Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 a bis 1 c - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2000 ({0})
- Drucksache 14/1400 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung Finanzplan des Bundes 1999 bis 2003:
- Drucksache 14/1401 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sanierung des
Bundeshaushalts - Haushaltssanierungsgesetz
({1}) - Drucksache 14/1523 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({2})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ich erinnere daran, daß wir am Mittwoch für die
heutige Aussprache eine Debattenzeit von insgesamt
4,5 Stunden beschlossen haben.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und
Jugend. Das Wort hat die Ministerin Christine Bergmann.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten
Tagen ist an dieser Stelle schon manches über die unterschiedlichen Aspekte des Zukunftsprogrammes 2000 gesagt worden. Trotzdem denke ich, daß es notwendig ist,
noch ein paar grundlegende Punkte anzusprechen, da ja
- vor allen Dingen gestern - von der Opposition zum
Teil einige abenteuerliche Behauptungen aufgestellt
worden sind.
Als Ministerin, die sich in ihrem Aufgabenbereich für
alle gesellschaftlichen Gruppen - für Jung und Alt - verantwortlich fühlt, halte ich es für unsere wichtigste Aufgabe, eine Politik zu betreiben, die soziale Gerechtigkeit
zwischen den Generationen herstellt und die eben nicht
zu Lasten der kommenden Generationen geht.
({0})
Deshalb kann man nicht oft genug wiederholen: Eine
Politik, die die finanziellen Lasten in die Zukunft verschiebt, ist eine unsoziale Politik. Sie ist unsozial gegenüber unseren Kindern und Enkelkindern, denen sie
ihre Zukunftschancen verbaut. Angesichts des Schuldenberges, den die alte Regierung aufgetürmt hat, ist
Sparen geradezu eine Zukunftsinvestition zugunsten der
jungen Generation.
({1})
Lassen Sie mich noch auf einige Punkte eingehen, die
deutlich machen, wo diese Bundesregierung Schwerpunkte setzt und wo - trotz aller Sparnotwendigkeiten zusätzliche Mittel bereitgestellt werden.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU,
die Familienpolitik ins Zentrum Ihrer Politik rücken
wollen, dann kann ich das nur begrüßen; das ist sehr lobenswert.
({2})
Ihre Schwerpunktsetzung zeigt natürlich aber auch, daß
Sie begriffen haben, daß es offensichtlich beträchtliche
Versäumnisse in der Zeit gab, in der Sie regiert haben.
({3})
Einsicht ist zwar immer der erste Weg zur Besserung.
Aber dennoch muß ich sagen, daß die Versäumnisse in
diesem Bereich, die Ihnen anzulasten sind, wirklich ganz
erheblich sind. Von den Familien hört man - man
braucht dazu gar nicht das Bundesverfassungsgericht zu
bemühen -, daß Versäumnisse bei der finanziellen Förderung der Familien an allen Ecken und Enden zu finden
sind.
Aber darüber hinaus gibt es noch Versäumnisse an
anderen Stellen. Familienpolitik hat nämlich nicht nur
etwas mit Finanzen zu tun. Familienpolitik hat auch etwas mit dem Bild der Familie in der Gesellschaft und
damit zu tun, welche Rahmenbedingungen geschaffen
werden, die die Familien brauchen, um ihr Leben nach
ihren Vorstellungen gestalten zu können. In diesem Bereich haben Sie durch Ihre Politik in den letzten Jahren
sehr viel versäumt.
({4})
Mit dem Regierungswechsel haben wir begonnen, die
Situation von Familien grundlegend zu verbessern.
({5})
- Keine Sorge, ich gebe Ihnen jetzt die Antwort: Zum
einen - das wissen Sie genau - haben wir das Kindergeld sofort um 30 DM erhöht. Ich erinnere in diesem
Zusammenhang noch daran: Die letzte Kindergelderhöhung - man kann diese Tatsache nicht oft genug erwähnen ({6})
ist in der letzten Legislaturperiode gegen Ihren Willen
zustande gekommen, und zwar auf Betreiben der sozialdemokratisch regierten Länder im Bundesrat. Auch das
gehört zur Wahrheit.
({7})
Zum anderen werden wir im Zusammenhang mit den
Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichtes zum 1. Januar das Kindergeld nochmals um 20 DM erhöhen.
({8})
Sie wissen, daß dies eine soziale Komponente ist;
denn die Kinderfreibetragsregelung, mit der wir dem
Beschluß des Bundesverfassungsgerichts Folge leisten,
ist allein eben nicht sozial gerecht, weil durch sie die
Familien, die viele Steuern zahlen und sich deshalb die
Freibeträge voll anrechnen lassen können, begünstigt
werden, während Familien, die nur wenige oder gar keine Steuern zahlen, dies nicht tun können. Wir erbringen
hier also eine zusätzliche Leistung für Familien.
Ich möchte ganz kurz auflisten, was wir sonst noch
für die Familien tun. Die Senkung des Eingangssteuersatzes im Rahmen unseres Steuerentlastungsgesetzes
kommt besonders Familien zugute, genauso wie die Erhöhung der Grundfreibeträge. Ich möchte auch die
Zahlen nennen, um sie noch einmal zu vergegenwärtigen: Die Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern wird im
nächsten Jahr um etwa 2 200 DM entlastet.
({9})
- Diese Zahlen hören Sie nicht gerne. Trotzdem stimmen sie. Sie können auf eine solche Leistung in Ihrer
Legislaturperiode nicht zurückblicken.
Im Jahre 2002 werden die Familien um etwa 3 000
DM entlastet. Dies zeigt doch sehr deutlich: Wir reden
nicht dauernd davon, wie wichtig die Familien sind,
sondern wir tun wirklich etwas für sie.
({10})
Dies hat etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun, mit einer Gerechtigkeit, die Sie, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU, während Ihrer Regierungszeit sträflich vernachlässigt haben.
Wenn ich in dieser Woche lese, daß der CDUSozialminister von Baden-Württemberg, Herr Repnik,
sagt: „Wir müssen jetzt endlich das Kindergeld erhöhen“, dann kann ich darauf nur erwidern: Das ist etwas
zu spät. Wir haben es ja gerade erhöht. Seine Forderung
wäre in den letzten 16 Jahren sicherlich eher angebracht
gewesen. Aber mit dem Gedächtnis haben Sie ja so Ihre
Probleme.
({11})
Mein oberstes Ziel bei der Aufstellung des Haushalts
2000 war es, die familienpolitischen Leistungen in meinem Ressort nicht anzutasten. Das bedeutet: Von den
11 Milliarden DM meines Haushalts sind 8 Milliarden
DM für familienpolitische Leistungen gebunden, überwiegend für das Erziehungsgeld.
({12})
Die Mittel für familienpolitische Leistungen machen also 73 Prozent des Gesamtetats aus.
({13})
Wenn ich hier keine Kürzungen vornehme, dann heißt
das natürlich, daß in anderen Bereichen gespart werden
muß. Darauf werde ich noch eingehen. Wir setzen trotz
aller Sparnotwendigkeiten, von denen alle Ressorts betroffen sind und denen sich folglich auch mein Ressort
nicht entziehen konnte - mein Ministerium muß Einsparungen in Höhe von 880 Millionen DM erbringen -, ein
ganz deutliches familienpolitisches Signal.
Ich möchte auch darauf hinweisen: Familienpolitik
erstreckt sich nicht nur auf finanzielle Aspekte. Bei der
Anpassung der Rahmenbedingungen für junge Familien
an die veränderten Lebenswirklichkeiten befinden wir
uns auf einem guten Weg. Wir werden demnächst eine
Neuregelung des Erziehungsurlaubs einbringen, um Bedingungen zu schaffen, die es den jungen Familien ermöglichen, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es wollen.
({14})
In bezug auf die Familienstrukturen gibt es einen großen
Nachholbedarf.
Ich denke, das Ziel einer verbesserten Vereinbarkeit
von Beruf und Familie, sowohl für Mütter als auch für
Väter - die Vereinbarkeit ist nicht nur ein Problem der
Mütter; das kann man gar nicht oft genug sagen -, gehört auch zu einer modernen Gleichstellungspolitik. Unser Ziel ist es, gleiche Lebenschancen für Frauen und
Männer in allen Lebensbereichen zu schaffen. Wir haben einen Eckpfeiler mit dem Programm „Frau und
Beruf“ gesetzt, das zum Teil schon umgesetzt worden
ist. Wir haben für dieses Programm die notwendigen
Mittel bereitgestellt.
Ich möchte an dieser Stelle auch darauf aufmerksam
machen, daß wir in dieses Programm mit den ITBerufen einen neuen Punkt aufgenommen haben. Mit
der Initiative „D 21“ und dem Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft
im 21. Jahrhundert“ fördern wir Maßnahmen, durch die
Frauen in die neuen IT-Berufe gelangen, damit dieser
zukunftsträchtige Arbeitsmarkt Frauen genauso offensteht wie Männern.
({15})
Ich möchte an dieser Stelle nicht mehr darüber sagen.
Wir haben ja vorige Woche über das Programm „Frau
und Beruf“ diskutiert. Das werden wir auch noch an
vielen anderen Stellen tun.
({16})
Wir haben in den letzten Tagen sehr viel über die Zukunft unserer Alterssicherungssysteme gesprochen, ein
Punkt, der uns in zweierlei Hinsicht sehr am Herzen
liegt. Es geht um Alt und Jung. Es geht zum einen darum, die Renten der Älteren zu stabilisieren und zu sichern. Es geht zum anderen darum, den Jungen klarzumachen, daß ihre Beiträge nicht ins Unendliche steigen
werden und daß die Alterssicherungssysteme für sie attraktiv bleiben werden.
Mir ist ein Aspekt, den ich hier gerne ansprechen
möchte, etwas zu kurz gekommen. Wenn wir über ältere
Menschen reden, dann dürfen wir nicht nur von Finanzen sprechen. Seniorinnen und Senioren in unserem Land sind keine Belastung für unsere Gesellschaft. Sie sind eine Bereicherung. Ich sage das in allem
Ernst.
({17})
Ein Großteil der Menschen, die in den Ruhestand gehen
- viele gehen häufig nicht ganz freiwillig mit 55 Jahren
sehr früh in den Ruhestand - , ist aktiv und vital, bringt
sich in die Gesellschaft ein, arbeitet ehrenamtlich und tut
sehr viel, zum Beispiel für die junge Generation. Wir
haben uns auf die Fahnen geschrieben, die Rahmenbedingungen für dieses Engagement weiter zu verbessern,
um deutlich zu machen, daß es sich um Ressourcen in
unserer Gesellschaft handelt, die wir nutzen wollen. Die
älteren Menschen sind uns viel wert. Wir betrachten sie
als eine Bereicherung in der Gesellschaft.
({18})
Wir dürfen auf der anderen Seite aber auch die hilfsund pflegebedürftigen alten Menschen nicht vergessen.
Trotz der bekannten Qualitätsmängel sowohl in Heimen
als auch bei den ambulanten Diensten ist die alte Bundesregierung sehr untätig geblieben. Wir arbeiten einen
kräftigen Reformstau ab.
({19})
- Wenn Sie mit dem Kopf schütteln, dann frage ich Sie:
Wo sind denn die Gesetze?
({20})
Wir sind diejenigen, die die bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung auf den Weg gebracht haben; wir sind
diejenigen, die jetzt das Heimgesetz novellieren. Wenn
Sie so empört sind, dann kann ich Sie nur auffordern:
Beteiligen Sie sich! Machen Sie Ernst mit einer konstruktiven Arbeit!
({21})
Gerade wenn es darum geht, bei der Pflege Qualitätssicherung durchzusetzen, die Heimaufsicht zu verbessern
und die Mitwirkung der Heimbewohner zu verstärken,
dann handelt es sich nicht um ein Thema, über das man
sich parteipolitisch streiten muß. Ich lade Sie zu einer
konstruktiven Mitarbeit ein, damit wir den rechtlichen
Rahmen für eine Verbesserung der Situation schnell
schaffen können.
Wir haben in den letzten Tagen schon mehrfach über
das Thema „Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit“
gesprochen. Als Jugendministerin liegt mir dieses Thema sehr am Herzen. Wir haben über das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gesprochen. Wir haben mit diesem Programm vielen Jugendlichen wieder Hoffnung gegeben. Es geht uns um
alle Jugendlichen. Wir haben mit diesem Programm erreicht, daß 25 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer - gerade als Berlinerin weiß ich, wovon ich
spreche - junge Leute waren, die schon aufgegeben
hatten, die in keiner Statistik mehr geführt wurden und
die in keinem Arbeitsamt mehr aufgetaucht sind. Wir
haben diese jungen Menschen erreicht. Ich halte das für
einen großen Erfolg.
({22})
Ihr Fraktionsvorsitzender hat vor einigen Monaten
das böse Wort von der Ruhigstellung der Jugendlichen
geprägt. Das stimmt mich bitter.
({23})
Es war kein Ausrutscher. Das wird dadurch belegt, daß
Frau Merkel vor einigen Tagen in einem Interview mit
der „Berliner Zeitung“ erklärt hat - ich war wie vom
Donner gerührt -, dieses Programm sei überflüssig und
sie würde es am liebsten streichen.
({24})
- Reden Sie einmal mit den Jugendlichen, die durch dieses Programm eine Chance bekommen haben und die
froh sind, einen Ausbildungsplatz, ein Trainingsprogramm oder einen Arbeitsplatz zu haben. Wenn Sie das
getan haben, sprechen wir wieder miteinander.
({25})
Es ist erfreulich, wenn von Ihrer Seite überhaupt ein
Vorschlag kommt, wo man selber zu sparen gedenkt.
Aber an dieser Stelle werden wir Ihren Vorschlag nicht
aufgreifen. Dieses Programm wird mit weiteren 2 Milliarden DM fortgesetzt.
({26})
Wir werden dieses Sofortprogramm aus dem Bereich
der Jugendhilfe flankieren, weil es uns wirklich um jeden Jugendlichen geht. Es geht uns vor allem um die Jugendlichen in den sozialen Brennpunkten, die sehr
schlechte Startbedingungen haben. Wenn wir mit einem
zusätzlichen kleinen Programm - es handelt sich nicht
um ein 2-Milliarden-DM-Programm, aber um ein 15Millionen-DM-Programm; auch das ist etwas - in den
sozialen Brennpunkten versuchen, Jugendliche, die die
Schule abgebrochen haben, die die Ausbildung abgebrochen haben, die wirklich ein Stück weit weggerutscht sind, dadurch in den Arbeitsmarkt zu integrieren, daß wir vor Ort lokale Bündnisse bilden und Schulen, Arbeitsämter, Betriebe, Krankenhäuser und jeden,
der in der Lage ist, einen solchen Jugendlichen aufzunehmen, zusammenbringen, dann schließen wir eine
weitere Lücke.
Uns geht es bei unseren Bemühungen um die Integration von Jugendlichen, aber auch darum, deutlich zu
machen: Alle in der Gesellschaft sind mitverantwortlich
dafür, daß alle Jugendlichen, auch die schwierigen, eine
Chance bekommen.
({27})
Mit diesen lokalen Bündnissen wollen wir erreichen,
daß sich jeder in seiner Wohnungsbaugesellschaft oder
in seinem Krankenhaus, in seinem Kiez oder in seinem
sonstigen Umfeld danach umsieht, wo er noch etwas tun
kann, um Jugendliche aufzufangen. Es ist uns ein Herzensanliegen, allen Jugendlichen eine Chance zu geben.
Das, was wir in diesem Bereich machen, kann sich also
schon sehen lassen.
({28})
Meine Damen und Herren, mein Ziel war es, die erforderlichen Einsparungen im Haushalt meines Ministeriums zu erreichen, ohne die familienpolitischen Leistungen wie das Erziehungsgeld zu kürzen,
({29})
ohne den Kinder- und Jugendplan zu beschneiden, ohne
den Altenplan zu beschneiden und ohne die Frauenprojekte einzuschränken. Das haben wir erreicht.
Natürlich müssen wir unseren Konsolidierungsbeitrag
leisten. Wir werden das in erster Linie durch die Umstrukturierung des Zivildienstes erreichen. Damit reagieren wir aber nicht nur auf Haushaltsnotwendigkeiten.
Vielmehr liegt seit langem die berechtigte Forderung auf
dem Tisch, in bezug auf die Dauer zu einer stärkeren
Angleichung des Zivildienstes an den Wehrdienst zu
kommen. Das schaffen wir damit auch. Wir werden aber
auf jeden Fall - hierzu gibt es ja die eine oder andere
Debatte - immer absichern können - auch wenn in Zukunft 15 000 Zivildienststellen weniger besetzt werden
können -, daß die Dienste im Sozialbereich, bei der
Pflege von Kranken und Behinderten, über eine ausreichende Zahl von Zivildienstleistenden verfügen.
({30})
Wir haben jetzt 140 000 Zivildienstleistende. In Zukunft werden es 124 000 sein. Gegenwärtig leisten
90 000 junge Männer ihren Zivildienst im sozialen Bereich. Wir sind natürlich im Gespräch mit den Wohlfahrtsverbänden. Wir werden es hinbekommen, daß in
diesem Bereich alle Leistungen abgedeckt werden können. Hier habe ich durchaus ein gutes Gewissen, wenn
wir in diesem Bereich unsere Vorgaben umsetzen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß
noch einmal darauf hinweisen, daß schon der englische
Philosoph und Politiker Edmund Burke im 18. Jahrhundert festgestellt hat, daß der Staat eine Gemeinschaft ist
„zwischen denen, welche leben, denen, welche gelebt
haben, und denen, welche noch leben sollen“. Das ist ein
bißchen in Vergessenheit geraten; aber wir haben uns
diese alte Weisheit wieder auf die Fahnen geschrieben.
Der Haushalt für das Jahr 2000, den wir hier vorlegen,
wird auch in meinem Einzelplan der Forderung gerecht,
Solidarität zwischen den Generationen zu schaffen.
Danke schön.
({31})
Ich erteile nun der
Kollegin Hannelore Rönsch, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr
verehrte Frau Ministerin, Ihre Rede hat ebenso wie Ihre
Arbeit in diesem Jahr deutlich gemacht, daß Ihr Ministerium zu einer Unterabteilung des Finanzministeriums
verkommen ist.
({0})
Ich hätte mir gewünscht, daß Sie heute, da Sie schon
keine Mark mehr in der Tasche haben und auch vom Finanzminister nichts mehr bekommen, wenigstens einige
Gedanken vorgetragen hätten, wie Sie die Ihnen anvertrauten Personengruppen, die Familien, die Senioren, die
Frauen, die Jugendlichen, ideell stützen wollen.
Sie sind seinerzeit in der Koalitionsvereinbarung mit
dem Anspruch „Aufbruch und Erneuerung“ angetreten.
({1})
Es stimmt, Sie haben an einigen Stellen Wort gehalten:
Bewährte Strukturen sind aufgebrochen worden. Familienförderung und Stützung der Familie findet nicht mehr
statt.
({2})
In der Jugendpolitik gibt es keine innovativen Ideen. In
der Seniorenpolitik, Ministerin Bergmann, sind Sie
komplett abgetaucht. Wir haben jetzt das Internationale
Jahr der Senioren. Was hat dieses Ministerium in dem
von der UN ausgerufenen Jahr für die Senioren gemacht?
({3})
Ich komme nachher noch darauf zu sprechen. Auch haben Sie an keiner Stelle die Interessen der Frauen, die
Ihr Ministerium wahrnehmen sollte, vertreten.
Es ist ein Gesetzentwurf zur Familienförderung
vorgelegt worden, den Sie hier auch angesprochen haben. Aber was tun Sie denn? Sie tun nur das, was das
Bundesverfassungsgericht Ihnen zwingend vorschreibt,
({4})
keine Mark mehr. Familienförderung findet nicht mehr
statt.
({5})
Wenn man dann noch bedenkt, daß Sie die Familien mit
zwei und mehr Kindern von angemessener Förderung
komplett abgekoppelt haben
({6})
- ich kann verstehen, Herr Kollege, daß auch Ihnen das
weh tut -, empfinde ich das Ganze als ausgesprochen
empörend.
({7})
Sie haben sich beim Unterhaltsvorschuß für die alleinerziehenden Mütter, der bisher hälftig vom Bund finanziert wurde, insoweit aus der Förderung zurückgezogen, als daß der Bund nun nur noch ein Drittel zahlt.
Alles andere können dann die Kommunen bezahlen.
({8})
Aber dann müssen die Kommunen andere Sozialleistungen kürzen. Wen trifft das wieder? Wieder dieselbe Personengruppe, nämlich die alleinerziehenden Mütter und
Väter.
Das Thema Ökosteuer sprechen Sie gar nicht mehr
an. Sie wissen, wie bitter die Einführung dieser Energiesteuer für Familien ist, weil sie in jedem Lebensbereich
davon betroffen sind.
({9})
Familien sind die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Sie hatten in Ihrer Rede eben einen ganz guten
Ansatz, bei dem ich gedacht habe: Jetzt kommt etwas
zur ideellen Stützung der Familien.
({10})
Aber Sie haben kein Wort dazu gesagt, daß das pauschalierte Wohngeld um 20 Prozent gekürzt und auch
das auf die Kommunen übertragen wird.
({11})
Auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben
Sie kein Wort gesagt. Hier hätten wir uns schon gewünscht, daß neue, innovative Ideen gerade für die jungen Frauen und Männer, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, von Ihnen vorgetragen werden.
Der Seniorenpolitik, Frau Ministerin, haben Sie ganze drei Minuten gewidmet. Ich verstehe das. Sie müssen
ein ausgesprochen schlechtes Gewissen haben. Sie haben Anfang des Jahres etwa 500 Senioren aus ganz
Deutschland zu einem Kongreß nach Bonn eingeladen.
Man muß sich das vorstellen: Die älteren Menschen
wollten dort zusammenkommen und die sie bedrängenden Fragen mit Ihnen diskutieren. Aber Sie haben drei
Tage vorher diesen Kongreß ganz einfach abgesagt;
manchen hat die Absage noch nicht einmal erreicht.
({12})
Wie gehen Sie mit alten Menschen um? Sie haben
den Kongreß abgesagt, weil Ihr Kanzler wieder einmal
ein Machtwort sprechen wollte. Sie haben alte Menschen wegen Parteipolitik ausgeladen.
({13})
Wo waren Sie im Kabinett, als es um die Rente ging?
Sie haben an Ihrer Seite eine Kabinettskollegin, die sich
in Briefen an Rentner immer wieder für die nettolohnbezogene Rente eingesetzt hat,
({14})
und zwar nicht nur in einem computergeschriebenen
Brief. Nein, mir liegt vor, daß man da noch ein Kreuzchen macht und mit der Hand darunterschreibt: „Ich
verbürge mich selbst für die nettolohnbezogene Rente.“
Das war vor der Wahl. Nach der Wahl will man davon
nichts mehr wissen.
({15})
Frau Ministerin, wo sind Sie? Was unternehmen Sie,
um die Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren
zu verbessern, um ihnen die Angst vor dem Alter zu
nehmen, die durch die leidvolle Diskussion, die Sie losgetreten haben, entstanden ist?
({16})
Frauenpolitik hat in Ihrem Ministerium überhaupt
keinen Stellenwert mehr, schon gar nicht unter dieser
Bundesregierung. Ich hatte gehofft, daß es Ihnen gelingt,
in diesem Jahr das häßliche Kanzlerwort vom „Ministerium für Gedöns“ endlich aus der Welt zu schaffen und
durch Ihre Politik möglich zu machen, daß dieses Wort
vergessen wird. Aber was passiert? Sie haben ein heißbeschworenes, effektives Gleichstellungsgesetz auf den
Weg bringen wollen. Doch wo ist es?
({17})
Besonders schlimm finde ich, daß man jetzt in der
Zeitung lesen konnte, diese Bundesregierung habe die
Absicht, die besondere Prüfung von frauenpolitischen
Themen in den anderen Ministerien und bei den Kabinettsvorlagen ganz klammheimlich abzuschaffen.
({18})
Ich empfinde es als unerträglich, daß so etwas passiert.
({19})
Es reicht nicht aus, daß Sie jetzt darüber diskutieren,
daß Prostituierte eine Anerkennung in der Gesellschaft
haben sollen. Daß hier Diskussionsbedarf besteht, Frau
Ministerin, bestreiten wir von der CDU/CSUBundestagsfraktion nicht.
({20})
Aber dies reicht für die Frauenpolitik nicht aus. Ich
würde mir schon wünschen, daß Sie ein wenig mehr
Kreativität und Durchsetzungskraft in diesem Kabinett
zeigten.
({21})
Jeder Minister - Sie eben auch - hat das Programm
für 100 000 neue Arbeits- und Ausbildungsplätze für
junge Leute angesprochen. Jeder meint wohl, er müsse
dies noch einmal betonen, weil Sie sonst in der Jugendpolitik nichts vorzuweisen haben.
({22})
Meine Damen und Herren Kollegen, ich würde Ihnen
empfehlen, zu Hause in Ihren Wahlkreisen
({23})
- dann können Sie eigentlich gar nicht so reden - mal
mit den Jugendlichen, mit den Kreishandwerkerschaften,
mit den Handwerkskammern, den Industrie- und Handelskammern und den Arbeitsämtern zu reden. Dann erfahren Sie sehr schnell, was hier passiert:
({24})
Mit 2 Milliarden DM wird eine Bilanz gereinigt; Jugendliche werden vorübergehend in Maßnahmen geparkt. Es handelt sich nicht um Ausbildungsplätze.
({25})
- Wenn Sie an dieser Stelle so laut werden, dann bitte
ich Sie, sich nächste Woche einfach einmal zu Hause
schlau zu machen bei den Jugendlichen, den Auszubildenden, den Ausbildern und denjenigen, die die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.
({26})
Mein Kollege Thomas Dörflinger wird nachher noch
auf die Zivildienstleistenden eingehen. Auch hier verteidigen Sie, Frau Ministerin, etwas, obwohl Sie genau
wissen, daß gerade alte Menschen und Pflegebedürftige,
die Ihnen anvertraut sind, darunter leiden, daß die Zeit
von 13 Monaten auf 11 Monate gekürzt werden soll.
Ich fordere Sie auf, Frau Ministerin: Nehmen Sie
endlich Ihre Aufgaben wahr, und vertreten Sie die Ihnen
anvertrauten Personengruppen - es sind oft die besonders Schutzbedürftigen - endlich einmal in diesem Kabinett!
({27})
Es kann nicht sein, daß Familien-, Senioren-, Jugendund Frauenpolitik zu einem Nichts verkommt bzw. von
anderen Ministerien wahrgenommen wird, während Sie
Hannelore Rönsch ({28})
nur noch als Ministerin eines Ministeriums für Gedöns
vorne stehen.
({29})
Das Wort hat nun
Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Rönsch, ich hatte immer gedacht, Haushaltsberatungen seien die Sternstunde der Opposition.
({0})
Aber Sie haben heute kein Wort zum Haushalt gesagt,
sondern haben uns erzählt, bei welcher Veranstaltung
die Ministerin war und wo sie nicht war. Sie haben Ihre
Chance hier verpaßt.
Wir sprechen heute über einen Haushaltsentwurf, der
keine Zuwächse, sondern massive Kürzungen vorsieht.
Ich gestehe, für mich als Fachpolitikerin ist das zunächst
einmal bitter. Gerade die Grünen hatten gehofft, bei einer Regierungsbeteiligung mehr für Frauen und Familien, für junge und für alte Menschen tun zu können. Die
Kohlsche Erblast wiegt aber schwer.
({1})
- Ich erläutere das. - Sie, meine Damen und Herren von
der Opposition, haben es zu verantworten, daß im letzten Jahr jedes Neugeborene mit einer Schuldenlast in
Höhe von 30 000 DM auf die Welt gekommen ist.
({2})
Für diesen Zustand tragen Sie die Verantwortung; wir
werden ihn beenden.
({3})
„Wir haben diese Welt nur von unseren Kindern geborgt“ - das war ein Slogan der Grünen aus früheren
Jahren. Das meinten wir nicht nur ökologisch. Wir dürfen auch finanziell nicht länger auf Kosten der nächsten
Generation leben. Nur darum akzeptieren wir die Einsparungen in Höhe von 863 Millionen DM. Daß die
Kürzungen nicht an Stellen erfolgt sind, die die Kernbereiche der Frauen-, Familien-, Jugend- und Seniorenpolitik ausmachen, verdanken wir Ihnen, Frau Ministerin
Bergmann. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar.
({4})
Wir gehen davon aus, daß die Haushaltsansätze für
eine zielgerechte Politik ausreichen werden. Allerdings
werden wir darauf achten, daß keine Einsparungen zu
Lasten wichtiger Projekte erfolgen. Kürzungen dürfen
nämlich nicht an die Substanz einer sinnvollen Politik
gehen.
Nun zu den Maßnahmen im einzelnen. Einsparungen
wurden insbesondere in zwei Bereichen vorgenommen:
im Zivildienst - dazu wird gleich mein Kollege Christian Simmert etwas sagen - und beim Unterhaltsvorschuß.
Durch die Einbeziehung der Kommunen ist es uns gelungen, die Finanzierung des Unterhaltsvorschusses
zwischen Bund, Ländern und Kommunen gerechter zu
verteilen.
({5})
Dadurch wird ein Anreiz für eine höhere Rückzahlungsquote geschaffen;
({6})
denn durch die finanzielle Beteiligung haben die Kommunen nun auch ein eigenes Interesse daran, den Vorschuß bei den säumigen Vätern zurückzuholen. Dabei
wollen wir ihnen helfen.
({7})
Es darf nicht länger - wie bei Ihnen - ein Kavaliersdelikt sein, wenn Väter ihren Kindern den Unterhalt vorenthalten.
({8})
Eine Rückholquote von 30 bis 40 Prozent ist realistisch.
Mit den derzeitigen 13 Prozent sind wir davon weit entfernt. Ich sehe mit großem Interesse, daß die Justizministerin das Sanktionenrecht erweitern will. Ich deute das
hier nur einmal vorsichtig an.
Familienpolitisch hat die rotgrüne Koalition schon
viel geleistet, auch wenn sich das in diesem Haushaltsplan nicht widerspiegelt. Familien mit zwei Kindern erhalten ab dem 1. Januar 1999 jährlich 1200 DM Kindergeld mehr als während der Ära Kohl. Das hilft nicht
nur den Familien, sondern wird auch den Konsum ankurbeln und sich letztendlich in Arbeitsplätze umwandeln.
Im Haushalt 2000 - Frau Rönsch, Sie haben gefragt,
wo die ideelle Unterstützung bleibt - gibt es gerade in
der Familienpolitik neue Schwerpunkte. Sie haben vielleicht den Plan gelesen. Aktionsprogramme wie „Armutsprophylaxe in Familien“, „Mann und Familie“ und
„gewaltfreie Erziehung“ sind die Stichworte.
Die Zahl der wirtschaftlich schwachen Familien steigt
kontinuierlich: Immer mehr beziehen Sozialhilfe. Das
hat nicht zuletzt der 10. Kinder- und Jugendbericht gezeigt. Diesen Familien ist es nur schwer möglich, ihren
Alltag wirtschaftlich zu bewältigen. Die Ursachen hierfür werden wir herausfinden; sie sind zahlreich. Deshalb
legen wir einen Schwerpunkt auf die ArmutsprophyHannelore Rönsch ({9})
laxe. Wir werden ganz besonders die Selbsthilfe dieser
Familien stärken, zum Beispiel durch eine Schuldnerberatung.
Ein weiterer Schwerpunkt ist das Thema „Mann und
Familie“. Dies ist mir - wie Sie wahrscheinlich alle
wissen - ein besonderes Anliegen. Dieses Programm
soll aufzeigen, wie Männer und Väter für die Familienarbeit gewonnen werden können. Es muß doch endlich
deutlich werden, welchen Nutzen alle Beteiligten von
einer gleichberechtigten Aufgabenteilung in der Familie
und in der Berufsarbeit haben.
Das dritte große Thema in der Familienpolitik ist die
gewaltfreie Erziehung. Ende des Jahres wird es dazu
einen Gesetzentwurf geben, wonach körperliche Bestrafung, seelische Verletzung und andere entwürdigende
Maßnahmen unzulässig sind. Auch hier wird ein Aktionsprogramm die parlamentarischen Beratungen begleiten und ein Signal setzen für einen Paradigmenwechsel bei der Erziehung von Kindern.
Innerhalb des Haushaltsplans 2000 werden außerdem
gezielt Maßnahmen zum Abbau der Diskriminierung
gleichgeschlechtlicher Paare gefördert. Dieser schwulen- und lesbenpolitische Aspekt liegt uns Bündnisgrünen besonders am Herzen
({10})
- Ihnen auch, Frau Kollegin Lemke; ich weiß -, zumal
es künftig endlich auch in der Bundesrepublik eine gesetzliche Gleichstellung geben wird.
({11})
Eine Mehrheit in der Bevölkerung für dieses Gesetz gibt
es schon lange. Sie haben das hier im Parlament bisher
verhindert, meine Damen und Herren.
({12})
Damit das Programm „Frau und Beruf“ zu einem Erfolgsmodell wird, sind auch hier entsprechende unterstützende Initiativen im Haushalt vorgesehen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Ja, bitte schön.
Frau Schewe-Gerigk, Sie haben
auch der F.D.P. vorgeworfen, sie habe den Gesetzentwurf zur Gleichstellung gleichge schlechtlicher Partnerschaften verhindert. Ich meine, der Wahrheit wegen
sollten Sie dann auch sagen, daß unser Gesetzentwurf
hier im Plenum schon auf den Weg gebracht worden ist.
Ich frage Sie, wann Ihr Gesetzentwurf nun kommt.
({0})
Frau Lenke, ich habe von der letzten Legislaturperiode gesprochen. Da hat sich die F.D.P. verweigert und keinen Gesetzentwurf eingebracht. Ich
weiß, daß es jetzt eine Vorlage von Ihnen gibt. Ich muß
sagen: Ich bin absolut enttäuscht darüber, wie dieser Gesetzentwurf von Ihnen aussieht, wie wenig er regelt.
Gleichgeschlechtliche Paare sollen zwar Pflichten, aber
nicht die entsprechenden Rechte bekommen. Wir werden uns in den parlamentarischen Beratungen natürlich
auch mit Ihrem Entwurf auseinandersetzen. Aber ich
muß sagen: Das ist wirklich sehr wenig.
({0})
- Wir haben eine Menge auf der Pfanne.
Ich fahre fort: Wir kehren aber auch vor der eigenen
Tür. „Gender mainstreaming“, in der EU seit Jahren erfolgreich praktiziert, soll endlich Einzug in die Bundesverwaltung halten. Ich finde, es ist höchste Zeit, umzusetzen, daß in allen Ressorts - nicht nur im Frauenministerium - frauenpolitische Maßnahmen durchgesetzt
werden.
({1})
Ich komme nun zur Seniorenpolitik. Frau Rönsch,
Sie hatten in bezug auf das Internationale Jahr der Senioren Forderungen gestellt. Dafür sind im letzten Jahr
6 Millionen DM bereitgestellt worden.
({2})
Es hat viele Veranstaltungen gegeben. Ich denke, das
kann sich sehen lassen.
Um der demographischen Entwicklung unserer Gesellschaft Rechnung zu tragen, ist in der Seniorenpolitik
- da gebe ich Ihnen recht - ein Bewußtseinswandel notwendig. Die Unterstützung, Betreuung und Pflege älterer Menschen muß endlich verbessert werden. Darum
haben wir im Haushaltsplan Maßnahmen vorgesehen die haben Sie offensichtlich überlesen -, mit denen die
dringend notwendigen Gesetzesänderungen gesellschaftlich unterstützt werden. Dies betrifft insbesondere
das Altenpflegegesetz, das in der nächsten Sitzungswoche auf der Tagesordnung steht.
({3})
- Auch hier ist von Ihnen die Mär verkündet worden,
wir täten in diesem Bereich nichts. - Außerdem betrifft
dies das Heimgesetz. Auch eine Weiterentwicklung der
Altenhilfestruktur, die den Bedürfnissen der zunehmenden Zahl Demenzkranker Rechnung trägt, steht an, und
zwar zum Beispiel durch neue Wohn- und Betreuungsformen für Demenzkranke.
Aber nicht nur die kranken Menschen brauchen unsere Unterstützung. Viele ältere Menschen erfreuen sich
trotz ihres hohen Alters guter Gesundheit. Sie wollen ihr
soziales, kulturelles und politisches Potential in die GeIrmingard Schewe-Gerigk
sellschaft einbringen. Wir werden dafür eine ausreichende Infrastruktur zur Verfügung stellen. Aktivität
und Engagement beugen Isolation im Alter vor und tragen in hohem Maße zum Miteinander zwischen Jung
und Alt bei. Die Chancen eines längeren Lebens können
so genutzt werden.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich hoffe, meine
Ausführungen haben deutlich gemacht, daß die Politik
trotz gekürzter Haushaltsansätze nicht handlungsunfähig
geworden ist. Schaffen wir neue Spielräume, damit in
den kommenden Jahren wieder strukturelle Verbesserungen möglich sind!
Ich danke Ihnen.
({4})
Für die F.D.P.Fraktion erhält nun Kollege Klaus Haupt das Wort.
({0})
Es ist doch ein gutes Zeichen,
wenn in diesem Zusammenhang ein Mann spricht. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Frau Ministerin, elf Monate nach Amtsantritt dieser Regierung zeigt sich für viele Bürger deutlich: Sie haben
viel versprochen und wenig gehalten.
({0})
Auch im Etat des Ministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ist das leider nicht anders. Der von
Rotgrün groß angekündigte sozialpolitische Quantensprung ist einfach nicht zu erkennen.
({1})
Frau Ministerin, im Gegensatz zu den in Sie gesetzten
Erwartungen hat zum Beispiel die Frauenpolitik für Sie
offenbar nicht den Stellenwert, wie er großartig in
Glanzbroschüren prophezeit wird. Wenn das stimmt,
was der „Focus“ diese Woche berichtet, nämlich daß in
Zukunft in Fragen von frauenpolitischer Bedeutung kein
Einvernehmen mehr mit dem Frauenministerium erzielt
werden muß
({2})
und daß in Kabinettsvorlagen auch die obligatorische
Auflistung der Folgen für Frauen entfällt,
({3})
dann wird die bisherige Auffassung von Frauenpolitik
als Querschnittsaufgabe, als Aufgabe aller Ressorts,
aufgegeben, und die ohnehin geringen Einflußmöglichkeiten der Frauenministerin werden enorm beschnitten.
({4})
Offenbar setzt der Bundeskanzler auf Frau ohne Power,
statt auf Frauenpower.
({5})
Ihr Programm „Frau und Beruf“ verkaufen Sie als
Aufbruch in der Gleichstellungspolitik und als umfassendes gleichstellungspolitisches Arbeitsprogramm.
Aber angesichts eines Zuwachses von gerade 2 Millionen DM gegenüber dem laufenden Jahr ist dies schlicht
heiße Luft. Ausgaben in Höhe von ein paar tausend
Mark mehr für den Frauenrat bzw. für Pro Familia ist
lediglich Klientelpflege, aber kein gestalterisches Konzept für eine neue Politik.
({6})
- Frau Schewe-Gerigk, wir Liberale unterstützen das
Ziel, Frauen zu wirklicher Gleichberechtigung in Führungsstrukturen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
zu verhelfen. Dieses Ziel ist aber nicht durch solche
rhetorischen Blasen zu erreichen, sondern nur durch ein
gesellschaftliches Konzept, das den Realitäten Rechnung trägt.
({7})
Frau Ministerin, Sie haben die schwere Aufgabe, zu
sparen. Wir Liberale erkennen das an. Wir haben im
Gegensatz zur SPD schon vor der Wahl gesagt, daß man
sparen muß. Wir unterstützen Sie, wenn Sie sich jetzt
der unvermeindlichen Tatsache stellen, daß wir leider
auch im Bereich der sozialen Leistungen Einschnitte
vornehmen müssen.
Den Großteil der in Ihrem Etat eingesparten 800 Millionen DM erreichen Sie durch die stärkere finanzielle
Beteiligung der Zivildienststellen sowie durch die Verkürzung des Zivildienstes. Auch wir unterstützen die
Verkürzung des Zivildienstes.
({8})
Was wir nicht unterstützen, ist, daß Sie aus rein fiskalischen Zwängen Zivildienstplätze wegrationalisieren,
ohne den davon betroffenen sozialen Einrichtungen irgendeine Hilfe zur Bewältigung der dadurch entstehenden Belastungen zukommen zu lassen.
({9})
Sie lassen Altenheime, Behindertenanstalten oder ambulante Pflegedienste mit diesen Problemen allein. Hier
fehlt ein Konzept. Sparen muß verbunden sein mit Gestalten.
({10})
Sie aber gestalten nicht, sondern verunsichern die Menschen, die sich dem Dienst an der Gesellschaft widmen.
Auch die Senioren werden von dieser Regierung verunsichert. Vor der Wahl brandmarkte die SPD die Absenkung des Rentenniveaus als unsozial, verteufelte
den demographischen Faktor, beschwor, es werde bei
den Renten keine Abkopplung von der Nettolohnentwicklung geben. Jetzt machen Sie trotz Versprechen des
Bundeskanzlers genau das Gegenteil. Bereits in zwei
Jahren soll das Rentenniveau auf einen Beitrag abgesenkt werden, den wir in der alten Bundesregierung im
Laufe von 15 Jahren moderat und für alle Betroffenen
kalkulierbar und berechenbar erreichen wollten.
({11})
An Stelle der bisherigen Berechenbarkeit tritt Willkür.
Mit dieser üblen Wählertäuschung verunsichern Sie aber
nicht nur Rentner, sondern auch junge Menschen.
({12})
Wo war Ihr Protest, Frau Ministerin?
({13})
Ich sage als einer aus dem Osten: Die Senioren in den
neuen Bundesländern werden durch diese Rentenkürzung nach Kassenlage besonders benachteiligt. Erstens:
Sie werden schon bei der Ökosteuer überverhältnismäßig geschröpft, weil sie von der damit einhergehenden
Senkung der Lohnnebenkosten nicht profitieren können.
Zweitens: Mit dieser Willkürmaßnahme wird die Anpassung der Ostrenten an das Westniveau unterbrochen.
Drittens: In der ehemaligen DDR gab es im Unterschied
zum Westen kaum eine Möglichkeit, durch Betriebsrenten und Vermögenseinkünfte zusätzliche private Altersvorsorge zu betreiben.
({14})
Deshalb muß statt über Rentenkürzung eigentlich über
eine schnellere Anpassung der Bezüge der Rentner im
Osten an das Westniveau nachgedacht werden.
Die Rentner müssen jetzt befürchten, zur Verfügungsmasse rotgrüner Haushaltspolitik zu werden. Neben der Gerechtigkeitslücke, meine Damen und Herren
von der SPD, haben Sie eine Glaubwürdigkeitslücke
aufgerissen, indem Sie feste Wahlversprechen nach der
Wahl ungeniert wieder einkassiert haben.
({15})
Scheinheilig ist auch die Familienpolitik der Bundesregierung. Die SPD hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Besteuerung der Familien mit großen
Versprechungen für die finanzielle Besserstellung der
Familie begrüßt. Auch diese Maßnahmen sind offenbar
dem Sparzwang zum Opfer gefallen.
({16})
Sie haben auf Anfrage selbst zugegeben, Frau Ministerin, daß es durch Ihre Neuregelung des Familienlastenausgleichs zu Benachteiligungen Alleinerziehender
kommen kann. Alleinerziehende mit einem Jahreseinkommen von 60 000 DM und zwei Kindern haben durch
Ihre Neuregelung monatlich 100 DM weniger in der
Haushaltskasse.
({17})
So sieht sozialdemokratische „Familienentlastung“ aus.
({18})
- Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt,
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Weil Sie nicht
rechnen können!
aber jeder lacht an seiner Stelle.
({19})
Das Verfassungsgericht wollte Verheiratete mit Kindern den Alleinerziehenden gleichstellen, nicht aber die
Alleinerziehenden benachteiligen.
({20})
Auch Ein-Kind-Familien werden von Ihnen benachteiligt, indem Sie von der Möglichkeit, für das erste
Kind einen höheren Kinderbetreuungsbetrag einzuräumen, keinen Gebrauch gemacht haben. Warum führen Sie einen undifferenzierten Kinderbetreuungsfreibetrag von 3 024 DM ein, anstatt die Mehrkosten beim ersten Kind einfach angemessen zu berücksichtigen?
({21})
- Das ist doch eine alte Melodie
({22})
- Ich war 16 Jahre lang nicht da, ich bin neu hier.
Beim Unterhaltsvorschußgesetz sparen Sie über 200
Millionen DM ein, nicht, weil ein geringerer Bedarf
vorhanden wäre, sondern weil Sie die Kosten einfach
auf die Kommunen abwälzen. Sie entziehen sich Ihren
Verpflichtungen, indem Sie andere zur Kasse bitten. Das
ist kein Sparen, das ist ein Verschieben. Das ist kein
Sparpaket, das ist ein Verschiebebahnhof.
({23})
Ihre abermalige Kindergelderhöhung in Ehren: Sie
wird doch durch die Ökosteuer kompensiert.
({24})
Zudem kommt bei den sozial besonders Schwachen, den
Sozialhilfeempfängern, gar nichts an, weil das Kindergeld mit der Sozialhilfe verrechnet wird.
({25})
Sie stecken den Bürgern Wahlgeschenke von ein paar
Mark in die eine Tasche, nehmen nach der Wahl ein
Vielfaches aus der anderen Tasche wieder heraus: Das
ist unredlich. Familien brauchen keine unredlichen Versprechungen, sondern wirklich nachhaltige Entlastungen.
({26})
Für bedenklich halte ich auch, Frau Ministerin, daß
Sie schon wieder für eine Kürzung des Jugendetats
verantwortlich zeichnen.
({27})
Der Etat für den Bereich Jugend wurde schon für das
laufende Haushaltsjahr um über 5 Millionen DM gekürzt, und das bei einer Steigerung des Gesamtetats. Die
einzige neue jugendpolitische Maßnahme, die Rotgrün zustande gebracht hat, war das Sofortprogramm
gegen Jugendarbeitslosigkeit. Ich finde es folgerichtig, daß Sie ihr Sofortprogramm fortschreiben, nachdem
Sie dadurch hohe Erwartungen geweckt haben; denn es
wäre unverantwortlich gewesen, Hoffnungen zu wecken,
die Jugendlichen dann aber in eine Warteschleife zu
schicken. Zur Wahrheit gehört aber auch, daß dieses
Programm selbst bei einem hundertprozentigen Erfolg
zirka 400 000 junge Menschen ohne Ausbildung und
Beschäftigung läßt.
({28})
Wir haben unsere Unterstützung angeboten und
bereits im vergangenen Jahr ein eigenes 9-Punkte-Programm vorgelegt. Es ist zwar liberal und für
manchen deshalb vielleicht suspekt, aber ebenso richtig und ehrlich: Immer neue Staatsprogramme helfen nicht, der Jugendarbeitslosigkeit auf Dauer
Herr zu werden. Ein nachhaltiger Abbau der Jugendarbeitslosigkeit ist nur zu erreichen, wenn die
Rahmenbedingungen im Standort Deutschland wieder
stimmen.
({29})
Durch ein vereinfachtes Steuersystem, einen umfassenden Bürokratieabbau und eine mutige Bildungsreform
wollen wir das erreichen.
({30})
Die beste Politik für Ausbildungsplätze und gegen Jugendarbeitslosigkeit ist eine gezielte Mittelstandspolitik,
die wir bis jetzt vermissen.
({31})
Diese Bundesregierung hat die Chance vertan, die ihr
das Bundesverfassungsgericht und vor allem der Wählerauftrag vor knapp einem Jahr eröffnet hat. Es gibt
heute keine nachhaltige Entlastung der Familien, sondern zusätzliche Belastungen.
Herr Kollege Haupt,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich komme jetzt zum
Schluß.
({0})
Es gibt keine nachhaltige Förderung der Jugend, sondern nach wie vor eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und
einen Mangel an Ausbildungsplätzen. Es gibt keine berechenbare Rentenentwicklung mehr, nur noch die
Angst vor dem nächsten Bundeshaushalt. Auch in der
Frauenpolitik klafft, wie ich eingangs sagte, zwischen
Anspruch und Wirklichkeit eine große Lücke. Nein,
politische Ankündigungen sind eben noch lange keine
politische Gestaltung.
Danke.
({1})
Nun hat das Wort
Kollegin Sabine Jünger, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Haupt, ich bin zwar auch neu
hier, aber daß CDU/CSU und F.D.P. an der Regierung
waren, hätten vielleicht auch Sie mitbekommen können.
({0})
Ich finde es schon erstaunlich, wie schnell einige - ganz
besonders Frau Rönsch - vergessen, wer hier in den
letzten Jahren die Mehrheit hatte und wie viele tolle
Vorschläge sie vielleicht in den letzten 16 Jahren hätten
machen sollen.
({1})
Dennoch: Frau Ministerin Bergmann hat es ja nicht
ganz leicht. Von vornherein hat Bundeskanzler Gerhard
Schröder - auch ich will es noch einmal sagen - ihr Ministerium als „Ministerium für Gedöns“ abqualifiziert.
Das Bündnis für Arbeit sollte dann als exklusive Herrenrunde stattfinden. Zugleich wurde der groß angekündigte
Aufbruch in der Gleichstellungspolitik zur „PrüfaufgaKlaus Haupt
be“ geschrumpft. Jetzt sollte eine neue Geschäftsordnung mal eben mit der Zumutung Schluß machen, in
frauenpolitisch relevanten Fragen das Frauenministerium hinzuzuziehen. Das, Frau Bergmann, konnten Sie
scheinbar durch Ihren Protest noch einmal abwenden.
Der nächste Versuch, die Rede vom Gedöns in die Tat
umzusetzen, wird jedoch nicht lange auf sich warten lassen, wenn diese Regierung an ihrem politischen Kurs
festhält.
Weil hier immer so viel von Zukunft geredet wird,
beginne ich mit der Jugendpolitik. Hier dominiert allem
Anschein nach die Vorstellung, daß das Jugendministerium gegen die politischen und sozialen Versäumnisse
lediglich Pflästerchen in Form des Kinder- und Jugendplans bereitzuhalten hat. Sei es die Arbeitsmarktpolitik,
die Stadtentwicklung oder die Bildungspolitik: Wenn es
brennt, gibt es ein Aktionsprogramm. Es ist gut, daß dieser Bereich von Sparmaßnahmen ausgenommen ist; jedenfalls scheint es so.
Bei näherem Hinsehen verflüchtigt sich dieser Eindruck jedoch. Auch dieses Jahr hat die rotgrüne Regierung kein Problem damit, den Jugendetat der Jahre 1992
bis 1996 deutlich zu unterbieten. Außerdem ist bei einem Etat von 192 Millionen DM auch schlecht zu kürzen, sonst geht da irgendwann gar nichts mehr. Die Situation ist immer die gleiche: Werden neue Schwerpunkte eingeführt, gehen diese zu Lasten anderer - auch
nicht gerade üppig ausgestatteter - Bereiche.
Faktisch reduziert sich die Jugendpolitik der Regierung mittlerweile fast ausschließlich auf den Bereich
Arbeit und hier wiederum auf das bis jetzt ununterbrochen schöngeredete Sofortprogramm JUMP. Meine
Damen und Herren, wir erkennen sehr wohl, daß die
Regierung als Soforthilfe gegen die Jugendarbeitslosigkeit zwei Milliarden DM zur Verfügung gestellt hat. Es
wäre aber im Interesse der Sache, wenn Sie sich auch
einmal der Kritik an dem Programm stellen würden, statt
ohne Unterlaß vom grandiosen Erfolg zu schwadronieren.
JUMP ist mit hohen Ansprüchen gestartet, die aber
leider meist in der Praxis nicht umgesetzt werden konnten. Die meisten Maßnahmen waren nur kurzzeitige
Trainingskurse. Benachteiligte Jugendliche bleiben auch
bei JUMP entgegen den postulierten Absichten oft außen vor. Für sie mußten zusätzlich 10 Millionen DM im
Hause Bergmann bereitgestellt werden. Betriebliche
Ausbildungsplätze wurden nur in geringem Maß geschaffen. Die Tendenz, Ausbildung staatlich zu subventionieren, ist noch verstärkt worden.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Eine Ausbildung ist
allemal besser als keine. Aber Sie entlassen die Wirtschaft ohne Grund aus ihrer Verantwortung, Ausbildungsplätze zu schaffen.
({2})
Im „Bündnis für Arbeit“ wurde jedem und jeder Jugendlichen ein Ausbildungsplatz versprochen. Die aktuellen Zahlen sprechen eine andere Sprache. Vor zwei
Wochen hat das neue Ausbildungsjahr begonnen, und
mehr als 170 000 Jugendliche sind noch ohne Ausbildungsplatz. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, sehen doch auch Sie angesichts dieser
Zahlen endlich ein, daß Ihr Kuschelkurs gegenüber der
Wirtschaft den Jugendlichen nicht hilft. Die Arbeitgeber
versprechen seit Jahren, mehr Ausbildungsplätze zu
schaffen, und demonstrieren regelmäßig ihre Unwilligkeit.
Immerhin scheinen das einige Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnisgrünen genauso zu sehen.
Ich freue mich schon jetzt auf den Oktober, wenn Kollege Simmert und Kollegin Nahles ihren angekündigten
Antrag zur Einführung einer Umlagefinanzierung einbringen werden.
Führen Sie endlich einen Lastenausgleich für nicht
ausbildende Betriebe ein! Wer nicht ausbildet, soll zahlen. Dann könnten Sie die 2 Milliarden DM aus dem
JUMP-Programm dazu verwenden, jungen Leuten nach
Abschluß ihrer Ausbildung zumindest für ein Jahr einen
Arbeitsplatz zu finanzieren. Berufseinsteigerinnen und
Berufseinsteiger könnten so Berufserfahrung sammeln
und würden nicht wie bisher so oft nach der Ausbildung
auf der Straße stehen. Damit würden Sie Jugendlichen
tatsächlich eine Perspektive geben!
In Ihren jugendpolitischen Schwerpunkten für das
Haushaltsjahr 2000 wird als Schwerpunktaufgabe die
wirksame Bekämpfung von Extremismus, Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit unter Jugendlichen genannt.
Da stimme ich Ihnen sofort zu. Was ich nicht teilen
kann, ist Ihre Auffassung von wirksamer Bekämpfung.
Nehmen Sie doch endlich zur Kenntnis, daß wir in
unserer Gesellschaft ein ernstes Problem haben, das
Rassismus heißt. Da helfen weder Ausbildungsplätze
allein noch Sonntagsreden. Dagegen könnten aber zum
Beispiel verstärkte Bemühungen zur politischen und
kulturellen Bildung und die Förderung sozialer und
kommunikativer Fähigkeiten helfen. Kurzfristig muß auf
alle Fälle ein Aktionsprogramm zur Förderung antirassistischer Kultur und zum Aufbau emanzipatorischer
Strukturen in der Jugendarbeit her.
Stellen Sie deutsche und nichtdeutsche Kinder und
Jugendliche endlich gleich, indem Sie zum Beispiel umgehend den Zusatz zur Ratifizierung der UNKinderrechtskonvention zurücknehmen. Stellen Sie wieder mehr Mittel zur Integration junger Menschen nichtdeutscher Herkunft bereit und verbessern Sie die Lebenslage junger Migrantenfamilien.
Ein Wort zum Zivildienst: Wenn finanzielle Zwänge
dazu führen, Wehr- und Zivildienstleistende gleichzustellen, dann begrüßen wir das natürlich. Insgesamt betrachtet sind Kinder und Jugendliche aber die Leidtragenden der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation.
Abschließend möchte ich kurz auf zwei Ihrer familienpolitischen Schwerpunkte eingehen. Das Aktionsprogramm mit dem schönen Titel „Mann und Familie“
klingt ganz nett und müßte Männern auch sehr entgegenkommen. Schließlich holt es die Männer scheinbar
dort ab, wo sie stehen: auf dem Sportplatz.
({3})
- Das steht im Programm, Herr Niebel; aber Spaß beiseite. - Wir haben nichts gegen dieses Aktionsprogramm. Wir finden es aber sehr bedauerlich, daß es bei
gutgemeinten Appellen und beim Sensibilisieren der
Männer bleiben soll. Wir vermissen nach wie vor verbindliche Festlegungen und gesetzliche Regelungen.
Meine Damen und Herren, hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und für Männer
haben Sie noch einiges zu tun.
Auch der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen
zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung ist bekanntlich hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben.
Deshalb bin ich sehr überrascht darüber, daß das Familienministerium begleitend ein so umfangreiches Aktionsprogramm starten will. Ein Gesetz allein ändert an
der gängigen Erziehungspraxis weiter Teile der Bevölkerung sicherlich noch gar nichts,
({4})
zumal der vorgelegte Entwurf bewußt auf Sanktionen
verzichtet. Mit dem Aktionsprogramm wächst allerdings
die Wahrscheinlichkeit, daß die Anwendung von Gewalt
in der Erziehung zurückgedrängt werden kann. Das ist
gut so, denn an dieser Gewalt sind einfach schon zu
viele Kinder zerbrochen.
Abschließend gestatten Sie auch mir noch ein Wort
zur Rente. Wer jetzt behauptet, man müsse bei den
Rentnerinnen und Rentnern sparen, damit die jungen
Leute von heute später auch noch etwas bekämen, macht
nichts anderes, als Jung und Alt gegeneinander auszuspielen.
({5})
Was wir brauchen, sind neue, langfristige Rentenmodelle, die die politischen und sozialen Veränderungen
angemessen einbeziehen, nicht aber kurzfristige Einschnitte ins soziale Netz unter dem Vorwand der Generationengerechtigkeit.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat nun die
Kollegin Hildegard Wester, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Zunächst gestatten Sie mir ein Wort
zu Ihnen, Frau Rönsch. Als ich Ihre Rede vorhin gehört
habe, habe ich gedacht: So ähnlich hast du in der Opposition auch geredet, als wir eine Familienministerin namens Hannelore Rönsch hatten.
({0})
Ich möchte aber betonen: nur inhaltlich ähnlich, im Stil
hoffentlich nicht.
({1})
Zusätzlich gibt es einen wichtigen Unterschied, nämlich daß damals die Kritik berechtigt war. An das einzige, an das ich mich aus Ihrer Regierungszeit noch erinnere, ist, daß Sie sich jahrelang darauf gestützt haben,
daß Sie Seniorenbüros eingerichtet haben, was eine löbliche Angelegenheit war, aber sicherlich nicht voll das
Maß dessen erfüllte, was man von einer Familienministerin erwartet.
({2})
Ich sehe, daß das, was Frau Bergmann in einem knappen
Jahr vorgelegt hat und in Kürze vorlegen wird - ich
werde nachher noch darauf eingehen -, bei weitem das
übertrifft, was Sie nur ansatzweise auf den Weg gebracht haben.
({3})
Noch ein Wort an Herrn Haupt sowie an einige andere Rednerinnen und Redner, die hier offensichtlich immer wieder der Versuchung erliegen, den Medien - ich
glaube, in diesem Fall den Printmedien - zu verfallen.
({4})
Die Mitteilung, die Geschäftsordnung sei dahin gehend
geändert worden, daß man den „gender mainstream“ nicht
mehr berücksichtige, ist schlicht und ergreifend falsch. Es
wäre sinnvoll gewesen, daß Sie, als Sie diese Mitteilung
gelesen haben, im Ministerium angerufen oder eine
schriftliche Anfrage an die Bundesregierung gerichtet
hätten. Dann hätten wir es uns sparen können, uns das
ständig wieder anzuhören und darüber reden zu müssen.
({5})
Es gibt noch viele von meinen Vorrednern angesprochene Punkte, auf die ich an sich gerne eingehen möchte. Ich möchte jetzt aber versuchen, meine vorbereitete
Rede zu halten; und werde dabei auf die Rente sowie einige weitere Punkte noch zu sprechen kommen. Ich hoffe, daß meine Redezeit dafür reicht.
Frau Wester, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rönsch?
({0})
Das müssen Sie anders anmelden.
({0})
In dieser Haushaltsdebatte
reden wir auf der einen Seite über den Haushalt 2000;
auf der anderen Seite steht die Debatte über das Haushaltssanierungsgesetz stark im Vordergrund. Wir haben
uns in der Tat vorgenommen, den Haushalt zu sanieren,
und uns die Aufgabe auferlegt, bei den Einzelplänen zu
kürzen. Dies ist eine ungewöhnliche Ausgangssituation
für eine Haushaltsberatung. Normalerweise kümmert
man sich ja darum, die Ansätze in dem jeweiligen Einzelplan zu erhöhen.
Nun haben wir uns aber verabredet, bei verminderten
Ausgaben eine effektivere und gerechtere Politik zu machen. Auch unser Haushalt muß dazu einen Beitrag leisten. Ich würde nun lügen, wenn ich sagen würde, daß
mir Sparen Spaß macht und daß Sparen ein Ziel an sich
ist. Aber wenn die Einsicht gereift ist, daß ein „Weiter
so!“ in eine aussichtslose Situation führen würde, dann
geht man zumindest mit einer gewissen Zuversicht an
notwendige Sparaktionen.
({0})
Der Bereich FSFJ hat in meinen Augen ein besonderes Interesse daran, den Staat wieder in die Lage zu versetzen, eine gezielte und zukunftssichere Politik zu machen. Diese Möglichkeit haben Sie von der Opposition
uns fast verbaut. Ihre Schulden- und Kostentreibungspolitik hat zu dieser prekären finanziellen Situation geführt, in der wir heute stecken. Gott sei Dank haben die
Wählerinnen und Wähler Sie im letzten September abgewählt,
({1})
Ihnen diesen verhängnisvollen Weg erspart und es uns
ermöglicht, nun eine Politik zu machen, die in die Zukunft weist. Dazu muß zunächst einmal gespart werden.
({2})
- Ja, jetzt sind wir dran. - Wir nehmen den Auftrag an,
und zwar, wie ich eben sagte, zuversichtlich. Denn wir
haben vernünftige Schwerpunkte gesetzt, über die wir
gleich reden werden.
({3})
Bei dem Setzen von Schwerpunkten hat die Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit nach wie vor die erste
Priorität. Dieses Ziel zu erreichen erfordert große Kraftanstrengungen und rechtfertigt auch, von den Menschen
Einschränkungen abzuverlangen. Denn niemand hier
würde wohl bestreiten, daß der Besitz eines Arbeitsplatzes in gravierender Weise über das Schicksal von Menschen und ganzen Familien entscheidet. Auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der hohen Arbeitslosigkeit
können uns in der Politik nicht ruhen lassen. Wir sind
also bereit, im Interesse der Zukunftsaussichten von
Kindern und Jugendlichen, der Sicherheit der Renten,
der Ausbildung und Bildung unseren Beitrag zu leisten.
Nur unter diesem Aspekt macht Sparen Sinn.
Ich begrüße ausdrücklich, daß für den Bereich der
aktiven Arbeitsmarktpolitik wieder 6 Milliarden DM in
den Haushalt eingestellt worden sind.
({4})
Davon werden wir 2 Milliarden DM für das 100 000Jobs-Programm ausgeben, das im laufenden Jahr so erfolgreich durchgeführt wird. Ich kann Ihnen sagen, Frau
Rönsch: In meiner Stadt, die kohlrabenschwarz ist, loben selbst der Sozialdezernent und der Vorsitzende der
Kreishandwerkerschaft, ein CDU-MdL, unser Programm über den grünen Klee,
({5})
ganz zu schweigen von den Jugendlichen, mit denen ich
gesprochen habe, die dankbar und froh sind.
Natürlich müssen wir auf Kontinuität achten. Mit
dem Neuansatz von 2 Milliarden DM haben wir einen
ersten Schritt dazu getan.
({6})
Dieses Programm ist in meinen Augen dringend notwendig, weil es den Jugendlichen, die nicht so ohne
weiteres Anschluß an die Arbeitsgesellschaft finden, eine gute Chance gibt. Hier investiertes Geld ist gut angelegtes Geld.
Besonders freue ich mich, daß es eine der ersten
Maßnahmen der Bundesregierung war, das Kindergeld
um 30 DM zu erhöhen, und zwar ohne Druck durch das
Bundesverfassungsgericht. Das entsprechende Urteil
war uns, wie Sie genau wissen, zu dem Zeitpunkt noch
nicht bekannt. Wir haben erkannt, daß Familien nicht
von schönen Worten in Sonntagsreden leben können.
({7})
Trotz dieser schon erfolgten Erhöhung werden wir das
Kindergeld im Jahr 2000 um weitere 20 DM für das erste und das zweite Kind erhöhen. Auch dafür lohnt es
sich zu sparen.
Sehr erfreulich ist auch, daß es uns gelungen ist, wieder ein Teilkindergeld für erwachsene Behinderte in
Heimen zu zahlen.
({8})
Dadurch wird endlich wieder anerkannt, welch große
Leistung Familien in solchen Lebenssituationen erbringen, oft lebenslang. Diese Leistung muß auch finanziell
ihre Anerkennung finden.
({9})
Es ist die Unwahrheit, wenn behauptet wird, daß wir
den Alleinerziehenden durch die Reduzierung des Freibetrages für Kinderbetreuungskosten Geld - ich glaube,
eben wurde von 100 DM gesprochen - vorenthalten. Sie
haben wohl noch nicht verstanden, daß Alleinerziehende
die Kosten für Betreuung nicht mehr nachzuweisen
brauchen, also pauschal den Freibetrag von zirka 3 000
DM in Anspruch nehmen können,
({10})
und auch 20 DM mehr Kindergeld erhalten, während bis
jetzt lediglich die Alleinerziehenden, die ihre BetreuHildegard Wester
ungskosten nachweisen konnten, von dem Steuerfreibetrag Gebrauch machen konnten.
({11})
- Nur ungefähr 5 Prozent konnten Betreuungskosten von
mehr als 3 000 DM nachweisen.
Die genannten Schwerpunkte zeigen einen richtigen
Weg auf. Dafür hatten wir in unserem Haushalt einen
Beitrag zu leisten: 863 Millionen DM hatten wir aufzubringen, aus einem Gesamthaushalt, der rund 10,9 Milliarden DM beträgt. Davon sind alleine 7,1 Milliarden
DM für das Erziehungsgeld festgelegt. Die engen Spielräume, die sich durch diese Zahlen aufzeigen lassen, erleichtern nicht gerade die Aufgabe, das gesteckte Sparziel zu erreichen.
Knapp 200 000 Kinder erhalten Leistungen nach dem
Unterhaltsvorschußgesetz. Dafür brachte der Bund im
vergangenen Jahr 834 Millionen DM auf. Dem standen
Rückflüsse aus den Kommunen in Höhe von 128 Millionen DM entgegen. Das sind im Schnitt 15 Prozent.
Das ist ein Ergebnis, mit dem man nicht zufrieden sein
kann. Natürlich lassen sich die Rückforderungen nicht
bis auf 100 Prozent steigern, denn es gibt allein zirka 65
000 Kinder mit Unterhaltsansprüchen, bei denen man
von vornherein weiß, daß sie nicht zu realisieren sind.
Jedoch ist es durchaus möglich, die Rückflußquote
deutlich zu erhöhen. Ein Mittel dazu ist es, die Kommunen mit in die finanzielle Verantwortung zu nehmen. So
ist deren Ansporn, die Rückforderungen durchzusetzen,
erheblich größer. Schließlich werden sie durch die
Rückforderungen im gleichen Verhältnis entlastet, wie
sie an der Finanzierung beteiligt sind.
({12})
Natürlich ist nicht nur eine finanzpolitische Sicht der
Dinge angebracht. Selbstverständlich besteht aus Sicht
der Familienpolitik ein sehr hohes Interesse daran, die
Menschen, die Kinder haben, dazu zu bringen, zumindest ihren finanziellen Verpflichtungen für diese Kinder
nachzukommen. Denn Kindern und ihren Familien sollte
es soweit wie möglich erspart bleiben, zu Sozialhilfeempfängern zu werden. Die zukünftige Drittelung der
Kosten entlastet den Bundeshaushalt um 218 Millionen
DM und trägt darüber hinaus dazu bei, politisch Wünschenwertes eher zu erreichen.
Beim Erziehungsgeld sind die Ansätze für das Jahr
2000 gleichgeblieben. Das ist angesichts der dringenden
Notwendigkeit, die Einkommensgrenzen zu erhöhen,
nicht zu bejubeln. Dies zu tun bleibt nach wie vor eines
unserer familienpolitischen Ziele. Es müssen wieder
mehr Familien in den Genuß des ungeschmälerten Erziehungsgeldes kommen. Nur noch die Hälfte der Familien erhält nach den ersten sechs Lebensmonaten des
Kindes ungekürztes Erziehungsgeld. Auch in diesem
Punkt muß ich noch einmal deutlich machen: Es ist
wirklich so, daß Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker stolz darauf sein können, diesen Ansatz von 7,1
Milliarden DM erhalten zu haben. Denn die Haushaltslage, die Sie von der Opposition uns hinterlassen haben,
bereitet uns erhebliche Schwierigkeiten, unsere politischen Schwerpunkte durchzusetzen.
({13})
Wir als Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker
haben dafür gesorgt, daß die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils nicht nur über den Steuerfreibetrag
erfolgt, sondern daß 20 DM für das erste und zweite
Kind sowie 30 DM für die behinderten Erwachsenen in
Heimen gezahlt werden. Damit sind wir aber noch nicht
zufrieden. Wir werden Vorschläge machen, wie wir trotz
Ihrer Hinterlassenschaft mit dem Erziehungsgeld wieder
eine breitere Gruppe von Familien erreichen. In diesem
Zusammenhang werden wir auch dafür sorgen, daß der
Erziehungsurlaub keinen Ausstieg aus dem Erwerbsleben bedeuten muß, sondern ein echtes Angebot an Väter
und Mütter ist, sich Erwerbs- und Familienarbeit zu teilen.
In der vergangenen Woche hat Frau Ministerin
Bergmann das Programm „Frau und Beruf“ vorgestellt.
Darin ist ein zentraler Punkt und ein zentrales Anliegen,
endlich ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft und den öffentlichen Dienst zu verabschieden, das
seinen Namen verdient. Für den öffentlichen Dienst
können wir recht bald mit einem Gesetzentwurf rechnen,
der längst überfällig ist und der Regelungen enthalten
wird, die es Frauen erleichtern, ihren Kompetenzen und
Fähigkeiten entsprechend in berufliche Positionen zu
gelangen.
({14})
Auch in der Privatwirtschaft werden wir zu Regelungen
kommen, die zum einen effektiv das Ziel verfolgen,
Frauen ihrem Leistungsvermögen nach an Positionen zu
beteiligen, und zum anderen die unterschiedlichen Belange der unterschiedlichen Wirtschafts- und Betriebsstrukturen berücksichtigen. Das wird ein interessanter,
aber auch mühsamer Prozeß. Am Ende wird und muß es
aber verbindliche Regelungen geben.
({15})
Nun ist es erfreulich, daß der Titel „Verwirklichung
der Gleichstellung von Frau und Mann in der Gesellschaft“ in unserem Haushalt angewachsen ist.
Ich sehe, daß sich meine Redezeit dem Ende nähert
oder sogar schon überschritten ist. Ich möchte aber noch
zwei Sätze zur Seniorenpolitik sagen. Ich habe eben
schon gesagt, daß das, was von der früheren Seniorenministerin übergeblieben ist, die Seniorenbüros sind.
Was die Vereinheitlichung der Altenpflegehilfe angeht,
haben wir eine unendliche Geschichte durchgemacht.
Jedes Jahr wurde neu angekündigt, daß es nun endlich
soweit sei. Frau Ministerin Rönsch legte ein Gesetz vor,
das wir am 1. Oktober in erster Lesung - ({16})
- Um Gottes Willen, so weit sollte meine Auseinandersetzung mit Ihrer Person eigentlich nicht gehen. Ich entschuldige mich.
Frau Kollegin, Sie
müssen zum Schluß kommen.
Auch das Heimgesetz
wird in nächster Zeit im Interesse der Senioren, die in
diesen Heimen leben, novelliert.
Noch ein Satz zur Rente.
Nein, bitte kein neues Thema mehr.
({0})
Ich bedanke mich für Ihre
Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort zu einer
Kurzintervention hat Kollegin Rönsch.
Frau
Kollegin Wester, ich habe eben im „Kürschner“ nachgeschaut und habe bei Ihrem Eintrag drei Sternchen gesehen. Das sagt mir, daß Sie jetzt in der dritten Legislaturperiode im Bundestag sind. Da kann man es Ihnen nicht
mehr so ganz nachsehen, daß Sie sich an das eine oder
andere nicht mehr erinnern. Deshalb will ich es Ihnen
heute noch einmal sagen.
Während der Amtszeit der alten Regierung wurden
Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub eingeführt.
({0})
Das sind Dinge, die bei Ihnen in der Schublade waren,
die aber in Ihrer Regierungszeit und in der Zeit Ihrer
letzten Familienministerin Anke Fuchs nicht auf den
Weg gebracht wurden. Anke Fuchs zeichnete sich dadurch aus, daß sie vor einer Wahl das Kindergeld erhöhen durfte. Als die Wahl gewonnen war, wurde diese
Erhöhung des Kindergeldes sofort wieder zurückgenommen.
({1})
Das sage ich Ihnen nur zur Erinnerung.
Ich will auch daran erinnern, daß die Anerkennung
der Kindererziehungszeiten in der Rente von der alten
Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde.
({2})
Als Maßnahmen der Seniorenpolitik kann ich nennen:
Es wurden die Seniorenbüros eingerichtet, und es wurde
ein Bundesaltenplan gemacht.
Eines bitte ich nicht zu vergessen: Es gab in dieser
Zeit auch die Wiedervereinigung. Sie kam in der Rede
des Herrn Bundeskanzlers mit keinem Wort vor. Das
zog sich nahtlos auch durch die Reden der Mitglieder
seines Kabinetts. Uns stellten sich besonders schwere,
aber auch besonders schöne Aufgaben gerade für die
älteren und alten Menschen, die unter dem lange währenden DDR-System gelitten hatten.
Denken Sie, Frau Wester, bitte an diese Dinge; erkundigen Sie sich. Dann sind Sie nicht so unvorbereitet,
wenn Sie hier reden.
({3})
Kollegin Wester,
wollen Sie erwidern?
Frau Ministerin, - ({0})
- Ich meine: Frau Kollegin Rönsch Sie sehen, daß die
Zeit, in der Sie Ministerin waren, mich sehr geprägt hat;
ich habe sehr darunter gelitten.
Frau Rönsch, Sie wissen genauso gut wie ich, daß wir
ein Gesetz hatten, bevor Sie an die Regierung kamen; es
hieß: Gesetz zur Einführung eines Mutterschaftsurlaubs.
Es hatte andere Schwerpunkte, und es sah sogar höhere
Leistungen vor. Die Zielgruppe war eine andere. Aber es
hatte genau das Ziel, über das wir sprechen, nämlich die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen zu gewährleisten.
({1})
Sie haben es, glaube ich, 1985 kassiert
({2})
und haben dann das jetzt existierende Gesetz verabschiedet, das zwischenzeitlich häufiger novelliert wurde.
Dieses Gesetz bringt uns in meinen Augen bei weitem
nicht das, was Sie uns versprochen haben.
({3})
Wir sind dabei es, zu verändern.
Wir sind ein knappes Jahr an der Regierung, und ich
finde es unverantwortlich, uns für die Versäumnisse Ihrer 16 Jahre hier permanent vorzuführen.
({4})
Sie werden sich diesen Vorwurf so lange anhören müssen, solange Sie nicht zu einer redlichen Zusammenarbeit und zu einer redlichen Geschichtsbetrachtung zurückfinden.
({5})
Ich komme zu den Kosten der deutschen Einheit.
Es ist hier in Debatten oft genug angesprochen worden,
daß sich auch schon vor der deutschen Einheit die Kosten, die Ihr Haushalt zu tragen hatte, dramatisch erhöht
hatten. Das Entscheidende ist doch, daß wir nicht so
borniert sind, zu sagen, daß die deutsche Einheit etwa
kein Geld kostet. Wir meinen ja auch, daß dieses Geld
gut angelegt ist. Entscheidend ist ferner, daß Sie versucht haben, den Bürgern Sand in bezug auf die Frage,
was die deutsche Einheit kostet, in die Augen zu streuen.
({6})
Sie haben dadurch verschuldet, Frau Eichhorn, daß die
Bereitschaft der Bürger, zu sparen und Geld auch für die
innere Einheit zu geben, fast verschüttet worden wäre.
({7})
Das Wort hat nun
Kollege Thomas Dörflinger, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat uns einen „Sparhaushalt“ auf den Tisch gelegt. In der Tat: Sie
haben wirklich gespart: an Kreativität, an Konsequenz
und letztlich auch an Klugheit.
({0})
Nach den gebetsmühlenartigen Vorträgen dieser Tage
von der Erblast möchte ich in diesem Zusammenhang
ein Zitat in Erinnerung rufen, das mir sehr bemerkenswert erscheint. Vor einem knappen Jahr hörte sich das in
der Regierungserklärung vom 10. November 1998 noch
so an. Ich zitiere Gerhard Schröder:
Unsere Gesellschaft erwirtschaftet genug, um sich
den Sozialstaat leisten zu können. ... Wir brauchen
die Menschen in Deutschland nicht auf „Blut,
Schweiß und Tränen einzustimmen“.
Vermutlich war das der Teil seiner Rede, für den Oskar
Lafontaine die Ghostwriter-Rolle übernommen hatte.
Vor einem guten Jahr waren die Schulden fast genauso hoch wie heute. Damals war man auf der Regierungsbank offensichtlich noch der Meinung, man müsse
nur richtig verteilen, dann wäre alles in Ordnung. Aber
jetzt, da Sie in dieser irrigen Annahme im Etat 1999
schon viel Geld ausgegeben haben, müssen Sie es wieder einsammeln. So einfach ist der Sachverhalt.
({1})
Dabei legen Sie die Meßlatte recht unterschiedlich an.
In der Rangliste der Einzelpläne, die am meisten bluten
müssen, liegt der Einzelplan 17 auf Platz vier. Dies ist
ein ziemlich unrühmlicher Spitzenplatz, Frau Ministerin.
Es ist unbestritten, daß sich der Staat in puncto Ausgaben zurücknehmen muß. Aber der Begriff Staat meint
Bund, Länder, Gemeinden und die Sozialversicherungssysteme. Die Ausgaben der öffentlichen Hand insgesamt
müssen also zurückgefahren werden, damit volkswirtschaftlich eine Entlastung entsteht und damit die Staatsquote sinkt.
Sie tun aber genau das nicht. Sie haben es sich verdammt einfach gemacht. Sie sparen nur bei sich selbst,
bürden aber die entstehenden Lasten anderen auf. Für
Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum bringt das letztlich überhaupt nichts. Aber rein optisch sind die Zahlen
des Bundeshaushalts 2000 etwas niedriger als die des
Haushalts 1999. So erweckt man den Eindruck, als sei
etwas gespart worden. Aber Sie sparen nicht; Sie schieben Rechnungen durch die Republik.
({2})
Lassen Sie mich das an Hand von drei Beispielen
nachweisen:
Erstens. Die Änderungen beim Zivildienst. Die Dauer des Zivildienstes wird von 13 auf 11 Monate verkürzt.
Die Zahl der Stellen sinkt von 140 000 auf 110 000 im
Jahr 2003. Die Unionsfraktion hatte vor wenigen Tagen
die Fachverbände zu einer Anhörung eingeladen. Das
Ergebnis war: Unisono rechnen die Verbände durch die
Pläne der Bundesregierung mit Mehrkosten; schließlich
müssen die Personalpläne neu geordnet werden. So weit,
so schlecht. Jetzt erhebt sich die Frage, wie diese Mehrkosten bei den Verbänden kompensiert werden sollen.
Nehmen Sie beispielsweise ein Krankenhaus, in welcher Trägerschaft auch immer. Angesichts der gedekkelten Kosten im Gesundheitswesen - über diesen Punkt
sprechen wir nachher - wird die Lösung wohl nur in einer Ausdünnung der Leistungen liegen können. Nehmen
Sie beispielsweise ein Alten- und Pflegeheim. Ich habe
vor zwei Wochen eines besucht. Dort gehen die Mehrkosten zu Lasten der Patienten, zu Lasten der Pflegeversicherung oder zu Lasten der Kommunen als Sozialhilfeträger. Das heißt: Ihre vermeintlichen Sparerfolge,
Frau Ministerin, lassen Sie sich von den Landkreisen,
Städten und Gemeinden und von der Sozialversicherung
bezahlen. So einfach ist das.
({3})
Kollege Dörflinger,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Nein, ich möchte
im Zusammenhang vortragen.
({0})
Aber das ist ja noch nicht alles. Der Bundeszuschuß
für den Sold und der Fahrtkostenzuschuß werden um
jeweils 5 Prozent gekürzt. Vom Entlassungsgeld der Zivis dürfen die Verbände zukünftig auch ein Drittel übernehmen. In der Erläuterung des Ministeriums zum Einzelplan 17 findet sich gleich mehrmals der Satz: „Diese
Änderung ist vertretbar.“ Das mag für jede einzelne
Maßnahme durchaus gelten. In der Summe aber gilt dies
nicht; denn dies führt in der Konsequenz zu einer deutliHildegard Wester
chen Kostensteigerung bei den Trägern und in der Folge
vermutlich auch zu einer Verschlechterung der Versorgung.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf
einen weiteren Punkt aufmerksam machen, der in der
Diskussion bisher ein bißchen zu kurz kam.
({1})
Es besteht ja ein direkter Zusammenhang - das ist nicht
zu leugnen - zwischen Zivildienst und Wehrdienst.
Nach § 24 Abs. 2 des Zivildienstgesetzes dauert der Zivildienst drei Monate länger als der Wehrdienst. Wenn
Sie also beim Zivildienst Änderungen hinsichtlich der
Dauer vornehmen, haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder Sie ändern den entsprechenden Passus des Zivildienstgesetzes, oder aber Sie nehmen die Korrekturen
bei der Wehrpflicht vor. Wenn Sie aber die Dauer verkürzen, stellt sich irgendwann generell die Frage nach
der Wehrpflicht. Da diese Frage in Koalitionskreisen
immer wieder ganz gerne diskutiert wird, würde ich
mich freuen, wenn Sie möglichst bald klarstellen könnten, wie Sie dieses neue Ungleichgewicht zwischen Zivil- und Wehrdienst auflösen wollen. Sollten Sie dies
nicht tun, setzen Sie sich selbstverständlich dem Verdacht aus, über das Vehikel Zivildienst quasi nebenbei
auch einen Anschlag auf die Wehrpflicht zu organisieren.
({2})
Zweitens zur Neuregelung beim Unterhaltsvorschuß. Zukünftig dürfen sich Länder und Gemeinden
mit 280 Millionen DM jährlich an diesen Zahlungen
beteiligen, einmal abgesehen davon, daß dies auch noch
das Plazet des Bundesrates finden muß. Ich prognostiziere heute, daß die kommunalen Spitzenverbände für
diese Verlagerung der Kosten einen Ausgleich fordern
werden, und zwar zu Recht. Diesen Ausgleich wird die
Bundesregierung zunächst verweigern. In den anschließenden Verhandlungen wird ein Kompromiß erzielt
werden, der in der Erfüllung eines Teils dieser Forderungen besteht. Der Effekt wird sein: Sie haben die Kosten von oben nach unten verlagert und Verwaltungsaufwand produziert. Durch den zu zahlenden Teilausgleich stehen unter dem Strich nicht weniger, sondern
mehr Kosten. Das wäre ein toller Sparerfolg.
Drittens zur Betreuung von Spätaussiedlern. Nicht
zum erstenmal werden die Ansätze für die Betreuung
von jugendlichen Spätaussiedlern zurückgefahren. Dieser Posten wurde im Etat 1999 schon einmal gekürzt,
und zwar um 25 Millionen DM. Jetzt werden in diesem
Etat weitere 14 Millionen DM gestrichen. Begründet
wird das mit der angeblich deutlich sinkenden Zahl der
Spätaussiedler. Ich möchte auf eine Pressemitteilung des
Bundesministeriums des Innern vom 3. September dieses Jahres - das ist also noch nicht allzulange her - verweisen. In dieser Mitteilung wird die Zahl der Antragssteller im August 1999 mit 9 548 angegeben. Im gleichen Monat des Vorjahres waren es 6 531. Das bedeutet
also eine Steigerung um etwa 3 000 Personen, aber keinen Rückgang. Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung formuliert in eben dieser Pressemitteilung
deswegen sehr vorsichtig:
Deshalb kann davon ausgegangen werden, daß die
Zahl der Spätaussiedler gegenüber der des Vorjahres nicht überschritten wird.
- Von einem Rückgang ist schon nicht mehr die Rede.
Man geht von Konstanz aus. - Er fährt fort:
Trotz der Zuzugszahlen auf niedrigem Niveau ist
die Eingliederung der Spätaussiedler schwieriger
geworden. Deshalb muß insbesondere die Integration der jungen Generation weiter verbessert werden.
Aber Sie, Frau Ministerin, fahren den entsprechenden
Haushaltsansatz, seit Sie im Amt sind, zurück. Das paßt
einfach nicht zusammen.
({3})
Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuß.
Vielleicht kann man mich dort über folgende Merkwürdigkeiten aufklären: Warum steigen beim Bundesamt für
den Zivildienst die Personalausgaben für Beamte um
2,2 Prozent, aber die für die Angestellten nur um 1,8
Prozent, obwohl der Stellenplan in beiden Fällen konstant bleibt? Warum sinken bei den Zivildienstschulen
die Vergütungen der Angestellten um 4,4 Prozent, obwohl auch hier der Stellenplan unverändert bleibt?
Rechnen Sie mit unterschiedlichen Tarifabschlüssen?
Oder rechnen Sie sich die Haushaltsstellen einfach so
zurecht, damit unter dem Strich das, was Sie sich vorgestellt haben, herauskommt?
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung
machen: Mich erinnert das, was hier nicht nur familienpolitisch, sondern generell veranstaltet wird, fatal an die
Zeichentrickserie „Peanuts“, die ich mir als Kind ganz
gerne angesehen habe. In dieser Serie spielte auch einer
namens Schröder mit. Er spielte sich gerne in den Vordergrund. Dieser Schröder war auch stets auf sein Outfit
bedacht und hatte meist einen großen Mund. Aber wenn
etwas schieflief, dann war er auch meistens daran
schuld.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Christian Simmert, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das war ein schöner Abgang, Kollege Dörflinger. Aber ich habe den Eindruck, daß bei der
CDU/CSU und auch bei der F.D.P. allmählich ein kollektiver Gedächtnisverlust eingesetzt hat. Sie wollen hier
die Wirkungen Ihrer Politik in den letzten 16 Jahren zukleistern. Das ist angesichts des Einzelplans 17 und des
Gesamthaushalts nicht sonderlich angebracht.
Gerade in unserem Einzelplan werden die Rahmenbedingungen für die Kinder- und Jugendpolitik gesetzt.
Immer mehr muß, Frau Rönsch, Jugendpolitik heute
auch mit arbeitsmarktpolitischen Aufgaben verknüpft
sein, ohne daß dadurch neue Warteschleifen produziert
werden. Auch ich erwähne das Sofortprogramm der
Bundesregierung, das ein wesentlicher Bestandteil zur
Bekämpfung der Jugenderwerbslosigkeit ist. Dieses
Programm wird durch verschiedene Maßnahmen flankiert. Das ist richtig, und das ist gut so. Frau Rönsch,
wenn Sie das ignorieren, dann tut es mir leid. Jugendlichen hilft dieses Programm.
Das neue Modellprogramm für junge Menschen in
sozialen Brennpunkten vernetzt deshalb gezielt beschäftigungsfördernde Maßnahmen mit nachgehender Jugendsozialarbeit vor Ort. Das soziale Trainingsjahr
spricht die jungen Menschen in ihrer Umgebung an und
motiviert sie, sich in ihrer Umgebung, in ihrem Stadtteil
für ihr direktes Lebensumfeld einzusetzen. Das ist konzeptionelle Jugendpolitik, und es ist alles andere als das,
was wir von Frau Nolte gewohnt waren.
Ein, zwei oder drei Programme machen noch keinen
Sommer, vor allem dann nicht, wenn ich mir die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ansehe. Herr Haupt hat
es gerade erwähnt: mehr Bewerberinnen, noch immer zu
wenig Ausbildungsplätze. Nicht nur die Bundesregierung, sondern vor allen Dingen auch Unternehmerinnen
und Unternehmer mit Ausbildungsplätzen sind gefragt,
hiergegen etwas zu tun.
({0})
Ich appelliere an dieser Stelle an die Arbeitgeberinnen
und Arbeitgeber, diese Ausbildungsplätze bereitzustellen. Die Lippenbekenntnisse, die im „Rüttgers-Klub“ in
den letzten Jahren während Ihrer Regierungszeit verabredet wurden, reichen nicht mehr.
({1})
Trotz aller Anstrengungen wachsen noch immer
1 Million Kinder in Sozialhilfeverhältnissen auf. Knapp
150 000 Jugendliche sind noch immer ohne Ausbildungsplatz. Es handelt sich um Herausforderungen, denen sich die Bundesregierung immer neu stellen wird.
Es handelt sich um Herausforderungen vor allem an die
Kinder- und Jugendpolitik.
Leider sind noch immer zu viele junge Menschen ohne Perspektive. Perspektivlosigkeit läßt Resignation entstehen. Perspektivlosigkeit schürt aber auch Haß und
Gewalt. Gerade das Abschneiden der DVU in Brandenburg und die Situation speziell in diesem Bundesland
machen deutlich, was braune Rattenfänger aus Perspektivlosigkeit machen. Die Bekämpfung rechter Gewalt
und das Vermitteln von Toleranz sind nicht nur Aufgabe
der Bundesregierung, sondern eine Herausforderung für
uns alle. Wir sollten uns dieser Herausforderung jeden
Tag aufs neue, immer und immer wieder stellen.
({2})
Aber nicht nur Toleranz, sondern vor allem auch Integration ist angesagt. Im Gegensatz zur alten Bundesregierung setzen wir hier deutlichere Akzente. Projekte
wie das „Interkulturelle Netzwerk der Jugendsozialarbeit
im Sozialraum“ ist nur ein Beispiel. Migrantinnen und
Migranten, Flüchtlinge sowie Spätaussiedlerinnen und
Spätaussiedler gemeinsam anzusprechen leistet einen
wichtigen Beitrag zur Integration dieser jungen Menschen in unsere Gesellschaft.
Herr Dörflinger, Anträge sind keine realen Zahlen.
Wir müssen uns einmal anschauen, ob die Zahlen in den
Kursen steigen oder sinken. Auch eine Pressemitteilung
des BMI ist keine ausreichende empirische Darstellung,
um uns zu unterstellen, wir arbeiteten nicht sauber.
Ich stelle also fest: Die Bundesregierung ist in der Jugendarbeit auf dem richtigen Weg.
Einen Punkt will ich nicht verschweigen, der mir besonders am Herzen liegt: Die Koalition ist bei der
Gleichberechtigung von Zivildienst und Wehrdienst
erneut einen großen Schritt weitergekommen.
({3})
Das mag Sie von der Opposition stören. Mich stört es
nicht. Anfang dieses Jahres haben wir die Besoldung für
Zivildienstleistende angeglichen. Jetzt verkürzen wir
den Zivildienst auf elf Monate.
({4})
Für mich ist das nicht nur ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Ich bin in dieser Sache Überzeugungstäter.
({5})
Ich betone, daß wir von einem Schritt in Richtung Angleichung der Dienstzeiten reden. Eine Angleichung der
Dienstzeit wäre - das sage ich für meine Fraktion - eine
Verkürzung des Zivildienstes auf zehn Monate.
({6})
Bündnis 90/Die Grünen werden sich darüber hinaus
mit Nachdruck dafür einsetzen, daß es für Zivildienstleistende zu keinen Verschlechterungen mehr kommt.
Kollege Simmert,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Ja, gerne.
Herr Kollege Überzeugungstäter, ich kann Ihre Einstellung durchaus verstehen, und
in weiten Bereichen teile ich sie sogar. Haben Sie als
Überzeugungstäter neben der Haushaltskonsolidierung
wenigstens drei inhaltliche Punkte, mit denen Sie mir
erklären können, wie das, was Zivildienstleistende im
sozialen, im kulturellen und im ökologischen Bereich
heute tun, auf eine menschengerechte Weise ersetzt
werden kann?
Wie soll beispielsweise individuelle Schwerbehindertenbetreuung zukünftig aussehen? Wie soll in Krankenhäusern überhaupt nocht gearbeitet werden, wenn
etwa in Berlin 4000 Stellen vorwiegend im Personalbereich abgebaut werden? Wie sollen kulturelle und ökologische Projekte funktionieren, wenn es noch weniger
Zivildienstleistende gibt? Ich bitte Sie um drei inhaltliche Vorschläge.
Kollege Seifert, ich beschränke mich da nicht auf drei
inhaltliche Vorschläge, sondern ich sage Ihnen folgendes: Wir haben im Bereich der Zivildienstleistenden die
Zahl der Stellen überwiegend dort reduziert, wo es nicht
den Pflegebereich betrifft. Wir werden konzeptionell darauf wäre ich auch noch zu sprechen gekommen - die
Reaktion der Betroffenen und der Träger ernst nehmen
und uns der Herausforderung stellen. Ich weiß, daß das
schwierig ist. Meine Fraktion wird sich dazu Gedanken
machen.
Vor allen Dingen werden wir darüber reden, welche
arbeitsmarktpolitischen Impulse die ersatzlose Streichung des Zivildienstes perspektivisch auslöst. Ich bin
davon überzeugt, daß es dort Möglichkeiten gibt, denn
es ist ein offenes Geheimnis, daß beim Einsatz von Zivildienstleistenden die geforderte arbeitsmarktpolitische
Neutralität nicht vorhanden ist.
Es gilt also, die bisher von Zivildienstleistenden ausgefüllten Stellen in reguläre und tariflich entlohnte Arbeitsplätze umzuwandeln, so schwierig das auch ist.
Dennoch werden wir Grünen uns der Herausforderung,
den Zivildienst perspektivisch ersatzlos zu streichen,
stellen.
Meine Damen und Herren, mir geht es besonders um
die soziale Ausgewogenheit für die junge Generation.
Mit dem Familienentlastungsgesetz und der Steuerreform haben wir die Familien mit Einkommen spürbar
entlastet. Die nächste große Herausforderung ist, Familien ohne Einkommen in den Mittelpunkt unserer Politik
zu stellen. Gerade Familien, besonders aber alleinerziehende Frauen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, müssen noch stärker unterstützt werden, als es in den
16 Jahren Kohl-Regierung der Fall gewesen ist. Wir
müssen hier eine Grundlage schaffen, damit alle jungen
Menschen bei der Gestaltung der Zukunft gleiche Chancen haben.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die einzelnen jugendpolitischen Projekte, der Kinder- und Jugendplan,
die Änderungen beim Zivildienst und die Verknüpfung
von Jugendarbeit und Arbeitsmarktpolitik zeigen, daß
die Bundesregierung in der Kinder- und Jugendpolitik
auf dem richtigen Wege ist.
({1})
Wir werden den eingeschlagenen Kurs fortsetzen - egal,
ob die Opposition laut schreit oder nicht -, damit junge
Menschen endlich wieder die Chance haben, ihr Recht
auf gesellschaftliche Teilhabe zu verwirklichen.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile dem Kollegen Klaus Holetschek, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Große Sprüche, nichts dahinter - auf diese Formel lassen sich die Leistungen der
rotgrünen Bundesregierung im Bereich der Familienpolitik reduzieren.
({0})
Die Damen und Herren hier oben auf den Tribünen und
draußen im Land an den Fernsehschirmen wollen nicht
mehr Ihre Mär von der Erblast hören.
({1})
Sie sind gewählt worden, damit Sie Konzepte vorlegen.
({2})
- Ja, ich verstehe Sie ja. Am Sonntag sind wieder Wahlen. Ihre Nerven liegen blank; das ist ganz klar. Aber
deswegen wird es ja nicht besser.
({3})
Wir wollen Konzepte von Ihnen hören - dafür sind Sie
gewählt worden -, und nicht nur das, was auf dem
Sprechzettel des Bundeskanzleramtes für die Minister
steht. Das können die Leute draußen nicht mehr hören.
({4})
Die Realität zeigt, daß wir 16 Jahre lang eine erfolgreiche Familienpolitik der CDU/CSU gemacht haben
({5})
und daß wir in diesen 16 Jahren die familienpolitischen
Leistungen von 27 auf 77 Milliarden DM im Jahr erhöht
haben.
({6})
Meine Damen und Herren, Impulse und Anstöße für
ein nachhaltiges und schlüssiges Gesamtkonzept zur finanziellen Entlastung von Familien kommen aus der
Union und nicht von Ihnen.
({7})
Kollege Holetschek,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels?
Nein, danke.
({0})
Derzeit stehen verschiedene Vorschläge in der Diskussion, durch welche die wirtschaftliche Situation von
Familien verbessert und gleichzeitig die Familien- und
Erziehungsarbeit von Vätern und Müttern finanziell honoriert werden soll. Konzepte wie Familiengeld oder
Erziehungsgehalt haben zum einen eine höhere Anerkennung der Erziehungsleistung von Eltern und zum anderen eine Verbesserung der Wahlfreiheit von Familie
und Beruf zum Ziel.
Wir fordern Ihr Ministerium auf, ein schlüssiges Gesamtkonzept und nicht nur Stückwerk und Minimallösungen vorzulegen. Echte Familienförderung heißt nicht,
gezwungen durch das Bundesverfassungsgericht steuerliche Benachteiligungen auszugleichen.
({1})
Das kann keine echte Familienförderung sein. Darüber
täuscht auch eine grundsätzlich zu begrüßende leichte
Erhöhung des Kindergelds nicht hinweg.
({2})
- Es wird doch nicht besser, Herr Kollege. Die Leute
draußen sehen doch, was Sie damit anrichten.
({3})
Übrigens berücksichtigen Sie dabei in keinster Weise
Familien mit mehr als zwei Kindern.
({4})
Es ist bekannt - machen wir uns doch nichts vor, auch
die Leute wissen das -: Was Sie in die eine Tasche stekken, holen Sie aus der anderen wieder raus.
({5})
Die Ökosteuer ist das beste Beispiel - da wird es auf
einmal bei Ihnen ruhig; das ist schön - für Verschiebungen von Lasten und Verschiebebahnhöfe - der Kollege
Dörflinger hat es angesprochen. Oder der Unterhaltsvorschuß: Sie belasten die Kommunen, die Sie sowieso
schon zur Ader lassen, auch hier wieder. Ich bin selber
Stadtrat und Kreisrat und weiß, welche verheerenden
Auswirkungen Ihre Politik auf die Kommunen hat.
({6})
Aber Sie setzen hier ja eine Tradition Ihrer Fehlleistungen fort, die Sie in anderen Gesetzesvorlagen begonnen haben, zum Beispiel beim 630-Mark-Gesetz und
bei der Gesundheitspolitik. Da stehen Sie mit Ihrer Familienpolitik in bester Tradition.
({7})
Frau Ministerin, Sie wollen Senioren und Jugendliche
fördern. Warum haben Sie im Kabinett nicht Ihrem
Kollegen Riester gesagt, daß Millionen von Rentnern
verunsichert sind, daß Alt gegen Jung ausgespielt wird?
Das konterkariert geradezu Ihre Maßnahmen. Da hätten
Sie sich zu Wort melden müssen.
({8})
Mich beunruhigt auch, daß Sie in der Familienpolitik
langsam einen Grundkonsens der Wertorientierung verlassen.
({9})
Die Familie als Keimzelle der Gesellschaft ist und bleibt
unser wesentliches Fundament.
({10})
Die CDU/CSU ist und bleibt der Anwalt der Familien
und der Kinder. Das werden die Leute auch sehr schnell
merken.
({11})
Ehe und Familie sind auch in Zeiten sich wandelnder gesellschaftlicher Bedingungen die Lebensformen
der Zukunft. Wir wenden uns auch gegen eine Gleichstellung nichtehelicher und gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, wie es Art. 6 des Grundgesetzes
entspricht. Über das Thema Diskriminierungen kann
man diskutieren. Aber das darf nicht in wertneutralen
Beliebigkeiten enden, wie diese Diskussion bei Ihnen
geführt wird. Die Familie vermittelt wichtige Werte, die
Ihnen vielleicht unbekannt sind, die aber für die Gemeinschaft immens wichtig sind. Daran kratzen Sie.
({12})
Was Sie wirklich machen sollten: Sie sollten Netzwerke, Bündnisse für Familien initiieren, und zwar auf
allen Ebenen, von den Kommunen über die Länder bis
zum Bund.
({13})
Sie sollten eine nachhaltige Familienpolitik machen.
Aber die machen Sie nicht.
({14})
Die familienpolitischen Leitlinien müssen kontinuierlich an die sich verändernden gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen angepaßt und modernisiert werden. Aufgabe und Ziel der Familienpolitik muß es weiterhin sein, die Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten
für Familien zu verbessern. Hierzu zählen für uns auch
die Bedürfnisse von Familien mit unterschiedlichen Lebensrealitäten und von Alleinerziehenden. Dazu gehört
beispielsweise auch die Schaffung eines größtmöglichen
Handlungsspielraums, damit beide Elternteile Familie
und Beruf miteinander vereinbaren können.
Gestatten Sie mir noch zwei, drei Sätze zur Jugendpolitik. Ich möchte jetzt gar nicht auf das unsägliche
Thema der Drogenpolitik eingehen; das ist beim nächsten Einzelplan anzusprechen. Aber was Sie hier mit Ihren Ansätzen zu den Fixerstuben vollführen, ist keine
Jugendpolitik. Wir brauchen im Ausschuß gar nicht
mehr über Prävention zu sprechen, wenn aus dem Gesundheitsministerium diese Ansätze kommen.
({15})
Kollege Simmert, Sie waren doch bei dem Gespräch
mit dem Jugendverband unlängst dabei. Da wurde doch
deutlich: Den Jugendverbänden fehlt die Linie in der Jugendpolitik. Sie haben Angst, daß die strukturelle Förderung zugunsten einer Projektförderung gestrichen wird.
So kann man Ehrenamt nicht fördern. Da nützen auch
keine Enquete-Kommissionen etwas. So schließt man
Jugendliche von der Partizipation an der Jugendarbeit
aus.
({16})
Auch das 100 000-Job-Programm - ich kann Ihnen
das nicht ersparen - ist eine kurzfristige Maßnahme. Ich
freue mich natürlich über jeden, der einen Arbeits- oder
Ausbildungsplatz hat. Hierbei handelt es sich aber um
eine kurzfristige Überbrückungsmaßnahme, die die
strukturellen Bedingungen nicht ändert. Machen Sie
endlich eine vernünftige Wirtschaftspolitik! Sorgen Sie
dafür, daß die Konjunktur funktioniert, und machen Sie
vor allen Dingen in den von Rotgrün regierten Ländern
eine vernünftige Bildungspolitik! Dann würden wir dieses Problem sehr schnell und viel besser in den Griff bekommen.
({17})
Einige Zahlen, die der Präsident des Zentralverbandes
des Deutschen Handwerks, Dieter Philipp, Anfang dieser Woche vorgelegt hat, unterstreichen diese Einschätzung: Von den 52 900 Jugendlichen, die eine Ausbildungsmaßnahme beendet haben, seien, so Philipp, wieder 15 600 arbeitslos; von rund 14 000 Teilnehmern
wisse man nicht, wo sie abgeblieben seien. Nur 8 500
junge Leute hätten laut Aussagen des ZDH-Präsidenten
tatsächlich einen Arbeitsplatz bekommen, lediglich
1 700 hätten einen betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden, 7 500 Jugendliche hätten die Ausbildung schon
wieder abgebrochen, während 55 000 Angefragte gar
nicht erst angetreten seien.
Kollege Holetschek,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn?
Nein. Ich komme
sofort zum Ende.
({0})
Meine Damen und Herren, all dies zeigt, daß dieses
Programm keine nachhaltige Wirkung besitzt und Sie
auch hier nur an der Oberfläche kratzen und nicht wirklich Substanz in Ihre Politik bringen.
({1})
Wenn Sie, Frau Ministerin, wirklich ein Gesamtkonzept mit schlüssigen Ansätzen vorlegen, das sich am
Wohl der Familien orientiert, dann werden Sie in uns
konstruktive Ansprechpartner finden. Solange hier aber
nur Stückwerk vorgeführt wird, werden wir Ihnen aufzeigen, wie richtige Familienpolitik gemacht werden
muß.
({2})
Die CDU/CSU wird dafür sorgen, daß die Familienpolitik wieder in den Mittelpunkt der Politik rückt.
({3})
Dort gehört sie nämlich hin.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort zu einer
Kurzintervention hat Kollegin Christa Nickels.
Herzlichen Dank, Herr Präsident, für die Erteilung des
Wortes zu einer Kurzintervention.
Herr Kollege Holetschek, es ist natürlich richtig, daß
dieses Parlament der Ort ist, an dem man um das Beste
in der Familien-, Jugend- und Drogenpolitik - auch das
haben Sie ja angesprochen - streitet. Ich möchte aber
bemerken, daß Maulheldentum nicht den Streit in der
Sache ersetzt.
({0})
Außerdem möchte ich anmerken, daß ein Mitglied
einer früheren Regierungskoalition, die es neun Jahre
nicht geschafft hat, ein Verfassungsgerichtsurteil zur
Gleichstellung der Familien umzusetzen,
({1})
kein Recht hat, eine Regierung, die seit zehn Monaten
an der Macht ist und eine ganze Menge von dem, was
das Verfassungsgericht Ihnen damals auferlegt hat, umgesetzt hat,
({2})
zu kritisieren, und sich besser in Bescheidenheit üben
und konstruktive Vorschläge machen sollte.
({3})
Auch zu Ihrem kurzen Schwenk auf die Drogenpolitik möchte ich eine Anmerkung machen: Wenn eine
vernünftige Drogen- und Suchtpolitik gemacht und
jungen Leuten die Informationen und das Rüstzeug gegeben werden soll, um nicht in die Sucht abzugleiten,
dann hilft es nicht, daß man den moralischen Zeigefinger so hoch reckt, daß er fast von der Hand abfällt. Es
hilft auch nicht, Worte und Thesen zu benutzen, die bei
jungen Leuten nicht ankommen. Auch Kampagnen, die
zwar 70 Prozent der Bevölkerung kennen, aber bei jungen Leuten dazu führen, daß sie sich T-Shirts anziehen,
auf denen „Keine Macht den Doofen!“ steht, helfen wenig. Das zeigt nämlich, daß die Botschaft überhaupt
nicht ankommt.
({4})
Man muß sich in der Drogenpolitik stocknüchtern
darum bemühen, die Sprache der jungen Leute zu sprechen und dort zu sein, wo sie sind, um mit den Informationen auch wirklich überzukommen. Dazu haben wir in
den letzten zehn Monaten schon eine ganze Menge vorzuweisen. Ich bin froh, daß das fraktionsübergreifend
auch mit denjenigen, die in der Praxis und vor Ort in den
Kommunen arbeiten, gut geschieht.
({5})
Kollege Holetschek,
Sie haben Gelegenheit zu antworten.
Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, ich denke, daß der Begriff Maulheldentum in unserem Parlament nicht angebracht ist.
({0})
Wir sollten durchaus sachlich streiten. Die Leute verstehen es zwar auch, wenn man sich emotinonal darüber
auseinandersetzt, aber in der parlamentarischen Praxis
sollten wir doch bei den richtigen Begriffen bleiben.
Persönlich habe ich Sie auch gar nicht angesprochen.
Der Kinderfreibetrag wurde übrigens von der SPD
abgeschafft.
In der Drogenpolitik haben Sie, sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, einen fatalen Weg eingeschlagen. Ich
bin wirklich gerne bereit, mich sachlich mit diesem
Thema auseinanderzusetzen. Aber die Errichtung von
Fixerstuben und die Freigabe von Heroin setzen die
Hemmschwellen herab. Wir werden Probleme bekommen. So macht man keine richtige und sinnvolle Drogenbekämpfungspolitik. Wir sollten uns viel stärker des
präventiven Bereichs annehmen.
Ich bin gerne bereit, diese Diskussion sachlich fortzuführen, aber natürlich nur, wenn Sie nicht solche Worte
wählen, wie Sie es in Ihrem Eingangssatz getan haben.
({1})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dieter Dzewas, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Opposition tut gut, Herr Haupt und Frau Rönsch.
({0})
Ich habe den Eindruck, daß Ihr Engagement für Sozialhilfe und Wohlfahrtsverbände ausgesprochen gut ist.
Ich hätte mir das allerdings auch unter Ihrer Regierungsverantwortung gewünscht. Angesichts dieses neuen sozialen Engagements sollte man Ihnen noch lange
Oppositionszeiten wünschen.
({1})
Tatsache ist, daß Kinder- und Jugendpolitik unter Ihrer Regierungsverantwortung kontinuierlich vernachlässigt worden ist.
({2})
Die Versäumnisse sind so gravierend, daß viele Strukturen reformbedürftig sind. Herr Holetschek, auch wenn
Ihnen das Thema mit der Erblast nicht paßt, kann ich es
Ihnen nicht ersparen: 1,5 Billionen DM Bundesschuld
und 82 Milliarden DM für Zinsen allein in diesem Jahr
({3})
versetzen Kinder und Jugendliche in eine unglückliche
Ausgangsposition; denn sie müssen diese Schulden bezahlen.
({4})
Wir wollen, daß die 25 Millionen jungen Menschen
unter 25 Jahren, die in Deutschland leben, wieder Licht
am Ende des Tunnels sehen und daß wir Ihnen sagen
können: Ihr müßt nicht euer ganzes Arbeitsleben lang
die Schulden der Vorgängergeneration abtragen. Das
Umsteuern ist an dieser Stelle unbedingt erforderlich.
({5})
Bereits im Haushalt für das Jahr 1999 haben wir die
Ausgaben für den Kinder- und Jugendplan um 20
Millionen DM erhöht. Er bleibt trotz der notwendigen
Konsolidierungsmaßnahmen für das Zukunftsprogramm
2000 auch in diesem Jahr auf diesem hohen Niveau.
Präventive Angebote in der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit werden flankierend zur elterlichen Erziehungsverantwortung eingesetzt, um jungen Menschen
das Hineinwachsen in unsere Gesellschaft zu erleichtern.
Meine Damen und Herren von der ehemaligen Regierungsbank, als Folge Ihrer langjährig versäumten Sozialund Arbeitsmarktpolitik und auch auf Grund falscher
Prioritätensetzung im Bundeshaushalt gibt es in vielen
Städten und Gemeinden unseres Landes Wohngebiete,
in denen sich Kinder und Jugendliche massiv mit sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel,
Drogen und ähnlichem auseinandersetzen müssen. Wer
hier groß wird, hat andere Probleme als die in den besseren Vierteln.
({6})
Um diesen jungen Menschen gezielt Chancen zu ermöglichen, haben wir die Mittel für das Programm
„Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen
Brennpunkten“ bereits um weitere 5 Millionen DM erhöht und es mit einem Gesamtvolumen von 15 Millionen DM ausgestattet. Übrigens werden auch junge Migranten mit in dieses Programm einbezogen. Bei ihnen
kommt häufig das Problem fehlender deutscher Sprachkenntnisse und das Vorhandensein einer anderen Kultur
hinzu. Wir planen die Einrichtung interkultureller Netzwerke.
Ich möchte einen besonderen Appell an die Damen
und Herren von der CDU/CSU richten, die im Frühjahr
dieses Jahres so fleißig Unterschriften für die Integration
ausländischer Mitbürger gesammelt haben. Helfen Sie
an dieser Stelle mit, das mit Inhalt zu füllen.
({7})
Benachteiligte Jugendliche und die, die bisher noch
keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, sind tatsächlich auf zusätzliche Programme angewiesen. Schon die
Begriffe „Parken“ und „Beruhigung“ machen aus meiner Sicht deutlich, mit welcher unglaublichen Ignoranz
und Arroganz Sie an dieses Thema herangehen, meine
Damen und Herren von der CDU/CSU.
({8})
Wer vor Ort mit den Praktikern der Arbeitsverwaltung
spricht - bei mir wird übrigens auch mit der Kreishandwerkerschaft kooperiert -,
({9})
stellt fest, daß es dort hervorragende Ergebnisse gibt,
Frau Lenke. Deshalb wird dieses Programm fortgeführt.
({10})
Herr Dörflinger, zur Identität von Antragstellern und
zu den realen Zahlen beim Zuzug von Aussiedlern hat
Herr Simmert schon das ein oder andere gesagt. Ich gehe davon aus, daß sowohl die Qualität als auch die Kontinuität der Arbeit im Bereich des Garantiefonds gewährleistet ist. Im übrigen sollten Sie sich einmal bei Ihren Kollegen erkundigen, wie Kürzungen beim Garantiefonds in der Vergangenheit gehandhabt worden sind.
({11})
Jugend ist im Zuge des demographischen Wandels sicherlich nicht mehr in dem Umfang gefragt. Wir glauben aber, daß Jugend Chancen haben muß. Deshalb
brauchen wir eine starke Lobby für Jugendliche, und
zwar gerade für diejenigen, die sozial und wirtschaftlich
benachteiligt sind. Diesen Anforderungen wird der
Richtungswechsel in unserer Kinder- und Jugendpolitik
gerecht.
Denken Sie an das Jahr zuvor, als der Zehnte Kinder- und Jugendbericht eine vernichtende Bilanz über
16 Jahre konservativ-liberaler Regierungspolitik gezogen hat.
({12})
Der Bericht hat uns wichtige Einblicke in die Lebenswirklichkeit der Kinder in unserem Lande gegeben. In
seinen Verbesserungsvorschlägen hat er verdeutlicht,
wie wichtig die Zusammenarbeit von Bund, Ländern
und Gemeinden in dieser Frage ist. Wir stellen uns mit
dem vorliegenden Haushalt der Verantwortung des
Bundes für diesen Bereich.
({13})
Lassen Sie mich jetzt zum Zivildienst kommen. Die
Einsparungen, die wir dort vorgesehen haben, sind notwendig. Sie sind auch strukturell verträglich. Die zusätzliche Beteiligung der Träger sowohl an den Soldund Fahrtkosten als auch an den Entlassungskosten halte
ich deshalb für vertretbar, weil Träger dadurch, daß sie
Zivildienstleistende einsetzen können, durchaus wirtschaftlich arbeiten. Auch die Senkung der Erstattungspauschale im Rahmen der Rentenversicherung ist verträglich, da sie analog zur Höhe des Einkommens von
Wehrpflichtigen und analog zur Höhe des Realeinkommens vergleichbarer junger Menschen erfolgt.
Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Punkte eingehen,
die in der vergangenen Zeit immer wieder zu erheblichen öffentlichen Diskussionen geführt haben. Da geht
es zum einen um die Verkürzung der Dauer des Zivildienstes - sie soll ab 1. Juli nächsten Jahres von 13 auf
11 Monate verkürzt werden - und zum anderen um die
Verringerung der Zahl der Zivildienstplätze. Die zeitliche Angleichung der Dauer von Wehr- und Zivildienst
ist ein längst überfälliger Beitrag zur Gleichbehandlung
beider Dienste.
({14})
Kollege Dzewas, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert,
PDS-Fraktion?
Auf das, was Sie, so glaube
ich, fragen wollen, werde ich gleich noch eingehen. Insofern sollten Sie mir gestatten, daß ich jetzt keine Zwischenfrage von Ihnen zulasse. Außerdem ist dies meine
erste Rede im Bundestag. Da habe ich das Privileg, Zwischenfragen nicht zuzulassen.
({0})
Es geht übrigens in keinster Weise um einen Anschlag auf die Wehrpflicht. Damit würde das Pferd von
einer völlig anderen Seite aufgezogen. Der Zivildienst
entwickelte sich aus der Wehrpflicht - und nicht umgekehrt. Insofern ist es völlig aberwitzig, zu behaupten,
man wolle über den Zivildienst eine Entscheidung über
die Struktur der Wehrpflicht herbeiführen, Herr Fischer.
Bei der vorgesehenen Gleichbehandlung der beiden
Dienste geht es in erster Linie um das soziale Engagement von Zivildienstleistenden in Pflege- und Betreuungsdiensten. Sie wissen, wie psychisch und physisch
belastend gerade der Dienst in der individuellen
Schwerstbehindertenbetreuung ist. Dieser Dienst hat erheblich zum Imagegewinn von Zivildienstleistenden
beigetragen.
Die Sorgen um die Verringerung der Zahl der Dienstplätze, die in der Vergangenheit gerade von Ihnen aus
der CDU/CSU auf aus meiner Sicht unverantwortliche
Weise geschürt worden sind, sind völlig unbegründet.
Zivildienststellen werden doch nicht im Bereich der
Pflege- und Betreuungsdienste eingespart, sondern dort
konzentriert. Gestrichen wird im handwerklichen, kaufmännischen und Verwaltungsbereich. Es geschieht das
genaue Gegenteil von dem, was Sie behaupten.
({1})
Jetzt möchte ich doch einmal an ein paar Zahlen aus
dem Jahre 1990 erinnern, in dem ja offensichtlich andere
Regierungsverhältnisse geherrscht haben. Da wurde die
Dauer des Zivildienstes von 20 Monaten auf 15 Monate
verkürzt. Zwischen Ankündigung und Vollzug dieser
Maßnahme lagen gerade einmal drei Monate. Die Zahl
der Stellen wurde unter Ihrer Regierungsverantwortung
von 96 000 auf 75 000 reduziert. Von irgendwelchen
Notständen in den Pflegediensten zur damaligen Zeit ist
nichts bekannt. Auch von einer zivildienstbedingten sozialen Verelendung ist nichts bekannt. Die Doppelzüngigkeit Ihrer Argumentation wird an dieser Stelle besonders deutlich.
({2})
Durch das Streichen der Maßnahmen im handwerklichen, kaufmännischen und verwaltungstechnischen Bereich wird deutlich, daß die Kürzungen nicht zu Lasten
der Hilfebedürftigen in unserer Gesellschaft gehen, auch
wenn das von Ihnen, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, immer wieder behauptet wird. Das ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, daß die ständige Wiederholung von Behauptungen deren Wahrheitsgehalt in
keiner Weise erhöht.
({3})
Mit dem Abbau der Zahl der Dienststellen in diesem
Bereich rücken wir übrigens wieder viel näher an die
Einhaltung des Zivildienstgesetzes. In § 4 Abs. 1 wird
ganz deutlich von einer Konzentration des Zivildienstes
auf den sozialen Bereich und auf den Dienst im Umweltschutz gesprochen.
Ich möchte zum Schluß auf diejenigen Dinge eingehen, die uns - auch aus der Sicht des Ministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend - besonders
wichtig erscheinen. Der Beitrag, den wir zur Konsolidierung des Haushalts 2000 leisten, ist dringend erforderlich, damit die Erblast für die junge Generation abgebaut
wird und neue Zukunftsperspektiven eröffnet werden
können. - Herr Holetschek, hören Sie bitte genau zu. Junge Menschen, die zukünftig Steuerzahler werden,
haben das gleiche Recht wie die Generationen zuvor,
daß ihre Steuern in erster Linie für ihre Zukunft, für ihre
Perspektiven, für Infrastruktur und für Dienstleistungen
ausgegeben werden, und nicht in erster Linie zum Abtragen von Lasten aus der Vergangenheit. Es muß
Schluß sein mit Hypotheken auf die Zukunft. Es muß
Schluß sein mit Wechseln, die die nächste Generation
und die Enkel bezahlen müssen.
({4})
Ein weiterer Punkt: Wir leisten den längst überfälligen gerechten Familienlastenausgleich - übrigens ohne
Pump à la Waigel. Wir tun das solide finanziert. Wenn
bei Ihnen alles in Ordnung gewesen wäre, dann müßten
wir uns jetzt nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts beschäftigen.
({5})
Das sind lange vernachlässigte Pflichten, die Sie nicht
erfüllt haben, meine Damen und Herren von der Opposition. Ich denke, Sie sollten jetzt mitwirken, daß wir
gemeinsam vorankommen, um die Erblast abzubauen
und Familienleistungsausgleich solide und anständig
finanzieren zu können.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Lieber Kollege
Dzewas, Sie haben es ja schon verraten: Dies war Ihre
erste Rede. Unsere herzliche Gratulation.
({0})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Manfred
Kolbe, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin Bergmann! - Ich begrüße
Sie noch einmal ausdrücklich als Bundesministerin, damit auch die Kolleginnen der SPD merken, daß Sie im
Amt sind; es hat sich ja offenbar noch nicht überall
herumgesprochen. Teilweise haben Sie Frau Rönsch
noch als Ministerin bezeichnet. Das wundert aber auch
nicht; denn damals ist in der Familienpolitik etwas passiert, was man jetzt nicht mehr unbedingt sagen kann.
({0})
Frau Ministerin, auch Sie waren sich nicht zu schade,
wieder von Kohls Erblastschuld zu reden, angeblich 1,5
Billionen DM. Frau Bergmann, wir kommen beide aus
Sachsen und wissen doch, wofür rund ein Drittel dieses
Geldes seit 1990 eingesetzt worden ist, nämlich weil 40
Jahre lang Dinge versäumt worden sind. Sachsen war
einmal das reichste Land Deutschlands. Das war es 1990
nicht mehr, weil die SED 40 Jahre lang das Land heruntergewirtschaftet hat.
Wir tun uns als demokratische Parteien doch allen
keinen Gefallen, wenn wir die Dinge vermengen.
({1})
Wir sind ganz klar der Auffassung, daß es sich um gesamtdeutsche Schulden handelt, die von allen Deutschen
zu tragen sind. Es war doch eine vernünftige Lösung,
diese Schulden im Erblastungstilgenfonds gesondert zu
verankern, damit die Verantwortung der Genossen auf
der linken Seite klar dargestellt ist.
({2})
Daran müssen wir doch alle als demokratische Parteien ein Interesse haben, Herr Diller. Überlegen Sie sich
einmal, ob Sie sich mit dieser angeblichen Kohlschen
Erblast von 1,5 Billionen selber einen Gefallen getan
haben.
Herr Diller - wenn ich Sie kurz in Ihrer Lektüre unterbrechen darf -, Ihr Erblastgerede ist besonders ärgerlich mit Blick auf die ständigen Erhöhungsanträge der
SPD im Haushaltsausschuß zum Einzelplan 17, Familie
und Senioren. Sie waren vier Jahre lang Arbeitsgruppenleiter dort. Sie haben diese Erhöhungsanträge zu verantworten. Einen ganzen Packen Anträge - ein Pfund
schwer - haben Sie in den letzten vier Jahren im Ausschuß allein zu diesem Einzelplan gestellt. Wenn wir
allen Ihren Erhöhungsanträgen gefolgt wären, hätten wir
jetzt eine Erblast von 100 Milliarden DM seit 1990 mehr
im Bundeshaushalt. Das wäre eine wirkliche Erblast,
aber nicht das, was Sie als solche bezeichnen.
({3})
Zugeben muß man allerdings, daß das Familienministerium von diesem Sparpaket besonders getroffen
ist. Warum? Sie haben einen Etat von 11,8 Milliarden DM. Davon haben Sie als festen Ausgabenblock
7,1 Milliarden DM Erziehungsgeld. Das ist eine gesetzliche Leistung, die Sie nicht verändern können. Sie müssen also auf die restliche Etatsumme von 4,7 Milliarden
DM den gesamten Sparbeitrag in Höhe von 7,4 Prozent
erbringen. Sie müssen also den dreifachen Sparbeitrag
erbringen wie andere Ressorts, die nicht diese festen
Ausgabenblöcke haben.
Was zeigt das? Das Familienministerium hat keine
Lobby. Sie werden überobligationsmäßig herangezogen.
Frau Rönsch hat das schön formuliert: Unterabteilung
des Finanzministeriums. Das ist leider so. Das bedauern
wir, Frau Bergmann.
Deshalb sind Sie zu teilweise abenteuerlichen Einsparungen gezwungen, etwa beim Unterhaltsvorschuß:
242 Millionen DM. Da sparen Sie angeblich ein, indem
Sie Ausgaben auf Dritte verlagern. Ich darf Ihnen einmal
bildlich darstellen, was Sie da machen. Wenn meine
Bank zu mir kommt und sagt: Herr Kolbe, Sie geben
monatlich zu viel Geld aus, Sie müssen einmal sparen,
dann sage ich: Schauen wir einmal die Ausgabeposition durch. Meine Miete zahlt in Zukunft Frau
Christine Bergmann. Dann habe ich hier einen Ausgabeposten weniger. Genauso gehen Sie vor. Sie verlagern eine Ausgabeposition auf Dritte und nennen das
Sparen.
Dies tun Sie auch noch ohne Absprache. Man hätte
doch durchaus darüber reden können, daß es beim Unterhaltsvorschuß eine Diskrepanz gibt, daß diejenigen,
die das Geld verwalten, nicht diejenigen sind, die das
Ganze bezahlen. Das ist in der Tat eine unglückliche
Konstruktion. Sie aber haben jedes vernünftige Gespräch darüber vermieden und dies einseitig diktiert. Die
Kommunen haben davon erst aus der Zeitung erfahren;
und die werden sich wehren. Sie werden das nicht
durchbekommen. - So weit zum Haushalt.
Abschließend noch zur Familien-, Frauen- und Seniorenpolitik. Frau Bergmann, wieder nichts gehört habe
ich von Ihrem früheren Lieblingsthema „Frauen in
Führungspositionen“. Früher nahm dieser Bereich große Blöcke Ihrer Redezeit ein. Warum haben wir davon
nichts gehört? Weil wir seit dem 23. Mai dieses Jahres
eine Situation haben, die es in der Bundesrepublik
Deutschland viele Jahrzehnte nicht gegeben hat: Zum
ersten Mal haben wir in den drei obersten Staatsämtern
keine Frau, liebe Kolleginnen von der SPD. Das ist das
Ergebnis Ihrer Politik. Ich bedaure das.
Herr Kollege Kolbe,
Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.
Damit bin ich am Ende
meiner Rede:
({0})
Sie haben in der Familienpolitik unsere Unterstützung,
aber Sie müssen auch dafür kämpfen, Frau Bergmann.
Danke.
({1})
Weitere
Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen
nicht vor.
Wir kommen also zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Das Wort hat zunächst
die Frau Bundesministerin Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben seit Wochen und Monaten einen heftig und mit allen
Mitteln geführten Streit um die Gesundheitsreform. Sofern sich die jetzige Opposition noch an die Situation
erinnern kann, die wir bis vor einem Jahr hatten, weiß
sie, daß ein solcher Streit bis zu einem gewissen Grad
unvermeidlich ist. Dafür ist das Thema - ({0})
- Ich glaube, daß ist eine Frage der Technik. Es kann
nicht sein, daß ich hier brüllen muß.
({1})
Ich finde auch,
daß der Ton etwas leise ist. Ich kann dies aber leider
nicht von hier oben regeln. Ich bitte also darum, den Ton
etwas lauter zu stellen.
Ich hoffe, daß dies jemand, der dafür zuständig ist, mitbekommen hat. Ich glaube nämlich, ich halte es nicht
durch, wenn ich die ganze Zeit schreien muß. Ehrlich
gesagt, will ich das auch gar nicht; von Können soll hier
nicht die Rede sein.
({0})
Noch einmal zur Kritik an der Gesundheitsreform:
Ich will hier ganz deutlich zum Ausdruck bringen, daß
ich es mir nicht so einfach mache, zu sagen: Viel Feind,
viel Ehr - das allein ist schon ein Beweis für die Richtigkeit. Ich glaube aber auch nicht, daß dies ein Beweis
für die Falschheit ist. Natürlich gibt es in der Gesundheitspolitik eine bestimmte politische Folklore, daß alle
Seiten jede Form der Veränderung zunächst einmal mit
Katastrophenszenarien belegen. Es ist daher nicht ganz
einfach, Kurs zu halten.
Natürlich gibt es richtige, zutreffende Kritik, die uns
überzeugt und die mit Sicherheit dazu führen wird, daß
der Gesetzentwurf im Laufe der parlamentarischen Beratungen noch Änderungen erfährt. Manche Kritik entspringt einer Verunsicherung, die eine lange Geschichte
hat, auch der Verunsicherung auf Grund der Art und
Weise, wie in den letzten Monaten über die Gesundheitsreform gesprochen wurde, wobei nicht alles, was
gesagt wurde, der Wahrheit entsprach - um es einmal
sehr vorsichtig auszudrücken. Wir werden uns bemühen,
diejenigen, die verunsichert sind, durch Werben, Überzeugen und die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen,
für diese Reform zu gewinnen.
Es gibt aber auch Kritik, die der ungebremsten Vertretung von Eigeninteressen entspringt. Hier geht es um
die Eigeninteressen einzelner Gruppen. Es ist wirklich
auffällig, daß die Kritik seitens der Patienten und Versicherten nicht annähernd mit dem mithalten kann, was
die Leistungserbringer machen. Sie sind nämlich diejenigen, die die Reform heftig kritisieren. Es ist legitim,
daß jeder seine Interessen vertritt und versucht, sie
durchzusetzen. Ich meine aber, daß die Aufgabe der Gesundheitspolitik sowohl von mir als Ministerin als auch
vom gesetzgebenden Parlament darin besteht, eine Vermittlung zwischen den verschiedenen Positionen herbeizuführen.
An diesem Punkt macht es sich die Opposition wirklich zu leicht, indem sie sich bruchlos auf die Seite der
Leistungserbringer schlägt, jede ihrer Forderungen mitträgt und sich nicht die Frage stellt, wie das mit anderen
Positionen zu vereinbaren ist.
({1})
So einfach kann man es sich nicht machen.
Im Zentrum der Auseinandersetzung, in der wir uns
zur Zeit befinden, steht der Begriff des Globalbudgets,
der zugegebenermaßen nicht das ist, was man ein warmes Wort nennt. Trotzdem möchte ich das Ganze gern
auseinandernehmen, um zu prüfen, ob die Aufregung,
die darum entfaltet wird, wirklich berechtigt ist.
Es geht doch darum, daß wir eine gesellschaftliche
Verabredung treffen, die besagt, wieviel Geld wir für eine kollektive solidarische Gesundheitsversorgung aufwenden wollen. Wenn ich mich bei all dem, was ich in
Gesprächen sowohl in Familie und im Freundeskreis als
auch mit Bürgerinnen und Bürgern, mit denen ich auf
politischen Veranstaltungen geredet habe, erfahren habe,
nicht völlig täusche, dann ist es so, daß die Menschen
bei uns den Eindruck haben, ihre Belastungen mit Sozialversicherungsbeiträgen sei an einer kritischen Schallmauer angekommen, die sie nicht überschreiten wollen.
Daß dies die Leute umtreibt, sieht man, nebenbei bemerkt, daran, daß sich gerade die jüngeren Versicherten
sehr stark dafür interessieren, wie sie durch einen Kassenwechsel weniger Beiträge bezahlen können. Das
heißt, dieser Bereich übt erheblichen Druck auf die Gesundheitspolitik aus. Deswegen meine ich: Wer die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung sichern
will, wer sichern will, daß die Menschen auch auf Dauer
zustimmen, die großen Risiken solidarisch abzusichern,
darf sie gleichzeitig nicht mit zu hohen Beitragssätzen
überfordern. Deswegen bekenne ich mich dazu, daß diese Gesundheitsreform mit dem Ziel gemacht wird, die
Beitragsstabilität dauerhaft zu sichern.
({2})
Wir sagen: Wenn man die Ausgaben im Gesundheitswesen so steigen läßt, wie die Löhne steigen, dann
hat man das Ziel erreicht, sie an eine formale Größe anzubinden. Das ist genau das, was in der Kritik steht, die
besagt, das sei zu wenig, das würde angesichts des medizinischen Fortschritts und des demographischen Wandels nicht ausreichen. Ich bekenne mich dazu, daß das
eine politische Verabredung ist. Die Sicherung der Beitragsstabilität ist eine politische Entscheidung und dementsprechend wäre die Anbindung an die Lohnentwicklung ebenfalls eine politische Entscheidung.
Die Gegner der Reform sagen aber, der medizinische
Fortschritt sei zwangsläufig so teuer, daß er mit dem
Anstieg der Löhne nicht aufgefangen werden könnte.
Die Gegner sagen, daß die Kosten zwangsläufig stärker
steigen. Sie müssen sich dann aber auch fragen lassen:
Woher nehmen Sie diese Behauptung? Woher wissen
Sie, daß das so ist? Woher wissen Sie, daß medizinischer Fortschritt, wenn wir nicht immer nur Neues
draufsatteln, sondern etwas anderes dadurch ersetzen,
zwangsläufig zu exponentiellen Ausgabensteigerungen
führt? Ich finde auch, daß sich diejenigen, die das kritisieren, die Frage gefallen lassen müssen, ob sie wirklich
davon überzeugt sind, daß in unserem Gesundheitswesen nur das Notwendige getan wird.
({3})
Mich macht es sehr wütend, wenn in der Öffentlichkeit zum Teil in einer Art und Weise über die Reform
geredet wird, als würde jetzt eine Katastrophe drohen.
Wir haben ein sehr hohes Niveau der gesundheitlichen
Versorgung, wofür wir international gesehen in
Deutschland, gemessen an der Bevölkerungszahl, den
zweithöchsten Betrag ausgeben. Das heißt, wenn wir die
Ausgaben in den nächsten Jahren entsprechend der Löhne steigern, kann es nicht sein, daß wir damit in eine
Zwei-Klassen-Medizin, in eine Barfuß-Medizin oder
was auch immer zurückfallen. Das ist einfach völlig unrealistisch. Das ist etwas, was Panik verursachen soll,
aber mit der Realität nichts zu tun hat.
({4})
Ich spreche diejenigen an, die das kritisieren - mein
Vorgänger im Amt hat das gestern getan - und mit starken Worten belegen, indem sie sagen: Das langt nicht,
wir brauchen mehr Eigenverantwortung. Dann soll man
doch nicht von Eigenverantwortung reden, sondern sagen: Wir wollen mehr Geld von den Patientinnen und
Patienten. Das ist offenkundig die Lösung, die Sie dafür
vorschlagen.
({5})
Im Rahmen der Gesundheitspolitik und auch der
Gesundheitsökonomie wird schon lange darüber geredet,
ob mehr Zuzahlungen irgendeine Lenkungswirkung
haben. Das ist hier aber nicht die Frage. Fakt ist, daß
diese Politik im letzten Jahr abgewählt worden ist. Mit
dieser Realität muß man sich auseinandersetzen.
({6})
Ganz offenkundig ist die ständige Erhöhung der Zuzahlungen nicht mehrheitsfähig gewesen. Es ist schon eine
Frage des Respekts vor dieser Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger, nicht einfach zu sagen: Das kümmert
uns nicht.
({7})
Ich bekenne mich dazu - um das ganz deutlich zu sagen -, daß wir die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung beschränken müssen, daß wir sie nicht einfach steigen lassen können, Stichwort Beitragssatzstabilität. Ich bekenne mich auch dazu, daß das natürlich erfordert, daß wir das in der Gesundheitsversorgung Notwendige, Ausreichende, Zweckmäßige und Wirtschaftliche machen, wie es schon lange vorgeschrieben ist.
Ausdruck dieses Bekenntnisses und auch des unangenehmen, zu diesem Bekenntnis gehörenden Teils ist das
Aktionsprogramm zwischen Kassen und Ärzteschaft,
das wir vermittelt und gestern gemeinsam vorgestellt
haben, in dem wir noch einmal deutlich gemacht haben,
wofür die Solidargemeinschaft nicht einsteht.
Ich verlange von allen, und zwar sowohl von den
Versicherten, von den Patientinnen und Patienten, als
auch von denjenigen, die professionell im Gesundheitswesen arbeiten, daß sie anerkennen, daß ein solidarisches System Grenzen hat, daß man die Solidarität nicht
überstrapazieren darf und daß von allen die nötige
Selbstbeschränkung erforderlich ist, damit wir dieses
System nicht durch Überforderung zerstören. Dies ist
der Hintersinn unserer Reform.
Ich glaube allerdings, es würde uns allen helfen, die
Diskussionen über die Frage, was eigentlich genug
und was zuviel ist, in Zukunft etwas vernünftiger und
besonnener zu führen, wenn wir das tatsächlich machen, was jetzt schon von verschiedenen Seiten ins Gespräch gebracht wurde, nämlich den Sachverständigenrat oder gegebenenfalls ein anderes Gremium zu beauftragen.
({8})
- Wenn Sie mir sagen könnten, was zuviel ist, was Sie
brauchen und was nicht, wären Sie erstaunlich schlau.
Aber ich habe von Ihnen noch keine sachliche Äußerung
und nicht nur eine irgendwie geartete Behauptung dazu
gehört, was zuviel und was zuwenig ist und was sich ändern muß.
({9})
Das ist der Grund, warum ich glaube, daß es Sinn macht,
zu versuchen, sich des Sachverstandes zu bedienen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr.
Seifert?
Ich würde gern erst noch die Ausführungen zu diesem
Punkt zu Ende führen.
Ich glaube schon, daß es Sinn macht, darüber eine rationale Debatte zu führen. Welche Schlußfolgerungen
man dann daraus zieht, bleibt immer noch dem Parlament und der Regierung
({0})
- das ist zweifelsohne richtig - sowie dem Wähler
überlassen. Dieser hat letztes Jahr die Schlußfolgerung
aus Ihrer Politik gezogen.
({1})
Ich will noch einmal deutlich machen: Zur Zeit finden Anhörungen im Gesundheitsausschuß statt. Parallel
dazu gibt es vielfältige Gespräche seitens der Fraktionen
und auch seitens des Ministeriums zu der Frage, was
sich noch ändern muß. Wir werden nach Wegen suchen,
wie wir auf die Befürchtungen eingehen, daß die Pflege
bei den Veränderungen nicht genügend Berücksichtigung findet.
({2})
Wir werden nach Wegen suchen, wie wir den Befürchtungen der Krankenhäuser entgegenkommen, daß sie zu
stark betroffen würden, und trotzdem den notwendigen
Strukturwandel einleiten.
Wir haben mit der Ärzteschaft über ihre Befürchtungen gesprochen, daß sie den Sicherstellungsauftrag
verliert. Wir suchen dort nach einem Kompromiß, wie
man den Sicherstellungsauftrag erhält und trotzdem den
innovativen Charakter der Integrationsversorgung und
der Modellverträge nicht behindert. Bei unseren Gesprächen mit dem Datenschutzbeauftragten über die Kritik
an den Regelungen, die wir hier vorgesehen haben, sind
wir auf einem sehr guten Weg.
({3})
Meine Damen und Herren, Kompromisse gehören
zum politischen Geschäft. Wir sind dazu ausdrücklich
bereit. Das schließt alle ein: die Opposition hier im
Haus, aber selbstverständlich auch den Bundesrat. Auf
der anderen Seite muß klar sein, daß wir dabei die Linie
halten, weswegen wir diese Gesundheitsreform machen,
nämlich daß wir dem Gemeinwohl verpflichtet sind und
wir uns nicht nur auf eine Seite schlagen und nur deren
Interessen vertreten.
Diese Linie heißt: Wir wollen ein Gesundheitswesen,
das sich an den Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten orientiert und diese in den Mittelpunkt stellt.
({4})
Diese Linie heißt auch: Wir wollen ein Gesundheitswesen, in dem wirtschaftlich gearbeitet wird, in dem Unnötiges vermieden wird. Das ist übrigens auch im Interesse von Patientinnen und Patienten. Hier geht es nicht
nur um das Sparen von Geld, sondern auch darum, unnötige Eingriffe zu vermeiden. Wir haben es schließlich
immer mit der körperlichen Unversehrtheit von Menschen zu tun.
({5})
Wir wollen bei der Gesundheitsversorgung Innovationen einbringen - Innovationen, die vor allen Dingen
darauf setzen, daß alle Beteiligten mehr und intensiver
zusammenarbeiten, als das bislang der Fall war. Die
heute bestehenden Barrieren wollen wir abbauen. Und
wir wollen Gesundheitspolitik nicht nur als heilend,
sondern auch als vorbeugend begreifen. Wir buchstabieren Eigenverantwortung nicht so, daß immer höhere
Zuzahlungen nötig werden. Eigenverantwortung heißt
für uns, Verantwortung für die eigene Gesundheit und
das Leben mit einer Krankheit zu übernehmen.
({6})
Das ist der Grund, warum wir Gesundheitsförderung,
Selbsthilfe und Prävention wieder wesentlich stärker berücksichtigen wollen.
({7})
Ich appelliere deswegen an alle, keine Angstkampagne zu führen. Wir werden uns über das Ganze zu streiten haben und am Ende feststellen, daß es bei aller
Kompromißbereitschaft Differenzen gibt, die nicht zu
überwinden sind. Aber ich meine schon, daß alle so viel
Verantwortung zeigen müssen, daß die Leute nicht unnötig in Angst und Schrecken versetzt werden. Damit ist
niemandem gedient, damit vergrößert man die Probleme
nur.
Ich möchte gerne noch - in gebotener Kürze - auf einige andere Punkte eingehen. Wir haben schon letzte
Woche eine Debatte über die Pflegeversicherung geführt. Dort ist schon viel über den Zusammenhang von
Haushalt und Pflegeversicherung gesagt worden. Wir
wissen alle, daß wir in der Pflegeversicherung noch große Aufgaben vor uns haben, insbesondere was die Frage
der Abgrenzung der verschiedenen Leistungsbereiche
anbelangt.
Ich finde, Sie sollten nicht immer so tun, als hätte ich
die Pflegeversicherung geschaffen. Mit Verlaub: Im Gegensatz zu den meisten, die hier vor mir sitzen, habe ich
der Pflegeversicherung nicht zugestimmt. Aber ich werde jetzt alles dafür tun, sie weiterzuentwickeln und sie
voranzubringen.
({8})
Gerade diejenigen, die die Grundsatzentscheidungen
getroffen haben, gerade diejenigen, die für die heutige
Konstruktion waren,
({9})
sollten nicht so tun, als könnte man in diesem System
eine Wünsch-dir-was-Politik betreiben.
({10})
Sie wissen ganz genau, daß auch das jetzt anstehende
Sparpaket die eigentlichen Probleme nicht lösen kann.
Das ist eine ganz andere Dimension. Ich appelliere an
Sie, die Pflegeversicherung auch weiterhin als Ihr Kind
zu begreifen
({11})
und sich dabei mit uns zusammen darum zu bemühen,
daß die schwierigen Fragen, die noch anzugehen sind,
bewältigt werden.
Ich appelliere auch an Sie, im Bereich der Drogenpolitik nicht hinter Erkenntnissen in den eigenen Reihen
zurückzufallen. Es kann überhaupt kein Zweifel daran
bestehen, daß die Bundesregierung auf eine Politik setzt,
die dem Grundsatz folgt: Wir wollen, daß Menschen ein
Leben ohne Drogen führen. Deshalb machen wir die
Kampagne „Kinder stark machen“, deswegen werben
wir für ein drogenfreies Leben. Aber: Wer drogenabhängig ist, ist krank und bedarf unserer Hilfe. Wir suchen nach Wegen, zum Teil auch nach neuen Wegen.
Wir wissen, daß sie zum Teil durchaus erfolgversprechend sind.
Weil wir wissen, daß das heikle Fragen berührt, starten wir einen Modellversuch. Dafür gibt es, so meine
ich, gute Gründe. Wir haben gehört, daß längst auch in
Ihren Reihen ein Nachdenken darüber eingesetzt hat.
Gerade auf kommunaler Ebene erleben wir immer wieder, daß diese Art einer helfenden Drogenpolitik längst
über alle Parteigrenzen hinweg verfolgt wird, weil sie
die erfolgreichere ist. Dagegen, daß man Drogenabhängigen hilft, sollte man nicht seine grundsätzliche Linie in
der Drogenpolitik ausspielen und behaupten, das sage
etwas über die Haltung zur Drogenproblematik allgemein aus.
({12})
Ich möchte alle Beteiligten um eine konstruktive Zusammenarbeit bei der Beratung des Haushalts bitten, die
sicherlich nicht einfach werden wird, weil auch der
Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit vom
Sparpaket nicht unberührt bleibt. Ich hoffe aber, daß wir
gemeinsam zu einer guten Beratung kommen.
Ich danke Ihnen.
({13})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Manfred Kolbe.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, wir sind in der Haushaltsdebatte, aber außer in Ihrem Schlußsatz haben Sie leider nichts zum Haushalt
gesagt, obwohl das doch ganz interessant gewesen wäre.
Angeblich hat die Bundesregierung ein 30-Milliarden-DM-Sparprogramm aufgelegt. Das ist aber schlicht
und ergreifend falsch. Wahrscheinlich haben Sie deswegen nichts dazu gesagt. Wenn Sie das einmal mit dem
Haushalt 1999 vergleichen, dann können Sie feststellen,
daß wir gerade einmal 7,5 Milliarden DM einsparen.
Aber auch die sparen wir nicht wirklich ein, weil der
Vorgänger von Herrn Eichel, Oskar Lafontaine, den
Haushalt um 30 Milliarden DM erhöht hat. Eichels
„Sparhaushalt“ liegt - das müssen wir immer wieder
nach außen tragen - um 21 Milliarden DM höher als der
letzte Waigel-Haushalt. Wenn Eichel angeblich spart,
dann hat der Waigel super gespart!
({0})
Es bleibt völlig im dunkeln, was Bezugsgröße Ihrer
angeblichen Einsparungen ist. Herr Staatssekretär Diller,
vielleicht können Sie einmal nach vorne treten und das
dem Hohen Hause erklären. Wir rätseln nämlich noch,
was die Bezugsgröße für Ihr 30-Milliarden-DMEinsparvolumen ist. Der Vorjahreshaushalt kann es nicht
sein; der noch gültige Finanzplan kann es auch nicht
sein, weil wir auch insofern 12,9 Milliarden DM höherliegen. Wenn Sie dieses Rätsel heute aufklären könnten,
dann hätten Sie sich große Verdienste erworben.
Besonders schwierig ist es, die Einsparungen im Einzelplan 15 nachzuvollziehen. Schauen wir doch einmal
die Zahlen an! 1999 gab es Ausgaben von 1,607 Milliarden DM, im Jahre 2000 haben wir Ausgaben von
1,809 Milliarden DM. Alle, die in diesem Hause rechnen
können, stellen fest: Es sind 202 Millionen DM an
Mehrausgaben. Wo wird denn da eingespart? Ihr Haus
bemüht sich, das zu erklären. Angeblich lägen drei Sondersachverhalte vor: 130 Millionen DM an Nachveranschlagung für Pflegeeinrichtungen, 50 Millionen DM für
den Neubau eines Instituts in Bonn und 26 Millionen
DM für Personalausgaben. Die Sonderbelastungen sind
schon ein Ding! Wenn ich als Privatmann beschließen
würde, im kommenden Jahr jeden Monat 500 DM weniger auszugeben, dann aber zu dem Ergebnis kommen
würde, noch in den Urlaub fahren zu müssen - das
macht 1 000 DM -, ein neues Auto zu brauchen - das
sind 10 000 DM - und daß ein neues Bad auch noch angenehm wäre, diese Ausgaben entsprechend veranschlagen und dann von Einsparungen sprechen würde, die
wegen der Sonderbelastungen aber leider nicht eintreten
können, dann würden wir alle anfangen zu lachen. So
sieht es aber doch mit Ihrem Sparpaket aus: Sie sparen
gar nicht. Das ist ein großer Sparbluff, eine große Sparlegende, die Sie in die Welt setzen. Das werden wir aufzeigen.
({1})
Genauso verhält es sich mit der „Erblast“. Seit Monaten rennen Sie durch das Land und sagen, Sie hätten
1,5 Billionen DM Schulden von Helmut Kohl geerbt.
Das muß in dieser Woche jeder Minister von seinem
Sprechzettel ablesen. Obwohl ich es schon zum Familienhaushalt gesagt habe, sage ich es noch einmal - es
kann auch nicht oft genug gesagt werden -: Von diesen
1,5 Billionen DM resultiert ein knappes Drittel aus der
Folgelast der DDR. Meine Damen und Herren von der
Sozialdemokratie, für diesen Bereich haben wir doch
gemeinsam gewaltige Aufbauleistungen erbracht. Wir
alle sind sicher der Meinung, daß das gesamtdeutsche
Schulden sind, die deswegen auch von allen Deutschen
zu tragen sind. Aber es machte doch Sinn, sie gesondert
in einem Erblastentilgungsfonds zu veranschlagen, damit die Verantwortung der SED/PDS-Genossen auf der
extrem linken Seite ganz deutlich klargestellt ist. Diese
Verantwortung verwaschen Sie jetzt. Das kann nicht im
Sinne der demokratischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland liegen.
({2})
Und Herr Diller, Sie wissen es doch: Auch die gut
1 Milliarde DM, die dann noch übrigbleibt, ist im wesentlichen unter der sozialliberalen Koalition entstanden.
Dort ist mit der Verschuldung begonnen worden. Helmut Schmidt - angeblich der größte Weltökonom aller
Zeiten! - war es, der sich kreditfinanzierte Ausgabenspielräume verschafft hat. Die Regierung Helmut Kohl
hatte kaum kreditfinanzierte Ausgabenspielräume.
({3})
In der ersten Zeit der Ära Kohl, also unter Stoltenberg, lagen die neuen Kredite unter den Zinsen der
Schmidtschen Altschulden. Selbst nach der deutschen
Einheit, als wir die großen Aufbauleistungen Ost zu
vollbringen hatten, lagen die neu aufgenommenen Kredite mal knapp über, mal unter den Beträgen für die
Zinszahlungen. Der einzige in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, der sich langfristig kreditfinanzierte Ausgabespielräume verschafft hat, war Helmut Schmidt. Alle anderen haben nur mit neuen Krediten die alten Zinsen gezahlt. Sie haben dadurch natürlich
auch die Bundesschuld erhöht, aber sie haben sich kaum
neuen kreditfinanzierten Ausgabespielraum verschafft.
Es ist eine echte Legende, die Sie hier auftischen. Aber
diese Legende wird in sich zusammenbrechen; damit
kommen Sie nicht durch.
Besonders ärgerlich ist Ihre Erblastlegende auch
dann, wenn wir uns einmal anschauen, was Sie in den
vergangenen vier Jahren im Haushaltsausschuß gemacht
haben. Ich habe mir die Mühe gemacht, Ihre Anträge
zum Einzelplan 15 - Gesundheit - des Bundeshaushalts
herauszusuchen - Herr Diller, Sie waren ja Arbeitsgruppenvorsitzender -: Auch dort nur Erhöhungsanträge!
Vier Jahre lang haben Sie keinen einzigen Sparbeitrag
geliefert. Dann werfen Sie uns vor, die Ausgaben in die
Höhe getrieben zu haben. Das ist doch widersprüchlich;
das hält doch nicht.
({4})
- Es waren nur Erhöhungsanträge.
({5})
- Dann zeigen Sie mir die.
({6})
- Jäger 90: Das war Ihr Deckungsvorschlag in all den
Jahren.
({7})
Lassen Sie mich jetzt zu einzelnen Positionen des Gesundheitshaushalts kommen. Der größte Ausgabenposten sind mit 926 Millionen DM die Finanzhilfen zur Finanzierung von Investitionsmaßnahmen bei Pflegeeinrichtungen. Diese Ausgabe, die wir hier leisten, ist gut.
Wir leisten hier eine wichtige Ausgabe für den Aufbau
in den östlichen Ländern. Wer sich den Zustand der
Pflegeeinrichtungen bis 1990 vergegenwärtigt, der weiß,
daß diese Milliarden dort notwendig sind. Es ist sinnvoll
- die CDU/CSU hat das eingeleitet; Sie setzen dieses
Programm fort -,
({8})
daß wir diese Aufbauleistung vollbringen, Herr Seifert.
Sie hätten sich bis 1990 einmal darum bemühen sollen,
da etwas zu verbessern.
({9})
Sie waren ja dort 40 Jahre an der Regierung.
({10})
Ebenso erfreulich ist, daß wir jetzt endlich Mittel zur
Entschädigung der Hepatitis-C-Opfer in der ehemaligen DDR in den Bundeshaushalt einstellen. Dies begrüßen wir ausdrücklich.
Was wir aber nicht begrüßen, Frau Ministerin, sind
zahlreiche Kürzungen bei allgemeinen Bewilligungen.
({11})
Sie stocken teilweise auf, wo der Bereich Ihres Ministeriums betroffen ist. Ich nenne etwa den Erwerb von
Fahrzeugen. Dieser Titel steigt um fast das Doppelte.
Sie kürzen aber bei den Programmen: Zuschüsse zur
Einrichtung, Erweiterung, Ausstattung und Modernisierung von Pflegeeinrichtungen: von 68 Millionen DM auf
55 Millionen DM; Zuschuß zu den Kosten für Erhebungen auf dem Gebiet der Krebskrankheiten: von 3,3 Millionen auf 2,8 Millionen DM; Aufklärungsmaßnahmen
gegen den Drogenmißbrauch: um 1 Million DM gekürzt;
Forschungseinrichtungen und Aufklärungsmaßnahmen
im Bereich von Aids.
Ich erinnere mich an viele in der letzten Legislaturperiode vehement vorgetragene Anträge zur Aidsaufklärung. Sie Frau Ministerin, haben vor kurzem auf dem
Rathausvorplatz in Wuppertal-Barmen die Wanderausstellung „Liebesleben“ zur Aidsprävention eröffnet und
dort verkündet: Aids ist nach wie vor eine große Herausforderung; die Aidsbekämpfung liegt mir am Herzen. Frau Ministerin, leider findet sich das nicht im Haushalt
wieder. Der Haushalt ist doch angeblich in Zahlen gegossene Politik. Ich halte fest: Die Aidsansätze gehen
zurück. Dies ist bedauerlich. Wir werden versuchen, hier
im Haushaltsausschuß noch nachzubessern.
Lassen Sie mich abschließend noch einen Satz zur
Gesundheitspolitik sagen. Die Redner, die mir folgen
werden, werden dazu wesentlich vertiefter sprechen
können. Ich will nur folgendes sagen: Was wir ablehnen,
ist der Systemwechsel von der eigenverantwortlichen
Medizin zur Einheits- und Staatsmedizin. Den vollziehen Sie mit dem Globalbudget.
({12})
Ich darf hier einen bildlichen Vergleich anführen, den
ich jüngst gelesen habe: Es drängt sich der Vergleich mit
der Feuerwehr auf. Die Kassenärzte sind dazu verdammt, alle Krankheiten zu heilen - so wie die Feuerwehren alle Brände löschen sollen. Den Feuerwehren
steht dafür jedoch nur ein festes Budget für das Löschwasser zur Verfügung. Natürlich können sie alles tun,
um möglichst sorgsam damit umzugehen. Aber sie haben Einfluß weder auf die Zahl der Brände noch auf die
Schwere der Brände, noch auf den Preis des Löschwassers. So sieht die Gesundheitspolitik aus, die Sie betreiben, und sie wird unser medizinisches System gefährden. Deshalb hoffe ich, daß Sie in diesem Bereich zu einer Umkehr kommen.
Abschließend wünsche ich uns, daß wir zu einer
sachlichen Beratung im Haushaltsausschuß kommen und
daß wir in dem einen oder anderen Punkt Veränderungen erreichen.
({13})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Abgeordneten Diller
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da ich mehrfach angesprochen worden bin, möchte ich darauf eingehen.
Der Vorredner hat in der Zeit seiner Zugehörigkeit
zum Deutschen Bundestag dafür gesorgt, daß die Schulden, die aus der Ära Helmut Schmidt übernommen werden mußten, in den ersten acht Jahren Ihrer Regierungszeit verdoppelt wurden. Diese Schulden wurden in den
zweiten acht Jahren Ihrer Regierungszeit noch einmal
verdoppelt. In Ihrer gesamten Regierungszeit haben sich
also die Schulden des Bundes vervierfacht. Sie sind die
größten Schuldenmacher aller Zeiten!
({0})
Diese Debatte wird von der Opposition mit einem unauflösbaren Widerspruch gestaltet. Zum einen sagte
auch der Kollege Kolbe, es werde überhaupt nicht gespart. Zum anderen wird aber bei allen Einzelplänen gesagt, daß da nicht gespart werden dürfe. Was sollen wir
nach Ihrer Meinung also tun?
({1})
Es kann nur ein Vorwurf zutreffen: Entweder wird überhaupt nicht oder aber an den falschen Stellen gespart.
Wir haben von Ihnen jedenfalls überhaupt nichts darüber
von Ihnen gehört, wo denn alternativ gespart werden
soll. Ihre Anträge beziehen sich auf Mehrausgaben und
nicht auf Einsparungen.
({2})
Für einen Haushälter - Herr Kollege Kolbe ist ein
Haushälter - ist der vorgebrachte Vorwurf eine Schande,
weil er damit zeigt, daß er entweder die Situation nicht
begreift oder daß man ihm unterstellen muß, daß er bewußt die Unwahrheit sagt. Herr Kolbe hat behauptet,
daß wir die 30 Milliarden DM, die der Haushalt 1999
gegenüber dem Haushalt 1998 aufwächst, jetzt mit unserem Sparpaket sozusagen einsammeln würden. Dies
ist absolut falsch. Es sind beim Ist/Soll-Vergleich nur
28,5 Milliarden DM, die der Haushalt 1999 gegenüber
dem Haushalt 1998 aufwächst.
Der Haushalt 1999 wächst deshalb auf, weil in ihm
erstmals die Einnahmen und Ausgaben für die Postunterstützungskassen in Höhe von 8 Milliarden DM enthalten sind und nicht mehr als Sonderposten geführt
werden. Er wächst um weitere 15 Milliarden DM auf,
weil für 12 Monate, und nicht wie im Vorjahr nur für
neun Monate, Ihre Mehrwertsteuererhöhung zur
Dämpfung des Anstieges des Beitragssatzes in der Rentenversicherung etatisiert werden mußte und weil die
Einnahmen und die Ausgaben der Ökosteuer zugunsten
der Beitragssatzsenkung in der Rentenversicherung etatisiert werden mußten.
({3})
23 Milliarden DM der 28 Milliarden DM erklären sich
auf diese Weise.
({4})
Auf Ihre Frage, was wir eigentlich sparen, will ich
Ihnen antworten: Wir haben die Waigelsche Finanzplanung zugrunde gelegt und festgestellt, daß in ihr für das
Jahr 2000, über das wir jetzt reden, 20 Milliarden DM
nicht veranschlagt sind, die eigentlich hätten veranschlagt werden müssen.
({5})
Wir haben außerdem noch Mittel in Höhe von 5 Milliarden DM für Maßnahmen vorgesehen, die dem politischen Willen der neuen Regierung entsprechen. Nur
weil Sie im Rahmen der Waigelschen Finanzplanung
weit über 50 Milliarden DM neue Schulden machen
wollten, sind wir bei 80 Milliarden DM Schulden angelangt. Weil wir aber weniger als 50 Milliarden DM
Schulden machen wollen, müssen wir 30 Milliarden DM
einsammeln.
Herr Kollege
Diller, eine Kurzintervention dauert nur drei Minuten.
Sie sprechen nicht als Mitglied der Bundesregierung.
({0})
Ich bedanke mich für den Hinweis, Frau Präsidentin. Darf ich eine letzte Bemerkung
machen?
({0})
Bitte.
1996 haben Sie auf verfassungswidrige Weise 78 Milliarden DM Schulden in einem
einzigen Haushaltsjahr gemacht. 1997 mußten Sie den
Deutschen Bundestag bitten, die von der Verfassung
vorgegebene Grenze für die Neuverschuldung überschreiten zu können.
({0})
1998 haben Sie 20 Milliarden DM aus dem Verkaufserlös der Telekom-Aktien, die für die Finanzierung der
Postunterstützungkassen vorgesehen waren, genutzt, um
die Löcher in Ihrem Haushalt zu schließen.
Diese entsetzliche Politik darf nicht fortgesetzt werden. Deswegen mußten wir dieses Sparpaket schnüren.
({1})
Es erwidert
jetzt der Kollege Kolbe.
Herr Kollege Diller, es
ist ja erfreulich, daß Sie im Rahmen dieser Debatte endlich gezwungen sind, sich zu den Bezugsgrößen Ihrer
angeblichen Einsparungen zu äußern; denn schriftlich
liegt darüber bisher nichts vor. Wenn Sie landauf, landab behaupten, 30 Milliarden DM einzusparen, dann hat
das deutsche Parlament doch wohl Anspruch darauf,
schriftlich zu erfahren, in welchen Positionen Sie diese
Einsparungen vornehmen wollen. Sie haben zwar jetzt
ein paar Ausführungen dazu gemacht, aber schriftlich das möchte ich festhalten - liegt diesem Hause nichts
vor.
Auch im Rahmen der Einzelplanberatungen haben
wir die Vertreter der Ministerien gefragt: Wo spart ihr
eigentlich ein? Die Damen und Herren waren nicht zu
einer Auskunft fähig. Es bleibt völlig im dunkeln, auf
welche Bezugsgrößen Sie sich bei Ihren Einsparungen
stützen. Legen Sie bitte endlich etwas Schriftliches vor,
so daß jeder nachvollziehen kann, gegenüber welchem
Ansatz die 30 Milliarden DM angeblich eingespart werden sollen.
Bezugsgröße kann jedenfalls nicht der Vorjahreshaushalt sein. Darüber sind wir uns einig. Das sind nur
minus 7,5 Milliarden DM. Bezugsgröße kann auch
kaum die Waigelsche Finanzplanung sein; denn auch
gegenüber dieser steigt Ihr Bundeshaushalt 2 000 um
12,9 Milliarden DM. Sie müßten also irgendwo anders
42,9 Milliarden DM einsparen. Listen Sie bitte einmal
auf, wo diese 42,9 Milliarden DM eingespart werden
sollen. Die Beträge, die Sie genannt haben, ergeben in
der Addition nicht diese Summe.
Legen Sie also bitte in der ersten Sitzung des Haushaltsausschusses eine saubere schriftliche Berechnung
vor, durch die deutlich wird, auf welche Bezugsgrößen
Sie sich bei der Einsparung von 30 Milliarden DM stützen. Wenn Sie das tun, können wir seriös darüber diskutieren. Wahrscheinlich haben Sie nur Luftbuchungen
eingespart. Damit kommen Sie weder bei uns noch in
der Öffentlichkeit durch, auch wenn Sie es noch so oft
wiederholen.
Zu den Schulden als Erblast: Angeblich hat die KohlRegierung 1,5 Billionen DM Schulden gemacht. Dies ist
blanker Unsinn.
({0})
Ich habe heute schon darauf hingewiesen: Es liegt im
Interesse unserer demokratischen Parteien, klarzustellen,
daß ein Drittel dieser Schulden Folgelasten der ehemaligen DDR und der SED-Diktatur sind. Diese Klarstellung muß doch auch im Interesse der SPD liegen.
({1})
Oder sehen Sie und die PDS sich schon als Einheit? Das tun Sie doch nicht!
Es war vernünftig, die rund 400 Millionen DM Folgeschulden der ehemaligen DDR im Erblastentilgungsfonds zusammenzufassen. Ich weise ausdrücklich darauf
hin, daß es sich hier um gesamtdeutsche Schulden handelt, denn die sowjetische Besatzung und die DDR waren Folgen des zweiten Weltkriegs. Folglich müssen die
daraus resultierenden finanziellen Belastungen von allen
Deutschen getragen werden. Es war aber sinnvoll, diese
gesondert auszuweisen, um die Verantwortung der
SED/PDS-Genossen auf der linken Seite des Hauses
herauszustellen.
({2})
Herr Kollege Diller, es war auch sinnvoll, diese
Schulden innerhalb einer Generation tilgen zu wollen.
Nach unserem Konzept wäre das möglich gewesen. Diese Tilgung haben Sie, Herr Diller, beendet. Wir haben
bis zum Ende der Regierungszeit Kohl 46,5 Milliarden
DM dieser Erblastschulden getilgt. Durch die Abschaffung dieses Tilgungsanteils haben Sie sich einen zusätzlichen Ausgabespielraum von 9 Milliarden DM im Bundeshaushalt 1999 verschafft.
Sie reden zwar vom Sparen, aber tatsächlich haben
Sie die einzige Tilgung, die effektiv im Rahmen des
Bundeshaushalts geleistet wurde, abgeschafft. Dies ist
widersprüchlich.
Ich weise Sie
darauf hin, daß Sie Ihre Redezeit überziehen. Das darf
nicht Schule machen.
Ich möchte nur noch
einen Satz sagen.
Wichtig für eine erfolgreiche Finanzpolitik sind eine
erfolgreiche Wirtschaftspolitik, eine echte Steuerreform,
die Senkung der Lohnnebenkosten und der Abbau von
Bürokratie. Weil Sie daran scheitern, geraten Sie mit
Ihrem Haushalt in Schwierigkeiten.
({0})
Es liegt noch
eine Meldung zu einer Kurzintervention vor. Bitte, Herr
Abgeordneter Dr. Seifert.
Da mich der Kollege Kolbe
persönlich angesprochen hat, erlaube ich mir, ihm zu
erwidern. Ich werde versuchen, mich dabei an die DreiMinuten-Regelung zu halten.
Erstens. Herr Kolbe, Sie haben nicht in der DDR gelebt. Die Einbeziehung in die sozialistische Demokratie
ging nicht so weit, daß man schon zwei Jahre vor seiner
Geburt in die Regierung aufgenommen wurde. Insofern
ist Ihre Aussage über die 40 Jahre meiner Regierungsbeteiligung nicht ganz zutreffend. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich nicht die ganze Verantwortung
persönlich übernehmen kann.
Zweitens, zur Sache: Sie begrüßen es außerordentlich, daß sehr viele Investitionen in Pflegeeinrichtungen fließen, weil alles aufgebaut werden muß. Verehrter
Herr Kollege Kolbe, ich glaube, wir sind auf einem gewaltigen Irrweg, und die Regierung geht ihn leider weiter. Viel wichtiger wäre es, in ambulante Assistenzstrukturen zu investieren und keine neuen Sondereinrichtungen zu bauen, die zu „Aussonderburgen“ oder wenn es ganz schlimm kommt - zu „Aussondergettos“
werden.
Das ist etwas anderes, als bestehende Mängel in bestehenden Einrichtungen zu beseitigen und dort zu modernisieren. Ich halte es für einen Irrweg, in neue Sondereinrichtungen zu investieren, weil dadurch die Möglichkeiten der ambulanten und selbstbestimmten Assistenz eingeschränkt und nicht ausgebaut werden.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Herr Kolbe,
möchten Sie antworten?
Herr Seifert, Sie behaupten Falsches. Ich bin in Naunhof in Sachsen geboren. Daß mein Vater ab einem gewissen Zeitpunkt nicht
in der DDR gelebt hat, liegt an Ihrer Vorgängerpartei.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Eckhart Lewering. Er hält seine
erste Rede hier. Deswegen bitte ich Sie, besonders aufmerksam zuzuhören.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
Probleme, mit denen sich das Gesundheitswesen heute
konfrontriert sieht, sind nicht neu. In 16 Jahren Regierungszeit hat es die heutige Opposition nicht vermocht,
das deutsche Gesundheitswesen auf eine zukunftsfähige
Grundlage zu stellen.
({0})
Leistungskürzungen auf der einen Seite bei gleichzeitig steigenden Beitragssätzen und Belastungen für
Patienten auf der anderen Seite waren das Kennzeichen
konservativ-liberaler Gesundheitspolitik. Der medizinisch-technische Fortschritt, die demographische Entwicklung in unserem Land und die Entwicklung am Arbeitsmarkt machen es unabdingbar, daß wir zu einem effizienteren und qualitätsbewußteren Gesundheitswesen
finden. Hierzu müssen die Leistungserbringer entscheidend beitragen. Daß sich auch die Leistungsempfänger
dabei auf das „medizinisch Notwendige“ einstellen, ist
ebenfalls selbstverständlich.
Die rotgrüne Koalition setzt Akzente für eine Gesundheitspolitik, die zum Ziel hat, vermeidbare Kosten
schon in ihrer Entstehung zu bekämpfen. Aus diesem
Grund wird mit der Gesundheitsreform 2000 Prävention
wieder zu einem zentralen Bestandteil der Gesundheitspolitik werden.
({1})
Der Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege und Rente“
wird in Zukunft konsequent umgesetzt werden, weil das
im Interesse der Menschen ist und weil es auch aus
volkswirtschaftlicher Sicht vernünftig ist.
({2})
Die Haushaltskonsolidierung ist, so wie die Verringerung des Anstiegs der Kosten im Gesundheitswesen insgesamt, eine bedeutende Aufgabe. In den letzten Jahren
sind die Ausgaben im Gesundheitswesen stark gestiegen. Zwar hat die heutige Opposition dieses Problem erkannt, doch fehlte ihr wahrscheinlich der Mut, die Ursachen wirksam und dauerhaft zu bekämpfen. Das holen
wir jetzt nach.
({3})
Es ist unser erklärtes Ziel, die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung stabil zu halten, Lohnnebenkosten zu senken und mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze die Zahl der Mitglieder in der gesetzlichen
Krankenversicherung, die in der Lage sind, aus eigener
Kraft Beiträge zu leisten, dauerhaft zu erhöhen.
Die Finanzierung des Gesundheitswesens ist überwiegend Angelegenheit der Länder und der gesetzlichen
Krankenversicherung. Der Einzelplan 15 gehört deshalb
zu den kleineren Einzelplänen des Gesamthaushalts. Der
Entwurf des Gesundheitshaushalts für das Jahr 2000
weist Ausgaben von rund 1,8 Milliarden DM aus. Dies
bedeutet einen Ausgabenanstieg von mehr als 202 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr. Dies steht, zumindest auf den ersten Blick, im Widerspruch zu den eben
genannten Zielen.
Dieser Ausgabenanstieg beruht indes auf besonderen
Umständen: Erstens. Für Pflegefinanzhilfen müssen in
diesem Jahr Mittel aus früheren Haushaltsjahren nachveranschlagt werden. Zweitens. Die Verlagerung des
Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte
von Berlin nach Bonn erfordert in diesem Jahr erhöhte
Aufwendungen in Höhe von 49,2 Millionen DM. Drittens. Die Personalausgaben für Zulassungsaufgaben im
selben Institut erhöhen in gleichem Maße die Ausgabenwie die Einnahmenseite.
Läßt man diese Besonderheiten außer acht, so ergibt
sich ein tatsächlicher Ausgabenrückgang von 7,4 Prozent gegenüber dem bisherigen Finanzplan. Der Gesundheitsetat leistet im vorliegenden Entwurf somit den
von der Bundesregierung geforderten und angekündigten und auch von uns gewollten Beitrag zur langfristigen
Haushaltskonsolidierung. Die vorgesehenen Kürzungen
betreffen vor allen Dingen den Bereich des Bundesministeriums für Gesundheit und weniger den der nachgeordneten Behörden.
Im einzelnen ergibt sich folgendes Bild - ich nenne
nun einige Zahlen -: Für gesundheitspolitisch relevante
Maßnahmen werden rund 84 Millionen DM vorgesehen.
Modellprogramme der Pflegeversicherung werden mit
63 Millionen DM gefördert. Insgesamt liegt der
Schwerpunkt bei den Modellprogrammen in der Krebsbekämpfung, bei Maßnahmen gegen Drogen- und
Suchtmittelmißbrauch sowie bei Vorhaben zur medizinischen Qualitätssicherung. Im Bereich der gesundheitlichen Aufklärung werden vor allem Maßnahmen zur
Drogen- und Aidsprävention finanziert.
Insgesamt gehen die Aufwendungen für disponible
Ausgaben weiterhin zurück. Diese Einsparungen sind
vertretbar, da Ausgaben für Modellprogramme vielfach
in die Regelversorgung übernommen wurden und damit
in Zukunft durch die Länder oder die gesetzliche Krankenversicherung finanziert werden.
Positiv zu bewerten ist, daß es gelungen ist, Einsparungen in wichtigen Bereichen, denen eine wachsende
gesundheitspolitische Bedeutung zukommt, zu vermeiden. So werden Modellmaßnahmen zur Qualitätssicherung und solche zur Verbesserung der Selbstversorgung
mit Blut und Blutprodukten sowie für die Bekämpfung
des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs mit höheren
Ansätzen als im Vorjahr fortgeführt. Die Modellprogramme im Bereich Drogen werden 1,8 Millionen DM
mehr erhalten. Dem stehen Einsparungen im Bereich der
gesundheitlichen Aufklärung gegenüber. Insgesamt stehen jedoch für den Drogenbereich 800 000 DM mehr
bereit.
Größter Ausgabenposten sind auch weiterhin die
Finanzhilfen zur Förderung von Investitionen in Pflegeeinrichtungen in Ostdeutschland. Die eigentlich gesetzlich vorgesehene Rate von 800 Millionen DM jährlich wird in diesem Jahr um etwa 126 Millionen DM
übertroffen werden. Dies ist notwendig geworden, da
sich der Bedarf in den neuen Ländern zunächst sehr ungleichmäßig entwickelte und nun nachveranschlagt werden muß. Insgesamt umfaßt das Programm zur Förderung der Pflegeeinrichtungen in Ostdeutschland ein
Volumen von 6,4 Milliarden DM, verteilt auf den Zeitraum von acht Jahren. Im kommenden Jahr wird ein
Drittel der Minderausgaben aus dem Jahre 1997 in Höhe
von 230 Millionen DM nachgeholt. Hinzu kommen 5
Millionen DM aus dem vergangenen Jahr. Abzüglich
des Beitrages zum Zukunftsprogramm der Bundesregierung ergibt sich die erwähnte Erhöhung um knapp 126
Millionen DM für das Jahr 2000.
Für Investitionen sind im Regierungsentwurf 1,122
Milliarden DM veranschlagt. Die Bauinvestitionen für
nachgeordnete Behörden belaufen sich auf 113 Millionen DM und liegen damit um 42 Millionen DM über
dem Betrag von 1999. Diese Kosten entstehen hauptsächlich durch den erwähnten Neubau des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Die für das
kommende Jahr veranschlagte Rate für diesen Bau beträgt 57 Millionen DM.
Mit 53,5 Millionen DM werden wissenschaftliche
Forschungsinstitutionen finanziert, die der Bund gemeinsam mit den Ländern fördert.
Für die Erstattung von Krankenkassenaufwendungen
für Aussiedler und Leistungen nach dem Mutterschutz
stehen 16,5 Millionen DM zur Verfügung.
Wie im vergangenen Jahr so trägt die Bundesrepublik
mit ihrem WHO-Beitrag auch im kommenden Jahr zum
Auf- und Ausbau des internationalen Gesundheitswesens bei. Der Ansatz beläuft sich im kommenden Jahr
auf 64,5 Millionen DM.
Weitere Ausgabenschwerpunkte liegen bei den Personalkosten. Hier sind zirka 308 Millionen DM veranschlagt. Da seit mehreren Jahren Stellen abgebaut werden, ist ein Stagnieren dieser Ausgaben festzustellen.
Vorgesehen ist unter anderem ein Wegfall von 39 Stellen und Planstellen im Ministerium und in den Instituten. Die Sachausgaben in diesem Bereich betragen zirka
129 Millionen DM und stehen naturgemäß in einem engen Zusammenhang mit den Personalausgaben. Die Einsparpotentiale im Bereich der Personal- und Sachausgaben belaufen sich auf 8,4 Millionen DM und liegen somit um 2,3 Millionen DM über dem Betrag von 1999.
Insgesamt muß festgehalten werden, daß der Bundesregierung bei den Ausgaben im Gesundheitshaushalt nur
ein eingeschränkter Gestaltungsspielraum verbleibt, da
die Vergabe der Mittel zu einem großen Teil entweder
gesetzlich vorgeschrieben ist oder langfristige Finanzierungsverpflichtungen bestehen. So sind mehr als 50 Prozent der disponiblen Ausgaben durch Festlegungen aus
den Vorjahren bereits gebunden.
Die Einnahmeseite des Haushalts weist eine kontinuierliche Steigerung auf. Die Einnahmen werden im wesentlichen von dem Gesundheitsministerium nachgeordneten Behörden aus der Zulassung von Arzneimitteln erzielt.
Abschließend bleibt festzustellen, daß der Einzelplan
15 in der vorliegenden Fassung eine solide Basis für die
Erfüllung der Aufgaben des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Gesundheit bildet.
({4})
Das Gesundheitsressort ist, wie bereits gesagt, in erster Linie ein Gesetzgebungsressort. Dennoch trägt auch
der Gesundheitshaushalt im Rahmen seiner Möglichkeiten seinen Anteil an der Haushaltskonsolidierung und
leistet damit einen Beitrag zur solidarischen Konsolidierung unseres Gemeinwesens.
Die Menschen in unserem Lande wollen ein Gesundheitswesen, das auf der Solidarität der Bürger untereinander basiert.
({5})
Der vorliegende Haushaltsentwurf ist dabei ein weiterer
Schritt in die richtige Richtung.
Ich danke Ihnen.
({6})
Danke schön
und Gratulation zur ersten Rede!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Detlef Parr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums läuft in den Diagrammen lediglich unter
„Sonstiges“. Daraus könnte man schließen, es handle
sich um eine Marginalie. Doch dieser Haushalt hat erhebliche Auswirkungen auf andere Haushalte - auf die
Haushalte der Krankenkassen und Krankenhäuser sowie
auf die Haushalte der in den Gesundheitsberufen Tätigen
- und auch auf die Beiträge der Versicherten. In all diesen Bereichen ergeben sich durch die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Reform 2000 einschneidende Veränderungen.
Wie negativ diese Folgen sind, hat der erste Teil der
Anhörung des Gesundheitsausschusses in der letzten
Woche gezeigt. Diese Anhörung kann Ihnen, meine
Damen und Herren von SPD und Grünen, nur wenig
Freude gemacht haben. Vielleicht haben es die Spitzenbeamten des Ministeriums auch deshalb vorgezogen, zur
einführenden Sitzung des Ausschusses nicht zu erscheinen.
Für uns ist jedenfalls ein weiteres Mal klargeworden,
daß Ihr Weg geradewegs in die Zwangsrationierung von
Gesundheitsleistungen führt. Die Budgetierung ist kein
probates Steuerungsmittel. Das hat die Vergangenheit
gezeigt, und aus Erfahrungen sollte man lernen.
({0})
Jeder Mensch ist anders. Ein und dasselbe Gesundheitsproblem kann sich bei verschiedenen Menschen völlig
unterschiedlich darstellen. Die erforderlichen Maßnahmen lassen sich nicht in ein finanzielles Korsett zwängen. Wenn Sie Ihre Berechnungen dann auch noch auf
falschen Grundlagen aufbauen - etwa die Morbidität der
Menschen im Osten nicht richtig einordnen, die Integrationsversorgung aus dem Budget der niedergelassenen
Ärzte finanzieren lassen, Modellversuche zukünftig sogar ohne Zustimmung der Kassenärztlichen Vereinigungen aus dem gleichen Geldbeutel bezahlen lassen, ungedeckte Schecks in Höhe von 2 Milliarden DM aus dem
sogenannten Solidaritätsstärkungsgesetz nicht berücksichtigen -, dann wird es für die Betroffenen besonders
schmerzlich. Eine falsche Aussage wird auch durch
noch so häufiges Wiederholen nicht richtiger.
Wann also werden Sie endlich zugeben, daß Ihre gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, auch in Zukunft würden den Patientinnen und Patienten alle Leistungen uneingeschränkt zur Verfügung stehen, irreal
ist?
Medizinischer Fortschritt und demographische Entwicklung galoppieren in eine ganz andere Richtung und
werden sich auch durch die allerschönsten Budgetkonstruktionen nicht im Zaum halten lassen, Frau Ministerin.
({1})
Weil Sie das letztendlich auch ganz genau wissen,
schieben Sie die Verantwortung auf die Ärzte, die Zahnärzte und die Krankenhäuser ab. Sie sollen an Ihrer
Stelle die Rationierungsentscheidungen bei der täglichen
Arbeit treffen und für die damit verbundenen Qualitätseinbußen einstehen.
Zudem setzen Sie noch das Druckmittel Regreßforderungen beim Überschreiten des Arzneimittelbudgets
ein. Mit dieser Maßnahme - egal, ob eine Individualoder eine Kollektivhaftung, die völlig uneinsichtig wäre,
vorgesehen wird - sind Sie dabei, viele Praxen, insbesondere in den neuen Bundesländern, in die Pleite zu jagen. So wurde es gestern abend bei einer Veranstaltung
in Chemnitz formuliert.
({2})
Wie war es denn am Anfang der Legislaturperiode,
Herr Finanzminister und Frau Ministerin? Wollten Sie
nicht Arbeitsplätze schaffen? Wollten Sie sich nicht daran messen lassen? Das Gegenteil ist durch diese Gesundheitspolitik der Fall.
An einer Neubestimmung des Verhältnisses von Subsidiarität und Solidarität führt auch im Gesundheitswesen kein Weg vorbei. Abgesehen von manchen Sozialromantikern der SPD und manchen Staatsgläubigen
bei den Grünen ist diese Erkenntnis längst politisches
Allgemeingut geworden. Man werfe nur einen Blick in
das Schröder-Blair-Papier. Wir brauchen einfach mehr
Eigenverantwortung und mehr Wettbewerb. Die in den
letzten Jahren im Gesundheitswesen durchgeführten Reformen, waren, auch wenn Sie sie, Herr Dreßler, kritisch
gesehen haben, Ausdruck dieser Erkenntnis und Schritte
in die richtige Richtung.
({3})
Auch die Beweggründe der Befürworter einer Positivliste, also der Aufstellung erstattungsfähiger Arzneimittel, sind vordergründig und wenig überzeugend. Die
Koalition und mit ihr die Krankenkassen hoffen auf
einen Rückgang der Arzneimittelausgaben und verkennen dabei die Gefahr teurer Substitutionseffekte. Sie errichten ein Gefängnis eingeschränkter Therapiefreiheit,
wobei die Umstellung vieler Patientinnen und Patienten
auf wirkungsgleiche Billigmedikamente mit Problemen
verbunden ist und in vielen Fällen teuer bezahlt werden
wird. Das ist jedenfalls unsere Prognose.
Daß Patienten in Zukunft bestimmte Mittel aus eigener Tasche bezahlen müssen, erwähnen Sie in Ihren
Lobliedern über die Stärkung der Patientenrechte nicht.
Auch auf die Forschung, die Wirtschaftskraft und die
weit über 100 000 Arbeitsplätze des Pharmastandorts
Deutschland wirkt sich diese weitere Innovationshürde
negativ aus.
({4})
Letztendlich bringt das ganze Unterfangen einen
enormen bürokratischen Aufwand mit sich; der von
Bundeskanzler Schröder gewohnt medienwirksam propagierte Bürokratieabbau wird im Gesundheitswesen mit
der Schaffung gleich zweier neuer Behörden eindrucksvoll dokumentiert. Das wäre ein weiterer geeigneter Gegenstand für eine Satire, diesmal allerdings eine anständige.
({5})
Ein anderes Thema - danke für den Hinweis, Dieter
Thomae -, das der F.D.P. besonders am Herzen liegt,
lassen Sie mich ansprechen: Das ist der Datenschutz im
Gesundheitswesen. Die Pläne der Bundesregierung stoßen zu Recht auf massive und breite Kritik. Uns liegt ja
eine Resolution aller Datenschutzbeauftragten der Länder und des Datenschutzbeauftragten des Bundes vor,
mit der Sie sich offensichtlich zur Zeit beschäftigen. Wir
sind gespannt, Frau Ministerin, was dabei herauskommt.
({6})
Besorgniserregend ist nicht nur die Beeinträchtigung
des informationellen Selbstbestimmungsrechtes des einzelnen. Die Brisanz des Vorhabens geht aus unserer
Sicht weit über den datenschutzrechtlichen Bereich
hinaus. Der Gesetzentwurf bricht mit der bisherigen
Praxis der Datenerhebung im Gesundheitsbereich, derzufolge die Krankenkassen nur in Ausnahmefällen Zugang zu personenbezogenen medizinischen Daten hatten. In Zukunft sollen diese Daten nun an zentrale Datensammelstellen gemeldet werden, und zwar generell
fall- und patientenbezogen. Dies hat aus unserer Sicht
zur Folge, daß bei den gesetzlichen Krankenkassen umfassende Dateien über jeden einzelnen Versicherten entstehen,
({7})
die lückenlos Aufschluß über seine ureigenste Privatsphäre geben können, nämlich über Körper und Seele.
Die Vorstellung, Frau Schaich-Walch, daß sich Patientenprofile aller Art ohne Schwierigkeiten erstellen lassen
und auch sensibelste Diagnosen wie Aids-Infektionen
oder psychiatrische Befunde aus den Datenbanken abrufbar sind, ist für mich und sicher auch für Sie - ich bin
sicher, daß wir in den Beratungen darüber noch reden
werden - ein Alptraum, der auf keinen Fall Realität
werden sollte.
({8})
Das Anliegen, die Effizienz des Gesundheitswesens
zu steigern und damit Kosten zu sparen, ist lobenswert
und findet zu Recht breite Zustimmung und Unterstützung. Das ist ja schon in den vergangenen Jahren so gewesen. Es bleibt allerdings völlig unklar, welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn das massenhafte personenbezogene Sammeln von Daten für dieses erstrebenswerte Ziel hat. Im Gegenteil: Die Bürokratie wird weiter
aufgebläht. Kontrolle und Mißtrauen bestimmen den
Weg, statt Vertrauen in ein freiheitliches System zu setzen, die Selbstverwaltung zu stärken und Marktmechanismen breiteren Raum zuzugestehen.
({9})
Wir werden in der Debatte immer wieder nach Alternativen gefragt. Ich will einmal an Hand von vier Beispielen aufzeigen, wie wir uns - im Gegensatz zu den
starren Regularien, die Sie einführen wollen - eine Öffnung des Gesundheitswesens vorstellen.
Erstens. Sagen Sie den Versicherten doch endlich die
Wahrheit! Die Entwicklung der Ausgaben im Gesundheitswesen ist geprägt durch eine zunehmende Anzahl
älterer Menschen, durch einen rasanten medizinischen
Fortschritt und durch steigende Ansprüche. Die gesetzliche Krankenversicherung kann einfach nicht grenzenlos
alle wünschenswerten Leistungen finanzieren. Wir brauchen eine Begrenzung der Leistungen auf das medizinisch Notwendige. Nicht alles, was zu unserem Wohlbefinden beiträgt, ist Sache der Pflichtversicherung und
schon gar nicht der Solidargemeinschaft.
({10})
Zweitens: Wenn wir es mit der Eigenverantwortung
wirklich ernst meinen, dann zahlen wir dem Versicherten doch den Arbeitgeberbeitrag aus. Lassen wir ihn
selbst bestimmen, wo er sich in welchem Umfang gegen
das Krankheitsrisiko absichern will. Er muß seine
Grundversorgung - gemeint sind existenz-, lebenserhaltende und notwendige Leistungen - nach seinen eigenen Wünschen aufstocken und ergänzen können. Lediglich angenehme und individuell nützliche Leistungen
sollten zusatzversichert werden oder individuellen Verträgen zwischen Arzt und Patienten unterliegen können.
Drittens. Stärken Sie wirklich die Patientenrechte!
Räumen Sie den Pflichtversicherten die Möglichkeit ein,
zum Beispiel eine Krankenkasse mit Selbstbehalttarif
bei entsprechend niedrigem Beitragssatz zu wählen oder
aber eine Krankenkasse, die bei nicht in Anspruch genommenen Leistungen einen Teil der Beiträge zurückzahlt - warum eigentlich nicht?
({11})
Lassen Sie eine individuelle Entscheidung für eine
Krankenkasse zu, Herr Seifert, die erweiterte Leistungen
etwa der Prävention anbietet.
({12})
Viertens. Sorgen Sie für mehr Kostentransparenz!
Die Menschen müssen wissen, was ein Arztbesuch kostet. Das können sie nur, indem Sie das Sachleistungsprinzip durch das Kostenerstattungsprinzip ersetzen.
Allein vor dem Hintergrund Europa ist das dringend erforderlich.
({13})
Dann kommen wir zu mehr Markt und zu weniger Dirigismus. Das ist der Weg, den wir beschreiten wollen.
Reinhard Mohn hat in einer Schrift der BertelsmannStiftung gesagt - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -:
Der Verlust eines auf gemeinsamen Überzeugungen basierenden Grundkonsenses macht es heute
fast unmöglich, in Politik und Wirtschaft zu weiterführenden Konzepten zu gelangen. Es stellt sich
uns entsprechend die Frage, ob die Misere des
Standorts Deutschland nicht möglicherweise auf
einer Krise unseres Zielverständnisses beruht. Ordnungssysteme haben auf Dauer nur Bestand, wenn
sie den Aufgabenstellungen ihrer Zeit entsprechend
und von der Zustimmung der Menschen getragen
werden.
Ihre Vorstellungen, meine Damen und Herren von
SPD und Grünen, entsprechen nicht den Aufgabenstellungen unserer Zeit im Gesundheitsbereich. Sie versuchen, mit Spielregeln der Vergangenheit die Zukunft
zu gestalten. Sie haben auch nicht die breite Zustimmung der Menschen, wie die jüngsten Wahlergebnisse
zeigen.
({14})
- Frau Schaich-Walch, auch wir haben unsere Probleme;
das gebe ich zu. Aber das wird sich ändern, und die
Menschen werden erkennen, wo die richtigen politischen Konzepte zu finden sind, nämlich bei uns Liberalen.
({15})
Wir sollten die Chance der veränderten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat für einen Neuanfang bei den
Reformüberlegungen nutzen,
({16})
statt im Vermittlungsausschuß Stück um Stück einen
Gesetzentwurf nachzubessern, der ordnungspolitisch in
die Irre führt, voller Widersprüche steckt und Folgen
hat, die wir gegenwärtig in ihren Dimensionen nur erahnen können. Meine Damen und Herren, wenn Sie an
Flickwerk herumbasteln, dann führt das nur zu weiterem
Flickwerk mit noch kleineren Karos. Das ist der falsche
Weg.
Am 22. September wird das Bündnis Gesundheit
2000 -
Herr Kollege,
das wäre jetzt ein schöner Schlußsatz gewesen. Ihre Redezeit ist nämlich abgelaufen.
Dann lassen Sie mich noch einen Satz sagen, was die Frage angeht, wie wir zukünftig
weiter verfahren wollen. Der Kanzler hat gesagt, es gebe
keine Alternativen, weder zu ihm noch zu seinen Sachaussagen. Ich will ein Wort von Benjamin Disraeli dagegenhalten: Das Wort „endgültig“ gibt es nicht in der
Sprache der Politik. - Lassen Sie uns so gemeinsam
weiter streiten.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat
die Abgeordnete Ruth Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Lieber Kollege Parr, ich bin schon
der Meinung, daß es zu den Konzeptionen von Herrn
Schröder Alternativen gibt. Aber Ihre Alternative wäre
nicht die meine. Das wollte ich einmal feststellen.
({0})
Der heute zur Debatte stehende Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit ist unübersehbar von
der generellen Spar- und Kürzungspolitik der Regierung Schröder geprägt. Erfreulich ist, daß an den mit
dem Pflegeversicherungsgesetz auf den Weg gebrachten
erheblichen Finanzhilfen des Bundes zur Förderung von
Investitionen in Pflegeeinrichtungen der neuen Länder
festgehalten werden soll. Das ist für den Bauzustand und
für die materielle Ausstattung dieser Einrichtungen von
nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Um so bedauerlicher ist jedoch, daß in diesem Haushalt die Ausgaben für dringend notwendige Verbesserungen bei den unmittelbaren Betreuungs- und Versorgungsleistungen für pflegebedürftige Menschen weiter
reduziert werden. Positiv zu nennen ist meines Erachtens, daß die Aufwendungen auf dem Gebiet der Suchtbekämpfung - und hier insbesondere für Modellmaßnahmen - erhöht werden sollen.
Da aber der Großteil der Leistungen in der Krankenund Pflegeversicherung nicht im Bundeshaushalt, sondern von den entsprechenden Trägern der Sozialversicherungen bereitgestellt wird, sind die negativen Auswirkungen von Sparpaket, Rentenplänen und Gesundheitsreform auf die allgemeine Finanzbasis wesentlich
bedeutsamer als die Kürzungen im Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit. Immerhin führen allein
das Sparpaket und die Rentenkürzungen zu Einnahmeverlusten der Krankenversicherung in Höhe von zirka 3
Milliarden DM und zu Einnahmeverlusten der Pflegeversicherung von etwa 1,6 Milliarden DM. Außerdem
stehen der Pflegeversicherung durch die Senkung der
Beiträge von Arbeitslosenhilfebeziehern weitere Einnahmeverluste in Höhe von 400 Millionen DM jährlich
ins Haus. Von diesen Entwicklungen müssen schwerwiegende Auswirkungen auf die Lebenssituation von
älteren, chronisch kranken und behinderten Menschen
befürchtet werden.
Völlig unklar ist, wie all dies mit dem einschneidenden Sparkurs im Gesundheitswesen zusammengehen
soll, den die Regierung mit der Gesundheitsreform 2000
eingeschlagen hat. Bekanntlich soll die Erschließung
von Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen
nicht primär der Verbesserung der medizinischen Versorgung dienen, sondern eine rigorose Sparpolitik in
Form von Budgetierung begründen, die die jährliche
Mittelanhebung lediglich an den Anstieg der Grundlohnsumme bindet.
Diese Grundentscheidung, die das Gesundheitswesen
zugleich von der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungskraft abkoppelt, berücksichtigt in keiner Weise
den jeweils gegebenen Versorgungsbedarf und die sachlichen Notwendigkeiten dieses Bereiches. Sie ist direkt
aus dem - zunehmend wirtschaftsliberalen - Gesamtkonzept der Regierung abgeleitet und damit in erster LiDetlef Parr
nie eine wirtschaftspolitisch determinierte Vorgabe. Dabei setzt die Regierung - inzwischen ebenso einseitig
wie ihre Amtsvorgänger - auf die Stärkung der Angebotskräfte, um Wirtschaftswachstum und die Senkung
der Arbeitslosigkeit zu erreichen.
Folgerichtig heißt die übergreifende Vorgabe für das
Gesundheitswesen und damit das oberste Ziel dieser Reform: Beitragsstabilität. Allerdings wird von Voraussetzungen ausgegangen, deren Eintreten nach allen Erfahrungen eher unwahrscheinlich ist. Das möchte ich
begründen:
Erstens. Weder von der Stärkung der Position der
Hausärzte noch von integrierten Versorgungsformen
noch von einer Positivliste, die wir übrigens begrüßen,
können kurzfristig Einsparungen erwartet werden.
Zweitens. Rationalisierungsreserven sind bestenfalls
schrittweise in einem Reformprozeß, der über mehrere
Jahre angesetzt werden muß, zu erschließen. Hinzu
kommt, daß es sich im Erfolgsfall um einen gut gesteuerten, durch wirksame Einzelschritte unterlegten Prozeß
handeln muß, dessen Sinnhaftigkeit zumindest von einem großen Teil der Leistungserbringer verstanden und
vor allen Dingen mitgetragen wird.
Der jetzt vorgesehene blanke Einsparungsdruck läßt
erfahrungsgemäß den fragwürdigen Einsatz von Mitteln
ebenso weiterlaufen wie eine bestehende Unterversorgung - dies alles natürlich auf einem deutlich abgesenkten Niveau. Die Verlierer solcher Art von Reformen
sind stets die sozial Schwächeren und insgesamt all jene,
die sich am wenigsten wehren können. Soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit in der gesundheitlichen
Versorgung können auch auf solche Weise erheblich
untergraben werden. Es kann kaum verwundern, wenn
ein so wenig durchdachtes und überstürztes Herangehen
an ein anspruchsvolles Reformvorhaben im Gesundheitswesen von den Leistungserbringern vor allem als
Druck in Richtung Qualitätsminderung und Rationierung empfunden wird. Im übrigen treffen die vorgesehenen Restriktionen vor allem jene Ärzte und andere Leistungserbringer am härtesten, die ihre Arbeit vorwiegend an den Interessen ihrer Patienten und weniger an
betriebswirtschaftlichen Überlegungen orientieren.
({1})
Vor diesem Hintergrund verstärkt sich verständlicherweise die Sorge, daß die bereits im laufenden Jahr
akut aufgebrochenen Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung in Ostdeutschland weiter
zunehmen. Rasche - noch 1999 wirksame - Abhilfe,
wie sie vor der Sommerpause angekündigt wurde, läßt
bisher auf sich warten. Vor allem bedarf die prekäre
Einnahmesituation der ostdeutschen Krankenkassen, bedingt vor allem durch höhere Arbeitslosigkeit und niedrigere Einkommen, dauerhaft stabiler und tragfähiger
Lösungen. Sie sollten entsprechend ihrer Dringlichkeit
noch Bestandteil des gegenwärtigen Reformvorhabens
sein.
Lassen Sie mich im übrigen an dieser Stelle erneut
darauf hinweisen, daß die Leistungserbringer in den
neuen Bundesländern, beispielsweise im ambulanten
Bereich, nach wie vor nur etwa 75 Prozent der Erlöse ihrer jeweiligen westdeutschen Berufskollegen erzielen.
Auch diese Gerechtigkeitslücke sollte endlich zielstrebig
geschlossen werden.
({2})
Im Gegensatz zum vorliegenden Reformentwurf der
Koalition vertreten wir die Auffassung, daß sich Gesundheitspolitik auch in ihren Prämissen und Zielen keineswegs in der Übertragung wirtschafts- und finanzpolitischer Strategien auf den Bereich des Gesundheitswesens erschöpfen darf. Sie verlangt ein eigenständiges
Gesamtkonzept, welches es ermöglicht, soziale Gerechtigkeit mit hoher fachlicher Qualität und wirtschaftlichem Einsatz der Mittel zu verbinden.
({3})
Natürlich ist es richtig - ich glaube, niemand in diesem Haus bestreitet das; egal, von welcher Seite -, daß
das Gesundheitswesen Strukturreformen braucht, um
die vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen. Dies allein genügt aber nicht. Ebenso dringlich ist eine schrittweise Erweiterung seiner Finanzierungsbasis. Dafür tun Sie aus meiner Sicht nichts oder
sehr wenig. Die Sachverständigenanhörung hat diesbezüglich deutlich gemacht, daß der Wachstumssektor Gesundheitswesen Entwicklungsspielräume - mindestens parallel zur Steigerung des Bruttoinlandsproduktes benötigt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Die zweite
Runde beginnen wir jetzt mit dem Beitrag der Abgeordneten Helga Kühn-Mengel.
Frau Präsidentin! Im
Rahmen einer Haushaltsdebatte ist es auch notwendig,
neue Perspektiven aufzuzeigen. Das Gesetz zur Reform
der GKV ab dem Jahr 2000 unterstreicht die Bedeutung
von Prävention, Gesundheitsförderung, Selbsthilfe und
Patientenschutz; Bereiche, die von der Wissenschaft als
- zumindest in Deutschland - hoch defizitär beschrieben
und von der letzten Regierung stiefmütterlich behandelt
worden sind.
({0})
Der alte § 20 nahm bei der alten Bundesregierung nach
einer nur sieben Jahre dauernden Existenz im SGB V am
13. September 1996 ein trauriges Ende. Wir haben diesen Paragraphen reanimiert. Wir schaffen mit diesem
Gesetz den Einstieg in das bedeutsame Politikfeld der
Krankheitsverhütung und der Gesundheitssicherung.
Wir fühlen uns hier im Einklang mit allen namhaften
Verbänden, mit der Wissenschaft und vor allem mit den
Patienten und Patientinnen, den Versicherten, die wir
darin unterstützen wollen, sich im Gesundheitswesen zu
orientieren und ihre Rechte wahrzunehmen.
({1})
Durch die Maßnahmen zur Gesundheitsförderung
und Prävention werden die Eigenverantwortung und die
Souveränität der Bürgerinnen und Bürger im Umgang
mit ihrer Gesundheit gestärkt. Wir haben die gesetzlichen Aufgaben der Krankenkassen um ebendiese Maßnahmen zur Prävention erweitert. Solche Maßnahmen
werden also künftig wieder im Leistungskatalog der
Krankenkassen angeboten werden können. Angebote der
Selbsthilfe mit präventiver oder rehabilitativer Zielsetzung werden gefördert. Dies hat unser Gesetz ausdrücklich klargestellt. Wenn wir durch Vorbeugung Krankheiten gar nicht erst entstehen lassen, haben wir mehr
geleistet, als wenn wir das Gesundheitssystem zum reinen Reparaturbetrieb für bereits entstandene Krankheiten verkommen ließen.
({2})
Auch die Experten bestätigen uns seit vielen Jahren, daß
konsequente Gesundheitsförderung und Prävention nicht
nur Behandlungskosten senken und Produktivkraft erhalten, sondern langfristig auch Berufs- und Erwerbsunfähigkeit vorbeugen und damit die Rentenkassen entlasten.
Es ist vernünftig, daß durch diesen Gesetzentwurf den
Kassen Aufgaben der Prävention zuwachsen, zumal die
Erfahrungen aus den Jahren 1989 bis 1996 gezeigt haben, daß sie auf diesem Feld engagiert und effizient gearbeitet haben. Vielleicht konnten diese Maßnahmen im
Einzelfall zum Wettbewerb um „gute Risiken“ genutzt
werden. Der immer wieder als Totschlagsargument gegen § 20 SGB V herangezogene Bauchtanzkurs oder das
angeblich mitfinanzierte Indoor-Climbing kann die
Qualität sinnvoller Maßnahmen nicht diskreditieren.
Wir betonen deshalb zum einen, daß die Kinder und
Jugendlichen eine Zielgruppe darstellen, die es besonders zu berücksichtigen gilt, werden doch bereits in den
frühen Lebensphasen zahlreiche gesundheitsrelevante
Einstellungen und Verhaltensweisen geprägt.
({3})
Zum anderen war es uns wichtig, daß die präventiven
Aufgaben sowohl verhaltens- als auch verhältnispräventive Maßnahmen umfassen. Mit dieser Akzentuierung
stellen wir klar, daß die Präventionsangebote nicht nur
mittelschichtorientiert sind, sondern vor allem jene Bevölkerungsgruppen erreichen sollen, die auf Grund psychosozialer Defizite in ihrer gesundheitlichen Entwicklung in besonderem Maße beeinträchtigt und gefährdet
sind.
({4})
Sehen wir uns nur einen kleinen Ausschnitt aus den
Morbiditäts- und Risikostatistiken für das Jugendalter
an! Repräsentative Studien kommen zu dem Ergebnis,
daß im Durchschnitt etwa 10 bis 12 Prozent der Kinder
im Grundschulalter an Störungen der Leistungsfähigkeit,
der Wahrnehmung und des Kontaktes leiden, daß das
Asthma bronchiale im Spektrum der psychovegetativen
Beeinträchtigungen auf 5 bis 7 Prozent geschätzt wird,
daß neben den bekannten Zivilisationskrankheiten
Süchte eine immer größere Rolle spielen, daß in der
Gruppe der 12- bis 13jährigen jeder vierte gelegentlich
oder regelmäßig Wein oder Bier trinkt - Herr Parr, die
Betrunkenen werden immer jünger -, jeder zehnte
Schnaps oder Weinbrand, daß 16 Prozent der 12- bis
17jährigen rauchen und 8 Prozent mit Drogen Kontakt
hatten. Angesichts dieser Zahlen wird die Notwendigkeit
präventiver Maßnahmen überdeutlich.
({5})
Das Ziel einer verbesserten Prävention verfolgen wir
zum Beispiel auch dadurch, daß wir im Gesundheitsreformgesetz in § 21 eine erweiterte Gruppenprophylaxe
bei Jugendlichen zur Verhütung von Zahnerkrankungen
festschreiben. Wir haben die Gruppenprophylaxe für besondere Risikogruppen bis zum 16. Lebensjahr erweitert
- eine klare Verbesserung für unser Gesundheitssystem,
auch wenn sich dies vielleicht erst in einigen Jahren kostensparend bemerkbar machen wird.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen werden entsprechend ihrer Verpflichtung zur Wirksamkeit und
Wirtschaftlichkeit einen Katalog geeigneter Maßnahmen
zur Prävention vereinbaren. Dieser Katalog hat sich an
der jeweiligen Zielgruppe und an dem Versorgungsbedarf der Versicherten zu orientieren. Der Gewinn für die
Versicherten soll im Mittelpunkt stehen, nicht der Wettbewerb der Krankenkassen.
({6})
Solche Maßnahmen der Prävention sind jedoch nur
dann sinnvoll und für die Versicherten zweckmäßig,
wenn die Leistungen in Kooperation mit den bereits
vorhandenen Strukturen stattfinden. Hier meine ich insbesondere die Sportverbände, die Bildungseinrichtungen
und die Landesvereinigungen für Gesundheit.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Krankenkassen
werden stärker in die betriebliche Gesundheitsförderung
einbezogen. Im Rahmen dieser Gesundheitsförderung
können sie Maßnahmen durchführen, die den Arbeitsschutz ergänzen; sie sollen auch bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren mitwirken - ein
förderlicher Beitrag zur menschengerechten Gestaltung
der Arbeit.
({7})
Es ist für uns selbstverständlich, die Qualität der Präventionsleistungen zu sichern, zum Beispiel durch ausschließlich nachweisgestützte Interventionen. Das heißt,
daß mit der Aufgabenzuweisung eine Verpflichtung der
Krankenkassen zur regelmäßigen Qualitätssicherung
und Evaluation verbunden wird. Dazu werden die Spitzenverbände der Krankenkassen in Kooperation mit anderen Akteuren der Gesundheitsförderung und unabhängigem Sachverstand Qualitätskriterien erarbeiten. Dies
ist sinnvoll, da so dem Gedanken einer evidenzbasierten
Medizin der wirksamen und notwendigen Prävention
entsprochen wird, und dies ist für die Bürgerinnen und
Bürger in doppeltem Sinne interessant: Als Nutzer sind
sie an einer qualitativ hochwertigen Angebotspalette inHelga Kühn-Mengel
teressiert, als Beitragszahler an einer möglichst effizienten Verwendung der finanziellen Mittel.
Selbsthilfe - ein weiterer wichtiger Baustein unseres
Gesundheits- und Sozialsystems - bedeutet eigenverantwortliches und gemeinschaftliches Handeln, bessere
Bewältigung einer Krankheit, bedeutet Hilfe nicht nur
für den Kranken, sondern auch für die Menschen in seiner näheren Umgebung. Darüber hinaus ist es wichtig,
daß chronisch kranke und behinderte Menschen anders
eingebunden werden. Sie lehnen es ab, von den Repräsentanten eines professionellen Versorgungssystems als
Objekt betrachtet zu werden. Sie stellen die berechtigte
Forderung, als Experten in eigener Sache bei der Planung und Durchführung aller sie betreffenden Maßnahmen eingebunden zu werden.
({8})
Wir stärken der Selbsthilfe den Rücken, wir integrieren
sie in das Gesundheitswesen. Das ist ein wichtiger
Punkt.
Patientenrechte und Patientenschutz wurden bereits
angesprochen. Die Verbesserung auch dieser Rechte
bzw. dieses Schutzes verfolgt unser Gesundheitsreformprojekt 2000. Bisher hat das Recht den Patientinnen und
Patienten nur dann geholfen, wenn es bereits zu einem
Behandlungsfehler gekommen war. Unsere Vision richtet sich darauf, daß die Patientinnen und Patienten von
vornherein aktiv in den Behandlungsprozeß einbezogen
werden. Dazu brauchen sie verbesserte Informationen.
Die im Arztrecht schon seit langem verankerte Pflicht
des Arztes, seinen Patienten aufzuklären, bevor dieser
seine Einwilligung zu einer ärztlichen Maßnahme gibt,
reicht oft nicht aus. Wir stärken diesen Bereich. Dazu
werden zum Beispiel Einrichtungen der Verbraucherund Patientenberatung gezielt gefördert. Die Krankenkassen erhalten die Möglichkeit, Modellprojekte zu finanzieren. Unabhängige Stellen sollen diese Arbeit
übernehmen. Auch das ist ein wichtiger Punkt in unserem Reformvorhaben.
({9})
Ich möchte Sie abschließend darauf aufmerksam machen, daß sich die Rolle der Patienten und Patientinnen
in unserer Gesundheitsreform verändert hat. Sie waren
bisher eher Objekte der Fürsorge. Wir rücken sie wieder
als Handelnde, als gleichberechtigte Partner in den Mittelpunkt und unternehmen dafür die richtigen Schritte.
Sie wissen, daß wir an der Erstellung einer PatientenCharta arbeiten. Da sind bereits wichtige Akzente gesetzt worden.
Die These unbegrenzter Nachfrage im Gesundheitssystem setzt einen uninformierten Patienten voraus.
Wenn wir lesen, daß jede zweite der jährlich rund
100 Millionen Röntgenuntersuchungen nach Aussage
der Deutschen Röntgengesellschaft überflüssig ist, daß
nach einem Bericht des BMG mindestens 25 Prozent der
durchgeführten Eierstock- und Eileiteroperationen vermeidbar wären, wissen wir, worauf es ankommt: Nur
der gut informierte Patient, die gut informierte Patientin
ist in der Lage, Eigenverantwortung zu übernehmen und
die Angebote im System sinnvoller und kostensparender
zu nutzen.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zöller.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frau Ministerin hat uns unterschwellig vorgeworfen, wir würden
auf der Seite der Leistungserbringer stehen. Ich frage
Sie: Ist es unredlich, sich für berechtigte Belange von
Krankenschwestern, Ärzten und Pflegepersonal einzusetzen?
({0})
Wie weit Sie wieder einmal von Ihren Worten entfernt sind, zeigt sich daran, daß wir mehr auf der Seite
der Patienten stehen. Wir haben den Antrag eingebracht,
500 Millionen DM mehr für Demenzkranke auszugeben.
Mit der Begründung, das sei nicht finanzierbar, wurde er
im Gesundheitsausschuß mit Ihrer Mehrheit abgelehnt.
Im gleichen Jahr nehmen Sie aber 400 Millionen DM
aus der Pflegeversicherung heraus und verbuchen sie bei
der Bundesanstalt an einer anderen Stelle. Das ist kein
Einsatz für Patienten.
({1})
Wir werden, ob Sie es wollen oder nicht, leider dazu
kommen, daß das Ergebnis Ihrer rotgrünen Gesundheitspolitik sein wird: je reicher, desto gesünder, je ärmer, desto kränker.
Ich will Ihnen das an Beispielen belegen. Ihre Positivliste wird zur Zwei-Klassen-Medizin führen. Für
viele chronische Erkrankungen gibt es nämlich noch
keine Arzneimittel, die eine ursächliche Therapie ermöglichen. Es gibt aber sehr viele Präparate, die den
Patienten substantiell und subjektiv helfen. Mit Ihrer
Positivliste grenzen Sie also solche Mittel aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen aus, und
die Patienten müssen sie zu 100 Prozent selbst zahlen.
Ich frage Sie: Ist es patientengerecht, die Zuzahlung um
1 DM zu senken, aber dafür 30 Prozent der Arzneimittel
vollständig von den Patienten bezahlen zu lassen?
({2})
Auch dies bedeutet wieder: Vermögende Patienten werden sich bewährte Präparate leisten können; für chronisch Kranke und ältere Menschen ist es ein Nachteil.
Die Positivliste ist auch medizinisch der verkehrte
Ansatz. Es besteht nämlich die Gefahr, daß nach der
Ausgrenzung von etwa einem Drittel der Verordnungen
ein Ausweichen auf stärker wirksame Präparate stattfindet. Aber stärker wirksame Präparate haben nun leider
auch stärkere Nebenwirkungen. Dies kann wiederum
nicht sinnvoll für Patienten sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu Ihrem
sogenannten „Benchmarking-Modell“ möchte ich folgendes sagen: Ich verstehe darunter Orientierung am
Besseren, am Sinnvolleren. Sie verstehen darunter
scheinbar Orientierung am Billigsten.
({3})
Das bestätigt auch wieder, daß Sie Gesundheitspolitik
zur Zeit rein fiskalisch und nicht bedarfsorientiert gestalten.
({4})
Wie widersprüchlich dieses Modell ist, kann ich Ihnen auch beweisen: In einer Region, in der sehr viele
Patienten statt stationär ambulant versorgt werden - was
wir übrigens alle wollen -, fallen automatisch höhere
Arzneimittelkosten an. Nach Ihrem System werden für
eine solche Region im kommenden Jahr die Mittel mit
dem Ergebnis gekürzt, daß man wieder ins Krankenhaus
einweisen wird. Sie sparen also einige hundert Mark für
Arzneimittel, geben aber einige tausend Mark mehr für
Krankenhausaufenthalte aus. Das kann nicht sinnvoll
sein.
({5})
Ein weiteres Beispiel, das die Widersinnigkeit dieses
Modells belegt: In einer Region mit einer sehr hohen
Arbeitslosenquote sind auf Grund der großen Zahl von
Patienten, die von der Zuzahlung befreit sind, die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen für Arzneimittel höher. Aber gerade hier nehmen Sie dann im
Folgejahr Kürzungen vor. Sie kürzen also bei Arbeitslosen. Es tut mir leid: Mit sozial hat das nichts zu tun.
Dieses Gesetz ist wirklich Pfusch.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit Argumenten, die vor zehn Jahren noch Gültigkeit gehabt haben mögen, aber heute nicht mehr zutreffen, propagieren
Sie die Abgabe von Reimportarzneimitteln. Durch Ihre
Regelung werden die Apotheker verpflichtet, preisgünstige reimportierte Arzneimittel abzugeben.
({7})
Nun könnte man sagen: Das ist sinnvoll. Aber die MußVorschrift, die Sie jetzt geschaffen haben, bedeutet in
letzter Konsequenz, daß die Apotheker alle deutschen
Arzneimittel aus ihrem Regal herausnehmen
({8})
und die Versorgung mit reimportierten Arzneimitteln
sicherstellen konnten.
({9})
- Wenn Sie auch den nächsten Satz hören, werden Sie
merken, daß Ihr Zwischenruf nicht sinnvoll war. Wenn
man nämlich weiß, daß die Arzneimittelpreise im Ausland staatlich reguliert oder sogar staatlich bezuschußt
werden, weiß man, daß dies ein Vernichtungsprogramm
für deutsche Arbeitsplätze ist.
({10})
Auch wird der Arzt künftig nicht mehr wissen, welches Arzneimittel der Patient wirklich bekommen hat,
weil der Apotheker ihm ein anderes als das verordnete
geben kann. Herr Kollege Dreßler, in diesem Fall wäre
eine prozentuale Zuzahlung die intelligentere und zielführendere Lösung. Über diese Lösung sollten wir uns
unterhalten. Sie ist auf jeden Fall besser als eine staatliche Überreglementierung. Apropos Überreglementierung: Sie gründen jetzt ein neues Institut, das die Zulassungen der Zulassungsbehörde darauf überprüfen soll,
ob deren Zulassungen als zugelassen gelten. Es tut mir
leid, aber ich verstehe nicht, was das mit Entbürokratisierung zu tun haben soll.
({11})
Wie konzeptlos und unausgegoren Ihr Gesetz ist,
sieht man auch an der Regelung für Zahnersatz. Wir
hatten ein Festzuschußsystem für Zahnersatz eingeführt. Das bedeutete, daß der Patient für eine zahntechnische Lösung, zum Beispiel eine Brücke, einen einheitlichen Betrag von seiner Kasse erhielt. Dabei spielte es
keine Rolle, für welche Versorgungsform er sich entschied. Sie haben diese Regelung zu Beginn dieses Jahres gekippt und eine prozentuale Bezuschussung eingeführt.
Gestern lese ich, daß der Kollege Dreßler zurück zum
Festzuschuß will, da dies - so bestätigte Dreßler - sozial
gerechter ist als ein prozentualer Zuschuß.
({12})
Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierung, wissen Sie eigentlich noch, was Sie wollen? Sie
legen ein Gesetz vor, sagen aber, das andere sei sinnvoller. Vielleicht sollte man sich da einigen.
Lassen Sie mich noch ein weiteres Beispiel Ihrer Inkonsequenz ansprechen. Ich zitiere aus einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit vom
April diesen Jahres:
Die Bundesregierung wird die Gebühren für tierärztliche Leistungen der aktuellen Entwicklung anpassen. Die derzeitige Fassung der Gebührenordnung für Tierärzte ist seit dem 1. April 1988 in
Kraft. In den vergangenen 11 Jahren sind die Praxiskosten, vor allem auch die Personalkosten, erheblich gestiegen, so daß eine Anpassung überfällig
war.
({13})
Frau Ministerin, Sie hatten Recht. Nur, die Gebührenordnung für Zahnärzte ist noch länger nicht mehr angepaßt worden.
({14})
Was für Hunde gilt, sollte für Patienten schon längst
gelten. So kommt es nämlich zu der sehr seltsamen
Regelung, daß für eine Zahnfüllung bei einem Hund
135 DM gezahlt wird, für eine Zahnfüllung bei einem
Kassenpatienten aber nur 30,75 DM.
({15})
Meine Befürchtung, daß wir mit dieser Regierung auf
den Hund kommen, hat sich leider bewahrheitet.
({16})
Ich darf noch eine gute Äußerung Ihres Kollegen
Dreßler zitieren, und zwar:
Die Tatsache, daß Qualität vor Schnelligkeit geht,
hätten wir schon früher berücksichtigen sollen.
Das unterstreiche ich voll. Deshalb mein Vorschlag: Mit
unserem Gesundheitsgesetz hatten wir 1997 und 1998
einen Überschuß in der gesetzlichen Krankenversicherung. Jetzt sagt Frau Fischer, auch 1999 gebe es kein
Defizit. Wenn dem so ist, dann lassen Sie doch unser
Reformgesetz so lange wirken, bis wir gemeinsam ein
sinnvolleres Gesetz mit den Beteiligten erarbeitet haben.
Wir bieten hierzu unsere Mitarbeit an.
({17})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.
Herr Zöller, wir wissen ja, daß gerade die Zahnärztinnen und Zahnärzte in Deutschland eine besonders
benachteiligte Gruppe sind. Deswegen kann ich gut verstehen, daß Sie sagen, Sie wollen sich nicht auf die Seite
derer stellen, die die Leistungserbringer vertreten. Sie
sagen, das seien alles berechtigte Ansprüche, die da gestellt werden. Aber daß Sie ausgerechnet die Zahnärzte
als Beispiel für jene anführen, die berechtigte Ansprüche
haben, macht mich stutzig.
Ich will Ihnen eines sagen: Der Unterschied zwischen
Ihnen und uns ist, daß Sie mit Ihren Gesundheitsgesetzen der Vergangenheit immer, insbesondere in der letzten Legislaturperiode, als Tiger gesprungen und als
Bettvorleger gelandet sind. Und warum? Weil Sie sich
nicht getraut haben, mit den Leuten ins Gespräch
zu kommen, weil Sie einseitige Lobbypolitik betrieben
haben,
({0})
und weil Sie sich nicht getraut haben, in einen Dialog
einzutreten, sondern schon bei der ersten Kritik von
seiten der Leistungserbringer den Schwanz eingezogen
haben.
({1})
Herr Zöller, schauen Sie sich einmal an, was jetzt
passiert: Gestern ist ein Aktionsprogramm vorgestellt
worden, das ein gutes Beispiel dafür ist, daß sich Politik
im Dialog machen läßt - auch im Dialog mit der Leistungserbringerseite - und daß bei dieser Regierung
endlich die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt
stehen und nicht zweifelhafter Lobbyismus.
({2})
Das müssen Sie sich ins Stammbuch schreiben lassen.
Lassen Sie mich noch etwas zum Globalbudget sagen. Wir stehen ja heute eigentlich in Beratungen über
den Haushalt.
Frau Kollegin,
es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage des
Kollegen Seifert.
Im Moment nicht, Herr Seifert. Ich komme
gleich auf Sie zurück, möchte jetzt aber kurz auf das
Globalbudget eingehen. - Wir befinden uns in der Beratung über einen Sparhaushalt. Wir müssen sparen, weil
es durch die Ergebnisse Ihrer Regierung nötig geworden
ist.
({0})
Wir stehen aber bei der Gesundheitsstrukturreform mit
dem Globalbudget vor einem Programm, mit dem mehr
Geld ins System soll und das Regulierung und nicht Reglementierung will. Genau das ist die Art von Politik,
die uns weiter führen wird - als das, was Sie uns gebracht haben.
({1})
Das ist nämlich Abgrundpolitik gewesen, und Sie waren
ganz verwundert, als Sie runtergeschaut haben.
({2})
Wir machen gerade im Gesundheitssystem eine Politik,
die uns weiterführen wird
({3})
und die es uns schaffen lassen wird, das solidarische System zu erhalten.
({4})
Jetzt zu Ihnen, Herr Kollege Seifert.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin
- Da Sie wie auch die Ministerin immer betonen, daß
die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt Ihrer
Politik stehen, sagen Sie mir doch bitte einmal eines:
Wie können Sie das mit der Praxis vereinbaren, die wir
zum Beispiel in Berlin erleben? Dort sollen im Gesundheitsbereich jetzt 4 000 Stellen abgebaut werden, und
zwar vorwiegend im pflegerischen Bereich. Wo sind da
die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt? Wie
können Sie es mit Ihrer Politik - ich kaufe sie Ihnen ja
grundsätzlich ab -, bei der es darum geht, die Patientinnen und Patienten und nicht irgendwelche anderen
Gruppen in den Mittelpunkt zu rücken, vereinbaren, daß
beispielsweise in Ost-Sachsen zuerst pflegerisches
Personal entlassen wird und erst dann eventuell andere
Einsparmaßnahmen ins Auge gefaßt werden?
Herr Seifert, diese Diskussion werden wir auch
noch in den Ausschüssen zu führen haben. Es muß tatsächlich zu denken geben, daß ausgerechnet beim
Pflegepersonal eingespart wird. Das hat aber nichts mit
der Politik der Regierung zu tun. Das wissen Sie auch.
({0})
Das hat vielmehr mit der Frage zu tun, wo das Geld
denn im System bleibt.
({1})
Wenn man mit Pflegekräften spricht, dann erfährt man,
({2})
daß diese Menschen eine ganze Reihe von sehr sinnvollen Vorschlägen machen, wie man im System etwas ändern kann.
({3})
Ich glaube, darauf müssen wir eingehen. Das ist aber
nicht die Aufgabe der Politik von oben. Das muß vielmehr - das wissen Sie alle - innerhalb des Systems geschehen. Dort, wo wir etwas beitragen können, daß diese
Vorschläge gehört werden, werden wir das auch tun.
({4})
Dazu gibt es auch eine ganze Reihe sinnvoller Vorschläge aus den Anhörungen.
Lassen Sie mich, da meine Redezeit schon so gut wie
um ist, noch eines sagen: Sie haben doch alle in den Anhörungen gesessen. Dort haben Sie erlebt, daß das, was
Sie an ziemlich unsachlicher Argumentation angestiftet
haben, durch eine sehr sachliche Argumentation und
insbesondere viel Lob für diesen Gesetzentwurf
({5})
abgelöst worden ist - gerade dort, wo es um die Rechte
von Patientinnen und Patienten geht, ihre Möglichkeiten
eigenverantwortlich und selbstbestimmt wahrzunehmen,
und dort, wo man die Chance hat, ein System der gemeinschaftlichen Kompetenz von Ärzten, Patienten und
Pflegepersonal zu schaffen. Ich glaube, daß wir insofern
auf dem richtigen Weg sind und daß es uns auch von
außen bestätigt wird.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile jetzt
dem Abgeordneten Wolfgang Lohmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe noch in Berlin gebliebene Kolleginnen und
Kollegen! Ich weiß, daß Sie nur meinetwegen hiergeblieben sind; denn Sie erwarten Ausführungen, die nicht
an der Sache vorbeigehen.
Frau Ministerin, zunächst habe ich eine Bitte - ich
beschwöre Sie fast -: Hören Sie doch bitte damit auf,
den Menschen mit schönen Überschriften - darin sind
Sie Meister; das haben Sie wahrscheinlich vom Bundeskanzler übernommen - einzureden,
({0})
daß in der Gesundheitspolitik etwas geschieht, was den
Menschen und Patienten dient, während Sie die Konsequenzen Ihrer Politik verschweigen! Ich nenne einmal
ein paar Beispiele: Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Sicherung der Beitragsstabilität durch Globalbudgets, Verzahnung von
ambulanter und stationärer Versorgung, stärkere Orientierung an der Prävention oder bedarfsgerechte Investitionen im stationären Bereich - das klingt alles großartig.
({1})
In den ersten öffentlichen Anhörungen ist ja auch bestätigt worden, daß das großartig klingt; nur kann es nicht
zur Durchführung kommen. Das haben übrigens alle
Beteiligten so gesagt.
({2})
Sagen Sie doch den Menschen, daß sich die medizinische und gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung
in Deutschland bei Inkrafttreten dieser Reform negativ
entwickeln wird, weil den Menschen die notwendige
Versorgung zum Teil radikal, zum Teil aber auch nur
schleichend vorenthalten werden wird!
({3})
Ihr Staatssekretär hat mir neulich bei einer Podiumsdiskussion, an der ich beteiligt war, gesagt, er könne
dieses Gerede von Rationierung nicht mehr hören, es
gehe ihm auf den Geist.
({4})
Den Leuten, denen demnächst die medizinischen Leistungen vorenthalten werden, geht das nicht nur auf den
Geist; denen geht es auf den Körper.
({5})
Sie waren vielleicht in einem Akt vorauseilenden Gehorsams bereit, durch Beteiligung an dem „Aktionsprogramm zur Einhaltung der Arznei- und Heilmittelbudgets 1999“ die Verantwortung dafür wenigstens
mitzuübernehmen. Mir ist gesagt worden, dieses Aktionsprogramm unterscheide sich von dem Notprogramm,
das drei Wochen lang in der Diskussion war, nur dadurch, daß es erstens nicht „Notprogramm“ heißt, sondern „Aktionsprogramm“, und daß zweitens das Wort
Warteliste dort nicht vorkommt. In der Tat: Das Wort
Warteliste steht nicht mehr drin.
({6})
Ich habe ein Exemplar dieses Blattes mitgebracht und
es vergrößert, damit Sie es auf die Entfernung auch lesen können. Dort ist als Zusammenfassung von zig Seiten aufgeführt, was den Menschen demnächst nicht
mehr verordnet werden darf. Dort steht zum Beispiel: Es
werden Originalpräparate durch preiswertere, aber wirkungsgleiche Produkte mit gleicher Substanz ersetzt.
({7})
Das ist also fast ein Veränderungsverbot. Die forschende
Industrie in Deutschland mit ihren Arbeitsplätzen wird
sich sehr darüber freuen,
({8})
wenn Sie so weit gehen, daß diese Originalpräparate
nicht mehr verordnet werden dürfen.
({9})
Das gleiche gilt für altbewährte Medikamente und für
Arzneimittel bei geringfügigen Gesundheitsstörungen.
In Deutschland ist es ja so, daß man, wenn zwei Professoren über ein Arzneimittel unterschiedlicher Meinung
sind, sofort sagt: Das sind umstrittene Arzneimittel. Bei
diesen Medikamenten wird der therapeutische Nutzen
infrage gestellt.
Schließlich heißt es zu Massagen und Krankengymnastik:
… werden bei Störungen des Befindens
- da würde ich sagen, das ist in Ordnung und bloßen Verspannungen
- denken wir in diesem Zusammenhang an Behinderte nicht verordnet. Ihr Arzt wird Sie aber zu eigenständigen Übungen anleiten und auf geeignete
Schulungen hinweisen!
Jetzt ist mir auch klar, warum § 20 SGB V fröhliche Urständ feiert. Das heißt, demnächst sollen über § 20 die
Dinge, die im Rahmen des Globalbudgets verhindert
werden müssen, möglich gemacht werden.
Frau Kühn-Mengel, Sie haben das ja in den Mittelpunkt Ihrer Rede gestellt. Als wenn ich es geahnt hätte,
habe ich eines dieser sagenumwobenen Hefte in Kopie
mitgebracht. Denn Sie oder die Kollegin Freitag, die
sich ja besonders auf dem Gebiet des Sports betätigt,
oder auch die Kassen selbst sagen: Der Mißbrauch, den
es seinerzeit gab, war eine leichte Ausfallerscheinung; in
größerem Umfang hat es das nicht gegeben.
Das Heft, das ich mitgebracht habe, ist von der AOK.
Ich will nicht all die Stellen vorlesen, in denen ich ein
Lesezeichen stecken habe. Gesundheitswochen würden
ja noch in Ordnung gehen. Dann kommt die Ernährungsberatung. Hier wird gesagt: „Pfund um Pfund weniger“. Ferner geht es um Aerobic-Unterricht und um
Bewegung und Tanz im Vorschulalter. Weiterhin wird
Partnermassage angeboten. Ein anderer Kurs heißt: „Das
wundersame Nichts - wassergestützte Entspannung und
Meditation für Frauen“. Was das auch immer heißen
mag: Das alles wurde durch Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung finanziert. Das haben wir abgeschafft, und nun wird versucht, dort wieder einzusteigen. Sie haben hoch und heilig versprochen, daß Sie
darauf achten wollen, daß solch ein Mißbrauch nicht
mehr passiert, und daß diesmal die entsprechenden Sicherungen eingebaut werden. Wir haben aber Zweifel,
ob das so kommt.
Sie wollen das Programm umsetzen. Jeder in der Regierung - auch Sie - sagt: Wir ziehen das jetzt durch.
Nach den Wahlen sagten Herr Clement oder Herr Müntefering im Fernsehen: Nun reicht es aber auch mit den
Ohrfeigen; wir haben jetzt verstanden. Anschließend trat
der Bundeskanzler auf und sagte: Das ziehen wir jetzt
durch. Das heißt also, er hat es immer noch nicht verstanden. Deswegen müssen die Wahlen in den nächsten
Wochen zu ähnlichen Ergebnissen führen wie die, die
schon stattgefunden haben.
Herr Kollege
Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßler?
Ja, natürlich.
Herr Kollege Lohmann, wären Sie so freundlich, dem Hohen Hause noch einmal
vorzulesen, welcher Mißbrauch während Ihrer Regierungszeit von den deutschen Krankenkassen zugelassen
wurde? Ich habe das nicht alles verstanden, was Sie gerade vorgelesen haben. Das ereignete sich ja während
Ihrer Regierungszeit.
({0})
Wolfgang Lohmann ({1})
Würden Sie dem Hohen Hause bitte noch einmal vorlesen, welcher Mißbrauch während Ihrer Regierungszeit
von deutschen Krankenkassen zugelassen wurde?
({2})
Lieber Herr Dreßler, Sie müssen sich schon bessere
Tricks einfallen lassen, um mich auf diese Weise aufs
Kreuz zu legen.
({0})
Entsprechende Anderungen sind in unserer Regierungszeit umgesetzt worden. Nach 1992 haben wir gemeinsam Anstrengungen unternommen.
({1})
Wir haben die Konsequenzen gezogen und § 20 SGB V
stark verändert, um nicht zu sagen: abgeschafft. Diese
Maßnahme haben Sie gegeißelt, obwohl die Mißstände,
die Sie erwähnt haben, nicht mehr vorkamen. Nun will
Ihre Regierung aber zu einer Finanzierung im Rahmen
des § 20 SGB V zurückkehren. Das ist die Wahrheit.
({2})
Gestatten Sie
eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Dreßler?
Ja, bitte schön, obwohl ich aus der Vergangenheit noch
weiß, daß Herr Dreßler meine zweite Zwischenfrage nie
zugelassen hat. Ich will mich aber anders verhalten.
Herr Kollege Lohmann, ich
werde mich in Zukunft bei Zwischenfragen von Ihnen
bessern.
Ich möchte nachfragen: Habe ich Sie richtig verstanden, daß sich die Kritik, die Sie geäußert haben,
nicht gegen das von uns geänderte Gesetz richtet, sondern daß Sie mit dieser Kritik unterstellen, Absicht
des Gesetzes ist es, den alten, von Ihnen in Ihrer damaligen Regierungszeit korrigierten Zustand wiederherzustellen? Das heißt, Sie haben nicht gesagt, es ist so,
Sie haben vielmehr behauptet, es würde so sein. Ist das
korrekt?
Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Gefahr angesichts Ihrer Versprechungen groß ist.
({0})
Zunächst einmal muß man Ihre Vorschläge so, wie sie
sind, zur Kenntnis nehmen.
({1})
- Was nun stimmt, konnten wir ja inzwischen erfahren.
- Unsere Fraktion hält die Grundkonzeption dieses Gesundheitsreformgesetzes ab dem Jahr 2000 für verfehlt.
Ich möchte noch das zitieren, was Professor Arnold
auf der letzten Anhörung vor wenigen Tagen gesagt hat:
Zusammenfassend: Die Höhe der mit dem Globalbudget verfügbaren Mittel ergibt sich nicht aus
Versorgungsnotwendigkeiten. Die für die eigentliche Versorgung verfügbaren Anteile des Budgets
werden durch die Kosten einer überbordenden Bürokratie und zusätzliche Aufgaben gemindert. ...
Die Knappheit macht es unmöglich, alle - wie unscharf auch immer zu definierenden - notwendigen
Leistungen zu erbringen.
Die so unvermeidliche Rationierung wird, da auf
eine offene Diskussion über verträgliche Rationierungsansätze im Glauben an die Mobilisierbarkeit
von Wirtschaftlichkeitsreserven verzichtet wird,
verdeckt erfolgen und zur Zweiklassenmedizin führen.
Soweit Professor Arnold.
({2})
Sie haben bisher kein Wort über die fehlenden Einnahmen gesagt. Sie haben immer nur über die überbordenden Ausgaben gesprochen, obwohl wir alle wissen,
daß das Problem auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit
in einem erheblichen Maße in den geringen Einnahmen
steckt. Dazu wird in dem Gesetzentwurf nichts gesagt.
Sie geben keine Antworten auf die Folgen der demographischen Entwicklung. Es findet sich kein Wort zum
medizinisch-technischen Fortschritt. Sie stellen auch
nicht die Frage, ob der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung angesichts geänderter Rahmenbedingungen überprüft werden muß.
Ich möchte in diesem Zusammenhang zitieren, was
Professor Wille auf der eben schon erwähnten Anhörung
gesagt hat. Professor Wille ist auf allen Seiten des Hauses als einer der wenigen neutralen Sachverständigen
anerkannt. Er sagte folgendes:
Es erfolgt per saldo keine Weiterentwicklung der
Wettbewerbsorientierung; der Gesetzentwurf setzt
vielmehr in weiten Teilen auf Regulierung, Zentralisierung und Kontrolle. Besonders deutlich zeigt
sich dies beim Globalbudget, dessen Einhaltung eine fünfstufige vertikale Kontrollkaskade ({3}) sicherstellen soll. Dabei mündet
diese „Kontrollorgie“ dann in eine rechtlich schwache Sollvorschrift ...
Wenn Sie uns schon nicht glauben, nehmen Sie sich
doch wenigstens die Äußerungen dieser Sachverständigen zu Herzen und denken über den Gesetzentwurf noch
einmal nach. Mit ihm wird das Gesundheitswesen zu einem Brennpunkt dauernder Diskussionen, die wir alle
gemeinsam nicht mehr wollen. Das Ergebnis wäre aus
meiner Sicht - ich habe am Anfang Ihre Ziele zitiert -:
Beitragssatzsteigerungen ab Mitte 2000, schleichende
Beeinträchtigung der freien Arztwahl, Abbau der Therapiefreiheit durch Listenmedizin - Stichwort Positivliste -,
wozu sich schon der Kollege Zöller geäußert hat.
Die Investitionen in den Krankenhausbereich werden auf den Stand vor 1972 zurückgeworfen. Wie sah es
denn aus, Herr Dreßler - dies müßten Sie eigentlich
doch noch wissen -, als die Krankenkassen über die Investitionen in die Krankenhäuser bestimmt haben? - Die
Substanz ging vor die Hunde. 1972 wurde deshalb bewußt die Monistik abgeschafft und die Finanzierung und
Planung in die Hand der Länder gelegt.
Tausende von Arbeitsplätzen werden verlorengehen.
Deswegen die Bitte: Ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf
endlich zurück! Lassen Sie den Beteiligten ein Jahr
mehr Zeit, um eine vernünftige Reform zu erarbeiten.
Nachbessern - das Wort des Jahres 1998 - ist keine Lösung. Wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen
ist, wenn es lange Wartelisten gibt und wenn die Arbeitsplätze bereits vernichtet sind, dann sind Nachbesserungen nur ein schwacher Trost. Wenn Sie Ihre Planungen so, wie von Herrn Schröder beabsichtigt, durchziehen, dann legen Sie die Axt an das System einer gesundheitlichen Versorgung, die nach wie vor und anerkanntermaßen in Deutschland an der Spitze liegt. Das
haben weder die Beitragszahler noch die Patienten verdient. Auch unser Land hat dies nicht verdient.
Danke.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Martin Pfaff.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Natürlich sind Haushaltsdebatten auch Anlaß, um über den gesundheitspolitischen
Kurs zu sprechen; denn sie geben uns Gelegenheit, uns
nicht nur mit der Vergangenheit, sondern auch mit Perspektiven auseinanderzusetzen. Wir haben dies getan.
({0})
Auch in diesem Bereich gilt die Erkenntnis: Wer
notwendige Strukturreformen aus Angst vor mächtigen Lobbyinteressen und aus Angst davor, Klientelinteressen zu verprellen, verweigert, genießt vielleicht eine
kurzfristige Atempause, aber er verspielt die Zukunft.
Dies wollen wir alle nicht.
({1})
Schon einmal in der jüngeren Vergangenheit standen
wir vor einer ähnlichen Situation. Auch damals waren
Strukturreformen notwendig, um Qualität und Wirtschaftlichkeit sowie Stabilität der Beiträge zu gewährleisten. Schon einmal in der Vergangenheit war wirklich
entschlossenes, konzertiertes Handeln gefordert. Schon
einmal geriet der zuständige Gesundheitsminister unter
den erbarmungslosen Druck organisierter Klientelinteressen. Sie werden sich daran erinnern. Aber damit sind
die Parallelen leider schon zu Ende; denn im Gegensatz
zu Ihnen von der heutigen Opposition haben wir den
damaligen Gesundheitsminister Horst Seehofer nicht
allein im Regen stehen lassen.
({2})
Wir haben Konsensverhandlungen angeboten. In Lahnstein haben wir Verantwortung für das Ganze übernommen. Eine solche Haltung haben Sie in Ihren heutigen
Beiträgen leider vermissen lassen.
({3})
Sie haben im Gefolge von Lahnstein das Gesundheitsstrukturgesetz ausgehöhlt. Sie haben vor Wahlen
aus Gründen kurzfristiger politischer Opportunität
({4})
und der Befriedigung von Klientelinteressen vor der
Pharmaindustrie und vor den Ärzteverbänden den Kniefall geübt. Sie haben damit die Bremsen gegen die Ausgabendynamik entfernt. Anschließend waren Sie immer
wieder erstaunt darüber, daß die Beitragssätze unter
enormen Druck geraten sind. Sie wußten sich dann nicht
anders zu helfen, als die Zuzahlungen zu erhöhen und
die Leistungen zu privatisieren. Dies war Gift für die
Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und für unsere
Arbeitsplätze.
Die Beitragssatzstabilität konnten Sie auch nicht
über längere Zeit aufrechterhalten. Die zweijährige Beitragssatzstabilität, auf die Sie hingewiesen haben, haben
Sie nur deshalb erreicht, weil Sie den Patientinnen und
Patienten Zuzahlungen in Milliardenhöhe aufgebürdet
haben. Das ist die Kunst der Primitiven in der Gesundheitspolitik. Das kann jeder.
({5})
Wir lehnen es ab, diesen Weg weiterzugehen. Wir
wissen, daß wir den Weg immer höherer Zuzahlungen
nicht gehen können und wollen; denn er ist unsozial. Mit
Hilfe von Zuzahlungen kann die Entwicklung im Gesundheitswesen nicht gesteuert werden. Die Zuzahlungen belasten die Schwachen, die Alten und die Kranken.
({6})
Auch den Weg steigender Beitragssätze können und
wollen wir nicht gehen; den Männern und Frauen, die
über Jahre erwerbstätig waren und stagnierende oder sogar sinkende Realeinkommen hinnehmen mußten, kann
man keine höheren Beiträge zumuten.
Was uns bleibt, ist nichts anderes als die Politik der
Strukturreformen, um über Rationalisierungen Wirtschaftlichkeitsreserven zu aktivieren. Auch Sie wissen:
Eine solche Strategie kostet Zeit. Das ist das schwere
Vermächtnis Ihrer Regierungszeit für die Gesundheitspolitik dieser Regierung.
({7})
Das Problem ist, daß Sie dazu nicht stehen.
Wolfgang Lohmann ({8})
Trotz dieser Erblast haben wir schon einige der zentralen Wahlversprechen umgesetzt. Wir haben nicht nur
die Privatisierung des Zahnersatzes für Jüngere gestoppt.
Wir haben das Krankenhausnotopfer, diese absurde finanzpolitische Konstruktion, gekippt. Wir haben die
Koppelung von Beitragssatzanhebung und Zuzahlung
ebenfalls gekippt, und wir haben die Zuzahlung, aus finanziellen Gründen leider nur moderat, senken können.
Die chronisch Kranken haben wir ganz entlastet.
({9})
Wir haben auch unter schwierigen finanziellen Bedingungen Wort gehalten.
Sie haben in der Diskussion beklagt, daß wir zur
Finanzierung der Umsetzung des 630-Mark-Gesetzes
nicht genügend gesagt haben. In diesem Bereich haben
wir sehr schnell gehandelt. Wie haben Sie dieses Gesetz
verteufelt, lächerlich gemacht und heruntergeredet! Jetzt
zeigt sich, daß die Einnahmeschätzungen nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen werden. Schon in diesem Jahr werden die Ansätze von 1,3 Milliarden DM
allein von den Hauptbeschäftigten erreicht. Die Nebenbeschäftigten werden diesen Betrag erhöhen. Im Jahr
2000 wird dieser Betrag noch sehr viel höher sein.
({10})
Das absurde Theater, das wir in diesen Tagen von Ihnen
und auch von den Interessenverbänden erleben, ist extrem unglaubwürdig.
({11})
Dies alles ist leider noch kein Anlaß zur Entwarnung.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Natürlich, mit Vergnügen.
Vom Gesundheitsexperten Koppelin nehme ich immer
gern Fragen entgegen.
Danke schön.
Herr Kollege, da Sie das 630-Mark-Gesetz angesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie heute die
„taz“ gelesen haben, in der Ihre Kollegin von Renesse
interviewt wird. Sie nimmt Stellung zum 630-MarkGesetz. Ich darf zitieren:
Wir haben eine Reihe von Dingen tun müssen, die
bei den kleinen Leuten schlecht angekommen sind.
Stichwort 630-Mark-Gesetz. Bei diesen Entscheidungen hatten die Verantwortlichen nicht die Menschen vor Augen, um die es geht.
({0})
Was sagen Sie dazu?
Ich habe diese Zeitung heute
noch nicht gelesen. Ich kann Ihnen nicht zustimmen, daß
man auf der einen Seite eine Verbesserung der Finanzierungsgrundlage einfordert und es dann verteufelt, wenn
die Regierung handelt. Das ist unredlich und widersprüchlich.
({0})
Richtig ist, daß in diesem Bereich kein Anlaß zur
Entwarnung besteht; denn die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung werden im Jahr 1999 im
Westen wahrscheinlich um 2,3 Prozent steigen, während
die Grundlöhne nur um 2,0 Prozent steigen werden. In
Ostdeutschland ist diese Lücke noch sehr viel bedrohlicher. Einer Ausgabenentwicklung von voraussichtlich 3
Prozent im Jahr 1999 stehen Grundlohnzuwächse von
nur 1 Prozent gegenüber. Das Dilemma der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung im Osten
besteht darin, daß sich das Ausgabenniveau sehr viel
schneller an das Westniveau annähert, teilweise vielleicht sogar überschritten hat, daß aber die Einnahmen
angesichts der hohen Arbeitslosigkeit zurückbleiben.
Das ist eine Herausforderung für die Solidarität in unserem Land.
Was wäre denn geschehen, wenn wir in diesem
Jahr keine Budgetbremsen eingebaut hätten? Wie wäre
die Defizitentwicklung dann verlaufen? Auch wenn
wir in diesem Jahr keine Strukturmaßnahmen durchführen, wird das Defizit des nächsten Jahres enorm sein.
Auch deshalb sind wir alle gefordert. Wir müssen mehr
tun, um die Beitragssätze längerfristig zu stabilisieren,
um Qualität und Wirtschaftlichkeit längerfristig zu
sichern.
({1})
Um Wirtschaftlichkeitsreserven zu mobilisieren, müssen
die Rahmenbedingungen verändert werden.
Es gibt Schwachstellen, die eigentlich unstreitig sein
sollten: die mangelnde Verzahnung und Integration, die
fehlsteuernden Anreize im Vergütungssystem, die mangelnde Transparenz bei den Kostenstrukturen beispielsweise im Krankenhaus, die unzureichende Förderung
von Gesundheit, Prävention und Rehabilitation, die
Überkapazitäten im ambulanten und im stationären Bereich, die unbefriedigende Stärkung der Eigenkompetenz und des Patientenschutzes. Die Kollegin Helga
Kühn-Mengel hat darüber schon einiges gesagt.
Ich kann mir wirklich nicht ernsthaft vorstellen, daß
Sie diese Ziele, die Sie selbst in der Vergangenheit
mehrfach bejaht haben, nur deshalb in Frage stellen,
weil Sie jetzt in der Opposition sind.
({2})
- Dann laßt uns doch über die Wege reden! Davon habe
ich heute relativ wenig gehört, und das, was ich gehört
habe, war widersprüchlich.
({3})
Selbst die Wege oder die Instrumente - Sie haben sich
vielfach auf die Anhörung bezogen - wurden ganz anders dargestellt.
Herr Kollege Parr, Sie haben behauptet, wir hätten
mit den Anhörungen keine Freude gehabt. Ich sehe das
überhaupt nicht so. Ich zitiere einen von mir sehr geschätzten früheren Kollegen aus dem Sachverständigenrat, Herrn Professor Arnold, der sicherlich nicht im Verdacht steht, rotgrüne Gedanken zu vertreten:
Ich halte die Vorgabe einer Obergrenze nicht per se
für schlecht. Ich bin da ganz derselben Meinung
wie, glaube ich, alle, die hier am Tisch sitzen.
({4})
Also nicht die Idee einer globalen Begrenzung wird bezweifelt, allenfalls die Mechanismen.
({5})
- Wie war es denn mit Ihren Krankenhausbudgets auf
Landesebene? Wie war es denn mit den sektoralen
Budgets, die Sie während Ihrer Regierungszeit eingeführt haben?
({6})
Die waren in Ordnung, aber wenn wir jetzt von Budgetgrenzen sprechen, dann ist das nicht in Ordnung. Ich
halte das nicht für redlich.
({7})
Wo ist denn der Unterschied zwischen der Forderung
nach Beitragssatzstabilität und einem Globalbudget, das
mit den Grundlöhnen wächst? Das ist doch im Endeffekt
dasselbe. Das sollte man auch eingestehen.
({8})
Das Mittel des Regresses, das hier ebenfalls kritisiert
wurde, haben Sie eingeführt. Herr Kollege Parr, Sie
haben heute auch wieder in beispielhafter Widersprüchlichkeit gesagt, wir bräuchten eine Begrenzung der
Leistungen auf das medizinisch Notwendige. Wie sollen
wir denn die Begrenzung umsetzen, wenn wir nicht irgendeine Form der Budgetierung vorsehen? Sind Sie
nun für oder gegen das Globalbudget?
Ich kann mir angesichts dieser Diskussion nicht
ernsthaft vorstellen, daß kein Weg, der zu einer Begrenzung führt, gefunden werden kann; denn die internationale Erfahrung zeigt, daß in all den Ländern, in denen
Budgetierungen und Begrenzungen nicht umgesetzt
werden,
({9})
die Ausgabendynamik ein Ausmaß erreicht, die niemand
in diesem Hohen Hause wünschen oder akzeptieren
kann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zöller?
Sehr gerne.
Herr Kollege Professor Pfaff, Sie haben angesprochen, daß wir auch eine
Budgetierung im Bereich des Krankenhauses hatten.
Möchten Sie bitte eingestehen, daß es einen gravierenden Unterschied zwischen Ihrem Budget und unserem
Budget gibt? Ihr Budget enthält eine Vorgabe plus eine
von der Regierung festgelegte Steigerungsrate - in diesem Jahr beträgt sie 1,6 Prozent, obwohl die Löhne um
3,1 Prozent gestiegen sind -, ist also von vornherein
schon mit einem Defizit versehen, während wir in unserem Budget einen BAT-Ausgleich und Fallzahlregulierungen vorsahen, also Ausnahmen, die krankenhausspezifisch waren, in unsere Budgetüberlegungen eingeschlossen hatten? Sehen Sie diesen Unterschied?
Herr Kollege Zöller, wir
sind uns also einig, daß Sie auch ein Budget vorgesehen
hatten. Sie reden nur über die Art der Ausnahmen in diesem Bereich. Die Frau Bundesministerin hat heute schon
im Zusammenhang mit dem GKV-Strukturreformgesetz
auf Gespräche mit Ärzten und anderen hingewiesen und
gesagt, daß - darüber werden wir im Ausschuß diskutieren - unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen in
Zukunft möglich sein werden.
({0})
- Ja, das hat sie in Ihrer Anwesenheit gesagt.
({1})
Ich halte aber fest: Ich nehme mit Befriedigung zur
Kenntnis, daß Sie, Herr Zöller, sich endlich als erster zur
Tatsache bekannt haben, daß auch Sie budgetiert und
damit Ausgabenbegrenzungen vorgenommen haben.
({2})
Ein zweiter Bereich, die Monistik, wurde hier ebenfalls moniert. In Lahnstein gab es dazu eine andere Meinung. Wer wirklich leistungsbezogene Vergütungen im
Krankenhaus will, wer chancengleiche, faire Bedingungen des Wettbewerbs der Krankenhäuser untereinander
will, muß für die Finanzierung der Investitionen und laufenden Ausgaben aus einer Hand sein. Ich verstehe
nicht, daß das, was damals richtig war, heute falsch sein
soll, nur weil Sie in der Opposition sind. Dies ist einfach
nicht nachvollziehbar; es ist für mich, liebe Kolleginnen
und Kollegen, in höchstem Maße unredlich.
Sie haben noch mehrere andere Argumente gebracht,
die ich aus Zeitgründen jetzt leider nicht im Detail entkräften kann. Nur auf eines möchte ich zu sprechen
kommen: Datenschutz. Sie haben mehr Kostentransparenz gefordert und sich auch für integrierte Versorgungsformen ausgesprochen. Wie soll denn mehr
Kostentransparenz erreicht werden? Wie soll der Hausarzt beispielsweise über die Patientenkarriere entscheiden können, wenn er nicht weiß, was in anderen Leistungsbereichen verordnet und in Anspruch genommen
wird? Ohne Daten, ohne Informationen sind eine rationale Ausübung der Gesundheitsberufe und eine rationale
Gesundheitspolitik leider nicht möglich.
Ich appelliere an Sie: Geben Sie doch nicht alle
Überzeugungen auf, die Sie in Ihrer Regierungsperiode
vertreten haben! Die Vorstellungen zur Strukturreform,
die Sie vor einigen Jahren vertreten haben, waren - das
sagen alle Sachkenner - in vielen Bereichen sehr nahe
an den Positionen, die wir mit dem Gesundheitsstrukturgesetz II dargelegt hatten. Das war alles vor Ihrem Sündenfall, bevor Sie nach den zwei Landtagswahlen
glaubten, durch eine Politik der Privatisierung und der
Bedienung einer neoliberalen Klientel Wahlerfolge erzielen zu können.
({3})
Vorher waren wir sehr, sehr nah beieinander.
({4})
Auch in Zukunft muß unser Gesundheitssystem
finanzierbar bleiben, muß es eine hohe Qualität der
Versorgung gewährleisten, müssen auch Junge und Gesunde Vertrauen haben können, daß sie, wenn sie alt und
krank sind, eine Versorgung auf sehr hohem Niveau erhalten. Damit wir diese soziale Krankenversicherung
auch in Zukunft erhalten können, müssen jetzt Strukturreformen durchgeführt werden. Dies ist eine Nagelprobe, nicht nur für die Regierung, sondern auch für die
Opposition. Ich hoffe, Sie sind sich Ihrer Verantwortung
bewußt.
({5})
Weitere Wortmeldungen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit liegen nicht vor.
Wir kommen damit zur Schlußrunde. Ich gebe das
Wort dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Haushaltsdebatte in dieser Woche war jedenfalls in einem Punkte erhellend: Die Opposition hat kein eigenes
Konzept.
({0})
Die Positionen, die Sie hier aufgebaut haben, waren
Positionen, die widersprüchlich blieben, die verharmlost
haben - das müssen sie angesichts Ihrer eigenen Vergangenheit offenbar auch ({1})
und die der wirklichen Lage nicht ins Auge sehen.
Widersprüchlich, Herr Kollege Schäuble - das ist übrigens auch von allen Kommentatoren bemerkt worden -, sind Ihre Positionen, weil Sie aus dem schlichten
Gegensatz von „Es muß gespart werden“ und der anschließenden Feststellung, an welchen Ecken unsere
Sparmaßnahmen nicht erfolgen dürften, nicht herausgekommen sind.
({2})
Zweitens haben Sie überall erklärt, es würde gar nicht
oder wenig gespart. Auf der anderen Seite stellen Sie
sich aber bei allen möglichen Interessengruppen hin und
sagen, genau diesen Bereich würden wir kaputtmachen.
Sie müssen sich einmal entscheiden, ob Sie uns vorwerfen, daß wir sparen, oder ob Sie selber meinen, daß
gespart werden muß.
({3})
Entweder wird gespart - dann geht es auch jemandem
ans Leder, das ist ganz unvermeidlich -, oder es wird
nicht gespart, dann geht es niemandem ans Leder, und
Sie brauchen sich nicht zu empören. Auch aus dieser
Falle sind Sie nicht herausgekommen.
({4})
Verharmlost haben Sie, worum es wirklich geht. Sie
tun so, als würde es nur darum gehen, daß der Finanzminister Eichel im Haushalt 2000 das zurücknimmt, was
der Finanzminister Lafontaine im Haushalt 1999 draufgelegt hat.
({5})
Das ist, wie Sie wissen, grundfalsch.
Es ist übrigens, Herr Kollege Schäuble, schon traurig,
wenn ein Oppositionsführer, der selber nichts an Konzeptionen, nicht einmal an einzelnen Vorschlägen, anzubieten hat,
({6})
seine ganze Strategie auf Fakten aufbaut, die nicht
stimmen.
({7})
Das ist ein solches Drama für die Opposition, wie man
es sich in der Tat schlimmer nicht vorstellen kann.
Sie wissen das. Sie wissen ganz genau, daß im Haushaltsentwurf des Jahres 1999, den der Kollege Waigel
vorgelegt hat, eine Fülle von Dingen, die veranschlagt
werden mußten, nicht veranschlagt sind. Das haben wir
Ihnen oft genug gesagt, und das ist Ihnen auch alles bekannt. Ihre Strategie wird Ihnen also nicht weiterhelfen,
vielleicht noch am nächsten Sonntag und bei ein paar
anderen Wahlen; das mag wohl sein, und das müssen
wir leider mit einkalkulieren. Sie werden aber nicht
glauben, daß Sie damit zum Beispiel die Beratungen im
Bundesrat, wenn Sie denn darauf überhaupt Einfluß
nehmen und es nicht ganz den Ländern überlassen wollen, überstehen.
({8})
Das wäre dann auch ganz falsch, weil das zeigen würde,
daß Sie die Größe des Problems überhaupt nicht begriffen haben.
({9})
Das ist nämlich nicht eine einmalige Aufblähung des
Haushalts, die man zurücknehmen müßte - so falsch die
These ist. Die 82 Milliarden DM Zinsen, die wir ausgeben müssen, resultieren aus den 1,5 Billionen DM
Staatsverschuldung. Das ist das Problem, das uns noch
lange beschäftigen wird. Wir stehen nicht vor einer einmaligen Aktion, sondern vor einer langfristigen Konsolidierungspolitik.
({10})
Weil Sie nicht einmal die Basis analysieren, von der
man ausgehen muß, sind Sie auch nicht in der Lage, eine
politische Strategie aufzubauen, die auch nur ansatzweise eine Alternative zu dem darstellt, was wir hier präsentiert haben.
({11})
Sie haben sich eine zweite Verharmlosung zuschulden kommen lassen. Es ist sehr bedenklich, daß dieses
Eingeständnis erst zehn Jahre nach der Wiedervereinigung kommt. Jetzt erklären Sie, daß Klarheit darüber
bestand, daß die Kosten dafür noch von einer ganzen
späteren Generation getragen werden müßten. Hätten
Sie das einmal 1990 erklärt! Dann wären Sie wenigstens
ehrlich gewesen. Statt dessen taten Sie damals so, als
ginge es um gar nichts; dabei ging und geht es um sehr
viel.
({12})
Ich habe übrigens zu keinem Zeitpunkt - ich wiederhole das, weil auch das zu den Märchen gehört, die Sie
erzählen - die Kosten der deutschen Einheit in Frage
gestellt. Ich habe nur Ihr Vorgehen kritisiert - das haben
Sie ja auch zugegeben, Herr Kollege Schäuble -, die
Kosten in die Zukunft zu verlagern, statt sie zu dem
Zeitpunkt solide zu finanzieren, als sie anfielen. Darin
liegt das Problem.
({13})
Jetzt haben wir die Möglichkeit, so weiterzumachen
und alles unsere Kinder zahlen zu lassen. Dann stellt
sich aber die Frage, welche Gestaltungsmöglichkeiten
diese dann noch haben. Ich verstehe übrigens nicht, daß
den Kritikern von ganz links außen - oder von woher
auch immer - überhaupt nichts an der Frage zu liegen
scheint, welche Rolle der demokratische Staat in dieser
Gesellschaft überhaupt noch spielt. Verteilungs- oder
umlauftheoretisch kann ich mir auch einen hochverschuldeten Staat vorstellen.
({14})
- Seien Sie da ganz vorsichtig! - Ökonomisch funktioniert das alles, nur wird der Staat dann nicht mehr ernstgenommen, da es sich nicht mehr lohnt, wählen zu gehen, wenn überhaupt nichts mehr zu entscheiden ist. So
ein Staat ist dann auch kein demokratischer Staat mehr.
Dieser fundamentale Fehler wird häufig von Linksaußen
gemacht.
({15})
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein,
ich möchte sie jetzt nicht zulassen, um das Ganze
schneller zu Ende zu bringen.
Eine Zins-Steuer-Quote von 22 Prozent schränkt uns
heute schon direkt ein; das ist in der Tat das Schlimmste,
was man sich vorstellen kann. Es bedeutet nämlich genau das befürchten wir -, daß nicht nur Lasten in die
Zukunft geschoben werden. Nein, schon heute erreicht
uns diese Last, so daß wir schon jetzt unsere Aufgaben
nicht mehr erfüllen können.
Jetzt können Sie eine Zwischenfrage stellen. Ich war
eben im Eifer des Gefechts. Ich entschuldige mich dafür.
Ich wollte die Frage gar nicht verhindern.
Also, bitte schön.
({0})
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben eben von der Aushöhlung der demokratischen Instanzen gesprochen. Stehen Sie auch angesichts der Tatsache zu Ihrer Aussage, daß Sie große
Teile der Einsparungen im Bundeshaushalt finanzieren,
indem Sie die Bundeslasten wie auf einem Verschiebebahnhof auf die Städte, Gemeinden und Landkreise
umwälzen?
({0})
Haben Sie angesichts der Auswirkungen überhaupt die
Gesamtsicht auf die öffentlichen Haushalte gewahrt, da
ja der Bund entlastet, die Gemeinden aber ohne Ausgleich belastet werden?
({1})
Sehr
verehrter Herr Kollege, Sie sind als Abgeordneter des
Deutschen Bundestages gewählt, das heißt, daß Sie hier
unter Berücksichtigung der Interessen aller Staatsebenen
darauf zu achten haben, daß auch die Bundesebene in
dem Gesamtgefüge von Bund, Ländern und Gemeinden zu ihrem Recht kommt.
({0})
- Natürlich ist es so, das ist eines Ihrer Probleme.
({1})
- Ich habe das Amt eines Ministerpräsidenten innegehabt, aber seien Sie vorsichtig: Einem Bundesfinanzminister, der zugleich Vorsitzender einer Regionalpartei
ist, sind erst recht die Hände gebunden, wenn es darum
geht, die Interessen des Bundes zu vertreten. Das war
doch Ihr Problem.
({2})
Wie solidarisch sich der Bund verhält, sehen Sie daran, daß der gesamte Solidarpakt, alle wesentlichen Investitionen und sogar zusätzliche Programme für den
Aufbau Ost vom Bund auf den Weg gebracht worden sind und er alleine für die Haushaltsnotlagen der
Länder Saarland und Bremen einsteht, obwohl seine
Haushaltslage schlechter ist als zum Beispiel die des
Saarlandes. Deswegen müssen der Bund und jede Ebene
im gemeinsamen Geflecht je nach eigener Leistungsfähigkeit für die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der
anderen Ebenen Sorge tragen. Dabei darf es aber nicht
zu so einer Schieflage kommen, wie wir sie mittlerweile
haben.
Sie werden noch darüber nachdenken müssen, was
Sie eigentlich vertreten. Denn angesichts einer ZinsSteuer-Quote von 22 Prozent beim Bund und von 11
Prozent bei Ländern und Gemeinden sieht doch jeder,
daß das so nicht weitergehen kann. Diese Erkenntnis
müssen Sie auch einmal gegenüber Ihren Parteien, Ihren
Landes- und Kommunalpolitikern vertreten.
({3})
Bundestreue ist nämlich eine Veranstaltung auf Gegenseitigkeit, nicht nur Treue des Bundes gegenüber den
Ländern, sondern auch Treue der Länder gegenüber dem
Bund.
({4})
Wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, wenigstens
das zu sehen, dann tun Sie mir allerdings leid. Dann
sage ich Ihnen: Sie schädigen in Wahrheit das Ganze;
({5})
denn nur dann, wenn alle drei Ebenen - Bund, Länder
und Gemeinden - vernünftig funktionieren und wenn
sich alle drei Ebenen wechselseitig aufeinander verlassen können, funktioniert die ganze Veranstaltung.
({6})
- Ich werfe keinem Land vor, daß es seine Interessen
vertritt. Ich werfe auch keiner Kommune vor, daß sie ihre Interessen vertritt. Aber ich werfe Ihnen vor, daß Sie
während Ihrer Regierungszeit die Interessen des Bundes
nicht richtig vertreten haben.
({7})
Das machen wir anders.
({8})
Der Bund muß seine Konsolidierungspolitik konsequent machen können.
({9})
- Es gibt auch eine Fülle von Entlastungen. Das ist typisch und zeigt, daß Sie aus dem Wahlkampf immer
noch nicht herausgekommen sind. Den Belastungen stehen auch Entlastungen gegenüber.
Es ist beispielsweise völlig falsch, wie es heute läuft,
daß etwa beim pauschalierten Wohngeld die Kommunen die Rechnungen schreiben, Bund und Länder aber
bezahlen. Ich bin mir mit fast allen Länderfinanzministern darin einig, daß derjenige, der über die Höhe
der Rechnung entscheidet, ein erhebliches materielles
Interesse daran haben muß zu erfahren, wie hoch die
Rechnung tatsächlich ist. Da muß man dann auch entsprechend verfahren. Wenn Sie nämlich ein effizientes
und sparsames Staatswesen wollen, dann muß derjenige,
der die Entscheidungen trifft, auch die wirtschaftlichen
Konsequenzen seiner Entscheidungen tragen.
({10})
Wir sparen zuallererst, damit unsere Kinder nicht die
Lasten unseres Konsums zu bezahlen haben.
({11})
Wir sparen aber auch um der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Bundes wegen, für
den Aufbau Ost.
({12})
- Hören Sie mal, irgendwann müssen die Schulden doch
bezahlt werden. Diese wunderbaren Konstruktionen
kenne ich alle. Damit schieben Sie es immer weiter in
die Zukunft. Sie werden sehen, wann Sie endgültig vor
der Wand sitzen.
({13})
Was den Aufbau Ost betrifft, sehr verehrter Herr
Kollege, so setzt die Tatsache, daß der Bund seine Aufgaben erfüllen kann, voraus, daß er einen konsolidierten
Haushalt hat.
({14})
Deswegen machen wir das nämlich. Ich will einen
Bund, der sein Wort hält.
Die 6,5 Milliarden DM, die wir bei der Arbeitsmarktpolitik noch draufgelegt haben, kommen zum
größten Teil den ostdeutschen Ländern zugute. Das hätte
es bei einer anderen Regierung gar nicht gegeben.
({15})
Daß wir ein Zwei-Milliarden-Programm für die Ausbildung und Arbeit von jungen Leuten auflegen, das zu 40
Prozent in die neuen Länder geht, hilft der Jugend insgesamt, aber vor allem der Jugend dort. Ferner stocken wir
die Zukunftsinvestitionen im Bereich Forschung auf.
Das alles ist nur möglich, weil wir auf der anderen
Seite die notwendigen Konsolidierungsschritte tun. Das
alles ist eingebettet in ein Konzept zur Verbesserung der
Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung.
Haushaltskonsolidierung ist vor diesem Hintergrund
auch notwendig, um unseren Beitrag dazu zu leisten,
daß das Zinsniveau möglichst weit unten bleibt. Das ist
wichtig für die Beschäftigung und für die Investitionen.
Zweitens. Stärkung der Kaufkraft der großen Masse
der Bevölkerung durch das Steuerentlastungsgesetz.
Ich will das jetzt nicht im einzelnen wiederholen. Eine
Entscheidung wie die bezüglich des Steuerentlastungsgesetzes hat es noch in keiner Wahlperiode des Deutschen Bundestages gegeben.
({16})
Bereits in diesem Jahr erhalten normalverdienende Familien mit zwei Kindern 1 200 DM mehr. Dieser Betrag
wird im Jahre 2002 auf 3 000 DM ansteigen.
Ich nenne ferner die Senkung der Lohnnebenkosten, um den Rationalisierungsdruck ein Stück weit herauszunehmen. Während Ihrer Regierungszeit sind die
Lohnnebenkosten immer nur gestiegen und die Mineralölsteuer auch.
({17})
Reden Sie in dem Zusammenhang nur nicht über die
Rentnerinnen und Rentner! Haben Sie etwa 1990 und
1994, als Sie die Mineralölsteuer um insgesamt 50
Pfennig erhöht haben, gefragt, was das für die Rentnerinnen und Rentner bedeutet? Kein Wort davon!
({18})
Drittens. Von der bewußt langfristig und systematisch
angelegten und verträglichen Verteuerung des Ressourcenverbrauchs wird auch ein Innovationsschub für
unsere Wirtschaft ausgehen. Nachhaltiges Wirtschaften ist die Frage, um die es in der Zukunft genauso geht
wie um nachhaltiges Produzieren und eine nachhaltige
Finanzpolitik.
({19})
Schließlich ist eine Verbesserung der Investitionsbedingungen durch eine Unternehmenssteuerreform zu
nennen, die die kleinen und mittleren Betriebe entlastet
und uns europaweit ein konkurrenzfähiges Steuersystem
und konkurrenzfähige Steuersätze bringt. All das packen
wir in kurzer Zeit an. Sie haben das gar nicht zuwege
gebracht.
({20})
Daß Sie im übrigen Pech haben, sehen Sie, wenn Sie
heute das „Handelsblatt“ lesen: In den Vorstandsetagen
der Unternehmen und in den Unternehmen insgesamt ist
angekommen, daß der Standort Deutschland besser
wird. Es herrscht Optimismus, und es wird wesentlich
mehr investiert.
({21})
Auch das ist eine Konsequenz unserer Politik.
({22})
- Verehrter Herr Kollege, die Kaufkraft, die wir schon
Anfang dieses Jahres, als der Export lahmte, angekurbelt
haben, hat uns am Absturz gehindert und hat wenigstens
über die Inlandsnachfrage die Konjunktur gestützt.
Nun zum Thema soziale Gerechtigkeit. Das, was ich
von Herrn Gysi dazu gehört habe, war reine Demagogie.
({23})
Sie sollten sich einmal mit der Frage beschäftigen, was
Staatsverschuldung sozialpolitisch bedeutet. Dann sollten Sie sich damit beschäftigen, welches Maß an
Schlupflöchern wir bereits geschlossen haben. Die offenen Scheunentore sind zu großen Teilen geschlossen. In
dem Kampf, der in diesem Frühjahr auch in diesem
Hause geführt worden ist und der sehr konkret war,
wollten Sie plötzlich all die Schlupflöcher, bei denen Sie
vorher so heldenhaft gewesen sind, nicht mehr schließen. Dies nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen - das
sage ich an die ganz linke Seite dieses Hauses - ist reine
Demagogie.
({24})
Ich komme zum Schluß. Wir sind mit dieser Konzeption auf dem richtigen Wege. Das ist nicht einfach. Wir
werden in diesem Lande sehr viel diskutieren und um
Vertrauen werben müssen. Das wird dauern. Da mache
ich mir keine Illusionen. Selbstverständlich ist es auch
möglich, dieses Konzept zu ändern. Ich glaube allerdings nicht - davon habe ich bis heute nichts gehört -,
daß die Leitplanken dieses Konzepts in Frage gestellt
werden. Das hat bisher niemand getan. Wenn man aus
der Staatsverschuldung herauskommen will, kann man
dies auch nicht tun.
Was mich mehr besorgt macht - es muß zwar nicht
unbedingt besorgt machen; aber ich finde es schade -:
Wir haben nicht einmal im einzelnen konkrete Gegenvorschläge gehört.
({25})
Es ist zu billig, zu einzelnen Elementen nein zu sagen
und sich nicht der Mühe zu unterziehen, vorzuschlagen,
was statt dessen getan werden sollte.
Das kann möglicherweise noch geschehen. Dazu lade
ich Sie herzlich ein. Nach wie vor sind Sie eingeladen,
entweder ein gänzlich alternatives Konzept vorzulegen davon war überhaupt nichts zu hören - oder im Rahmen
dieses Konzeptes Alternativvorschläge zu machen. Über
diese kann man dann, wenn sie vernünftig sind und
wenn sie dieselben finanzpolitischen Konsequenzen haben, in aller Ruhe reden.
Die erste Lesung des Haushaltsgesetzes 2000 hat leider nicht erbracht, daß es ein Konzept der Opposition
gibt.
({26})
Infolgedessen steht unser Konzept. Sie sind eingeladen
- vielleicht gelingt dies ja nach den Wahlen -, in der
zweiten und dritten Lesung endlich eigene Vorschläge
zu machen.
({27})
Für die CDU/CSUFraktion spricht nunmehr die Kollegin Dr. Angela
Merkel.
({0})
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir haben in dieser Woche
über den Haushalt 2000 debattiert. Herr Eichel, wenn
das Maß der Erregung ein Maß für die Güte Ihres Haushalts wäre, dann hätten Sie die Chance, gut dabei wegzukommen. Das ist es aber nicht.
({0})
Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß das Datum
2000 uns besonders dazu anregen sollte, daß wir uns
über diesen Haushalt Gedanken machen.
({1})
Lassen wir uns das noch einmal auf der Zunge zergehen:
456,9 Milliarden DM, das waren die Ausgaben 1998. Im
Jahre 2000 werden es 478,2 Milliarden DM sein.
({2})
Was ich Ihnen zugute halte, ist: Nach Ihren Plänen sparen Sie im nächsten Jahr im Vergleich zum Jahre 1999
7,5 Milliarden DM. Herr Eichel, das ist sicherlich kein
schlechter Schritt. Aber es ist alles andere als eine Heldentat. Sie steigern sich hier in eine Heldenpose hinein,
als hätte es Ähnliches in Deutschland noch nie gegeben.
({3})
Dabei haben Sie, Herr Eichel, mit dem Haushalt 2000
noch Glück im Unglück. Denn Ihr Vorgänger hat die
Szene beizeiten verlassen und Ihnen einen aufgeblähten
Haushalt hinterlassen.
({4})
Ich habe mir aus dem Finanzausschuß erzählen lassen, daß Sie den Kolleginnen und Kollegen dort bis
heute nicht gesagt haben, woraus genau die Deckungslücke von 30 Milliarden DM besteht, die Sie immer
wieder in Abrede stellen. Es ist doch völlig unstrittig darüber brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen -, daß
eine solide Finanzpolitik zu einer vernünftigen Politik
dazugehört.
Es ist im übrigen auch nicht verwunderlich, Herr
Eichel, daß die Mehrheit der Bevölkerung - das wissen
wir genauso wie Sie - das Sparen im Grundsatz für
richtig hält. Dieser Ansatz, weil er von der Mehrheit der
Bevölkerung geteilt wird, muß Sie doch zu der Frage
veranlassen, warum Sie trotz allem, obwohl Sie angeblich das Richtige tun, Wahl für Wahl verlieren und immer wieder Niederlagen einkassieren. Was mag der
Grund für diese Tatsache sein?
Sie müssen sich einfach einmal fragen, ob denn nun
Ihre Politik die richtige ist. Hier ist Ihre erste Erklärung:
Wir „vermitteln“ es nicht richtig, wir haben es noch
nicht geschafft, wir müssen es den Leuten nur lange genug erklären. Ich habe die Vermutung, Herr Eichel und
Herr Bundeskanzler, daß hinter Ihrem Bild des Wählers
etwas steht, was dem Wähler in der Bundesrepublik
Deutschland längst nicht mehr Genüge tut. Dieser
Wähler ist mündig, nicht dumm und nicht blöd.
({5})
Dieser Wähler läßt sich nicht verschaukeln.
({6})
Die Ursache, daß Sie trotz der grundsätzlichen Zustimmung zu einer Politik der soliden Haushaltsführung
Wahlen verlieren, besteht darin, daß Sie unentwegt
Willkür, Chaos und Wortbruch zur Grundlage Ihrer
Politik gemacht haben.
({7})
Wir werden doch auch von unseren Wählerinnen und
Wählern gefragt: Was ist denn nun an diesen Schulden
dran? Es ist doch vollkommen klar, daß die Zahlen, die
Sie immer wieder aufgeführt haben, nämlich 1,5 Billionen DM, der Wahrheit entsprechen.
({8})
Aber es ist auch klar - Sie haben erst zu einem ganz
späten Zeitpunkt damit begonnen, dies in die Debatte
einzuführen -, wie sich diese verschiedenen Schulden
zusammensetzen. Hier muß man erst einmal sagen: 1969
war die Verschuldung bei nahezu Null. Das ist hier
schon gesagt worden. Sie ist dann auf 308 Milliarden
DM bis zum Jahre 1982 angewachsen. Es gibt hier übrigens eine Partei im Hause, die das nicht länger mit ansehen konnte. Dann ist die Verschuldung von uns mit
einem sehr viel langsameren Wachstum der Neuverschuldung - aber immer noch einer Neuverschuldung in eine sehr solide Finanzpolitik weitergeführt worden.
Herr Eichel, wenn Sie Vertrauen gewinnen wollen,
dann sagen Sie den Menschen die Wahrheit. Damals gab
es einen Finanzminister Stoltenberg, an dem Sie sich ein
Beispiel nehmen können, wie man Steuerreformen
macht, Unternehmen entlastet und mehr Einnahmen in
die Kasse bringt.
({9})
Herr Eichel, ich finde bei Ihren Plänen in Ordnung,
daß Sie in den nächsten Jahren die Neuverschuldung
herunterfahren wollen. Aber dann sagen Sie doch der
Redlichkeit halber, daß es auch unter der Regierung von
Helmut Kohl gelungen ist, von 1982 bis 1989 die Nettoneuverschuldung beim Haushalt genau zu halbieren.
({10})
Auch das gehört mit zur historischen Wahrheit. Warum
sagen Sie nicht, daß im Jahre 1989 die Neuverschuldung
19,7 Milliarden DM betrug, während sie bei Regierungsübernahme nach der sozialliberalen Koalition noch
bei 37 Milliarden DM lag? Das ist eine Leistung, die
man würdigen muß. Sie können sie nachmachen. Bitte
schön, nur zu!
({11})
Was mir persönlich wirklich weh tut - auch das muß
ich ganz klar sagen -, ist die Tatsache, wie Sie mit der
deutschen Einheit und ihrer Finanzierung umgehen.
({12})
- Da brauchen Sie doch gar nicht zu schreien. Wer hat
denn gelogen?
({13})
Ich frage Sie einmal in diesem Hause: Wer hat denn gewußt, wie es in der früheren DDR aussah?
({14})
Da schaue ich einmal den Kollegen Schulz und noch ein
paar andere an. Ich würde sagen, daß sie und ich aus der
früheren DDR einen vergleichsweise guten Überblick
hatten. Die meisten im Westen hatten darüber keinen
Überblick.
({15})
- Auch jetzt brauchen Sie nicht zu schreien. Es ist so.
Daraus entstanden doch die legendären Protokollnotizen im Vertrag zur deutschen Einheit, was man denn
alles mit dem Vermögen machen und wie man es etwa
zur Hälfte auf die Länder verteilen werde. Das ist doch
die Realität. Nun stehen Sie doch dazu!
({16})
Wenn man das in der vollen Dimension nicht wissen
konnte oder nicht gewußt hat, dann, lieber Herr Eichel,
kann man uns heute nicht vorwerfen, wir wollten das auf
mehrere Generationen verteilen. Wir haben pro Jahr ungefähr 100 Milliarden DM an Transferleistungen in die
neuen Bundesländer gebracht. Was hätten Sie denn machen wollen, um dies in der gleichen Generation zu bezahlen? Wollten Sie die Mehrwertsteuer um 6 Prozent
erhöhen, oder welchen Vorschlag hatten Sie? Es ist doch
absurd, zu glauben, man hätte eine solch gigantische, historische Leistung bereits zum gleichen Zeitpunkt begleichen können. Das ist doch völlig ausgeschlossen.
({17})
Es gab eine lange Debatte, bei der sich die Länder
auch nicht besonders rühmlich hervorgetan haben,
({18})
nämlich die Debatte um die Einführung des Euro. Ich
erinnere mich daran, daß es Länder gab - darunter auch
einige von unserer Seite regierte -, die nicht glauben
wollten, daß wir die Stabilitätskriterien für den Euro,
insbesondere was die Nettoneuverschuldung anbelangt,
einhalten. Es gehört auch zur Redlichkeit, Herr Eichel,
zu sagen, daß wir es geschafft haben - gegen alle Auguren -, die Inflationsrate niedrig zu halten und die Nettoneuverschuldungsgrenze von 3,0 Prozent einzuhalten.
({19})
- Was heißt hier „Aber wie“?
({20})
- Daß die PDS glaubt, die Einführung des Euro sei kein
Ruhmesblatt gewesen, weiß ich. Sie machen nach wie
vor Wahlkampf gegen den Euro.
({21})
Aber daß Sie, obwohl Sie heute Vertrauen in die europäischen Institutionen haben, hier einfach sagen, die
Kriterien seien quasi nicht erfüllt worden, ist schon ein
starkes Stück.
({22})
Meine Damen und Herren, die Einführung des Euro
war eines der besten Stabilitätsprogramme für alle europäischen Währungen; das werden auch Sie sicherlich irgendwann einsehen. Wir haben die Kriterien erfüllt und
damit einen wichtigen Beitrag zu einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik für die nächsten Jahre geleistet.
Auch das gehört zur historischen Wahrheit.
({23})
Ihr Problem ist nicht die Vermittlung. Ihr Problem ist
die Glaubwürdigkeit Ihrer Regierung, insbesondere die
des Herrn Bundeskanzlers. Er hat am 4. Oktober 1998 in
der „Bild am Sonntag“, einer nicht am wenigsten gelesenen Zeitung, gesagt: „Ich habe nichts versprochen,
was ich nicht halten werde. Mein Wort gilt.“ Herr
Schröder, wir wollen es mit der Ehrlichkeit nicht zu weit
treiben, aber wir können sagen: Was Sie in diesem
knappen Jahr schon alles versprochen und nicht gehalten
haben, das geht wirklich auf keine Kuhhaut.
({24})
Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben es uns
immer wieder im Fernsehen anschauen dürfen - Vilshofen, Februar 1999 -: „Ich stehe dafür, daß die Rente
weiter entsprechend der Nettolohnentwicklung angepaßt
wird. Das tasten wir nicht an“, haben Sie noch hinzugefügt, damit es besonders glaubwürdig wird. - Herr
Eichel, Sie werden zugeben, daß damals alle Fakten auf
dem Tisch lagen. Gestern aber stand der Bundeskanzler
an dieser Stelle und hat gesagt: Ich würde das so gerne
tun, wenn ich nur könnte, aber ich kann es nicht.
Was hat denn stattgefunden zwischen Februar und
dem gestrigen Tag? Es gibt keine neue Erkenntnis, kein
neues Faktum. Es gibt nur gebrochene Worte. Versprochen, gebrochen - das ist Ihr Motto. Deshalb nehmen
Ihnen die Leute nichts mehr ab.
({25})
Herr Eichel, es geht um Wahrhaftigkeit, Redlichkeit
und Glaubwürdigkeit. Sie sind nun seit wenigen Monaten Bundesfinanzminister. Vorher waren Sie Ministerpräsident eines Landes. Hier halten Sie plötzlich Reden,
die inhaltlich weit von denen entfernt sind, die Sie früher gehalten haben. Jetzt reden Sie von Bundestreue;
damals hatten Sie mit dem Bund nichts zu tun. Was ist
denn das für ein Verfassungs- und Staatsverständnis?
Wenn nicht alle für alles verantwortlich sind, kann dieser Staat nicht funktionieren. Mit ihrer heutigen Rede
tragen Sie hierzu bei.
({26})
Ich habe schon gemerkt, daß Sie immer dann, wenn
man vom hessischen Haushalt spricht, unruhig werden.
Ich kenne ihn nicht so gut wie Sie.
({27})
Aber ich habe gehört, daß die Zinsausgaben während Ihrer Regierungszeit um 60 Prozent gestiegen sein sollen.
Relativ sicher aber weiß ich, daß die Schulden in Niedersachsen während der Amtszeit von Ministerpräsident
Schröder von 37 Milliarden DM im Jahr 1990 auf
65 Milliarden DM in 1998 angewachsen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dies ein Grund,
apodiktisch zu sagen, wir hätten von Finanzen keine
Ahnung? Wir haben die deutsche Einheit gemeistert. Sicher, Sie haben in den Ländern Ihren Beitrag dazu geleistet,
({28})
aber ungerne. Sie haben mehrmals erklärt, Sie wollten es
nicht tun. Ich vermute, durch den Bund-LänderFinanzausgleich sind Sie nicht aus dieser Pflicht entlassen worden. Sich aber nun hier hinzustellen, über solide
Haushaltsführung zu reden und zu sagen, wir hätten alles falsch gemacht, ist schon ein starkes Stück.
({29})
Ich sage Ihnen: Glaubwürdigkeit hat auch etwas damit
zu tun, mit wem man politisch kooperiert und wie man
auf die Menschen zugeht. Sie müssen sich das schon
überlegen, wenn sie mit einer Partei wie der PDS, die
überall in den neuen Bundesländern
({30})
das Geld mit offenen Händen und großen Scheffeln ausgibt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, woher es
kommt, zusammenarbeiten wollen. Wie wollen Sie den
Menschen in den neuen Bundesländern klarmachen, daß
das ausgerechnet sie Menschen sind, die eine soziale Finanzpolitik betreiben?
({31})
Für die Bürgerinnen und Bürger paßt das nicht zusammen.
({32})
- Würden Sie entweder um eine Fragestellung bitten
oder den Mund halten. Ich weiß sonst nicht, was hier los
ist, wer hier spricht.
({33})
- Ich möchte jetzt aber keine Zwischenfrage zulassen,
Herr Präsident.
({34})
Ich kann Ihnen genau sagen, warum ich keine Frage zulasse. Ich bin gerade mit den Sozialdemokraten beschäftigt konkret damit, daß die Sozialdemokraten eine völlig
widersprüchliche Politik einerseits der Konsolidierung
und andererseits der Kooperation mit Leuten betreiben,
die sich über den Haushalt wenig Gedanken machen,
({35})
und daß das zu einem massiven Glaubwürdigkeitsproblem führen wird.
Ich sage Ihnen voraus, daß Sie am Sonntag abend
wieder erleben werden - die Gefahr besteht -, daß Sie
zwischen CDU und PDS zerrieben werden, weil Sie in
den neuen Bundesländern für nichts glaubwürdig geradestehen. Das ist die Konsequenz; so war es in Thüringen.
({36})
Es ist mit Sicherheit so, daß ein solider Haushalt eine
wichtige Größe in einer modernen, vernünftigen und zukunftsorientierten Politik ist. Es ist aber mit Sicherheit
auch so, daß ein solider Haushalt nicht die gesamte
Politik ist. Wir stehen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert.
({37})
Wir haben die Frage zu beantworten, wie wir im 21.
Jahrhundert unter international offenen Bedingungen,
die wir mit „Globalisierung“ beschreiben, den
Wohlstand in unserem Land sichern wollen.
({38})
- Warum schreien Sie immer? - Wir haben neue Fragen
von hohem Interesse miteinander zu diskutieren.
Herr Eichel, ich sage ihnen folgendes: Ich glaube, daß
sie im Finanzministerium inzwischen der Meinung sind,
Sie könnten alle Politikbereiche fast vollständig beherrschen. Man kann Ihnen angesichts der Säumnisse in den
Ministerien auch nicht verübeln, daß Sie etwas tun. Ihnen unterlaufen dabei aber grobe logische Fehler, mit
denen Sie in der Zukunft nur ganz schwer werden klar
kommen können.
({39})
- Ich nenne Ihnen jetzt einen, aber ich könnte viele nennen.
Ein Fehler ist, daß Sie jetzt die Rentenbeiträge für
die Arbeitslosenhilfeempfänger nach dem ausgezahlten Arbeitslosenentgeld berechnen, die Krankenversicherungsbeiträge aber auf 80 Prozent des letzten verdienten Bruttoentgelds beruhen. Können Sie den Menschen in Deutschland erklären - Ich kann es nicht, vielleicht können Sie es -, warum Sie in dem einen sozialen
Versicherungssystem so und in dem anderen anders verfahren? Es ist nur damit zu erklären, daß Frau Fischer in
einer anderen Partei ist als Herr Riester und daß Sie es
dem einen aus Koalitionsgründen aufdrücken können
und dem anderen nicht. So einfach ist die Logik.
({40})
Ich nenne Ihnen einen weiteren Fehler. Das ist die
Ökosteuer. Wir haben alle miteinander, wahrscheinlich
sogar parteiübergreifend, in diesem Haus den Grundgedanken vertreten - dabei gibt es immer Ausnahmen -,
({41})
den Faktor natürliche Ressourcen zu verteuern und den
Faktor Arbeit zu entlasten. Das ist ein neuer Gedanke,
und seine Einführung in die Politik bedarf besonderer
Sorgfalt.
Ich sage Ihnen zur Ökosteuer folgendes. Daß sie gegen die Rentner gerichtet ist, wissen wir. Wir haben gesagt, okay, das ist ein Sonderopfer. Deshalb hat der Herr
Bundeskanzler damals gesagt: Wir wollen die Nettolohnbezogenheit der Rente erhalten, weil wir die Rentner mit der Ökosteuer nicht entlasten. Daß es für die
neuen Bundesländer besonders schwer ist, ist auch klar;
denn 0,5 Prozent Entlastung im Rentensystem bedeuten
bei weniger Lohn und weniger Beiträgen weniger Entlastung bei gleicher Ökosteuerbelastung. Das ist ein falsches Signal in die falsche Richtung, aber ich will das
hier nicht vertiefen.
Daß die Ökosteuer aber auch familienfeindlich ist, hat
Ihnen Ihre Familienministerin bisher offensichtlich noch
nicht gesagt. Nehmen wir einmal eine Familie mit drei
Kindern, in der eine Person erwerbstätig ist. Dann wird
einer davon entlastet, aber fünf zahlen Ökosteuer.
({42})
Die in sich familienfeindliche Ökosteuer frist die Erhöhung des Kindergeldes sofort wieder auf.
({43})
Nun, meine Damen und Herren, kommt der eigentliche Höhepunkt. Sie müssen sich einmal genau anschauen, wie Sie mit dem Bundeszuschuß für die Rentenversicherung herumhantieren, um verschiedene Posten
verschieben zu können. Seit dem 1. Juni 1999 haben Sie
statt des bisherigen Bundeszuschusses in Höhe von 7
Milliarden DM für die zu leistenden Rentenzahlungen
an die heutigen Rentnerinnen einen Zuschuß von 17
Milliarden DM für die späteren Zahlungen an die heutigen Mütter mit kleinen Kindern eingebucht. Dieser
fließt in die Rentenversicherung, obwohl die heute bestehenden Rentenansprüche viel geringer sind.
Sie senken zwar jetzt die Beiträge, werden aber eines
Tages nicht das Geld haben, um die dann bestehenden
Rentenansprüche wirklich bedienen zu können. Damit
haben Sie mit der Ökosteuer schon den nächsten strukturellen Fehler gemacht.
({44})
Zu der schon in sich familienfeindlichen Ökosteuer
kommt noch hinzu, daß sie dazu benutzt wird, die
Rentenansprüche für Kindererziehungszeiten tatsächlich noch zu erhöhen. Das halte ich für einen groben
Fehler.
Frau Kollegin Merkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Metzger?
Nein, jetzt nicht.
Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren:
Sie verwischen die Grenzen in dem sozialen Sicherungssystem. Sie werden an der letzten Stufe Ihrer Ökosteuerreform im Rentensystem einen Bundeszuschuß in Höhe
von 160 Milliarden DM haben.
Herr Eichel, bitte beantworten Sie mir einmal - meinetwegen unter vier Augen; was Herr Riester sagt, ist
relativ egal - eine Frage: Wohin möchten Sie mit dem
Rentensystem? Möchten Sie bei der leistungsbezogenen
Rente bleiben? Wollen Sie eine steuerfinanzierte Grundsicherung? Wollen Sie eine beitragsfinanzierte Grundsicherung? Wir kennen Ihre Richtung nicht. Der Bürger
kennt sie nicht. Das ist ein ziemlich schwieriger Zustand
in Deutschland.
({0})
Es ist nicht so, daß wir hierzu keine Vorschläge oder
Ideen hätten. Ein Mann wie Peter Müller hat im Saarland mit außerordentlich unbequemen Botschaften gewonnen, nämlich unter anderem mit der Botschaft, daß
dort der Steinkohlebergbau beendet wird. Herr Eichel, in
Ihrem Bundesland gibt es keine Steinkohle. Ich erinnere
mich aber noch sehr genau daran, wie es war, als wir die
Subventionen für den Steinkohlebergbau gekürzt haben. Vorreiter war Herr Scharping mit flammenden Reden gegen jede Subventionskürzung.
({1})
Gleich nebenan war Herr Fischer. Beide haben geschrieen, was das Zeug hielt, daß wir die Steinkohlesubventionen ja nicht in irgendeiner Weise antasten. Sie leben
heute davon und sind glücklich, daß der Plafond wenigstens einigermaßen abgesenkt wird. Das muß ganz klar
gesagt werden.
({2})
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir haben auch Fehler
gemacht. Meiner Meinung nach haben wir manche Reform zu spät angefangen. Wir hätten die Steuerreform
gleich 1994 machen sollen. Ich glaube, das wäre besser
gewesen.
({3})
Dann hatten wir auch nicht Oskar Lafontaine die Möglichkeit gegeben, das zusammen mit Ihnen, Herr Schröder und allen anderen SPD-Ministerpräsidenten, die
heute, im Gegensatz zu Lafontaine, noch aktiv politisch
tätig sind, zu blockieren.
({4})
Aber dann, meine Damen und Herren, war es 1998.
Jetzt haben Sie wegen dieser Obstruktionspolitik - Herr
Schröder würde das „schnöde Parteipolitik“ nennen, die
dann aber zu einem Wahlerfolg auf tönernen Füßen geführt hat - die Verantwortung, endlich eine Unternehmenssteuerreform zu machen. Dann war es 1998. Dann
ist der Finanzminister weggerannt. Dann haben Sie die
Reform bis zum Jahre 2000 nicht geschafft. Nun stellen
Sie uns für 2001 etwas in Aussicht. Von 1994 bis 2001
gehen zwei Jahre auf uns, aber auf Ihre Kappe gehen
fünf Jahre, in denen die Bundesrepublik Deutschland
anständige Einnahmen verloren hat.
({5})
Es ist mit Sicherheit wichtig, daß wir gemeinsam
darüber diskutieren, wie wir auf die neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts reagieren. Dabei ist
der Haushalt eine Sache. Die an uns alle gerichtete Frage heißt: Wie können wir die Mechanismen der sozialen
Marktwirtschaft in dieser veränderten Welt durchsetzen,
in der auf den Finanz- und Wirtschaftsmärkten international agiert wird und die sozialen Ausgleichsmechanismen national organisiert werden müssen?
({6})
- Ich mache Ihnen einen Vorschlag und sage Ihnen als
erstes: Ich wäre im Traum nicht darauf gekommen, daß
der von Rotgrün am zweitstärksten geschröpfte Haushalt
der Haushalt des Entwicklungsministeriums ist.
({7})
Wenn die internationalen Probleme der Zukunft nicht
mehr die Probleme der klassischen Sicherheitspolitik
sind, sondern die Probleme von Umweltverschmutzung
und Überbevölkerung - Sie halten demnächst große
Veranstaltungen zum Thema „6 Milliarden Menschen
dieser Erde“ ab -, die Probleme der globalen Erhaltung
unserer Ressourcen, dann muß ich Sie doch fragen: Was
reitet Sie, in diesem Einzelplan an vielen Stellen, bei Institutionen und bei privaten Initiativen, derart zu streichen? Ich verstehe es nicht, und Sie haben es auch noch
nicht erklären können.
({8})
Sie wollen private Initiative stärken, Sie wollen das
Eigenengagement fördern - und Sie treten allen privaten
Organisationen in diesem Lande, die sich mit EntDr. Angela Merkel
wicklungs- und Umwelthilfe beschäftigen, vor das
Schienbein.
({9})
- Genau so ist es. Unterhalten Sie sich doch mit den entsprechenden Stellen! Wenn man in der Verantwortung war, soll man sich bei der Beurteilung seines Nachfolgers zunächst ein ganzes Jahr zurückhalten. Das Jahr
ist fast herum, nun wollen wir mal nicht so scharf agieren.
Was ich aber über die internationale Umweltpolitik
der Bundesrepublik Deutschland höre, spricht nun für
alles andere als dafür, daß man sich überhaupt für diesen
Bereich interessiert.
({10})
Herr Trittin interessiert sich für die Abschaltung von
zwei - am besten noch mehr - nationalen Kernkraftwerken. Er interessiert sich vielleicht marginal noch für die
Ökosteuer - aber auch das machen andere für ihn -, und
ansonsten interessiert ihn das alles überhaupt nicht. So
hinterläßt man ein fürchterliches Bild, wenn es um Klimaschutz, Naturschutz und Ressourcenschutz in der
Welt geht.
({11})
- Ich kenne meine Schwächen, ich kenne meine Stärken.
Ich weiß nur, daß Deutschland in diesen Fragen im Prozeß der internationalen Verhandlungen eine absolut
wichtige Rolle spielt.
({12})
Alle, die schon einmal dabei waren, wissen, wie wichtig
es wäre, daß dies auch weiter der Fall ist.
({13})
Wir brauchen also internationales Engagement.
Aber natürlich brauchen wir auch nationale Veränderungen. Deshalb zu einem weiteren Punkt, den ich für
außerordentlich wichtig halte: Wie organisieren wir
Mehrheiten für Reformen, für Veränderungen in diesem Lande? Ohne Glaubwürdigkeit wird es auf keinen
Fall gehen. Dafür ist es ganz wichtig, sich noch einmal
darüber klar zu werden, was wir in diesem Lande unter
„Gemeinwohl“ verstehen. Herr Bundeskanzler, Sie stehen für ein Bild, das den Eindruck vermittelt: Der Staat
bin ich, der Rest sind Partikularinteressen - „schnöde
Parteipolitik“.
({14})
Herr Bundeskanzler, mit dieser Einstellung werden Sie
keine Mehrheiten gewinnen.
({15})
Es ist bedauerlich, wie Sie auf dem Bauerntag in
Cottbus aufgetreten sind. Sie haben nur für die Kameras
gesprochen und sich überhaupt nicht dafür interessiert,
welche Probleme die einzelnen Bauern - die kleinen aus
dem Allgäu und die großen aus den neuen Bundesländern - haben. Sie wollten einfach nur zeigen, daß Sie
gegen die sogenannten Partikularinteressen in diesem
Lande vorgehen. So schafft man - das sage ich Ihnen
voraus - keinen Interessenausgleich.
({16})
Deshalb: Niemand hat behauptet, daß das Gemeinwohl die „Summe“ aller Einzelinteressen ist, wie der
Bundeskanzler gestern unterstellt hat. Das war es noch
nie, das wird es nie sein. Trotzdem sind die Einzelinteressen wichtig. Es wird darauf ankommen - ich sage
Ihnen zu: wir werden uns beteiligen -,
({17})
in einem vernünftigen Ausgleichsmechanismus nach den
Maßstäben der Gerechtigkeit eben diesen Ausgleich der
Interessen im Lande zu finden. Das war der Charme der
sozialen Marktwirtschaft zu Zeiten Ludwig Erhards, und
das muß wieder so werden in einer Welt, die offen und
globalisiert ist. Wir werden uns dieser Herausforderung
stellen.
({18})
Ich sage Ihnen: Weder die Regelung für die 630Mark-Jobs noch die Regelung zur Scheinselbständigkeit
haben dazu beigetragen, genauso wenig die Verschiebung der Unternehmensteuerreform und die Tatsache,
daß Sie erst den Mittelstand belastet haben, auch wenn
Sie jetzt sagen, er werde irgendwann entlastet. Das kostet uns über Jahre hinweg Arbeitsplätze. All dies waren
keine sinnvollen Beiträge. Aber ich verspreche Ihnen:
Sollten Sie sich besinnen,
({19})
sollten Sie neben all dem Addieren und Subtrahieren
versuchen, vor den wirklichen Herausforderungen der
Zukunft zu bestehen, dann werden wir Sie tatkräftig unterstützen, dort wo wir gefragt sind.
({20})
Für Bündnis 90/Die
Grünen gebe ich jetzt der Kollegin Antje Hermenau das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen
und Kollegen! Frau Merkel, man merkt Ihnen richtig an,
wie erleichtert Sie sind, daß Ihre Partei in der Opposition jetzt die Chance hat, sich zu erneuern.
({0})
Ich gönne Ihnen das und wünsche Ihnen die nötige
Kraft, um das all den alten Männern in Ihrer Partei beizubringen.
({1})
Die Schulden müssen runter. In den letzten Tagen
wurde viel gestritten. CDU und SPD führten einen
Schlagabtausch darüber, wer die ganzen Schulden verursacht hat und wer dafür zuständig ist. Dann wurde
noch etwas über die sozialliberale Koalition - die war
schon fast vor meiner Zeit - erzählt; dann wurde etwas
von einer christlichliberalen Koalition erzählt, die noch
mehr Schulden angehäuft hat. Das alles ist richtig. Übrigens waren wir Ossis an den ungefähr 750 Milliarden
DM Schulden, die in der Regierungszeit Kohl angehäuft
sind, nicht beteiligt; das ist nicht unsere Erblast. Aber
dazu kommen wir später noch, um die Zahl von 1,5 Billionen DM vollzumachen. Egal, wie man das bewertet:
Sie haben die Schulden nicht gesenkt, und Sie haben
auch nicht die Nettokreditaufnahme gesenkt. Diese beiden Schritte haben Sie nicht vollzogen.
Mir ist noch etwas aufgefallen. Es ist eindeutig und
auch historisch belegt, wer beim Schuldenmachen am
besten gewesen ist. Die F.D.P. war - einmal mit der
SPD, einmal mit der CDU - seit 1969 immer an der Regierung.
({2})
Es sind auf jeden Fall liberale Schulden, Herr Koppelin.
({3})
Es sind auf gar keinen Fall grüne Schulden. Auch das
steht fest, denn wir sind das erste Mal an der Regierung.
({4})
In der ganzen Debatte wurde immer behauptet, an
Staatsschulden könne man nicht mit der Denkweise eines privaten Schuldners herangehen. Das sei kindisch,
der Staat sei ganz anders. Sinn macht diese Argumentation dann, wenn man auf die Einflüsse der Wirtschaft
schaut. Aber die Grundprinzipien gelten trotzdem, egal
ob private oder staatliche Schuldnerschaft. Diese
Grundprinzipien besagen, daß man einen Kredit nur
dann aufnehmen darf, wenn man etwas erwirbt, von dessen Nutzung man länger etwas hat, als man Zinsen zahlen muß. Das macht doch die Debatte aus, die wir führen. Wir reden doch davon, daß es nicht mehr angeht,
jeden Tag einen Kredit für die Bedürfnisse des täglichen
Lebens aufzunehmen. Doch das ist das, was wir gerade
machen. Wir leben über unsere Verhältnisse.
({5})
Herr Merz hat sich vor zwei Tagen darin gefallen,
darzustellen, wie eisern gespart worden sei. Für die Ära
Stoltenberg ist das auch richtig.
({6})
Ich gebe dem Kollegen Merz ausdrücklich recht: Unter
Stoltenberg wurde versucht, den Haushalt zu konsolidieren. Im Sommer 1989 kam dann die Wende, aber nicht
die ostdeutsche und gemeinsame, sondern die Wende in
der christlich-liberalen Finanzpolitik. Im Sommer 1989,
also vor der deutschen Einheit, hat Herr Waigel die
Wende in der Finanzpolitik vorgenommen. Damals sind
in der mittelfristigen Finanzplanung, bei der Nettokreditaufnahme und bei der Verschuldung deutliche Erhöhungen vorgesehen worden. Das wurde ein Jahr vor der
Bundestagswahl 1990 und vor der deutschen Einheit geplant, um - panem et circenses - die Bundestagswahl zu
gewinnen.
({7})
Als Ossi lasse ich es deshalb nicht auf mir sitzen, wir
seien schuld daran, daß die Schulden nach der Wende so
stark angestiegen sind. Die Folgen der Wiedervereinigung kommen hinzu; das stimmt.
Kommen wir zu dem Tafelsilber! Wir müssen uns
beim Einsparen heute sehr hart anstrengen, weil - so
leid mir das auch manchmal tut - das ganze Tafelsilber
bereits verjuxt ist. Sie haben das 1997 und 1998 aufgebraucht. Deswegen haben wir gar keine Alternative: Wir
müssen richtig einsparen, denn wir haben nichts mehr zu
verkaufen. Sie wissen ganz genau, wie hoch die Risiken
sind: Wenn die Zinsen um einen Prozentpunkt steigen,
dann haben wir im Jahr darauf über 3 Milliarden DM
mehr an Zinsen zu zahlen. Das müssen Sie sich einmal
überlegen. Deswegen ist es genau richtig, jetzt die Notbremse zu ziehen, bevor wir in die Zahlungsunfähigkeit
kommen.
Jetzt sage ich etwas als jemand, der 25 Jahre in dem
anderen Teil Deutschlands aufgewachsen ist. Ich habe
einmal erlebt, wie das ist, wenn ein Staat zusammenbricht und nicht mehr handlungsfähig ist. Ich bitte Sie
herzlich: Tun Sie mir das nicht ein zweites Mal an!
({8})
Es kommt hinzu, daß ich auch noch ein junger Mensch
bin und eigentlich vorhabe, dieses Land nicht zu verlassen. Auch da sollten wir uns Chancen erarbeiten.
({9})
Nun machen Sie es für mich attraktiv, hier als Rentnerin
zu leben, hier mehrere Kinder zu bekommen, so daß ich
mich hier wohlfühlen kann!
({10})
Sie haben das nicht geschafft; ich bin sehr stolz darauf, daß wir in der Koalition genau diese Fragen, die die
Zukunft betreffen - sie beschäftigen mich auch politisch
- wirklich anpacken.
({11})
Ich habe hier in den letzten zwei, drei Tagen von Ihnen
ständig nur Radio Jerewan gehört: „Im Prinzip sind wir
dafür, aber…“ Sie haben im Bundesrat die Möglichkeit,
Ihr gesamtes Aber in kleinen Anträgen vorzulegen. Wir
werden uns jeden einzelnen anschauen und bewerten.
Wenn vernünftige Vorschläge dabei sind, glaube ich sogar, daß sie eine Chance haben, durchzukommen.
({12})
Die Lage ist verzweifelt, das gebe ich gerne zu. Sich
hinzustellen und nach dem Sankt-Florians-Prinzip zu
sagen: „Zünde bitte die andere Hütte an“, das halte ich
nicht für redlich. Sie haben in den letzten Jahren selber
eigene Einsparvorschläge gemacht; gegen sie hatten wir
politisch zum Teil etwas. Das war alles der normale
Schlagabtausch in der Politik. Aber jetzt unterstellen Sie
etwas. Sie unterstellen, daß wir nicht wirklich sparen
wollen. Das ist falsch; das stimmt nicht. Wir meinen es
ernst, und es ist das Grundprinzip unseres Handelns. Wir
wollen wirklich sparen, weil wir darin die einzige Möglichkeit sehen, diesen Staat handlungsfähig zu erhalten.
({13})
Sie haben auch - das finde ich ebenfalls unredlich in der Debatte immer wieder darauf hingewiesen, daß
das ja eigentlich nur die 30 Milliarden DM aus dem Lafontaine-Haushalt seien. Das ist zumindest die Auffassung, die Sie draußen verbreiten; intern wissen es die
meisten von Ihnen besser. Es ist unredlich, die Aufwüchse aus dem Haushalt 1999 jetzt mit dem Sparpaket
und dem Haushalt 2000 zu vergleichen. Was wollen Sie
denn wieder zurücknehmen? Die Bundesergänzungszuweisungen an das Saarland, die Sie nicht ordentlich in
den Haushalt eingestellt hatten? Nach dem Machtwechsel wahrscheinlich nicht mehr. Wollen Sie die Kindergelderhöhung zurücknehmen? Da ist das BVG davor.
Wollen Sie die Postunterstützungskassen verschweigen?
Die Leute haben einen Rechtsanspruch auf ihr Geld.
Es wäre eventuell denkbar, daß Sie beim Zuschuß an
die Bundesanstalt für Arbeit kürzen. Aber dann fiele
zum Beispiel das JUMP-Programm weg, das gerade
jungen Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt
geben soll. Das fände ich völlig falsch. Wir stehen dazu,
daß wir uns für die Zukunft der jungen Leute verschulden. Das ist ordentlich; das ist vernünftig.
({14})
Wir können jetzt auch jene Nebelkerzen wegräumen,
die Sie werfen, wenn Sie sagen, wir würden unsere Einsparmaßnahmen nicht richtig benennen und die Menschen darüber im dunkeln lassen. Ich meine die globalen
Minderausgaben, von denen immer die Rede ist. Wir
lassen Sie über keine einzige globale Minderausgabe im
unklaren. Ich selber habe gestern im Auswärtigen Amt
ein Berichterstattergespräch gehabt. Wir haben alles heruntergebrochen, bis auf die letzte müde Mark. Sie wissen ganz genau, daß das schmerzhafte Prozesse sind.
Aber es wird jede einzelne Sparmaßnahme
({15})
in dem Haushalt, den wir als Gesetz verabschieden,
deutlich belegt und ausgewiesen. So muß es auch sein.
Denn es ist wichtig, daß die Leute ganz genau einschätzen können, was auf uns alle zukommt.
({16})
Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition,
werfe ich, ehrlich gesagt, einen gewissen Opportunismus vor. Auch Sie haben eine demokratische Verantwortung. Ich werde abwarten, wie Sie sie im Bundesrat
wahrnehmen werden. Eigentlich stehen Sie im Moment
daneben und reiben sich die Hände. Sie diffamieren die
Umbruchstimmung auch als Chaos, was ich nicht redlich finde. Sie schämen sich auch nicht für diese zum
Teil etwas billig errungenen Wahlsiege.
({17})
Sie würden doch nur weniges anders machen. Vielleicht haben Sie es nicht immer ehrlich gemeint, wenn
Sie sagten, daß Sie jetzt gleich an die Macht zurückkehren wollen. Denn Sie müßten dann mit jenen Maßstäben
in der Politik weiter operieren, die wir in diesem Jahr
setzen. Daran können Sie sich nicht vorbeimogeln; das
wissen Sie auch. Deswegen glaube ich, daß es sehr interessant sein wird, zu sehen, was Sie im Bundesrat anzubieten haben.
({18})
Ich werde mir dann genausoviel Zeit nehmen wie heute
und werde in Ruhe auf Ihre Argumente eingehen.
({19})
Denn Sie werden dann offenlegen müssen, was substantielle und tragfähige Vorschläge sind und was nicht.
Ich komme noch einmal auf den Generationenkonflikt zu sprechen, der manchmal ein wenig unglücklich
aufgebaut wird. Wenn wir uns einmal anschauen, wie
hoch die Jugendarbeitslosigkeit in den anderen europäischen Ländern ist, dann muß ich sagen, daß wir in
Deutschland sehr gut dastehen. Das hat nicht zuletzt
damit etwas zu tun, daß wir uns erkühnt haben, Kredite
dafür aufzunehmen, um den jungen Leuten zusätzliche
Chancen auf dem Arbeitsmarkt geben zu können. Dieses
JUMP-Programm für junge Leute ist steuerfinanziert.
Das stimmt; das steckt im Zuschuß der Bundesanstalt
für Arbeit. Aber ich finde das völlig in Ordnung - was
für eine Familie gilt, kann auch in einem Gemeinwesen
gelten -, wenn die Oma Hilde nun dabei hilft - das geschieht dadurch, daß wir ihre Rente nur um einen InflaAntje Hermenau
tionsausgleich erhöhen -, daß ihrem Enkel Mirko nun
doch noch eine Lehrstelle angeboten werden kann.
({20})
Sie wissen ganz genau, wovon ich rede: Es geht um
Machtpolitik. Die Anzahl der Personen über 65 Lebensjahre beträgt rund 13 Millionen in Deutschland; das
sind zirka 16 Prozent der Bevölkerung; die Anzahl der
Personen zwischen 18 und 25 Jahren beträgt 6 Millionen; das sind rund 7,5 Prozent. Und wir wissen ganz genau, wovon wir reden; wir reden von Wählerstimmen.
Das ist eine ganz einfache Sache. Wir sagen: Hinsichtlich des Generationenkonfliktes muß man sich über diese Bedenken hinwegsetzen. Es ist wichtig, jungen Leuten eine Zukunft zu geben.
({21})
Ich will nun - das ist eine wirklich neue Leistung der
Bundesregierung - darüber sprechen, wie wir uns über
den Aufbau Ost unterhalten. Herr Kollege Schwanitz
hat es in bemerkenswerter Weise geschafft - das ist in
den letzten zwei Tagen vielleicht untergegangen; aber es
ist sehr wichtig, dies herauszustellen -, die überzogene
Darstellung der Transfers zu beerdigen. Das haben Sie
über Jahre nicht geschafft. Das ist eine hervorragende
Leistung, für die wir uns beim Kollegen Schwanitz bedanken müssen.
({22})
Ich weiß, daß Herr Biedenkopf, der von allen Seiten
viel gelobt wird, seit mehreren Jahren durchs Land zieht
und sagt, man müsse die Kosten redlich berechnen und
man dürfe die Transfers bei der Rente und beim Arbeitslosengeld nicht hineinrechnen. Dieses Geld steht
den Menschen doch zu. Wir sollten nur über die wirklichen Investitionen zum Beispiel in den Infrastrukturbereich und in den Forschungsbereich reden. Dann kommt
man nur auf eine Summe von 38 Milliarden DM für die
Aufbauhilfe Ost. Das ist also mitnichten dieser riesige
Bruttotransfer, der immer als Popanz aufgebaut worden
ist.
Herr Schwanitz hat damit der Diskussion an den
Stammtischen den Nährboden entzogen. Das ist eine
wirklich große Leistung. Herr Biedenkopf, der sächsische Finanzminister Milbradt, selbst Kollegen aus der
CDU/CSU-Fraktion wie Herr Kolbe haben für diese
Sichtweise gekämpft, konnten sich aber nicht durchsetzen. Herr Schwanitz hat es aber in einem Dreivierteljahr
geschafft, Redlichkeit einzuführen. Herr Schröder, ich
bin froh darüber. Ich hatte nämlich befürchtet, daß wir
so weitermachen wie bisher, weil es sich gut verkaufen
läßt zu sagen, der Osten komme uns so furchtbar teuer.
Ich bin dankbar für die Redlichkeit, für die wir hier stehen.
({23})
Ich komme auf die Anregungen der Ländergruppe
Ost in der Grünen-Fraktion und auf die Erwartungen zu
sprechen, die wir mit diesem Zukunftsprogramm verfolgen. Wir haben im Osten lange - Herr Gysi hat dies in
etwas populistischer Art gemacht - über die Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit dem Einkommensgefälle
gesprochen. Es ist schon schwierig, sich damit abfinden
zu müssen, in fast allen Branchen nur 60 bis 75 Prozent
des Westgehaltes zu beziehen. Dies ist eine schwierige
Lebenslage, zumal sie noch Auswirkungen auf die Rentenansprüche hat.
Es ist aber, glaube ich, nicht möglich, einen ganz genauen Zeitplan festzulegen, wann man die Angleichung
der Einkommensverhältnisse in Deutschland erreichen
kann - obwohl dieser Wunsch existiert. Aber eines ist
möglich: Man kann sich anstrengen, die Wirtschaftsstruktur zu verbessern. Das ist genau das, was wir vorgeschlagen haben, nämlich die Investitionen für die
wirtschaftsnahe Forschung und für die Infrastruktur im
Osten zu erhöhen.
({24})
Wenn man durch diese Maßnahmen die wirtschaftliche
Situation verbessert, dann haben wir die Chance, die
Einkommen zu erhöhen.
In Richtung PDS sage ich: Sie lagen schon einmal
daneben, die Produktivität nicht als entscheidenden
Faktor für Lohnzuwächse zugrunde zu legen. Ich
möchte dies kein zweites Mal erleben. Ich denke, wir
sind gut beraten, die Wirtschaftskraft der ostdeutschen
Länder deutlich zu stärken und darauf unser Hauptaugenmerk zu legen. Sie wissen selbst, wie heikel Zeitpläne sind. Die blühenden Landschaften haben sich auch
nur sehr verzögert eingestellt.
Ich komme nun auf den zweiten Punkt, der der Ländergruppe Ost von Bündnis 90/Die Grünen sehr am
Herzen liegt. Es geht darum, die Diskussion über den
Länderfinanzausgleich von der Diskussion über den
Aufbau Ost zu entkoppeln. Die Vermischung bei der
Diskussion hindert uns an unserer Arbeit. Die erste Diskussion wurde von Herrn Stoiber und Herrn Teufel angefangen. Sie sagten, daß man den Ostländern nicht soviel bezahlen könne und daß über den Länderfinanzausgleich - die Neuregelung steht 2004 an - verhandelt
werden müsse. Die Angst in den ostdeutschen Ländern
ist natürlich groß. Ich finde es auch nicht in Ordnung,
daß man schon Jahre vorher mit dem Teufelaustreiben
beginnt.
Mein Vorschlag ist, daß wir im nächsten Jahr eine
Konferenz abhalten, zu der wir die Landesfinanzminister
und die Landeswirtschaftsminister der ostdeutschen
Länder zusammen mit dem Bundesfinanzminister und
dem Bundeswirtschaftsminister einladen. Auf dieser
Konferenz soll über die Aufbauhilfe Ost gesprochen
werden; man könnte dann über vier bis fünf Jahre festlegen, wie sie verlaufen soll. Damit würde die Diskussion
zum Länderfinanzausgleich vom Aufbau Ost entkoppelt
werden. Damit schaffen wir einen gewissen psychologischen Rahmen, weil dann die ostdeutschen Bundesländer damit rechnen können, wie ihnen der Bund zur Seite
steht. Man könnte dann entspannt in die Diskussion zum
Länderfinanzausgleich gehen. Wir können uns im nächAntje Hermenau
sten Sommer große Meriten verdienen, indem wir den
ostdeutschen Bundesländern auf die Beine helfen.
Ein dritter Punkt ist mir wichtig; ich kämpfe schon
seit Jahren dafür. Der Haushalt für das Jahr 2000 soll
endlich ein Haushalt sein, bei dem auch die westdeutsche Steinkohle ihren Sparbeitrag leisten muß.
({25})
Es ist schon fast ein persönliches Anliegen von mir. Wir
Ostdeutschen erwarten von dem Zukunftspaket, daß
auch bei der Förderung der westdeutschen Steinkohle
mindestens ein dreistelliger Millionenbetrag eingespart
wird. Es kann nicht sein, daß die Steinkohlesubventionen entgegen den Entwicklungen in anderen Bereichen
aufrechterhalten werden. Als diese Subventionen damals
ausgehandelt wurden, herrschten andere Verhältnisse als
heute. Den Rentnern und Sozialhilfeempfängern sagen
wir: Heute sind die Verhältnisse anders. Dies müssen
wir jetzt auch den Bergleuten mitteilen. Da hilft nun alles nichts.
({26})
Man wird in zwei Monaten, wenn die abschließende
Beratung des Haushalts 2000 beginnt, sehen, ob sich die
Erwartungen von Bündnis 90/Die Grünen an diesen
Haushalt erfüllt haben. Auf jeden Fall bin ich schon jetzt
sehr zufrieden und stolz darauf, daß es uns gelungen ist,
einen redlichen Haushalt aufzustellen. Das ist das erste
Mal, daß ich dies erlebe, obwohl ich schon seit fünf Jahren Bundestagsabgeordnete bin.
Ich bedanke mich bei Ihnen.
({27})
Für die F.D.P.
spricht der Kollege Jürgen Koppelin.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Woche
zum ersten Mal über den von Hans Eichel vorgelegten
Haushalt beraten. Im Gegensatz zum „Zahlenkünstler“
Lafontaine haben wir es bei Herrn Eichel mit einem Minister zu tun, der sparen möchte. Das ist nichts Schlechtes. Das ist ehrenwert und eigentlich auch die Aufgabe
des Finanzministers. Es ist richtig, wenn Herr Eichel
sagt, daß Einsparungen vorgenommen werden müssen
und der Haushalt entlastet werden muß, damit wir zukünftig Entscheidungsspielräume haben und zukünftige
Generationen nicht belasten. So weit, so gut.
Sie, Herr Finanzminister, haben dann aber etwas gesagt - darauf ist auch schon Frau Merkel eingegangen -,
das ich nicht akzeptieren kann: Wie können Sie der alten
Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. Vorwürfe über deren Haushaltspolitik machen? Ich glaube, daß diese
Politik gar nicht so schlecht gewesen sein kann. Sie haben nach der Regierungsübernahme ja alle politischen
Beamten - das kritisiere ich nicht - ausgewechselt. Aber
den Staatssekretär, der Herrn Waigel bei der Aufstellung
seiner Haushalte beraten hat, haben Sie behalten. Dafür müssen Sie doch Gründe gehabt haben. Ich vermute
also, daß unsere Haushaltspolitik gar nicht so schlecht
war.
({0})
Sie, Herr Minister, haben vor einiger Zeit gesagt - inzwischen haben Sie es mehrfach wiederholt -: „Durchmogeln hilft nicht mehr.“ Wenn ich mir jetzt Ihren
Haushalt anschaue, kann ich Ihnen den Vorwurf nicht
ersparen: Sie mogeln und tricksen! Es gibt Einsparungen
in Milliardenhöhe, die nur eine Verlagerung vom Bund
auf andere öffentliche Haushalte bedeuten. Es werden
mehr als 5 Milliarden DM den Sozialversicherungen
aufgebürdet. Beim Wohngeld wird ein Milliardenbetrag
gestrichen. Dies alles geht zu Lasten der Kommunen.
Dies ist wirklich nicht die feine Art, Herr Finanzminister.
Weil Sie denken, daß Ihnen keiner auf die Schliche
kommt, machen Sie im bisherigen Stil munter weiter.
Ich nenne das Stichwort globale Minderausgaben. Die
Kollegin Hermenau verwaltet ja nicht die ganz großen,
sondern nur die kleineren Etats.
({1})
Da ist es möglich, daß sie - wie sie gesagt hat - alles bis
auf die letzte müde Mark herunterrechnen kann. Aber
ich bin gespannt, wie das im Verteidigungshaushalt und
in den anderen Etats aussehen soll.
Ich sage Ihnen folgendes: Im Sozialetat liegt die
globale Minderausgabe bei 2,4 Milliarden DM. Beim
Verteidigungsetat ist es fast genauso viel. Das sind
große Positionen. Zählt man alle zusammen, betragen
die globalen Minderausgaben 5,8 Milliarden DM. „Globale Minderausgaben“ bedeutet doch wohl - wenn ich
Sie in der bisherigen Haushaltsberatung richtig verstanden habe -: Eichel weiß noch gar nicht, wo er sparen
will. Das ist die Botschaft, die von diesen großen globalen Minderausgaben ausgeht. Sie paßt zu Ihrem Sparpaket.
({2})
Ich möchte Sie auch daran erinnern, was Sie vor der
Wahl alles den Bürgern versprochen haben, nämlich
soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, den Abbau der
Arbeitslosigkeit - dazu habe ich von Ihnen bisher wenig
gehört - und die Erhöhung der Renten. Das waren Ihre
Hauptversprechen. Den Bürgern wurde das Gefühl vermittelt, für all diese Wohltaten sei genug Geld vorhanden. Haben Sie mit Ihren Haushältern vorher nie gesprochen? Gerechtigkeitslücken wurden von der SPD ausgemacht. Diese Lücken wollten Sie durch Ihre Umverteilungspolitik schließen. So waren Ihre Aussagen vor
der Wahl.
Nun spricht der Bundesfinanzminister von Eigenverantwortung, Risikobereitschaft und Selbstvorsorge. Dies
muß man loben; denn das sind alles Begriffe, Herr
Finanzminister, die den Liberalen nicht fremd sind. Aber
als wir damals von diesen Dingen gesprochen haben,
wurden wir von der SPD-Fraktion mit Begriffen wie
„Neoliberalismus“ und „soziale Kälte“ bedacht. Dies
waren Ihre Schlagworte. Trotz dieser Vorwürfe haben
wir nie eine Politik der sozialen Kälte verfolgt. Sie verfolgen eine solche Politik.
({3})
Der Bundeskanzler hat auch in dieser Debatte das
Sparpaket, aber auch sogenannte Reformen seiner Regierung als „von historischer Tragweite“ bezeichnet.
Welche Reformen meint er denn? Spricht er von der
verkorksten Reform zur Scheinselbständigkeit? Spricht
er von der verkorksten Reform zu den 630-Mark-Jobs?
Spricht er von der verkorksten Ökosteuer, die überhaupt
keine Ökosteuer ist? Spricht er von den rotgrünen Rentenplänen? Hat all dies historische Tragweite? - Ja, in
dem Punkt hat er recht: Das hat historische Tragweite.
Es sind allesamt Anschläge auf die Bürger und ihr
schwerverdientes Geld. Das hat es in dieser Form bisher
nicht gegeben; insofern ist es historisch.
({4})
Dazu paßt die Diskussion in der SPD-Fraktion zu diesem sogenannten Sparpaket, die wir in der Sommerpause erlebt haben. Bei einem so unausgewogenen, teilweise richtig chaotischen Paket des Finanzministers verstehe ich das. Ein vielstimmiger Chor von sozialdemokratischen Überzeugungstätern versucht sich in Forderungen, Vorschlägen, Rücknahmen dieser Vorschläge
und Dementis.
Wenn der Bundeskanzler im Plenum des Bundestages
erklärt, die Koalition stehe hinter dem Sparpaket - ich
nehme einmal an, das ist so -, dann sagen Sie doch bitte
den Kolleginnen und Kollegen vor allem der SPDFraktion, daß sie auch in den Wahlkreisen dazu stehen
sollen. Bis jetzt mußte ich jede Woche in irgendeinem
Wahlkreis von irgendeinem SPD-Abgeordneten lesen,
daß er gegen dieses Paket und deshalb gegen die Politik
des Bundeskanzlers sei. Ihre Kollegen sollen in den
Wahlkreisen dazu stehen. Wenn das geschieht, dann
wird unser Geschäft als Opposition, mit diesen Abgeordneten über das Sparpaket zu diskutieren, etwas einfacher.
({5})
Während des Sommertheaters hatte ein richtiger
Knüller Uraufführung. Ich meine die Äußerungen des
SPD-Fraktionsvorsitzenden Struck. Er hat laut über das
Steuersystem nachgedacht. Herr Finanzminister, die
Diskussion um das Sparpaket allein reicht nicht. Die
Diskussion um die steuerlichen Rahmenbedingungen
kam dazu. Herr Struck ist zu ganz tollen Erkenntnissen
gekommen. Ich zitiere ihn wörtlich:
Ich glaube nicht, daß die alte Position einer Arbeiterpartei, von den Reichen nehmen, um es den Armen zu geben, die Politik in unserer modernen Gesellschaft ist.
Einen weiteren Satz von Herrn Struck will ich Ihnen
nicht vorenthalten, auch wenn sie ihn kennen:
Was die F.D.P. in der Steuerpolitik vorschlägt, ist
doch völlig richtig.
({6})
Herr Struck hat recht. Ich kann ihn nur auffordern, seine
Anstrengungen in diese Richtung fortzuführen. Wir, die
Freien Demokraten, werden ihn dabei selbstverständlich
gern unterstützen.
Mit unserem Konzept wird etwas für Deutschland geschaffen, was von enormer Bedeutung ist. Das hat Herr
Struck erkannt. Mit unserem Konzept werden die Bürger
entlastet, es werden Arbeitsplätze geschaffen - ich finde,
in dieser Haushaltsdebatte haben wir darüber viel zuwenig gesprochen - und unser Steuerrecht wird vereinfacht.
Hinzu kommt etwas, was Sie uns vielleicht gar nicht zutrauen: Auch wir wollen den Abbau von Vergünstigungen
und den Abbau von Subventionen betreiben. Würde unser Steuerkonzept umgesetzt, dann wäre das gerecht.
({7})
Die Umsetzung eines solchen Steuerkonzepts würde
dazu führen, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie nicht
so stark streichen müßten, weil die Einnahmen kräftig
sprudelten, ohne daß Sie Steuererhöhungen vornehmen
müßten. Das ist der entscheidende Punkt. Durch dieses
Konzept würde die Abgabenlast der Bürger reduziert,
und die Unternehmen würden entlastet. Für die Unternehmen würden Anreize geschaffen, mehr Menschen in
Lohn und Brot zu bringen. In Ihrem Haushalt besteht
das Problem, daß Sie unglaublich viel Geld wegen der
großen Zahl an Arbeitslosen ausgeben müssen. Wir
müssen die Zahl der Arbeitslosen senken, damit es die
entsprechenden Einsparungen gibt.
({8})
Entscheidend ist: Wenn Sie die Steuern radikal senken, dann werden Menschen eingestellt und dann haben
die Unternehmen die Möglichkeit, Gewinne zu erzielen
und wieder zu investieren. Vor allem sprudelt dann die
Steuerquelle. Andere Länder haben uns das vorgemacht.
({9})
Wenn wir während der Debatte der letzten Tage gesagt haben, die Grünen und vor allem die SPD hätten in
der letzten Legislatur jede Möglichkeit eines Steuerkompromisses verhindert, dann haben Sie das immer
bestritten. Die Kollegin Hermenau hat eben vom Bergbau gesprochen. Ich möchte Ihnen ein Zitat des damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Rudolf Scharping aus
dem Jahre 1997 vorlesen - es ist gerade zwei Jahre alt;
es gibt bergeweise Aussagen von Sozialdemokraten,
warum sie die Steuerreform verhindert haben -:
Für meine Partei gibt es derzeit Wichtigeres als die
Steuerverhandlungen mit der Koalition.
- Das waren damals wir. Eine Fortsetzung der Steuergespräche kommt erst
in Frage, wenn die Zukunft des Bergbaus ohne betriebsbedingte Kündigungen gesichert ist.
Man muß sich einmal vorstellen, auf welchem Niveau
damals gesprochen wurde. Solche Vermischungen haben Sie vorgenommen.
Der Bundeskanzler hat in der Debatte gesagt: Wir
ziehen unser Programm jetzt so durch, und die Koalition
steht dazu. Herr Bundesfinanzminister, ich frage mich,
was Ihr Wort überhaupt wert ist, wenn Sie der Opposition Gespräche anbieten. Was stimmt denn? Ziehen Sie
Ihr Vorhaben durch, oder wollen Sie mit uns wirklich
Gespräche führen? Wir sind zu Gesprächen bereit.
Herr Finanzminister, Ihre heutige Rede hat ebenso
wie Ihre Einbringungsrede gezeigt, daß Sie Ehrenmitglied des PEN-Clubs werden sollten: Ich habe lang nicht
mehr so viel Lyrik in Reden gehört wie bei Ihnen.
({10})
Sie sind nicht konkret geworden, Sie sind nicht auf die
Fakten eingegangen. Warum sagen Sie nicht, das Konzept sei ganz furchtbar, aber als Finanzminister müßten
Sie Einschnitte machen, auch wenn es Ihnen leid tue?
Dann könnten Sie auch in aller Deutlichkeit sagen, wen
Sie schröpfen und wo Sie abkassieren.
Sie bedienen sich bei der Landwirtschaft, womit Sie
es sich sehr einfach machen, weil die Landwirte keine
Chance haben, ihre Produkte zu ändern oder ins Ausland
zu gehen. Die Landwirtschaft können sie kräftig schröpfen. Sie schröpfen die Bundeswehr, Sie kassieren beim
Meister-BAföG, Sie kassieren beim Wohngeld. Sie kassieren sogar bei den sozialen Verbänden in Deutschland,
weil Sie sich von denen den Zivildienst künftig bezahlen
lassen. Das muß man sich einmal vorstellen: Manchmal
waren wir doch froh, daß überhaupt Zivildienststellen
von den Sozialverbänden geschaffen wurden. Ich bin
fest davon überzeugt, daß es da einen Rückgang geben
wird.
Sie streichen bei der Forschung.
({11})
Sie nehmen das BaföG aus dem Bundeshaushalt heraus.
Das tollste Ding ist, daß der BGS als Bahnpolizei künftig von der Bahn AG bezahlt werden soll. Ich will jetzt
nicht sagen, daß der BGS zu einer Söldnertruppe wird.
Aber eines frage ich mich wirklich, Herr Eichel: Warum
lassen sie sich dann nicht auch von den Bundesligavereinen den BGS-Einsatz bezahlen?
({12})
Sie wälzen Milliardenbeträge auf die Kommunen ab.
Damit rede ich gar nicht einmal von dem Verkauf der
Eisenbahnerwohnungen; in diesem Zusammenhang gibt
es ja noch ein Loch in Ihrem Haushalt. Dies alles zeigt,
daß Sie sich nur durchmogeln. Ihr Etat ist wirklich nicht
seriös.
Nun möchte ich darauf zurückkommen, daß Sie uns
aufgefordert haben, unsere Alternativen vorzulegen. Wir
haben unsere Alternativen vorgelegt, und zwar nicht nur
ein Steuerkonzept. Wir von der F.D.P. haben auf Drucksache 14/1132 einen Antrag eingereicht, der - ich sage
Ihnen das, falls Sie nicht wissen, wovon ich rede - das
Schröder-Blair-Papier beinhaltet. Das sind die richtigen Rahmenbedingungen. Warum ist die Koalition nicht
bereit, über das Papier, das von Ihrem Bundeskanzler
kommt, und, was Sie ja zugeben, in großen Teilen von
der F.D.P. abgeschrieben ist, auch mit uns, der F.D.P.,
zu diskutieren? Wir sind dazu bereit; denn das, was in
diesem Papier steht, ist vollkommen in Ordnung.
({13})
- Wir werden es in die Diskussion um den Haushalt einbringen.
Ich freue mich auf die Haushaltsberatungen. Aber,
Herr Eichel, kommen Sie nicht nur mit Ihrem Konzept.
Wenn Sie wirklich gesprächsbereit sind, dann lassen Sie
uns beispielsweise über die Steuerreform und auch einmal über das Schröder-Blair-Papier reden. Ich bin gespannt, was Sie zu diesem Papier sagen und ob Sie unserem Antrag, dem Schröder-Blair-Papier, dazu zustimmen werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld und wünsche Ihnen
ein schönes Wochenende.
({14})
Für die PDS spricht
der Kollege Uwe-Jens Rössel.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen! Im Koalitionsvertrag heißt
es:
Der Schlüssel zur Konsolidierung der Staatsfinanzen ist die erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie eine sparsame Haushaltspolitik, die
Spielräume erst für Zukunftsinvestitionen eröffnen
kann.
({0})
Wie hat die Bundesregierung diesen selbstgestellten
Anspruch beim Haushaltsentwurf 2000 erfüllt? Gewiß,
manches ist positiv und wird auch von der PDS unterstützt. Ich nenne beispielhaft das fortgeführte Programm
für 100 000 Lehrstellen, das neu initiierte Programm für
die Förderung regionaler Investitionen. Auch die Anhebung des Kindergeldes ist ein Schritt in die richtige
Richtung.
Herr Finanzminister, wenn Sie aber behaupten, die
PDS erkenne nicht die Notwendigkeit von Haushaltskonsolidierung an, dann sprechen Sie nicht die Wahrheit. Selbstverständlich erkennen wir diese Notwendigkeit angesichts von Zinszahlungen auf die Bundesschuld
in Höhe von jährlich 82 Milliarden DM aus Steuergeldern an; das ist unbestritten. Aber über das Wie dieser
Haushaltskonsolidierung müssen wir heute sprechen;
das ist unser Kritikpunkt. Darauf muß sich die Debatte
konzentrieren.
Sie setzen an die Stelle einer dringend notwendigen
gesamtwirtschaftlichen Perspektive für mehr Beschäftigung, für soziale Gerechtigkeit, für einen ökologischen
Umbau, für die Stärkung des Mittelstandes sowie der
Finanzkraft der Kommunen in vieler Hinsicht schädliche
Sparwut. Sie brechen damit in hohem Maße Wahlversprechungen Ihrer Partei.
({1})
Bundesfinanzminister Eichel beeinträchtigt mit seiner
Sparbesessenheit Wachstum und Beschäftigung. Für ihn
ist nicht mehr der Abbau der Massenarbeitslosigkeit das
größte gesellschaftliche Problem, sondern der Abbau der
Staatsverschuldung.
Dem namhaften Ökonomen Hickel ist zuzustimmen,
wenn er heute im „Handelsblatt“ schreibt, daß staatliche
Schulden von Hans Eichel als Erblast für Kinder und
Enkel stigmatisiert würden, dabei aber völlig vergessen
werde, daß Haushaltskonsolidierung ausschließlich über
Ausgabenreduzierung insbesondere die sozial und finanziell Schwachen treffe.
({2})
Ausgerechnet Zukunftsbereiche wie Infrastruktur, Umwelt, Forschung und Entwicklung, aber auch Kultur und
Entwicklungshilfe kommen im Budget viel zu kurz.
Der Haushaltsentwurf von Hans Eichel zementiert
soziale Ungerechtigkeiten, anstatt sie abzubauen.
({3})
Er ist nicht nur eine Fortsetzung neoliberaler Politik in
den Farben von Rotgrün - wenn auch mit anderer Rhetorik, das erkennen wir an -, sondern er leitet einen Systembruch in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme ein, der für uns nicht hinnehmbar ist.
({4})
Auch die Rentenreform, nach der die Entwicklung
der Renten zumindest für zwei Jahre nicht mehr an die
der Nettolöhne, sondern an die Preissteigerungsrate gekoppelt wird, stellt einen eindeutigen Bruch von Wahlversprechen dar. Die Rentenzahlung nach Kassenlage,
wie sie die Herren Riester und Eichel jetzt praktizieren
wollen, nimmt zugleich den heutigen und den künftigen
Rentnerinnen und Rentnern in Ostdeutschland die Chance auf eine Angleichung ihrer Altersbezüge an das Niveau im Altbundesgebiet.
Oder nehmen wir die Wohngeldreform. Sie ist
längst überfällig, wurde aber von CDU/CSU und F.D.P.
über Jahre hinaus verschleppt und wird nun von der jetzigen Regierung erneut in das nächste Jahr verschoben.
Der Haushaltsentwurf der Regierung gibt in Zahlen
unbestechlich wieder, daß Bundeskanzler Schröder den
Aufbau Ost eben doch nicht zur Chefsache macht. In
der PDS ist der Aufbau Ost tatsächlich Chefsache. Die
Wählerinnen und Wähler können sich tagtäglich davon
überzeugen.
({5})
Staatsminister Schwanitz, der heute von den eigenen
Reihen gelobt worden ist, führt, so meinen wir, im Bundeskanzleramt nicht nur räumlich, sondern auch, was
sein Budget und seine Kompetenzen betrifft, ein Mauerblümchendasein.
({6})
Die PDS-Fraktion wiederholt den Vorschlag, daß die
Bundesregierung zehn Jahre nach dem Mauerfall endlich einen Plan zur Angleichung der Lebensverhältnisse
in Ost und West vorlegen soll.
({7})
Zehn Jahre sind verstrichen, und dieser Plan gehört auf
den Tisch der Öffentlichkeit.
({8})
Auch wenn Kanzler Schröder von großzügiger Mittelstandförderung spricht, ist dabei viel heiße Luft. Die
für das Jahr 2001 angekündigte Körperschaftsteuerreform kommt bekanntlich Kapitalgesellschaften zugute.
In Deutschland sind aber rund 85 Prozent der Unternehmen davon nicht betroffen, weil sie Einzelunternehmen bzw. Personengesellschaften sind. Wem also dient
die Steuersenkung?
Die PDS, Herr Bundesfinanzminister Eichel, hat eben
nicht nur den Bundeshaushalt, sondern alle öffentlichen
Haushalte, Bund, Länder und Gemeinden, gleichermaßen im Blickfeld. Diesen Blick habe ich bei Ihnen trotz rhetorischer Beteuerungen - vermißt.
({9})
Im Rahmen des sogenannten Sparpakets sollen - darüber ist gesprochen worden - im nächsten Jahr mindestens 3,5 Milliarden DM Ausgaben vom Bund auf die
Kommunen verlagert werden, nach dem Motto: Seht,
wie ihr damit zurechtkommt. Denn es gibt keinen fairen
Ausgleich. Das belegen Sie auch heute in dieser Debatte.
Ein Beispiel. Die ohnehin von argen Finanzsorgen
geplagte Viertelmillionenstadt Halle an der Saale müßte,
würde Ihr Sparpaket so angenommen - was wir alle
nicht wollen -, im nächsten Jahr mit Zusatzbelastungen
in einer Höhe von 25 Millionen DM rechnen. Darunter
zu leiden hätten viele von der Stadt Halle zu erfüllende
soziale Projekte, soziale Vereine und selbstverständlich
auch die städtischen Investitionen.
Notwendig ist eine sofortige umfassende Reform der
Kommunalfinanzierung, für die die PDS einen Antrag
eingebracht hat, der in der nächsten Sitzungswoche beraten wird.
({10})
Erforderlich sind vor allem dauerhaft sprudelnde Steuereinnahmen, die Ausreichung einer kommunalen Investitionspauschale sowie die Entlastung der Kommunen von
Ausgaben, für die sie nicht verantwortlich sind, zum
Beispiel für die Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit.
Die PDS hat selbstverständlich Alternativen. Ich nenne nur stichpunktartig einige:
Verabschieden Sie sich sofort von Prestigeobjekten,
die Milliardengräber werden, wie dem Eurofighter. Er
soll bis zum Jahre 2014 immerhin Steuergelder in Höhe
von 20 Milliarden DM verschlingen; dieser Betrag liegt
um das 20fache höher, als der Haushalt des Bundesumweltministers 2000 umfaßt. Verabschieden Sie sich vom
Milliardengrab Transrapid konsequenter, als es Franz
Müntefering heute nacht in der Debatte gemacht hat, indem er ein abgespecktes Projekt ankündigte.
Nutzen Sie die gesetzlich verbrieften Möglichkeiten,
um von Zinslasten zumindest teilweise herunterzukommen. Warum wurde das Niedrigzinsniveau der Vergangenheit nicht auch über Zins-Swapgeschäfte festgeschrieben? Da offenkundig am Kapitalmarkt die Zinsen
weiter im Steigen begriffen sind, dürfte es jetzt erhebliche zusätzliche Belastungen für den Bundeshaushalt geben. Hans Eichel schweigt sich darüber aus.
Die Wiedereinführung einer Vermögensteuer auf reformierter Bemessungsgrundlage könnte mehr als 9
Milliarden DM in die Haushaltskassen spülen. Wir hoffen immer noch, daß sich in der SPD-Fraktion diejenigen durchsetzen, die sich schon in der Vergangenheit für
eine Wiedereinführung der Vermögensteuer stark gemacht haben.
({11})
Auch die Reformierung der Erbschaftsteuer steht auf
der Tagesordnung; genauso die seit Jahren überfällige
Abschaffung der noch auf Franz Josef Strauß zurückgehenden Steuerbefreiung für Flugbenzin. Deutliche
Mehreinnahmen wären dadurch erzielbar; Finanzminister Eichel schweigt sich auch darüber aus.
Zum Schluß frage ich, warum nicht Banken, Versicherungen und Industriekonzerne, die mit zweistelligen
Gewinnzuwächsen aufwarten und sich immer stärker
dem Shareholder Value verpflichtet fühlen, durch eine
Vermögensabgabe zur Finanzierung von Aufgaben des
Gemeinwohls beitragen sollten. Wir meinen, daß dafür
die Zeit längst reift ist.
({12})
All das und weiteres zeigt, daß es realistische Alternativen und einen anderen Weg zur Haushaltskonsolidierung in diesem Hause gibt, Herr Finanzminister. Bitte
nehmen Sie dies von der PDS zumindest zur Kenntnis.
Herr Kollege, ich
bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Diese PDS-Alternativen - das ist mein letzter Satz - fühlen sich der Förderung von Wachstum und Beschäftigung verpflichtet. Sie
dienen der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost
und West. Wir bitten, auch in eine Debatte zu diesen
Fragen einzutreten.
Danke schön und schönes Wochenende.
({0})
Für die SPDFraktion spricht nun der Kollege Hans Georg Wagner.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Restverbliebene hier im Raum!
({0})
Die anderen haben das schöne Wochenende, das Jürgen
Koppelin uns gewünscht hat, schon; wir haben es noch
nicht, werden es aber auch noch bekommen. Nachdem
ich die Debatte über drei Tage meistens hier im Saal
verfolgt habe, ist mir in Anlehnung an das Neue Testament ein Wort dazu eingefallen: Herr, vergib ihnen,
denn sie wissen immer noch nicht, was sie angerichet
haben.
({1})
Etwas weiteres möchte ich feststellen, Herr Präsident:
Die Klimaanlage im Plenarsaal funktioniert; denn die
ganze heiße Luft, die die Opposition in den letzten drei
Tagen produzierte, hat nicht zu einer spürbaren Anhebung der Raumtemperatur geführt. Das ist wenigstens
etwas Erfreuliches.
({2})
Nun zu den Punkten, die genannt wurden; Alternativen sind ja keine aufgezeigt worden:
Frau Merkel brachte den obskuren Vorschlag, die
Steinkohlesubventionen abzubauen, obwohl das die
einzige Subvention ist, die vertraglich geregelt im Laufe
der Jahre zurückgeführt wird.
({3})
- Sie kenne ich ja. Ihre Forderungen werden nicht
Wirklichkeit werden. Ich habe mit ihr ja schon des öfteren darüber Diskussionen geführt.
Die Kollegin Hermenau hat jedoch recht, daß Herr
Eichel, wenn man alle Subventionen in der Form wie
bei der deutschen Steinkohle abbauen würde, im Jahr
170 Milliarden DM mehr in seiner Kasse hätte. Das ist
die Wahrheit. Vielleicht kann man auch einmal Ihren
Oberbefehlshaber aus München einladen, herzukommen
und sich nicht vor den Debatten zu drücken. Dann
könnte er hier verkünden, daß er in der Landwirtschaft
die Subventionen in ähnlicher Weise abbaut wie im
Steinkohlebergbau.
({4})
Ich habe übrigens heute morgen, Herr Kollege Kalb,
dem bayerischen Ministerpräsidenten etwas Entlastung
verschafft. Ich habe nämlich einen Brief an den Bundesrechnungshof mit der Bitte unterschrieben, daß er einmal den Verkauf der Bundesanteile an der bayerischen
Wohnungsbaugesellschaft LWS untersuchen soll. Bei
diesem Störverkauf ist ja auch der Kollege Waigel beteiligt gewesen. Auch der Kollege Oswald, der erst drei
Tage Bauminister war, hat dabei mitgemacht. Wir wollen jetzt einmal die Stellungnahme des Bundesrechnungshofes dazu abwarten: Vielleicht wird der bayerische Ministerpräsident dadurch ja etwas entlastet. Diese
Sache wurde jetzt auf einen guten Weg gebracht.
({5})
Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen machen.
Das Stichwort Verkehrspolitik wurde eben genannt.
Der Kollege Eichel hat es schon einmal gesagt: Das
größte Lügenbuch der Nation ist der von Ihnen verabschiedete Bundesverkehrswegeplan. Das ist das größte
Lügenbuch in Deutschland.
({6})
Sie - auch Sie, Frau Schwaetzer - haben den Leuten
in den neuen und in den alten Ländern permanent erzählt: Die Straße wird gebaut. Die Ortsumgehung wird
entstehen. Dies und jenes wird passieren. - Passiert ist
jedoch gar nichts, weil das alles hoffnungslos, nämlich
um 70 Milliarden DM, unterfinanziert ist.
({7})
Es dauert bis zum Jahre 2050, bis die letzte Ortsumgehung gebaut werden kann.
({8})
- Überhaupt nicht. Wenn Sie wüßten, wie eng wir miteinander befreundet sind, dann würden Sie so etwas
nicht sagen. - Ich sage nur eines: Sie haben den Leuten
in den neuen Ländern vorgegaukelt, Sie würden etwas
realisieren, was einfach nicht realisierbar ist. Das ist nun
einmal die Wahrheit. Ich bin froh, daß die jetzige Bundesregierung dabei ist, den Bundesverkehrswegeplan an
die Realität anzupassen.
({9})
Thema Bundeswehr. Ich verstehe die Welt nicht
mehr, muß ich Ihnen sagen. Eben hat Frau Merkel gesagt, daß die klassische Sicherheitspolitik nicht mehr
benötigt werde. Dafür bräuchte man mehr Entwicklungshilfepolitik. Gestern wurde Herr Scharping beschimpft, er mache die Bundeswehr kaputt. Tatsache ist,
daß die Ausstattung der Bundeswehr unter aller Kanone
ist. Das ist Ihre Schuld und nicht die Schuld der jetzigen
Regierung. Hier müssen wir einen Scherbenhaufen beseitigen.
({10})
- Frau Schwaetzer, schwätzen Sie mal nicht so viel und
hören Sie besser zu!
Die Hälfte der Panzer, die im Kosovo standen, mußte
ausgeschlachtet werden, damit die andere Hälfte überhaupt fahren konnte. Als sie fahrtüchtig war, hat man
gemerkt, daß gar keine Munition bestellt worden war.
Beim Beschaffungswesen der Bundeswehr herrscht ein
absolutes Chaos. Das muß auf gesunde, neue Füße gestellt werden.
({11})
Herr Glos hat hier gestern erklärt, wir seien Gefangene von Interessenkartellen.
({12})
Ich sage: Wir sind einem Interessenkartell sehr verbunden. Wir versuchen nämlich, das Sozialprogramm der
beiden großen deutschen Kirchen umzusetzen. Sie haben
Ihnen ja ins Stammbuch geschrieben, wie vernichtend
Ihre Familienpolitik und Ihre Arbeitsmarktpolitik war.
Nicht nur das Bundesverfassungsgericht - auch ein Interessenkartell - hat sich dazu geäußert. Das, was das
Gericht zum Familienlastenausgleich gesagt hat, setzen
wir um. Auch dem Interessenkartell Bundesverfassungsgericht versuchen wir gerecht zu werden. Ich weiß
nicht, was Sie wollen und wen Sie meinen, meine Damen und Herren
({13})
Also, die großen Kirchen sind nach Auffassung von
Herrn Glos Interessenkartelle. Wir wollen sie unterstützen.
Vorhin sind die 30 Milliarden DM genannt worden,
die Lafontaine draufgelegt und Eichel wieder heruntergenommen hat. Ich will das einmal aufschlüsseln, damit
Sie es kontrollieren können und es auch glauben, meine
Damen und Herren.
Die Steuereinnahmen waren auf Grund der Wachstumsraten mit 3 Milliarden DM zu hoch angesetzt.
({14})
Die Ausgaben für den Arbeitsmarkt waren mit
7 Milliarden DM zu niedrig angesetzt. Die Gewährleistungsrisiken - diese sind, insbesondere was osteuropäische Staaten angeht, nicht zu leugnen - wurden völlig
ignoriert: 3 Milliarden DM.
Für die Haushaltsnotlage des Saarlandes und Bremens wurden nicht 3 Milliarden DM angesetzt, obwohl
dazu nach einem Gerichtsurteil eine Verpflichtung bestand. Der gesetzlichen Verpflichtung, zum Beispiel den
Kohlekompromiß oder den Zuschuß zum Bundeseisenbahnvermögen mit 2 Milliarden DM zu berücksichtigen,
wurde nicht Rechnung getragen.
Zwangsläufig nicht berücksichtigt - das konnten Sie
nicht wissen - waren die Belastungen durch den Kosovo-Einsatz in Höhe von 2 Milliarden DM und durch das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Familienlastenausgleich in Höhe von 1,5 Milliarden DM.
Letztlich sind Sie dann mit den 10 Millionen DM, die
ohnehin als Defizit im Haushalt von Herrn Waigel vorhanden waren, exakt bei den 30 Millionen DM.
({15})
- Milliarden. Wenn es Millionen wären, dann wäre das
herrlich, das wäre ein Taschengeld. - Das sind die 30
Milliarden DM, die wir im Haushalt 1999 drauflegen
mußten.
Jetzt kommt der echte Sparhaushalt in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM, weil wir unsere
Handlungsfähigkeit zurückgewinnen wollen, damit unsere Jugend, unsere Kinder und Enkelkinder eine Bildung erfahren, die Sie fit macht für die künftig globalisierte Welt.
({16})
Wir müssen Handlungsspielraum zurückgewinnen.
Die 30 Milliarden DM sind keine einmalige Veranstaltung. Das geht beim nächsten Haushalt weiter so, bis zu
den 50 Milliarden DM im Jahre 2003. Da müssen wir
hinkommen, weil die Nettokreditaufnahme dann bei 30
Milliarden DM liegen soll. Sie soll in der nächsten Legislaturperiode auf Null zurückgeführt werden, denn nur
dann, wenn erreicht ist, daß Investitionen aus den Steuereinnahmen finanziert werden können und nicht mehr
über Kredite finanziert werden müssen, entspricht der
Haushalt dem Grundsatz der Klarheit und Wahrheit.
({17})
Ich möchte einmal einige Zahlen nennen - sie sind
für die Zuschauer und Zuschauerinnen vielleicht interessant -: Mit dem Ende der heutigen Sitzung hat Hans
Eichel für die letzten drei Tage 660 Millionen DM für
Zinsen an die Banken überwiesen. Diese Zahl und die
Gesamtverschuldung in Höhe von 82 Milliarden DM
verdeutlichen, daß wir das Ruder dringend herumwerfen
müssen.
Stichwort Renten. Ich habe mich gewundert, wie hier
die Menschen belogen und - das füge ich heute hinzu um ihre Rente betrogen worden sind. Im Jahre 1995
stieg die Preissteigerungsrate um 1,7 Prozent. Sie haben
die Renten nur um 0,5 Prozent erhöht, den Rentnerinnen
und Rentnern also 1,2 Prozent vorenthalten.
({18})
Im Jahre 1996 betrug die Preissteigerungsrate 1,4 Prozent. Ihre Rentenanpassungen betrugen 0,95 Prozent. Im
Jahre 1997 betrug die Preissteigerungsrate 1,9 Prozent.
Ihre Rentenerhöhungen betrugen 1,65 Prozent. Im Jahre
1998 betrug die Preissteigerungsrate 1 Prozent. Ihre Anpassungen betrugen 0,44 Prozent.
Durch Aussetzung Ihrer Kürzungsmaßnahmen haben
wir erreicht, daß die Renten nicht, wie bei Ihnen vorgesehen, um 0,79 Prozent erhöht werden, sondern um
1,34 Prozent. Wir haben das Dreifache dessen gemacht,
was Sie letztes Jahr getan haben. Angesichts dessen
sprechen Sie noch von Kürzungen!
({19})
Sie sollten sich schämen, die Menschen so zu belügen.
Sie haben zwar Erfolge. - Dies gilt nicht für die F.D.P.
Deutschland ist mittlerweile fast F.D.P.-frei. Es wird so
weitergehen, daß sie aus den Parlamenten ausscheidet. Die Frage aber ist, warum Sie die Menschen in dieser
Form belogen haben.
Herr Kollege Wagner, es ist außerordentlich schwierig, Sie zu unterbrechen. Es gibt zwei Kollegen, die einen Fragewunsch haben. Ich frage Sie, ob Sie Fragen zulassen.
Nachdem man mich
gebeten hat, nicht so lange zu reden, wie mir Redezeit
eingeräumt wurde, verstehe ich nicht, warum jetzt noch
Fragen gestellt werden. Aber wir können das gerne tun.
Als erstes, Frau
Christa Luft, bitte.
Herr Kollege Wagner, ich
frage, und Sie können Ihr Herz jetzt einen Moment ausruhen lassen. - Ich bin vorhin, als der Bundesfinanzminister gesprochen hat, leider verhindert gewesen. Entschuldigen Sie bitte, daß ich jetzt dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion diese Frage stelle.
Herr Kollege Wagner, können Sie ausschließen, daß
zur Senkung der Zinslast - ich wollte Sie zu dem Stichwort Zinslast fragen; mittlerweile sind Sie schon bei einem weiteren Punkt angekommen - alle seriösen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, um zum Beispiel
durch Zinsswapgeschäfte Erleichterungen zu bewirken?
Ich persönlich bin keine euphorische Verfechterin von
Zinsswapgeschäften. Aber angesichts der Tatsache, daß
wir jetzt, um die Zinslast zu senken, tiefe Sozialeinschnitte vornehmen müssen, fange ich an, zu überlegen,
ob man dieses Instrument nicht tatsächlich einführen
sollte. Im Fonds Deutsche Einheit sind Kredite zusammengefaßt worden, die in einer Hochzinsphase, nämlich
1990 bis 1992, aufgenommen worden sind. Mit 8 bis
9 Prozent stehen sie heute noch in den Büchern.
({0})
- Ich habe gefragt, ob er ausschließen kann, daß diese
Möglichkeiten genutzt worden sind. Dazu will ich noch
eine Erklärung geben.
1990 bis 1992 bestand ein Hochzinsniveau. Mittlerweile haben wir ein dauerhaftes Niedrigzinsniveau. Hoffentlich bleibt es noch eine Weile dabei; eine Änderung
ist nicht abzusehen. Können Sie das also ausschließen,
oder gibt es nicht noch weitere Möglichkeiten, zum Beispiel über Butterfly-Geschäfte, also über Geschäfte, bei
denen man keine Verträge kündigen muß, um solches zu
tun?
Frau Kollegin Luft,
ich glaube, Ihre Frage ist verstanden worden.
Das war zwar keine
Frage; aber ich sage: Ich schließe nichts aus. Es stand
alles auf dem Prüfstand. Warum dies nicht auch?
Herr Kollege Kalb.
Herr Kollege
Wagner, würden Sie bestätigen, daß wir 1992 die Rentenreform mit Zustimmung der SPD beschlossen haben
und daß damals die Rentenformel so festgelegt worden
ist, daß sich der Rentenanstieg nach dem Anstieg der
Nettolöhne der Arbeitnehmer richtete?
Das kann ich ausdrücklich bestätigen.
({0})
- Wenn wir aber in den nächsten beiden Jahren im Hinblick auf die Renten einen Inflationsausgleich zusagen,
dann dürfen Sie nicht von Rentenkürzungen sprechen.
Was wir tun, ist ein Erhalt der Kaufkraft. Das sollten Sie
wissen.
({1})
Im Zusammenhang mit diesen Dingen möchte ich
noch etwas sagen. Wie war das mit der Mineralölsteuer,
die Sie um 50 Pfennig erhöht haben?
({2})
Wir haben das Kindergeld um 50 DM erhöht. Das haben
Sie hier abgelehnt.
({3})
- Weil Sie es nicht wollten. Sonst hätten Sie ja zugestimmt.
({4})
Wir haben die steuerliche Freistellung des Existenzminimums angehoben. Wir haben den Eingangssteuersatz gesenkt. Dies alles ist ein Ausgleich für die Ökosteuer. Sie haben damals die Mineralölsteuer um
50 Pfennig erhöht und haben keiner Rentnerin und
keinem Rentner sowie keiner Familie auch nur einen
Pfennig entgegengebracht. Das war Ihre Politik. Die
haben wir beendet. Das ist jetzt vorbei.
({5})
Wenn Sie hier jetzt eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik anmahnen, dann sollten Sie sich einmal die Wachstumsraten in der Europäischen Union ansehen. Seit fünf
Jahren liegen wir unter dem Durchschnitt der Europäischen Union. Es liegt an Ihrer erfolgreichen Wirtschaftspolitik, daß wir unterhalb des Durchschnitts der
Europäischen Union liegen. Also spielen Sie sich nicht
so auf; denn es hat wirklich keinen Sinn.
Was Frau Merkel zur Steinkohle gesagt hat, ist ein
Aufruf zum Vertragsbruch. Das kann man nicht hinnehmen. Es gibt zwischen Nordrhein-Westfalen, dem
Saarland und der Bundesregierung einen Vertrag, der
noch von Ihnen abgeschlossen wurde. Bis zum Jahre
2005 tritt eine Halbierung der Subventionen für den
Steinkohlenbergbau ein.
Ich muß Ihnen -, weil Sie eben so technologiefreundlich geklungen haben, sagen: Wer gegen die
Steinkohle so wettert wie Sie - ich bin gespannt, was der
werdende Ministerpräsident im Saarland demnächst machen wird -, der sollte bedenken, daß daran Tausende
von Arbeitsplätzen im Zuliefererbereich hängen. Die
Hochtechnologie Steinkohlenbergbau, Bergbautechnik
und Steinkohlenkraftwerkstechnik, ist weltweit nachgefragt und ein Wachstumsmarkt. Diesen wollen Sie vernichten, indem Sie sagen: Wir müssen den Steinkohlenbergbau dichtmachen. - Ich sage das an die Adresse von
Frau Merkel, damit Sie darüber nachdenken können.
({6})
Noch ein letzter Punkt: Es ist wieder behauptet worden, daß der Titel für Forschung keine Zuwächse aufwiese. Das ist falsch. Sie müssen sich nun wirklich einmal die Mühe machen, die mittelfristige Finanzplanung
anzusehen. Das ist doch nicht so schlimm: Es ist gedruckt und kann in einer Minute gelesen werden. Im
nächsten Jahr sind es allein bei Frau Bulmahn 735 Millionen DM mehr. Hinzu kommt noch etwas für den
Wirtschaftsminister, wie Sie wissen.
Diese Beträge steigen ständig an, und zwar bis über
1 Milliarde DM. Im Jahre 2002 werden es etwa 1,3 Milliarden DM sein. Das sind Steigerungsraten; das kann
ich erkennen. Aber Sie sagen: Nein, da ist wiederum
nichts. - Deshalb müssen wir abwarten, was sich in den
Beratungen ergibt.
({7})
Wir wünschen, daß wir im Haushaltsausschuß wie
immer sehr sachlich beraten.
({8})
- Sie waren doch noch nie im Haushaltsausschuß gewesen, vielleicht einmal als Gast. Sie haben aber nicht verstanden, um was es da ging. Der Kollege Kalb oder der
eine oder andere könnte es Ihnen sicherlich bestätigen,
daß es dort wirklich sehr sachlich zugeht.
Ich lade Sie zur Mitarbeit ein. Arbeiten Sie mit uns!
Dann werden wir sehen, daß dabei ein guter Haushalt
für das Jahr 2000 verabschiedet wird. Möglicherweise
geschieht dies sogar mit Ihren Stimmen, damit auch die
Investitionen in einer Größenordnung von 58 Milliarden
DM zur Arbeitsplatzsicherung und zur Schaffung neuer
Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Glück auf und ein schönes Wochenende!
({9})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/1400, 14/1401 und 14/1523 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei der Entwurf des Haushaltssanierungsgesetzes auf Drucksache 14/1523 zusätzlich an den
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie und an den
Verteidigungsausschuß überwiesen werden soll. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, am
Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen
eine gute Heimreise in Ihre Wahlkreise. Ich wünsche
auch den anwesenden Zuhörern und Zuhörerinnen ein
gutes Wochenende.
({0})
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 29. September 1999, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.