Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten
Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Beteiligung der Bundesrepublik
Deutschland an der humanitären Hilfe für Osttimor. Das
Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der
Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen Dr.
Christoph Zöpel.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Das Bundeskabinett hat sich heute wie in den
vergangenen Sitzungen mit der Situation in Osttimor beschäftigt. Ich gehe davon aus, daß Ihnen die Ereignisse
dort und die Politik der Vereinten Nationen, die von der
Bundesregierung eingefordert wurde und unterstützt
wird, bekannt sind. Von Bedeutung ist die Frage, welchen Beitrag die Bundesrepublik Deutschland leisten
kann, um die humanitäre Katastrophe, die durch die Gewalttätigkeiten von Milizen und Nationalisten entstanden
ist, zu bewältigen.
Die Bundesregierung beteiligt sich in finanzieller
Hinsicht an der Verbesserung der humanitären Situation.
Das Auswärtige Amt hat bislang 1 Million DM zur Verfügung gestellt, davon gingen 500 000 DM an das Internationale Rote Kreuz und 265 000 DM an die „Ärzte für
die Dritte Welt“. Um die Situation im Blick zu haben
und um die Vergabe dieser Mittel beobachten zu können,
ist ein Sonderkoordinator des Auswärtigen Amts nach
Indonesien entsandt worden, der dort am 22. September
oder am Tag danach eingetroffen ist. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat die Hilfe
für Indonesien bzw. Osttimor auf 4,5 Millionen DM aufgestockt. Das Geld soll überwiegend für die Wiederherstellung der Wasserversorgung und für die medizinische
Grundversorgung eingesetzt werden.
Darüber hinaus hat das Kabinett heute darüber diskutiert, ob auch im Bereich der Sicherheit mit militärischer
Komponente im weiteren Sinne ein Beitrag geleistet
werden kann. Das wesentliche, was ich Ihnen dazu
sagen möchte, ist: Das Kabinett wird seine Beratung
darüber erst fortsetzen, wenn es - wie von einigen gewünscht - mit allen Fraktionen dieses Hauses in Konsultationen eingetreten ist. Falls die Konsultationen
zu einem entsprechenden Ergebnis führen, wird das
Kabinett in der nächsten Woche gegebenenfalls einen
Beschluß fassen. Die sich stellende Beschlußlage ist
dabei von mehreren unterschiedlichen Zielen und Notwendigkeiten bestimmt: Seitens der Vereinten Nationen
ist die Bundesregierung gefragt worden, inwieweit sie
sich beteiligen könnte. Fast alle größeren europäischen
Länder beteiligen sich. Die Bundesregierung vertritt
prinzipiell die Auffassung, daß die Menschenrechte auf
der ganzen Welt, in allen Regionen, also nicht nur
- was manchmal unterstellt wird - in Europa, sondern auch in Asien, zu gelten haben und zu verteidigen
sind. Es sind aber auch Überlegungen anzustellen, inwieweit das starke regionale Engagement betont wird,
indem Europa sich zurückhält. Schließlich ist die Haushaltslage der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen.
Im Rahmen der bisher angestellten Überlegungen,
welche Maßnahmen in der Region möglich sind, haben
Beauftragte des Verteidigungsministeriums vorgeschlagen, im Bereich der medizinischen Evakuierung tätig zu
werden, also Kranke auszufliegen. Auf der Grundlage
dieser Überlegungen möchte die Bundesregierung ab
heute mit Ihnen Gespräche führen. Bei erfolgreichem
Verlauf dieser Gespräche könnte am Ende der Antrag
auf ein konstitutives Votum angenommen werden. Wir
sind darauf bedacht, hierzu die Meinungen aller Fraktionen einzuholen.
Herzlichen Dank.
Vielen
Dank.
Wir kommen nun zu Fragen zu dem Themenbereich,
über den berichtet worden ist. Der erste Fragesteller ist
der Kollege von Klaeden.
Herr Staatsminister, wie schätzt die Bundesregierung die aktuelle Lage
in Osttimor ein, insbesondere vor dem Hintergrund der
Arbeit der Interfet? Sie haben heute sicherlich die Kritik
von Bischof Belo in der „FAZ“ gelesen. Wie steht die
Bundesregierung zu diesen Äußerungen?
Die Bundesregierung hat sich in ihrer Sitzung mit
der Kritik von Bischof Belo nicht befaßt. Soweit ich informiert bin, steht ein Gespräch von Bundesaußenminister Fischer mit Herrn Belo an. Möglicherweise wird
man danach Näheres wissen. Ich möchte an dieser Stelle
aber generell darauf hinweisen, daß nach den wenigen
Tagen, die Interfet in der Region tätig ist, ein Urteil der
Bundesregierung über die Effizienz der dort geleisteten
Arbeit - vor allem auch vor dem Hintergrund, daß die
Bundesrepublik Deutschland bisher an dieser internationalen Schutztruppe nicht beteiligt ist und daß es auch
noch offen ist, ob eine Beteiligung der Bundesrepublik
Deutschland überhaupt sinnvoll ist - nicht sonderlich
nützlich ist.
Eine
weitere Frage, Herr von Klaeden. Bitte schön.
In diesem Zusammenhang möchte ich fragen, wie die Bundesregierung die Versorgungslage der Flüchtlinge in Westtimor
einschätzt.
Herr
Staatsminister, bitte sehr.
Nach unserer Kenntnis sind in Westtimor über
215 000 Flüchtlinge registriert. Diese Flüchtlinge sind
dort - soweit uns bekannt - bisher unbehelligt geblieben.
Aber es besteht weiterhin die Möglichkeit, daß Milizen
ihre Aktivitäten nach Westtimor verlegen, um auch dort
Flüchtlinge zu terrorisieren. Es ist daher ratsam, daß die
Flüchtlingslager regelmäßig von internationalen Beobachtern besucht werden.
Die hygienischen Verhältnisse und die medizinische
Versorgung sind - Sie haben es in Ihrer Frage bereits
angedeutet - nach unseren Erkenntnissen unzulänglich.
Dieses Problem kann sich noch verschärfen, wenn - wie
üblich - die Regenzeit in vier bis sechs Wochen beginnt.
Aber auch die humanitäre Hilfe für Westtimor ist inzwischen angelaufen. Zusammen mit der Staatengemeinschaft ist die Bundesregierung der Hoffnung, daß die
humanitäre Katastrophe, die bestimmt nicht auszuschließen ist, wenn nichts getan wird, abgewendet werden
kann. Entsandte der Botschaft in Indonesien und auch
der von mir entsandte Sonderkoordinator sorgen als Beobachter dafür, daß wir trotz sonstiger relativer personeller Abstinenz zumindest voll informiert sind.
Eine
weitere Zusatzfrage, Herr von Klaeden.
Herr Staatsminister, wie schätzen Sie die Ergebnisse der Sondersitzung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und insbesondere die Haltung der anderen asiatischen Staaten gegenüber der Situation in Osttimor ein?
Wie Sie wissen, hat sich die Bundesregierung für
die Sondersitzung der Menschenrechtskommission eingesetzt. Die etwas reservierte Haltung der asiatischen
Staaten ist uns bekannt. Es spricht aber einiges dafür,
daß die europäischen Staaten die asiatischen Länder
nicht zu früh moralisch verurteilen sollten. Es macht
Sinn, mit allen asiatischen Regierungen, die in diesem
Konflikt involviert sind, Gespräche zu führen und in diesen auf unsere Vorstellungen von Menschenrechten und
Humanität hinzuweisen. Aber auch vor dem Hintergrund
der tragischen Ereignisse in Osttimor lassen sich die in
der Vergangenheit entstandenen Urteile der Asiaten über
europäische Doppelstandards nicht innerhalb weniger
Tage ausräumen. Dies müssen wir realistisch sehen,
wenn wir nicht überheblich erscheinen wollen.
Ich würde gern anderen Kollegen Gelegenheit geben, eine Frage
zu stellen. Als nächster hat sich der Kollege Norbert
Blüm von der CDU/CSU-Fraktion gemeldet. Bitte
schön, Herr Blüm.
Herr Staatsminister,
ich teile die Ansicht der Dringlichkeit humanitärer Hilfen. Doch noch dringlicher als die humanitären Hilfen
ist, daß die Schlächtereien aufhören. Um es zynisch zu
sagen: Je länger die Schlächtereien dauern, um so geringer ist der Bedarf an humanitärer Hilfe. Erste Aufgabe
sollte also sein, die Schlächtereien zu beenden.
Wenn ich es richtig sehe: Die Milizen sind die Handlanger der Militärs. Die Milizen sind nur vorgeschickt.
Mit eiskalter Kalkulation sollen sie ein abschreckendes
Beispiel für den Widerstand der Militärs gegen Autonomiebestrebungen innerhalb Indonesiens statuieren. Was
tun wir beispielsweise vor dem Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte? Ich meine, wir müssen das
ganze Drohpotential - bis hin zur Sperrung der Konten aufbieten. Die Militärs verstehen nur eine Sprache.
Aus meiner Sicht handelt es sich um keine Frage der
Diplomatie. Es geht nicht allein um Habibie. Seine
Nachfolgerin steht den Militärs möglicherweise näher.
Es geht um die Fragen: Wie legen wir den Schlächtern,
also den Militärs, das Handwerk? Welche Instrumente
können wir vorweisen? Ich sage das nicht, weil ich gegen humanitäre Hilfe bin, sondern weil ich glaube, daß
es fast zynisch ist, große Programme zu diskutieren,
während täglich Tausende abgeschlachtet werden.
Herr
Staatsminister, Ihre Antwort, bitte schön.
Herr Kollege Blüm, die Staatengemeinschaft reagiert aus meiner Sicht, verglichen mit der Reaktion Europas beim Krieg auf dem Balkan - sie hat sich trotz der
Nähe relativ viel Zeit gelassen -, verhältnismäßig zügig.
Gemessen an dem Datum des UNO-Beschlusses ist die
Stationierung im Rahmen der UNO-Mission vor allem
von Soldaten aus der Region relativ zügig vorangekommen. Nach unserem Kenntnisstand ist in Osttimor die
Ihnen aus den vorhergehenden Tagen bekannte
Schlächterei beendet.
Die Einschaltung von UNO-Gerichtshöfen analog
zum Balkan läuft. Die Bundesregierung hat in bezug auf
Indonesien dieselbe Position, wie sie sie bei vergleichbaren Menschenrechtsverletzungen auf dem Balkan
eingenommen hat. Die Konzentration auf die humanitären Maßnahmen, die ich Ihnen vortragen konnte, liegt
im Rahmen der Arbeitsteilung innerhalb der Staatengemeinschaft begründet. Diese Arbeitsteilung wurde sehr
bewußt so gewählt, daß überwiegend Australien, Portugal, die frühere Kolonialmacht dieser Region, und
asiatische Nachbarstaaten die Militärkontingente stellen
sollen.
Hinsichtlich der Einstellung zur indonesischen Regierung stehen wir vor einer Situation, die, wie in vergleichbaren Fällen, nicht einfach ist. Der indonesische
Außenminister hat in seiner Rede vor den Vereinten Nationen völlig zufriedenstellende Erklärungen hinsichtlich
der Einstellung seiner Regierung abgegeben. Uns ist bekannt, daß viele Beobachter die reale Situation etwas anders sehen. Aber wann der Punkt gekommen ist, eine
Regierung, die sich in ihren formellen Erklärungen einigermaßen so verhält, wie es unter Menschenrechtsgesichtspunkten zu erwarten wäre, zu verurteilen, ist eine
schwierige Sache. Im Augenblick sind die Handlungsmöglichkeiten auf die Diskussion und auf die Einleitung
von möglichen Menschenrechtsprozessen vor UNOGerichten beschränkt.
Der
nächste Fragesteller ist der Kollege Wolfgang Gehrcke
von der PDS-Fraktion.
Herr Staatsminister, gestatten Sie mir, Ihnen für Ihren ersten Beitrag, den Sie
nicht als Abgeordneter, sondern wegen Ihrer Berufung
zum Staatsminister von der Regierungsbank aus leisten,
Glückwünsche auszusprechen.
Stimmen Sie mir zu, daß der Bundesaußenminister
mit seinem Vorpreschen im Plenum dieses Hauses hinsichtlich der Entsendung von Sanitätssoldaten sich
selbst, die Bundesregierung und das ganze Haus in eine
mißliche Situation gebracht hat, nachdem er vorformuliert hat, daß deutsche Soldaten nicht in Frage kommen?
Denn jetzt besteht ein Begründungszwang, wenn man
sich anders entscheidet.
Würden Sie mir zustimmen, daß die jetzt im Raum
stehende Summe von 10 Millionen DM für den Einsatz
von Sanitätssoldaten inklusive der Kräfte, die diesen
Einsatz in Osttimor sichern müssen, in keinem Verhältnis zu den notwendigen humanitären Aktionen steht?
Herr
Staatsminister, bitte schön.
Herr Kollege Gehrcke, ich beginne mit der Beantwortung des zweiten Teiles Ihrer Frage. Es macht keinen
Sinn, eine bestimmte Zahl, nämlich diese 10 Millionen
DM für eine noch nicht entschiedene Beteiligung im
medizinisch-militärischen Bereich, unter dem Gesichtspunkt des Zuviel oder des Zuwenig zu beurteilen. Diese
Zahl mag im Raum stehen, sie hat aber keinen Bezug zu
möglichen realen Beschlüssen. Die Kosten hängen vor
allem von der Dauer eines Einsatzes, wenn er denn beschlossen würde, ab. Je länger er nämlich dauert, um so
teurer wird er.
Ihre damit verbundene Frage, ob der Aufwand für
einen Einsatz, den ich durchaus als humanitär bewerten
würde, nämlich Kranke auszufliegen, im Vergleich zu
im engeren Sinne klassischen humanitären Maßnahmen
zu groß ist, hat auch die Bundesregierung sehr intensiv diskutiert. Es gibt bei einem Einsatz im Rahmen der
Vereinten Nationen angesichts der fiskalischen Situation zweifellos Zielkonflikte für die deutsche Politik.
Ihren Bedenken muß man aber entgegenhalten, daß
der Wunsch nach einer Beteiligung Deutschlands von
den Vereinten Nationen selber ausgesprochen wurde.
Eine sozusagen undiskutierte Ablehnung des Wunsches des UNO-Generalsekretärs, sich hier zu beteiligen und sich so wie die meisten Mitgliedstaaten der
Europäischen Union zu verhalten, wäre problematisch
und wäre vermutlich auch von diesem Hause kritisiert
worden.
Hinsichtlich der vor allem durch Herrn Bundesaußenminister Fischer vorgenommenen Positionsbestimmung der Bundesregierung halte ich es für notwendig, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung der
Auffassung ist und daran auch unstreitig festhält, daß
Menschenrechte in allen Teilen der Welt prinzipiell
gleichermaßen zu achten und zu verteidigen sind und
der Schutz unter Hinzuziehung militärischer Komponenten nirgendwo grundsätzlich ausgeschlossen werden kann. Ein zunächst einmal positives Eingehen auf
eine entsprechende Anforderung des UNO-Generalsekretärs war aus unserer Sicht unumgänglich. Daß angesichts des auch von uns gesehenen Konflikts auf
Grund unterschiedlicher Ziele und Bewertungen eine
Beratung mit den Fraktionen dieses Hauses notwendig
ist, sehen alle Mitglieder der Bundesregierung als eine
demokratische Selbstverständlichkeit an. Dieses international zu vermitteln wirkt sich demokratiefördernd aus.
Aus unserer Sicht wäre es auch vertretbar, wenn die Beratungen zu einer Modifizierung der Meinungen des
Bundesaußenministers führten. Sie verlieren deshalb
nicht an Wert.
Eine
weitere Frage, Herr Gehrcke? - Bitte schön.
Mir erscheint die Summe
eher zu niedrig als zu hoch. Wir beziehen uns dabei anscheinend auf andere Bezugsgrößen.
Ich möchte als weitere Frage anschließen, wie die
Bundesregierung die im Beschluß des Bundestages zu
Osttimor enthaltenen Komponenten, den Druck gerade
auf die Militärs in Osttimor nicht nur aufrechtzuerhalten,
sondern zu vergrößern, umgesetzt hat. Im Beschluß sind
ja konkrete Maßnahmen angesprochen worden wie das
Unterbrechen der Militärhilfe und eine Verringerung der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Ich glaube, daß in der
jetzigen Situation der Druck nicht nachlassen darf, sondern vergrößert werden muß. Ich wäre dankbar, wenn
die Bundesregierung auch aktuelle Ereignisse zum Anlaß
nimmt, ihre diesbezügliche Position unmißverständlich
deutlich zu machen.
Herr
Staatsminister.
Herr Kollege Gehrcke, Sie haben meine Antwort
schon richtig verstanden: Natürlich sind 10 Millionen
DM zuwenig, wenn ein möglicherweise stattfindender
Einsatz lange dauert. Das kann man so festhalten; heute
schon weiterzugehen, würde den Beratungen mit den
Fraktionen des Hauses vorgreifen. Das dürfte auch nicht
in Ihrem Interesse liegen.
Hinsichtlich des notwendigen Druckes auf Indonesien
teilt die Bundesregierung voll die Position, die der Bundestag in seiner Resolution festgehalten hat: Der Druck
steht immer in Relation zu dem, was passiert. In Osttimor wird die entsprechende Resolution des VNSicherheitsrates offensichtlich umgesetzt und ihre Implementierung von den Militärs nicht behindert. Das
scheint mir im Augenblick der Punkt zu sein, dem bei
der Beurteilung vorrangig unser Augenmerk gelten sollte. Die Lage in Westtimor dagegen ist ungeklärt. Hier
mag Druck sinnvoll sein, hier mag aber auch punktuell
forcierte Hilfe an Indonesien notwendig sein, um das
unter indonesischer Hoheit stehende Gebiet Westtimor
nicht in eine humanitäre Katastrophe schlittern zu lassen.
Hier ist tagtägliche Abwägung notwendig. Dabei dürfen
wir uns - das möchte ich hinzufügen - nicht übernehmen. Ich glaube, wir alle haben gelernt, daß ein isolierter
Druck der Bundesregierung nicht zu den gewünschten
Ergebnissen führt. Das wird dort noch viel weniger als in
Europa der Fall sein.
Als
nächsten Fragesteller rufe ich den Kollegen Volker
Neumann, Bramsche, auf. Herr Neumann, bitte schön.
Herr Staatsminister, wer sich nicht erst jetzt, sondern seit nahezu
zwanzig Jahren mit Osttimor beschäftigt, der weiß, daß
das Selbstbestimmungsrecht durch die Kirchen gefördert, ja vielleicht letztlich durchgesetzt worden ist. Ich
frage daher die Bundesregierung, ob sie die Erfahrungen
beider Kirchen, insbesondere aber der katholischen Kirche, im Hinblick darauf abfragt, was in Osttimor notwendig ist.
Ich weiß, daß heute ein Gespräch mit Bischof Belo
stattfindet. Ich möchte zu bedenken geben, was er gestern in Aachen gesagt hat: Keine militärische Präsenz
der Deutschen sei nötig; aber für ein humanitäres Hilfsteam wären seine Gesprächspartner und er sehr dankbar.
Wird das in Ihre Beratungen einbezogen?
Sie selber, Herr Kollege Neumann, haben - worauf
auch ich hingewiesen habe - aufgezeigt, daß Minister
Fischer mit Bischof Belo spricht. Da Gespräche der
Bundesregierung grundsätzlich dazu dienen, die Argumente des Gesprächspartners aufzunehmen, beantwortet
sich damit Ihre Frage weitestgehend.
({0})
- Ja, das ist alles Zeitverschwendung, Herr Kollege. Das
sollte man nicht tun.
Die Frage, ob ein Einsatz von deutschen Menschen so formuliere ich es einmal -, von der Bundesregierung
finanziert, anders aussehen könnte, als im Augenblick
hauptsächlich angedacht - Hilfe durch militärische
Kräfte bei Evakuierung aus medizinischen Gründen -,
würde ich schon wegen der Offenheit der Gespräche mit
den Bundestagsfraktionen mit Ja beantworten.
Eine
weitere Frage. Herr Kollege Neumann, bitte schön.
Ich möchte
noch eine Frage stellen, die in eine etwas andere Richtung zielt. Wird die Bundesregierung ihre Maßnahmen,
Osttimor betreffend - ich meine jetzt nicht die rein humanitären Maßnahmen, sondern die von Ihnen angedeuteten Maßnahmen -, mit der indonesischen Regierung besprechen, und wird sie die Folgerungen, die sich
daraus zum einen für den Demokratisierungsprozeß, zum
anderen aber auch für das Verhältnis zu den anderen
asiatischen Staaten ergeben, beachten und uns mitteilen?
Die Bundesregierung wird dies tun und selbstverständlich die Ergebnisse mitteilen.
Als
nächsten Fragesteller rufe ich den Kollegen Reinhold
Robbe von der SPD-Fraktion auf.
Herr Staatsminister, in der
Öffentlichkeit besteht allgemeine Unkenntnis über die
Verteilung der finanziellen Lasten von UN-Einsätzen,
natürlich auch bezogen auf das, was jetzt in Osttimor ansteht. Können Sie ungefähr beziffern, wie hoch der deutsche Anteil ist?
Auch aus dem Topf der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und aus Mitteln der Europäischen Union fließt
einiges. Kann man ungefähr sagen, wie hoch der deutsche Anteil ist?
Herr Kollege, die derzeit geleisteten oder beabsichtigten Zahlungen der Bundesregierung habe ich genannt: 4,5 Millionen DM aus dem Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit; 1 Million DM - mit der Möglichkeit der Aufstockung auf bis zu
2 Millionen DM - aus dem Etat des Auswärtigen Amtes.
Ich gebe zu, daß ich auf die Frage, wie hoch die EUBeiträge sind, jetzt nicht anworten kann, bin aber gerne
bereit, in schriftlicher oder einer anderen von Ihnen gewünschten Form Auskunft zu geben.
Als
nächsten Fragesteller - ({0})
Ich merke, wie sinnvoll es ist, die Bundesregierung
im Parlament zu befragen.
Herr
Staatsminister, die Frage war beantwortet.
Als nächsten Fragesteller rufe ich den Kollegen Carsten Hübner von der PDS-Fraktion auf.
Ich möchte auf den Bereich
der medizinischen Hilfe zurückkommen. Bis heute ist
ein Kontingent der Bundeswehr im Gespräch gewesen.
Dabei ging es weniger um die Evakuierung von Kranken
und Verwundeten als vielmehr um die Errichtung eines
Feldlazarettes durch ein Sanitätsbataillon.
Ich selber hatte die Möglichkeit, am Freitag in Osttimor mit Mitarbeitern von Ocha und des Internationalen
Roten Kreuzes zu sprechen, die im Moment versuchen,
die Koordination in diesem Bereich dort zu leisten. Von
beiden Seiten ist deutlich gemacht worden, daß es auf
der Insel selber keinerlei Bedarf für ein zusätzliches
Feldlazarett oder für militärisches Sanitätspersonal in
Bataillonsstärke gibt. Es wird vielmehr darum gebeten,
die Basisversorgung sicherzustellen, das heißt, Medikamente für dezentrale Krankenstationen zu beschaffen,
Ausrüstungsgegenstände und mobile Teams zur Verfügung zu stellen. Ihren Äußerungen kann ich entnehmen,
daß dieser Wunsch durchaus zur Kenntnis genommen
wurde.
Mir geht es um folgende Fragen: Erstens. Ist das
Feldlazarett und damit der Einsatz des Sanitätsbataillons
wirklich vom Tisch? Zweitens. Woraus ergibt sich die
Zielbestimmung im Rahmen der aktuellen Diskussion
mit den Vereinten Nationen über die Notwendigkeit von
Evakuierungen im medizinischen Bereich? Zumindest
bei meinen Gesprächen war dieser Bedarf niemals ein
Thema. Ich kann aber in diesem Punkt Informationslükken haben. Drittens. Wenn es nicht die Notwendigkeit
eines Sanitätsbataillons gibt und damit möglicherweise
nicht die Notwendigkeit von Einheiten, die für eine Evakuierung verantwortlich sind: Wäre die Bundesregierung
bereit, die dafür vorgesehenen Mittel dem BMZ und dem
Auswärtigen Amt zur Aufstockung ihrer Mittel zur Verfügung zu stellen?
Herr
Staatsminister, bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. Zunächst möchte ich
mich über meinen spontanen Freudenausbruch gegenüber dem Kollegen Bindig entschuldigen. Ich möchte
aber wiederholen: Herzlichen Dank an den Bundestag
für diesen profunden Ratschlag an die Bundesregierung.
Diesen Dank, Herr Kollege Hübner, möchte ich auf
Sie erstrecken. Das Auswärtige Amt war über Ihren Besuch in Dili, der von der Deutschen Botschaft begleitet
wurde und der der Bundesregierung zusätzliche Informationen gebracht hat, erfreut.
Ihre erste Frage, ob noch ein größeres Sanitätskontingent in Rede sei, kann ich so beantworten: Dieses Thema
stand heute bei der Erörterung im Bundeskabinett nicht
in Rede.
({0})
- Im Raum steht immer viel; das ist bekannt.
({1})
Ich persönlich - zu den früheren Sitzungen hat mir
liebenswürdigerweise meine Kollegin aus dem Bundesverteidigungsministerium assistiert - kann sagen: In dieser und in der vorigen Kabinettsitzung ist dieses Thema
nicht erörtert worden. Das kann ich Ihnen präzise mitteilen.
Das Diskussionsthema heute, nämlich die Evakuierungsmöglichkeit im medizinischen Bereich, ist unter
anderem das Ergebnis der Erkundungen, die Beauftragte
des Bundesverteidigungsministeriums in Osttimor und in
Australien vorgenommen haben.
Die letzte Frage beantworte ich so, wie ich eine vergleichbare Frage des Herrn Kollegen Neumann beantwortet habe: Die Offenheit der Diskussion mit den Bundestagsfraktionen schließt derzeit keine Lösung von
vornherein aus.
Als
nächste Fragestellerin rufe ich die Kollegin Adelheid
Tröscher von der SPD-Fraktion auf.
Sie haben schon eine
sehr positive Antwort gegeben, Herr Staatsminister. Wir
sind hier alle bemüht, zur Lösung des Konflikts in Osttimor beizutragen und darüber nachzudenken, wie diese
Konflikte in Zukunft von uns - und nicht nur von uns
alleine - sehr viel früher wahrgenommen werden können.
Heute findet in Washington im Rahmen der Jahrestagung von IWF und Weltbank eine große OsttimorKonferenz statt. Ich hätte gerne gewußt: Wie beteiligen
wir uns an dieser Konferenz? In welchem Rahmen bringen wir uns in die internationale Gemeinschaft ein?
An dieser Stelle muß ich zum zweiten Mal mein
Bedauern äußern. Ich kann Ihnen in diesem Moment
keine konkreten Informationen über den Grad der deutschen Beteiligung an dieser Konferenz geben. Ich beantworte Ihre Frage gerne in jeder anderen von Ihnen
gewünschten Form.
Es
verbleiben jetzt noch gut fünf Minuten für die Regierungsbefragung. Als nächsten Fragesteller rufe ich den
Kollegen Hermann Gröhe von der CDU/CSU-Fraktion
auf.
Herr Staatsminister,
auch meine Frage bezieht sich auf den Umfang einer
möglichen deutschen Beteiligung. Sie sprachen im Hinblick auf den festgestellten Bedarf von dem Ausfliegen
von Kranken und Verletzten. Gleichzeitig sprachen Sie
von der Diskussion mit den Fraktionen - das ist zunächst
erfreulich - in bezug auf einen konstitutiven Beschluß.
Muß daraus geschlossen werden, daß Sie der Auffassung
sind, daß es auch bei einem in diesem Bedarfsumfang
vorzunehmenden Einsatz für das Ausfliegen Sicherungsgruppen geben müßte, das heißt, würde es sich um einen
militärischen Einsatz handeln, der der konstitutiven Beschlußfassung durch das Parlament bedarf?
Zweite Frage. Sie sprachen die Anforderung der UNO
und das Verhalten der anderen europäischen größeren
Nationen an. Zugleich wiesen Sie auf Haushaltszwänge
- sicher auch durch die Belastungen, die der Bundeswehr durch andere Einsätze bereits auferlegt sind - und
anderes hin. Ist im Zusammenhang mit solchen Anforderungen zukünftig an den Versuch eines Rahmenkonzeptes für deutsche Beteiligungen an Friedensmissionen gedacht? Wenn ja, wann gedenken Sie hier erste Überlegungen vorzutragen?
Bei den heute - nicht in diesem Raum, sondern im
Kabinett - stattfindenden Erörterungen war in der Tat an
eine Maßnahme gedacht, die in die Aktion nach Kap.
VII der UNO-Charta einzubeziehen ist. Sie würde damit
im Rahmen der Interfet-Mission stattfinden und somit
eine Integration in die mit Interfet generell verbundenen
Kommando- und Sicherungsstrukturen bedeuten. Da für
eine derartige Maßnahme ein konstitutiver Beschluß
notwendig ist, hat die Bundesregierung diese Möglichkeit für den Eventualfall vorgesehen; das ist eine Selbstverständlichkeit.
Hinsichtlich der finanziellen Enge auch in diesem Bereich, weil es in den letzten Jahren viele Einsätze der
Bundeswehr außerhalb Deutschlands gab, müssen diese
Maßnahmen in den Gesamtzusammenhang der deutschen Leistungen für UNO- und internationale Maßnahmen aller Art gestellt werden. Dies hat die Bundesregierung heute ebenfalls erörtert. Der Bundesfinanzminister
hat im Kabinett gesagt, er arbeite an einer entsprechenden Übersicht. Ich will nicht sagen: Konzept; manchmal
ist eine Übersicht schon erhellend genug. Er hat kein
Datum genannt, wann er die Überlegungen abgeschlossen haben würde, so daß ich Ihnen das an dieser Stelle
nicht sagen kann. Aber die Bundesregierung nimmt
durch Ihre Frage das Interesse des Parlaments daran zur
Kenntnis.
Ich kann Ihnen aber, um die Diskussion mit einer
auch im internationalen Rahmen zu gebrauchenden
Komponente zu belegen, folgendes sagen: Überproportional, auch im Vergleich zu vielen anderen Staaten Europas und den hochentwickelten Staaten darüber hinaus,
ist das finanzielle Engagement der Bundesrepublik
Deutschland in Rußland und einigen anderen osteuropäischen Staaten, was man sicherlich in einem Gesamtbudget - darauf hat der Finanzminister hingewiesen - bei
einer Betrachtung, die sich alleine auf UNOInstitutionen bezieht, gegenrechnen muß.
Herr
Gröhe, ich gebe Ihnen noch einmal das Wort zu einer
letzten Frage im Rahmen der Befragung der Bundesregierung.
Eine Nachfrage. Sie
sprachen davon, daß im Rahmen einer Übersicht möglicherweise der Kern eines Konzeptes beinhaltet sei. Deswegen meine Frage, ob an diesen Überlegungen außer
dem Finanzminister auch das Verteidigungsministerium
und das Auswärtige Amt beteiligt sind.
Das ergibt sich fast aus der Sache.
({0})
- Nein. Diese Regierung vollzieht ihr Handeln ganz
grundsätzlich in dem Rahmen, der durch Verfassung,
Recht und Gesetz vorgegeben ist. Da eine Übersicht des
Finanzministers über Ausgaben von Einzeletats die betreffenden Ressorts berührt und der Finanzminister bei
der Aufstellung derselben mit den Betroffenen redet, ergibt sich das fast von selbst.
({1})
Ich beende nun den Themenbereich der heutigen Kabinettsitzung. Vielen Dank, Herr Staatsminister Dr. Zöpel.
Gibt es darüber hinaus Fragen an die Bundesregierung? - Bitte schön, Herr Kollege Niebel.
Herr Präsident! Ich entnehme
einer Tickermeldung der dpa von 11:51 Uhr, daß sich die
Bundesregierung heute auch mit dem Schlechtwettergeld befaßt hat. Dieser Tickermeldung ist zu entnehmen,
daß das Kabinett entschieden hat, daß die Schlechtwettergeldregelung nach zwei Jahren überprüft werden soll.
Da Frau Staatssekretärin Mascher in der heutigen Debatte des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung die
Eventualität einer derartigen Überprüfung mit keinem
Wort erwähnt hat, weil sie vielleicht auch nicht darüber
informiert war, daß das Kabinett darüber berät, würde
mich interessieren, wie denn diese Überprüfung tatsächlich aussehen soll und ob wir noch mit Änderungsanträgen zu rechnen haben.
Zur
Antwort steht zur Verfügung die Parlamentarische
Staatssekretärin Frau Mascher.
Herr Niebel,
ich habe mich inzwischen informiert. Das Bundeskabinett hat sich heute mit einer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates beschäftigt. Der Bundesrat
hat gewünscht, daß nach zwei Jahren ein Bericht der
Bundesregierung über die Entwicklungen im Bereich des
Schlechtwettergeldes vorgelegt wird. Die Bundesregierung hat diesem Wunsch des Bundesrates in ihrer Gegenäußerung Rechnung getragen. Ein solcher Bericht
wird in zwei Jahren vorgelegt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Niebel.
Frau Staatssekretärin, mich
würde die Abwicklung dieses Berichts interessieren;
denn der Tickermeldung ist nur zu entnehmen, daß die
Bundesregierung etwas Derartiges zugesagt hat. Ist denn
tatsächlich bis zur abschließenden Beratung am nächsten
Dienstag noch mit einem Änderungsantrag der Bundesregierung oder der Regierungsfraktionen zu rechnen,
oder ist diese Zusage mehr als allgemeines Versprechen
zu verstehen?
Das ist eine
Zusage, die die Bundesregierung auf einen Wunsch des
Bundesrates hin gemacht hat. Das muß im Gesetz nicht
festgelegt werden.
Damit
sind wir am Ende der Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 14/1649
Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick zur
Verfügung.
Wir kommen zur Frage 1 des Abgeordneten Dr. Heinrich Fink:
Ist mein Eindruck richtig, daß die Bundesregierung in der
Frage des Künstlergemeinschaftsrechts im Umdenken begriffen
ist, wenn in der „Agenda 1999“ des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien zu lesen
ist, daß die Schaffung eines solchen Rechts „erwogen“ wird,
während es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion ({0}) vom 1. Juni 1999 noch rundweg abgelehnt wurde?
Herr Präsident! Ich darf die
Frage des Kollegen Dr. Fink wie folgt beantworten:
Die Bundesregierung ist hier nicht im Umdenken begriffen. Sie hat vielmehr in diesem Jahr in ihren öffentlichen Stellungnahmen stets mitgeteilt, sie prüfe den Gesetzgebungsbedarf. Gegenwärtig beabsichtige sie aber
nicht, einen solchen Gesetzentwurf einzubringen. An
diesen Passagen aus der Antwort der Bundesregierung in
der Bundestagsdrucksache 14/1106 vom 1. Juni 1999,
die unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz in Abstimmung mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien,
dem Bundesministerium für Wirtschaft und dem Bundesministerium der Finanzen erteilt wurde, hält die Bundesregierung auch weiterhin fest.
Die von Ihnen angesprochenen Sätze in der Agenda
1999 des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien stehen hierzu nicht
im Widerspruch. In der Agenda 1999 heißt es nämlich
ebenfalls, nach Prüfung des Gesetzgebungsbedarfs solle
gegebenenfalls - mit anderen Worten: bei positivem
Ausgang der Prüfung des Gesetzgebungsbedarfs - die
Schaffung eines sogenannten Künstlergemeinschaftsrechts, auch Urhebernachfolgevergütung oder „Goethegroschen“ genannt, geregelt werden.
Zu den rechtspolitischen und rechtlichen Gründen, die
derzeit gegen ein solches Vorhaben sprechen, darf ich
Sie auf die Bundestagsdrucksache 14/1106 verweisen.
Wollen
Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Kollege Fink?
Ich bedanke mich sehr
herzlich für die ausführliche Antwort. Aber mich würde
doch interessieren: Was heißt „gegebenenfalls, bei positivem Ausgang der Prüfung“?
Herr Kollege, die Bundesregie5080
rung wird - wie bei jedem Gesetzgebungsvorhaben sorgfältig prüfen, ob ein Regelungsbedarf besteht und,
wenn sie das bejaht, wie dieser Regelungsbedarf auszufüllen ist. Aus der Antwort der Bundesregierung auf Ihre
Kleine Anfrage, die ich hier zitiert habe, geht hervor, daß
die Bundesregierung derzeit einen gesetzgeberischen
Handlungsbedarf nicht erkennt.
Wollen
Sie eine weitere Zusatzfrage stellen? - Bitte schön.
Können Künstler damit
rechnen, gegebenenfalls, bei positivem Ausfall der Prüfung, auch eine Einzelfallprüfung zugestanden zu bekommen?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist mit den Problemen der bildenden Künstlerinnen
und Künstler und auch der übrigen Künstlerinnen und
Künstler sehr genau vertraut. Sie ist im Gespräch mit den
Interessenverbänden, und sie wird auf Grund dieser Gespräche dann entscheiden, ob sie über das hinaus, was
bisher vorgesehen ist und was auch in dieser Antwort
steht, nämlich daß wir durchaus Handlungsbedarf im
Urheberrecht und auch im Urhebervertragsrecht, aber
auch auf anderen - steuerrechtlichen und wirtschaftsrechtlichen - Gebieten sehen, aktiv werden wird. Wir
haben also die gesamte soziale Situation der Künstlerinnen und Künstler im Auge. Nach dieser Prüfung und
nach den Gesprächen wird die Bundesregierung entscheiden, ob sie gesetzgeberisch tätig wird oder nicht.
Vielen
Dank. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen aus den Geschäftsbereichen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend sollen schriftlich beantwortet werden. Das sind
die Fragen 2 und 3.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Klaus Hofbauer von der CDU/CSU-Fraktion:
Was hat die Bundesregierung bei der Sitzung der deutschtschechischen Umweltkommission am 20./21. September 1999 in
Dresden erreicht, um die geplante Hühneraufzuchtstation in Vseruby unmittelbar an der Grenze zu Deutschland zu verhindern?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Danke schön, Herr Vorsitzender. - Herr Hofbauer, die
Antwort lautet folgendermaßen:
Die tschechische Delegation zur Sitzung der Umweltkommission am 20./21. September 1999, die unter der
Leitung des Umweltministeriums stand, bestätigte, daß
die Hühneraufzuchtstation bei Vseruby bereits genehmigt sei. In einem ersten Schritt soll eine Anlage für
200 000 Aufzuchthennen errichtet werden. Gegen diese
Anlage können aus Sicht des Tierschutzes in bezug auf
die Käfiggröße keine zwingenden Einwände erhoben
werden, da derartige Anlagen von der neuen EURichtlinie nicht erfaßt sind.
Um die grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen,
die nach bayerischen Berechnungen unterhalb der nach
gängiger Genehmigungspraxis zulässigen Werte liegen
sollen, zu überwachen, wurde die Durchführung eines
gemeinsamen Imissionsmeßprogramms vereinbart. Das
Luftmeßprogramm wird vom Bayerischen Landesamt
für Umweltschutz durchgeführt. Grundwassermessungen
sind von der Betreiberfirma Česka dzubež vorgesehen.
Die Meßergebnisse sollen gemeinsam ausgewertet werden.
Die tschechische und die deutsche Seite gaben ihrer
Erwartung Ausdruck, daß in den Genehmigungsverfahren für zwei weitere geplante Anlagen für Legehennen
EU-Normen als Maßstab angelegt werden.
Zusatzfrage, Herr Kollege. - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin.
Sie geben ja selbst zu, daß diese Anlage, die unmittelbar
an der Grenze errichtet wird, Auswirkungen auf die
deutsche Seite hat. Es besteht seit Januar dieses Jahres
ein Umweltabkommen. In diesem Umweltabkommen ist
zum Beispiel festgehalten, daß bei relevanten Anlagen
oder Entscheidungen auch unsere Seite rechtzeitig und
frühzeitig eingeschaltet wird.
Sie wissen, Frau Staatssekretärin, daß Ihr Haus nichts
gewußt hat. Erst auf Grund unserer Initiativen ist Ihr
Haus überhaupt über die Anlage informiert worden.
Welche Bedeutung hat dieses Umweltabkommen überhaupt, wenn in solchen ganz konkreten Fällen diese Vereinbarung bzw. dieses Abkommen nicht greift?
Zu Ihrer letzten Anmerkung: Was die Bekanntmachung
auf Bundesebene angeht, so kann ich Ihnen leider nur
sagen, daß die Genehmigungspraxis vorangeschritten
war, bevor die neue Bundesregierung tätig werden
konnte. Das heißt, der Antrag war bereits 1997 gestellt
worden, und die Genehmigung war dann auf tschechischer Seite im Jahre 1998 erteilt worden. Die Bayerische
Staatsregierung hat ja selbst auch erst im Februar 1999
davon Kenntnis erhalten.
Insofern ist die Bundesregierung sofort tätig geworden, nachdem sie davon Kenntnis hatte. Der alten Bundesregierung war ja vorher die Möglichkeit verwehrt,
schon vorher tätig zu werden. Daher ist es sehr schwierig, jetzt noch auf das Projekt, das in Vseruby realisiert
werden soll, Einfluß zu nehmen. Wir haben eine VerrinParl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
gerung erreicht: Es war geplant, dort 600 000 Küken
aufzuziehen. Jetzt sind es 200 000.
Nach Einschätzung des Bayerischen Landesamtes für
Umweltschutz geht man davon aus, daß, was die Immissionen angeht, überhaupt keine Gefährdungen für die
deutsche Seite zu erwarten sind. Bei den noch zu genehmigenden Anlagen, auf die auch noch Einfluß genommen werden sollte, werden für die deutsche Seite
noch weniger grenzüberschreitende Immissionen erwartet, da sich diese Anlagen 20 bis 30 Kilometer von der
Grenze entfernt befinden.
Eine
weitere Zusatzfrage, Herr Hofbauer? - Bitte.
Meine Zusatzfrage
geht in Richtung der Verbindlichkeit der Vereinbarung,
die in Dresden getroffen wurde. Ist es verbindlich, daß
die Aufzuchtstation nicht für 600 000 Hühner, sondern
für nur 200 000 Hühner gebaut werden soll, und welche
Bedeutung hat diese Vereinbarung?
Es heißt - ich beziehe mich dabei auf einen Bericht der
Bayerischen Staatsregierung -, daß es am Standort Vseruby zunächst um die Errichtung von nur einer Halle für
die Aufzucht von 200 000 Junghennen geht. Dazu ist
noch zu sagen, daß der Betrieb davon abhängt, ob die
beiden anderen Hallen gebaut werden, die für die Unterbringung von Großhühnern, die zur Eierproduktion vorgesehen sind - das sind ja noch einmal 1,2 Millionen
Hühner -, geplant sind. Wenn nämlich der Bau dieser
Hallen nicht genehmigungsfähig ist, dann wäre der Bau
einer Aufzuchtstation für 200 000 Junghennen in Frage
gestellt.
Insofern besteht hier Handlungsbedarf, wobei sich das
Bundesumweltministerium im Rahmen seiner Kompetenzen einbringt. Zum Beispiel könnte auf den deutschen
Investor Einfluß genommen werden, wenn wir ihn denn
kennen würden. Leider ist die bisherige Sachlage dergestalt, daß die tschechische Betreiberseite den Namen des
deutschen Investors bzw. Betreibers erst dann bekanntgeben will, wenn die beiden genannten Großhallen genehmigt sind. Es bedarf, so denke ich, gemeinsamer Anstrengungen, hier tätig zu werden und zu einer anderen
Reihenfolge zu kommen. Für jede Hilfe und alle Hinweise in diesem Zusammenhang sind wir dankbar.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Girisch. Bitte schön.
Frau Staatssekretärin,
Sie können also nicht verbindlich zusagen, daß kein Erweiterungsbau über die 200 000 Küken hinaus mehr
vorgesehen ist?
Wir können der tschechischen Regierung schlecht ihre
Genehmigungspraxis vorschreiben. Was wir tun können,
ist, im Rahmen des bestehenden Twinning-Projektes und
im Rahmen unserer politischen Möglichkeiten im Vorgriff auf den EU-Beitritt von Tschechien dahin gehend
zu wirken, daß die in den EU-Richtlinien enthaltenen
Rahmenbedingungen verwirklicht werden. Bestandteil
der Vereinbarung ist, daß bei den geplanten Anlagen zur
Eierproduktion die Einhaltung der neuen EUAnforderung zur Käfighaltung erfolgen muß.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Können wir davon ausgehen, daß die Bundesregierung ihrerseits alles unternimmt, damit keine weitere Käfighaltung mehr stattfindet?
Die neue Bundesregierung hätte schon früher all ihre
Möglichkeiten ausgeschöpft. Ich denke, das hätte auch
die alte Bundesregierung getan, wenn sie es gewußt hätte. Die neue Bundesregierung hat in dem Augenblick
eingegriffen, als das Projekt auf deutscher Seite bekannt
wurde. Im Protokoll der Sitzung der Umweltkommission
am 20./21. September steht, daß beide Seiten, die tschechische und die deutsche, ihrer Erwartung Ausdruck
verliehen haben, daß in den Genehmigungsverfahren für
zwei weitere geplante Anlagen - da haben wir noch die
Möglichkeit, tätig zu werden - die EU-Normen als Maßstab festgelegt werden.
Ich kann Ihnen nur noch einmal bestätigen, daß wir
im Rahmen unserer Möglichkeiten alles tun werden, damit das, was auf EU-Ebene bereits geregelt ist, auch für
die neuen Anwärter Gültigkeit haben soll.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Lippmann von der PDS-Fraktion.
- Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, entspricht die neue EU-Richtlinie zur Käfighaltung den Erklärungen, die die rotgrüne Bundesregierung im Vorfeld
ihres Amtsantrittes abgegeben hat? Inwieweit hat die
deutsche Seite dieser EU-Richtlinie zugestimmt?
Die Umsetzung der EU-Richtlinie, die im Jahr 2000 in
Kraft treten soll? Ist es richtig, daß Sie sich darauf beziehen? - Also: Ja, ich gehe davon aus.
Das war keine Antwort auf
meine Frage.
Wollen
Sie eine weitere Frage stellen? Das können Sie gerne
tun. - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, Sie
haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe nach der
deutschen Position zu dieser EU-Richtlinie gefragt.
Ja, Sie haben gefragt, ob sie den rotgrünen Befindlichkeiten entspricht. Darauf habe ich gesagt: Davon gehe
ich einmal aus.
({0})
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Beide Fragen, die Fragen 5 und 6, werden
jedoch schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, und zwar zunächst zur Frage 7 des Abgeordneten Christian Schmidt:
Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der zahlreichen
bevorstehenden Schließungen deutscher Auslandsvertretungen
die seit Jahren auf dem Tisch liegenden Vorschläge zur Schaffung gemeinsamer Botschaften der EU in Drittländern „unter einem Dach“?
Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Ludger
Volmer zur Verfügung.
Herr Kollege Schmidt, Sie fragten nach den Bemühungen der Bundesregierung, gemeinsame Botschaften oder Kanzleien mit anderen EU-Staaten zu errichten.
Diese Frage beantworte ich wie folgt:
Sie beziehen sich in Ihrer Frage auf die Rahmenvereinbarung über die gemeinsame Unterbringung diplomatischer und konsularischer Vertretungen, mit der die
EU-Mitgliedstaaten im Februar 1996 „Leitlinien für die
gemeinsame Nutzung von Gebäuden und unterstützenden Diensten“ verabschiedeten. Ziel war es, die Zusammenarbeit in Drittländern zu fördern und Synergieeffekte
bei der Verwaltung des Netzes der Auslandsvertretungen
zu erreichen.
Wir haben uns stets für die Stärkung eines gemeinschaftlichen Handelns und Auftretens eingesetzt und verfolgen dabei neben dem politischen Ziel auch einen wirtschaftlicheren Einsatz der Mittel. Das Auswärtige Amt
hat sich in bilateralen Kontakten und in der Ratsarbeitsgruppe für Verwaltungsfragen intensiv dafür eingesetzt.
Auch vor Ort werden von unseren Auslandsvertretungen
die Möglichkeiten von Gemeinschaftsvorhaben geprüft.
Mit Großbritannien und Frankreich nutzen wir bereits
gemeinsame Kanzleiräume in Almaty. In Reykjavik sind
die Botschaften Großbritanniens und Deutschlands gemeinsam untergebracht, in Lima die beiden Visastellen.
Soeben wurden die Räumlichkeiten der deutschbritischen Gemeinschaftskanzlei in Quito bezogen. Wir
sind am Projekt einer EU-Gemeinschaftskanzlei in Daressalam mit Großbritannien, den Niederlanden und der
Kommission beteiligt. Mit Frankreich gibt es eine entsprechende Zusammenarbeit in Chisiman und Praia, wo
wir die Infrastruktur der französischen Botschaft nutzen.
In Abuja wird das bisher anspruchsvollste Gemeinschaftsvorhaben verfolgt, nämlich eine Gemeinschaftskanzlei mit Frankreich, Italien, Österreich, den Niederlanden, Griechenland und der Kommission. Die genannten Vertretungen sind jedoch auf politischer Ebene
getrennt und haben auch im völkerrechtlichen Sinne einen eigenen Status.
Unser Ziel bleibt - über die gegenwärtigen Formen
der Zusammenarbeit hinaus -, weitere Schritte auf dem
Weg hin zu vollständig integrierten Gemeinschaftsbotschaften zu tun. Hier gibt es jedoch noch völkerrechtliche sowie nationale rechtliche Hindernisse.
Innerstaatlich haben wir jetzt erneut die Initiative ergriffen, um die verfassungsrechtliche Lage zu klären und
im Dialog mit EU-Staaten nach Möglichkeiten der Ausweitung und Vertiefung der Zusammenarbeit der Auslandsvertretungen in Drittländern zu suchen.
Zusatzfrage, Herr Schmidt.
Herr
Staatsminister, im Hinblick auf die soeben in der Sitzung
des Auswärtigen Ausschusses von Herrn Minister Fischer angedeutete Notwendigkeit weiterer Schließungen
von Auslandsvertretungen in den kommenden Jahren
möchte ich die Frage stellen: Wie groß schätzen Sie das
Einsparpotential für den Haushalt in den nächsten Jahren
durch die Synergieeffekte auf Grund der Einrichtung
solcher Botschaften oder Kanzleien unter einem gemeinsamen Dach ein? An welche weiteren, über die von Ihnen genannten Projekte hinaus denkt man, etwa auch
daran, größere Botschaften zusammenzulegen?
Ich kann Ihnen keine Zahl nennen. Wir verfolgen
diesen Ansatz, weil wir davon ausgehen, daß die Einsparpotentiale nennenswert sind. Sie brauchen nur zu berücksichtigen, daß Doppelstrukturen bei Gemeinschaftseinrichtungen vermieden werden können. Dabei geht es
nicht so sehr um die eigene Belegschaft, sondern eher
um den Bereich der Ortskräfte. Hier kann eine große
Zahl von Kräften eingespart werden. Man braucht zum
Beispiel nur eine Pforte, nur ein Büro, in dem die Nutzer
der Botschaft eingewiesen werden, also nur eine Informationsstelle; man braucht möglicherweise nur einen
Wagenpark. Man kann die Sachmittel aufteilen, die in
den Büros benötigt werden.
Wir verfolgen diesen Weg. Wir stoßen dabei aber auf
praktische Hindernisse von der Art, wie ich sie gerade
geschildert habe. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß
etwa Planungen, die wir mit der französischen Seite vorgenommen hatten, auf Grund höchstrichterlicher Entscheidungen in Frankreich zurückgenommen werden
mußten. Deshalb bleiben, unabhängig von unserem guten Willen, in dieser Richtung weiter zu planen, einfach
objektive Hindernisse bestehen. Wir arbeiten aber daran.
Herr
Schmidt, eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der
Fall.
Dann eine Zusatzfrage des Kollegen Wiese von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Staatsminister, wir haben in der letzten Sitzungswoche anläßlich
der Haushaltsdebatte hier im Plenum darüber gesprochen
- der Kollege Schmidt genauso wie ich -, daß es nach
den Ausführungen von Außenminister Joschka
Fischer aus der Sicht der Bundesregierung notwendig
sei, mehrere Botschaften zu schließen. Ich nannte beispielsweise das Generalkonsulat in Temeswar in Rumänien und weitere Konsulate in anderen osteuropäischen
Staaten. Wir sind aber davon ausgegangen, daß gerade
den osteuropäischen Staaten und den deutschen Minderheiten dort im Hinblick auf die Osterweiterung der EU
eine große Bedeutung zukommt. Ist die Bundesregierung
nicht der Ansicht, daß, wie in der Anfrage des Kollegen
Schmidt deutlich geworden ist, trotz der Synergie- und
Einsparungseffekte durch Zusammenlegung von Botschaften die Schließung von Konsulaten in Staaten, die
der Europäischen Union beitreten sollen, vermieden
werden sollte?
Sie haben das Beispiel Temesvar angesprochen.
Ich war selber letzte Woche als Begleiter des Bundeskanzlers in Rumänien und hatte Gelegenheit, dort mit
Vertretern der deutschen Minderheiten zu sprechen. Die
Schließung von Generalkonsulaten ist sicherlich ein
Schritt, der bitter ist. Wir tun das auch überhaupt nicht
gerne. Sie wissen, daß es keine politischen Hintergründe
gibt, sondern ausschließlich haushaltstechnische. Wir
versuchen, dies aufzufangen, indem wir Parallelstrukturen entwickeln, so daß andere die Arbeit mit übernehmen können. So versuchen wir, die Arbeit der Konsulate
entweder auf andere Konsulate, die in dem Land noch
existieren, oder auf die Botschaften zu verlagern. Eine
weitere Möglichkeit, zu Synergieeffekten zu kommen,
liegt in der Suche nach gemeinsamen europäischen Lösungen. Es ist vernünftig, darüber nachzudenken, daß
man gemeinsame Auslandsvertretungen in dem Maße
betreibt, wie sich die Gemeinsame Europäische Außenund Sicherheitspolitik entwickelt.
Eine
weitere Zusatzfrage der Kollegin Lippmann. Übrigens,
Frau Lippmann, die Sie betreffende Namensänderung ist
noch nicht im Handbuch enthalten. Ich möchte Sie bitten, das dem Bundestag offiziell mitzuteilen.
Herr Staatsminister, soweit
mir bekannt ist, ist die Schließung der Botschaft in Ruanda geplant. Es ist bekannt, daß Ruanda seit vielen Jahren ein starkes Konfliktpotential aufweist. Inwieweit erachten Sie angesichts dieses Konfliktpotentials eine
Schließung für sinnvoll, gerade auch im Hinblick auf die
frühzeitige Konflikterkennung und Krisenvorbeugung?
Ich möchte zunächst darauf aufmerksam machen,
daß diese Frage eigentlich keine Zusatzfrage zu dem behandelten Komplex der EU-Botschaften ist, weil es hier
generell um Botschaftsfragen geht. Ich will dennoch sagen: Soweit ich informiert bin, steht die Schließung der
Botschaft in Ruanda nicht an; wahrscheinlich meinen Sie
Burundi. Auch in diesem Fall gilt, was gerade gesagt
wurde: Das ist ein bitterer Schritt, so er denn endgültig
getan werden müßte. Zu rechtfertigen ist er nicht aus der
Regionalpolitik, sondern nur aus der Haushaltsproblematik heraus, in die diese Regierung, wie Sie wissen,
ohne eigene Schuld geraten ist.
Eine
weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank, daß Sie so
freundlich waren, meine Zusatzfrage zu beantworten,
auch wenn sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang
zur Ausgangsfrage stand.
Gibt es aus Ihrer Sicht Möglichkeiten, die Schließung
in Burundi zu verhindern?
Wir haben das Problem, daß wir zirka 20 Auslandsvertretungen schließen müssen; hinzu kommen
noch mehrere Goethe-Institute. Der Titel des Auswärtigen Amtes ist nun einmal so beschaffen, daß dort nur
relativ wenige Mittel für politische Projekte, für Programme, die man kürzen könnte, vorhanden sind. Fast
zwei Drittel aller Mittel des Auswärtigen Amtes sind
Strukturmittel. Wenn wir den Kürzungsvorgaben nachkommen wollen - das müssen und das wollen wir -,
dann bleibt uns nichts anderes übrig, als auch im Bereich
der Infrastruktur zu kürzen. Daß dies mit manchmal bedenklichen Nachteilen verbunden ist, liegt auf der Hand.
Wir wollen auch nichts schönreden.
Die Frage 8 wird schriftlich beantwortet. Vielen Dank, Herr
Staatsminister Volmer.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung. Als erste Frage die Frage Nummer 9 des
Abgeordneten Dietmar Schlee:
In welchem Umfang und in welchen zeitlichen Abschnitten
plant die Bundesregierung die Kürzung bzw. den Ausstieg aus
der finanziellen Beteiligung des Bundes an der Beschaffung von
Führungs- und Einsatzmitteln für die Bereitschaftspolizeien der
Länder?
Herr Kollege Schlee, folgende
Antwort: Der Regierungsentwurf zum Haushalt 2000
sieht für das Kapitel 0624, das den Titel „Beschaffungen
für die Bereitschaftspolizeien der Länder“ trägt, eine
Kürzung von 35 auf 32 Millionen DM vor. Im Haushaltsjahr 2001 verringert sich der Ansatz auf 6 Millionen
DM; für die Folgejahre 2002 und 2003 sind in der
Finanzplanung derzeit keine Mittel für die Beschaffung
von Führungs- und Einsatzmitteln in Ansatz gebracht
worden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schlee.
Herr Staatssekretär,
Sie kennen die Position der Innenministerkonferenz, die
Position aller Bundesländer, die diese Pläne einheitlich
ablehnen. Nachdem Sie das wissen, wollen Sie wirklich
- anders werden Sie das nicht bewerkstelligen können das Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den
Ländern bezüglich der Bereitschaftspolizeien kündigen?
Das wäre wohl die Konsequenz. Haben Sie sich das genau überlegt? Wann würden Sie gegebenenfalls kündigen? Für den Fall, daß Sie nicht kündigen: Wie wollen
Sie sich in Zukunft in diesen Fragen vertrauensvoll mit
den Ländern auseinandersetzen?
Wir haben über diese Fragen
vertrauensvoll mit den Ländervertretern geredet. Es gab
dazu sehr differenzierte Stellungnahmen. Es ist völlig
klar: Wenn es um Einsparungen geht, ist keiner Begeistert; das liegt in der Natur der Sache. Was das Verwaltungsabkommen anbelangt, haben wir derzeit nicht die
Absicht, dies zu kündigen. Deswegen wollte ich auch
sehr deutlich machen, daß wir diese Mittel in den Jahren
2002 und 2003 aussetzen.
Eine
weitere Zusatzfrage gibt es nicht.
Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Schlee:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß bei erheblichen Mittelstreichungen in diesem Bereich die Einsatzfähigkeit
der Bereitschaftspolizeien der Länder im bisherigen Umfang und
in bisheriger Qualität nicht mehr geleistet werden kann sowie erhebliche Einbußen im Bereich der Inneren Sicherheit zu erwarten
sind, da für komplexe Einsatzlagen wie z. B. Castor-Transporte,
bundesweite demonstrative Aktionen ({0}) oder
Großveranstaltungen wie die EXPO 2000 nicht mehr wie bisher
ausreichend und kompatibel ausgestattete Einsatzeinheiten zur
Verfügung stehen werden?
Diese Auffassung wird von der
Bundesregierung - das überrascht Sie wohl nicht - nicht
geteilt, weil die Einsatzfähigkeit und Kompatibilität der
Bereitschaftspolizeien der Länder in bisherigem Umfang
und damit die Qualität ein gemeinsames Anliegen der
Länder und des Bundes sind und sich auf die von allen
vereinbarten Inhalte der Verwaltungsabkommen begründet. Danach beschafft der Bund Führungs- und Einsatzmittel für die Bereitschaftspolizeien im Rahmen der zur
Verfügung stehenden Haushaltsmittel. Das bedeutet, daß
auch die Länder eigene Beschaffungen durchführen
müssen.
So wünschenswert eine von den Ländern geforderte
Bereitstellung von Finanzmitteln für die Bereitschaftspolizeien ist, so müssen dennoch in diesem Bereich im
Rahmen der Konsolidierungsbemühungen Mittelkürzungen vorgesehen werden. Die beabsichtigten Reduzierungen stellen zunächst einen Planungsrahmen dar, der unter dem Vorbehalt einer erneuten haushalts- und sicherheitspolitischen Prioritätensetzung steht.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schlee. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist
Ihnen bekannt, daß es in einer ganzen Reihe von Ländern unabhängig von der parteipolitischen Ausrichtung
als Folge dessen, was Sie planen, Überlegungen gibt, geschlossene Einheiten der Bereitschaftspolizei stillzulegen? Wie schätzen Sie die Konsequenzen ein? Sie haben
vorhin davon gesprochen, daß das Verwaltungsabkommen ausgesetzt würde. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie
noch einen Satz dazu sagen würden, wie man ein Verwaltungsabkommen einseitig aussetzt.
Ob wir es einseitig aussetzen
oder nicht - an unseren Planungen gibt es derzeit nichts
zu diskutieren. Sie sind Ihnen von mir zur Kenntnis gebracht worden.
Herr Schlee, ich habe fast geahnt, daß Sie fragen
könnten: Welche Konsequenzen könnte das für die Bereitschaftspolizeien der Länder haben? Ich will Ihnen
folgendes zu Gemüte führen: Wir hatten im
Einzelplan 06 Kapitel 24 beispielsweise im Jahre 1995
einen Ansatz von 38,97 Millionen DM. Beschaffungen
wurden allerdings nur für 23,5 Millionen DM vorgenommen. Im Jahre 1996 waren sogar 39 Millionen DM
im Haushalt eingestellt. Abgerufen wurden aber nur
12,6 Millionen DM. Im Jahre 1997 waren 34 Millionen DM im Haushalt vorgesehen und abgerufen wurden lediglich 14,259 Millionen DM. Wenn man also
betrachtet, wie in der Vergangenheit Beschaffungen
vorgenommen und Haushaltsmittel ausgeschöpft worden sind, kann der Aufholbedarf im Grunde genommen
nicht so groß sein. Deswegen bin ich der Auffassung, daß wir mit unserer Planung für diese vier Jahre
auf einem guten, vernünftigen Wege sind. Ich gehe davon aus, daß auch die Ländervertreter dies einsehen
werden.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Weitere
Zusatzfrage, Herr Schlee?
Herr Staatssekretär,
ich habe natürlich erwartet, daß Sie diese Zahlen vortragen werden, deren Aussagewert nahe Null ist. Ich frage
Sie, ob Sie bereit sind, mit mir nachzuvollziehen, daß
solche Investitionen natürlich nicht Jahr für Jahr in gleicher Höhe gemacht werden, daß aber das Gesamtbudget,
der Gesamtrahmen stimmen muß, weil alles andere in
höchstem Maße unsachgerecht wäre. Herr Staatssekretär, ich darf Sie fragen, ob Sie das nachvollziehen können.
Wenn man das Gesamtbudget
sieht, erkennt man eine große Differenz zwischen Soll
und Ist. Man muß darüber spekulieren, welches die
Gründe dafür sind. Herr Kollege Schlee, ich sage Ihnen:
Ich hätte diese Zahlenreihe noch für die Jahre 1994 und
1993 fortsetzen können. Ich wollte Sie aber nicht langweilen. Deswegen habe ich mich auf diese drei Jahre
konzentriert. Ich bin der Auffassung und möchte das
auch noch einmal deutlich machen, daß wir diese Maßnahme nicht aus irgendeiner Beliebigkeit heraus vollziehen, sondern daß auch wir verpflichtet sind, einen Einsparbeitrag zu erbringen. Diesen müssen wir nicht nur
aus Lust und Laune heraus erbringen, sondern weil die
Finanzsituation so ist, wie sie ist. Deswegen ist dies eine
vertretbare Planung.
Zusatzfrage des Kollegen Fuhrmann, bitte schön.
Herr Staatssekretär, interpretiere ich Sie auf Grund Ihrer Antworten richtig, daß so meine ganz persönliche Hoffnung - möglicherweise
bis zu einer politischen Klärung der Endlagerfragen, die
auch etwas mit den Castor-Transporten zu tun haben,
deshalb kein Castor-Transport stattfindet, weil die notwendige Ausrüstung von Polizei und BGS durch das Innenministerium nicht gewährleistet sein könnte?
Herr Kollege Fuhrmann, ich
muß Sie leider enttäuschen. Ich glaube, daß diese Haushaltsplanungen und Haushaltsansätze mit der von Ihnen
aufgeworfenen Sachfrage nicht im Zusammenhang stehen.
({0})
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung.
Die Fragen 11 und 12 des Kollegen Hinsken sollen
schriftlich beantwortet werden.
Die Fragen 13 und 14 sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
({0})
- Ja, der Kollege ist nicht anwesend. Das wird mir gerade gesagt. Es wird verfahren wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Damit haben Sie sich, Frau Staatssekretärin, umsonst
herbemüht. Ich bedanke mich dafür. Es tut mir leid, daß
uns dies so spät zur Kunde gekommen ist.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Ulrike Mascher zur Verfügung.
Die Frage 18 soll schriftlich beantwortet werden.
Die Frage 19 des Kollegen Thomas Dörflinger - er ist
anwesend - kommt jetzt zur Beantwortung:
Wie hoch beziffert die Bundesregierung den Fehlbetrag in der
gesetzlichen Rentenversicherung, der durch die vorgesehene
Absenkung der durch den Bund zu leistenden Versicherungsbeiträge der Zivildienstleistenden entsteht, und ist eine analoge
Regelung auch für die Rentenversicherungsbeiträge der Wehrpflichtigen in Planung?
Herr Dörflinger, in Art. 29 Nr. 2a des Entwurfs des Haushaltssanierungsgesetzes ist die Herabsetzung der Bemessungsgrundlage für die Rentenversicherungsbeiträge sowohl
für Wehrdienstleistende als auch für Zivildienstleistende
von 80 Prozent auf 60 Prozent der Bezugsgröße vorgesehen. Das Beitragsaufkommen zur gesetzlichen Rentenversicherung vermindert sich durch diese Änderung
nach den vorliegenden Schätzungen um rund 500 Millionen DM jährlich.
Zusatzfrage, Herr Kollege?
Frau Staatssekretärin, können Sie Angaben darüber machen, ob dieser
Fehlbetrag in der gesetzlichen Rentenversicherung
Auswirkungen auf den Bundeszuschuß an die gesetzliche Rentenversicherung hat?
Er hat keine
Auswirkungen auf den gesetzlich geregelten Bundeszuschuß.
Zweite
Zusatzfrage, bitte schön.
Verstehe ich Sie
richtig, daß die gesetzliche Rentenversicherung diesen
Fehlbetrag von 500 Millionen DM selbst zu erwirtschaften hat?
Nein. Die
Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung fließen
aus zwei Quellen: einmal aus dem Beitragsaufkommen,
das entweder von den abhängig Beschäftigten und ihren
Arbeitgebern gezahlt wird oder - für die Gruppen, die
wir hier angesprochen haben - auch aus Steuermitteln
finanziert wird, und darüber hinaus aus dem allgemeinen
Bundeszuschuß, dem besonderen Bundeszuschuß und
dem Bundeszuschuß, den wir aus dem Aufkommen der
Ökosteuerreform haben. Von daher muß in der Rentenversicherung nicht etwas zusätzlich - zum Beispiel
durch Beitragssatzanhebung - erwirtschaftet werden;
vielmehr wird das aus den steuerfinanzierten Bundeszuschüssen aufgebracht.
Zusatzfrage des Kollegen Seifert von der PDS-Fraktion.
Frau Staatssekretärin, können
Sie uns auch sagen, welche Auswirkungen die Senkung
der Versicherungsbeiträge für Zivildienstleistende auf
die Zivildienstleistenden selber hat, wenn diese eines
Tages in Rente gehen? Ich frage das insbesondere in
Anbetracht der Tatsache, daß viele von ihnen nach Beendigung ihrer Dienstzeit eine Zeitlang keine Arbeit haben, bevor sie zum Beispiel studieren.
Das kann ich
Ihnen nicht sagen. Sie selbst haben in Ihrer Frage ja
deutlich gemacht, daß es, je nach dem, was sich an die
Zivildienstzeit anschließt, sehr unterschiedliche Rentenbiographien gibt.
Weitere
Zusatzfrage des Kollegen Fuhrmann.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir die Frage beantworten, welche fiktive Höhe
als Berechnungsgrundlage für die 80 Prozent bzw. 60
Prozent für die Rentenversicherung der ZEL angenommen wird?
Herr Fuhrmann, das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich möchte
Ihnen das gerne präzise schriftlich beantworten.
({0})
Vielen
Dank.
Die Fragen 20 bis 23 werden schriftlich beantwortet.
Nun kommen wir zur Frage 24 der Kollegin Gudrun
Kopp von der F.D.P.-Fraktion:
Wie viele Strafverfahren und Verurteilungen hat es nach
Kenntnis der Bundesregierung in den letzten 10 Jahren nach
§ 25 Ladenschlußgesetz gegeben?
Frau Kollegin
Kopp! Sie haben nach der Zahl der Strafverfahren und
Verurteilungen wegen eines Verstoßes gegen § 25 des
Ladenschlußgesetzes gefragt. Die Bundesregierung hat
keine Erkenntnisse über die Zahl der Strafverfahren und
Verurteilungen nach § 25 des Ladenschlußgesetzes. Entsprechende kriminalstatistische Daten liegen der Bundesregierung nicht vor. Allerdings dürfte die Anzahl der
Strafverfahren und Verurteilungen nach § 25 des Ladenschlußgesetzes gering sein. Verstößen gegen Bestimmungen des Ladenschlußgesetzes kann in der Regel mit
aufsichtsbehördlichen Mitteln begegnet werden. Die
Aufsichtsbehörden in den Bundesländern haben nach
§ 25 des Ladenschlußgesetzes insbesondere die Möglichkeit, Verstöße als Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen. Der Straftatbestand des § 25 des Ladenschlußgesetzes dürfte nur in besonderen Ausnahmefällen erfüllt
sein.
Zusatzfrage, Frau Kopp.
Vielen Dank für die Beantwortung, Frau Staatssekretärin. Sind Sie angesichts dieser Antwort mit mir der Meinung, daß § 25 des Ladenschlußgesetzes dann wegfallen könnte? Von Verstößen
bei regelrechten Straftaten einmal abgesehen: Wir haben
doch die einschlägigen Arbeitnehmerschutzgesetze und
das Strafgesetzbuch. Denken Sie nicht auch, dieses Gesetz brauchen wir nicht länger?
Wenn ich Sie
richtig verstanden habe, sind Sie der Meinung, daß das
Ladenschlußgesetz insgesamt wegfallen soll. Habe ich
Sie da richtig verstanden?
({0})
- Dazu ist anzumerken, daß wir - wie Sie wissen - anläßlich der Beratungen am 1. November 1996 festgelegt
haben, daß von der Bundesregierung ein Erfahrungsbericht im Zusammenhang mit dem Ladenschlußgesetz
vorgelegt werden soll. In diesem Zusammenhang sind
zwei Gutachten in Auftrag gegeben worden: eines an
das Ifo-Institut, ein anderes an die Sozialforschungsstelle Dortmund. Diese Erfahrungsberichte werden der
Öffentlichkeit voraussichtlich im Oktober vorgestellt.
Ich denke, wir sollten - wie das in diesem Hause, noch
mit den alten Mehrheitsverhältnissen, vereinbart war im Lichte dieser Erfahrungsberichte die Fragen, wie wir
mit dem Ladenschluß umgehen und wie wir mit dem
Ladenschlußgesetz umgehen, gemeinsam beraten und so
zu einem Ergebnis kommen.
Zweite
Zusatzfrage, Frau Kopp.
Eine kurze Zusatzfrage. Wir
beziehen uns heute ausschließlich auf § 25 des Ladenschlußgesetzes. Insofern stelle ich Ihnen die Frage, ob
Sie aus den Gutachten, die in Auftrag gegeben wurden,
auch Erkenntnisse speziell zu diesem Paragraphen erwarten. Wenn Sie bisher keinerlei Unterlagen zu Verstößen oder Straftaten haben, dann erwarte ich eigentlich
auch aus diesen Gutachten keine neuen Erkenntnisse.
Insofern habe ich eben die Frage gestellt, ob man dann
nicht auf diesen Paragraphen verzichten kann. Im Rahmen der Diskussion über das gesamte Gesetzeswerk
werden wir mit Sicherheit noch darüber reden. Aber
heute geht es mir speziell um § 25 des Ladenschlußgesetzes.
Frau Kopp,
wir haben uns im Bundesarbeitsministerium und auch
zusammen mit dem Wirtschaftsministerium darauf verständigt, daß wir die Veröffentlichung der beiden in
Auftrag gegebenen Gutachten abwarten, bevor wir zu
einzelnen Punkten des Ladenschlußgesetzes Stellung
nehmen. Die wenigen Wochen bis zur Veröffentlichung
dieser Gutachten sollten wir noch warten.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin.
Der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Verteidigung wird übergangen, weil alle Fragen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen damit zum Bereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels zur Verfügung.
Ich rufe Frage 30 des Kollegen Gerald Weiß ({0}) auf:
Ist nach den Erkenntnissen der Bundesregierung mittlerweile
wieder eine reibungslose Praxis bei der Versorgung Pflegebedürftiger in Heimen mit Hilfsmitteln nach § 33 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch ({1}) - vor dem Hintergrund der unveränderten Gesetzeslage gegeben, oder zieht sie eine klarstellende Gesetzesänderung in
Erwägung?
Herr Kollege Weiß, der
Bundesregierung ist bekannt, daß in der Vergangenheit
Probleme bei der Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mit Hilfsmitteln in
Pflegeheimen aufgetreten sind. Die Spitzenverbände haben ausdrücklich bestätigt, daß ein Anspruch auf individuelle Versorgung mit Hilfsmitteln im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung auch bei den in Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten zweifelsfrei besteht.
Das heißt, daß sich die aus § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ergebenden Rechtsansprüche auch uneingeschränkt für die in Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten gelten. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist die medizinische Notwendigkeit durch
eine ärztliche Verordnung zu bestätigen.
Ob Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein
Hilfsmittel durch die gesetzliche Krankenversicherung
besteht, entscheiden die Krankenkassen nach Prüfung
der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls. Die
Spitzenverbände der Krankenkassen und die Pflegekassen stimmen darin überein, daß die Übernahme der Kosten für die Hilfsmittel, die zur notwendigen allgemeinen Ausstattung der Pflegeheime zu rechnen sind, nicht
zur Leistungspflicht der Krankenkassen gehört.
Eine Gesetzesänderung ist aus Sicht der Bundesregierung nicht erforderlich. Das Bundesministerium für Gesundheit hat allerdings Hinweise erhalten, daß Mißstände - viele sind abgestellt worden; Ihre Frage war deshalb gerechtfertigt - teilweise noch immer bestehen.
Deshalb hat mein Haus die Spitzenverbände der Krankenkassen erneut um Sachstandsmitteilung gebeten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß?
Frau
Staatssekretärin, es ist trotz Ihrer Klarstellung zutreffend, daß es offenkundig weiterhin Mißhelligkeiten gibt,
nämlich daß schwerkranke Menschen die Übernahme
der Kosten für von ihnen benötigte medizinische Hilfsmittel durch die Krankenkassen vor den Sozialgerichten
einklagen müssen. Wenn es nicht anders als auf dem
Klageweg möglich ist, daß die Kosten übernommen
werden, ist dann eine klarstellende Gesetzesänderung
vielleicht doch erwägenswert?
Herr Kollege Weiß, wenn
es wirklich nicht anders möglich wäre, würde ich Ihnen
beipflichten. Aber Sie kennen den Grundsatz, daß untergesetzliche Regelungen Vorrang vor gesetzlichen Regelungen haben. Dies ist auch deshalb sinnvoll, weil
nicht alle Einzelfälle gesetzlich geregelt werden können.
Wir sind sehr zuversichtlich, daß bei der Versorgung
von Pflegebedürftigen in Heimen weitere grundsätzliche
Verbesserungen möglich sind. Daran arbeiten wir im
Augenblick. Ich denke, dies ist Ihnen auch bekannt.
Die Spitzenverbände der Pflegekassen sind Ende
letzten Jahres gebeten worden, sich in einer Arbeitsgruppe mit den für Investitionsförderung zuständigen
Ländern darauf zu verständigen, was zur Grundausstattung eines Pflegeheimes gehört. Die Arbeiten an einem
Abgrenzungskatalog, in dem die Zuordnung der einzelnen Hilfsmittel geregelt ist und mit dem den bisherigen
Abgrenzungsstreitigkeiten ein Ende gesetzt werden soll
- dies haben Sie im Interesse der Betroffenen zu Recht
gefordert -, sind kürzlich abgeschlossen worden. Dieser
Abgrenzungskatalog könnte entweder über die Rahmenempfehlungen nach § 75 SGB XI oder die Vereinbarung
zur Qualitätssicherung nach § 80 SGB XI verbindlichen
Charakter für die Beteiligten erlangen. Die dazu not5088
wendigen Abstimmungsprozesse laufen im Augenblick
noch. Die Bemühungen der Selbstverwaltung und der
Länder, hier zu einer durchgreifenden und dauerhaften
Problemlösung zu gelangen, werden - wie ich schon
dargelegt habe - von uns auch aus den von Ihnen schon
dargelegten Gründen nachdrücklich unterstützt. Wir sind
zuversichtlich, daß wir über diesen Abgrenzungskatalog
auf untergesetzlichem Wege zu einer eindeutigen Regelung mit eindeutigen Ansprüchen entweder gegenüber
dem Heim bzw. gegenüber den in der Pflicht stehenden
Ländern oder aber gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung kommen.
Zweite
Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.
Frau
Staatssekretärin, die Bemühungen um diesen Abgrenzungskatalog sind, wenn ich es richtig sehe, anderthalb
Jahre alt. Vielleicht umfassen sie auch noch größere
Zeiträume. Warum wird bei einem so sensiblen Gegenstand nicht Druck gemacht, damit endlich etwas zustande kommt, was tragfähige Entscheidungen möglich
macht? Warum dauert so etwas so lange?
Herr Kollege Weiß, Sie
haben zu Recht angesprochen, daß diese Bemühungen
schon seit anderthalb Jahren im Gange sind. Die Vorgängerregierung hat sich erheblich bemüht, und sie hat
ziemlich große Schwierigkeiten gehabt. Ihnen als ehemaligem Staatssekretär in einem Bundesland ist sicherlich bekannt, daß der besonders sensible Bereich der Investitionsförderung der Länder immer eine große Rolle
spielt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an die vergeblichen Versuche der alten Bundesregierung erinnern, auf
der Basis des § 83 Abs. 1 Nr. 5 SGB XI eine Abgrenzungsverordnung zu erlassen. Es ging unter anderem
darum, die für den Betrieb der Pflegeeinrichtung notwendigen abschreibungsfähigen Anlagegüter aufzulisten, die als Investitionsaufwendungen nicht in der Pflegevergütung und in den Entgelten für Unterkunft und
Verpflegung berücksichtigt werden können. Sie wissen,
daß diese Versuche leider gescheitert sind. Ich bin der
Auffassung, daß sie sehr lohnend waren.
Wir als neue Bundesregierung sind erst ein Jahr im
Amt. Wir haben Ende letzten Jahres eine Arbeitsgruppe
einberufen. Der Abgrenzungskatalog ist fertig. Wir befinden uns in der Phase der Abstimmung. Ich habe Ihnen
schon dargelegt, wo unseres Erachtens die Möglichkeit
besteht, diesem Abgrenzungskatalog Verbindlichkeit zu
verleihen. Wir sind wirklich einen entscheidenden
Schritt weitergekommen. Ich glaube, diejenigen, die sich
in der Problematik auskennen, ziehen alle an einem
Strang. Wir hoffen, zügig zu einem Ergebnis zu kommen. Ich bin zuversichtlich, daß uns das gelingt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Ilja Seifert.
Frau Staatssekretärin, Sie
räumten ein, daß es bei der Versorgung mit Hilfsmitteln
Mißstände gibt. Außerdem haben Sie angekündigt, die
Spitzenverbände der Kassen zu fragen, wo solche Mißstände noch vorhanden sind. Haben Sie vor, entweder
eigene Befragungen bei den Betroffenen in den Einrichtungen durchzuführen oder gegebenenfalls Behindertenorganisationen zu bitten, für Sie diese Befragungen zu vorzunehmen, damit auch die Sicht der anderen
Seite dargestellt wird? Es ist klar, daß die befragten
Kassen ein gewisses Eigeninteresse an der Antwort haben.
Herr Kollege Dr. Seifert,
die Bundesregierung ist nicht einäugig, wenn es darum
geht, Sachverhalte abzufragen, die in ganz fundamentalem Interesse von betroffenen Menschen stehen. Sie
wissen, daß wir im Deutschen Bundestag einen Petitionsausschuß haben, bei dem entsprechende Petitionen in
sehr großer Zahl eingegangen sind. Einiges ist verbessert worden.
Durch den Petitionsausschuß bekommen auch die
Ministerien viele konkrete Einzelbeispiele. Sie können
sicher sein, daß die Petitionen gelesen werden. Ich bin
früher Vorsitzende des Petitionsausschusses gewesen.
Mir ist sehr wichtig, daß die Petitionen gelesen werden.
Ich bin froh, wenn unser Haus auf diesem Weg eine
Fülle von Beispielen erhält.
Darüber hinaus steht unser Haus mit allen Fachverbänden und vor allen Dingen mit den Behindertenverbänden in intensivem Austausch. Selbstverständlich ist
uns daran gelegen, deren Erfahrungen zu hören. Daß
diese Verbände zu unserem Haus Zugang haben, ist
gängige Praxis. Die Erfahrungen dieser Verbände werden dauernd einbezogen. Aus diesem Grund haben wir
festgestellt: Es bestehen noch immer einige Mißstände,
obwohl es erheblich besser geworden ist. Wir müssen an
der Verbesserung der Mißstände weiterarbeiten, und das
tun wir auch.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Michael Meister.
Frau Staatssekretärin, Sie haben in Ihrer letzten Antwort die Vielzahl
der Einzelfälle angesprochen, die auch dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages vorliegen. In der
Praxis sieht es leider so aus, daß viele Krankenkassen,
zumindest auf der Bearbeitungsebene, die Ansprüche
der Pflegebedürftigen keineswegs in der von Ihnen beschriebenen Weise einordnen; vielmehr weisen die
Krankenkassen die Einordnung der Ansprüche der Pflegebedürftigen an die Träger der Pflegeheime und der
anderen Einrichtungen zurück. Wenn die einzelnen
Pflegebedürftigen dagegen vorgehen wollen, dann steht
ihnen nur der Rechtsweg offen. Deshalb kommt es wohl
auch zu dieser Vielzahl von anhängigen Petitionen und
Rechtswegeverfahren.
Darf ich auf Grund Ihrer bisherigen Aussagen unterstellen, daß die Bundesregierung die seitherige Praxis,
die pflegebedürftigen Menschen sozusagen auf den
Rechtsweg zu verweisen, nicht akzeptiert und eine Änderung befürwortet?
Herr Kollege, natürlich
ermöglicht es die Rechtswegegarantie den Betroffenen,
sachgerecht Beschwerde zu führen und die Aufsichtsbehörden einzuschalten. Die Krankenkassen müssen den
Betroffenen ja auch die Adressen nennen. Ich finde, man
darf auf dieses Recht nicht verzichten. Es herrscht natürlich ein Mißstand vor, wenn verhältnismäßig viele
Pflegebedürftige diesen Weg gehen müssen. Das war
der Grund für die alte Regierung gewesen, sich auf
einen, so wie es Ihr Kollege Weiß beschrieben hat, mühsamen Weg zu begeben. Wir haben diesen alten Weg
weiterverfolgt und auf der Basis der Ergebnisse der Arbeitsgruppe noch einen neuen Weg beschritten. Wir sind
sehr zuversichtlich, daß durch eine eindeutige Abgrenzung dem Pingpongspiel ein Stück weit ein Riegel vorgeschoben wird.
Trotzdem kann man den Betroffenen aber nicht raten,
auf ihre Möglichkeiten, sich bei den Aufsichtsbehörden
zu beschweren oder den Rechtsweg einzuschlagen, zu
verzichten. Das wäre falsch. Von Bundesseite aus tun
wir alles, was getan werden kann. Wir erleichtern dieses
durch eindeutige Abgrenzungskataloge und schaffen
klare Zuständigkeiten. Der Abgrenzungskatalog ist, wie
gesagt, fertig. Wir hoffen, ihn so bald wie möglich verbindlich machen zu können.
Zwei
Zusatzfragen hat immer nur der Fragesteller. Ich war
vorhin etwas großzügig. Aber pro Person darf jeweils
nur eine weitere Fragen gestellt werden.
Wir kommen jetzt zur Frage 31 des Kollegen Gerald
Weiß:
Welche dauerhafte Regelung mit Blick auf die Leistungspflicht bei Behandlungspflege in Heimen strebt die Bundesregierung nach Auslaufen der jetzt noch geltenden, aber bis Jahresende befristeten Regelung an?
Herr Kollege Weiß, die
Pflegekassen übernehmen zur Zeit im Rahmen einer
Übergangsregelung bei stationärer Pflege neben den
Aufwendungen für die Grundpflege und die soziale Betreuung auch die Kosten der medizinischen Behandlungspflege, allerdings nur im Rahmen der gedeckelten
leistungsrechtlichen Höchstbeträge. Die Übergangsregelung - darauf stellen Sie ja mit Ihrer Frage ab - läuft
am 31. Dezember 1999 aus. Das heißt, es muß für den
Zeitraum ab 1. Januar 2000 eine Anschlußregelung gefunden werden.
Aus sach- und ordnungspolitischen Gründen könnte
daran gedacht werden, die Kostenverantwortung für die
stationäre Behandlungspflege der gesetzlichen Krankenversicherung zu übertragen und damit sowohl die häusliche wie auch die stationäre Behandlungspflege bei ein
und demselben Kostenträger anzubinden. Allerdings
kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß der gesetzlichen Krankenversicherung bei einer vollen Übernahme
der Kosten der medizinischen Behandlungspflege in
Pflegeheimen erhebliche Mehrkosten auferlegt würden.
Darum haben sich die Koalitionspartner darauf verständigt, die derzeitige Übergangsregelung um weitere zwei
Jahre zu verlängern. Wir wollen diesen Zeitraum auch
zu einer Verbesserung der Datenlage nutzen.
Zusatzfrage, Herr Weiß.
Frau
Staatssekretärin, Sie haben es im Grunde angedeutet,
daß man aus ordnungspolitischen Gründen anders entscheiden könnte. Wäre es in der Sache nicht richtig,
wenn die Krankenkassen für medizinische Behandlungspflege zu bezahlen hätten, da sich die Übergangsregelung in der Praxis nicht bewährt hat? Schließen Sie
sich dieser Bewertung an?
Herr Kollege Weiß, ich
möchte Sie bei der Beantwortung der Frage daran erinnern, welche Motive die damalige Bundesregierung bewogen haben - 1996 wurden ja erstmals Leistungen gezahlt -, diese Übergangsregelung zu treffen. Die Krankenversicherungen sind ja unstreitig durch diesen stationären Zweig der Pflegeversicherung stark entlastet worden. Man ging davon aus, daß man erproben müsse, wie
diese Abgrenzung funktioniert, ohne daß es zu einer einseitigen Entlastung der Krankenversicherung bei gleichzeitiger Belastung der Pflegeversicherung kommt. Deshalb hat man diese Regelung für einen Übergangszeitraum ermöglicht. Allerdings reicht die Datenlage des
bisherigen Zeitraums noch nicht aus.
Die Krankenversicherung ist ja nicht etwas ganz anderes als die Pflegeversicherung, sondern beide stellen
Säulen der bewährten gesetzlichen Versicherungssysteme dar. Man muß Abgrenzungen vornehmen, um beide
auf Dauer zu sichern, und vorrangig das tun, was im Interesse der Betroffenen liegt. Darum haben wir uns entschlossen, diese Übergangsregelung um zwei Jahre zu
verlängern. Wir haben damit keine bleibende Regelung
konzipiert, sondern wir verlängern sie ausdrücklich aus
dem Grund, um die Datenlage zu verbessern, und nicht
etwa, weil wir sagen: Kommt Zeit, kommt Rat. Wir haben bisher keine ausreichenden Daten zur Abgrenzung
von Behandlungspflege und anderer Pflege.
Zweite
Zusatzfrage, Herr Weiß.
Frau
Staatssekretärin, welchen Umfang hat die Kostenlast,
um die es hier geht?
Die Angaben differieren
sehr stark; auch deshalb brauchen wir eine verbesserte
Datenlage. Der AOK-Bundesverband geht von einer
Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung
bei Übernahme der Kosten von 3 Milliarden DM jährlich aus. Andere Schätzungen gehen von rund 1,5 Milliarden DM jährlich aus. Beide Berechnungen sind durch
entsprechende Annahmen abgesichert. Bei einer so großen Differenz brauchen wir mehr Daten, um sachgerecht
entscheiden zu können. Denn gerade in der Pflege - ich
glaube, Herr Kollege, da sind wir uns einig - vertragen
die Betroffenen kein kurzfristiges Hin und Her. Das muß
man sorgfältig und kreuzsolide angehen.
({0})
Zusatzfrage des Kollegen Dr. Ilja Seifert.
Frau Staatssekretärin, wenn
ich Sie richtig verstanden habe, verlängern Sie die
Übergangsregelung deshalb, weil Sie vermuten, daß die
Pflegeversicherung etwas mehr Geld als die gesetzliche
Krankenversicherung hat. Denn sachlich und ordnungspolitisch tendieren Sie - so habe ich den Eindruck - eher
dazu, daß es so wie vor der Einführung der Pflegeversicherung sein soll, nämlich daß die Krankenversicherung
diese Leistungen finanziert.
Herr Kollege Dr. Seifert,
da haben Sie mich nicht richtig verstanden, oder ich habe mich nicht ausreichend klar ausgedrückt. Wir wollen
diese Übergangsregelung deshalb verlängern, weil wir
der Auffassung sind, daß wir ausreichende Datentransparenz brauchen. Bisher konnten die Träger der Einrichtungen die Abgrenzung nicht mit ausreichender
Klarheit auf den Tisch legen.
Das ist nicht nur aus Kostengesichtspunkten, sondern
auch aus generellen Gesichtspunkten wichtig. Denn wir
wollen die Pflegeversicherung und auch die gesetzliche
Krankenversicherung dauerhaft stabilisieren und dafür
sorgen, daß die zu Pflegenden eine vernünftige und verläßliche Basis haben.
Zusatzfrage des Kollegen Dr. Meister.
Frau Staatssekretärin, können wir davon ausgehen, daß die Bundesregierung nach der Übergangsfrist von zwei Jahren, die
Sie jetzt angesprochen haben, wenn die Daten erhoben
sind, eine Ungleichbehandlung von stationärer und ambulanter Versorgung nicht dauerhaft zementieren wird?
Sonst würden diejenigen Pflegefälle, die in stationären
Einrichtungen behandelt werden, unter Umständen
durch die dortige Vorhaltung von Heilmitteln, die gesetzlich vorgeschrieben ist, zusätzlich belastet.
Herr Kollege, ich bin
nicht die Buchela von Bonn, die in den 50er Jahren im
Kaffeesatz rührte und den Politikern sagte, was in näherer oder fernerer Zukunft passiert. In zwei Jahren kann
sehr viel passieren. Ich habe dargelegt, daß wir die
Übergangsfrist nicht deshalb im Rahmen der GKVStrukturreform um zwei Jahre verlängern, weil wir dann
nichts tun wollen. Vielmehr wollen wir eine größere
Datentransparenz. Dann wird gründlich ausgewertet.
Das, was diese Auswertung vernünftig erscheinen läßt,
ausdrücklich auch im Sinne der Betroffenen, werden wir
dann tun. Ich kann Ihnen aber jetzt noch nicht sagen,
wie das aussehen wird. Ich spekuliere auch nicht gerne;
das vertragen die Betroffenen und diejenigen, die die
Arbeit in den Pflegeeinrichtungen tun, nicht.
Vielen
Dank.
Dann kommen wir zur Frage 32 des Kollegen Dr.
Michael Meister:
Sind die Krankenkassen nach der Klarstellung in der „gemeinsamen Verlautbarung“ vom 26. Mai 1998, daß die sich aus
§ 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ergebenden Rechtsansprüche uneingeschränkt auch für die in Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten gelten, insgesamt gesehen wieder zu der Bewilligungspraxis zurückgekehrt, die vor der Einführung der stationären Leistungen der Pflegeversicherung selbstverständlich
war, dahingehend, daß alle Versicherten mit Hilfsmitteln gleich
zu versorgen sind, egal wo sie wohnen?
Herr Kollege Dr. Meister,
wir haben schon einiges von dem, was Sie in Ihrer Frage
angesprochen haben, in Zusatzfragen und Zusatzantworten angesprochen.
Generell haben die Spitzenverbände der gesetzlichen
Krankenversicherung ausdrücklich bestätigt, daß ein
Anspruch auf individuelle Versorgung mit Hilfsmitteln
im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung auch bei
den in Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten besteht. Sie haben in Ihrer Frage ausdrücklich auf die
Klarstellung hingewiesen, die wir dankenswerterweise
bekommen haben.
Das heißt, daß die aus § 33 des Fünften Buches des
Sozialgesetzbuches sich ergebenen Rechtsansprüche
auch uneingeschränkt für die in Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten gelten. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist die medizinische Notwendigkeit durch eine ärztliche Verordnung zu bestätigen. Ob Anspruch auf die Übernahme der Kosten eines
Hilfsmittels durch die gesetzliche Krankenversicherung
besteht, entscheiden die Krankenkassen nach Prüfung
der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalles. So
sieht es auch § 33 SGB V vor.
Die Spitzenverbände der Kranken- und Pflegekassen
stimmen darin überein, daß bestimmte Hilfsmittel, die
zu den notwendigen allgemeinen Ausstattungen der
Pflegeheime gerechnet werden, nicht zur Leistungspflicht der Krankenkassen gehören. Dazu zählen - diesen Punkt hat Ihr Kollege Weiß eben angesprochen beispielsweise Rollstühle, die nicht individuell angepaßt
werden und die dazu benötigt werden, um zu Pflegende
ins Bad zu fahren. Dies gehört zur allgemeinen Infrastruktur und hat nichts mit Hilfsmitteln im Einzelfall zu
tun. Anders verhält es sich natürlich, wenn es um einen
maßgeschneiderten Rollstuhl geht. Dieser gehört nach §
33 SGB V ohne jeden Zweifel zu den Hilfsmitteln, die
die gesetzlichen Krankenversicherungen zahlen müssen.
Gegen die Entscheidung der Krankenkassen kann
Widerspruch eingelegt werden. Darüber hinaus können
die Entscheidungen der Krankenkassen von der zuständigen Aufsichtsbehörde überprüft werden. Wenn die
Versicherten eine solche Überprüfung vornehmen lassen
wollen, muß ihnen die Krankenkasse die Anschrift der
jeweiligen Aufsichtsbehörde mitteilen. Unser Ministerium kann darauf zwar keinen Einfluß nehmen; wir tun
aber das uns Mögliche. Ich habe eben schon dargelegt,
daß wir in der Arbeitsgruppe den Abgrenzungskatalog
erarbeitet haben und nun versuchen, ihn verbindlich einzusetzen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Meister.
Frau Staatssekretärin, ich habe eine Nachfrage. Sie haben sowohl in
Ihrer Antwort auf die letzte Frage als auch in den Antworten auf die Fragen des Kollegen Weiß Ihre Gespräche mit den Spitzenverbänden der Kassen angesprochen.
Wird von der Bundesregierung verfolgt, inwieweit die
Ergebnisse der Spitzengespräche in die Praxis der Kassen umgesetzt werden? Wenn dies nicht der Fall ist:
Wird von seiten der Bundesregierung versucht - ich habe in meiner Zusatzfrage diesen Fall schon angesprochen -, im Einzelfall im Sinne der Betroffenen Druck
auszuüben, damit in der täglichen Praxis diese Vereinbarung eingehalten wird?
Herr Kollege, in meiner
Antwort auf die Frage von Herrn Dr. Seifert habe ich
schon ausgeführt, daß uns diese Einzelfälle bekannt
sind. Betroffene schreiben das Ministerium an und bekommen eine vernünftige Antwort und - soweit es in
unserer Kompetenz liegt - auch Hilfestellung. Die Aufsichtsgremien sind aber Ländersache; der entsprechende
Rechtsweg muß beachtet werden. Soweit die Bundesregierung aber helfen kann, tut sie es.
Daß diese Gespräche nicht ungehört verhallen, mögen Sie daran erkennen, daß auch die Bemühungen der
Vorgängerregierung gezeigt haben, daß man durch
Nachfassen und durch Abfragen eine erhöhte Sensibilität bei den Krankenkassen erzeugen kann. Man kann so
einen positiven Druck im Interesse der zu Pflegenden
ausüben. Es hat schon eine gewisse Bedeutung, wenn
die Bundesgesundheitsministerin abfragt. Obwohl die
Situation schon erheblich besser geworden ist, bestehen
in einigen Bereichen noch Mißstände, weshalb wir eine
weitere Abfrage durchgeführt haben.
Dies ist aber nicht alles. Wir haben nämlich, wie
schon erwähnt, den Abgrenzungskatalog festgelegt.
Wenn er eindeutig verbindlich festgelegt ist, dann wird
die Situation für die Betroffenen viel einfacher werden.
Zusatzfrage des Kollegen Weiß.
Frau
Staatssekretärin, ich habe eine Frage zu dem wiederholt
von Ihnen erwähnten Abgrenzungskatalog, der in einer
Arbeitsgruppe erarbeitet worden ist: Ist dieser Abgrenzungskatalog im Konsens zwischen Heimträgern auf der
einen Seite und den Kassen auf der anderen Seite geschaffen worden? Andersherum gefragt: Waren die
Heimträger in dem Arbeitskreis bei der Erarbeitung vertreten?
Die Träger waren daran
beteiligt. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen zur genauen
Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe eine schriftliche
Mitteilung zukommen lassen.
Vielen
Dank. Damit kommen wir zur Frage 33 der Kollegin
Gudrun Kopp:
In welcher Art und mit welchen konkreten Haushaltsansätzen plant die Bundesregierung die Finanzierung eines neutralen
Patientenberatungsnetzwerks?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Kopp, die
Bundesregierung hat sich in ihrer Koalititionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 auch für eine Stärkung der
Patienten- und Patientinnenrechte und des Patientenschutzes sowie für eine Verbesserung der Verbraucherberatung ausgesprochen. Zur Umsetzung dieses Punktes
des Koalitionsvertrages hat die Bundesregierung im
Rahmen ihres Entwurfes eines Gesetzes zur Reform der
gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000
vom 23. Juni 1999 auch Verbesserungen der Beratung
der Versicherten durch folgende neue Vorschriften des
Fünften Buches des Sozialgesetzbuches vorgeschlagen:
Erstens. Die Krankenkassen sollen danach künftig in
§ 66 Sozialgesetzbuch V verpflichtet werden, die Versicherten bei der Verfolgung von Behandlungsfehleransprüchen, die nicht auf die Krankenkassen übergeleitet
worden sind, das heißt vor allen Dingen von Ansprüchen
auf Schmerzensgeld, zu unterstützen. Das Nähere hierzu
ist in den Satzungen der Krankenkassen zu regeln. Zu
der Unterstützung des Patienten oder der Patientin durch
die Krankenkasse gehört selbstverständlich eine eingehende Beratung.
Zweitens sieht der Gesetzentwurf darüber hinaus
einen neuen § 65 b Sozialgesetzbuch V vor, in dem eine
Förderung von Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung durch die Krankenkasse im Wege von
Modellvorhaben festgeschrieben werden soll. Die Förderungsfähigkeit dieser Einrichtung soll den Nachweis
über ihre Neutralität und Unabhängigkeit voraussetzen.
- Neutralität und Unabhängigkeit der Verbraucherberatungen waren ein Bestandteil Ihrer Frage.
Eine dritte Verbesserung im Rahmen der Novelle zur
GKV-Gesundheitsreform 2000 soll das Recht der Versicherten umfassen, sich im Rahmen bestimmter Beratungsfelder unmittelbar vom Medizinischen Dienst der
Krankenkassen beraten zu lassen.
Zusatzfrage, Frau Kopp.
Frau Staatssekretärin, ich
möchte gerne präziser wissen, was Sie unter einer „unabhängigen Patientenberatung“ verstehen. Ist Ihnen beispielsweise das Bremer Modell bekannt, bei dem sich
vier Institutionen zusammengeschlossen haben, nämlich
die Ärztekammer, die Gesundheitssenatorin, die Krankenhausgesellschaft und die örtlichen Krankenkassen?
Frau Kollegin Kopp, uns
ist dieses Modell bekannt. Die gerade von mir skizzierten Ansätze in dem neuen Gesetzentwurf, den wir gerade erarbeiten, sind ein erster Schritt. Das ist natürlich
nicht alles, aber es ist ein wichtiger Schritt. Wir freuen
uns, wenn wir das durchsetzen können.
Wir haben über den von uns vorgelegten Gesetzentwurf zur Gesundheitsstrukturreform hinaus mit den von
mir genannten Elementen, die in diese Richtung gehen,
weitere Verbesserungen geplant. Wir beziehen da auch
die Erfahrungen ein, die in den verschiedenen Bundesländern in vielfältiger Weise vor Ort gemacht werden. In
dem Zusammenhang denkt unser Haus an mögliche
Verbesserungen der Patienteninformation, der Patientenbeteiligung sowie der Patientenrechte. Im Rahmen
einer verbesserten Information des Patienten wird es
auch um die Verbesserung seiner Beratung im Einzelfall
gehen.
Weil die Zuständigkeiten für solche weiteren Verbesserungen des Patientenschutzes und der Patientenrechte
in dem vielfältig gegliederten System der gesundheitlichen Versorgung ganz unterschiedlich verteilt sind, wie
Sie es gerade schon angedeutet haben, bereitet unser
Haus gegenwärtig die Einsetzung einer Bund-LänderArbeitsgruppe vor, welche die Erfahrungen einbeziehen
und die unterschiedlichsten Vorschläge prüfen und aufbereiten soll. An dieser Arbeitsgruppe, die wir im Oktober dieses Jahres, also im nächsten Monat, einrichten
wollen, werden unter der Leitung des Bundesgesundheitsministeriums Vertreter der anderen zuständigen
Ressorts, der obersten Landesgesundheitsbehörden, der
Krankenkassen, der Ärzteschaft und natürlich nicht zuletzt, Herr Dr. Seifert, von Patientenorganisationen teilnehmen. Bei den Beratungen dieser Arbeitsgruppe wird
dann auch zu prüfen sein, wie die unterschiedlichen Beratungsmöglichkeiten verstärkt und untereinander vernetzt werden können.
Zweite
Zusatzfrage, Frau Kopp.
Frau Staatssekretärin, ich
bitte Sie, noch auf die Kostensituation Bezug zu nehmen. Auch danach habe ich gefragt. Wenn Sie eine unabhängige Patientenberatung ins Leben rufen wollen,
dann verursacht das Kosten. In welchem Umfang haben
Sie diese eingeplant, und wie wollen Sie sie darstellen?
Denn wir wollen keine weitere Erhöhung der Lohnnebenkosten verursachen. Siedeln Sie eine Patientenberatung eher bei Verbraucherzentralen an, wobei das Problem bestünde, daß völlig neue Strukturen geschaffen
werden müßten, wahrscheinlich verbunden mit sehr hohen Kosten?
Frau Kollegin, ich habe
schon bei der Beantwortung Ihrer Eingangsfrage dargestellt, daß wir solche Möglichkeiten im Rahmen der Gesundheitsstrukturreform im Wege von Modellvorhaben,
die nach § 65 b Sozialgesetzbuch V eingeführt werden
sollen, erproben lassen wollen. Alle Erfahrungen von
Selbsthilfeorganisationen - wir konnten auf Grund dieser Erfahrungen auch die Soziotherapie einführen - zeigen, daß Prävention oder auch Gesundheitsförderung
entgegen der oft beschworenen Meinung, daß diese kostensteigernd sei, kostendämpfend ist und der Gesundheit dient, wenn sie nach Qualitätskriterien erfolgt.
Indem wir das im Wege von Modellvorhaben ermöglichen, glauben wir, daß wir hier einen Schritt in die
richtige Richtung gehen, ohne Kosten und bestimmte
Muster im Vorfeld festzuschreiben. Ich glaube, das ist
ein ganz guter Ansatz. Die Kostenfrage war heiß umstritten; das wissen Sie. Sie hat auch bei den Themen
Prävention und Förderung der Selbsthilfe eine Rolle gespielt. Da haben wir, glaube ich, mit der Regelung einen
ganz guten Weg gefunden.
Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß wir darüber
hinaus im Rahmen von bestehenden Initiativen beim
Einsatz elektronischer Informationstechnologien bereits
unter der Vorgängerregierung sehr viel getan haben, um
die konzeptionellen Rahmenbedingungen für die Nutzung von elektronischen Kommunikations- und Informationssystemen zu verbessern, gerade auch für die Betroffenen, für die Selbsthilfeorganisationen.
Ich kann Ihnen ankündigen, daß wir dazu, anknüpfend an das, was jetzt schon besteht, für den 9. November 1999 in Bonn einen Initiativkongreß planen, auf dem
die Bildung eines offenen Aktionsforums angestoßen
werden soll, mit dem Ziel, eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Informationssysteme, die wir schon haben, hin zu einem modellhaften Gesundheitsinformationssystem in Gang zu setzen. Es ist nicht so, daß wir bei
Null anfangen. Es gibt eine Menge Vorarbeit. Natürlich
knüpfen wir an das, was an guten Vorarbeiten da ist, an.
Ich glaube, die Tatsache, daß wir bereits im November
diesen Kongreß durchführen, zeigt Ihnen, daß wir in
dem einen Jahr gerade im Bereich Verbraucherberatung,
Verbraucherschutz, Vernetzung sehr intensiv gearbeitet
haben. Das ist auch ein großes Herzensanliegen von
Frau Fischer, die diesen Bereich immer als sehr vorrangig und wichtig betrachtet hat und die Bemühungen auf
diesem Gebiet als Ministerin weiter vorantreibt.
Zusatzfrage des Kollegen Dr. Seifert.
Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich zunächst einmal, daß Sie in Ihrer Antwort
auf die erste Nachfrage der Kollegin Kopp schon eine
potentielle Frage von mir mit beantwortet haben. Daher
kann ich jetzt eine andere Frage stellen, nämlich eine
Verständnisfrage zu einer Bemerkung in Ihrer Eingangsantwort.
Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gegebenenfalls den MDK als direkten Ansprechpartner für die
Patientenberatung ansehen? Wenn das der Fall ist,
muß ich allerdings sagen, daß ich das nicht in Einklang bringe mit Ihrem Postulat, daß Sie eine unabhängige Beratung wollen; denn der Medizinische
Dienst der Krankenkassen ist alles andere als unabhängig.
Herr Kollege Dr. Seifert,
die Förderung und Unterstützung der Patienteninteressen
und der Verbraucherinteressen ist keine Einbahnstraße,
sondern ist im Prinzip ein Mosaik mit vielen verschiedenen Bausteinen. Unser Ministerium ist der Meinung,
man sollte überall da, wo Sachverstand vorhanden ist
und ohne Aufblähung des Apparates oder sehr bürokratische Hürden für die Betroffenen verfügbar gemacht
werden kann, diesen auch zugänglich machen. Dazu gehört die Möglichkeit, auf das Wissen des MDK zurückzugreifen.
Ich habe im Rahmen der Beantwortung der Frage der
Kollegin drei Bausteine genannt und auch das kurz angerissen, was sonst noch an Aktivitäten läuft. Das ist
keine Einbahnstraße. Ich weiß nicht, warum man den
Betroffenen den Zugang zum MDK vorenthalten sollte.
Ich finde das nicht gut. Ich meine, da ist ein ganz spezifischer Sachverstand vorhanden, der für die Patientinnen
und Patienten sehr nützlich ist.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin.
Die Fragen 34 bis einschließlich 43 sollen schriftlich
beantwortet werden. Die Fragen 44 bis 46 sind zurückgezogen worden. Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Der Zusatzpunkt 1, die Aktuelle Stunde, ist nach
einer interfraktionellen Vereinbarung auf 15:35 Uhr
festgelegt, so daß ich die Sitzung jetzt unterbreche
und Sie bitte, um 15:35 Uhr wieder hier zu erscheinen.
({0})
Die unterbrochene
Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur Forderung
nach einer Jahrtausendamnestie
Die Fraktion der F.D.P. hat diese Aktuelle Stunde
verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion der F.D.P. hat unser Kollege Dr. Guido Westerwelle.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn führende Repräsentanten der grünen Regierungspartei eine
Jubelamnestie fordern, dann haben die Öffentlichkeit
und das Parlament ein Recht darauf, zu erfahren, wie die
Bundesregierung dazu offiziell steht. Ich hätte mir, da es
sich dabei nicht um irgendwelche nachrangigen Größen
der Grünen handelt, sondern diese Repräsentanten immerhin von der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, von unserer Kollegin Frau Vollmer, und vom
rechtspolitischen Sprecher, von unserem Kollegen Herrn
Beck, angeführt werden, gewünscht, daß in diesem Fall
auch die Justizministerin nicht nur durch ihren Pressesprecher öffentlich erklärt hätte, was sie darüber denkt,
sondern daß sie auch persönlich, am besten in dieser
Debatte - bei allem Respekt, Herr Professor Pick -, das
Wort ergriffen hätte.
Ich glaube, daß sich hier eine traurige Entwicklung
fortsetzt, die wir in den letzten Jahren immer wieder
feststellen konnten.
({0})
- Frau Kollegin Vollmer, da Sie mehrfach das Wort
liberal dazwischenrufen, möchte ich Ihnen gerne gleich
zu Beginn sagen: Nachgiebigkeit gegenüber verurteilten
Straftätern ist nicht liberal, sondern gefährlich für die
Liberalität unseres Landes.
({1})
Ausdruck des Rechtsstaates ist das demokratisch legitimierte staatliche Gewaltmonopol. Ohne Sicherheit
gibt es für die Bürger keine Freiheit. Setzt der Staat das
Gewaltmonopol nicht durch, wird der Respekt vor dem
Recht ausgehöhlt, und das Rechtsbewußtsein wird dann
untergraben.
Schienenblockaden, zu denen die Abgeordneten der
Grünen aufrufen, Entkriminalisierung des Schwarzfahrens und Straffreiheit für Ladendiebstähle, das ist die
rechtsstaatliche Tradition der Grünen. Der nun von führenden Grünen vorgelegte Plan für eine Generalamnestie
für bestimmte Straftäter legt die Axt an die Wurzeln des
Rechtsstaates.
({2})
Die Begründung für die Amnestie, die Gefängnisse seien zu voll und die Freiheitsstrafen seien zu teuer, muß in
den Ohren der Opfer wie Zynismus klingen.
({3})
Der Rechtsstaat ist in Deutschland seit Jahren einer
schleichenden Erosion ausgesetzt, und die Politik trägt
daran eine gehörige Portion Mitschuld.
({4})
Die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, die offizielle Haltung der Bundesregierung und der sie tragenden Regierungsparteien zu erfahren. Deswegen denken
wir, es wäre richtig, wenn hier auch die Bundesregierung ihrer Aufgabe eindeutig gerecht würde und nicht
parteipolitische Rücksichtnahme gegenüber ihrem grünen Koalitionspartner übte.
({5})
Mit dem Versuch, ein solches Thema niedrig zu halten,
wird man der rechtsstaatlichen Verantwortung jedenfalls
nicht gerecht.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion erteilt dieser sogenannten Amnestie eine Absage. Amnestie ist stets eine
Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips. Die Gesetzgebung versucht dadurch, nachträglich Korrekturen
an Entscheidungen der Rechtsprechung vorzunehmen.
Eine solche Korrektur, egal auf welcher Ebene unserer
Gesetzgebung, muß wohlabgewogen und begründet
sein.
({6})
Sie mit dem Jahrtausendwechsel zu begründen entbehrt
jeder rechtsstaatlichen Grundlage.
({7})
Der Aufruf zur Amnestie 2000 sieht äußerlich nach
einem Schnellschuß aus. Die Details zeigen, daß er nicht
durchdacht ist. Nicht die Täter müssen vor Strafe geschützt werden, sondern die Opfer vor den Tätern. Die
Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ist die Feststellung
individueller Schuld, und zwar nach einem rechtsstaatlichen Verfahren.
({8})
Eine Generalamnestie würde niemals diese individuelle
Schuld berücksichtigen.
({9})
Eine pauschalierte Amnestie widerspricht fast allen
Zielen unseres Strafrechts. Dieser Vorschlag der Grünen
ist nichts anderes als ein pauschalierter Rückzug des
Rechtsstaates aus der Strafverfolgung.
({10})
Wenn führende Repräsentanten der grünen Regierungspartei auch in dieser Debatte dies augenscheinlich
für richtig halten, dann zeigt das, daß die heutige Aktuelle Stunde durchaus ihren Sinn hat.
({11})
Deutschland verfügt über ein funktionierendes Gnadenrecht. Das brauchen wir auch. Dieses Gnadenrecht
der Ministerpräsidenten und des Bundespräsidenten ist
das geeignete rechtsstaatliche Mittel, um unter Berücksichtigung der individuellen Schuld und der nachträglichen Einsichten Gnade vor Recht walten zu lassen. Ein
Amnestiegesetz zum Jahr 2000 setzt aber nicht Gnade
vor Recht, sondern Zufall vor Recht. Das kann nicht
richtig sein.
({12})
Bezeichnend für diesen Beitrag der Grünen zur
Rechtspolitik ist die vollkommene Außerachtlassung der
Interessen und Schutzbedürfnisse der Opfer.
({13})
Wer in der Bundesrepublik eine Freiheitsstrafe verbüßt,
hat entweder eine schwere Straftat begangen
({14})
oder ist, wenn wir zum Beispiel den Bereich der Kleinkriminalität betrachten, mehrfacher Wiederholungstäter.
({15})
Wenn wir von Straftaten bzw. von zu Freiheitsstrafen
Verurteilten sprechen, meinen wir nicht irgendwelche
Kavaliersdelikte bzw. Schwarzfahrer, sondern diejenigen, die mehrfach vorbestraft sind oder eine schwere
kapitale Straftat begangen haben. Deswegen bekommen
sie eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung.
({16})
Es ist ein Fehler, daß Sie von den Grünen die Opfer gefährden, indem Sie pauschal und ruck, zuck alle Täter
wieder auf die Öffentlichkeit loslassen wollen. Das ist
nicht sinnvoll.
({17})
Kollege Westerwelle, kommen Sie bitte zum Schluß.
Das war es. Ich
danke Ihnen sehr.
({0})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Herr Parlamentarische Staatssekretär Eckhart Pick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, ich denke, es ist
Ausdruck des Respekts vor der Meinung einzelner Bundestagsabgeordneter, daß sich die Bundesregierung nicht
immer veranlaßt fühlt, zu einzelnen Vorschlägen Stellung zu nehmen. Da wir dies heute aber im Rahmen dieser Aktuellen Stunde tun müssen, werde ich die Auffassung der Bundesregierung hier sehr deutlich zum Ausdruck bringen.
Heute haben wir eine andere Situation, als es etwa
früher zu Zeiten des Absolutismus der Fall war, als der
König oder der Fürst Großmut in Form einer Amnestie
hat walten lassen. Das ist sicher richtig. Schon in der
Weimarer Reichsverfassung sind dieser früher unbegrenzten Macht dadurch Zügel angelegt worden, daß für
eine Amnestie eine Gesetzesform verlangt wurde.
Für die rechtsstaatlich verfaßte Bundesrepublik bestehen im Hinblick auf Amnestien noch engere Grenzen.
Der Rechtsstaat kann nach unserem heutigen Verständnis nur verwirklicht und von den Bürgern als solcher
auch anerkannt werden, wenn sichergestellt ist, daß
Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt,
abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt
werden. Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates,
eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten,
umfaßt deshalb auch die Pflicht, die Durchführung eingeleiteter Strafverfahren und die Vollstreckung rechtskräftiger Strafen sicherzustellen.
Als eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat das
Bundesverfassungsgericht auch die Amnestie anerkannt.
Ein Amnestiegesetz bedarf aber in einem Rechtsstaat
stets einer besonderen Legitimation. Denn durch den
Erlaß bzw. die Milderung rechtskräftig anerkannter Strafen stellt ein solches Gesetz einen Eingriff in die unabhängige Rechtspflege durch den Gesetzgeber dar. Eine
Amnestie hat nach bundesdeutschem Rechtsverständnis
ausnahmsweise dann ihren Platz, wenn andere rechtliche
Mittel zur Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens nicht zur Verfügung stehen, nicht durchgreifen
oder wenn im Zuge von Rechtsänderungen, etwa des
Strafrechts, Strafen, die nach altem Recht verhängt worden waren, ermäßigt oder erlassen werden sollen.
Es überrascht nicht, daß die Bundesrepublik von Amnestien bisher nur sehr sparsam Gebrauch gemacht hat.
Große Bundesamnestien beinhalten nur die Straffreiheitsgesetze aus den Jahren 1949 und 1954 sowie 1968
und 1970,
({0})
und diese waren jeweils den besonderen Situationen angemessen.
Die Straffreiheitsgesetze von 1949 und 1954 waren
von dem Gedanken bestimmt, nach außergewöhnlichen
Lebensumständen einen Schlußstrich zu ziehen. Diese
Lebensumstände haben ein ganzes Volk oder zumindest
große Teile davon betroffen und die Menschen derart
beeinflußt, daß sie Straftaten begingen, die sie ohne diese Umstände nicht begangen hätten. Es war die Zeit des
Mangels; diese Straftaten haben damals auch der Sicherung des Überlebens gedient.
Die beiden anderen Straffreiheitsgesetze - von 1968
und 1970 waren Rechtskorrekturamnestien. Diese amnestierten Straftaten, die nach dem neuen Recht nicht mehr
strafbar waren. Bei diesen Amnestien hat der Gedanke
der Befriedung die ausschlaggebende Rolle gespielt.
Neben diesen großen Amnestien gab es im Zuge von
Strafrechtsänderungsgesetzen immer wieder auch kleine
Amnestien. Dabei wurde der Grundgedanke des § 2
Abs. 3 des Strafgesetzbuchs, der Richter habe das mildere Recht anzuwenden, wenn das Recht vor der Entscheidung geändert wurde, auch auf rechtskräftig verhängte,
aber noch nicht vollstreckte Strafen ausgedehnt.
In diesen Rahmen paßt eine Amnestie aus Anlaß des
Jahrtausendwechsels nicht hinein.
({1})
Die Feier eines Jubiläums, eines wiederkehrenden Gedenktages oder ähnliches vermag nach bundesdeutschem
Rechtsverständnis gerade keine Amnestie zu tragen.
Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zur Praxis
Preußens im Kaiserreich oder auch zur Praxis der DDR.
Auf Grund unterschiedlicher nationaler Rechtskulturen
ist auch die Amnestiepraxis anderer Länder nicht einfach auf unsere Staatspraxis zu übertragen.
({2})
Daneben besteht aber auch ein weiterer Grund für Zurückhaltung bei der Amnestierung von Strafgefangenen:
Unser modernes Strafrecht und unser Strafverfahrensrecht geben den Strafverfolgungsbehörden ein umfassendes Instrumentarium an die Hand, dem einzelnen Fall
gerecht zu werden. Das fängt mit den Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft an und setzt sich in
einer breiten Palette fort, bis zur Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung nach §§ 57, 57a des Strafgesetzbuchs. Mir scheint, daß damit der Gerechtigkeit mehr
gedient ist als mit einer Amnestie, die sich als generelle
Regelung - bei allem Bemühen um eine Ausdifferenzierung - auf einzelne Verurteilte sicherlich auch ungerecht
auswirken könnte.
({3})
Auch angesichts der maßvollen Strafzumessungspraxis bundesdeutscher Gerichte ist ein Grund für eine
breite Amnestierung von zu Freiheitsstrafen Verurteilten
nicht zu erkennen. Nach bundesdeutscher Rechtspraxis
werden Freiheitsstrafen nämlich nur als Ultima ratio
verhängt. Wer daher von einem bundesdeutschen Gericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, hat die
Rechtsordnung in vorwerfbarer Weise mißachtet.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund
werden Sie sicher verstehen, daß das Bundesministerium
der Justiz dem Vorschlag für eine Jahrtausendamnestie
ablehnend gegenübersteht.
Ich bedanke mich.
({4})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der Staat hat die
Pflicht, Rechtsgüter zu schützen. Dazu stehen ihm viele
Möglichkeiten zur Verfügung. Ein Mittel ist das Strafrecht. Aber das geschriebene Gesetz hat keine Wirkung,
wenn es nicht durch Urteile und auch durch Strafvollstreckung umgesetzt wird. Der Täter muß wissen, wohin
die Reise geht; der Dieb, der Brandstifter, der Betrüger
müssen für ihre Tat einstehen. Nur so wird das Recht
durchgesetzt, und nur so entsteht auch Rechtsfrieden.
Deshalb ist es nicht richtig, ohne Not ein Gesetz zu
erlassen, das generell und pauschal - so wie das eben
vom Parlamentarischen Staatssekretär geschildert worden ist - Strafen aufhebt. Eine Amnestie widerspricht
unserem System. Durch eine lasche Justiz, durch laschen
Strafvollzug,
({0})
durch die Diskussion um eine Entkriminalisierung gewisser Tatbestände und - ich reihe das hier ein - auch
durch eine Amnestie wird die Wirkung des Strafrechtes
unterlaufen. Am Ende verliert die Bevölkerung das
Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates.
({1})
Insbesondere aber sind die Opfer betroffen. Sie müssen
erleben, daß ihre Peiniger straflos und frei davonkommen.
Es gibt wichtige Persönlichkeiten in unserem Land,
die vor einer solchen Amnestie warnen. Generalstaatsanwalt Schaefgen, der insbesondere das SED-Unrecht
verfolgt hat, sagt, daß die Opfer einen legitimen Anspruch auf Sühne haben und daß dies der Staat im Rahmen seiner Möglichkeiten auch gewährleisten muß. Jutta
Limbach, die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, sagt, daß jedes Straffreiheits- oder Strafbefreiungsgesetz letztendlich die Erklärung einer staatlich verordneten Teilnahmslosigkeit gegenüber den Opfern ist.
Steffen Heitmann sagt, daß ein solches Straffreiheitsgesetz mit Blick auf das SED-Unrecht eine erneute Diffamierung der Opfer darstellen würde. Ich schließe mich
dem an.
Wie verhalten sich die Täter? Ist zu erwarten, daß sie
staatstreue Bürger werden, oder ist es nicht vielmehr so,
daß beispielsweise ein Dieb die Straffreiheit natürlich
gern mitnimmt, aber bei nächster Gelegenheit wieder
straffällig wird? Wie ist es denn bei den Terroristen gewesen? Sie waren nicht einsichtig. Wir haben auch nicht
den Eindruck, daß viele Täter im Bereich des SEDUnrechts einsichtig sind; oft haben wir den Eindruck,
daß man hier auf Beton trifft.
Die Grünen verweisen auf den christlichen Gedanken
der Versöhnung zwischen Täter und Opfer. Das macht
sich ja gut und ist eigentlich ein vernünftiger Gedanke.
Aber eine solche Versöhnung kann nicht von Staats wegen verordnet werden. Vielmehr muß sie freiwillig erfolgen. Der Staat kann nicht befehlen, daß sich das Opfer mit seinem Peiniger versöhnt. Das schafft im Grunde
nur neuen Unfrieden. Eine Amnestie hilft deshalb dem
Täter, nicht aber dem Opfer; sie hilft auch nicht dem
Staat und dient nicht der Befriedung.
Deshalb haben wir in den zurückliegenden Jahren der Versuch ist ja oft genug unternommen worden - eine
Amnestie im Bereich des SED-Unrechts abgelehnt. Das
ging quer durch alle Parteien. Es gab ja den Versuch dazu am Anfang, 1990. Es wäre denkbar gewesen - das
haben wir vorhin von dem Herrn Staatssekretär gehört -,
bei einer solchen Gelegenheit - nicht, weil wir über die
Wiedervereinigung gejubelt hätten, sondern weil man
den Versuch hätte unternehmen können, einen Ausgleich zwischen Taten im Osten und Taten im Westen
herzustellen - so etwas zu machen. Aber wir sind damals davon abgekommen, und zwar mit Blick auf das
Unrecht, das vielen Bürgerinnen und Bürgern drüben
geschehen ist und das einem ordentlichen Strafverfahren
unterzogen werden sollte. Das war oft genug mühsam.
Es ist ja schwierig, in einem Strafprozeß die Wahrheit
an das Licht zu bringen und damit das Unrecht zu markieren. Wir haben uns für diesen Weg entschieden, und
ich bin der Meinung - wie mühsam es gewesen ist, und
wie unbefriedigend es im Einzelfall auch gewesen sein
mag -, daß dieser Weg richtig gewesen ist. Das gilt auch
für alle anderen Straftaten.
Eine solche Jubelamnestie - wir unterscheiden ja
mehrere Formen von Amnestie - lehnen wir ab. Wir
meinen, daß wir uns in dieser Frage nicht nach anderen
Staaten zu richten haben. Manche Staaten kommen mit
solchen Amnestiegesetzen ganz gut zurecht. England ist
schon immer
({2})
ohne ein solches Amnestiegesetz zurechtgekommen,
und auch wir kommen, wie ich meine, gut zurecht, ohne
daß wir allzusehr von dem Instrument der Amnestie Gebrauch machen. Das kann in bestimmten historischen
Situationen richtig sein. Aber ganz gewiß ist die Jahrtausendwende dazu ein ungeeigneter Zeitpunkt.
Danke schön.
({3})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Volker
Beck.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Ihnen,
Herr Westerwelle: Ich glaube, Herr Hirsch und Herr
Baum hätten sich heute angesichts dessen, was Sie hier
heute aufgeführt haben, für die F.D.P. geschämt.
({0})
Gemeinsam haben wir, einige Innenpolitiker der
Grünen, eine maßvolle Amnestie zur Jahrtausendwende
und zum Jubiläum von 50 Jahren Demokratie vorgeschlagen. Wir können uns vorstellen, daß unter bestimmten Voraussetzungen rechtskräftig verhängte und
noch nicht vollstreckte kürzere Freiheitsstrafen und
Reststrafen erlassen werden, wenn sichergestellt ist, daß
von den Verurteilten keine Bedrohung mehr für die Gesellschaft ausgeht. Die Strafvollstreckungsbehörde soll
die Amnestie nur für solche Straftäter gewähren, bei denen feststeht, daß sie in Zukunft das Recht auf Leben,
sexuelle Selbstbestimmung, Gesundheit und die Menschenwürde anderer nicht verletzen.
Der Widerhall unseres Vorschlags zeigt: Wir haben
offensichtlich an einem Tabu gerüttelt. Was wurde uns
nicht alles entgegengehalten: Die Grünen würden Straftaten bagatellisieren oder sogar - wie der Kollege Rüttgers, der heute gar nicht da ist, meint - den Rechtsstaat
gezielt schädigen. Meine Damen und Herren, wie können Sie sich über andere Länder so arrogant erheben?
Woher nehmen Sie eigentlich den Hochmut, einem Land
wie Frankreich, das schon länger ein Rechtsstaat ist, als
diese Republik überhaupt besteht, zu unterstellen, es
würde rechtsstaatunwürdig handeln, nur weil es in aller
Regelmäßigkeit Amnestien erläßt?
({1})
Herr Kollege Westerwelle, werfen Sie dem österreichischen Justizminister allen Ernstes vor, er sei irregeleitet und wolle sein Land mutwillig schwächen, wie
Sie uns das vorwerfen?
({2})
Über den Amnestiegedanken kann man sicherlich streiten. Das wollen wir auch, aber sachlich. Also bleiben
Sie bitte auf dem Teppich!
Unser Vorschlag ist kein Beschluß der Koalition, es
ist kein Beschluß der Fraktion. Es ist eine Initiative von
mehreren Abgeordneten, die eine Frage gemeinsam mit
der Gesellschaft debattieren wollen. Warum sollte eine
solche Diskussion nicht erlaubt sein?
„Gnade vor Recht oder gnadenlos gerecht?“, so überschrieb Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“
seinen Kommentar zu unserer Initiative. Er warf die
Frage auf, ob eine maßvolle Amnestie als kollektiver
Gnadenakt in unserem Land tatsächlich so abwegig wäre. Der ehemalige Oberstaatsanwalt Prantl kommt zu
dem Ergebnis - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -:
Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern ist die Haftdauer in Deutschland relativ lang.
Von einer besonderen Milde der deutschen Justiz
kann entgegen landläufiger Meinung nicht die Rede
sein.
Und:
Entlastung durch eine kleine Amnestie könnte ein
Beitrag sein, um die Summen für den Ausbau der
Gefängnisse in den nächsten Jahren in Grenzen zu
halten.
Wir, Herr Westerwelle, wollen keine Klientelamnestie, wie es von Ihnen, von der F.D.P., bereits ein um das
andere Mal gefordert wurde.
({3})
Ich erinnere nur an Ihren kläglich gescheiterten Gesetzentwurf aus dem Jahre 1984. Da wollten Sie allen Ernstes Straffreiheit in eigener Sache. Sie wollten Straferlaß
im Zusammenhang mit der Parteispendenaffäre, die vor
allem auch eine F.D.P.-Affäre war.
({4})
Oder der ebenso gescheiterte Versuch, 1990 eine Amnestie für politische Straftäter aus der DDR zu erreichen.
Nein, Herr Kollege Westerwelle, wer wie Ihre Partei
Gnade immer nur für eine ausgesuchte Klientel - Ihre
Klientel - will, der sollte sich in dieser Amnestiediskussion etwas mehr zurückhalten.
({5})
Gnade und Verzeihen fußen auf dem christlichen
Versöhnungsgedanken. Sie sind unserem Rechtssystem
auch nicht fremd: So haben wir Gnadenordnungen der
Länder und das Gnadenrecht des Bundespräsidenten. Da
wird jeder Einzelfall eingehend geprüft. Und genau dies
müßten auch die Strafvollstreckungsbehörden bei der
von uns vorgeschlagenen Amnestie tun.
Zu Ihnen, Herr Geis: Keiner der begnadigten Terroristen ist rückfällig, ist straffällig geworden. Gnade kann
auch Rechtsfrieden auf Dauer herstellen und Menschen
eine zweite Chance geben.
Trotz stagnierender Kriminalität steigt die Zahl der
Gefangenen bei uns kontinuierlich an, da die Justiz die
Strafzumessungsmaßstäbe verschärft hat. Die Folge: Die
Resozialisierung bleibt im Strafvollzug auf der Strecke,
und steigende Kosten für den Gefängnisbau fressen die
Mittel für die Opferhilfe auf. Ein einmaliger Gnadenakt
durch eine maßvolle Amnestie könnte hier für Entlastung sorgen.
Langfristig wollen wir Alternativen zur Freiheits- und
Geldstrafe stärken, beispielsweise durch gemeinnützige
Arbeit als selbständige Sanktion. Diese notwendige Reform und die Verbesserung der Situation der Opferhilfe
haben in den letzten Jahren nicht wir, sondern Generationen von F.D.P.-Justizministern, liberale Lichtgestalten wie Herr Schmidt-Jortzig, versäumt. Denen haben
Sie in Ihrer Rede bescheinigt, die Schlußbilanz der
F.D.P.-Rechtspolitik in den letzten Jahren sei die Erosion des Rechtsstaats.
({6})
Da haben Sie sich selbst richtigerweise ein schlechtes
Zeugnis ausgestellt.
({7})
Für die PDSFraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn man darüber nachdenkt, warum die F.D.P. ausgerechnet heute diese Aktuelle Stunde beantragt hat, muß man keine besondere
Weisheit an den Tag legen, um das mit zwei Worten beschreiben zu können: Berliner Wahlkampf.
({0})
Ich glaube, das ist der eigentliche Hintergrund für die
Tonlage, die heute hier angeschlagen worden ist. Nun
halte ich das nicht für illegitim. Ich weiß, wie oft von
hier vorn Wahlkampf geführt wird. Ich muß ehrlich sagen: Beim Nachdenken darüber, warum der Vorschlag
von den Grünen in dieser personellen Zusammensetzung
zu diesem Zeitpunkt gekommen ist, liegt auch die Vermutung „Wahlkampf“ nicht allzu fern.
Ich will dazu nur ein Argument nennen. Ich halte dieses Thema nicht für wahlkampffähig.
({1})
Ich glaube, daß man gerade bei Wahlkämpfen ein so
sensibles Thema nur schlecht behandeln kann und ihm
daher eher Schaden zufügt.
({2})
Man muß bei den Bürgerinnen und Bürgern um Verständnis für solche Gedanken werben, und man muß
eine solche Debatte sachlich und öffentlich führen. Dazu
braucht man längere Vorläufe. Meine Fraktion und ich
haben eine Menge Erfahrung damit gesammelt, was passieren kann, wenn man den Amnestiegedanken ohne eine öffentliche Debatte und ohne Vorläufe in die Welt
setzt.
Wenn ich das jetzt zusammenfasse, könnte ich zu den
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen bestenfalls
sagen: Gute Absicht ist oftmals das Gegenteil von guter
Tat. In diesem Fall bedauere ich das außerordentlich. Zu
den Kollegen von der F.D.P. möchte ich sagen: Wenn
ich in früheren Jahren - es ist immer schlecht, wenn ein
68er von früher spricht - einen solchen Vorschlag gehört hätte, hätte ich blind auf F.D.P. getippt. Das verbietet sich heute.
({3})
Kollege Westerwelle, ich habe Ihre Rede verfolgt. Sie
hatte den Tenor: Das Abendland ist ob des sehr eingeschränkten - ich will nicht sagen: beschränkten - Vorschlags der Grünen-Kollegen in Gefahr. Ich will Ihnen
prognostizieren: Sie schneiden sich, wenn Sie sich als
Law-and-order-Partei profilieren wollen, ins eigene
Fleisch.
({4})
Nutznießer werden ganz andere sein, zum Beispiel die
Kollegen von der CDU.
Schauen Sie sich doch die Plakate im Berliner Wahlkampf an. Dort werben die Kollegen von der CDU mit
dem Spruch „Null Toleranz für Kriminelle“, daneben
sind Handschellen zu sehen. Es geht überhaupt nicht
darum, Kriminellen Toleranz entgegenzubringen, sondern es geht darum, ein sachliches Klima zu schaffen
und Debatten darüber zu führen, wie die Kriminalität am
besten bekämpft werden kann,
({5})
wie man auch Kriminellen Versöhnung entgegenbringt
und Rechtsstaatlichkeit durchsetzt. Dabei dürfen soziale
Komponenten nicht ausgeklammert werden.
Ich weiß nicht, ob es den Kollegen von der CDU
nicht aufgefallen ist, daß das Thema der Kriminalität in
Wahlkämpfen mit dem plakativen Herausstellen von
Handschellen nur von drei politischen Kräften angepackt
wird: von der CDU, der DVU und den Republikanern.
({6})
Volker Beck ({7})
In dieser Art und Weise mit dem Thema umzugehen,
das schafft den rechten Sumpf, aus dem die Wahlerfolge
der DVU hervorgehen. Dagegen sollten wir uns gemeinsam wehren.
({8})
Herr Westerwelle, eigentlich sind Sie eine rheinische
Frohnatur, wenn ich das so sagen darf. Sie sollten sich
nicht in diesem Ton und in dieser Art und Weise einbringen. Das schadet Ihrer Partei mehr, als es ihr nützt.
({9})
Aus meiner Sicht müssen die Ängste der Bürgerinnen
und Bürger vor Kriminalität ernst genommen werden.
Ich glaube nicht, daß eine Amnestie, die in anderen europäischen Ländern normal ist, Kriminalität fördert oder
daß durch eine Amnestie die Gefahr der Kriminalität
zunimmt. Aber das Gefühl der Unsicherheit belastet
viele Bürgerinnen und Bürger. Wir sollten ihnen in ihrer
Not und ihrer Unsicherheit durch vernünftige Debatten
und durch eine vernünftige Argumentation helfen.
Ich will einen letzten Gedanken nennen. Ich finde den
Vorschlag, dies an die Jahrtausendwende zu koppeln,
nicht besonders überlegt; das ist mir zu sehr von oben,
zu sehr nach Gutsherrenart. Ich wäre für ein vernünftiges, sachliches Amnestiegesetz. Im Rahmen eines solchen Amnestiegesetzes muß auch Raum für einen sinnvollen Umgang mit politisch motivierten Straftaten und
mit politischer Verfolgung geschaffen werden, die es in
West wie in Ost gegeben hat, muß auch über Versöhnung und Aussöhnung nachgedacht werden, zumal dies
mit einer abgeschlossenen Entwicklung der jeweiligen
Staatlichkeit zu tun hat. Das wäre mir ein wichtiges Anliegen. Ich glaube, das sollten wir aus dieser Debatte
nicht verdrängen.
An einem solchen Amnestiegesetz mitzuarbeiten, wäre meiner Fraktion - auch mir persönlich - ein Bedürfnis, weil ich glaube, daß es wirklich eine Aussöhnung
bewirken kann. Ich möchte auch für mich persönlich sagen: Ich bin Nutznießer der 68er Amnestie. Sie hat mir
fünf Monate erspart. Für diese fünf Monate war ich damals außerordentlich dankbar. Es gibt verschiedene Wege, Irrungen und Wendungen im Leben jedes einzelnen,
wo Amnestie etwas Hilfreiches sein kann.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der
Kollege Joachim Stünker, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Daß wir uns heute in einer Aktuellen
Stunde mit der Frage einer Jahrtausendamnestie als
eines allgemeinen Gnadenerweises für eine unbestimmte
Zahl von rechtskräftig verhängten, noch nicht vollstreckten Freiheitsstrafen befassen, überzeugt wenig,
Herr Westerwelle. Der rechtspolitische Sinn dieser Aktuellen Stunde erschließt sich mir auch nach Ihrem Redebeitrag nicht. Vielleicht ist es kein Zufall, daß gerade
Ihre Fraktionskollegen aus dem Rechtsausschuß heute
während dieser Aktuellen Stunde nicht anwesend sind.
Rechtspolitisch kann diese Frage keine Priorität haben. Es ist vielmehr die Frage zu stellen: Haben wir vorausschauend beim Übergang in das neue Jahrtausend
nicht ganz andere Probleme zu lösen und Antworten auf
ganz andere gesellschaftliche Fragen in der Rechtspolitik zu geben? Eine Massenamnestie, meine Damen und
Herren, paßt weder in das rechtsstaatliche Selbstverständnis unserer 50 Jahre alten Republik noch zu Theorie und Praxis unseres Strafrechtssystems und der Ausgestaltung des Strafvollzuges im Strafvollzugsgesetz,
das eine der großen Errungenschaften der sozialliberalen
Koalition am Ende der 70er Jahre war.
Nach deutschem Recht kann eine Amnestie nur in
Ausnahmefällen durch ein vom Parlament beschlossenes
Gesetz gewährt werden. Solche Ausnahmefälle bedürfen
eines sachlichen Grundes wie etwa einer nachträglichen
Gesetzesänderung oder einer nachträglichen Änderung
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder des
Bundesverfassungsgerichtes. Zweck ist dann jeweils die
Herstellung von Rechtsfrieden und/oder Rechtssicherheit; so geschehen - Staatssekretär Pick hat darauf hingewiesen - mit den Straffreiheitsgesetzen 1949 und
1954 für Straftaten, die in der schweren Zeit der Kriegsund Nachkriegswirren begangen worden waren, sowie
1968 und 1970 zur Anpassung an geändertes Recht oder
- wie vor kurzem - nachdem das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zum Gewaltbegriff im Rahmen des Nötigungstatbestandes geändert hatte, so daß
eine ganze Reihe von Urteilen im Gnadenwege kassiert
werden mußte. Ein vergleichbarer Anlaß ist meines Erachtens mit dem Datum 1. Januar 2000 nicht gegeben.
Zur Rechtsdogmatik lassen Sie mich folgendes sagen.
Der oberste Grundsatz unseres Strafrechts lautet: Strafe
setzt Schuld voraus. Deshalb ist bei jeder einzelnen Verurteilung die subjektive Schuld des Täters festzustellen
und die Sanktion im gesetzlich vorgegebenen Strafrahmen, abgestuft nach Maß und Schwere der persönlich
vorwerfbaren Schuld, im Urteil festzusetzen. Dieser
Grundsatz setzt sich im Strafvollzugsgesetz fort. Im
Strafvollzug ist wiederum in jedem Einzelfall subjektiv
zu beurteilen, ob eine vorzeitige Entlassung zu verantworten ist oder gar ein Gnadenerweis in Betracht
kommt. Ich habe in meiner langjährigen Praxis immer
gesagt: Ein gutes Strafurteil ist ein Urteil, in dem die
Grundlagen für die Entscheidungen über Maßnahmen
im Strafvollzug und danach für die Zweidrittelentscheidung oder für Halbstrafengesuche gleich mit gelegt werden. Diese Einzelfallprüfungen, die, wie ich meine, Verfassungsrang haben, sind im Interesse der Resozialisierung jedes einzelnen Verurteilten, im Interesse der
Gleichbehandlung jedes einzelnen Verurteilten und im
Interesse des Schutzes der Bevölkerung vor Straftaten
und vor Straftätern unerläßlich. Eine Massenamnestie
als „Jubelamnestie“ vermag diese Ziele meines Erachtens nicht zu gewährleisten. Wann würde die nächste erWolfgang Gehrcke
folgen? Wieder in 1000 Jahren? In 10 Jahren? In 20 Jahren? Wo ist der sachliche Grund?
({0})
Noch eine Anmerkung zur praktischen Umsetzung
solch einer Amnestie: Die deutsche Strafgerichtsbarkeit
arbeitet seit Jahren an der Grenze - ich möchte behaupten: an der Obergrenze - ihrer Belastbarkeit. Neue, zusätzliche Belastungen sind nicht mehr verkraftbar; die
Gerichte würden das nicht leisten können. Der Vorschlag einer deliktsbezogenen Teilamnestie für kürzere
Freiheits- und Restfreiheitsstrafen mit einer Entscheidung der Vollzugsstelle im Einzelfall - wer soll das
sein? - und der Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung - so habe ich den Vorschlag
verstanden - würde eine Flut von neuen Verfahren auslösen und damit weitere Belastungen der Gerichte mit
sich bringen. Die Strafvollstreckungskammern wären
dafür zuständig. Die Praxis würde, glaube ich, für eine
solche gesetzliche Regelung wenig Verständnis haben.
Der Gesetzgeber ist daher gut beraten, diesen Weg nicht
zu gehen. Für den Gedanken einer Jahrtausendamnestie
würde der Satz gelten: „Wenig Recht, viel Politik!“
({1})
Meine Damen und Herren, schauen wir deshalb lieber
nach vorne! Schauen wir auf das, was im Bereich der
Strafrechtspflege rechtspolitisch notwendig ist, um den
Rechtsgüterschutz der Menschen in unserem Land und
um den Schutz der Gesellschaft vor Straftaten und
Straftätern zu gewährleisten! Ich meine damit die notwendige Reform des Sanktionensystems, die wir noch in
dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen werden,
um die Verhängung von kurzfristigen Freiheitsstrafen zu
verhindern, die Reform des Rechtsmittelsystems mit
mehr Bürgernähe, Transparenz und Effizienz des Strafprozesses, einen verbesserten Opferschutz und Zeugenschutz im Strafprozeß, ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz, auf das wir seit Jahrzehnten warten, und die
wirksamere Bekämpfung der organisierten Kriminalität.
Das sind große Aufgaben; an ihrer Lösung sollten wir,
liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam arbeiten
und uns nicht mit solchen Pseudodebatten wie heute beschäftigen.
Für mich stellt sich deshalb zum Abschluß noch einmal die Frage: Welchen Sinn sollte die heutige Aktuelle
Stunde haben, Herr Westerwelle? Sollte vielleicht doch
richtig sein, was gestern in der „FAZ“ zu lesen war:
Kopfloser Aktionismus der F.D.P. Muß sie solche
Scheingefechte führen, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden?
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
({2})
Schönen Dank.
({3})
Für den Bundesrat
spricht jetzt der Senator für Inneres der Stadt Berlin, Dr.
Eckart Werthebach.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Harald Schmidt glaubt, daß die Grünen mit ihrem Vorschlag einer Jubiläumsamnestie etwas für ihre Stammwähler tun wollen. Das ist natürlich falsch. Ich denke
aber schon, daß dieses Thema jedenfalls derzeit besser
in einer Satire zu behandeln ist.
Meine Damen und Herren, heute steht nicht mehr die
Sicherheit vor dem Staat, sondern die Sicherheit im
Staat ganz oben auf der Tagesordnung unserer Gesellschaft. Sicherheit, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung hängen heute in Deutschland und in Europa unauflöslich zusammen. Dies gilt uneingeschränkt
gerade auch für den Bereich unserer Justiz. Vor diesem
Hintergrund ist es mir unverständlich, wenn die Grünen
anläßlich der Jahrtausendwende eine Jubiläumsamnestie
für eine bestimmte Gruppe von Strafgefangenen fordern.
Wir leben nicht in einer Bananenrepublik, die anläßlich des Millenniums eben einmal gönnerhaft die staatliche Macht für kurze Zeit vermindert, um hinterher wieder die Zähne der Staatsmacht zu zeigen. Deutschland
ist ein in fünf Jahrzehnten gereifter Rechtsstaat, dessen
Justiz und Strafvollstreckung auch sozialen Hintergründen Rechnung tragen und auf die Schuld des einzelnen
abstellen. Es gibt daher nicht den geringsten Anlaß, die
Gewaltenteilung zu durchbrechen und eine Fülle von gerichtlichen Entscheidungen auf willkürliche Weise außer
Kraft zu setzen.
Wir brauchen keine Erosion des Rechtsbewußtseins,
sondern das Gegenteil: eine moralische und wertbezogene Orientierung an rechtsstaatlichen Grundprinzipien,
und dazu gehört vor allem auch, daß kleinere Straftaten
genauso verfolgt und geahndet werden wie große. Insoweit stimme ich Herrn Westerwelle ausdrücklich zu.
({0})
Niemals darf die Tatsache, daß ein bestimmtes Delikt
massenweise begangen wird, dazu führen, daß der Staat
davor zurückschreckt, eine entsprechende Anzahl von
Strafverfahren durchzuführen und die Taten zu ahnden.
Wenn dies geschähe, wäre das eine Ermunterung all
derjenigen, die es für selbstverständlich halten, zu stehlen, fremde Sachen zu zerstören oder andere Menschen
körperlich zu attackieren.
({1})
Das deutsche Strafrecht knüpft an die individuelle
Schuld des Täters an und verfügt über ein überaus modernes und liberales Vollzugssystem, welches im Bereich der Rechtsfolgen eine Vielzahl von Möglichkeiten
eröffnet, nicht nur die Persönlichkeitsstruktur des Täters,
sondern auch die Prognose seines sozialen Verhaltens
angemessen zu berücksichtigen. Dies ist in einem
Rechtsstaat selbstverständlich. Genauso selbstverständlich muß es jedoch in einem Rechtsstaat sein, daß über
die Folgen strafbaren Tuns auch nur im Einzelfall entJoachim Stünker
schieden wird. Dieser Aspekt der Generalprävention ist
in den 70er Jahren und bis zum Beginn der 80er Jahre
oft schmählich vernachlässigt und insbesondere von den
Grünen massiv angegriffen worden. Sie haben genau
deshalb jetzt eine Amnestiedebatte losgetreten, um zu
verhindern, daß im Bereich des Täter-Opfer-Ausgleichs
eine Verschiebung zu Lasten des Täters erfolgt. Keinesfalls kann es richtig sein, mit einer Amnestie Signale zu
setzen, die das Strafen im unteren Bereich als überflüssig erscheinen läßt. Dies ist eine Rechtspolitik, die
glücklicherweise von der überwiegenden Mehrheit unserer Mitbürger nicht geteilt wird; denn unsere Bürger erwarten, daß ihr Eigentum genauso wie ihre körperliche
Integrität geschützt wird.
({2})
Eine Amnestie ist deshalb ein denkbar ungeeignetes
Mittel, um Verbrechensbekämpfung wirksam voranzutreiben. Sie würde auf keinerlei Verständnis in unserer
Bevölkerung stoßen. Mit einer Jubelamnestie wird das
Opfer verhöhnt. Nur im Bereich des Täter-OpferAusgleichs kann Versöhnung, also Gnade und Verzeihen, stattfinden. Niemals kann Versöhnung jedoch zwischen Staat und Täter erfolgen, wie es die Grünen fordern.
({3})
Unser Staat spricht Recht auf der Basis der geltenden
Gesetze. Durch Amnestien wird einseitig und pauschal
der Täter privilegiert. Dies ist keine verantwortungsvolle
Rechtspolitik.
({4})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Christian
Ströbele das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte sehen, wie die Connection Werthebach/Westerwelle/Geis
({0})
gemeinsam nach Frankreich reist
({1})
und dem französischen Staatspräsidenten in einem persönlichen Gespräch klarmacht, daß das, was in Frankreich alle sieben Jahre praktiziert wird, einer „Bananenrepublik“ - so haben Sie, Herr Werthebach, es genannt würdig sei und daß dies ein Rückfall in vordemokratische Usancen sei. Ich wäre gern bei diesem Gespräch, in
dem Sie dies vermitteln wollen, dabei.
({2})
Herr Westerwelle, Sie müssen sich doch darüber im
klaren sein, daß Sie nur dann europäisch sein können,
wenn Sie auch die Gepflogenheiten in den anderen Ländern berücksichtigen. Österreich hat zum Beispiel ein
ähnliches Rechtssystem und weist eine ähnliche Rechtsentwicklung wie die Bundesrepublik Deutschland auf.
Dort gibt es alle zehn Jahre nicht eine „Jubelamnestie“,
wie Sie es hier diffamierend bezeichnet haben, sondern
eine Jubiläumsamnestie. Anläßlich der Feierlichkeiten
zur 10jährigen, 20jährigen und 30jährigen Unabhängigkeit Österreichs wurden Amnestien verkündet. Solche
Amnestien gibt es auch in Italien, in Frankreich und in
vielen anderen demokratisch verfaßten Ländern Europas.
Es ist vorstellbar, Herr Geis - dazu liegen entsprechende Berichte bereits vor -, daß das bevorstehende
christliche Jahrtausendjubiläum auch in anderen Ländern Anlaß sein könnte, eine Amnestie am 1. Januar
2000 durchzuführen. Wollen Sie diesen Ländern mit Ihrer Begründung kommen und sagen: „Wir haben aber
ein viel gerechteres System; wir machen das ganz anders“? Gehen Sie doch einmal nach Frankreich! Auch in
Frankreich kann man Freiheitsstrafen zur Bewährung
aussetzen, kurze Freiheitsstrafen überhaupt nicht antreten müssen und in Freigang kommen. All diese Rechtsinstitute sind in Frankreich, in Italien und in Österreich
genauso wie in Deutschland zu Hause.
Sie wehren sich gegen unseren Versuch, eine Diskussion über ein vergessenes Rechtsinstitut, das es auch in
der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat, in Gang
zu bringen. In einer Rundfunksendung haben Sie dieses
Rechtsinstitut mit der Aussage diffamiert, wir wollten
die Schwerverbrecher auf die Bevölkerung loslassen.
In Wirklichkeit sind Sie völlig neben dem Text, den
wir vorgelegt haben. Wir wollen diejenigen Menschen,
die kurze Freiheitsstrafen oder kurze Reststrafen zu verbüßen haben, zum 1. Januar 2000 amnestieren. Herr
Werthebach, ich hätte von Ihnen als Landespolitiker erwartet, daß Sie uns einmal sagen, wie viele Menschen
wegen Freiheitsstrafen zur Zeit in Berlin im Gefängnis
sitzen. Herr Geis, es ist nicht so, wie Sie behauptet haben, daß in Deutschland Menschen immer nur wegen
schwerer Gewalttaten im Gefängnis sitzen.
({3})
Wenn das der Fall ist, dann müssen sie schon sehr viel
ausgefressen haben. Es gibt Menschen, die wegen Verletzung der Unterhaltspflicht im Gefängnis sitzen.
({4})
Es nützt weder den Opfern noch den Familien, daß
Menschen wegen Straftaten wie Verkehrsdelikten, Verletzung der Unterhaltspflicht oder weil sie ihre Geldstrafen nicht bezahlen konnten im Gefängnis sitzen.
({5})
In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Strafgefangenen
in den letzten Jahren von 16 000 auf 19 000 gestiegen.
Man beabsichtigt eine neue Haftanstalt zu bauen.
({6})
Ein Drittel dieser neu zu verbüßenden Strafen sind
Geldstrafen, die nicht bezahlt werden können und die
jetzt im Gefängnis abgesessen werden müssen. Das ist in
jeder Hinsicht Unsinn. Wir wollen umsteuern und versuchen, etwas anderes zu machen.
({7})
Das hier vorgetragene Argument, man müsse bei jedem Gefangenen eine unzumutbare Prüfung vornehmen,
die einen ungeheuren bürokratischen Aufwand nach sich
ziehe, zeigt, daß Sie offenbar schon lange nicht mehr in
Gerichtssälen und schon gar nicht in Gefängnissen waren. Ich sage Ihnen, liebe Kollegen Rechtsanwälte und
Juristen: Schon heute ist es so, daß bei jedem Gefangenen jedes Jahr eine solche Prüfung vorgenommen wird,
nämlich dann, wenn die Frage geklärt wird, ob er in Urlaub gehen darf, ob er Besucher empfangen darf oder ob
er vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Solche Prognoseentscheidungen werden sowieso gefällt, und sie sind
alle gerichtlich überprüfbar. Das ist überhaupt nichts
Neues. Alles, was wir wollen, ist, neue Folgerungen an
diese Prognoseentscheidungen zu knüpfen.
Es war das vornehmste Recht der Könige in früheren
Gesellschaften und auch noch in manchen heutigen Gesellschaften, Gnade zu üben.
({8})
Dieses Recht, individuell Gnade zu gewähren, hat in
Deutschland der Bundespräsident.
({9})
Das vornehmste Recht des Souveräns der Bundesrepublik Deutschland, der Bevölkerung, vertreten durch ihr
Parlament, ist es, Gnade auch für viele zu gewähren, wie
es früher nur Könige konnten. Wenn das Parlament jetzt
einen Gnadenerlaß beschließt, mit dem man ein Zeichen
setzt, dann wäre das nicht nur für die Verurteilten und
ihre Familien gut, sondern auch für die Gesellschaft,
weil es zeigt, daß wir großmütig liberale Signale setzen
können. Es wäre auch gut für den Staat, weil er dadurch
sehr viel Geld spart und, jedenfalls im Augenblick, keine neuen Haftanstalten bauen muß, und es wäre gut für
die Opfer - Sie vergessen das immer wieder -, weil
viele von den dann Entlassenen in die Lage versetzt
werden, ein bißchen von dem Schaden, den sie angerichtet haben, durch eigene Arbeit, durch Zahlungen im
Täter-Opfer-Ausgleich wiedergutzumachen.
({10})
Deshalb wollen wir einen solchen Gnadenakt.
Wir diskutieren über diesen Gnadenakt mit der Evangelischen Akademie Loccum. Sie hat ein Seminar für
November angekündigt. Wir kämpfen zusammen mit
der Humanistischen Union, mit der Rechtsanwaltsvereinigung und mit vielen anderen.
Herr Kollege Ströbele, Sie müssen zum Schluß kommen.
Wir sind in guter Gesellschaft. Lassen Sie uns
diese Debatte, die wir heute im Deutschen Bundestag
geführt haben, in der Gesellschaft fortsetzen, um eine
Akzeptanz in der Gesellschaft zu erreichen! Lassen Sie
uns nicht mit Horrorgemälden polemisieren.
({0})
Es spricht jetzt für
die F.D.P.-Fraktion der Kollege Dr. Edzard SchmidtJortzig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Amnestie-Aufruf
der Grünen offenbart, wie ich finde, ein höchst erstaunliches Staatsverständnis, und Sie müssen sich schon gefallen lassen, daß wir das hier im Parlament zur Sprache
bringen. Ich habe ohnehin den Eindruck, Sie sind sich in
der Koalition - es ist ja doch ein Koalitionsthema nicht ganz einig über die Strategie, wie Sie sich zu diesem peinlichen Vorfall stellen sollen. Auf der einen
Seite höre ich, man müsse das alles ganz tiefhalten, und
es wird gefragt, wie die böse F.D.P. dazu komme, solch
eine Lächerlichkeit hier im Parlament auch nur zur
Sprache zu bringen. Auf der anderen Seite höre ich, daß
Sie überzeugt zu diesem Vorschlag stehen und darüber
in der Tat eine Diskussion anstoßen wollen. Offenbar
kommt Ihnen diese Debatte also gelegen. Dann ist es
auch gut, daß wir das Staatsverständnis analysieren, das
dahintersteht.
Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, sind
nicht mehr irgend jemand, der für sich relativ unverbindlich Vorschläge formulieren kann, sondern Sie sind
eine Regierungsfraktion. Wenn zwar nicht Ihre Fraktion
als solche, aber führende Vertreter Ihrer Fraktion diese
Vorschläge machen, ist das ein Thema für dieses Parlament. Ich wüßte nicht, was das Parlament sonst zu tun
hätte, als die Regierung zu beobachten, zu kritisieren, zu
kontrollieren und die Dinge, die dem Parlament einigermaßen komisch vorkommen, auch zur Sprache zu
bringen. Soviel vorweg.
({0})
Wenn ich es richtig sehe, beweist die AmnestieInitiative mindestens in dreierlei Hinsicht - ich möchte
versuchen, mich darüber ein wenig zu vergewissern und
es ein wenig deutlich zu machen - ein doch recht beHans-Christian Ströbele
denkliches Verhältnis zu unserem Staat, man könnte
auch erschreckendes Verhältnis sagen; auf alle Fälle jedenfalls ein fragwürdiges Verhältnis.
Zum einen finde ich es schon bemerkenswert, daß die
Grünen ganz offensichtlich die rechtlichen Reaktionen,
die deutsche Gerichte auf Straftaten gefunden haben - es
geht nicht um einzelne Urteile, über die man rechten
könnte, sondern ganz pauschal -, aus Gerechtigkeitsgründen für korrigierungsbedürftig halten. Ohne eine
solche inhaltliche Differenz würde ja nicht einmal der
schon zitierte „Gutsherr“ daherkommen und einmal getroffene Entscheidungen aufheben. Man muß dafür also
Gründe haben. So weit wird man mir ja wohl folgen
können. Wenn diese Gründe nicht ausreichen, um vom
Rechtsstaatsverständnis her eine Amnestie zu rechtfertigen, also etwa Vorbereitung einer Befriedung der Gesellschaft, Bewältigung einer abgeschlossenen Zeit oder
wie auch immer, dann frage ich mich, welche Gründe
wirklich dahinterstehen. Nur daß jetzt der Kalender zufällig umspringt, kann jedenfalls kein Grund sein, den
ich den Grünen, wenn ich sie ernst zu nehmen versuche,
abnehmen könnte.
({1})
- Nein, ich lasse Sie jetzt nicht nach Frankreich oder
Österreich ausweichen. Wir sind hier in Deutschland
und haben uns mit unserem deutschen System auseinanderzusetzen. Nur darum geht es.
({2})
Es geht nur um Deutschland unter dem Grundgesetz. Ich
würde Sie gerne fragen: Mißtrauen Sie denn den deutschen Gerichten? Halten Sie das, was und wie dort judiziert wird, im Grunde für falsch und ungerecht? Ich fand
es dabei ganz erhellend - das hat meine Frage zu diesem
Punkt eigentlich schon beantwortet -, daß der Kollege
Beck deutlich gesagt hat, daß man eigentlich etwas ganz
anderes wolle, nämlich die alte Diskussion über die Entkriminalisierungspolitik wieder aufwärmen, nach der
Strafen durch etwas anderes ersetzt werden sollen. Das
soll jetzt durch das etwas dekorativere Gewand einer
Jahrhundertamnestie wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden.
({3})
Zum zweiten bedrückt mich schon, wie bedenkenlos
eine Regierungsfraktion oder wenigstens wesentliche
Mitglieder derselben einen Eingriff in die Abläufe der
Justiz inszenieren wollen. Eine Intervention der Politik
in den gerichtlichen Rechtsvollzug aus Opportunitätsgründen - wie gesagt, andere Gründe liegen ja wohl
nicht vor - wollten die Deutschen nicht wiederhaben.
Deswegen enthält das Grundgesetz in Art. 97 die bekannte eherne Garantie der Unabhängigkeit der Gerichte
als Eckpunkt und Eckpfeiler der Rechtsstaatlichkeit.
({4})
Ich hoffe doch nicht, daß Sie diesen Eckpfeiler einreißen
wollen. Wenn doch, dann wüßte ich gerne, ob das nur
aus reiner Feiertagslaune, aus Millenniums-Erwartungen, oder vielleicht aus tiefergehenden grundsätzlichen
Erwägungen stattfinden soll.
({5})
Schließlich zum dritten: Lieber Herr Kollege Ströbele, bei Ihrem Vorschlag spielen - ich glaube, daß Sie das
erkennen, wenn Sie es einmal ganz nüchtern betrachten;
Sie werden das mit Verve abstreiten - vordemokratische
Vorstellungen mit. Die Initianten verstehen unseren
Staat, die Bundesrepublik Deutschland unter dem
Grundgesetz - nicht irgendeinen Nachbarstaat -, offenbar als eine von Natur aus übermächtige, absolutistische
Hoheitsinstanz, die bei selbstgewählten Anlässen ebenso
frank Huld und Wohltaten verteilen kann, wie sie zuvor
Strafen und Lasten verhängt hat.
Was sind denn das für Vorstellungen? Der Staat sind
doch wir. Alle Regierungsmacht geht vom Volke aus
und nicht von irgendwelchen politischen Opportunitätserwägungen zu bestimmten Anlässen mit sehr partikulären Interessen. Ich frage also die Grünen ganz konkret:
Sind Sie sich eigentlich über diese Hintergründe - fast
hätte ich gesagt: Untergründe - Ihrer Initiative im klaren? Wenn nicht Staatssekretär Pick schon mit ruhiger
Stimme, aber in der Sache sehr deutlich Stellung bezogen hätte, hätte ich zum Abschluß nachgefragt: Halten
Sie, lieber Herr Pick oder verehrte Frau Ministerin, hält
also die Bundesregierung solche Strömungen und Provenienzen für die Regierung eines Rechtsstaates für angängig?
Herr Kollege
Schmidt-Jortzig, Sie müssen leider zum Schluß kommen.
Danke sehr.
({0})
Es spricht jetzt der
Kollege Hans-Joachim Hacker, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Abgesehen von
der allgemeinen Frage, ob anläßlich der Jahrtausendwende eine Amnestie für bestimmte Straftaten verkündet werden sollte, drängt sich für mich zwangsläufig die
Frage auf, ob nicht wegen der jüngsten deutschen Vergangenheit und zur Überwindung der immer noch bestehenden Gräben in unserem Volk eine Amnestie für politische Straftäter aus dem DDR-Apparat angezeigt ist.
Ich spreche das auch deswegen an, weil Herr Kollege
Gehrcke diese Frage hier heute erneut thematisiert hat.
Die PDS als Anwalt dieser Gruppe hat diese Frage öfDr. Edzard Schmidt-Jortzig
fentlich und auch im parlamentarischen Raum in der
zurückliegenden Zeit mehr als einmal aufgeworfen, zuletzt anläßlich des 50. Jahrestages des Grundgesetzes.
Meine Damen und Herren, eine Amnestie ist jedoch
von der überwältigenden Mehrheit des Deutschen Bundestages und von der deutschen Öffentlichkeit - zu
Recht, meine ich - als ungeeigneter Beitrag zum Rechtsfrieden und zur inneren Einheit Deutschlands abgelehnt
worden. Denn worum geht es bei dieser Thematik?
In der DDR wurden aus politischen und ideologischen Gründen und in nicht wenigen Fällen aus reinem
Machtkalkül Rechtsverletzungen staatlicherseits begangen bzw. zugelassen, die wegen des zugrunde liegenden
Motivs von der SED-hörigen Justiz nicht verfolgt wurden - und dies, obwohl in fast allen Fällen auch gegen
DDR-Recht verstoßen wurde. Erst nach dem politischen
Umbruch, nach der deutschen Einheit und dem Aufbau
einer rechtsstaatlichen Justiz in den neuen Ländern
konnte mit der Aufarbeitung dieses Relikts der DDRGeschichte begonnen werden.
Daß die erreichten Ergebnisse - das ist hier schon
vermerkt worden - bei den Bürgerinnen und Bürgern
und vor allen Dingen bei den Opfern nicht generell auf
Zustimmung gestoßen sind und nicht befriedigen konnten, steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber bedenken
wir: Auch darin unterscheiden sich rechtsstaatliche Verfahren in Deutschland von politischen Strafprozessen,
ob in Waldheim oder in anderen Strafprozessen bis in
die letzten Monate der DDR unter der SED-Herrschaft.
Meine Damen und Herren, von den Rechtfertigern
der Unrechtstaten im DDR-System wird für die juristische Aufarbeitung von DDR-Unrecht der in der Nachkriegszeit aufgekommene Begriff der Siegerjustiz verwendet. Schon der geschichtliche Bezug ist mehr als
fragwürdig. Dazu kommt, daß die Ergebnisse der Strafverfahren zum DDR-Unrecht einen, so meine ich, überzeugenden Beweis dafür liefern, daß die Rechte der Angeklagten gewahrt und daß rechtsstaatliche Prozesse
durchgeführt wurden.
Die strafrechtliche Auseinandersetzung mit den Unrechtstaten während der DDR-Zeit, die schlechthin als
Regierungskriminalität bezeichnet werden, war und ist
unabdingbar. Der Rechtsstaat war dazu nicht nur gegenüber den Opfern verpflichtet; vielmehr hat er damit auch
eine geschichtliche Lehre umgesetzt, die darin besteht,
daß es sich nicht lohnen darf, politisches Unrecht zu begehen, weil am Ende Gerechtigkeit siegt und Täter zur
Verantwortung gezogen werden. Wer Demokratie
schützen und verhindern will, daß sich ähnliche Entwicklungen wiederholen, muß nach dem Zusammenbruch der DDR auch die Auseinandersetzung mit dem
Unrecht dieses Regimes suchen. Die Bundesregierung
und die sie tragende Koalition sind dabei nicht auf einem Rachefeldzug, sondern sie überlassen diesen Prozeß
der unabhängigen Justiz.
Gleichzeitig sagen wir, daß wir für die Opfer der
Diktatur in der SBZ und in der DDR endlich Gerechtigkeit schaffen müssen und die offensichtlichen Defizite in
den Rehabilitierungsgesetzen, die an dieser Stelle mehrfach erwähnt worden sind, endlich beseitigen müssen.
Dazu hat die Bundesregierung Initiativen ergriffen. Ich
hoffe, daß wir noch in diesem Jahre das Gesetzgebungsverfahren abschließen können.
Um es auf den Punkt zu bringen: In Deutschland, insbesondere in den neuen Ländern, gibt es weder einen
sachlichen noch einen zeitlichen Ansatzpunkt dafür, eine
Amnestie für politische Straftäter zu erlassen. Eine Amnestie würde einen nicht zu verantwortenden Schlußstrich unter die Aufarbeitung der DDR- und der SEDGeschichte bedeuten. Dieses wäre ein falsches Signal
und würde erneut Risse in der Gesellschaft vertiefen.
Insofern ist die allgemeine Debatte über eine Amnestie für bestimmte Straftaten genauso überflüssig wie die
Diskussion über einen Straferlaß für Täter des DDRSystems. Eine Amnestie oder eine Teilamnestie für
SED-Straftäter wäre eine Verhöhnung der Opfer. Unser
Augenmerk muß sich darauf richten, für die Entschädigung der Opfer einzutreten und endlich die notwendigen
gesetzlichen Regelungen zu schaffen. Wir dürfen aber
nicht Entlastung und Wohl der Straftäter in den Blick
nehmen.
Vielen Dank.
({0})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Volker Kauder.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Amnestie ist dem
deutschen Rechtswesen nicht fremd. Aber sie ist in einem Rechtsstaat an enge Voraussetzungen gebunden.
Der Vorschlag aus der Fraktion der Grünen mißachtet,
daß man über dieses Instrument, das nur sehr spärlich
eingesetzt werden darf, nicht täglich frei verfügen kann.
Wie wenig man in der Fraktion der Grünen über dieses Thema nachgedacht hat, ist mir durch Zwischenrufe
und Äußerungen gerade in dieser Debatte deutlich geworden. Auch Sie, sehr geschätzte Frau Kollegin Vollmer, verwenden in der Diskussion über die Amnestie
ständig den Begriff der Gnade. Dabei sind Amnestie
und Gnade zwei unterschiedliche Begriffe, die nichts
miteinander zu tun haben und von unserem Rechtssystem klar unterschieden werden. Das sollten Sie eigentlich wissen.
({0})
Das Gnadenrecht, das wir in der Bundesrepublik
Deutschland haben, ist eine ganz systematische und logische Fortsetzung der Einzelfallgerechtigkeit durch die
Rechtsprechung. Hier wird in einem Einzelfall geprüft,
ob sich vielleicht noch Gründe ergeben, die außerhalb
des eigentlichen Rechtssystems liegen, um im Ausnahmefall Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Es wird eben
nicht das Recht außer Kraft gesetzt. Es heißt nämlich
ausdrücklich: Gnade vor Recht. Das Entscheidende beim
Gnadenrecht ist - ganz im Gegensatz zur Amnestie -,
daß wie bei einem Gerichtsurteil einer die Verantwortung für eine solche Entscheidung übernimmt.
Ich bin einigermaßen zufrieden, daß sich die Bundesregierung klar erklärt hat. Ihr Koalitionspartner hat aber
gesagt - dieser Punkt schmerzt Sie etwas, Herr Staatssekretär Professor Pick -, er befinde sich mit seinen Vorschlägen in guter Gesellschaft. Er hat Sie aber heute
damit nicht gemeint, was Sie angesichts der Tatsache,
daß Ihre Haltung in der Sache richtig ist, verkraften
können.
Richtig ist auch: Wenn wir über Amnestie reden, darf
keine falsche Botschaft ins Land gehen. Genau diese falsche Botschaft geht aber von Ihrem Vorschlag aus, Herr
Beck und Herr Ströbele. Ihre Botschaft, die bei den
Menschen ankommt, heißt doch: Aus Anlaß eines großen Festes machen wir ausgerechnet denjenigen ein Geschenk, die dem Volk und dem einzelnen geschadet haben. Aber mit keinem Satz wird gesagt, daß wir den Opfern dieser Straftaten ein Geschenk machen müßten.
({1})
Dies ist die Verschiebung in der ganzen Diskussion.
Damit haben Sie dem Thema Opferschutz und OpferTäter-Ausgleich keinen guten Dienst erwiesen.
Der zweite Punkt: Sie sind es gewesen, die, zusammen mit uns allen, gesagt haben: Es gibt Bereiche der
Kriminalität, in denen wir mehr machen müssen; Stichwort: Jugendkriminalität und Sexualkriminalität. In diesem Zusammenhang muß die Botschaft, daß eine Amnestie erfolgen soll, bei den Menschen falsch ankommen.
Ich halte es auch für völlig überzogen, daß der Deutsche Bundestag aus Anlaß eines solchen Festes eine
Gruppe herausgreift und ihr ein Geschenk macht. Wenn
wir ein Geschenk machen wollen, müssen wir uns überlegen, ob wir ein Geschenk an die Bevölkerung insgesamt machen. Aber wir dürfen nicht eine Gruppe herausgreifen, die auch noch besonders problematisch ist.
({2})
Wir lehnen die Amnestie deshalb ab.
Von der Amnestie, wie Sie sie vorgeschlagen haben
bzw. wie ich sie verstanden habe, geht auch keinerlei
Gerechtigkeit aus. Wieso soll gerade derjenige amnestiert werden, der eine Freiheitsstrafe bekommen hat,
während derjenige, der mit einer Geldstrafe belegt worden ist, nicht berücksichtigt wird. Aus welchem Grund
wollen Sie das so machen? Ich habe manchmal den Eindruck - dieser eine, vielleicht etwas ironisierende Punkt
soll in dieser ansonsten ernsthaften Debatte doch angesprochen werden -, daß Sie bei der Amnestie der Straftäter so verfahren wie bei der Ökosteuer: Wer am meisten hat, dem wird am meisten erlassen, und derjenige,
der weniger hat, kommt nicht davon.
Wir können nur sagen: Es ist eine falsche Verbindung, die Sie zu knüpfen versuchen. Sie haben damit
dem Gedanken einer rechtsstaatlich begründeten Amnestie keinen guten Dienst erwiesen. Sie haben im übrigen
der Bevölkerung wieder einmal gezeigt: Das Thema
Rechtsstaat, der Schutz vor Verbrechen ist bei Ihnen am
wenigsten gut aufgehoben.
({3})
Das Wort hat der
Kollege Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auf
den Kern reduziert, lautet die zur Diskussion stehende
Frage: Ist es angemessen, den Beginn des dritten Jahrtausends mit der Forderung nach übergesetzlicher Gerechtigkeit zu verbinden?
Die erste Jahrtausendwende nach Christi Geburt wurde damals in ein hochdramatisches Verhältnis zu dem
Wunsch nach höherer Gerechtigkeit gesetzt. Man erwartete die Wiederkunft Christi und damit nicht weniger
als den Endpunkt der Geschichte, das Ende der Welt.
Man erhoffte oder befürchtete - je nach Länge des Sündenregisters - den Beginn der göttlichen Herrschaft und
damit ein Zeitalter himmlischer Gerechtigkeit.
Der Glaube an die Magie der Zahl gehört heute der
Vergangenheit an. Aber auch die vergleichsweise bescheidene Verknüpfung des anstehenden Übergangs in
das nächste Jahrtausend mit der Frage eines Amnestiegesetzes erscheint aus unserer Sicht nicht angemessen.
Um die Anwort der großen Regierungsfraktion gleich
vorwegzunehmen: Wir sind der Meinung, daß wir kein
Amnestiegesetz brauchen.
Wir haben dafür gute Gründe: Erstens. Es bedarf keines Amnestiegesetzes, um dem Gesichtspunkt der Resozialisierung oder der Möglichkeit der Schadenswiedergutmachung Rechnung zu tragen. Das Sanktionensystem
des geltenden Strafrechts dient nicht der blinden Vergeltung. Es ist bereits so weitgehend differenziert, daß
alle Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. Im übrigen ist die Regierungskoalition dabei, das Sanktionensystem noch effektiver zu gestalten.
({0})
In der Bundesrepublik Deutschland wird eine unbedingte Freiheitsstrafe nur als Ultima ratio ausgesprochen. Unsere Rechtsprechung gibt keinen Anlaß, das
Ergebnis einer individuellen gerichtlichen Überprüfung
von Schuld und adäquater Sanktion im nachhinein durch
ein allgemeines Gesetz aufzuheben.
Unser Recht kennt als zweites die Möglichkeit der
Begnadigung im Einzelfall. Dieses Gnadenrecht steht
dem Bundespräsidenten und den Ministerpräsidenten der
Länder zu. Es ergänzt unser ausgefeiltes Rechtssystem,
({1})
um dem Gedanken materieller Gerechtigkeit auch in den
- seltenen - Fällen Rechnung zu tragen, in denen die
Vollstreckung einer rechtskräftigen Verurteilung unbillig erscheint. Eine derartige Entscheidung dient der Einzelfallgerechtigkeit. Hier findet eine genaue Überprüfung der Umstände statt. Nur diese besonderen Gnadengründe rechtfertigen die Durchbrechung der Rechtskraft
eines Urteils und die Ungleichbehandlung im Vergleich
zu anderen Tätern, deren Urteile vollstreckt werden. Ein
Amnestiegesetz aus Anlaß der runden Zahl nimmt hierauf keine Rücksicht und erscheint willkürlich.
({2})
Drittens. Ich möchte nicht generell ausschließen, daß
ein Amnestiegesetz einen kriminalpolitischen oder gesellschaftlichen Sinn haben kann. Dies kann zum Beispiel der Fall sein - das ist heute einige Male angesprochen worden -, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert haben oder wenn Delikte betroffen
sind, die im Hinblick auf die Umstände ihrer Begehung
einer vergangenen Epoche angehören, so daß zugunsten
des inneren Friedens ein Schlußstrich gezogen werden
soll und kann.
Eine Amnestie kann den Sinn haben, gesetzlich
scheinbar legitimiertes Unrecht mit dem Ziel der Rehabilitierung der Opfer nun auch gesetzlich als Unrecht zu
bezeichnen. Ich denke an die Rehabilitierung der Opfer
des Naziregimes, aber auch an die Rehabilitierung der
Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen
DDR.
Der schlichte Wechsel in das Jahr 2000 markiert jedoch weder den Übergang in eine neue geschichtliche
Epoche, noch bedeutet er eine Zäsur im Sinne eines
Wertewechsels. Nach dem Silvesterjubel wird nur eine
Neuerung übrigbleiben: das neue Datum.
Viertens. Eine Jahresjubelfeier ist nur für Diktaturen
und Unrechtsstaaten ein willkommener Anlaß für eine
Amnestie. Gerade die innere Grundlosigkeit derartiger
Amnestien ist hier die eigentliche, versteckte Botschaft.
Diese Botschaft richtet sich an Menschen, die der puren
Gewalt unterworfen sind. Sie heißt: Die Machthaber
verhaften zwar willkürlich, bei guter Laune und einem
schönen Fest kommt man aber auch wieder frei. Die
Botschaft heißt: Ertragt das willkürliche Unrecht des
heutigen Tages; eines späteren Tages werdet ihr genauso
willkürlich wieder freikommen.
({3})
Eine derartige Amnestie ist vordemokratisch. Ich denke,
daß wir uns insoweit alle einig sind: Diese Art der Amnestie ist der Bundesrepublik nicht würdig.
Es ist gängige Praxis in unserem Land, daß zu einem
bestimmten Fest, nämlich dem Weihnachtsfest, denjenigen, die nur noch wenige Tage zu verbüßen haben, exakt
zu diesem Zeitpunkt die Strafe erlassen wird. Es sind
Ausnahmen. Wir sollten es bei diesen Ausnahmen belassen.
Ich glaube, daß Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der F.D.P., mit der Beantragung dieser Aktuellen
Stunde heute weder dem Rechtsstaat noch der Demokratie noch sich persönlich einen Gefallen getan haben.
({4})
Ich darf Ihnen sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen auf dieser Seite des Hauses: Die Koalition werden
Sie mit dieser Aktuellen Stunde nicht in Bedrängnis
bringen.
({5})
Es spricht jetzt die
Kollegin Dr. Susanne Tiemann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst habe auch ich gedacht, daß diese Aktuelle Stunde nicht
nötig sei. Aber die Debatte hat mir gezeigt, daß sie doch
sehr nützlich ist. Zum einen hat mich sehr gefreut, daß
der Herr Staatssekretär die Konturen unseres Rechtsstaates so gut und präzise herausgearbeitet und dargelegt
hat, warum eine Amnestie in der vorgeschlagenen Form
eben nicht möglich ist. Zum anderen ist es meiner Meinung nach sehr gut, daß wir uns einmal allgemein auf
die Konturen eines Rechtsstaates besinnen. Die Aktuelle
Stunde gibt uns Anlaß, dies zu tun.
Es wurde häufig gesagt, in anderen Ländern gehe das
mit der Amnestie doch auch, dort mache man es doch
auch. Ich glaube, gerade der Herr Staatssekretär hat
klargemacht, daß es um die Konturen unseres deutschen
Rechtsstaates geht, um den wir hier ringen. Wir können
auf Grund der Erfahrungen in der Vergangenheit sagen,
daß unser Rechtsstaat in vielfacher Hinsicht besonders
scharf konturiert ist. Nehmen Sie nur das Prinzip der
Gewaltenteilung.
Es wurde heute oftmals gesagt: Könige haben doch
auch schon Amnestie gewährt. Bereits im Alten Testament gab es das. - Wissen Sie, ich möchte eigentlich
nicht so gerne wieder in die Zeiten des Feudalismus zurück. Ich dachte, das hätten wir überwunden.
({0})
Ich fühle mich eigentlich recht wohl angesichts der
Überwindung solcher Strukturen und freue mich, daß
Montesquieu sich bei uns wirklich durchgesetzt hat.
({1})
- In Frankreich hat sich Montesquieu längst nicht so klar
durchgesetzt wie bei uns; aber nichts gegen unsere französischen Freunde. - Unsere Gewaltenteilung erfordert,
daß der Gesetzgeber Zurückhaltung übt, wenn es darum
geht, in Entscheidungen der anderen Gewalt einzugreifen. Dieses Eingreifen ist eben nur bei einem triftigen
Grund möglich. Es ist vom Staatssekretär sehr eindrucksvoll dargelegt worden, wann ein solcher Grund
vorliegen kann; das Jahr 2000 ist kein solcher triftiger
Grund.
Zweitens. Die Rechtsprechung ringt um Gerechtigkeit
im Einzelfall, um Individualgerechtigkeit, um die individuell gerechte Strafe. Durch eine Amnestie wird aber
Straffreiheit für einen großen Kreis von Straftaten bewirkt. Das ist gerade das Gegenteil von Einzelfallgerechtigkeit, auf die es uns im Rechtsstaat ankommt.
Herr Beck, Sie haben so nett gesagt: Da schauen wir
ja dann auf die Gesinnung des jeweiligen Täters, der
amnestiert werden soll.
({2})
Wenn er verspricht, zukünftig nicht mehr straffällig zu
werden, und wenn die Prognose das in seinem Fall
stützt, dann wird er amnestiert, sonst nicht. Es ist gerade das Kennzeichen der Amnestie, daß
man nicht auf den einzelnen Täter schaut, sondern auf
eine Vielzahl von Straftaten - so das Bundesverfassungsgericht, das eine Amnestie nur in Form eines allgemeinen Gesetzes für verfassungsrechtlich möglich
gehalten hat. Also auch hier geht das nicht, ein triftiger
Grund liegt nicht vor.
Meine Damen und Herren, ein nächster Punkt: Der
Rechtsstaat hat es an sich, daß er das Gewaltmonopol an
sich zieht. Ich glaube, es ist ein großer Vorteil unseres
Rechtsstaates, daß nur der Staat Recht mit Gewalt
durchsetzen kann und nicht der einzelne Bürger. Das ist,
glaube ich, ein großer Nutzen unseres Rechtsstaates,
über den ich wachen möchte, gerade wenn ich hier in
diesem Hause meine Tätigkeit ausüben darf. Wenn aber
der Rechtsstaat das Gewaltmonopol an sich zieht, dann
muß er auch den Strafanspruch, den dieses Gewaltmonopol enthält, durchsetzen, dann haben die Bürger Anspruch darauf, daß dieser Strafanspruch durchgesetzt
wird. Dann haben die Bürger das Vertrauen, daß der
Staat entsprechend handelt. Dieses Vertrauen darf er
nicht aus Gründen enttäuschen, die nicht unbedingt
zwingend und mit diesem Rechtsstaat nicht in Einklang
zu bringen sind.
Meine Damen und Herren, auch das Argument, nach
50 Jahren sei unsere Demokratie so gefestigt, daß wir es
uns leisten könnten, eine Amnestie zu erlassen, trägt
nicht; denn gerade wenn Rechtsstaat und Demokratie so
gefestigt sind, verdanken sie es einer konsequenten
Durchsetzung des Strafanspruches.
({3})
Wir würden diese Festigkeit von Demokratie und
Rechtsstaat gefährden, wenn wir anders verfahren würden. Wir alle in diesem Hause wissen: Um Demokratie
und Rechtsstaat muß man täglich kämpfen. Man muß
täglich wachsam sein, damit man sie erhält. Man darf
sich nicht auf einer gefestigten Demokratie und auf
einem gefestigten Rechtsstaat, gewissermaßen auf einem
Amnestiekissen, ausruhen wollen.
Meine Damen und Herren, eine Erwägung, die Sie
bei Ihrem Vorschlag anstellen, hat mich natürlich besonders verwundert, nämlich die Kostenerwägung: Die
Gefängnisse sind voll, das kostet so viel. - Ja wollen wir
denn Strafverwirklichung nach Kassenlage machen?
({4})
Wollen wir denn, wenn die Kassen leer sind, kurz mal
die Gefängnisse öffnen, damit wir wieder entlastet sind?
Ist das der rechtsstaatliche Strafanspruch? Fördert dies
das Vertrauen, das die Bürger in den Staat setzen? - Ich
wehre mich entschieden gegen eine solche Vorstellung.
Einen weiteren Aspekt möchte ich auch nicht unbeantwortet lassen: Es wurde gefragt, ob es nicht christlich
sei, eine solche Amnestie durchzuführen, gerade im Jahr
2000,
({5})
in dem wir uns an die Geburt Christi erinnern. Meine
Damen und Herren, ich frage Sie: Ist Strafe im Rechtsstaat unchristlich?
Frau Kollegin Tiemann, Sie müßten an Ihre Redezeit denken.
Sie wäre es
unter Umständen, wenn es Rache wäre. Aber Rache ist
das nicht, sondern es ist der Schutz der Bevölkerung, es
ist das Bemühen, den einzelnen wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Genau das wollen wir in unserem
Rechtsstaat tun. Der Rechtsstaat hat es verdient, bewahrt
zu werden. Für solche Überlegungen, wie Sie sie angestellt haben, ist er zu schade.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Frau Kollegin Margot von Renesse, Sie haben jetzt das Wort für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wenn man als vierter Redner
aus der betreffenden Arbeitsgruppe spricht, bleibt nicht
mehr viel zu sagen. Aber, Frau Kollegin Tiemann, der
letzte Punkt, den Sie angesprochen haben, veranlaßt
mich dazu, einige Bemerkungen zu machen. Vorhin
hörte ich den Zuruf von Frau Vollmer, in dem sie an das
jüdische, alttestamentliche Halljahr erinnerte. Frau
Vollmer, gerade Sie als gelernte Theologin wissen, daß
diese Einrichtung, die auch ich für sehr spannend halte,
zwar in einen religiös verfaßten, theokratischen Staat
paßt, in dem Versöhnung und Vergebung Rechtspflichten sind. Wir aber können dies nicht verwirklichen.
Denn trotz der Bezugnahme auf Gott im Grundgesetz dies war heiß umkämpft, wie wir uns gut erinnern - ist
unser Staat eben nicht ein religiös verfaßter. Versöhnung
und Vergebung sind hochpersönliche Angelegenheiten,
die der Staat weder verwaltet noch verausgabt. Gleichwohl gibt es Gnade. Ich denke, daß wir uns darüber im
klaren sein müßten, daß trotz des Popanzes, der hier in
dieser Debatte - soweit ich ihr folgen konnte - aufgebaut wurde, die Profile der Parteien in dieser Frage nicht
so scharf voneinander abgegrenzt sind.
Herr Westerwelle, Sie haben Ihre Rede mit einer geradezu apokalyptischen Vision des Zerfalls des gesamten Rechtsstaats, ausgelöst durch den Vorschlag der
Grünen, begonnen. Lassen Sie uns die Dinge auf ihren
eigentlichen Kern zurückführen. Alle hier im Raum
Anwesenden wissen: Wer grundsätzlich für Amnestien
ist und sie als möglich betrachtet, ist deswegen kein
Feind des Rechtsstaates. Einverstanden? - Mit Sicherheit.
({0})
- Ich erwarte weitere Zustimmung. Sie wird mir nicht
zuteil. Ich glaube dennoch, daß wir uns darin einig sein
können.
Ein weiterer Punkt: Wer den Sinn, insbesondere den
spezial- und generalpräventiven Sinn, kurzer Freiheitsstrafen anzweifelt, ist, ganz generell, nicht jemand, der
kleine Straftaten - die Wörter „kleine Straftaten“ müßte
man in Anführungszeichen setzen, da sie demjenigen,
dem sie widerfahren, alles andere als klein erscheinen verharmlost und die Bevölkerung solchen Straftaten
massenhaft aussetzen will. Auch das scheint mir zunächst einmal unstreitig zu sein.
({1})
Die Frage ist, was an deren Stelle tritt, wenn man General- und Spezialprävention - das tun wir alle; das betone ich - nach wie vor hochhält. In bezug auf den Sinn
kurzer Freiheitsstrafen kann man wirklich Fragezeichen
setzen, ohne deswegen die Gerichte zu beschimpfen, die
sie verhängen. Denn im Augenblick haben die Gerichte
nicht so viele andere Möglichkeiten, vor allem bei der
Ersatzfreiheitsstrafe.
({2})
Umgekehrt wird man es bei den Grünen bestimmt
nicht, so hoffe und erwarte ich, für ausgeschlossen halten, daß man den Vorschlag, den einige von Ihnen gemacht haben, an sehr strengen Kriterien mißt. Sie werden sicherlich einsehen, daß das Beispiel Frankreich für
uns nicht maßgeblich sein muß, ja nicht einmal sein
kann. Denn die Beziehung der Franzosen zu ihrem Staat
ist eine weitaus emotionalere und vertrauensvollere als
die Beziehung eines jeden Bundesbürgers bzw. einer jeden Bundesbürgerin zu seinem Staat.
Die Sensibilität, mit der hier auf Gleichbehandlung
geachtet wird - dies ist ein entscheidendes Stück der
Verwirklichung von Recht und Legitimation des
Staates -, ist bei uns angesichts des berechtigten Mißtrauens, das wir gegen staatliche Willkür jeder Art
haben, historisch verankert. Würde die Gleichbehandlung mißachtet, würde das den Rechtsfrieden massiv
erschüttern. Das ist ein Problem, das wir bei jeder Amnestie bedenken müssen.
({3})
Natürlich habe ich - ähnlich wie der Kollege Stünker - große Bedenken dagegen, daß Sie eine Amnestie
mit Einzelfallentscheidungen vermischen wollen. Denn
der Unterschied zwischen Amnestie und Einzelgnade ist,
daß bei der Amnestie die Rechtsgrundlage der Verurteilung selbst in Zweifel geraten ist und die Frage der
Prognose dabei unerheblich ist.
Frau Vollmer, als ich das erste Mal einen Blick in die
Gnadenordnung Nordrhein-Westfalens warf, habe ich
gedacht: Was ist denn das für ein komisches Ding? Das
ist eine Gnadenordnung mit einem korrekten, bis ins
einzelne durchgefeilten System von Vorschriften: Gnade
vor Recht, Recht der Gnade. Wir brauchen das Recht der
Gnade und eine sehr sensible Handhabung des Rechts
der Gnade, weil die Bevölkerung von uns erwartet, daß
wir eben nicht den Abglanz von Gottes Gnade verwalten. Auch wenn Richter eine schwarze Robe anhaben
und damit Distanz markieren, sind sie deswegen in ihrer
Person keine charismatischen Führer des Volkes. Sie
sind vielmehr Diener des Rechts.
Gerade auf Grund unserer Geschichte müssen wir
wissen: Jedes Vorhaben einer Amnestie ist mit Vorbehalt zu genießen und sehr sorgfältig zu prüfen. Daraus
kann man ebensowenig eine Suppe kochen wie aus einem Gewürz. Es würzt die Suppe; aber es ist nicht ihr
Inhalt.
({4})
Gestatten Sie mir ein letztes Wort zu dem von mir
sehr geschätzten Kommentator in der „Süddeutschen
Zeitung“, Herrn Prantl: Es stellt sich nicht die Alternative „Gnade oder Recht“; denn die Gnade ist im Recht
verankert, nicht nur bis zur Verurteilung, sondern auch
noch danach als korrigierende Gnade in vielen Stagen.
Die Verweigerung einer Amnestie ist keine Gnadenlosigkeit; die Gnade wird dahin verwiesen, wohin sie bei
uns gehört, nämlich in das Recht.
Danke schön.
({5})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Norbert Röttgen,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist erfreulicherweise vielfach betont worden, daß unser Rechtsstaat
nicht nach Fürstenlaune funktioniert, sondern daß insbesondere rechtsstaatliches Strafen auf Rationalität, Bestimmtheit und Berechenbarkeit gründet. Nach dem vielen
Vernünftigen und Klugen, das heute gesagt worden ist,
verdient der Vorschlag der Grünen meiner Meinung nach
nicht viel mehr an kommentierender Zurückweisung.
Ich war übrigens schon vor der Debatte der Auffassung, daß es angesichts der intellektuellen Qualität des
Vorschlages ein bißchen zuviel der Ehre ist, daß wir
heute breit darüber diskutieren; denn bei diesem Vorschlag handelt es sich weniger um einen Anschlag auf
den Rechtsstaat als vielmehr um eine Schnapsidee. Das
ist meine Meinung.
({0})
Vor der Debatte war ich „amnestiegeneigt“. Ich habe
mich wirklich gefragt, warum man, wenn jemand einen
solch blöden Vorschlag macht, darüber groß reden muß.
Das Bemerkenswerte und ein bißchen auch Überraschende an dieser Debatte ist aber für mich, wie erkenntnisresistent sich die Grünen heute gezeigt haben.
Sie haben diesen Vorschlag hier so engagiert vertreten
und vorgetragen - zumindest der rechtspolitische Sprecher, immerhin das zweite Mitglied im Rechtsausschuß
für die Grünen im Bundestag -, daß man wirklich den
Eindruck haben muß, sie meinten es ernst.
({1})
Insofern muß ich entgegen meiner Einschätzung vor
der Debatte der F.D.P. zugeben: Die Debatte hat sich
gelohnt; denn es sind zwei Dinge herausgekommen:
Erstens. Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit Ihrem
Vorschlag - und das nehme ich an, weil sie ihn hier so
engagiert vertreten haben -,
({2})
dann ist das meines Erachtens - ich glaube, auch andere
sind dieser Meinung - ein Indiz für die mangelnde
rechtsstaatliche Reife der Grünen. Wenn man dem kleineren Koalitionspartner in der aktuellen Bundesregierung auf Grund seiner Argumentation und dieser rechtspolitischen Schnapsidee, die zudem noch ernst gemeint
ist, mangelnde rechtsstaatliche Reife attestieren muß,
dann ist das ein unerfreuliches Testat.
Zweitens. Erfreulich an dieser Debatte ist, daß alle
anderen Fraktionen, wenn ich von der PDS absehe - es
ist eine besondere Koalition, die sich in dieser rechtsstaatlichen Frage abzeichnet -, auch der Herr Parlamentarische Staatssekretär, in dieser Frage übereinstimmen. Insofern hat sich diese Debatte doch gelohnt.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 30. September
1999, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.