Vergeltung. Es ist bereits so weitgehend differenziert, daß alle Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. Im übrigen ist die Regierungskoalition dabei, das Sanktionensystem noch effektiver zu gestalten. ({0}) In der Bundesrepublik Deutschland wird eine unbedingte Freiheitsstrafe nur als Ultima ratio ausgesprochen. Unsere Rechtsprechung gibt keinen Anlaß, das Ergebnis einer individuellen gerichtlichen Überprüfung von Schuld und adäquater Sanktion im nachhinein durch ein allgemeines Gesetz aufzuheben. Unser Recht kennt als zweites die Möglichkeit der Begnadigung im Einzelfall. Dieses Gnadenrecht steht dem Bundespräsidenten und den Ministerpräsidenten der Länder zu. Es ergänzt unser ausgefeiltes Rechtssystem, ({1}) um dem Gedanken materieller Gerechtigkeit auch in den - seltenen - Fällen Rechnung zu tragen, in denen die Vollstreckung einer rechtskräftigen Verurteilung unbillig erscheint. Eine derartige Entscheidung dient der Einzelfallgerechtigkeit. Hier findet eine genaue Überprüfung der Umstände statt. Nur diese besonderen Gnadengründe rechtfertigen die Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils und die Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Tätern, deren Urteile vollstreckt werden. Ein Amnestiegesetz aus Anlaß der runden Zahl nimmt hierauf keine Rücksicht und erscheint willkürlich. ({2}) Drittens. Ich möchte nicht generell ausschließen, daß ein Amnestiegesetz einen kriminalpolitischen oder gesellschaftlichen Sinn haben kann. Dies kann zum Beispiel der Fall sein - das ist heute einige Male angesprochen worden -, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert haben oder wenn Delikte betroffen sind, die im Hinblick auf die Umstände ihrer Begehung einer vergangenen Epoche angehören, so daß zugunsten des inneren Friedens ein Schlußstrich gezogen werden soll und kann. Eine Amnestie kann den Sinn haben, gesetzlich scheinbar legitimiertes Unrecht mit dem Ziel der Rehabilitierung der Opfer nun auch gesetzlich als Unrecht zu bezeichnen. Ich denke an die Rehabilitierung der Opfer des Naziregimes, aber auch an die Rehabilitierung der Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR. Der schlichte Wechsel in das Jahr 2000 markiert jedoch weder den Übergang in eine neue geschichtliche Epoche, noch bedeutet er eine Zäsur im Sinne eines Wertewechsels. Nach dem Silvesterjubel wird nur eine Neuerung übrigbleiben: das neue Datum. Viertens. Eine Jahresjubelfeier ist nur für Diktaturen und Unrechtsstaaten ein willkommener Anlaß für eine Amnestie. Gerade die innere Grundlosigkeit derartiger Amnestien ist hier die eigentliche, versteckte Botschaft. Diese Botschaft richtet sich an Menschen, die der puren Gewalt unterworfen sind. Sie heißt: Die Machthaber verhaften zwar willkürlich, bei guter Laune und einem schönen Fest kommt man aber auch wieder frei. Die Botschaft heißt: Ertragt das willkürliche Unrecht des heutigen Tages; eines späteren Tages werdet ihr genauso willkürlich wieder freikommen. ({3}) Eine derartige Amnestie ist vordemokratisch. Ich denke, daß wir uns insoweit alle einig sind: Diese Art der Amnestie ist der Bundesrepublik nicht würdig. Es ist gängige Praxis in unserem Land, daß zu einem bestimmten Fest, nämlich dem Weihnachtsfest, denjenigen, die nur noch wenige Tage zu verbüßen haben, exakt zu diesem Zeitpunkt die Strafe erlassen wird. Es sind Ausnahmen. Wir sollten es bei diesen Ausnahmen belassen. Ich glaube, daß Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde heute weder dem Rechtsstaat noch der Demokratie noch sich persönlich einen Gefallen getan haben. ({4}) Ich darf Ihnen sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen auf dieser Seite des Hauses: Die Koalition werden Sie mit dieser Aktuellen Stunde nicht in Bedrängnis bringen. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt die Kollegin Dr. Susanne Tiemann, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst habe auch ich gedacht, daß diese Aktuelle Stunde nicht nötig sei. Aber die Debatte hat mir gezeigt, daß sie doch sehr nützlich ist. Zum einen hat mich sehr gefreut, daß der Herr Staatssekretär die Konturen unseres Rechtsstaates so gut und präzise herausgearbeitet und dargelegt hat, warum eine Amnestie in der vorgeschlagenen Form eben nicht möglich ist. Zum anderen ist es meiner Meinung nach sehr gut, daß wir uns einmal allgemein auf die Konturen eines Rechtsstaates besinnen. Die Aktuelle Stunde gibt uns Anlaß, dies zu tun. Es wurde häufig gesagt, in anderen Ländern gehe das mit der Amnestie doch auch, dort mache man es doch auch. Ich glaube, gerade der Herr Staatssekretär hat klargemacht, daß es um die Konturen unseres deutschen Rechtsstaates geht, um den wir hier ringen. Wir können auf Grund der Erfahrungen in der Vergangenheit sagen, daß unser Rechtsstaat in vielfacher Hinsicht besonders scharf konturiert ist. Nehmen Sie nur das Prinzip der Gewaltenteilung. Es wurde heute oftmals gesagt: Könige haben doch auch schon Amnestie gewährt. Bereits im Alten Testament gab es das. - Wissen Sie, ich möchte eigentlich nicht so gerne wieder in die Zeiten des Feudalismus zurück. Ich dachte, das hätten wir überwunden. ({0}) Ich fühle mich eigentlich recht wohl angesichts der Überwindung solcher Strukturen und freue mich, daß Montesquieu sich bei uns wirklich durchgesetzt hat. ({1}) - In Frankreich hat sich Montesquieu längst nicht so klar durchgesetzt wie bei uns; aber nichts gegen unsere französischen Freunde. - Unsere Gewaltenteilung erfordert, daß der Gesetzgeber Zurückhaltung übt, wenn es darum geht, in Entscheidungen der anderen Gewalt einzugreifen. Dieses Eingreifen ist eben nur bei einem triftigen Grund möglich. Es ist vom Staatssekretär sehr eindrucksvoll dargelegt worden, wann ein solcher Grund vorliegen kann; das Jahr 2000 ist kein solcher triftiger Grund. Zweitens. Die Rechtsprechung ringt um Gerechtigkeit im Einzelfall, um Individualgerechtigkeit, um die individuell gerechte Strafe. Durch eine Amnestie wird aber Straffreiheit für einen großen Kreis von Straftaten bewirkt. Das ist gerade das Gegenteil von Einzelfallgerechtigkeit, auf die es uns im Rechtsstaat ankommt. Herr Beck, Sie haben so nett gesagt: Da schauen wir ja dann auf die Gesinnung des jeweiligen Täters, der amnestiert werden soll. ({2}) Wenn er verspricht, zukünftig nicht mehr straffällig zu werden, und wenn die Prognose das in seinem Fall stützt, dann wird er amnestiert, sonst nicht. Es ist gerade das Kennzeichen der Amnestie, daß man nicht auf den einzelnen Täter schaut, sondern auf eine Vielzahl von Straftaten - so das Bundesverfassungsgericht, das eine Amnestie nur in Form eines allgemeinen Gesetzes für verfassungsrechtlich möglich gehalten hat. Also auch hier geht das nicht, ein triftiger Grund liegt nicht vor. Meine Damen und Herren, ein nächster Punkt: Der Rechtsstaat hat es an sich, daß er das Gewaltmonopol an sich zieht. Ich glaube, es ist ein großer Vorteil unseres Rechtsstaates, daß nur der Staat Recht mit Gewalt durchsetzen kann und nicht der einzelne Bürger. Das ist, glaube ich, ein großer Nutzen unseres Rechtsstaates, über den ich wachen möchte, gerade wenn ich hier in diesem Hause meine Tätigkeit ausüben darf. Wenn aber der Rechtsstaat das Gewaltmonopol an sich zieht, dann muß er auch den Strafanspruch, den dieses Gewaltmonopol enthält, durchsetzen, dann haben die Bürger Anspruch darauf, daß dieser Strafanspruch durchgesetzt wird. Dann haben die Bürger das Vertrauen, daß der Staat entsprechend handelt. Dieses Vertrauen darf er nicht aus Gründen enttäuschen, die nicht unbedingt zwingend und mit diesem Rechtsstaat nicht in Einklang zu bringen sind. Meine Damen und Herren, auch das Argument, nach 50 Jahren sei unsere Demokratie so gefestigt, daß wir es uns leisten könnten, eine Amnestie zu erlassen, trägt nicht; denn gerade wenn Rechtsstaat und Demokratie so gefestigt sind, verdanken sie es einer konsequenten Durchsetzung des Strafanspruches. ({3}) Wir würden diese Festigkeit von Demokratie und Rechtsstaat gefährden, wenn wir anders verfahren würden. Wir alle in diesem Hause wissen: Um Demokratie und Rechtsstaat muß man täglich kämpfen. Man muß täglich wachsam sein, damit man sie erhält. Man darf sich nicht auf einer gefestigten Demokratie und auf einem gefestigten Rechtsstaat, gewissermaßen auf einem Amnestiekissen, ausruhen wollen. Meine Damen und Herren, eine Erwägung, die Sie bei Ihrem Vorschlag anstellen, hat mich natürlich besonders verwundert, nämlich die Kostenerwägung: Die Gefängnisse sind voll, das kostet so viel. - Ja wollen wir denn Strafverwirklichung nach Kassenlage machen? ({4}) Wollen wir denn, wenn die Kassen leer sind, kurz mal die Gefängnisse öffnen, damit wir wieder entlastet sind? Ist das der rechtsstaatliche Strafanspruch? Fördert dies das Vertrauen, das die Bürger in den Staat setzen? - Ich wehre mich entschieden gegen eine solche Vorstellung. Einen weiteren Aspekt möchte ich auch nicht unbeantwortet lassen: Es wurde gefragt, ob es nicht christlich sei, eine solche Amnestie durchzuführen, gerade im Jahr 2000, ({5}) in dem wir uns an die Geburt Christi erinnern. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Ist Strafe im Rechtsstaat unchristlich?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Tiemann, Sie müßten an Ihre Redezeit denken.

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wäre es unter Umständen, wenn es Rache wäre. Aber Rache ist das nicht, sondern es ist der Schutz der Bevölkerung, es ist das Bemühen, den einzelnen wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Genau das wollen wir in unserem Rechtsstaat tun. Der Rechtsstaat hat es verdient, bewahrt zu werden. Für solche Überlegungen, wie Sie sie angestellt haben, ist er zu schade. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Margot von Renesse, Sie haben jetzt das Wort für die SPDFraktion.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man als vierter Redner aus der betreffenden Arbeitsgruppe spricht, bleibt nicht mehr viel zu sagen. Aber, Frau Kollegin Tiemann, der letzte Punkt, den Sie angesprochen haben, veranlaßt mich dazu, einige Bemerkungen zu machen. Vorhin hörte ich den Zuruf von Frau Vollmer, in dem sie an das jüdische, alttestamentliche Halljahr erinnerte. Frau Vollmer, gerade Sie als gelernte Theologin wissen, daß diese Einrichtung, die auch ich für sehr spannend halte, zwar in einen religiös verfaßten, theokratischen Staat paßt, in dem Versöhnung und Vergebung Rechtspflichten sind. Wir aber können dies nicht verwirklichen. Denn trotz der Bezugnahme auf Gott im Grundgesetz dies war heiß umkämpft, wie wir uns gut erinnern - ist unser Staat eben nicht ein religiös verfaßter. Versöhnung und Vergebung sind hochpersönliche Angelegenheiten, die der Staat weder verwaltet noch verausgabt. Gleichwohl gibt es Gnade. Ich denke, daß wir uns darüber im klaren sein müßten, daß trotz des Popanzes, der hier in dieser Debatte - soweit ich ihr folgen konnte - aufgebaut wurde, die Profile der Parteien in dieser Frage nicht so scharf voneinander abgegrenzt sind. Herr Westerwelle, Sie haben Ihre Rede mit einer geradezu apokalyptischen Vision des Zerfalls des gesamten Rechtsstaats, ausgelöst durch den Vorschlag der Grünen, begonnen. Lassen Sie uns die Dinge auf ihren eigentlichen Kern zurückführen. Alle hier im Raum Anwesenden wissen: Wer grundsätzlich für Amnestien ist und sie als möglich betrachtet, ist deswegen kein Feind des Rechtsstaates. Einverstanden? - Mit Sicherheit. ({0}) - Ich erwarte weitere Zustimmung. Sie wird mir nicht zuteil. Ich glaube dennoch, daß wir uns darin einig sein können. Ein weiterer Punkt: Wer den Sinn, insbesondere den spezial- und generalpräventiven Sinn, kurzer Freiheitsstrafen anzweifelt, ist, ganz generell, nicht jemand, der kleine Straftaten - die Wörter „kleine Straftaten“ müßte man in Anführungszeichen setzen, da sie demjenigen, dem sie widerfahren, alles andere als klein erscheinen verharmlost und die Bevölkerung solchen Straftaten massenhaft aussetzen will. Auch das scheint mir zunächst einmal unstreitig zu sein. ({1}) Die Frage ist, was an deren Stelle tritt, wenn man General- und Spezialprävention - das tun wir alle; das betone ich - nach wie vor hochhält. In bezug auf den Sinn kurzer Freiheitsstrafen kann man wirklich Fragezeichen setzen, ohne deswegen die Gerichte zu beschimpfen, die sie verhängen. Denn im Augenblick haben die Gerichte nicht so viele andere Möglichkeiten, vor allem bei der Ersatzfreiheitsstrafe. ({2}) Umgekehrt wird man es bei den Grünen bestimmt nicht, so hoffe und erwarte ich, für ausgeschlossen halten, daß man den Vorschlag, den einige von Ihnen gemacht haben, an sehr strengen Kriterien mißt. Sie werden sicherlich einsehen, daß das Beispiel Frankreich für uns nicht maßgeblich sein muß, ja nicht einmal sein kann. Denn die Beziehung der Franzosen zu ihrem Staat ist eine weitaus emotionalere und vertrauensvollere als die Beziehung eines jeden Bundesbürgers bzw. einer jeden Bundesbürgerin zu seinem Staat. Die Sensibilität, mit der hier auf Gleichbehandlung geachtet wird - dies ist ein entscheidendes Stück der Verwirklichung von Recht und Legitimation des Staates -, ist bei uns angesichts des berechtigten Mißtrauens, das wir gegen staatliche Willkür jeder Art haben, historisch verankert. Würde die Gleichbehandlung mißachtet, würde das den Rechtsfrieden massiv erschüttern. Das ist ein Problem, das wir bei jeder Amnestie bedenken müssen. ({3}) Natürlich habe ich - ähnlich wie der Kollege Stünker - große Bedenken dagegen, daß Sie eine Amnestie mit Einzelfallentscheidungen vermischen wollen. Denn der Unterschied zwischen Amnestie und Einzelgnade ist, daß bei der Amnestie die Rechtsgrundlage der Verurteilung selbst in Zweifel geraten ist und die Frage der Prognose dabei unerheblich ist. Frau Vollmer, als ich das erste Mal einen Blick in die Gnadenordnung Nordrhein-Westfalens warf, habe ich gedacht: Was ist denn das für ein komisches Ding? Das ist eine Gnadenordnung mit einem korrekten, bis ins einzelne durchgefeilten System von Vorschriften: Gnade vor Recht, Recht der Gnade. Wir brauchen das Recht der Gnade und eine sehr sensible Handhabung des Rechts der Gnade, weil die Bevölkerung von uns erwartet, daß wir eben nicht den Abglanz von Gottes Gnade verwalten. Auch wenn Richter eine schwarze Robe anhaben und damit Distanz markieren, sind sie deswegen in ihrer Person keine charismatischen Führer des Volkes. Sie sind vielmehr Diener des Rechts. Gerade auf Grund unserer Geschichte müssen wir wissen: Jedes Vorhaben einer Amnestie ist mit Vorbehalt zu genießen und sehr sorgfältig zu prüfen. Daraus kann man ebensowenig eine Suppe kochen wie aus einem Gewürz. Es würzt die Suppe; aber es ist nicht ihr Inhalt. ({4}) Gestatten Sie mir ein letztes Wort zu dem von mir sehr geschätzten Kommentator in der „Süddeutschen Zeitung“, Herrn Prantl: Es stellt sich nicht die Alternative „Gnade oder Recht“; denn die Gnade ist im Recht verankert, nicht nur bis zur Verurteilung, sondern auch noch danach als korrigierende Gnade in vielen Stagen. Die Verweigerung einer Amnestie ist keine Gnadenlosigkeit; die Gnade wird dahin verwiesen, wohin sie bei uns gehört, nämlich in das Recht. Danke schön. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Norbert Röttgen, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist erfreulicherweise vielfach betont worden, daß unser Rechtsstaat nicht nach Fürstenlaune funktioniert, sondern daß insbesondere rechtsstaatliches Strafen auf Rationalität, Bestimmtheit und Berechenbarkeit gründet. Nach dem vielen Vernünftigen und Klugen, das heute gesagt worden ist, verdient der Vorschlag der Grünen meiner Meinung nach nicht viel mehr an kommentierender Zurückweisung. Ich war übrigens schon vor der Debatte der Auffassung, daß es angesichts der intellektuellen Qualität des Vorschlages ein bißchen zuviel der Ehre ist, daß wir heute breit darüber diskutieren; denn bei diesem Vorschlag handelt es sich weniger um einen Anschlag auf den Rechtsstaat als vielmehr um eine Schnapsidee. Das ist meine Meinung. ({0}) Vor der Debatte war ich „amnestiegeneigt“. Ich habe mich wirklich gefragt, warum man, wenn jemand einen solch blöden Vorschlag macht, darüber groß reden muß. Das Bemerkenswerte und ein bißchen auch Überraschende an dieser Debatte ist aber für mich, wie erkenntnisresistent sich die Grünen heute gezeigt haben. Sie haben diesen Vorschlag hier so engagiert vertreten und vorgetragen - zumindest der rechtspolitische Sprecher, immerhin das zweite Mitglied im Rechtsausschuß für die Grünen im Bundestag -, daß man wirklich den Eindruck haben muß, sie meinten es ernst. ({1}) Insofern muß ich entgegen meiner Einschätzung vor der Debatte der F.D.P. zugeben: Die Debatte hat sich gelohnt; denn es sind zwei Dinge herausgekommen: Erstens. Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit Ihrem Vorschlag - und das nehme ich an, weil sie ihn hier so engagiert vertreten haben -, ({2}) dann ist das meines Erachtens - ich glaube, auch andere sind dieser Meinung - ein Indiz für die mangelnde rechtsstaatliche Reife der Grünen. Wenn man dem kleineren Koalitionspartner in der aktuellen Bundesregierung auf Grund seiner Argumentation und dieser rechtspolitischen Schnapsidee, die zudem noch ernst gemeint ist, mangelnde rechtsstaatliche Reife attestieren muß, dann ist das ein unerfreuliches Testat. Zweitens. Erfreulich an dieser Debatte ist, daß alle anderen Fraktionen, wenn ich von der PDS absehe - es ist eine besondere Koalition, die sich in dieser rechtsstaatlichen Frage abzeichnet -, auch der Herr Parlamentarische Staatssekretär, in dieser Frage übereinstimmen. Insofern hat sich diese Debatte doch gelohnt. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 30. September 1999, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.