Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, mei-
ne Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 a bis c - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Haushaltsjahr 2000 ({0})
- Drucksache 14/1400 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung Finanzplan des Bundes 1999 bis 2003
- Drucksache 14/1401 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sanierung des
Bundeshaushalts - Haushaltssanierungsgesetz
({1}) - Drucksache 14/1523 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ich erinnere daran, daß wir gestern für die heutige
Aussprache insgesamt zwölf Stunden beschlossen haben.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundeskanzleramtes. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Schäuble, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Debatte über die
Grundrichtung deutscher Politik - Sinn der sogenannten
Generalaussprache zum Kanzleretat - fällt in diesem
Jahr ein wenig schwer, weil eine konsistente Grundrichtung der Politik Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, nicht erkennbar ist.
({0})
Einem Zickzackkurs, gebrochenen Versprechungen
und markigen Ankündigungen folgte nur heiße Luft. Inzwischen sind Sie überwiegend mit der Korrektur Ihrer
Fehler aus den ersten Monaten Ihrer Regierungszeit beschäftigt. Inszenierungen und wohlklingende Begriffe
gab es eine Menge. Das ist wahr. Aber leider blieben sie
ohne Substanz. „Innovation und soziale Gerechtigkeit“
war die Überschrift Ihrer Koalitionsvereinbarung. Jetzt
kürzen Sie die Ausgaben für Forschung und Bildung im
Bundeshaushalt und die Investitionen und nennen das
„Zukunftsprogramm“. Statt soziale Gerechtigkeit zu
schaffen, manipulieren Sie die fällige Rentenanpassung
und nehmen den kleinen Leuten ihre 630-Mark-Jobs
weg. Die Arbeitslosigkeit steigt.
({1})
- Ich weiß nicht, wie man als Sozialdemokrat lachen
kann, wenn Hunderttausende von Menschen ihre Jobs
verloren haben und die Arbeitslosigkeit in Deutschland
wieder steigt.
({2})
Rückschritt und Verunsicherung sind das Ergebnis,
nicht Aufbruch. Es gibt eine tiefe Enttäuschung quer
durch alle Altersschichten und alle Regionen in
Deutschland. Die Wähler laufen Ihnen in Scharen
davon. Das ist aus unserer Sicht nicht das Schlimmste.
Nach dem Debakel bei der Europawahl am 13. Juni
dieses Jahres versprachen Sie, Herr Bundeskanzler:
„Ich habe verstanden“. Drei Monate später kann nie4820
mand erkennen, was Sie eigentlich verstanden haben
wollen.
({3})
Jetzt heißt es: Augen zu und durch.
Neue Gremien und Posten wurden geschaffen. Herr
Struck redet jetzt öfter mit seinem parlamentarischen
Geschäftsführer.
({4})
Herr Schmidt hat dazu eine Presseerklärung abgegeben.
Aber die Menschen, Herr Bundeskanzler, wollen keine
neuen Gesprächszirkel. Sie wollen, daß sich etwas an Ihrer Politik ändert.
({5})
Sie selbst erwarten offenbar gar nicht mehr, daß sich
die Dinge durch Regierungshandeln noch zum Besseren
wenden. Wie sonst wäre es zu erklären, daß Herr Müntefering, nachdem er in gut zehn Monaten als Verkehrsund Bauminister nichts bewirkt hat, schon in die SPDZentrale zurückbeordert wird, um den Wahlkampf für
das Jahr 2002 vorzubereiten? Es ist noch nicht einmal
ein Jahr der Legislaturperiode vergangen, schon fällt Ihnen nichts anderes mehr ein, als den nächsten Wahlkampf vorzubereiten. Deutlicher kann eine Politik ohne
Substanz nicht beschrieben werden.
({6})
Herr Bundeskanzler, die Menschen, die Ihnen vor einem Jahr ihr Vertrauen schenkten, haben das nicht erwartet, und unser Land hat das nicht verdient. Die Verunsicherung von Investoren, Unternehmern, Arbeitnehmern und Verbrauchern hat zu einem Abbruch des
wirtschaftlichen Aufschwungs geführt. Die Zahl der
Arbeitslosen, die noch im letzten Jahr von Januar bis
September saisonbereinigt um 400 000 zurückging,
steigt seit März saisonbereinigt wieder an. Dabei kommt
Ihnen noch zugute, daß mehr Ältere aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als Jüngere eintreten. Es war ein
verlorenes Jahr, nicht nur für die Arbeitslosen in
Deutschland.
({7})
Man kann genau merken, daß das Thema Arbeitsmarkt und das Thema Arbeitsplätze bei Ihnen in jüngster
Zeit nicht mehr vorkommen. Der Haushaltsentwurf für
das Jahr 2000 ist Ausdruck dieser Politik: große Ankündigungen und wenig Substanz.
30 Milliarden DM sollen gespart werden, weil Eichel
und Schröder plötzlich die öffentliche Gesamtverschuldung als Problem erkannt haben wollen. In Wahrheit handelt es sich schon wieder um eine gigantische Irreführung. Von 1993 bis 1998 sind die Ausgaben im
Bundeshaushalt nicht angestiegen. Aber in diesem Jahr,
1999, haben Sie sie um 30 Milliarden DM erhöht. Davon soll jetzt nur ein Teil wieder zurückgeführt werden.
Das ist die Substanz.
({8})
Herr Eichel, Sie haben gestern und in der letzten Woche lange genug geredet, ohne zu erläutern, von welcher
Ausgangszahl Sie eigentlich 30 Milliarden DM einsparen wollen. Die mittelfristige Finanzplanung der Regierung von Helmut Kohl und Theo Waigel kann nicht der
Bezugspunkt sein; denn Ihr Ausgabenplafond liegt für
das Jahr 2000 um 9 Milliarden DM höher, als er in der
mittelfristigen Finanzplanung der früheren Regierung
lag. Gegenüber dem Haushalt 1999 sinken die Ausgaben
im nächsten Jahr gerade einmal um 7,5 Milliarden DM,
sie liegen also um 22,5 Milliarden DM höher als 1998,
und 1998 waren sie bei uns so hoch wie 1993. Das ist
die Substanz. Wovon wollen Sie 30 Milliarden DM einsparen? Das ist bis heute nicht erklärt.
({9})
Natürlich muß eine Gesamtverschuldung von 1,5 Billionen DM ernst genommen werden.
({10})
Aber man muß sie auch ins Verhältnis zu einem
Volkseinkommen von annähernd 4 Billionen DM setzen. Das Volkseinkommen betrug übrigens beim Amtsantritt von Helmut Kohl 1982 knapp 1,6 Billionen DM.
Die Überwindung der Folgen von Teilung und sozialistischer Diktatur in der ehemaligen DDR von 40 Jahren ist
eine Investition in die gemeinsame Zukunft der Deutschen.
({11})
Die Finanzierung solcher Investitionen kann nicht
anders als über eine Generation verteilt werden. Darüber
waren sich 1990 bei der Wiedervereinigung, 1991 beim
Solidarpakt und 1995 beim föderalen Konsolidierungsprogramm Bund und Länder einig, wobei die Länder
peinlich genau darauf geachtet haben, daß das meiste
vom Bund zu tragen war. Zugegeben, es waren alle
Länder.
({12})
Die SPD-geführten Länder hatten im Bundesrat die
Mehrheit und waren die Wortführer. Die damalige Politik jetzt zu beklagen ist schon ein Stück aus dem Tollhaus.
({13})
Im übrigen haben Sie alle weitergehenden Sparvorhaben in den letzten Jahren mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat blockiert. Herr Eichel, ich finde, der Brandstifter
sollte sich wenigstens nicht um das goldene Feuerwehrzeichen bemühen.
({14})
Wenn man genauer hinschaut, dann erkennt man, daß
von den 30 Milliarden DM auch sonst nicht viel übrigbleibt. Ich denke zum Beispiel an die Einsparungen
durch die Kürzung fiktiver Erhöhungen, etwa im öffentlichen Dienst. Michael Glos hat die Geschichte von dem
Rabbiner, der hinter der Straßenbahn herlief und gesagt
hat, er habe gespart, woraufhin ihn die Frau gescholten
hat, daß er, wenn er hinter dem Taxi hergelaufen wäre,
mehr gespart hätte, schon einmal erzählt. Etwa so ist Ihre Finanzpolitik.
({15})
Verschiebungen in Milliardenhöhe zu Lasten der
Kommunen, der Länder und der Sozialversicherungen
entlasten im Ergebnis weder die Wirtschaft noch die
Steuer- und Abgabenzahler, und sie ändern auch nichts
an der öffentlichen Gesamtverschuldung.
Sparen tut not, das ist unstreitig. Wenn auch Sie jetzt
endlich zu dieser Erkenntnis gekommen sind, kann ich
es nur begrüßen.
({16})
- Ich habe doch die Debatten der letzten Jahre noch in
Erinnerung. Wir als Union werden uns jedenfalls weder
im Bundestag noch im Bundesrat verweigern.
({17})
Aber Sparen muß man richtig machen. Damit sind wir
beim Grundmangel Ihrer Politik: Sie können es nicht.
Die Menschen wissen um die Notwendigkeit sparsamen Wirtschaftens. Die Menschen wissen auch um den
schnellen Wandel der wirtschaftlichen, sozialen und
politischen Verhältnisse durch Veränderungen der Arbeitswelt und der Erwerbsbiographien, durch die Globalisierung oder die Revolution der Informations- und
Kommunikationssysteme. Deswegen sind die Menschen
auch zu Veränderungen bereit. Aber sie brauchen Halt
und Richtung. Wandel schafft immer auch Verunsicherung. Wer in Panik gerät, klammert sich fest. Deshalb
sind Verläßlichkeit und Vertrauen Grundlage für Reformen und Innovationen. Wortbruch und Substanzlosigkeit zerstören Reformbereitschaft und Integrationsfähigkeit.
Dagegen helfen die schönsten Papiere nicht, auch
nicht das von Schröder und Blair, von dem man jetzt das ist auch wieder typisch - sagt, es gelte nicht für
deutsche Politik, sondern es sei für europäische Diskussionen gedacht. Leben wir denn außerhalb Europas?
({18})
Das Grundproblem bleibt, ja es stellt sich in der modernen Welt dringender: Wie bleiben wir in all den
weltweiten Entwicklungen gemeinschaftsfähig? Wie
können wir die Rahmenbedingungen so gestalten, daß
Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde für alle und
jeden gesichert werden, daß jeder teilhat? Jeder wird gebraucht, und niemand darf ausgegrenzt bleiben. Das
braucht Maß und Mitte. Das braucht Freiheit und Verantwortung, Vielfalt und Ausgleich. Dazu müssen wir
die Kräfte der Menschen nutzen: ihre Leistungsbereitschaft, ihren Fleiß, ihre Hingabe und Tüchtigkeit, ihre
Verantwortlichkeit, ihre Zuwendung zum Nächsten, ihre
Phantasie, ihre Kreativität, ihre Hilfsbereitschaft und
Flexibilität. Das Potential ist vorhanden. Wenn wir uns
über Werte und Ziele verständigen, können wir das
Potential nutzen. Aber nichts davon ist in Ihrer Politik
zu finden. Sie spalten und verunsichern. Das Ergebnis
ist Stillstand und Resignation statt Mut zur Zukunft.
({19})
Wir haben, um ein Beispiel zu nennen, in Deutschland ein ausgewogenes Verhältnis zwischen städtischen
Ballungszentren und ländlichen Räumen. Das gehört zu
den großen Vorzügen unseres Landes, und es ist für ein
so dicht besiedeltes Land ein Segen. Aber ohne eine lebensfähige Landwirtschaft gibt es keinen lebensfähigen
ländlichen Raum.
({20})
Deshalb ist Ihre Politik, die doch im Doppelschlag von
gescheiterter Reform der europäischen Agrarpolitik auf
dem Berliner Gipfel
({21})
und nun dramatischen Kürzungen im Agrarhaushalt den
Bauern durchschnittliche Einkommenseinbußen in Höhe
von 20 Prozent und mehr ohne jede Zukunftsperspektive
zumutet, nicht nur eine Politik gegen die Bauern - das
wird Sie wahrscheinlich weniger stören, weil die Bauern
Sie ja nicht gewählt haben, was für Sie der ausschlaggebende Gesichtspunkt ist -, sondern zugleich eine Politik
gegen die Stabilität unserer regionalen Struktur.
({22})
Sparsam Wirtschaften heißt eben Hegen und Pflegen.
Sie zerstören Strukturen, und daraus wird keine Zukunft.
Beim Aufbau einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur in Ostdeutschland kürzen Sie, Investitionen
fahren Sie zurück.
({23})
Das ist nicht nur Wortbruch, das erschwert die Zukunft,
weil wir in Deutschland insgesamt um so besser vorankommen, je schneller der Rückstand aus Teilung und
Sozialismus überwunden wird.
({24})
Die Investitionsquote fällt in den nächsten Jahren auf
einen bisher nicht gekannten Tiefstand. Das erinnert
mich an einen schwäbischen Bauern - jetzt erzähle ich
einmal eine eigene Geschichte, damit ich nicht nur die
von Michael Glos erzähle -, der eine Geiß hatte, die ihm
Milch lieferte. Soweit war alles in Ordnung. Es hat ihn
bloß geärgert, daß ihr Fressen etwas gekostet hat. Also
hat er sich darangemacht, ihr das Fressen abzugewöhnen. Eines Tages ist sie gestorben. Da war er richtig entDr. Wolfgang Schäuble
setzt und verärgert und hat gesagt: Schade drum, daß sie
verreckt ist, gerade wo ich ihr das Fressen abgewöhnt
habe. - So ist Ihre Politik.
({25})
Hätten wir eine Fortsetzung der Entwicklung von
Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr - wir hatten 2,3 Prozent Wachstum und saisonbereinigt 400 000 weniger Arbeitslose;
({26})
im ersten Halbjahr dieses Jahres hatten wir 0,8 Prozent Wachstum; die Optimisten sagen, wir erreichten im
gesamten Jahr vielleicht 1,3 Prozent, und die Arbeitslosigkeit steigt -, dann wäre die Lage der Bundesfinanzen um zweistellige Milliardenbeträge besser, als sie
jetzt ist.
({27})
Auch das bestätigt die These: Sie flicken nur notdürftig die Löcher, die Sie selber gerissen haben.
({28})
Sparen allein reicht nicht. Wir brauchen mehr Wachstum und mehr Dynamik bei gleichzeitiger Ausgabenbegrenzung.
Deswegen sage ich ganz klar: Aus diesem Grund
können wir die Eckwerte Ihrer Finanz- und Haushaltspolitik nicht akzeptieren. Denn Sie sehen nur Kürzungen
vor, um die Löcher des Jahres 1999 zu flicken, aber keine Stärkung der Wachstumskräfte. Das kann nur schiefgehen.
({29})
Ich benutze noch einmal ein Bild, das ich Michael
Glos verdanke: Wenn Sie ein Hemd anziehen, das Sie
oben falsch zuknöpfen, kommen Sie unten falsch an. Sie
haben den Fehler oben gemacht: zuwenig Wachstum,
zuwenig Dynamik; durch Sparen allein ist das nicht zu
lösen. Wir brauchen eine stärkere Dynamik in der wirtschaftlichen Entwicklung.
({30})
Wenn wir die öffentliche Verschuldung in tragbaren
Grenzen halten und sparsam wirtschaften wollen, müssen alle öffentlichen Haushalte - Bund, Länder, Kommunen und die Sozialversicherung - langfristig, stetig,
verläßlich in ihren Zuwächsen begrenzt werden. Die
Zuwächse müssen unter dem Anstieg der Einnahmen
und, damit die Abgabenbelastung reduziert wird, unter
dem Anstieg des Volkseinkommens bleiben. Das war
die Politik der Regierung von Helmut Kohl und die Finanzpolitik von Theo Waigel.
({31})
- Ja, natürlich. - Sie war ungeachtet Ihrer billigen
Polemik erfolgreich, wie nicht zuletzt das Erreichen der
Maastricht-Kriterien beweist.
({32})
Sie können nicht die Ausgaben in dem einen Jahr um
30 Milliarden DM erhöhen und im nächsten Jahr um
7,5 Milliarden DM senken und glauben, daß das positive
Konsequenzen hat. Sie müssen den Anstieg der Ausgaben mittel- oder langfristig begrenzen.
({33})
- Von mir aus auch langfristig.
Volkswirtschaftlich wichtiger als die Gesamtverschuldung ist der jährliche Finanzierungssaldo, und
zwar im Verhältnis zum Volkseinkommen. Die Finanzierungssalden des Bundes betrugen 1981 2,47 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts, 1982 waren es 2,37 Prozent.
Das waren die letzten Amtsjahre einer SPD-geführten
Regierung. In den folgenden 80er Jahren waren sie von
Jahr zu Jahr deutlich niedriger. Sie stiegen zwar nach
der Wiedervereinigung - das ist wahr - noch einmal an,
aber niemals auf die Höhe von Anfang der 80er Jahre.
Der Höchststand nach der Wiedervereinigung lag zweimal über 2 Prozent; 1993 waren es 2,06 Prozent und
1996 2,18 Prozent. 1998 betrug der Finanzierungssaldo
im Bundeshaushalt im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt 1,49 Prozent. Noch einmal zum Vergleich:
Beim Amtsantritt von Helmut Kohl betrug er
2,37 Prozent. Das zeigt: Unsere Politik war solide und
richtig für die Wirtschaft.
({34})
Für die Beantwortung der Frage nach der Belastung
von Wirtschaft, Steuer- und Abgabenzahlern ist die
Staatsquote die wichtigste Größenordnung. Die Staatsquote, also der Anteil der Ausgaben von Bund, Ländern
und Gemeinden einschließlich der für die Sozialversicherung am Bruttosozialprodukt, betrug 1982 50,1 Prozent. Sie sank im Laufe der 80er Jahre bis auf 45,8 Prozent im Jahre 1989; im Zuge der Wiedervereinigung
stieg sie in den 90er Jahren wieder auf über 50 Prozent.
1996 betrug sie 50,3 Prozent und im vergangenen Jahr
noch 48,0 Prozent. Wir waren dabei, die Staatsquote
wieder zurückzuführen. Das ist der richtige Weg. Aber
in diesem Jahr sinkt sie ebensowenig wie im nächsten
Jahr. Das alles zeigt: Ihre Finanzpolitik ist von Kurzatmigkeit und Hektik geprägt und ohne jede volkswirtschaftliche Wirkung.
({35})
Wenn man Ausgabenzuwächse auf allen Ebenen begrenzen will, also die Staatsquote und damit die Steuernund Abgabenbelastung reduzieren will, muß man dieses
grundsätzlich angehen. Ohne klare Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und
auch gegenüber der EU ist das nicht zu schaffen, weil
nicht eindeutige Zuständigkeiten zu VerantwortungsDr. Wolfgang Schäuble
verwischung führen. Dezentralisierung und die Zuweisung klarer Verantwortlichkeiten sind die besten Voraussetzungen für Effizienz und Sparsamkeit.
Warum legen wir also Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nicht zusammen? 30 Milliarden DM zahlt der
Bund der Bundesanstalt für Arbeit für Arbeitslosenhilfe;
50 Milliarden DM geben die Kommunen für Sozialhilfe
aus. Im Alltag schieben sich die Sozialhilfeträger und
die Arbeitsverwaltung oft gegenseitig die Verantwortlichkeiten und Finanzierungszuständigkeiten zu. Die
daraus resultierenden Reibungsverluste sind teuer, für
die betroffenen Menschen wie für den öffentlichen Gesamthaushalt. Wenn der Bund den Kommunen die Zuständigkeit für die Arbeitslosenhilfe und die bisher der
Bundesanstalt für Arbeit gewährten Mittel überträgt,
wird ganz sicher durch Konzentration von Zuständigkeiten und gleichzeitige Dezentralisierung mit weniger
Mitteln mehr Hilfe möglich werden.
({36})
Wenn dann noch die Verwerfungen zwischen niedrigen Arbeitseinkommen und Transferleistungen besser
abgebaut und gleichzeitig die Arbeitszeiten flexibilisiert
werden, werden wir im Niedriglohnbereich neue Beschäftigungs- und Wachstumspotentiale erschließen.
Vor allem so ist die Langzeitarbeitslosigkeit erfolgreich
zu bekämpfen.
({37})
Der Finanzminister hat gestern zu Recht von der bei
uns höher liegenden Beschäftigungsschwelle gesprochen, also von dem Problem, daß bei uns erst oberhalb
von 2 Prozent Wachstum zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, in anderen europäischen Ländern aber schon
oberhalb von 1 Prozent Wachstum. Wenn wir das ändern wollen, Herr Bundeskanzler, brauchen wir aber
mehr Flexibilität und Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt. Vor allem müssen die Zugangsbarrieren im
Niedriglohnbereich abgesenkt werden. Wir haben dementsprechende Reformen auf den Weg gebracht, die
Sie wieder zurückgenommen haben. Gleichzeitig haben Sie eine weitergehende Reform der Sozialhilfe
blockiert.
({38})
Ich appelliere an Sie: Übernehmen Sie endlich unsere
Kombilohnmodelle. Statt dessen haben Sie unsinnige
Gesetze zu 630-Mark-Jobs und zur Bekämpfung der sogenannten Scheinselbständigkeit erlassen. Der Wirtschaftsminister hat diese Gesetze dieser Tage als doofe
Gesetze bezeichnet - wo er recht hat, hat er recht.
({39})
Mit diesen doofen Gesetzen, so Wirtschaftsminister
Müller, haben Sie Arbeitsplätze zuhauf zerstört und Flexibilität abgebaut. Wenn wir durch die richtigen Rahmenbedingungen die Potentiale, die in den Menschen
stecken, nutzen, motivieren, fördern und fordern, dann
erzielen wir bessere Ergebnisse für alle als durch immer
mehr Planung, Interventionen und Bürokratie. Aber ob
das Sozialisten jemals verstehen? Ich fürchte, nein.
({40})
Selbst Herr Eichel hat die Notwendigkeit zu Einsparungen vor der Bundespressekonferenz am 25. August
damit begründet, daß der Staat wieder interventionsfähig
werden müsse. Damit bestätigt Herr Eichel, daß er ein
Linker geblieben ist. Insofern gibt es also eine Beständigkeit im Irrtum.
({41})
Wenn wir in Deutschland etwas nicht haben, dann ist es
ein Mangel an Intervention.
({42})
Wir haben eher zuviel als zuwenig. Dafür müssen wir
nicht sparen.
({43})
Wir brauchen weniger Staat, weniger Bürokratie und
mehr Dynamik. Das gilt für den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt vom Niedriglohnsektor bis zu den Existenzgründern und neuen Dienstleistungen. Das gilt genauso
im Sozialbereich.
Stichwort Gesundheitsreform. Was haben Sie nicht
für unsinnige Polemik gegen unseren Weg sozial zumutbarer begrenzter Zuzahlungen vorgebracht? Ein
Drittel der Versicherten war von den Zuzahlungen gar
nicht betroffen. Was haben Sie nicht für unsinnige Polemik dagegen angeführt? Jetzt haben Sie die Eigenbeteiligung zugunsten der Budgetierung zurückgeführt.
Das bürokratische Durcheinander ist grausam und der
Weg in die Zwei-Klassen-Medizin vorprogrammiert.
Stichwort Rente. Es geht doch nicht um die Frage, ob
Reformen notwendig sind, sondern es geht ausschließlich um die Frage, wie man die Reformen richtig macht.
Wir, die Union, wollen den Generationenvertrag der dynamischen Rente erhalten. Er entspricht unserem
Grundverständnis von gegenseitiger Verantwortung der
Generationen, und er sichert die langfristig berechenbare
Teilhabe auch der Älteren während ihres Ruhestandes an
der allgemeinen Wohlstandsentwicklung.
Was Sie wirklich wollen, wird zunehmend unklar;
denn wenn Sie immer mehr Steuermittel in die Rente
leiten und gleichzeitig dauernd von Grund-sicherung faseln, sind Sie auf dem Weg zur steuerfinanzierten Einheitsrente. Das bedeutet weniger Eigenverantwortung
und mehr Abhängigkeit vom Kollektiv.
Wer die dynamische Rente angesichts der Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung zukunftssicher
halten will, der kommt um den demographischen Faktor nicht herum. Der Bundeskanzler hat es gelegentlich
selbst gesagt. Auch die Gewerkschaften sind dieser
Meinung. Nur Herr Riester lehnt es definitiv ab. Alle
miteinander haben sie die schon beschlossene Reform
sinnloserweise wieder zurückgenommen.
({44})
Natürlich heißt demographischer Faktor, daß die
Renten in Zukunft langsamer steigen als in früheren
Zeiten in Westdeutschland. Aber sie steigen, und sie
bleiben sicher und berechenbar. Die Veränderungen sind
am Anfang kaum spürbar. Über zehn, 15 oder 20 Jahre
ist der Spareffekt jedoch beachtlich. Darauf kann sich
jeder einzelne einstellen und vorbereiten, bzw. er kann
Vorsorge dafür treffen. Sie allerdings kürzen jetzt willkürlich in zwei Jahren, und dafür kann niemand Vorsorge treffen. Was danach werden soll, lassen Sie offen. So
zerstören Sie Vertrauen und Veränderungsbereitschaft.
({45})
Sowohl die jungen als auch die alten Menschen wissen, daß Reformen notwendig sind. Aber Wortbruch und
Manipulation sind schlechte Mittel, um gesamtgesellschaftliche Einsicht und einen Konsens im Hinblick auf
die Zukunftssicherung zu erreichen. Angesichts dessen
sprechen Sie noch über ein Absenken der Altersgrenze
im Erwerbsleben! Als ob nicht jeder wüßte, daß die Lebensarbeitszeit bei steigender Lebenserwartung mittelund langfristig nicht immer kürzer werden kann!
({46})
- Da fragt mich einer: Warum nicht?
({47})
Ich will Ihnen das erklären: Die Lebenserwartung steigt;
sie beträgt zur Zeit durchschnittlich fast 80 Jahre. Die
Menschen treten inzwischen mit durchschnittlich
25 Jahren in das Erwerbsleben ein. Sie scheiden inzwischen im Durchschnitt mit 57 Jahren aus dem Erwerbsleben aus. Sie sind also von den 80 Jahren ihrer durchschnittlichen Lebenserwartung etwas mehr als 30 Jahre
erwerbstätig und zahlen nur in dieser Zeit Steuern und
Beiträge. Das kann auf die Dauer nicht ausreichen, um
in den anderen zwei Dritteln ihrer Lebenszeit den gleichen Lebensstandard zu finanzieren.
Deswegen stelle ich fest: Es wird auch in Zukunft zwischen BAföG und Rente ein Zeitraum sein
müssen, den man nicht nur durch Sozialhilfe überbrükken kann.
({48})
Wir brauchen auch eine Stärkung der betrieblichen
Alterssicherung. Wir brauchen mehr private Vorsorge.
Das muß man den Menschen sagen. Man muß ihnen
Zeit lassen, das zu regeln. Deshalb kann man nicht in
den Jahren 2000 und 2001 entgegen allen Zusagen willkürlich kürzen. Das muß man vielmehr auf 10, 15 oder
20 Jahre anlegen. In bezug auf die private Vorsorge bin
ich der Meinung, daß man sie nicht mit neuen bzw. noch
mehr Zwangsabgaben belasten sollte.
({49})
Haben Sie doch den Menschen gegenüber mehr Vertrauen im Hinblick auf Freiheit, Einsicht und Freiwilligkeit, und schaffen Sie bessere steuerliche Rahmenbedingungen! Wir werden schrittweise zu einer nachgelagerten Besteuerung übergehen müssen, um Investitionen in die Zukunft zu fördern und mehr Gerechtigkeit
bei der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu erreichen.
Demnächst wird ja das Verfassungsgericht bei der
Besteuerung der Alterseinkünfte mehr Gerechtigkeit
einfordern. Dann werden Sie wieder tönen - das weiß
ich schon jetzt; das kennen wir ja -, das seien Versäumnisse der früheren Regierung.
({50})
- Ein Saarländer ist immerhin noch bei der SPD geblieben; das ist schön.
({51})
Ein weiterer kommt ja bald auf die Regierungsbank.
({52})
Bevor dieses Verfassungsgerichtsurteil ergeht,
möchte ich Ihnen schon jetzt sagen: Hätten Sie nicht die
von uns beschlossene Steuerreform durch Ihre, von
einem Saarländer angeführte Obstruktionspolitik blokkiert, wäre schon längst ein großer Schritt in Richtung
Zukunftsvorsorge und Leistungsgerechtigkeit getan
worden. Das ist die Wahrheit.
({53})
- Herr Kollege Poß, Sie sollten solche Zurufe nicht wider besseres Wissen - denn Sie wissen es besser - machen. Es war so; wir hätten jetzt eine bessere Lage. In
dem anstehenden Verfassungsgerichtsurteil wird das
eingefordert, was wir beschlossen und Sie blockiert
hatten. Eine solche Regelung wäre schon längst in Kraft.
Das ist die Wahrheit.
({54})
- Nein, sondern deswegen, weil Sie es blockiert haben.
Das, was Sie sagen, ist nun wirklich nicht richtig. Sie
können nicht erst Beschlüsse, die der Bundestag gefaßt
hat, mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat blockieren und anschließend, wenn kritisiert wird, daß sie nicht in Kraft
getreten sind, behaupten, wir seien daran schuld. So geht
es nicht in Deutschland.
({55})
Der Weg der Union bleibt, die Wachstumskräfte zu
stärken, um mehr Wohlstand, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Investitionen, mehr Bildung, mehr Forschung, mehr Wettbewerb, Deregulierung und Flexibilität sowie Steuerentlastungen zu schaffen. Wir wollen
eine Steuerreform, Herr Kollege Struck, die ihren Namen, wie Sie es gesagt haben, wirklich verdient, die wir
beschlossen und die Sie verhindert haben. Wir wollen
auf der Grundlage der Verbreiterung der BemessungsDr. Wolfgang Schäuble
grundlage niedrigere Steuersätze für alle sowie eine
deutliche Nettoentlastung.
Ich betone: Auch wenn Sie in den letzten Jahren eine
solche Steuerreform im Bundesrat blockiert haben, sind
wir heute bereit, diese gemeinsam mit Ihnen zu beschließen, notfalls auch in Schritten, wenn die Nettoentlastung im ersten Schritt nicht hoch genug sein kann.
Der erste Schritt sollte schon zum 1. Januar 2000 erfolgen.
({56})
Herr Eichel, Sie aber werkeln jetzt an einer Unternehmensteuerreform herum, mit der Sie nur die Körperschaftsteuersätze senken wollen. Dagegen ist nichts
zu sagen. Daß Sie aber die einkommensteuerpflichtigen
Einzelunternehmen und Personengesellschaften höher
besteuern wollen als die körperschaftsteuerpflichtigen
Großunternehmen, das ist so ziemlich das Dümmste,
was Sie tun können, wenn es um mehr Arbeitsplätze und
wirtschaftliche Dynamik gehen soll.
({57})
Rund 85 Prozent aller Unternehmen in Deutschland
sind als Einzelunternehmen und Personengesellschaften
nicht körperschaftssteuer-, sondern einkommensteuerpflichtig. Vom Mittelstand und von den Existenzgründern, vom Handwerk, vom Handel und von den Dienstleistungen aller Art kommen die zusätzlichen Arbeitsplätze - doch nicht von der Großindustrie. Daran ändern
auch die irreführenden Begriffe, die Sie jetzt benutzen,
nichts. Sie reden bei der Einkommensteuer so verdächtig
beflissen von Privateinkünften: Was bedeutet das eigentlich im Einkommensteuerrecht? Das ist eine ganz
merkwürdige Geschichte und soll nur eine neue Täuschung vorbereiten.
({58})
Das Ergebnis wird immer eine Benachteiligung des
Mittelstandes und weniger Wachstum und Beschäftigung sein.
({59})
Im übrigen sage ich Ihnen: Die soziale Marktwirtschaft bleibt - neben der das persönliche Risiko begrenzenden Kapitalgesellschaft - auf den Eigentümer bzw.
Unternehmer angewiesen, gerade wenn wir nicht die
Verabsolutierung des Shareholder Value wollen und
wenn wir Unternehmen, Herr Bundeskanzler, als soziale
Veranstaltung verstehen. Unternehmen dienen gewiß
dem Zweck der optimalen Deckung des Bedarfs an Gütern und Dienstleistungen; sie haben aber eben auch
Verantwortung für Kunden, Lieferanten, Arbeitnehmer,
die Allgemeinheit und auch für die Umwelt. Wenn wir
Unternehmen so verstehen, dann brauchen wir auch
Unternehmer. Das sind eben nicht nur Manager. Vielmehr gehören dazu auch Risiko und Haftung, Ideen, Initiative und Investitionen. Wer wie Sie, Herr Bundeskanzler, bei der Verabschiedung des Bundesbankpräsidenten Tietmeyer - ich habe im Bulletin der Bundesregierung Ihre Rede gelesen - Unternehmen als gut und
Unternehmer als schlecht begreift, der hat von sozialer
Marktwirtschaft und sozialer Verantwortung aber auch
gar nichts verstanden.
({60})
Auf die schöpferische Kraft der Menschen zu setzen
heißt: Bildung und Ausbildung, Forschung und Innovation. Sie wollten die Ausgaben dafür verdoppeln. Sie
hatten eine Scheckkarte: Das ist die Karte mit den ungedeckten Schecks gewesen. Jetzt kürzen Sie, anstatt die
Ausgaben zu verdoppeln. Die Ausgaben im Haushalt für
Forschung und Bildung sollen im nächsten Jahr um über
10 Prozent niedriger liegen.
Sie verlieren übrigens, Herr Kollege Parteivorsitzender, Landtagswahlen nicht nur wegen Ihrer miserablen
Politik im Bund, sondern zum Beispiel auch, weil
Schulen und Hochschulen in Unions-regierten Bundesländern bessere Ergebnisse erzielen.
({61})
Aber von Wettbewerbsföderalismus - das haben Sie ja
im vergangenen Jahr mehrfach gesagt - halten Sie bekanntlich wenig.
Wenn aber unser freiheitlicher Rechtsstaat nicht in
Bürokratie und Stagnation ersticken soll, brauchen wir
klarere Abgrenzungen der Zuständigkeiten und der Verantwortlichkeiten zwischen Kommunen, Ländern und
dem Bund - auch zu Europa. Wenn diese gegeben
sind, wollen wir Wettbewerb auf der jeweiligen Ebene;
denn über Wettbewerb setzen sich die besseren Lösungen durch. So fordern wir die Kräfte der Menschen
und der Gemeinschaften zum Nutzen aller stärker heraus.
Mit Ihrer Gesetzgebung zur Bekämpfung von
Scheinselbständigkeit - der Begriff ist schon bezeichnend - haben Sie Ihr Mißtrauen gegen Selbständigkeit
unter Beweis gestellt. Das Elend Ihres 630-MarkGesetzes zeigt eigentlich nur, daß nichts in Deutschland
so schlecht ist, daß es durch Ihre Politik nicht noch verschlechtert werden könnte.
({62})
Subsidiarität, Vorrang des einzelnen, der Familie, des
freiwilligen Engagements vor dem Staat und Vorrang
der kleineren Einheit vor der größeren im Bundesstaat,
das ist unser Organisationsprinzip. Dies gilt auch für die
Europäische Union.
Von Ihrer Regierung ist zur Außen-, Sicherheits- und
Europapolitik kaum noch etwas Konstruktives zu hören.
({63})
- Ich habe seit Monaten nichts mehr gehört. - Fast
scheint es, als sei Ihnen nach den Anstrengungen des
Kosovo-Kriegs und vielleicht auch ob der Enttäuschung,
daß die ganzen Gipfelinszenierungen bei der Europawahl wenig genützt haben, die Lust vergangen.
Die Stabilisierung des Balkans ist eine der großen
europäischen Aufgaben - vermutlich noch für lange
Zeit. Aber da, Herr Bundeskanzler, brauchen wir nun
wirklich europäische Gemeinsamkeit. Alleingänge schaDr. Wolfgang Schäuble
den; sie fördern bei unseren Partnern höchstens die Neigung, den Deutschen auf dem Balkan den Vortritt zu
lassen.
Wenn im übrigen Herr Hombach nach eigener Einschätzung für die SPD eine solche Belastung ist, daß er
seine Parteiämter ruhen läßt, dann ist er als EUBeauftragter wirklich eine Zumutung.
({64})
Wir sollten den Eindruck vermeiden, die Partei sei
wichtiger als der Staat. Das bekommt dem Staat nicht,
und Ihrer Partei - wie wir in Nordrhein-Westfalen gesehen haben - übrigens auch nicht.
Bei aller Bedeutung des Balkans für Deutschland und
Europa: Die Entwicklung bei unseren Nachbarn im
Osten ist noch wichtiger. Deshalb ist eine baldige und
eine gelingende EU-Erweiterung noch mehr im deutschen Interesse. In dieser Hinsicht sind Sie mit der
Agenda 2000 in Berlin gescheitert; denn die Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union ist jedenfalls
unter Ihrer Präsidentschaft nicht verbessert worden.
Die Art, in der Sie jetzt nach und während des gefährlichsten und schwierigsten Einsatzes in der Geschichte der Bundeswehr - das war und ist der Einsatz
im Kosovo - Ihr Wort gegenüber Bundeswehr und Soldaten gebrochen haben, zeigt die Hemdsärmeligkeit Ihrer Politik.
({65})
Ich bin wirklich traurig.
({66})
Wir als Opposition haben nach dem Gipfel in Köln
die Ergebnisse des Gipfels, die Integration der WEU in
die Europäische Union und die Benennung von Herrn
Solana als Koordinator der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union, als einen
wichtigen Schritt in die richtige Richtung erkannt. Deswegen bin ich traurig, daß nach den Anstrengungen in
der Kosovo-Krise der Plan für eine Stärkung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik schon wieder
verpufft zu sein scheint.
Ihre Regierung leistet dazu die größten Beiträge, indem sie einseitig 18 Milliarden DM in vier Jahren aus
der Finanzplanung der Bundeswehr herausstreicht, ohne zuvor die Frage, für welche Sicherheitsgefährdungen
das Bündnis, Europa und die Bundeswehr Vorkehrungen
treffen müssen und was daraus für die Strukturen der
Bundeswehr folgt, geprüft, geschweige denn beantwortet zu haben. So zäumt man in der Sicherheitspolitik das
Pferd von hinten auf, so schwächt man künftig die
Sicherheit, und so fördert man ganz gewiß nicht stärkere
europäische wie atlantische Partnerschaft und Arbeitsteilung.
({67})
- Möglicherweise ist das an der Schwelle zum
21. Jahrhundert wichtiger als der Ladenschluß.
({68})
Ich würde mir mehr Gemeinsamkeit in Fragen der
Außen- und Sicherheitspolitik in Allianz und Europa
wünschen. Die europäische Einigung ist das Wichtigste
und Kostbarste, das wir haben. Deswegen sind die institutionellen Reformen in Europa für mehr Handlungsfähigkeit, für mehr Transparenz und mehr demokratische Legitimation so wichtig. Sie haben in Ihrer Präsidentschaft keine erkennbaren Beiträge dazu geleistet.
Die neue Kommission - sie wurde gestern vom Parlament bestätigt, herzlichen Glückwunsch - und ihren
Präsidenten haben Sie nach Auffassung aller in Europa
mit Ihrer nur auf Parteipolitik fixierten Rücksichtslosigkeit schon vor der Ernennung geschwächt.
({69})
- Aber natürlich. Jedermann hat es so verstanden.
({70})
Wenn Sie mit irgendeinem Menschen aus einem anderen europäischen Land reden, werden Sie gefragt:
Was ist mit den Deutschen los? Was treiben die,
({71})
nachdem sie unter Helmut Kohl über anderthalb Jahrzehnte hinweg Vorreiter der europäischen Einigung waren, für eine Politik des „Hoppla, jetzt komm ich“? Es
gibt überhaupt keine Rücksichtnahme mehr auf die Partner. Das schadet Europa und schadet den Deutschen.
({72})
Für die dringend notwendige Harmonisierung der Besteuerung von Kapitaleinkünften in der Europäischen
Union - sie stand auf der Tagesordnung während Ihrer
Präsidentschaft - wurde überhaupt nichts erreicht.
Der Bereitschaft der Europäer zu gemeinsamem Handeln in der Umweltpolitik fügen Sie mit immer neuen
Alleingängen immer mehr Schaden zu. Erst war es der
unglückselige Herr Trittin, der halb Europa vor den
Kopf stieß. Jetzt wollen Sie in der Energiebesteuerung
für weitere vier Jahre nationale Alleingänge statt europäischer Harmonisierung. Wer den Umweltschutz gegen
Arbeitsplätze ausspielt - das wurde bereits oft gesagt -,
der hat schon verloren.
Deshalb brauchen wir - und das bei den jetzt liberalisierten Energiemärkten noch mehr - europäische
Lösungen in der Energiebesteuerung. Sie haben bei Ihrem Ökosteuerkrampf im Frühjahr selbst gemerkt, zu
welchen Verwerfungen Alleingänge in der Energiebesteuerung für Wirtschaft und Arbeitsmarkt führen. Anders ist der Unsinn der beschlossenen Stromsteuer, daß
der Verbrauch um so geringer besteuert wird, je höher er
ist, auch nicht zu erklären.
Sie hatten deshalb im Frühjahr versprochen, nur diesen einen Schritt in diesem Jahr im Alleingang zu machen und danach nur noch europäische Lösungen anzuDr. Wolfgang Schäuble
streben. Herr Bundeskanzler, auch dieses Ihrer Worte ist
fünf Monate später nichts mehr wert.
({73})
Von Umweltschutz ist in Ihrer Politik nichts mehr zu
spüren, von Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik
übrigens auch nichts. Wir haben gestern abend mit vielen der Experten über Fragen zu Umwelt und Entwicklung angesichts einer Weltbevölkerung von 6 Milliarden
Menschen diskutiert. Es ist verheerend, welche Rolle die
Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland in
den Fragen globaler Verantwortung für Umwelt und
Entwicklung spielt. Sie ziehen sich aus der Unterstützung des Weltbevölkerungsprogramms der Vereinten Nationen zurück. Sie wollten die Entwicklungshilfe erhöhen und kürzen sie statt dessen. Sie entziehen
sich jeder Verantwortung für nachhaltige Politik auf dieser Erde. Wenn die Deutschen nur noch auf ihre eigenen
Probleme schauen und nicht mehr um ihre Verantwortung für diese eine Welt wissen, ist es um die Zukunft
der Deutschen im nächsten Jahrhundert schlechter bestellt.
({74})
Noch kein Jahr im Amt - man muß immer wieder sehen, daß die Bundestagswahl noch kein Jahr und die
Regierungsbildung noch nicht einmal elf Monate her
sind -, Herr Bundeskanzler, hat Ihre Regierung wie keine zuvor Vertrauen verspielt.
({75})
Die Substanzlosigkeit Ihrer Politik ist entlarvt. Ihre
eigenen Anhänger sind entsetzt. Die Wähler laufen Ihnen in Scharen davon. Aber Sie haben die Mehrheit. Sie
müssen regieren. Es reicht nicht aus, sich nur auf den
nächsten Wahlkampf vorzubereiten.
Wir, die Union, haben unseren Oppositionsauftrag
angenommen. Wir üben Kritik, aber gemessen an der
Wirklichkeit ist unsere Kritik eher zurückhaltend.
({76})
Wir setzen Sie hier im Bundestag, wo Sie die Mehrheit
und den Regierungsauftrag haben, unter den Druck unserer besseren Alternativen. Wir werden keine Obstruktion leisten, im Bundestag nicht und im Bundesrat nicht.
Das Land ist uns wichtiger als die Partei.
({77})
Wir stellen uns dem Wettbewerb um den besseren Weg
in eine Zukunft mit Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und
Sicherheit.
Der Haushalt 2000, verehrte Kolleginnen und Kollegen, den wir beraten, markiert auch den Schritt in ein
neues Jahrhundert. Trotz allem, trotz aller Probleme sind
die Chancen für unser Land an dieser Schwelle immer
noch gut. In 50 Jahren ist viel Substanz geschaffen worden. Die Menschen sind bereit: zum Bewahren wie zum
Verändern. Aber sie brauchen Führung, sie brauchen
Vertrauen.
Deutschland ist ein starkes Land, aber es hat eine
schwache Bundesregierung.
({78})
Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit und Verläßlichkeit müssen wieder zur Richtschnur der Regierungspolitik werden.
- Das - Herr Bundeskanzler, Sie erinnern sich vielleicht
- ist ein wörtliches Zitat aus Ihrem Regierungsprogramm vom vergangenen Jahr. Dieses Versprechen haben Sie leider gehalten.
({79})
Uns trösten alle Wahlerfolge der Union nicht darüber
hinweg: Drei Jahre, in denen Sie noch die Mehrheit in
diesem Hause haben und deshalb Regierungsverantwortung tragen, sind eine zu lange Zeit, als daß es so
weitergehen dürfte wie bisher. Das haben die Menschen
nicht verdient.
({80})
Deshalb, Herr Bundeskanzler: Fangen Sie an mit
einer Politik der Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit, der
Berechenbarkeit und Verläßlichkeit, einer Politik, die
auf Eigenverantwortung und Solidarität setzt und die
den Menschen etwas zutraut. Zutrauen und Vertrauen
gehören zusammen. Ohne Substanz, Herr Bundeskanzler
- so wie bisher -, geht es nicht weiter.
({81})
Ich erteile dem Bundeskanzler Gerhard Schröder das Wort.
Gerhard Schröder, Bundeskanzler ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Schäuble, wenn man Ihnen zuhört, dann
wird die ganze Widersprüchlichkeit Ihrer Argumentation
klar.
({1})
„Widersprüchlichkeit“ ist noch freundlich ausgedrückt.
Was Sie geboten haben, war reine Demagogie.
({2})
Ich will Ihnen das beweisen: Sie haben als Obersatz
gesagt, sparen tue not. Dann haben Sie hintereinander
gesagt: Aber bitte nicht bei den Bauern, bitte kein Sparbeitrag bei den Renten.
({3})
- Natürlich. - Bitte kein Sparbeitrag bei der Bundeswehr, bitte kein Sparbeitrag bei der Verkehrsinfrastruktur. Unter der Überschrift „Sparen tut not“ überall mehr
zu fordern, das ist reine Demagogie, Herr Schäuble.
({4})
Interessant ist hier auch, mit welcher Rabulistik Sie
versuchen, sich vor Ihrer Verantwortung für den Schuldenberg, den Sie angehäuft haben, zu drücken.
({5})
Man kann es den Menschen in Deutschland nicht oft genug sagen: Sie sind verantwortlich für 1,5 Billionen DM
Schulden.
({6})
In Ihrer Regierungszeit ist der Schuldenberg von
300 Milliarden DM auf diesen Betrag angewachsen.
Man kann es den Menschen nicht oft genug sagen: Sie
sind verantwortlich dafür, daß wir eine Zinsbelastung
von jährlich 82 Milliarden DM haben. Das ist die Folge
Ihre Politik; davor können Sie sich nicht drücken, davor
können Sie sich nicht wegducken.
({7})
82 Milliarden DM Zinsen im Jahr als Ergebnis Ihrer
Politik, das heißt pro Minute 150 000 DM. Jede Minute
150 000 DM Zinsen, das ist das Ergebnis Ihrer Politik!
Dies werden wir den Menschen in Deutschland immer
wieder deutlich sagen.
({8})
Der Schuldenberg ist der Grund dafür, daß die Notwendigkeit von Handeln, von Gegensteuern jetzt völlig
unabweisbar ist. Dies ist auch der Grund, warum wir mit
dem Zukunftsprogramm anfangen, den von Ihnen angehäuften Schuldenberg Schritt für Schritt abzutragen ({9})
eine bittere Notwendigkeit, aber unabdingbar, wenn
Deutschland fit werden will, um die Zukunft im nächsten Jahrhundert zu gewinnen.
({10})
Es geht um nicht weniger als um die Politikfähigkeit
unseres Gemeinwesens - eine Politikfähigkeit, die auf
Grund des Schuldenberges, den Sie angehäuft haben,
wirklich in Frage steht. Nur sehr Reiche können sich
einen armen, einen handlungsunfähigen Staat leisten.
Die meisten Menschen in Deutschland können das nicht.
Sie haben den Staat mit Ihrer Schuldenpolitik an den
Rand der Handlungsunfähigkeit gebracht. Wir müssen
sehen, daß wir diese Schulden abtragen.
({11})
Staatliche Handlungsfähigkeit ist dabei kein Selbstzweck. Aber sie ist Mittel zum Zweck, um Solidarität in
unserer Gesellschaft durch Politik zu organisieren, um
Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Ein Staat, den Sie
so arm gemacht haben, wie er ist, kann das nämlich
nicht. Das ist der Unterschied, der herausgearbeitet werden muß.
({12})
Die Politik, die der Bundesfinanzminister eingeleitet
hat, ist übrigens die einzige angemessene Antwort auf
die Integrationsfortschritte in Europa, die Sie sogar
bestreiten. Welch Unsinn vor dem Hintergrund dessen,
was in Berlin wirklich geschehen ist und was die Partner
in Europa - übrigens auch die, die auf die Erweiterung
der EU warten - in den höchsten Tönen loben! Daß Sie
das nicht tun, ist klar. Sie sollten aber wenigstens bei der
Wahrheit bleiben.
({13})
Wir müssen diese Politik des Abtragens des Schuldenberges im deutschen, aber auch im europäischen
Interesse machen. Wir dürfen bei der Reduzierung der
Haushaltsdefizite nicht hinter anderen europäischen
Ländern zurückbleiben. Was ist denn bei Ihnen im Vergleich zu anderen gelaufen? Frankreich hat mehr abgebaut als Sie. Großbritannien hatte 1995 ein Minus
von 5,7 Prozent, heute ein Plus von 0,6 Prozent. In
Schweden war es 1995 ein Minus von 4,9 Prozent, heute
ist es ein Plus von 2,0 Prozent. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns nicht beeilen,
wenn wir die Haushaltsdefizite nicht, wie vorgesehen, Schritt für Schritt zurückfahren, dann fallen wir im
Vergleich zu unseren europäischen Partnern ab, und
dann ist es schwer, wirtschaftliches Wachstum zu generieren und daraus Arbeitsplätze zu schaffen. Aber das
wollen wir; deshalb - und nicht, weil uns nichts anderes
einfiele - machen wir diese Konsolidierungs- und Sparpolitik.
({14})
Es ist schon merkwürdig, daß die Opposition diese
Politik mit angeblich ökonomischen und finanzpolitischen Argumenten kritisiert,
({15})
während die internationalen Finanzinstitutionen und
ebenso die Europäische Zentralbank und die Deutsche
Bundesbank sagen: Ja, diese Bundesregierung ist im
Vergleich zur früheren auf dem richtigen Weg.
({16})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Das ist das Urteil der Bundesbank.
({17})
Das ist das Urteil von Herrn Tietmeyer, der nun wirklich
nicht Gefahr läuft, zu den Parteigängern der rotgrünen
Koalition gemacht zu werden. Trotzdem ist er ein urteilsfähiger Mann - im Unterschied zu Ihnen.
({18})
Wir müssen diesen Schuldenberg noch aus einem anderen Grund abtragen: Es gibt einen Zusammenhang
zwischen der Notwendigkeit, die Zinslasten in den öffentlichen Haushalten zu verringern, also die Schulden
abzutragen, und den Zinsen, die die Europäische Zentralbank festsetzt. Um Wirtschaftswachstum ankurbeln
zu können, brauchen wir niedrige Zinsen. Wir werden
diese niedrigen Zinsen aber nur behalten, wenn wir die
Konsolidierungspolitik, die wir eingeleitet haben, machen. Auch dieser Zusammenhang ist einer, der, wenn er
nicht beachtet wird, dazu führt, daß wir weniger Chancen haben, Massenarbeitslosigkeit abzubauen.
Klar wird: Nur die Konsolidierung des Haushaltes,
nur der Abtrag der Schulden erlaubt das Setzen von politischen Prioritäten in der Zukunft. Nur der Abtrag der
Schulden gibt die Möglichkeit, mit Hilfe des Staates ein
Mehr an sozialer Gerechtigkeit zu organisieren. Die Ergebnisse der Schuldenpolitik, die Sie betrieben haben,
also jene 82 Milliarden DM Zinsen, mit denen wir uns
herumzuschlagen haben, sind in sich ein Stück absurder
sozialer Ungerechtigkeit.
({19})
Warum sage ich das? Ich sage das, weil diese Zinsen,
die 82 Milliarden DM, die wir aus den Steuern und Abgaben zahlen, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Staatskasse bringen, doch nicht denen zugute kommen, von deren Steuern und Abgaben sie bezahlt werden. Vielmehr ist das eine gigantische Umverteilung von unten nach oben als Folge Ihrer Politik. Sie
wollen sich vor der Verantwortung drücken, sich wegschleichen! Das ist das Ergebnis dessen, was Sie heute
gesagt haben.
({20})
Das Geld, das wir für die Zinsen der von Ihnen angehäuften Schulden ausgeben müssen, brauchen wir für
die Finanzierung derjenigen Forderungen, die Sie gestellt haben. Diese 82 Milliarden DM, die wir Jahr für
Jahr an Zinsen zahlen müssen, möchte ich in die Bildung hineinstecken.
({21})
- Ja, was denn sonst?
({22})
Wir wollen dieses Geld einsetzen, um soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Dieses Geld wurde den Menschen
durch Ihre Politik abgenommen; es kann daher nicht
- das ist also das krasse Gegenteil - in die Zukunft investiert werden. Dieser Zustand muß beendet werden.
({23})
Das Programm des Bundesfinanzministers heißt auch
deshalb Zukunftsprogramm, weil es mit dieser unverantwortlichen Politik Schluß macht und weil es dazu
führt, daß Nachhaltigkeit nicht nur ein ökologischer,
sondern auch ein finanzpolitischer Begriff wird; er muß
es werden. Wir dürfen doch nicht so weitermachen und
sozusagen das aufessen, wovon sich unsere Kinder und
Enkel ernähren müssen. Das ist keine vernünftige Politik.
({24})
Ich hoffe, es ist klar, daß die Sparpolitik, die wir eingeleitet haben, uns die Möglichkeit verschaffen soll und
verschaffen wird, politisch - jetzt benutze ich den Begriff - interventionsfähig zu bleiben. Was haben Sie gegen diesen Begriff? Wenn man Ihnen genau zuhört,
dann fällt einem immer wieder auf, wie Sie mit Begriffen jonglieren. Auf der einen Seite sagen Sie, der Staat
müsse mehr für die Bundeswehr, für die Bildung und für
die Familien tun.
({25})
- Vor allen Dingen natürlich für die Bauern. - Auf der
anderen Seite sagen Sie aber, Interventionsfähigkeit
des Staates sei ein Begriff aus der sozialistischen Mottenkiste. Wie paßt denn beides zusammen?
({26})
Wenn der Staat die von Ihnen gestellten Forderungen erfüllen soll, dann ist das doch - was denn sonst? - Intervention in die Gesellschaft. Was ist das für eine merkwürdige Argumentation, Herr Kollege Schäuble, derer
Sie sich hier bedienen?
({27})
Was die Interventionsfähigkeit angeht - das muß ich
noch sagen -, versteht insbesondere Herr Glos die Bayerische Staatsregierung. Wo ist er denn, der Kandidat?
({28})
Von Interventionsfähigkeit verstehen diese Wirtschaftsweisen aus München - nicht aus dem Morgenland - eine
ganze Menge. Mal eben 1,5 Milliarden DM in Singapur
verbraten, 400 Millionen DM der landeseigenen Bausparkasse in den Sand setzen und dann anderen Vorschriften hinsichtlich ihres wirtschaftlichen SachverBundeskanzler Gerhard Schröder
standes machen: Das ist doch lächerlich, was hier betrieben wird.
({29})
Wir werden nachher Ihre Entgegnung hören. Sie werden sich zwar mit dem einen oder anderen Punkt befassen. Aber auf gar keinen Fall, so nehme ich an, werden
Sie auf die entsetzlichen Fehlentwicklungen, die in
München mitten im Zentrum des wirtschaftlichen
Sachverstandes gemacht worden sind, zu sprechen
kommen.
({30})
Ich bin sehr gespannt darauf, ob Sie ein einziges Wort
zu diesen schlimmen Entwicklungen, die wir beobachten
können, sagen.
({31})
- Entschuldigung, ich habe noch nicht erlebt, daß der
Justizminister in die Pressekonferenz des Ministerpräsidenten geht und sagt: Alles Schafscheiße, was der sagt.
({32})
Ich kann mir schon vorstellen, daß Ihnen dieser Punkt
nicht gefällt. Aber er muß trotzdem angesprochen werden.
({33})
Mit der gleichen Entschlossenheit, mit der wir den
Weg der Konsolidierung gehen, setzen wir den Weg der
Modernisierung unserer Gesellschaft fort. Aber auch
Modernität ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum
Zweck. Sie ist Voraussetzung dafür, daß wir im Kampf
gegen Arbeitslosigkeit und für soziale Gerechtigkeit
unter radikal veränderten Bedingungen erfolgreich sein
können. Dramatische Veränderungen der ökonomischen
Basis erfordern Reformbereitschaft des politischsozialen Systems. Wer das nicht erkennt, organisiert
nicht Fortschritt, sondern Rückschritt.
Deshalb verfolgen wir eine Steuerpolitik, die zwei
Aufgaben hat. Die Steuerpolitik, die wir entworfen und
durchgesetzt haben und auch weiter durchsetzen werden,
hat zum einen die Aufgabe, auf der Nachfrageseite vernünftige Regelungen zu treffen. Das heißt ganz einfach
ausgedrückt: Wir wollen, daß bei den breiten Schichten
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Brutto
netto mehr übrigbleibt. Das ist die Orientierung jener
Steuerreformvorstellungen, die wir dargelegt haben und
die Sie nicht müde werden zu diskreditieren.
Was ist Inhalt dessen? Wir haben im Rahmen der
Wahlauseinandersetzungen gesagt, daß wir ein Steuerrecht machen werden, durch das insbesondere die Arbeitnehmer mit Kindern entlastet werden. Im ersten
Schritt haben wir - im Gegensatz zu Ihnen - das steuerfreie Existenzminimum angehoben. Wir haben den Eingangssteuersatz gesenkt und werden dies noch fortsetzen. Wir haben ein Weiteres getan: Wir haben das Kindergeld für das erste und das zweite Kind in zwei Stufen
- all das tritt zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft um jeweils 50 DM erhöht. Das ist einer der größten
Fortschritte, die es in bezug auf die Kindergeldregelung
jemals gegeben hat. Dazu hatten Sie, meine Damen und
Herren, niemals die Kraft.
({34})
Man kann es gar nicht oft genug sagen: Durch diese
moderne und in sich gerechte Steuerpolitik - durch das
Steuerentlastungsgesetz und die Regelung zum Kindergeld, aber auch durch den neuen Betreuungsfreibetrag wird eine Familie mit zwei Kindern in diesem Jahr
um insgesamt 1 200 DM entlastet, in den Jahren 2000
und 2001 um 2 200 DM und im Jahr 2002 um
3 000 DM.
({35})
Meine Damen und Herren, dies haben wir vor den
Wahlen angekündigt und nach den Wahlen in der Tat
innerhalb von zehn Monaten auf den Weg gebracht.
({36})
Das nenne ich eine Politik für die arbeitenden Menschen, für diejenigen, die Einkommen und Auskommen
durch Arbeit erzielen und die wollen, daß eine vernünftige Steuerpolitik dazu führt, daß sie vom Brutto netto
mehr übrigbehalten.
Das haben wir aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit für diese Menschen, aber auch aus ökonomischen
Gründen gemacht. Diese Steuerpolitik hilft nämlich bei
der Schaffung von Nachfragemöglichkeiten: Wenn mehr
im Portemonnaie ist, dann kann mehr nachgefragt werden.
({37})
Wenn mehr nachgefragt wird, kann mehr produziert
werden. Wenn mehr produziert wird, dann gibt es mehr
Arbeitsplätze. Das ist schon jetzt sichtbar.
({38})
Und im nächsten Jahr wird dies noch sichtbarer werden.
({39})
Das aber ist naturgemäß nur die eine Seite der Steuerpolitik. Wir haben immer gesagt: Wir machen einen
Mix aus nachfrage- und angebotsorientierter Steuerund Wirtschaftspolitik. Ein solcher Mix ist richtig. Es
macht keinen Sinn, mit den Begriffen zu jonglieren, und
das eine gegen das andere auszuspielen. Was wir brauchen, ist auf der einen Seite ein Mehr an Kaufkraft bei
den Beschäftigten und auf der anderen Seite Rücksicht
Bundeskanzler Gerhard Schröder
auf die Kosten insbesondere der kleinen und mittleren
Unternehmen.
({40})
- Ich komme gleich zu dem, was wir gemacht haben. Dies ist der Grund, warum wir an eine Unternehmensteuerreform herangehen.
({41})
- Sie wissen doch, wann. Wir sind dabei.
({42})
Übrigens, Herr Schäuble: Ich habe diese Begriffe bewußt benutzt. Es geht uns in der Tat um die Entlastung
der Unternehmen und weniger um die Entlastung der
Unternehmer.
({43})
- Ja, ich wiederhole das ausdrücklich.
({44})
Auch an diesem Punkt kann man sehen, wie Sie immer wieder den Versuch machen, Dinge zu diskreditieren, die überhaupt nicht zu diskreditieren sind. Ich unterstelle dabei nicht, daß das aus Mangel an Intelligenz
geschieht, sondern ich unterstelle dabei, daß das aus
Mangel an Redlichkeit geschieht.
({45})
Worum geht es denn bei dieser Unternehmensteuerreform? Es geht doch darum, daß wir jene Gewinne, die
gemacht werden und die gemacht werden sollen, die
wieder in das Unternehmen hineingesteckt werden, die
reinvestiert werden, aus denen Arbeitsplätze werden
sollen, Gewinne, die so verwendet werden, steuerlich
anders behandeln als jene Gewinne, die privat verbraucht werden. Das ist doch ein höchst vernünftiger
Grundsatz:
({46})
die Gewinne, aus denen Arbeitsplätze werden sollen und
werden können, im Vergleich zu jenen, die privat verbraucht werden, zu privilegieren.
({47})
Das ist der Grund, warum wir sagen: Wir wollen ein
Unternehmensteuerrecht schaffen, das bei den Körperschaften mit einem Steuersatz von 25 Prozent auskommt. Wenn man eine durchschnittliche Gewerbeertragsteuer in Höhe von 10 Prozent unterstellt, sind das
35 Prozent Unternehmensteuern. Natürlich wissen wir,
daß der größte Teil der Unternehmen keine Körperschaften, sondern Personengesellschaften sind. Das ist ja
der Grund, warum dieses Prinzip auch auf die Personengesellschaften übertragen werden wird, und die Entlastung in einer Höhe von 8 Milliarden DM soll eben nicht
bei den Großen eintreten. Vielmehr wird der Finanzminister dafür sorgen, daß sie insbesondere bei den kleinen
und mittleren Unternehmen eintritt. Das ist Gegenstand
unserer Politik; sie werden wir durchsetzen.
({48})
Wir werden uns nach dieser Unternehmensteuerreform im unteren Drittel der Unternehmensbesteuerung
in Europa befinden. Das schafft die Möglichkeit, die
Wettbewerbsbedingungen zu verbessern, und das schafft
die Möglichkeit, auch von der Angebotsseite her Wettbewerbsfähigkeit und Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu verbessern. Im übrigen wird das von
der Wirtschaft ja durchaus anerkannt; nur bis zur CDU
hat es sich noch nicht herumgesprochen.
({49})
Dann haben Sie sich ja angewöhnt, das, was wir zu
Recht ökologische Steuer- und Abgabenreform genannt
haben, ständig zu diskreditieren.
({50})
Natürlich wäre es besser - das bestreitet doch niemand,
auch niemand hier im Hohen Hause -, wenn wir eine
gesamteuropäische Lösung der Energiebesteuerung
hinbekommen könnten. Aber es liegt doch nicht an
Deutschland, daß das nicht geschieht, sondern es liegt an
anderen. Wir können doch mit einer vernünftigen Reform nicht warten, bis sich alle dazu bequemen. Wir arbeiten daran, das zu europäisieren, aber wir können uns
doch nicht von den Entscheidungen anderer abhängig
machen.
({51})
Das ist der Grund, warum wir vorangegangen sind, und
zwar in meßbaren und vernünftigen Schritten.
Im übrigen möchte ich sagen, daß wir dabei maßvoll
vorgegangen sind und daß wir dabei auf die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere der produzierenden Wirtschaft Rücksicht genommen haben. Das wird ja auch
durchaus anerkannt - nicht immer in den öffentlichen
Stellungnahmen, aber doch in den Gesprächen, die man
führt. Vor allen Dingen wird anerkannt, daß etwas eingetreten ist, worauf man in Deutschland sehr lange hat
warten müssen, nämlich daß die Lohnnebenkosten
wirklich sinken. Das ist durch diese Reform bewirkt
worden.
({52})
Übrigens ist eine Lohnnebenkostensenkung nicht nur für
die Unternehmen vernünftig. Sie bietet auch die Möglichkeit, eine Abgabensenkung, die den ArbeitnehmeBundeskanzler Gerhard Schröder
rinnen und Arbeitnehmern zugute kommt, durchzuführen. Auch das geschieht.
({53})
Ich möchte auch noch ein paar Worte zur Finanzierung der Reform sagen, weil in der Gesellschaft - nachvollziehbar oder weniger nachvollziehbar - gelegentlich
der Vorwurf erhoben wird, hier hätte es falsche, sozial
ungerechte Verteilungswirkungen gegeben. Dieser Vorwurf ist falsch. Er ist erstens deshalb falsch, weil die
Entlastungen im Bereich der Wirtschaft bei den kleinen
und mittleren Unternehmen eintreten werden. Damit
kommen wir einer uralten Forderung, die übrigens auch
aus dem Gewerkschaftslager stammt, nach.
Der Vorwurf ist zweitens deshalb falsch, weil durch
die Senkung der Lohnnebenkosten nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlastet werden. Das führt wiederum dazu,
daß vom Brutto netto mehr übrigbleibt. Diesem Prinzip
werden wir folgen; denn wir wollen, daß die Menschen,
die jeden Tag zur Arbeit in die Fabriken und Verwaltungen gehen, spüren, daß sie von dieser Steuerpolitik etwas haben. Sie sollen das in ihrem Portemonnaie spüren,
wo auch sonst.
({54})
Wenn man sich unsere Steuerpolitik in beiden Bereichen
anschaut und sie fair beurteilt, bleibt von dem Vorwurf
mangelnder Ausgewogenheit überhaupt nichts übrig.
Es wird aber noch mehr getan. Denjenigen, die immer
wieder die Frage stellen, wie das finanziert werden soll
- hier kann man interessante Feststellungen treffen; ich
bin nur nicht ganz sicher, ob sich die verehrte Opposition in gleicher Weise für die Mittelständler und gegen
die großen Unternehmen stark macht -, sage ich: Finanziert worden ist die Entlastung der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zum Beispiel dadurch, daß wir für
Versicherungen ein Abzinsungsgebot für Schadensrückstellungen und deren Bewertungen eingeführt haben.
Allein diese Maßnahme wird mehr als 8 Milliarden DM
an Mehreinnahmen bringen. Nun kann mir doch niemand erklären, daß die Finanzierung der Entlastungen
der Arbeitnehmer durch Mehreinnahmen aus Belastungen großer, leistungsstarker Unternehmen sozial unausgewogen sei. Mir kann das keiner erklären, jedenfalls
kann ich es nicht nachvollziehen. Dies ist sozial gerecht,
weil dadurch ein Teil negativer Verteilungswirkungen
durch die Politik des Bundesfinanzministers zurückgenommen worden ist.
({55})
Um den Vorwurf gleich vorwegzunehmen, möchte
ich auch die Maßnahmen, die wir bezüglich der Energieversorgungsunternehmen getroffen haben, ansprechen. Es ist nicht leicht gewesen, auch hier ein Abzinsungsgebot für die Rückstellungen durchzusetzen. Dies
wird zu Mehreinnahmen des Staates in Höhe von
13,7 Milliarden DM führen. Die Rückstellungen der
Energieversorgungsunternehmen waren wirklich zu
hoch. Mit diesen Rückstellungen haben sich die Unternehmen vor einer gleichermaßen ökonomisch vernünftigen wie sozial gerechten Besteuerung gedrückt. Wir haben diesen Zustand beseitigt. Damit wird ein Teil der
Verbesserungen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern finanziert. Das ist der Kern sozialer Gerechtigkeit, nicht das Gegenteil.
({56})
Welch endlose Debatte haben wir hier, im Hohen
Hause, und anderswo über die Notwendigkeit geführt,
Steuerschlupflöcher zu schließen! Jahr für Jahr gab es
Debatten über Debatten. Wir haben die Schlupflöcher
geschlossen. Wenn Sie genau hinschauen, dann werden
Sie feststellen: Die veranlagte Einkommensteuer steigt
endlich wieder. Es wird damit Schluß gemacht, daß jemand, der sehr viel verdient, seine Steuerschuld auf Null
reduzieren kann, nur weil er alle möglichen Steuerschlupflöcher nutzen kann.
({57})
Die Politik der Modernisierung unserer Gesellschaft
unter Beachtung des Gebotes der sozialen Gerechtigkeit
hat auch Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt erzielt. Die
Arbeitslosenquote ist im Juni erstmals unter 4 Millionen
gesunken. Sie ist - ferienbedingt - in den nächsten beiden
Monaten knapp über 4 Millionen gewesen. Aber selbst
hier muß man feststellen, daß auch der Augustwert der
günstigste seit 1996 war. Das wird immer verschwiegen.
Wahrscheinlich trauen Sie, Herr Schäuble, den Statistiken nur, wenn Sie sie selber manipuliert haben.
({58})
Die Bundesanstalt für Arbeit hat im ersten Halbjahr
1999 1,86 Millionen Stellen an Arbeitssuchende vermittelt. Das sind 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Für dieses Jahr wird ein Rückgang der Arbeitslosigkeit um
etwa 200 000 Personen erwartet. Dieser Rückgang der
Arbeitslosigkeit um 200 000 Personen ist mir zu wenig das ist doch gar keine Frage -; aber er zeigt doch, daß
wir uns auf dem richtigen Weg befinden, auf einem
Weg, den wir Schritt für Schritt weitergehen werden,
weil er geeignet ist, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
({59})
Der Oppositionsführer hat jenes Programm für die
jungen Leute im Lande vor Jahresfrist noch als Beschäftigungstherapie diffamiert.
({60})
Wir haben das nicht vergessen, und wir werden daran
immer wieder erinnern. Wir haben mit dieser Politik mehr
als 150 000 jungen Leuten eine Chance gegeben. Diese
Politik hat 2 Milliarden DM gekostet. Das zeigt, daß wir
ungeachtet der Sparmaßnahmen sehr wohl vernünftige
Prioritäten zu setzen bereit und in der Lage sind.
({61})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Die Jugendarbeitslosigkeit sinkt bei uns weit mehr
als in fast allen anderen europäischen Ländern.
({62})
Die Jugendarbeitslosigkeit lag im Juli EU-weit bei 17,8
Prozent, in der Euro-Zone bei 19,3 Prozent, in den USA
bei 9,9 Prozent und in Deutschland bei 9,0 Prozent. Das
ist nicht allein, aber auch ein Erfolg unserer Politik. Diesen Erfolg werden Sie nicht kleinreden.
({63})
Eines sage ich Ihnen: Wir werden dieses Programm,
das wir nicht zuletzt auf den Weg gebracht haben, um
jenen Jugendlichen zu helfen, die in dieser Gesellschaft
wirklich benachteiligt sind, die schon fast keine Chance
mehr für sich gesehen haben, fortführen. Es wird greifen, und Sie werden die Ergebnisse - auch die politischen - sehen. Ich bin da ganz ruhig.
({64})
Es hat sich aber nicht nur auf dem Arbeitsmarkt etwas zum Positiven verändert. Insbesondere die Menschen in Ostdeutschland wissen, wie es in der Vergangenheit gewesen ist. Vor den Wahlen gab es einen massiven Aufbau der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, und
einen Monat danach wurde alles wieder einkassiert. Das
war das Prinzip Ihrer Arbeitsmarktpolitik. So ist es gewesen, und die Menschen wissen das noch.
({65})
Wir haben das geändert. Wir haben im Vergleich zum
Vorjahr zusätzlich 6 Milliarden DM investiert, um die
Finanzierung des zweiten Arbeitsmarkts, den man insbesondere in den neuen Ländern leider immer noch brauchen wird, zu verstetigen und damit den Menschen ein
Stück Sicherheit zu geben.
Immer wenn über Sicherheit für diejenigen geredet
wird, die als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr
Einkommen und Auskommen finden müssen, dann
sprechen Sie so gern über Flexibilität und im Zusammenhang damit über Kündigungsschutz. Ich weiß
nicht, ob Sie folgendes wissen: In Deutschland kann
man einen Arbeitnehmer dreimal für sechs Monate beschäftigen, ohne daß er einen Anspruch auf ein festes
Arbeitsverhältnis erwirbt. Ich glaube, daß man innerhalb
von 18 Monaten erstens genügend Erkenntnisse über
seine eigenen ökonomischen Möglichkeiten gewinnen
kann und zweitens auch feststellen kann, ob der Arbeitnehmer taugt oder nicht.
({66})
Es braucht wirklich einen vernünftigen Ausgleich zwischen Flexibilität auf der einen Seite und der individuellen Sicherheit des Arbeitnehmers auf der anderen Seite. „Hire and fire“ ist kein sonderlich soziales Prinzip.
({67})
Wir haben im „Bündnis für Arbeit“ über weitere
Fragen, die nicht allein vom Staat zu lösen sind, geredet.
Sinn dieses Bündnisses ist es, die Herausforderungen,
die auf dem Arbeitsmarkt bestehen, gemeinsam anzugehen. Die Ergebnisse des dritten Spitzengespräches sind
eindeutig: Die Wirtschaft hat eine Zusage für 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze gegeben, und zwar über den
demographischen Mehrbedarf hinaus. Sie wird das - jedenfalls auf der Seite der in Industrie- und Handelskammern zusammengeschlossenen Unternehmen - einhalten. Für die Berufe der Informations- und Telekommunikationswirtschaft werden in den kommenden drei
Jahren 40 000 neue Ausbildungsplätze angestrebt. Bei
mittelständischen Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten wird künftig für die Nutzung der Altersteilzeit
keine Umsetzungskette mehr nachzuweisen sein, was
helfen wird, Altersteilzeit besser als in der Vergangenheit zu vereinbaren.
({68})
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände und
der Deutsche Gewerkschaftsbund haben sich im Grundsatz auf eine mittel- bis langfristige Tarifpolitik geeinigt,
die dazu führen soll und dazu führen wird, daß flexible
Arbeitszeitpolitik und Tarifpolitik insgesamt mehr und
mehr in den Dienst zusätzlicher Beschäftigung gestellt
werden, und zwar auf Grund freiwilliger Vereinbarungen, die die Tarifparteien getroffen haben. Das ist ein
vernünftiger Ansatz, den man unbedingt unterstützen
sollte.
({69})
Ich will ein Wort zur Rente sagen, meine Damen und
Herren. Es ist wahr: Wir hätten gern gehabt, daß sich im
nächsten und übernächsten Jahr eine Möglichkeit der
Anpassung nach der Nettolohnformel ergeben hätte. Das
ist gar keine Frage.
({70})
Glauben Sie mir, wenn es auf Grund der Finanzierungsbedingungen möglich gewesen wäre, die wir als Ergebnis Ihrer und keiner anderen Politik vorgefunden haben,
({71})
dann wäre ich der letzte gewesen, der nicht freudigen
Herzens ja gesagt hätte.
({72})
Es tut mir leid, daß es nicht geht, meine Damen und
Herren. Aber es geht nicht, und das ist das Ergebnis Ihrer Finanzpolitik. Keine andere Ursache hat das gehabt.
({73})
Das ist der Grund, warum wir entschieden haben, daß
die Renten in den Jahren 2000 und 2001 so erhöht werden, daß der Kaufkraftausgleich gewährleistet ist.
Bundeskanzler Gerhard Schröder
In diesem Zusammenhang war übrigens auch wieder
sehr interessant, was Herr Schäuble dazu gesagt hat. Er
hat gesagt, die Renten würden gekürzt. Was war das
denn nun?
({74})
War es ein Versehen? War es eine Halbwahrheit? Oder
war es eine Lüge? Was war es?
({75})
Verehrter Herr Oppositionsführer, in den Jahren 2000
und 2001 werden die Renten stärker steigen, als sie in
den letzten vier Jahren Ihrer Regierung jemals gestiegen
sind. Das ist die Wahrheit, die Sie bewußt verschweigen.
Wer die Wahrheit bewußt verschweigt, der lügt wirklich.
({76})
Die Rentnerinnen und Rentner wissen ganz genau, daß
sie in den letzten vier Jahren der Regierung Kohl niemals einen vollen Ausgleich für die Preissteigerungsrate
bekommen haben. Sie werden ihn diesmal bekommen.
Das nennen Sie Kürzung? Sie haben gekürzt! Sie haben
die realen Renteneinkommen gekürzt. Wir tun das nicht,
denn wir zahlen den Kaufkraftausgleich.
({77})
Im übrigen dienen diese zwei Jahre dazu - sie sind in
der Tat ein Beitrag, den die Rentnerinnen und Rentner
leisten -, daß man die Renten auf der einen Seite für die
Jungen bezahlbar hält und auf der anderen Seite für die
Älteren auch in Zukunft noch sicher macht. Das ist der
Sinn der Operation: eine Brücke zwischen den Jungen
und den Alten neu zu bauen und sie nicht gegeneinander
auszuspielen, was Sie mit der Politik tun, die Sie im
Moment betreiben.
({78})
Was es bedeutet, eine solche Brücke zwischen den
Jungen und den Alten zu bauen, merken Sie dann, wenn
Sie sich einmal anschauen, wie nach Ihren Modellen die
Beiträge gestiegen wären und wie wir sie durch die Art
und Weise, wie Walter Riester Rentenpolitik macht, stabil halten. Meine Damen und Herren, das Stabilhalten
der Rentenbeiträge ist nicht nur wegen der Lohnnebenkosten ein Gebot ökonomischer Vernunft, es ist auch ein
Gebot der Generationengerechtigkeit. Den Jungen müssen die Renten bezahlbar bleiben, und für die Alten
müssen sie sicher bleiben. Das ist Kern unserer Rentenpolitik, und deshalb werden wir sie auch weitermachen.
({79})
Trotz der Sparbedingungen, von Ihnen veranlaßt, unter denen wir zu leben haben, sind die Mittel für den
Aufbau Ost und für die Infrastruktur nicht gekürzt worden. In diesem Zusammenhang will ich Ihnen sagen,
was wir Ihnen nicht durchgehen lassen: Sie reden hier
über Kürzungen im Verkehrssektor und verschweigen
den Menschen - oder versuchen es planmäßig -, daß der
Bundesverkehrswegeplan - das ist jener Plan, in dem
alle Verkehrsinvestitionen aufgeführt sind - zu Ihren
Zeiten aufgestellt wurde und mit 70 Milliarden DM unterfinanziert war. Sie haben nichts als heiße Luft produziert!
({80})
Wer in dieser Weise unverantwortlich Versprechen
gemacht hat, wie Sie es mit dem Bundesverkehrswegeplan getan haben, wer keine Deckung für 70 Milliarden DM schafft, der macht wirklich unseriöse Politik
({81})
und hofft darauf - was auch eingetreten ist -, daß andere
die Suppe auslöffeln müssen, die man ihnen eingebrockt
hat.
({82})
Es ist deutlich geworden, wie merkwürdig, wahrheitsverschleiernd und wahrheitswidrig
({83})
Sie in der letzten Zeit argumentiert haben. Es grenzt
doch schon an Lächerlichkeit, wenn Sie auf der einen
Seite die Notwendigkeit des Sparens nicht bestreiten und
auf der anderen Seite immer neue und immer mehr Forderungen in die Welt setzen, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, einmal ein Programm vorzulegen, damit
man nachrechnen kann. Sie fordern immer nur mehr und
sagen nie, wie das bezahlt werden soll. Diese Politik haben Sie 16 Jahre lang gemacht. Schluß ist jetzt mit dieser Politik!
({84})
Daß wir jetzt versuchen, das in Ordnung zu bringen,
um die Handlungsfähigkeit der Politik und die Gestaltungsfähigkeit unserer Gesellschaft wiederherzustellen,
stößt natürlich auf Widerstände. Wir erleben das; es
macht keinen Sinn, darum herumzureden. Natürlich
schmerzen mich die Wahlniederlagen der vergangenen
Sonntage,
({85})
mich besonders deshalb, weil ich erneut die Erfahrung
gemacht habe, daß der Sieg viele Väter - und auch
Mütter - hat, die Niederlage aber nur einen.
Aber ich sage Ihnen: Von der Richtigkeit dieser Politik bin ich überzeugt. Ich bin auch davon überzeugt, daß
sie Erfolge zeitigen wird, in der Gesellschaft und dann
auch wieder bei Wahlen. Denn die Menschen werden
begreifen, wer wirklich dabei ist, ihre eigene Zukunft
sowie die Zukunft ihrer Kinder und Enkel zu sichern,
und wer sie durch Schuldenpolitik verspielt hätte, wenn
man ihn weiter gelassen hätte. Das hätten Sie getan.
({86})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, angesichts der Wahlerfolge jubeln, ist verständlich
und menschlich absolut nachvollziehbar. Aber eines ist
gar nicht so sicher, nämlich ob das auf Dauer reicht. Sie
werden alsbald gefragt werden, was Sie denn inhaltlich
anzubieten haben. Diese Zeit kommt sehr viel schneller,
als Sie glauben; seien Sie dessen sicher. Sie werden das
vor einem ganz interessanten Hintergrund gefragt werden, nämlich vor dem Hintergrund, daß die Wirtschaft
in Deutschland auf Erholungskurs ist. Die Unternehmensbefragungen des Ifo-Institutes zum Beispiel zeigen,
daß die Stimmung in der westdeutschen Industrie spürbar aufgehellt ist. Die Geschäftserwartungen der Unternehmen sind bereits im fünften Monat in Folge aufwärts
gerichtet. Die Exporte haben die Talsohle deutlich
überwunden.
Übrigens: Daß ein Land, das in der Weise wie wir
exportabhängig ist, dann, wenn die Märkte in Südamerika zusammenbrechen, in Asien nach wie vor in Schwierigkeiten sind und es auch in Rußland nicht so läuft, wie
wir uns das alle vorstellen, geringere Wachstumsraten
generieren kann als ein anderes Land, dürfte doch wohl
auf der Hand liegen. Das können Sie beim besten Willen
nicht einer wie auch immer gearteten und von wem auch
immer gemachten Politik unterstellen.
Der Export hat die Talsohle überwunden. Die Ausfuhr im Juni liegt erstmals seit Herbst wieder klar über
Vorjahresniveau, nämlich 4 Prozent höher; auch im
Juli wurde der Vorjahresstand übertroffen: um 2,8 Prozent. Die Auftragseingänge aus dem Ausland sind im
verarbeitenden Gewerbe gestiegen. So stellte es die
Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht fest. Außerdem hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen Wirtschaft im ersten Halbjahr deutlich
verbessert.
All das sind ermutigende Anzeichen, die nicht zuletzt
durch unsere Steuerpolitik hervorgerufen wurden.
({87})
Durch die Steigerung der Masseneinkommen zieht
nämlich die Inlandsnachfrage an. Das ist so, meine Damen und Herren.
({88})
Während Sie regierten, hatte sich der deutsche Einzelhandel daran gewöhnt, daß die Umsätze Jahr für Jahr um
2 Prozent zurückgingen. Jetzt sind sie erstmals wieder
um 1 Prozent gestiegen.
Das zeigt, daß eine Politik, die aus einer soliden Mischung zwischen Angebots- und Nachfrageorientierung besteht, ihre Wirkung nicht verfehlt. Diese Politik,
die wir jetzt machen, werden wir auch weiterhin betreiben.
({89})
Wenn man einen Strich darunter zieht,
({90})
dann kann man feststellen, daß auf der einen Seite die
Angriffe der Opposition abwegig sind, auf der anderen
Seite die Politik, die wir gemacht haben - ({91})
- Natürlich werden das die Wähler entscheiden, immer
wieder. Aber warten Sie es einmal ab. Wir alle müssen
uns dieser Entscheidung beugen: Sie am 27. September
letzten Jahres und wir diesmal. Niemand will doch darum herumreden. Sie können sich aber sicher sein, daß
die Wählerinnen und Wähler ziemlich genau erkennen
werden, daß nur diese Konsolidierungs- und Sparpolitik
und der Abbau des Schuldenberges für sie selbst, ihre
Kinder und Enkel der richtige Weg ist, auch wenn das
noch ein wenig dauert. Auf diese Erkenntnis, auf diese
Vernunft setzen wir.
({92})
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition ich kann das ja unter machtpolitischen Gesichtspunkten
nachvollziehen -, werfen sich nun aber wirklich jedem
Interessenverband in die Arme, wo immer die Arme offen sind und wo Sie ihn finden.
({93})
Dabei sind Ihnen die Positionen, die Sie früher einmal
eingenommen haben, völlig gleichgültig. Aber auch dieses Verhalten wird mehr und mehr zum Gegenstand der
politischen Auseinandersetzung in Deutschland werden.
Es geht nicht zuletzt um die Frage, ob wir durch die hier
entworfene und durchgeführte Politik sowohl das Gemeinwohl definieren als auch dieses definierte Gemeinwohl gegen die Interessengruppen, die berechtigterweise ihre Einzelinteressen vertreten, durchsetzen
können. Sie scheinen zur Zeit zu glauben, daß allein
durch die Summierung der Einzelinteressen das Gemeinwohl definiert werden könnte. Daß das aber nicht
so ist, werden auch Sie noch erleben.
({94})
Natürlich tut es mir weh, wenn ich mit harter Kritik
von den Freunden aus der Gewerkschaftsbewegung und
aus anderen Verbänden, seien es Naturschutzverbände
oder auch andere, die uns nahestehen, konfrontiert werde. Das schmerzt mehr, als wenn es Kritik aus der üblichen Ecke wäre, mit der umzugehen man gewohnt ist.
Aber auch denen, die einem besonders nahestehen, muß
gesagt werden: Gemeinwohl ist nicht identisch mit der
Summe der Einzelinteressen. So vertretbar es ist, daß jeder für sich und seine Mitglieder streitet, so sehr ist es
die Aufgabe demokratischer Politik, das Gemeinwohl zu
definieren und durchzusetzen. Das werden wir in diesem
Hause tun!
({95})
Wir haben einen enormen Veränderungsdruck im
Land. Die ökonomische Basis dieser Gesellschaft verändert sich in einer Schnelligkeit, in einer Radikalität, die
wir bisher nicht erlebt haben. Wenn sich vor diesem
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Hintergrund, nicht zuletzt durch Ihr Agieren, das politisch-soziale System als veränderungsunwillig und veränderungsunfähig erweist, dann wird es in diesem Land
wirklich ein böses Erwachen geben. Sie arbeiten daran,
daß das so ist - leider, muß ich sagen. Wenn Sie das
schon praktizieren, dann hören Sie wenigstens auf, so zu
tun, als stünde für Sie das Staatsinteresse höher als das
Parteiinteresse. Es ist schnödes Parteiinteresse, was Sie
da buchstabieren und was Sie da gegenseitig durchzusetzen versuchen.
({96})
Wir werden dieses Zukunftsprogramm im Deutschen
Bundestag beschließen; wir haben die Mehrheit dafür.
Sie werden auch sehen, daß diese Mehrheit für dieses
Programm steht. Ich bin davon überzeugt, und Sie werden davon überzeugt werden.
Dann werden wir natürlich auch mit den Ländern zu
reden haben. Selbstverständlich wird mit den Ländern
geredet. Aber wir werden mit den Ländern auf der Basis
dessen reden, was die Mehrheit hier im Deutschen Bundestag beschlossen haben wird. Das will das Grundgesetz so. Ich bin ganz sicher, das wollen auch die Länderregierungen so. Sie wissen ganz genau, daß Solidarität
keine Einbahnstraße ist. Das weiß man in Bremen. Das
weiß man im Saarland. Das weiß man auch in den ostdeutschen Ländern.
({97})
Deswegen bin ich ganz ruhig, meine Damen und Herren, was die Gespräche mit dem Bundesrat angeht. Den
Ländern werden wir vermitteln, daß es in ihrem eigenen
Interesse ist, daß mit Ihrer unverantwortlichen Schuldenpolitik Schluß gemacht wird.
({98})
Zum Verhältnis zur Opposition: Regierung und
Opposition sind - das erleben wir doch gegenwärtig Gegner im politischen Machtkampf. Aber sie sind keine
Feinde. Dieser Unterschied muß gesehen werden.
({99})
- Nein, Feindseligkeit empfinde ich wirklich nicht;
Gegnerschaft schon, aber Feindseligkeit nicht. Sie sind
keine Feinde, meine Damen und Herren.
({100})
Sie dürfen es übrigens auch nicht werden in einer Demokratie.
Das schafft grundsätzliche Gesprächsmöglichkeiten;
das ist keine Frage. Übrigens: Daß es diese grundsätzlichen Gesprächsmöglichkeiten zwischen Regierung und
Opposition gibt, hat sich in der Kosovokrise Gott sei
Dank erwiesen. Natürlich muß es solche Gesprächsmöglichkeiten immer wieder geben. Der Grundsatz, daß
wir nicht Feinde, sondern Gegner sind, bleibt in Kraft,
und er führt zu Gesprächsmöglichkeiten.
Aber - das höre ich auch aus Ihren Reihen, und das
finde ich vernünftig - diese Gespräche müssen auf einer
klaren Grundlage geführt werden, wenn man sie führt.
Die klare Grundlage wird das beschlossene Zukunftsprogramm sein. Ich bin ganz sicher: Danach kann man
reden, aber nicht vorher.
({101})
- Nein, das hätte doch gar keinen Sinn. Sie werden in
den Ausschüssen reden. Danach werden wir schon darüber ins Gespräch kommen - das ist vernünftig -, aber ich sage es noch einmal - auf einer klaren Grundlage,
nämlich auf der Grundlage der Entscheidungen dieser
Koalition. Daran wird nicht gerüttelt werden, meine
Damen und Herren.
({102})
Ich habe - lassen Sie mich das abschließend sagen den Weg, den wir in den nächsten Monaten gehen, skizziert. Das ist unser Weg. Er ist schwierig; das weiß ich,
meine Damen und Herren. Aber seien Sie sicher: Wir
werden den Weg gehen, mit dem Mut und mit der Entschlossenheit, die Deutschland jetzt braucht.
({103})
Ich erteile nun dem
Kollegen Wolfgang Gerhardt, dem Fraktionsvorsitzenden der F.D.P., das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind, wie der
Bundeskanzler erklärt hat, keine Feinde. Wir sind Gegner und Wettbewerber. Wir streiten um die Sache. Aber,
Herr Bundeskanzler, wenn Sie mit der Opposition über
Glaubwürdigkeit streiten wollen, dann schlägt dies auf
Sie zurück. All das, was Sie hier erklärt haben, was notwendig sei, wo gespart werden müsse und was so nicht
mehr weitergehe, hätten Sie den Wählerinnen und
Wählern der Bundesrepublik Deutschland im letzten
Bundestagswahlkampf sagen sollen.
({0})
Ihr Glaubwürdigkeitsverlust und die Enttäuschung,
die sich im Land breitmacht, haben ursprünglich etwas
damit zu tun, wie Sie den Bundestagswahlkampf geführt
haben. Sie haben den Bundestagswahlkampf zusammen
mit Oskar Lafontaine nach dem Motto „Wer bietet
mehr?“ geführt und genau das gemacht, was Sie jetzt
uns, der Opposition, vorwerfen. Jeder Interessengruppe
haben Sie eine Zusage gemacht. Den Bildungsetat
wollten Sie verdoppeln. Die Renten wollten Sie höher
gestalten. Den Arbeitsmarkt wollten Sie besser regulieren. Alles sollte finanziell besser ausgestattet werden.
Man kann sagen: Sie hätten es besser wissen müssen.
Wenn Sie es nicht gewußt haben, waren Sie politisch
nicht auf der Höhe der Zeit. Wenn Sie es aber gewußt
haben, haben Sie die Menschen betrogen. Das ist der
Vorgang, über den wir sprechen müssen.
({1})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Am Anfang Ihrer Regierungszeit haben Sie auf Koordinationsmängel hingewiesen. Das war eine Erklärung, die Sie in der Öffentlichkeit abgegeben haben,
weil Sie, als Sie im Kanzleramt waren, urplötzlich festgestellt haben: Es geht wohl nicht so, wie ich es dem
deutschen Volk erklärt habe.
Dann haben Sie gemerkt, daß Sie nachbessern müssen. Sie haben daraufhin die Nachbesserungsphase
eingeläutet. Wir warten immer noch auf die Nachbesserungen in Ihren Gesetzen. Dauernd wird über Nachbesserungen gesprochen. Die Arbeitsgruppen tagen immer
noch. Aber draußen gehen Arbeitsplätze verloren.
Seit gestern haben Sie zusammen mit dem Bundesfinanzminister die Suche nach dem Schuldigen eröffnet.
Jetzt erklären Sie die Opposition für schuldig. Nein,
Herr Bundeskanzler, so haben wir nicht gewettet.
Erstens. Die DDR war pleite. Nicht die Marktwirtschaft hat die Wirtschaft der DDR ruiniert, sondern
das SED-System. Die dadurch entstandenen Schulden
können Sie nicht der früheren Bundesregierung aufhalsen.
({2})
Zweitens. Als der frühere Bundesfinanzminister Theo
Waigel mit den Ländern, mit Ihnen, mit Herrn Lafontaine und mit Herrn Eichel, verhandeln mußte, wie der
Beitrag der Länder in bezug auf die gesamtstaatliche
Bewältigung dieser schwierigen Situation aussehen
sollte, da waren diese Personen nicht die Helden der
Nation, die freundlichst gesagt haben: Lieber Herr Kollege Waigel, wir wollen das zusammen mit Ihnen finanziell bewältigen. Diese Herren haben sich einen sehr,
sehr schlanken Fuß gemacht.
({3})
Obwohl sie sich einen schlanken Fuß gemacht haben,
hat Herr Lafontaine die Schulden im Saarland von 1985
bis 1998 um 70 Prozent gesteigert, wie mir von meinen
Mitarbeitern mitgeteilt wurde.
({4})
In Ihrer Regierungszeit als niedersächsischer Ministerpräsident, Herr Bundeskanzler, hat das Land Niedersachsen trotz des schlanken Fußes in bezug auf die Vereinigungskosten seine Schulden um 72 Prozent gesteigert.
({5})
Das einzige Sparbrötchen war Herr Eichel. Aber auch er
hat es geschafft, die Schulden des Landes Hessen um 59
Prozent zu steigern.
({6})
Vorsorglich nenne ich an dieser Stelle schon einmal
Schleswig-Holstein. Schleswig-Holsteins Schulden wurden um 70 Prozent gesteigert.
Meine Damen und Herren, wenn Sie mit einem Finger auf die Opposition zeigen, zeigen vier Finger auf Sie
selbst zurück: Hessen, das Saarland, Niedersachsen und
Schleswig-Holstein.
({7})
Herr Bundeskanzler, es gibt eine kurze Vorberichterstattung über eine Publikation, die der so sorgsam verschwiegene eigentliche Erblasser Oskar Lafontaine im
Zusammenhang mit den Bundesfinanzen herausgibt.
({8})
Darin soll geschrieben stehen, daß der damalige Ministerpräsident von Hessen, Herr Eichel, ihn gebeten habe,
vor der hessischen Landtagswahl doch keine ernsthaften
Sparbemühungen zu zeigen. Das könne sich ja nachteilig auswirken.
Ich weiß jetzt noch nicht, ob das so publiziert werden
wird, aber es spricht vieles dafür, daß das so gewesen
sein könnte.
({9})
Wenn es so gewesen ist, dann wollen wir nicht zulassen,
daß der früheren Bundesregierung unter unserer Beteiligung der Vorwurf gemacht wird, die Finanzen verschleudert zu haben, während der eigentliche Erblasser,
der den letzten Haushalt um 6,8 Prozent gesteigert hat,
um die Wahlversprechen den Getreuen gegenüber zu erfüllen, hier völlig außen vor bleibt und Sie uns die
Schuld zuweisen. So haben wir nicht gewettet!
({10})
Sie wissen so gut wie ich, daß Sie Ihr Sparpaket ein
Sparpaket nennen und daß es guten öffentlichen Anklang findet; Sparen ist richtig. Dort, wo Sie sparen
wollen, haben wir nichts dagegen. Wir weisen aber die
deutsche Öffentlichkeit und auch viele Vertreter aus
namhaften Verbänden, die die Bundesregierung zum
Sparkurs beglückwünschen, ausdrücklich darauf hin, sie
mögen sich doch bitte das Sparprogramm genau ansehen: Zwei Drittel des Sparprogramms sind Verschiebebahnhöfe.
({11})
Das ist in etwa so, als wenn eine Familie beschließt zu
sparen und eine Anschaffung nicht vorzunehmen, der
Ehemann sagt: „Ich mache sie nicht“, aber die Ehefrau
bittet, sie zu tätigen. Sie schieben die Ausgaben des
Bundes an Länder und Gemeinden weiter. Sie schieben
anderes in das Versicherungssystem.
Uns erklären Sie hier, Sie würden zu Ihrem Kurs beglückwünscht. Sie wissen doch selbst, daß das kein
ernsthaftes Sparprogramm ist, so wie es Menschen, die
unter Sparen richtiges Sparen verstehen, begreifen wollen.
({12})
Deshalb legen Sie kein Sparprogramm vor. Wenn Sie es
vorlegen würden, müßten Sie ihm im übrigen eine klare
Steuerreform folgen lassen; erst dann macht Sparen
Sinn. Es nutzt doch nichts, nur ein Sparprogramm vorzugeben, ohne wirtschaftliche Impulse zu setzen. Deshalb leiden Sie ja so - ich kann Sie verstehen -: Sie leiden unter dem Vorwurf der mangelnden sozialen Ausgewogenheit, weil dieser Vorwurf gar nicht zutrifft. Ich
muß mich geradezu vor Sie stellen. Sie bekommen
Vorwürfe, die überhaupt nicht zutreffen.
({13})
Sie haben vorhin gegenüber der Opposition erklärt,
das, was wir in der letzten Legislaturperiode mit der
Rente gemacht hätten, sei nicht in Ordnung gewesen.
Lieber Herr Bundeskanzler, Sie sind in den Wahlkampf
gezogen, haben die Rentenreform der früheren Bundesregierung als soziale Schweinerei bezeichnet und lassen
jetzt die Rentner dafür zur Ader.
({14})
Ich kann nicht akzeptieren, daß Sie hier die Unwahrheit
sagen. Bei uns, bei der alten Koalition, war die Rentenformel immer eine Funktion des Arbeitnehmereinkommens. Sie wollen sie davon abkoppeln. Das lassen wir
nicht zu. Darum geht es zur Zeit in der Bundesrepublik
Deutschland.
({15})
Herr Bundeskanzler, Sie haben einen Wahlkampf geführt, in dem Sie den Menschen versprochen haben, es
gebe keine Zuzahlungen bei Medikamenten mehr. Sie
haben dann gemerkt, daß das nicht funktioniert, und haben die Zuzahlungen belassen. Sie haben den Menschen
erklärt, Sie wollten ein Wettbewerbssystem - Sie haben
das in Ihr gemeinsames Papier mit Tony Blair geschrieben. Jetzt reglementieren und budgetieren Sie wieder im
Gesundheitswesen.
Sie haben erklärt, daß Sie eine Flexibilisierung am
Arbeitsmarkt wollen. Sie haben die 630-MarkVerträge quasi ausgelöscht, und Sie beginnen einen
Kampf gegen die Selbständigkeit in Deutschland.
Gleichzeitig schreiben Sie, Unternehmen müßten genügend Spielraum haben und dürften nicht durch Regulierungen und Paragraphen erstickt werden. Wir können
Ihnen helfen: Legen Sie die Abschaffung der 630-MarkGesetze und der Regelungen zur Scheinselbständigkeit
hier vor! Die Opposition stimmt dann zu. Dafür gibt es
eine deutliche Mehrheit.
({16})
Sie haben vorhin davon gesprochen - und auch öfter
schon etwas dazu publiziert -, daß Sie eine Balance zwischen wirtschaftlicher Dynamik und sozialer Gerechtigkeit suchen. Sie sagen, Sie wollen den Sozialstaat modernisieren, aber nicht abschaffen. Sie wollen - wie
auch wir - aus einem sozialen Sicherheitsnetz der Ansprüche zu einem Sprungbrett der persönlichen Verantwortung kommen. Und Sie sagen einen Satz, für den Sie
mich früher als ganz üblen Neoliberalen beschimpft haben. Er lautet: Es gibt nicht nur ein moralisches Recht
auf Arbeit, sondern auch eine Pflicht zu arbeiten. Wenn
Sie den Grundsätzen, die Sie mit Tony Blair in
Deutschland publiziert haben, in der Gesetzgebung doch
nur endlich Geltung verschaffen würden! Das ist doch
alles richtig.
({17})
Dafür kritisiert Sie die Opposition nicht.
Sie haben vorhin gesagt, gelegentlich würde aus der
Gesellschaft Kritik gegen Ihre Vorhaben laut. Die Gesellschaft sitzt hier, wir sind alle versammelt. Hier werden die Vorwürfe laut.
({18})
Eine Kollegin aus Ihrer Partei hat gesagt, wenn Sie
diese Themen publizieren, würden Sie als Vertreter des
Second-Hand-Neoliberalismus kritisiert. Ich bin ein Liberaler aus erster Hand und sage Ihnen, die Kritik ist
völlig ungerecht, selten ist jemand für etwas kritisiert
worden, was er überhaupt nicht macht; denn Sie bleiben
Ihren Grundsätzen in der Gesetzgebung nicht treu. Sie
machen gar nicht das, was notwendig wäre.
({19})
Es gibt einige wenige Notwendigkeiten, die unter
vernünftigen Menschen völlig unstreitig sind.
({20})
Zu diesen Menschen hat sich im Sommer in einem bestimmten Abschnitt der Kollege Struck gesellt. Ich will
Ihnen die Notwendigkeiten nennen, weil Sie immer fordern, die Opposition müßte sagen, was sie will. Ich sage
Ihnen das jetzt ganz klar: Es muß sichergestellt werden das wissen auch Sie -, daß in einem Land, das wettbewerbsfähig werden will, Unternehmen, Arbeitnehmer
und Bürger mehr vom Ertrag ihrer Leistungen behalten.
Das ist das berühmte „mehr Netto für alle“.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen: „mehr Netto für
alle“ sei ein Ziel Ihrer Politik, dann beseitigen Sie in den
Steuergesetzentwürfen die uns bekanntgewordene Diskriminierung von Einkommensarten. „Mehr Netto für
alle“ bedeutet wirklich mehr Netto für alle,
({21})
bedeutet mehr vom Ertrag der eigenen Leistung.
Es ist sogar ein Bürgerrecht und nicht nur eine
finanzpolitische Frage, daß Menschen mehr vom Ertrag
ihrer Leistung behalten können, weil nur dann die Investitionsbereitschaft gesteigert wird und Arbeitsplätze
entstehen. Deshalb sagen wir: Wir sind jederzeit bereit,
mit Ihnen im Bundestag über Parteigrenzen hinweg eine
Steuerreform zu beschließen, die den Namen auch verdient. Wir haben dazu die Steuersätze genannt: 15 Prozent, 25 Prozent und 35 Prozent.
({22})
Herr Struck hat sie als einen Weg zu mehr Gerechtigkeit bezeichnet. Die Union hat erkennen lassen, daß sie
einem solchen Modell zustimmen könnte. Es gibt im
Deutschen Bundestag dafür eine Mehrheit. Dann machen wir es doch, dann legen Sie es vor!
({23})
Ich komme nun zu dem Thema Glaubwürdigkeit.
Sie appellieren an die Opposition, jetzt nicht die Situation auszunutzen, in der Sie große Sparanstrengungen
unternehmen, die nicht jedem zusagen. Ihr Wort hätte
höheres moralisches Gewicht, wenn Sie nicht tatenlos
zugesehen hätten, wie Oskar Lafontaine drei Jahre lang
eine vernünftige Steuerreform blockiert hat. Da haben
Sie als Ministerpräsident, kein Wort gesagt.
({24})
Mein zweiter Vorschlag: Sagen Sie den Gesprächsteilnehmern an den runden Tischen, die jetzt zu einer
Art neues Verfassungsmöbel geworden sind, daß man
nicht nur zusammensitzt, um etwas zu besprechen - ein
runder Tisch ersetzt keinen klaren Kopf -, sagen Sie den
Tarifvertragsparteien, daß die mittleren und kleinen
Unternehmen, die über 50 Prozent der Steuern in
Deutschland bezahlen, 85 Prozent der Arbeits- und Ausbildungsplätze stellen und 51 Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaften, tarifpolitische Maßanzüge und
keine Konfektionsware brauchen, daß der Flächentarif
geöffnet werden muß, weil wir Optionen brauchen, daß
der Flächentarif Ballast abwerfen und flexibler werden
muß, um betriebliche Bandbreiten zu ermöglichen.
({25})
Gehen Sie weiter auf Deregulierungs- und Privatisierungskurs. Welchen Widerstand haben wir gegen die
Telekom- und die Bahnprivatisierung erlebt! Was haben
Sie für Affentänze in der deutschen Öffentlichkeit aufgeführt, als wir bei den Energieversorgern an die Gebietsmonopole gingen! All das, was Sie unter staatlicher
Intervention verstehen, ist zutiefst verbraucherfeindlich.
Jetzt erleben die Menschen den Wettbewerb bei den
Telefonkosten,
({26})
jetzt können sie nachprüfen, daß Wettbewerb zu günstigeren Preisen führt. Jetzt erleben sie bei den Strompreisen günstigere Möglichkeiten.
({27})
Der frühere Zustand hat die Betriebe belastet.
Nein, mit Ihrer Weltanschauung, in Deutschland wäre
es besser, wenn alles öffentlich-rechtlich organisiert wäre, wenn die Post von Beamten ausgetragen würde, weil
sonst wahrscheinlich keine Post zugestellt würde, erwecken Sie den Eindruck - Sie haben ihn jahrelang erweckt -, als wäre jede Veränderungsbereitschaft von
Übel. Sie wollen heute der Kronzeuge für Veränderungsbereitschaft in Deutschland sein, stellen sich aber
hier hin und tun so, als sei die Opposition daran schuld.
({28})
Sie haben das Land mit Ihrer bemerkenswerten sozialdemokratischen Programmatik lange Zeit viel gekostet.
({29})
Herr Bundeskanzler, kommen wir doch einmal auf
die Pflicht zur Arbeit zu sprechen.
({30})
Dazu schlage ich Ihnen vor, hier ein Einvernehmen zu
finden, das auch Gerechtigkeit ausstrahlt.
({31})
Ich formuliere es ganz klar: Das Einkommen, das ein
Arbeitnehmer auf dem ersten Arbeitsmarkt erzielt, wenn
er einen Job annimmt, muß auf jeden Fall höher sein als
die staatlichen Transferleistungen, die er bei Nichtannahme eines Jobs bekommt.
({32})
Als wir das gesagt haben, haben Sie erklärt, das sei
etwas aus dem Giftschrank. Ich halte es für ein Gebot
der Gerechtigkeit in Deutschland, daß den Menschen,
die einen Job annehmen, mehr im Portemonnaie verbleibt als denen, die ihn nicht annehmen.
({33})
Ich fordere Sie auf, in Kombination mit der Reform
sozialer Sicherungssysteme mit uns über ein Lohnabstandsgebot nicht nur öffentlich zu räsonieren, sondern
es dann auch zu manifestieren.
({34})
Sie sagen öffentlich - auch vorhin wieder -, daß Sie
aus einem Sicherheitsnetz der Ansprüche ein Sprungbrett der persönlichen Verantwortung machen wollen.
Ich sage Ihnen: Das können Sie gern mit uns beraten.
Ich mache Ihnen dann aber auch den Vorschlag, die sozialen Sicherungssysteme nicht durch Ökosteuern zu finanzieren, sondern wirklich zu reformieren. Das kann
nur so gehen, daß Sie eine Pflicht zur Mindestabsicherung schaffen, aber Wahlmöglichkeiten schaffen und
Steuern senken, damit die Menschen überhaupt mehr
Möglichkeiten bekommen, über ihr Geld zu disponieren,
und daß Sie Grundrisiken abdecken, aber keine Vollkaskoversicherungsmentalität erzeugen. Diese ist tatsächlich nicht mehr finanzierbar.
Solange Sie den Menschen diese unangenehmen
Wahrheiten nicht mitteilen, solange Sie sie über eine
Ökosteuererhebung umgehen, werden Sie die Portemonnaies von Arbeitslosen, Studenten und Rentnern
stärker belasten. Sie werden die Belastungen nur für
diejenigen etwas zurücknehmen, die Arbeitsplätze haben. Sie werden aber die wirkliche Reform sozialer Sicherungssysteme weiter vor sich herschieben.
({35})
Herr Bundeskanzler, Sie sind in den Überschriften, in
den Headlines der Veröffentlichungen dessen, was geändert werden müßte, durchaus präsent, aber - das ist
mein Vorwurf - Sie tun es nicht.
({36})
Sie machen weder eine Reform der sozialen Sicherungssysteme noch eine wirkliche Steuerreform. Sie legen
auch kein wirkliches Sparprogramm vor. Dies kritisieren
wir an Ihnen. Sie erscheinen uns so bemerkenswert medienwirksam, aber ohne substantiellen politischen Hintergrund.
({37})
Wenn Sie keine substantielle Basis Ihrer Politik schaffen, werden Sie auch mit Ihrer eigenen Partei nicht zurechtkommen.
Sie sagen: Der Staat muß sich weit effektiver organisieren. Dann setzen Sie doch die Deregulierungs- und
Privatisierungsbemühungen fort! Es gibt keine Alternative, wenn der Staat sich weit effektiver organisieren
muß. Aber Ihre Gegner, die Sie bei dem, was Sie öffentlich verkünden, immer ausmachen, sitzen nicht in der
Opposition. Die Gegner, die Sie daran hindern, einen
solchen Weg zu gehen, sitzen in Ihrer eigenen Partei.
Sagen Sie doch Ihren Freunden einmal, daß ein Unternehmen Gewinne machen muß, wenn es Arbeitsplätze
schaffen will, daß Gewinne kein Teufelszeug sind,
({38})
daß nicht manche Einkommensarten diskriminiert werden können. Sagen Sie auch Ihrem grünen Koalitionspartner, daß dieses Land dann, wenn es erfolgreich sein
will, wissenschaftliche Spitze braucht,
({39})
daß es eine Elite braucht, daß es pädagogisch verantwortete Leistungsfeststellungen braucht, daß es dem
Bildungssystem nicht die Spitze nehmen kann, daß es
bereit sein muß, wissenschaftliche Neugier zuzulassen
und nicht wissenschaftliche Neugier zu begrenzen. Sagen Sie Ihrer Koalition, daß das alte Gedankenbild der
Hegemonie der 68er Bewegung weg muß, wenn
Deutschland wieder wettbewerbsfähiger sein will, denn
das ist in Ihren Reihen noch weitgehend vorhanden.
({40})
In den neuen Bundesländern hat die Koalition von
CDU/CSU und F.D.P. eine gewaltige Anstrengung unternommen. Wir haben die Infrastruktur vorangebracht.
Wir haben das Programm auf Mittelstand, Einzelhandel
und Gewerbe konzentriert. Wir haben in keinem Jahr
unserer Verantwortung Mittel gekürzt.
({41})
Wir haben eine Perspektive geboten, indem wir ein Programm bis 2004 aufgelegt haben.
Sie haben vor der Bundestagswahl erklärt, das werde
jetzt Chefsache, und somit den Eindruck erweckt, das
werde noch etwas mehr. Jetzt kommt es dagegen zu
einem Abbruch bei Verkehrsinfrastrukturvorhaben der
Schiene. Es geht nicht darum, daß jemand aus der Opposition Finanzierungssachverhalte zugesagt haben möchte, Kritik an Ihnen üben möchte, und Sie ihm vorwerfen,
man müsse auch Sparbemühungen betreiben. Nein, meine Damen und Herren, wir haben als frühere Koalition
immer erklärt: Der Aufbau Ost liegt auch im Interesse
des Westens der Bundesrepublik Deutschland. Diese
Sparbemühungen sind von Übel. Die Infrastruktur muß
vorangebracht werden, weil die Menschen Lebensperspektiven brauchen. Deshalb ist das so falsch.
({42})
Der Kollege Schäuble hat deshalb sehr differenziert vorgetragen, bei welchen Maßnahmen gespart werden muß
und wo wir beschleunigen müssen.
Es ist wahr, Herr Bundeskanzler: Sie sind deshalb in
diesen Turbulenzen, weil Sie selbst spüren, daß Ihre
eigene Glaubwürdigkeit durch den Bundestagswahlkampf, durch das sozialdemokratische Programm, durch
den Erwartungshorizont, den Sie erweckt haben - eher
gegen den Strukturwandel als zugunsten des Strukturwandels -, jetzt auf dem Prüfstand steht. Sie sind deshalb in diesen Turbulenzen, weil Sie ihre eigene Partei
nicht auf einen Kurs bringen können, der die Wettbewerbsfähigkeit für Deutschland verbessern würde. Sie
haben es gedanklich mit den Bodentruppen von Oskar
Lafontaine zu tun, die sich fast gegen jeden Strukturwandel gestellt haben.
Als CDU/CSU und F.D.P. darangingen, Verhandlungen über die Kohlesubventionen zu führen, wurde unsere Parteizentrale abgesperrt, und Oskar Lafontaine erschien mit dem bekannten Modernisierer Joseph Fischer
bei den Bergleuten und sagten ihnen - wie aus dem Geschichtsbuch des Arbeiterkampfes - zu, es solle alles so
bleiben. Was heißt diese Zusage? Subventionen, die sich
auf mehr als 100 000 DM für einen Arbeitsplatz belaufen, für Produkte, die so nicht mehr auf dem Weltmarkt
abgesetzt werden können, und die Reduzierung des Bildungshaushaltes. Treten Sie bitte hier nicht vor uns und
verweisen uns auf Sparbemühungen,
({43})
wenn Sie die Erhaltungssubventionen der Vergangenheit
weiterführen und für die Bildung nichts auf die Rampe
bekommen! Das lassen wir so in der öffentlichen Diskussion nicht stehen.
({44})
Der Kosovokonflikt hat manches überlagert und die
tatsächliche innenpolitische Lage verschleiert. Er hat,
Herr Bundesaußenminister, meiner Überzeugung nach
aber auch ein Stück Außenpolitik überlagert. Nach dem
Kosovokonflikt - so lese ich es jedenfalls in den Zeitungen - spürt man bei außenpolitischen Auftritten vor allem des Bundeskanzlers eine Art neue deutsche Schnodderigkeit.
({45})
Es ist so, wie ich es sage. Der Bundeskanzler hat in Ungarn geredet, einem Land, das für uns die Grenze geöffDr. Wolfgang Gerhardt
net hat. Das „Handelsblatt“, so lese ich, kommentiert
dies mit der Bemerkung, es sei so merkwürdig unpersönlich gewesen.
({46})
Vielleicht hänge es damit zusammen, daß der Bundeskanzler die Ereignisse vor zehn Jahren in den mittel- und
osteuropäischen Reformstaaten nur im Fernsehen erlebt
habe. Ja, auch ich habe das nur im Fernsehen gesehen.
Aber deshalb muß man doch wissen - und dies in der
persönlichen Haltung ausdrücken -, was das für uns bedeutet.
({47})
Deshalb geht es mir auch bei innenpolitischen Entscheidungen um die außenpolitischen Grundlagen. Wer
in Deutschland den mittleren und kleineren Betrieben,
dem Einzelhandel, im übrigen auch der Landwirtschaft
nicht jetzt durch zügigere Entscheidungen bei den
steuerlichen Rahmenbedingungen bessere Chancen gibt,
der wird immer eher Angst verbreiten, wenn es um die
Aufnahme anderer mittel- und osteuropäischer Reformstaaten geht. Nur wenn Sie jetzt schnell das Land in den
Bereichen, in denen man sich durch neue Wettbewerber
gefährdet sieht, stabil und wettbewerbsfähig machen,
werden Sie die neuen aufnehmen können.
({48})
Wenn Sie die Hausaufgaben nicht erledigen, müssen Sie
dauernd außenpolitische Verschiebebahnhöfe aufmachen. Dann aber werden Sie Enttäuschung bei eben denen hervorrufen, die die Vereinigung Deutschlands mit
möglich gemacht haben. Das kann man emotional überhaupt nicht vertreten.
({49})
Deshalb ist Außenpolitik nichts Abgehobenes, was
man separat von der Innen- und Finanzpolitik behandeln
könnte. Die allererste, vitale Frage im Interesse
Deutschlands bezüglich der Überwindung der alten
Grenzen in Europa ist die Anwaltschaft Deutschlands
für die Aufnahme mittel- und osteuropäischer Reformstaaten; denn es darf in Europa keine neue Mentalitätsund Wirtschaftsgrenze geben.
({50})
Wenn Sie das sehen, dann nennen Sie denen, auf die Sie
sich konzentrieren können, ein anspruchsvolles Datum.
Wenn das früh sein muß, dann machen Sie sich daran, in
Deutschland den Gruppen und Berufen, die vor diesem
Wettbewerb Angst haben, stabilere Rahmenbedingungen
zu geben, damit nicht Furcht vor der Aufnahme herrscht,
sondern die sich daraus ergebenden Chancen erkannt
werden. Da liegt der Fehler Ihrer Politik.
({51})
Sie können den Beitrittskandidaten keine Termine
nennen. Sie enttäuschen unsere Nachbarn. Sie können
im Inneren unseres Landes kein Reformprogramm
durchsetzen, weil Sie in Ihrer eigenen Partei keinen Reformwillen haben.
({52})
Sie geben in der Öffentlichkeit das Blair-Papier heraus,
machen nur Überschriften und versorgen eine Medienlandschaft. Selten ist die deutsche Politik in den inneren
Vorhaben und in den äußeren Wahrnehmungen so
schwach gewesen wie unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder.
({53})
Das ist erkennbar. Deshalb sagen wir Ihnen: Es muß gar
nicht Spitz auf Knopf zwischen Opposition und Regierung stehen. Auch wir wissen, was gesamtstaatliche
Verantwortung bedeutet. Aber wenn Sie solche Parolen
wie „Reform der sozialen Sicherungssysteme“ und des
„Mehr Netto für alle!“ ausgeben, erwarten wir eigentlich
schon, daß Sie dann auch danach handeln. Wenn Sie das
nicht tun, können Sie bei der Opposition keine Glaubwürdigkeit ernten. Das mag nicht Ihr Ziel sein. Aber Sie
merken doch leidgeprüft, welche Auswirkungen das in
der Öffentlichkeit hat.
Die CDU könnte Ihre gesamten Abgeordneten auf die
Malediven fliegen. Sie gewinnt gegenwärtig die Wahlen, weil Sie nicht in der Lage sind - ich weiß, auch ich
bin leidgeprüft -, Menschen zu vermitteln, welche politischen Ziele Sie überhaupt verfolgen. Ich glaube, sie
gewinnt die Wahlen, weil die Menschen tief enttäuscht
sind, denn sie fragen sich: Was hat uns der Kanzler
eigentlich alles versprochen, und warum hält er das
heute nicht? Dieses Defizit lösen Sie nicht durch Reden
im Bundestag, sondern durch Veränderung Ihrer Politik.
Sie müssen eine neue Politik machen! Sie sind zwar
Vorsitzender der SPD - damit haben Sie genug zu tun -,
aber Sie haben Verantwortung für Deutschland. Darum
geht es.
({54})
Nun erteile ich der
Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Herr Schäuble, Sie haben sehr viel von möglicher Zusammenarbeit geredet. Wenn ich aber darüber nachdenke, was Sie heute gesagt haben, dann finde ich, daß die
Angebote der Zusammenarbeit, von denen so viel gesprochen wird, nichts als reine Lippenbekenntnisse sind.
Denn Sie haben keinen einzigen konstruktiven Vorschlag zum Sparen gemacht.
({0})
Sie haben keine einzige Alternative vorgestellt. Daraus
schließe ich: Sie wollen das fortsetzen, was Sie 16 Jahre
lange gemacht haben und womit Sie gescheitert sind.
Das ist aus unserer Sicht kein Weg zur Modernisierung
dieses Landes. Deshalb sind diese Angebote zur Zusammenarbeit auch nicht wirklich seriös.
({1})
Die rotgrüne Bundesregierung hat mit dem Zukunftsprogramm 2000 das größte Reformpaket in der Geschichte der Bundesrepublik vorgelegt. Nach Jahrzehnten der Mißwirtschaft schlagen wir damit endlich einen
strikten Kurs der Konsolidierung des Haushaltes ein.
Dieser Kurs ist notwendig, weil - auch ich kann Ihnen,
meine Damen und Herren von der Opposition, das
nicht ersparen; man kann es aber auch nicht oft genug
sagen - Sie nach 16 Jahren Regierung ein Schuldenchaos hinterlassen haben, das ohne Beispiel ist. Sie haben
den Schuldenberg verfünffacht: von 300 Milliarden DM
im Jahre 1982 auf jetzt 1,5 Billionen DM. Diese Zahlen
lassen sich auch durch noch so viele Rechenkünste - sei
es heute, sei es gestern von Herrn Merz - nicht schönreden.
Heute werden jährlich 82 Milliarden DM und damit
jede vierte Steuermark für Zinsen ausgegeben. Dies ist
inzwischen nach den Sozialausgaben der zweitgrößte
Ausgabenblock im Bundeshaushalt. Das heißt: Jeder
Mensch in diesem Land, vom Kind bis zur Großmutter,
muß dafür im Schnitt jährlich rund 1 000 DM Steuern
zahlen.
Deshalb bin ich der Meinung: Ihre Politik ist dafür
verantwortlich, daß dieses Geld eben nicht für Bildung,
nicht für Forschung, nicht für Umweltinvestitionen und
nicht für Sozialausgaben zur Verfügung steht, sondern
ohne Umwege auf den Konten der Banken landet. Keine
Regierung hat je zuvor derart auf Kosten künftiger Generationen gewirtschaftet wie Ihre, meine Damen und
Herren von der Opposition.
({2})
Wenn wir so weitermachen würden, wie Sie es in den
vergangen Jahren gemacht haben, dann hätte der Bund
innerhalb kürzester Zeit keinerlei Handlungs- und Gestaltungsspielräume mehr. Das ist auch eine Frage der
sozialen Gerechtigkeit; denn Sie alle wissen, daß 45
Prozent der Staatsausgaben Sozialausgaben sind. Was
heißt es denn, wenn wir einen überschuldeten und damit
einen zunehmend finanziell handlungsunfähigen Staat
bekommen? Einen armen Staat können sich nur Reiche
leisten; denn sie sind diejenigen, die zur Not mit einem
Staat, der sich im Schuldenchaos befindet, zurechtkommen. Die Menschen aber, die ein starkes soziales Netz
brauchen und auf einen aktiven Staat angewiesen sind,
brauchen eine entschlossene Bundesregierung, die den
Bundeshaushalt konsequent konsolidiert.
({3})
Es gibt nichts Unsozialeres als einen hochverschuldeten
Staat.
({4})
Natürlich bedeutet ein solcher Kurs auch, daß es in
vielen Bereichen schmerzhafte Eingriffe gibt. Diese
Eingriffe, ob es sich dabei um die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, um die Kürzung in der Alterssicherung der Landwirte oder um die Kürzung der
Rentenansprüche von Langzeitarbeitslosen handelt,
sollte man nicht schönreden. Ich frage mich aber: Was
ist die Alternative? Weiter unbegrenzt Schulden zu machen wäre im Moment vielleicht bequemer, wie man an
den Wahlergebnissen sieht. Aber das wäre zutiefst unsozial.
Daher gilt: Wir können so nicht weitermachen; wir
müssen den Haushalt Schritt für Schritt konsolidieren.
Wir dürfen nicht weiter auf Kosten künftiger Generationen leben, und wir müssen endlich eine nachhaltige Finanzpolitik machen. Das ist für uns Bündnisgrüne auch
eine Frage der Generationengerechtigkeit.
({5})
Eine Frage der Generationengerechtigkeit ist es für
uns auch, endlich eine umfassende Rentenstrukturreform
einzuleiten. Was haben wir in diesem Zusammenhang
in den letzten Monaten von Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, nicht alles zum Thema Renten gehört! Das ist wirklich abenteuerlich; Sie
sollten es eigentlich besser wissen. So wie bisher
kann es mit der Rente nicht weitergehen, weil auf Dauer
die steigenden Kosten auf Grund der gestiegenen Alterserwartung und damit einem größeren Anteil alter
Menschen in der Bevölkerung - heute kommen auf
einen Rentner noch fast drei Erwerbstätige, in 30 Jahren aber nur noch anderthalb - nicht einseitig den
nachkommenden Generationen aufgebürdet werden
können,
({6})
weil sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt, die wir
verbessern werden, nicht von einem Tag auf den anderen ändern läßt, kurzum: weil das System - diese Tatsache muß man offen diskutieren - zusammenbrechen
würde, wenn wir es nicht endlich umfassend reformieren.
({7})
Als Sie noch in der Regierung saßen, waren Ihnen
diese Tatsachen bekannt. Jetzt in der Opposition tun Sie
aber in Ihren Kampagnen so, als ob eine räuberische
Bundesregierung der Oma ihre Rente klauen wolle. In
diesem Zusammenhang kann ich Herrn Schäuble genauso ansprechen wie Sie, Herr Gysi. Ich finde wirklich,
daß das eine Volksverdummung im großen Stil ist.
({8})
Stellen Sie sich doch endlich den Tatsachen! Diese Tatsachen heißen: Wir brauchen endlich einen neuen Generationenvertrag, der die Beiträge stabilisiert und der die
Kerstin Müller ({9})
Renten, nicht nur die Rente der Großmutter, sondern
auch die ihrer Kinder und Enkel, dauerhaft sichert.
Die Tageszeitung „Die Welt“ hat Ihnen, Herr Schäuble, unlängst ins Stammbuch geschrieben - diese Zeitung ist nicht verdächtig, rotgrün-nah zu sein -:
Ohne rasches und konsequentes Gegensteuern wird
das Rentensystem kollabieren. Die führenden Köpfe der Union, Parteichef Schäuble zumal, wissen
um diese Dringlichkeit. Doch um des kurzfristigen
Vorteils willen gerieren sie sich als Hüter des Besitzstands.
({10})
Kurzum: Sie handeln noch immer nach dem Motto
„Nach mir die Sintflut“. So haben Sie fast 16 Jahre lang
regiert und damit das Vertrauen der jungen Generation
in die solidarische Rentenversicherung fast völlig zerstört. Jetzt setzen Sie diese Politik und damit auch die
Verunsicherung der Menschen fort.
Und vor allem, Herr Schäuble, Sie schreiben in Ihrer
Antwort auf die zitierten Vorwürfe:
Die Renten sollen weiterhin steigen, allerdings in
geringerem Maße als in früheren Jahren.
Was war denn in den vergangenen Jahren? Die Rentensteigerungen in den Jahren zwischen 1982 und 1998 lagen achtmal deutlich unterhalb der Inflationsrate.
({11})
In den vergangenen vier Jahren gab es für die Rentnerinnen und Rentner jeweils weniger als den Inflationsausgleich. Wenn wir jetzt die Renten in den nächsten
zwei Jahren entsprechend der Preissteigerungsrate anheben, dann bedeutet dies doch keine Kürzung der Renten,
wie Sie ständig behaupten, sondern die Sicherung des
Lebensstandards der Rentnerinnen und Rentner.
({12})
Sie kommen immer mit dem Argument - auch heute
wieder -: Die Preise sind eben in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als die Nettolöhne. Als ob dies
vom Himmel gefallen wäre, als ob die CDU/CSURegierung damit nichts zutun gehabt hätte! Wer war
denn dafür verantwortlich, daß die steigenden Lohnnebenkosten die Bruttolohnerhöhungen jedes Jahr aufgefressen haben?
({13})
Und wer sorgt jetzt dafür, daß die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt werden, also die Nettolöhne steigen?
({14})
Das macht die rotgrüne Bundesregierung. Sie haben davon in den letzten Jahren allenfalls geredet, geschafft
haben Sie es nicht. Deshalb machen wir es jetzt.
({15})
Wir werden auch eine umfassende Rentenstrukturreform einleiten. Wir, Bündnis 90/Die Grünen - das
muß ich einmal sagen -, haben diese Reform bereits gefordert, als Sozialpolitiker aller anderen Parteien im
Chor mit Norbert Blüm noch fest im Glauben gerufen
haben: „Die Rente ist sicher.“ Das war schon damals
Unsinn.
Wir brauchen eine Rentenstrukturreform, die diesen
Namen wirklich verdient, die den Generationenvertrag
neu begründet. Im Rahmen dieses Generationenvertrages müssen alle ihren Beitrag leisten, nicht nur die jetzigen Beitragszahler, sondern auch die jetzige Rentnergeneration. Der für die nächsten zwei Jahre vorgesehene
Rentenanstieg um die Preissteigerungsrate ist deshalb
ein erster, absolut notwendiger Schritt. Aber wenn wir
die Renten dauerhaft sichern wollen, wenn wir die Beiträge stabil halten wollen, dann muß noch einiges hinzukommen.
Wir Grünen haben dazu bereits einige konkrete Vorschläge gemacht: Erstens. Wir müssen die Renten armutsfest machen, indem wir ergänzend zur Rentenversicherung eine bedarfsorientierte Grundsicherung einführen. Dann nämlich - das will ich hier sehr deutlich sagen
- wird niemand im Alter zum Sozialamt gehen müssen.
Jeder soll vor Armut im Alter geschützt sein.
({16})
Zweitens. Wir wollen steuerliche Anreize zum Aufbau einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge schaffen,
zunächst einmal auf freiwilliger Basis.
Drittens. Wir müssen durch eine Reform der Hinterbliebenenrente endlich eine eigenständige Alterssicherung für Frauen erreichen.
({17})
Viertens - so schlagen wir Grünen vor - sollen nach
dem Jahr 2001 zusätzliche Leistungen des Staates für
Kinder und Familien nicht mehr bei der Rentensteigerung berücksichtigt werden. Nur so steht das Geld wirklich den Familien zur Verfügung.
Eines will ich in dieser Debatte noch ansprechen:
Lassen Sie uns doch endlich eine ehrliche und offene
Debatte über das zukünftige Rentenniveau führen!
Vielleicht ist dies nach den Wahlen im Oktober möglich.
Lassen Sie uns endlich ehrlich darüber reden, welches
Rentenniveau sozial erforderlich ist, vor Armut schützt
und dauerhaft finanziert werden kann! Lassen Sie uns
nicht weiter diese vernebelnden Ersatzdebatten der letzten Monate führen, die nur zur Verunsicherung der
Wählerinnen und Wähler führen und nicht dazu beitragen, den Generationenvertrag neu zu begründen!
({18})
Wenn wir schon über die Rentenbeiträge sprechen:
Sie von der Opposition haben über Jahre hinweg die hohen Lohnnebenkosten beklagt. Aber was haben Sie erreicht? Sie mußten in der letzten Legislaturperiode - das
war das Ergebnis im Vermittlungsausschuß - sogar die
Kerstin Müller ({19})
Mehrwertsteuer anheben, um den Rentenbeitrag zu stabilisieren, nicht etwa, um ihn zu senken. Wir haben dagegen mit der ökologischen Steuerreform gleich zwei
sinnvolle Ziele gleichzeitig erreicht: Wir senken den
Rentenversicherungsbeitrag um insgesamt 1,8 Prozentpunkte, und gleichzeitig schaffen wir durch einen sehr
maßvollen, aber stetigen Anstieg der Mineralölsteuer
und der Strompreise Anreize, Energie einzusparen. Mit
der steuerlichen Gleichstellung von hocheffizienten Gasund Dampfkraftwerken schaffen wir zudem die Voraussetzungen für Neuinvestitionen in diese ökologisch
sinnvolle Energietechnologie. Sie wissen, wir Grüne wären bei den Beträgen gern etwas mutiger herangegangen.
Dennoch bleibt es ein wichtiger Erfolg unserer Politik,
das ökologische Prinzip im deutschen Steuersystem verankert zu haben. Wir erreichen damit Berechenbarkeit
für die Wirtschaft und für die Verbraucher; das ist ein
Erfolg.
({20})
Diese Regierung ist angetreten, die Gerechtigkeitslücken, die die alte Regierung hinterlassen hat, Schritt
für Schritt zu schließen. Deshalb finde ich es auch völlig
in Ordnung, wenn gerade die rotgrüne Bundesregierung
hier ganz besonders scharf beobachtet wird. Ungerechtigkeiten gab es nach 16 Jahren mehr als zahlreich: die
zwischen sozial Schwachen und Besserverdienenden,
die zwischen den Familien mit und denen ohne Kinder,
die zwischen den Generationen, und vor allen Dingen
gab es ein zutiefst ungerechtes Steuersystem. Wir machen jetzt genau das, was wir versprochen haben: Wir
schließen diese Gerechtigkeitslücken. Das beginnt mit
den Entscheidungen vom letzten Jahr. Das wird immer
wieder in der Diskussion außer acht gelassen. Ich nenne
nur die Stichworte: Wir haben den Kündigungsschutz
wiederhergestellt; wir haben die Lohnfortzahlung wiederhergestellt; wir haben die Zuzahlungen bei Medikamenten gesenkt; wir haben mit JUMP ein außerordentlich erfolgreiches Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt, das trotz des Sparzwangs weitergeführt
wird.
({21})
Dieses Programm wollen Sie, so las ich es neulich von
Frau Merkel, am liebsten streichen. Erklären Sie das
doch den fast 180 000 Jugendlichen, die über dieses
Programm endlich einen Arbeitsplatz und einen Ausbildungsplatz gefunden haben, denen wir ermöglicht haben, daß sie in den Arbeitsmarkt einsteigen! Es ist ein
großer Erfolg.
({22})
Wir verstetigen die aktive Arbeitsmarktpolitik
weiter auf hohem Niveau. Wir machen das nicht so, wie
es Herr Waigel und Herr Blüm früher immer gemacht haben. Sie haben kurz vor Wahlen ein paar Milliarden in AB-Maßnahmen gepumpt, um die Statistik
schönzufärben, und haben nach den Wahlen die Mittel
drastisch nach unten gefahren. Das ist die Politik, mit
der Sie gescheitert sind, und die wird es mit uns nicht
geben.
({23})
Schließlich, meine Damen und Herren von der Opposition, sind Sie auch in der Familienpolitik gescheitert.
Unter Ihrer Regierung ist es ein massives Armutsrisiko
geworden, Kinder zu bekommen. Wir haben das Kindergeld angehoben, zunächst um 30 DM, jetzt noch
einmal um 20 DM. Das allein bringt den Familien pro
Kind im Jahr 600 DM mehr in die Kasse. Der Kinderfreibetrag wird durch einen Kinderbetreuungsfreibetrag
von 3 000 DM für alle Kinder bis 16 Jahre auf dann
10 000 DM angehoben. Insgesamt wird am Ende der
Legislaturperiode eine Familie mit zwei Kindern und einem Einkommen von durchschnittlich 60 000 DM rund
3 000 DM mehr im Jahr haben. Das ist eine Entlastung;
das ist Politik für die Familien.
({24})
Natürlich sind damit noch nicht alle Probleme gelöst.
Es bleibt das Problem, daß die Kindergelderhöhung bei
Sozialhilfeempfängern nicht ankommt. Deshalb werden
wir Bündnisgrüne in der Koalition darauf drängen, daß
auch die Sozialhilfe für Kinder
({25})
- hören Sie zu! - entsprechend angehoben wird. Denn
für uns Grüne gilt nach wie vor der Grundsatz: Jedes
Kind ist uns gleich viel wert. Deshalb ist es ungerecht,
wenn die Erhöhung des Kindergeldes bei den Schwächsten der Gesellschaft nicht ankommt.
({26})
Mit unserer Einkommensteuerreform entlasten wir
systematisch untere und mittlere Einkommen. Wir heben
das steuerfreie Existenzminimum in zwei Schritten auf
14 000 DM an. Wir senken die Steuersätze, den Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent auf 19,9 Prozent, also
in drei Jahren um insgesamt sechs Prozentpunkte. Das
hat es in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Der
durchschnittliche Nettolohn einer Arbeitnehmerin oder
eines Arbeitnehmers steigt in diesem Jahr um rund 1 150
DM. Davon haben Sie, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU, glaube ich, jahrelang noch nicht einmal
zu träumen gewagt. Sie haben es nicht geschafft, und
zwar aus einem einzigen Grund, auf den ich hier deutlich hinweisen möchte:
({27})
Sie waren nicht in der Lage, die Gegenfinanzierung der
Entlastungen für Arbeitnehmer zu sichern, weil Sie den
verschiedensten Lobbygruppen nicht weh tun wollten.
Diese Politik war viel bequemer. Aber wenn man dieses
Land nach vorne bringen will, wenn man die ökologische und soziale Modernisierung durchsetzen will und
wenn man mehr Gerechtigkeit schaffen will, dann kann
man es eben nicht allen recht machen.
Kerstin Müller ({28})
Wir schließen Steuerschlupflöcher, von denen bislang
nur die Besserverdienenden profitiert haben, und zwar in
Höhe von 22 Milliarden DM. Wir haben Abschreibungsmöglichkeiten und steuerfreie Rückstellungen
massiv beschränkt. Wir passen das Bilanzrecht dem europäischen Standard an. Dadurch erweitern wir die Bemessungsgrundlage in Höhe von 36 Milliarden DM, die
zu zwei Dritteln von Großverdienern und Konzernen finanziert werden. Dadurch konnten wir die Steuersätze
- oben wie unten - senken.
({29})
Zu einer solchen Einkommensteuerreform waren Sie 16
Jahre lang nicht in der Lage. Wir schaffen mit diesen
Maßnahmen mehr Transparenz, aber auch mehr soziale
Gerechtigkeit.
({30})
Herr Gysi, ein Wort zu Ihnen. Der Brachialmoralismus, mit dem Sie in den vergangenen Tagen hier immer
wieder aufgetreten sind, ist deshalb völlig unangebracht.
Sie wollen meiner Meinung nach nur davon ablenken,
daß Sie selbst keine realistischen Konzepte zur Lösung
der Probleme haben. Wenn Sie zum Beispiel wie in der
letzten Woche eine Vermögensteuer nach amerikanischem Vorbild fordern, muß ich Sie fragen: Fordern Sie
dann auch amerikanische Einkommensteuersätze?
Äußern Sie sich doch einmal dazu! Deutschland hat
doch ein völlig anderes Einkommensteuersystem als die
USA.
({31})
Sie wissen doch genau - das ist doch keine Frage der
Moral -, daß es bei einem Spitzensteuersatz von bislang
über 50 Prozent - wir werden ihn ja senken - verfassungsrechtliche Probleme mit einer Vermögensteuer
gibt.
({32})
Noch etwas, Herr Gysi. Wenn Sie privates Vermögen
hätten - das weiß ich ja nicht so genau; nur einmal angenommen - und die private Vermögensteuer würde
wieder eingeführt: Was meinen Sie, wie schnell Sie eine
GmbH gegründet hätten? Dafür benötigt man heute nur
noch 48 Stunden. Deshalb ist es ziemlich billig, wenn
Sie sich hier hinstellen und den Robin Hood mimen,
aber keine konkreten Vorschläge machen, die man umsetzen kann.
({33})
Um mehr Steuergerechtigkeit und um mehr Transparenz geht es auch bei der geplanten Unternehmensteuerreform. Auf folgendes möchte ich sehr deutlich hinweisen: Unser Ziel ist die Entlastung der kleinen und
mittleren Unternehmen - das fordern die Grünen schon
seit Jahren -; denn dies sind die Unternehmen, die überhaupt noch Arbeitsplätze schaffen und die nicht eben
einmal ihren Sitz ins Ausland verlagern können. Wir
wollen, daß Konzerne, die in den letzten Jahren überhaupt keine Steuern mehr an den Bund gezahlt haben,
und das, obwohl sie Milliardengewinne gemacht haben,
auch wieder ihren Teil der Steuerlast tragen. Wir wollen,
daß Gewinne, die in den Unternehmen verbleiben und die
investiert werden, im Vergleich zu ausgeschütteten Gewinnen steuerlich bevorzugt werden. Zugleich müssen
wir zur Finanzierung der Senkung der Steuersätze weitere
Steuersubventionen und direkte Subventionen abbauen.
Das hat mit sozialer Schieflage nichts, aber auch gar
nichts zu tun. Auch hier geht es um mehr Gerechtigkeit,
in diesem Fall um mehr Wettbewerbsgerechtigkeit. Das
ist das Ziel der Unternehmensteuerreform. Dafür werden
wir Grüne uns in der Koalition stark machen.
({34})
Ich habe deutlich gemacht, warum ich der Überzeugung bin, daß der Vorwurf einer sozialen Schieflage, die
angeblich durch das Zukunftsprogramm 2000 der rotgrünen Bundesregierung entsteht, absolut ungerechtfertigt ist. Allerdings möchte ich nicht so tun, als ob das
Sparpaket keine Härten enthielte. Aber es ist auf Grund
der Verschuldung einfach nicht möglich, den Bundeshaushalt massiv zurückzuschneiden, ohne jemandem
weh zu tun.
In allen Bereichen der Gesellschaft sind Menschen
von den Sparmaßnahmen schmerzhaft betroffen. Wir
verlangen viel, wenn wir die Rentenbeiträge von Langzeitarbeitslosen an den tatsächlichen Betrag der
Arbeitslosenhilfe angleichen und damit die Rentenansprüche der Betroffenen verringern. Doch wir werden
die Betroffenen durch die Grundsicherung vor Armut
schützen. Wir schaffen die originäre Arbeitslosenhilfe
nicht gerne ab. Es macht auch keinen Spaß - auch das
will ich deutlich sagen -, Goethe-Institute und Botschaften schließen zu müssen, weil wir wissen, daß dort
eine wirklich wichtige Arbeit für die Verständigung der
Völker geleistet wird.
Im einzelnen wird es im parlamentarischen Verfahren
Veränderungen geben. Wir wollen zum Beispiel die
Mittel für die zivile Konfliktvermeidung anheben. Auch
das ist klar: Wir sind jederzeit zu Gesprächen mit den
Ländern bereit. Auch im Bundesrat wird es Veränderungen geben, das bringt der Föderalismus nun einmal mit
sich. Eines will ich hier aber sehr deutlich sagen: Wenn
wir die Gestaltungsfähigkeit zurückgewinnen wollen,
wenn wir wieder mehr Generationengerechtigkeit schaffen wollen, wenn wir den Sozialstaat langfristig erhalten
wollen, dann müssen wir die sozialen Sicherungssysteme reformieren, und darüber hinaus müssen wir konsequent sparen. An diesem Kurs führt bei allen Gesprächen kein Weg vorbei.
({35})
Ich will für meine Fraktion noch einmal klarstellen:
Es wird kein Ministerium geben, daß sich aus der gemeinsamen Kraftanstrengung verabschieden kann. Das
gilt auch für das Verteidigungsministerium.
({36})
Kerstin Müller ({37})
Wir sind uns durchaus bewußt: Die Sparvorgaben für
die nächsten Jahre bedeuten, daß die Struktur der Bundeswehr grundsätzlich überdacht und reformiert werden
muß. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
hieran wollen Sie wohl überhaupt nicht gehen. Wie auch
in anderen Bereichen verlangen Sie für die Bundeswehr
noch mehr Mittel.
Auf eines können Sie sich verlassen: Das wird es mit
den Grünen nicht geben. Ich will begründen, warum.
Die Glaubwürdigkeit dieser Regierung wird vor allem
davon abhängen, ob es gelingt, die Belastungen auf alle
Schultern gleichermaßen zu verteilen.
({38})
Deshalb müssen alle Ministerien ihre Sparanstrengungen
erbringen.
Auch wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, im Moment scheinbar Oberwasser haben: Wenn es uns gelingt, die Belastungen auf alle
Schultern gleichermaßen zu verteilen, dann habe ich vor
dem Wettbewerb um die besten Konzepte keine Angst.
Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten
deutlich machen: Diese Regierung schafft mit diesem
Programm mehr Gerechtigkeit, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Generationengerechtigkeit und mehr Wettbewerbsgerechtigkeit in der Wirtschaft. Wir schaffen die
ökologische und soziale Modernisierung, die dieses
Land dringend braucht. Das wird neue und zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen lassen und die Menschen
im Land überzeugen. Darin bin ich mir sicher.
Vielen Dank.
({39})
Das Wort hat nun
der Kollege Dr. Gysi, PDS-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte findet eher
zufällig etwa ein Jahr nach Antritt der Bundesregierung
statt. Insofern bietet es sich an, über das gesamte Jahr
der Politik der Bundesregierung zu diskutieren. Ich finde, eine differenzierte Bewertung ist angebracht.
Der Start dieser neuen Bundesregierung war zumindest nach meiner Auffassung gar nicht so schlecht.
Handwerkliche Mängel kann man ebenso wie die Tatsache nachsehen, daß zunächst zuviel auf einmal versucht
wurde. Aber die SPD war 16 Jahre lang nicht in der Regierung, die Grünen waren es noch gar nicht. Ein gewisses Nachsehen ist daher durchaus angebracht.
Im Dezember 1998 wurde tatsächlich eine Reihe von
Gesetzentwürfen verabschiedet, denen wir zugestimmt
haben, weil sie grobe soziale Ungerechtigkeiten, die die
alte Bundesregierung hinterlassen hatte, korrigierten. Ich
nenne die Reduzierung der Zuzahlung bei Medikamenten, die Erweiterung des Kündigungsschutzes, die Wiederherstellung der hundertprozentigen Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall, die Aussetzung der Senkung des
Rentenniveaus und auch die Erhöhung des Kindergeldes, wobei hier die soziale Schieflage schon war und
wahrscheinlich auch zum 1. Januar 2000 wieder sein
wird, daß der Sozialhilfeempfängerin diese Kindergelderhöhung gleich wieder abgezogen wird, während ich
sie netto und ohne jeden Abzug ausbezahlt bekomme.
Die PDS-Bundestagsfraktion hat dazu einen Antrag
gestellt, über den wir in der nächsten Woche hier im
Bundestag diskutieren werden. Da Frau Müller bei Frau
Christiansen zu mir gesagt hat, wir sollten einen Antrag
stellen, dem sie dann zustimmen werde, bin ich sehr gespannt, ob sie in der nächsten Woche tatsächlich zustimmen wird.
({0})
- Sie sind mein Zeuge, Herr Gerhardt; Sie waren dabei.
({1})
Die Arbeit der Regierung fing also ganz gut an. Aber
von Anfang an hatte ich das Gefühl, Herr Bundeskanzler, als seien diese Gesetze nicht ganz nach Ihrem Geschmack. Mir fiel zumindest auf, daß Sie zum Beispiel
im Hessen-Wahlkampf überhaupt nicht mit diesen Gesetzen powerten und keinen Versuch unternommen haben, mit ihnen den Wahlkampf zu gewinnen. Ich habe
Sie wohl auch richtig verstanden, daß Sie inzwischen
einiges an diesen Gesetzen kritisiert haben.
Im März 1999 kam es zu einem Bruch in der Politik
der Bundesregierung. Das hing nicht ganz zufällig mit
dem Rückzug von Oskar Lafontaine zusammen, ohne
daß ich das jetzt im einzelnen bewerten will. Aber seitdem ergibt ein Vergleich zwischen Wahlversprechen
und den Realitäten der Bundespolitik ein völlig anderes
Bild.
({2})
Wegen meiner begrenzten Redezeit kann ich mich
nur kurz zur Außenpolitik äußern. Sie wissen, die PDSFraktion hat damals ungeheuer bedauert und kritisiert,
daß gerade eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung uns in den ersten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg nach 1945 geführt hat. Ich weise nur darauf
hin, daß das die Gesellschaft in Deutschland und in Europa, aber auch weltweit verändert hat, wenn ich an die
Demütigung Rußlands und der UNO denke. Wir haben
es weltweit erneut mit einem Aufrüstungsprozeß zu tun,
Krieg ist zum Mittel der Politik geworden, und die Menschenrechtslage im Kosovo hat sich nicht wesentlich
verbessert. Das ist das traurige Ergebnis.
An dem Sparpaket ist unehrlich, daß von der Bundesregierung nicht wenigstens einmal gesagt wird, was dieser Krieg eigentlich kostete, was die Stationierung kostet, was der Wiederaufbau kostet. All dies hat ja wohl
auch finanzielle Folgen für die Politik der Bundesregierung.
Aber vor allem erinnere ich mich daran, daß der
Außenminister Fischer als Oppositionspolitiker immer
Kerstin Müller ({3})
gesagt hat, Kern und Maßstab jeder Außenpolitik müsse
die Menschenrechtsfrage sein. Im Hinblick darauf hat
er Außenminister Kinkel ständig gescholten. Ich kann
nicht feststellen, daß sich durch seine Politik im Verhältnis zur Türkei, zum Iran oder zu anderen Ländern
etwas Wesentliches in der Menschenrechtslage in diesen
Ländern geändert hätte.
({4})
Besonders unglaubwürdig ist für mich der gesamte
Schacher um die Frage der Entschädigung der noch
wenigen überlebenden Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter. Wäre es denn von einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung wirklich zuviel
verlangt, sich einmal in erster Linie auf die Seite der
ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
und nicht auf die Seite der Firmen zu stellen, die mit deren Ausbeutung damals ihren Profit gemacht haben?
({5})
Wirklich enttäuscht war ich - ich hätte das nicht geglaubt und bitte die Grünen, darüber einmal nachzudenken - darüber, daß Bundesaußenminister Fischer einen
Brief an ein amerikanisches Gericht geschrieben hat, vor
dem die Klage von ehemaligen Getto- und KZ-Insassen
verhandelt wurde, denen Schmuck und Gold und nach
ihrer Ermordung auch das Zahngold weggenommen
wurde. Das alles ging an eine Firma Degussa, die es
noch heute gibt. Sie haben gefordert, daß sie eine Entschädigung dafür bekommen. Hätte er doch wenigstens
geschwiegen! Aber er hat an dieses Gericht geschrieben,
daß die arme Firma Degussa von den Nazis gezwungen
worden sei, das Gold abzunehmen, und deshalb bitte er
im Namen der Bundesrepublik Deutschland darum, die
Klage abzuweisen. Das ist erstens falsch: Degussa hat
damals um diese Aufträge geradezu gekämpft. Zweitens
ist es für einen Außenminister mit dieser Biographie ein
Skandal, sich so auf die Seite des damaligen Nutznießers
dieser Sklaverei und nicht auf die Seite der damaligen
Opfer zu stellen.
({6})
Was glauben Sie, was in Ihrer grünen Fraktion los gewesen wäre, wenn ein Außenminister Kinkel einen solchen Brief geschrieben hätte? Heute aber schweigen Sie
dazu.
({7})
Sie haben übrigens erklärt, daß Sie im Unterschied
zur alten Bundesregierung nicht länger Flüchtlinge, sondern Fluchtursachen bekämpfen wollen. Aber ich stelle
fest, daß der Entwicklungshilfefonds drastisch reduziert
wird und daß sich die Lage der Flüchtlinge nicht verbessert hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte natürlich auch
noch auf andere Politikfelder zu sprechen kommen.
Eben hat Frau Müller davon gesprochen, daß man mit
dem ökologischen Umbau begonnen hätte. Sie haben
vor der Wahl viele grüne Versprechen abgegeben. Ich
erinnere an den Atomausstieg, der jetzt wohl auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden ist. Was Ihre ökologische Steuerreform betrifft - aber werte Frau
Müller: Wenn Sie eine Energiesteuer einführen, an der
Sie die Industrie faktisch nicht beteiligen, was glauben
Sie denn, was Sie da für Energiespareffekte erreichen?
({8})
Dadurch, daß die Sozialhilfeempfängerin eine Glühbirne
aus der Lampe schraubt, können Sie Energieeinsparungen in Deutschland nicht erreichen. Das ist eher eine
groteske Vorstellung.
({9})
Was ich in diesem Zusammenhang am schärfsten
kritisiere, ist die Tatsache - ich wiederhole es -, daß der
Bundestag getäuscht worden ist. Als die ökologische
Steuerreform in ihrer ersten Stufe hier beschlossen wurde, haben wir kritisiert, daß Arbeitslose sowie Rentnerinnen und Rentner diesbezüglich voll zur Kasse gebeten
würden. Da hat die Regierung gesagt, das stimme nicht.
Ihre Begründung war folgende: Da die Einnahmen verwendet würden, um die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu senken, steige der Nettolohn, und da
im nächsten Jahr Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe
und Renten an diese steigenden Nettolöhne angepaßt
würden, bekämen Rentnerinnen und Rentner sowie Arbeitslose sozusagen einen Ausgleich. Unter diesen Bedingungen hat der Bundestag die Ökosteuerreform beschlossen. Einen Monat später stellt sich Ihre Regierung,
Herr Bundeskanzler, hin und sagt: Die Nettolohnanpassung fällt aus. - Damit ist der Bundestag bei der Annahme der Ökosteuerreform getäuscht worden.
({10})
Wenn er etwas auf sich hielte, würde er die Reform wieder aufheben, weil unter falschen Voraussetzungen ein
Gesetz beschlossen wurde. Das wäre das mindeste.
({11})
Sie wissen natürlich auch: Die ökologischen Wirkungen sind gering. Das ist im Grunde genommen nichts
anderes als eine zusätzliche Steuer, um bestimmte Einnahmen zu sichern. Das ist alles.
({12})
- Dazu sage ich Ihnen noch etwas anderes. Wenn man
das Autofahren immer teurer macht - darüber kann man
ja diskutieren, denn die Staus sind ein Problem, der
CO2-Ausstoß ist ein Problem, und Naturverbrauch hat
seinen Preis -, dann, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition, muß man den Menschen auch eine
Alternative bieten. Dann müßten wir einen öffentlichen
Personennah- und -fernverkehr haben, der komfortabel
ist und regelmäßig zur Verfügung steht, auch wenn er
sich nicht rechnet, der sicher ist, das heißt wieder über
Personal verfügt, das dafür sorgt, daß man dort nicht
überfallen wird, und der darüber hinaus extrem preisgünstig ist. Dann haben Sie eine Alternative geboten.
({13})
Aber Sie machen eine Ökosteuerreform, durch die
Busse und Bahnen sogar noch teurer werden. Wo bleibt
denn da die Alternative? Natürlich können wir auch den
Preis für einen Liter Benzin irgendwann auf 5 DM erhöDr. Gregor Gysi
hen. Dann fahren wir hier alle weiter, und die anderen
bleiben zu Hause. Auch das ist eine Möglichkeit zur
Stauauflösung, aber eine, die die PDS nicht mitmacht,
weil das über soziale Ausgrenzung läuft.
({14})
Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, der Aufbau
Ost werde zur Chefsache. Manchmal haben Sie wenig
Zeit; das will ich akzeptieren. Deswegen liegt die Sache
etwas darnieder.
({15})
Sie können doch nicht leugnen, daß im Sparpaket gerade
Mittel für den Strukturaufbau im Osten, für Forschung
und anderes mehr gekürzt werden, was uns zurückwirft.
({16})
- Selbstverständlich, über 1 Milliarde DM.
({17})
Außerdem führt die Anpassung an die Inflationsrate bei
Arbeitslosenhilfe, Arbeitslosengeld und Rente unter anderem dazu, daß wir erstmalig wieder eine Auseinanderentwicklung zwischen West und Ost bei Rente, Arbeitslosengeld, Unterhalt und Arbeitslosenhilfe haben.
Das ist wirklich eine Veränderung der Politik, denn bis
dahin hatten wir immer etwas höhere prozentuale Steigerungen im Osten als im Westen, so daß wenigstens
ganz allmählich eine Angleichung stattfand. Davon kann
nun keine Rede mehr sein.
Aber was wir hier eigentlich beantragt haben und was
meine Hauptsorge ist, ist etwas ganz anderes. Ich erwarte von Ihnen zum Beispiel nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie zum 1. Oktober 1999 die Gleichstellung der
Lebensverhältnisse realisieren. Das wäre absurd; das
können Sie gar nicht. Aber wir erwarten, daß es einen
verbindlichen Fahrplan gibt, in dem steht, in welchen
Schritten und in welchen Fristen die Angleichung erfolgen soll. Wir haben im Osten 100 bis 110 Prozent Preise, im industriellen Gewerbe aber nur 65 Prozent der
Löhne der alten Bundesländer; im öffentlichen Dienst
sind wir bei 80 Prozent. Sie kennen alle diese Zahlen.
Das geht nicht mehr so weiter. Hier kann man sich nicht
nur auf Geld herausreden. Wir brauchen eine Lösung
dieses Problems.
Dazu muß man wenigstens eine Perspektive haben.
Denn heute sieht es so aus: Bei der heute 20jährigen, die
als Angestellte im öffentlichen Dienst arbeitet und
80 Prozent dessen verdient, was sie für die gleiche Tätigkeit in den alten Bundesländern bekäme, steht
schon jetzt irreparabel fest, daß sie in 45 Jahren mit
ihrem Rentenbescheid schriftlich bestätigt bekommt,
daß sie Ossi war bzw. ist. Denn sie wird für die gleiche
Lebensleistung eine geringere Rente beziehen, weil
für sie ja jetzt auf Grund des geringeren Einkommens
geringere Beiträge gezahlt werden. Da sie etwa 20 Jahre lang Rentnerin sein wird, wird sie das 20 Jahre lang,
das heißt noch in 65 Jahren, schriftlich bestätigt bekommen.
Wir wollen doch nur wissen, welcher Jahrgang der
erste ist, der im Falle von Arbeitslosigkeit oder später
als Rentenempfänger nicht mehr spüren wird, Ossi gewesen zu sein, weil er mit 100 Prozent angefangen hat.
Sind das die heute Fünfzehnjährigen, die heute Zehnjährigen, die heute Fünfjährigen oder erst die, die noch gar
nicht geboren sind? Man wird doch wenigstens einen
solchen Fahrplan erfahren dürfen.
({18})
Nun hat sich inzwischen das Hauptziel der Politik der
Bundesregierung geändert. Im Wahlkampf und auch in
Ihrer Regierungserklärung haben Sie, Herr Bundeskanzler gesagt, das A und O sei die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit.
({19})
An diesem Ziel sollte man ihre Regierung messen.
Heute sagen Sie in allen Reden, das A und O sei der
Abbau der Staatsverschuldung. Dabei handelt es sich
um eine ganz deutliche Verschiebung.
({20})
- Nein, passen Sie einmal auf! - Das wichtigste Mittel
zum Abbau der Staatsverschuldung ist, Arbeitslosigkeit
zu bekämpfen, dann nämlich sparen Sie Ausgaben für
Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe und nehmen
darüber hinaus wieder Steuern und Beiträge ein. Das
wäre der wirksamste Weg, um Staatsverschuldung abzubauen.
({21})
Weiterhin sollten Sie, Herr Bundesfinanzminister Eichel, einmal die Theorie überdenken, die Sie aufgestellt
haben. Sie sagen, wenn wir die Staatsverschuldung nicht
abbauten, sei der Staat nicht handlungsfähig, und wenn
er nicht handlungsfähig sei, könne er nicht für soziale
Gerechtigkeit sorgen. Im Klartext heißt das: Erst Abbau
der Staatsverschuldung, dadurch gewinnt der Staat seine
Handlungsfähigkeit zurück, und erst dann könne er für
soziale Gerechtigkeit sorgen. Das heißt aber auch, daß
der heute Geborene diese Situation nicht mehr erleben
wird. Die Staatsverschuldung in Höhe von 1,5 Billionen
DM bauen Sie in Wirklichkeit doch gar nicht ab: Im
nächsten Jahr gibt es in Wirklichkeit mehr Staatsschulden als in diesem Jahr. Sie reduzieren doch nur die Neuverschuldung.
({22})
Also wird auch die Zinslast weiter steigen. Damit wird
die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Das ist die Wahrheit.
({23})
Warum machen Sie, wenn Sie die Zinslast drücken
wollen, keine Swapgeschäfte? Warum nehmen Sie keine
Zwangsanleihen bei Banken und Versicherungen auf,
um die Zinslast zu reduzieren? Dieser Weg scheint Ihnen nicht einzufallen, es fällt Ihnen nur ein, bei RentneDr. Gregor Gysi
rinnen und Rentnern und bei den Arbeitslosen zu sparen.
Das ist zuwenig für eine sozialdemokratisch geführte
Bundesregierung.
({24})
Bei einer Diskussion über die Staatsverschuldung
muß man doch sowohl über die Einnahmen- als auch
über die Ausgabenseite diskutieren. Mit dem Titel „Robin Hood“ kann ich, Frau Müller, ja ganz gut leben. Ich
lasse das jetzt einfach so stehen. Wenn Sie aber sagen,
wir betrieben Volksverdummung oder ähnliches, wenn
wir so über die Rente und die Vermögensteuer diskutierten, dann frage ich mich, ob Sie alles vergessen haben, was Sie vor einem Jahr gesagt haben. War ich in
einer anderen Welt?
({25})
Als die alte Koalition die Vermögensteuer abschaffen
wollte - es ist ja dann auch dazu gekommen, daß sie
ausgesetzt wurde -, hat doch nicht nur die PDS dagegen
protestiert, sondern die SPD und die Grünen haben genauso dagegen protestiert. Plötzlich erzählen Sie aber,
das sei alles Schnee von gestern und die Vermögensteuer sei eine absurde Idee der PDS. Damit strafen Sie Ihre
Argumente von vor einem Jahr Lügen.
({26})
Im übrigen ist die Einführung der Vermögensteuer in
beiden Wahlprogrammen und in der Koalitionsvereinbarung enthalten. Daß jetzt keiner mehr etwas davon wissen will, ist schon ein starkes Stück.
Ich habe doch gar nicht gesagt, daß man die amerikanische Vermögensteuer eins zu eins übernehmen muß,
sondern nur darauf hingewiesen, daß außer den Niederlanden und Deutschland alle Industriestaaten eine Vermögensteuer haben und die Niederländer dabei sind, sie
einzuführen. Hier kann sich niemand auf das Standortargument berufen. Wenn wir amerikanische Vermögensteuersätze hätten, hätten wir jährlich Mehreinnahmen in Höhe von 30 bis 40 Milliarden DM. Den Leuten
draußen müssen Sie erklären, warum Sie auf eine solche
Einnahme verzichten und lieber Renten, Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe kürzen. Angesichts dessen
wundern Sie sich dann noch, daß von sozialer Schieflage
die Rede ist?
({27})
Wir können auch gerne über Unternehmensteuern
reden. Ich begrüße es ja zunächst einmal, daß Sie sagen,
daß Geld, das in Unternehmen zurückfließt, geringer als
Geld, das in private Kassen fließt, besteuert werden soll.
Das hat auch etwas mit Arbeitsmarktpolitik zu tun und
ist vernünftig.
Auf der anderen Seite sage ich Ihnen: Es bleibt doch
auch unter Ihrer Regierung dabei, daß Spekulationsgewinne bei Wahrung einer bestimmten Frist von Steuer
freigestellt sind, während Gewinne aus Produktion und
Dienstleistung relativ hoch besteuert werden. Wer eine
solche Politik macht, der schafft keine Arbeitsplätze,
sondern der schafft Arbeitsplätze ab und darf sich auch
über Geldmangel nicht beschweren.
Was Ihre Unternehmensteuerpolitik betrifft, so sagte
Frau Müller eben, endlich sollen auch einmal die großen
Konzerne bezahlen. Sie aber machen nichts in dieser
Richtung.
({28})
Die Reduzierung der Körperschaftsteuer wird in erster Linie den großen Konzernen, übrigens auch den
Versicherungen und Banken zugute kommen. Von den
kleinen und mittelständischen Unternehmen reden Sie
zwar. Aber in Wirklichkeit tragen diese die Lasten Ihrer
Steuerpolitik. Bauen Sie einmal bei denen ab und sorgen
Sie wirklich einmal dafür, daß Konzerne, Banken und
Versicherungen sich endlich an den Kosten in der Gesellschaft beteiligen.
({29})
Das hat die alte Regierung nicht getan, und das tun Sie
auch nicht.
Wir können übrigens auch über die Einkommensteuer diskutieren. Einverstanden! Sie senken den Eingangssteuersatz. Das geht in Ordnung. Das haben wir
auch gewürdigt. Sie sagen nur nie dazu, daß Sie den
Eingangssteuersatz nicht nur für die Normal- und die
Niedrigverdienenden senken, sondern automatisch auch
für die Besser- und die Bestverdienenden, auch für uns
alle hier im Saal.
({30})
- Das ist so? Hören Sie zu!
({31})
- Das werfe ich Ihnen auch nicht vor; denn wenn ich die
Verantwortung trüge und das zu entscheiden hätte, dann
könnte ich das auch nicht anders machen. Aber gerade
weil das so ist, verehrte Frau Kollegin, gibt es gar keinen Grund den Besser- und Bestverdienenden auch noch
mit einer Senkung des Spitzensteuersatzes entgegenzukommen.
({32})
Es ist für uns alle schon ausreichend, daß der Eingangssteuersatz gesenkt wird. Die Senkung des Spitzensteuersatzes um 1 Prozent macht 1 Milliarde DM
aus. Sie wollen ihn um 4,5 Prozent senken. Das sind
4,5 Milliarden DM pro Jahr, auf die Sie verzichten. Da
sagen Sie, es gebe keine Alternative zur Kürzung von
Rente, von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Das
ist nicht glaubwürdig, und es ist auch nicht wahr.
({33})
Was die Ausgabenseite angeht, so frage ich mich:
Habe ich mich verhört, oder hat die SPD als Oppositionsfraktion jahrelang die Kohl-Regierung für den Eurofighter gescholten? Habe ich mich verlesen, oder habe
ich mich nicht verlesen, daß im Haushaltsplanentwurf
für das Jahr 2000 schon wieder 1,7 Milliarden DM für
den Eurofighter eingeplant sind? Warum machen Sie
hier keine Korrektur?
({34})
- Lieber ein bißchen Konventionalstrafe zahlen, aber
dann raus sein aus diesem gefährlichen Projekt! Das wäre sehr viel günstiger.
({35})
Ich sage Ihnen dazu noch eines: Wenn Sie beim
Wehretat sparen, dann sparen Sie bei der Zahl der
Standorte und bei der kulturellen und sozialen Betreuung der Soldaten. Das ist nicht unser Weg. Wir wollen,
daß endlich wirksam auf Rüstungsgüter verzichtet wird.
Das wäre ein Schritt, der nach Beendigung des Kalten
Krieges übrigens auch dringend erforderlich wäre.
Wir können auch über den Transrapid reden. Wir
können auch darüber reden, wie teuer ein Umzug von
Bundestag und Bundesregierung von Bonn nach Berlin
sein muß.
({36})
- Ich habe „wie teuer“ gesagt.
Einsparmöglichkeiten gibt es eine Menge. Ganz zuletzt kann man über Kürzungen bei den Renten, beim
Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe nachdenken. Sie denken zuerst darüber nach, und das macht
die soziale Schieflage aus; ganz deutlich macht sie das
aus.
({37})
- Sehen Sie, von den Staatsschulden leben doch auch
Leute ganz gut. Das hat der Bundeskanzler selbst gesagt.
Davon lebt ein Teil der Bevölkerung sehr gut. Sie kassieren nämlich die Zinsen in Höhe von 7 bis 9 Prozent.
Warum bitten Sie denn die nicht einmal ein bißchen zur
Kasse, wenn es um die Frage der Konsolidierung der
Staatsfinanzen geht? Warum tun Sie das gerade bei
Rentnerinnen und Rentnern und Arbeitslosen? Das ist
nicht hinnehmbar.
({38})
Sie wissen ganz genau, daß das wichtigste die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wäre und daß wir dafür
wirklich Reformen bräuchten. Frau Müller, das, was Sie
hier vorlegen, ist doch keine Reform. Das ist dasselbe
Spiel mit Zahlen. Wenn Sie die Dynamisierung der
Rente ausfallen lassen, dann ist das doch keine Reform,
sondern einfach eine Reduzierung.
({39})
Eine Reform wäre, wenn Sie sich Gedanken machten,
wie man auch andere Einkommensarten zur Finanzierung der Pflichtversicherungen heranziehen könnte, und
wenn Sie endlich dazu übergingen, den modernen Wirtschaftsstrukturen zu entsprechen, indem die Unternehmen künftig nach ihrer Wertschöpfung alle drei Monate
höchst flexibel eine Abgabe in die Versicherungssysteme zahlen. Steigt die Wertschöpfung, zahlen sie
mehr. Sinkt sie, zahlen sie weniger. Unterschreitet sie
eine bestimmte Grenze, dann zahlen sie gar nicht. Damit
würden Sie Einstellungen erleichtern, und Sie würden
Entlassungen nicht mehr so begünstigen. Ein Konzern,
der 1 000 Leute entläßt und hinterher noch die gleiche
Wertschöpfung hat, müßte dann eben noch die gleiche
Abgabe zahlen - die kann er sich dann auch doppelt und
dreifach leisten -, während er heute auch diesbezüglich
entlastet wird.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich bin sofort fertig. - Das
wäre wirklich eine Reform. Mit diesen und vielen anderen Maßnahmen, mit steuerlichen und mit der Schaffung
eines öffentlichen Beschäftigungssektors könnte man einen Beitrag dazu leisten, daß die Arbeitslosigkeit und
viele damit zusammenhängende Probleme in der Gesellschaft endlich überwunden werden.
Lassen Sie mich einen letzten Gedanken ausführen:
Herr Bundeskanzler, jeden Sonntag erlebe ich, daß Sie
eine mangelnde Akzeptanz der Wählerinnen und Wähler
erfahren, dann mit dem Fuß aufstampfen und sagen: Wir
werden unsere Politik nicht ändern. Ich sage Ihnen ganz
deutlich: Ich halte das weder für demokratisch noch für
sozial. Die Wählerinnen und Wähler fordern von Ihnen,
daß Sie eine sozial gerechtere Politik machen und Ihren
Kurs ändern.
Ich meine, es ist noch nicht zu spät. Sie sollten diese
Schelte annehmen, Ihre Politik ändern und nicht stur auf
dem falschen Weg bleiben.
({0})
Ich erteile nun dem
Kollegen Dr. Peter Struck das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Reden der Opposition, zum Beispiel die von Herrn Gysi und Herrn
Schäuble, zu verfolgen, ist eine äußerst interessante Sache. Herr Gysi unterscheidet sich von Herrn Schäuble
wenigstens dadurch, daß er Gegenvorschläge macht.
Diese sind zwar unsinnig, aber von Ihnen, Herr Kollege
Schäuble, habe ich überhaupt keine konkrete Alternative
zu dem gehört, was wir vorhaben.
({0})
Sie benehmen sich wie ein Fahrer, der einen Unfall verursacht hat, Fahrerflucht begeht und sich zu den Gaffern
stellt, die die Rettungsarbeiten behindern.
({1})
Ihnen, Herr Kollege Schäuble, fehlen nicht nur die
Antworten, sondern sogar die richtigen Fragen, wie wir
in unserem Land Zukunftsfähigkeit herstellen können.
Wir wissen, daß wir dazu eine große solidarische GeDr. Gregor Gysi
meinschaftsanstrengung brauchen. Wir wissen, daß wir
dafür um Verständnis werben müssen. Wir wissen auch,
daß wir viel öfter erklären müssen, warum wir diese
Kraftanstrengung benötigen. Aber wir sind fest davon
überzeugt, daß unser Weg richtig ist.
({2})
Unser Ziel ist es, den Menschen wieder Vertrauen in
die Zukunft zu geben und die Spaltung der Gesellschaft
zu überwinden. Warum soll ein Bürger überhaupt noch
Vertrauen in unseren Staat haben, wenn der Staat pro
Minute 150 000 DM für Zinsen ausgeben muß und dieses Geld nicht für andere, vernünftige Zwecke zur Verfügung hat?
({3})
Es gibt keine Handlungsspielräume mehr. Es ist
schon absurd, wenn Sie, die Redner der Opposition, so
tun, als sei dies eine Erblast von Oskar Lafontaine. Es ist
ja wohl das letzte, auf diese Art und Weise zu argumentieren. Sie haben 16 Jahre lang 1 500 Milliarden DM
Schulden aufgebaut. Das können wir in drei Monaten
gar nicht gemacht haben. Das glaubt Ihnen kein
Mensch!
({4})
Wir wollen, daß der Staat wieder den Bürgern gehört
und nicht den Banken sowie denjenigen, die so viel Geld
haben, daß sie es in Staatsanleihen anlegen. Der Staat
gehört den Bürgern. Die Bürger müssen mehr Spielraum
haben. Wir müssen mehr Spielraum haben, damit wir
die Zukunftsaufgaben bewältigen können.
({5})
Zu den Zukunftsaufgaben gehört: Wir brauchen wieder mehr Mittel für Investitionen in Bildung und Forschung.
({6})
Wir wollen, daß unsere Enkel und Urenkel die Chance
haben, nach ihren Fähigkeiten das zu erreichen, was sie
erreichen können. Dafür muß der Staat die Voraussetzungen schaffen.
({7})
Nun komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Gerhardt leider ist er nicht mehr anwesend -: Ich denke, daß Sie
Ihren Mitarbeitern, die Ihre Reden schreiben, einmal
eine Rüge erteilen sollten. Es ist falsch, daß hier gesagt
wird - ich glaube, auch Herr Schäuble hat dies angedeutet -, wir führen die Mittel für Bildung und Forschung zurück. Das Gegenteil ist der Fall. Ich kann Ihnen das vorrechnen. Im Jahre 1999 geben wir im Einzelplan 30, verglichen mit der Planung von Herrn Waigel, mehr Mittel für Bildung und Forschung aus, nämlich 725 Millionen DM,
({8})
im Jahre 2000 sind es 935 Millionen DM, im Jahre 2001
1 300 Millionen DM und im Jahre 2003 bis zu 2 100
Millionen DM. Dieses Ziel wollen wir erreichen. Das ist
wichtig für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
({9})
Was ist eigentlich Ihre Alternative? Was würden Sie
anders machen, wenn Sie jetzt an der Regierung wären?
Das würde ich gerne einmal von Ihnen wissen.
({10})
Ich vermute mal, Sie würden das machen, was Sie vorher gemacht haben. Ich sage Ihnen, was Sie vorher gemacht haben: Sie haben diesen Staat nicht nur in eine
riesige Schuldenlast hineingetrieben - das hat Ihnen
nicht ausgereicht -, sondern Sie haben auch noch die
Steuern erhöht. Sie sind eine Steuererhöhungskoalition
gewesen. In den Jahren 1982 bis 1998 haben Sie in
Deutschland 18mal die Steuern erhöht.
({11})
Das war der bequemste Ausweg und Sie sind ihn gegangen. Angesichts dessen ist es schon sehr gewagt, hier
über Mineralölsteuer oder Ökosteuer Krokodilstränen zu
weinen. In fünf Jahren hat die Koalition aus CDU/CSU
und F.D.P. die Mineralölsteuer um 50 Pfennig erhöht.
Und Sie regen sich jetzt darüber auf, daß wir die Mineralölsteuer um 6 Pfennig pro Jahr erhöhen. Was Sie hier
vorführen, ist schon so etwas wie eine Schweinerei.
({12})
Das war die Antwort, die Sie gegeben haben: Steuern
erhöhen, mehr Schulden machen.
Was ist nun Ihre Antwort im Haushaltsplan 1999 gewesen, den wir jetzt praktizieren? Sie haben - ich habe
das von unseren Finanzexperten ausrechnen lassen ({13})
in der Zeit, in der Sie in der Opposition waren, Anträge
zu Gesetzen und Anträge zum Bundeshaushalt gestellt.
Das heißt: Wären diese ausgabewirksam geworden, wären Sie jetzt noch an der Regierung, dann hätte das noch
einmal Ausgaben von 25 Milliarden DM mehr bedeutet.
Das ist die Wahrheit. Das muß man sich vor Augen halten.
({14})
Ich will auch noch etwas zum Sparen sagen. Niemand ist froh darüber, wenn gespart werden muß und es
ihn selbst betrifft. Der Bundeskanzler hat in dem Zusammenhang zu Recht ausgeführt, was für Briefe wir
alle bekommen haben. Wir nehmen diese Briefe ernst.
Richtig ist aber auch: Wir erlangen um so mehr Glaubwürdigkeit, je eher wir mit dem Sparen bei uns selbst
anfangen. Ich will einmal in aller Bescheidenheit darauf
hinweisen, wie scharf die Kritik aus den Reihen der
CDU/CSU daran war, daß wir beschlossen haben, die
Diäten in diesem Jahr nicht zu erhöhen. Also, fassen Sie
sich da einmal an die eigene Nase.
({15})
Wir können auch über die Fraktionszuschüsse reden. Ich
will Ihnen hier ganz offiziell mitteilen: Der Wunsch der
Oppositionsfraktionen, die Fraktionszuschüsse zu erhöhen, wird von uns nicht akzeptiert werden. Wer Sparen
verlangt, muß bei sich selbst anfangen. Wir tun das,
auch in diesem Bereich.
({16})
Wir wollen sparen; aber nicht etwa, weil wir Sparfetischisten wären. Vielmehr wollen wir auf ein Ziel hin
sparen: auf das Ziel hin, mehr Chancen für unsere Kinder und Enkel zu schaffen.
({17})
Damit komme ich zu dem Thema, das Sie in schamloser Weise im Wahlkampf ausgenutzt haben - Herr
Kollege Gysi beteiligt sich daran in ähnlich demagogischer Weise. Wenn wir im nächsten und übernächsten
Jahr die Renten um den Faktor der Erhöhung der Preise
anheben, dann heißt das für die Rentnerinnen und Rentner: Sie haben genauso viel Kaufkraft wie in diesem
Jahr. Sie verlieren keinen einzigen Pfennig.
({18})
Wenn dann von Ihrer Seite von Rentenkürzungen geredet wird, ist das eine reine Lüge.
({19})
Jeder von uns weiß, daß die Rentnerinnen und Rentner das akzeptieren, wenn sie die Gewißheit haben, daß
die Stabilisierung der Rentenversicherungsbeiträge ihren
Kindern und Enkeln dient und Freiraum schafft, um Zukunft zu gestalten. Das merkt man in jeder Veranstaltung, wenn man mit Rentnerinnen und Rentnern redet.
Setzen Sie also nicht auf den Egoismus der Mütter und
Väter, die unser Land mit aufgebaut haben. Diese wissen ganz genau, daß sie ihren Beitrag leisten müssen und sie werden ihn leisten -, um die Zukunft gerecht zu
gestalten. Da habe ich gar keine Sorge, meine Damen
und Herren.
({20})
Wir haben mit unserem Sonderprogramm Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit diese deutlich abgebaut. Darauf sind wir stolz. Nach wie vor verurteile ich
die Äußerung des Kollegen Schäuble, der dieses Programm mit dem Wort „ruhigstellen“ diskreditiert hat.
({21})
Das ist ein böser Ausrutscher, Herr Kollege Schäuble,
den Sie hier endlich zurücknehmen sollten. Bisher haben
Sie das leider nicht getan.
({22})
Wir wollen die sozialen Sicherungssysteme garantieren. Dafür haben wir eine Reihe von Maßnahmen auf
den Weg gebracht. Wir werden die Maßnahmen, die der
Arbeitsminister gestern in der Debatte ausführlich erläutert und erklärt hat - Kollege Schäuble, Sie konnten
leider nicht dabeisein -, umsetzen.
({23})
Ich komme nun zu dem Thema, das Sie angesprochen
haben, zur Neuregelung der 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse.
({24})
- Dazu komme ich noch, keine Sorge. - Ich will aber
erst etwas zu den 630-DM-Jobs sagen.
({25})
Es ist schon eigenartig, daß Sie sich jetzt von diesem
Gesetz distanzieren,
({26})
während Sie zu der Zeit, in der Sie regiert haben, mit
uns der Meinung waren,
({27})
daß all diejenigen, die ein solches Beschäftigungsverhältnis neben ihrer Hauptbeschäftigung haben, in die
Sozialversicherung einbezogen werden sollten.
({28})
Wir waren uns doch einig - nun ist der Kollege Norbert Blüm nicht da; es gab öffentliche Äußerungen von
ihm dazu -, daß jemand, der einen solchen Job neben
seinem Hauptbeschäftigungsverhältnis ausübt, genauso
behandelt werden muß wie einer, der seinen Lebensunterhalt in einem Beschäftigungsverhältnis verdient. Das
ist an der F.D.P. gescheitert; das wissen wir.
({29})
Sagen Sie endlich, daß dieser Teil des Gesetzes vernünftig ist, daß auch Sie ihn wollten. Bleiben Sie endlich
einmal bei der Wahrheit!
({30})
Das Gesetz ist sehr viel kritisiert worden. Und nun
sage ich Ihnen, was das Ergebnis dieses Gesetzes ist:
({31})
Bis Ende August 1999 wurden von den Rentenversicherungsträgern rund 2,5 Millionen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse angemeldet und registriert. Das heißt,
bei der genannten Zahl von 2,5 Millionen handelte es
sich ausschließlich um geringfügig Beschäftigte. Welche
Auswirkungen hat das auf unsere sozialen Sicherungssysteme, auf die Rentenversicherung und auf die
Krankenversicherung?
({32})
In der Zeit von April bis Juni, also in den ersten drei
Monaten nach Inkrafttreten dieser Neuregelung, sind
allein bei den Rentenversicherungsträgern 580 Millionen
DM mehr an Beiträgen eingegangen. Das bedeutet eine
Stabilisierung der Rentenversicherung.
({33})
Das ist Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Das
wollten wir auch.
({34})
Die normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die jetzt arbeiten und Rentenversicherungsbeiträge bezahlen, können die Gewißheit haben, daß ihr Rentenversicherungsbeitrag durch die Hereinnahme dieser Beschäftigungsgruppen stabilisiert und nicht erhöht wird.
Wären Sie an der Regierung geblieben, hätten wir jetzt
einen Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von 21 Prozent. Er liegt jetzt bei 19,8 Prozent. Das werden wir den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer wieder
sagen.
({35})
Das gleiche gilt übrigens auch für die Krankenversicherung. Wir werden in den Ausschüssen über die Gesundheitsreform reden. Ich mache mir keine Sorgen das will ich an dieser Stelle deutlich betonen - über die
vielen Proteste, die es aus allen Bereichen gibt. Ich halte
sie für normal. Jeder versucht, seinen Besitzstand zu
bewahren. Ich bin mir aber ganz sicher, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wenn wir diese Gesundheitsreform nicht auf den Weg bringen, werden wir steigende
Krankenversicherungsbeiträge, höhere Lohnnebenkosten
und noch mehr Probleme bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben. Deshalb ist unser Weg der richtige
Weg.
({36})
Mir tut die Kritik mancher unserer Freunde an dem
Programm schon weh.
({37})
- Da muß gerade ein Kollege von der F.D.P. etwas über
die Gewerkschaften sagen. Halten Sie sich mal zurück,
Sie kennen Gewerkschaften ja gar nicht.
({38})
Ich verstehe, daß Gewerkschaften ein Spar- und Zukunftsprogramm kritisch bewerten. Aber ich weise auch
auf das hin, was wir zu Beginn unserer Regierungszeit
gemacht haben. Wir haben die Lohnfortzahlung zu
100 Prozent im Krankheitsfall wieder eingeführt. Wir
haben den Kündigungsschutz verbessert. Wir haben eine
Schlechtwettergeldregelung auf den Weg gebracht. Wir
haben das Entsendegesetz - Sie wollten das nicht mehr -,
das Mindestlöhne im Baugewerbe garantiert, verabschiedet und seine Geltungsdauer verlängert. Darauf
sind wir stolz, das sollten die Gewerkschaften auch bedenken.
({39})
Nun zur Steuerreform: Der Kollege Schäuble hat mich
gebeten, etwas dazu zu sagen. Das tue ich gern. Wir haben ein Steuerentlastungsgesetz mit den Stufen 1999,
2000 und 2002 auf den Weg gebracht. Ein normaler Arbeitnehmer, verheiratet, zwei Kinder, wird durch diese
Steuerreform - die Kindergelderhöhung hinzugerechnet
- am Ende des Jahres 2002 3000 DM mehr Geld in der
Tasche haben. Das ist ein Erfolg der sozialdemokratischen Steuerpolitik, die dem Ziel dient, den Normalarbeitnehmer zu entlasten.
({40})
Leider ist es so - in der Politik muß man hinnehmen,
daß das so ist -, daß sich diese beschlossene Kindergelderhöhung, deren erste Stufe schon in Kraft ist, noch
nicht voll auswirkt, und die Wirkung der ersten Stufe
der Senkung des Eingangssteuersatzes erst langsam
sichtbar wird. Aber spätestens im Frühjahr des nächsten
Jahres werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland an ihrem Portemonnaie merken,
welche Steuererleichterungen sie bekommen haben.
Dann wird Ihre Propaganda, die Sie jetzt machen, ins
Leere laufen.
({41})
Wir reden auch über die Frage: Wie geht es mit der
Steuerpolitik weiter? Ich unterstütze den Bundesminister
der Finanzen darin, daß er eine Unternehmensteuerreform vorlegen wird, die vor allen Dingen den kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommen wird.
Die Äußerungen, die Sie, Herr Kollege Schäuble, und
auch Sie, Herr Gerhardt, dazu gemacht haben, sind
inhaltlich falsch. Hans Eichel hat das gestern klargestellt.
Wir brauchen diese Unternehmensteuerreform, weil
wir wissen, daß die meisten Arbeitsplätze in Deutschland von kleineren und mittleren Unternehmen geschaffen werden. Wir werden sie deshalb auch durchsetzen;
vielleicht auch gegen Ihren Widerstand, Herr Kollege
Gysi; aber so gewichtig ist Ihr Widerstand nun auch
wieder nicht.
Ich möchte nur darauf hinweisen, meine Damen und
Herren, daß wir bei der Steuerpolitik auch das mit berücksichtigen müssen, was der Bundeskanzler schon angesprochen hat, was aber auch manche aus unseren
eigenen Reihen - ich will mich davon nicht ausnehmen
- noch nicht richtig dargestellt haben, nämlich die Frage: Wo sind Steuerschlupflöcher geschlossen worden?
Dabei ist der Ausdruck „Schlupflöcher“ eher ein ungerechter Ausdruck. Es handelt sich um legale Steuerverkürzungsmöglichkeiten, die alle - aus verschiedenen Gründen - mitgetragen haben, mit denen jetzt aber
Schluß sein muß.
Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel nennen, und zwar
so, daß die Bürgerinnen und Bürger, die Zeit haben, am
Fernsehschirm zuzusehen, und die Gäste hier im Saal
die Steuertechnik verstehen. Wir haben § 2 a Abs. 1
und 3 Einkommensteuergesetz geändert. Das Stichwort dazu heißt: Ausgleich positiver Einkünfte mit
Verlusten. Nun möchte ich Ihnen sagen, was dies praktisch heißt.
({42})
- Sie wissen das alles, das weiß ich; Sie ganz bestimmt,
Herr Austermann.
Bisher konnten Verluste innerhalb der verschiedenen
Einkunftsarten unbeschränkt miteinander verrechnet
werden. Künftig ist dies nur noch innerhalb derselben
Einkunftsart zugelassen. Die Verlustverrechnung zwischen den verschiedenen Einkunftsarten wird stark eingeschränkt. Beziehern hoher Einkommen fällt es nunmehr erheblich schwerer, sich gegenüber dem Finanzamt armzurechnen; Stichwort Mindestbesteuerung.
({43})
Daß wir das im Steuerentlastungsgesetz durchgesetzt
haben, ist ein großer Erfolg. Das haben Sie nie gemacht,
meine Damen und Herren, weil Sie es nie gewollt haben.
Ich kann mich noch an die Debatten dazu im Vermittlungsausschuß erinnern.
({44})
Die Steuerreform wird die Bürgerinnen und Bürger,
die Steuerzahler im Jahre 2002 insgesamt mit 46 Milliarden DM entlastet haben. Eine Steuerreform dieser
Größenordnung hat es in der Geschichte unseres Landes
noch nie gegeben.
({45})
Ein Beispiel noch zur sozialen Gerechtigkeit und
Ausgewogenheit dieses Programms: Wir werden - das
steht auch im Zusammenhang mit dem Zukunftsprogramm - das Wohngeld erhöhen.
({46})
- Diesen Zwischenruf, daß Sie das „toll“ finden, gebe
ich gern an die Bürgerinnen und Bürger weiter, Herr
Kollege Glos, die von diesem Wohngeld profitieren, die
es brauchen. So gehen Sie mit den normalen Menschen
in Deutschland um,
({47})
Sie, der Sie natürlich kein Wohngeld brauchen.
({48})
Herr Kollege Glos, Sie dürfen nach mir reden, weil
Herr Stoiber nicht kommen kann. Herr Ramsauer hat gesagt: Herr Stoiber hat andere Probleme.
({49})
Mich interessiert an der Angelegenheit Stoiber/
Sauter/LWS nur ein Aspekt: Wie war es eigentlich, als
der Bund, vertreten durch Bundesfinanzminister Waigel
und Bundesbauminister Oswald, seine Anteile an der
LWS an Bayern verkaufte? Wie war das damals? Ich
denke schon, daß man dazu einige Fragen stellen muß.
Wir werden das tun.
({50})
Wenn ich mir vorstelle, daß der Bundesrechnungshof
auf unseren Antrag hin dieser Angelegenheit nachgeht,
dann wäre mein Ratschlag an Sie, Kollege Glos: Halten
Sie sich ein bißchen zurück! Warten wir einmal ab, was
dabei herauskommt. Ich will ja niemanden verdächtigen,
aber interessieren tut mich das Ganze schon sehr.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des
Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS] - ({51})
- Der Kollege Glos hat mir freundlicherweise das
Stichwort geliefert, um die Bayern-Affäre ansprechen zu
können.
Zurück zum Wohngeld: Wir wollen das Wohngeld
um insgesamt 1,4 Milliarden DM erhöhen. Wir finanzieren das dadurch, daß wir denjenigen, die bisher trotz hoher Einkommen Wohnungsförderung bekommen, diese
streichen oder kürzen. Das ist aus meiner Sicht eine gerechte Umverteilung. Wohnungsförderung, also insbesondere Wohngeld, brauchen wirklich nur diejenigen,
die finanziell darauf angewiesen sind, und nicht die mit
höherem Einkommen. Auch das ist ein Aspekt von sozialer Gerechtigkeit.
({52})
Natürlich machen uns Sozialdemokraten die Wahlergebnisse der letzten Zeit nicht glücklich, das ist klar.
({53})
Aber: Auch wir haben solche Situationen, als Sie an der
Regierung waren, erlebt.
({54})
Wir haben Landtagswahlen gewonnen, und das Ansehen
der Bundesregierung war nicht hoch. Ich will Ihnen keine Ratschläge geben, wie Sie Opposition machen sollen.
Ich sage Ihnen nur eines: Freuen Sie sich nicht zu früh!
Wir gehen unseren Weg konsequent weiter. Der Wähler
wird dies honorieren.
({55})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Um Ihre Frage zu beantworten: Ich habe das Gesicht des Bundeskanzlers beobachtet. Ich habe
den Eindruck, bei ihm heißt LWS: „Lange wütet
Struck“.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die „Süddeutsche Zeitung“ erinnert am 6. September an die zehn Plagen, die der Herr über die Ägypter kommen ließ: die Heuschrecken, die große Finsternis, den Hagel, die Blattern usw. Ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung“:
Die Landtagswahlen kommen über die SPD wie die
ägyptischen Plagen über den Pharao. Damals, so
steht es im Buch Exodus, ließ der Herr zehn Plagen
über die Ägypter kommen … Die Heimsuchung der
Schröder-SPD geschieht weniger mystisch, mit den
Schrecknissen der Demokratie, aber ebenso wirkungsvoll: Sie begann soeben
- das war am 6. September mit den Wahlen im Saarland und, vor allem, in
Brandenburg.
Und jetzt kommt es:
Damals, in Ägypten, sprachen die Diener des Pharao erst nach der dritten Plage von einem Fingerzeig und erst nach der achten klagten sie: Wie lange
soll uns denn dieser Mann noch Unglück bringen?
({1})
Herr Bundeskanzler, ich habe nachgezählt: Die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen war die achte Wahl,
die achte Plage. Sie führt zum größten Schrecknis, weil
Ihre Genossen massenweise aus dem Schlaraffenland
der Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen vertrieben
werden. Die werden es - da bin ich ganz sicher - Ihnen
heimzahlen.
({2})
Schlimmer ist allerdings, daß auch unser Land von
einer Plage verheert wird. Diese Plage ist ohne Zweifel
die rotgrüne Bundesregierung unter Kanzler Schröder.
({3})
Von Strukturreformen ist keine Rede. Statt Aufbruch
gibt es Stagnation und Rückgang, ein Einfrieren der
Renten, ein Einfrieren der Beamtengehälter und damit
auch der Löhne im öffentlichen Dienst, die Budgetierung im Gesundheitswesen, Steuererhöhungen auf Investitionen und Arbeitsplätze und - Stichwort: 630-DMJobs - Zwangsabgaben für Geringverdiener. Vergleichen Sie dies einmal mit dem Text auf den Garantiekarten, die Sie vor der Wahl - vielleicht erinnern Sie sich
noch - verteilt haben. Darauf steht: „Bewahren Sie
diese Karte auf, und Sie werden sehen, daß wir halten,
was wir versprechen!“
Sie wollten durch eine konzertierte Aktion für Arbeit,
Innovation und Gerechtigkeit mehr Arbeitsplätze schaffen, Herr Bundeskanzler.
({4})
- Die Forderung ist gut, aber das Ergebnis ist schlecht:
Trotz der milliardenschweren Kosmetik eines Programms für Jugendliche gibt es nicht wirklich weniger
Jugendarbeitslosigkeit. Trotz günstiger demographischer
Entwicklung nimmt die Arbeitslosigkeit in Deutschland
nach saisonbereinigten Zahlen zu. Das ist eine objektive
Tatsache.
Wir fallen immer weiter zurück. Nach OECDAngaben wird die Arbeitslosenquote in Deutschland im
Durchschnitt des Jahres 1999 mit 10,7 Prozent deutlich
über der von Griechenland bleiben, wo sie bei 10,2 Prozent liegt. Griechenland hat bekanntlich die Aufnahmekriterien für den Euro nicht erfüllt. Wenn wir andere
Länder in Europa anschauen, dann finden wir Musterbeispiele. In Großbritannien liegt die Arbeitslosenquote
bei 6,7 Prozent. Dort hat die Labour Party, die ehemals
sozialistische Partei, allerdings die Wähler, die Öffentlichkeit und die eigenen Mitglieder auf das vorbereitet,
was dann später gemacht worden ist. Dort stimmten
Worte und Taten ein ganzes Stück mehr überein als bei
uns. Deswegen funktioniert dort manches besser. In
Portugal haben wir 5 Prozent und in der Schweiz 3 Prozent Arbeitslosigkeit.
Da Herr Fischer nicht anwesend ist, möchte ich
ihn nicht zitieren, obwohl es sich lohnen würde. Der
hat nämlich bei der Haushaltsdebatte vor einem Jahr
am 3. September erklärt, daß eine Regierung gescheitert sei, wenn sie nicht wenigstens nach einem halben
Jahr einen Rückgang der Arbeitslosigkeit aufzuweisen
habe.
({5})
Herr Bundeskanzler, Ihre Rede war diesmal in erster
Linie eindeutig nach innen gerichtet. Sie war ein
Schönwettergebet an die eigenen Genossinnen und Genossen nach dem Motto: Habt doch noch einmal Geduld
mit mir! Heute haben Sie Ihre Linie als Modernisierer
verlassen und sind wieder in den alten Genossenjargon
zurückgekehrt.
({6})
So werden Sie es aber letztlich nicht schaffen! Damit
wollen Sie vielleicht kaschieren, daß Sie, wenn man das
Ergebnis Ihrer Politik nimmt - wieder schaue ich nach
Nordrhein-Westfalen -, mit der Abrißbirne gegen Ihre
eigenen Genossen angetreten sind. Das ist die späte Rache eines Juso-Vorsitzenden gegen die immer rechten
Genossen in Nordrhein-Westfalen.
({7})
Sie werden sich noch wundern, was passiert, wenn die
alle ihre Posten und Pöstchen verlieren. Es war doch so:
In jeder Stadt Nordrhein-Westfalens ist zu jeder GmbH
noch einmal eine ganze Reihe von Tochter-GmbHs
gegründet worden, um irgendwelche Genossen unterzubringen.
({8})
Die werden alle verjagt werden, die werden sich bei
Ihnen ganz schön bedanken.
({9})
Herr Bundeskanzler, ich kann nur sagen: Die Regierung Schröder ist gescheitert.
({10})
- Herr Poß, melden Sie sich zu einer Frage oder rufen
Sie nur dann, wenn die anderen gerade ruhig sind.
({11})
- Haben Sie eine Frage? Dann stellen Sie sie!
({12})
- Herr Poß, es gibt in der Bundesrepublik Deutschland
kein Land, das so erfolgreich ist wie Bayern!
({13})
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Ich bin vorhin vom Herrn Bundeskanzler aufgefordert
worden, etwas zur Bayerischen Landesbank zu sagen.
Das will ich tun: Die Bayerische Landesbank hat Jahr
für Jahr Gewinne gemacht. Per saldo hat sie auch im
letzten Jahr wieder einen hohen Gewinn gemacht und
erfolgreich gewirtschaftet.
({14})
- Es bringt mich zwar in meinem Konzept ein bißchen
durcheinander, aber bitte.
({15})
- Gut, reden wir von Bayern!
({16})
Reden wir in diesem Zusammenhang aber auch darüber, wie erfolgreich Niedersachsen unter Ihrer Regie
gewirtschaftet hat, und stellen einen Vergleich an. Man
kann dann aus der Erfahrung sagen, wer es schaffen
wird, den Haushalt zu sanieren und Investitionen zu
pushen. Dann wird sich auch zeigen, ob Sie sich die
nötige Vorbildung seinerzeit in Niedersachsen geholt
haben.
({17})
Ich kann nur sagen: Die Arbeitslosenquote liegt in
Niedersachen um zwei Drittel über der in Bayern. Das
Wirtschaftswachstum in Niedersachen war, als Sie Ihr
Amt als Ministerpräsident aufgegeben haben, um fast 50
Prozent niedriger als in Bayern. Die Investitionsquote
im Haushalt ist um ein Viertel und der Anteil der Selbständigen um ein Drittel niedriger als in Bayern. Ich
könnte mit dieser Aufzählung fortfahren, um damit Ihrer
Forderung, etwas über Bayern zu sagen, nachzukommen.
({18})
Herr Bundeskanzler, Sie machen einen gewaltigen
Fehler:
({19})
Sie moderieren, statt zu regieren. Sie verstecken sich
hinter dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Interessenkartelle. Die Beratungen im Zusammenhang mit dem
„Bündnis für Arbeit“ sind nichts anderes als eine Diskussion unter Interessenkartellen.
Wir brauchen keine runden Tische; wir brauchen
vielmehr Entscheidungen. Bündnisgespräche können
kein Ersatz für das sein, was einerseits die Politik leisten
kann und was andererseits die Tarifpartner in eigener
Verantwortung miteinander leisten müssen. Es handelt
sich also nur um eine Alibiveranstaltung. Arbeitsplätze,
Lehrstellen und eine höhere Kaufkraft entstehen nicht an
runden Tischen, sondern in Unternehmen, die am Markt
das Geld dafür verdienen. Hier stellt die Bundesregierung, wie ich meine, die Weichen total falsch.
({20})
Statt die Zukunftsprobleme unserer Rentenversicherung, so wie wir es getan haben, über eine ehrliche und
saubere Rentenreform zu lösen, greift die Regierung
Schröder den Menschen tief in die Tasche. In diesem
Zusammenhang versucht man, den an sich positiv besetzten Begriff Ökologie mit einer Steuer zu verbinden.
Man glaubt so, daß das Abkassieren bei den Menschen
plötzlich ankäme. Aber mit der Erhöhung der MineralMichael Glos
ölsteuer in fünf Stufen marschiert Deutschland auf einen Spitzenpreis beim Benzin zu. Ihr Ideal ist der rauchende und rasende Rentner, der mit einem alten, großvolumigen und spritfressenden Auto durch die Gegend
rast und der sich damit - sozusagen analog einem Perpetuum mobile - die Rente selber finanziert.
({21})
Das hätten Sie gerne; das wäre der sozialistische
„Selbst-Drive-Effekt“:
({22})
Rasen für Herrn Eichel und die Kasse. Herr Trittin dagegen hätte als Ideal gerne den nickelbrillen- und spitzbarttragenden, etwas griesgrämig schauenden Solarmobilfahrer, der sich dieses Auto nur leisten kann, weil seine Frau fest verbeamtet ist.
({23})
Sie müssen sich grundsätzlich entscheiden, welchen
Weg Sie gehen wollen. Man kann nicht alles gleichzeitig
haben wollen.
Durch die Ökosteuer werden insbesondere die Menschen im ländlichen Raum belastet. Auch die Autofahrer
in den neuen Bundesländern trifft es hart, wo sich ihre
Situation gerade verbessert hat, nachdem sie vorher
durch die Freunde von Herrn Gysi - Herr Gysi ist ja hier
bei einer Stimmenthaltung, glaube ich, vom ganzen
Bundestag zu einem Stasi-Mann erklärt worden - behindert worden waren. Es gibt also keine Erblasten der alten Bundesregierung. Es gibt nur Lasten, die uns durch
die Beseitigung des Schutts von Sozialismus und Kommunismus auferlegt wurden. Das sage ich, damit das ein
für allemal klar ist.
({24})
Jetzt können die Menschen in den neuen Bundesländern also endlich Auto fahren, weil die Straßen dort in
Ordnung sind; sie können sich endlich auch ein ordentliches Auto kaufen. Und nun treiben Sie den Spritpreis
nach oben. Auch diese Politik schlägt sich natürlich in
den Wahlergebnissen nieder. Dazu kommt noch, daß die
Rohölpreise explodieren. In diesem Moment die Steuern
massiv zu erhöhen ist kontraproduktiv.
Ich komme jetzt zu den Unternehmensteuern. Mit
10 Milliarden DM haben Sie die Unternehmen in
Deutschland unter dem Deckmantel Ihres sogenannten
Steuersenkungsgesetzes - bereits der Name ist eine Lüge - zusätzlich belastet. Sie haben unter anderem den
halben Steuersatz bei Betriebsveräußerungen abgeschafft und damit - das ist vor dem Hintergrund der Tatsache, daß 400 000 mittelständische Betriebe zur Weitergabe anstehen, eine ganz ernste Sache - die Altersversorgung vieler Mittelständler vernichtet. Wenn man
es den Leuten so vermiest, den Betrieb weiterzuführen die Kinder werden entsprechend reagieren -, dann ist
das für die Arbeitsplätze in unserem Lande ungeheuer
gefährlich, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({25})
Um den Schmerz dieser Steuererhöhung zu lindern,
haben Sie für das Jahr 2000 eine Unternehmensteuerreform in Aussicht gestellt. Wir sind gespannt, wann sie
tatsächlich kommt - vielleicht im Jahr 2001. Aber das,
was jetzt von Ihnen konzipiert wird, hilft dem Mittelstand ohnehin sehr wenig.
Ich weiß nicht, Herr Bundeskanzler, ob Sie sich mit
allen Details des Steuerrechts auskennen; das würde
jetzt auch ein Stück zu weit führen.
({26})
- Ich war immerhin vier Jahre lang finanzpolitischer
Sprecher der Union, und zwar zu der Zeit, als Sie in der
Opposition waren, also da, wo Sie hingehören. Wir haben in dieser Zeit eine gute Politik gemacht.
Herr Bundeskanzler, Sie haben richtigerweise gesagt:
Fast 90 Prozent der Unternehmen sind keine Aktiengesellschaften und keine GmbHs, sondern Einzelunternehmen. Bei diesen aber ist die Trennung zwischen Betriebskapital und persönlichem Vermögen des Inhabers
so gut wie nicht möglich. Das ist die Praxis.
({27})
Diesen Unternehmen nutzt Ihr Angebot eines niedrigeren Steuersatzes für nicht entnommene Gewinne überhaupt nichts.
({28})
Kernproblem Ihrer Steuerreform und Ihrer Unternehmensteuerreform ist doch, daß der allgemeine Steuerspitzensatz aus ideologischen Gründen nicht gesenkt
werden soll. Deshalb kann im Grunde genommen nur
eine Mißgeburt herauskommen.
({29})
Herr Struck hatte deshalb recht, als er im Sommer
durchs Land gezogen ist und gesagt hat: Wir brauchen
eine Steuerreform, die diesen Namen verdient. Das war
eine vernichtende Kritik an Ihrer Steuerreform. Er hat
diese Kritik zum Teil zurücknehmen müssen. Trotzdem
aber bleibt sie richtig.
Ein weiteres Beispiel dafür, wo Worte und Taten auseinanderklaffen, ist die Selbständigkeit. Das MeisterBAföG wird reduziert. Man spart quasi am Saatgetreide
({30})
und glaubt, man könne in Zukunft so die Ernährungslage
der Bevölkerung verbessern. Das ist unsinnig.
Auf den „SPD-Garantiekarten“, die wahrscheinlich
auch Sie verteilt haben, wird versprochen: Wir wollen
Deutschland durch Verdoppelung der Investitionen in
Bildung, Forschung und Wissenschaft in fünf Jahren zur
Ideenfabrik machen.
({31})
Das haben Sie nicht verwirklicht. Die Finanzplanung dafür - das ist schon gesagt worden - geht zurück; genauso sieht es bei der globalen Minderausgabe aus.
({32})
Nach Ihrer Planung wird im Jahr 2002 weniger für Bildung und Forschung ausgegeben als zu Waigels Zeiten.
Das ist die Tatsache.
({33})
Aber das mit der Ideenfabrik hat geklappt, Herr Bundeskanzler. Diese SPD-Fraktion ist eine grandiose
Ideenfabrik. Im Sommer haben wir davon viele Kostproben bekommen. Wir konnten ein köstliches Sommertheater genießen.
({34})
Herr Bundeskanzler, Ihr eigentliches Problem sind
die vielen gebrochenen Versprechungen. Zum Beispiel
haben Sie noch im Februar 1999 - das müssen Sie sich
vorhalten lassen - eine Reduzierung der Mittel für den
Straßenbau kategorisch ausgeschlossen.
({35})
Dafür haben Sie sich als Kanzler aller Autos, wie Sie
sich selbst genannt haben, verbürgt.
({36})
Die Realität ist: Die Straßenbaumittel wurden um 400
Millionen DM zusammengestrichen. Durch das sogenannte Sparprogramm werden die Mittel für Straßenbau- und Schienenwegeinvestitionen bis zum Jahr
2003 um 7,3 Milliarden DM gekürzt.
({37})
Herr Klimmt muß ein schweres Erbe übernehmen.
({38})
Herr Müntefering wird gebraucht, um die Desinformationskampagnen, mit denen er die Wahl gewonnen hat,
fortzusetzen; aber die Leute glauben es ihm nicht mehr.
Und Herr Klimmt kann sich bald nicht Minister für Bau
und Verkehr, sondern Minister für Stau und Verkehr
nennen.
({39})
Diese Politik führt nämlich dazu, daß unsere Verkehrsadern verstopft werden. Auch dadurch verhindert man
Wachstum.
Wolfgang Schäuble hat heute zu recht dargelegt, wie
man konsolidieren kann. Dies geht nur, wenn Wachstum
geschaffen wird - das ist der beste Weg zur Konsolidierung - und die Steigerung der Ausgaben geringer ausfällt als die Steigerung der Einnahmen. Vor diesem
Hintergrund ist Ihr sogenanntes Sparpaket eines der
größten Märchen seit den Gebrüdern Grimm.
Herr Metzger, ich habe versprochen, Sie zu zitieren,
wenn Sie dableiben. Das tue ich hiermit gerne. Sie sind
der haushaltspolitische Sprecher der Grünen. Das sage
ich für die Leute, die draußen zuschauen und die das
vielleicht nicht wissen. Sie haben gesagt:
Wir zahlen heute die Zeche für die sozialliberale
Koalition in den 70er Jahren, die Sozialleistungen
ausgeweitet und Öffentlichen Dienst aufgebläht hat,
als ob wir in Schlaraffia lebten.
Das haben Sie in der Zeitung „Die Woche“ vom
26. März 1999 gesagt. Das war möglicherweise Ausfluß
Ihrer Enttäuschung darüber, daß Sie nichts geworden
sind. Nach einer Regierungsbildung ist es natürlich immer so: Wenn man sich Hoffnung darauf macht, daß
vielleicht ein Staatssekretärspöstchen drin ist, und man
es nicht bekommt, dann ist man leichter geneigt, die
Wahrheit zu sagen, und spricht sie deutlicher aus.
({40})
Es ist im Grunde genommen vollkommen egal. Es ist
nun einmal das Schicksal der Grünen, daß sie für die
SPD lediglich notwendige Mehrheitsbeschaffer sind,
({41})
denen man ein paar unbedeutende Spielwiesen gibt und
die man ansonsten links liegenläßt.
Herr Fischer ist vielleicht eine Ausnahme. Aber er hat
sich, auch in seinem ganzen Gehabe und Auftreten, weit
davon distanziert, jemals zu den Grünen gehört zu haben.
({42})
Seine Popularität ist deswegen sehr hoch, weil die Leute
vergessen haben, bei welcher Partei er - hoffentlich noch Beiträge zahlt.
Herr Schröder hat ja auch gesagt, was er von den
Grünen hält. Ich zitiere aus dem „Münchner Merkur“.
Da hieß es:
Meine erste Regierung war eine rot-grüne Regierung in Niedersachsen. Da hatten wir das so geregelt, daß die Grünen sagten, was Niedersachsen in
der UNO macht, und ich, was in Niedersachsen
passiert.
Insofern sind die Grünen immer nur ein Feigenblatt.
Der Aufbau Ost soll zur Chefsache werden, so hieß es
vor der Bundestagswahl auf den „Garantiekarten“, die
ich schon ein paarmal zitiert habe.
({43})
Auch das fällt in die Kategorie mit der Überschrift: Versprochen, gebrochen.
({44})
Es heißt bei Ihnen ja überhaupt: Es gilt das gebrochene
Wort.
({45})
Ich gebe Herrn Gysi ungern recht, aber wo er recht hat,
hat er recht. Er hat zu Recht beklagt, was sich seit der
Wahl in den neuen Bundesländern tut.
({46})
Herr Schwanitz ist ja nur eine Gallionsfigur. Ich habe
gelesen, er soll bald durch Frau Hildebrandt ersetzt werden, nach dem Motto: Irgendwo müssen die verdienten
Genossinnen und Genossen wieder untergebracht werden. Ich kann nur warnen: Nehmen Sie bitte nicht Frau
Hildebrandt! Die nervt furchtbar. Die Westdeutschen,
selbst Ihre Genossen, halten automatisch den Geldbeutel
zu, wenn sie die dann im Fernsehen nerven hören.
({47})
Jedenfalls ist die größte Drohung, wenn Sie sagen, daß
Sie etwas zur Chefsache machen wollen. Das stimmt.
Sie haben offensichtlich Probleme mit der deutschen
Einheit. In Ihrer Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident haben Sie im Bundesrat gegen den deutschdeutschen Einigungsvertrag gestimmt. Das ist eine Tatsache. Sie sind vielleicht Ihrem Duzfreund Egon Krenz
treu geblieben,
({48})
aber sie haben die Menschen in den neuen Ländern verraten. Jetzt, wo Sie Kanzler sind, tun Sie ebenfalls nichts
für diese Menschen, außer daß Sie Versprechungen abgeben.
({49})
Herr Bundeskanzler, ich muß Ihnen noch einmal eine
Ihrer Äußerungen vorhalten. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung - das war schon nach der Wahl - gesagt:
Das soziale Netz muß … zu einem Trampolin werden. Von diesem Trampolin soll jeder, der vorübergehend der Unterstützung bedarf, rasch wieder in
ein eigenverantwortliches Leben zurückfedern können.
Bis jetzt hat Ihr Trampolin lediglich bewirkt, daß die
Menschen, die sich auf dieses Trampolin begeben haben, aus dem Arbeitsmarkt oder aus einem 630-DM-Job
hinauskatapultiert worden sind.
Mittlerweile haben auch die DGB-Gewerkschaften
erkannt, daß sie den falschen Mann unterstützt haben.
Sie melden sich jetzt. Erst haben Sie unsere Rentenreform zur längerfristigen Absicherung einer kalkulierbaren und nettolohnbezogenen Rente rückgängig gemacht. Ich erwarte jetzt von den DGB-Gewerkschaften,
daß sie die gleichen Finanzmittel einsetzen, die sie damals, im Wahlkampf, gegen Helmut Kohl und für Sie
eingesetzt haben.
({50})
Ferner werden die Menschen mit der Ökosteuer abgestraft und abkassiert, die angeblich der Senkung des
Rentenversicherungsbeitrags dienen soll.
({51})
- Lediglich zum Teil. In Wahrheit überweist der Bund
im Jahr 2000 nur etwas mehr als die Hälfte des Betrages,
der sich aus der Mehrwertsteuererhöhung des Jahres
1998 und der Ökosteuer des Jahres 1999 ergibt, an die
Rentenkasse. Das kann man nachrechnen.
Jetzt wollen Sie den Rentnern die ihnen zustehenden
Erhöhungen ihrer Renten verweigern. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, Herr Bundeskanzler, wieder zitieren. Sie haben in der Haushaltsdebatte vor einem Jahr hier gesagt:
Das trifft … insbesondere jene zumeist älteren
Frauen, die ihre Männer im Krieg verloren haben,
die ihre Kinder durchgebracht haben und die vor
allen Dingen die Lasten des Aufbaus im Westen
getragen haben. Denen an die Rente zu gehen ist
nicht nur sozial ungerecht, nein, es ist unanständig,
was Sie machen.
Das ist Originalton Schröder.
({52})
Ich lasse aus Zeitgründen andere Themen weg. Ich
möchte nur die Plünderung der Pflegekasse und die Einführung des Globalbudgets im Gesundheitswesen erwähnen. Das Globalbudget - ich möchte das für die
Leute übersetzen - funktioniert so, als ob man einer
Kommune vor dem Winter vorgibt, wieviel Geld für
Streugut ausgegeben werden darf, ohne Rücksicht darauf, wie kalt der Winter wird. Das Globalbudget funktioniert so, als ob ein Dorf seiner Feuerwehr vorschreibt,
wieviel Liter Wasser sie im Jahr verspritzen darf, unabhängig davon, ob es einen Großbrand gibt oder nicht.
Das bedeutet letztendlich Budgetierung.
({53})
Dies zeigt, daß die an sich notwendige Konsolidierungspolitik blinde Willkür ist.
Wir haben es am Beispiel der Landwirtschaft gesehen. Es war ja besonders delikat, wie Sie sich in Cottbus
gegenüber den Bauern und insbesondere den Bäuerinnen
benommen haben.
({54})
Ich versage es mir, dies genau im Detail zu schildern.
Sie sind nach Cottbus gereist, um sich gegenüber einer
kleinen Gruppe als der große Macher fernsehwirksam
aufzuspielen. Das finde ich schäbig, Herr Bundeskanzler. Das sollten Sie nicht nötig haben.
({55})
Was treiben Sie mit unserer Bundeswehr? Sie wollen verhindern, daß Herr Scharping, der sicherlich zu
den stärkeren Figuren in Ihrem Kabinett zu zählen ist,
Erfolg hat. Deswegen wird in erster Linie die Bundeswehr so gestraft. Herr Scharping hat es ungeheuer
schwer: Wehrt er sich nicht gegen die Kürzungen, dann
ist seine Glaubwürdigkeit dahin. Er gehört dann zu der
Reihe von Figuren, die Opfer Ihres Machtkalküls geworden sind. Herr Bundeskanzler, Sie haben noch immer nicht vergessen, daß Herr Scharping Sie damals als
wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD entlassen hat.
An Ihrer Stelle würde auch ich so etwas nicht vergessen.
Es ist menschlich verständlich, daß man sich dafür rächt,
({56})
aber daß man dafür die Bundeswehr in Geiselhaft
nimmt, finde ich entsetzlich und ganz übel.
({57})
Sie reden zwar immer von Zusammenarbeit. Aber
wie sind Sie denn bei der Besetzung der Posten der Europäischen Kommission vorgegangen? Sie haben keine
Zusammenarbeit gesucht. Jetzt fordert Frau Schreyer
neue Europasteuern. Herr Verheugen läßt die Katze aus
dem Sack und sagt sofort nach der Anhörung vor den
EU-Gremien: Das Geld reicht nicht für die Osterweiterung. Damit gibt er Ihnen eine Ohrfeige, weil Sie als
Ratspräsident zu kurz gesprungen sind. Ich würde mir
das von Herrn Verheugen nicht gefallen lassen. Deswegen wäre in Brüssel ein Kassensturz notwendig.
({58})
Hans Barbier schreibt in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 14. September dieses Jahres, also
vorgestern, unter der Überschrift „Die Leute“:
Sie
- die Leute verstehen, dass sie im September 1998 eine Luftnummer gebucht haben. Sie verstehen, dass ihnen
die maßvolle Rentenreform der konservativliberalen Koalition als schreiendes Unrecht geschildert wurde und dass an deren Stelle nun ein
Willküreingriff treten soll, der jeder Langfristvorstellung von Altersvorsorge Hohn spricht. Sie
- die Leute verstehen genug von der demotivierenden Last der
Besteuerung, um zu wissen, dass man möglichst
rasch eine Regierung wieder loswerden sollte, die
angesichts der Rentenmisere nun das private Sparen
höher besteuert.
Wir werden auch den von Ihnen mit der Besteuerung
der Lebensversicherung eingeschlagenen Weg im Bundesrat nicht mitgehen. Ich sage das, damit das ganz klar
ist.
({59})
Hans Barbier schreibt weiter:
Die Leute verstehen vieles. Aber sie werden kaum
mehr verstehen, warum sie vor einem Jahr dem
medial geschönten Schein der schieren Substanzlosigkeit erlegen sind.
Herr Bundeskanzler, das ist ein sehr harter Vorwurf
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
- von kompetenter,
neutraler Seite. Die Wählerinnen und Wähler merken,
daß sie auf einen Blender hereingefallen sind. Die
Wählerinnen und Wähler haben sich bereits zum achtenmal gegen Sie entschieden. Wir bitten die Wählerinnen und Wähler in Sachsen und in Berlin, sich ebenfalls
gegen Sie zu entscheiden. Wenn sie das tun, geben sie
uns mehr Einfluß im Bundesrat. Diesen Einfluß werden
wir verantwortungsvoll wahrnehmen, weil wir zum
Wohl unseres Landes arbeiten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich erteile nun dem
Kollegen Matthias Berninger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Herr Kollege Glos, wenn die CDU/CSU die haushaltspolitische Diskussion so fortsetzt, wie Sie sie derzeit führen, dann wird sie im „Bayernkurier“ und vielleicht an den Stammtischen Erfolge erzielen. Der Verantwortung, die Ihnen durch die Wahlerfolge angeblich
zugefallen ist, werden Sie dadurch aber nicht gerecht
werden.
({0})
Herr Kollege Glos, eigentlich müßten Sie sich wundern, daß nach einem Wahlerfolg der Union an den Finanzmärkten der Kurs des Euro plötzlich in den Keller
geht. Dort sitzt der Altbundeskanzler. Einer seiner
größten Erfolge war es, daß er trotz Bedenken in diesem
Land den Euro durchgesetzt hat. Gleichzeitig verhält
sich seine Partei so, daß das Vertrauen in den Euro in
einer Art und Weise in den Keller geht, daß zumindest
ich, wenn ich in dieser Partei wäre, ein verdammt
schlechtes Gewissen hätte.
({1})
Wenn ich Zeitung lese, frage ich mich manchmal, ob
Herr Schäuble auf dem Weg von der Regierung in die
Opposition sein gesamtes früheres analytisches Denkvermögen abgegeben hat. Herr Schäuble behauptet, Finanzminister Eichel dramatisiere die Staatsverschuldung. Fest steht doch: Wenn wir den Kurs der Vorgängerregierung fortsetzen, wenn wir dem Schuldenwachstum weiterhin keine Grenzen setzen, dann wird der
Verlust des Vertrauens in den Euro auf den europäischen Finanzmärkten eine Geschwindigkeit erreichen,
die sich nicht nur für Deutschland, sondern für EuroLand insgesamt unerhört negativ auswirken wird.
Wenn dieses Theater um die Wahlen erst einmal
vorbei ist, wenn die siegestrunkenen Konservativen
wieder nüchtern werden und Katerstimmung eintritt,
dann wird die Klärung der Frage, ob die CDU/CSU
durch Blockadepolitik die Stabilität des Euro gefährden
will, dazu führen, daß sich der Finanzminister Eichel mit
dem größten Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland durchsetzen wird.
({2})
Wenn der Kollege Glos auf das „Bündnis für Arbeit“ zu sprechen kommt, dann redet er plötzlich von
Interessenkartellen. Ich kann das verstehen. Mit den
Gewerkschaften hatte er nie etwas am Hut. Daß jetzt
auch die Arbeitgeberverbände bei der CDU/CSU nicht
mehr so wohlgesonnen sind, ist mir völlig klar. Die Arbeitgeberverbände schreiben Ihnen ins Stammbuch: Mit
einer Politik der Blockade gegen das Sparpaket gefährdet man Wachstum und Arbeitsplatzzuwächse in
Deutschland. Genau diese Kritik der Arbeitgeberverbände muß Ihnen wegen des populistischen Kurses, den
Sie hier einschlagen, verdammt weh tun.
({3})
Ihre hier vorgetragene Linie besteht darin, abstrakt zu
sagen, Sparen sei eine klasse Sache, selbstverständlich
müsse man sich um den Haushalt in irgendeiner Form
kümmern. Wenn es aber konkret wird, dann fordern Sie
nur Mehrausgaben. Mit dieser Linie werden Sie in diesem Land nicht mehr lange Wahlerfolge einfahren;
vielmehr werden Sie reumütig zu einer Politik der Verantwortung zurückkehren.
Vor diesem Hintergrund nehme ich aus diesen Haushaltsberatungen vor allem folgendes mit: Die Union hat
sich noch nicht entschieden, konstruktiv am Sparkurs
mitzuwirken. Aber ich bin dennoch hoffnungsvoll, weil
Ihnen die Verantwortung für dieses Land auf Dauer
nicht in der Art fehlen wird, wie es zur Zeit der Fall ist.
Herr Glos hat die „Garantiekarte Wahlversprechen“
ins Feld geführt. Mich ärgert aber, daß er immer nur
darüber geredet hat, was diese Bundesregierung noch
nicht erreicht hat. Daß im August des Vorjahres
7 Prozent junge Leute mehr arbeitslos als im August
dieses Jahres waren, das ist ein Riesenerfolg der Politik
dieser Bundesregierung, den Sie unter den Tisch fallen
lassen.
({4})
Das können Sie auch weiterhin so tun. Sie können alles
ignorieren. Aber ich freue mich für jeden einzelnen, für
den wir einen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz
geschaffen haben. Ich freue mich auch darüber, daß Herr
Schäuble mit seiner wohlfeilen Kritik vor Jahresfrist gegen unsere Programme in diesem Bereich offenkundig
falschgelegen hat. Wir haben uns um eine Gruppe junger
Menschen gekümmert, die zu lange die Verlierer waren
und zu lange keine Perspektive hatten. Ich freue mich,
daß wir als Bundesregierung trotz der Einsparungen in
diesem Bereich weiterhin Akzente setzen. Die Koalitionsfraktionen werden dies massiv unterstützen.
({5})
Bei der Rentenpolitik machen Sie das gleiche, und
Sie werden auch hier - dessen bin ich sicher - ohne
einen Kurswechsel nicht vorankommen. Ich habe mich
schon in der letzten Legislaturperiode massiv darüber
geärgert, daß zumindest von manchen Parlamentariern
die Realitäten in der Rentenversicherung ignoriert wurden. Man hat das Problem der demographischen Entwicklung nicht gesehen und die Kostenprobleme in der
Rentenversicherung ignoriert. Ich habe mich auch darüber geärgert, daß dann, wenn Rentenzuwächse durch
die Maßnahmen von Herrn Blüm begrenzt wurden, polemisch von Rentenkürzung geredet wurde. Der tiefe
Frust, der darüber bei Ihnen vorhanden ist, kann doch
nicht dazu führen, daß diejenigen, die sich in den letzten
vier Jahren darüber geärgert haben, nun in der Opposition genauso reden. Damit unterminieren Sie das Vertrauen in die Rentenversicherung, was ich für unseriös halte.
Viele Kollegen, wie zum Beispiel der Kollege Storm,
der massiv daran gearbeitet hat, daß es eine vernünftige
Reform der Rentenversicherung gibt, gucken heute verlegen unter den Tisch, wenn sie sich das populistische
Gerede von der ersten und zweiten Reihe der
CDU/CSU-Fraktion anhören müssen,
({6})
weil sie genau wissen, daß damit kein Millimeter Zukunft geschaffen wird, sondern daß die CDU weiterhin
für Stillstand in diesem Bereich steht. Das ist nicht der
richtige Weg.
({7})
Sie sind durch Ihre Wahlerfolge nun in der Verantwortung. In der Rentenpolitik heißt das, daß sich die
Opposition, zumindest die große Oppositionsfraktion von der kleinen kann man sagen, daß ihre rentenpolitischen Vorschläge zu Lasten der Menschen gehen, die
für das Alter keine hohen Einkommen ansammeln können;
({8})
von der PDS wollen wir nicht reden, weil sie sagt:
„Hände weg von Omis Rente“, und meint, die Rente sei
sicher, was billigster Populismus ist und eine Haltung
darstellt, mit der man bestenfalls Wahlkampf machen
kann -,
({9})
endlich mit der rotgrünen Koalition an einen Tisch setzen muß. Wir werden gemeinsam eine Lösung finden
müssen.
Es gibt den Vorschlag der Einführung eines demographischen Faktors, den Vorschlag von Herrn Riester,
eine obligatorische Zusatzversicherung für das Alter
einzuführen und damit Stabilität in der Rentenversicherung zu schaffen, und den Vorschlag von den Bündnisgrünen, zukünftig zu verhindern, daß jede Mark, die wir
in die Erhöhung des Kindergeldes oder in andere Verbesserungen, die Familien zugute kommen sollen, stekken, zugleich zu Rentenerhöhungen führt. Diese drei
Vorschläge liegen auf dem Tisch, und wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, wie wir aus diesen drei
Vorschlägen ein vernünftiges Rentenkonzept hinbekommen.
Wenn Herr Kollege Glos hier so tut, als sei niemand
mehr als die Opposition um die Leute besorgt, die im
Alter von Armut betroffen sind, dann kann ich Ihnen nur
sagen: Ändern Sie Ihre Haltung zum Thema Grundsicherung im Alter, und stimmen Sie mit der Bundesregierung bei der Rentenreform dafür, daß wir eine Grundsicherung im Alter schaffen und es damit alten Menschen
ersparen, zum Sozialamt gehen zu müssen! Wenn Sie da
mitmachen, dann nehme ich Ihre Sorge ernst. Anderenfalls ist das billiger Populismus und Flucht aus der Verantwortung.
({10})
Heute morgen hat der Kollege Schäuble für einen
Moment diesen billigen populistischen Kurs verlassen,
als er gefragt hat, ob man nicht bei der Arbeitslosenhilfe
und der Sozialhilfe, also bei der Frage, wie wir den
Sozialstaat organisieren, einmal darüber nachdenken
könne, neue Wege zu gehen.
({11})
Was mich dann aber ärgert, ist, daß er dabei das
Wohngeld vergessen hat. Die Maßnahmen der Bundesregierung, das pauschalisierte Wohngeld wieder durch
die Kommunen und nicht durch den Bund zu finanzieren, sind keineswegs der Versuch, lediglich Lasten in
Richtung auf die Kommunen zu verschieben. Sie haben
ein anderes Ziel: Wir gehen fest davon aus, daß die
Kommunen dann, wenn sie für das Wohngeld und damit
auch für die Unterbringung der Ärmeren in diesem Land
Verantwortung tragen, auch für eine sinnvolle Unterbringung sorgen und es nicht zulassen werden, daß sie
weiterhin in schlechten und überteuerten Wohnquartieren untergebracht werden. Dann wird es vorbei sein mit
ihrem geringen Interesse an konkreten Reformen und einer vernünftigen städtischen Wohnungspolitik, wie es
auf Grund der Tatsache, daß der Bund das Wohngeld
bezahlt, heute der Fall ist.
({12})
Deswegen bin ich dafür, daß man die Wohngeldreform an dieser Stelle so angeht, wie es die Bundesregierung vorschlägt. Ich bin auch dafür, daß wir das Wohngeld, was den Bereich des Tabellenwohngeldes angeht,
erhöhen. Wir lösen damit ein Wahlversprechen ein und
sorgen darüber hinaus endlich dafür, daß diejenigen, die
arbeiten und eine Familie zu ernähren haben, aber auf
Grund erhöhter Mietkosten kaum die Mieten für ihre
Wohnungen bezahlen können, das in Zukunft können.
Ich bin stolz darauf, daß wir dieses Wahlversprechen
einlösen. Das ist eine von vielen Maßnahmen, bei denen
wir trotz des Sparens sagen: Wir setzen Akzente.
({13})
Zur Frage der Verschiebung von Lasten. Auch Sie
kennen die Rechnungen. Sie reden immer nur davon,
daß der Bund Ausgaben an eine andere Stelle weitergibt.
Sie reden aber nicht davon, daß der Bund auch Entlastungen weitergibt. Sie müssen jetzt, da Sie die Mehrheit
in den Ländern haben, dafür sorgen, daß die Finanzminister der Länder ihre Hände waschen und daß sie nicht
mehr mit klebrigen Händen das Geld, das wir zur Entlastung der Kommunen zur Verfügung stellen, in den
Länderhaushalten einbehalten. Das ist Ihr Job.
({14})
Unser Job ist es, dafür zu sorgen, daß der Bundeshaushalt ins Gleichgewicht gebracht wird.
({15})
Kümmern Sie sich also um Ihre Aufgaben.
Es wurde darüber gesprochen, wer für die
1 500 Milliarden DM Staatsschulden des Bundes ver-
antwortlich ist. Ich halte überhaupt nichts von der wohl-
feilen Debatte: Erst waren es die Sozialliberalen, dann
waren es die Christlich-Liberalen. Die F.D.P. war immer
mit dabei, wenn es darum ging, die Lohnnebenkosten
und die Staatsverschuldung zu erhöhen;
[Dr. Uwe Küster [SPD]: Ja, und jetzt schreien
sie: „Haltet den Dieb!“)
Sie sollten bei den Haushaltsberatungen ganz ruhig sein.
Ich halte überhaupt nichts davon, wenn wir hier, statt
über das Problem 1 500 Milliarden DM Staatsschulden
zu sprechen, so tun, als sei nur die eine oder nur die andere Seite verantwortlich. Sie müssen sehen, daß Sie
durch die Politik der Wiedervereinigung Deutschlands
Mitverantwortung dafür tragen, daß die Schulden so gestiegen sind, weil Sie von den Besserverdienenden nicht
ihren Beitrag zur Finanzierung der Einheit verlangt haben, und daß die Lohnnebenkosten in die Höhe gefahren
wurden, weil Sie nicht den Mut hatten, zu sagen, daß der
Aufbau des Sozialstaats in den neuen Ländern durch alle
finanziert werden soll. Sie tragen genug Mitschuld. Aber
egal; 1 500 Milliarden DM Schulden braucht man gar
nicht zu dramatisieren. Alle an den Finanzmärkten, die
sich die Sache bekanntermaßen ganz nüchtern anschauen, sagen Ihnen, daß sich ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, die führende Wirtschaftsmacht im Euro-Land, eine solche Schuldenbelastung auf Dauer
schlicht nicht leisten kann. Insofern ist es auch Ihre
Aufgabe, die Bundesregierung dabei zu unterstützen,
daß dieser Schuldenberg abgebaut wird.
In den 80er Jahren - zumindest in den ersten sieben
Jahren Ihrer Regierungsverantwortung - haben Sie es
geschafft, die Neuverschuldung zu halbieren. Das war
eine Anstrengung. Der Bundesfinanzminister hat sich
zum Ziel gesetzt, die Neuverschuldung in Deutschland
in dem gleichen Zeitraum auf Null zurückzufahren und
einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Da nützt Ihnen Ihre Kritik im Detail überhaupt nichts. Die Kernfrage ist: Schaffen wir das als Bundesrepublik Deutschland? Da geht es auch nicht um die Frage, ob die rotgrüne Koalition das schafft, sondern es geht um die Frage,
ob das Land das schafft. Wenn Sie das weiterhin blokkieren, dann tragen Sie die Verantwortung dafür, wenn
dieses Land international weiterhin auf dem absteigenden Ast ist, statt auf dem aufsteigenden zu sein.
({16})
Ich komme noch einmal auf die Garantiekarte zurück.
Da steht, daß wir mehr für die Bildung tun. Natürlich
können Sie, Herr Glos, jetzt billigste Milchmädchenrechnungen hier vorlegen und den Haushaltsansatz von
Frau Bulmahn mit dem ihrer Vorgänger vergleichen.
Dabei vergessen Sie aber, daß wesentliche Haushaltstitel, die früher im Haushalt des Bildungs- und Forschungsministeriums waren, heute ganz woanders ressortieren, zum Beispiel beim Wirtschaftsminister. Ich
bin stolz darauf, daß wir, obwohl wir das Ziel haben,
den Haushalt ins Gleichgewicht zu bringen, im Bildungsbereich neue Akzente setzen werden.
({17})
Ich bin stolz darauf, daß wir als Koalition das Recht auf
Bildung verwirklichen wollen, daß wir nicht einfach
pauschal überall sparen, sondern daß die rotgrüne Koalition sagt: Man muß mit Verstand sparen, das heißt,
man muß sparen und zugleich Akzente setzen. Da können Sie mit falschen Zahlen und mit Halbwahrheiten
operieren; die Bilanz wird uns an dieser Stelle recht geben. Es ist ein kluger Weg, den wir gehen, weil wir dieses Sparpaket nicht nur auf den Weg bringen, um in irgendeiner Form positiv dazustehen.
Zum Abschluß. Ich habe das Thema Rentenreform
schon angedeutet. Wir führen die Rentenreform, den
Abbau der Staatsverschuldung und die Ökologisierung
unseres Steuerrechts nicht durch, damit wir hier alle gut
schlafen können, sondern wir machen das, weil ein
Kurswechsel stattgefunden hat. Herr Rau hat in seiner
Einführungsrede als Bundespräsident an dieser Stelle
vor dem Egoismus des Gegenwärtigen gewarnt. Dieser
Egoismus des Gegenwärtigen herrschte in Deutschland
zu lange vor. Wir wollen für kommende Generationen
Akzente setzen. Das heißt, sie dürfen nicht mit unseren
Zinslasten belastet werden. Sie müssen durch Investitionen im Bildungsbereich Spielräume bekommen. Sie
müssen Vertrauen in ein Rentensystem gewinnen, von
dem Junge und Alte etwas haben.
Für die Umsetzung all dieser Vorhaben braucht es
mehr als eine rotgrüne Koalition. Sie werden sich überlegen müssen, ob Sie weiterhin auf dem Holzweg bleiben und Obstruktion betreiben wollen oder ob Sie diese
Ziele - ausgeglichener Haushalt, Investitionen für die
kommenden Generationen und zukunftsfestes Rentensystem - erreichen wollen. Dann müssen Sie uns unterstützen. Wenn Sie aber den Weg gehen wollen, den Sie
im Moment beschreiten, tragen Sie die Verantwortung
dafür, wenn es schiefgeht.
({18})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Joachim Otto.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Berninger, daß die Opposition - um Ihre letzte Frage zu beantworten - bereit ist, den Weg der Haushaltskonsolidierung mitzugehen, hat die heutige Debatte meines Erachtens sehr deutlich gemacht.
Sie selbst haben vom Sparen mit Verstand gesprochen. Darum geht es auch in dem Bereich, den ich hier
in meiner Rede kurz streifen möchte. Wenn wir in allen
Bereichen sparen müssen, dann gilt dieses selbstverständlich auch für die Kultur. Es gibt das klare Bekenntnis, daß wir nicht einen Politikbereich von vornherein
draußen lassen können. Es geht aber, wie Sie sagen, um
Sparen mit Verstand; das heißt Sparen mit System, eingebettet in ein schlüssiges Gesamtkonzept. Dazu können
wir ganz klar feststellen: Es gibt wohl kaum einen Politikbereich in diesem Hause, in dem ein Gesamtkonzept
zum Sparen so sehr fehlt wie gerade im Bereich der
Kultur.
({0})
Ich will Ihnen das an einigen Beispielen deutlich machen. Beim Anschauen des Haushaltsentwurfs stellen
Sie fest, daß am heftigsten dort gespart wird, wo Herr
Naumann parteipolitische Gegner ausgemacht hat oder
wo wenig mediale Aufmerksamkeit zu erheischen ist. Es
gibt zum Beispiel besonders starke Kürzungen bei der
„Deutschen Welle“, bei der Vertriebenenkultur und bei
der auswärtigen Kulturpolitik.
({1})
Auf der anderen Seite sind Sie, Herr Dr. Naumann,
offenbar bereit, für bestimmte Bereiche großzügiger
Geld auszugeben. Interessanterweise legen Sie in Bereichen, auf die die Scheinwerfer gerichtet sind, in denen
das Showbiz herrscht und Glamour vorherrschend ist,
zu. In den letzten zwei Jahren haben sich beispielsweise
die Ausgaben für die Subventionierung der deutschen
Filmindustrie verdoppelt.
({2})
Das wird dem deutschen Film nicht entscheidend weiterhelfen. Es gibt inzwischen ja einige Regisseure, die
besser im Auffinden von irgendwelchen Subventionstöpfen als in der Ermittlung eines erfolgreichen Drehbuchs sind.
({3})
Subventionen waren noch nie erfolgreich.
Über einen anderen Bereich sollten wir uns, Herr
Dr. Naumann, auch unterhalten: Über den Hauptstadtkulturfonds. Sie lassen sich in der heutigen „taz“ mit
dem Spruch feiern: Naumann macht mehr Geld für die
Szene locker. Begründet wird dies damit, daß Sie - ich
zitiere in Berlin die Kunst in den Bezirken und von Projektgruppen in der Szene finanzieren wollen und
dabei bezirklichen Initiativen ein weitgehendes
Mitbestimmungsrecht geben wollen.
({4})
Diese Mitwirkung von bezirklichen Initiativen ist wohl
deswegen notwendig, weil Sie den Hauptstadtkulturfonds einem ehrwürdigen 74jährigen Mann anvertrauen
wollen und zusätzlich etwas jugendlichen Input benötigen.
Meine Damen und Herren, so wichtig die Hauptstadtkulturförderung ist - auch wir freuen uns über ein buntes
und reichhaltiges Kulturleben in dieser Stadt -, möchte
ich Sie, Herr Dr. Naumann, doch fragen, wie Sie die
Zulagen in den Bereichen Film- und Hauptstadtkulturförderung etwa den Hunderten von Mitarbeitern bei der
„Deutschen Welle“ oder an dem ungarischen bzw. litauischen Gymnasium erklären wollen, die jetzt wegen
Ihrer Kürzungen entlassen werden müssen?
({5})
Wie erklären Sie angesichts der Wohltaten in einigen
showträchtigen Bereichen Ihre radikalen Kürzungen
zum Beispiel bei der Erhaltung deutschen Kulturgutes
der historischen Siedlungsgebiete Ost-, Mittel- und Südosteuropas?
Es fällt übrigens auf, daß unter den Kürzungen von
Herrn Naumann, beispielsweise bei der „Deutschen
Welle“ oder bei der Kulturgutsicherung, überdurchschnittlich die Reformstaaten Ost- und Mitteleuropas zu
leiden haben. Das erklärt vielleicht auch ein bißchen den
nicht sehr überzeugenden Auftritt von Bundeskanzler
Schröder kürzlich in Ungarn. Zu unserer Verantwortung
gerade gegenüber diesen Reformstaaten müssen wir uns
auch in der Kulturpolitik bekennen. Wir können hier
nicht besonders stark kürzen.
({6})
Meine Damen und Herren, wir verstehen unsere Rolle
als Opposition konstruktiv. Deswegen wollen wir Ihnen
auch zwei konkrete Angebote für eine Zusammenarbeit
unterbreiten.
Der erste Bereich betrifft die „Deutsche Welle“ und
die auswärtige Kulturpolitik. Lassen Sie mich eingangs
sagen: Auch in diesen Bereichen können Kürzungen
nicht tabu sein; darüber brauchen wir nicht zu reden.
Wir brauchen - wie Sie es so schön genannt haben - ein
Gesamtkonzept für mediale Außenrepräsentanz. Wo
bleibt es, Herr Dr. Naumann? Wo bleibt Ihr Konzept?
Zwischen den Mittlern auswärtiger Medien- und
Kulturarbeit müssen jetzt unter Einbeziehung der „Deutschen Welle“ intelligente Kooperations- und Synergieeffekte gefunden werden. Wenn wir beispielsweise die
Amerikaner, die Engländer oder die Franzosen betrachten, so stellen wir fest, daß sie wesentlich weiter sind in
ihrer Strategie zum Einsatz elektronischer Medien bei
ihrer auswärtigen Kulturarbeit.
({7})
Meine Damen und Herren, das sollte uns zu denken
geben. Deswegen ist die Idee zu begrüßen, daß man dieses Thema, das nicht nur kulturpolitisch und außenpolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch extrem wichtig
ist, als ein klassisches nationales Gemeinschaftsanliegen
ansieht, welches dann aber auch fraktionsübergreifend,
vielleicht einst sogar auch im Wege einer Enquete gemeinsam aufgegriffen werden muß. Es nützt gar nichts,
dort einmal ein bißchen zu sparen, nach dem Motto:
Haut drauf auf die „Deutsche Welle“, weil da der falsche Intendant sitzt. Vielmehr muß ein Gesamtkonzept
entwickelt werden.
({8})
- Das hat er nicht. - Dort mitzuarbeiten, bieten wir Ihnen an.
Als zweites Feld der Zusammenarbeit bieten wir Ihnen die Stiftungsrechtsreform an.
({9})
Mit großer Freude haben wir in den letzten Tagen vernommen, daß Sie, Herr Dr. Naumann, noch im vierten
Quartal dieses Jahres den F.D.P.-Vorschlag in die Tat
umsetzen wollen, nämlich die Abzugsmöglichkeiten für
gemeinnützige Spenden auf 20 Prozent des Einkommens
zu erhöhen. Gut gebrüllt, Löwe! Aber, lieber Herr
Dr. Naumann, kleinlaut haben Sie hinzufügen müssen,
daß Sie hierzu noch die Zustimmung Ihres Finanzministers benötigen. Lieber Herr Naumann, ich frage Sie:
Warum haben Sie das nicht längst getan?
({10})
Herr Kollege,
so ungern ich Sie gerade an diesem Punkt unterbreche,
aber ich muß Ihnen sagen: Ihre Redezeit ist leider abgelaufen.
Ich komme zum Ende.
Meine Damen und Herren, wir bieten Ihnen hier
Flankenschutz an. Frau Präsidentin, in Ihrer Eigenschaft
als Abgeordnete: Wir alle wissen, daß das Stiftungsrecht
ein Feld ist, auf dem die Kulturpolitiker Schwierigkeiten
mit den Finanzpolitikern haben. Das gilt für alle Parteien; das war schon immer so.
Herr Dr. Naumann, nehmen Sie uns beim Wort: Die
Kulturpolitiker sollten auf diesem Feld zusammenarbeiten.
({0})
Hans-Joachim Otto ({1})
Ich schließe mit den Worten: Die Kulturpolitik generell ist ein Feld, das sich herzlich wenig für parteipolitische Glaubenskriege eignet. Die Kulturpolitik ist ein
Feld, auf dem eine vernünftige Zusammenarbeit erzielt
werden muß. Das gibt es unter den Abgeordneten schon
relativ weit und in guter Form. Das will ich jetzt einmal
ausdrücklich sagen.
({2})
Im Ausschuß klappt das relativ gut, auch dank der Frau
Vorsitzenden und natürlich dem Herrn Tauss.
Aber, lieber Herr Naumann, die Zusammenarbeit aller Abgeordneten mit Ihnen ist noch ein bißchen verbesserungsfähig. Deswegen bieten wir Ihnen an: Kommen
Sie herunter von Ihrer Wolke. Arbeiten Sie mit den
Politikern aller Fraktionen in diesem Hause zusammen,
im Interesse der Kultur.
({3})
Dieses Angebot, diese Aufforderung möchte ich
hiermit an Sie richten, Herr Dr. Naumann. Wir sind zu
einer Zusammenarbeit bereit. Greifen Sie dieses Angebot auf.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat
jetzt Herr Staatsminister Naumann.
Frau Präsidentin! Lieber Herr Abgeordneter
Otto, es ist wunderbar, daß Sie uns die Zusammenarbeit
anbieten. Ich bin geradezu glücklich darüber, daß das
F.D.P.-Modell - so hoffe ich - doch noch im vierten
Quartal dieses Jahres Chancen hat.
({0})
Aber ich möchte auf eines hinweisen: Dieses Modell
wird von dieser parlamentarischen Mehrheit - wenn der
Finanzminister zustimmt; ich muß den Haushaltsvorbehalt selbstverständlich akzeptieren - durchgebracht werden, wohingegen Ihr Modell während Ihrer Regierungszeit jahrein, jahraus an Finanzminister Waigel gescheitert ist.
({1})
Mit anderen Worten: Man muß nicht nur die Kirche im
Dorf lassen, sondern sie auch der richtigen Konfession
übergeben. Und das ist unsere. - Das ist das eine.
({2})
Das andere ist Ihr Hinweis darauf, daß hier glamouröse Kulturpolitik betrieben wird. Davon kann überhaupt
keine Rede sein. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, darauf hinzuweisen, daß die Unterstützung der
deutschen Filmindustrie früher auch einmal - das ist
dann zum Teil verlorengegangen - das heftige Anliegen
der Liberalen war. Dies wird es weiterhin bleiben, und
zwar aus gutem Grund: nicht etwa deshalb, um auf irgendwelchen Filmfestivals aufzutreten, zu denen Sie
gerne hingehen, sondern deshalb, um dafür zu sorgen,
daß sich die freien Produzenten in Deutschland aus der
Umklammerung eines auch von Ihnen gepflegten Subventionsmechanismus befreien und sich auf dem Markt
bewähren können. Das muß Ihnen doch gülden in den
Ohren klingen.
Aber Sie sagen: „Wir wollen keine Parteipolitik machen“, und benutzen diesen Vorwurf zur parteipolitischen Argumentation gegen unsere Kulturpolitik. Darüber kann ich nur lachen. Das wird auch von denjenigen,
für die Kulturpolitik gemacht wird, nicht akzeptiert werden.
({3})
Noch etwas: Die Regierung hat in der Tat versucht sie wird es weiterhin tun -, eine strukturierte Kulturpolitik zu machen. Ich darf einmal aus der „FAZ“, aus dem
früheren Zentralorgan der Konservativen in diesem Lande, zumindest was den Wirtschaftsteil angeht - es handelt sich also nicht um die Zeitschrift „Vorwärts“, der
Titel dieses Organs müßte eher „Rückwärts“ lauten -, zitieren, in der in der letzten Woche in der Überschrift eines Artikels über eine Tagung der Adenauer-Stiftung zu
lesen war - da stand ganz einfach -:
({4})
Danke, Toni: Die CDU erspart sich eine eigene Kulturpolitik.
Wir tun das nicht. Es gibt vielmehr in der Tat zum
Teil schwerwiegende Akzentverschiebungen zum Vorteil - auch zum wirtschaftlichen Vorteil - der neuen
Länder. Auf Grund der Komplementärfinanzierung wird
in den nächsten vier Jahren eine Summe von einer halben Milliarde DM für Investitionsprojekte im Kulturbereich der neuen Länder mobilisiert. Dies ist - mit Verlaub - eine völlige Kehrtwendung von der Kulturpolitik
in den neuen Ländern, die 1993 mit einem eisernen
Vorhang abgeschlossen worden war. Darauf ist unsere
Regierung stolz. Das ist ihr Akzent.
({5})
- Angesichts dessen, daß Sie nach Akzenten suchen und
nicht nach glamourösen Beispielen von angewandter
Kulturpolitik, muß ich Ihnen sagen: Die „Deutsche
Welle“ hat auch unter Ihrer Koalition mit Kürzungen
rechnen und leben müssen.
({6})
Die Kürzungen, die jetzt vorgenommen werden, sind
doch nicht von parteipolitischen oder ideologischen
Überlegungen diktiert. Das ist doch absurd.
({7})
Dort wird dem Auftrag des Gesetzes gemäß das Bild
der Bundesrepublik im Ausland präsentiert und nicht das
Hans-Joachim Otto ({8})
parteipolitische Bild. Etwas anderes habe nicht ich behauptet, sondern Sie.
({9})
Angesichts dessen, daß immer behauptet wird, dies seien
ideologisch oder parteipolitisch motivierte Kürzungen,
muß ich langsam vermuten, daß Sie wirklich glauben,
daß in dieser öffentlich-rechtlichen Anstalt Parteipolitik
gemacht wird. Das ist aber nach meiner Kenntnis nicht
der Fall. Ich weiß gar nicht, was dieser Vorwurf eigentlich soll.
({10})
Hier sind im übrigen von Unternehmensberatern
längst benannte Kürzungsmöglichkeiten vorhanden - so
schwer deren Umsetzung auch ist. Sie werden aber von
der Bundesregierung nicht leichtfertig verlangt, sondern
in Absprache mit den zuständigen Gremien. Das ist der
Verwaltungsrat; das ist der Rundfunkrat, und das ist
selbstverständlich die Intendanz. Sie werden nicht erwarten können, daß die Regierung Vorschläge macht wie das zum Beispiel im Augenblick der Intendant tut -,
wie diese Rundfunkanstalt zu restrukturieren sei, welche
Programme sie haben solle und was sie zu senden habe.
Als ehemaliger Journalist bin ich sehr stolz auf Art. 5
des Grundgesetzes. Die Freiheit der Journalisten, ihre
Arbeit zu verrichten, bleibt unangetastet. Die Intendanz
hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß das kosteneffektiv
oder - in Richtung F.D.P. gesagt - unternehmerisch vernünftig und rational geleistet wird. Das ist alles.
({11})
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?
Von mir aus ja.
Herr Dr.
Naumann, können sie wirklich bestreiten, daß es nicht
nur im Kulturhaushalt, sondern auch im gesamten Bundeshaushalt keinen Etat gibt, in dem so radikal gestrichen wird wie bei der „Deutschen Welle“? Können Sie
bestreiten, daß Ihre Kürzungen im Bundeshaushalt mit
einigen martialischen Äußerungen von Ihnen und von
Politikern Ihres Koalitionspartners einhergehen, in denen man über die „Deutsche Welle“, die im Ausland solide und gute Arbeit macht, hergezogen ist, als ob das
eine Frittenbude wäre, die von lauter Leuten betrieben
wird, die keine Ahnung haben?
Dieses Einhergehen von Äußerungen negativster Art
- auch von Ihnen persönlich, Herr Dr. Naumann - über
die „Deutsche Welle“ mit Kürzungen in einem weit
überdurchschnittlichen Umfang ist das, was ich kritisiert
habe. Daher möchte ich Sie fragen: Können Sie es wirklich bestreiten, daß Zusammenhänge zwischen Ihren
- ich streiche jetzt einmal das Wort „parteipolitisch“ strukturpolitischen Überlegungen und den Kürzungen
zur „Deutschen Welle“ in ihrem Haushaltsentwurf bestehen?
Herr Otto, wir beide haben doch gelernt
- ich habe es jedenfalls sehr schnell lernen müssen -,
den Zitaten in der Presse nicht immer zu trauen. Selbstverständlich habe ich zu keiner Gelegenheit hier in Berlin gesagt, daß der Bund nun die kommunale Kulturszene unterstützen würde. Ich habe ganz im Gegenteil gesagt: Eine Szene, die am Staatstropf hängt - zumal das
Off-Theater, die Off-Szene -, wird automatisch erstickt.
Das andere schreibt die „taz“, das sagt nicht Michael
Naumann. Sie werden dort auch kein wörtliches Zitat
finden; und wenn es doch in dieser Form in der „taz“
steht: So habe ich das nie gesagt. Dasselbe trifft auch auf
viele der kolportierten Aussagen über die „Deutsche
Welle“ zu. Ich habe lange als fester freier Mitarbeiter
bei der „Deutschen Welle“ gearbeitet und weiß, was sie
leistet.
Mit anderen Worten: Die Kürzungen, die die „Deutsche Welle“ betreffen, sind genau die 7,4 Prozent, die
den gesamten Haushalt betreffen. Da dieser Etat in meinem Haushalt aber ein Drittel ausmacht, gab es für mich
überhaupt keine andere Möglichkeit, als den Rotstift
dort aus genau dem Grund, der hier heute morgen - wie
ich finde, sehr überzeugend - dargelegt worden ist,
ebenfalls anzusetzen.
Der Auftrag der „Deutschen Welle“ lautet, über die
Bundesrepublik im Ausland zu berichten. Dies macht
keinen Sinn, wenn man den Gegenstand der Berichterstattung auf Grund desaströser Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten 16 Jahre buchstäblich an die Wand
fährt. Mit anderen Worten: Der Gegenstand, über den
berichtet werden muß - das ist die Bundesrepublik -,
muß erst einmal saniert werden. Das tun wir. Die „Deutsche Welle“ als Berichterstatter muß dazu auch einen
Beitrag leisten. Dies sozial gerecht und nicht mit einer
Personalpolitik, die öffentlich gemacht wird, ehe auch
nur der Verwaltungsrat davon erfahren hat, durchzuführen, das halte ich für eine ganz normale Forderung, die
man auch öffentlich äußern kann.
({0})
Lassen Sie mich die Gelegenheit wahrnehmen, Herr
Otto, noch eine Sache zu betonen. Sie haben völlig
recht: Kulturpolitik als Parteipolitik eignet sich nicht
zum politischen Fußball und eignet sich nicht zu parteipolitisch formierten Diskussionen. Tatsache ist aber darauf bin ich schon stolz -, daß wir, sowohl was diese
Stadt betrifft, als auch, was Bonn betrifft und was - ich
wiederhole mich - die neuen Länder betrifft, deutliche
Akzentverschiebungen geleistet haben, die dafür sorgen
werden, daß nicht nur im Überbau, sondern buchstäblich
an der Basis, nämlich in der Theatertechnik, in der Restaurierung von Museen, Gärten und Schlössern - von
all dem phantastischen Kulturerbe, das wir gerade in
dieser Region zu verzeichnen haben -, Arbeitsplätze geschaffen werden, und zwar mit einem nicht unbeträchtliStaatsminister Dr. Michael Naumann
chen Geldvolumen - das komplementär mit den neuen
Ländern investiert werden wird - in einer Gesamtsumme
von einer halben Milliarde DM. Dies wird sich bemerkbar machen. Hier geht es nicht um Staatskultur und nicht
um Parteikultur, vielmehr wird dort kritische Kulturarbeit zum Wohl des ganzen Volkes und der ganzen Nation geleistet. In dem Zusammenhang bin ich Ihnen in der
Tat dankbar für das Angebot der zukünftigen Zusammenarbeit.
Danke schön.
({1})
Zu einer
Kurzintervention gebe ich jetzt dem Abgeordneten Steffen Kampeter das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Redebeitrag des Staatsministers fordert natürlich zum Widerspruch heraus, weil er mit schöngefärbten Worten vergessen machen will, wie sich - wir sind ja in einer
Haushaltsdebatte - die materiellen Aufwendungen für
die Kultur in den nächsten Jahren in seiner Verantwortung entwickeln werden.
Er hat in den vergangenen Monaten den Satz geprägt,
Deutschland sei während der Regierung Kohl eine kulturpolitische Sahelzone geworden.
({0})
Ich will auf eines hinweisen: In der Regierungszeit der
christlich-liberalen Koalition wurden die Ausgaben für
die Kulturpolitik verdreifacht, während sich der Umfang
des Haushalts insgesamt nur verdoppelt hat.
Wenn wir jetzt in die mittelfristigen Planungen dieses
Kulturministers schauen, werden wir feststellen, daß der
Kulturetat in den nächsten vier Jahren kontinuierlich
sinkt. Das ist ein recht seltsamer Befund. Früher hatten
wir keinen Kulturstaatsminister, und der Kulturetat
stieg. Jetzt haben wir einen, und der Kulturetat sinkt.
Dies ist ein vernichtendes finanzielles Zeugnis für den
politischen Background, den dieser Staatsminister in der
Bundesregierung hat.
({1})
Tatsache ist, daß viele Ankündigungen, die dieser
Staatsminister macht, in den nächsten Jahren nicht
finanzierbar sind. Deswegen verwendet er zwei große
Steinbrüche. Herr Naumann, Sie haben den Vorwurf in
Richtung „Deutsche Welle“ noch nicht entkräften können. Sie haben noch kein Konzept für die Einsparmaßnahmen der „Deutschen Welle“. Also haben Sie nur das
parteipolitische Begehren, diesen wesentlichen Träger
der Außendarstellung der Bundesrepublik Deutschland
durch Streichungen funktionsunfähig zu machen.
Sie haben auch kein Konzept bei den Kürzungen der
deutschen Vertriebenenkulturarbeit; denn das, was
Sie als Papier vorgelegt haben, ist weder diskutiert noch
mit den Betroffenen abgestimmt worden. Sie wollen
dort in den nächsten Jahren 85 Millionen DM einsparen,
obschon Sie wissen, daß diese Kulturarbeit weit über
den kulturpolitischen Bereich hin zu einem politischen
Faktor in der Zusammenarbeit mit Osteuropa geworden
ist.
Sie haben beispielsweise beim Stiftungsrecht die
Erwartung geweckt, daß in den nächsten Jahren 500
Millionen DM per anno als zusätzliche Leistung bei den
Betroffenen ankommen. Wir werden Sie auch an dieser
Ankündigung messen. Ich bin mir sicher, daß die Botschaft, wenn wir uns bei der zweiten und dritten Lesung
dieses Haushalts oder bei der Lesung des nächsten Etats
hier treffen, lauten wird: Naumann hat viele Zeilen in
den Zeitungen, aber nicht die Mittel, um die Versprechungen, die er dort macht, auch tatsächlich zu finanzieren.
({2})
Herr Staatsminister, wollen Sie auf die Kurzintervention antworten?
Ja. - Herr Kampeter, meine Antwort auf Ihre Vorwürfe ist relativ kurz. Ich glaube, jedes Mitglied
der Regierung wäre schlecht beraten, das DeutscheWelle-Gesetz in Ihrem Sinne nicht nur verfassungswidrig, sondern auch gegen die politische Kultur unseres
Landes gezielt umzudefinieren. Eine Regierung, die ein
Programmkonzept für die „Deutsche Welle“ vorsieht,
verwandelt diese öffentlich-rechtliche Anstalt - nennen
wir es beim Namen - in einen Propagandasender. Ich
will nicht verneinen, daß das möglicherweise in Ihrer
Absicht liegt. Ich glaube das aber nicht. Da kennen wir
uns inzwischen gut genug.
({0})
Ich hoffe es jedenfalls nicht. Von mir werden Sie keine
Vorschriften darüber bekommen, wie man diesen Sender
inhaltlich fährt. Das ist die Aufgabe eines Intendanten,
der sich Unternehmensleiter nennt.
({1})
Ich komme nun zum zweiten Punkt, zur sogenannten
Vertriebenenkulturpolitik. Gern gebe ich Ihnen den
Bericht des Bundesrechnungshofs zu dem von Ihnen,
übrigens auch in der „FAZ“, thematisierten Museum in
Ratingen-Hösel. Sprechen Sie einmal mit Herrn Kanther
über diesen Bericht. Sprechen Sie einmal mit Ihrem
Parteifreund Herrn Hupka über diesen Bericht. Sprechen
Sie einmal mit den Statistikern dieses Museums, das
über 30 Millionen DM gekostet hat und nur 2 000 Besucher per anno verzeichnet, von denen man vermuten
kann, daß die Hälfte zweimal kommt.
Ich will es anders ausdrücken: Hier vereinen sich, anders als bei der „Deutschen Welle“, in der Tat die
Rechts- und Fachaufsicht. Man darf hier nicht mit dem
Rasenmäher herangehen, wie Sie es gerade gesagt haben
- woher Sie übrigens die Summe von 85 Millionen DM
haben, weiß ich nicht -, sondern man muß die Aufgabe,
also die sogenannte Vertriebenenkulturförderung, dezidiert und kritisch im Auge behalten, ohne dabei gleichzeitig die Sinnhaftigkeit der Arbeit als solche in Frage
zu stellen. Ein solches Vorgehen werden Sie mir als
Haushaltsberichterstatter zugestehen, nein, das werden
Sie sogar mit Recht von mir verlangen.
({2})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Michael Luther.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf
das Thema Aufbau Ost zurückkommen. Der Aufbau
Ost soll nun höchste Priorität haben - so gestern Staatsminister Schwanitz. Schön wäre es. Leider - das haben
mir die gestrige und die heutige Debatte gezeigt - hat
die SPD kein Feeling für die deutsche Einheit. Herr Poß
hat gestern gesagt, die Union habe sich 1990 gegen das
Zusammenwachsen von Ost und West versündigt, weil
sie die wahren Ausmaße der Belastung verschleiert hätte.
({0})
Natürlich hat der Aufbau Ost Geld gekostet. Natürlich hat die deutsche Einheit Geld gekostet: 500 Milliarden DM Altschulden, 600 Milliarden DM Hilfe für den
Aufbau Ost seit 1990. Die deutsche Einheit ist von Ihnen genauso wie 1990 von Herrn Lafontaine immer lediglich als ein fiskalisches Problem betrachtet worden.
({1})
Das zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte
Debatte: Herr Schröder wollte die deutsche Einheit
nicht. Ohne die Union hätte es die deutsche Einheit nicht
gegeben.
({2})
Für diese Bundesregierung ist die deutsche Einheit keine
Herzensangelegenheit. Bei uns bestand nie die Notwendigkeit, die deutsche Einheit und den Aufbau Ost zur
„Chefsache“ machen zu wollen.
({3})
Uns war das immer ein Herzensanliegen. Wir sind froh,
daß wir den Aufbau Ost in den letzten acht Jahren gestalten konnten.
Meine Damen und Herren, es ist in den neuen Bundesländern viel Geld ausgegeben worden. Ich glaube
aber, daß das Geld sehr gut angelegt worden ist. Ich
denke, die viel gescholtenen blühenden Landschaften
sind überall zu sehen.
({4})
Das ist kein Verdienst der jetzigen Bundesregierung; das
will ich hier festhalten. Das ist ein Verdienst der Menschen, die in den neuen Bundesländern leben, der Landesregierungen in den neuen Bundesländern und der alten Bundesregierung.
({5})
Gleichwohl muß der Aufbau Ost weitergehen. Die
Menschen haben Ihnen am Wahlabend geglaubt, daß
nun der Aufbau Ost Chefsache wird.
({6})
Im letzten Jahr - ich denke, darüber sind wir uns einig haben Sie diesen Vertrauensvorschuß in den neuen Bundesländern verspielt. Zumindest haben das die Wahlen
in Brandenburg und Thüringen gezeigt. Ich denke, das
wird sich auch in Sachsen und Berlin zeigen.
({7})
Der Aufbau Ost als Chefsache - ich kann es nur wiederholen - wird in den neuen Bundesländern eher als Drohung verstanden.
Meine Damen und Herren, ich verstehe es gut, wenn
in diesem Zusammenhang die Ost-Abgeordneten der
SPD anfangen zu murren. Ich zitiere Herrn Schubert:
Was uns im Osten fehlt, ist ein bißchen mehr Zuwendung in der Politik.
Recht hat er.
Auch Herr Schwanitz hat enttäuscht. Ich zitiere die
„Märkische Allgemeine Zeitung“ über Schwanitz:
„Fleißig, umtriebig, blaß.“ Ob er fleißig oder umtriebig
ist, will ich nicht beurteilen. Daß er blaß ist, verspüren so denke ich - alle.
Deshalb werden die Spekulationen - das ist für mich
das Interessante -, die jetzt wieder heruntergespielt worden sind, wer nun Herrn Schwanitz im Bundeskanzleramt beerben soll, ob Frau Hildebrandt oder was weiß ich
welcher Wahlverlierer aus den neuen Bundesländern,
wieder aufleben.
({8})
Meine Damen und Herren, das Zahlenspiel zum Aufbau Ost, das Sie hier vorlegen, ist schwierig. Es ist für
die Menschen in den neuen Bundesländern schwierig zu
verstehen. Ich habe den Eindruck, Sie addieren die
Zahlen immer so, wie es Ihnen gerade für Ihre Propaganda paßt. Lassen Sie mich Beispiele nennen: Am Anfang dieses Jahres ist Herr Schwanitz als Verkünder von
100 Milliarden DM für den Aufbau Ost - 10 Milliarden DM mehr als vorher unter Waigel - ins Feld gezogen.
({9})
Jetzt sagt er: Wir müssen das ändern, weil durch die
großen Zahlen lediglich Eindruck geschunden wird und
dafür alles, was aus dem Bundeshaushalt direkt oder indirekt in die neuen Bundesländer fließt, addiert wird.
Das, was er uns hier in der Debatte vorwirft, hat er selber aber im letzten Jahr getan. Jetzt wechselt er natürlich
die Paradigmen.
({10})
Ich denke, aus gutem Grund: weil es ihm ins Konzept
paßt.
Ihr Sparpaket hat ein Volumen von 30 Milliarden DM. Im Ausschuß für die Angelegenheiten der neuen Länder war nicht zu erfahren, was das für die neuen
Bundesländer bedeutet. Wenn man hier denselben Rechengrundsatz verwendet, kommt man zu dem Ergebnis,
daß die neuen Bundesländer zirka 26 Prozent - also
überdurchschnittlich viel; einen so hohen Bevölkerungsanteil haben die neuen Bundesländer nicht - beitragen
müssen. Das will er vor den Wahlen in Sachsen und in
Brandenburg nicht verkünden.
Ich will Ihnen sagen, was die Kernaufgaben des Aufbaus Ost sind, worauf wir uns konzentrieren sollten. Es
werden 3 Milliarden DM eingespart. Laut Bundesminister Eichel werden die Mittel für den Aufbau Ost „auf
hohem Niveau verstetigt“.
({11})
Allein daß man sich einer solchen Wendung bedient,
zeigt: „Verstetigt“ ist ein vornehmer Ausdruck für eine
Absenkung.
({12})
Für mich interessant sind die Beispiele, die als Beleg
dafür in der Haushaltsdebatte vorgetragen worden sind.
Herr Eichel hat unter anderem folgendes gesagt: Im
Rahmen des Aufbaus Ost werden 14 Milliarden DM für
die Sonderbundesergänzungszuweisungen und 7 Milliarden DM für Investitionshilfen aufgewendet. Das ist
richtig, aber beruht auf dem Solidarpakt. Das ist also
nicht eine Leistung von Eichel, sondern geht allein auf
den Solidarpakt zurück, und dieser ist bis 2004 festgeschrieben.
Ein weiteres Beispiel: 10 Milliarden DM mehr sollen
für das Wohnraummodernisierungsprogramm bereitgestellt werden, wenn - das ist der Vorbehalt - sich die
neuen Länder mit 50 Prozent an der Finanzierung beteiligen.
({13})
Begründung: damit die Mittel abgerufen werden, die tatsächlich gebraucht werden.
({14})
Was zeigt mir das? Herr Eichel wirft den neuen Bundesländern pauschal vor, daß bislang Mittel im Wohnungsbau mißbräuchlich verwendet worden sind.
({15})
Dies wollte ich mit diesen Beispielen aufzeigen. Ich
bitte darum, die Menschen, die sich für die Beseitigung
der Folgen von 40 Jahren Sozialismus in der DDR einsetzen, nicht pauschal mit dem Vorwurf zu verurteilen,
sie würden im Wohnungsbau öffentliche Mittel mißbrauchen.
({16})
Außerdem zeigt mir dieses Beispiel, daß Herr Eichel
keine Ahnung hat, was in den neuen Bundesländern mit
dem Geld gemacht wird. In Sachsen war es beispielsweise so - die anderen Bundesländer haben das ähnlich
gemacht -, daß die KfW-Mittel durch Mittel des Landes
ergänzt wurden. Diese beiden Programme zusammen
haben dazu geführt, daß Plattenbauwohnungen modernisiert und diese hinterher zu erträglichen, wenn auch relativ hohen Preisen vermietet werden konnten. Jetzt
zwingen Sie die Länder dazu, auf ihre Ergänzungsprogramme zu verzichten. Was bleibt, ist das KfWProgramm; mit dem Ergebnis, daß entweder weniger
modernisiert wird - die Folge sind weniger Bauaufträge
und damit weniger Arbeitsplätze - oder daß die Mieten
stärker steigen.
Es heißt, es werde nicht gekürzt. Dazu will ich anführen: Die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur Ost belief sich 1998 auf
2,8 Milliarden DM, umfaßt 1999 2,6 Milliarden DM und
wird 2000 2,3 Milliarden DM betragen. Herr Eichel
sagt, die Mittel sollten dort „angepaßt“ - für mich: abgesenkt - werden, wo fehlender Mittelabfluß zu verzeichnen ist. Wenn man dies so beabsichtigt, dann sollte man
auch Name und Hausnummer nennen - sprich: sagen,
wer der Verursacher ist. Bitte weisen Sie dann darauf
hin, daß die von der PDS geduldete SPD-Regierung in
Sachsen-Anhalt 1998 auf Grund katastrophaler Haushaltsführung nicht in der Lage war, GA-Mittel in Höhe
von 200 Millionen DM abzurufen.
({17})
Ich stelle fest: Die Mittel für die Kernaufgaben beim
Aufbau Ost gehen zurück. Das ist die Wahrheit.
Vielleicht trägt zu den ganzen Beispielen noch ein
Zitat von Herrn Schwanitz bei, der gestern im Zusammenhang mit der sogenannten fünften Säule der Kernaufgaben Ost gesagt hat:
Für Leistungen für die Treuhand-Nachfolgeeinrichtungen und für die Wismut sollen 180 Millionen DM mehr zur Verfügung stehen.
Wenn ich den Haushalt betrachte - ich komme aus
der Wismut-Region -, lese ich folgendes heraus: Nach
der mittelfristigen Finanzplanung waren 520 Millionen
DM vorgesehen, im Haushalt 2000 sind 495 Millionen
DM eingestellt. Das sind für mich 25 Millionen DM
weniger. Wie weniger mehr sein kann, das habe ich
nicht verstanden. Das verstehen Sie unter dem Grundsatz von Haushaltswahrheit und -klarheit: Sie versuchen,
den Leuten etwas vorzuflunkern. Schämen Sie sich!
({18})
Herr Kollege,
die vereinbarte Redezeit ist überschritten. Ich bitte Sie,
nach vielleicht einem Satz zum Schluß zu kommen.
Es gibt noch vieles, was zu sagen wäre. Ich bin der Meinung, daß der
Aufbau Ost wichtige Signale braucht.
Herr Kollege,
Frau Kollegin Luft möchte eine Zwischenfrage stellen.
Das wäre zwar eher eine Nachfrage, aber Sie könnten
sie noch beantworten. - Ich sehe gerade, daß sich auch
der Kollege Büttner zu einer Frage meldet. Möchten Sie
beide Fragen der Reihe nach beantworten?
Ja, ich beantworte
beide Fragen.
Dann gebe ich
zunächst der Kollegin Luft das Wort.
Herr Kollege Luther, Sie
waren wie ich auch Mitglied der frei gewählten Volkskammer der DDR. Darf ich Sie fragen, ob Sie zu den
120 ehemaligen CDU-Abgeordneten gehören, die wenige Monate nach der für die CDU verlorengegangenen
Bundestagswahl einen Brief an Ihren Fraktionschef
Schäuble geschrieben haben, in dem sie sich ziemlich
lautstark darüber beschwert haben, daß zu Zeiten der
alten Bundesregierung in den neuen Bundesländern
manches, was den Aufbau Ost betrifft, schiefgelaufen
ist? Ich bin der Meinung, daß neben einer Reihe von Erfolgen viele Defizite produziert worden sind. Wenn Sie
jetzt aber so tun, als seien diese Defizite alle in den
letzten elf Monaten entstanden, dann muß ich Sie doch
fragen, ob Sie zu diesen 120 gehören und woher Sie diese Courage nehmen.
Frau Luft, es ist
schon interessant, daß Sie sich die Antwort, die Ihnen
Paul Krüger in der letzten Woche gegeben hat, nicht bis
heute merken konnten. Frau Grehn hat diesen Brief geschrieben. Es gibt eine Vereinigung ehemaliger CDU/
DA-Mitglieder der Volkskammerfraktion: Wir haben in
unserem Haus die ehemalige Präsidentin Frau Bergmann-Pohl, den Parlamentarischen Geschäftsführer Paul
Krüger, Clemens Schwalbe; auch ich selbst bin wie viele
andere Kollegen dabeigewesen. Wir haben versucht,
nachzufragen, wer diese Gruppe der 120 ist. Wir haben
außer Frau Grehn selbst noch niemanden gefunden. Ich
gehöre nicht dazu. Das ist, denke ich, die Antwort auf
Ihre Frage.
Ich glaube, daß dieser Brief inhaltlich nicht richtig ist.
Leider habe ich ihn nicht vorliegen, sonst könnte ich das
an einzelnen Punkten zeigen. Ich denke, daß in den
letzten acht Jahren aus der Situation und aus der Dynamik heraus, die es 1990 gab - damals gab es die einmalige Chance, die deutsche Einheit zu gestalten; ich erinnere mich sehr wohl an das, was vor zehn Jahren war;
das sollten wir in diesem Parlament alle ab und zu einmal tun; ich denke an die Grenzöffnung in Ungarn, den
8. Oktober mit der Demonstration in Dresden, die Bildung der Gruppe der 20, den 9. Oktober ohne blutiges
Eingreifen und 70 000 Demonstrierende oder die Mauerund Grenzöffnung -, richtig gehandelt worden ist. Im
nachhinein kann man natürlich sagen, daß man das eine
oder andere hätte anders machen sollen. Ich kenne aber
niemanden, der 1990 gesagt hat, wie man es hätte besser
machen können. Ich denke, daß die Art, in der wir - insbesondere die CDU - damals in den neuen Bundesländern Verantwortung, auch in kommunalpolitischen Fragen, übernommen haben, eine große Leistung war. Ich
danke allen, die das gemacht haben.
({0})
Jetzt haben Sie
noch die Chance, die Frage des Kollegen Büttner zu beantworten.
({0})
Ich möchte Sie aber bitten, das als Ihr Schlußwort zu
betrachten.
Bitte, Herr Büttner.
Herr
Kollege Luther, wie bewerten Sie, daß der für den Aufbau Ost zuständige Staatsminister Schwanitz bei dieser
Debatte nicht anwesend ist?
({0})
Ich will die Frage
gerne beantworten. Mich hat gewundert, daß Herr
Schwanitz gestern in der Debatte zur allgemeinen
Finanzverwaltung geredet hat und nicht heute bei der
Aussprache zum Haushalt des Bundeskanzlers, was ja
im allgemeinen eine Generaldebatte ist.
({0})
- Ich habe doch gerade gesagt, das es mich gewundert
hat, daß er gestern geredet hat. Das bestärkt mich aber
nur in meiner Aussage von vorhin, daß der Aufbau Ost
für die SPD ein rein fiskalisches Problem ist.
({1})
Alle anderen Fragen werden nicht angesprochen. Ich
will einmal ein Beispiel nennen: die Gesundheitsreform.
Vorige Woche haben in der Nähe des Alexanderplatzes
6 500 -
Herr Kollege,
ich glaube, das geht jetzt über die Beantwortung dieser
Frage hinaus. Wir sind ein bißchen unter Zeitdruck.
({0})
Lassen Sie mich
noch zwei Sätze sagen.
Also noch
etwas Kurzes.
Es haben 6 500
Mitarbeiter von kassenzahnärztlichen Praxen demonstriert. Sie haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Dazu hat
Herr Schwanitz nichts gesagt.
Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung. Der
Aufbau Ost muß weitergehen. Ich mache noch einmal
das Angebot, daß wir in dem zuständigen Ausschuß, also im Ausschuß für die Angelegenheiten der neuen
Bundesländer, über die Fragen reden, was für den Aufbau Ost notwendig ist, was sein Ist-Stand ist und was
zukünftig getan werden muß. Wir sind zu diesem Gespräch bereit.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Frau Finanzsenatorin des Landes Berlin und
Bürgermeisterin, Annette Fugmann-Heesing.
Dr. Annette Fugmann-Heesing, Senatorin ({0})
({1}): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Daß ich hier heute zu Ihnen
spreche, hat nichts damit zu tun, daß ich von allen
Finanzministerinnen und Finanzministern in der Bundesrepublik die geringsten Reisekosten verursache.
({2})
Trotzdem freue ich mich als Berliner Bürgermeisterin,
Sie hier zu sehen. Wir haben in dieser Stadt auf Sie gewartet.
({3})
Wir haben auch darauf gewartet, daß der Bund endlich
eine nachhaltige Finanzpolitik betreibt.
({4})
Politisch sind wir in dieser Debatte in Berlin schon einige Schritte vorangegangen. Das Stichwort Zweitwohnungsteuer, das eben in den Raum geworfen wurde, beleuchtet einen Teil des gerechten Konsolidierungspaketes, das wir hier umsetzten.
Es geht um die Handlungsfähigkeit des Staates und
um die Handlungsfähigkeit auf allen Ebenen. Viel zu
lange haben wir in der Bundesrepublik nicht wahrhaben
wollen, welche Veränderungen wir politisch zu bewältigen haben. Globalisierung, veränderte Altersstrukturen
und deutsche Einheit sind nur einige Stichworte, die den
Handlungsdruck skizzieren. Vielleicht - nein, sicher war er hier in Berlin größer als anderswo.
Was ich in der Debatte heute morgen gehört habe,
erinnert mich sehr stark an die Diskussionen, die wir bereits seit 1996 in Berlin führen. Ich kann Ihnen aus meiner Erfahrung berichten, daß natürlich die Kritik im
Detail immer groß ist, die Bürgerinnen und Bürger in
diesem Staat aber durchaus bereit sind, die Notwendigkeit der Konsolidierung der Staatsausgaben zu verstehen
und zu akzeptieren.
({5})
Voraussetzung ist allerdings nicht nur eine klare
Sprache, sondern ebenso ein überzeugendes Konzept,
wofür eine nachhaltige Finanzpolitik gut ist.
({6})
Konsolidierung um der haushaltspolitischen Rechnung
willen ist kein ausreichender Grund. Konsolidierung zur
Zukunftssicherung und als Voraussetzung für eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Generationen ist
ein überzeugender Grund.
({7})
Wir müssen aufzeigen, wie die Schuldenfalle den
Spielraum der Politik einschränkt und damit Ungerechtigkeiten erzeugt. Wir müssen aufzeigen, daß Lasten gerecht verteilt werden. Wir müssen aber auch aufzeigen,
daß wir Politik nicht mit der Politik mit dem Rasenmäher oder mit der Gießkanne verwechseln, sondern daß
wir klare Schwerpunkte setzen.
Die Entlastung von Familien und auch die Entlastung
von Unternehmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen,
mehr Mittel für die Hochschulen sind Schwerpunkte, auf
die wir uns verständigen können. Beides, die Schwerpunktsetzung durch die Bundesregierung und der Konsolidierungskurs, findet sicher die grundsätzliche Zustimmung des Bundesrates.
({8})
In Berlin haben wir 1996 die finanzpolitische Wende
herbeigeführt, weil sich die Aufschwungerwartung, die
Kohl mit seiner Aussage von den blühenden Landschaften geweckt hatte, als nicht haltbar erwies.
({9})
Die hohe Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik, auch
in Berlin, die wegbrechenden Steuereinnahmen - ich
kann mich noch an meine Zeit als Finanzministerin in
Hessen erinnern; zu dieser Zeit fing es schon an, daß wir
vor jeder neuen Steuerschätzung gezittert haben, weil
jedesmal die Steuereinnahmen nach unten korrigiert
werden mußten -, die notwendigen und von uns allen
gewollten Finanztransfers von West nach Ost und die
Belastung der Bürgerinnen und Bürger haben schon vor
Jahren eine andere Finanzpolitik erfordert.
Ich bin erstaunt, daß Herr Schäuble heute in seiner
Rede den Eindruck erwecken wollte, der Anstieg der
Schuldenlast in den 16 Jahren der Regierung Kohl - die
Schuldenlast hat seit 1982 um das Fünffache zugenommen - sei volkswirtschaftlich zu rechtfertigen, weil auch
das Bruttoinlandsprodukt in dieser Zeit gestiegen sei.
Erzählt Herr Schäuble eigentlich seinen Kindern bei jeder Einkommenserhöhung, die er erhält, nun könnten sie
auch ein paar mehr Schulden von ihm erben?
({10})
Die Last der Kinder wird ja nicht dadurch geringer, daß
heute das Einkommen steigt.
({11})
Wir, die Länderfinanzminister, wußten seit 1992 das haben wir Herrn Waigel, der jetzt leider nicht mehr
da ist, immer wieder gesagt -, daß diese Rechnung nicht
stimmt. Wie oft haben wir ihn aufgefordert, die Fakten
offen auf den Tisch zu legen! Sie können das in meiner
Rede aus dem Jahr 1992, als es ebenfalls um die Haushaltsdebatte zu diesem Thema ging, nachlesen. Schon
damals haben wir dies deutlich artikuliert.
({12})
Natürlich hatte ich auf Grund meiner Erfahrung in
Berlin gehofft, daß der fällige Kassensturz, die volle
Klarheit und Wahrheit sowie das Handlungskonzept
unmittelbar nach dem Regierungswechsel auf die Tagesordnung kommen würden. Aber was wir jetzt auf
dem Tisch haben, ist endlich eine gute Grundlage für einen tatsächlichen Politikwechsel in der Bundesrepublik.
Denn wir können nicht länger verantworten, auf Kosten
künftiger Generationen zu wirtschaften. Das ist eine
Frage der Gerechtigkeit.
({13})
Wir können nicht die Konsequenz ziehen, den Ausgleich
zwischen Ost und West zu beenden. Auch das ist eine
Frage der Gerechtigkeit. Wir können auch nicht zulassen, daß die Belastungen wie früher einseitig den Beziehern kleiner Einkommen zugemutet werden. Auch das
ist eine Frage der Gerechtigkeit.
({14})
Das Zukunftsprogramm der Bundesregierung geht
hier neue Wege. Die finanzpolitische Wende ist notwendig - und sie ist ohne Alternative. Auf den Prüfstand
müssen alle staatlichen Leistungen, und zwar auf allen
Ebenen, und auch die Institutionen des Sozialstaats.
Deshalb werden die Länder und Gemeinden sich dieser
Anstrengungen nicht entziehen können.
Aber unser Ziel ist nicht der Abbau, unsere Ziele sind
die Stärkung der Handlungsfähigkeit des Staates und die
Stärkung der sozialen Sicherungssysteme.
({15})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hier gegen das 630-Mark-Gesetz, gegen die Ökosteuerreform und gegen die Rentenreform wettern, dann
stellen Sie damit genau diese sozialen Sicherungssysteme in Frage. Und das ist unverantwortlich gegenüber
denen in unserer Gesellschaft, die darauf angewiesen
sind.
({16})
Darf ich Sie daran erinnern, daß es der Parlamentarische Staatssekretär Ihrer Regierung war, Horst Günther,
der am 1. Oktober 1997 im Bundestag die Ungleichbehandlung der 630-Mark-Jobs im Vergleich zu bezahlten
Überstunden kritisiert hat!
({17})
Er hat damals zu Recht deutlich gemacht, daß die Ausweitung der 630-Mark-Jobs eine Kampfansage an den
Sozialstaat ist.
({18})
Lesen Sie das doch einmal in den alten Protokollen
nach!
({19})
Und jetzt reden Sie von der Vernichtung von Arbeitsplätzen. Haben Sie in der Opposition eigentlich Ihre damaligen Erkenntnisse vergessen?
Meine Damen und Herren, verschiedentlich ist in der
heutigen Debatte ein Zusammenhang zwischen dem Zukunftsprogramm und den Wahlergebnissen der letzten
Wochen hergestellt worden. Es ist ja keine neue Erfahrung, daß Bundespolitik ihren Widerhall in Ländern und
Gemeinden erfährt.
Frau Bürgermeisterin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Nein, zur Zeit nicht.
Senatorin Dr. Annette Fugmann-Heesing ({0})
Meine Damen und Herren von der Union, wie haben
Sie früher Kanzler Kohl gegrollt. Heute, wo er nicht
mehr Kanzler ist, stellen Sie ihn auf einen hohen Sockel;
({1})
damals haben Sie ihm sogar öffentlich vorgeworfen, im
Kanzleramt Ihre Partei kaputtgemacht zu haben.
({2})
War nicht auch der Bremer Putschversuch kurz vor dem
Mauerfall ein Ausläufer von Erdbeben in den Ländern?
Mir ist der Name Späth noch in guter Erinnerung.
({3})
Machen Sie nicht den Fehler, aus den „windfall profits“
bundespolitischer Wetterlagen falsche Schlüsse über die
Stabilität von Bundesregierung und über die Richtigkeit
eines politischen Kurses zu ziehen.
({4})
Wir haben das auch manchmal getan, und das war
falsch. Solche Erfahrungen geben wir gern an Sie weiter. Selbst aus einer gewonnenen Landtagswahl kann
nicht geschlossen werden, daß auch die nächste gewonnen wird. Wenn es einen Zusammenhang zwischen dem
Zukunftsprogramm 2000 und der heutigen Stimmungslage in Deutschland gibt, dann ist es der, daß das Programm ein halbes Jahr zu spät kommt.
({5})
Ich bin vor dem Hintergrund der Berliner Erfahrungen sicher, daß die Bürgerinnen und Bürger Zeit brauchen, einen Kassensturz zu verdauen. Es braucht Zeit für
die Einsicht, daß die alten Wachstumsmodelle nicht
mehr aufgehen, daß Politik zur Kunst des Möglichen mit
knappen Mitteln geworden ist. Es muß eine neue Ebene
des Diskurses gefunden werden; aber ich rate Ihnen von
der Union, die Wirksamkeit des Konzeptes „Nachhaltige
Finanzpolitik“, das nun mit dem Namen Hans Eichel
verbunden ist, nicht zu unterschätzen.
({6})
Das Konzept hat die Wirklichkeit auf seiner Seite.
Die Versuchung ist groß, erst recht für die Opposition, die Wirklichkeit nicht wahrhaben zu wollen. In Berlin ist davon sogar manchmal die größere Regierungspartei befallen. Wenn einige hiesige Landespolitiker sich den
nächsten Konsolidierungsschritt nicht mehr vorstellen
können, rufen sie nach Bundesmitteln. Diesen Ruf werden
Sie noch vernehmen. Glaubwürdig ist aber nur eine Politik, die die Realitäten wahrnimmt. Ich bin überzeugt:
Auch im Wahlkampf hat die Realität eine Chance.
({7})
Wir in Berlin haben noch vier Wochen Zeit, sie zu nutzen. Schließlich haben wir auch früher angefangen,
nachhaltige Finanzpolitik zu erklären.
({8})
So bin ich sicher, daß gerade die Rentnerinnen und
Rentner erkennen, daß es auch eine Verantwortung für
ihre Kinder und Enkel gibt - für die Enkel, für die wir
eine Sicherung im Alter erhalten wollen, und für die
Kinder, deren Beiträge unter 20 Prozent gesenkt werden.
Meine Damen und Herren, alle Bundesländer verspüren den Finanzdruck auf ihre Haushalte. Konsolidieren
auf allen Ebenen, das kann nicht bedeuten, Belastungen
zu verschieben. Jetzt erwarte ich eigentlich Applaus von
seiten Bayerns und der sparsamen Schwaben.
({9})
Auch Sie haben das doch immer so laut gesagt. Ich halte
es für einen Skandal, daß die reicheren Bundesländer
den Druck auf die schwächeren weiterleiten wollen.
({10})
Das Argument, es bestehe für Nehmerländer im Finanzausgleich kein Anreiz zur Eigenleistung, haben alle und
ganz besonders Berlin längst widerlegt.
({11})
Es ist unsolidarisch und verstößt gegen den Geist des
Grundgesetzes, wenn Bayern in dem Moment den Finanzausgleich aufkündigt, in dem es vom Nehmerland
zum Geberland geworden ist.
({12})
Herr Luther, wenn Sie über den Aufbau Ost und die
Finanzierung sprechen, dann wundere ich mich darüber,
daß es in den Reihen von CDU, CSU und F.D.P. keine
klareren Stimmen gegen die Geberländer gibt, die das
FKP, das wir gemeinsam miteinander verabredet haben,
({13})
noch nicht einmal zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten
vor dem Bundesverfassungsgericht aufkündigen wollen.
({14})
Ich wünsche mir, daß Herr Schäuble und Herr Gerhardt
in ihren Parteien für eine verläßliche Politik werben,
damit die Vereinbarungen Bestand haben.
({15})
Statt dessen werden wir uns in der nächsten Woche vor
dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sehen. Dort
wird über die föderale Qualität der Bundesrepublik
Deutschland entschieden.
({16})
Senatorin Dr. Annette Fugmann-Heesing ({17})
Dort steht auch die Glaubwürdigkeit deutscher Politik
auf dem Prüfstand.
Auch die Bundesländer müssen ihre Haushalte konsolidieren. Der Druck auf die Länderhaushalte wird
noch dadurch verstärkt, daß seit einigen Legislaturperioden Lasten auf die Länder abgeschoben worden sind.
Herr Bundeskanzler - er ist jetzt nicht mehr da - und
Herr Bundesfinanzminister, wenn wir uns bei früheren
Gelegenheiten getroffen haben, waren wir uns darin einig, daß mehr Aufgaben für die Länder einerseits und
weniger Mittel für die Länder und Gemeinden andererseits typische Waigelsche Politik sind. Wie gut ist es,
daß der Bund jetzt auf die Erfahrungen von ehemaligen
Ministerpräsidenten zurückgreifen kann.
({18})
Auf Grund unserer gemeinsamen Erfahrung wird sicherlich auch die Bundesregierung der Feststellung der
Mehrheit der Bundesländer zustimmen, daß die Konsolidierung des öffentlichen Gesamthaushalts nur gelingen
kann, wenn alle Ebenen sparen und wenn Konsolidierungsbeiträge nicht zu Lasten anderer Ebenen erbracht
werden.
({19})
Der Entwurf des Haushaltsanierungsgesetzes enthält
Maßnahmen, durch die die Finanzierungslasten des
Bundes auf die Länder verlagert werden. Das geschieht
beim pauschalierten Wohngeld und bei der Verringerung des Finanzierungsanteils des Bundes am Unterhaltsvorschuß. Durch den Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe wird die kommunale Ebene zusätzlich
belastet. Dafür erhalten Länder und Gemeinden noch
keine ausreichende Kompensation. Deshalb unterstützt
der Finanzausschuß des Bundesrates den Sparkurs der
Bundesregierung. Aber er hat auch seine Erwartung
ausgedrückt, daß die Bundesregierung - wie im Regierungsprogramm angekündigt - dem Konnexitätsprinzip
stärkere Beachtung schenkt und daß sie bei Aufgabenund Lastenverlagerungen für einen entsprechenden Ausgleich sorgt. Am besten passierte das bereits im Gesetzgebungsverfahren in diesem Hohen Hause.
Es ist ein Bündel von Maßnahmen denkbar. Einige
Bundesländer, besonders die neuen, haben unter anderem darauf hingewiesen, daß durch den neuen Zuschnitt
von Förderprogrammen Entlastungen möglich sind.
Verschiedentlich ist schon thematisiert worden, ob die
Veränderung des pauschalierten Wohngelds auch sachlich sinnvoll und richtig sei.
Unter der Regierung Kohl haben die Länder der Aussage des damaligen Bundesfinanzministers nicht getraut,
daß die Umstellung der Zahlungen beim Kindergeld
durch die Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung voll
ausgeglichen werde. Deshalb haben wir damals eine verfassungsrechtliche Festschreibung der Belastungsverteilung durchgesetzt. Wie recht wir damit hatten! Nicht
nur Bayern hat darauf hingewiesen, daß sich sowohl der
Umfang des Familienleistungsausgleichs als auch das
zur Bemessung des Ausgleichs maßgebliche Umsatzsteueraufkommen anders als geschätzt entwickelt haben.
Deshalb hat Bayern in seinem Antrag gefordert, daß ein
Ausgleich für die Ausfälle bei den Ländern seit 1996
gewährleistet werden soll. Bayern hat mit diesem Antrag
deutlich gemacht, daß zur Zeit der alten Bundesregierung die Belastungen auf die Länder verteilt worden
sind.
Ich meine, Bund und Länder sollten jetzt kooperativ
das festzurren, was unter Waigel zu regeln versäumt
worden ist. Nur eines darf auch aus Ländersicht nicht
geschehen: Ihre Forderungen dürfen weder das Konsolidierungsziel, nämlich die Reduzierung der Neuverschuldung auf unter 50 Milliarden DM, noch den Familienleistungsausgleich gefährden.
Der Regierung Kohl/Waigel hat das Bundesverfassungsgericht ein beschämendes Urteil hinterhergeschickt. Die Regierung Kohl, die die Familie predigte,
hat das Verfassungsrecht der Familie gebrochen. Jetzt
müssen wir alle gemeinsam den Schaden beheben. Parteitaktische Blockaden wären das letzte, was wir uns in
dieser Sache leisten können.
({20})
Ich bin dankbar, daß der Regierende Bürgermeister
von Berlin vorgestern auf einer Wahlveranstaltung mit
dem ehemaligen Bundeskanzler erklärt hat, Berlin halte
an seiner Tradition fest, Bundespolitik nicht aus parteitaktischen Gründen zu blockieren.
({21})
Ähnliche Äußerungen hat man auch schon in Thüringen und in Sachsen gehört.
({22})
Wir stehen in der Bundesrepublik in der Tat vor einer
bisher nicht wahrgenommenen Herausforderung, der
sich weder Bund noch Länder, noch Gemeinden verweigern können. Tun sie das, sind die Problemlösungsfähigkeit der Bundesrepublik und damit der Föderalismus
verspielt. Ohne den Willen zur Ernsthaftigkeit und zur
Kooperation wird die beste Verfassung zur Makulatur.
({23})
Weitere
Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramts liegen nicht vor.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung eines Antrags der Fraktionen von
SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P.
zur Lage in Osttimor, Drucksache 14/1603, zu erweitern. Der Antrag soll gleich zusammen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beraten werden Widerspruch dagegen gibt es nicht. Dann ist es auch so
beschlossen. Wir werden über diesen Antrag im Anschluß an die Aussprache abstimmen.
Senatorin Dr. Annette Fugmann-Heesing ({0})
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Gleichzeitig rufe ich auf:
Antrag
der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN und F.D.P
Lage in Osttimor
- Drucksache 14/1603 Das Wort hat Herr Außenminister Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur wenige Wochen nach dem Ende des Kosovo-Krieges sind
wir wieder Zeuge einer blutigen humanitären Katastrophe, diesmal in Osttimor, die von einer verantwortungslosen und mörderischen Politik verursacht worden
ist. Nach Schätzungen sind dort 7 000 Menschen ermordet worden, mehrere hunderttausend Menschen, das
heißt mehr als die Hälfte der Bevölkerung, sind auf der
Flucht, vertrieben oder obdachlos.
Dies geschah, nachdem eine Vereinbarung zwischen
den Regierungen Indonesiens und Portugals mit dem
VN-Generalsekretär eine Volksabstimmung über die
Zukunft Osttimors ermöglicht hat. Diese Abstimmung
fand unter der Aufsicht der Vereinten Nationen statt. Sie
war fair. Sie entsprach internationalen Standards. Sie
war unabhängig und unbeeinflußt. Diese Abstimmung
führte zu einem beeindruckenden Ergebnis: 78,5 Prozent
der Bevölkerung haben sich für die Unabhängigkeit ausgesprochen.
Danach folgte eine beispiellose Welle des Terrors,
ausgelöst von sogenannten Milizen. Es handelt sich um
Milizen, die als Kreaturen von Teilen des indonesischen
Militärs in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten als
Instrumente eines schmutzigen Bürgerkriegs zur Unterdrückung der Unabhängigkeitsbestrebungen der Mehrheit des osttimoresischen Volkes eingesetzt wurden.
Wir verurteilen mit allem Nachdruck diese barbarische Gewalt. Wir haben von Anfang an darauf gedrungen, daß als Bestandteil des Drei-Parteien-Vertrags von
New York nicht nur das Ergebnis der Volksabstimmung
umzusetzen ist, sondern daß auch die indonesische Regierung in der Pflicht ist, die Sicherheit und die Unversehrtheit aller Menschen in Osttimor zu garantieren.
({0})
Die Bundesregierung begrüßt den vorliegenden Resolutionsentwurf. Wir sind uns in diesen Positionen völlig einig. Das Bemühen der Bundesregierung war es,
jeglichen möglichen Druck auf die gewählte indonesische Regierung auszuüben. Ich möchte gleichzeitig die
Schwierigkeit darstellen, in der wir uns im Unterschied
zu der Situation im Kosovo befunden haben.
Seit vierzehn Monaten gibt es in Indonesien nach einer über dreißigjährigen Diktatur einen sehr schwierigen
Demokratisierungsprozeß. Die Diktatur kam in den
60er Jahren durch ein den Tod mehrerer hunderttausend
Menschen forderndes Massaker an die Macht. Dieses
Massaker traf vor allen Dingen die chinesische Minderheit; die Gefahr eines kommunistischen Putsches war
nur ein Vorwand. Am Ende der Suharto-Diktatur war es
wieder die chinesische Minderheit, die im wahrsten Sinne des Wortes massakriert wurde. Nun müssen wir an
dem Prozeß der Demokratisierung ein nachdrückliches
Interesse haben.
Bei unserer Politik gegenüber der indonesischen Regierung war zu beachten, daß Indonesien nicht nur die
größte Militärmacht in der Region ist, sondern daß im
Falle einer Militärdiktatur das Land in einen Bürgerkrieg
zu geraten droht und angesichts auch anderer Minderheitenprobleme auseinanderbrechen könnte. Dann würden Gewaltpotentiale freigesetzt, die bei weitem über
das hinausgingen, was wir jetzt so schrecklich in Osttimor erlebt haben.
Insofern war und ist unser Bestreben - Gott sei Dank
war es erfolgreich -, Geschlossenheit im VNSicherheitsrat zu erreichen. Man mußte dabei auch
verhindern, daß Australien und Neuseeland als Länder,
die in ihren Traditionen und in der Mehrheit ihrer Bevölkerungen eher europäisch orientiert sind, in einen
Widerspruch zu den direkten asiatischen Nachbarn geraten und es zu einer Konfrontation - gewissermaßen
einer postkolonialen Konfrontation - kommt. Ferner
mußte vor allen Dingen die Volksrepublik China im
Boot gehalten werden. Insofern kam der Geschlossenheit im VN-Sicherheitsrat eine überragende Bedeutung
zu.
Der VN-Sicherheitsrat hat jetzt eine Kapitel-VIIResolution, nämlich die Resolution 1264, beschlossen.
Wir unterstützen die Resolution mit allem Nachdruck
und gehen davon aus, daß es jetzt unverzüglich zur Implementierung einer Friedenstruppe kommt.
({1})
Die Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit,
Schutz und Unterstützung von UNAMET und die Ermöglichung von humanitären Hilfsmaßnahmen sind dabei die Hauptaufgabe, des weiteren natürlich die Umsetzung der Unabhängigkeit Osttimors, wie es vertraglich
vereinbart wurde.
Meine Damen und Herren, Deutschland darf hier
nicht zurückstehen. Trotz der Sparerfordernisse müssen
wir politisch einen sichtbaren Beitrag leisten. Dies ist
ein Gebot der Solidarität, aber auch ein Gebot, das sich
aus den Interessen unseres Landes in der internationalen
Politik und vor allen Dingen in der VN-Politik ergibt.
Wir dürfen uns diesbezüglich nicht auf Europa beschränken lassen.
({2})
Wir wollen dazu beitragen, die humanitäre Versorgung der vertriebenen und notleidenden Bevölkerung zu
garantieren. Wir haben unmittelbar 1 Million DM für
humanitäre Hilfe bereitgestellt und sind bereit, diese
Summe aufzustocken, sobald es notwendig wird. Wir
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
wollen unverzüglich mit bis zu 1 000 Tonnen Reis eine
substantielle Nahrungsmittelhilfe leisten sowie Maßnahmen zur Trinkwasserversorgung und zur medizinischen Versorgung ergreifen.
Die Bundesregierung plant auch die Entsendung eines
Sanitätskontingents. Wir werden darüber mit den
Fraktionen zu sprechen haben; denn dies setzt konstitutiv die Zustimmung des Bundestages voraus. Wir stehen
mit den NGOs in enger Abstimmung, um die Probleme
ihres Einsatzes - dieses Instrument erweist sich in Krisensituationen und vor allen Dingen in der unmittelbaren
Nachkrisensituation als immer wichtiger - unter dem
Gesichtspunkt der Sicherheitslage sowie ihre Unterstützung zu besprechen. Ebenfalls werden wir uns substantiell am Wiederaufbau und der Wiederherstellung einer
funktionierenden Infrastruktur beteiligen.
Bei der Friedenstruppe im engeren Sinne sind wir
allerdings der Meinung, daß diese im wesentlichen einen
regionalen Ansatz verfolgen sollte. Wir dürfen die Probleme, die sich aus der Entfernung ergeben, nicht unterschätzen. Was den Einsatz einer solchen regionalen
Friedenstruppe angeht, werden wir die Vereinten Nationen im Rahmen unserer Möglichkeiten aber mit allen zu
Gebote stehenden Mitteln unterstützen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, daß der
politische Druck erfolgreich war. Diesen Druck müssen
wir aufrechterhalten. Die Europäische Union hat für die
Dauer von vier Monaten ein Waffenembargo beschlossen. Die Bundesregierung hat sich hier mehr vorgestellt;
das sage ich ganz offen. Allerdings sind wir in dieser
Frage an das Konsensprinzip gebunden, und der Konsens hat auf Grund der Positionen anderer Mitgliedstaaten eben nur bis zu diesem Punkt gereicht. Gleichwohl
dürfen wir nicht vergessen, daß wir es in Indonesien mit
einem sehr schwierigen Demokratisierungsprozeß zu tun
haben. Wir haben ein Interesse daran, daß er erfolgreich
weitergeht.
({4})
Das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt. Die Parallelität beider Prozesse ist wichtig: Druck aufrechtzuerhalten, gleichzeitig aber zu sehen, daß die Regierung Habibie in die richtige Richtung geht, daß sie unter anderem
mit der Zustimmung von New York die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, daß wir jetzt unmittelbar ein
Ende der Gewalt zu erwarten haben, wenn die Friedenstruppe implementiert wird. Wir wollen also die Zusammenarbeit mit Indonesien verstärken, allerdings nur auf
der Grundlage substantieller Fortschritte bei der Demokratisierung. Das dürfen wir nicht vergessen.
Voraussetzung ist jedoch auch: Wir dürfen nicht
zweierlei Maßstäbe anlegen. Deswegen werden die Vereinten Nationen aufgerufen, die Schuldigen an den Massakern zur persönlichen Rechenschaft zu ziehen. Ich
denke, die Vereinten Nationen müssen hier auf ähnliche
Art und Weise vorgehen, wie es auch im Kosovo der
Fall war.
({5})
Die außenpolitische Debatte in diesem Jahr steht natürlich unter dem Gesichtspunkt der Sparzwänge. Ohne
jeden Zweifel schränkt das die Möglichkeiten ein. Ich
bekenne hier ganz offen, daß auch ich mich in einem
Widerspruch befinde. Als Mitglied der Bundesregierung
stehe ich voll hinter den Sparnotwendigkeiten, denn ich
halte überhaupt nichts davon, nach der Devise zu agieren: Wir können uns weitere Hochverschuldung leisten.
Das können wir nicht, weil wir dann die Spielräume
verlieren; das ist heute ausführlich dargestellt worden.
Wir erleben jetzt, was Verlust des Handlungsspielraums heißt. Wenn ich heute höre, wir würden gar nicht
sparen, kann ich nur sagen: Gehen Sie doch einmal die
Reihe der Ressortminister durch. Gehen Sie in die Häuser und fragen Sie die Mitarbeiter dort. Sollten wir nicht
sparen, befinden sich unsere beamteten Mitarbeiter und
alle anderen offensichtlich im Zustand eines schlimmen
Nervenfiebers.
({6})
Außerdem werden Sie mir gleich vorhalten, wo Sie
überall Kürzungen aufhalten wollen. Sie werden mir sagen: Wir möchten nicht, daß diese Generalkonsulate und
jene Goethe-Institute geschlossen oder bestimmte Programmittel gekürzt werden. Ich stimme Ihnen schon
jetzt bei jedem einzelnen Punkt zu. Ich fordere Sie auf:
Wenn Sie mehr Geld zur Verfügung haben - Sie sind
schließlich der Haushaltsgesetzgeber -, werden sich der
zuständige Minister, das zuständige Ministerium sowie
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr darüber freuen. Aber das ist genau der Spielraumverlust, den Sie zu
verantworten haben.
({7})
Die deutsche Außenpolitik, Herr Hirche, würde eigentlich verdienen, daß wir mehr Mittel in den entsprechenden Etat einstellen, weil gewünscht wird, daß
wir uns stärker engagieren, auch auf Grund der positiven
Erfahrungen, die unsere Nachbarn, aber ebenso entferntere Partner in der Welt mit dem vereinten Deutschland im Zusammenhang mit der Kosovo-Krise gemacht
haben.
Herr Außenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Irmer?
Ja, gerne, immer.
Herr Minister, niemand bestreitet, daß auch im Bereich des Auswärtigen Amtes
gespart werden muß. Die Frage, die sich stellt, ist nur,
ob es nicht Alternativen zu den bisher vorgelegten Vorschlägen gibt, etwa in dem Sinne, daß man die Großbotschaften in EU-Staaten personell ausdünnt, zum Beispiel
in den Wirtschaftsabteilungen, da diese heute bei weitem nicht mehr die Bedeutung haben, die sie früher hatten, als es die Europäische Union noch nicht gab, statt in
Afrika serienweise Botschaften zu schließen und damit
die deutsche Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent
praktisch auszuschalten.
Sie sind viel zu gut informiert, als daß Sie diese Behauptung, daß wir in Afrika serienweise Botschaften
schließen und damit die deutsche Präsenz in Afrika ausschalten würden, ernst meinen könnten.
({0})
- Das ist leicht übertrieben; Sie sind ehrlich. Der Angeklagte ist geständig; das ist gut so.
({1})
Ich schätze Ihre Fachkompetenz zu sehr, als daß ich das
ernst nehmen würde; das wissen Sie.
Unser Bemühen war im Gegenteil, daß wir gerade
nicht überwiegend in der dritten Welt Botschaften
schließen. Deswegen muß ich an bestimmten Stellen
Schließungen von Generalkonsulaten vornehmen, ob
das Temesvar ist, ob das Generalkonsulate mit einer
langen Tradition sind, wie in Genua, oder ob es zum
Beispiel Apenrade mit der deutschen Minderheit in Dänemark oder ob es Stettin ist, wo dann wiederum das
Wirtschaftsargument von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern kommt.
Ich teile alle diese Argumente. Eigentlich möchte ich
gar keine Schließungen vornehmen. Aber wir sind, wie
gesagt, in einer Situation des politischen Gestaltungsverlusts, der an dieser Stelle konkret wird. Da braucht
man nicht mehr abstrakt zu diskutieren. Wir müßten eigentlich - ich sage das bewußt - auch in der Auswärtigen Kulturpolitik mehr investieren, weil ich der Meinung bin, daß das gute Investitionen sind,
({2})
und zwar nicht nur wirtschaftliche Investitionen und
nicht nur im Sprachbereich, sondern vor allen Dingen
Investitionen in den kulturellen Austausch. Denn ich
glaube, daß unser Land auf vielfältige Art und Weise
dadurch einen Gewinn hat, und zwar nicht nur materiellen, sondern auch kulturellen und demokratischen Gewinn.
Das Geld dazu - das sage ich mit größtem Bedauern - ist nicht da. Sie mögen an dem einen oder anderen Punkt anderer Meinung sein; dieses Recht bestreite ich Ihnen gar nicht. Der zuständige Minister kann
aber Wünschen, hier und dort eine Vertretung zu belassen, nicht entsprechen, ohne daß Sie das Geld beibringen. Das steht nämlich kein Minister durch, egal von
welcher Regierung oder Partei. Wenn er an einer Stelle
dem Druck nachgegeben hat, sind alle anderen zu Recht
beleidigt, weil dann klar wird, daß die einen offensichtlich wichtiger als die anderen sind. Das führt in der Tat
zu einer Gemengelage, die politisch niemand durchhält.
Wir haben nach schwierigen Abwägungen eine Entscheidung getroffen. Insofern hoffe ich auf die Zustimmung des Hauses. Sollten Sie allerdings in der Lage
sein, zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen, dann
wäre ich nicht traurig, sondern würde im Namen der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Außenpolitik in Jubel ausbrechen. Aber dieses Geld müßten
Sie dann wirklich beibringen.
({3})
Meine Damen und Herren, wir stehen vor wichtigen
Aufgaben. Ich muß es in aller Kürze sagen: Im Kosovo
bauen wir, so schwierig die Lage auch sein mag, Tag für
Tag und Schritt für Schritt eine kosovarische Demokratie auf. Die Waffen schweigen. Mit Blick auf die Entwaffnung der UCK stehen wir vor einem wichtigen
Termin. Trotz aller Schwierigkeiten, die bestehen, sind
die Menschen zurückgekehrt. Ich konnte mich selbst davon überzeugen: Das Leben in Pristina ist wieder voll im
Gange; die Stadt lebt und pulsiert. Die Menschen sind
auch auf das Land zurückgekehrt. Die Landwirtschaft ist
wieder in Gang gekommen. Die Menschen packen für
den Wiederaufbau tüchtig zu.
Trotz aller Schwierigkeiten muß jedoch eines klar
sein: Wir sollten heute keine Diskussion über die finale
Verfassung des Kosovo führen. Wir sollten auch nicht
die Frage diskutieren, ob die Menschen zusammenpassen und noch zusammenleben können. Das ist nicht die
Frage. Die entscheidende Frage ist, in welchem Rahmen
und mit welchen Instrumenten dies entschieden wird.
Wird dies im nationalistischen Rahmen entschieden,
dann haben wir nach der Erledigung der serbischen nationalen Frage ein neues Problem. Das Auseinanderbrechen von Jugoslawien hatte in den 90er Jahren ja verschiedene nationale Fragen auf die Tagesordnung der
Geschichte gebracht: die slowenische, die kroatische,
die bosnische und die serbische. Milosevic wollte die
serbische großserbisch beantworten. Er ist zum Unglück
seines eigenen Volkes furchtbar gescheitert.
Die albanische Frage ist noch offen. Diese albanische Frage im nationalen oder gar nationalistischen
Rahmen zu lösen würde Krieg bedeuten. Damit begänne
die nächste blutige Runde auf dem Balkan. Europa muß
dieses mit dem Stabilitätspakt, aber auch mit der Präsenz
von KFOR und von UNMIK, der Zivilverwaltung der
Vereinten Nationen, verhindern.
({4})
Der Rahmen muß ein anderer werden. Die historischen Kräfte im Zusammenhang mit einer nationalen
Frage bekommt man zwar nicht weg und kann man nicht
wegdiskutieren. Es wäre irreal, sie negieren zu wollen.
Man muß aber den Rahmen, innerhalb dessen sie zum
Austragen kommen, und die Instrumente verändern.
Diese Erfahrung haben die westlichen Teile Europas
nach 1945 gemacht, als sie mit dem Europa der Integration einen neuen Rahmen gesetzt haben.
Wir werden uns deshalb dauerhaft dort engagieren
müssen. Für die weitere Entwicklung Albaniens kommt
es entscheidend darauf an, ob der Aufbau einer kosovarischen Demokratie gelingt. Das hängt mit der albanischen Geschichte der vergangenen 50 Jahre zusammen.
Pristina wird hier eine Leitfunktion wahrnehmen.
Auch bei der Frage der Erweiterung und Vertiefung
der Europäischen Union stehen wir vor großen Herausforderungen. Als ich heute morgen den Oppositionsführer Wolfgang Schäuble gehört habe, dachte ich mir seien Sie mir deshalb nicht böse -: Wolfgang, geh
schnell zurück zur Innenpolitik. Was er nämlich zur Außen- und Europapolitik gesagt hat, hätte ich ihm nicht
zugetraut, so dürftig war es.
({5})
Was mußten wir uns vor einem Jahr anhören? Schröder, Fischer und Gefährten gefährdeten die
deutsch-polnischen Beziehungen, sie seien nicht mehr
der Anwalt der Beitrittsländer und ähnliches mehr. Gehen Sie heute nach Ungarn, nach Polen, nach Prag oder
wohin auch immer und fragen Sie, ob wir politische
Anwälte einer Erweiterung sind. Sie werden Ihnen das
Gegenteil von dem, was Sie hier behaupten, sagen. Sie
werden sagen, Berlin war ein großer Erfolg auf dem
Weg zur Erweiterung. Sie wissen das ja auch ganz genau.
({6})
Zu dem, was Herr Schäuble zur Agrarpolitik gesagt
hat, kann ich ihm nur erwidern: Ja, meine Güte, wir
hätten gerne mehr gewollt, aber auf der anderen Seite
müssen auch Sie sehen, daß Frankreich andere Interessen hatte und diese Interessen im deutsch-französischen
Verhältnis eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Da kann ich Ihnen nur sagen: Für mich war der Berliner Gipfel auch unter dem Gesichtspunkt des Zusammenhalts des Bündnisses und Europas ein historischer
Schritt. Es war eine historische Nacht. Daß Bundeskanzler Schröder diesen Kompromiß erreicht und
durchgehalten hat, unter anderem gegen die zu erwartenden innenpolitischen Angriffe, war eine originäre
Leistung, mit der er zu einem weiteren Einigungsprozeß
in Europa beigetragen hat; denn das Scheitern dieses
Berliner Gipfels zu Beginn des Kosovo-Krieges wäre
fatal gewesen; das wissen Sie ganz genau.
({7})
Wir sind dafür - ich freue mich, daß Romano Prodi in
seiner Antrittsrede vor dem Europäischen Parlament
zum Ausdruck gebracht hat, daß er dies genauso sieht -,
daß wir in der ersten Runde jetzt zur Konkretisierung
der Zeitpläne kommen; das wird unterschiedlich sein.
Wir müssen den Beitrittsbericht der Kommission abwarten. Ich freue mich ganz besonders, daß der Präsident der Kommission dies genauso sieht. Andere Mitgliedstaaten haben hier noch mehr Reserven. Die Bundesregierung war die erste, die sich jetzt für eine Konkretisierung ausgesprochen hat, weil wir nicht glauben,
daß es im nächsten Jahr unter der portugiesischen oder
der französischen Präsidentschaft substantieller werden
könnte, und weil das weitere Hinhalten der ersten Beitrittsrunde fatale Konsequenzen in der Innenpolitik dieser Länder hätte.
Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß die zweite
Gruppe zu einer Gruppe zusammengeführt werden sollte. Das setzt allerdings eine Differenzierung entlang der
objektiven Beitrittskriterien voraus.
Da Herr Schäuble meint, da würde sich überhaupt
nichts tun, empfehle ich ihm, sich einmal etwas näher
mit den europa- und außenpolitischen Realitäten zu beschäftigen. Wir waren sehr intensiv tätig und haben gemeinsam mit unseren griechischen und türkischen
Freunden versucht, die Situation voranzubringen, nämlich das Verhältnis Türkei - Griechenland - Europa, in
diesem Dreieck, zu entspannen und gleichzeitig zu verstetigen.
Ich bin heilfroh, daß es, beginnend mit dem SchröderEcevit-Briefwechsel, gelungen ist, den Mißklang - ich
möchte keine Schuldzuweisungen vornehmen -, der einen dreijährigen Stillstand der Beziehungen zwischen
Europa und der Türkei verursacht hatte, aufzulösen, so
daß wir heute sehr hoffnungsvoll sind, daß die Türkei
auf dem Treffen des Europäischen Rates in Helsinki den
Status eines Kandidaten bekommt wie alle anderen
auch.
({8})
Kandidat heißt auch - lesen Sie den Ecevit-Brief -, daß
die Türkei sehr gut weiß, wie weit sie von der Aufnahme
konkreter Beitrittsverhandlungen entfernt ist.
Ich will Ihnen einmal die Alternative beschreiben.
Wir können auf die Türkei nicht verzichten. Die Frage
ist: Wird die Türkei isoliert, isoliert sie sich selbst, oder
bekommt sie eine europäische Perspektive?
Herr Pflüger, ich schätze Sie sehr. Aber durchdenken
Sie einmal jenseits der Parteipolitik die Optionen. Wir
wissen, wie weit die Türkei vom Erfüllen der Kopenhagener Kriterien, die unverzichtbar sind und wo es nichts
zu verhandeln gibt, entfernt ist. Ecevit schreibt dies. Der
Türkei jedoch die europäische Perspektive zu nehmen
heißt gleichzeitig, die Selbstisolation, die islamischen
Kräfte, die nationalistischen Kräfte zu stärken. Daran
kann am wenigsten Griechenland ein Interesse haben.
Die Griechen haben dies begriffen.
({9})
Deswegen haben wir - auch weil hier 2,2 Millionen
Menschen leben, die aus der Türkei stammen, aber auch
aus weiteren außen- und europapolitischen Gründen Bundesminister Joseph Fischer
ein Interesse daran, das Verhältnis zur Türkei produktiv
zu gestalten. Wir haben ein Interesse an der Europäisierung der Türkei in einem umfassenden Sinne. Genau
dieses betreibt die Bundesregierung.
({10})
Wir werden uns in diesem Zusammenhang verstärkt
auch um die Zypernfrage, um die Ägäisfrage kümmern
müssen; denn für mich bedeutet Union, daß wir auch
eine Solidargemeinschaft mit unseren griechischen
Freundinnen und Freunden eingegangen sind. Sie sind
Mitglied der Union, und ihre Probleme mit einem Drittland sind nicht nur ihre Probleme, sondern sind Unionsprobleme, ob mir das gefällt oder nicht. Insofern wird
zum Weg der Türkei nach Europa auch eine Lösung der
Probleme mit Griechenland gehören. Das betrifft vor
allem die Ägäisfrage und die sehr schwierige Zypernfrage.
Wir begrüßen mit allem Nachdruck die Initiative der
beiden Außenminister Cem und Papandreou. Die Regierungen von Griechenland und der Türkei haben sich auf
den richtigen Weg gemacht. Die Europäische Union
kann das Ihre dazu beigetragen, daß in Helsinki diese
positive Entwicklung gestärkt wird.
Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr steht eine Vertiefung, eine Regierungskonferenz in Europa an.
Die Lösung dieser Aufgabe wird sehr schwierig werden.
Wir befinden uns in diesem Zusammenhang in enger
Diskussion vor allen Dingen auch mit unseren französischen Partnern. Was soll Gegenstand dieser Regierungskonferenz sein? Nur die Regelung der Reste, der Überbleibsel aus Amsterdam? Das Wort „Überbleibsel“
klingt so verharmlosend. Es geht hier um ganz gravierende Probleme, zum Beispiel um die Größe der Kommission: Soll, wenn die Europäische Union erweitert
wird, jedes Land weiterhin durch einen oder zwei
Kommissare auf europäischer Ebene vertreten sein? Gegenstand dieser Regierungskonferenz wird die Frage der
Stimmengewichtung sein. Dies ist eine demokratische
Kernfrage. Auch die Klärung der Frage der Mehrheitsentscheidungen steht an.
Wenn wir die Klärung dieser zentralen Fragen nicht
anpacken, dann werden wir nicht erweiterungsfähig
sein. Denn eine Union der 21 oder gar der 24 Mitglieder
- wie viele auch immer es sein werden - wird mit dem
heutigen institutionellen Gerüst nicht funktionieren können. Wir wollen nicht nur eine erweiterte, sondern vor
allen Dingen auch eine handlungsfähige und eine sich in
der Integration vertiefende Europäische Union.
({11})
Wir werden im kommenden Jahr nochmals über unser Verhältnis zu den Vereinten Nationen diskutieren
müssen, und zwar über die Rolle, die Deutschland dort
spielen will. Dies steht im Zusammenhang mit der Reformdebatte in den Vereinten Nationen. Ich kann angesichts meiner fast abgelaufenen Redezeit darauf nicht
weiter eingehen. Dies ist eine Debatte, die unmittelbar
vor uns liegt.
Meine Damen und Herren, den heutigen Haushalt
kann ich Ihnen als Ressortminister - Sie merken es - nur
zähneknirschend vorlegen. Ich würde mir wünschen,
daß wir hier angesichts der gewachsenen Bedeutung,
aber auch der gewachsenen Zustimmung zur Außenpolitik des vereinigten Deutschlands Zuwächse hätten
und nicht Einschnitte. Es ist aber festzustellen: Wenn
wir wieder Zuwächse wollen, dann müssen wir jetzt
durch die Sanierungsphase hindurch.
Ich bedanke mich.
({12})
Zu einer
Kurzintervention erhält der Kollege Pflüger das Wort.
Herr Bundesaußenminister, wir alle, glaube ich, begrüßen erstens,
daß es zwischen der Türkei und Griechenland eine gewisse Annäherung gibt. Es ist richtig - dabei haben Sie
unsere volle Unterstützung -, daß Sie diesen beiden
Ländern - dabei spielt die Europäische Union eine
wichtige Rolle - auf diesem Weg helfen und sie unterstützen.
Es ist in diesem Hause - jedenfalls bei der CDU/CSU
- zweitens völlig unbestritten, daß die Türkei eine europäische Perspektive braucht. Die Türkei ist ein ungeheuer wichtiges Land. Wir haben ein großes Interesse daran,
daß sie sich weiter demokratisiert, daß die laizistischen
Kräfte dort die Oberhand behalten und daß sie sich nicht
auf die islamische Welt orientiert, sondern auf uns in
Europa. Es ist ganz eindeutig, daß wir der Türkei bei
dem Versuch, sich nach Europa zu orientieren, immer
wieder helfen und sie unterstützen müssen, nicht zuletzt
mit Blick auf die türkischen Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland.
Aber es stellt sich doch folgende Frage: Ist es denn
Deutschland oder die EU gewesen, die der Türkei in der
Vergangenheit das Tor zu Europa zugeschlossen hat?
Aber ist es nicht die Türkei selbst gewesen, die sich gerade in den letzten Jahren auf Grund von Drohgebärden
gegenüber ihren Nachbarn, durch Menschenrechtsverletzungen und der Nichtbeachtung von Minderheiten
isoliert hat? Ist nicht anläßlich Ihres Besuches in der
Türkei und der Festlegung auf einen Kandidatenstatus was immer das im einzelnen bedeutet - die Gefahr entstanden - Sie sagen, Herr Ecevit wisse, daß der Weg
nach Europa ein langer Weg sei; ich frage mich, ob das
auch die türkischen Medien bzw. die türkische Bevölkerung wissen -, daß in der Türkei eine große Illusion entsteht, die Sie in den nächsten Jahren doch nicht erfüllen
können? Geraten wir dann nicht in die Situation, daß das
deutsch-türkische bzw. das europäisch-türkische Verhältnis schwieriger wird?
Viel wichtiger, als jetzt den Kandidatenstatus an die
Wand zu malen, ist es, der Türkei konkret zu helfen und
die Mittel im Rahmen der Zollunion und des Finanzprotokolls freizugeben. In diesem Sinne haben Sie sich
bei der EU-Ratspräsidentschaft und bei Herrn PapandreBundesminister Joseph Fischer
ou eingesetzt. Das begrüßen wir ohne jeden Vorbehalt.
Hier muß der Türkei geholfen werden. In bezug auf den
Kandidatenstatus sollten wir etwas vorsichtiger sein, als
Sie das waren. Wir sollten von Anfang an verhindern,
daß bei uns und in der Türkei Illusionen entstehen.
({0})
Möchten Sie
antworten, Herr Minister? - Bitte.
Herr Kollege Pflüger, lassen Sie mich zuerst noch eines
anmerken: Ich war tief betroffen über den plötzlichen
Tod des griechischen Europaministers Kranidiotis, seines Sohnes und anderer Angehöriger in der Regierungsmaschine. Am Freitag saßen wir noch anderthalb
Stunden zusammen und haben über all diese Fragen unter anderem auch die, die wir gerade angesprochen
haben - gesprochen. Sein Tod ist nicht nur menschlich,
sondern auch politisch ein großer Verlust, weil er von
Zypern stammte und gerade in diesem Versöhnungsprozeß eine wichtige Rolle gespielt hat.
Zu Ihrer Frage: Ich sehe keine Alternative. Ob die
Türkei sich selbst isoliert oder isoliert wird: Die Wirkung wird dieselbe sein, ob einem das gefällt oder nicht.
Eines ist klar: Ich plädiere für Realismus im Umgang
mit der Türkei. Es nützt überhaupt nichts, hier über die
Menschenrechtssituation oder über das Verfassungsgefüge zwischen dem zivilen und dem militärischen Teil
hinwegzureden. Das ist alles nicht EU-kompatibel. Ich
plädiere nachdrücklich dafür, mit viel Realismus an die
Minderheitenfrage heranzugehen.
Genauso müssen Sie aber Realismus beim Verständnis der türkischen Situation zeigen. Das Land ist nach
wie vor - seit dem Ende des Osmanischen Reiches - auf
der Suche nach sich selbst. Das werden Sie feststellen,
wenn Sie in Ankara sind. Wenn wir hier heute über
Kurdistan reden, denkt niemand, daß es sich dabei um
mehr handeln würde als um die Beschreibung eines
möglichen Bundeslandes à la Bayern. In der Türkei ist
das ein Trauma, nämlich das Trauma der Aufspaltung
der türkischen Republik, von den Westmächten zu Beginn der 20er Jahre mit dem Vertrag von Sèvres besiegelt. Wenn Sie in der Türkei den Begriff „Kurdistan“
verwenden, steckt dahinter ein völlig anderes Verständnis. Das zeigt, wie virulent die Geschichte dort ist und
wie unsicher das Land noch im Umgang mit seiner eigenen Geschichte ist. Das ist keine Rechtfertigung für die
Unterdrückung von Menschenrechten und Minderheiten,
damit Sie mich nicht mißverstehen. Wir sprechen hier
Klartext - das machen auch der Brief von Bundeskanzler Schröder und die Antwort von Ecevit klar.
Die Kopenhagener Kriterien - ich kann nur jedem
empfehlen, sie nochmals nachzulesen - sind zweifelsfrei, was den Umgang mit Minderheiten betrifft, sind
zweifelsfrei, was die Beachtung von Menschenrechten
und was Demokratie betrifft.
({0})
Aber bei der Debatte um die Frage: „Warum sitzt Rumänien mit am Tisch, warum wir nicht?“, werden Sie
mit türkischen Gesprächspartnern immer ein Problem
bekommen. Eine Antwort fällt hier schwer, obwohl die
EU sowohl in Cardiff wie auch in Luxemburg die Türkei
als möglichen Kandidaten bezeichnet hat.
({1})
- Das Neue ist, daß die EU zum Beispiel extra für die
Türkei eine eigene Konferenz mit allen anderen Beitrittsländern eingerichtet hat, an der die Türken noch nie
teilgenommen haben, weil sie sich diskriminiert fühlen.
Über diese psychologische Hürde wollen wir endlich
hinweg, um dann mit einem gemeinsamen Fahrplan mit
der Türkei und der Europäischen Union eine Verbesserung der wirtschaftlichen, der menschenrechtlichen und
auch der Minderheitensituation in der Türkei zu erreichen. Voller Kandidatenstatus bedeutet, daß die Türkei
dann in der Situation ist, daß sie in der Tat substantielle
Reformen entwickeln und voranbringen muß, um ihren
Kandidatenstatus zu verbessern, nicht mehr und nicht
weniger.
({2})
Herr Pflüger, wenn Sie dies durchdenken, dann werden Sie sehen: Es gibt nur schlechtere Alternativen. Wir
haben drei Optionen; ich halte die Optionen eins und
zwei für schlecht. Die erste Option ist, zu sagen, die
Türkei gehört nicht zu Europa. Dies wäre fatal, hätte fatale Konsequenzen. Die zweite Option ist, zu sagen, die
Türkei gehört zu Europa, sich aber so zu verhalten, als
wenn sie nicht dazugehören würde. Das ist ein Zustand,
den wir lange genug hatten, mit der Konsequenz, daß
sich Isolierung und Nationalismus breitmachten.
Herr Minister,
ein bißchen kürzen.
Ich komme zum Schluß. - Die dritte Option ist, der Türkei zu sagen: Jawohl, ihr gehört voll dazu; dann müßt ihr
aber auch die Bedingungen des Dazugehörens schaffen.
Genau das wollen wir erreichen.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Karl Lamers.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Entgegen meiner Absicht will ich mit dem Thema Türkei beginnen, das wir
zuletzt behandelt haben, weil ich in der Tat glaube, daß
es einer der wenigen neuen Akzente ist, die Sie in Ihrer
Außenpolitik entgegen Ihren Ankündigungen gesetzt
haben.
Dr. Friedbert-Pflüger
Ich stimme dem, was Friedbert Pflüger gesagt hat,
voll zu. Ich glaube, auch Sie haben anerkannt, daß der
Weg, den Sie eingeschlagen haben, zwar vielleicht ein
richtiger, aber in jedem Fall ein außerordentlich riskanter ist. Wieso? Sie sagen, die Türkei bekommt jetzt
einen konkreten Beitrittsstatus. Das ist wahr. Ein konkreter Beitrittsstatus bedeutet aber auch konkrete Kriterien eben nicht nur - Sie haben welche angesprochen im wirtschaftlichen, sondern vor allem im politischen
Bereich. Der Oberste Richter des Obersten Berufungsgerichts der Türkei hat kürzlich, als Sie, Herr Fischer, in
Lappland zusammensaßen, erklärt, die Legitimation der
türkischen Verfassung grenze an Null. Er hat genau das
gemeint, was auch Sie angesprochen haben, nämlich den
durch die Verfassung abgesicherten entscheidenden Einfluß des türkischen Militärs in allen wesentlichen Bereichen, nicht nur den außenpolitischen, sondern auch den
innenpolitischen.
Konkrete Bedingungen bedeuten die Forderung: Diese Verfassung muß geändert werden. Nun stellen Sie
sich einmal vor, wir stellten diese Forderung ganz ruhig
und bescheiden und nicht anklagend auf! Ich weiß doch,
was dann kommen würde. Der empörte Aufschrei wird
lauten: Einmischung in die inneren Angelegenheiten.
Dann muß man sich aber auch darüber im klaren sein,
daß die Europäische Union gewissermaßen eine legalisierte, institutionalisierte und permanente Einmischung
mit steigender Tendenz in die inneren Angelegenheiten
ist. Das erleben und ertragen wir. Auch uns fällt das
manchmal schwer, Herr Minister, aber wie soll das die
Türkei ertragen? Wenn ich einmal von jener Art aufbrausenden Nationalismus absehe, mit der die Türkei
sich das verbietet - das ist im Grunde ein Zeichen von
tiefer Unsicherheit -, dann muß ich mich wirklich fragen: Kann die Türkei angesichts ihres gesellschaftlichen
und politischen Entwicklungsstands und angesichts ihrer
geopolitischen Lage, die ihr andere Prioritäten ihrer
Politik diktiert als uns, überhaupt jenes ungewöhnlich
weitgehende Maß nicht nur an formellem, sondern mehr
noch an faktischem Souveränitätsverzicht und an Verzicht auf Handlungsfreiheit in Kauf nehmen, welches
die Mitgliedschaft in der Europäischen Union voraussetzt?
Wir haben mit der Zollunion mit der Türkei eigentlich einen Weg beschritten, von dem ich meine, daß er
auf jeden Fall konsequent weitergegangen werden
müßte. Sie haben eine andere Methode gewählt, die auf
eine differenzierte Form der Mitgliedschaft in der Europäischen Union hinausläuft.
Wir werden von uns aus alles tun, daß der Weg, den
Sie eingeschlagen haben, nicht in einer noch tieferen
Entfremdung und Enttäuschung dieses für uns alle, insbesondere für Deutschland, so wichtigen Landes mündet, aber wir sehen diese Gefahr. Ich glaube, das muß
Ihnen gesagt werden. Ich hoffe, daß Sie das Risiko, das
Sie eingegangen sind, wirklich gesehen haben.
({0})
Nun aber zum Haushalt. Herr Minister, Sie wissen:
Die in diesem Haushaltsentwurf angelegte Finanzplanung bedeutet, daß der Haushalt Ihres Hauses im Jahre
2003 auf den Stand des Jahres 1990 gesunken sein wird.
Jetzt möchte ich ohne irgendwelche Schuldzuweisungen
sagen: Das ist wirklich absurd. Das ist widersinnig. Es
widerspricht diametral der Rangfolge unserer Interessen;
denn seit 1990 sind die außenpolitischen Aufgaben
und Verantwortlichkeiten der Bundesrepublik
Deutschland nicht etwa gesunken, sondern - ich weiß,
das kann man nur schwer quantifizieren - sie haben sich
mindestens verdoppelt. Aber statt mehr Geld haben wir
immer weniger Geld.
Ich weiß sehr wohl, daß diese Tendenz nicht neu ist,
aber Sie hatten doch versprochen, nicht alles nur genauso weiterzumachen, sondern besser zu machen. Davon
kann ich aber wirklich nichts merken. Zumindest hätte
ich von Ihnen etwas größeren Widerstand - auch öffentlich - erwartet. Davon hat man wirklich überhaupt
nichts gespürt.
({1})
Wenn, Herr Minister, der Haushalt die Prioritäten
eines Landes widerspiegelt, kann man nur sagen: Diese
Regierung setzt die Prioritäten unseres Landes falsch.
({2})
Es kann gar nicht zweifelhaft sein: Immer mehr ist das
Wohl und Wehe unseres Landes und der Bürger dieses
Landes abhängig vom Wohl und Wehe unserer Nachbarn im engeren und weiteren Sinne. Die Ausgaben
müßten steigen. Also kämpfen Sie zumindest! Dafür werden Sie unsere Unterstützung haben. Aber Sie
haben nicht gekämpft. Das hätte ich von Ihnen anders
erwartet.
Statt dessen stellen Sie sich nur staatsmännisch hierhin und sagen: Es muß gespart werden. Im übrigen haben wir - das wissen Sie auch - den Vorwurf, von dem
Sie behauptet haben, daß wir ihn gemacht hätten, gar
nicht gemacht. Wir haben nur gesagt: Erstens habt Ihr
im vergangenen Jahr den Haushalt um 30 Milliarden
DM aufgestockt, die Ihr nun sparen wollt, zweitens spart
Ihr nicht, sondern Ihr verschiebt die Kosten vom Bund
auf die Länder und Gemeinden - das sagen Ihre Länderminister auch, Sie wissen ganz genau, daß dies den
Tatsachen entspricht -, und drittens spart Ihr dort, wo
Ihr schließlich spart, auch noch falsch. - Das ist unser
Vorwurf, und der stimmt. Der ist unbestreitbar.
({3})
Ein Wort zu dem, was Sie über Europa gesagt haben.
Ich habe das, was Sie heute Wolfgang Schäuble zugerechnet haben, gar nicht gehört. Gehört habe ich allerdings - darin stimme ich Ihnen uneingeschränkt zu -,
daß Sie bislang nicht viel Phantasie bei dem von Ihnen
zu Recht als ungewöhnlich schwierig geschilderten Balanceakt Vertiefung/Erweiterung, wie wir das nennen,
haben erkennen lassen.
Es ist richtig: Die Skepsis bei unseren östlichen
Nachbarn wächst. Deswegen ist die Klarheit der Beitrittsperspektive noch wichtiger. Auch das stimmt ohne
jeden Zweifel. Gleichzeitig wird damit die Notwendigkeit des Erhalts und des Ausbaus der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union noch größer.
Die Vorschläge, die Sie für die sogenannten LeftOvers gemacht haben, lagen in Amsterdam alle auf dem
Tisch. Neue sind nicht dazu gekommen. Woher schöpfen Sie eigentlich die Hoffnung, daß das jetzt im Wege
einer Regierungskonferenz - nicht gerade ein sehr probates Mittel - gelöst werden könnte? Können sie nicht
eigentlich nur gelöst werden, wenn man sie in einen
größeren Zusammenhang stellt? Muß nicht eigentlich
das, was laut Amsterdam spätestens ein Jahr bevor die
Zahl Zwanzig überschritten wird, vorgesehen ist, nicht
schon jetzt in die Wege geleitet werden, nämlich eine
größere Revision? Ich weiß, auch das könnte wieder ein
Problem für den Zeitpunkt der Erweiterung schaffen,
muß es aber nicht. Sie haben auch eine Verfassung vorgeschlagen. Wie wir dies nennen, kann dahingestellt
sein. Aber ich glaube, daß die Fragen, die sogenannten
Left-Overs, nur gelöst werden können, wenn man sie in
einen größeren Zusammenhang stellt.
({4})
- Ja, mit Frankreich. Das ist ein sehr gutes Stichwort,
Herr Minister. Ich will gar nicht - das sage ich a priori behaupten, daß dieser sehr bedenkliche Zustand des
deutsch-französischen Verhältnisses - das ändert nichts
daran, daß Sie sich mit Herrn Védrine gut verstehen nur auf Ihr Konto geht. Er geht ganz wesentlich auf das
Konto der deutschen Regierung, insbesondere Ihres
Nachbarn, der im Augenblick nicht da ist. Das kann gar
nicht zweifelhaft sein.
({5})
Dieses Gerede von Saarbrücken war wirklich tödlich.
Das kann man gar nicht bestreiten. Das ist einfach eine
Tatsache. Daß die Gespräche in St. Malo - sosehr ich
mich darüber freue, wenn es in der britischen Europapolitik Bewegung gibt - ohne Deutschland stattfanden,
muß Ihnen doch zu denken geben. Wie ist es denn
möglich gewesen, daß Frankreich und Großbritannien
gemeinsam Deutschland bei den Rambouillet-Verhandlungen an den Katzentisch gebracht haben? Darüber haben Sie sich - absolut verständlicherweise - zutiefst geärgert. Aber das muß Ihnen zu denken geben.
Sie müssen sich auch fragen: Lag das nicht auch ein
bißchen an uns?
({6})
- Nein, nicht an uns, das wissen Sie sehr genau. Das ist
nun wirklich allzu billig.
({7})
Ein Wort, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, zum Kosovo. Herr Minister, ich habe schon verstanden, weshalb Sie mich bei diesem Thema so angesehen haben. Aber zunächst einmal muß ich feststellen:
Leider habe ich mit all meinen Warnungen recht behalten. Ich wünschte mir, ich könnte hier sagen: Gott sei
Dank waren meine Warnungen unbegründet.
Der Kern meiner Kritik ist ganz einfach, milde gesagt: daß die Grundlage der Kosovopolitik der NATO
auf einer Verwischung von Hoffnung und Wirklichkeit
beruht; scharf formuliert: daß sie auf fiktionalen Annahmen und auf Illusionen beruht. Ich sehe nicht, wie
diese Hoffnungen erfüllt werden könnten und wie die
Illusion zur Wirklichkeit werden soll. Die Entwicklung
läuft ohne jeden Zweifel in eine ganz andere Richtung.
Solange diese Frage nicht geklärt ist, ist es unmöglich, den Hauptbetroffenen eine politische Perspektive
zu geben. Solange das nicht der Fall ist, wird auch wirtschaftliche Hilfe nicht fruchten. Das wissen wir doch mit Verlaub - von der Entwicklung unseres Landes nach
1918 im Vergleich zu der nach 1945. Der Hauptbetroffene ist Serbien. Sie haben selber gesagt: Die nationale
Frage ist in einem anderen Sinne gelöst, als Milosevic es
sich vorgestellt hat. Das ist wohl wahr. Aber mit anderen
Worten heißt das: Sie ist völlig ungelöst. Sie ist ungelöster als vorher. Das hat zur Folge, daß in diesem Land
mindestens 700 000 Flüchtlinge leben.
({8})
Von denen redet keiner. Was sollen wir mit ihnen machen? Wie soll dieses Land eine Zukunft haben, wenn
das nicht gelöst wird?
({9})
Darauf gibt der Stabilitätspakt keine Antwort, und Ihre
permanent erhobene Forderung, Milosevic müsse weg,
verdeckt nur die Ratlosigkeit.
({10})
In einem Punkt hat die Bundesregierung klar und hart
gehandelt: Sie hat Herrn Hombach, den hier gescheiterten Koordinator, ausgerechnet zum Koordinator für
Wirtschaftspolitik und Wiederaufbau gemacht. Das ist
aber nicht das Schlimmste. Schlimmer ist - deswegen
nenne ich das einen Skandal -, daß man in eine Gegend,
wo die Vermischung von Politik und Geschäft zu den
notorischen Kernübeln gehört, einen Mann sendet, der
sich in diesem Lande genau dieses Verdachts ausgesetzt
sieht.
({11})
Das ist der Stil des Bundeskanzlers. Er ist schädlich für
unser Land.
({12})
Das Wort erhält jetzt der Kollege Verheugen. Ich glaube, ich gehe
recht in der Annahme, daß das Ihre letzte Rede als Abgeordneter in diesem Parlament ist, jedenfalls vorläufig.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben recht, Frau
Präsidentin: Es ist eine Abschiedsvorstellung. Ich bin
meiner Fraktion sehr dankbar, daß sie mir die Gelegenheit dazu gibt, wenigstens einmal in diesem Raum spreKarl Lamers
chen zu dürfen. Es wäre mir wirklich schwer gefallen,
den Deutschen Bundestag zu verlassen, ohne das Gefühl
zu kennen, wie es ist, an dieser Stelle zu sprechen,
({0})
die wie kaum eine andere das symbolisiert, was mich in
den nächsten Jahren besonders beschäftigen wird, nämlich der Versuch, die Einheit Europas noch ein Stück
weiter voranzubringen.
({1})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das
Jahr 1999 wird in der Rückschau für Europa ein wichtiges und ein besonderes Jahr sein, und zwar deshalb, weil
sich in diesem Jahr eine Bewußtseinsveränderung ablesen läßt. In diesem Jahr ist das Bewußtsein dafür, was
eigentlich Ziel, was Inhalt, was Fundament der europäischen Einigung ist, viel deutlicher hervorgetreten als in
den Jahren davor, wo wir uns vielleicht ein bißchen zu
sehr in die technischen Fragen der Brüsseler Exekutive
verstrickt hatten. Ich will entsprechende Beispiele hier
nicht aufführen. Ich glaube, in diesem Jahr ist wieder
klarer geworden, daß Europa die Chance des Friedens,
der Stabilität, der Demokratie und des Wohlstands für
die Menschen in ganz Europa ist
({2})
und daß es für Deutschland entscheidend darauf ankommt, unsere und die europäischen Interessen stets in
Übereinstimmung halten zu können. Wir haben in diesem Jahr bereits eine Reihe von wichtigen Entwicklungen erlebt, die teils abgeschlossen und teils noch im
Gange sind und die genau das zeigen. Deutschland hat
nach einer Phase der Orientierung und Suche seinen
Platz gefunden. Die Diskussion, die wir gerade zwischen
Herrn Lamers und Bundesminister Fischer erlebt haben,
zeigt das sehr deutlich.
Herr Kollege Lamers, die deutsche Rolle während des
Kosovo-Konfliktes und zur Beendigung der Feindseligkeiten war deshalb so stark und, wie ich glaube, auch
ausschlaggebend, weil sich unser Land in diesem Jahr
klar und eindeutig in der Verantwortung der Gemeinschaft der westlichen Demokratien positioniert hat, und
zwar mit allen Konsequenzen. Damit hat eine Diskussion, die uns in diesem Haus - ich bin daran sehr beteiligt
gewesen - über viele, viele Jahre und zum Teil quälend
beschäftigt hatte, einen positiven Abschluß gefunden.
Jedem von uns wäre es lieber gewesen, wenn man in der
Kosovo-Krise nicht zur Gewalt hätte greifen müssen.
Das weiß jeder. Aber die strategischen Konsequenzen,
die sich für unser Land und für Europa aus der Art und
Weise, wie wir dieser Krise begegnet sind, ergeben, sind
ungeheuer weitreichend.
Sie sind auch in bezug auf das nächste große Projekt,
das wir in Europa zu bewältigen haben, nämlich die
Herstellung einer Außen- und Sicherheitspolitik aus
einem Guß, weitreichend. Man könnte wahrscheinlich
sehr viele europäische Themen nennen, von denen man
sagt, daß sie jetzt dringend angegangen werden müßten.
Ich wähle bewußt dieses als das meiner Meinung nach
wichtigste und zentrale.
({3})
Europa kann seine Rolle und seine Verantwortung in der
internationalen Politik nur dann wahrnehmen, wenn es
seine Interessen auch artikulieren, vertreten und durchsetzen kann.
({4})
Der Vertrag von Amsterdam hat Instrumente geschaffen,
von denen heute niemand sagen kann, daß wir das damit
erreichen; aber sie bieten eine Chance.
In wenigen Tagen wird Javier Solana, der bisherige
Generalsekretär der NATO, sein Amt als Hoher Beauftragter der Europäischen Union für die Außen- und Sicherheitspolitik antreten. Das eröffnet eine Möglichkeit. Ich wünsche mir sehr, daß Javier Solana die Unterstützung aller Regierungschefs und Außenminister haben wird. Ich wünsche mir zudem sehr, daß er auch die
Unterstützung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente haben wird und daß nicht der klassische Kompetenzkonflikt - diese klassische europäische Rivalität, dieser Zustand, daß der eine dem anderen
etwas neidet - die Möglichkeiten seines Amtes gefährdet.
Solana kann für Europa viel bewirken. Denn Europa
wird nicht nur in Europa gebraucht. Das hat die letzte
Zeit sehr deutlich bewiesen. Die Stimme Europas, aber
auch seine Fähigkeit, einzuwirken, werden überall auf
der Welt gefragt. Wir haben nach dem Wirbelsturm
„Mitch“ in Lateinamerika gesehen, wie zentral die Rolle
Europas war. Wir hören immer wieder im Nahen Osten,
was man von uns in Europa erwartet. Über Afrika wage
ich in diesem Zusammenhang gar nicht zu reden; die
Kenner unter uns wissen es. Aber auch Asien und - im
Zusammenhang internationaler Konfliktbewältigung die Vereinigten Staaten von Amerika als unser wichtigster Bündnispartner erwarten, daß Europa stark und
handlungsfähig wird.
Meine Damen und Herren, das bringt mich gleich zu
dem Thema, das in den nächsten Jahren aus naheliegenden Gründen für mich, aber auch für Deutschland, besonders wichtig sein wird: die Frage der Erweiterung
der Europäischen Union. Diese Erweiterung ist etwas
anderes als die bisherigen Erweiterungspozesse. Erlauben Sie mir dazu ein großes Wort: Wir stehen in Europa
im Augenblick vor der Chance, etwas zu erreichen, was
Immanuel Kant in seinem „Entwurf zum ewigen Frieden“ als eine gewaltige Utopie aufgeschrieben hatte.
Dieser Utopie können wir uns wirklich nähern, indem
wir durch die politische Vereinigung ganz Europas Voraussetzungen dafür schaffen, daß dieser Kontinent für
immer in Frieden und Sicherheit lebt und daß von ihm
auch für andere Teile der Welt Frieden und Sicherheit
ausgehen.
({5})
Diese Erweiterung ist in erster Linie ein eminent
politischer Prozeß.
({6})
Ich möchte die wirtschaftliche Bedeutung bestimmt
nicht kleinreden. Die Chancen, die sich durch entwikkelnde neue Märkte für unsere Wirtschaft und für die
Arbeitsplätze ergeben, möchte ich wirklich nicht kleinreden. Dies ist ein hochwillkommener Effekt, aber nicht
das eigentliche Ziel der Erweiterung. Das eigentliche
Ziel ist, Europa politisch und geographisch zusammenzuführen. Es geht jetzt tatsächlich um die letzte große
Anstrengung zur Herstellung der Einheit Europas.
({7})
Das wird nicht in einem Schritt gehen. Wir werden
zunächst mit den Staaten, mit denen bereits verhandelt
wird, weiterverhandeln müssen. Wir werden dabei den
Grundsätzen folgen, daß Kriterien und politische Ziele
nicht durcheinandergeworfen werden und daß die Erweiterung als ein politisches Ziel nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß die politischen, sozialen und ökonomischen Konsequenzen beherrschbar sein müssen. Die
Beschwörung dieser Konsequenzen darf aber nicht dazu
führen, daß der Abschluß dieser Verhandlungen auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird.
Ich wünsche mir, daß die Bundesrepublik Deutschland ihr enormes Gewicht in der Europäischen Union so
einsetzt, daß dieser Erweiterungsprozeß glaubwürdig,
schnell, konsequent, aber eben auch handwerklich sauber vorangetrieben wird.
({8})
Wir werden am Ende nichts davon haben, wenn wir die
Bedingungen aufweichen.
Diejenigen, die wie ich ihre Wahlkreise in der
Nähe der Außengrenze der Europäischen Union haben in meinem Fall ist es die Nähe zur Tschechischen Republik -, wissen, daß die Menschen in Deutschland diese
Erweiterung keineswegs nur als eine gewaltige Chance
betrachten und daß keineswegs nur Enthusiasmus besteht. Es gibt auch Ängste und Sorgen, die wir ernst
nehmen müssen. Es darf nicht noch einmal passieren,
was im Falle von Maastricht - vielleicht - unvermeidbar
war, nämlich mit großer Mehrheit des Deutschen Bundestages eine Politik zu beschließen, die in der deutschen Bevölkerung - jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt - nicht mehrheitsfähig war. Wir haben damals
diese Entscheidung getroffen, weil wir wußten, daß sie
richtig war. Das darf in diesem Fall nicht geschehen. Es
muß daher alles getan werden, um die Menschen mitzunehmen und sie davon zu überzeugen, daß das, was wir
tun, für sie richtig ist.
Ich möchte gerne die folgende Frage stellen: Sollten
wir jetzt eine Vorstellung davon entwickeln, wie unser
Europa am Ende aussehen soll? Ich glaube, das sollten
wir tun. Wir sollten wirklich den hier auch in der Debatte bereits geforderten breiten und umfassenden Diskussionsprozeß über die politische und auch über die
geographische Gestalt, die Europa haben soll, in Gang
setzen.
Natürlich wird es weiterhin Grenzen geben. Niemand
sollte die Illusion haben, daß in der Zeit, die ein Politiker einigermaßen überschauen kann, etwa Rußland ein
Kandidat für die Mitgliedschaft in der Europäischen
Union werden könnte. Das hätte keinen Sinn. Aber wir
sollten uns darüber Gedanken machen, was mit all den
vielen Ländern geschieht, die heute EU-Erwartungsland
sind. Was geschieht mit Südosteuropa? Was geschieht
mit den Staaten des ehemaligen Jugoslawien? Meine feste Überzeugung ist: Unser Europa ist nicht vollständig,
wenn nicht auch die Kroaten, die Serben, die Albaner
und die Makedonier ihren Platz in diesem Europa finden
können.
({9})
Daß sie selber dazu das meiste beitragen müssen, daß sie
eine Perspektive nur dann haben, wenn sie auch bereit
sind, die europäischen Standards zu erreichen, versteht
sich von selbst. Dieser Punkt war ja eben auch der Inhalt
der Kontroverse zum Thema Türkei.
Zur Türkei möchte ich an dieser Stelle nur so viel
sagen: Man kann lange darüber streiten, ob es klug war,
der Türkei eine europäische Perspektive zu eröffnen,
oder nicht. Dies ist aber vor langer, langer Zeit geschehen. Und die Türkei hat recht, wenn sie immer wieder
darauf hinweist: Aber ihr habt es uns doch versprochen!
- Man kann auch lange darüber streiten, was für eine
Bedeutung Luxemburg hatte: War es eine Diskriminierung der Türkei oder nicht? Das ist egal. Tatsache ist,
daß die Türkei dies so empfindet. Zur Zeit findet kein
Dialog zwischen der Europäischen Union und der Türkei statt; aber die Türkei hat jetzt ein Angebot gemacht.
Ich sage hier schon im Bewußtsein der Verantwortung, die ich unmittelbar nach dieser Debatte in Europa
übernehmen werde: Die Türkei sollte wissen, daß es für
sie nicht etwa deshalb einen Bonus gibt, weil sie ein
Land mit besonderer strategischer Bedeutung ist. Für die
Türkei gilt das, was für alle anderen Länder gilt: Ein
Partner für Beitrittsverhandlungen zur Europäischen
Union kann nur ein Land sein, das die Demokratie verwirklicht hat,
({10})
kann nur ein Land sein, in dem die Menschenrechte geachtet werden - das Versprechen, dies tun zu wollen,
reicht nicht -,
({11})
kann nur ein Land sein, das im Inneren und auch mit
seinen Nachbarn in Frieden lebt. Das sind die Bedingungen, die jedes Land kennt; das gilt auch für die Türkei.
({12})
Man muß der Türkei sagen: Wenn ihr dazu bereit
seid, dann bekommt ihr eine wahrhaftige europäische
Perspektive, keine mit dem Hintergedanken, daß diese
„Schweinefleischverächter“ letzten Endes doch nicht zu
Europa gehören. Wir wissen doch, daß viele so denken.
Dieses zweideutige Verhalten gegenüber der Türkei, zu
sagen: Ja, ja, ihr gehört dazu!, aber zu denken: Wir wissen doch ganz genau, daß die das nicht schaffen!, muß
aufhören.
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bundesminister Fischer hat über die Notwendigkeit der institutionellen Reformen gesprochen, denen wir in Europa unmittelbar gegenüberstehen. Ich möchte Sie bitten, sich
als Deutscher Bundestag mit großer Kraft in den Prozeß
dieser institutionellen Reformen einzubringen; denn das
betrifft auch die nationalen Parlamente in einer starken
Weise. Das Verhältnis zwischen dem Europaparlament
und den nationalen Parlamenten bedarf einer neuen
Justierung. Eine europäische Grundrechtscharta kann
nach meiner festen Überzeugung nicht ohne maßgebliche Mitwirkung der nationalen Parlamente entwickelt
werden.
({14})
Und es ist noch nicht gesichert, daß dies wirklich erreicht werden kann.
({15})
Die Diskussion über die institutionelle Reform der
Europäischen Union, eingebettet in eine breite Diskussion über die politische Verfassung, die wir Europa
geben wollen, muß im Bewußtsein dessen geführt
werden, daß die ganz großen Ziele immer nur Schritt
für Schritt erreicht werden. Ich bitte Sie, alle Fraktionen des Hauses, sehr herzlich: Nehmen Sie nicht die
Position ein zu sagen: Wir wollen jetzt die europäische Finalität erreichen! Wenn wir alle noch offenen Fragen - zum Beispiel zur Vollparlamentisierung, zu den Entscheidungsprozessen und zur
Transparenz - jetzt regeln wollen, dann werden wir
nicht fertig sein, wenn der Beitritt der ersten Staaten
ansteht.
Das letzte, was ich heute ansprechen möchte, ist etwas, was mir besonders am Herzen liegt. Ich muß gestehen, daß mir dies erst in meinem Regierungsamt, das ich
heute morgen aufgegeben habe, so richtig klargeworden
ist. Es ist die besondere Bedeutung des deutschfranzösischen Verhältnisses. Ich habe in dem knappen
Jahr, dem ich dieser Regierung angehören durfte - es
war eine wichtige und schöne Aufgabe - gelernt, daß die
entscheidende Stabilitätsachse für Europa das deutschfranzösische Verhältnis ist.
({16})
Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was dies ersetzen
könnte.
Frankreich ist nicht immer ein einfacher Partner;
({17})
dazu könnte ich eine Menge erzählen. Die politische
Situation in Frankreich ist schließlich derart, daß ein
Partner es nicht immer leicht hat, zu erkennen, was genau die politische Linie der Regierung ist. Aber das ist
im Vergleich zu dem, worum es geht, wirklich eine
Bagatelle. Das Entscheidende ist, daß Deutschland und
Frankreich gemeinsam Europa als ihr Projekt betrachten
müssen.
({18})
Europa ist das, was die Substanz der deutschfranzösischen Beziehungen ausmachen muß, heute und
in Zukunft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben
Sie mir zum Schluß ein persönliches Wort. Ich werde
nach dieser Debatte mein Mandat als Mitglied des Deutschen Bundestages niederlegen. Dann beginnt mein Amt
als Mitglied der Kommission der Europäischen Union.
Es hat über die Frage der Besetzung der Europäischen
Kommission eine politische Debatte gegeben, für die
ich volles Verständnis habe. Ich hätte es nicht anders gemacht. Aber ich möchte vor allem den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P.
sagen: Frau Schreyer und ich sind die von Deutschland
benannten Mitglieder der Europäischen Kommission;
wir sind nicht von der SPD oder den Grünen benannt
worden, sondern von Deutschland. Wir beide verstehen
unsere Aufgabe so, daß wir in unserem Heimatland wichtige Gesprächspartner für alle politischen
Kräfte sein müssen. Ich biete Ihnen ausdrücklich und
aufrichtig an - das tue ich, weil ich auch Ihre Hilfe
bei dieser schwierigen Aufgabe brauche -, Sie informiert zu halten und Ihnen zur Verfügung zu stehen,
wann immer Sie das für notwendig halten. Wir werden
sicher auch Meinungsverschiedenheiten haben, aber ich
bin fest davon überzeugt, daß wir, was das große Ziel
angeht, auch eine weitreichende Gemeinsamkeit entwikkeln können.
Ich möchte allen denjenigen danken, mit denen ich in
vielen Jahren meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag zusammenarbeiten durfte, und möchte mich bei
denjenigen entschuldigen, die ich verletzt haben sollte.
Es war nur in den wenigsten Fällen Absicht.
({19})
Ich will das wirklich so sagen.
Ich wünsche Ihnen, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen, hier in diesem so unglaublich symbolträchtigen Haus eine allzeit glückliche Hand für unser Land
und für Europa.
({20})
Herr
Verheugen, ich darf Ihnen im Namen des Hauses für die
langjährige gute Zusammenarbeit vielmals danken. Dabei meine ich sowohl die Zusammenarbeit mit Ihnen, als
Sie Abgeordneter waren, als auch die Zusammenarbeit,
als Sie auf der Regierungsbank saßen. Ich wünsche Ihnen für die wichtige Aufgabe, die Sie in Europa übernommen haben, viel Erfolg, eine glückliche Hand und
gutes Gelingen.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Werner
Hoyer von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie auch mir, mit
einer persönlichen Bemerkung zu beginnen. Es trifft
sich nun einmal, daß sich die Wege des Kollegen Verheugen und meine Wege in den letzten 25 Jahren mit
vorhersagbarer Regelmäßigkeit gekreuzt haben. Ich hoffe übrigens, daß das auch weiterhin so bleiben wird. Das
hat an der Basis der Partei begonnen, der wir damals
gemeinsam angehört haben; das hat sich im Parlament
und in den Ämtern des Bundesgeschäftsführers bzw. des
Generalsekretärs fortgesetzt. Nunmehr haben Sie das
Amt, das Sie mir vor einem Jahr abgenommen haben,
schon wieder abgegeben. Ich setze voraus, daß wir diesen gemeinsamen Kurs fortsetzen werden.
({0})
Ich habe das, was der Kollege Verheugen gesagt hat,
als Ausdruck eines großen europapolitischen Grundkonsenses in diesem Hause verstanden und kann dem
deswegen auch zustimmen. Es würde aber wahrscheinlich sehr langweilig werden, wenn ich jetzt noch einmal
ausführlich bekräftigen würde, in wie vielen Punkten
wir Gott sei Dank in diesem Hause eine Übereinstimmung in europapolitischen Angelegenheiten haben.
Deswegen werde ich mich etwas mehr auf den Haushalt
konzentrieren, als das nach diesen eindrucksvollen Ausführungen eigentlich zu erwarten wäre.
Alle Welt spricht von Globalisierung; nur Deutschland wird provinzieller. Alle Welt spricht von globaler
Wahrnehmung der Interessen und der Verantwortung,
von zeitverzugsloser Informationsübermittlung und von
der Durchdringung aller Lebensbereiche durch in Echtzeit zur Verfügung stehende Informationen. Diese Bundesregierung wählt mehr und mehr die Binnenorientierung und streicht ihre Auslandsetats weiter zusammen.
Deutschland wird provinzieller. Das gilt zumindest für
die Politik, bisher - Gott sei Dank - sehr viel weniger
für die Wirtschaft und noch sehr viel weniger für die
Kultur. Für die Politik gilt es allemal.
Wenn der Bundeshaushaltsplan - so hätte ich es früher meinen Studenten gesagt - das in ein Zahlwerk gegossene politische Programm der Bundesregierung für
das nächste Jahr ist, dann fällt auf, daß alles das, was mit
der finanziellen Absicherung deutscher Aufgaben
und Interessen in der Welt verbunden ist, leidet. Als
zweitwichtigste Handelsnation der Welt, als drittgrößter
Beitragszahler der Vereinten Nationen, als größtes Mitgliedsland der Europäischen Union und als ein besonders wichtiger Geber von Entwicklungshilfe kann es
sich Deutschland in einer globalisierten Welt nicht leisten, sich auf Grund kurz- bis mittelfristiger haushaltspolitischer Erwägungen von weltweiten Aufgaben zu
verabschieden und - nebenbei bemerkt - in der Wahrnehmung seiner Interessen weit hinter vergleichbaren
Partnern wie Großbritannien und Frankreich zurückzufallen. Der Haushalt spricht hier eine deutliche Sprache.
Die beabsichtigten ersatzlosen Schließungen von 20
Botschaften, Generalkonsulaten und Außenstellen
stehen im eklatanten Gegensatz zu der von der Bundesregierung zu Recht betonten wachsenden Verantwortung
Deutschlands.
({1})
Dies führt zu erheblichen Substanzverlusten bei der
Wahrnehmung deutscher Interessen. Anstatt die ohnehin
im internationalen Vergleich eher bescheidene Präsenz
deutscher Vertretungen auf anderen Kontinenten zu
wahren, wird über die Neuorientierung der Botschaften
und Konsulate innerhalb der Europäischen Union und
über die Intensivierung der Zusammenarbeit der EUStaaten in Drittländern erst ansatzweise diskutiert.
({2})
Ein weiteres Beispiel. Der Bundesminister der Verteidigung opfert auf dem Altar seiner Kanzlerambitionen
jegliche Gestaltungsspielräume der Bundeswehr. Seine
haushaltspolitischen Durchhalteparolen - wie letzte Woche vor der Führungsakademie der Bundeswehr oder
beim Bundeswehrverband - entbehren mittlerweile jeder
Glaubwürdigkeit. Nicht die guten Absichten zählen,
Herr Kollege Scharping, sondern vorzeigbare Ergebnisse. In dieser Hinsicht befinden Sie sich seit einiger Zeit
auf der Verliererstraße.
({3})
Dies hat nicht nur schwerwiegende Konsequenzen für
die Rolle Deutschlands im Bündnis, Herr Kollege Verheugen, sondern auch für den Versuch, eine mitgestaltende Rolle bei der Entwicklung einer sicherheits- und
verteidigungspolitischen Dimension der Europäischen Union und bei der Entwicklung einer ebenso ressourcen- wie interessenwahrenden europäischen Rüstungszusammenarbeit zu spielen.
Ein weiterer Punkt. Hinsichtlich der Entwicklungszusammenarbeit ist die neue Bundesregierung wirklich
wie ein Tiger gestartet, um schließlich als Bettvorleger
zu landen. Von einer entwicklungspolitischen Offensive
dieser Bundesregierung ist nichts zu spüren. Wo bleibt
schließlich die angekündigte Offensive in der Menschenrechtspolitik? Von ihr ist nichts zu sehen.
({4})
Angesichts der Sparzwänge ist dies alles erklärbar. Es
ist erklärbar durch die brave Kabinettsdisziplin, die neben Herrn Scharping und Frau Wieczorek-Zeul auch
Herr Fischer glaubt wahren zu sollen oder zu müssen.
Das wird den Bundeskanzler und den Finanzminister erfreuen, spricht aber nicht für einen konzeptionellen
Politikansatz.
Das gilt insgesamt für die Rasenmähermethode, die
die Koalitionsmehrheit nunmehr im Haushaltsausschuß
offenbar weiter anwenden will. Es ist einfach nicht richtig und sachgerecht, mit dem Rasenmäher über die Einzelpläne hinwegzugehen und dabei auf das Setzen von
Prioritäten und natürlich auch von Posterioritäten zu
verzichten. Deutschlands internationale Politik- und
Bündnisfähigkeit, unsere Interessenwahrnehmung und
das offensive Annehmen der Herausforderung der Globalisierung zählen zu den Prioritäten, die hier gröblichst
vernachlässigt werden.
Übrigens, Herr Minister Fischer, das Selbstmitleid
eines gebeutelten Außenministers über seinen gestutzten
Etat reicht da nicht aus. Hier liegt vielmehr ein fundamentaler Webfehler in der Haushaltspolitik dieser Koalition vor, der es nicht erlaubt, Prioritäten bei den Etats
zu setzen und damit auch politische Prioritäten zu setzen.
Bezüglich der auswärtigen Kulturpolitik richten
sich meine Bedenken gar nicht in erster Linie gegen die
Schließung von Goethe-Instituten. Das, was hier auf uns
zukommen könnte, ist schlimm genug. Aber auch die
Goethe-Institute haben keinen Alleinvertretungsanspruch auf auswärtige Kulturpolitik. Sie haben nur die
bessere Lobby. Sorgen macht ebenso das, was dort stattfindet, wo die Wissenschaftleraustausche und die Studentenaustausche organisiert werden. Das Gefährlichste,
was droht, spielt sich gegenwärtig auf dem Gebiet der
Auslandsschulen ab. Die jetzt anstehenden Kürzungen
könnten die eine oder andere Auslandsschule über die
Rampe kippen. Was noch gravierender ist: Die Auslandsschulen drohen einen weiteren Qualitätsverlust in
der pädagogischen Leistungsfähigkeit zu erleiden.
Die Kultusministerkonferenz hat, von der Öffentlichkeit bisher leider weitgehend unbemerkt, zu Beginn der
Sommerpause ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die
Anerkennung der Reifeprüfung an verschiedenen Auslandsschulen, darunter die in Lagos, Montreal, Genf,
London und Brüssel, gefährdet ist. Welch groteske Vorstellung: ein deutsches Gymnasium in Brüssel ohne in
Deutschland anerkannte Reifeprüfung.
Ein funktionierendes System qualitativ hochwertiger
deutscher Auslandsschulen ist nicht nur eine kulturpolitische Notwendigkeit. Es ist auch eine wichtige Voraussetzung für die Entsendung deutschen Personals in Unternehmen, Hochschulen, Redaktionen, diplomatische
Vertretungen und viele andere Einrichtungen. Es ist erst
recht eine Brücke zu den Eliten der Gastländer und zu
den Kindern dieser Eliten. Die Geschichte der deutschen
Auslandsschulen in den letzten zwanzig Jahren ist eine
Erfolgsgeschichte gewesen. Lassen wir bitte nicht zu,
daß diese Erfolgsgeschichte jetzt zerstört wird.
({5})
Wir werden im Haushaltsverfahren nicht zuletzt über
die Personalsituation im Auswärtigen Dienst reden
müssen. Wir haben bereits im Haushaltsverfahren für
den Etat 1999 darauf hingewiesen: Der Auswärtige
Dienst verträgt keine weiteren Kürzungen mehr, erst
recht nicht dort, wo in den Rechts- und Konsularabteilungen der deutschen Auslandsvertretungen die Überlastquote weit erfüllt ist und wo diese vorgeschobenen
Posten innerer Sicherheit im Ausland mit der Arbeitslast
nicht mehr fertig werden können. Wir werden erneut den
Antrag stellen, die Rechts- und Konsularabteilungen der
Auslandsvertretungen aus den pauschalen weiteren
Stellenkürzungen herauszunehmen.
Es ist bewundernswert, daß angesichts der geschilderten Lage die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Auswärtigen Amtes im In- und Ausland noch immer in
so beachtlichem Maße zu motivieren sind. Ihnen ist für
ihre großartige Leistung zu danken.
({6})
Herr
Kollege Hoyer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Brecht?
Beim Kollegen Brecht
immer.
Herr Kollege Hoyer,
jetzt passiert genau das, was der Finanzminister bei der
Einbringung des Haushaltes prophezeit hat: Die F.D.P.
bejubelt auf der einen Seite den Sparwillen der neuen
Bundesregierung, und auf der anderen Seite zählen Sie
jetzt Punkt für Punkt das auf, was im Prinzip nicht akzeptabel ist. Gleichzeitig machen Sie keine Gegenvorschläge zur Finanzierung. Sind Sie in der Lage, solche
Vorschläge zu unterbreiten?
Ich bin dazu in der Lage, und wir werden die Angelegenheit im Haushaltsverfahren noch vertiefen. Ich sage Ihnen nur: Ich habe eben
von dem grundsätzlichen Webfehler dieser Koalition in
der Haushaltspolitik gesprochen, der darin besteht, daß
der Rasenmäher zum Prinzip erklärt worden ist. Wenn
man dann sieht, daß dort, wo besondere Initiative fällig
wäre, nämlich überall da, wo es um Internationalisierung, Dynamisierung, Flexibilisierung und Qualifizierung geht, gekürzt wird, dann zeigt das, daß man auf
dem falschen Dampfer ist; zumal man andererseits alles
das, was strukturkonservierend ist - vom Kohleetat bis
zum Riester-Etat -, so läßt, wie es ist. Das ist der Webfehler dieser Koalition in der Haushaltspolitik.
({0})
Ich hoffe übrigens, daß niemand auf die Idee kommt,
an das Thema der Besteuerung der Auslandszulage erneut heranzugehen. Die Geräusche, die ich in diesem
Zusammenhang in den letzten Tagen höre, beunruhigen
mich sehr. Das Gesetz über den Auswärtigen Dienst ist
eine der wichtigsten und im Parlament breit getragenen
Grundlagen für die hohe Leistungsfähigkeit und für die
Leistungsbereitschaft des Auswärtigen Dienstes. Der
Gesetzgeber hat noch längst nicht alles eingelöst, was er
damals versprochen hatte. Auch im Hinblick auf die
Personalreserve finde ich wieder nichts im Etat. Um so
wichtiger ist es, Vertrauen nicht noch weiter zu enttäuschen, indem diese unselige Neiddiskussion über Auslandszulagen erneut vom Zaun gebrochen wird.
({1})
Ich möchte ein paar kurze Worte zur Europapolitik
sagen. In der Europapolitik, deren Grundsätze wir heute
nicht mehr lange diskutieren können, sehen wir mit der
Benennung der neuen Kommission die Chance für
einen Neubeginn. Ich gratuliere Romano Prodi und seinem Team. Ich wünsche viel Glück. Das gilt selbstverständlich ganz besonders Ihnen, Herr Verheugen. Sie
haben eine der herausforderndsten Aufgaben übernommen. Wenn sie gut wahrgenommen wird, dann liegt das
voll im deutschen Interesse.
Ich habe ein bißchen die Sorge, daß Sie angesichts
des schmalen Schnittes Ihres unmittelbaren Ressorts in
außerordentlich starkem Maße auf die Kooperationsbereitschaft Ihrer Kommissionskollegen angewiesen sein
werden. Jedenfalls können Sie sicher sein, daß wir Ihre
Aufgabe und Ihre Arbeit mit großer Sympathie verfolgen werden.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
durch die Art und Weise, wie sie in Brüssel deutsche
Interessen lautstark angemeldet, sodann mit der Brechstange betrieben und am Ende noch nicht einmal vollständig umgesetzt hat, erheblich an Ansehen und Einfluß verloren. Ein besonders handfestes Beispiel hierfür
ist, wie der Bundeskanzler Herrn Hombach durchgesetzt hat, wobei ich gar nicht auf die innenpolitischen
Komplikationen, sondern ausschließlich auf das Thema
Kosovo zu sprechen kommen möchte.
Unsere Soldaten haben dort eine hervorragende Arbeit geleistet und tun dies weiterhin. Aber dieser Einsatz
und nicht zuletzt das zu tragende Risiko haben nur dann
einen Sinn, wenn es gelingt, die Menschen unterschiedlicher Ethnien und Religionen im Kosovo in die Lage zu
versetzen, auf Dauer friedlich nebeneinander und miteinander zu leben. Es reicht nicht aus, das Ergebnis ethnischer Säuberungen der einen oder der anderen Art anschließend nur militärisch abzusichern. Das war nicht
die Logik unserer Beschlüsse und der lautstarken moralischen Entrüstung, als es darum ging, gegen Völkermord, Vergewaltigung, Vertreibung und ethnische Säuberung vorzugehen.
Dann aber muß im Kosovo auch erheblich wirksamer
und koordinierter geholfen werden. Das ist das Ärgernis
im Zusammenhang mit dem Fall Hombach: Die Notwendigkeit, Herrn Hombach so rasch wie möglich auf
einen internationalen Posten wegzuloben und dabei die
kleinen Mitgliedstaaten gleich reihenweise vor den Kopf
zu stoßen, hat im Gegendruck nämlich dazu geführt, daß
Griechenland eine völlig unsinnige Standortentscheidung für die entsprechende EU-Agentur durchgesetzt
hat. Die Ansiedlung dieser Agentur in Thessaloniki bei
Präsenz des Koordinators in Brüssel führt zu absolut unsinnigen Abläufen, unverantwortlichem Zeitverlust und,
wie ich fürchte, schlimmen Ergebnissen - es sei denn,
die Kommission nimmt sich dieses Themas an. Ich vermute, daß sie es sehr kraftvoll tun wird. Aber das heißt
dann konkret, daß sie auf Grund der Tatsache, über
Mittel zu verfügen, und ihrer Fähigkeit, wirksame Hilfe
zu leisten, den Sonderbeauftragten Hombach am ausgestreckten Arm aus dem Fenster halten und verhungern
lassen wird.
({2})
In diesem Fall kann man aber diese Sonderagentur und
den Sonderbeauftragten gleich ganz vergessen.
Noch schwieriger ist es und wird es wohl noch lange
bleiben, den Aufbau einer friedlichen und freiheitlichen
Bürgergesellschaft mit klarer rechtsstaatlicher und demokratischer Prägung zu fördern. Hier liegt ein riesiges
Betätigungsfeld, übrigens auch für die politischen Stiftungen und NGOs. Ich hoffe, daß wir das berücksichtigen werden, wenn wir an die für diese Organisationen
relevanten Kapitel und Titel herangehen. Funktionieren
wird der Aufbau einer Zivilgesellschaft aber nur dann,
wenn dies nicht nur unter militärischem Schirm geschieht, sondern wenn auch durch eine robuste internationale Polizeipräsenz Sicherheit gewährleistet wird
und darüber hinaus ein Beitrag zum Aufbau einer auf
rechtsstaatliche Prinzipien verpflichteten Polizei geleistet wird.
An dieser Stelle halte ich das, Herr Minister, was die
Vereinten Nationen gegenwärtig leisten, für alles andere als überzeugend. Ich zweifele auch daran, daß sich
das ändern wird, solange es in New York wichtiger ist,
einen möglichst hochrangigen Polizeioffizier aus irgendeinem fernen Lande auf einer wichtigen Position
unterzubringen, als die Bereitschaft zu fördern, handlungsfähige und mit der notwendigen Führungs-, Steuerungs- und Kommunikationsstruktur ausgestattete polizeiliche Einheiten und Verbände bereitzustellen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das berücksichtigten,
wenn Sie in der nächsten Woche in New York auch über
dieses Thema sprechen. Oder wird dieses Thema möglicherweise gar nicht mehr eine so große Bedeutung haben, wenn es aus deutschem Munde artikuliert wird,
weil wir im Hinblick auf unsere Haltung zum Multilateralismus, zur Globalisierung und zur Verantwortung der
Vereinten Nationen an Glaubwürdigkeit verlieren? Im
Koalitionsvertrag heißt es, es gelte, die Vereinten Nationen „politisch und finanziell zu stärken“. Mit der Entscheidung, die Restschuld aus der DDR-Altlast bei Unifil, einer der wichtigsten und gefährlichsten Friedensmissionen der Vereinten Nationen, nicht in den vorgesehenen Raten abzutragen, geben wir das falsche Signal.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue
mich, daß es gelungen ist, zu Osttimor einen gemeinsamen Antrag zustande zu bringen. Bisher hat sich bei
diesem Thema noch niemand mit Ruhm bekleckert: Indonesien nicht, diejenigen nicht, die Indonesien und die
Osttimoresen in das Referendum hineingetrieben haben,
um sie anschließend im Stich zu lassen, auch diejenigen
nicht, die vor 25 Jahren dieses Land nach jahrhundertelanger Ausbeutung Knall auf Fall verlassen und ohne
tragfähige politische und wirtschaftliche Strukturen im
Stich gelassen haben. Die Vereinten Nationen haben das
Referendum gewollt. Sie müssen nun auch die Achtung
des Ergebnisses dieses Referendums durchsetzen.
Herzlichen Dank.
({3})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Wolfgang
Gehrcke von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Daß die Fraktion der PDS
dem Haushalt des Auswärtigen Amtes auch nach den
Einzelberatungen nicht zustimmen wird, wird keinen
überraschen. Wir stehen zur Außenpolitik der Bundesregierung grundsätzlich in Opposition, denn für demokratische Sozialistinnen und Sozialisten ist und bleibt Außenpolitik Friedenspolitik. Sie ist zivil bzw. soll zivil
sein. Mein Eindruck hingegen ist, daß die Bundesregierung auch in der Außenpolitik mehr und mehr auf militärische Stärke setzt.
Außen- und Militärpolitik dieser Regierung sind
mittlerweile derart ineinander verzahnt, daß sie sich
gegenseitig bedingen. Wir werden vielleicht in den
nächsten Jahren hier im Parlament ein Rationalisierungsverfahren einführen können mit dem Ziel, auch
die Haushalte dieser beiden Bereiche gemeinsam zu beraten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang den Verteidigungsminister zitieren. Rudolf Scharping führte in der
„FAZ“ vom 9. September 1999 aus:
Die politische Führung unseres Landes muss gemeinsam entscheiden, was aufzuwenden ist, um
dem außenpolitischen Gestaltungsanspruch der
Bundesregierung durch Bereitstellung angemessener militärischer Mittel Geltung zu verschaffen.
Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Der
deutschen Außenpolitik wird mit militärischen Mitteln
Geltung verschafft. Diese Logik führt in die Teilhabe an
militärischen Aktionen. Einem solchen Verständnis von
Außenpolitik werden wir demokratische Sozialistinnen
und Sozialisten nicht zustimmen.
Der Bundesaußenminister warf in der „Frankfurter
Rundschau“ vom 10. Juli 1999 die Frage auf, welche
zentrale Lehre die Außenpolitik aus dem KosovoKonflikt ziehen könne. Ich war sehr gespannt auf seine
Ausführungen dazu. Der Kern seiner Antwort in der
„Frankfurter Rundschau“ - man erfährt in Interviews
oftmals mehr als hier im Parlament - lautete - ich zitiere
Herrn Fischer -:
… daß wir keine Begrenzung unserer Verantwortung mehr haben, sondern in voller Verantwortung
stehen.
Und weiter:
Volle Verantwortung heißt auch volle militärische
Verantwortung.
Beide Leitsätze sind aus meiner Sicht politisch, rechtlich
und moralisch falsch. Die deutsche Beteiligung am
Krieg gegen Jugoslawien, der Bruch mit dem Konsens
der Nachkriegszeit, daß vom deutschen Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe, war aus meiner Sicht der Rubikon, den die rotgrüne Bundesregierung überschritten
hat.
Was der Bundesaußenminister hier zum Kosovo ausgeführt hat - ungeachtet aller Schwierigkeiten sei man
auf dem Weg zu einer kosovarischen Demokratie -,
spiegelt nicht das wider, was im Kosovo tatsächlich abläuft und jeden Tag in den Medien zu lesen ist, nämlich
daß eine ethnische Säuberung durch eine andere ersetzt
worden ist, daß das, was in der Resolution der UNO
steht, daß die territoriale Integrität Jugoslawiens nicht
angetastet wird, in der Praxis nicht mehr stattfindet.
Ich fand auch sehr interessant, wie der Bundesaußenminister zur Türkei argumentiert hat, wie er vor der
Isolierung eines Landes gewarnt hat, wie er dafür plädiert hat, keine politischen Vorbedingungen zu stellen
und keine Grundsätze aufrechtzuerhalten, sondern zu
versuchen, dieses Land über Argumentation, über Zusammenarbeit nach Europa zu holen, um damit Stabilität
herbeizuführen. Ich frage mich aber: Warum soll das,
wenn es für die Türkei gilt, nicht auch für Serbien gelten? Wer Serbien aus dem Wiederaufbau ausgliedert,
riskiert, daß Stabilität auf dem Balkan nicht einzieht. Er
riskiert, daß nationale Konflikte weiter zugespitzt werden, und fördert aus meiner Sicht Nationalismus.
({0})
- Die verschiedenen türkischen Regierungschefs, Kollege Fischer, waren keine sehr sympathischen Figuren.
({1})
Es gibt eine bohrende Frage, die der Philosoph Ernst
Bloch einst den Sozialistinnen und Sozialisten und den
Kommunistinnen und Kommunisten gestellt hat, die
mich nie losgelassen hat, die mich immer wieder beschäftigt hat und, ehrlich gesagt, auch quält. Auf die
Feststellung, daß der Stalinismus den Sozialismus tiefgehend verändert habe, warf Ernst Bloch nach kurzer
Überlegung die Frage auf: verändert zur Unkenntlichkeit
oder verändert zur Kenntlichkeit? Ich glaube, es dürfte
nicht in Frage stehen, daß der Kosovo-Krieg die rotgrüne Außenpolitik tiefgreifend verändert hat. Ich selber
frage mich: verändert zur Kenntlichkeit oder verändert
zur Unkenntlichkeit?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir scheint, daß
sich die Bundesregierung für ihre Außenpolitik folgenden Werbeslogan einer Autofirma ausgeliehen hat:
„Nichts ist unmöglich“. Das ist angesichts der bekannten
Autofreundlichkeit der Regierung und ihres Mangels an
überzeugenden Lösungen verständlich. Aber genau dieses „Nichts ist unmöglich“ signalisiert, daß es keine Begrenzungen mehr gibt, und macht die deutsche Außenpolitik unberechenbar. Die Außenpolitik dieser Regierung hat doch nichts mehr mit dem zu tun, was SPD und
Grüne ihren Mitgliedern programmatisch versprochen
haben. - Ich habe mir noch einmal das Berliner Programm der SPD durchgelesen. Ich kann sehr gut verstehen, warum man gerade dieses Berliner Programm in
seinen außenpolitischen Teilen schnellstens verändern
will. Sie hat auch nichts mehr mit dem zu tun, was SPD
und Grüne ihren Wählern im Wahlprogramm versprochen haben. Mehr noch: Über den Text der Koalitionsverhandlungen heißt es nun, er sei keine Bibel. Dafür
haben wir ihn auch nicht gehalten.
Entscheidend für mich ist aber, daß mit der deutschen
Kriegsteilhabe internationale Verträge gebrochen wurden und gegen Völkerrecht und Verfassung gehandelt
wurde. Für den Außenminister ist mit der deutschen
Kriegsteilhabe die Nachkriegszeit - so war zu lesen zu Ende gegangen, und nun nimmt Deutschland einen
neuen, militärisch definierten Platz ohne Beschränkungen in der Welt ein. Eines ist daran richtig: Die Nachkriegszeit ist vorbei. Aber nicht die Teilhabe am Kosovo-Krieg, sondern der Zwei-plus-Vier-Vertrag als faktischer Friedensvertrag begründet das Ende der Nachkriegszeit. In jenem Zwei-plus-Vier-Vertrag ist in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz festgehalten, was die
Siegermächte von Deutschland erwarteten, um trotz ihrer Bedenken der deutschen Einheit zuzustimmen. Es
handelt sich um Beschränkungen und Selbstbeschränkungen, die Begrenzungen darstellen, die gewahrt werden müssen. In diesem Zwei-plus-Vier-Vertrag heißt es,
daß das vereinigte Deutschland keine seiner Waffen
jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der
Vereinten Nationen.
Dies war hier eben nicht der Fall. Zu den Beschränkungen gehört auch der Verzicht auf ABC-Waffen sowie
das Verbot der Teilhabe an und der Vorbereitung von
Angriffskriegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom Kanzler war
nun zu hören - er äußert sich ja hin und wieder auch zur
Außenpolitik -, es gebe keine linke oder rechte Außenpolitik, es gebe nur deutsche Außenpolitik im Sinne von
Interessenpolitik. Mir gruselt es immer, wenn man keine
Parteien kennt, sondern nur noch Deutsche. Das mag ich
nicht so gerne
({2})
Ich meinerseits bestehe auf der Unterscheidung von linker und rechter Politik. Ich sehe einen Unterschied zwischen einer zivilen Außenpolitik und einer mit Militärdominanz. Diese Unterschiede möchte ich nicht verwischt sehen.
Außenpolitik muß sich aus Sicht meiner Fraktion
wieder in einem völkerrechtlichen Rahmen bewegen.
Die Bundesregierung müßte sich wieder zum ausschließlichen Gewaltmonopol des UN-Sicherheitsrates
bekennen. Wir halten es für dringend erforderlich, auf
dem kommenden OSZE-Gipfel über eine europäische
Sicherheitscharta zu diskutieren und diese zu verabschieden, damit das Militärische abgebaut wird und statt
dessen zivile Strukturen aufgebaut werden. Im Zusammenhang mit Außenpolitik redet in diesem Hause ja
kaum einer über Abrüstung. Wir möchten aber, daß es
wieder dazu kommt. In diesem Sinne muß die deutsche
Außenpolitik berechenbar sein und müssen vertragliche
Beschränkungen und freiwillige Selbstbeschränkung
endlich wieder beachtet werden.
Ich will hier stichwortartig einige andere Probleme
benennen, zum Beispiel die Türkei-Politik; damit hatte
ja unsere Diskussion begonnen. Ich nenne das Vorhaben, in die Europäischen Union eine militärische Komponente einzufügen, die deutsche Politik gegenüber
Rußland und das Herunterfahren der deutschfranzösischen Kooperation - das kann ja nicht bestritten
werden. So löst sich aus meiner Sicht deutsche Außenpolitik aus gewachsenen Strukturen des Vertrauens und
der Verläßlichkeit.
Im übrigen würden Abrüstung und Verzicht auf militärische Abenteuer auch eine finanzielle Umgestaltung des Haushaltes möglich machen. Mit diesem
Haushalt zahlen Sie den finanziellen Preis für den geführten Krieg und für Ihre Unwilligkeit, auf militärische
Großprojekte wie den Eurofighter zu verzichten. Das
wäre möglich. So aber zahlen Sie auch dafür einen Preis,
weil Sparalternativen nur noch aus der Überlegung bestehen, ob man diese oder jene Botschaft oder dieses
oder jenes Goethe-Institut schließt. Denn an die heiligen
Kühe der Aufrüstung, die man für die selber konzipierte
Außenpolitik braucht, will man nicht herangehen.
Lassen Sie mich zum Schluß ein paar knappe Bemerkungen zu dem vorliegenden Antrag zu Osttimor und
zu unserer Debatte dazu machen. Wir alle waren entsetzt, wie das indonesische Militär und die paramilitärischen Milizen als Antwort auf den freien Willen in der
Bevölkerung Osttimors versuchten, diesen Willen durch
Mord und Vertreibung zu ersticken. Ich gebe zu, meine
Sorgen waren groß, daß die UNO den aus ihrem Engagement für die Volksabstimmung erwachsenen Verpflichtungen nicht gerecht werden würde. Dies wäre für
die UNO, für die Weltgemeinschaft, aber auch für das
Volk in Osttimor verhängnisvoll.
Aber wir werden, wenn wir uns nicht dem Vorwurf
der Heuchelei aussetzen wollen, nicht über unsere Solidarität mit dem Volk von Osttimor reden und zugleich
über deutsche Mitverantwortung schweigen können.
Dazu jedoch schweigt der vorliegende Antrag völlig.
Deutschland war einer der engsten Partner Indonesiens.
Deutschland hat Suharto ge- und unterstützt und Freundschaft mit diesem Mann gepflegt, an dessen Machtbeginn ein Militärputsch mit hunderttausendfachem Mord
stand. Ich meine, Menschenrechte dürfen nicht taktisch,
nicht nach politischer Opportunität ausgelegt und gehandhabt werden.
({3})
- Sie werden ja gleich sehen, wie ich abstimme. - Deswegen gehört in diesen Antrag ein selbstkritischer Satz
zur deutschen Außenpolitik hinein, und zwar in der notwendigen Klarheit.
Wir haben uns im übrigen beim Kosovo immer für
die UNO ausgesprochen; das haben Sie erlebt.
({4})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Gernot Erler
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Günter Verheugen
- wir haben es vorhin gehört - hat heute vorerst seine
letzte Rede vor diesem Hohen Haus gehalten. Er ist seit
16 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages. Ich
möchte diese Gelegenheit nutzen, um ihm im Namen der
gesamten SPD-Bundestagsfraktion und, so hoffe ich,
auch anderer Kollegen herzlichen Dank zu sagen für
diese 16 Jahre,
({0})
aber auch für die elf Monate, die er der Bundesregierung
als Staatsminister gedient hat, in denen er vor allem die
großen Aufgaben der deutschen Ratspräsidentschaft
mitgestaltet hat.
Ich meine, er hat bei der Anhörung vor dem Europäischen Parlament auf die Kritik an seiner Nominierung
die richtige Antwort gegeben. Das hat übrigens auch die
Kollegin Michaele Schreyer getan. Er war im Umgang
mit dieser Kritik sehr großzügig. Mein Eindruck ist, daß
die parteipolitischen Angriffe auf diese Nominierung
nicht unbedingt überall in Europa auf Verständnis gestoßen sind und daß sie unserem Land nicht gedient haben.
({1})
Das gilt im übrigen auch für die Tatsache, daß die
zehn CSU-Abgeordneten im Europaparlament zusammen mit den Nationalisten und den Kommunisten insgesamt der Ernennung der Kommission ihre Zustimmung
verweigert haben.
({2})
Auf Günter Verheugen kommen mit dem Erweiterungsprozeß jetzt große und wichtige Aufgaben zu. Daran knüpfen sich Erwartungen von Millionen von Menschen in unseren Nachbarländern, in den Transformationsstaaten.
Im Namen der SPD-Fraktion möchte ich dir zu deiner Ernennung ganz herzlich gratulieren. Ich möchte dir
Glück und Erfolg wünschen und hoffe, daß wir weiter
gut zusammenarbeiten werden.
({3})
Meine Damen und Herren, im ersten Halbjahr 1999
stand die Bundesregierung vor großen Herausforderungen, verbunden mit der dreifachen Präsidentschaft Europäische Union, WEU und G-8. Davon wird Bedeutung
über den Tag hinaus behalten, was bei der Agenda 2000
herausgekommen ist. Hier sind sensible Finanzfragen
geklärt worden, an denen nicht nur Familien, sondern
auch Völkerfamilien erfahrungsgemäß leicht scheitern
können. Vor allem aber ist eine wichtige Voraussetzung
für die europäische Erweiterung gesichert worden. Es
wäre fatal gewesen, wenn die westlichen Länder weiterhin auf dem hohen Sitz des Schiedsrichters gesessen und
immer bewertet hätten, wie denn die Transformationsstaaten bei der Erreichung des „acquis communautaire“,
weiterkommen, aber ihre eigenen Hausaufgaben nicht
gemacht hätten. Deswegen war es so wichtig, was mit
der Agenda 2000 erreicht wurde. Hiermit wurde ein
Stück Grundlage für Europas Zukunft gelegt, ein Stückchen Fundament für das gemeinsame Haus Europa, an
dem wir noch viele Jahre bauen werden.
({4})
Welche Rückschläge es da geben kann, zeigten dann
die Kosovokrise und die Tatsache, daß wir nach über
einem halben Jahrhundert in Europa die Rückkehr des
Krieges erlebt haben. Wir alle, Bundesregierung und
Bundestag, waren - oft bis an unsere Grenzen - gefordert. Schwere Entscheidungen waren zu treffen. Es war
häufig nicht leicht, sie der Öffentlichkeit, den eigenen
Wählern oder auch den politischen Freunden und Weggefährten zu erklären.
Daß es gelang, den Feldzug der serbischen Regierung gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung zu beenden, ein Übergreifen des Krieges auf die Nachbarregionen zu verhindern und die Rückkehr von bis
heute mehr als 95 Prozent der Vertriebenen und Geflohenen in ihre Heimat sicherzustellen, das ist ein
großer Erfolg.
({5})
Er rechtfertigt im nachhinein die schwierigen Entscheidungen, die nur wenige von uns ohne große Bedenken
getroffen haben.
Aber Terror und Vertreibung haben im Kosovo nicht
aufgehört. Das können und dürfen wir nicht hinnehmen.
({6})
Verantwortliche für die Verbrechen sollen und müssen
zur Rechenschaft gezogen werden, und zwar nach Recht
und Gesetz und nicht durch Anwendung der gleichen
Methoden, die uns zur Intervention gezwungen haben.
({7})
Rache - das wissen wir - ist blind. Die Mehrzahl der
über 200 000 Serben und Roma, die nach Ende des
Krieges unter den Augen der internationalen Friedenstruppe fliehen mußten oder vertrieben wurden, sind
schuld- und wehrlose Familien. Genauso wie die Massenvertreibung der Albaner aus dem Kosovo rückgängig
gemacht werden mußte, muß die jetzige Vertreibung der
Serben und Roma rückgängig gemacht werden. Hier hat
die KFOR vor Ort, hier haben wir keine andere Wahl.
({8})
Jetzt möchte ich etwas zu dem von mir sehr geschätzten Kollegen Lamers sagen: Herr Lamers, ich
schätze Ihre klugen Analysen immer sehr. Heute habe
ich jedoch von Ihnen keine Alternative zu unserer Politik bzw. zu der der Bundesregierung gehört. Ich habe ein
bißchen bedauert, daß Sie die Prognose des Bundeskanzlers erfüllt haben, der gesagt hat: Wir werden heute
erleben, daß immer wieder von falschen Prioritäten gesprochen wird. Bei jedem Bereich wird es heißen: Sparen ist zwar richtig, aber nicht gerade an diesem Punkt.
Leider haben Sie sich - ich finde, Sie bleiben damit unter Ihrem Niveau - in die Reihe derjenigen, die diese
Prognose erfüllt haben, eingereiht.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kosovo stehen
uns große Anstrengungen bevor. Sie sind so lange nötig,
bis dort nach dem Ende des Krieges ein echter Frieden
und eine dauerhafte Stabilität begonnen haben. Dies bedeutet, daß wir uns in dieser Region auf eine lange Mission und auch auf politische Auseinandersetzungen mit
der albanischen Seite einrichten müssen. Wir müssen in
dieser gesamten Phase die Bundeswehr, die innerhalb
der KFOR Hervorragendes und Verantwortungsvolles
leistet, unterstützen.
({10})
Wir dürfen unsere politische Aufmerksamkeit von diesem Problem - nur weil allmählich die politischen
Scheinwerfer der Öffentlichkeit ausgeknipst werden nicht abwenden.
Parallel dazu muß das große Werk des Wiederaufbaus des Kosovo geleistet werden. Dazu ist ein Sofortprogramm in Höhe von mindestens 500 Millionen Euro
nötig. Insgesamt werden wahrscheinlich Kosten in Höhe
von mehr als 2,5 Milliarden Euro entstehen. Das ist
mehr als die Hälfte von dem, was in den letzten vier Jahren zum Wiederaufbau in Bosnien seitens der internationalen Gemeinschaft bereitgestellt worden ist.
Dazu gehört auch, sehr aufmerksam mit der Gefahr
umzugehen, daß jetzt durch das Streben Montenegros,
sich von Jugoslawien unabhängig zu machen, eine neue
Krise entstehen kann bzw. schon im Entstehen begriffen
ist. Hier darf die Prävention nicht erneut versagen.
Hierzu gehört natürlich die große, ja gigantische Aufgabe des Stabilitätspaktes. Es war gut, daß der deutsche Außenminister diesen Vorschlag noch während des
Krieges gemacht und auf den Weg gebracht hat. Dies ist
nach meiner Sicht das Konzept einer nachholenden Prävention. Noch besser wäre es gewesen, wenn wir vor
dem Entstehen dieser Krise einen Stabilitätspakt beschlossen hätten. Der Stabilitätspakt ist keine politische
Beruhigungspille für die vom Krieg geschädigten Nachbarn, sondern ein politisches Konzept, das zum Erfolg
verdammt ist.
In diesem Zusammenhang muß ich den Rednern der
Opposition sagen: Es ist völlig unangemessen, mit dem
Stabilitätspakt so umzugehen, als gehe es nur um die
Person des Sonderkoordinators,
({11})
und das dann so zu gestalten, daß hier unbewiesene
Vorwürfe zitiert werden. Das ist völlig unangemessen.
({12})
Es gibt einen ganz nüchternen Grund, weshalb der
Stabilitätspakt zum Erfolg verurteilt ist: Sollte es in dieser Region wieder zu einer Situation kommen, auf die
man nur noch mit einer militärischen Intervention antworten könnte, dann wären heute, nach den Dauerbelastungen in Bosnien und Kosovo, viele europäische
Staaten, darunter die Bundesrepublik, schon aus technischen Gründen gar nicht in der Lage, dies erneut zu tun.
Deswegen gibt es keine Alternative zu dem Erfolg dieses Stabilitätspakts.
Dabei werden wir uns von einigen Erkenntnissen leiten lassen müssen: daß der gesamte Raum der Transformationsstaaten Ost- und Südosteuropas zusammengehört; daß die sozialen und ökonomischen Abstände
nicht zu groß werden dürfen - heute ist der Abstand
zwischen Albanien und Polen längst so groß wie der
zwischen einem Entwicklungsland und einem hochentwickelten Industrieland -; daß nichtdemokratische Enklaven in diesem Transformationsraum enorm destabilisierend wirken können, weshalb wir sie nicht zulassen
dürfen.
({13})
Einiges ist schon auf den Weg gebracht: Es hat wichtige Konferenzen gegeben; heute treffen sich in Brüssel
30 Staaten zu einem runden Tisch zum Stabilitätspakt.
Aber leider gibt es auch viele ungeklärte Fragen. Zum
Beispiel gibt es unterschiedliche Erwartungen: Der Westen setzt beim Stabilitätspakt sehr stark auf die Demokratisierung, auf die Bildung von Zivilgesellschaft; die
Empfängerländer erwarten eher direkte wirtschaftliche
Transferleistungen, und sie erhoffen verbindlichere Perspektiven für den Beitritt zur Europäischen Union und
zur NATO.
Ungeklärt ist die Finanzierung. Am Anfang hat man
den Umfang des Stabilitätspakts auf bis zu 35 Milliarden Dollar beziffert. Heute ist es etwas ruhiger geworden. Man hört von westlicher Seite, es gehe eher um
Handelserleichterungen als um Transferleistungen. Dabei sollen auch noch Umwidmungen zum Beispiel aus
dem EU-Haushalt stattfinden, wo sie auch der Prävention dienen. Das ist gefährlich. Wenn man eine Bettdecke,
die zu kurz ist, von dem einen Bein auf das andere zieht,
friert eines.
Ungeklärt ist auch noch das Verhältnis zu den bestehenden regionalen Kooperationsformen, die von unten
gewachsen sind, während der Stabilitätspakt im wesentGernot Erler
lichen von außen kommt. Hier haben wir große Aufgaben. In den nächsten Jahren wird uns das beschäftigen.
Ich finde, wir als Abgeordnete müssen uns da einmischen. Wir müssen mitgestalten und auch die Parlamente der Teilnehmerländer des Stabilitätspaktes einbeziehen. Wir können doch nicht von Demokratisierung
und Zivilgesellschaft sprechen und dann das Ganze ohne
die betroffenen Parlamente machen.
({14})
Die SPD-Bundestagsfraktion hat daraus Konsequenzen
gezogen. Sie hat nämlich nicht nur eine Arbeitsgruppe
zur Begleitung des Stabilitätspaktes gebildet, sondern
auch Abgeordnete aus allen betroffenen Ländern für den
7. und 8. Oktober zu einer Konferenz über den Stabilitätspakt in den Bundestag eingeladen.
Meine Damen und Herren, die Neuordnung nach
dem Krieg im Kosovo wird meines Erachtens auch
Auswirkungen auf den Integrations- und Erweiterungsprozeß der EU haben. Günter Verheugen hat
gerade gesagt, das sei ein eminent politischer Prozeß.
Aber in Luxemburg wurde er zunächst einmal ein bißchen anders organisiert, nämlich als Wettbewerb, als
Wettlauf mit quasi objektiven Beurteilungen, sogenannten Screening-Berichten, die den Stand eines beitrittswilligen Landes beim „acquis communautaire“
widergeben sollen. Ich glaube, wir werden jetzt noch
stärker als bisher eine Repolitisierung des Beitrittsprozesses erleben. Die Ängste der Spitzenreiter bei dem
Wettlauf haben wir schon vernehmen können.
Persönlich glaube ich, daß wir noch einmal überlegen
müssen, wie es mit der Ausgrenzung Jugoslawiens aus
dem Stabilitätspakt weitergehen soll. Denn die Hoffnung, daß das Angebot, dabeizusein, wenn ein politischer Wechsel kommt, wirken würde, hat bisher leider
getrogen. Wir dürfen den Fehler der Ausgrenzung auf
Dauer nicht ein zweites Mal machen. Das ist meine persönliche Meinung.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema der
staatlichen Handlungsfähigkeit hat uns den ganzen
Tag über beschäftigt. In den ersten elf Monaten ihrer
Regierungszeit hat sich die neue Bundesregierung bei
den großen europäischen und internationalen Themen
handlungsfähig gezeigt. Nach dem Ende des KosovoKrieges sind die Aufgaben nur scheinbar weniger geworden. Wir brauchen Kraft- und Handlungsreserven
auch materieller Art. Das wollte ich mit meinem Beitrag
aufzeigen, und das markiert auch den Zusammenhang
zwischen den Aufgaben im internationalen Bereich und
dem Kernthema dieser Haushaltsdebatte, der Konsolidierungsaufgabe.
Dabei kann es nicht nur um unsere unmittelbare europäische Nachbarschaft gehen, wobei die Situation in
Südosteuropa besonders krisenhaft ist. Mit Sorge sehen
wir, daß die Russische Föderation im Süden des Landes, in Dagestan, militärische Mittel einsetzen muß, um
die territoriale Integrität des Landes zu schützen. Noch
viel schwerer erweist es sich, die Bevölkerung vor menschenverachtenden Terroranschlägen, wie sie in den
letzten Tagen stattgefunden haben, zu schützen. Diese
Anschläge forderten schon 276 Todesopfer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte diese Debatte nutzen, um von diesem Hohen Haus aus, unser Mitgefühl
und Mitleid mit den Angehörigen der Opfer zum Ausdruck zu bringen.
({16})
Ich möchte auch die Hoffnung zum Ausdruck bringen,
daß die russische Regierung die Kraft finden wird, mit
dieser terroristischen Bedrohung fertig zu werden.
Dagestan mag weit weg sein, Moskau ist es nicht. Die
Akte brutaler Gewalt rücken näher an uns heran. Beim
Mitgefühl können wir es nicht belassen. Wir müssen
auch helfen, damit politische und sicherheitspolitische
Wege gefunden werden, die diese Gefahren eindämmen.
Wenn die Russische Föderation den armen Regionen im
Süden keine politischen und ökonomischen Perspektiven
bieten kann - dazu braucht sie ökonomische Kraft -,
dann wird sie auch mit dem Terrorismus nicht fertig
werden.
Zu Osttimor werden noch weitere Redner sprechen.
Deshalb nur soviel: Wo solche Gewalt ausbricht, haben
Politik und Prävention versagt. Auch Osttimor liegt nur
scheinbar weit weg. Zu den kostspieligen Reaktionen
gibt es keine Alternativen.
Die Anforderungen aus dem internationalen Bereich
werden wachsen, statt weniger zu werden. Wir haben
nicht die Möglichkeit und auch nicht das Recht, zu antworten, wir seien zu schlecht ausgerüstet oder zu arm,
um auf diese Herausforderungen zu reagieren. Das ist
die internationale Agenda hinter unserer heutigen Haushaltsdebatte.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
({17})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Christian
Schmidt, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Leider hat der
Abgeordnete Verheugen den Raum schon verlassen, um
die Metamorphose zum Kommissar der Europäischen
Union durchzuführen. Namens der CDU/CSU-Fraktion
stehe ich jedoch nicht an, ihm als deutschem Kommissar
in Europa - so hat er sich bezeichnet, und das ist auch
richtig -, als europäischem Kommissar aus Deutschland
alles Gute und viel Erfolg bei einer Aufgabe zu wünschen, die für einen deutschen Kommissar nicht ganz
einfach ist. Ihm wird auch die Aufgabe zukommen, darzulegen, daß die Osterweiterung der Europäischen Union kein deutsches Sonderinteresse ist.
Auf eine Bemerkung des Kollegen Erler eingehend,
möchte ich sagen: Bekannterweise fand am 13. Juni die
Europawahl statt. Da hat das Volk, wie es das in Wahlen
zu tun pflegt, seine Meinung zum Ausdruck gebracht
und sie in Stimmen gegossen. Da hätte es natürlich nicht
nur nahegelegen, es wäre auch konsequent gewesen, daß
die Gepflogenheit, die in allen anderen großen europäischen Mitgliedstaaten zu beobachten ist, daß nämlich
jeweils ein Kommissar von den großen politischen
Kräften und Strömungen gestellt wird, auch in
Deutschland Platz gegriffen hätte.
({0})
Das aber war nicht der Fall. Der Bundeskanzler hat zwar
gesagt, er habe verstanden. Doch in dieser Frage hat er
wohl nicht verstanden. Es ist wohl auch das Recht der
Mehrheit im Europäischen Parlament, zu hinterfragen,
zu diskutieren und dann selbstverständlich - bei der heterogenen Struktur, die es nach wie vor im Europäischen
Parlament gibt - so zu entscheiden, wie es entschieden
hat.
({1})
- Ihre Unruhe, Herr Bundesaußenminister, verstehe ich
überhaupt nicht. - Das wird aber nicht heißen, daß die
Opposition hier und die Mehrheitsfraktion im Europäischen Parlament der neuen Kommission - wie man das
von anderen Fällen aus diesem Land kennt - etwa mit
Blockadevorstellungen gegenübertritt. Nein, ganz im
Gegenteil. Wir haben gemeinsame Interessen.
Ich will das noch einmal sagen: Die Person des Kollegen Verheugen und die Funktion als Kommissar sind
getrennt zu sehen. Wir werden ihn selbstverständlich auf
das, was er uns angeboten hat, in Zukunft ansprechen.
Ich wollte ihn bereits jetzt darauf hinweisen, daß er bei
der Osterweiterung darauf achten möge, daß trotz der
Problematik nicht nur die Türkei in den Mittelpunkt der
Diskussion gestellt wird.
({2})
Ich will nur ein Land herausgreifen, für das wir ebenfalls politische Verantwortung tragen, wenn wir die europäische Integration als das verstehen, was sie ist,
nämlich im Kern ein politischer Zusammenschluß Europas - von dem Noch-Abgeordneten Verheugen nicht
ohne Grund mit großen Worten belegt - ein Land, bei
dem wir gemeinsam gegen die problematischen Tendenzen politisch gekämpft und argumentiert haben. Ich
meine die Slowakei. Die Europäische Union hat demarchiert.
Nun hat sich dieses Land vor einem Jahr seiner problematischen Führungsstruktur entledigt. Es hat eine
demokratische, eine nach Europa orientierte Regierung
gewählt,
({3})
die mit großem Aufwand all die Probleme - Stichwort
Privatisierung etc. - beseitigen muß, die bisher nicht
gelöst worden sind.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal darauf hinzuweisen: Wenn jetzt aus Wahlkampfgründen der
SPÖ-Bundeskanzler Klima in Österreich anfängt, ein
Kernkraftwerk und dessen Laufzeiten zur alleinigen Bedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
machen zu wollen - übrigens hört man von ähnlichen
Verhaltensweisen gegenüber Slowenien -, darf ich den
Herrn Bundesaußenminister und auch den neuen EUKommissar sehr nachhaltig darum bitten und von ihnen
verlangen, daß sie sich in dieser Frage um die politische
Perspektive kümmern. Herr Außenminister, bezüglich
der Verlängerung von Laufzeiten von Kernkraftwerken
fragen Sie Ihren Kollegen Trittin. Er kann Ihnen vielleicht Ratschläge geben, wie man solche Problemstellungen zukünftig durch Ausschweigen löst.
({4})
Nun zum Einzelplan 05 des Haushaltes, den wir hier
zu beraten haben: Es ist in der Tat richtig, daß der Einzelplan 05 nicht derjenige ist, in dem die großen Sparbeiträge erbracht werden. Aber das kann nun nicht heißen, daß man nach dem Motto „Hier stehe ich! Ich kann
nicht anders!“ nicht über die Einzelposten diskutieren
darf. Die Deckungsvorschläge müssen Sie, Herr Minister, schon selbst erbringen. Dazu sind Sie in der Regierung; dazu sind Sie gewählt; dazu haben Sie Ihr Amt.
({5})
Bei der Schließung von 20 Ausländervertretungen die übrigens nur 5 Prozent des Sparvolumens des Auswärtigen Amtes ausmachen -, ist im Einzelfall nach dem
politischen Schaden und nach den politischen Konsequenzen zu fragen. Ich gestehe Ihnen zu, daß man bei
dieser Prüfung in dem einen oder anderen Fall durchaus
- wenn auch mit Mühen - zu dem Ergebnis kommen
kann: Es wird auch ohne gehen. Aber es gibt auch hier ich will nur zwei herausgreifen - Vertretungen, deren
Schließung erhebliche politische Konsequenzen mit sich
bringen würden. Auf der Liste befinden sich unter anderem die Außenstelle Oppeln des Generalkonsulats
Breslau in Polen sowie das Generalkonsulat Apenrade in
Dänemark.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Ich will das
aufgreifen, was Sie gerade mit Blick auf die Osterweiterung der EU angeführt haben. Sie haben sich dabei auf
die Schwierigkeiten einiger Botschaften bezogen. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders das Generalkonsulat in Temeswar erwähnen. Für uns Schwaben ist
es ein großes Anliegen, daß man auch künftig mit der
Minderheit der Donau-Schwaben, die sich dort in Rumänien befinden, angemessen umgeht. Ich glaube, gerade dort müssen Prioritäten gesetzt werden.
Können Sie die Meinung teilen, die Wolfgang Wittstock - das ist der Vorsitzende des Demokratischen FoChristian Schmidt ({0})
rums, ein Kollege aus dem Parlament in Bukarest darin zum Ausdruck gebracht hat, er glaube, daß die
Bundesregierung in der Frage des Umgangs mit den
deutschen Minderheiten in Rumänien ein Signal setzen
müsse, um zu verdeutlichen, daß dies beim Beitritt der
mittel- und osteuropäischen Länder, die in der zweiten
Reihe der Kandidaten stehen, eine Rolle spielen wird?
Dem stimme ich zu. Ich habe die beiden genannten Vertretungen
nur herausgegriffen, um beispielhaft die Themen anzusprechen, die für Temeswar in ähnlicher Form gelten. Vielen Dank für diese Frage.
({0})
Das ist insofern wichtig, als auch dort deutsche Minderheiten betroffen sind. Die RK-Angelegenheiten in
Temeswar sind sehr umfangreich. Im Fall Temeswar
sollte man eigentlich über ein paar andere Dinge sprechen, Herr Minister, nämlich über die dortigen Verhältnisse im Generalkonsulat. Aber die Diskussion darüber
sollte an anderer Stelle fortgeführt werden. Die Probleme durch die Schließung des Generalkonsulats lösen zu
wollen ist etwas eigenartig.
Der Eindruck auf die Deutschen in diesen Regionen
ist schon ziemlich verheerend. Sie gewinnen den Eindruck, diese Bundesregierung wolle von ihnen nichts
mehr wissen, sie seien ihr egal. Dieser Eindruck kann
alle politisch Verantwortlichen in Deutschland nicht
kaltlassen.
Im übrigen: Mir ist nicht bekannt, daß das Königreich
Dänemark sein Generalkonsulat in Flensburg, welches
sich um die dänische Minderheit in Südschleswig kümmert, schließt. Warum schließen wir unsererseits das
Generalkonsulat Apenrade, das sich in Nordschleswig
um die deutsche Minderheit kümmern soll, wo man
doch gerade die deutsch-dänischen Grenzbeziehungen
und die dortigen Minderheitsregelungen als wegweisend
für ganz Europa ansieht?
Immer wieder ist die Rede davon, Botschaften der
EU-Staaten zusammenzulegen, was mit einem enormen
Einsparpotential verbunden ist. Sagen Sie uns doch einmal, Herr Minister, wieso sich in dieser Richtung nichts
tut.
({1})
- Sie können es doch jetzt tun. Ich lese nichts von etwaigen Absichten.
({2})
- Es geht natürlich nicht, daß Sie einen ganzen Tag lang
fragen, wo man denn noch sparen könne, und Ihnen
dann, wenn man eine Anregung gibt, das auch nicht
paßt. Dann müssen Sie diesen Vorwurf schon ertragen.
Zum Beispiel geht es auch um die Frage, wie das mit
den Standzeiten im Ausland ist. Junge Beamte des
auswärtigen Dienstes werden immer mehr zu einem
„Durchlauferhitzer“: Versetzungen auf Auslandsposten
nach zwei oder gar eineinhalb Jahren sind keine Seltenheit. Durch eine Verlängerung der Standzeiten könnte
man - analog zu unseren wichtigsten europäischen Partnern - bei den Umzügen durchaus Millionen einsparen.
Warum beispielsweise in diesem Jahr viele, von einem
Auslandsposten kommend, noch nach Bonn versetzt
werden mußten, bevor ihr Dienstposten nach ein paar
Monaten nach Berlin umgesetzt wurde, ist ebenfalls eine
Frage, deren Antwort der Weisheit des Auswärtigen
Amtes überlassen bleiben muß. Jedenfalls ist das eine
unnötige Geldverschwendung gewesen.
({3})
Herr Minister, so ganz kann ich das nicht verstehen.
Ein bißchen geht anscheinend immer noch. Sonst könnte
es doch nicht sein, daß Egon Bahr auf einmal für sein
Friedensforschungsinstitut in Hamburg 400 000 DM bekommt, das bislang noch nicht gefördert wurde. Dafür
war Geld im Haushalt. Ein bißchen Luft ist anscheinend
also immer noch da. Vielleicht könnte man sogar noch
weitere Posten finden, für die das gleiche gilt. Ich bin
überzeugt, daß sich der Haushaltsausschuß noch einmal
mit diesen Fragen im Detail beschäftigen wird.
Wenn man liest, daß unsere Verpflichtungen in den
internationalen Organisationen, die in US-Dollar zu bezahlen sind, so eingestellt sind, daß der Dollar mit
1,68 DM bewertet ist, kann ich das nur so verstehen, daß
sich die Meinung des Bundeskanzlers, daß der Euro eine
kränkelnde Frühgeburt sei, langsam, aber sicher als
weitere Fehleinschätzung herausstellt. Aber ob die
D-Mark im nächsten Jahr bei 1,68 DM pro Dollar stehen
wird, wage ich zu bezweifeln. Beim Haushaltsvollzug
werden wir wohl noch einiges erleben und werden wir
wohl noch einiges einzusparen haben. Hoffentlich sehen
Sie das dann auch so.
Der Haushalt ist nicht rund. Vieles ist nicht ausdiskutiert. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die nicht sein
müssen, und es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die
nicht sein können. Schließlich gibt es Dinge, die möglich sind, aber nicht gemacht werden. Das heißt, die
Bundesregierung muß sich diesen Haushalt noch einmal
sehr genau anschauen. In der vorliegenden Form werden
wir ihn jedenfalls nicht unterstützten können. Wir werden in den nächsten Wochen genügend Gelegenheit haben, ihn im Detail zu diskutieren.
({4})
Das Wort hat der
Kollege Dr. Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn eine
Fraktion einen hervorragenden Außenminister hat - und
wir haben einen solchen -, dann bleibt für die Fraktion
eben anschließend nur noch ein paar Minuten Redezeit.
({0})
Heinz Wiese ({1})
Deshalb mit Ihrer gütigen Nachsicht, Frau Präsidentin,
vier kurze Bemerkungen.
Erstens. Herr Lamers, Sie kennen doch das AnkaraAbkommen von 1963. Sie wissen doch ganz genau, daß
die Türkei im Hinblick auf die Frage der Aufnahmeverhandlungen in irgendeiner Weise gruppiert werden
mußte. In Ihrer Fraktion gab es erhebliche Bedenken gegen den Dreiervorschlag, bei uns auch; andere hatten
weniger Bedenken. Es ist auch ganz klar, daß die Türkei
dadurch isoliert wurde und daß wir dadurch eine massive Krise im Verhältnis zwischen der EU und der Türkei
bekamen. Aber daß diese Krise in einem Moment überwunden wurde, in dem man das Kurdenproblem angehen mußte, ist eine sehr gute außenpolitische Leistung.
Das sollten wir so sehen.
({2})
Natürlich ist das riskant, aber es bietet auch Chancen.
Sehen Sie sich doch in den Krisenregionen dieser
Welt um! Schauen Sie nach Tadschikistan, nach Dagestan, nach Tschetschenien oder nach Teheran! Dann
wissen Sie, daß wir den institutionalisierten Dialog mit
einem moderaten oder mit einem laikalen Islamismus
brauchen. Der Beitritt wird zwar noch lange Zeit brauchen; aber diesen Dialog begründet zu haben ist sehr
gut.
Zweitens zum Kosovo. Sie haben gefragt, was mit
den vielen Flüchtlingen wird, die in Serbien sitzen. Ich
stimme Ihnen zu, das ist das entscheidende Problem. Sie
müssen aber den Stabilitätspakt richtig interpretieren
und sich nicht an Bodo Hombach abarbeiten. Vielmehr
müssen Sie den Zusammenhang erkennen, der zwischen
dem runden Tisch, der sich mit dem wirtschaftlichen
Aufbau befaßt, und dem runden Tisch, der über Minderheitenfragen, Demokratie usw. verhandelt, besteht. In
der Gesamtschau dieser Dinge besteht die einzige Möglichkeit, das Heimatrecht der Serben - das Recht auf
Rückkehr in die Krajina, ins Kosovo oder nach WestSlawonien - durchzusetzen. Das geht nur durch eine
freundliche Verständigung und durch vertrauensbildende Maßnahmen, was eben durch die Konstruktion dieser
runden Tische möglich ist. Ihr Weg, zu sagen, wir müßten mit Milosevic verhandeln
({3})
- na ja, aber praktisch läuft es doch darauf hinaus -, ist
jedenfalls keine Alternative.
Herr Kollege Lippelt,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer?
Ja, natürlich, mit Vergnügen.
Herr Kollege Lippelt, ich
nehme an, um so lieber, da Ihnen das ja die Möglichkeit
gibt, Ihre Redezeit zu verlängern.
Ja, das begrüße ich sehr.
Mir hat das so leid getan, als
Sie das eben gesagt haben. Ich kenne das aus der letzten
Wahlperiode.
({0})
Sie müssen jetzt ja immer sagen: Nur wer Herrn Fischer
kennt, weiß, was ich leide.
({1})
Uns ist es in der Vergangenheit ähnlich gegangen.
Sie unterschätzen völlig meinen Großmut.
({0})
Ihre Redezeit wird dadurch
verlängert, daß Ihre Antwort auf die Zwischenfrage, die
ich sogleich stellen werde, nicht auf Ihre Redezeit angerechnet wird.
Herr Kollege Irmer,
diese Spielregeln kennen und beherrschen wir alle.
Ich wollte Herrn Lippelt nur
zu verstehen geben, daß meine Großmut hinter der seinen in keiner Weise zurücksteht.
({0})
Herr Lippelt, Sie haben eben gesagt, es sei notwendig, das Problem der serbischen Flüchtlinge dadurch zu
lösen, daß man ein freundliches Miteinander anstrebt.
Halten Sie diese Einschätzung für realistisch? Nach
dem, was dort an Massakern passiert ist - erst in der
einen und dann in der anderen Richtung -, muß ich fragen: Halten Sie es für realistisch, daß man in absehbarer
Zeit hier zu einem gedeihlichen und friedlichen Miteinander kommt? - Ich stelle mich jetzt auf eine längere
Antwort von Ihnen ein.
Sie haben völlig recht. Ich halte dies in den nächsten
Jahren nicht für möglich. Ich sehe auch, daß die Probleme, die hier aufgearbeitet werden müssen, die Probleme
einer ganzen Generation sind. Ich denke, eine Gemeinsamkeit des Stabilitätspaktes mit dem KSZE-Prozeß, der
ja ebenfalls sehr lange dauerte, ist nicht von der Hand zu
weisen.
Wenn man über Minderheiten- und Demokratiefragen
reden will - demnächst will Kouchner im Kosovo wählen lassen; er muß dafür Bedingungen stellen -, muß
man auch darüber reden, wie sich die Serben an dem
Ort, aus dem sie vertrieben wurden, an der Wahl beteiligen können. Ähnliches haben wir in Bosnien erlebt. Es
wird also ein langer und sehr komplizierter Prozeß werden, der aber begonnen werden muß. Aus den Reden
von Herrn Lamers ist eine Perspektive dafür aber nicht
erkennbar.
Mein dritter Punkt: der Haushalt des Auswärtigen
Amtes. Herr Hoyer, ich habe mir einmal im AuswärtiDr. Helmut Lippelt
gen Ausschuß die Daten über den Anteil des Einzelplanes 05 am Gesamtetat besorgt. Da stelle ich fest: 1970,
1971 und 1972 lag der Anteil immer in der Größenordnung von 0,93 Prozent. 1998, also noch bevor die neue
Regierung haushaltsmächtig wurde, lag der Anteil bei
0,77 Prozent.
({0})
- Ja, an diesen Zahlen wird deutlich, daß das Auswärtige
Amt immer die Sparbüchse des Gesamtetats war.
Wir sind uns völlig einig darüber - diese Feststellung
wollen wir dem Minister mit auf den Weg geben -, daß
diese Tendenz zumindest mittelfristig umgekehrt werden
muß.
({1})
Damit komme ich zum vierten und letzten Punkt.
Meine Fraktion unterstützt den Sparplan massiv. Sie
wissen selber doch ganz genau: Wenn eine solche Anstrengung gemacht werden muß, dann kann man dem
Ressortegoismus nur beikommen, wenn alle gleichmäßig sparen müssen. Anschließend muß die Feinarbeit in
den weiteren Aufwuchs kommen.
Ich will aber noch einen besonderen Punkt ansprechen: Die absehbaren und zukünftigen Krisen - ich erwähne nur die Krise in Nagornyj Karabach und andere
Krisen im Bereich der ehemaligen Sowjetunion - sind
nicht militärisch zu lösen, und am wenigstens von uns.
Die Bewältigung dieser Krisen bedarf unseres verstärkten Engagements in der OSZE und in den UNOrganisationen. Das Bundesministerium der Verteidigung leistet schon seinen Sparbeitrag.
Herr Kollege Lippelt,
ich muß Sie leider an Ihre Redezeit erinnern.
Ich bin sofort am Ende meiner Rede.
Wir werden deshalb dem Antrag auf Sondermittel für
die Bundeswehr wegen des Kosovo-Einsatzes unsere
Zustimmung nicht verweigern. Wir begrüßen aber auch,
daß die Wehrstrukturkommission ihre Arbeit beschleunigen will. Gleichzeitig erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie an Hand einer Analyse möglicher zukünftiger Krisen unsere Möglichkeiten zu einer Prävention sehr sorgfältig prüft und die Mittelverteilung zwischen entwicklungspolitischen, außenpolitischen und
militärischen Notwendigkeiten neu überdenkt und in ein
einheitliches Konzept der Krisenbewältigung bringt.
({0})
Herr Kollege Lippelt,
so charmant Sie es auch gestaltet haben: Ihre Redezeit
ist wirklich vorüber.
Ich bedanke mich.
({0})
Für die Fraktion der
CDU/CSU hat jetzt der Kollege Peter Hintze das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist die erste Debatte zum Haushalt des Auswärtigen Amtes, bei der hier
im Plenarsaal neben der Bundesflagge die Europaflagge
hängt. Dies geschah auf eine Anregung des Kollegen
Özdemir hin. Ich finde, das war eine sehr gute Idee. Es
war eine symbolische Handlung.
({0})
Das Jahr 1999 ist ein Jahr weitreichender Entscheidungen in der Europapolitik. Neben den großen Projekten, der Erweiterung und Vertiefung und den institutionellen Reformen, ist die wesentliche Aufgabe darin zu
sehen, das Vertrauen der Menschen in die europäischen
Institutionen zurückzugewinnen. Der neue Kommissionspräsident Romano Prodi hat sich dies vorgenommen.
Wir werden ihn dabei vom Deutschen Bundestag aus
unterstützen.
({1})
Vertrauen gewinnt man durch kompetente und vertrauenswürdige Personen in den Institutionen. Gegen
diesen Grundsatz hat die Bundesregierung bei der Benennung des EU-Balkankoordinators gröblich verstoßen.
({2})
Herr Hombach ist sehr besorgt, daß durch sein Wirken
und seine Person ein Schatten auf die SPD fallen könnte.
Ich frage den Herrn Außenminister, ob nicht eher die
Sorge angebracht wäre, daß durch die Benennung von
Herrn Hombach ein Schatten auf Deutschland fällt.
({3})
Ich frage Sie, Herr Außenminister: Haben Sie oder hat
der Bundeskanzler die europäischen Partner vor der Berufung von Herrn Hombach über die Vorwürfe, die im
Raum standen, und das kurz vor dem Abschluß stehende
Meineidverfahren gegen den Bauleiter von Herrn Hombach informiert? Wir werden den Bundeskanzler in der
Sitzung des Europaausschusses am 29. September dazu
befragen. Wir drängen darauf, daß dies öffentlich geschieht. Ich frage aber schon heute: Wie kann ein Außenminister bei einer solchen Tragödie so mitspielen,
wie Sie es getan haben?
({4})
- Bleiben Sie entspannt!
({5})
Was die deutschen Kommissare angeht: Herrn Verheugen und Frau Schreyer begleiten unsere guten Wünsche. Die beiden sind nicht dafür verantwortlich, daß der
deutsche Kanzler, der deutsche Außenminister, die deutsche Regierung den Willen der Wähler bei der Europawahl so grob mißachtet und eine solche Schieflage herbeigeführt haben.
({6})
Der Kollege Erler hat sich gerade darüber mokiert,
daß bei der Abstimmung im Europäischen Parlament einige aus den Reihen der CSU gegen die Kommission
gestimmt haben und daß auch die Kommunisten dies
getan haben.
({7})
Herr Erler sollte sich eher darüber mokieren, daß mitten
in Deutschland Sozialdemokraten und Kommunisten
koalieren und zusammen regieren.
({8})
- Lieber Kollege Schlauch, ich scheine einen Punkt getroffen zu haben, der Sie berührt und beschäftigt.
({9})
Ich glaube auch, daß die Aufregung berechtigt ist
({10})
angesichts dessen, was Sie sich in der deutschen Europapolitik mit der Berufung von Herrn Hombach erlaubt
haben; Stichworte: Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit.
({11})
Wer den Willen der Mehrheit der Wählerinnen und
Wähler in Deutschland ignoriert - dies kam heute in der
Haushaltsdebatte zum Ausdruck; ich meine die Wahlentscheidungen in Thüringen, in Nordrhein-Westfalen
und einfach überall in diesem Land - und weiter eine
Politik gegen die Menschen betreibt, der wird auch bei
den nächsten Wahlen die Quittung dafür bekommen.
({12})
Es gehört eigentlich nicht hier hinein, aber ich will doch
sagen: Wenn Sie auf Wahlniederlagen so reagieren, wie
das mit der Berufung von Herrn Klimmt in das Bundeskabinett geschehen ist, dann ist das eine Verhöhnung der
Wähler und der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gleichermaßen.
({13})
Nun sind wir uns in diesem Hause darüber einig, daß
das wichtigste politische Projekt der vor uns liegenden
Zeit die Erweiterung der Europäischen Union ist. Der
Bundesaußenminister hat hier in seiner Rede gesagt, das
Ergebnis des Gipfels von Berlin sei ein wichtiger und
guter Beitrag gewesen und es sei auch von den Beitrittskandidaten begrüßt worden.
({14})
Daß man das Ergebnis dieses Gipfels begrüßt hat - das
ist ja bei einigen angeklungen -, ist darauf zurückzuführen, daß man die Befürchtung gehabt hatte, es könne alles es noch viel schlimmer kommen.
({15})
Diese Bundesregierung hat ja eine Zeitlang so getan, als
sei ihr das wichtigste politische Projekt in Europa
schnurz. Außerdem hat der Herr Bundeskanzler in seiner
Rede in Saarbrücken großspurig verkündet, er werde
den deutschen Nettobeitrag senken und die Zeit, in der
deutsches Geld verbraten worden sei, sei vorbei. Das mit
dem Verbraten sagt er glücklicherweise nicht mehr. Bei
den Verhandlungen über die Agenda 2000 ist für
Deutschland in dieser Beziehung nichts herausgekommen; die Nettobelastung sinkt nur unwesentlich.
Was aber viel problematischer ist, Herr Bundesaußenminister: Wenn wir, so wie es in den Vereinbarungen
von Berlin vorgesehen ist, die Agrarpolitik, die Regionalpolitik und die Osterweiterung in ein Korsett zusammenschnüren, dann werden wir es nicht schaffen.
Angesichts der großen Worte, die vorher verkündet
worden waren, ist es nicht mehr möglich gewesen, vernünftige Reformen durchzusetzen und ein Instrument
zu schaffen, mit dem wir die Aufgaben in der EU-alt
und in der EU-neu finanzieren können. Den Hintergrund
dafür bildet ein ganz schwerer Verhandlungsfehler im
Vorfeld der Verhandlungen über die Agenda 2000, als
man die Kofinanzierung bei den direkten Einkommensbeihilfen in der Landwirtschaft preisgegeben hat. Damit
hat man für viele Jahre die Chance verspielt, die Erweiterung auch wirklich finanzieren zu können. Jetzt muß
man an das Nachbessern gehen. Die Regierung hat bisher überhaupt noch nicht aufgezeigt, wie das gehen
kann.
({16})
Ich will auch noch ein Wort zur Türkei sagen, weil
das in dieser Debatte meiner Ansicht nach ebenfalls
falsch dargestellt wurde. Wenn der Bundesaußenminister hier sagt, wir würden der Türkei nicht die Perspektive eines Beitritts zubilligen, dann muß ich sagen:
Das ist falsch. Das hat der Kollege Lamers in früheren
Debatten immer getan. Sie haben früher anders geredet.
Sie haben früher beim Thema Türkei nur die Menschenrechte und die Minderheitenrechte angesprochen. Das ist
natürlich wichtig, aber darauf kann man diese ProblePeter Hintze
matik nicht reduzieren. Jetzt haben Sie eine große
Kehrtwende vollzogen und wecken Erwartungen, die
wir nicht einlösen können und die auch das Verhältnis
zu unserem NATO-Partner Türkei nicht leichter machen. Folgende Unterscheidung muß man doch ganz
deutlich aussprechen: Wer zu vielen Ländern gleichzeitig Hoffnung auf den Beitritt zur Europäischen Union
macht,
({17})
der riskiert am Ende, den Beitritt auch der am weitesten
fortgeschrittenen Länder zu verzögern. Das darf nicht
sein.
({18})
Ich will noch ein Thema ansprechen, das uns als Parlamentarier besonders beschäftigt. Ich meine die Frage
der Ausgestaltung und der Durchführung des Grundrechtskonventes. Die Überlegungen, die uns in dieser
Frage von seiten der Regierungen zu Ohren gekommen
sind, haben wir im Europaausschuß erfreulicherweise
einmütig als korrekturbedürftig empfunden. Wenn ein
Grundrechtskonvent in Europa eingesetzt wird, dann
muß natürlich dieser Grundrechtskonvent im wesentlichen eine Angelegenheit der Volksvertretungen, der
Parlamentarier, und nicht der Regierungen sein. Denn es
ist doch klar: Wenn es um Grundrechte geht, geht es um
Freiheitsrechte des Bürgers gegenüber dem Staat. Sie sicherzustellen ist eine Aufgabe der Parlamentarier. Deswegen sind wir nicht damit einverstanden, daß der Ministerrat den Vorsitzenden bestimmt. Wir sind nicht damit einverstanden, daß der Ministerrat bestimmt, wie das
ablaufen soll, und wir sind auch nicht mit einem rotierenden Vorsitz einverstanden. Vielmehr wollen wir, daß
dieser Grundrechtskonvent seine Arbeit selbst organisiert, seinen Vorsitzenden selbst bestimmt und daß die
Parlamentarier in diesem Konvent eine klare Mehrheit
haben.
({19})
Für uns ist dieser Grundrechtskonvent die große
Chance, Europa weiterzuentwickeln. Die Grundrechtscharta ist für uns der erste Baustein zu einem Verfassungsvertrag, der die Kompetenzen in Europa abgrenzt,
mit dem wir es schaffen können, Erweiterung und Vertiefung gleichzeitig voranzubringen, und der Europa
auch institutionell eine Zukunft einräumt.
Es geht darum, die Europäische Union demokratischer, bürgernäher und effizienter zu machen. Wir erwarten von unserer Bundesregierung, daß sie dazu Beiträge leistet. Wir erwarten - das sage ich auch für das
ganze Parlament -, daß es uns in Zukunft vor wichtigen
europäischen Entscheidungen nicht so ergeht wie bei der
Agenda 2000, nämlich daß diesem Parlament die Debatte der grundsätzlichen Position der Bundesrepublik
Deutschland im europäischen Prozeß verweigert wird.
Wir wollen die wichtigen Grundfragen debattieren, bevor sie von unserer Regierung auf europäischer Ebene
eingebracht werden.
Schönen Dank.
({20})
Das Wort hat der
Kollege Volker Neumann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es reizt mich
schon, auf die Ausführungen meines Vorredners einzugehen. Herr Hintze, Sie sind doch der Generalsekretär,
der seine Partei letztes Jahr in die Wahlniederlage geführt hat. Sie wären wohl noch Generalsekretär, wenn
Sie alles das, was Sie hier verkündet haben, umgesetzt
hätten.
({0})
Es geht aber um das Thema Osttimor. Dieses Thema
verträgt keine lauten Töne; denn Osttimor bedeutet zur
Zeit Trauer um viele Menschen, die durch proindonesische Milizen umgebracht worden sind. Wie viele Tote es
gegeben hat, wissen wir nicht. Sind es Hunderte oder
- laut FAO - 7 000 Tote? Wie im Kosovo werden wir
die Wahrheit wahrscheinlich erst in den nächsten Wochen erfahren.
Lassen Sie mich insbesondere an den deutschen Pater Karl Albrecht erinnern. Einige von uns, die in ständigem Kontakt mit Friedensnobelpreisträger Bischof
Belo stehen, kannten ihn gut. Wir sind fassungslos über
die Nachricht, daß dieser 70jährige Jesuitenpater, der
nicht geflüchtet ist, sondern in Osttimor ausgehalten hat,
bei einem mörderischen Amoklauf der Milizen umgebracht worden ist, ein Pater, der sein ganzes Leben den
Menschen gewidmet hatte, der beim Aufbau lokaler
Kreditgenossenschaften und bei der Beratung von
Kleinstunternehmen geholfen hatte. Was Menschen anrichten können, wird uns deutlich, wenn wir den Tod eines solchen Mannes beklagen müssen.
Es ist richtig, auch in diesem Fall des organisierten
Mordens in Osttimor eine strafrechtliche Verfolgung der
Täter und der Hintermänner zu verlangen. Keiner, der
Mord oder Völkermord anzettelt, soll sich auf der Welt
vor Verfolgung sicher fühlen.
({1})
In erster Linie sind die nationalen Gerichte in Indonesien und - ich hoffe bald - auch das Strafgericht in Osttimor verantwortlich. Ich erinnere daran: Der indonesische Außenminister Alatas hat von einem verbrecherischen Verhalten der Milizen und der Militärs gesprochen. Ich finde, er sollte konsequenterweise auch die indonesische Justiz anhalten, die Verbrecher strafrechtlich
zu verfolgen. Wenn es nicht gelingt, die nationale Verfolgung sicherzustellen, und wenn der Internationale
Strafgerichtshof, für dessen Einrichtung wir gestimmt
haben, seine Arbeit nicht in absehbarer Zeit aufnehmen
kann, dann ist die Forderung der Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, richtig, einen besonderen Strafgerichtshof für
Osttimor einzurichten.
Es gibt keinen Anlaß für laute Töne bei diesem Thema. Osttimor ist kein Ruhmesblatt für die Weltgemeinschaft und die Vereinten Nationen. Das Problem Osttimor wurde so lange nicht gelöst, bis es schließlich zu einer Katastrophe kam. Diese kleine Insel - 265 Kilometer
lang, 92 Kilometer breit, mit 800 000 Menschen spielte keine Rolle.
Ich möchte an einige Tatsachen erinnern. Portugal
hatte im Rahmen der Entkolonialisierung 1975 die Verantwortung für Osttimor den Vereinten Nationen übertragen. Der in Osttimor entbrannte Bürgerkrieg wurde
am 7. Dezember 1975 von Indonesien genutzt, um unter
Bruch des Völkerrechts diese Inselhälfte zu besetzen.
Schon vor der damals drohenden Invasion haben die
Timoresen Hilfe von der UNO gefordert.
Nach der Besetzung durch indonesische Truppen sind
etwa 200 000 Menschen umgebracht worden, oder sie
sind verhungert - insbesondere Ende der 70er Jahre -,
weil keine Hilfe kam.
Heute droht wieder 200 000 Menschen der Hungertod. Morgen wird - Gott sei Dank - die erste Maschine
mit Hilfsgütern Osttimor erreichen. Osttimor leidet bis
heute an der Unterdrückung durch den allgegenwärtigen
Militärapparat, dessen Geheimpolizei und den Milizen,
die die verantwortungslosen Militärbefehlshaber mit
modernsten Waffen ausgerüstet haben.
Auf der Gefängnisinsel Atauro vor der Küste Osttimors wurde über viele Jahre jeder, der eine politisch andere Meinung hatte, inhaftiert. Es wurden Lager eingerichtet, von denen man wie von Konzentrationslagern
sprach. 1985 war zum erstenmal eine interfraktionelle
Delegation des Deutschen Bundestages auf dieser Insel
Atauro und hat gegen die Behandlung der Gefangenen
protestiert. Hans-Ulrich Klose hat damals eindrucksvoll
darüber berichtet. Friedensnobelpreisträger Ramos Horta
hat kürzlich in Bonn daran erinnert, wie wichtig dieser
Besuch in der Haftsituation von Atauro war. Er wußte:
Man hat uns nicht vergessen. Ich bitte Sie alle, in solchen Situationen die politischen Gefangenen in der ganzen Welt zu besuchen.
Am 12. November 1991 war der Tag des Massakers
auf dem Friedhof Santa Cruz in Dili. Die Bilder des
BBC-Kameramanns, mehr zufällig geschossen, sind uns
allen noch in Erinnerung. Die Täter sind bis heute nicht
zur Rechenschaft gezogen worden.
1992 wurde Xanana Gusmao gefangengenommen. 17
Jahre lang hatte er Widerstand geleistet. Eine Delegation
des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit
unter Leitung von Adelheid Tröscher, der auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Petra
Ernstberger und ich angehörten, konnten ihn in diesem
Jahr - noch in der Haft - besuchen. Wir waren froh, als
wir nun erfahren haben, daß er freigelassen ist. Jahrelang haben wir darum gekämpft. Wir hoffen, daß er bald
in seine Heimat zurückkehren kann, genauso wie die
vertriebenen Bischöfe Belo und Nascimento.
({2})
Man darf nicht verschweigen - Herr Gehrcke, wir
verschweigen es nicht -: In ganz Indonesien und auch in
Osttimor haben der frühere Präsident Suharto und seine
Familie mit Unterstützung weiter Kreise des Militärs jede politische Freiheit unterdrückt und die Menschenrechte mit Füßen getreten. Mit einer Umsiedlungspolitik
versuchte Suharto das Problem auf perfide Art zu lösen
und die Osttimoresen zur Minderheit in ihrer eigenen
Heimat zu machen. Übrigens, in Tibet passiert ähnliches.
Nicht jeder hat Suhartos Politik richtig eingeschätzt
und sich ihm gegenüber richtig verhalten. Aber in Osttimor blieb der Widerstand ungebrochen. Rainer Eppelmann wird nicht vergessen, wie wir unter konspirativen
Bedingungen junge Menschen im Widerstand getroffen
haben. Sie hatten Angst um ihr Leben und um ihre Zukunft. Erst als 1996 der Friedensnobelpreis an Bischof
Belo und Ramos Horta verliehen worden ist, ist Osttimor wieder in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt. Die Kritik der Weltöffentlichkeit an den Menschenrechtsverletzungen in Osttimor ist immer vernehmbarer geworden.
Wir haben im Bundestag - noch in Bonn - mehrfach
einmütig zum Ausdruck gebracht, daß wir die Annexion
nicht anerkennen und daß wir für die Timoresen das
Recht einfordern, selbst darüber zu bestimmen, ob sie
als Provinz bei Indonesien bleiben wollen oder ob sie
sich für die Selbständigkeit entscheiden.
Erst nach dem Sturz von Suharto und nach dem Beginn der Demokratisierung war ein Fortschritt in der
Osttimorfrage möglich. Wir haben begrüßt, daß sich
Präsident Habibie und Außenminister Alatas, wahrscheinlich gegen den Widerstand weiter Kreise des Militärs, im Februar für ein Referendum ausgesprochen
haben und daß am 5. Mai der völkerrechtliche Vertrag
zwischen Indonesien, Portugal und den Vereinten Nationen über dieses Referendum sehr schnell geschlossen
worden ist. Das Referendum war eindeutig: 78,5 Prozent
der Osttimoresen haben sich für die Unabhängigkeit und
gegen eine Autonomie innerhalb Indonesiens entschieden.
Diese klare Aussage hat offensichtlich aber auch die
Milizenführer überrascht, die schon vorher angekündigt
hatten, daß sie unter den Befürwortern der Selbständigkeit ein Blutbad anrichten würden. Wer sich etwas mit
javanischen Verhaltensmustern beschäftigt, der dürfte
nicht überrascht sein. Das Wort „Amok“ ist malaiischindonesischen Ursprungs und bezeichnet die Folgen der
Unfähigkeit, mit unerwarteten negativen Ereignissen
umzugehen.
Spät ist die Weltgemeinschaft aufgewacht - zu spät
für viele Opfer. Jeder von uns weiß um die Schwierigkeiten, ein schnelles Handeln der UNO zu erreichen.
Dennoch sollten wir ausdrücklich anerkennen, daß in
diesem Fall der Sicherheitsratsbeschluß gestern entgeVolker Neumann ({3})
gen manchen Befürchtungen schnell und umfassend gefaßt wurde. Der Weg ist damit für den Einsatz der Friedenstruppe frei.
Den Menschen in Osttimor muß schnell geholfen
werden, um ihre Sicherheit zu gewährleisten und insbesondere um ihnen Nahrung zu bringen. Bis dahin ist das
indonesische Militär in der Verantwortung. Wir werden
sehr genau beobachten, was passiert. Wenn es ganz
schnell geht, bei Unruhen in Aceh und Ambon Spezialeinheiten dort hinzusenden, dann frage ich mich, warum
das nicht auch nach Osttimor möglich war, um dort für
Sicherheit zu sorgen.
Ich meine, wir müssen immer beachten, daß wir mit
unseren Forderungen nicht den Demokratisierungsprozeß in Indonesien gefährden und möglicherweise eine
Entfesselung nationalistischer oder islamistischer Kräfte
durch ungerechtfertigte oder unbedachte Forderungen
hervorrufen. Nicht ohne Grund beherrschten in der letzten Woche in Indonesien Gerüchte um einen Militärputsch die Medien. Wir müssen die Kräfte in Indonesien
unterstützen, die für Demokratie und Menschenrechte
eintreten.
({4})
Deshalb appelliere ich an die Wahlsiegerin Megawati
Sukarnoputri - ebenso an alle neu gewählten Mitglieder
des Parlaments -, ihre Zusage einzuhalten, das Ergebnis
des Referendums anzuerkennen, auch wenn es ihr persönlich nicht paßt. Sie sollte sich wie Präsident Habibie
dem demokratischen Votum der Osttimoresen stellen.
Fatal wäre es für das Ansehen Indonesiens, wenn weiterhin die Osttimorfrage bei der Werbung um Stimmen
zur Präsidentschaftswahl im November mißbraucht
würde.
Von Anfang an war klar, daß deutsche Truppen nicht
zu der Friedensmission gehören würden. Es gab genügend Angebote zur Entsendung von Truppen aus der
Region; wir haben heute die Liste bekommen. Ich weise
darauf hin, daß sich auch China - dies begrüße ich
sehr - zum erstenmal mit zivilen Polizisten an einer
Friedensoperation beteiligt.
Wir danken den Staaten, die bereit sind, Truppen
nach Osttimor zu entsenden. Wir wissen um ihren
schwierigen und gefährlichen Auftrag im Namen der
Menschlichkeit und wünschen den Soldaten Erfolg und
eine gesunde Heimkehr.
({5})
Wir begrüßen, daß die ASEAN-Staaten ihre zunehmende Verantwortung für die Lösung von Konflikten in
der Region erkennen und sich an der Friedensoperation
zivil oder militärisch beteiligen. Hier kann die Katastrophe in Osttimor einen positiven Einfluß auf die Entwicklung der Beziehungen der Staaten Südostasiens zueinander haben.
Nunmehr gilt es, schnell die Truppen zu entsenden dies ist an diesem Wochenende vorgesehen - und das
Ergebnis des Referendums umzusetzen. Ich bin im übrigen davon überzeugt, daß bei den Milizen die Einsicht
eingekehrt ist, das Morden einzustellen. Seit heute gibt
es erste Anzeichen dafür, daß sie sich Richtung Westtimor absetzen bzw. ihre Uniformen ausziehen.
Große Probleme wird es bei der Rückführung der
nach Westtimor geflüchteten oder deportierten Menschen aus Osttimor geben. Hier ist auch der UNHCR gefordert. Ich weiß, daß die Bundesregierung ihn unterstützen wird.
Indonesien wird in der Beratenden Versammlung Ende Oktober oder Anfang November einen neuen Staatspräsidenten wählen und Osttimor in die Unabhängigkeit
entlassen. Damit werden aber immer noch nicht alle
Probleme gelöst sein. Osttimor wird nach der Unabhängigkeit erhebliche wirtschaftliche Probleme haben und
zu deren Lösung die Hilfe der Welt benötigen. Die
Glaubwürdigkeit unserer Politik verlangt es, dann auch
diese Hilfe zu geben. Dies ist die Konsequenz einer Entkolonialisierungspolitik, die für Osttimor vor 24 Jahren
mit der Rückgabe von Portugal an die UN begonnen hat.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({6})
Es spricht jetzt der
Kollege Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut und
der schlimmen Lage in Osttimor angemessen, daß wir
heute die Haushaltsdebatte, das Ringen und Streiten um
die richtige Ausrichtung deutscher Politik, unterbrechen,
um uns der Lage in Osttimor zuzuwenden und den dazu
eingebrachten gemeinsamen Antrag zu beraten; denn
wir dürfen zu den schrecklichen Verbrechen an der Bevölkerung Osttimors nicht schweigen.
({0})
Wir müssen vielmehr deutlich unsere Stimme erheben,
die grauenvollen Massaker mit aller Schärfe verurteilen
und auch zu entschiedenem Handeln bereit sein. Es ist
gut, daß dies in diesem Hause in großer Gemeinsamkeit
getan wird.
Am 30. August dieses Jahres stimmte die Bevölkerung Osttimors mit der eindrucksvollen Mehrheit von
78,5 Prozent für die Unabhängigkeit. Ihren Mut, sich im
Vorfeld des Referendums nicht von dem auch damals
schon in schrecklicher Weise vorhandenen Terror der
Milizen einschüchtern zu lassen, gebührt höchste Anerkennung. Bereits damals fielen Hunderte dem Terror
zum Opfer, wurden Zehntausende vertrieben. Deutlich
zeigte sich, daß Indonesien entweder nicht willens oder
nicht in der Lage war, seinen Verpflichtungen aus dem
Abkommen vom 5. Mai 1999 nachzukommen und die
Bevölkerung in Osttimor wirksam zu schützen, und daß
die Streitkräfte, zumindest aber Teile von ihnen, den
Terror der von ihnen als Handlanger selbst geschaffenen
Milizen offen unterstützten.
Volker Neumann ({1})
Was aber nach dem Votum der Bevölkerung Osttimors für die Unabhängigkeit geschah, ist ein schreckliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zugleich eine ungeheure Provokation der Völkergemeinschaft - dies um so mehr, als es ernstzunehmende Anzeichen dafür gibt, daß das Verbrechen langfristig vorbereitet sowie systematisch und unter Beteiligung des
Militärs ausgeführt wurde. Mit ungeheuerlicher Brutalität und mit der von der UN-Delegation eindeutig festgestellten Beteiligung indonesischer Streitkräfte fielen die
Milizen über die wehrlose Bevölkerung her. Über 7 000
Opfer des Terrors sind zu beklagen. 400 000 Menschen,
also fast die Hälfte der Einwohner Osttimors, wurden
vertrieben oder flohen in die Berge oder nach Westtimor, wo sie weiter gejagt und terrorisiert werden. Über
200 000 Menschen droht der Hungertod und bald auch
Seuchen.
Dieser Terror kannte und kennt keine Grenzen. Die
UN-Vertretung, aber auch internationale Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz wurden angegriffen und zum
Abzug gezwungen. Tausende Menschen, die dort Zuflucht gesucht hatten, wurden auf Lastwagen abtransportiert - wohl kaum das Werk allein der Milizen. Ausländische Journalisten sind in einer aus anderen Konfliktherden so nicht bekannten Weise Zielscheibe des
Terrors geworden. Die Mordbanden und ihre Hintermänner wollen ihre schrecklichen Taten vor den Augen
der Welt verbergen.
Gerade gegen die Kirchen richten sich Haß und Terror. Dies zeigt sich in dem Sturm auf das Haus von Bischof Belo, der dafür Soldaten in Zivilkleidung verantwortlich macht, in dem Niederbrennen von Ordenshäusern und Kirchen sowie in der Vertreibung und Ermordung von Caritas-Mitarbeitern, Priestern und Ordensleuten - darunter der deutsche Jesuit Karl Albrecht, dessen tatkräftiger Solidarität, dessen Aushalten bei den
Menschen in Osttimor, das er jetzt mit dem Leben bezahlt hat, Kollege Neumann zu Recht in bewegenden
Worten gedacht hat. Bischof Belo nennt Dili heute eine
Geisterstadt.
Endlich hat die indonesische Regierung nun in die
Entsendung einer UN-Schutztruppe eingewilligt. Es ist
gut, daß sich der UN-Sicherheitsrat einstimmig für ein
Mandat nach Kap. VII der UN-Charta entschieden hat,
das der UN-Truppe alle notwendigen Maßnahmen zur
Erfüllung ihrer Aufgabe, notfalls auch die Anwendung
von Gewalt, erlaubt. Es ist sicher auch gut, daß sich
asiatische Länder wie Thailand, die Philippinen, Singapur und Südkorea zum Teil erheblich an dieser Schutztruppe beteiligen, um fragwürdiger antikolonialistischer
Rhetorik, wie sie heute etwa aus Malaysia zu hören war,
den Boden zu entziehen. In der Tat ist auch die Beteiligung der Polizei aus China hier zu würdigen.
Australien trägt die Hauptlast dieser sicherlich nicht
ungefährlichen Mission. Gerade Australien und seinen
Truppen gelten haßvolle Drohungen der Milizen. Mit
Kampfhandlungen muß ernsthaft gerechnet werden. Wir
wünschen den Australiern wie allen übrigen an der
Schutztruppe beteiligten Soldaten eine gesunde Rückkehr nach Erfüllung ihres Auftrages.
({2})
Wir unterstützen aber auch die deutsche Beteiligung
an den humanitären Hilfsleistungen der UN, der Versorgung der Flüchtlinge und Vertriebenen, auch in Westtimor, und dem Wiederaufbau der zerstörten Dörfer und
Städte. Daß zu einer solchen sichtbaren Unterstützung
der internationalen Anstrengungen auch die Entsendung
eines deutschen Sanitätskontingents, wie Sie es heute
ansprachen, Herr Minister, gehört, kann ich mir jedenfalls gut vorstellen.
Auch wenn die schrecklichen Bilder aus Osttimor
Stimmen zum Schweigen gebracht haben, die meinten,
Deutschland müsse sich nun nicht auch noch in diesem
weit entfernten Teil der Welt engagieren, so sei doch
klar gesagt: Wir sind angesichts des ungeheuren Leids
der Menschen in Osttimor zur Hilfe moralisch verpflichtet. Wir sind - mir liegt daran, auch dies festzustellen - auch gegenüber dem EU-Mitglied Portugal, das
sich in besonderer Weise für eine friedliche politische
Lösung einsetzt, zur Solidarität verpflichtet.
Zudem - insofern paßt dies in die Debatte der Haushalte des Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums - muß jeder wissen, daß ein Deutschland, das
nicht bereit ist, ausreichende Mittel für die Wahrnehmung seiner internationalen Verantwortung aufzuwenden, damit auch die Grundlagen der eigenen Freiheit,
des eigenen Wohlstandes und somit der eigenen sozialen
Sicherheit untergräbt.
Indonesien ist gefordert, mit der UN-Friedenstruppe
kooperativ zusammenzuarbeiten und endlich alles zu
tun, um den Schutz der Bevölkerung Osttimors sowie
der internationalen Beobachter und Helfer zu gewährleisten. Das Verhalten des Militärs, zum Beispiel der viel
zu lange dauernde Streit um Sicherheitsgarantien für
Hilfsflüge angesichts des Hungers, der den Vertriebenen
droht, und die Aufkündigung des Sicherheitsabkommens
mit Australien lassen da zur Zeit wenig Gutes hoffen.
Deshalb sind Maßnahmen wie die Aussetzung der militärischen Zusammenarbeit und der Kredite von Weltbank und Internationalem Währungsfonds sowie das
Embargo für Rüstungslieferungen ein richtiges und
wichtiges Signal.
Es geht nicht um die Isolierung Indonesiens, dessen
Demokratisierungsprozeß auch Entwicklungshilfeprojekte fördern können, sondern darum, die für das
Verbrechen Verantwortlichen an den Pranger zu stellen
und ein unmißverständliches Signal an die Militärs zu
senden, welche ernsthaften Konsequenzen für die internationale Unterstützung und die Zusammenarbeit eine
weitere schleichende Machtübernahme durch das Militär
hätte.
Schließlich gilt: Die Verantwortlichen für die schrecklichen Verbrechen müssen zur Verantwortung gezogen
werden, wie dies auch die Resolution 1264 des UNSicherheitsrates fordert. Dabei wäre es für den Demokratisierungsprozeß Indonesiens, durch den ja bemerkenswerte Fortschritte, wie freie Parlamentswahlen, erreicht wurden, am besten, die indonesische Justiz würde
diese Aufgabe übernehmen. Sollte sie dazu aber nicht
willens oder in der Lage sein, muß die VölkergemeinHermann Gröhe
schaft dies tun. Verbrechen gegen die Menschlichkeit
dürfen nicht straflos bleiben.
({3})
Hoffen wir nun, daß die Friedenstruppe eine schnelle
Befriedung und Umsetzung des Referendums erreichen
kann, damit die Leiden der Bevölkerung Osttimors, die
200 000 Tote seit der Besetzung durch Indonesien 1975
zu beklagen hat, ein Ende haben! Unterstützen wir den
Weg eines unabhängigen Osttimors auch durch eine baldige Anerkennung! Stärken wir diejenigen, die wie Bischof Belo auch angesichts des Schreckens zur Versöhnung aufrufen!
Ich bitte Sie, dem gemeinsamen Antrag zuzustimmen.
({4})
Weitere Wortmel-
dungen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes
liegen mir nicht vor.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die
Grünen und F.D.P. zur Lage in Osttimor auf der Druck-
sache 14/1603. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag bei
einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen aus
der PDS-Fraktion angenommen.
Es liegen von vier Abgeordneten Erklärungen zur
Abstimmung vor, die zu Protokoll gehen.*)
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Verteidigung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Einbrin-
gung seines Haushaltes hat der Bundesminister der
Verteidigung, Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Behandlung des Verteidigungshaushaltes erfolgt in die-
sem Jahr aus drei Gründen in einer neuen Situation: er-
stens, weil die Nordatlantische Allianz ihre konzeptio-
nelle Neuausrichtung abgeschlossen hat; zweitens, weil
Europa einen großen Schritt in Richtung europäische Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik getan hat; und drit-
tens, weil sich die Bundeswehr in dem umfangreichsten
und zugleich auch schwierigsten Einsatz ihrer Ge-
schichte befindet.
Die Staats- und Regierungschefs innerhalb der NA-
TO haben bei ihrem Gipfel im April 1999 ein neues
strategisches Konzept beschlossen. Auf der Grundlage
der Fähigkeit zur Gewährleistung gemeinsamer Sicher-
heit und kollektiver Verteidigung wendet sich das
Bündnis verstärkt neuen wichtigen Aufgaben zu: näm-
lich Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Das
*) Anlage 2
bedeutet, daß die Staaten darin übereinstimmen, schneller und mobiler auf Krisen und deren Ursachen reagieren und die gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten verbessern zu wollen. Dazu gehört vieles. In der Sprache der
Militärs heißt das: Verbesserung von Mobilität, Interoperabilität, Führung und Aufklärung sowie Nutzung
moderner Technologien. Bei allen europäischen Streitkräften und damit auch bei der Bundeswehr in Deutschland gibt es in diesen Bereichen Defizite.
Auf europäischer Ebene haben sich die Staats- und
Regierungschefs unter deutscher Präsidentschaft verpflichtet, eigenständige Mittel und Fähigkeiten zur Krisenbewältigung zu entwickeln, insbesondere in den Bereichen strategische Aufklärung, strategischer Lufttransport und Führung von Streitkräften. Das deckt sich mit
dem, was die Staats- und Regierungschefs auf der Ebene
der NATO mit der sogenannten „defence capabilities
initiative“ akzeptiert und beschlossen hatten. Es geht um
entscheidende Fähigkeiten für die Zukunft.
Der deutsch-französische Gipfel im Mai dieses Jahres
in Toulouse hat im übrigen eine Initiative ergriffen, die
mittlerweile bei den anderen Partnern Zustimmung gefunden hat, nämlich das Eurokorps in ein Krisenreaktionskorps umzuwandeln, das für Einsätze der NATO wie
der Europäischen Union zur Verfügung steht.
Das heißt, wir haben in einem veränderten internationalen Umfeld auf der Grundlage neuer Beschlüsse der
Staats- und Regierungschefs eine klare Priorität, die
lautet: Friedenssicherung durch die Fähigkeit zur Landesverteidigung und zur gemeinsamen Sicherheit im
Bündnis. Sie lautet: Friedenssicherung durch Vertrauensbildung und Kooperation mit Partnern, die nicht zur
Europäischen Union oder zur NATO gehören. Sie lautet
zudem: Friedenssicherung durch die Fähigkeit, präventiv Krisen zu begegnen und notfalls auch handeln zu
können bei ausgebrochenen Krisen.
Vor diesem Hintergrund füge ich hinzu, daß die Bundesregierung am Zustandekommen dieser Entscheidungen wesentlich mitgewirkt hat. Es sind Richtungsentscheidungen für die Gestaltung eines sichereren und stabilen Europas. Sie entsprechen unserer übergeordneten
Zielsetzung einer dauerhaften Friedenssicherung im
euroatlantischen Raum. Wir können also feststellen, daß
wir mit unserer Außen- und Sicherheitspolitik dem Ziel
einer Friedensordnung für Europa näher kommen. Von
der Realisierung allerdings - das muß man genauso offen sagen - sind wir noch ein gutes Stück entfernt.
Bei diesen und bei anderen Erfolgen, die wir auf
außen- und sicherheitspolitischem Gebiet erreicht haben,
bleiben wir uns bewußt, daß wir dabei auf einem breiten
Konsens der demokratischen Parteien hier im Deutschen
Bundestag aufbauen können. Ich hoffe, das bleibt auch
dann so, wenn es um zukünftige Entscheidungen geht;
denn Bündnisfähigkeit, langfristige Berechenbarkeit und
auch unser Beitrag zur politischen wie sicherheitspolitischen Bewältigung von Krisen haben der Bundesrepublik Deutschland ein hohes Ansehen verschafft. Das
sollten wir nicht in Gefahr bringen.
({0})
Herrmann Gröhe
Genauso deutlich will ich feststellen, daß in den letzten Jahren in der praktischen Umsetzung dieser politisch
gewollten Dynamik die Bundesrepublik Deutschland mit
dem, was in anderen Ländern geschehen ist und weiterhin geschehen wird, nicht Schritt gehalten hat. Ich will
das sehr deutlich sagen. Wir haben uns von der konzeptionellen Entwicklung in manchen Staaten abgekoppelt
und die notwendigen, auch sicherheitspolitischen, Mittel
und Fähigkeiten nicht in dem Maße weiterentwickelt,
wie das erforderlich gewesen wäre.
Ich hatte am Beginn meiner Amtszeit eine Bestandsaufnahme veranlaßt. Sie macht jedermann deutlich: Erstens. Umfang, Struktur und Ausrüstung unserer
Streitkräfte sind trotz jahrelanger Umgliederung immer
noch überwiegend auf die Landesverteidigung ausgerichtet. Zweitens. Auftrag, Umfang, Ausrüstung und
Mittel sind aus dem Gleichgewicht geraten. Drittens.
Die Bundeswehr ist seit Jahren unterfinanziert und kann
die künftig erforderlichen Fähigkeiten nur eingeschränkt
zur Verfügung stellen.
Über Jahre hinweg ist der Einzelplan 14 kontinuierlich abgesenkt worden. Nicht nur der Umfang der Bundeswehr wurde personell wie finanziell halbiert. Zu Beginn der 70er Jahre lag der Anteil der investiven Ausgaben nach relativ konstant bei gut 30 Prozent. Das war
die Zeit der sozialdemokratischen Verteidigungsminister
Schmidt und Leber.
Seit Beginn der 90er Jahre wurden dagegen die notwendigen Investitionen in die Zukunft auf die lange
Bank geschoben. Der Anteil der Investitionen am Einzelplan 14 sank kontinuierlich. Das hat sich erst 1998
und dann insbesondere 1999 geändert.
Im Jahre 1994 wurden die militärischen Beschaffungen mit 5,5 Milliarden DM veranschlagt, im Jahre
1995 ebenfalls mit 5,5 Milliarden DM, im Jahre 1996
mit 5,6 Milliarden DM, im Jahre 1997 mit 5,3 Milliarden DM, im Jahre 1998 mit 6,5 Milliarden DM und im
Jahre 1999 mit 7,3 Milliarden DM. Ich muß Ihnen die
politischen Daten, die dabei eine Rolle spielen, nicht
noch im einzelnen schildern. Es ist einfach eine Tatsache - ich will da niemandem vorausgreifen -: Sie haben
den Einzelplan 14 in der Zeit von 1994 bis 1998 als das
mißbraucht, was er nicht sein darf, nämlich als Steinbruch für andere Bedürfnisse.
({1})
- Herr Kollege Breuer, wenn Sie sagen: „Sie wollten ja
noch weniger“, dann sage ich Ihnen: Die SPDBundestagsfraktion hat in der Zeit von 1994 bis 1998
Kürzungsanträge im Umfang von 1,2 Milliarden DM
gestellt. Sie haben in demselben Zeitraum die tatsächlichen Mittel für die Bundeswehr um weit über 5 Milliarden DM reduziert. Das heißt, Sie haben uns deutlich
überboten. Insofern ist Ihre Argumentation schlicht
heuchlerisch.
({2})
- Herr Kollege Nolting, im Jahre 2000 verbleiben im
übrigen die Mittel für die militärischen Beschaffungen
auf dem im Jahre 1999 erreichten Niveau.
({3})
Deshalb sind im Einzelplan 14 6,9 Milliarden DM und
zusätzlich im Einzelplan 60 mehr als 200 Millionen DM
veranschlagt worden.
Ich will hinzufügen, daß innerhalb der Bundeswehr in
der Folge dieser sich über die 90er Jahre erstreckenden
Entwicklung ein Investitionsstau von mindestens 20
Milliarden DM entstanden ist und daß die Konsequenzen für die Bundeswehr gravierend sind.
({4})
Der Bundeswehr fehlen schon heute Fähigkeiten, um
einen wirksamen, wirkungsvollen und international angemessenen Beitrag zu gemeinsamer Sicherheit im
Bündnis und im Rahmen von Krisenbewältigung und
Krisenprävention zu leisten.
Im Gegensatz zu Ihnen spreche ich solche Dinge offen aus. Da wird nichts schöngefärbt. Wenn hier von
Rednern mehrerer Fraktionen beispielsweise gefordert
wird, Kriegsverbrecher zu verhaften, dann ist das richtig. Peinlich für die Bundesrepublik Deutschland ist allerdings, daß sie bei Verhaftungsaktionen zum Beispiel
in Bosnien, auf Grund derer dem Tribunal in Den Haag
Kriegsverbrecher zugeführt werden sollen, auf Führungsmittel anderer Streitkräfte zurückgreifen und sie
förmlich leihen muß, um solche Aktivitäten überhaupt
durchführen zu können.
({5})
Unangenehm und für die politische Glaubwürdigkeit
der Bundesrepublik Deutschland ein langfristiges Risiko
ist die Tatsache, daß zum Beispiel die deutsche Marine an
gemeinsamen Übungen nur eingeschränkt teilnehmen
kann, weil mittlerweile die Führungsfähigkeit nicht nur in
solchen Marineverbänden, sondern auch in anderen Verbänden deutlich eingeschränkt ist. Besonders schön ist es
nicht, daß man dann zum Beispiel die portugiesische oder
die türkische Marine bitten muß, doch auf moderne Führungsmittel zu verzichten, damit deutsche Marineschiffe
an gemeinsamen Übungen teilnehmen können. Das ist
der momentane Zustand in der Bundeswehr. Ich könnte
eine Menge ähnlich gelagerter Fälle nennen.
Ich muß Ihnen eines sagen: Die Investitionsmittel
bleiben auf einem hohen Niveau. Sie sollten jedoch der
jetzigen Koalition - das betrifft nicht nur die Sicherheitspolitik - nicht das in die Schuhe schieben, was Sie
über Jahre hinweg versäumt haben zu tun.
({6})
Sie haben uns ein Schuldengebirge von 1 500 Milliarden
DM hinterlassen. Ich weiß, Sie hören das nicht gerne.
({7})
Es gehört aber in diesen Zusammenhang.
Wer glaubt, er könne einen Einzelplan nach der Methode „Der nicht, alle anderen ja“ von dem Erfordernis
des Sparens ausklammern, der begeht einen groben
politischen Fehler und verhält sich naiv.
({8})
Ihre Naivität wird überdeutlich daran, daß Sie bei der
Beratung eines jeden Einzelplanes sagen: Die Grundlinie könnten wir ja akzeptieren, nämlich die, daß mit
staatlichem Geld vorsichtiger umgegangen wird; nur in
diesem Einzelplan, in diesem Einzelfall bzw. bei dieser
Personengruppe ist sie leider nicht richtig. Die Summe
Ihrer Vorschläge liegt weit über dem mit Blick auf die
Zukunft und die Solidität der Bundesrepublik Deutschland finanziell Verantwortbaren.
({9})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas im
Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt sagen. Denn
er hat in nicht zu überbietender Deutlichkeit klargemacht, daß die außenpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten untrennbar mit den sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeiten verbunden sind.
({10})
Das gilt für das Bündnis als Ganzes; es gilt für jeden
einzelnen Staat; es gilt auch für unser Land. Die Bundesrepublik Deutschland hätte niemals eine Chance gehabt, den Fischer-Friedensplan oder den Stabilitätspakt
international durchzusetzen, wenn sie nicht gleichzeitig
auf der militärischen Seite einen wirksamen Beitrag zur
Bewältigung dieses Konfliktes geleistet hätte.
({11})
Der Bundeskanzler, der Bundesaußenminister und auch
ich haben versucht, drei Dinge, nämlich politische Initiative, militärische Handlungsfähigkeiten und Notwendigkeiten sowie humanitäre Hilfe, zusammenzuhalten.
Sie haben mich ja heute einige Male angesprochen.
Ich kann Ihre Strategie gut nachvollziehen. Auch wir
haben versucht, Herrn Rühe und zum Teil Herrn Schäuble in eine bestimmte Konkurrenzsituation mit dem damals amtierenden Bundeskanzler zu bringen. Das ist
schiefgegangen. Sie sollten daraus gelernt haben. Es
wird auch im jetzigen, von Ihnen angestrebten Fall
schiefgehen.
({12})
Um jetzt kurzfristig notwendige Abhilfe zu schaffen
und die langfristige Neuausrichtung der Bundeswehr
vorzubereiten, habe ich folgende Entscheidungen getroffen:
Erstens. Die Kommission „Gemeinsame Sicherheit
und Zukunft der Bundeswehr“ unter Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker wird
ihre Empfehlungen vorlegen. Ich bedanke mich bei der
Kommission ausdrücklich dafür, daß sie dies schon im
Mai des nächsten Jahres tun wird.
({13})
Zweitens. Der Generalinspekteur ist beauftragt, eine
Priorisierung, wie wir das so schön nennen, auf der
Grundlage konzeptioneller Neubestimmung vorzunehmen und daraus Konsequenzen für die weitere Entwicklung der Streitkräfte abzuleiten.
Drittens. Die wesentlichen Ergebnisse beider Arbeiten werden, wie gesagt, im Frühsommer des nächsten
Jahres vorliegen und dann eine solide Grundlage für
politische und militärische Entscheidungen bilden.
Viertens. Die Krisenreaktionskräfte sind um ein
Drittel erweitert worden. Sie entsprechen in ihrer Zusammensetzung den gegenwärtigen - ich sage ausdrücklich: den gegenwärtigen - Anforderungen.
Fünftens. Erste Maßnahmen zur Straffung der Führungsorganisation sind eingeleitet.
Sechstens. Wir haben eine umfassende Kooperation
mit der deutschen Wirtschaft im Bereich Ausbildung,
Fortbildung, berufliche Laufbahnen. Nutzung von ihren
Erfahrungen begonnen, um die Effizienz und die Wirtschaftlichkeit des Einsatzes der Steuermittel zu verbessern.
Dem dient siebtens auch die Verbreiterung einer
eigenständigen Verantwortung für Kosten und Leistungen in den Einheiten und Dienststellen der Bundeswehr.
Ich sage voraus: Wir werden in Kürze eine Fortentwicklung des Haushaltsrechtes brauchen, um künftigen
Erfordernissen gerecht werden zu können.
({14})
Der Haushalt 2000 ist für die Bundeswehr und ihre
Fähigkeiten völlig unbestreitbar eine ernste Herausforderung, zu Teilen auch eine schwere Belastung. Angesichts dieser Situation wäre allerdings nichts schädlicher
als ein übereilter und unausgewogener Eingriff in bestehende Strukturen oder in das Ausrüstungs- und das
Standortkonzept. Wer systematisch vorgehen will - das
werde ich tun -, der muß im Einklang mit unseren internationalen Verpflichtungen sowie mit den Interessen
und Zielen unseres Landes handeln und darf den Blick
auf die soziale Lage der Menschen in der Bundeswehr
zu keinem Zeitpunkt vergessen.
({15})
Meine Damen und Herren, wer glaubt, daß man alleine mit guten Argumenten in internationalen Zusammenhängen Einfluß nehmen könnte, verkennt die Realität.
Auch das ist eine Erfahrung aus den Konflikten und krisenhaften Entwicklungen der letzten Jahre. Der Einfluß
sowohl auf die Entscheidungen selbst als auch auf deren
Umsetzung hängt entscheidend von den konkreten Beiträgen ab, die das jeweilige Land, auch wir, international
in der Lage und bereit ist zu leisten.
({16})
Wer allein auf die Macht des Wortes oder auf die Wirksamkeit finanzieller oder wirtschaftlicher Interessen
vertraut, der wird - siehe Kosovo - humanitäre Krisen
und humanitäre Katastrophen nicht verhindern können.
({17})
Ich sage das in aller Deutlichkeit. Denn wirksame Krisenprävention setzt die glaubwürdige Fähigkeit zum
Krisenmanagement voraus.
({18})
Wir sollten uns immer dessen bewußt bleiben, daß
der beste Wille zur Krisenprävention an eine Grenze
stoßen kann, die durch Ignoranz, die Menschenverachtung, die Skrupellosigkeit oder gar verbrecherische
Energie des Gegenüber markiert wird, mit dem man es
zu tun hat. Der heißt manchmal Saddam Hussein,
manchmal Milosevic. Hoffentlich werden wir solche Erfahrungen nicht so oft machen müssen.
Wer also seine Verbündeten mit guten Ratschlägen
versorgen will, selbst aber nichts zu ihrer Realisierung
beizutragen vermag, der wird auch mit den fundiertesten
Überlegungen und den klügsten Konzepten am Ende
scheitern.
Vor diesem Hintergrund sollten wir uns vergegenwärtigen, daß der einschneidende politische Umbruch
des letzten Jahrzehnts mit einem einschneidenden Umbruch unserer Streitkräfte, mit einer konzeptionellen
Neuausrichtung verbunden sein wird. Bisher hat die
Bundeswehr das sowohl in Deutschland - besonders im
Hinblick auf die ostdeutschen Länder - als auch in internationalen Einsätzen mit großem Engagement und
einer staunenswerten Loyalität bewältigt. Sie verdient
dafür mit allen ihren Angehörigen Respekt und Anerkennung.
({19})
Ich füge hinzu: Die Soldatinnen und Soldaten sind
ebenso wie die zivilen Mitarbeiter keine beliebige Verfügungsmasse. Im Gegenteil: Ihre Ausbildung, ihre Leistungsfähigkeit und ihr Verantwortungsbewußtsein sind
auch in Zukunft das wichtigste Kapital leistungsfähiger
Streitkräfte. Es war dem Einsatz der Angehörigen der
Bundeswehr zu verdanken, daß trotz einer deutlichen
Überdehnung der personellen und materiellen Ressourcen der Auftrag erfüllt und unter fordernden Bedingungen auf dem Balkan Hervorragendes geleistet worden ist
und weiter geleistet wird. Das hat für die Angehörigen
der Bundeswehr zugleich bedeutet, einen wichtigen und,
wie ich finde, unverzichtbaren Beitrag für das Ansehen
und Gewicht Deutschlands in Europa und in der Welt zu
leisten. Deswegen dürfen auch die Soldatinnen und Soldaten einschließlich der zivilen Angestellten am Ende
nicht diejenigen sein, die das ausbaden müssen, was es
an Versäumnissen in den letzten Jahren gegeben hat.
Nur weil zukunftsfähige Reformen verschleppt worden
sind, weil die Streitkräfte über Jahre hinweg unterfinanziert worden sind
({20})
und ihre Vernachlässigung mindestens billigend in Kauf
genommen worden ist, dürfen die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Angestellten nicht die Gekniffenen
neuerlichen Umstrukturierungen sein. Das macht das
Prinzip der sozialen und planerischen Sicherheit für die
Angehörigen der Bundeswehr aus.
({21})
Der Konsens über die Streitkräfte in diesem Land ist
groß. Das gilt für das Parlament, das gilt aber auch für
die Bevölkerung. Dieser Konsens ist für die Zukunft
entscheidend. Die Angehörigen der Streitkräfte müssen
wissen, was ihr Land von Ihnen erwartet. Sie müssen
darauf vertrauen können, daß sie die bestmöglichen
Mittel zur Erfüllung ihres Auftrags erhalten, und sie
müssen erkennen können, daß Regierung, Parlament und
Öffentlichkeit auch dann hinter ihnen stehen, wenn es
um so komplizierte Einsätze wie beispielsweise dem auf
dem Balkan geht.
Ich will an dieser Stelle ausdrücklich der Koalition,
aber auch der Opposition für die konstruktive Zusammenarbeit danken, die uns bei der Beratung und Entscheidung über die Einsätze in Makedonien, Albanien
und im Kosovo in gemeinsamer Verantwortung vereint
hat. Die außerordentlich große Zustimmung der Bevölkerung zum internationalen Engagement unserer Streitkräfte ist ein wesentliches Ergebnis gemeinsam verantworteter und verantwortungsbewußter Außen- und Sicherheitspolitik. Ich hoffe, es gelingt, diesen Konsens zu
erhalten, keinen Schaden hinsichtlich der internationalen
Glaubwürdigkeit zu nehmen, aber auch kein Risiko für
die Sicherheit und das Leben eingesetzter Soldaten einzugehen.
Meine Damen und Herren, längs dieser Richtlinien ist
Ihnen der Haushalt 2000 vorgeschlagen worden. Wir
wollen ein internationaler verläßlicher Partner bleiben.
Es wird keine Abstriche bei Ausbildung, Übung und
Betrieb geben. Die soziale und planerische Sicherheit
für die Angehörigen der Bundeswehr einschließlich denen Familien bleibt erhalten.
Ich sage mit einem besonderen Dank an den Finanzminister, daß - ({22})
- Entschuldigen Sie, wenn ich mir die Freiheit nehme,
eine Situation offen zu beschreiben. Ich weiß, daß Ihnen
das nicht paßt: Das habe ich mancher leichtfertigen Rede im Kongreßzentrum hier in Berlin entnommen. Zu
der Situationsbeschreibung gehört auch - das haben Sie
den Leuten systematisch verschwiegen -, zu sagen, daß
in diesem schwierigen Haushalt der von Ihnen organisierte und zu verantwortende Beförderungsstau deutlich
abgebaut wird und entsprechende Stellen für die Leute,
die Hauptgefreite, Unteroffiziere oder Truppendienstoffiziere sind, geschaffen werden.
({23})
Im übrigen bedeutet planerische und soziale Sicherheit auch - ich sagte es bereits -, keine voreiligen Eingriffe in die Struktur oder keinen übereilten Personalabbau vorzunehmen.
Herr Minister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich möchte Sie mit
Vorsicht darauf hinweisen, daß die vereinbarte Redezeit
schon überschritten ist. Sie können in Ihrer Funktion als
Minister natürlich so lange reden, wie Sie wollen. Ich
weise nur darauf hin, daß die Zwischenfrage in der
Nachzeit gestellt wird. - Bitte.
Herr Minister
Scharping, ist es nicht so, daß Sie das Amt des Verteidigungsministers übernommen haben, weil Ihnen unter
anderem vom Bundeskanzler zugesagt wurde, daß der
Verteidigungsetat nicht gekürzt werden sollte? Sie brauchen jetzt nur mit Ja oder Nein zu antworten.
Ich will Ihnen einen dezenten Hinweis geben. Ich
werde Sie im Zweifel auch gern privatim unter vier
Augen über das eine oder andere unterrichten.
Ich lege Wert darauf, daß der Verteidigungshaushalt
nicht singularisiert wird. Er muß den finanziellen Erfordernissen des Staates gerecht werden so wie andere
auch.
({0})
Er darf nicht besser, aber auch nicht schlechter behandelt werden, sage ich in Ihre Richtung. Es wird auch in
diesem Haushalt keine Luft für weitere Kürzungen geben. Dafür gibt es keinen Spielraum. Vor diesem Hintergrund geht es mir darum, die Fähigkeiten der Streitkräfte zu erhalten und auszubauen und im übrigen die
konzeptionelle Neuausrichtung auf den Weg zu bringen.
Alle, die sich daran debattierend beteiligen, ob bei
dieser Tagung des Bundeswehrverbandes oder durch
Interviews, Denkschriften oder was auch immer, bitte
ich, eines zu bedenken: Die Angehörigen der Bundeswehr sind angesichts der Erfahrungen, die sie mit der
Halbierung, der überhasteten Umstrukturierung, der
Kürzung von 370 000 auf 340 000 Mann usw. gemacht
haben, zu Recht besonders sensibel, wenn man ihnen
den einen oder anderen politischen Brocken vor die Füße wirft, anstatt konzeptionell klar zu denken, und zwar
zunächst über die Ziele und Interessen unseres Landes,
dann über die Aufgaben, die sich daraus ergeben, dann
über die Fähigkeiten, die man zur Wahrnehmung dieser
Aufgaben braucht. Erst danach stehen Fragen nach dem
Umfang, auch nach dem personellen Umfang der Streitkräfte, überhaupt zur Debatte. Alles andere ist grob
fahrlässig und sollte unterlassen werden.
({1})
Herr Minister,
gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, Frau Präsidentin.
Herr Minister Scharping, Sie haben dem Kollegen Nolting einen
dezenten Hinweis gelegentlich in Aussicht gestellt. Ich
bitte Sie um einen dezenten Hinweis schon heute. Sie
haben eine konzeptionelle Neuorientierung der Bundeswehr angekündigt. Ich wüßte gern, ob diese konzeptionelle Neuorientierung noch von Ihnen begleitet oder gar
gesteuert werden wird oder ob die Zeitung „Die Welt“
recht hat, die uns heute mitteilt, daß der Kanzler ein
großes Interesse daran habe, Sie aus Ihrem Amt herauszudrängen. Würden Sie sich hierzu bitte äußern? Auch
das wäre für die Soldaten wichtig.
Ich bedanke mich ausdrücklich für Ihre freundliche Vorlage. Wahrscheinlich hat mich der Bundeskanzler gebeten, von dem durchaus ehrenvollen Angebot,
NATO-Generalsekretär zu werden, keinen Gebrauch zu
machen, und wahrscheinlich hat er mich als Vorsitzender der SPD gebeten, die Diskussion über die langfristigen programmatischen Vorstellungen meiner Partei zu
organisieren, weil er mich loswerden will.
({0})
Ihre Frage ist dermaßen absurd, daß ich Ihnen hier nur
eines ankündigen kann: Richten Sie sich bitte darauf ein,
daß Sie sich mit diesem Bundeskanzler, mit diesem
Außenminister und diesem Verteidigungsminister noch
ziemlich lange Zeit und auch über 2002 hinaus werden
auseinandersetzen müssen.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege Austermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es mag schon sein, daß
wir mit diesen dreien noch rechnen müssen, aber Sie
werden dann mit Sicherheit nicht mehr in den Ämtern
sein, die Sie jetzt innehaben. Ich glaube, es ist auch klar,
warum das der Fall sein wird.
Herr Kollege Scharping, ich hatte mir eigentlich vorgenommen, heute ganz nett zu sein.
({0})
Aber es gab von Ihnen einige Anmerkungen, die einfach
nicht unwidersprochen bleiben können, so allein die
Verwendung des Wortes „heuchlerisch“ in bezug auf die
Vergangenheit der Bundeswehr, der Bundeswehrentwicklung. Auch haben Sie gesagt: Es wäre wahrscheinlich zu dem Fischer-Friedensplan und, und, und nicht
gekommen, wenn …
({1})
- Er hat vom Fischer-Friedensplan gesprochen. - Ich sage dazu: Es hätte dieses Friedensplans möglicherweise
nicht bedurft, wenn die wesentlichen Teile Ihrer Fraktion und die wesentlichen Teile der Grünen nicht 1994
noch ganz andere Positionen in bezug auf die Durchset4908
zung von Menschenrechten weltweit, insbesondere in
Bosnien-Herzegowina, eingenommen hätten.
({2})
Wer aber hat - die Wahrheit muß gesagt werden Verfassungsbeschwerde eingelegt, um den Einsatz von
Adria-Schiffen zur Beobachtung zu unterbinden? Das
war Ihre Fraktion.
({3})
Jetzt sagen Sie, wir hätten nicht genügend getan, um die
Menschenrechte weltweit durchzusetzen und dafür die
Bundeswehr zu gebrauchen. Das kann doch nicht Ihr
Ernst sein.
({4})
Sie haben auch andere Dinge gemacht: Jahr für Jahr
kamen von Ihnen Anträge zur Kürzung der Investitionen im Verteidigungsetat. Dies ging bis in den Bundesrat. Auch dort haben Sie gesagt, es sei zuviel, wir müßten die Mittel zusammenstreichen, wir müßten davon
etwas zurücknehmen.
Dazu, daß Sie sagen, es gehe darum, einen breiten
Konsens zu erreichen, sage ich: Gerne. Sie werden in
den letzten elf Monaten nicht haben feststellen können,
daß die Mitglieder der Opposition - egal, ob von der
F.D.P. oder der CDU/CSU - Ihnen in den Arm gefallen
sind, wenn es darum ging, die richtigen Entscheidungen
zu treffen. Sie können für entsprechende Berichte doch
jeden Tag die Zeitungen aufschlagen. Ich will mich gar
nicht auf Spekulationen von heute beziehen, wie Schröder möglicherweise über diese Position denkt. Man kann
sich ja auch andere Gründe vorstellen, warum Scharping
zur NATO gehen soll: natürlich, damit er nicht mehr auf
der nationalen Ebene tätig ist. Aber Spekulationen darüber, wie Mittel der Bundeswehr weiter reduziert werden können, kommen doch nicht aus unseren Reihen,
sondern von den Herren Kröning und Metzger, von Frau
Beer und anderen, die auch gleich noch die Wehrpflicht
über Bord kippen wollen.
({5})
Ich glaube schon, daß es gut gewesen wäre, wenn manch
einer von Ihnen die Schärfung seines Gewissens, die
jetzt in bezug auf die Haltung zu Einsätzen der Bundeswehr bei Krisen in der Welt eingesetzt hat, ein bißchen
früher vorgenommen hätte, anstatt jetzt anderen Vorwürfe zu machen.
Dann, Herr Kollege Scharping, haben Sie davon gesprochen, wir hätten den Personalabbau - die Reduktion von 370 000 auf 340 000 - möglicherweise übereilt
betrieben. Haben Sie denn vergessen, daß Ihre Fraktionskollegen - viele von ihnen sind anwesend; welche
Position Sie damals hatten, weiß ich nicht -, gesagt haben, eine Truppenstärke von 340 000 sei zu viel, und
Forderungen nach einer Reduzierung des Umfangs auf
300 000, 250 000 oder gar 200 000 erhoben haben, dafür sogar den damaligen Fraktionsvorsitzenden HansJochen Vogel in Anspruch nehmen wollten? Und jetzt
werfen Sie uns vor, wir hätten das Personal bei der Bundeswehr überstürzt abgebaut. Das haut ja wohl nicht hin.
Sie haben zu Beginn dieses Jahres gesagt, beim 99er
Haushalt - die Abgeordneten der Koalition haben Ihnen
0,5 Milliarden DM weggenommen - seien Ihnen Daumenschrauben angelegt worden, der Haushalt sei „auf
Rand genäht“. Der Bundeskanzler hat dann später der
„Bild“-Zeitung gesagt:
Bei der Bundeswehr ist so viel gekürzt worden die stoßen schon jetzt mit dem Helm an die Decke.
Deshalb haben wir vereinbart: Es wird bis auf weiteres weder im Etat noch bei der Truppenstärke
Veränderungen geben.
Ich stelle fest: Es gilt - wie bei der Rente und bei anderen Themen - das Motto: Versprochen, gebrochen.
Erst stößt man „mit dem Helm an die Decke“, und jetzt
haben Sie, Herr Scharping, in jedem der nächsten vier
Jahre weniger Mittel für die Bundeswehr zur Verfügung,
als im Jahr 1998 zur Verfügung gestanden haben.
({6})
- Das kann man doch der mittelfristigen Finanzplanung
entnehmen.
({7})
- Herr Scharping, Sie sind jetzt so fröhlich. Können Sie
vielleicht nachher noch die Frage beantworten - Sie sitzen jetzt auf den Plätzen der Abgeordneten -: Trifft es
zu, daß Sie im Bundeskabinett dem Finanzplan nicht zugestimmt haben? Dann sollten Sie mit der Verwendung
der Vokabel „heuchlerisch“ ein bißchen vorsichtiger
sein.
({8})
Unsere Positionen in bezug auf die Bundeswehr sind
ganz klar. Das heißt für uns, daß wir eben nichts überstürzen.
Weshalb haben Sie denn die Wehrstrukturkommission eingesetzt? Die sollte doch wohl ein Ergebnis vorlegen. Und was machen Sie? Im Haushalt 2000 werden
Soldaten - Wehrpflichtige, Berufs- und Zeitsoldaten im Umfang einer Division wegrasiert.
({9})
- Natürlich, was heißt es denn, wenn 5 000 Berufs- und
Zeitsoldaten und 6 000 Wehrpflichtige weniger Dienst
tun sollen?
({10})
Was heißt denn „Übung verringern“? Was heißt es denn,
daß 1 000 zivile Mitarbeiter weniger beschäftigt werden? Rechnen Sie das einmal zusammen: Welche Stärke
hat denn eine Division?
({11})
Man kann natürlich sagen, bei den 375 Standorten
fehlt hier einer und dort einer; aber zusammengezählt
sind das dann 12 000, 13 000 oder 15 000 Stellen, die
Sie insgesamt im kommenden Jahr streichen. Das können Sie möglicherweise einmal machen, aber jetzt über
vier Jahre hinweg jährlich 20 000 oder 25 000 Soldaten
abzubauen, das hält die Bundeswehr nicht durch, und
das halten auch Sie nicht durch. Ich glaube, es ist deutlich, daß Sie die Position, die Sie bisher vertreten haben,
nicht durchsetzen konnten.
Die Bundeswehr hat - das ist unsere Meinung - ihre
Friedensdividende erbracht. Wir werden uns während
der Haushaltsberatungen dafür einsetzen, daß der Ansatz
des Jahres 1999, nämlich 47 Milliarden DM, fortgeschrieben wird, um sicherzustellen, daß es sowohl bei
den Soldaten als auch bei der Beschaffung eine vernünftige Entwicklung gibt. Man kann uns doch nicht auf
der einen Seite vorwerfen, wir hätten die Beschaffung
bestimmter Geräte verhindert, und auf der anderen Seite
Maßnahmen ergreifen, die sowohl in der Luft- und
Raumfahrtindustrie als auch in der wehrtechnischen Industrie ganz erhebliche Einbußen bedeuten. Dies berührt
zwangsläufig auch die Entwicklung neuer Technologien
in der Zukunft und kostet damit Arbeitsplätze.
Das ist aber nicht alles. Ich zitiere aus einem Artikel
der „Berliner Zeitung“ von heute, in dem berichtet wird,
was die Kollegen Kröning, Metzger und andere Haushaltspolitiker, bezogen auf den kommenden Haushalt,
tun wollen. Als letzter Satz steht dort:
So einen Konflikt hat es in einer Koalition selten
gegeben. Scharping steht inhaltlich näher bei der
CDU/CSU als bei den eigenen Haushältern.
Wenn das so bleiben soll, wenn Sie die Unterstützung
der Opposition erwarten, dann dürfen Sie jetzt nicht versuchen, die Union als Reibebaum zu benutzen, um anderen gegenüber einen freien Rücken zu bekommen. Das
werden wir nicht zulassen.
({12})
Wir stehen für die Interessen der Bundeswehr und der
Verteidigungsgemeinschaft. Ich möchte gerne wissen,
was Sie in Toronto gegenüber der NATO sagen, wofür
Sie in zwei oder drei Jahren stehen. Welche Ziele, die
Sie apostrophiert haben, können Sie dann noch aufrechterhalten und durchsetzen? Sind Sie sicher, daß das, was
dort von Ihnen vorgetragen wird, das gleiche wie das ist,
was Sie vor den 5 000 Soldaten vom Bundeswehrverband, die sich hier in Berlin versammelt haben, gesagt
haben? Weil ich mich darüber geärgert habe, erinnere
ich mich gut daran, was der Chef des Bundeswehrverbandes bei Ihrem Amtsantritt gesagt hat. Noch besser
erinnere ich mich aber an das, was er jetzt gesagt hat
und was die 5 000 Soldaten bei ihrer Versammlung zum
Ausdruck gebracht haben. Das ist das erste Mal, daß
sich die Soldaten in dieser Form gegen ihren obersten
Chef - ich meine den Bundeskanzler, nicht den Verteidigungsminister - gewendet haben und damit deutlich
gemacht haben, was Sie von der Regierung erwarten.
({13})
- Wir haben sie aufgehetzt? Der Chef dieses Verbandes
läßt sich mit Sicherheit nicht aufhetzen.
Ich glaube, es ist richtig, was in der „Welt“ vom 2.
September dieses Jahres von Hans-Jürgen Leersch
kommentiert wurde: „ In der Tat: Rudolf Scharping befindet sich fest im Griff der SPD-Linken und der Grünen.“
Wie sollen denn nun die Haushaltsberatungen laufen?
Gestern haben wir ein dickes Paket erhalten: 110 Seiten
Änderungsvorschläge aus Ihrem Hause zum Haushaltsentwurf, der einen Umfang von 140 Seiten hat. Heute
kam eine Nachlieferung, nach der zahlreiche weitere Positionen geändert werden sollen. Wie soll einer da noch
durchfinden! Und da reden Sie von einem geschlossenen
Konzept und einer geschlossenen Vorstellung dessen,
was durchgesetzt werden soll! Wenn man das einmal
durchliest, dann stellt man fest, daß es keine neuen Projekte mehr gibt: Die Beschaffung des NATOTransporthubschraubers wird verschoben, des MAWTaurus wird verschoben, des Wehrforschungsschiffs
wird verschoben, der Korvetten werden verschoben, ein
radargestütztes Abwehrsystem gibt es nicht, Luftüberwachung gibt es nicht, und das Transportflugzeug gibt
es auch nicht. Was machen Sie eigentlich Neues?
Sie sagen, früher hätte alles zu lange gedauert. Seit
einem Jahr sitzt Ihre Führungspitze an der Entscheidung
über das GTK. Das wurde für den Haushalt 1998 beschlossen; erste Mittel wurden eingeplant. Bis heute ist
nichts entschieden. Aber wir sollen bündnisfähig sein, in
der Lage sein, mit unseren Partnern Projekte gemeinsam
durchzuziehen! Was ist mit MAW-Taurus? Das wird
auch nicht gemacht.
Welchen Detailpunkt des Haushalts Sie sich auch anschauen, Sie können erkennen, daß dieser Etat so zusammengestrichen worden ist, daß Zukunftsfähigkeit
nicht mehr verzeichnet werden kann. Ich sage es noch
einmal - Sie können die Schuldenarie ruhig wieder anfangen -: In jedem Jahr haben Sie weniger bei den
Haushaltsmitteln zur Verfügung als im letzten Jahr.
Wenn Sie sich wieder auf das besinnen, womit Sie angefangen haben, nämlich auf die gemeinsame Position in
Sachen Verteidigungspolitik, wird die Union dazu beitragen, daß Sie mehr bekommen, daß die Bundeswehr
mehr Gerechtigkeit erfährt und daß wir auch im Bereich
der Arbeitsplätze nichts Unverantwortliches tun. Jeder
kann sich vorstellen, daß 5 000 bis 6 000 weniger Wehrpflichtige und 30 000 weniger Zivildienstleistende plus
das Einstampfen des Programms zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit der jungen Leute natürlich Wirkungen
auf dem Arbeitsmarkt haben - von der Verteidigungsfähigkeit einmal ganz abgesehen.
Die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr können sich auch in Zukunft auf die Union verlassen. Wir sind bereit, den Minister zu unterstützen, wenn
er bei dem bleibt, was er anderenorts sagt, und sich von
dem distanziert, was er uns heute erzählt hat.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angelika Beer.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist
doch bekannt, daß die Bundeswehr in einer äußerst
schwierigen Situation ist. Das ist durch die inzwischen
endlich öffentlich stattfindende Diskussion mehr als
deutlich geworden. Ich sage Ihnen, Herr Kollege
Austermann, aber ganz deutlich, daß die Äußerungen
aus den Reihen der Opposition den Eindruck erwecken,
als wenn bis zum September letzten Jahres alles in Ordnung gewesen wäre. Wir wissen doch, wer die Probleme
zu verantworten hat. Betreiben Sie keine Geschichtsklitterung oder Legendenbildung!
({0})
Die permanente Unterfinanzierung und die Reformunwilligkeit während Ihrer letzten Regierungsjahre
sind doch die Ursache für den heutigen Zustand und die
Probleme, die wir jetzt zu diskutieren haben.
({1})
Dieser Zustand ist von einer mangelnden Anpassung an
die sicherheitspolitischen Gegebenheiten und einer
mangelnden Ausnutzung der Chancen, die nach Ende
des Ost-West-Konfliktes bestanden haben, gekennzeichnet.
({2})
Ihre Ideologie - auf Sie komme ich noch zu sprechen,
Herr Breuer - ist mitverantwortlich für die fehlende Gestaltung während der letzten Jahre.
({3})
Wenn Sie jetzt die Strategie der Besitzstandswahrung
verfolgen, dann werden Sie der Bundeswehr und den
Soldaten keinen Gefallen tun. Sie werden vielmehr dafür
sorgen, die Bundeswehr an die Wand zu fahren.
({4})
Bevor ich zur Sicherheitspolitik komme, möchte ich
noch ein paar Worte zur Haushaltskonsolidierung sagen. Es hilft nicht, wie Sie es tun, meine Damen und
Herren von der Opposition, den Sparkurs der Regierung
im allgemeinen zwar zu begrüßen, aber dann alle möglichen Ausnahmen einzufordern. Dieses Politikkonzept
wurde abgewählt, weil es gescheitert war. Wenn ein Interessenverband wie der Bundeswehr-Verband dies tut,
entspricht es seinen partikularen Interessen. Doch die
Aufgabe von Politik ist es, das Ganze im Auge zu behalten.
({5})
Diese Tatsache sollte einer ehemaligen Regierungspartei
durchaus klar sein. Aber dieser Einsicht scheint Ihr
Kurzzeitgedächtnis im Wege zu stehen.
({6})
Jeder, auch die Bundeswehr, wird sich solidarisch an
dem Sparpaket beteiligen.
Die allgemeine Haushaltskonsolidierung ist notwendig, um den Schuldenberg abzutragen, den Sie zu verantworten haben. Täten wir dies nicht, hätten wir in Zukunft keinen Spielraum mehr für die Gestaltung der
Politik. Aber das ist - mit Verlaub gesagt - der Anspruch einer rotgrünen Regierung: Gestalten und nicht
Verwalten.
Mit der mittelfristigen Finanzplanung hat das Kabinett eine solide Grundlage zur Umsetzung des Sparpaketes verabschiedet, um so zu verhindern, daß die Generationen der Zukunft die Schulden bezahlen müssen.
Doch Voraussetzung für äußere Sicherheit - ich komme
jetzt auf einen anderen Sicherheitsbereich zu sprechen ist der innere Zusammenhalt der Gesellschaft, der nur
auf Solidarität beruhen kann. Unser Haushaltskonsolidierungskonzept strebt daher soziale Gerechtigkeit an
und trägt zum sozialen Frieden zwischen den Generationen in unserem Land bei.
({7})
Nun gibt es Kollegen aus der Opposition - ich nenne
zum Beispiel den Kollegen Breuer -, die sagen, der Einzelplan 14 solle aus der Konsolidierung herausgenommen werden. Sie sagen weiter, der Verteidigungshaushalt werde als „Steinbruch“ benutzt.
({8})
Sie sind der sicherheitspolitischen Strukturanpassung
ausgewichen. Der Steinbruch ist doch das Ergebnis der
Politik der letzten Jahre von Herrn Waigel.
({9})
Fakt ist: Die Bundeswehr wurde in den vergangenen
Jahren nur bedingt umstrukturiert. Sie haben die Bundeswehr in die Sackgasse geführt. Dafür müssen und
dürften Sie sich verantwortlich fühlen.
({10})
Sie haben durch Ihr konzeptloses Herumdoktern die
Soldaten und deren Familien sowie die betroffenen Gemeinden und Regionen verunsichert.
Um diesen Irrweg in die Planungsunsicherheit endlich zu beenden, ist es richtig, daß die Kommission
„Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“
eingesetzt wurde. Es ist auch richtig, daß diese bereits
im Mai Konzepte vorlegt, um dann endlich einen Reformansatz zu präsentieren, der wieder Planungssicherheit für die Soldaten verspricht.
Gewundert hat mich nicht, daß die Soldaten unruhig
werden. Sie erleben zum Beispiel im täglichen Einsatz,
daß diese Regierung jetzt gezwungen ist, die Versäumnisse der Vergangenheit sehr schnell zu korrigieren.
Nach den Jahren der Reformunwilligkeit bekommt die
Bundeswehr jetzt die Langzeitperspektive für das nächste Jahrtausend. Sie können noch solange dagegen reden, wie Sie wollen: Dieser Punkt steht auf der politischen Tagesordnung, und dem werden wir nachkommen.
Frau Kollegin,
es besteht der Wunsch der Kollegin Volquartz nach
einer Zwischenfrage.
Ja,
gerne.
Frau Beer, eine
Frage zu den letzten sicherheitspolitischen Strukturüberlegungen: Ist es richtig, daß Sie damals gesagt haben, Schleswig-Holstein solle nach Möglichkeit bundeswehrfrei werden?
Ich
kann Ihnen darauf antworten, daß die letzten Strukturentscheidungen aus dem Jahr 1994 stammen. Der ehemalige Verteidigungsminister hat es aber nicht geschafft, sein Konzept umzusetzen.
({0})
Ich unterstreiche es noch einmal: Die Politik des
Streichkonzerts nach Waigel wird beendet.
Um auf das letzte Wochenende zu sprechen zu kommen: Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn Soldaten
demonstrieren, auch nicht, wenn sie das in Uniform
tun. Ich habe auch nichts dagegen, daß ein außerordentlicher Verbandstag einberufen wird, um gegen die Bundesregierung zu demonstrieren. Eines aber will ich Ihnen sagen: Diese parteipolitische Instrumentalisierung
der Bundeswehr kennen wir seit Jahren. Wir haben dies
als Opposition immer kritisiert.
({1})
Damit tut weder der Bundeswehr-Verband, damit tun
auch Sie der Bundeswehr keinen Gefallen.
({2})
Sie verlangen von uns, daß wir strukturkonservativ
eine gescheiterte Strukturpolitik weiter betreiben. Und
das werden wir nicht tun.
({3})
- Entschuldigung, das Motto des Bundeswehr-Verbandes ist doch: Rettet, was nicht zu retten ist! Das ist
doch Kamikaze-Politik. So etwas können Sie doch nicht
ernsthaft von uns einfordern.
({4})
Minister Scharping hat in der letzten Woche, aber
auch heute hier im Plenum deutlich gemacht, welchen
Reformbedarf die Bundeswehr hat. Diesem Bewußtsein für einen Reformbedarf können Sie, Herr Breuer,
nicht mit der Behauptung entgegnen, das einzige, was
der Bundeswehr fehle, sei mehr Geld. Was Sie uns vorschlagen, läuft auf Reaganomics hinaus: auf die Steigerung des Verteidigungshaushaltes bei gleichzeitigem
Abbau der sozialen Leistungen. Das widerspricht dem
Konzept unserer Regierung.
Sie neigen dazu, in dieser Debatte recht drastische
Worte zu verwenden, um darüber hinwegzutäuschen,
daß Sie keine politischen Konzepte haben. Ich möchte
einige Äußerungen zitieren und hoffe, dadurch nicht Ihr
Redekonzept durcheinanderzubringen, weil Sie sich
wiederholen würden.
Sie meinen, „der Bundeswehr gehe es jetzt richtig ans
Fell“. Die „Regierung betreibe Sicherheitspolitik nach
Kassenlage“, ohne Sinn und Verstand. Sie reden von
„Buchungstricks, Täuschungsmanövern und Irreführung
der Öffentlichkeit“,
({5})
Minister Scharping sehen Sie als „Konkursverwalter der
Bundeswehr“. - Ich glaube, ich habe Sie richtig zitiert.
Herr Breuer, sollte es einen Konkursverwalter geben,
so müßte in der Firma schon vorher etwas sehr falsch
gelaufen sein; denn sonst braucht man keinen Konkursverwalter. Sie wissen es sehr gut: Die Fehler liegen bei
Ihnen selbst.
({6})
Wir sind gezwungen, durch neue Konzepte aus diesem
Steinbruch herauszufinden, und das werden wir tun.
({7})
Herr Breuer, Sie führen immer wieder das gleiche
Argument an: „Die Bundeswehr wird zur Abbruchbude.
Der deutsche Einfluß im Rahmen der NATO und Europas wird schwinden.“
({8})
Mit Verlaub, das ist weder stimmig noch triftig. Das beschreibt lediglich jenen Zustand, den wir von Ihnen
übernommen haben. Es ist der Offenbarungseid dafür dies war längst überfällig -, daß dieser Zustand durch
Ihre Politik verursacht wurde und Sie auch heute nicht
anders damit umzugehen wissen, als relativ niveaulos
immer wieder die gleichen Vokabeln anzuführen. Nur,
dadurch werden diese Aussagen nicht richtiger.
({9})
Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Rühe hat
als Äquivalent zu Waigels Streichkonzert das Konzept
„Schieben, strecken, streichen“ bis zur Perfektion betrieben. Daß dadurch die Probleme nicht zu lösen sind,
sondern auf die lange Bank geschoben werden und sich
dadurch verschärfen, bekommen wir als die jetzt für den
Haushalt Verantwortlichen, aber auch die Soldaten bei
ihrem täglichen Einsatz zu spüren.
Sie werfen uns vor, wir würden in der Sicherheitspolitik die „zweite Liga“ ansteuern.
({10})
Das Gegenteil ist der Fall: Die Bundesrepublik
Deutschland beteiligt sich an der europäischen Sicherheitspolitik in großem Maße, zum Beispiel an dem Stabilitätspakt für Südeuropa.
Ich sage es Ihnen ganz deutlich, Herr Breuer und Herr
Austermann: Wer den Anspruch hat, eine präventive
Außen- und Sicherheitspolitik zu formulieren und zu
betreiben - das heißt auch: zu finanzieren -, und wem es
gelingt, gewaltträchtige Konflikte frühzeitig zu moderieren und den Ausbruch von Kriegen zu verhindern, der
wird mit Sicherheit eher zur „Lead nation“ und trägt
mehr zur Sicherheit in Europa bei als der, der sich konzeptionslos auf militärische Abenteuer einläßt.
Über Jahre hinweg hat die CDU/CSU-geführte Bundesregierung die Konsequenzen, die wir heute ziehen
wollen, nicht gezogen: Sie hat auf eine strategische
Neuausrichtung verzichtet. Sie, Herr Austermann, waren damals als Haushaltsexperte verantwortlich. Sie
hatten vor, so viel Personal, so viel Infrastruktur und so
viel Rüstung in der Planung zu halten wie nur irgend
möglich. Mit diesem Konzept sind Sie seit Jahren mit
dem Helm an die Decke gestoßen. Das ist keineswegs
eine Erscheinung, die der rotgrünen Regierung angelastet werden kann.
Auch der von Ihnen praktizierte Vorwurf, die Bundesrepublik gebe im Vergleich zu anderen Bündnispartnern zu wenig für ihre Streitkräfte aus, ist meines Erachtens nicht haltbar.
({11})
Die USA haben ja die lange Tradition, uns Europäer im
Rahmen der Lastenverteilung zu höheren Verteidigungsausgaben aufzufordern. Das kennen wir. Aber sehen Sie sich einmal den jüngsten Bericht zur Lastenverteilung im Bündnis an, der dem Pentagon vorgelegt
worden ist: Das Kriterium des prozentualen Anteils der
Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt ist nur
ein Kriterium. Eine faire Beurteilung des deutschen
Beitrages zur Stabilisierung im Osten und im Südosten
Europas fließt dort in die Bewertung ein. Auch Sie wissen: Mit Statistiken kann man so ziemlich alles belegen;
es kommt lediglich darauf an, welche Zahlen man sich
heraussucht.
({12})
Ich bezweifle, daß man an solchen Kriterien, wie sie
im Moment in den Raum gestellt werden, die Angemessenheit und Effizienz von Sicherheitspolitik oder auch
nur den daraus abgeleiteten politischen Einfluß im
Bündnis und in Europa beurteilen kann. Ich glaube, daß
das zu kurzsichtig ist.
Ich will noch auf die Konsequenzen, die wir aus dem
Kosovo-Krieg gezogen haben, eingehen. Wir werden
der Verpflichtung nachkommen, nicht „Lead nation“ im
militärischen Sinn zu werden; wir werden nicht - wie
Sie sich das möglicherweise wünschen - militärisch
gleichwertig mit den Amerikanern auf Platz 1 klettern.
Wir sehen - auch der Bundeswehr gegenüber - bei der
Verpflichtung zur Umstrukturierung ein Junktim mit der
Verpflichtung, die Instrumente ziviler Krisenprävention auszubauen. Ich weiß, daß Sie diese Vokabel nicht
kennen; Sie haben jahrelang darauf verzichtet, die notwendigen Instrumente auszubauen.
Die Konsequenz aus dem Krieg und aus unserer Verantwortung, Soldaten in einen solchen Konflikt zu
schicken
({13})
- das finden Sie im Haushalt -, muß sein, daß wir dort
umsteuern. Das Konzept der präventiven Außen- und
Sicherheitspolitik bietet nicht nur den Krisenregionen in
Europa mehr Sicherheit; eine Umgestaltung der Bundeswehr wird mit einer dann adäquaten Ausrüstung auch
den Soldaten mehr Sicherheit geben. Wir werden, wenn
der Bericht der Strukturkommission vorliegt, in dieser
Regierung genau diesen Weg gehen. Da können Sie versuchen zu spalten, wie Sie wollen: Spaltungsstrategie
kann Konzeptionslosigkeit nicht verdecken; das wird
Ihnen nicht gelingen.
({14})
Ich glaube, daß es gut ist, daß wir nicht nur über
Zahlen diskutieren, sondern daß wir - angesichts der
Herausforderungen und der Veränderung der europäischen Sicherheitssituation - eine offene Debatte führen.
Ich bin überzeugt, daß es der richtige Weg ist, die Maulkorbstrategie, die von Ihnen über Jahre zu verantworten
war und dazu diente, das Fehlen von Konzepten zu verdecken, zu verlassen. Ich bin sicher, daß es für die Zukunft richtig ist, gemeinsam mit der Bundeswehr zu diskutieren. Ich halte es für falsch, die Bundeswehr gegen
die Politik aufzuhetzen. Wenn Sie Bundeswehrsoldaten
gegen den eigenen Verteidigungsminister aufhetzen,
dann tragen Sie zu einer Zuspitzung bei, die nach hinten
losgeht, die nicht Sicherheit schafft, sondern die zur Destabilisierung beiträgt.
Ich glaube, daß der Weg richtig ist, den Verteidigungsminister Scharping gegangen ist, indem er die
Kürzungen, die für das Jahr 2000 vorgesehen sind, hier
zur Diskussion stellt. Wir müssen diesen schweren Weg
gehen; wir Grünen werden weiter für die Kürzungen im
Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung eintreten. Ich
glaube, daß wir im guten Konzert mit den anderen
Bündnispartnern sind, wenn wir einer Bundeswehr, die
noch einer überdimensionierten Dinosaurier-Armee
gleicht, den größten Gefallen tun, wenn wir kreativ, aber
verantwortlich gemeinsam eine Struktur für das nächste
Jahrtausend entwickeln.
Daß Sie dazu nicht bereit sind, haben Sie deutlich
gemacht. Sie haben sich geweigert, die Einsetzung der
Strukturkommission durch Verteidigungsminister
Scharping zu unterstützen. Sie haben gesagt: Das ist
Quatsch; das ist kein Instrument. Jetzt ende ich mit dem,
womit ich meine Rede begonnen habe: Sie haben durch
Ihre Konzeptionslosigkeit den politischen Alltag aus den
Augen verloren. So, wie Sie jetzt weitermachen wollen
- darüber werden wir gleich noch etwas hören -, werden
Sie nicht den sicherheitspolitischen Anschluß an Europa
erreichen.
({15})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren den Haushalt der Bundeswehr in einer Zeit, in der die Bundeswehr sehr viel Zustimmung und Sympathie in unserer
Bevölkerung erfährt. Das war nicht immer so. Ich denke,
wir alle - vielleicht außer der PDS und großer Teile von
Bündnis 90/Die Grünen; die Rede der Kollegin Beer hat
dies bewiesen - sind froh, daß es Zustimmung in unserer
Bevölkerung zur Bundeswehr gibt.
({0})
Sie, Herr Verteidigungsminister - er hat wieder auf
der Regierungsbank Platz genommen -, haben besonders durch Ihre Aussagen zur Finanzierung der Bundeswehr zu Beginn dieser Legislaturperiode, so meine
ich, zu Recht sehr viel Zustimmung bei der Truppe erfahren. Sie haben jedoch nicht nur aus der Truppe Zustimmung erfahren, sondern auch von den Oppositionsparteien F.D.P. und CDU/CSU; denn wir haben - daran
darf erinnert werden - dem Etat 1999, Ihrem Etat, unsere Zustimmung gegeben.
Jede kritische Frage aus den Reihen der Opposition,
ob Sie, Herr Verteidigungsminister, Ihr Versprechen einhalten werden, daß der Etat der Bundeswehr
im Rahmen des Haushaltsentwurfs 2000 nicht doch
reduziert wird, haben Sie mit der Bemerkung abgeblockt:
Die Koalition hat sich verpflichtet, der Bundeswehr
zunächst die notwendige Sicherheit zu geben. Jeder, der das in seinen Reden in Zweifel zieht, redet
gegen die erklärte Politik der Bundesregierung. Das
soll klar ausgesprochen werden.
So hat sich Rudolf Scharping wörtlich geäußert. Das ist
noch nicht lange her.
Jetzt aber stellt Bundesfinanzminister Eichel den
Verteidigungsminister bloß. Das, glaube ich, wäre nicht
notwendig gewesen; denn daran ist der Verteidigungsminister selber nicht ganz schuldlos. Herr Bundesverteidigungsminister, Sie müssen sich fragen lassen, warum
Sie im Kabinett den Vorschlägen von Herrn Eichel Ihre
Zustimmung gegeben haben, um dann anschließend
landauf, landab in Interviews und Reden die Reduzierung des Bundeswehretats anzuprangern, obwohl Sie
doch im Kabinett selber dafür gestimmt haben.
({1})
Die Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen haben sich auf die mehrfach gegebene Zusage des Bundesverteidigungsministers verlassen, daß es keine Kürzungen geben werde. Deshalb trifft das Diktat des Bundesfinanzministers, der Bundeswehr erneut Milliardenbeträge wegzunehmen, diese völlig überraschend und
völlig unvorbereitet. Diese Kürzungen - das möchte ich
mit Blick auf die Auslandseinsätze sagen - werden auch
zu dem denkbar ungünstigsten Zeitpunkt vorgenommen.
Nun wäre es unredlich - das ist hier schon angesprochen worden -, nicht darauf hinzuweisen, daß auch die
alte Koalition zur Konsolidierung des Gesamtetats den
Bundeswehretat gekürzt hat. Wir haben das damals
sehr bedauert. Es wäre unredlich, wenn wir das nicht
eingestehen. Herr Eichel - das muß man hier ganz offen
sagen - macht eigentlich nichts Neues. Was er vorhat,
gab es teilweise auch schon in der Vergangenheit.
Nur, Herr Bundesverteidigungsminister, wenn die
Bundeswehr - wir Freien Demokraten bestreiten das
nicht - schon seit langem unterfinanziert ist, stellt sich
die Frage: Wieso haben Sie, der heutige Verteidigungsminister, es früher als SPD-Fraktionsvorsitzender zugelassen, daß die SPD-Bundestagsfraktion bei den Haushaltsberatungen zusätzliche Anträge gestellt hat, um den
Bundeswehretat noch mehr zusammenzustreichen?
({2})
Deswegen ist der Hinweis von Ihnen auf die Politik der
alten Koalition nicht korrekt.
Jetzt, da sich die Bundeswehr verstärkt an Auslandseinsätzen beteiligt, ist eine radikale Reduzierung
des Verteidigungsetats - ich wiederhole - unverantwortlich. Wer will ausschließen, daß die Haushälter der
rotgrünen Koalition noch einmal eine Streichorgie im
Verteidigungsetat inszenieren, wie sie es auch beim
letzten Etat veranstaltet haben? Von Ihren Regierungskollegen haben Sie, Herr Bundesverteidigungsminister,
bei den Haushaltsberatungen wirklich nichts Gutes zu
erwarten; denn auch bei den letzten Haushaltsberatungen haben Ihnen allein die Haushalts- und Verteidigungspolitiker der F.D.P. und der Union zur Seite gestanden.
Nun mag der eine oder andere sagen: Nein, das
stimmt alles gar nicht, hier überzieht der Abgeordnete
der F.D.P. Ich möchte deshalb aus dem „Tagesspiegel“
von gestern zitieren - das ist sehr amüsant zu lesen -:
In den vergangenen Wochen ist es über den Sparkurs zu Spannungen zwischen Scharping und den
Haushaltspolitikern der rot-grünen Regierungsfraktion gekommen. Die zuständigen parlamentarischen
Berichterstatter Volker Kröning ({3}) und Oswald
Metzger ({4}) zeigten sich auch öffentlich verärgert über den ihrer Ansicht nach ungenügenden
Sparwillen des Verteidigungsministers.
- Man höre!
In Kreisen der koalitionären „Sparkommissare“
wird Scharping nach Tagesspiegel-Informationen
vorgeworfen, er betreibe Oppositionspolitik in der
Regierung. Dabei arbeite er mit der Opposition zusammen …
So steht es im „Tagesspiegel“. Wir haben also noch
einiges zu erwarten.
Ich will eine kurze Bemerkung zur Rede der Kollegin
Beer machen. Es war wirklich sehr anstrengend, ihr zuzuhören. Ich kenne die Kollegin Beer schon sehr lange,
und ich bin der Kollegin Volquartz ausgesprochen
dankbar für dieses Zitat gewesen. Die Kollegin Beer
wollte Schleswig-Holstein wirklich zur bundeswehrfreien Zone machen. Kollegin Beer, ich weiß, woher Sie
kommen. Ich glaube, früher waren Sie bei den Marxisten-Leninisten. Ich sage es einmal ganz einfach: In der
Vergangenheit haben Sie das System sprengen wollen,
heute sprengen Sie vielleicht noch den Rasen, und den
Rest reagieren Sie hier ab.
({5})
Selbstverständlich sind wir Freien Demokraten bereit,
das Gesprächsangebot über eine Neuausrichtung und
eine Verbesserung der Bundeswehr, das der Verteidigungsminister an die Opposition gerichtet hat, anzunehmen. Herr Verteidigungsminister, dazu gehört die
Bereitschaft, Vorschläge aus der Opposition unvoreingenommen zu diskutieren. Auch wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt.
Es muß weiterhin das kontinuierliche Gespräch der
für den Verteidigungsetat zuständigen Abgeordneten
geben. Das hat es in der Vergangenheit immer gegeben.
Manch Kritisches - Herr Verteidigungsminister, ich bestreite nicht, daß es das gab - haben wir in dem sogenannten Bewilligungsausschuß gemeinsam - SPD,
CDU/CSU und F.D.P.; die Grünen will ich außen vor
lassen, sie wollten sich daran nicht beteiligen - ausgebügelt. Wir haben dort manches korrigieren können.
Ich darf folgendes in Erinnerung rufen: Mit Beginn
dieser Legislatur hat der Haushaltsausschuß, auch mit
den Stimmen der Koalition, beschlossen, diese Einrichtung fortzusetzen - um diese Gesprächsrunde dann in
der nächsten Sitzung des Haushaltsausschusses auf Vorschlag des Kollegen Kröning total abzuschaffen. Uns
fehlen deswegen viele Informationen aus dem Bereich
Verteidigung, und es fehlt das Gespräch unter den Abgeordneten. Diese Runde ist ohne erkennbaren Grund
beendet worden. Ich bedaure das außerordentlich, weil
wir dort viel Gutes für die bei der Bundeswehr Beschäftigten und ihre Angehörigen geleistet haben.
Sie, Herr Bundesverteidigungsminister, haben vor der
Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg gesagt,
der Bundeswehr fehlten elementare Fähigkeiten, um
einen wirkungsvollen und international angemessenen
Beitrag zur kollektiven Verteidigung und bei Kriseneinsätzen zu leisten. Umfang, Zusammensetzung und
Ausrüstung genügten nicht den gewachsenen Aufgaben,
so Rudolf Scharping vor wenigen Tagen.
Wenn dem so ist - ich glaube, daß Sie die Situation
durchaus richtig beschrieben haben -, dann frage ich
mich: Wieso konnten Sie im Kabinett dem Etat zustimmen? Warum haben Sie, Herr Verteidigungsminister,
vor der entscheidenden Kabinettssitzung nicht das klärende Gespräch mit dem Bundeskanzler gesucht und
ihm die Situation der Bundeswehr geschildert?
Sie haben uns heute erklärt, Ihr Verhältnis zum Bundeskanzler sei ganz hervorragend. Wenn das so ist, dann
geht man doch zu diesem Mann hin, schildert ihm die
Situation der Bundeswehr und sagt: Gerhard, hör mal
zu, so geht es nicht, wir können nicht streichen! Das haben Sie nicht getan, und deswegen glaube ich
nicht, daß Ihr Verhältnis zum Bundeskanzler ausgesprochen gut ist, wofür ich übrigens Verständnis habe.
({6})
Ich komme zu einigen konkreten Punkten, die uns
auch bei den Beratungen beschäftigen werden. Herr
Bundesminister, wie wollen Sie bei diesem Etat eigentlich eine Wehrsolderhöhung durchführen? Wie wollen
Sie endlich die unerträgliche und ungerechte Diskrepanz
in der Besoldung zwischen Soldaten in West und Ost
beseitigen?
({7})
Wir können doch nicht mehr von der Armee der Einheit
sprechen, solange die ungleiche Besoldung der Soldaten aus Ost und West nicht beseitigt wird. Wie wollen
Sie die notwendigen Investitionen bei der Bundeswehr
bezahlen? Wie sollen die Beschaffungsmaßnahmen
finanziert werden?
Wir werden uns auch darüber unterhalten müssen,
welche Konsequenzen dieser Etat mit seinen Einsparungen für die deutsche wehrtechnische Industrie hat. Ich
darf daran erinnern: Jede Milliarde DM, die bei den Investitionen in die Wehrtechnik gekürzt wird, kostet dort
20 000 Arbeitsplätze.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen und
müssen seit der deutschen Einheit außenpolitisch in der
ersten Reihe sitzen. Das hat sich besonders beim Kosovo-Konflikt gezeigt. Wenn das so ist, dann kann man
nicht akzeptieren, daß der Bundeswehr jetzt so viele
finanzielle Mittel genommen werden, daß wir nur noch
ein zweitrangiger Bündnispartner sind.
Wir Freien Demokraten können auch nicht akzeptieren, daß der Bundesfinanzminister und Mitglieder der
rotgrünen Koalition erklären, auch die Bundeswehr
müsse ihren Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen leisten. Diesen Beitrag hat die Bundeswehr schon
mehrfach erbracht. Wenn der Bundesverteidigungsminister sagt, die Bundeswehr sei schon seit Jahren unterfinanziert und könne ihren Aufgaben kaum noch nachkommen, dann ist es - Herr Verteidigungsminister, ich
sage das noch einmal ausdrücklich - unverantwortlich,
daß Sie diesem Etat im Kabinett zugestimmt haben.
Wenn dieser Entwurf des Verteidigungsetats der rotgrünen Koalition wirklich das letzte Wort sein sollte,
dann wird die Handlungsfähigkeit der Bundeswehr
erheblich eingeschränkt werden. Die finanziellen Mittel,
die wir der Bundeswehr zur Verfügung stellen, müssen
sich doch nach den verteidigungspolitischen Aufgaben
und nicht nach der Kassenlage richten.
({8})
Wenn dieser Entwurf des Verteidigungsetats Wirklichkeit werden sollte, dann wird Ihre Glaubwürdigkeit, Herr Bundesverteidigungsminister, erheblich beschädigt. Ein Verteidigungsminister, der bei den Angehörigen der Bundeswehr keine Glaubwürdigkeit mehr
hat, sollte sich dann allerdings fragen, ob er noch sein
Amt als oberster Dienstherr unserer Streitkräfte wahrnehmen kann. Insofern, Herr Bundesverteidigungsminister, war es vielleicht auch symbolisch, daß Sie eben
schon eine Zeitlang auf Ihrem Abgeordnetenplatz gesessen haben.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({9})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Heidi Lippmann.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Nach all der Kritik, die es in dieser
Debatte an den erzwungenen Sparmaßnahmen der
Hardthöhe gegeben hat, sollten wir objektiverweise
einige Entwicklungen anerkennen.
Erstens. Herr Minister Scharping ist trotz erzwungener Etatkürzungen noch nicht zurückgetreten, wie er es
zu Beginn seiner Amtszeit angedroht hatte.
Zweitens. Einsparungen im Rüstungshaushalt sind
möglich, obwohl bisher immer das Gegenteil behauptet
wurde.
({0})
Doch leider wird dies nicht als Chance zur Abrüstung
und Entmilitarisierung begriffen.
Drittens. SPD und Grünen ist es gelungen, in weniger
als zwölf Monaten einen Paradigmenwechsel in der
außen- und sicherheitspolitischen Orientierung ihrer
beiden Parteien zu vollziehen. Während Grüne und Sozialdemokraten noch vor wenigen Jahren die drohende
Militarisierung der Außen- und Sicherheitspolitik befürchteten und dies auch oft genug in diesem Parlament
berufen haben, treiben sie diese heute mit allen Mitteln
voran; denn sie haben mittlerweile an der neuen machtpolitischen Rolle des neuen Deutschland Gefallen gefunden.
({1})
Statt, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, auf
zivile Mittel der Krisenvorbeugung umzuschalten, setzen Sie das fort, was unter den Ministern Rühe und Kinkel begonnen wurde, nämlich Außen- und Sicherheitspolitik mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Der
Herr Verteidigungsminister ist hier vorhin schon einmal
mit dem zitiert worden, was er am 9. September sagte:
Die politische Führung unseres Landes muß gemeinsam entscheiden, was aufzuwenden ist, um
dem außenpolitischen Gestaltungsanspruch der
Bundesregierung durch Bereitstellung angemessener militärischer Mittel Geltung zu verschaffen.
Nach dem, was wir in den vergangenen Monaten von
der Regierung in der Außen- und Sicherheitspolitik erlebt haben - ich nenne hier nur die Stichworte Kriegsbeteiligung, neue NATO-Strategie und EU-Militärunion -,
wird es kaum jemanden wundern, daß heute der
außenpolitische Gestaltungsanspruch mit militärischen
Mitteln umgesetzt werden soll.
Doch im Gegensatz zu Ihnen, Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, ist für uns nicht alles
Schnee von gestern, was Sie vor der Machterlangung
gesagt haben. Wir haben nicht vergessen, daß Bündnisgrüne noch vor einigen Jahren die Abschaffung der
Bundeswehr und der NATO gefordert haben und daß
sie Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte verbieten
wollten. Wir haben nicht vergessen, daß Sozialdemokraten und Grüne die zivile Konfliktbewältigung zu
einem Schwerpunkt ihrer Außen- und Sicherheitspolitik
erklärt hatten.
({2})
Auch haben wir nicht vergessen, daß sie sich massiv gegen eine Interventionspolitik mit militärischen Mitteln
zur Friedenserzwingung ausgesprochen hatten.
Der von Ihnen selbst zu verantwortende Scherbenhaufen, vor dem Sie stehen, ist so groß, daß Sie kaum
noch über ihn hinwegblicken können. Die Wahlergebnisse der vergangenen Wochen und Monate sind hierfür
auch ein Beweis. Sie haben nicht nur nahezu alle Politikziele und Wahlversprechen, die Sie noch vor einem
Jahr lautstark verkündet haben - Sie erinnern sich
sicherlich noch an Ihre Wahlkampfparolen -, verraten,
sondern Sie haben auch Ihre Glaubwürdigkeit verloren.
Dadurch tragen Sie ganz massiv zu der zunehmenden
Politikverdrossenheit bei.
({3})
Ein Meilenstein in Ihrer einjährigen Regierungsgeschichte ist die deutsche Beteiligung an einem Bombenkrieg der NATO. Damit sind Sie einen ganz entscheidenden Schritt gegangen, den die Kohl-Regierung Ihnen
überlassen hatte. Das war eine deutsche Beteiligung an
einem NATO-Krieg, der durch Völkerrecht und Grundgesetz nicht gedeckt war.
Der Haushalt, den wir heute hier beraten, ist der erste
nach den Luftangriffen der NATO gegen Jugoslawien, die auch der erste Krieg deutscher Soldaten nach
1945 waren. Dieser Krieg war aus vielen Gründen teuer.
Er hat nicht nur viele Menschenleben gekostet, Infrastrukturen zerstört und ein umweltpolitisches Desaster
auf dem Balkan angerichtet, sondern er hat auch aus
finanzieller Sicht einen enorm hohen Preis. Wenn wir
seine Langzeitfolgen einrechnen, kostet er ein Vermögen, mit dem man viele Krisenherde der Welt friedlich
bereinigen könnte. Doch statt die durch das Militärische
gebundenen Ressourcen nun schrittweise in zivile Konfliktvorbeugung umzuleiten, ist die Bundesregierung
willens, an der Hochrüstung festzuhalten.
Natürlich hat auch der Verteidigungsminister Einsparungen hinnehmen müssen. Doch im Gegensatz zu anderen Ressorts erhält er zusätzliche Mittel durch den
Finanzminister, so zum Beispiel die Kriegskosten, für
die in diesem Jahr 800 Millionen DM und im nächsten
Jahr 2 Milliarden DM im Einzelplan 60, der Allgemeinen Finanzverwaltung, veranschlagt sind.
({4})
Bereits jetzt ist im Gespräch, Kollege Nachtwei, daß
auch militärische Großprojekte über den Einzelplan 60
finanziert werden sollen.
({5})
Daß Erhöhungen im investiven Rüstungsbereich erforderlich sind, ergibt sich zwangsläufig aus dem Anspruch, Deutschland zu einer kriegführenden Macht innerhalb eines neuen Militärblocks Europa zu machen. Es
hat seinen Preis, wenn Europa rüstungstechnologisch an
die USA herankommen will. Das neue Satellitensystem,
neue Transportflugzeuge und natürlich auch der Eurofighter werden unzählige Milliarden verschlingen, von
denen Sie heute noch nicht wissen, wie Sie sie finanzieren wollen. Wir befürchten, daß diese zusätzlichen, über
den bisherigen Rüstungsetat von 45 Milliarden DM
hinausgehenden zig Milliarden zu Lasten des Sozialstaats gehen werden und daß Herr Riester erneut Federn
lassen wird.
Angesichts von vier Millionen Arbeitslosen und angesichts der drastischen Einsparungen im sozialen Bereich, die gerade durch Ihr Sparpaket deutlich werden,
sind die Einsparungen im Verteidigungshaushalt, die Sie
hier so lautstark bejammern, Peanuts, Ihre Planungen im
Rüstungsbereich allerdings Größenwahn. Dies werden
wir auf keinen Fall mitmachen. Im Gegenteil, wir wollen die Rüstungsausgaben schrittweise einschränken, um
langfristig mehr Spielräume für den Sozialstaat zu haben.
Mit der sogenannten Weizsäcker-Kommission zur
Zukunft der Bundeswehr bestünde eine realistische
Chance, endlich in einen geordneten, sozialverträglich
gestalteten Prozeß der Rüstungsminderung einzutreten.
Die dazu überfälligen grundlegenden Strukturreformen
könnten auf den Weg gebracht werden. Dabei darf es
aber nicht darum gehen, den Ausbau interventionsfähiger High-Tech-Streitkräfte durch Einschnitte bei den
Personalausgaben zu finanzieren; denn das wäre keine
Abrüstung, sondern eine qualitative Umrüstung.
Die PDS ist nicht bereit, diese militärische Großmachtpolitik mitzutragen, die zu einem qualitativen
Wettrüsten, zu neuen kostspieligen Rüstungsrunden,
zum Wettlauf bei Rüstungsexporten, zu völkerrechtswidrigen gewalttätigen Interventionen, zu allzeit bereiten schlagkräftigen Truppen und Bomben, die weltweit
eingesetzt werden, führt.
({6})
Was wir brauchen, ist eine neue gesellschaftliche Debatte über die außenpolitische Rolle der Bundesrepublik. Der Kosovo-Konflikt hat klar die Auffassung bestätigt, daß Krieg in aller Regel kein geeignetes Mittel
der Konfliktbewältigung ist. Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie die Zukunft durch Abrüstung gesichert
werden kann, und darüber, wie eine gerechtere Arbeitsund Sozialpolitik, eine vernünftige Bildungspolitik und
eine gerechte internationale Wirtschaftspolitik Gewalt
und Konflikte verhindern können. Investieren wir Milliarden und nicht nur ein paar Millionen in zivile Konfliktbearbeitung, um Alternativen zu Militär, Rüstung
und ihrer gesamten Tötungsmaschinerie zu entwickeln!
Dies ist die vordringliche Aufgabe, die es zu bewältigen
gilt. Hierzu brauchen wir dringend eine breit geführte
Debatte in der Gesellschaft. Die PDS ist bereit, ihren
Anteil dazu zu leisten. Wir suchen das Gespräch mit
Bürgern und Bürgerinnen, Experten und Expertinnen
und den Betroffenen, also den Soldaten, auf deren Rükken diese unsägliche Debatte geführt wird.
Das 21. Jahrhundert darf nicht von Gewalt und Militär geprägt sein, sondern muß mit zivilen und nichtmilitärischen Mitteln gestaltet werden.
Frau Kollegin,
Ihre Redezeit!
Noch ein persönliches
Nachwort an die Kollegin Beer, Frau Präsidentin: Als
ehemalige Parteifreundin schäme ich mich dafür, daß
Sie all das, was sie zehn Jahre lang in diesem Parlament
vertreten haben, mit Ihrer heutigen Rede einmal mehr
verraten haben.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Zumkley.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die zu erbringenden Einsparungen
bei der Bundeswehr sind schmerzhaft. Es führt aber kein
Weg daran vorbei. Auch die Bundeswehr muß ihren
Beitrag zu der unabweisbar notwendigen Konsolidierung der Staatsfinanzen leisten.
({0})
Wer glaubt, man könne den Verteidigungshaushalt ausnehmen, wie Sie von der Opposition es fordern, der soll
das der Bevölkerung einmal erklären. Ich wünsche dabei
viel Vergnügen.
({1})
Die Defizite und Auswirkungen der verfehlten Politik
der Vergangenheit sind so nachhaltig, daß sie den Verteidigungshaushalt 2000 noch spürbar beeinflussen. Die
nicht unerheblichen Mittel für Auslandseinsätze mußten früher aus dem Einzelplan 14 erwirtschaftet werden.
Dies hat bis heute zu zusätzlichen Einbrüchen in der
materiellen Ausstattung und zu erheblichen Engpässen
in der Materialversorgung geführt. Bereits im April
1998 haben ich und andere im Parlament auf diese verfehlte Politik hingewiesen. Auch Karl Feldmeyer schrieb
in der „FAZ“ vom 18. Januar 1998 zutreffend:
Der Minister will
- das war Rühe eine politisch pannenfreie und lautlos funktionierende Bundeswehr gewährleisten.
Diese Verschleierungspolitik wird bis heute von der
CDU und F.D.P. rückwärtsgerichtet fortgesetzt.
Wer, meine Damen und Herren, in Zusammenhang
mit unserer Bundeswehr auf einem außerordentlichen
Verbandstag des Deutschen Bundeswehr-Verbandes
nach dem Motto „Haltet den Dieb!“ mit Schaum vor
dem Mund spricht, so wie es die Kollegen Breuer und
Nolting getan haben, der betreibt eine polemische Politik und versucht, die Streitkräfte parteipolitisch zu mißbrauchen und von eigenen schwerwiegenden Fehlern in
der Vergangenheit abzulenken.
({2})
- Lassen Sie sich einmal von Herrn Nolting sagen, Herr
Kollege, was er geäußert hat: „Bananenrepublik“ und
ähnliches.
({3})
Sie haben doch den Verteidigungshaushalt als Steinbruch mißbraucht und nach Kassenlage Kürzungen in
den laufenden Haushaltsjahren gegenüber der Planung
vorgenommen. In den Jahren 1991 bis 1998 haben Sie
den Verteidigungshaushalt um 11,2 Milliarden DM gekürzt.
({4})
Die jährlichen Zahlen kennen Sie; die habe ich Ihnen
schon vorgehalten. Daß auch wir diesbezügliche Anträge gestellt haben - Kollege Koppelin und andere haben
es jetzt auch wieder erwähnt -, ist ja wahr. Ich will Ihnen aber auch hierzu die Zahlen nennen: In der Zeit von
1994 bis 1998 haben Sie den Etat um 5,6 Milliarden DM
gekürzt. Wir haben demgegenüber Anträge, die Kürzungen in Höhe von 1,18 Milliarden DM vorsahen, gestellt.
({5})
- Nicht zusätzlich, sondern alternativ!
({6})
Wir würden heute fabelhaft dastehen, wenn Sie uns damals gefolgt wären und nicht auf Ihren Kürzungen bestanden hätten.
({7})
Für uns stellt sich nach der Bestandsaufnahme der
Zustand der Bundeswehr wie folgt dar - dabei wird
nichts verschleiert und beschönigt -: Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr ist, wie ich es sehe, noch nicht in
Frage gestellt. Die überwiegende Zahl der Großgeräte
und Waffensysteme hat die Grenzen ihrer Belastbarkeit
erreicht. Nur dem Engagement der Soldaten, der zivilen
Mitarbeiter, der politischen Leitung und der militärischen Führung ist es zu verdanken, daß die Bundeswehr
ihren Auftrag erfüllt. Dafür haben sie Dank und Anerkennung verdient.
({8})
Die durch den Verteidigungsminister vorgesehene
Auflösung der auferlegten Einsparung für 2000 ist von
allen denkbaren Möglichkeiten die beste. Übrigens, Soldaten sind auch Bürger, die Familie haben und zum Beispiel an einer guten Ausbildung ihrer Kinder interessiert
sind. Gesellschaftspolitische und auch finanzpolitische
Entwicklungen sind auch für die Angehörigen der Bundeswehr von großer Bedeutung.
({9})
Hätten Sie von der jetzigen Opposition in den vergangenen Jahren nicht ständig Einsparungen vorgenommen, würde es uns jetzt wesentlich besser gehen. Da
brauche ich nur auf den investiven Teil - um eine weitere Rubrik zu nennen - des Rüstungsbereichs hinzuweisen. Dort ist Ihre Bilanz nicht rosig. 1988 wurden noch
13,2 Milliarden DM für Investitionen ausgegeben. In
den Folgejahren haben Sie diesen Anteil ständig abge4918
baut. Die Ist-Ausgaben haben sich von 1991 bis 1997
ständig verringert, nämlich von 10,8 Milliarden DM auf
7 Milliarden DM.
({10})
- Das kommt gleich, Herr Kollege Austermann.
Erst 1998 steigen sie etwas, nämlich auf 8,1 Milliarden
DM. Das ist ein leichter Anstieg; da waren schließlich
Bundestagswahlen. Gemessen an diesen Daten, Herr
Koppelin, wird der investive Anteil trotz der Einsparungsauflagen zugunsten eines Zukunftsprogramms auf
annähernd gleichem Niveau gehalten. Im laufenden Jahr
werden 8,9 Milliarden DM investiert. Für 2000 sind 8,45
Milliarden DM geplant. Ein höherer Ansatz wäre mir
auch lieber; das gebe ich unumwunden zu. Ich habe aber
zur Zeit nicht den Eindruck, daß dies erreichbar wäre.
Wir werden weiterhin an dem Ziel der sozialen Verbesserung festhalten. Der Bundesminister hat zu Recht auf
den Abbau des Beförderungsstaus hingewiesen. Da wird
es massive materielle Verbesserungen geben, die wir für
wichtig halten, damit der Beförderungsstau, den Sie jahrelang hingenommen haben, endlich abgebaut werden
kann.
({11})
Im übrigen, Herr Austermann, empfehle ich Ihnen als
Haushälter, die Zahlen noch einmal nachzulesen. Die
Zahlen der Berufs- und Zeitsoldaten bleiben wie 1999;
da wird nicht gekürzt. Die Zahl der Wehrpflichtigen
vermindert sich um 6 000. Das sind ein paar weniger.
Da haben Sie recht. Aber es steht auch fest - das will ich
der Redlichkeit halber sagen -, daß wir nach wie vor wie bei Ihnen - 8 000 Berufs- und Zeitsoldaten weniger
als vorgegeben haben.
({12})
Das war bei Ihnen auch schon so; das ist kein Vorwurf.
Aber die Zahlen müssen stimmen. Ich darf mir als
Nichthaushälter einmal erlauben, einem Haushälter
einen solchen Rat zu geben.
Die Streitkräfte erhalten in den kommenden Jahren
jeweils 2 Milliarden DM für die internationalen Einsätze
zusätzlich aus dem Einzelplan 60 für Ausbildung, Materialerhaltung, Schutz und mehr. Bei Ihnen mußte dies
der Verteidigungsminister über die jährlichen Kürzungen hinaus zusätzlich erwirtschaften. Das hat die kräftigen Einschnitte in die geplanten Beschaffungsvorhaben
und den laufenden Betrieb beeinflußt.
Mit dem Haushaltsentwurf 2000 haben sich die Rahmenbedingungen für die Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ übrigens nicht
verändert. Eine zukunftsfähige Streitkräftereform
bleibt auch weiterhin notwendig. Struktur, Umfang,
Ausrüstung und Ausbildung der Bundeswehr sind umfassend zu planen. Schnellschüsse müssen dabei vermieden werden. Schließlich wird es sich um eine qualitative Reform handeln, die sorgfältiger Vorbereitung bedarf. Allein aus der Verantwortung gegenüber den Menschen, die in der Bundeswehr arbeiten und dienen, sowie
gegenüber unseren internationalen Verpflichtungen muß
bei einer derartigen Reform mit der gebotenen Präzision
und Seriösität gearbeitet werden. Hierfür steht auch die
Arbeit der Kommission.
({13})
Die Umsetzung der Kommissionsarbeit durch Regierung und Parlament wird Auswirkungen auf die zukünftige Bundeswehr haben. Die weitere Entwicklung des
Verteidigungshaushalts in den kommenden Jahren wird
sich deshalb auch an den Ergebnissen der Strukturkommission und den daraus folgenden Entscheidungen orientieren müssen. Wir müssen aber auch den Mut
haben, bei der Finanzierung und bei der Organisation
der Streitkräfte neue Wege zu gehen. Noch haben wir
zum Beispiel viel zuviel Bürokratie, die wir abbauen
wollen.
Meine Damen und Herren, den Angehörigen der
Streitkräfte wird in ihrem Beruf besser mit soliden
Staatsfinanzen gedient sein als mit einem Schuldenberg
und einer nicht vertretbaren Zinsbelastung.
({14})
Dies gilt mittel- und langfristig auch für die Erfüllung
einer effizienten Sicherheitsvorsorge durch die Bundeswehr, unserer Bündnisverpflichtung und unserer solidarischen Teilnahme an internationalen Friedenseinsätzen.
Dafür treten wir Sozialdemokraten ein. Alle sind herzlich eingeladen, über Parteigrenzen hinweg an dieser
Aufgabe mitzuwirken.
Vielen Dank.
({15})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Nolting
das Wort.
Herr Kollege
Zumkley, Sie haben zu Recht angesprochen, daß es auch
in den zurückliegenden Jahren Kürzungen im Verteidigungshaushalt gegeben hat. Ich möchte Sie daran erinnern, daß es die Opposition, speziell die SPD, war, die
regelmäßig draufgesattelt hat. Sie haben unter anderem
den Eurofighter, das GTK, die Entfernungspauschale für
Grundwehrdienstleistende usw. abgelehnt.
Der Bundesminister der Verteidigung fordert landauf,
landab bei jeder Gelegenheit - letzte Woche zum Beispiel in Hamburg -, daß er round about 20 Milliarden
DM mehr benötigt. Sie aber - das ist in der mittelfristigen Finanzplanung nachzulesen - wollen den Verteidigungsetat in den nächsten Jahren um über 18 Milliarden
DM weiter kürzen. Das heißt, die Infrastruktur kann
nicht verbessert werden, Gerät kann nicht mehr beschafft werden, der Beförderungs- und Verwendungsstau wird nicht beseitigt, und die unterschiedliche Besoldung in Ost und West sowie die Ungerechtigkeiten,
die in diesem Bereich immer noch vorherrschen, können
und werden nicht gemildert werden.
({0})
Herr Kollege Zumkley, wenn Ihre Pläne Wirklichkeit
werden, dann wird in der Bundesrepublik Deutschland
der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt im Vergleich zu allen anderen NATO-Staaten
an vorletzter Stelle liegen,
({1})
und dann können wir - auf diesen Punkt habe ich am
letzten Samstag bei der Tagung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes hier in Berlin hingewiesen - unseren
außen- und sicherheitspolitischen Aufgaben nicht mehr
gerecht werden. Damit sind wir auf dem Wege zu einer
außen- und sicherheitspolitischen Bananenrepublik. Dies
werden Sie dann, auch in der Öffentlichkeit, zu verantworten haben.
Ich bedauere - denn die Grünen haben diesen Punkt
heute angesprochen -, daß die Grünen auf dieser Verbandstagung nicht anwesend waren. Dort hätten sie ihre
Vorstellungen, die sie heute hier vorgetragen haben,
darlegen können. Dann hätten sie an der Reaktion der
dort Anwesenden spüren können, wie bedrohlich die
Situation von den Angehörigen der Bundeswehr empfunden wird.
Vielen Dank.
Herr Zumkley,
bitte.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich möchte drei Bemerkungen machen:
Erstens. Mit dem Begriff „Bananenrepublik“ müssen
Sie leben, Herr Nolting. Das muß ich Ihnen überlassen.
({0})
Es ist schon ein starkes Wort, unsere Bundesrepublik
Deutschland so zu bezeichnen.
({1})
Zweitens. Die von uns gestellten Kürzungsanträge
wurden nicht auf Ihre draufgesattelt. Die kannten wir gar
nicht.
({2})
Es sind vielmehr Alternativen gewesen. Ich bin bereit,
mit Ihnen an Hand der Aktenlage darüber zu sprechen.
Das ist zugesagt.
({3})
Drittens. Was die Ost-West-Besoldung angeht, so
belastet uns diese genauso wie jeden anderen hier im
Hause. Ich weise darauf hin, daß Sie es in Ihrer Regierungszeit nicht geschafft haben, diese Unterschiede abzubauen.
({4})
Mit Vergnügen sehe ich einem Antrag von Sachsen und
Thüringen im Bundesrat entgegen, in dem dies gefordert
wird. Herr Nolting, die werden dies nicht fordern, weil
in ihren Ländern zu viele Probleme bestehen.
({5})
- Fangen Sie doch nicht an, polemisch zu werden, sondern sehen Sie doch einmal die Schwierigkeiten, die wir
haben!
Arbeiten wir gemeinsam an der Ost-West-Besoldung!
Dazu sind wir bereit.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Paul Breuer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Da in dieser Debatte offenbar auf
Kurzzeitgedächtnis und weniger auf Langzeitgedächtnis
gesetzt wird, will ich versuchen, dem Langzeitgedächtnis etwas nachzuhelfen.
Ich beginne mit Ihnen, Frau Kollegin Beer. Ich stelle
fest, daß die grandiosen verteidigungs- und sicherheitspolitischen Reden, die Sie noch vor zwei Jahren gehalten haben, heute von Frau Lippmann gehalten werden.
({0})
Frau Lippmann von der PDS ist Ihre Nachfolgerin und
sagt Ihnen heute nach, daß Sie Ihren Kurs verraten hätten. Ihre sicherheitspolitische Kompetenz kann nicht allzu groß sein, wenn sie heute mit der der PDS übereinstimmt.
({1})
Ich komme im einzelnen darauf zurück. Daß Sie hier im
Ball paradox als Schutzpatronin der Bundeswehr auftreten wollen, nimmt Ihnen draußen im Land niemand
ab, Frau Beer.
({2})
Kollege Peter Zumkley hat es in anderen Worten gesagt als Sie, Herr Minister Scharping: Der Verteidigungsetat könne aus der Entwicklung des Gesamtetats
deshalb nicht ausgenommen werden, weil man das der
Bevölkerung nicht erklären könne.
({3})
Das ist sehr interessant. Ich habe eher den Eindruck, daß
der Verteidigungsetat deshalb nicht ausgenommen werden kann, weil Sie das der SPD-Fraktion und insbesondere den Grünen nicht erklären können und dafür keine
Mehrheit haben.
({4})
Der Verteidigungsminister Scharping versucht es
händeringend zu erklären.
({5})
Anders kann ich das, was er seit Wochen versucht,
überhaupt nicht verstehen. Er redet von sicherheitspolitischen Pygmäen. Diese sieht er nicht in der Opposition;
das seien keine oppositionellen Attitüden, sagt er. Nein,
diese sicherheitspolitischen Pygmäen sieht er in den eigenen Reihen. Das war sehr deutlich zu sehen. Ich kenne
zwar nicht die Namen, aber einige Bewerber.
({6})
Frau Beer, Sie sind mit absoluter Sicherheit dabei. Aber
ich kenne auch andere.
Herr Kollege Zumkley, welche Unterstützung hat
dieser Minister eigentlich in seiner eigenen Fraktion?
Ich kann zwar nicht jeden Tag alle Zeitungen in
Deutschland verfolgen, aber von einer großen Zahl von
SPD-Politikern, die diesen Verteidigungsminister in den
letzten Wochen im Hinblick auf einen höheren Etat unterstützt haben, habe ich nichts gelesen. Niemand von
den Verteidigungspolitikern hat in den letzten Tagen gegen die Sparpläne Eichels geredet. Die armseligen zwei
Stimmen gegen dieses Sparprogramm kommen doch
nicht aus den Reihen der Verteidigungspolitiker, sondern aus ganz anderen Reihen. Hilflos und konzeptlos
sind Sie in der Verteidigungspolitik!
({7})
Ich muß zugestehen, daß Scharping das rhetorisch
nicht ungeschickt macht. Allerdings wird die Leistungsfähigkeit eines Ministers nicht nur am rhetorischen Geschick gemessen, sondern insbesondere auch daran,
wieviel er durchsetzen kann. Ich stelle fest: Scharping
setzt im Hinblick auf seine eigenen Vorstellungen nichts
durch; er verliert bei dem, was er durchsetzen will. Das
ist ganz offensichtlich.
({8})
Um das Gedächtnis zu schärfen, will ich die Situation
beschreiben, in der Scharping ins Amt kam.
({9})
- Der Minister Scharping, wenn Sie darauf Wert legen.
Ich habe mit meinen Respekt vor diesem Minister keine
Schwierigkeiten. Ich glaube eher, mit dem Respekt haben Leute bei Ihnen Schwierigkeiten.
({10})
Als Verteidigungsminister Rudolf Scharping ins Amt
kam, da geschah das ganz offensichtlich, Herr Scharping, wider Ihren Willen. Das können Sie wirklich nicht
bestreiten. Sie wollten Fraktionsvorsitzender der SPD
werden. Das ist im Komplott Schröder/Lafontaine nicht
möglich gewesen. Minister Scharping wurde auf die
Hardthöhe abgeschoben.
({11})
Wenn ich mir überlege, welche Möglichkeiten er
dann hatte, und sie mit dem vergleiche, was er getan hat,
dann muß das in der heutigen Debatte erwähnt werden.
Ich zitiere aus einem Interview mit Herrn Scharping aus
der „Bild am Sonntag“ vom 18. Oktober 1998. Ich gehe
davon aus, daß das Interview autorisiert gewesen war.
Herr Scharping sagte:
Die Koalitionsvereinbarung und die Zusagen des
künftigen Bundeskanzlers sowie des künftigen
Bundesfinanzministers sind Garantien, die in dieser
Form keiner meiner Vorgänger hatte.
({12})
Wo er recht hat, hat er recht. Solche Garantien hatte
keiner seiner Vorgänger. Die eine Garantie war vom
damaligen Minister Lafontaine - heute ist er es nicht
mehr, er ist mittlerweile fahnenflüchtig, auf seine Garantie kann Scharping nicht mehr bauen -, die andere
Garantie war von Bundeskanzler Schröder. Herr Kollege
Scharping, Sie kennen den Mann doch. Daß Sie jemals
auf seine Garantie bauen konnten, kann ich gar nicht
verstehen.
({13})
- Das müssen Sie schon ertragen. - Ihre beste personalpolitische Entscheidung in der Zeit als SPDVorsitzender bestand darin, Herrn Schröder als wirtschaftspolitischen Sprecher in die Wüste zu schicken.
Das war die beste personalpolitische Entscheidung. Ich
attestiere Ihnen eine große Menschenkenntnis. Wer sich
auf Schröder verläßt, ist verlassen. Auf ihn kann man
doch keine Garantien und vor allen Dingen keine Verteidigungspolitik bauen.
({14})
Verteidigungs- und Sicherheitspolitik - viele Kolleginnen und Kollegen auf der Bank der SPD-Fraktion
wissen das genauso gut wie wir - hat etwas mit Vertrauen und Verläßlichkeit zu tun. Wenn ein Minister
sein Amt antritt, um Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Vertrauen zu betreiben, wie Minister Scharping es sollte, und Zusagen in einer Koalitionsvereinbarung erhält, dann müssen diese Zusagen auch eingehalPaul Breuer
ten werden, dann kann man nicht nach Ablauf von zehn
Monaten sagen, das können wir der Bevölkerung nicht
erklären. Das ist nicht ehrlich.
({15})
Meine Damen und Herren, jetzt wissen wir, wer
schuld daran ist, daß die Zusagen nicht gehalten werden.
Nach dem, was ich in der Debatte gehört habe, soll es
offenbar Herr Rühe sein.
({16})
Ich sage Ihnen eins: Die große Reputation, die sich Herr
Scharping in seiner Zeit als Verteidigungsminister - ich
sage: zu Recht - erworben hat, resultiert aus dem Kosovo-Konflikt. Wie wäre es aber um seine Reputation und
Handlungsfähigkeit bestellt gewesen, wenn nicht Volker
Rühe und die CDU/CSU-Fraktion die politische und
technologische Möglichkeit zum Handeln geschaffen
hätten?
Sie haben doch damals bezüglich der Auslandseinsätze genau das Gegenteil verfolgt. Sie sind vor das Verfassungsgericht gezogen. Sie haben immer wieder gesagt, sie hielten nichts vom Aufbau der Krisenreaktionskräfte. Diese Politik haben Sie damals bestritten. Heute
wollen Sie die CDU/CSU und Herrn Rühe beschimpfen
und gleichzeitig von ihrer Politik profitieren. Das
kommt aber nicht hin.
({17})
Eines stimmt, Herr Kollege Scharping: Der Verteidigungsetat hat in den 90er Jahren in erheblicher Weise
gelitten. Das habe ich im übrigen nie bestritten; das wissen die Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß sehr
genau. Es stimmt auch, daß die Bundeswehr spätestens
seit 1995 unterfinanziert war. Auch das habe ich - das
wissen die Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß
ganz genau - nie bestritten.
Sind Sie eigentlich geschichtslos? Wissen Sie, was
zwischen 1990 und 1998 passiert ist? Allein die Bundeswehr ist doch in dieser Zeit von 456 000 auf 340 000
Mann reduziert worden. Hinzu kam die Integration der
Soldaten aus der NVA: 200 000 die dann nicht mehr
Soldaten waren. Wir hatten 200 000 Zivilbeschäftigte
aus der ehemaligen NVA zusätzlich, was dann abgebaut
wurde.
({18})
Es gab den Aufbau Ost mit Milliardeninvestitionen, es
gab eine neue Dislozierung der Bundeswehr im Westen
mit Milliardeninvestitionen, und dann wollen Sie hier
heute erzählen, in dieser Zeit sei nichts passiert.
({19})
Das ist doch unhistorisch und entspricht der Entwicklung in dieser Zeit in keiner Weise.
({20})
Wenn Sie derart offensichtlich auf das Kurzzeitgedächtnis setzen, muß man ernsthaft fragen, ob Sie das Langzeitgedächtnis eigentlich haben. Ihnen fehlt ein ganzes
Stück Orientierung.
Nun zur Frage eines Umbaus der Bundeswehr, einer
Anpassung der Bundeswehr an die neue historische Situation. Ja, Herr Scharping, sie ist notwendig. Aber unter welchen Bedingungen? Sie haben doch deshalb von
den Garantien, die danach nicht eingelöst wurden, gesprochen, weil Sie wußten - ich bin fest davon überzeugt, daß Sie als erfahrener Politiker es wußten -, daß
man einen Umbau von Strukturen und auch einen Umbau von Technologien nur dann vornehmen kann, wenn
diese Strukturen nicht von außen massiv unter Druck
gesetzt werden. Das ist völlig klar. Wenn man Strukturen von außen massiv unter Druck setzt, wenn man das
Geld wegnimmt - sie brechen ein, und Notmaßnahmen
sind notwendig -, hält sich jeder an jedem Strohhalm
fest. Die Einsicht in die Notwendigkeit einer Veränderung wird dadurch immer geringer. Das wissen Sie auch.
Deswegen haben Sie gesagt: Ich habe Garantien. Ich
brauche das Geld, um das umzubauen. - Heute haben
Sie das Geld nicht, und nun kommen die Notmaßnahmen.
Herr Kollege
Breuer, Sie merken nicht, wie die Zeit verfliegt.
({0})
Frau Präsidentin, mit hohem Respekt vor der Zeit werde ich die Rede zu Ende
bringen, und zwar sehr flugs; im übrigen wie beim letztenmal, als Sie auch gnädig mit mir waren, wofür ich
Ihnen heute noch dankbar bin.
({0})
Eben deswegen wollen wir das nicht zur Regel werden lassen.
Heute stehen die Strukturen unter Druck. Alles hält sich fest. Es wird schwerer,
es zu verändern. Die Technologielücke, von der Sie gesprochen haben, ist existent.
({0})
Aber wenn man jetzt dem Haushalt zusätzliches Geld
entzieht, werden Sie die Technologielücke nie schließen
können. Wenn der Anstrich des Hauses vorher nicht in
Ordnung war und man dann noch weniger Geld dafür
ausgibt, wird er doch nicht besser.
Herr Kollege
Breuer, jetzt muß der Punkt kommen.
Diese Logik, Herr Minister, ist nicht in Ordnung. Die Politik, die Sie hier
betreiben, ist deshalb nicht glaubwürdig.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Jetzt hat der
Abgeordnete Manfred Opel das Wort.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Unsere
Bundeswehr lebt vom Konsens.
({0})
Dazu gibt es keine Alternative. Ich glaube, die heutigen
Reden haben gezeigt, daß dieser Konsens dann, wenn
man seine Zunge nicht kontrollieren kann, zum Schaden
unseres Landes und der Bundeswehr sehr schnell verlorengehen kann.
({1})
Weil Sie die Haushaltszahlen offensichtlich nicht
richtig im Gedächtnis haben, möchte ich sie Ihnen einmal ins Gedächtnis zurückrufen.
({2})
Sie haben selbst immer öffentlich verkündet, Sie möchten eine Bundeswehr haben, die einen Investitionsanteil
von 30 Prozent hat. Dabei haben Sie wunderschöne
Planzahlen vorgelegt. Das Problem war, daß am Ende
des Jahres die Ist-Zahlen völlig anders aussahen.
({3})
Sie haben zum Beispiel 1990 299 Millionen DM der
Haushaltsplanung einfach nicht ausgegeben, 1991
381 Millionen DM. Das kumuliert sich 1996 auf
791 Millionen DM, die Ihr Verteidigungsminister damals nicht ausgegeben hat.
({4})
- Das summiert sich - addieren werden Sie ja wohl noch
können, Kollege Koppelin - auf knapp 3 Milliarden
DM, die Sie zwischen 1990 und 1997 nicht ausgegeben
haben.
({5})
Außerdem ist zu dieser Zeit der investive Anteil bei
den Ist-Ausgaben sogar auf unter 15 Prozent - das ist
weniger als die Hälfte von dem, was Sie sich selbst als
Ziel für die Bundeswehr gesetzt haben - gesunken.
Rechnen Sie sich das einmal aus! 15 Prozent mehr jedes
Jahr hatten Sie der Bundeswehr versprochen, aber
gehalten haben Sie es nie. Über die Jahre Ihrer Regierungszeit kumuliert kommt so ein ungeheurer Betrag zustande, der leicht erklärt, warum die Bundeswehr heute
nicht das hat, was sie eigentlich benötigt.
({6})
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollege Koppelin?
Mit größter Freude.
Lieber Kollege Opel,
erinnere ich mich richtig, daß wir in der letzten Legislaturperiode, als Ihre Partei noch in der Opposition war,
eine Haushaltsdebatte hatten, in der Sie so viele Streichanträge gestellt haben - unterschrieben unter anderem
von Herrn Scharping -, daß sich die Haushalts- und
Verteidigungspolitiker der Sozialdemokraten geweigert
haben, überhaupt an der verteidigungspolitischen Debatte zum Haushalt teilzunehmen?
({0})
Verehrter Herr Kollege Koppelin, das war mit Sicherheit nicht der Grund. Aber Sie
erinnern sich vielleicht an das, was der Kollege Zumkley
gesagt hat.
({0})
- Sie sind doch Ihre Frage losgeworden. Geben Sie mir
wenigsten die Chance zu antworten.
Sie haben damals Streichungen vorgenommen, die
insgesamt den Betrag von 5 Milliarden DM überschritten haben. Wir haben alternativ - nicht additiv - andere
Ausgabenschwerpunkte gesetzt und dabei übrigens
Streichungen vorgeschlagen, denen Herr Rühe später,
nachdem Fehlausgaben zu verzeichnen waren, zugestimmt hat. Wenn Sie die Entwicklung des Haushalts
verfolgen, merken Sie, daß Sie die Streichungen, die wir
damals als für die Bundeswehr unschädlich beantragten,
nach langer Einsicht, nach zwei, drei oder vier Jahren,
selbst vorgenommen haben. Das ist die Wahrheit, Herr
Kollege Koppelin.
({1})
Ich möchte, weil hier sehr viel gesagt wurde, was
über das Ziel hinausgeschossen ist, auf die Argumente
der Kollegen eingehen. Kollege Austermann hat als erstes gesagt, wir hätten das Transportflugzeug nicht
eingeplant. Das Transportflugzeug hat niemand herausgenommen; es war nicht eingeplant.
({2})
Herr Rühe hat zwar jahrelang davon geredet, aber im
Haushalt eingeplant war es nicht.
Als zweites möchte ich an die Satellitenaufklärung
erinnern, die als so wichtig erachtet wurde. Bundeskanzler Kohl hatte das Projekt zunächst dem Präsidenten
Mitterrand und später dem Präsidenten Chirac in die
Hand versprochen, aber im Haushalt war dafür kein einziger Pfennig vorgesehen, Herr Austermann. Das müssen Sie hier erzählen!
({3})
Schließlich haben Sie gesagt, der MAW-Taurus sei
gestrichen worden sei. Auch das ist falsch. Taurus ist
nach wie vor in der Entwicklung. Da die Entwicklung
nicht abgeschlossen ist, ist es nur logisch, die Serie nicht
in den Haushalt einzustellen. Das sollten Sie als Haushälter schon wissen.
Der Herr Kollege Koppelin hat gesagt, ein Rückgang
der Investitionen um 1 Milliarde DM würde etwa 20 000
Arbeitsplätze kosten. Das ist wahr: Etwa 12 000 Arbeitsplätze sind direkt und der Rest indirekt betroffen.
Das haben Sie völlig zu Recht gesagt. Nur, nicht gesagt
haben Sie, daß die Investitionen im Jahre 2000 um über
1 Milliarde DM ansteigen werden, rechnet man die zusätzlichen Investitionen, die unter anderem durch den
Kosovo-Einsatz verursacht werden, hinzu. Das bedeutet,
daß wir 20 000 Arbeitsplätze mehr schaffen, Kollege
Koppelin. Das ist die Wahrheit.
({4})
Herr Breuer hat gesagt, es habe Garantien des Bundeskanzlers gegeben. Der Kollege Breuer hat auf den
Kommandeurtagungen der Bundeswehr ja immer in der
ersten Reihe gesessen.
({5})
Bundeskanzler Kohl hat damals vor den Kommandeuren
der Bundeswehr wörtlich gesagt: „Die Bundeswehr bekommt, was sie braucht.“ Jeder glaubte, sie könnte
bestimmen, was sie braucht. Nein, Bundeskanzler Kohl
hat bestimmt, was sie braucht, nämlich weniger, und hat
ihr weniger zur Verfügung gestellt. Auch das ist die
Wahrheit.
Als wir vor das Verfassungsgericht gezogen sind,
hatten wir, Kollege Breuer, nur ein Ziel: feststellen zu
lassen, daß diese Bundeswehr kein exekutives Instrument ist, sondern eine Parlamentsarmee. Ich kann nicht
verstehen, daß Sie als Parlamentarier hier bedauern, daß
das Parlament durch unseren Antrag beim Verfassungsgericht in die Verantwortung genommen wird.
({6})
Die Soldaten verstehen das und begrüßen das. Auch wir
begrüßen es, daß die Parlamentarier - und nicht nur die
Exekutive - Verantwortung tragen.
({7})
Ich möchte Ihnen bezüglich der von Ihnen gestellten
Frage zu den Eigenschaften der Bundeswehr deutlich
sagen, daß wir Sozialdemokraten zum Beispiel die Ausrüstung der Soldaten im Kosovo - das Schutzkonzept
- immer gefordert haben. Letztlich hat die Einsicht - übrigens die des damaligen Rüstungsstaatssekretärs und
die des Ministers Rühe - gesiegt. Wenn Sie in den letzten Monaten verfolgt haben, wie es im Kosovo war,
dann wissen Sie: Unter einem Fahrzeug ist eine Mine
explodiert; es ist nichts weiter passiert, weil das Fahrzeug zusätzlich geschützt war. Einer unserer Soldaten ist
angeschossen worden; es ist nichts passiert, weil die
Schutzweste getroffen wurde. Die Bundeswehr konnte
die Schutzwesten aber in Deutschland überhaupt nicht
beschaffen. Sie mußten in England beschafft werden.
Wir hatten kein einziges Scharfschützengewehr. Wir
konnten keinen Helm beschaffen, der schußfest war. Das
alles mußten wir im Ausland beschaffen, weil Ihre Regierung keine Vorsorge geleistet hatte. Das ist die
Wahrheit.
({8})
Ich möchte Ihnen abschließend sagen, daß es wichtig
ist, daß die Bundeswehr eine Außenwirkung hat. Ich
meine die Außenwirkung auf das Bündnis und die
Außenwirkung auf unsere Partner. Denn Sicherheit ist
nicht nur das, was Sie waffenstarrend vor sich hertragen,
Sicherheit ist ein Stück Vertrauensarbeit. Dazu trägt die
Bundeswehr bei, und dafür danken wir unserer Bundeswehr.
Die Bundeswehr hat auch eine Binnenwirkung. Diese Binnenwirkung - ob das nun Ausbildung ist, ob das
nun Beiträge zur kommunalen Infrastruktur sind - kostet
Geld. Aber die Binnenwirkung dürfen Sie doch nicht
vergessen. Das bedeutet, daß der Verteidigungshaushalt
ein gutes Stück gesellschaftlichen Nutzen beinhaltet und
nicht nur, wie das heute von einigen Rednerinnen und
Rednern gesagt wurde, parasitären Charakter hat. Letzteres ist schlicht falsch.
Ich sage Dank an unseren Verteidigungsminister Rudolf Scharping.
({9})
- Ich sage Dank. Und Sie haben auch zu danken, Herr
Koppelin, denn einen so guten Verteidigungsminister
haben Sie seit 16 Jahren nicht mehr gehabt.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Kurt Rossmanith.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! An sich fällt
es mir schwer,
({0})
denn eigentlich müßte man jetzt auf eine Argumentation
eingehen, die, wie sollte es auch anders sein, bescheiden
war. So möchte ich es einmal bezeichnen, lieber Kollege
Opel.
({1})
- Nein, weil Sie nichts anderes vorzuweisen haben. Ich
könnte jetzt lange allein auf das Ihre eingehen. Zu den
Grünen will ich lieber gar nichts sagen.
({2})
Ich bin der Meinung, daß es ganz wichtig wäre, wenn
diese Regierungskoalition - damit meine ich insbesondere die SPD-Fraktion und auch den Herrn Bundesminister der Verteidigung - zunächst einmal mit dem, was
sie sagt, und dem, was sie tut, in Einklang käme. Sie
sind nicht mehr in der Opposition, sondern tragen Regierungsverantwortung - und dies in der Tat, Herr Bundesminister Scharping, bis zum Jahr 2002.
({3})
Vergangene Woche haben Sie in der Führungsakademie gesagt, daß den Streitkräften mittlerweile elementare Fähigkeiten fehlen würden, um einen wirkungsvollen und international angemessenen Beitrag leisten zu können. Und dann fällt Ihnen wie allen Rednern
von der SPD nichts weiteres ein, als zu sagen, daß die
Fehler in der Vergangenheit gemacht worden seien!
({4})
Da gebe ich Ihnen sogar recht, Herr Bundesminister
Scharping.
({5})
Ich wäre aber vorsichtig, denn Vergangenheit ist auch
die Zeit von Oktober 1998 bis Januar oder Februar 1999,
also bis zu dem Zeitpunkt, als sich der damalige Finanzminister Lafontaine klammheimlich davongemacht
hat. Wenn Sie heute über Sparmaßnahmen in Höhe von
30 Milliarden DM sprechen, dann sollten Sie bedenken,
daß uns allein diese Monate, die Lafontaine Finanzminister war, die 30 Milliarden DM gekostet haben, an denen Sie heute so schwer zu tragen haben.
({6})
Den Haushalt, den Sie vorgelegt haben, kann man nur
als Crash-Haushalt bezeichnen. Verehrter Herr Bundesminister Scharping, Sie müßten doch wissen, daß die
einzigen Verbündeten, die Sie als Ressortchef noch haben, bei uns in der CDU/CSU und in der F.D.P. zu finden sind; im Kabinett stehen Sie nämlich mit Ihrer Position ganz alleine da. Diesen Eindruck kann man jedenfalls bekommen, wenn man den Bundesfinanzminister
Eichel hört, der heute nicht anwesend ist. Auch sein
Staatssekretär hat sich von dannen gemacht.
({7})
Da der Finanzminister derart massiv in unsere Sicherheitspolitik eingreift, wäre es gut, wenn er hier anwesend wäre. Im Haushaltsausschuß hat er auf die Feststellung, daß man Sicherheitspolitik nicht nach der Kassenlage gestalten könne, geantwortet, er müsse natürlich
auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach
der Kassenlage entscheiden und sie dementsprechend
bestreiten. Daher muß ich dem Bundesfinanzminister
vorhalten, daß er entweder auf diesem Politikfeld überhaupt nicht zu Hause ist oder ganz bewußt eine Schädigung unserer Streitkräfte und damit auch unserer Sicherheitspolitik in Kauf nimmt.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin? - Bitte.
Lieber Kurt Rossmanith,
bist du bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich der
Staatssekretär im Finanzministerium, Karl Diller, bei der
Geschäftsführerin der CDU/CSU-Fraktion und bei mir
als dem Geschäftsführer der F.D.P.-Fraktion entschuldigt hat? Du konntest natürlich nicht wissen, daß er einen Augenblick nicht anwesend sein kann.
Ich nehme dem
lieben Karl Diller nichts krumm.
({0})
Aber ich hätte schon erwartet, daß der Bundesfinanzminister angesichts der Tatsache, daß sein Entwurf so massiv in den Haushalt der Streitkräfte und damit in unsere
Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingreift, bei dieser Debatte persönlich anwesend ist.
({1})
Lieber Kollege Zumkley, zur Zahl der Berufs- und
Zeitsoldaten verweise ich auf den Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung „Erläuterungen und Vergleiche zum Regierungsentwurf des Verteidigungshaushaltes 2000“ vom 9. September 1999. Darin heißt es
wörtlich:
Im Jahr 2000 wird der Umfang der Berufs- und
Zeitsoldaten von 197 000 auf 192 000 reduziert.
Diese Zahlen hat der Kollege Austermann erwähnt. Sie
entsprechen der Wahrheit. Wir sind nämlich der Wahrheit verpflichtet und genügen ihr immer in ausreichender
Weise.
({2})
Lieber Georg Pfannenstein, wir fühlen uns nur immer
dann betroffen, wenn es um unsere Sicherheits- und
Verteidigungspolitik geht, die von Ihrer Regierung so
massiv beschnitten wird, daß die Sicherheit nicht mehr
gewährleistet werden kann. Das macht uns betroffen und
macht uns ebenso viel Sorgen wie die Situation unserer
Soldaten.
Herr Bundesminister Scharping ist ja bis zum heutigen Tage zu Recht stolz auf unsere Soldaten, die eine
hervorragende Arbeit auf dem internationalen Feld, zum
Beispiel im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, in Somalia oder damals in Kambodscha, leisten. Lieber Bundesminister Scharping, nur war es Ihre Vorgängerregierung und die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P., die
diese Einsätze gegen den massiven Widerstand Ihrer eigenen Fraktion, der Sie damals als Vorsitzender vorgestanden haben, durchgesetzt hat.
Ich habe eingangs gesagt: Es geht um den Unterschied zwischen dem, was man sagt, und dem, was man
tut. Dies gilt besonders für Sie, Herr Bundesminister
Scharping, als den Verantwortlichen für ein hinsichtlich
unserer Sicherheit so wichtiges Ministerium.
Auf dem Washingtoner NATO-Gipfel wurde von dieser Regierung hoch und heilig versprochen, daß die Allianz gestärkt werden soll. Auf dem Kölner EU-Gipfel
wurde der Schwur auf die Europäische Außen- und
Sicherheitspolitik geleistet. Unter deutscher Ratspräsidentschaft wurde dort die konkrete Forderung aufgestellt, die Europäische Union müsse, gestützt auf ein
glaubwürdiges Militärpotential, ihre Fähigkeiten zum
autonomen Handeln ausbauen. Da muß ich schon fragen: Wo bleibt denn die Seriosität, wenn nur wenige
Wochen später mit ganz massiven Eingriffen in den
Verteidigungshaushalt exakt das Gegenteil verfolgt
wird?
Ich glaube, daß uns gerade der Kosovo-Konflikt gezeigt hat, wie weit bezüglich der militärischen Ausstattung die Lücke zwischen uns und den Vereinigten Staaten von Amerika auseinanderklafft. Dennoch können wir
auf unsere Soldaten, die diese Leistungen erbringen,
stolz sein.
({3})
Für diese Leistungen haben sie mit Recht unseren Dank
und unsere Anerkennung verdient.
({4})
Wenn man sich all das ansieht, was die rotgrüne Koalition, was die rotgrüne Regierung derzeit auf den Tisch
legt, so zeigt dies doch, daß Sie überhaupt nicht die
Kraft haben, der Bundeswehr als gut ausgerüsteter Armee eine entsprechende Zukunft zu geben.
({5})
Dies sieht man auch an den massiven Kürzungen im Investitions- und Forschungsbereich.
Lieber Herr Kollege Manfred Opel, Herr General a. D.
({6})
- das erkenne ich selbstverständlich an -, von Ihnen
hätte ich nicht erwartet - lassen Sie mich das in aller
Deutlichkeit sagen -, daß Sie den Versuch machen, etwas zu verschleiern. Wenn das Gesamtvolumen des
Haushalts massiv abgesenkt wird und dann relative
Werte genannt werden, ist ganz klar, daß diese höher
ausfallen, als wenn man bei dem Volumen geblieben
wäre, was zugesagt worden ist.
({7})
- Nein, die Mengenlehre haben Sie eingeführt. Wir in
Bayern haben die Mengenlehre Gott sei Dank nur ganz
kurz gehabt. Wir haben dies sofort wieder abgeschafft,
({8})
weil wir unsere Schülerinnen und Schüler nicht auf das
Niveau der Schüler in den SPD-regierten Ländern bringen wollten.
({9})
Ich komme zu meinem letzten Satz: Verteidigungsund Sicherheitspolitik ist eine langfristige Investition, in
die man nicht kurzfristig eingreifen, die man nicht kurzfristig beschneiden kann.
({10})
Deshalb, Herr Bundesminister Scharping, haben Sie uns,
die CDU/CSU, immer an Ihrer Seite,
({11})
wenn es darum geht, an der Erreichung dieses Ziels mitzuarbeiten. Wenn Sie diese Politik verfolgen und nicht
nur davon sprechen, das heißt auch so handeln, dann
sind wir in der Tat dabei.
({12})
Zu einer
Kurzintervention erhält jetzt der Abgeordnete Scharping
das Wort.
Verehrte Kollegen, ich
habe mich gemeldet, weil ich für Klarheit bin.
Erstens. Sie wissen, daß einschließlich der internationalen Einsätze für das Jahr 1999 Mittel in Höhe von
47,6 Milliarden DM veranschlagt waren; für das Jahr
2000 sind 47,3 Milliarden DM vorgesehen. Es ist völlig
klar, daß die Aufgaben, die sich aus der NATODefence-Initiative, dem Europäischen Gipfel und durch
die Beseitigung bestimmter Defizite ergeben, nicht oder
jedenfalls nicht vollständig durch diese Mittel, auch
nicht durch die Ansätze in der mittelfristigen Finanzplanung finanziert werden können. Deshalb hat die Bundesregierung einen entsprechenden Vorbehalt hinsichtlich
der Ergebnisse der Arbeit der Kommission unter Vorsitz
von Herrn von Weizsäcker gemacht; das ist in der
Drucksache 14/1404 auf Seite 24 nachzulesen.
Zweitens. Es gibt die Vorstellung, man könne durch
eine rasche Personalreduzierung investive Mittel gewissermaßen freimachen. Ich möchte Sie, Herr Kollege
Rossmanith, darauf aufmerksam machen, daß zwischen
der Zahl in der Zielplanung und der tatsächlichen Personalstärke der Bundeswehr immer eine Differenz bestand.
Diese Differenz betrug beispielsweise im Jahre 1995
minus 9 000,
({0})
im Jahr 1996 minus 4 000. Das ist die Größenordnung,
die im Jahr 2000 eine Rolle spielen wird. 192 600 Zeitund Berufssoldaten sind 400 mehr als im Jahr 1999; das
wissen Sie sehr genau.
Im übrigen will ich Sie - was das Personal angeht darauf aufmerksam machen, daß ich sehr gerne sowohl
den Wehrsold erhöhen als auch die in meinen Augen
nicht akzeptable Situation mit den 86 Prozent beseitigen
würde. Sie wissen aber auch, daß es dafür einer gesamtstaatlichen Entscheidung bedarf und nicht einer bundeswehrisolierten.
Der letzte Punkt betrifft die Investitionen. Sie behaupten: 1 Milliarde DM weniger bedeutet 20 000 Arbeitsplätze weniger. Als Sie die militärischen Beschaffungen von 1992 auf 1993 um 1,1 Milliarden DM reduziert haben, war Ihnen doch hoffentlich bewußt, daß Sie
damit - jedenfalls nach Ihrer Theorie - 20 000 Arbeitsplätze beseitigt haben. Als Sie im vorigen Jahr erneut
um 1 Milliarde DM reduziert haben, haben Sie nach Ihrer Rechnung wieder 20 000 Arbeitsplätze abgebaut. Die
Erhöhung um eine knappe Milliarde DM im Jahre 1999
hat dann 20 000 Arbeitsplätze geschaffen - wenn das
alles stimmen würde. Tatsächlich befinden wir uns in
folgender Situation: Auf Grund der Entwicklung in den
90er Jahren ist die wehrtechnische Industrie nicht mehr
fähig, Kapazitäten zu reduzieren; sie steht vielmehr vor
der einfachen Frage, Kapazitäten vollständig abzubauen
oder sie auf einem gerade noch verantwortbaren Niveau
fortzuführen.
Zur Bedeutung der Investitionsentscheidungen: Die
Politik muß sich über folgendes bewußt sein - mir ist
das klar, und ich hoffe, allen anderen auch -: In dem
Augenblick, in dem die Bundesrepublik Deutschland die
Möglichkeit zur Systemführerschaft oder zur Systempartnerschaft bei bestimmten Entwicklungen verliert,
sind wir nicht nur militärisch auf dem absteigenden Ast,
sondern werden technologisch weniger hochwertige
Güter zu höheren Preisen im Ausland kaufen müssen.
({1})
Das ist der volkswirtschaftlich, technologisch und industriepolitisch falsche Weg. Deswegen wird es darauf ankommen, den investiven Anteil ein Stück zu erhöhen.
({2})
Zurück zum Grund für meine Bemerkung: Wenn wir
innerhalb der politischen Kräfte auf diese Weise einen
Konsens herstellen - dazu lade ich Sie ausdrücklich
ein -, dann ist das gut für die Bundeswehr, gut für die
Bundesrepublik Deutschland und gut für ihr außenpolitisches Ansehen.
({3})
Weitere
Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung.
Das Wort hat zunächst Frau Ministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren in jedem Einzelplan über Kürzungen. Auch
im Einzelplan 23 werden im kommenden Jahr weniger
Mittel zur Verfügung stehen, denn auch das Ministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
muß zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes beitragen. Diese Konsolidierung, von der kein Ressort ausgenommen wurde, obwohl ich dafür gekämpft habe, ist auf
Grund der massiven Schuldenlast aus 16 Jahren KohlRegierung unumgänglich geworden; sie kann in unserem Etat aber nur in den Bereichen erbracht werden, in
denen wir keinen rechtlichen Bindungen unterliegen.
Auf den folgenden Punkt lege ich Wert - er schließt
an die Diskussion an, die wir eben geführt haben -:
Nach der Phase der Haushaltskonsolidierung werden wir
den Finanzumfang für die Entwicklungszusammenarbeit
wieder aufstocken; denn unsere internationalen Verpflichtungen verlangen genau dies.
({0})
Wie gehen wir mit diesen entsprechenden Einsparungen um? Wir werden den finanziellen Einschnitt in
unseren Haushalt in den unmittelbar vor uns liegenden
Jahren als Anlaß zu Reformen nutzen, die schon längst
überfällig sind und auf die die OECD in ihrem Prüfungsbericht zur Entwicklungspolitik der alten Bundesregierung 1998 hingewiesen hat. Wir überprüfen, wie
wir unsere Beiträge im multilateralen Bereich noch besser steuern und vor allen Dingen in die gesamte Entwicklungszusammenarbeit einbinden können.
({1})
Viele Aufgaben der globalen Strukturpolitik lassen
sich nur gemeinschaftlich mit internationalen Finanzinstitutionen bewältigen. Erinnern möchte ich an dieser
Stelle an die Anstrengungen zur Erhaltung des weltweiten ökologischen Gleichgewichts, an die notwendigen
Reformen bei der Entschuldungsinitiative oder auch der
internationalen Finanzarchitektur. Unsere multilateralen
Leistungen haben zudem auch finanziell eine beachtliRudolf Scharping
che Hebelwirkung. Die internationalen Finanzinstitute
mobilisieren etwa das Zehnfache der von den Regierungen eingezahlten Beiträge auf dem privaten Kapitalmarkt. Im übrigen nutzt dieser Ansatz sowohl den Entwicklungsländern als auch der deutschen Wirtschaft;
denn ihr Anteil an den Aufträgen liegt im Schnitt deutlich über dem deutschen Kapitalanteil an diesen Organisationen.
Eine Mitsprache in der multilateralen Entwicklungspolitik setzt aber angemessene finanzielle Beiträge der
Bundesrepublik - dafür sorgen wir - in den internationalen Finanzorganisationen voraus. Nur dann können
wir neue Reformen auf den Weg bringen. Vor allem der
Europäische Entwicklungsfonds muß reformiert werden. Im Rahmen der Evaluierung, die wir während der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorgenommen haben,
haben wir beträchtliche Mängel festgestellt. Von den
insgesamt 13 Milliarden Euro des letzten Entwicklungsfonds - des achten - werden Ende des Jahres 2000 weniger als 20 Prozent ausgezahlt sein. Zu diesem Zeitpunkt ist das zugehörige Lomé-IV-Abkommen bereits
ausgelaufen. Dies zeigt eindeutig, daß beim Europäischen Entwicklungsfonds ein Konstruktionsfehler vorliegt, den die alte Bundesregierung niemals beseitigt hat.
({2})
Wir haben während unserer EU-Ratspräsidentschaft
die notwendigen Veränderungen in Brüssel angestoßen.
Die Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten wird regelmäßig überprüft werden. Es soll eine Umverteilung zugunsten der AKP-Staaten vorgenommen werden, die bereit sind, ihre Reformen schneller und besser durchzuführen. Sie sollen also im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit belohnt werden. In Zukunft gibt es nur
noch einen einzigen, übersichtlichen EU-Finanzierungstopf, damit das unkoordinierte Nebeneinander von Projekten und Programmen endlich aufhört.
({3})
Wenn diese Reformen greifen, werden wir die Qualität
und Effizienz der EU-Entwicklungspolitik entscheidend
verbessert haben. Dadurch entstehen finanzielle Spielräume, so daß mit weniger Volumen die Wirkung der
Fonds erhöht werden kann. Wenn unsere Reformen
letztlich nicht zustande kommen oder wenn sie behindert
werden, muß auch eine Senkung des deutschen Beitrags
geprüft werden.
Im Bereich der bilateralen entwicklungspolitischen
Zusammenarbeit werden wir unsere Wirksamkeit vor
allen Dingen durch Schwerpunktsetzung und Konzentration - auch dies hat die OECD angemahnt - besonders deutlich machen. Wir werden den Kreis unserer
Kooperationsländer überprüfen und uns künftig auf 50
bis 60 Schwerpunktländer konzentrieren, bei denen wir
alle Instrumente unserer Entwicklungszusammenarbeit
einsetzen werden. Mit den anderen Ländern werden wir
besonders differenzierte Formen der Partnerschaft entwickeln. - Wir sollten nicht überall alles machen. - So
werden wir mit manchen Partnern, zum Beispiel im Bereich der Berufsbildung oder des Ressourcenschutzes,
nur noch in einem oder zwei Schwerpunktbereichen
zusammenarbeiten. Aber vor allen Dingen werden
wir die Abstimmung der bilateralen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit der europäischen und der
multilateralen Zusammenarbeit weiter verbessern und
unsere Instrumente in der Gebergemeinschaft stärker
vernetzen.
Wir haben bewußt keine Kürzungen bei der regionalen Zusammenarbeit und bei den regionalen Zusammenschlüssen vorgenommen; denn dort sehen wir einen besonders erfolgversprechenden Weg zur Krisenprävention und zur Konfliktbewältigung, der in den heutigen
Debatten zur Außenpolitik und zur Verteidigungspolitik
mehrfach angemahnt worden ist. Wir setzen diesen
Schwerpunkt.
({4})
Die Bundesregierung hat in kurzer Zeit Schwerpunkte
gesetzt, die die alte Bundesregierung in 16 Jahren nicht
zustande gebracht hat.
({5})
Erstens. Der multilaterale Schuldenerlaß hat 70
Milliarden US-Dollar für die ärmsten Entwicklungsländer mobilisiert. Bei den bilateralen Verhandlungen im
Pariser Club sind die Finanzierungen bereits abgeschlossen. Die Finanzierungen der multilateralen Seite werden
wir bei der Herbsttagung, die in gut einer Woche stattfinden wird, mit IWF und Weltbank beschließen. Das
heißt, 36 Länder werden von einer schnelleren Entschuldung profitieren. Die Mittel aus den schnellen
Schuldendiensterlassen stehen sofort für Maßnahmen in
den Bereichen Bildung, Gesundheit und Basisinfrastruktur zur Verfügung.
({6})
In bezug auf die internationalen Finanzinstitutionen
halte ich es wirklich für einen revolutionären Ansatz,
daß wir erreicht haben, die Entschuldungsinitiative als
Hebel zu nutzen, um die Programme von Währungsfonds und Weltbank zu verändern und in Richtung Armutsbekämpfung zu orientieren.
({7})
In einem Grundsatzdokument, das Weltbank und IWF
gerade vorgelegt haben, wird von beiden Institutionen
deutlich gesagt, daß die Entschuldungsinitiative mit
einer umfassenden Strategie der Armutsbekämpfung in
den betroffenen Entwicklungsländern verbunden sein
muß. Alle Bereiche - auch die makroökonomischen
Programme - werden einbezogen. Damit wird der Widerspruch zwischen IWF-Anpassungsprogrammen und
Weltbankprogrammen zugunsten der Entwicklungsländer endlich überwunden; denn bisher haben die Anpassungsprogramme des IWF die Armut in den betroffenen
Ländern häufig verschärft.
({8})
Wenn uns diese Umorientierung gelingt, dann haben
wir damit mehr erreicht als mit den vorherigen Initiativen zur Armutsbekämpfung in den Ländern der dritten
Welt. Das ist ein Veränderungsschub, der in der öffentlichen Diskussion in dem Maße bisher nicht zur Kenntnis genommen worden ist.
({9})
Zweitens. Der deutsche Beitrag zum Wiederaufbau
in Südosteuropa zeigt, daß wir uns auch in Zeiten
schmerzlicher Haushaltskonsolidierung den Herausforderungen stellen. Mit einem Betrag von insgesamt viermal 300 Millionen DM, verteilt auf vier Jahre, wird der
Stabilitätspakt finanziert. Diese Mittel sind zwar nicht
im Einzelplan 23, aber im Einzelplan 60 für unser
Ministerium, das BMZ, ausgewiesen.
Wir sind im Bereich des Wiederaufbaus federführend. Wir haben sowohl bei uns im Ministerium als auch
in Pristina eine Anlaufstelle eingerichtet. Wir tragen
mit unseren Programmen zum Wiederaufbau in der Region bei. Es geht darum, dauerhaft Frieden zu sichern
und die Verhältnisse für die Menschen vor Ort zu verbessern.
({10})
Da ich die wegweisenden Erklärungen von manchen
Kolleginnen und Kollegen der Opposition lese, will ich
an dieser Stelle eines sagen: Wir unterstützen Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und Kirchen im
Rahmen dieses Stabilitätspaktes Südosteuropa im Umfang von 50 Millionen DM. Damit wird deutlich: Wir
engagieren uns für den Aufbau der Zivilgesellschaft.
Das ist gerade in der Region, von der wir reden, ein ganz
besonders wichtiger Fortschritt.
({11})
Drittens. Wir haben gesagt: Entwicklungspolitik ist
Friedenspolitik. Ich möchte stichwortartig aufzählen,
was wir auf diesem Gebiet in diesem Jahr in Gang
gebracht haben. Das neue Instrument des Zivilen
Friedensdienstes steht trotz Haushaltskürzungen. Im
nächsten Jahr werden dafür voraussichtlich 7,5 Millionen DM zur Verfügung stehen. Das ist noch mehr als im
Etat für dieses Jahr. Schon Ende 1999 werden die ersten
ausgebildeten Friedensfachkräfte eingesetzt werden
können.
({12})
Wir haben eine Initiative gegen illegalen Transfer sogenannter Kleinwaffen in Gang gesetzt, der sich die Europäische Union angeschlossen hat. Wir sind dabei, dafür zu sorgen, daß der Bundessicherheitsrat - dem auch
das BMZ jetzt angehört - mit einem erweiterten Sicherheitsbegriff zu einem effizienten Instrument auch der
Entwicklungspolitik wird. Er soll nicht nur ein Instrument sein, Rüstungsexporte entweder zu genehmigen
oder abzulehnen, sondern auch ein Instrument, in dem
Gesamtkonzepte zur Krisen- und Konfliktprävention
sowie zur Bewältigung von Konflikten in unseren Partnerländern erarbeitet werden.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir nach der Phase der Haushaltskonsolidierung - das ist hier genauso wie in den
bereits diskutierten Bereichen - mehr finanziellen Spielraum brauchen. Weitere Einschnitte in unseren Haushalt
sind nicht vertretbar; das haben wir immer sehr deutlich
gemacht.
({14})
Wir stehen mit unserer Entwicklungspolitik international nicht minder in der Pflicht als in anderen Politikbereichen, beispielsweise im Bereich der Verteidigungspolitik. Denken Sie nur an das, wozu sich die OECDLänder 1996 verpflichtet haben. Sie haben sich dazu
verpflichtet, die Zahl der absolut Armen auf der Welt das sind 1,3 Milliarden Menschen - bis zum Jahr 2015
auf die Hälfte zu verringern, die Kindersterblichkeit drastisch zu reduzieren und weltweit den Menschen Zugang
zu Grundbildung und Gesundheitsdiensten zu verschaffen. In völkerrechtlich verbindlichen Regelungen haben
wir uns ferner verpflichtet, dazu beizutragen, daß Klimaschutz, Artenschutz und Bekämpfung der Wüstenbildung in unserer praktischen Entwicklungspolitik verankert werden.
({15})
Wir werden gemeinsam - ich hoffe, zusammen mit Ihnen allen - dazu beitragen, daß diese Verpflichtungen
auch finanziell umgesetzt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir
am Schluß noch wenige Worte zum Thema Osttimor,
weil es mir besonders am Herzen liegt. Es ist auch deshalb außerordentlich wichtig, daß die Friedenstruppe in
diese Region geht, weil die internationale Gemeinschaft
damit deutlich macht, daß die Menschenrechte der
Osttimoresen genauso wichtig sind und von uns genauso
geschützt werden wie die Menschenrechte in der ersten
Welt. Hier ist ein ganz wichtiges Signal für die Menschen in der einen Welt gesetzt worden.
({16})
In diesem Zusammenhang möchte ich vor allen Dingen denjenigen in der katholischen Kirche, der Caritas
und anderen Organisationen dafür danken, daß sie so
tapfer und mutig auf der Seite der Menschen in Osttimor
gestanden und sich im Interesse dieser Menschen gegen
Miliz und Militär zur Wehr gesetzt haben.
({17})
Was wir tun können, ist, dazu beizutragen, daß keiner
dieser Mörder - die Milizen sind vom Militär geschützt
worden; das sagt jeder - seiner strafrechtlichen Verfolgung entkommt.
({18})
Sie müssen vor einen Strafgerichtshof gestellt werden.
Damit würde ein Signal für ein demokratisches und unabhängiges Osttimor gesetzt, das wir von seiten der
Bundesrepublik, der Bundesregierung und unseres Ministeriums mit all unseren Möglichkeiten unterstützen
wollen.
Ich danke Ihnen sehr.
({19})
Das Wort hat der
Kollege Michael von Schmude, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede der
Frau Ministerin erinnert mich an einen hilflosen Buchhalter, der versucht, seine Gläubiger zu beruhigen. Sie,
Frau Ministerin, flüchten sich auch heute wieder einmal
auf das für Sie offensichtlich bequemere internationale
Parkett und machen heute schon wieder Versprechungen, von denen Sie ganz genau wissen, daß Sie sie nicht
halten können. Ich sage Ihnen: Sie stehen mit diesem
Haushalt vor einem Scherbenhaufen, vor dem Bankrott.
Dem müssen Sie sich stellen.
({0})
Der Bundesminister der Finanzen hat auf geradezu
unglaubliche Art und Weise diesen Haushalt ausgeplündert. Der Bundeshaushalt wird um 1,5 Prozent, und der
Haushalt, über den wir uns jetzt unterhalten, um 8,7
Prozent gekürzt. Das sind 674 Millionen DM, und das
sind, Frau Ministerin, 97,7 Millionen DM mehr als der
eigentlich vorgegebene Konsolidierungsbeitrag.
({1})
Abgesehen vom Ministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend mit minus 7,3 Prozent gibt es kein
Ministerium, das vom Bundesfinanzminister auch nur
annähernd so gerupft worden ist wie Ihr Haus. Niemand
kann etwas gegen ausgewogenes, ehrliches und sinnvolles Sparen haben. Aber dieser drastische Einbruch
beim BMZ zeigt, welchen Stellenwert die Entwicklungshilfe bei dieser Bundesregierung noch hat.
Noch deutlicher wird das Bild, wenn man das Haushaltsergebnis der letzten Bundesregierung unter Führung
von Helmut Kohl 1998 betrachtet, das 7,902 Milliarden
DM betrug; daran gemessen fehlen Ihnen heute sogar
811 Millionen DM.
Herr Kollege von
Schmude, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Eid?
Ja, bitte.
Herr
Abgeordneter, können Sie mir zustimmen, daß Sie als
Haushälter und für den Einzelplan 23 Zuständiger in den
letzten Jahren der CDU/CSU-F.D.P.-Regierung mit daran beteiligt waren, daß der Anteil des Entwicklungsetats
am Bruttosozialprodukt zwischen 1982 und 1998 von
0,48 Prozent auf 0,28 Prozent gesunken ist?
Frau Kollegin
Eid, wir haben genauso unter Sparzwängen gestanden
wie die Regierung heute.
({0})
Ich bin Ihnen dankbar für diesen Hinweis; denn er unterstreicht, daß auch wir gespart haben und daß das, was
Sie heute zu der Politik der vergangenen 16 Jahre sagen,
alles nur Show ist.
({1})
Sie, Frau Ministerin, sind mit vollmundigen Versprechungen angetreten. Jetzt haben Sie hier einen Haushalt
vorgelegt, den man nur als abgenagten Knochen bezeichnen kann. Die von Ihnen angekündigte Trendwende in der Entwicklungspolitik ist da, aber nicht nach
oben, sondern nach unten. Die ODA-Quote, liebe Frau
Kollegin Eid, sinkt unter Ihrer Führung bereits nach den
wenigen Monaten, die Sie im Amt sind, auf 0,26 Prozent. Wo bleibt da Ihre internationale Glaubwürdigkeit?
({2})
- 0,26 Prozent ist die neue Zahl, die aus Ihrem Hause
kommt. Machen Sie sich einmal bei Ihren Damen und
Herren schlau.
Die Beiträge an die Vereinten Nationen und andere
internationale Organisationen senken Sie entgegen Ihren
Ankündigungen von 210,7 Millionen DM auf 156,7
Millionen DM. Sie wollen die passenden Einzeltitel aus
„optischen“ Gründen zusammenfassen. So etwas nennt
man Bilanzkosmetik.
Was muten Sie eigentlich den Nichtregierungsorganisationen, den Kirchen, den Stiftungen und den zahlreichen gemeinnützigen Organisationen, zu, denen Sie,
jedenfalls in Sonntagsreden, für ihr Engagement Lob
aussprechen und die Sie jetzt mit nicht nachvollziehbaren Haushaltskürzungen abstrafen? Den Kirchen wollen
Sie 21 Millionen DM, den politischen Stiftungen 27,7
Millionen DM und der Humboldt-Stiftung 1,3 Millionen
DM wegnehmen. Für Hunderte von Zuwendungsempfängern ist die Schmerzgrenze längst überschritten. Ich
zitiere VENRO:
Viele Projekte müssen jetzt kurzfristig abgebrochen
werden. Die Kürzungen sind ein politisch falsches
Signal und stellen einen Wechsel der rot-grünen
Entwicklungspolitik dar.
Sehr wahr!
({3})
Diese Behandlung haben die Nichtregierungsorganisationen nicht verdient.
({4})
Jede Unterstützung des Bundes löst in diesem Bereich
einen Multiplikationseffekt aus und stärkt darüber hinaus das ehrenamtliche Engagement.
Aber noch viel verheerender sind die langfristigen
Auswirkungen durch die Kürzung der Verpflichtungsermächtigungen. Wenn Sie hier bessere Zeiten versprechen, ist das unredlich. Sie sollen bereits im laufenden
Haushalt 990 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen hergeben. Wenn es bei den Kürzungen für die
Folgejahre bleibt, befürchtet Ihr Haus nach eigener Aussage eine erhebliche Drosselung des künftigen Handlungsrahmens, weil die vorhandenen Barmittel wegen
fehlender Verpflichtungsermächtigung gar nicht mehr
ausgegeben werden können.
({5})
Die Folge ist: Die Entwicklungshilfe sackt noch weiter
ab, und die ODA-Quote schmilzt noch mehr zusammen.
Wir bekommen in diesen Tagen ja viele Briefe von
Nichtregierungsorganisationen. Sie unterscheiden sich
von denen der Vorjahre ganz erheblich. Da geht es nicht
nur um die Existenzsorge, sondern man spürt Enttäuschung, Bestürzung und Fassungslosigkeit über diesen
finanzpolitischen Kahlschlag. Sie beschädigen die Infrastruktur und setzen leichtfertig Vertrauen bei den NGOs
aufs Spiel. Sparsam wirtschaften ist notwendig. Aber bei
diesem Einzelplan wird am falschen Ende gekürzt. Herr
Eichel behauptet, zu seinem Sparkurs gebe es keine
Alternative. Dazu möchte ich zunächst einmal feststellen, daß nicht gespart, sondern gekürzt wird. Sparen
heißt nämlich, etwas auf die hohe Kante zu legen; das
tut hier aber kein Mensch.
({6})
- Klären Sie doch einmal die Begriffe ab. - Die Alternative zur Eichelschen Sparpolitik lautet, intelligent sparen, nämlich da, wo es am wenigsten Schaden anrichtet,
und nicht bei den Investitionen, bei den Arbeitsplätzen
und bei den Multiplikatoren. Das Geld gehört im übertragenen Sinne dahin, wo es die meisten Zinsen bringt.
Sie fahren in diesem Einzelplan die Investitionen erheblich zurück, indem Sie bei der FZ, bei der DSE und
bei der Deutschen Welle kürzen. Außerdem blockiert
der Bundesfinanzminister 600 Millionen DM, die wir
eigentlich für die Verbundfinanzierung einsetzen wollten. Damit setzen Sie Arbeitsplätze aufs Spiel: allein bei
CIM 150 Arbeitsplätze, die für die Entsendung von integrierten Fachkräften in die Entwicklungsländer gedacht
waren. Nein, meine Damen und Herren, die Verpflichtungsermächtigungen müssen wieder angehoben werden, damit der deutsche Beitrag zur Entwicklungshilfe
langfristig berechenbar bleibt.
({7})
Das Kürzungsdiktat des Bundesfinanzministers haben
Sie geschluckt und dann auch noch falsch umgesetzt.
Wer einen so sensiblen Etat vertritt, muß sich schon die
Frage gefallen lassen, wieso ausgerechnet die persönlichen Verfügungsmittel der Leitung des Hauses angehoben werden, wenn sonst - bis hin zur Nothilfe - bei allen anderen Positionen gekürzt wird. Ich möchte auch
einmal wissen, wieso man sich gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Anschaffung teurer Dienstwagen
nicht ein bis zwei Jahre zurückhalten kann, Frau
Ministerin. Peinlich ist auch das Nachschieben von
2,7 Millionen DM im Haushalt für eine Kantine im
Bonner Tulpenfeld, was mit dem Hinweis verbunden
wurde, daß man diese Mittel beim Internationalen Währungsfonds kürzen könne. Sie sollten sich lieber an den
Europäischen Entwicklungsfonds halten und dort zum
Beispiel die 75 Millionen DM STABEX-Mittel strekken; damit gewinnen Sie finanziellen Spielraum in
wichtigeren Bereichen. Es ist schon skandalös genug,
daß Brüssel diese Gelder der deutschen Steuerzahler als
Termingelder anlegt.
Bei den Verhandlungen über das nächste LoméAbkommen sollten Sie folgende Forderungen
Deutschlands einbringen:
Erstens. Von der bisher geübten Praxis, nur Zuschüsse zu vergeben, sollte - zumindest teilweise - zugunsten
von Zuschüssen auf Darlehensbasis abgewichen werden.
Zweitens. Zinsen, die bei der Europäischen Union anfallen, weil Beiträge der einzelnen Mitgliedstaaten noch
nicht umgesetzt werden können, stehen den jeweiligen
Geberländern zu.
Drittens. Deutschland zahlt nicht immer als erstes
Mitgliedsland, sondern verhält sich so wie eine große
Zahl anderer Mitgliedstaaten.
Viertens. Berichte des Europäischen Rechnungshofes
sind von der EU-Kommission zu bestimmten Terminen
abzuarbeiten, und Stellungnahmen dazu sind den einzelnen Mitgliedstaaten zeitgerecht zu übermitteln.
({8})
Fünftens. Zu Beginn eines jeden Kalenderjahres sind
allen Mitgliedstaaten gleichzeitig Projektlisten für das
laufende Jahr vorzulegen. Damit erreichen wir mehr
Chancengleichheit bei Ausschreibungen.
({9})
Sechstens. Bei Auftragsvergaben soll für die Mitgliedstaaten möglichst jeweils das Volumen erreicht
werden, das ihrem Beitragsanteil entspricht.
Bedanken möchte ich mich bei den Mitarbeitern des
Hauses, die diese destruktiven politischen Vorgaben
umzusetzen hatten. Allerdings hätte ich erwartet, daß
uns wenigstens das Berichterstatterprotokoll bis zum
heutigen Tage vorgelegt worden wäre. Das Fehlen dieses Protokolls ist aus meiner Sicht ein großer Mangel,
den wir so nicht hinnehmen können.
Das vorliegende Zahlenwerk, meine Damen und Herren, ist nicht nur unausgewogen, sondern auch unvollständig und damit unseriös. Es fehlen die Umsetzung der
globalen Minderausgabe und die Veranschlagung des
Währungsrisikos. Wer den Dollar mit 1,6823 DM rechnet, hat nach Aussage des Hauses mit mindestens
50 Millionen DM Mehrkosten zu rechnen.
Für den von Ihnen geforderten Schuldenerlaß, der
hier so großartig angekündigt wurde, fehlt Ihnen noch
die Haushaltsdeckung. Sie lassen zu, daß der Bundesminister der Finanzen aus Ihrem Einzelplan Forderungsverkäufe vornimmt. Das ist im Prinzip gut. Was dabei
jedoch schlecht ist - und auch anders als in früheren
Zeiten -: Der Bundesfinanzminister vereinnahmt dieses
Geld zu 100 Prozent für sich. Sie haben keinen Haushaltsvermerk, in dem steht, daß zumindest ein Teil der
Mittel der FZ oder der TZ zugute kommt.
Dieser Haushalt wird der bisherigen Bedeutung der
deutschen Entwicklungspolitik und auch dem deutschen
Ansehen in der Welt nicht gerecht. Er ist ein Armutszeugnis für diese Bundesregierung.
({10})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Dr.
Angelika Köster-Loßack.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die alte Koalition den Entwicklungshaushalt in den letzten Jahren immer stärker
gekürzt hat, haben wir diesen Abwärtstrend 1999 zum
erstenmal umgekehrt. Jetzt aber müssen in allen Ressorts tiefe Einschnitte vorgenommen werden, damit die
riesige Verschuldung, die uns die alte Koalition hinterlassen hat, abgebaut werden kann.
({0})
Auch der Einzelplan 23 muß seinen Beitrag dazu leisten.
Allerdings hätte ich mir gewünscht, daß bei der Entwicklungszusammenarbeit weniger stark gekürzt worden wäre.
({1})
Dies entspräche nicht nur unserem Koalitionsvertrag,
sondern wäre vor allem auch sachlich gerechtfertigt gewesen.
({2})
Gerade die ständig zunehmenden Aufgaben in der
zivilen Krisenprävention - ich erinnere an Ruanda,
Kosovo und Osttimor, wo diese nicht zum Tragen kam erfordern eine ausreichende Finanzausstattung. Ich sage
es hier zum wiederholten Male: Zivile Krisenprävention,
Armutsbekämpfung und Verbesserung der ökonomischen und politischen Bedingungen in den Entwicklungsländern sind allemal billiger, als später militärisch
eingreifen zu müssen oder durch Bürgerkriege zerstörte
Länder wiederaufzubauen.
({3})
Angesichts der verheerenden Zerstörungen in Osttimor, der Ermordung, Terrorisierung und Vertreibung
von Hunderttausenden Menschen sind wir in der Verantwortung, uns beim Wiederaufbau langfristig zu engagieren. Das sage ich insbesondere vor dem Hintergrund
der historischen Verantwortung, die wir für diese katastrophale Entwicklung tragen, da wir in der Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte das Regime Suharto
gestützt haben.
Vorrangig ist eine ganz entscheidende Umorientierung in der internationalen Politik. Wir müssen an
den Ursachen der Konflikte ansetzen, insbesondere an
der ungerechten Verteilung der Ressourcen. Wir müssen
jede Form der Zusammenarbeit mit „warlords“, die sich
auf Kosten der eigenen Bevölkerung bereichern, endgültig stoppen und ächten.
({4})
Eine wirksame Entwicklungspolitik braucht in erster
Linie inhaltliche Reformen. Die bisherigen Erfolge wie
auch die Mißerfolge der deutschen Entwicklungszusammenarbeit müssen offen bilanziert werden.
In der aktuellen Haushaltsproblematik liegt auch die
Chance, daß die notwendigen Reformschritte beschleunigt werden können. Das BMZ hat unabhängig
von der Haushaltssituation die hiefür notwendigen
Schritte eingeleitet. Dabei geht es darum, wie in Zukunft
die deutsche EZ sektoral, aber auch in der Orientierung
an Länderschwerpunkten stärker konzentriert werden
kann. Über eine bessere Verzahnung in der multilateralen, europäischen und nationalen Entwicklungspolitik
hat die Ministerin schon das Notwendige gesagt.
Während der EU-Präsidentschaft haben wir begonnen, mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern die gemeinsame Entwicklungszusammenarbeit besser zu koordinieren und umsetzen zu lernen.
Auch unsere Stärken werden wir besser bündeln und
in der Zusammenarbeit mit den Ländern des Südens einsetzen müssen. Dazu gehört auch die kontinuierliche
Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
BMZ, ohne die eine zukunftsorientierte und nachhaltige
Strukturreform in der Entwicklungszusammenarbeit
überhaupt nicht machbar wäre.
({5})
Neue Schwerpunktsetzungen sind in den Bereichen
Krisenprävention und Entschuldung eingeleitet worden.
Dies sind sehr wichtige Initiativen zum Einstieg in die
dringend notwendige Veränderung der globalen Rahmenbedingungen, damit in Zukunft Menschenrechte
nicht weiter mit Füßen getreten werden.
Mit dem zivilen Friedensdienst ist in der Entwicklungspolitik ein erster Schritt in Richtung einer globalen
Friedenspolitik gemacht worden. Diese orientiert sich im
Gegensatz zu allem anderen, was nebenher noch geschieht, an der Wahrung der Menschenrechte und der
Vermeidung kriegerischer Auseinandersetzungen. Wir
wollen in den betroffenen Ländern zivile Kräfte stärken,
und wir wollen die jahrzehntelangen Konflikte über
Ressourcen nicht weiter in Gewalt umschlagen lassen.
Genau das ist die Intention des zivilen Friedensdienstes,
der die Erfahrungen staatlicher Durchführungsorganisationen und die von Nichtregierungsorganisationen nutzen wird, um in den Ländern des Südens die zivilen
Kräfte zu stärken und friedliche Konfliktregelungen umzusetzen.
({6})
Es ist für uns alle entscheidend und wichtig, daß dieser Schwerpunkt im Haushalt 2000 mit mehr Mitteln
ausgestattet wird. Auch in der mittelfristigen Finanzplanung braucht er selbstverständlich noch mehr Aufwuchs.
({7})
In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die Mitwirkung der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Bundessicherheitsrat
ein entscheidender Fortschritt. Die Überarbeitung der
politischen Grundsätze für Waffenexporte muß in der
Umsetzung dazu führen, daß der bisherigen unverantwortlichen Praxis, Krisenherde mit Waffenexporten
weiter anzuheizen, ein Riegel vorgeschoben werden
kann.
({8})
Nachdem die alte Bundesregierung jahrelang auf dem
internationalen Parkett als Bremserin in bezug auf multilaterale Schuldenerleichterungen aufgetreten ist, haben
wir dieses für die ärmsten Länder zentrale Vorhaben
entschieden angepackt. Der deutschen Initiative war es
zu verdanken, daß auf dem Kölner G-8-Gipfel Schuldenerleichterungen beschlossen wurden.
Auf der anstehenden Tagung des IWF und der Weltbank - das ist von der Bundesministerin schon erwähnt
worden - wird es darauf ankommen, daß die in Köln beschlossenen Maßnahmen umgesetzt werden können. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die zukünftige Ausrichtung der Strukturanpassungsprogramme
auf soziale und ökologische Kriterien. Auch der Faktor
der Armutsbekämpfung ist ein zentraler Ansatzpunkt.
({9})
Um den Gesamtplafond des BMZ richtig einzuschätzen, muß berücksichtigt werden, daß das BMZ der
Hauptträger des Wiederaufbaus in Südosteuropa sein
wird. Diese Mittel sind in einer Höhe von 300 Millionen
DM im Einzelplan 60 veranschlagt. Wenn man diese
Summe allerdings mit den Ausgaben im militärischen
Bereich in Höhe von 2 Milliarden DM vergleicht, wird
überdeutlich, daß wir in Zukunft in den Haushalt viel
mehr Mittel für die zivile Krisenprävention einstellen
müssen.
({10})
In einzelnen Positionen wird der Regierungsentwurf
in den parlamentarischen Haushaltsberatungen eventuell
noch minimal verändert werden können. Gerade jetzt, da
auf Grund der notwendigen Haushaltskonsolidierung
immer weniger staatliche Mittel zur Verfügung stehen,
ist es um so notwendiger, die gesellschaftlichen Akteure
zu stärken. Vor allem muß deshalb der Titel, der für die
Mittelausstattung der privaten Träger vorgesehen ist,
gegenüber dem Regierungsentwurf deutlich angehoben
werden.
({11})
Auch die Kirchen und die politischen Stiftungen
brauchen durch eine Erhöhung der VEs mehr Planungssicherheit. Die entwicklungspolitische Bildung, die wir
im Haushalt 1999 mit mehr Mitteln ausgestattet haben,
muß ebenfalls stärker unterstützt werden, um den Stellenwert der Entwicklungszusammenarbeit in unserer
Gesellschaft zu verbessern. Auch für die Reintegration
sowie für die Aus- und Fortbildung von Personen aus
den Entwicklungsländern wird mehr Geld benötigt.
Denn es ist ganz einfach sinnvoll und billiger, gut ausgebildeten Menschen aus dem Süden einen Start in ihrer
Heimat zu ermöglichen, damit sie dort für eine Verbesserung der Situation arbeiten können.
Wir werden uns im parlamentarischen Verfahren bemühen, nachzulegen. Die notwendige Konsolidierung
der öffentlichen Finanzen darf die Entwicklungszusammenarbeit nicht auf Dauer in ihrer Reichweite und
Handlungsfähigkeit beschränken.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der
Kollege Gerhard Schüßler, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man den
Einzelplan 23 genau liest, seine Daten und Zahlen studiert, dann kann man nur sagen: Noch keine Bundesregierung hat in diesem Bereich ein so miserables Dokument vorgelegt.
({0})
Was, Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, ist aus Ihren großen Ankündigungen geworden? Was ist aus der im Koalitionsvertrag angekündigten Aufwertung und Erweiterung der Entwicklungspolitik zu einer globalen Strukturpolitik geworden?
({1})
Davon ist weit und breit außer Ankündigungen nichts,
aber auch gar nichts zu sehen.
Auch in der Entwicklungspolitik hat die rotgrüne Regierung genau das Gegenteil dessen gemacht, was sie
versprochen hat: Der Haushaltsentwurf sieht keine Aufwertung und Erweiterung, sondern eine Abwertung und
Reduzierung der Entwicklungshilfe vor.
({2})
Anstatt, wie vollmundig angekündigt, die Verpflichtungsermächtigungen kontinuierlich zu erhöhen, beabsichtigt die Bundesregierung, sie mit 1,5 Milliarden DM
auf den niedrigsten Stand seit 1972 zurückzuführen. Das
bedeutet für die deutsche Entwicklungspolitik, daß sie
im Jahr 2000 nicht alle eingegangenen Verpflichtungen
erfüllen kann und entweder völkerrechtlich bindende
Verträge brechen oder aber unsere Vertragspartner um
Stundung bitten muß. Dies kommt einem Offenbarungseid der deutschen Entwicklungspolitik gleich.
({3})
Vor diesem dramatischen Hintergrund läßt sich die
Feststellung der Bundesregierung, die angestrebte
Trendwende für den Einzelplan 23 im Finanzplanungszeitraum sei möglicherweise nicht zu schaffen, an Sarkasmus kaum überbieten.
({4})
Ihre Erklärung, Frau Ministerin, anläßlich Ihrer 100Tage-Bilanz „Neue Entwicklungspolitik“, der Abwärtstrend des Entwicklungshaushalts sei gestoppt und die
Grundlage für den Aufwärtstrend dauerhaft gelegt,
klingt kaum ein halbes Jahr später ebenfalls wie blanker
Hohn.
({5})
Meine Damen und Herren, mit einer Kürzung von
8,7 Prozent und weiteren Verschärfungen bis zum Jahre
2003 - bis zu 13,6 Prozent - geht die Bundesregierung
noch weit über die Kürzungen in anderen Ressorts hinaus.
({6})
Dies macht deutlich, welch relativen Stellenwert sie der
Entwicklungspolitik ungeachtet aller Sonntagsreden
über Solidarität mit der dritten Welt tatsächlich beimißt.
Sie scheint im übrigen auch nicht bereit zu sein, Konsequenzen aus einer jüngst von der Bundesministerin
selbst vorgestellten Studie zu ziehen, wonach von der
Entwicklungshilfe erhebliche Impulse für Arbeitsplätze
und Wachstum in Deutschland ausgehen.
Durch die überproportionalen Kürzungen entfernt
sich die Bundesregierung weiter von dem von den Vereinten Nationen definierten 0,7-Prozent-Ziel als jede andere Regierung vor ihr. Der Widerspruch zu dem im
SPD-Parteiprogramm festgelegten Ziel, aus moralischen
Gründen verstärkte Entwicklungsanstrengungen zu unternehmen, um die Schere zwischen Arm und Reich zu
schließen, könnte krasser nicht sein.
({7})
Der Rückgang der Entwicklungshilfe erreicht ein Ausmaß, bei dem wesentliche Inhalte der in vier Jahrzehnten
gewachsenen deutschen Entwicklungspolitik schlicht
zur Disposition stehen.
Die Leidtragenden sind nicht nur unsere Partnerländer und -organisationen weltweit, sondern insbesondere
auch die unmittelbar vom Abbruch oder von der Stornierung von Entwicklungsprojekten betroffenen Menschen
in der dritten Welt selbst. Dem guten Ruf der deutschen
Entwicklungspolitik und der deutschen Rolle in der Welt
wird damit ein schwerer Schaden zugefügt.
Daß bei allgemeinen Sparzwängen auch der Einzelpan 23 von Rationalisierung nicht ausgenommen bleiben
kann, wird niemand ernsthaft bestreiten. Anstatt jedoch
mit dem Rasenmäher durch den Haushaltsgarten zu laufen, hätte man besonders von denjenigen, die die Entwicklungspolitik als prioritäre Aufgabe ihrer Regierungsarbeit bezeichneten, kreative Lösungsansätze erhofft.
({8})
Wenn die Knappheit der Mittel wenigstens mit den
notwendigen Reformen - zwar immer wieder angekündigt, aber nicht zu sehen -,
({9})
das heißt mit der Neubewertung politischer Prioritäten
verknüpft würde, wäre vielleicht noch ein positiver
Aspekt erkennbar.
In diesem Zusammenhang ist es auch bedauerlich,
daß die Bundesregierung nicht die Anstrengung unternommen hat, die bereits seit Jahren diskutierte Reform
des sektoralen und geographischen Ansatzes der
deutschen Entwicklungspolitik in Angriff zu nehmen.
Wenn das jetzt geschieht, Frau Ministerin, werden wir
Sie unterstützen.
({10})
- Ja, dann ist es ein Fortschritt.
({11})
Dem Beispiel anderer Geberländer wie Frankreich,
Großbritannien und den USA folgend, wäre es dringend
erforderlich, daß die deutsche Entwicklungshilfe ihre finanziellen und personellen Ressourcen in den Sektoren
bündelt, in denen wir in den letzten Jahrzehnten besonders erfolgreich waren. Ferner wäre es aus der Sicht der
F.D.P.-Bundestagsfraktion sinnvoller, in Absprache mit
anderen bilateralen Geldgebern, insbesondere in der EU,
aber auch in Koordinierung mit multilateralen Gebern
geographische Schwerpunkte zu setzen. Das wäre in eiGerhard Schüßler
ner sich globalisierenden Welt ein intelligenter Ansatz
für die globale Arbeitsteilung.
({12})
Darüber hinaus wäre es auch im Sinne der durch die
Sparbeschlüsse beabsichtigten Verschlankung der Bundesverwaltung, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt zusammenzulegen.
({13})
Hierdurch würden überdies wichtige außenpolitische
Kohärenzeffekte erzielt.
({14})
Die Bundesrepublik Deutschland ist weltweit das einzige große Geberland, das sich eine Trennung zwischen
diesen beiden inhaltlich verwandten Ressorts leistet. Aus
der Perspektive der Empfängerländer sind Außen- und
Entwicklungspolitik ohnehin zwei Seiten derselben
Medaille.
({15})
Es ist besonders bedauerlich, daß die rotgrüne Regierung während ihrer Koalitionsverhandlungen nicht den
politischen Mut gefunden hat, diesen Schritt zu vollziehen. Er war ja schon beschlossene Sache, und ein entsprechender Vorschlag lag auf dem Tisch.
({16})
Trotzdem hatten letztlich Argumente der koalitionsinternen Postenschacherei Vorrang vor entwicklungs- und
haushaltspolitischer Vernunft.
({17})
Ich weiß, Frau Staatssekretärin, daß die F.D.P. einst,
als die Entwicklungspolitik noch ganz andere Voraussetzungen hatte, für ein eigenständiges Ministerium eingetreten ist. Das ist wahr, aber inzwischen hat sich das
nachhaltig verändert.
({18})
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Der Einzelplan
23 ist kein Zukunftsprogramm 2000, er ist ein unverantwortlicher, rückwärtsgewandter Marsch in der Entwicklungspolitik, der dem Ansehen der Bundesrepublik
nicht nur in den Entwicklungsländern schweren Schaden
zufügen wird.
({19})
Der nächste Redner
ist der Kollege Dr. Winfried Wolf, PDS-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege
Carsten Hübner befindet sich auf dem Weg nach Indonesien, deswegen müssen Sie ein weiteres Mal mit mir
vorliebnehmen.
Bei dem Einzeletat 23 zeigt sich ebenso wie bei der
Zwiesprache zwischen den Kollegen Schmude und Eid,
daß wir auf einem Ball paradox sind. Es zeigt sich für
uns, daß Unterschiede zwischen der vorausgegangenen
christlich-liberalen Regierung und der sozialdemokratisch-grünen Regierung kaum auszumachen sind.
Gespart wird bei den Ärmsten der Armen: im Inland
bei den Rentnerinnen und Rentnern und im Ausland bei
der Hilfe für die ärmsten Länder, für Länder, die durch
unsere Wirtschaftspolitik arm gemacht wurden und jetzt
weiter geschwächt werden. Dabei stehen immer Worte
und Taten in krassem Gegensatz. Kanzler Kohl versprach 1992 in Rio de Janeiro, den Anteil der deutschen
Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts anzuheben. Der Anteil wurde von 0,4 auf 0,28
Prozent reduziert.
In der Koalitionsvereinbarung der neuen Regierung
vom letzten Jahr hieß es, daß die Entwicklungshilfe gestärkt und ihre Mittel erhöht werden müssen.
({0})
- Sie werden jetzt, Frau Eid, überproportional gekürzt. Es ist lächerlich, wenn die Ministerin darauf verweist,
daß hier noch die Hilfe für den regionalen Aufbau in
Südosteuropa angerechnet werden muß. Es handelt sich
hier um Kriegsfolgekosten, um Ausgaben, die überwiegend der Stabilisierung eines Balkanprotektorats mit institutionalisierter Vetternwirtschaft, mit einem Konsul
Hombach und einem Vizekonsul Koenigs, dienen.
Interessant ist auch zu sehen, wo gespart wird. Das,
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, liegt in Ihrer Verantwortung. Gespart werden soll in erheblichem Maß bei
verschiedenen UN-Organisationen. So werden die deutschen Mittel für die UN-Organisation UNDP um
50 Prozent reduziert. Das schwächt die UNO zu einem
Zeitpunkt, in dem sie gestärkt werden müßte. Gleichzeitig betonten Sie, Frau Ministerin - gerade erneut -, Sie
wollten den deutschen Einfluß bei der Weltbank und
beim Internationalen Währungsfonds ausbauen. Sie
sagten, damit könnten die globalen Rahmenbedingungen
zugunsten unserer Partnerländer im Süden verbessert
werden.
Wir sehen das weiterhin umgekehrt. Wir sagen:
Weltbank und Internationaler Währungsfonds sind Instrumente, um die neokolonialen Rahmenbedingungen
zu festigen, das heißt, um die schwachen Länder noch
schwächer zu machen. Es klingt gerade so, als ob mit
dem Wechsel von Bonn nach Berlin ein Wechsel bei der
Politik des IWF verbunden wäre. Da sage ich: Hier
wackelt der Schwanz mit dem Hund.
Das kann man auch am Beispiel Indonesien konkretisieren. Was ging denn dem mörderischen Treiben indonesischer Milizen in Osttimor voraus? Dies waren eine
tiefe Wirtschaftskrise in den Jahren 1997/98 infolge der
Globalisierung und ein IWF-Stabilisierungsprogramm,
das massiv zum Abbau des Lebensstandards in Indonesien beitrug. So etwas war schon immer ein direkter
Beitrag zur Stärkung rassistischer Akte. Tatsächlich gibt
es in ganz Indonesien seit 1997/98 verbreitete Terrorakte
gegen Christen und gegen die chinesische Minderheit.
Hierzu gab es in der Debatte zu Osttimor bisher kein
Wort.
Es gab auch kaum ein Wort zur engen militärischen
und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der
Bundesregierung - der alten und der neuen - und dem
indonesischen Regime bis vor wenigen Wochen. Es gab
schließlich kein Wort zum Zusammenhang zwischen
Hilfe und Verletzung von Menschenrechten.
Wir haben im Februar dieses Jahres in einer Kleinen
Anfrage an Sie, Frau Ministerin, sehr konkret die Frage
gestellt - ich zitiere:
Verbindet die Bundesregierung ihre bilaterale
Zusammenarbeit mit Indonesien
- immerhin in Höhe von 110 Millionen DM mit dem Erfolg der Verhandlungen von Jamsheed
Marker, Osttimor-Beauftragter des UN-Generalsekretärs, über eine weitgehende Autonomie Osttimors?
Die Antwort der Bundesregierung lautete schlicht und
präzise: „Nein“. Wohlgemerkt: Wir formulierten vorsichtig und verlangten keine Erpressung. Ich weiß auch
um die Differenziertheit der in Frage stehenden Projekte
in Indonesien. Doch keinerlei Verbindung zwischen der
massiven Hilfe für Jakarta und den massiven Menschenrechtsverletzungen in Indonesien herzustellen und nichts
zu tun, damit die UN-Mission ein Erfolg wird, indem
man mit dieser Hilfe argumentiert, ist meiner Meinung
nach kontraproduktiv für die Menschenrechte. Das widerspricht auch dem entwicklungspolitischen Ziel einer
„good governance“-Politik, also dem Ziel der Schaffung
eines Zusammenhangs zwischen Unterstützung und
Demokratie.
Werte Kolleginnen und Kollegen, Professor Dr. Peter
Molt, der Vorsitzende des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, hat den
Einzeletat 23 mit sehr ähnlichen Worten wie wir von der
PDS kritisiert. Er spricht von einem „falschen politischen Signal“ durch Kürzung vor allem auch bei den
Nichtregierungsorganisationen und von der „Gefahr
eines Paradigmenwechsels“. Entwicklungspolitik drohe
durch Reduktion und Konzentration zum Schmiermittel
deutscher Wirtschaftsinteressen zu verkommen. Professor Molt fordert Sie, Frau Ministerin, und die Bundesregierung auf, die Kürzungen in diesem Etat rückgängig
zu machen. Wir schließen uns dieser Aufforderung in
vollem Umfang an.
Wir haben viele Beispiele genannt, wie dies durch
Kürzungen im Rüstungsetat, durch ein Nein zum Transrapid und durch ein Nein zu Militäreinsätzen im Ausland finanziert werden könnte, also durch genau die
Politik, die die Grünen in vollem Umfang und die SPD
weitgehend bis zum Wahlabend am 27. September letzten Jahres mitgetragen haben.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat der
Kollege Detlef Dzembritzki, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU hat
schon vor dieser Debatte und heute durch Herrn von
Schmude - ich gehe davon aus, daß sie es auch noch
durch den Nachredner machen wird - lautstark den
Scherbenhaufen und das sogenannte Desaster im Entwicklungshaushalt beklagt.
Daß wir uns nicht falsch verstehen, Kollegen: Mich
stimmt die Kürzung des Etats beim BMZ nicht freudig.
Ich bin froh, daß die Bundesregierung nicht nur zu Beginn der Regierungszeit, sondern auch heute die besondere Verantwortung der Entwicklungspolitik hervorhebt.
({0})
Denn es ist uns allen klar: Präventionsmaßnahmen im
Rahmen der Entwicklungspolitik kosten nicht die Milliarden, die erforderlich sind, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, wie zum Beispiel im Kosovo geschehen.
Aber, meine Damen und Herren, es muß auch heute
abend wieder festgehalten werden: Das eigentliche Desaster liegt nicht bei den Kürzungen im Entwicklungshaushalt. Vielmehr müssen jährlich 80 Milliarden DM
an Zinsen gezahlt werden, das sind mehr als 220 Millionen DM täglich. Die Reduzierung im Entwicklungshaushalt um 600 Millionen DM entspricht nicht einmal
dem Gegenwert der Zinszahlungen von drei Tagen. Das
muß man sich einmal vor Augen führen.
({1})
Zehn Entwicklungsetats werden den Banken hinterhergeschmissen, nur für Zinszahlungen. Das ist das Geld,
das den Armen fehlt - nicht die 500 Millionen, von denen Sie von der CDU/CSU und der F.D.P. ständig sprechen.
({2})
Das Desaster ist, daß wir Jahr für Jahr das Zehnfache
dieses Etats in den Wind schreiben, weil Sie nicht ordentlich gewirtschaftet haben.
({3})
Und dann redet Herr von Schmude hier von Dienstwagen und Kantinen! Ich habe in der Sommerpause mit
großer Überraschung in der Zeitung gelesen, daß das
Entwicklungshilfeministerium 1992 in Bonn angeblich
Räume für einen Quadratmeterpreis von sage und
schreibe mehr als 41 DM angemietet hat, obwohl schon
damals das Bundesvermögensamt darauf hingewiesen
hat, daß dieser Preis nicht haltbar ist und die Vergleichsmiete in einer Spanne zwischen 30 und 40 Mark
liege. Hätten Sie damals nicht protzig leben wollen,
sondern vernünftige Mietverträge gemacht, hätten wir
bis heute alleine dadurch 20 Millionen DM sparen können. Das haben Sie mit Ihrer Politik zu verantworten.
({4})
Es ist ja überhaupt nicht zu bestreiten, daß wir über
die Kürzungen betrübt sind und daß wir im Ausschuß
für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dazu beitragen
müssen, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Aber
es ist doch unverkennbar: Es ist gelungen, aus der Not
eine Tugend zu machen und diese Kürzungen zum Anlaß für eine Straffung, Neuorientierung und Konzentration auf das Wesentliche zu nehmen. Kurz: Das Ziel
der Steigerung der Effizienz ist erreicht.
Herr Kollege Schüßler, Sie sprechen zu Recht an, daß
die bilaterale Zusammenarbeit daraufhin überprüft werden muß, welche Länder bereits von anderer Seite konzentriert Hilfe erhalten und gewisse Entwicklungsschritte schon erfolgreich getan haben. Aber erst die
SPD/Grüne-Regierung hat das zum Thema gemacht und
die Politik in dieser Frage vorangebracht.
({5})
Warum unterstützen Sie denn nicht die Ministerin darin,
daß es möglich gemacht wird - was notwendig ist -,
Länder zu identifizieren, auf die sich in Zukunft die Zusammenarbeit konzentrieren soll?
({6})
- Lieber Kollege, das ist doch weitaus besser, als - wie
zu Ihrer Zeit geschehen - die Gießkanne über den Globus zu schwenken und den Versuch zu unternehmen,
alle gleichermaßen zu treffen.
({7})
Wir wissen, daß in der Vergangenheit auch jene
Schwellenländer gefördert worden sind, die mittlerweile in der Lage sind, für Beratung und technische Hilfe Gegenleistungen zu erbringen. Gefördert wurde HighTech. Das wäre alles vertretbar gewesen, wenn gleichzeitig an anderer Stelle notwendige Entwicklungsprojekte in armen Ländern auf den Weg gebracht worden
wären. Ich denke, daß Schwerpunktsetzung richtig ist
und daß in Zukunft eine Politik unterbleiben sollte, die
Projekte fördert, die die Länder selbst finanzieren können. Statt dessen sollten wir zum Beispiel Publicprivate-partnership unterstützen, weil wir damit die
Möglichkeit des gezielten Einsatzes von Mitteln erhalten.
Organisatorisch gesehen hat das BMZ erweiterte Mitspracherechte. Die Ministerin hat hier noch einmal den
Bundessicherheitsrat angesprochen. Die Aufgaben der
Entwicklungspolitik werden in der Regierung als Querschnittsaufgabe wahrgenommen. Wir müssen auf internationaler Ebene dafür sorgen, daß zum Beispiel Nachfolgeabkommen zum Abkommen von Lomé unter Dach
und Fach gebracht werden. Wir müssen bei den Verhandlungen der Welthandelsorganisation dafür sorgen,
daß die Welt nicht in zwei Lager geteilt wird: hier subventionierte Erzeuger von Lebensmitteln, dort hungernde Almosenempfänger, deren Märkte durch unsere subventionierten Produkte kaputtgemacht werden.
({8})
In bezug auf die Bewältigung dieser Aufgaben ist die
Politik vorangebracht worden.
Lieber Kollege Ruck, es geht um Kohärenz, die
Übereinstimmung auf verschiedenen Politikfeldern und
damit um die Glaubwürdigkeit unserer Politik. Sie werden das nicht gerne hören, aber die frühere Politik unter
Minister Spranger war gerade in diesem Punkt ein Totalausfall.
Da ich heute die Rede von Herrn Schäuble zur
Kenntnis nehmen mußte, in der er kritisiert, daß der
Entwicklungsetat deutliche Kürzungen aufweist und daß
mit diesen Finanzmitteln keine adäquate Eine-WeltPolitik mehr möglich sei,
({9})
dann muß ich schon fragen, wer denn mit der EineWelt-Politik begonnen hat. Es ist doch die rotgrüne Koalition gewesen, die die Dinge in diesem Bereich vorangebracht hat.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
und der F.D.P., Sie können doch überhaupt nicht wegdiskutieren, daß Sie zum Beispiel 1994 einfach einmal
400 Millionen DM im Entwicklungsetat gestrichen haben. Sie werden nicht wegdiskutieren können, daß Sie
1996 angekündigt haben, den Etat um 2 Prozent zu erhöhen. Am Ende haben Sie ihn um 2 Prozent reduziert.
Damit waren schon wieder 4 Prozent dieses Etats weg.
({11})
Das ist doch die Basis, die wir übernehmen mußten.
Was hat diese Regierung eingebracht? Was hat sie
vorangebracht? Schuldenerlaß, Kohärenzpolitik, Einflußnahme auf den IWF und auf die Weltbank.
({12})
- Es tut mir ja leid, daß es Ihnen weh tut, Herr Kollege.
In vielen Punkten stimmen wir ja überein, aber Sie müssen die Wahrheit ertragen. Das läßt sich doch nicht verhindern.
({13})
Wer hat denn mit der Strukturpolitik und der Bekämpfung von Armut begonnen? Meine Damen und Herren,
es ist doch unbestreitbar, daß diese Bundesregierung
trotz der Schwierigkeiten, die Sie uns hinterlassen haben, zu ihren internationalen Verpflichtungen steht.
({14})
Ich denke, das sind inhaltliche Schwerpunkte, die - trotz
der bedauerlichen Kürzungen - in vieler Hinsicht
weitaus mehr bringen als die eine oder andere Mark im
Etat. Ich empfehle Ihnen, sich einmal die Studie von
Wolfensohn durchzulesen, der sehr zu Recht sagt, daß
es nicht so sehr auf das Volumen, sondern auf die Ergebnisse ankommt. Die Ergebnisse nach einem Jahr rotgrüner Entwicklungspolitik können sich doch sehen lassen!
({15})
Im Kosovo und in den Anrainerstaaten hat die Arbeit
des BMZ auf der Grundlage entwicklungspolitischer Erfahrung sichtbare Erfolge gebracht: Wasser, Stromversorgung, Medizin, Baumaterial - kurz, die Hilfe zur
Selbsthilfe ist eingeleitet. Das ist ein richtiger Weg. Dies
geschieht - die Kolleginnen und Kollegen haben schon
darauf hingewiesen - zum großen Teil mit Mitteln, die
zwar entwicklungspolitischen Zielen zugute kommen,
gleichwohl aber nicht im Haushaltsplan des Ministeriums stehen. Das betrifft zum Beispiel die 300 Millionen
DM im Einzelplan 60. Das geschieht unabhängig von
den multilateralen Verpflichtungen; das sollte man nicht
vergessen, wenn wir die Kürzungen im Haushalt betrachten.
Die Bundesrepublik stellt in den nächsten Jahren 1,2
Milliarden DM für den Stabilitätspakt mit Südosteuropa zur Verfügung. Gerade wir Entwicklungspolitiker
sollten das Selbstbewußtsein haben, immer wieder deutlich zu machen, daß Entwicklungspolitik dazu beiträgt,
auch den Menschen in diesem Teil Europas eine Perspektive zu geben.
({16})
Meine Damen und Herren, ich denke, daß Sie Verständnis haben, wenn ich an dieser Stelle ein Wort zu
Osttimor sage. Das gesamte Haus ist sich - das ist
wohltuend, das will ich an dieser Stelle feststellen in der Einschätzung dieser bedrückenden Situation einig,
in der es der internationalen Gemeinschaft trotz großen Einsatzes - mein tiefer Respekt gilt den tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der UN, die sich
dort unbewaffnet zur Verfügung gestellt haben, um
das Referendum durchzuführen; das war eine mutige
Geste ({17})
wieder nicht gelungen ist, Mord, Brandschatzung und
Vertreibung zu verhindern. Auch angesichts des notwendigen Militäreinsatzes, den wir wohl alle als in dieser Form unvermeidlich ansehen, wird eine nachhaltige
Befriedung des Konfliktes nur mit dem Instrument der
bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit
möglich sein. Das sollten wir als langfristige Zielvorstellung im Auge haben.
({18})
Ich möchte auf die zukünftigen Aufgaben zurückkommen, weil ich mich nicht vor Themen drücken will,
die besonders sensibel sind. Ich denke, bei dem Titel der
Nichtregierungsorganisationen werden wir auf Grund
unserer parlamentarischen Verantwortung - das kann
ich jedenfalls für die Koalition sagen - dafür Sorge tragen, daß es nicht bei dem jetzigen Haushaltsansatz
bleibt. Wir müssen versuchen, eine Anhebung gegenüber dem vorliegenden Entwurf vorzunehmen.
Ich denke, daß wir uns in diesem Punkt einig sind:
Unsere entwicklungspolitischen Prinzipien zur Förderung einer Zivilgesellschaft - Good Governance, Achtung der Menschenrechte, Schutz von Minderheiten sowie Bildung und Erziehung - machen es geradezu erforderlich, daß Nicht-Regierungsorganisationen bei uns,
aber insbesondere auch in den betroffenen Ländern zu
fördern sind. Sie sind die Hefe im Teig der Zivilgesellschaften. Deswegen müssen wir darauf achten, daß eine
entsprechende Ausstattung erfolgt. Das gleiche - in diesem Punkt werden Sie mir zustimmen - gilt für Bildung
und Erziehung. Man sollte in diesem Zusammenhang
auch den beruflichen Bereich einbeziehen.
Herr Kollege Dzembritzki, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Ja. - Da ich gerade bei
der Diskussionsvorbereitung im Ausschuß bin, möchte
ich noch sagen, daß wir eine vernünftige Balance hinsichtlich der Verpflichtungsermächtigung finden werden.
Zum Schluß noch eine Bemerkung: Was wir jetzt
entwicklungspolitisch zu bewältigen haben, hängt natürlich auch sehr stark damit zusammen, ob wir in unserer Forderung nach Good Governance glaubwürdig
sind. Wie wollen wir denn von den Regierungen, zum
Beispiel von den Regierungen der AKP-Staaten, erwarten, daß sie ihre Haushalte in Ordnung bringen, wenn
wir das schon nicht tun?
Herr Kollege, zum
Schluß kommen heißt, nur noch einen Gedanken vorzutragen.
Als letztes will ich sagen, Frau Präsidentin: Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition, hindern Sie uns nicht daran, den
Haushalt in Ordnung zu bringen! Springen Sie über Ihren Schatten! Helfen Sie uns dabei, diese Konsolidierung zu ermöglichen! Dies ist die Voraussetzung, um
auch in Zukunft zu unseren internationalen Verpflichtungen zu stehen. Wir sind auf einem guten Weg.
({0})
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Klaus-Jürgen Hedrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen!
Ihre CDU, Herr Schäuble, und F.D.P. haben im
Haushaltsausschuß gerade einmal sage und schreibe 7,65 Milliarden DM für Entwicklungspolitik
beschlossen - knapp doppelt so viel wie der Jahresetat der Stadt Stuttgart. ...
Ich kritisiere, daß sich die Bundesregierung durch
langsames Austrocknen dieses Politikbereiches aus
ihrer Verantwortung für die Bewältigung globaler
Probleme verabschiedet. Ich meine, daß Entwicklungspolitik Zukunftssicherung ist. Das hat diese
Regierung nicht begriffen.
Dies erklärte die damalige entwicklungspolitische
Sprecherin der Grünen, Frau Kollegin Dr. Uschi Eid, am
15. Januar 1998 in einer Bundestagsdebatte in Bonn.
({0})
Vielleicht, liebe Frau Kollegin, sind Sie irgendwann
einmal bereit, uns den Vorschlag, den Sie jetzt präsentiert haben, mit einem Etat von 7 Milliarden DM für das
nächste Jahr und von 6,5 Milliarden DM im Jahre 2003
- zu diesem Zeitpunkt werden Sie natürlich nicht mehr
regieren - zu erklären. Ich überlasse Ihnen die Bewertung. Der Vorschlag macht wieder den Widerspruch
zwischen Ankündigung, Kritik und aktuellen Taten
deutlich.
Wir kritisieren Sie übrigens nicht nur allein wegen
dieser Einschnitte, sondern wir kritisieren Sie vor allem
deshalb, weil Sie den Menschen etwas versprochen haben und dieses Versprechen, wie die Versprechen in
vielen anderen Bereichen, nicht gehalten haben.
({1})
In der Koalitionsvereinbarung haben Sie festgehalten:
Um dem international vereinbarten 0,7-ProzentZiel näher zu kommen, wird die Koalition den Abwärtstrend des Entwicklungshaushaltes umkehren
und vor allem die Verpflichtungsermächtigungen
kontinuierlich maßvoll erhöhen.
Was passiert? Jetzt kann man natürlich sagen: Vielleicht war es die Euphorie. Aber die Ministerin hat dann
noch am 24. Februar dieses Jahres gesagt: Mit dem jetzt
vorgelegten Bundeshaushaltsplan - das war noch der
von 1999 - haben wir den Abwärtstrend des Entwicklungshaushaltes gestoppt und die Grundlage für eine
Aufwärtsentwicklung geschaffen.
Jetzt wird von Ihnen häufig argumentiert, sie müßten
nun sparen, weil wir Ihnen so einen Scherbenhaufen
hinterlassen hätten.
({2})
Jetzt kann ich natürlich folgende Frage stellen: Als Sie
diese Koalitionsvereinbarung unterschrieben haben, als
die Ministerin diese Erklärung abgegeben hat - übrigens
ist eine entsprechende Erklärung von der Ministerin
noch im Mai abgegeben worden; damals haben wir sie
schon gewarnt: liebe Frau Ministerin, seien Sie mit Ihren
Ankündigungen vorsichtig -, waren Sie sich da über den
Haushalt der vergangenen Jahre und das, was vor Ihnen
liegt, nicht im klaren? Das hätten Sie doch eigentlich
wissen müssen.
({3})
Wenn ich mich nicht völlig irre, dann ist der zuständige Staatssekretär im Finanzministerium für den Haushalt bei Eichel wie bei Lafontaine noch derselbe wie bei
Waigel. Hat dieser Mann möglicherweise uns oder Sie
in die Irre geführt? Das will ich nicht unterstellen.
({4})
Sie kannten natürlich die Zahlen. Der Punkt ist nur
- darauf ist schon mehrmals hingewiesen worden -: Sie
mußten mit dem Eichel-Vorschlag das korrigieren, was
Ihnen der unmittelbare Vorgänger von Eichel eingebrockt hatte. Das und nichts anderes sind die Fakten.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie täuschen - oder haben getäuscht - nicht nur die deutsche
Öffentlichkeit. Sie täuschen darüber hinaus sogar unsere
internationalen Gesprächspartner. Der G-7-Gipfel in
Köln hat festgelegt, daß sich alle Mitgliedsländer der G7
verpflichten, die Entwicklungshilfemittel zu steigern.
({6})
Das war Ende Juni. Wissen Sie, Frau Kollegin Eid, was
das Schlimme ist? Als der Bundeskanzler und die Entwicklungsministerin ihre Unterschrift unter dieses Papier gesetzt haben, wußten Sie bereits, daß der Finanzminister dramatische Kürzungen im Entwicklungsetat
vorbereitet. Sie haben also nicht nur die deutsche
Öffentlichkeit getäuscht. Sie haben auch noch unsere
internationalen Partner getäuscht. Das halte ich für
schäbig.
({7})
Das heißt: Sie haben der Reputation Deutschlands erheblichen Schaden zugefügt. Das ist Ihre Politik. Wir
sind in unserer Bewertung nicht allein. Ich rechne Ihnen
erst einmal zugute - das darf man bei aller Diskussion
durchaus sagen -: Die Entwicklungspolitiker der Koalition teilen unsere Einschätzung. Das wissen Sie doch
ganz genau.
Der Punkt ist aber: Diese Kritik wird nicht nur von
uns geteilt. Gehen Sie doch durch die deutsche Landschaft! Das ist von mehreren Kollegen angesprochen
worden. In einem Papier von VENRO wird darauf hingewiesen: Aus Sicht der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen sind mit dem Sparprogramm
nicht nur schmerzhafte finanzielle Einschnitte verbunden, sondern es deutet sich ein grundlegender
Politikwechsel der rotgrünen Bundesregierung in der
Entwicklungszusammenarbeit an. Das ist der Punkt.
Der entscheidende Fehler, den Sie darüber hinaus
noch machen, ist, daß Sie hier davon reden - Herr
Dzembritzki hat das angesprochen -, Sie hätten irgendwelche Dinge auf den Weg gebracht. Diese Diskussion
nehme ich Ihnen persönlich gar nicht übel. In den letzten
Jahren gab es einen breiten Konsens zwischen den
Fraktionen. Wir haben gemeinsame Beschlüsse über die
entwicklungspolitische Landschaft gefaßt. Ich kann
nichts dafür, daß Sie mit dem Haushalt, den Sie uns
vorlegen, die Gemeinsamkeit in der Entwicklungspolitik
aufkündigen. Drehen Sie aber den Spieß bitte nicht um.
Sagen Sie nicht, Sie hätten mit Armutsbekämpfung oder
dergleichen begonnen.
Ganz im Gegenteil: Führen Sie sich einmal das Dokument des deutschen NRO-Forums Weltsozialgipfel
zu Gemüte. Darin wurde festgelegt, daß sowohl die
Entwicklungsgeber wie die Entwicklungsländer 20 Prozent ihrer Mittel, die sie für Entwicklungspolitik zur
Verfügung stellen, für soziale Anliegen, für Armutsbekämpfung usw. zur Verfügung stellen. Dieses Forum hat
ausdrücklich erklärt: Mit dem jetzt vorliegenden Haushalt werden die Ziele des Weltsozialgipfels massiv verfehlt. - Ich führe hier nicht uns, sondern andere Zeugen
an.
({8})
Wir werden uns darüber Gedanken machen müssen, wie
wir mit der Sache weiter umgehen.
Sie haben die Frage angesprochen, ob man innerhalb
des Haushaltes nicht das eine oder andere umschichten
könne. Daß wir dafür plädieren, diesen Haushalt nicht
zur Grundlage unserer Diskussion zu machen, ist selbstverständlich. Wir sind aber trotzdem gewillt, Ihnen bei
Vorschlägen möglicherweise Rückendeckung zu geben:
Frau Ministerin, Sie kündigten an, Sie würden sorgfältig
darüber nachdenken, ob zusätzliche Mittel aus dem EEF,
dem Europäischen Entwicklungsfonds, umzuschichten
seien. Sie hätten uns auf Ihrer Seite; das möchte ich
deutlich machen; denn die europäische Entwicklungspolitik hat bisher ihre Erwartungen in der Tat nicht erfüllt.
Wenn ich übrigens rechtsradikaler Politiker in diesem
Lande wäre
({9})
- kann ich mir auch nicht -, dann hätte ich mir zum Beispiel den Bericht des Europäischen Rechnungshofes zu
Gemüte geführt und hätte im Wahlkampf daraus zitiert.
Es ist eine absolute Katastrophe. Wir haben das immer
kritisiert, sind damit aber häufig nicht durchgedrungen.
Es geht nun darum, eine Politik auf den Weg zu bringen, die gegenüber der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit glaubhaft bleibt. Deswegen will ich
mit folgendem Aspekt abschließen: Sie haben die Entschuldungsinitiative hier wieder angesprochen und angemahnt. Von der Bundesregierung kam bezüglich der
Vorbereitung der Weltbank- und IWF-Tagung letzte
Woche die Information, daß sie noch nicht wüßte, wie
sie das finanzieren solle; vielleicht ist das heute anders.
Die internationalen Finanzierungsorganisationen erklärten, sie hätten dafür nicht das Geld.
Die Konsequenz ist: Selbst wenn Sie sich mit dieser Initiative durchsetzen, würde das im nächsten Haushalt im Höchstfalle 40 bis 50 Millionen DM an Belastung des Entwicklungsetats zugunsten der Entwicklungsländer bedeuten. Gleichzeitig streichen Sie
aber den Entwicklungsländern Gelder in Höhe von
700 Millionen DM. Das ist die negative Bilanz Ihrer
Politik. Damit werden wir Sie auf keinen Fall durchkommen lassen.
({10})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort der Abgeordneten
Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fange beim letzten Punkt, zu
dem ich angesprochen wurde, an. Ich möchte Sie auf
folgendes hinweisen: Die Entschuldungsinitiative, die
wir in Gang gesetzt haben und die wir verwirklichen
werden, wird - das habe ich vorhin gesagt - für die ärmsten Entwicklungsländer 70 Milliarden US-Dollar mobilisieren.
({0})
Dies wird im Haushalt mit etwa 60 bis 80 Millionen DM
jährlich zu Buche schlagen. Das werfen Sie uns vor! Ich
finde es gut, wenn man mit einem vergleichsweise geringen Haushaltsumfang ein solches Maß an finanzieller
Entlastung mobilisiert. Meine Güte, das habt ihr noch
nie hinbekommen!
({1})
Der zweite Punkt. Es wird hier über Kürzungen diskutiert. Dazu will ich eines sagen: Es ist kein Geheimnis, daß ich bis zum Schluß den Versuch gemacht habe,
den Entwicklungshaushalt aus diesen Kürzungen herauszuhalten. Ich bin aber nicht bereit, diese Heuchelei
hinzunehmen. Wir konsolidieren den Haushalt, das
heißt, wir reduzieren und sparen überall. Sie dagegen
haben den Bundeshaushalt von 1991 bis 1998 um rund
14 Prozent aufgestockt, und im gleichen Zeitraum haben
Sie die Mittel im Entwicklungshaushalt um rund
5 Prozent reduziert. Das heißt, Sie haben den Entwicklungshaushalt als Steinbruch benutzt.
({2})
Wer eine solche Politik zu verantworten hat, der
sollte hier schweigen und uns nicht kritisieren, wenn wir
die Konsequenzen Ihrer Politik ausbaden müssen.
({3})
Ich möchte noch folgendes zitieren:
Der Maßstab bei der Beurteilung unserer Entwicklungshilfe kann eben nicht nur beim Haushaltsvolumen selbst oder etwa bei der umstrittenen ODAQuote angelegt werden. Mehr denn je muß die
Qualität - das heißt für mich Effektivität und Effizienz - und vor allem auch die Nachhaltigkeit unserer Hilfe im Vordergrund stehen.
Dieses Zitat vom 27. November 1996 stammt von Michael von Schmude, der vorhin unsere Arbeit kritisiert
hat. Sie sollten öfter Ihre früheren Reden lesen. Wenn
Sie das täten, würden Sie einen Teil Ihrer Diskussionsbeiträge anders gestalten.
({4})
An die Adresse des Kollegen Schüßler: Wenn Sie
einerseits sagen, es werde zu viel gekürzt, und andererseits fordern, das Auswärtige Amt solle das BMZ
schlucken, dann ist das ein großer Widerspruch. Ich sage
Ihnen: Wer in diesem Bereich Ministerien zusammenlegt, der reduziert die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit in drastischem Umfang. Entwicklungszusammenarbeit heißt, in die innergesellschaftlichen Verhältnisse unserer Partnerländer auch eingreifen zu können. Das ist angesichts der Globalisierung ein ganz moderner Ansatz. Für diesen werden wir uns immer engagieren und immer kämpfen.
Ministerien zusammenzulegen bedeutet auch, Haushalte drastisch zu reduzieren. Ich werde dafür kämpfen,
daß der Entwicklungshaushalt, der Einzelplan 23, in Zukunft wieder aufgestockt wird und von Ihren unsinnigen
Vorschlägen verschont bleibt.
({5})
Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, eine Kurzintervention darf sich nur auf
einen Debattenbeitrag beziehen. Sie haben genauso wie
andere Ministerinnen und Minister aus Ihrem Kabinett
den Fehler begangen, sich auf mehr als eine Rede zu beziehen. Ich bitte, dies bei zukünftigen Kurzinterventionen zu beachten, gerade dann, wenn sich Ministerinnen
und Minister als Abgeordnete zu Wort melden.
Zur Erwiderung erteile ich jetzt dem Kollegen Hedrich das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Meine erste Feststellung: Der Haushalt des BMZ von
1998 - der Kollege von Schmude hat darauf hingewiesen - war im Vergleich zu denen der Vorjahre der
zweitgrößte in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland.
Meine zweite Feststellung betrifft die Entschuldung.
Ich habe vorhin vielleicht folgenden Punkt zu erwähnen
vergessen. Sie tun so, als habe die Entschuldung erst mit
Ihnen begonnen. Das ist natürlich schlicht und ergreifend falsch. Korrekt ist: Bereits die Regierung Helmut
Schmidt hat mit dem Schuldenerlaß begonnen. Seitdem
sind die Schulden kontinuierlich über zwei Jahrzehnte
hinweg erlassen worden.
({0})
Ich möchte auch noch etwas zu dem eben von mir
angesprochenen Weltsozialgipfel anmerken. Dort ist
zum erstenmal von der Bundesregierung das Problem
angesprochen worden, daß es keinen Sinn macht, sich
nur auf eine bilaterale Entschuldung zu beschränken;
vielmehr ist eine multilaterale Entschuldung notwendig.
Darüber ist bereits seit 1995 intensiv in den internationalen Gremien diskutiert worden. Die HIPEC-Initiative,
die die Entschuldung der ärmsten Länder zum Ziel hat,
ist ja nicht auf Ihre Initiative, sondern auf die von CarlDieter Spranger zurückzuführen.
({1})
Ich habe nur angemahnt, daß Sie auch diesmal nicht
erklärt haben, wie Sie die Finanzierung der angekündigten 60 Millionen bis 80 Millionen DM sicherstellen
wollen. Sie sind in Ihrem Etat nicht vorgesehen. Sie sind
genauso wenig belegt - das hat der Kollege von Schmude schon angesprochen - wie die 50 Millionen DM - in
diesem Jahr sind es 35 Millionen DM -, die Sie für die
Schwankungen der Wechselkurse aufbringen müssen.
Sie haben bisher keine Auskunft darüber gegeben, aus
welchen Einzeletats diese Summe finanziert werden soll.
Möglicherweise kürzen Sie wieder die Mittel für die
bilaterale Hilfe, für die Unterstützung der Kirchen und
der Nichtregierungsorganisationen. Nur wenn Sie so
handeln, können Sie diese Verpflichtung erfüllen, die
Sie nicht sauber etatisiert haben. Das ist die Wahrheit.
({2})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, auch im Interesse der Zeit lasse ich keine
weiteren Kurzinterventionen mehr zu. Im übrigen
möchte ich anmerken: Herr Kollege Schmude, Sie haben
sich gemeldet, nachdem es eine Kurzintervention der
Abgeordneten Wieczorek-Zeul gab. Es ist problematisch, wenn wir anfangen, auf Kurzinterventionen zu
reagieren. Wir sollten dieses Mittel dort einsetzen, wo es
vonnöten ist.
({0})
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung liegen mir nicht mehr vor.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 f auf.
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Aussprache:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Geset-
zes zur Änderung des Außenwirtschaftsgeset-
zes
- Drucksache 14/1415 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 22. September 1998 zu dem
Übereinkommen vom 5. April 1973 ({1}) zwischen den Nichtkernwaffenstaaten der Europäischen Atomgemeinschaft, der Europäischen Atomgemeinschaft
und der Internationalen Atomenergie-Organisation in Ausführung von Artikel III Absätze 1
und 4 des Vertrages über die Nichtverbreitung
von Kernwaffen
- Drucksachen 14/1416 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({2})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. April 1973
zwischen den Nichtkernwaffenstaaten der Europäischen Atomgemeinschaft, der Europäischen
Atomgemeinschaft und der Internationalen
Atomenergie-Organisation in Ausführung von
Artikel III Absätze 1 und 4 des Vertrages vom
1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von
Kernwaffen ({3}) sowie zu
dem Zusatzprotokoll zu diesem Übereinkommen
vom 22. September 1998
({4})
- Drucksache 14/1417 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({5})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz
- Drucksache 14/1418 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({6})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung
des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes
- Drucksache 14/1517 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuß für Tourismus
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Christa Luft, Gerhard Jüttemann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes - Absenkung der Privatisierungspflicht und Aufhebung der Erlösabführung zum 1. Januar
- Drucksache 14/1123 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({8})
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuß
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 e auf. Es
handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 4 a:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({9}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({10}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({11}) Nr.
3922/91 des Rates vom 16. Dezember 1991 zur
Harmonisierung der technischen Vorschriften
und der Verwaltungsverfahren in der Zivilluftfahrt
- Drucksachen 14/488 Nr. 2.19, 14/1341 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Peter Wilhelm Danckert
Der Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung durch die
Bundesregierung, eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Tagesordnungspunkt 4 b:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 68 zu Petitionen
- Drucksache 14/1561 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 68 ist bei Enthaltung
der PDS-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 c:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 71 zu Petitionen
- Drucksache 14/1564 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 71 ist mit den Stimmen der Koalition und der PDS-Fraktion gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 d:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 72 zu Petitionen
- Drucksache 14/1565 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 72 ist mit den Stimmen der Koalition und der PDS-Fraktion gegen die
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der
F.D.P.-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 e:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 73 zu Petitionen
- Drucksache 14/1566 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 73 gegen
die Stimmen der PDS angenommen. Es liegt eine
schriftliche Erklärung des Kollegen Dr. Winfried Wolf
zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 4 e
vor.*)
Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort. Wir
kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Bildung und Forschung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Einbrin-
gung ihres Haushalts hat die Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung, Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge-
*) Anlage 3
ehrte Kollegen und Kolleginnen! Die Bundesregierung
hält an ihrem Versprechen fest.
({0})
Wir haben mit dem Jahre 1999 die längst überfällige
Kurskorrektur vorgenommen und rund 1 Milliarde DM
mehr für Bildung und Forschung zur Verfügung gestellt.
({1})
Wir setzen mit dem Haushaltsjahr 2000 diesen Kurs fort.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in
Deutschland nicht von Rohstoffen, sondern von einer
starken Forschung und von sehr gut ausgebildeten, qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Deshalb haben wir mit diesem Haushalt den Kurs fortgesetzt.
Der Haushalt für das Jahr 2000 wird im Bereich Bildung und Forschung insgesamt 14,59 Milliarden DM
betragen. Dazu kommt, daß der Darlehensanteil für das
BAföG im Jahre 2000 erstmals von der Deutschen Ausgleichsbank bereitgestellt wird.
({3})
Für die Studierenden ändert sich überhaupt nichts. Die
Zinslasten werden vom Bund gestellt. Wir haben aber
dadurch einen zusätzlichen finanziellen Spielraum in
Höhe von zirka 550 Millionen DM gewonnen. Es stehen
im Haushaltsjahr 2000 rund 210 Millionen DM mehr für
Bildung und Forschung zur Verfügung.
({4})
Die Bundesregierung hat einen Haushalt für das Jahr
2000 vorgelegt, der einen Sanierungskurs darstellt und
damit einen Weichenwechsel beinhaltet, damit wir auch
noch in fünf, sechs oder sieben Jahren die nötigen Mittel
für Bildung und Forschung bereitstellen können, damit
wir auch noch in zehn Jahren das nötige Geld haben, um
aktive Arbeitsmarktpolitik durchzuführen, und damit wir
auch in Zukunft noch das Geld haben, um wichtige
politische Ziele erreichen zu können.
({5})
Wir gehen dabei nicht nach der Rasenmähermethode
vor, sondern setzen Schwerpunkte. Einer dieser Schwerpunkte ist der Bereich Bildung und Forschung. Daher
halten wir auch an dem Ziel fest, die Zukunftsinvestitionen für Bildung und Forschung zu verdoppeln. Es wird
etwas länger dauern, als wir ursprünglich geplant hatten.
Entscheidend ist aber, daß wir diesen Kurs nicht wieder
verlassen, sondern ihn fortsetzen werden. Die mittelfristige Finanzplanung, die wir im Bundeskabinett beschlossen haben, zeigt, daß der von mir eben beschrieVizepräsidentin Petra Bläss
bene Kurs Jahr für Jahr, Schritt für Schritt fortgesetzt
wird.
({6})
Wenn ausgerechnet die Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition sagen, daß das nicht ausreiche, dann
ist das nicht mehr glaubwürdig, denn F.D.P. und
CDU/CSU haben in ihren Regierungsjahren das Gegenteil gemacht. Sie haben die Ausgaben für Bildung und
Forschung über Jahre hinweg gekürzt,
({7})
um 800 Millionen DM allein zwischen 1993 und 1998,
und das trotz eines insgesamt steigenden Haushalts. Wir
machen es andersherum: Der Haushalt insgesamt sinkt,
aber wir setzen trotzdem einen klaren Schwerpunkt auf
Bildung und Forschung.
({8})
Das, meine Damen und Herren, können Sie selbst nachrechnen; es ist an den Zahlen deutlich erkennbar - obwohl ich heute morgen, als ich den Debatten zuhörte,
gelernt habe, warum der Mathematikunterricht in
Deutschland verbessert werden muß. Ich hoffe aber, Sie
von der CDU/CSU werden das in der Debatte um meinen Haushalt nicht erneut deutlich machen.
({9})
Mit diesen Kürzungen in Bildung und Forschung haben Sie damals an der falschen Stelle gespart, und Sie
haben auch die falschen Zeichen gesetzt. In den letzten
Jahren fehlten deutliche Zeichen, und zwar auch an die
Wirtschaft, Zukunftsinvestitionen zu erhöhen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, Wissen hat eine
immer größere Bedeutung in unserer Gesellschaft. Immer mehr und immer spezialisierteres Wissen ist im
Dienstleistungssektor und auch in der Produktion gefragt. Viele Lebens- und Arbeitsbereiche der Menschen
werden sich dadurch sehr stark verändern. Darauf müssen die Menschen vorbereitet sein, und wir müssen die
Menschen darauf vorbereiten.
Die Informations- und Kommunikationsbranche
ist eine der zukunftsträchtigsten Branchen für Innovation und neue Arbeitsplätze. Trotzdem besteht in
Deutschland die absurde Situation, daß es in dieser
Branche einen dramatischen Mangel an Fachkräften
gibt. Schätzungen gehen davon aus, daß allein deshalb
zirka 75 000 bis 100 000 Arbeitsplätze nicht besetzt
werden können.
Diese für mich besorgniserregenden Zahlen zeigen
ganz deutlich, daß die alte Bundesregierung dieses Problems verschlafen hat.
({10})
Sie hat viel zuwenig dafür getan, um das enorme Beschäftigungspotential das wir gerade in diesem Bereich
haben, auszuschöpfen.
Wir dagegen haben sehr schnell gehandelt. Wir haben
mit zusätzlichen Mitteln für die Informations- und
Kommunikationstechnologien den Wandel zur Informationsgesellschaft aktiv unterstützt. Wir haben ihn
aktiv gestaltet, zum Beispiel mit neuen Programmen wie
dem Programm, mit dem wir die neue Mobilfunkgeneration in Deutschland entwickeln. Hier haben wir, auch
weltweit, eine spezielle Stärke, die wir nutzen müssen,
indem wir für den weiteren Ausbau von Wissenschaftsnetzen sorgen.
In der nächsten Woche werden wir das Aktionsprogramm „Innovation für Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ vorstellen. Mit
diesem Aktionsprogramm werden wir zahlreiche Vorschläge machen, wie wir die Chance, die wir in der
Bundesrepublik haben und die wir bisher nicht ausreichend genutzt haben, nutzen können, um neue Arbeitsplätze zu schaffen und damit den für unsere ganze Industrie wichtigen Bereich weiterzuentwickeln.
Darüber hinaus haben wir im „Bündnis für Arbeit“
einen Maßnahmenkatalog gegen den Fachkräftemangel
in der informationstechnologischen Branche vereinbart,
in dem wir ganz konkrete Schritte festgelegt haben, damit der „bottle neck“, den wir hier inzwischen haben,
überwunden wird.
({11})
Dabei werden wir bei unseren Schülerinnen und
Schülern anfangen; denn Lernen und Lehren am Computer muß bereits in der Schule eine Selbstverständlichkeit sein. Deshalb haben wir einen neuen Haushaltstitel
geschaffen, mit dem wir das Lernen am Netz und am
Computer im nächsten Jahr mit 60 Millionen DM fördern werden.
In den neuen Ländern ist der Strukturwandel am
deutlichsten spürbar.
({12})
Wir werden hier die Rahmenbedingungen für Innovationen deutlich verbessern und auch im Jahr 2000 mehr als
3 Milliarden DM für Bildung und Forschung in den neuen Bundesländern bereitstellen.
Mit der Initiative „Inno-Regio“ geben wir dem Aufbau Ost neue Impulse.
({13})
Gefördert wird die regionale Zusammenarbeit bei der
Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. Dieses Programm ist im Mai gestartet worden. Wir haben es
sehr schnell nach der Regierungsübernahme konzipiert.
Das war eine Forderung, die wir bereits in unserem
Wahlprogramm erhoben haben. Dieses Programm stößt
auf eine riesige Resonanz. Wir haben inzwischen über
440 Bewerbungen. Die Tatsache, daß sehr viele, zwei
Drittel, dieser Anträge von Wirtschaftsunternehmen
oder Technologie- und Gründerzentren gestellt werden,
zeigt mir sehr klar, daß wir in den neuen Bundesländern
inzwischen eine gute Forschungsinfrastruktur haben.
Wir werden mit diesem Programm, das im nächsten
Jahr mit 30 Millionen DM startet und das sukzessive auf
500 Millionen DM aufgestockt werden wird, einen
wichtigen Beitrag dazu leisten, daß sich in den neuen
Ländern eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung
vollzieht. Darum geht es; das ist das Ziel.
({14})
Wir setzen mit diesem Programm auf die Forschungsund Innovationskraft, die in den neuen Ländern steckt,
aber noch ein Stück Unterstützung braucht. Damit schaffen wir zukunftsfähige Arbeitsplätze.
Wir setzen auf Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit. Zu Beginn unserer Arbeit haben wir auf dem
Lehrstellenmarkt eine sehr schwierige Situation vorgefunden. Zwischen Angebot und Nachfrage klaffte eine
große Lücke. Die Ausbildungsplatzbilanz war im dritten
Jahr hintereinander nicht ausgeglichen, vor allem in den
neuen Bundesländern. Die Jugendarbeitslosigkeit war in
Ihrer Regierungszeit, meine Herren und Damen von
CDU/CSU und F.D.P., so hoch wie nie zuvor.
({15})
Deshalb mußte dringend gehandelt werden.
Die neue Bundesregierung hat sofort gehandelt. Wir
haben ein Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt. Über 400 000 Menschen haben ein
konkretes Angebot für eine Lehrstelle, eine Beschäftigung oder eine Trainingsmaßnahme erhalten.
({16})
Dies ist ein Erfolg des Programms. Wir haben damit
Menschen erreicht, die vorher überhaupt nicht mehr erreichbar waren. Ich finde es verantwortungslos, wenn
man das einfach abtut
({17})
oder so tut, als würde das nicht für Hunderttausende von
Jugendlichen bedeuten, daß sie wieder Tritt fassen. Das
Geld ist richtig eingesetzt, und deshalb lasse ich mir
nicht daran herummäkeln. Mir sind 400 000 Jugendliche
nicht egal, und ich hoffe, auch Ihnen nicht.
({18})
Wir haben außerdem eine gemeinsame Aktion von
Bund und Ländern gestartet, indem wir ein Ausbildungsprogramm Ost aufgelegt und damit zusätzlich 17 500 Lehrstellen in Ostdeutschland geschaffen
haben.
Wir haben es geschafft, meine Damen und Herren,
junge Menschen aus der Arbeitslosigkeit zu holen und
ihnen wieder Perspektiven für die Zukunft zu eröffnen.
Mit den Gewerkschaften und der Wirtschaft haben wir
im „Bündnis für Arbeit“ einen Ausbildungskonsens erreicht, so daß alle Jugendlichen in diesem Jahr ein Ausbildungsplatzangebot erhalten. Im Rahmen dieses Konsenses haben wir konkrete Schritte vereinbart: Die Wirtschaft hat zugesagt, ihr Angebot an Ausbildungsplätzen
auf eine Zahl zu erhöhen, die um über 10 000 Plätze höher liegt, als es der demographische Zuwachs verlangen
würde. In der Informationstechnik haben wir die Zahl
der Ausbildungsplätze auf 40 000 erhöht und noch ein
weiteres Bündel an Maßnahmen vereinbart, um gerade
den Jugendlichen mit schlechteren Startchancen die
Möglichkeit zu geben, eine Ausbildung zu erhalten.
({19})
Ich finde, daß es dem Parlament, uns und mir, gut ansteht, den Jugendlichen Mut zu machen und ihnen deutlich zu sagen, daß sie nicht resignieren sollen. Es ist
auch notwendig, sie immer wieder darauf hinzuweisen,
daß sie nicht resignieren und aufgeben sollen. In den
kommenden Wochen werden alle Jugendlichen, die
noch keinen Ausbildungsplatz haben, noch einmal von
den Arbeitsämtern angesprochen oder angeschrieben.
Wir versuchen, sie noch zu vermitteln.
({20})
Wir werden jetzt nicht aufhören, sondern die Vermittlungsbemühungen in den nächsten vier Wochen unter
Beteiligung sowohl von Gewerkschaften wie auch der
Wirtschaft fortsetzen.
({21})
Das ist genau der richtige Weg. Wir haben es, Herr
Mayer, zum erstenmal geschafft, daß sich wirklich alle
auf dieses Vorgehen verständigt haben. Bisher war das
nicht der Fall.
({22})
Mit der BAföG-Novellierung haben wir einen ersten
Schritt getan, um soziale Ungerechtigkeiten bei der
Ausbildungsförderung zu beseitigen. Dabei ging es nicht
um Peanuts oder Pizzas, wie manche Herren oder Damen von der Opposition hier zynisch behauptet haben,
sondern darum, die rapide Talfahrt bei der Zahl der BAföG-Empfänger zu stoppen und zu verhindern, daß jedes
Jahr mehr Studierende völlig aus der Förderung herausfallen. Deshalb haben wir die Elternfreibeträge um
6 Prozent erhöht.
({23})
Das sind keine Peanuts. Das führt vielmehr dazu, daß
rund 23 000 Studierende zusätzlich Anspruch auf BAföG haben werden.
({24})
Auf Grund der Erhöhung des BAföGs selbst und der Erhöhung des Kindergeldes, das ja auch für Studierende
gezahlt wird, haben diese jetzt mindestens 70 DM mehr
in der Tasche. Auch das sind keine Peanuts; ich finde es
fahrlässig, wenn man so darüber redet.
({25})
Wir meinen es ernst mit der sozialen Gerechtigkeit.
Dies bedeutet auch, daß es gleiche Chancen für Männer
und Frauen in Bildung und Wissenschaft geben muß.
Zur Durchsetzung der Chancengleichheit von Frauen in
Bildung und Forschung haben wir ein neues Programm
aufgelegt. Wir setzen dieses Ziel um, und reden nicht
nur darüber. Ich verhandle zur Zeit mit den Ländern
über die Fortsetzung der Frauenförderung, die bisher
im Rahmen des HSP III durchgeführt wird. Hiermit errichten wir nun ein zweites Bein gerade für die Förderung von Frauen an Hochschulen und von Nachwuchswissenschaftlerinnen. Die Umsetzung von Gleichstellung ist eines unserer großen gesellschaftlichen Reformprojekte. Die Debatte in der letzten Woche hat ja leider
deutlich gemacht, daß dieses Thema sich noch nicht erledigt hat; wir sind zwar auf einem guten Weg, es muß
aber noch eine ganze Menge getan werden.
({26})
Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sagt klar, daß
unsere Kompetenzen in neuen Technologiefeldern ausgebaut werden müssen, wenn wir international wettbewerbsfähig bleiben wollen. Das ist in der Vergangenheit
bei weitem nicht ausreichend genug berücksichtigt worden. Deshalb lege ich einen besonderen Schwerpunkt
auf die Projektförderung; sie ist nämlich in manchen
wichtigen Punkten der institutionellen Förderung überlegen: Sie ist flexibler, leistungsorientierter und verspricht damit auch mehr Qualität. Deshalb steigern wir
die Haushaltsmittel im Jahr 2000 in wichtigen Zukunftsbereichen: in der Biotechnololgie einschließlich der Sicherheitsforschung, für innovative Arbeitsgestaltung und
Dienstleistung, in der Gesundheitsforschung, in der Informationstechnik und bei der umweltgerechten nachhaltigen Entwicklung.
Nachhaltigkeit und Markterfolg widersprechen sich
nämlich nicht, wie es einige immer noch behaupten,
sondern das Gegenteil ist der Fall. Mit dieser Politik
wollen wir erreichen, daß mehr neue Ideen in Innovationen umgesetzt werden, Forschungsergebnisse in marktfähige Produkte münden, innovative Produkte zu Existenzgründungen führen und damit schließlich auch
neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Diese Zielsetzung verfolgen wir.
({27})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland darf in
der Grundlagenforschung und bei Spitzentechnologien
international nicht den Anschluß verlieren; das wäre
verheerend. Deshalb werden die Mittel für die Deutsche
Forschungsgemeinschaft und für die Max-PlanckGesellschaft trotz der schwierigen Situation, die wir insgesamt haben, überproportional steigen.
({28})
Wir werden die Mittel für den Hochschulbau auch in
diesem Haushaltsjahr auf dem hohen Niveau von 2 Milliarden DM halten. Die alte Bundesregierung hat gerade
hier ständig gekürzt. Deshalb konnten wichtige Ausbauund Sanierungsvorhaben jahrelang nicht umgesetzt werden. Das hat seit diesem Jahr ein Ende. Deutschland
braucht nämlich moderne und gut ausgestattete Hochschulen, weil unsere jungen Leute gut ausgebildet werden sollen.
({29})
Ein weiteres mir wichtiges Anliegen ist neben der
Stärkung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der in
diesem Haushalt eine ganz klare Priorität hat, die Stärkung der Internationalität. Deshalb verstärken wir die
Mittel für den internationalen Austausch, in der beruflichen Bildung, bei den Studierenden, im Studierendenund Wissenschaftleraustausch, bei der Entwicklung internationaler Studiengänge erheblich. Wir wollen international wieder eine Spitzenstellung einnehmen. Dieser
Haushalt zeigt, daß wir es ernst damit meinen.
Meine Herren und Damen, Bildung und Forschung
sind das Zukunftsprogramm für Deutschland. Ich hoffe
auf Ihre Unterstützung für dieses Zukunftsprogramm.
Vielen Dank.
({30})
Für die CDU/CSUFraktion hat jetzt das Wort der Kollege Steffen Kampeter.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch vor wenigen Monaten stand diese Bildungs- und Forschungsministerin nicht an diesem Pult, aber an anderen Pulten
und vor Fernsehkameras und hat behauptet, daß der Bereich Bildung und Forschung ein besonderes Herzensanliegen der Regierungskoalition sei.
({0})
Heute, wenige Monate nach der letzten Etatberatung,
müssen wir alle ernüchtert feststellen: Kaum ein Politikbereich hat in den vergangenen Monaten unter der Regierung Schröder so viel an Bedeutung verloren wie der
von Ihnen, Frau Minister Bulmahn, verantwortete.
({1})
Wenn man Ihre heute eher lustlos vorgetragene Rede
beispielsweise mit den Debattenbeiträgen des Bundesverteidigungsministers vergleicht, so drängt sich eigentlich allen öffentlichen Beobachtern der wohl zutreffende
Eindruck auf, daß der Bundesverteidigungsminister in
dieser Regierung stärker um den Erhalt seiner Haushaltsmittel kämpft als die angebliche Zukunftsministerin.
({2})
Dies verwundert insbesondere, da Sie, sich selbst
zum linken Flügel Ihrer Partei zählend, eher stets „Bildung statt Raketen“ gefordert haben. Jetzt aber, da es um
die Durchsetzung praktischer Politik geht, sind Sie
gleichsam zur Erfüllungsgehilfin von Hans Eichels Aufräumarbeiten in Sachen Oskar Lafontaine geworden.
Rudolf Scharping kämpft für seine Soldaten mit mehr
Kraft und Engagement als Edelgard Bulmahn für die
Forscher, Tüftler und die Hochschulen in dieser Republik. Was für ein beschämender Befund!
({3})
In ihrer letzten Etatrede hat die Bundesforschungsministerin angeführt, daß der Bundeshaushalt in der Bildungs- und Forschungspolitik einen Wendepunkt markiert. Wie recht Sie damit haben: Der politische Abstieg
Ihres Ressorts wird auch mit dem ersten Etat des neuen
Jahrtausends festgeschrieben.
Ich stelle für die CDU/CSU Bundestagsfraktion fest:
Ihr Etat für Bildung und Forschung sinkt. Er sinkt im
Vergleich zum Vorjahr. Er sinkt im Rahmen der bisherigen mittelfristigen Finanzplanung. Er sinkt vor allem im
Vergleich zu den politischen, forschungspolitischen sowie wirtschaftlichen Notwendigkeiten unseres Landes.
({4})
Ihnen, Frau Ministerin steht für Bildung und Forschung
heute ungefähr 1 Milliarde DM weniger zur Verfügung
als noch vor fünf Jahren. Sie sind die Bildungs- und Forschungsministerin mit dem sinkenden Etat.
Eher irreführend und Nebelkerzen werfend mutet Ihre
Aufzählung von Programmen und Progrämmchen an,
mit denen Sie in einer gesundbeterischen Art und Weise
versuchen, Ihr politisches Versagen zu kaschieren.
({5})
Wenn Sie beispielsweise anführen, daß Sie für die Internationalisierung gekämpft haben und hierfür zusätzlich Mittel bereitstellen, dann frage ich mich, warum
beim Deutschen Akademischen Austauschdienst, für
den die Mittel stark gestrichen worden sind, die Lektoren für das halbe Geld arbeiten müssen, wo nach Ihren
Aussagen doch Milch und Honig fließen müßten. Ich
glaube, diejenigen, die Sie hier beglücken, müssen eher
nach dem Geld forschen, als daß sie wissenschaftliche
Erkenntnisse nach vorne tragen. Auch dies ist ein höchst
bedauerlicher Befund.
({6})
Dies wird sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Denn nach den Angaben Ihres Finanzministers
sinkt der Anteil der Ausgaben für Bildung, Wissenschaft
und Kultur am Ende des Finanzplanungszeitraums 2003
auf einen Anteil von 3,9 Prozent der Bundesausgaben.
Einen Anteil von 3,9 Prozent gab es zuletzt im Jahre
1970. Sie haben im Bundeskabinett einem Entwurf zugestimmt und ihn abgenickt, in dem der von Ihnen mitverantwortete Bereich auf das Niveau von vor 29 Jahren
zurückgeführt wird. Dies ist vor dem Hintergrund Ihrer
Ankündigung dürftig; ich muß sagen: äußerst dürftig.
({7})
Frau Ministerin Bulmahn, ich erinnere Sie an Ihr
Wahlkampfversprechen, daß Sie innerhalb von fünf Jahren die Investitionen in Bildung und Forschung verdoppeln wollten. Bereits in den Etatberatungen 1999 ist
von mir darauf hingewiesen worden, daß überhaupt
nicht erkennbar ist, wo Sie die entsprechenden Weichenstellungen hierfür treffen.
Mit der Vorlage des Etats für das Jahr 2000 hat sich
dies leider nicht geändert. Ausweislich der Zahlen Ihres
Finanzberichts, dem Sie im Kabinett zugestimmt haben,
sinken die Investitionen in Ihrem Etat. Nach Angaben
von Herrn Eichel werden die Investitionen für Bildung
und Forschung inklusive der BAföG-Darlehen und der
Gemeinschaftsaufgabe zum Hochschulbau im Jahre
1999 um 490 Millionen DM höher sein als im Jahre
2003.
Damit sind Sie die Ministerin, die entgegen der Ankündigung, die Investitionen in Bildung und Forschung
zu verdoppeln, nunmehr die politische Verantwortung
dafür trägt, daß die Investitionen in diesem Bereich in
den nächsten Jahren nachhaltig sinken werden.
({8})
Etwas amüsiert hat mich Ihre Ankündigung eines
Programms, in dem das Erlernen des Umgangs mit dem
Computer besonders gefördert werden soll. In der
„Wirtschaftswoche“ aus der vergangenen Woche wurde
ein Überblick über den Einsatz von Computern in
den verschiedenen Ministerien gegeben. Ich habe den
Eindruck - denn Ihr Ministerium wurde als besonders rückständig respektive abwartend beschrieben -,
daß Sie insbesondere Ihren Mitarbeitern in Ihrem Ministerium die Teilnahme an diesem Programm nahelegen sollten.
({9})
Denn es wird festgestellt, daß Sie, was den Technologieund Computereinsatz betrifft, zu den rückständigeren
Teilen dieser Bundesregierung zählen. Beispielgebend
sind Sie zweifelsohne nicht.
({10})
Daß dieser Ministerin an allen Ecken und Enden das
Geld ausgeht und sie nicht im Mindestmaß die politische
Durchsetzungskraft hat, entsprechende Finanzmittel
beim Bundesfinanzminister für den Zukunftsbereich
herauszuholen, zeigt die leidige Geschichte der von Ihnen verschleppten BAföG-Reform. Wir diskutieren
schon seit einigen Jahren über dieses Thema. Erinnern
wir uns doch einmal an die letzte Legislaturperiode, in
der Sie als bildungs- und forschungspolitische Sprecherin der SPD diese BAföG-Reform wiederholt angemahnt
und angekündigt haben, daß Sie im Falle eines Regierungswechsels unmittelbar, rasch und schnell handeln
würden.
Nunmehr, ein Jahr nachdem Sie als die neue Bundesregierung die politische Verantwortung, vor Kraft kaum
gehend, übernommen haben, stelle ich fest, daß noch
nicht einmal die Konturen einer BAföG-Reform vorliegen, geschweige denn ein Referenten- bzw. Gesetzentwurf vorliegt.
({11})
Es gibt noch nicht einmal eine gemeinsame Position
zwischen Ihnen und dem bildungs- und forschungspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen,
Herrn Berninger. Nach Ihrer Absage, BAföG für alle zu
gewähren, und dem vom Bundesrat vorgeschlagenen
BAföG-Reformmodell schwimmen Ihnen die Felle weg.
Diese verschiedenen BAföG-Ansätze haben allerdings eines gemeinsam: Es wird für die Studentinnen
und Studenten nicht viel Zusätzliches dabei herauskommen. Ich stelle fest, daß Sie die Bundesbildungsministerin sind, an der das Studentenwerk kritisiert, daß
Sie die Verantwortung dafür tragen, daß die BAföGAusgaben auf das Niveau von 1978 abgesunken sind.
Wo ist denn Ihr entschlossenes Handeln in Sachen BAföG?
({12})
Auch hier wandern Sie zurück in die 70er Jahre, machen
nichts als leere Versprechungen und hohle Ankündigungen, denen keine Taten folgen.
({13})
Ich muß Ihnen sagen, daß ich etwas enttäuscht über
den Umstand war, wie Sie das Thema Lehrstellen angegangen sind, nämlich so, als ob die Opposition nicht
daran interessiert wäre, daß alle ausbildungsfähigen und
ausbildungswilligen Menschen in diesem Land einen
Ausbildungsplatz bekommen.
({14})
Noch vor einigen Tagen haben Sie das Versprechen
„Ausbilden werden wir alle“ mit Ihrer Unterschrift versehen. Dies ist nochmals ein Ausbildungsversprechen
auf der Ebene der Bundespolitik. Heute war in den Zeitungen zu lesen, daß der DGB angesichts 80 000 nicht
mit Lehrstellen versorgter Jugendlicher zusätzliche
Maßnahmen für Lehrstellenbewerber fordert. Ganz so
erfolgreich und rosig, wie Sie die Aktivitäten der Bundesregierung dargestellt haben, kann die Situation dann
wohl nicht sein.
Sie haben wohlweislich nicht von Ausbildungsplätzen, sondern von Angeboten, die Sie unterbreitet haben,
gesprochen. Heute in der Generaldebatte hat auch der
Bundeskanzler mit der Zahl operiert: 170 000 Menschen
hätten von dem Programm profitiert.
({15})
Der Präsident der Handwerkskammer Aachen, Philipp, hat festgestellt, daß lediglich 10 000 Teilnehmern
ein reeller Arbeitsplatz oder Ausbildungsplatz vermittelt
worden ist. 2 Milliarden DM für gerade einmal 10 000
neue Arbeitsplätze respektive Ausbildungsplätze, das
macht 200 000 DM für die Vermittlung eines einzigen
Jugendlichen.
({16})
Bei aller Einheit im Ziel muß man es doch als eine gigantische Geldverschwendungsmaschine empfinden,
wenn die Erfolgsbilanz so vernichtend schlecht ist.
Herr Kollege Kampeter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Niebel?
Gerne.
Herr Kollege Kampeter, Sie
haben gerade das Jugendarbeitslosenprogramm der
Bundesregierung angesprochen. Ist Ihnen bekannt, daß
ich der Staatssekretärin Niehuis Einzelfälle nachgewiesen habe, in denen jugendliche Aussiedler und Asylberechtigte, die sich in vom Bund finanzierten Sprachkursen befanden, um hier integriert zu werden, unter Androhung des Wegfalles der Leistungen zum Lebensunterhalt in kurzfristige Betriebspraktika gezwungen wurden, weil das Jugendarbeitslosenprogramm bei den Sozialämtern als gegenüber der Sozialhilfe vorrangig gesehen wurde?
({0})
Ihr Schriftwechsel
mit der Staatssekretärin ist mir natürlich nicht bekannt;
tut mir leid, Herr Kollege. Aber ich habe aus meinem
eigenen Wahlkreis Fälle mitgeteilt bekommen, in denen
tatsächlich Menschen aus laufenden Maßnahmen oder
aus Schulklassen heraus intensiv in dieses neu aufgelegte Programm eingeladen worden sind.
Frau Bulmahn, das einzig Gute an diesem Programm
ist, daß es nicht aus Ihrem Etat finanziert worden ist.
Aber fachlich scheint es mir höchst zweifelhaft zu sein,
weil viele aus bereits laufenden Maßnahmen in dieses
Programm umgeleitet worden sind, damit Sie eine Erfolgsbilanz vorlegen können, ohne daß sich dieses Programm für die Menschen dauerhaft und nachhaltig auszahlt. Das ist meine Hauptkritik an der Ausführung dieser Maßnahme.
({0})
Herr Kollege, es gibt
eine weitere Zwischenfrage. Gestatten Sie die?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege
Kampeter, Sie beziehen sich bei der Kritik an dem Sofortprogramm auf eine Stellungnahme des Präsidenten
des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, der
vorgestern mit einigen Zahlen die Kritik an diesem Programm untermauert hat. Ihnen ist doch sicherlich auch
bekannt, daß die Bundesanstalt für Arbeit gestern in einer Stellungnahme davor gewarnt hat, zum jetzigen
Zeitpunkt negativ und polemisch über die Auswirkungen dieses Programms zu sprechen, angesichts der Tatsache, daß bis jetzt keine konkreten Zahlen und keine
konkreten Begleituntersuchungen über die Auswirkungen dieses Programms vorliegen.
Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, daß die Zahlen, die
der Präsident des Zentralverbandes verwendet hat, von
der Bundesanstalt als aus dem Zusammenhang gegriffen, falsch und methodisch äußerst zweifelhaft bezeichnet wurden?
Herr Kollege, es ist
mir bekannt, daß die Bundesanstalt für Arbeit - das
kann ich selbstverständlich verstehen - versucht, das
von ihr organisierte Programm in ein gutes Licht zu rükken. Dagegen ist auch nichts einzuwenden.
({0})
Aber die Erfahrungen, die der Zentralverbandspräsident
schildert, decken sich mit Erfahrungen beispielsweise
aus dem Kammerbezirk Koblenz. Daß dort genau die
gleichen Befunde dargestellt werden, deutet darauf hin,
daß Kollege Philipp - ({1})
- Daß Dieter Philipp ein ausgesprochen engagierter
Christdemokrat ist, ist doch eine sehr lobenswerte Sache. Dessen brauche ich mich nicht zu schämen. Wir
sind stolz, in den Reihen der christlichen Demokratie in
Deutschland einen so engagierten Handwerksmeister zu
haben, der auch Verbandsaufgaben wahrnimmt.
({2})
Präsident Philipp gibt hier also Befunde wieder, die
in weiten Teilen der Kammerorganisation vorhanden
sind und die sich auch mit meinen Erfahrungen aus meinem Wahlkreis decken. Ich nehme zwar zur Kenntnis,
daß die Bundesanstalt für Arbeit ihr Programm verteidigt. Ich sehe aber keinen Grund, daran zu zweifeln, daß
in der Konzeption und in der Durchführung einiges verbesserungswürdig ist, obschon Sie und ich wahrscheinlich gleichsam der Auffassung sind, daß das Ziel des
Programms, jedem ausbildungsfähigen und ausbildungswilligen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu
verschaffen, zumindest anzubieten, von weiten Teilen
des Hauses geteilt wird und keinerlei Anlaß zu parteipolitischer Profilierung auf seiten der Regierung oder
der Opposition geben sollte.
({3})
Meine Damen und Herren, die CDU/CSUBundestagsfraktion wird nicht weiter tatenlos dem Abgesang auf Bildung und Forschung durch diese Bundesregierung zuhören.
({4})
Daher gehört der Etat des Einzelplans 30 bei diesen
Haushaltsberatungen zu denjenigen Etats, bei denen wir
entgegen der Generallinie zusätzliche Investitionen unterstützen. Wir glauben, Frau Bulmahn, daß Sie mit einem Ausgabenvolumen von unter 15 Milliarden DM
nicht in der Lage sind, Ihren Beitrag für mehr Wachstum
und Beschäftigung zu leisten. Daher wollen wir in den
Etatberatungen Vorschläge unterbreiten, die es Ihnen
ermöglichen werden, in einem Volumen von zirka
500 Millionen DM zusätzliche Investitionen in Bildung
und Forschung zu tätigen.
Wir werden durch unsere Anträge versuchen, insbesondere den Investitionsanteil zu steigern. Ein Anliegen
dabei ist die Auflösung der globalen Minderausgabe, die
als ungedeckter Scheck des Finanzministers in Höhe von
200 Millionen DM auf Ihnen lastet.
Ebenso muß darüber nachgedacht werden, die Investitionen zur Stärkung des nationalen Weltraumprogramms zu steigern. Ich erinnere Sie daran, daß Sie den
Vertretern der beteiligten Wirtschaft so etwas wie eine
Vertrauenszusage gegeben haben, daß das nationale
Weltraumprogramm um einen Anteil von 10 Prozent erhöht wird. Sie haben bei den durchaus respektabel geführten Verhandlungen bei der letzten Ministerratskonferenz über die Weltraumforschung einige Programme
auf Eis gelegt, die man im Rahmen dieser Umstrukturierung und zusätzlichen Bildungs- und Forschungsoffensive, die die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen
wird, noch einmal überprüfen sollte.
Schließlich sind wir der Auffassung, daß die Mittel
für den Hochschulbau eine gute Möglichkeit sind, dem
von uns nachhaltig unterstützten Ziel, den Investitionsanteil als Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung
zu steigern, näher zu kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon
etwas beschämend, daß die Opposition der Bildungsund Forschungsministerin beispringen muß,
({5})
damit Sie den Aufgaben, die sie selbst formuliert hat,
auch tatsächlich Folge leisten kann. Wir werden uns
aber auch guten Vorschlägen in anderen Bereichen nicht
verschließen;
({6})
denn wir sind der festen Auffassung, daß es uns, wenn
es uns nicht gelingt, in diesem wichtigen staatlichen Bereich von Bildung und Forschung die richtigen Akzente
zu setzen, auch nicht gelingen wird, für die Zukunft der
jungen Menschen - das ist doch unser Anliegen - die
Signale zu setzen, die unser Land in das nächste Jahrtausend leiten. In diesem Sinne werden wir die Haushaltsberatungen führen.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der
Kollege Matthias Berninger, Bündnis 90/DIE GRÜNEN.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Lieber Kollege Kampeter, bei aller Wertschätzung: Wir
sitzen morgen früh in der Berichterstatterrunde zusammen und reden über die Zahlen, wenn sie schwarz auf
weiß vorliegen. Ich habe mir ein paar Stichworte mitgeschrieben, die Sie in der Debatte von sich gegeben haben. Das können Sie zwar machen, dann bekommen Sie
auch Applaus von Ihrer eigenen Fraktion, aber Sie stellen die Realität auf den Kopf.
Ich fange mit der Halbwahrheit Nummer eins an.
Wenn Sie den Etat von Frau Bulmahn mit dem Ihres
Vorgängers vergleichen und dabei zu sagen vergessen,
daß ein beträchtlicher Teil, nämlich der Technologiebereich, vom Bildungsministerium zum Wirtschaftsminister verlagert wurde, dann vergleichen Sie Äpfel mit
Birnen und disqualifizieren sich aus meiner Sicht als
Haushälter.
({0})
Denn das ist die Form von Nebelkerzenwerferei - oder
besser: Niebelkerzenwerferei -, von der ich persönlich
relativ wenig halte. Sie wissen, ich bin jemand, der versucht, sehr sachlich an diese Fragen heranzugehen.
({1})
Bei diesem Punkt muß ich Ihnen einfach sagen: Es fällt
mir schwer, mich auf eine nüchterne Art und Weise mit
den Zahlen auseinanderzusetzen, mit denen Sie jongliert
haben.
Zur Sache selbst: Der jetzige Bundesfinanzminister lieber Kollege Kampeter, ich kenne keinen CDUBundesfinanzminister, der das gemacht hat - hat bei der
Einbringung des Haushalts erneut gesagt, daß es das Ziel
der Bundesregierung sei, die Investitionen im Bildungsbereich in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln.
({2})
({3})
Ein Grund, warum Frau Bulmahn dafür nicht, wie
Herr Scharping, kämpfen muß, ist, daß sich diese Koalition darüber einig ist, daß trotz des allgemeinen Konsolidierungsziels Akzente im Bildungs- und Forschungsbereich gesetzt werden sollen. Dies ist schon ein Erfolg der
Ministerin, ohne daß sie dafür kämpfen muß.
({4})
- Ich gehe davon aus, daß der Kollege eine Zwischenfrage stellen möchte; selbstverständlich.
Herr
Kampeter zu einer Zwischenfrage, bitte schön.
Herr Kollege Berninger, sind Sie vor dem Hintergrund der von Ihnen
wiederholten Behauptung, daß der Investitionsanteil des
Bereiches Bildung und Forschung gesteigert würde, bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß nach den Zahlen auf
Seite 54 des von Herrn Eichel selbst vorgelegten
Finanzplans des Bundes 1999 bis 2003 - daran kann ich
nichts fälschen - die Investitionsausgaben des Bundes
für den Bereich Forschung und Bildung sowie für den
Hochschulbau von 1998 bis 2003 zusammengenommen
sinken? Das sind die Ziffern 6 und 10 der hier aufgeführten Tabelle. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Investitionsausgaben sinken? Wir bekommen keine anderen Zahlen. Ich muß mich auf das verlassen, was mir Herr Eichel sagt. Danach stelle ich fest, daß
die Investitionsausgaben für den Bereich Bildung und
Forschung bis zum Ende dieses Finanzplanungszeitraumes um 490 Millionen DM sinken. Sind Sie bereit, das
zur Kenntnis zu nehmen?
Selbstverständlich, Herr Kollege. Aber auch dies
ist wieder nur die halbe Wahrheit. Sie erwähnen nicht,
daß die Bundesregierung das Einsparziel erreichen
möchte und gleichzeitig Jahr für Jahr - nachdem das
Einsparziel erreicht ist - die Investitionsausgaben für
den Bereich Bildung und Forschung um zusätzlich
1 Milliarde DM erhöht.
({0})
Das ist in der Zahlenkolonne nicht enthalten.
({1})
Das entspricht genau der Schwerpunktsetzung dieser
Bundesregierung. Das ist der Unterschied zur alten
Bundesregierung. Unter ihr mußte die Bildungspolitik
überproportional bluten. Bei der neuen Bundesregierung
ist es anders. Dies ist gar nicht einmal unumstritten. Es
gibt Politiker in den Reihen der Koalition, die sagen:
Warum bevorteilt ihr den Bildungsbereich gegenüber
allen anderen Bereichen?
({2})
Ich freue mich darüber, daß die Zukunftsausgaben
vom Bundesfinanzminister aufgeteilt werden zwischen
Forschungsinvestitionen im Bereich des Wirtschaftsministeriums und dem Bildungsetat von Frau Bulmahn.
Vor diesem Hintergrund bin ich, Herr Kollege Kampeter, sehr zuversichtlich, daß wir nach vier Jahren einen
Bildungsetat haben werden, der deutlich machen wird,
daß diese Regierung versucht hat, den Haushalt ins
Gleichgewicht zu bringen und gleichzeitig die neuen
Akzente zu setzen. - Im übrigen darfst du dich auch
wieder setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich ärgert, ist
die Art und Weise, in der die Opposition in bezug auf
das Lehrstellenangebot agiert. Es gibt eine ganz einfache
Feststellung der Bundesanstalt für Arbeit. Diese hat die
Jugendarbeitslosigkeit im August 1998 mit der im
August 1999 verglichen. Dabei stellen wir fest, daß die
Jugendarbeitslosigkeit um 7 Prozent reduziert worden
ist.
({3})
Sie sollten sagen: Das ist ein Erfolg dieser Regierung,
statt sich hier hinzustellen und die Maßnahmen der
Bundesregierung pauschal zu diskreditieren.
({4})
Herr Kollege Kampeter, ich komme nun zu dem von
der Bundesanstalt für Arbeit finanzierten Programm als
Starthilfe für die absoluten Verlierer am Arbeitsmarkt,
also für die jungen Leute, die auf Grund einer schlechten
Schulausbildung keine Chance haben, in den Arbeitsmarkt hineinzuwachsen. Das ist die Gruppe, die der alte
Bundeskanzler Helmut Kohl permanent vergessen hat
({5})
und zu der diese Regierung gesagt hat: Das erste, was
wir tun wollen, ist, für diese jungen Leute etwas durch
ein Sofortprogramm zu tun.
Dieses Sofortprogramm wird fortgesetzt, obwohl
wir einsparen, weil wir sagen: Das sind die Verlierer auf
dem Arbeitsmarkt. Für diese müssen wir etwas tun. Denen müssen wir eine Chance bieten. Diese Form von
Chancengerechtigkeit in der Art und Weise, wie Sie es
getan haben, oder - was ich noch gravierender finde - in
der Art und Weise, wie es Herr Schäuble meistens tut,
zu diskreditieren, halte ich für eines der gefährlichsten
Dinge,
({6})
weil Sie keine Alternative benennen, wie diesen jungen
Leuten eine Chance gegeben werden soll.
({7})
Jetzt höre ich von der Opposition: Das beste, was
man machen muß, ist, Lehrstellen zu schaffen.
({8})
Haben Sie jetzt endlich dazugelernt? 16 Jahre lang haben wir hier Jahr für Jahr darüber diskutiert, wie man
Lehrstellen schaffen könnte. Jahr für Jahr haben Sie dabei eine Pleite nach der anderen erlebt.
({9})
Erzählen sie uns doch bitte nicht, daß das die beste Politik für junge Leute ist. Dazu brauchen wir von Ihnen nun
wirklich keine Belehrung. Das ist das, was wir im
„Bündnis für Arbeit“ gemeinsam mit den Unternehmen
versuchen werden. Wenn es denn gelingt, das auf freiwilliger Basis hinzubekommen, in einer Übereinkunft
zwischen Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern, dann ist das ein Erfolg. Ich warte ab, ob das
„Bündnis für Arbeit“ diesen Erfolg bringt.
Eines kann ich Ihnen sicher sagen, Frau Kollegin
Pieper: Von Ihnen brauchen wir da keine Belehrung.
Wir alle in diesem Haus wissen, daß Lehrstellen für junge Leute ganz zentral sind.
({10})
Ein großes Thema ist die BAföG-Strukturreform.
Das ist schon angesprochen worden: Wir als Koalition
sind noch immer nicht so weit, Ihnen hier präsentieren
zu können, wie die BAföG-Strukturreform aussehen
soll. Das hat den Grund, daß wir im Bildungsbereich gesagt haben: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Wir wollen
eine Strukturreform - nachzulesen in der Koalitionsvereinbarung -, die zwischen Bund und Ländern mehrheitsfähig ist, die die Chancengerechtigkeit wiederherstellt
und das Recht auf Bildung verwirklicht.
Diese BAföG-Strukturreform will sorgfältig erarbeitet sein. Denn wenn wir einen Vorschlag präsentieren,
der am Ende scheitert, erreichen wir für die Studierenden in Deutschland überhaupt nichts. Ich halte es für
vernünftig, daß wir hier mit Sorgfalt herangehen. Ich
halte es aber auch für wichtig, daß wir das Ziel, das wir
in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben, nämlich
hier einen Akzent zu setzen, am Ende des Jahres erreichen.
Ich kann Ihnen ganz offen sagen: Ich bin sehr optimistisch, daß wir eine BAföG-Strukturreform hinbekommen, daß sich die Koalition hier einigt. Ich will Ihnen
auch sagen, warum: Es ist eines der zentralen Ziele dieser Koalition, daß nicht der Geldbeutel der Eltern darüber entscheidet, ob die Söhne und Töchter an die Uni
gehen können oder nicht.
({11})
Weil wir uns darüber absolut einig sind, werden wir bei
der BAföG-Strukturreform einen Erfolg erzielen.
Dazu ist es nötig, daß wir in den nächsten Jahren von
den zusätzlichen Mitteln, die wir vom Bundesfinanzminister für Zukunftsinvestitionen bekommen, einen beträchtlichen Teil in die BAföG-Strukturreform stecken.
Ich werde mich dafür einsetzen. Ich glaube, daß diese
BAföG-Strukturreform nötig ist. Ohne sie könnten wir
bei der Bildungsreform nur halbe Sachen machen. Ich
bin sehr optimistisch, daß Kollege Hilsberg, Ministerin
Bulmahn und ich Ihnen einen Vorschlag präsentieren
werden, der sich sehen lassen kann.
Sie tragen auf Grund der Wahlerfolge, die Sie bei den
Landtagswahlen erzielt haben, eine große Verantwortung. Sie müssen von seiten der Länder ebenfalls bereit
sein, in diesen Bereich zu investieren. Ich bin gespannt,
ob dies passiert. Meine Erfahrung in der BAföG-Debatte
ist: Das wichtigste Ziel der Länderfinanzminister ist, den
Anteil der BAföG-Empfänger an der Gesamtzahl der
Studierenden zurückzuschrauben und mit den eingesparten Mitteln etwas anderes zu finanzieren. Sie tragen
da Mitverantwortung. Das ist ein zentraler Punkt. Deshalb erwarte ich von Ihnen Vorschläge, anstatt sich
wohlfeil zurückzulehnen und so zu tun, als gäbe es da
gar keine Probleme, als sei es selbstverständlich, daß die
Länder bei der BAföG-Strukturreform ihre Hausaufgaben machen.
({12})
- Der Kollege möchte mir noch eine Zwischenfrage
stellen. Dazu müßtest du dann aber aufstehen.
Diese Verantwortung müssen Sie ernst nehmen. Ich
bin sehr gespannt, ob Sie das tun.
Was mich beim Kollegen Kampeter auch stört: Wenn
er einmal ein Lob für die Bundesregierung übrig hat,
dann murmelt er das in seinen Bart. Stichwort Raumfahrtpolitik: Der Berichterstatter Kampeter, der bei
Herrn Rüttgers ständig auf Granit gebissen hat, der vor
diesem Hohen Hause ständig die Mißerfolge der alten
Bundesregierung bei den ESA-Verhandlungen vertreten
mußte, lobt ganz klamm und heimlich, daß sich Ministerin Bulmahn in der Weltraumpolitik tatsächlich engagiert hat. Ich finde, das muß man deutlicher sagen.
({13})
Man muß deutlicher sagen, daß wir im Gegensatz zur
alten Bundesregierung Spielräume geschaffen haben.
Nachdem Sie den Fehler gemacht haben, in die bemannte Raumfahrt auf diese Art und Weise einzusteigen, hat die Ministerin Spielräume geschaffen, so daß es
möglich ist, im Bereich der Erdbeobachtung, im Bereich
der Klimaforschung Fortschritte zu machen.
Sagen Sie es demnächst deutlicher, damit Ihre Kollegen verstehen, worin der Unterschied zwischen Frau
Bulmahn und ihren Vorgängern liegt! Ich finde, angesichts der Erfolge der Ministerin war das ein bißchen zu
leise.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wird noch ein
sehr harter Weg. Denn auch die Bildungspolitiker sind
der Meinung - die Ministerin sagte es -, daß der Haushalt ins Gleichgewicht gebracht werden muß. Wenn wir
immer mehr Geld für Zins und Tilgung ausgeben, fehlen
uns die Spielräume im Bildungsbereich.
Ich bin sehr optimistisch, daß dieser Kurs der Bundesregierung Erfolg haben wird, daß wir den Haushalt in
der mittelfristigen Perspektive wieder ins Gleichgewicht
bekommen. Ich glaube auch, daß der Finanzminister zu
seinem Wort steht und im Bildungsbereich besondere
Akzente setzt. Wir werden nach vier Jahren Bilanz ziehen, und Sie werden sehen, Herr Kollege Kampeter, daß
diese Bundesregierung erstens eine solide Haushaltspolitik gemacht hat und zweitens die Zukunftsinvestitionen deutlich erhöht hat. Das ist das, was wir unseren
Wählerinnen und Wählern versprochen haben. Ich bin
gewillt, dieses Versprechen auch zu halten.
Vielen Dank.
({15})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Cornelia Pieper von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Liebe Frau Ministerin Bulmahn, in der Vorbereitung auf die Debatte zu Ihrem Haushalt habe ich
mir überlegt, warum wir dieses Thema wohl zu nächtlicher Stunde gegen 21 Uhr beraten, obwohl es für diese
Bundesregierung doch Priorität hat!
({0})
Als ich in den Haushalt geschaut habe, habe ich festgestellt: Der uns vorliegende Haushaltsentwurf für das Jahr
2000 ist der Abschied dieser Bundesregierung von ihren
großen bildungspolitischen Zielstellungen und setzt
kaum noch Akzente für Innovationen zu Beginn des
neuen Jahrtausends.
({1})
- Ich komme gleich zu den konkreten Zahlen, Herr
Kollege.
Von einer Verdoppelung der Forschungs- und Bildungsinvestitionen, wie sie vor der Wahl noch von SPDParteichef Schröder und der damaligen bildungspolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Bulmahn, angekündigt wurden, ist heute nicht mehr die Rede. Auch die von der jetzigen Bundesbildungsministerin
Bulmahn abgeschwächte Zielstellung, die von einer
durchschnittlichen Steigerung des Haushalts von rund 1
Milliarde DM pro Jahr für Bildungs- und Forschungsförderung ausging, ist in Ihrem Haushalt nicht mehr gelungen. Das waren alles Versprechen, die in diesem Hohen Haus einmal gemacht worden sind.
({2})
Daran darf man ja wohl gelegentlich noch erinnern. Wir
nehmen nämlich Versprechungen sehr ernst,
({3})
genauso wie die Investitionen in Bildung und Forschung.
Frau Ministerin, ich habe Ihre Worte vom 23. Februar
dieses Jahres noch in bester Erinnerung, wo es hieß, Bildung und Forschung hätten in Deutschland wieder Priorität.
({4})
Allein mir fehlt der Glaube, wenn ich in den Bundeshaushalt schaue. Von der einstigen festen Entschlossenheit, die Zukunftsinvestitionen auf diesem Gebiet deutlich zu erhöhen, ist angesichts des uns vorliegenden
Haushalts wenig übrig geblieben.
({5})
Der Einzelplan 30, der im Haushaltsjahr 1999 noch
bei rund 14,9 Milliarden DM lag, wird um 2,3 Prozent
zusammengestrichen. Dabei ist Ihnen und Ihrem Finanzminister jeder nur erdenkliche Buchungstrick recht,
um die nackten Tatsachen zu verschleiern. Jedoch haben
Ihre Nebelkerzen den Bürgerinnen und Bürgern im Land
nicht den Blick zu trüben vermocht. Sie haben nämlich
erkannt, daß bei der SPD Wort und Tat nicht zwei Seiten
derselben Medaille sind.
({6})
Frau Ministerin Bulmahn, waren Sie es nicht, die zu
Zeiten eines Bundesbildungsministers Laermann nie
locker ließ
({7})
und die zu früheren Zeiten immer wieder deutliche Zuwächse des Einzelplans 30 forderte? Aber wie sieht es
heute aus? Noch im Mai dieses Jahres betonten Sie übrigens, daß Investitionen für Bildung und Forschung keine
Eintagsfliegen sein dürften und die Bundesregierung gerade deshalb die Zukunftsinvestitionen für Bildung und
Forschung künftig deutlich erhöhen werde. Heute hat
Sie die Realität offensichtlich eingeholt, wenn Sie die
radikalen Streichungen in Ihrem Haushalt selbst als
Kürzungen in vertretbarer Größenordnung bezeichnen.
Sie haben versucht, klarzustellen, daß für Bildung
und Technologie wieder rund 1 Milliarde DM mehr
aufgewendet werden soll. Davon erhält aber schon das
Wirtschaftsministerium 200 Millionen DM. Ihrem
Haushalt verbleiben demnach noch 800 Millionen DM.
Jedoch mußten Sie im Rahmen des allgemeinen Sparzwanges Ihres Finanzministers 7 Prozent, das sind rund
1,2 Milliarden DM, abgeben. Somit verliert Ihr Haushalt
nach Adam Riese letztlich gut 400 Millionen DM. Was
sind das für Rechenkünste, die Sie anstellen?
Wer glaubt, damit habe es sein Bewenden, der wird
schnell eines Besseren belehrt. Ein Blick in den Haushalt des Wirtschaftsministeriums zeigt, daß auch der
Haushalt für die Technologieförderung gekürzt wird.
Das sind die falschen Investitionen. Sie tätigen keine Investitionen in die Zukunft. Das ist - so möchte ich es
bezeichnen - rückschrittliche Politik.
({8})
Über Buchungstricks verschaffen Sie sich Spielraum.
In der Tat: Sie haben einfach die notwendige Mittelbereitstellung zur Finanzierung der Staatsdarlehen für
das BAföG aus Ihrem Haushalt der Deutschen Ausgleichsbank aufgebürdet und sich damit 550 Millionen
DM mobile Finanzmasse verschafft. Warum schieben
Sie damit nicht eine ordentliche BAföG-Reform an? Das
wäre doch jetzt die Konsequenz gewesen.
Herr Staatssekretär Catenhusen sagt den Studenten
derweil, für sie bleibe es beim alten. Das hatten die Studierenden und das Deutsche Studentenwerk von dieser
Bundesregierung wahrscheinlich auch nicht anders erwartet.
({9})
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir gerade bei der Bundesausbildungsförderung eine Reform dringend brauchen. Die Ausgaben für das BAföG entsprechen heute
dem Stand vor 20 Jahren.
({10})
Damals gab es allerdings 900 000 Studierende, heute
sind es fast doppelt so viele. Sie brauchen uns nicht immer vorzuwerfen, daß wir in den vergangenen Jahren
keine Reform auf den Weg gebracht hätten. Wir haben
Ihnen gesagt: Wir wollen diese BAföG-Reform. Lassen
Sie uns diese Reform gemeinsam machen! Sie und nicht
wir zögern doch jetzt.
({11})
Für mich ist klar: Die Signale für eine BAföGReform stehen auf Rot und nicht auf Grün. Herr Berninger, ich habe in der Sommerpause in der Ausgabe einer
bekannten deutschen Tageszeitung vom 10. August zur
Kenntnis nehmen dürfen: Bulmahns Äußerungen zum
BAföG verstimmen Grüne; bildungspolitischer Sprecher
befürchtet Verschiebung der Reform. - Anlaß zur Sorge
gab Ihnen eine Äußerung von Frau Bulmahn in der
„taz“, die da hieß, daß Chancengleichheit für sie nicht
bedeute, reichen wie auch ärmeren Familien eine staatliche Unterstützung für das Studium zu geben. Vorrangig
sei für sie eine Erhöhung der Einkommensgrenzen, die
der Bemessung des BAföG zugrunde gelegt werden.
Was wollen Sie? Wollen Sie eine Reform oder wollen
Sie keine? Wenn Sie eine Reform wollen, dann legen
Sie einen Gesetzentwurf vor und lassen Sie uns nicht
länger darauf warten! Die Studierenden leiden unter dieser Verzögerung.
({12})
Wie sieht es mit der Forschungsförderung aus? Die
Fraunhofer-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft erhalten
allesamt in diesem Haushalt nicht die ihnen langfristig
in Aussicht gestellten jährlichen Mittelerhöhungen von
5 Prozent, sondern sie müssen sich mit zwei- bis dreiprozentigen Erhöhungen zufrieden geben. Das ist doch
keine Verdoppelung. Es ist vielmehr eine Abschwächung
der Forschungsförderung. Das heißt konkret: 10,7 Millionen DM weniger als im Ansatz der alten Bundesregierung für das Jahr 2000 für die Max-PlanckCornelia Pieper
Gesellschaft, 10,6 Millionen DM weniger für die Deutsche Forschungsgemeinschaft und 4,7 Millionen DM
weniger für die Fraunhofer-Gesellschaft. Das sind die
Fakten. Der Haushalt spricht für sich.
Ebenso sind die meisten Forschungsprojekte zu den
Themen Mobilität und Verkehr gekürzt worden, obwohl Frau Bulmahn vor Jahresfrist - hört, hört - noch
von der Notwendigkeit eines Innovationsschubes gesprochen hat, der sich auf Schiene, Schiffahrt und öffentlichen Nahverkehr auswirken sollte.
Wieder scheint mir an dieser Stelle ein Blick in das
Wirtschaftsministerium geboten: Minister Müller kürzt
in seinem Haushalt bei der Förderung erneuerbarer
Energien um 35 Millionen DM auf 70 Millionen DM,
während Frau Bulmahn die Förderung umweltgerechter
und nachhaltiger Entwicklung lediglich um 18 Millionen
DM erhöht. Was die Grünen hierzu in der Debatte zu
sagen haben, wäre für uns alle interessant. Dabei muß
doch so mancher Grüner rot werden!
({13})
Die Förderung von Forschung und Innovation im
Mittelstandsbereich, die Sie so angepriesen haben, Frau
Ministerin, wird um 82 Millionen DM auf 817 Millionen
DM gekürzt. Besonders hart trifft das den Mittelstand
im Osten, der 15 Millionen DM an Fördermitteln verliert. Diese Lücke schließen Sie auch nicht mit dem Inno-Regio-Programm.
Ich darf an dieser Stelle in Erinnerung rufen, daß
Bundeskanzler Schröder bei seinem Amtsantritt in seiner Regierungserklärung deutlich gesagt hat, daß die
Bundesregierung ein Förderkonzept entwickeln wolle,
welches sich unter anderem an folgenden Zielen orientiert: der Stärkung der Innovationsfähigkeit der Unternehmen und dem Ausbau von Finanzierungsformen, die
den besonderen Problemen der ostdeutschen Unternehmen gerecht werden. Genau das tun Sie aber in diesem
Haushalt nicht - im Gegenteil. Das wäre aber angesichts
der Probleme im Bereich der Ausbildungsplätze so bitter
nötig.
({14})
- Sie mögen das lustig finden. Ihnen scheint das, was
wir hierzu diskutieren, nicht ernst genug zu sein. Ihr
Verhalten ist nicht mehr zumutbar, wenn ich das einmal
sagen darf.
({15})
Sie müssen die Fakten schon einmal zur Kenntnis nehmen.
({16})
- Es ist so. Ich sage Ihnen auch namens der F.D.P.Fraktion zu Ihrem Sonderprogramm: Jede Mark, die in
die Ausbildung gesteckt wird, ist es wert, daß sie für einen jungen Menschen in diesem Land ausgegeben wird.
({17})
Sie ist es nur dann nicht wert, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD und den Grünen, wenn es ein
Topf ohne Boden ist, in den dieses Geld gesteckt wird.
Von daher würde ich die Fakten, die Ihnen vom Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerkes
vorgelegt worden sind, schon ernst und zur Kenntnis
nehmen.
Man kann die Zahlen sicher anzweifeln. Aber er hat
auch deutlich gemacht: Wenn man beim Handwerk die
Mittel kürzt, die Förderung der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung, dort, wo pro Jahr rund 625 000
Lehrlinge ausgebildet werden, wenn man dort um
10 Millionen DM herunterfährt und die Beratungsförderung um 6 Millionen DM kürzt, ist das genau der falsche
Weg. Wir brauchen weiterhin eine Stärkung der dualen
Ausbildung.
Wenn Sie den Mittelstand schwächen, werden auch
weiterhin die jungen Menschen, die in Ihr Sonderprogramm gehen, keine Anschlußausbildung haben. Es
geht doch darum, daß eine Kontinuität auch in der Ausbildung gegeben ist. Die meisten jungen Menschen, denen Ihr Sonderprogramm zugute kommt, haben nach einem Jahr keine Aussicht auf eine Fortsetzung ihrer Ausbildung und erst recht keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Dadurch steigt die Jugendarbeitslosigkeit noch
mehr.
({18})
Das können Sie nicht in Frage stellen. Das sind die
Fakten, die vorliegen.
Ich kann nur sagen: Die Regierung Schröder hat
mit diesem Haushalt ihre Schwerpunktsetzung für eine
Innovationspolitik aufgegeben. Eine Erhöhung der
Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung
ist auch in Zukunft von dieser Regierung nicht zu erwarten.
Frau Bulmahn, Sie haben uns jetzt einen Haushalt
präsentiert, der exklusiv Ihre Handschrift trägt, der nicht
mit den Haushalten der Vorgängerregierung verglichen
werden kann.
({19})
Im Gegenteil: Sie haben den Abwärtstrend in Ihrem
Ressort über diesen vorgelegten Haushalt eingeleitet.
Eine Bundesregierung, die Milliardenbeträge für Subventionen an die Steinkohle ausgibt, aber keine Kohle
für die Bildung hat, muß sich nach ihrer Zukunftsorientierung hinterfragen lassen.
({20})
Frau
Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluß.
Es ist kein Zukunftsprogramm, das Sie hier vorgelegt haben, sondern ein Programm von gestern. Also: Bessern Sie sich!
Vielen Dank.
({0})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Maritta Böttcher von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Frau Ministerin Bulmahn, lassen
Sie mich zunächst würdigen, daß es im Einzelplan 30
auch leichte Zuwächse gibt. Ich finde, das ist angesichts
des Sparpakets schon eine ordentliche Leistung, die ich
nicht verhehlen will.
({0})
Beim BAföG haben Sie - das ist schon angesprochen
worden, und auch hier gereicht es Ihnen zur Ehre, daß
Sie es selbst angesprochen haben; ich bin schon der
Meinung, wir alle sollten bei der Wahrheit bleiben - einen kleinen Buchungstrick bei der Darlehensrückzahlung angewandt, die derzeit noch in den Bundeshaushalt
fließt. Sie wissen genau, daß sich dies nur wenige Jahre
auswirkt und sich somit natürlich nicht für eine radikale
Erweiterung des Bildungsetats eignet.
Außerdem bleibt es bei der staatlichen Ausbildungsförderung für eine kleine Minderheit. Auch das wurde
hier schon angesprochen. Die BAföG-Novelle hat weder
den Rückgang der Gefördertenquote aufhalten können,
noch wurden die ausgezahlten Beiträge wirklich wesentlich erhöht. Hinsichtlich der angekündigten grundlegenden BAföG-Reform will ich nichts wiederholen. Außer den heutigen Ankündigungen des Kollegen Berninger ist von einer grundlegenden Reform keine Rede. Insofern verfestigt sich natürlich der Eindruck, daß Reformen für mehr Chancengleichheit auch bei Rotgrün
auf die lange Bank geschoben werden. Derweil zieht
Herr Rüttgers mit dem Slogan „Bildung für alle“ in den
Wahlkampf und tut so, als ob das Thema bei ihm besser
aufgehoben wäre.
Zwei Probleme bestimmen die Ausgaben für Bildung
wie für Kultur: Erstens werden die Investitionen, die
hier getätigt werden, erst in der Zukunft spürbar. Zweitens werden Bildungs- und Kulturaufgaben von Bund
und Ländern gemeinsam bestritten. Kürzungen und
Richtungsentscheidungen werden - wie wir alle wissen
- nicht nur auf der Bundesebene, sondern auch in den
Ländern vorgenommen: Die Abschaffung von muttersprachlichem Unterricht zum Beispiel können wir von
hier aus nicht verhindern; wenn Länder Projekte nicht
anteilig finanzieren können, nutzen die Bundesmittel
leider auch nichts. Diesen Problemen sollten wir uns
verstärkt zuwenden. Die Mittel der Bundesregierung
sollten so verteilt werden, daß eine klare Schwerpunktsetzung erkennbar ist.
Fünf Erwartungen hatte ich persönlich an die Bildungspolitik einer rotgrünen Regierung, die aber leider
nicht oder nur annähernd erfüllt werden. Erstens habe
ich erwartet, daß Sie sich um eine dauerhafte und durchgreifende Verbesserung des Lehrstellenangebots bemühen. Die Weiterführung des 100 000-StellenProgramms sowie die Aufstockung des Sonderprogramms für zusätzliche Ausbildungsplätze in den neuen
Ländern sind zwar Kraftakte, die ein wenig helfen; zugleich bestätigt sich aber die Kritik, die die PDS von
Anfang an dazu geäußert hat: Der Lehrstellenmangel
kann auf Dauer nicht mit Sonderprogrammen bekämpft
werden. Das zeigen die aktuellen Zahlen.
({1})
Solange es für die Unternehmen billiger ist, Ausgebildete aus Handwerksbetrieben oder aus staatlicher
Ausbildung zu übernehmen, statt selbst Lehrstellen anzubieten, wird sich hier - dieser festen Überzeugung bin
ich - nichts ändern. Für den Service, Unternehmen auf
staatliche Kosten ausgebildete junge Menschen zu liefern, muß eine Erstattung verlangt werden. Die Umlagefinanzierung ist der einzige Weg, eine grundsätzliche
Wende bei der Sicherung der benötigten Ausbildungsplätze herbeizuführen.
({2})
Obwohl diese Umlage bei weitem nicht in Sicht ist, senken Sie die Ausgaben für überbetriebliche Ausbildungsstätten sowohl für laufende Zwecke wie auch für Investitionen. Das ist für mich schlichtweg nicht nachvollziehbar.
Ich habe zweitens erwartet, daß Sie - weil Sie die Zustände an den Hochschulen kennen und in den letzten
Jahren selbst heftig kritisiert haben - die Grundfinanzierung der Hochschulen wesentlich anheben. Doch
statt die Grundfinanzierung deutlich anzuheben, weichen Sie auf Sonderprogramme aus, für die sich die
Hochschulen bewerben können - auf daß der Wettbewerb entscheide. Ich will aber nicht mißverstanden werden: Wettbewerb ist richtig und notwendig.
Es geht den Hochschulen im Vergleich zu den Forschungsinstitutionen nach dem Haushaltsentwurf aber
deutlich schlechter: Bei den Ausgaben für Bildung und
Forschung, sofern sie an Schulen und Hochschulen stattfindet, wird schon einmal gekürzt. Dabei erwarten Sie
von den Hochschulen - das haben Sie auch heute wieder
deutlich gemacht - Leistungsorientierung und modernste
Angebote mit denselben Mitteln wie bisher. Daß unter
diesen Bedingungen Studiengebühren erhoben werden,
privatwirtschaftliche Sponsoren gesucht werden und der
Ruf nach Eliteuniversitäten lauter wird, folgt zwangsweise aus der staatlichen Unterfinanzierung. Genauso
zwangsweise ist dann aber auch der Abschied vom Prinzip der Chancengleichheit und von demokratischer Mitbestimmung.
Drittens habe ich erwartet, daß Sie in Bildung und
Forschung deutlichere Akzente zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung setzen. Den Haushaltstitel „Umweltgerechte nachhaltige Entwicklung“ sollte man sich
schon genau ansehen: Insgesamt beträgt die Erhöhung
stolze 18 Millionen DM. Ein Drittel der Erhöhung
kommt der Forschung für eine Politik der Friedensgestaltung zugute. Zieht man diesen erfreulichen neuen
Punkt vom Teil „Globale Umweltaspekte“ wieder ab, so
zeigt sich am Ende eine reale Kürzung: Während die
wirtschaftsbezogene Nachhaltigkeit eindeutig gesteigert
wird, sind die Erhöhungen der Mittel für die sozialökologische Forschung Kleinigkeiten.
Ein weiteres Beispiel für Verschiebungen von
Schwerpunkten, die sich hinter wohlklingenden Titeln
verstecken, will ich benennen: Die Gewichtung zwischen der Forschung zur Gesundheitsvorsorge und zur
Krankheitsbekämpfung wird massiv zugunsten der Bekämpfung von Krankheiten verschoben. Hier stehen
Kürzungen um 12 Millionen DM der Erhöhung um 2
Millionen DM gegenüber. Dabei ist die Vorsorge - auch
angesichts knapper Gesundheitskassen - langfristig die
bessere Investition.
Kürzungen muß auch der Bereich „Forschung im
Verkehrswesen“ hinnehmen; darunter am deutlichsten
der Personenverkehr, während die Forschung zur Mobilität in Ballungszentren stärker gefördert wird. Hier
soll wohl - zumindest entsteht der Eindruck - mit modernen Verkehrsleitsystemen noch mehr Individualverkehr durch die Städte geschleust werden. Eine klare Orientierung für den Schienenverkehr fehlt.
Viertens habe ich erwartet, daß Sie sich um eine zügige Durchsetzung der angekündigten BAföG-Reform
bemühen.
Fünftens und letztens habe ich erwartet, daß Sie Ihre
neuen Haushaltstitel in der geplanten Höhe fortführen.
Die Maßnahmen im Titel „Strukturelle Innovationen in
Bildung und Forschung“ klangen nicht nur innovativ,
sondern hatten mit der Förderung zur Entwicklung neuer
Konzepte vor allem auch spannende Inhalte. Bedenklich
finde ich, daß die Entwicklung und der Einsatz neuer
Medien aus dem gesamten Bildungswesen herausgenommen wurden.
Dennoch gibt die PDS-Fraktion die Hoffnung nicht
auf, daß bald rundherum klar wird, daß Bildung und
Forschung die Grundlage für Zukunftsgestaltung bilden.
Wir jedenfalls werden aktiv Vorschläge einbringen, um
Schieflagen, die momentan eventuell noch existieren, zu
korrigieren.
Danke schön.
({3})
Ich
möchte Ihnen mitteilen, daß nach jetzigem Stand die
Aussprache noch bis 0.30 Uhr dauert. Deswegen wäre
ich dankbar, wenn sich jeder Redner so kurz wie möglich faßt.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
Stephan Hilsberg von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ladies first,
deshalb möchte ich zuerst auf die F.D.P. zu sprechen
kommen. Sehr geehrte Frau Kollegin Pieper, bei Ihren
Ausführungen insbesondere über Statistik und Rechnen
hatte ich den Eindruck, daß Sie das personifizierte Beispiel für die Mathematikschwächen sind, auf die in der
TIMSS-Studie hingewiesen wird. Wie können Sie allen
Ernstes behaupten, wir würden die Titel „Max-PlanckGesellschaft“ und „Deutsche Forschungsgemeinschaft“
senken? Diese Titel steigen tatsächlich um 3 Prozent.
({0})
Es gibt in unserem Haushalt - Bildung und Forschung keinen einzigen nichtauslaufenden Titel, der gesenkt
wird. Sie werden dafür kein Beispiel finden.
Ich möchte Frau Böttcher darauf aufmerksam machen, daß sie bei Ihrer Bewertung des Titels „Strukturelle Innovationen in Bildung und Forschung“ etwas
nicht bedacht hat. Aus dem alten Titel ist nämlich der
Titel für das rechnergestützte Lernen ausgegliedert worden. Wenn Sie beide Titel zusammenfassen, werden Sie
feststellen, daß der alte Gesamttitel sogar gestiegen ist.
Insgesamt sieht das alles also sehr gut aus.
({1})
Herr Kampeter, wir alle haben hier Sinn für Show.
({2})
Sie stehen lächelnd vor diesem Hohen Hause, das zwar
auf Grund der späten Stunde ein bißchen leer ist, wie ich
auch finde. Aber hier muß jeder Haushaltsbereich zu
seinem Recht kommen. Aber, Herr Kampeter, die Show
hat einen ernsten Hintergrund. Wenn Sie sich vorstellen,
daß nur ein Teil jener 500 000 arbeitslosen Jugendlichen, die es zum Zeitpunkt unserer Regierungsübernahme gab, oben auf den Zuschauertribünen säße und
darunter eine Reihe von Jugendlichen wäre, die von unserem Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit profitiert
haben: Können Sie dann noch Ihr Gesicht im Spiegel
betrachten?
({3})
- Wer ist denn demagogisch? Das erlebe ich doch die
ganze Zeit bei Ihnen.
Wir verdoppeln den Haushalt für Bildung und Forschung.
({4})
Dies ist vorher versprochen worden und wird auch realisiert. Jedes Jahr wird um 1 Milliarde DM aufgestockt.
({5})
Sie unternehmen hier nichts anderes als den demagogischen und dummen Versuch, einen der wichtigen und
zentralen Teile unserer Politik zu diskreditieren. Dies
kann ich unter Machtgesichtspunkten akzeptieren. Aber
Sie sollten sich, wenn Sie das tun, angesichts der Politik
schämen, die Sie in den letzten 16 Jahren zu verantworten hatten.
({6})
Gemessen am Sanierungsbedarf und dem deshalb erforderlichen Sparhaushalt, den wir für die Zukunft der
nachfolgenden Generationen vorlegen müssen, ist die
Steigerung der Ausgaben für Bildung und Forschung
etwas, was es in der ganzen Geschichte der Bundesrepublik für meine Begriffe noch nicht gegeben hat.
({7})
Die Kohl-Regierung hatte den Generationenvertrag
doppelt gebrochen. Deswegen werden wir ihn doppelt
erneuern. Natürlich müssen wir dazu - wir stehen gar
nicht an, das zu sagen - im Rahmen unseres Bildungsund Forschungsetats einen solidarischen Beitrag leisten.
Es wäre auch schlimm, wenn wir dies nicht getan hätten.
Trotzdem ist die 1 Milliarde DM dazugekommen.
Ich möchte Sie nur auf Titel des Forschungsbereichs
aufmerksam machen - schauen Sie sich den Haushalt
genau an! -, die, wenn man die Entwicklung dieses und
des Jahres zusammen betrachtet, in einem Maße gesteigert werden, daß Sie sich in den nächsten drei Jahren
tatsächlich verdoppeln. Das ist zum Beispiel bei der
Genomtechnologie der Fall. Wir haben immer davon
gesprochen, daß wir die Zukunftsinvestitionen in die
wichtigsten technologischen Bereiche verdoppeln werden. Dies werden wir tun.
({8})
Die ersten Gewinner unserer Politik sind die Jugendlichen. Ihr permanentes Herumgezetere an dem Aktionsprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit kann ich
überhaupt nicht verstehen. Selbst der von Ihnen viel zitierte Herr Philipp hat gestern deutlich erklärt: Laßt die
Demagogie sein! Sie haben noch nicht einmal anständige Zahlen, mit denen Sie Ihre Aussagen belegen können.
In unserem Ausschuß - Sie waren dabei - war ein
Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Er
hat gesagt: Das ist die Erleichterung, und das hilft uns in
einem Maße, wie wir es bisher nicht gehabt haben und
wie wir es immer dringend haben wollten. Ich kenne
persönlich viele Jugendliche, denen auf diese Art und
Weise eine Chance vermittelt worden ist, auf die sie
schon gar nicht mehr gehofft hatten.
({9})
Verbunden mit dem Ausbildungsplatzkonsens gibt es
erstmals wieder eine Lehrstellengarantie. Das ist in dieser Bundesrepublik zum erstenmal so. Ich habe es noch
nicht erlebt. Wir geben jedem Jugendlichen die Garantie, einen Ausbildungsplatz tatsächlich zu bekommen,
und zwar vorrangig einen betrieblichen, wie Sie es zu
recht angemahnt haben. Auch wir sind der Meinung, daß
ein betrieblicher Arbeitsplatz besser ist. Aber es ist besser, einen außerbetrieblichen Ausbildungsplatz zu bekommen, als gar nicht versorgt zu sein.
In der alten Bundesrepublik gibt es noch immer Jugendliche, für die Ausbildung offenbar nicht möglich ist.
15 Prozent aller Jugendlichen werden bis jetzt noch immer nicht ausgebildet. Dies kann nicht normal sein. Es
handelt sich um Mädchen und ausländische Jugendliche.
Man schafft sich dort hinsichtlich der Integration und
der Emanzipation Probleme in der Zukunft. Das kostet
sozial sehr viel Geld.
Herr
Kollege Hilsberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Pieper?
Ja.
Herr Kollege Hilsberg,
was sagen Sie dazu, daß im außerbetrieblichen Bereich,
also im Sonderprogramm, 53 Prozent der Teilnehmer
die Hochschulreife oder den Realschulabschluß haben
und eigentlich nicht zu der Zielgruppe gehören, die Sie
mit diesem Sonderprogramm erreichen wollen?
({0})
Frau Pieper, es mag in
diesem Projekt Mitnahmeeffekte geben. Noch viel
schlimmer sind die sozialen Härten und Existenzsorgen, vor denen die betroffenen Jugendlichen stehen. Sie
stehen doch nur deshalb davor, weil die Wirtschaft bisher nicht in der Lage war, genügend Lehrstellen anzubieten.
Sie behaupten immer, die Interessen des ostdeutschen
Mittelstandes zu vertreten. Schauen Sie doch einmal
nach Ostdeutschland! Woran liegt es denn, daß in Ostdeutschland weniger Betriebe als in Westdeutschland
ausbilden? Verehrte Frau Pieper, ich bin mit meiner
Antwort fertig. Sie brauchen nicht länger stehenzubleiben.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle einen Appell an alle Betriebe richten, die sich um ihren Nachwuchs kümmern
und Daseinsvorsorge zu betreiben haben. Ab dem Jahre
2005 werden sie jedem Lehrling nachtrauern, der nicht
ausgebildet wurde.
({1})
Ein nächster Gewinner unserer Bildungspolitik sind
die Hochschulen. Es ist bereits angesprochen worden,
daß wir die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“
deutlich aufstocken werden. Im übrigen ist es doch so,
daß davon vorrangig ostdeutsche Hochschulstandorte
profitieren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Uns wird
gelegentlich vorgeworfen, wir vernachlässigten den
Aufbau Ost. In Wirklichkeit sind viele Projekte gerade
im Bildungs- und Forschungshaushalt integraler Bestandteil anderer Titel.
({2})
Das ist bei der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“,
bei der Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen, bei der Förderung überbetrieblicher Bildungsstätten,
beim Ausbildungsprogramm Ost und bei den BlaueListe-Instituten der Fall.
({3})
- Das sind schlicht und einfach Tatsachen. Wenn Sie die
nicht akzeptieren können, dann kann ich nichts dafür,
Frau Pieper.
Das hier bereits erwähnte Inno-Regio-Programm ist
in der Förderung innovativer Kompetenz ganzer Regionen ein einmaliger Qualitätssprung. Es geht um das
Wiederherstellen der Wachstumsfähigkeit ganzer Regionen, die zwar jetzt deindustrialisiert sind, aber die
Fähigkeit zum Wachstum einmal hatten. An diese Fähigkeit muß man wieder anknüpfen. In meinen Augen
ist das fast wichtiger als die allerdings berechtigten Bemühungen, jene Forschungsbetriebe Ostdeutschlands
über Wasser zu halten, die ohne Bundesmittel nicht lebensfähig sind. Mit diesem Strukturproblem haben wir
hier zu kämpfen. Das kann kein Zustand von Dauer sein.
({4})
So wie die Behauptung, wir würden die Mittel für den
Aufbau Ost kürzen, eine Legende ist, so falsch und abwegig ist Ihre Behauptung, wir wollten das Sockelmodell für die Studenten nicht mehr verwirklichen. Meine
Damen und Herren von der CDU/CSU, woher nehmen
Sie eigentlich die Frechheit, uns vorzuwerfen, wir würden hier ein Wahlversprechen brechen?
({5})
Mir ist das in jeder Hinsicht ein Rätsel. Wir haben klipp
und klar erklärt, daß wir in diesem Jahr ein Konzept
vorlegen und bereits 1999 mit dessen Umsetzung beginnen werden. Letzteres haben wir getan, indem wir bereits die Freibeträge um 6 Prozent erhöht haben.
({6})
- Sie können ja nicht ignorieren, daß durch das Familienurteil des Bundesverfassungsgerichtes finanziell völlig neue Verhältnisse vorliegen, für die man entsprechende Lösungen erarbeiten muß. Die F.D.P. hat in
ihrem interessanten Antrag, der nur unserem alten DreiKörbe-Modell abgekupfert ist, schlicht und einfach das
Familienurteil des Bundesverfassungsgerichtes ausgeklammert. Damit kommen Sie nicht weiter, das ist etwa
so innovativ wie kalter Kaffee, Frau Pieper.
({7})
Wenn Sie einmal die Freibeträge von 1982 mit dem
Inflationskoeffizienten für die Jahre von 1982 bis heute
multiplizieren, dann stellen Sie fest, daß das heutige
BAföG ähnlich hohe Freibeträge wie 1982 ansetzt.
Trotzdem ist die Anzahl derjenigen, die mit BAföG studierten, permanent gesunken. Dies zeigt, daß der Handlungsbedarf für unser Sockelmodell in erster Linie aus
den Umständen folgt, daß Eltern sich ihrer Unterhaltspflicht entziehen und daß es ein Mittelstandsloch gibt.
Es geht hier nicht in erster Linie um Elternunabhängigkeit, sondern wir wollen mit diesem Konzept auch soziale Gerechtigkeit verwirklichen.
({8})
Ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf, daß wir alles,
was in unserer Kraft steht, tun werden, um dies zu realisieren.
Was sind übrigens die Alternativen? Ich höre immer
von Herrn Schäuble, er jage uns mit Alternativen. Wo
sind die Alternativen der CDU/CSU? Ich kann sie nicht
erkennen; sie sind auch heute nicht vorgetragen worden.
Allerdings steht in der Zeitung - in der „Welt“, einer
Zeitung, die nun wirklich nicht dafür bekannt ist, daß sie
unsere Positionen stützt -, daß Sie inzwischen beginnen,
unsere Politik nachzumachen. Dies tut Herr Rüttgers,
der einzige, der sich bei Ihnen überhaupt um Alternativen kümmert. Er bekommt bei Ihnen noch etwas dafür
übergebraten, daß er das tut. Aber von ihm hört man tatsächlich interessante Ansätze. Da geht es beispielsweise
um Wertevermittlung, und da heißt es, man solle jetzt
die Gesamtschulen unterstützen.
({9})
- Entschuldigen Sie einmal, das steht alles in diesem
Artikel.
({10})
Arme CDU, die es nötig hat, unsere Positionen an
dieser Stelle abzukupfern. Aber wir warten einmal ab,
bis Sie mit tatsächlichen Alternativen kommen. Dann
kann man sich vielleicht mit Ihnen etwas intensiver und
sachkundiger über andere Formen der Bildungspolitik
unterhalten.
({11})
- Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Herr Jork, daß
Sie und Herr Schmidt, der hinter Ihnen sitzt, mir
manchmal leid getan haben. Sie mußten während der
acht Jahre, die wir gemeinsam im Bundestag sind, vertreten, daß ein Haushalt, der eigentlich hätte gesteigert
werden müssen, reduziert wurde, und zwar gerade bei
Titeln, die Ostdeutschland betrafen. Ich habe noch Herrn
Schmidt im Ohr, der gestern sagte, er sei in dieser Hinsicht ein geprügelter Hund.
In unserem Haushalt gibt es keinen Titel, der nicht
Substanz hat, der nicht erhöht wurde. Nehmen Sie alleine die Internationalisierung der Hochschulen. Wir setzen
doch die Titel für Stipendien für Studenten hoch. Wir
erhöhen doch die Titel, mit denen internationale KoopeStephan Hilsberg
ration gefördert wird. - Sie sehen mich da so staunend
an. Sie müssen einmal in den Etat hineinschauen.
({12})
Das alles sind gute Ansätze, mit denen wir unsere Politik fortführen können.
Vielleicht haben Sie von uns erwartet, daß wir die
5 Milliarden DM, die wir in den nächsten fünf Jahren
zusätzlich in diesen Haushalt einstellen wollen, mit
einem Mal einstellen. Eine solche Vorstellung - Herr
Möllemann hatte so etwas einmal geäußert - offenbart
für meine Begriffe, daß Sie völlig - ({13})
- Ja, wo ist er überhaupt hin? Das ist ja interessant. Er
gibt sich wahrscheinlich gerade Mühe, die F.D.P. in
Nordrhein-Westfalen unter die Fünfprozenthürde zu
drücken. Damit hat er auch viel Erfahrung.
({14})
Wie Sie von der F.D.P. angesichts der Entwicklung Ihrer
Partei noch Zukunftshoffnung schöpfen können, ist mir
allerdings schleierhaft.
Schlußendlich sage ich: Dies ist ein Haushalt, über
den wir uns freuen, mit dem wir uns sehen lassen können, der eine echte Leistung, und zwar eine Gesamtleistung der Bundesregierung darstellt und der viel Solidarität auch von den Kollegen verlangt. Ich freue mich auf
die Beratung dieses Haushaltes im Ausschuß.
Vielen Dank.
({15})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Gerhard
Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich habe ich gedacht, daß sich die SPD heute
ehrlich von ihren unrealistischen Wahlversprechungen
verabschiedet. Dann hätten Sie wenigstens nur kurz
Probleme und könnten anschließend wieder eine klare
Linie fahren.
Aber das, was der Bundeskanzler, der Finanzminister
und Frau Ministerin Bulmahn zu der künftigen Entwicklung der Ausgaben für Bildung und Forschung sagen,
({0})
ist ein unerträglicher Eiertanz.
({1})
Zufällig, Frau Ministerin Bulmahn - aufgeschrieben
habe ich mir eigentlich etwas anderes -, habe ich wenigstens einige Originalbelege dabei. Wenn Sie schon so
eiern, muß ich Ihnen das einmal wörtlich vorhalten.
Hier habe ich zunächst das Wahlprogramm der SPD.
Darin steht:
Die SPD-geführte Bundesregierung wird die Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung und
Wissenschaft innerhalb der nächsten fünf Jahre
verdoppeln.
Was „Zukunftsinvestitionen“ sind, haben Sie nie gesagt. In vielen Wahlversammlungen wurde der Begriff „Investitionen“ bewußt weggelassen. Die Leute haben verstanden, daß Sie die Ausgaben für Bildung und
Forschung verdoppeln wollen. Mein Freund Kampeter
hat da immer gesagt: Das heißt fünfmal 3 Milliarden
DM.
Vor der Bundestagswahl haben wir, Frau Bulmahn,
über die letzte Vorlage eines Waigel-Haushalts diskutiert. Ich war erstaunt, was Sie - damals noch als Sprecherin der Opposition - alles angekündigt haben. Ich
habe Sie seinerzeit gefragt - das Protokoll habe ich dabei -:
({2})
Stehen diese Versprechungen unter einem Finanzierungsvorbehalt? Daraufhin heißt es in dem Protokoll
vom 2. September 1998 wörtlich:
Wir werden in diesem Bereich eine Ausnahme machen. Wir werden die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung deutlich erhöhen.
({3})
Vorher habe ich gefragt: Gibt es einen Finanzierungsvorbehalt?
Ich habe Ihrer Antwort damals entnommen und entnehme das auch heute noch, daß Sie sich für Finanzen
und die Haushaltslage des Bundes wirklich überhaupt
nicht interessieren.
Es gab auch bei der SPD Haushaltspolitiker, die im
Wahlkampf ehrlich gesagt haben, daß diese Wahlkampfversprechen absolut unrealistisch sind.
({4})
Das haben Sie ignoriert.
Dann haben Sie den Haushalt 1999 vorgelegt. Darin
haben Sie näher interpretiert - ich finde es sehr gut, daß
Sie da konkreter geworden sind -, was „Verdoppelung
von Investitionen“ bedeutet. Begriffen habe ich das noch
immer nicht, aber Sie haben damals gesagt - den Beleg
habe ich heute nicht dabei -: Das bedeutet etwa fünfmal
1 Milliarde DM.
Dann hat Herr Eichel als zweiter Finanzminister der
Regierung Schröder am 24. Juni hier sein Sparpaket erläutert. Auch dieses Protokoll habe ich dabei. Darin
steht:
Die Verdoppelung in diesem Bereich wird zwar
nicht nach fünf, aber nach sechs Jahren erreicht.
({5})
Frau Bulmahn, daran orientieren Sie sich offensichtlich
noch immer ein bißchen.
Zwischendurch sind auf meinem Schreibtisch weitere
Veröffentlichungen, und zwar die „VDInachrichten“
gelandet; das Datum habe ich nicht im Kopf, aber es war
vor ungefähr ein, zwei Wochen. Darin stand: „BulmahnEinsparungen sind vertretbar“. Plötzlich reden Sie von
„Einsparungen“. Das ist ja ganz erstaunlich.
Heute haben Sie, wahrscheinlich auf Grund der
Eichel-Aussagen, gesagt: Verdoppeln wird länger dauern. Sie wissen aber offensichtlich nicht genau, was Herr
Eichel gestern bei der Haushaltsdebatte verkündet hat.
Ich habe es selber gar nicht glauben können. Laut Protokoll des gestrigen Tages sagte er:
Wir werden unser Versprechen umsetzen, die Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung in
den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln.
Plötzlich sagt er nicht mehr, es dauere länger.
({6})
Sie haben überhaupt keine einheitliche Sprachregelung bei Ihrer Vernebelungstaktik. Das ist wirklich unerträglich.
({7})
Dann nehme ich mir den Finanzplan vor, den auch
der Kollege Kampeter schon erwähnt hat. Ich rechne ein
bißchen anders als er. Ich habe jetzt Seite 16 aufgeschlagen; Sie können das später daheim oder im Büro
nachlesen. Der einzige Unterschied zwischen meiner
Rechnung und der des Kollegen Kampeter ist, daß ich
beim Zusammenzählen die kulturellen Ausgaben,
Kanzleramt und neuer Staatsminister herauslasse, weil
das nicht Bildung und Forschung im engeren Sinne ist.
Sie schauen auch dann nicht besser aus. Beim Zusammenzählen habe ich festgestellt, daß bei der Ist-Ausgabe
1998 steht: 16,6 Milliarden DM. Als Zuwachs für das
Jahr 1999 ist dann dort - das betrifft nicht nur Ihr Ressort, sondern Bildung und Forschung allgemein, also
auch den Etat des Wirtschaftsministeriums - ein Plus
von 818 Millionen DM verzeichnet. Im laufenden Haushaltsjahr haben Sie echt zugelegt. Für uns war es nicht
sehr angenehm nach der Wahl, das festzustellen. Wir
haben gedacht: Die machen ja Ernst.
Beim weiteren Zusammenzählen komme ich nach
Ihrem Finanzplan im Jahr 2000 auf ein Minus von
265 Millionen DM, im Jahr 2001 auf ein Plus von
118 Millionen DM, im Jahr 2002 auf ein Plus von
125 Millionen DM und im Jahr 2003 auf ein Plus von
122 Millionen DM. Insgesamt bedeutet das bis 2003 ein
Plus von 918 Millionen DM, das entspricht 5,5 Prozent.
Diese Zahlen legen Sie uns gedruckt vor. Ich kapiere
wirklich nicht, wie man diese verwirrenden Spielereien
fortführen - ich will nicht von „Lüge“ sprechen - und
von einer Verdoppelung in fünf, sechs oder noch mehr
Jahren sprechen kann. Das ist unerträglich.
({8})
Jetzt zum Einzelplan 30 des Haushaltes 2000, über
den wir heute debattieren. Sie wollen dafür gelobt werden, daß Sie sparen, und gleichzeitig dafür, daß Sie nicht
sparen. Ich habe den Unterlagen, die Sie uns freundlicherweise vor der Sommerpause zufaxen ließen - allzuviel bekommen wir ja nicht - entnommen, daß diese
Aktion folgendermaßen abläuft - dafür muß ich jetzt
einmal die detaillierten Zahlen nennen -: Nach den Unterlagen Ihres Hauses bekommen Sie zunächst einmal
rein rechnerisch von der angeblich zusätzlichen 1 Milliarde DM 768 Millionen DM. Es steht ausdrücklich drin,
daß dieses Ihr Anteil an der Milliarde ist. Als Sparbeitrag zieht man Ihnen 7,4 Prozent von den zu erbringen
den 30 Milliarden DM ab, also 1,1 Milliarden DM.
Wenn mich meine Rechenkenntnisse nicht ganz verlassen haben, komme ich auf ein Minus von 340 Millionen
DM in diesem Jahr.
({9})
In der letzten Zeile Ihres Haushaltes steht also, daß die
Ausgaben sinken. Ich komme gleich auch noch darauf
zu sprechen, wie Sie versuchen, die Neuregelung des
BAföG zu unterlaufen.
Zunächst möchte ich Ihnen aber einmal sagen, daß
Sie ganz vorsichtig sein müssen, selbst wenn Sie über
die Ausgaben des Jahres 1999 reden, weil Soll bekanntlich nicht gleich Ist ist. Ich habe gesehen, daß das Haushaltsgesetz erst am 21. Juni 1999 ausgefertigt wurde. Da
ich selber einmal als Beamter Geld verwaltet habe, weiß
ich, daß bis zu diesem Zeitpunkt die Grundsätze der
vorläufigen Haushaltsführung gelten. Sie konnten also
erst jetzt im August oder im September wirklich Gelder
zusagen und dementsprechende Bescheide verschicken.
Ich sage Ihnen jetzt vorher, daß die Adressaten gar nicht
in der Lage sind, im zweiten Halbjahr das ganze Geld,
das für ein Jahr geplant ist, auszugeben.
({10})
Sie werden uns, Frau Bulmahn, eines Tages noch bei
der Vorlage der Ist-Abrechnung des Jahres 1999 beichten müssen, daß Sie das Ihnen in diesem Jahr zur Verfügung gestellte zusätzliche Geld gar nicht aus-, sondern
zum Teil an den Finanzminister zurückgegeben haben.
({11})
Wenn Sie das schaffen, wäre das wirklich eine haushaltstechnische Leistung.
({12})
Aber seien Sie vorsichtig, vielleicht müssen Sie da noch
eine ganz unangenehme Beichte irgendwann im Frühjahr nächsten Jahres ablegen.
Dr. Gerhard Friedrich ({13})
Ich gebe zu - was Sie gesagt haben, verwirrt alles ein
wenig -,
({14})
daß Sie versuchen, die einzusparenden 340 Millionen
DM, wie es aus der letzten Zeile Ihres Einzelplanes hervorgeht - das sagte ich bereits - zu unterlaufen. Sie haben es angedeutet, aber ich will es noch einmal wiederholen, damit klar ist, was da gemacht wird: Der Finanzminister sagt: Ich muß die Nettokreditaufnahme senken,
also streiche ich bei der Frau Kollegin Bulmahn Geld.
Gleichzeitig rät er ihr aber, selber einen Kredit aufzunehmen. Das bedeutet, daß der Finanzminister seine
Nettokreditaufnahme nach unten rechnen kann, während
tatsächlich Sie den Kredit aufnehmen, also alles beim
alten bleibt. Finanzpolitisch, Herr Kollege Hilsberg, ist
das absolut unsolide.
({15})
Ich sage Ihnen - ich merke, dann muß ich aufhören -:
Das Ganze würde ich unter einer Voraussetzung akzeptieren, nämlich daß Sie dieses Finanzierungsmanöver
durchführen, um die von uns allen seit langem versprochene große BAföG-Reform zu finanzieren. Das würde
ich gerade noch hinnehmen, auch wenn es finanzpolitisch unsolide ist.
Wenn Sie Ende des Jahres ein Konzept für das
BAföG vorlegen - vielleicht einigen Sie sich noch
mit dem Herrn Berninger -, heißt das noch lange nicht,
daß irgendwann Geld fließt. Der Finanzminister hat
schon erklärt, er wolle im Jahr 2001 über die nächste
Stufe des Familienleistungsausgleichs entscheiden und
dabei auch Ihre BAföG-Reform berücksichtigen. Auf
deutsch heißt das: Das Geld fließt frühestens im Jahr
2002. In der „Frankfurter Rundschau“ habe ich gelesen,
daß der Kollege Berninger Angst hat, daß dann der
nächste Vorwurf einer Wahlkampflüge auf Sie zukommt.
Vielen Dank.
({16})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Hans-Josef
Fell von Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich bin sehr froh darüber, daß es
Frau Ministerin Bulmahn auch in diesem Jahr gelungen
ist, den Gedanken der Zukunftsmilliarde aufrechtzuerhalten.
({0})
Der Bildungs- und Forschungshaushalt konnte sich
angesichts der notwendigen Sparbemühungen gut behaupten. In den nächsten Jahren ist trotz Haushaltssanierung sogar wieder mit einem kräftigen Aufwuchs zu
rechnen. Die Bildungs- und Forschungspolitik der Bundesregierung unterscheidet sich damit deutlich von der
alten Bundesregierung, die Schulden anhäufte, Ausgaben steigerte und dennoch bei den Zukunftsinvestitionen
kräftig kürzte.
({1})
Die Begründung für die Hervorhebung der Bildung
und Forschung ist ebenso überzeugend wie einfach. Hier
wird in die Zukunft investiert. Jede Mark, die wir in Bildung und Forschung ausgeben, kann dazu führen, daß
das Mehrfache wieder hereinkommt, ganz zu schweigen
von der Bedeutung für die Lösung wichtiger Probleme
und für das Wissensbedürfnis der Menschen.
Zur Zukunftsfähigkeit dieses Landes gehört aber
auch, daß der Staat handlungsfähig ist, daß er auch in
Bildung und Forschung, Infrastruktur usw. investieren
kann
({2})
und die Einnahmen nicht im Schuldendienst verschwinden. Schon die Regierung Kohl war angetreten, die
Schulden zu verringern. Sie hat kläglich versagt.
({3})
Ein Scheitern der neuen rotgrünen Bundesregierung
kann sich dieses Land nicht leisten. Ein Scheitern würde
zwangsläufig bedeuten, daß dieses Land in der Schuldenfalle hängenbleibt. Für die Durchsetzung des ehrgeizigen Sparpaketes ist es wichtig, daß alle mitmachen.
Anderenfalls ist die Gefahr groß, daß die Akzeptanz zu
gering wird und das ganze Projekt scheitert. Daher war
Ministerin Bulmahn gut beraten, Teamgeist zu zeigen
und keine Sonderrolle einzufordern.
Besonders in finanziell schwierigen Zeiten ist es
wichtig, das Geld, das man hat, sinnvoll auszugeben.
({4})
In diesem Haushalt werden neue Akzente gesetzt. Vor
allem die Forschungsbereiche werden gestärkt, bei denen der Nutzen für die Gesellschaft im Vordergrund
steht. Ich möchte einige Beispiele hervorheben.
Ganz besonders freut mich als Mitglied des Verteidigungsausschusses die Entwicklung bei der Friedens- und
Konfliktforschung. Nachdem es uns 1999 gelungen ist,
die Friedens- und Konfliktforschung wieder zu etablieren - sie war aus Ihrem Haushalt fast völlig verschwunden -, werden wir die Mittel im Jahre 2000 sogar verdreifachen.
({5})
Im Mittelpunkt werden unter anderem die Forschung
zur konstruktiven Konfliktbearbeitung und die Forschung zur Voraussetzung zukunftsfähiger Sicherheitsund Friedensprozesse stehen. Die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen bewertet Technologien vor allem nach
deren Nutzen und Risiken. Es ist daher erfreulich, daß
Dr. Gerhard Friedrich ({6})
im Haushalt 2000 die Mittel für die Technikfolgenabschätzung erneut kräftig steigen.
({7})
Der Zuwachs um 40 Prozent auf 7 Millionen DM wird
unter anderem folgenden Bereichen zugute kommen: der
Technikanalyse und der Technikbewertung sowie der
vorausschauenden Gestaltung von Rahmenbedingungen
bei Innovationen.
({8})
In diesem Zusammenhang möchte ich meine Freude
darüber zum Ausdruck bringen, daß wir im Haushalt des
Bundestages wie versprochen den Titel für das Büro
„Technikfolgenabschätzung“ auf 4 Millionen DM erhöhen werden.
({9})
Im Augenblick stehen so wichtige Projekte an wie die
Abschätzung der Potentiale erneuerbarer Energien, die
Folgen des Atomausstiegs und das Potential von Energiepflanzen in der dritten Welt. Daß Ihnen, Herr Friedrich, das nicht wichtig ist, ist mir klar. Denn die Frage,
wie sich Großtechnologien in der Zukunft auswirken,
haben Sie ja immer ignoriert.
Wie schon 1999 werden auch im Jahr 2000 die Mittel
für die Nachhaltigkeitsforschung kräftig ansteigen.
({10})
So werden in den Bereichen Klima- und Atmosphärenforschung neue Programme aufgelegt. Es wird das neue
Forschungsprogramm „Biodiversität“ geben und ein
neues Projekt bezüglich der globalen Veränderungen im
Wasserkreislauf mit speziellem Fokus auf die Niederschläge vor Ort entwickelt. Ich bin sehr zuversichtlich,
daß sich in absehbarer Zeit auch die alte rotgrüne Forderung nach einer Förderung kleiner und mittlerer Institute
im Bereich der Nachhaltigkeitsforschung verwirklichen
läßt. Ich bin auch optimistisch, daß bei der Biotechnologie neue Akzente vor allem in der Sicherheitsforschung
gesetzt werden.
Meinen besonderen Respekt möchte ich Frau Ministerin Bulmahn auch hinsichtlich des Bereiches der
Raumfahrt zukommen lassen.
({11})
Ihr gelang es, sich auf der ESA-Ministerkonferenz auf
sinnvolle Projekte zu konzentrieren und Arbeitsplätze zu
sichern.
({12})
Zugleich konnten die Ausgaben stabil gehalten werden,
und es wurde den weitaus übertriebenen Forderungen
der Opposition nicht nachgegeben.
({13})
Mindestens ebenso wichtig wie die Verteilung der
Mittel zwischen den Titeln ist deren Verwendung innerhalb der einzelnen Forschungsbereiche. So ist der Ansatz des Ministeriums löblich, das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung zur Leitlinie der Forschung zu
machen. Dies kann nicht über Nacht geschehen. Mittelund langfristig werden sich die Prioritätensetzungen allerdings ändern müssen.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein paar Worte
zur Forschung im Haushalt des Bundesministeriums
für Wirtschaft sagen; Frau Pieper hatte das ja gewünscht.
({14})
200 Millionen DM im Rahmen der Zukunftsmilliarde
sind für den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums vorgesehen. Im ersten Regierungsentwurf waren
diese Mittel leider nicht aufzufinden. Statt dessen wurden vor allem die Mittel für nichtnukleare Energieforschung stark gekürzt. Es droht eine teilweise Beendigung der Forschung in den Bereichen erneuerbarer
Energien und Energieeffizienztechnologien. Für die Regierungsfraktionen ist es eine wichtige Aufgabe, diese
Gefahr in den Haushaltsberatungen abzuwenden. Durch
die erfolgreichen Verhandlungen des Bundeswirtschaftsministers mit den Vertretern des Bergbaus sind
hierfür neue Spielräume entstanden. Diese müssen jetzt
auch genutzt werden.
Herr
Kollege Fell, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich bin gleich am Schluß. - Dann wird in allen Forschungsbereichen der Zukunftsanspruch der Regierung
deutlich, so wie es Frau Bulmahn mit dem vorgelegten
Haushalt bereits verwirklicht hat.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Thomas Rachel von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf für das Jahr 2000 gibt Anlaß zu einer ersten
Bilanz der bisherigen Amtszeit der Bundesbildungs- und
-forschungsministerin Edelgard Bulmahn. In ihrer ersten
Rede als Ministerin am 12. November 1998 hat sie gesagt - ich zitiere -:
Wenn der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung die Verdoppelung der Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung angekündigt hat,
dann ist das mehr als ein Symbol.
So weit die Ankündigung.
Jetzt zur Realität nach knapp einem Jahr Regierungszeit: Nimmt man die damaligen Ausgaben für Bildung
und Forschung zum Maßstab, hätte eine Verdoppelung
bedeutet, daß 3 Milliarden DM pro Jahr zusätzlich mobilisiert werden müssen. Im Wahlkampf hatte die SPD
sogar eine Garantiekarte verteilt. Auf der war zu lesen:
Wir versprechen eine Verdoppelung der Investitionen
in Bildung und Forschung in fünf Jahren.
Dauerhaften Bestand haben diese Aussagen nicht gehabt.
({0})
Tatsächlich sinkt der Bildungs- und Forschungshaushalt
von 14,93 Milliarden DM in 1999 auf 14,58 Milliarden
DM im Jahr 2000. Von einer Verdopplung kann keine
Rede sein: Er sinkt um 340 Millionen DM.
({1})
Meine Damen und Herren, wer die Menschen mit
einer Garantiekarte und mit der Regierungserklärung des
Kanzlers dermaßen täuscht, der verspielt das Vertrauen
der Menschen. Noch nie hat eine Bundesregierung in so
kurzer Zeit die Erwartungen der Menschen so enttäuscht
wie diese Regierung. Die Quittung dafür haben Sie bei
den letzten Wahlen bekommen.
({2})
Sie haben für Ende dieses Jahres das Konzept der
großen BAföG-Reform angekündigt. Das Bundeskabinett hat aber im Sparpaket beschlossen:
Über die Ausgestaltung des Familienleistungsausgleichs ab 2002 entscheidet die Bundesregierung ...
im Zusammenhang mit der Reform der Ausbildungsförderung.
Die Bundesregierung plant also, die große BAföGReform erst im Jahr 2002 zu realisieren. Der Präsident
des Deutschen Studentenwerks, Professor Rinkens,
kommentiert das mit den Worten:
Die sang- und klanglose Verschiebung der BAföGReform ist ein Skandal.
Recht hat der Mann.
({3})
Das Studentenwerk sagt weiter:
Offenbar setzt Ministerin Bulmahn ihre Prioritäten
nicht im Bereich der Ausbildungsförderung. Hier
fehlt der politische Wille, der jungen Generation in
Deutschland bessere Zukunftschancen zu verschaffen.
Richtig sagt dies das Studentenwerk.
Frau Bulmahn, so kommen Sie nicht durch. Offenbar
ist das auch den Grünen peinlich. Der Bonner „GeneralAnzeiger“ berichtete am 13. Juli über die Kritik des grünen Bundestagsabgeordneten Matthias Berninger,
({4})
schon die Wahlversprechen, Studiengebühren zu verbieten und Bildungsausgaben zu verdoppeln, habe die
Koalition nicht gehalten. Weiter sagt er:
Wenn wir unser drittes Versprechen jetzt auch nicht
halten, machen wir uns vollends unglaubwürdig.
Recht hat der Kollege Berninger.
({5})
Sie gliedern über 500 Millionen DM an BAföGDarlehen aus dem Haushalt aus; die Ausgleichsbank soll
sie übernehmen. Die Leistung fällt weg; die Mittel bleiben aber verfügbar und werden an anderer Stelle verfrühstückt. Genau das, Frau Bulmahn, ist Ihr strategischer Fehler. Hier hätte die einzigartige Chance bestanden, wenigstens einen Teil der durch die Umschichtung
gewonnenen 549 Millionen DM für eine durchgreifende
Verbesserung der Situation der BaföG-Bezieher zu nutzen. Aber genau da versagen Sie.
({6})
Sie sind die Antwort schuldig geblieben, wie Sie angesichts der langfristigen Streichpläne von Minister Eichel in den kommenden Jahren „fresh money“ für eine
große BAföG-Reform mobilisieren wollen. Ich finde,
die BAföG-Studenten haben ein moralisches Anrecht
darauf, daß die durch die Finanzoperation freiwerdenden
BAföG-Mittel tatsächlich für eine BAföG-Reform genutzt werden. Sie versagen an dieser Stelle.
({7})
Wir sind uns mit Ihnen einig, daß im Rahmen einer
Dienstrechtsreform eine stärker leistungsorientierte Besoldung der Professoren an den Hochschulen erreicht
werden soll. Wir werden dabei konstruktiv mitarbeiten.
Ein Fehler war allerdings, daß Sie den Deutschen Hochschulverband mit dem Präsidenten Schiedermair als
Vertretung der Universitätsprofessoren nicht als vollwertiges Mitglied in die Kommission berufen haben. Eine solche Reform kann man nicht gegen die Betroffenen
machen; vielmehr muß man sie mit den Betroffenen
gemeinsam realisieren.
Katastrophale Auswirkungen hat das von Ihnen beschlossene 630-Mark-Gesetz auf die Hochschulen in
unserem Lande. 55 000 junge Menschen sind wissenschaftliche Hilfskräfte. Sie jobben auf 630-Mark-Basis.
Sie korrigieren Klausuren, halten Aufsicht in den Bibliotheken, leiten Tutorien. Durch das 630-Mark-Gesetz
müssen die Hochschulen zusätzlich 10 Prozent an Kranken- und 12 Prozent Rentenversicherungsbeiträgen zahlen. Pro 630-Mark-Kraft entstehen Zusatzkosten von
138,60 DM. Mehrkosten für die Universitäten: 400 000
DM für die Uni Potsdam, 1,2 Millionen DM für die Uni
Heidelberg, 1,9 Millionen DM für die Uni Erlangen, 1,6
Millionen DM für die Uni Karlsruhe. Wie sollen die
Hochschulen diese von Ihnen zu verantwortenden
Mehrkosten bezahlen, Frau Ministerin? Wer ein solches
630-Mark-Gesetz beschließt, muß bei den Universitäten
im Gegenzug die anfallenden Mehrkosten ausgleichen.
Aber genau das tun Sie nicht.
({8})
Sie verursachen mehr Personalkosten bei den studentischen Hilfskräften in Höhe von 22 Prozent. Die Unis
bekommen kein weiteres Geld, als Konsequenz reduzieren sie die studentischen Hilfskraftstellen. Tausende
Studenten bangen um ihre Jobs, die Zahl der Tutorien
wird zum Nachteil der Studierenden reduziert, und die
Universität Erlangen zum Beispiel schließt ihre juristische Bibliothek drei Stunden früher als bisher.
Meine Damen und Herren, nach unserer Auffassung
ist das eine falsche Politik. Sie haben den Bezug zur
Wirklichkeit an den Hochschulen längst verloren.
({9})
Frau Bulmahn, ohne Zweifel sind Sie eine kompetente Bildungs- und Forschungspolitikerin, aber die Art
und Weise, in der Sie Ihr Ressort führen, ist farb- und
ideenlos. Seit Ihrem Amtsantritt ist die Forschungspolitik in der öffentlichen Debatte abgesoffen. Dies wird
auch von der Wissenschaft kritisiert.
Frau Bulmahn, warum hat die Bundesregierung die
großartige Einrichtung des Technologierats beim Bundeskanzler aufgegeben? Warum werden, nachdem Sie
erhebliche Kompetenzen abgegeben haben, bei der
Energieforschung und den erneuerbaren Energien
29 Millionen DM gekürzt? Vor der Wahl haben Sie genau das Gegenteil angekündigt.
({10})
Mit Ihrem bürokratisierten Gesundheitsreformgesetz
schaden Sie Deutschland als Standort für Innovationen.
Sie bauen eine neue Innovationshürde auf, indem Arzneimittelinnovationen nach ihrer Zulassung nicht mehr
automatisch verordnungsfähig sein sollen.
({11})
Vielmehr soll eine Zweitprüfung aller Arzneimittel eingeführt werden, was den Marktzugang verzögert und
enorme Kosten für die forschungsintensive pharmazeutische Industrie bedeutet.
Jeder weiß, daß rund 500 Millionen US-Dollar für die
Entwicklung eines neuen Medikaments aufgewendet
werden müssen. Die verzögerte Markteinführung eines
neuen Medikaments kostet 1 Million DM pro Tag. Damit ist klar, daß die Zweitprüfung der Arzneimittel eine
schädliche Innovationshürde darstellt, die unserem
Standort schadet.
({12})
Sehr geehrte Damen und Herren, in den letzten Jahren haben wir die Patentamtsgebühren gesenkt, um das
Erfindungswesen zu fördern. Wir wollen, daß wirtschaftlich nutzbare Forschungsergebnisse in Deutschland in Patente umgesetzt werden, damit die Erfindungen kommerziell genutzt werden können. Was macht die
rotgrüne Bundesregierung? Sie hat die massive Anhebung der Patentgebühren beschlossen.
Allein im nächsten Jahr wollen Sie 48 Millionen DM
zusätzlich bei Tüftlern und Erfindern eintreiben.
({13})
Vor der Wahl das Schlagwort von der Innovation, und
nach der Wahl torpedieren Sie sie mit Gebührenerhöhungen! Das ist heuchlerisch.
({14})
Sie dämpfen mit dieser Gebührenerhöhung die Anmeldetätigkeit und das Innovationsklima. Der Bundesverband der Deutschen Industrie und die Forschungseinrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft haben gegen
diesen forschungspolitischen Unsinn protestiert. Es gibt
auch keine sachliche Begründung für eine Gebührenerhöhung in Höhe von 48 Millionen DM. Das Deutsche
Patent- und Markenamt weist nämlich jährlich steigende
Jahresüberschüsse auf. Allein 1997 waren es 58 Millionen DM an Überschüssen und 1998 63 Millionen DM.
Ihnen geht es also nur darum, die Löcher in Ihrem allgemeinen Bundeshaushalt zu stopfen. Sie vernichten die
Innovationsbedingungen in unserem Land.
({15})
Schauen Sie doch einmal, was andere Länder machen! Das Europäische Patentamt und auch die Patentämter in den USA und Japan haben durch drastische
Gebührensenkungen bei den Patenten Innovationsstimulierungen vorgenommen. Sie bringen die Patentgebühren in die Nähe einer Patentsteuer. Damit untergraben Sie die Tätigkeit der Erfinder und die Umsetzung
ihrer Erfindungen in kommerziell zu nutzende Produkte,
aus denen Arbeitsplätze entstehen.
Herr Hilsberg, das, was Sie offensichtlich nicht verstanden haben, ist: Die Patente von heute sind die Arbeitsplätze von morgen. Deshalb ist Ihre Politik verfehlt.
({16})
Die vollmundigen Ankündigungen der Bundesregierung haben sich ins Nichts verflüchtigt. Ihnen fehlt die
politische Kraft und auch der Wille, den Zukunftsinvestitionen Priorität einzuräumen. Von einem Aufbruch in
Richtung Modernität und Innovation ist nichts zu sehen.
Im Gegenteil: In vielen Feldern verschlechtern Sie die
Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung.
Das geht zu Lasten der Entwicklungsfähigkeit unseres
Landes und damit zu Lasten der nächsten Generation.
An der Schwelle zum dritten Jahrtausend hatten wir von
Ihnen etwas anderes erwartet.
Herzlichen Dank.
({17})
Als
letzter Redner zu diesem Themenbereich hat das Wort
der Kollege Jörg Tauss von der SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich sehe schon, Sie fiebern meinen Ausführungen
entgegen.
({0})
Es besteht aber das kleine Problem, daß man Ihnen vorhalten muß, daß Sie nicht rechnen können. Aber Sie
können miesmachen. Und darüber werden wir heute
noch ein wenig miteinander diskutieren, ob es Ihnen
paßt oder nicht.
Frau Böttcher, Sie haben hier über die Geisteswissenschaften geredet. Das Problem ist, daß auch Sie,
obwohl Sie sich ein wenig von der anderen Seite der
Opposition unterscheiden, nicht rechnen können. Allein
bei den Geisteswissenschaften gibt es eine Aufstockung
von 29 auf 31 Millionen DM. Im Forschungs- und Gesundheitswesen, das Sie hier kritisiert haben, gibt es eine
Aufstockung von 159 auf 178 Millionen DM. Was Sie
machen, ist Miesmacherei; das ist das Problem.
Die schlimmste Miesmacherei betrifft das Aktionsprogramm für Jugendliche. Allein in meinem Wahlkreis ist die Jugendarbeitslosigkeit in einzelnen Arbeitsamtsbezirken dank des Programms um bis zu 25
Prozent zurückgegangen. Ich bin stolz darauf, daß wir
das so gemacht haben.
({1})
Hören Sie deshalb auf, hier einen solchen Blödsinn zu
erzählen!
({2})
- Nun blöken Sie doch nicht herum, Herr Fischer. Sie
haben doch die Konferenz in unserem Wahlkreis mit
Vertretern des Handwerks, des Arbeitsamts und der
Ausbilder miterlebt. Alle waren voll des Lobes und haben gesagt: Dieses Programm muß fortgesetzt werden.
Die größte Sorge war, daß es nicht kontinuierlich fortgeführt wird.
({3})
Also auch hierzu kommt von Ihnen nichts als Luftblasen
und Unfug. Was Sie hier abziehen, ist unerträglich.
({4})
Nun zu Frau Pieper. Wo ist sie denn? Wo ist überhaupt Herr Möllemann, unser Ausschußvorsitzender?
Also gut, richten Sie Frau Pieper, die hier eine große
Klappe riskiert hat, einfach aus: Was sie hier vorgetragen hat, war nichts als Blödsinn. Sie hat hier Zahlen des
Studentenwerks aus 1998 vorgelesen und kritisiert, also
Zahlen aus der Zeit, als Sie an der Regierung waren.
Und das hat sie uns vorgehalten. - Es wird albern und
macht kaum Spaß, darüber mit Ihnen eine Diskussion zu
führen.
({5})
Zu den Studiengebühren. Herr Rachel, es kommen
mir gleich die Tränen.
({6})
- Ich muß schreien, damit einige von Ihnen aufwachen.
Sie merken ja noch nicht einmal, was in diesem Land los
ist. Das ist das Problem.
({7})
Herr Rachel, es ist das Land Baden-Württemberg, das
bis heute einen Kompromiß bei den Studiengebühren
verhindert. Das ist ein Land, das von Ihnen regiert wird.
Sie werfen uns vor, was der baden-württembergische
Wissenschaftsminister in seiner Trampelei in diesem
Land anrichtet. Das ist nicht zu ertragen.
({8})
Kommen wir noch einmal auf den Technologierat zu
sprechen! Herr Rachel, dieser Kanzler braucht im Gegensatz zu Kohl - ich erinnere nur an die Datenautobahn, die er mit einer normalen Autobahn verwechselt
hat - nicht auf allen Gebieten Rat. Er holt sich den Rat
gezielt dort, wo er ihn braucht. Es gab im Technologierat einen großen Frust darüber - das muß man an dieser
Stelle auch einmal sagen -, daß die Vorschläge, die dem
alten Kanzler damals gemacht wurden, nicht umgesetzt
worden sind. Das war das Problem. Deswegen schaffen
wir neue Instrumentarien.
Nun komme ich noch zu einzelnen Punkten des
Haushaltsetats der neuen Bundesregierung: Der Einzelplan 30 des Forschungsministeriums ist - dieses Kompliment muß man Ihnen, Frau Ministerin, machen - der
Beleg für die Trendwende in der deutschen Forschungspolitik:
({9})
weg von der Sprechblasenproduktion aus der Rüttgerschen Seifenfabrik hin zu einer Neuorientierung auf
wichtigen Feldern. Trotz schwierigster Haushaltslage
haben wir Schritt für Schritt das umgesetzt, was wir angekündigt haben.
({10})
- Was heißt: Das ist das Schlimme? Was werfen Sie uns
eigentlich vor? Werfen Sie uns vor, daß wir die Ankündigungen eingehalten oder daß wir sie nicht eingehalten
haben? Darüber müssen Sie sich einmal klarwerden.
Wir haben das, was wir angekündigt haben, umgesetzt. Die Bildungs- und Forschungsministerin hat sich
beim Finanzminister durchgesetzt. Das war allerdings
nicht schwer, weil er an Bildung und Forschung interessiert ist.
({11})
Wenn sich Jürgen Rüttgers damals so durchgesetzt hätte,
wie sich heute Edelgard Bulmahn durchgesetzt hat, hätten wir die Probleme, die wir heute haben, nicht.
({12})
Zu Ihrem neuen Hoffnungsträger, der durch die TalkShows gereicht wird: Wenn sich Jürgen Rüttgers für
Nordrhein-Westfalen so interessiert wie für sein Ministerium, ist allein seine Kandidatur eine Zumutung für
die Menschen in Nordrhein-Westfalen. Auch das wollen
wir einmal klar sagen.
({13})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen.
({14})
- Ich rege mich überhaupt nicht auf. Ich versuche, Ihnen
ein wenig das nahezubringen, über das wir heute abend
reden. Sie haben noch nicht einmal in den Haushaltsplan
gesehen, über den Sie heute irgendwelche Sprüche abgegeben haben.
Was wir mit dem Zukunftsprogramm vorgelegt haben, wird von den Forschungseinrichtungen gewürdigt.
Diese Woche waren wir bei den Forschungseinrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft. Dort gab es keine
Spur von Kritik. Keiner hat gesagt: Wir leiden unter
einer zu geringen Mittelausstattung. Alle sind dankbar
dafür, daß wir ihre Arbeit auf eine finanziell sichere
Grundlage gestellt haben: klare Konzeption, klare Weichenstellungen, solide Finanzen.
({15})
Das ist das Konzept moderner Forschungspolitik, für das
wir stehen und auf das wir stolz sind.
Der Kollege Fell hat zum Thema Raumfahrt - das
ist ja ein Hobby von Ihnen, Kollege Fell, wahrscheinlich
nur, weil es da dampft und raucht und das damals am
besten zu der von Herrn Schäuble so genannten „Krawallopposition“ paßte - schon darauf hingewiesen, daß
die Ministerin einen Kompromiß auf europäischer Ebene zustande gebracht hat. Übrigens verstehe ich die PDS
auch hier nicht so richtig: Ihr drescht reflexartig - und
immer technikfeindlich - auf dieses Feld ein, obwohl
auch Forschungseinrichtungen und Betriebe in den neuen Bundesländern, zum Beispiel auf dem höchst interessanten Feld der Kleinsatelliten, profitieren. Wir haben
uns um diesen Bereich gekümmert, genauso darum, daß
die europäischen Trägerraketen Spitze bleiben und weiterentwickelt werden. Auch diesen Erfolg der Ministerin
wollen Sie am heutigen Abend miesmachen.
({16})
Sie reden zwar immer von der Bedeutung der Raumfahrt, und ich nehme es Ihnen ja ab, daß Sie Ihr Herzblut
dafür hingeben - wahrscheinlich ebenfalls, weil es
dampft und raucht -, aber auch in diesem Bereich haben
Sie uns keine seriöse Finanzplanung hinterlassen. Das
ist jetzt ungerecht: Ich kann noch nicht einmal sagen,
Sie hätten uns eine unseriöse Finanzplanung hinterlassen. Nein, Sie haben uns überhaupt keine Finanzplanung
hinterlassen. Das ist das Problem, vor dem wir hier stehen.
({17})
Sie haben dafür keine Mittel eingestellt, das waren - das
haben wir auch auf allen anderen Feldern zur Kenntnis
nehmen müssen - Luftbuchungen. Letztendlich - das
wäre die Wirkung - ginge die Raumfahrt bei beiden kaputt: bei der PDS wegen deren Technikfeindlichkeit, bei
der CDU wegen ihrer „Weiter-so-Haltung“.
Man kann, meine Damen und Herren von der Union,
viele Menschen einige Zeit lang täuschen, aber nicht alle
Menschen über die ganze Zeit. Dieses Kalkül wird nicht
aufgehen.
({18})
Aber reden wir jetzt noch ein bißchen von der Zukunft und nicht von der CDU.
({19})
Wir haben in der IuK-Technologie - das ist dem Haushaltsentwurf zu entnehmen - große Anstrengungen unternommen. Das ist zukunftsgerecht und war auch insofern dringend nötig, als die alte Bundesregierung keinen
Beitrag geleistet hat, um hier Arbeitsplätze zu schaffen.
Das Internet
({20})
- die Datenautobahn; das, was Ihr Kanzler mit der Autobahn verwechselt hat - hat unserer Ansicht nach vor
allem Rationalisierungspotentiale geschaffen. Und in
den USA sind dadurch Jobs entstanden. Dieser Bereich
ist eines der kläglichsten Versäumnisse der alten Bundesregierung. Es gab keine Internet-Politik. Sie wußten
noch nicht einmal, was das ist, und deswegen haben Sie
auch nichts getan.
({21})
- Daß Sie es jetzt wissen, darüber bin ich ganz froh.
Dann können wir darüber wenigstens gemeinsam diskutieren. Aber heute abend hatte ich nicht das Gefühl.
Wir wollen, daß das eingesetzte Geld mehr bringt.
Deshalb werden wir darauf achten - das haben wir auch
beim Deutschen Forschungsnetz diskutiert -, daß Investitionen tatsächlich zu Spin-offs, wenn möglich zu Unternehmensgründungen führen. Genau das, was Sie versäumt haben, werden wir nachholen, und deshalb wird
es in diesem Bereich zu Unternehmensgründungen
kommen.
({22})
- Regen Sie sich nicht auf! Wir werden das ganz gediegen in aller Ruhe machen.
In der Biotechnologie, in der Genomforschung müssen selbverständlich vorhandene Chancen genutzt und
Risikopotentiale erforscht werden. Das wollen wir tun.
Die Sorge der Menschen vor Risiken muß man ernst
nehmen. Man muß wissenschaftlich, nicht mit Lippenbekenntnissen - ich glaube, da sind wir uns mit den
Fraktionskollegen der Grünen einig -, den Nachweis
erbringen, was gegenüber Mensch und Natur auch künftig verantwortet werden kann. Sie haben in Ihrer Regierungszeit den Anschluß zu den USA verloren - genauso
wie in anderen modernen Technologien -, wir wollen
ihn wieder herstellen. Das ist das Problem: Sie haben
darüber geredet und dabei versagt. Wir reden nicht, sondern handeln.
({23})
Zum Thema Patentierung. Ich habe bei Ihnen keine
Ansätze einer international ausgerichteten Patentierungspolitik bemerkt, wie sie Herta Däubler Gmelin
momentan verfolgt, die sich um Fragen der Genompatentierung, der Softwarepatentierung und ähnliches
kümmert.
Verantwortung gegenüber Mensch und Natur ein, wie ich glaube, ganz wichtiges Thema -, das ist
überhaupt die Philosophie, die dem Einzelplan 30
zugrunde liegt.
({24})
- Natürlich ist das eine traumhafte Rede, Frau Kollegin.
Sie kennen mich ja.
Das Thema der nachhaltigen Entwicklung, die Verantwortung für kommende Generationen, zieht sich wie
ein roter Faden durch den Forschungsetat. Wir begrüßen
das sehr, Frau Ministerin Bulmahn.
Gleichzeitig begrüßen wir Ihr Bekenntnis zur Friedens- und Konfliktforschung, das Sie, liebe F.D.P., auch
zu Zeiten, in denen Sie den Außenminister stellten, stets
abgetan haben. Nicht nur Kosovo und Bosnien, sondern
jetzt auch Osttimor haben gezeigt, daß ethnische Konflikte vorhersehbar sind. Unsere Aufgabe ist es, alles zu
tun, um solches Morden künftig zu vermeiden, oder zumindest zurückzudrängen.
({25})
Das ist eine ganz wichtige ethische Verpflichtung. Deswegen haben wir dafür Geld eingestellt und das in die
Hand genommen.
({26})
Verantwortung für diesen Planeten findet auch in unserem Bekenntnis zur Erdforschung Ausdruck. Das ist
Politik der Nachhaltigkeit, nicht nur ein Gerede darüber.
Wir müssen unseren Planeten besser verstehen lernen.
({27})
- Ja, besser verstehen lernen. Herr Austermann, Sie verstehen das nicht. Wir müssen ihn besser verstehen lernen, um ihn schützen zu können, um mit natürlichen
Ressourcen besser umgehen zu können und um eine
verantwortliche Energiepolitik zu betreiben, die wir bei
Ihnen über all die Jahre vermißt haben.
({28})
Sie sind auf alten Schienen gefahren. Wir machen kein
„Weiter so!“, wir machen das Neue.
Ein wichtiges Beispiel ist übrigens auch die Vorhersehbarkeit von Naturkatastrophen. Es ist tragisch, aber
das Erdbeben in der Türkei war vorhersehbar. Obwohl
bereits ein entsprechendes Projekt begonnen wurde, kam
die Warnung für viele Menschen zu spät. In diesem Bereich wollen wir mehr tun. Das hat ökonomische Bedeutung; aber die verblaßt ganz zweifellos, wenn es nur
ein verschüttetes Kind, geschweige denn Tausende von
Toten weniger gäbe. Auf diesen Bereich setzen wir einen Schwerpunkt.
({29})
Zu den 630-Mark-Jobs. Herr Rachel, bleiben Sie die
Geringfügigkeitspartei, wir sind die Zukunftspartei.
({30})
Wir haben dieses Thema an vielen Stellen diskutiert. Die
Bundesregierung stellt - Herr Gysi hat heute Blödsinn
geredet; das müssen Sie ihm ausrichten -, für die neuen
Bundesländer, von Sachsen bis Mecklenburg, 500 Millionen DM für Inno-Regio zur Verfügung.
({31})
Das ist ein stolzer Betrag für die Vernetzung von Wissenschaftseinrichtungen.
Herr
Kollege Tauss, Sie haben Ihre Redezeit bereits weit
überschritten. Kommen Sie zum Schluß!
Das tut mir leid, deswegen der
letzte Satz, Herr Präsident: Wir sorgen für Aufbruchstimmung.
Herr Friedrich, ein Vorschlag: Lesen Sie vor unseren
nächsten Beratungen einfach einmal den Haushaltsplan!
Bereiten Sie sich ordentlich vor! Dann reden wir wenigstens über dieselben Zahlen; und vielleicht wird das
dann auch noch konstruktiv. Das wäre sinnvoll. Darauf
würde ich mich freuen.
({0})
Die
Rednerliste ist nun abgeschlossen.
Damit kommen wir zum nächsten Themenbereich,
nämlich dem Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Gleichzeitig rufe ich die Tagesordnungspunkte 2 a
und 2 b auf:
a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0})
gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer ({1}), Eduard Oswald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Das Wohngeld jetzt und familiengerecht re-
formieren
- Drucksachen 14/292, 14/1580 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Spanier
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Ostrowski, Eva-Maria Bulling-Schröter, Gerhard Jüttemann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Novellierung des Wohngeldgesetzes zum 1.
Januar 2000
- Drucksache 14/1346 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2})
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuß
Als erster Redner hat der Bundesminister Franz
Müntefering das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Wohnungs- und Städtebau
ist die Statik in Ordnung, ist das Haus in Ordnung. In
der Verkehrspolitik haben wir die Weichen gestellt. Wir
waren uns bewußt, daß es in der Verkehrspolitik keine
plötzlichen und heftigen Kehrtwendungen geben darf.
Wenn man aber Weichen stellt, dann weiß man auch,
daß dadurch die Dinge verändert werden und daß man
so zu dem Ziel kommt, das man sich setzt. Das schlägt
sich sowohl in der Wohnungs- und Städtebaupolitik als
auch in der Verkehrspolitik in unseren Konzepten nieder.
Wir sind auf dem Weg, eine integrierte Verkehrspolitik zu entwickeln. Alle vier Verkehrsträger - die
Straße, die Schiene, das Wasser und die Luft - werden
gebraucht. Ohne einen davon geht es nicht; nur wenn
alle vier miteinander zu einem vernünftigen Konzept
verbunden sind, werden wir die Mobilitätsansprüche, die
diese Gesellschaft hat, auch in Zukunft erfüllen können.
({0})
Alle diese Verkehrsträger für sich sind leistungsfähig.
Es kommt aber darauf an, sie zu bündeln und dafür zu
sorgen, daß sie besser als bisher aufeinander bezogen ihre Wirkung entfalten können.
Die Straße ist der Verkehrsträger Nummer eins. Das
hat sich so herausgebildet, das wird auch in Zukunft so
sein. Die Schiene, die bei uns heute zu wenig in die Leistungen des Verkehrs einbezogen ist, das Wasser und
die Luft müssen stärkere Anteile übernehmen, um die
Mobilität bei uns im Land zu sichern.
({1})
Dabei kommt der Eisenbahn eine ganz besondere Bedeutung zu. Die Eisenbahn muß internationaler werden;
sie muß sozusagen in eine europäische Dimension gebracht werden. Die Güter müssen stärker als bisher von
der Straße herunter und auf die Schiene oder auf das
Wasser kommen.
({2})
Auf der Schiene werden noch 16 Prozent der Güter
transportiert. 1970 betrug ihr Anteil noch 32 bis 34 Prozent. Wir wissen, daß parallel zum Wirtschaftswachstum
immer auch ein Wachstum im Güterverkehr vorhanden
ist. Wenn man einmal fünfzehn Jahre nach vorne blickt
- das ist eine Dimension, die in der Verkehrsplanung
nicht zu lang ist -, dann kann man sehen, daß in den
nächsten 10 bis 15 Jahren der Güterverkehr um rund 25
Prozent wachsen wird. Diesen Anstieg kann die Straße
nicht verkraften. Wenn deshalb die dazukommenden
Güter auf der Schiene transportiert werden sollen, dann
muß sich das Volumen des Schienentransportes verdoppeln bis verdreifachen. Diese riesige, vor uns liegende
Aufgabe muß organisiert werden.
Wir werden deshalb die Lkw-Gebühr im Jahre 2002
einführen. Die Vorbereitungen dazu laufen.
({3})
Sie wird bewirken, daß der Lkw-Transport auf den langen Strecken teurer wird. Diese Gebühr kann flexibel
gestaltet werden. Nach ihrer vollständigen Einführung
kann sie nach Zeit und Entfernungskilometern bemessen
werden. Sie wird damit für all diejenigen, die Güter
transportieren, ein Ansporn sein, zu überlegen, ob es
nicht auf der langen Strecke günstiger ist, auf die Schiene oder auf das Wasser umzusteigen.
({4})
Auf der kurzen und auf der mittleren Strecke ist der
Lkw unschlagbar. Diese Tatsache muß man sehen.
Ebenso muß man anerkennen, daß die Lkws sehr viel
ökologiefreundlicher geworden sind. Auf der langen
Strecke müssen wir aber den Weg auf die Schiene und
auf das Wasser finden. Dazu wird es nötig sein, die Eisenbahn europäischer zu gestalten, als sie bisher ist. Es
war eine Aufgabe unserer Präsidentschaft im ersten
Halbjahr diesen Jahres, durch intensives Bemühen unsererseits dafür Verständnis in Europa zu finden. Ich muß
aber leider sagen: Es müssen noch viele Vorbehalte ausgeräumt werden.
Wir haben 16 verschiedene Signalsysteme, zwei verschiedene Schienenbreiten und sechs verschiedene
Stromaggregatsysteme bei der Bahn. Das muß sich ändern. Wir müssen diese Aufgabe in unserem Lande anJörg Tauss
gehen und auf der europäischen Ebene weiter vorantreiben.
Wir müssen im Rahmen unserer Verkehrspolitik das
integrierte System, welches wir im Bundesverkehrswegeplan, der zwischen 2000 und 2002 weiter entwickelt
wird, darstellen, zu einem intelligenten System verknüpfen. In diesem Zusammenhang geht es darum, wie wir
die Möglichkeiten der Telematik nutzen. Auf diesem
Gebiet könnten wir heute schon mehr unternehmen. Die
Bedeutung der Telematik wird zunehmen. In ihr liegt eine Chance und eine Herausforderung. Die Chance der
Telematik liegt darin, Verkehrsströme zu optimieren,
indem Informationen direkt an das Gerät oder an das System weitergegeben werden.
Heute ist in der Verkehrspolitik nicht mehr das einzelne Gerät wie das Auto, das Flugzeug oder die Lokomotive von Bedeutung. Auf diesem Gebiet ist unsere Industrie top. Wir müssen uns dafür einsetzen, daß das System zu einem in sich schlüssigen System weiterentwikkelt wird. Darin liegt unsere Exportchance. Die Welt
wartet darauf, wie man die großen Mobilitätsprobleme
löst. Die großen Metropolen der Welt - im nächsten Jahr
werden wir dazu die Konferenz „Urban 21“ in dieser
Stadt durchführen - mit 20 Millionen bis 40 Millionen
Menschen sind darauf angewiesen, daß man das Problem der Mobilität löst. In 10 bis 20 Jahren werden fast
60 Prozent der Menschen in diesen Metropolen wohnen.
Darin liegt eine Chance und eine Herausforderung. Dabei handelt es sich auch, wenn man so will, um eine
entwicklungspolitische Aufgabe, über die wir nachdenken müssen.
({5})
Abgesehen davon, daß unser Land - das gilt insbesondere nach der Osterweiterung - Drehscheibe in
Europa sein wird, hat es eine entscheidende Funktion bei
der Entwicklung eines europäischen Verkehrssystems.
Das ist eine riesige Herausforderung. Wir haben dazu
beigetragen - ich habe das zusammen mit Frau Bulmahn
europaweit organisieren können -, daß ein eigenes,
europäisch bestimmtes Satellitensystem entsteht. Dieses
ist auch industriepolitisch von großer Bedeutung.
({6})
Wir müssen uns in Europa auf diesem Gebiet stärker
engagieren. Wir wollen nicht von GPS und damit von
den USA abhängig sein. Wenn die Amerikaner ihr
Nachfolgesystem in den Jahren 2006/2007 fertiggestellt
haben, müssen wir ein europäisch mitbestimmtes System besitzen, damit wir selbst darüber entscheiden
können, wie wir es und unter welchen Bedingungen wir
es einsetzen können. Es handelt sich also um eine große
und spannende Aufgabe für integrierte und intelligente
Verkehrspolitik.
({7})
Das Thema Sicherheit besonders im Straßenverkehr,
bleibt ganz obenan. Wir haben für diesen Bereich die
Mittel erhöht. Denen, die vor Ort helfen, zum Beispiel
der Deutschen Verkehrswacht, dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat, ein herzliches Dankeschön. Die
Zahlen der Schwerstverunglückten sind deutlich zurückgegangen. Das ist ein Verdienst der Autoindustrie, aber
auch der Politik und der vielen, die ehrenamtlich tätig
sind.
({8})
Zum Thema Transrapid wollen Sie sicher auch ein
Wort hören. Das will ich gerne tun. Die Magnetschwebetechnik ist eine hochentwickelte Technologie. Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung festgelegt: Die
Bundesregierung ist entschlossen, diese Technologie auf
der Strecke Berlin-Hamburg, einer Referenzstrecke, zu
realisieren. Der Transrapid wird zunächst einspurig mit
der Ermöglichung von Begegnungsverkehr gebaut. Das
Baurecht wird vorbereitet. Die Inbetriebnahme ist
2006/2007 erreichbar.
Das finanzielle Engagement des Bundes für den Bau
der Strecke wird dabei nicht über die in der Koalition
vereinbarte Summe von 6,1 Milliarden DM hinausgehen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß das Industriekonsortium für den Transrapid und die DB AG als
Betreiber ihren Teil zur Realisierung beitragen.
Unser Bemühen zielt darauf, die Chance der Magnetschwebetechnik zu nutzen, sie zu realisieren. Auch anderen Ländern, die an dieser Technologie interessiert
sind, soll die Chance gegeben werden, einzusteigen und
diese Technologie in Zukunft zu nutzen.
Ich gebe zu: Als ich in dieses Amt kam, war ich in
Sachen Transrapid neutral. Mit der Zeit wurde meine
Überzeugung immer fester, daß dies eine Technologie
ist, die wir nicht aufgeben sollten. Wir haben in
Deutschland einige Male Dinge zu Spitzenleistungen
entwickelt und anschließend nicht realisiert. Hier sollten
wir versuchen, das zu tun. Wenn wir das so tun können,
wie die Koalition es vereinbart hat, ist das, glaube ich,
ein vernünftiger Weg.
Was das soziale Wohnen angeht, so haben wir im
„Programm soziale Stadt“ dafür gesorgt, daß wir stärker
als in den vergangenen Jahren unser Augenmerk auf
Stadtteile richten, die abzusinken drohen und denen wir
deshalb neue Impulse geben wollen.
({9})
Das ist ganz wichtig, damit die belastete Nachbarschaft
entlastet wird. Wir wollen in Deutschland keine Gettos
und keine Bronx. Dafür müssen wir aber auch etwas tun.
({10})
Dafür müssen die einzelnen Politikbereiche ihre Möglichkeiten zusammenführen und dafür Sorge tragen, daß
vor Ort mit denen, die sich dort engagieren, Wohnungen
modernisiert werden und daß in solchen Stadtteilen vieles neu organisiert wird, damit sich die Menschen in diesen Stadtteilen wieder wohlfühlen. Stadtqualität ist Lebensqualität. Es ist ganz wichtig, daß wir den Menschen
dies deutlich machen, gerade in den Stadtteilen, in denen
man abzusinken droht.
Die Stadtpolitik, die Kommunalpolitik wird uns hoffentlich - auf Bundesebene in den nächsten Jahren
mehr als in den letzten Jahren beschäftigen.
({11})
Die Stadtentwicklung in Deutschland steckt in großen
Problemen. Wir müssen alle miteinander dafür sorgen ganz besonders in den großen Städten -, daß uns dort
nichts wegrutscht. Auch das ist ganz wichtig für die
Demokratie. Ich denke, dazu sollten alle Parteien ihren
Teil beitragen.
({12})
Ein besonderes Problem gibt es in den neuen Ländern. Wir haben begonnen, über eine Änderung im Bereich des Altschuldenhilfe-Gesetzes zu Entlastungen zu
kommen. Hier müssen wir noch weitergehen.
({13})
Denjenigen Gesellschaften und Genossenschaften in den
neuen Ländern, die sich bei der Privatisierung hartleibig
nicht bewegt haben, muß man nicht helfen. Ihnen muß
man sagen: Ihr müßt euch bewegen! Aber denjenigen,
die sich bewegt haben und die ihre Ziele erkennbar nicht
erreichen können, muß man helfen. Man kann nicht erwarten, daß in einer Stadt - ich will jetzt keinen Namen
nennen, es gibt ja mehrere davon -, die 20 Prozent Arbeitslosigkeit hat, in der 20 Prozent der Wohnungen
leerstehen und in der es eine rückläufige Bevölkerungszahl gibt, privatisiert wird. Es hat keinen Sinn, eine solche Gesellschaft oder Genossenschaft dem Risiko der
Pleite auszusetzen. Hier muß gründlich gearbeitet und
korrigiert werden; sonst werden wir in solchen Städten
bald große Pleiten haben.
({14})
Wir haben die Fortschreibung des KfW-Programms erreicht. Das ist gut. Es ist eine besondere Hilfe
für die neuen Länder. Es wird auch in den nächsten drei
Jahren mit insgesamt 10 Milliarden DM - mit entsprechenden Quoten für die jeweiligen Länder in diesem
Teil unseres Vaterlandes - zur Verfügung stehen.
Das Wohngeld wird zum 1. Januar 2001 erhöht. Das
wissen Sie; das ist ja verkündet worden. Ich hätte mir
gewünscht, wir hätten die Erhöhung eher verwirklichen
können. Das war nicht möglich; dazu muß man stehen.
Wir haben, was die Kassenlage betrifft, in diesem
Jahr eine Wahrhaftigkeit erlebt, von der man nur sagen
kann: Wir werden in diesem Lande zu finanzieller Solidität zurückkehren.
({15})
Ich bin mir sicher, daß sich das auszahlen wird.
({16})
Wir werden mit unhaltbaren Versprechungen und mit
der Methode von Wunsch und Wolke, mit der die alte
Koalition marschiert ist, aufhören. Im Bundesverkehrswegeplan fehlen 80 bis 90 Milliarden DM. Sie haben
Versprechungen gemacht und bei Menschen mit Ihrer
Spatenstichmentalität Illusionen geweckt. Das alles ist
aber nicht zu finanzieren. Die Enttäuschung gegenüber
allen demokratischen Parteien ist groß. Deshalb sage ich
Ihnen: So kann das nicht weitergehen.
({17})
Wer in diesem Land stabilisieren will, der muß dafür
sorgen, daß wir auf den Boden der Realität zurückkommen. Alles, was im Bundesverkehrswegeplan steht, ist
mit mittelfristiger Finanzplanung, so wie Sie sie angelegt haben, nicht zu finanzieren. Was Sie getan haben,
ist unverantwortlich. Das werden wir den Menschen sagen.
({18})
Wir müssen den Menschen sagen, was Sache ist. Ich
verspreche Ihnen: Die Menschen werden sehen, daß wir
recht haben; denn soziale Gerechtigkeit hat vor allen
Dingen auch eine Zeitdimension: Soziale Gerechtigkeit
bedeutet nicht nur, daß man die Dinge heute gerecht
verteilt, sondern auch, daß man etwas für die Generationen, die nach uns kommen, in der Kasse läßt. Deswegen
müssen wir wieder solide Finanzen schaffen.
({19})
Der Haushalt 2000 umfaßt 49,75 Milliarden DM; die
Investitionsquote beträgt 52,5 Prozent. Bei allem Sparbedarf haben wir also die Investitionsquote hoch gehalten, weil wir wissen, daß wir sowohl bei den Verkehrsträgern als auch bei den Gebäuden nachfinanzieren müssen. Das ist ja das zweite, was man Ihnen vorzuwerfen
hat: Sie haben nicht nur auf Pump gelebt, sondern auch
von der Substanz.
({20})
Sie haben über Jahre hinweg nicht in der nötigen Weise
in den Bestand der Infrastruktur investiert. Das muß
heute nachgeholt werden. Das wird uns in den nächsten
Jahren noch schwer zu schaffen machen; denn man kann
Straßen und Schienenwege nicht in kaputtem Zustand
lassen, man muß sie reparieren. Hier muß aufgeholt
werden, weil in den letzten Jahren zuwenig in diesen
Bereichen getan wurde.
({21})
- Jetzt komme ich auf den Kollegen Fischer zu sprechen, der gerade dazwischenruft: Die Investitionsquote
von 52,5 Prozent bedeutet im nächsten Jahr 500 Millionen DM mehr für Investitionen. Allein im Verkehrsbereich haben wir im Jahre 2000 700 Millionen DM mehr
für Investitionen zur Verfügung. Sie werden den Haushalt ja noch lesen können; das werden Sie wohl noch
schaffen. Ehe Sie nachher mit der Polemik beginnen,
sollten Sie sich das einmal anschauen. Sie haben an
Stellen gespart, an denen es für viele Beteiligte eine
Zumutung war. An der entscheidenden Stelle, bei den
Investitionen, bleibt der Verkehrshaushalt auf der Höhe,
wie ich es eben beschrieben habe. Die Hälfte davon wird
in den neuen Ländern, also in Ostdeutschland, eingesetzt. Bei der Bahn werden 6,8 Milliarden DM inveBundesminister Franz Müntefering
stiert, etwas mehr als in diesem Jahr, und für den Lärmschutz an der Schiene werden wieder 100 Millionen DM
ausgegeben.
Der Lärmschutz ist eines der größten Probleme, das
wir im Lande haben.
({22})
Darauf gibt es bisher keine Antworten. Wenn wir aber
wollen, daß auf der Schiene mehr gefahren wird, dann
müssen wir hier Antworten finden. Denn die Menschen
sagen uns zu Recht: Um die Städte baut ihr Umgehungsstraßen, dort baut ihr Lärmschutzwände. Was macht ihr
an der Schiene?
({23})
- Die Schiene läuft in der Regel durch die Stadt, nicht
um die Stadt herum. Deswegen muß an dieser Stelle geforscht und entwickelt werden, und es müssen Maßnahmen durchgeführt werden. Die 100 Millionen DM, die
wir in diesem Jahr veranschlagt haben und die wir in
den nächsten Jahren beibehalten werden, sind ein guter
und vernünftiger Ansatz.
Beim Städtebau haben wir 600 Millionen DM veranschlagt - unverändert. Davon sind 520 Millionen DM
für die neuen Länder;
({24})
100 Millionen DM für die „soziale Stadt“. Im Bereich
des sozialen Wohnungsbaus haben wir einen Rückgang
auf 600 Millionen DM. Ich mußte mich an einer Stelle
entscheiden. Und ich sage Ihnen: Das ist im Augenblick
die richtige Stelle. Wir brauchen im Augenblick in
Deutschland nicht viel neuen sozialen Mietwohnungsbau. Wir haben in den meisten Städten so viele Wohnungen, daß man von einer ausgeglichenen Situation
sprechen kann. Es macht keinen Sinn, gegen den Markt
neue Wohnungen zu bauen. Sehen Sie sich an, wie das
insbesondere in den neuen Länden aussieht: Dort wurden, auch dank Ihrer Hilfe, in den vergangenen Jahren
Wohnungen und Häuser gebaut - nicht weil sie gebraucht wurden, sondern weil die Investoren Steuern
sparen wollten. Da gerinnt das ganze System zum blanken Wahnsinn.
({25})
Da sind Milliarden hineingeflossen. Man muß heute
darüber nachdenken, was mit diesen Leerständen in den
Städten geschehen soll. So einen Quatsch setzen wir
nicht fort. Wir sagen deshalb: Wir fördern im sozialen
Wohnungsbau nur noch wenige Neubauten. Aber wir
müssen die 600 Millionen DM nutzen, um den Bestand
im sozialen Wohnungsbau zu erhalten.
Wir führen die Eigenheimzulage auf hohem Niveau
fort, und zwar mit einer verbesserten Förderung von
Familien mit Kindern. Familien mit zwei Kindern, die
weniger als 15 000 DM im Monat zur Verfügung haben,
werden auch in Zukunft in den Genuß der Eigenheimzulage kommen. Diejenigen, die zwischen 15 000 und
20 000 DM im Monat verdienen, werden sie allerdings
nicht mehr erhalten. Ich meine, daß es vernünftig war,
hier eine Kinderkomponente einzuführen.
({26})
Diejenigen, die zwischen 15 000 und 20 000 DM im
Monat zur Verfügung haben, sind auch ohne Eigenheimzulage in der Lage, sich ihre Wohnung oder ihr
Haus zu finanzieren. Wir müssen denen helfen, die mit
ihren Einkommen an der Fördergrenze liegen und die
deshalb nicht genau wissen, ob sie ohne eine solche Hilfe klarkommen. Deshalb bleibt die Eigenheimzulage bestehen. Mit dieser Art der Eigentumsförderung setzen
wir ein richtiges Signal für die Entwicklung auf dem
Wohnungsmarkt und für das ganze Land.
Sie wissen, daß dies mein letzter Abend als Minister
ist. Ich möchte mich bei Herrn Kalb bedanken, der mich
im Haushaltsausschuß kritisch, aber konstruktiv begleitet hat. Ich fand die Zusammenarbeit ordentlich. Des
weiteren möchte ich mich bei Herrn Oswald bedanken,
der mit mir im Ausschuß fair und konstruktiv zusammengearbeitet hat. Ich bedanke mich bei allen Ausschußmitgliedern. Besonders herzlich bedanke ich mich
bei denjenigen, die herzlich geklatscht haben, wenn ich
gesprochen habe.
({27})
Ich bedanke mich ein bißchen weniger bei den Kollegen
Fischer und Kansy, die laufend - natürlich ungerechtfertigterweise - gegen mich polemisiert haben und die
wahrscheinlich gleich wieder darauf hinweisen werden,
was alles nicht stimmt. Das ist natürlich nicht wahr. Alles, was ich gesagt habe, ist richtig. Das darf ich Ihnen
schon im voraus sagen.
({28})
Also, danke für die gute Zusammenarbeit.
Der Bereich der Städtebau- und der Verkehrspolitik
ist von allen Bereichen am nächsten an der Kommunalpolitik. Er ist sehr konkret. Dieser Bereich wird in den
nächsten Jahren für alle, die bereit sind, sich zu engagieren, eine spannende Aufgabe sein; denn in den Kommunen - vor Ort - erfahren die Menschen die Qualität von
Gesellschaft und den Wert der Demokratie. Wohn- und
Stadtqualität sowie Mobilität gehören sehr wohl zur Lebensqualität eines Landes.
Glück auf!
({29})
Herr
Bundesminister, ich bedanke mich im Namen des ganzen Hauses - nicht nur im Namen der Abgeordneten,
sondern auch der Regierungsmitglieder - für die gute
Zusammenarbeit und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute.
({0})
Allerdings, was das betrifft, werden die Meinungen unterschiedlich sein. Aber es ist nicht meine Aufgabe, dies
zu qualifizieren.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dirk
Fischer von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Franz
Müntefering hat sein Ressort ein knappes Jahr nur halbherzig verwaltet. Wir haben bei ihm jegliches Engagement, das notwendig ist, um in der Sache erfolgreich zu
sein, vermissen müssen.
({0})
Seine Schlußaktion richtete sich gegen zwei CDUMitglieder im Vorstand der Deutschen Bahn AG. Sie
war äußerst unappetitlich und parteipolitisch motiviert.
Ich meine die Ablösung von Johannes Ludewig und
Axel Nawrocki. Der dritte, Peter Reinhardt, wurde vorfristig schon im Sommer abgelöst. Die Begründung von
Herrn Müntefering, er wolle diese Aktion noch durchziehen, um seinen Nachfolger Klimmt nicht zu belasten,
besagt eigentlich alles. Jetzt hat Herr Müntefering seinen
Traum erreicht, nämlich einen CDU-freien Vorstand der
Deutsche Bahn AG.
({1})
- Herr Schmidt, Herr Minister, Frau Mertens, ich habe
mich schon gewundert, daß Sie über erhebliche Versäumnisse im Güterverkehr gesprochen haben, um die
Ablösung des Vorstandes für den Personenverkehr zu
begründen. Diese Logik hat mich schon sehr gewundert.
Aber dies ist Ihr eigenes Problem.
({2})
Die willkürliche Opferung zweier Vorstandsmitglieder kann doch nur ein Verzweiflungsakt zur Verdeckung
eigener Fehlleistungen und Mißerfolge sein. Als Ratspräsident des EU-Verkehrsministerrates ist Herr Müntefering auf dem Gebiet der europäischen Eisenbahnpolitik völlig gescheitert. Was er vorhin beschrieben hat, das
hat er nicht durchgesetzt. Seine Politik war ein Totalflop. Er hat uns im Ausschuß versprochen, bis zur
Sommerpause ein neues Konzept zur Förderung des
kombinierten Ladungsverkehrs auf den Tisch zu legen.
Er ist gescheitert. Er hat es nicht getan.
Bei den notwendigen Investitionen für die Bahnreform ist dem Unternehmen ein stetiges Investitionsniveau von mehr als 10 Milliarden DM zugesichert worden. Dürr hat schon immer gesagt: Wer das nicht tut,
kann die Bahnreform zum Scheitern bringen. Jetzt
macht sich Herr Müntefering daran, die Investitionen in
Schienen übel zusammenzustreichen. Seine Ausführungen über die Bedeutung der Schiene und über die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene sind völlig unglaubwürdig, wenn er gleichzeitig Investitionen in die
Schiene streicht.
({3})
Es hat bisher einen interfraktionellen Konsens über
Ziele und Vollzug der Bahnreform gegeben. Dazu gehörte auch, daß man in zehn Jahren schwierigster Transformationsphase dem Management Flankenschutz geben
muß. Müntefering hat diesen Konsens aufgekündigt.
Jetzt kann man erkennen, wer bei der DB AG wirklich
das Sagen hat: der Bundesverkehrsminister. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat der Aufsichtsrat noch gar nicht getagt, nicht beraten und nicht entschieden. Gleichwohl
verkündet der Minister die Ablösung von Vorstandsmitgliedern. Das ist ein eigentümlicher Umgang mit dem
deutschen Aktienrecht. Das sagt wohl alles darüber aus,
welche Nummer hier gelaufen ist.
({4})
Wenn das so ist, dann müssen wir als Opposition kritisch analysieren und den Minister für jeglichen Vorgang bei der DB politisch unmittelbar voll verantwortlich machen. Die Rahmenbedingungen für eine Eisenbahnreform haben sich nachhaltig verändert. Wir werden nicht zögern, für derartige Entwicklungen den Bundesminister für Verkehr unmittelbar politisch verantwortlich zu machen.
Herr Müntefering hat seinerzeit mit einem Fehlstart
im Ministerium begonnen. Er hat fast alle Abteilungsleiter entlassen. Sein rabiates Vorgehen hat selbst vor
einer Reihe parteiloser Fachleute nicht haltgemacht. Er
hat dem Ressort damit erheblichen Fachverstand zum
denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, nämlich während der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft, entzogen. Es wundert deswegen nicht, daß diese EU-Ratspräsidentschaft
in der Sache ein totaler Mißerfolg geworden ist.
({5})
Jetzt schließt er seine kurze und erfolglose Ministerepoche so rabiat ab, wie er sie begonnen hat. Er macht das
Licht aus und sagt zu seinem Gehilfen Machnig, den er
mitnimmt: Hol schon mal den Wagen, Harry. - So endet
das ganze Unternehmen.
Durch Schröders „Klimmt-Zug“ steht dem Ministerium bereits nach wenigen Monaten ein weiterer umfassender Personalaustausch bevor. Man hört, daß Klimmt
mit 20 Mitarbeitern einrückt. Mit dieser Zahl übertrifft
er sogar noch Müntefering, der nur mit 16 Leuten von
außen gekommen ist. Die Schlagkraft der Ressorts Bau
und Verkehr unter Oswald und Wissmann ist nach
knapp einem Jahr Vergangenheit. Wir richten die dringende Bitte an Klimmt, die Motivation und die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter in den Ressorts nicht
noch weiter zu drücken.
Bei Müntefering passen Reden und Handeln nicht zusammen. Wenn er sich in höhere philosophische Etagen
entfernt, dann hört sich das manchmal ganz gut an; aber
wenn wir die Dinge messen, dann ist der Mißerfolg leider Gottes die Realität.
({6})
Es gibt eine positive Ausnahme. Für Herrn Schmidt
und andere hier im Hause ist heute ein wirklich großer
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tag, denn es wurde verkündet: Der Transrapid wird
gebaut. Das ist dann immerhin der fünfte Verkehrsträger.
({7})
Der Minister hat in seinem politischen Programm zunächst Kontinuität bedarfsgerecht ausgestalteter und
wettbewerbsorientierter Verkehrspolitik auf der Basis
seines Vorgängers Wissmann suggeriert. Die mobilitätsfeindliche Ideologie in den Wahlprogrammen von Grünen und SPD fand sich in seinem Programm nicht wieder.
Im übrigen ist es ziemlich traurig, wenn ein Minister
nach einem Jahr immer noch nicht gelernt hat, daß der
Bundesverkehrswegeplan ein reiner Bedarfsplan ist, in
dem der objektive Bedarf festgestellt wird. Er ist eben
kein Finanzplan. Deswegen kann er auch nicht unterfinanziert sein.
({8})
Sie wollen doch nicht am objektiv vorhandenen Bedarf,
dem wir haushaltspolitisch leider nicht sofort und vollständig gerecht werden können, herummanipulieren!
Wir müssen auf der einen Seite den objektiv vorhandenen Bedarf feststellen, auf der anderen Seite stellen wir
fest, was wir uns leisten können. Das geschieht durch
Fünfjahrespläne, die nach Planungsfortschritt der Projekte, nach Ausweisung in der mittelfristigen Finanzplanung und nach Jahreshaushalten die Umsetzung der
Projekte ermöglichen. So ist das Verfahren.
({9})
Das war übrigens schon bei Lauritz Lauritzen nicht
anders. Auch dessen Plan aus dem Jahr 1976 endete
mit einem gewaltigen Überhang notwendigen Bedarfes,
den wir uns haushaltspolitisch nicht leisten konnten.
Deswegen ist das gar nichts besonderes. Ich sage voraus,
daß das bei jedem künftigen Bedarfsplan nicht anders
sein wird, weil die Haushaltsmöglichkeiten beschränkt
sind.
({10})
Hören Sie doch auf, draußen mit derartigen Verfälschungen einen Eindruck zu Lasten der Vorgängerregierung zu erzeugen, der systematisch einfach falsch ist.
Das ist eine Manipulation, die wir klar zurückweisen
müssen.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme
nun zum Stichwort Ratspräsidentschaft. Das war ein
reines Trauerspiel. Die angekündigten Prioritäten lauteten Weiterentwicklung des Transeuropäischen Netzes,
Stärkung der umweltfreundlichen Verkehrsträger, Wettbewerb auf der Schiene, Förderung des kombinierten
Verkehrs, Ausbau leistungsfähiger Schnittstellen und
weitere Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen
im Güterverkehrsmarkt. Aus all diesen Zielen wurden
samt und sonders reine Nullnummern. Herr Münterfering hat nichts nach Hause gebracht.
({12})
Schlimm waren übrigens auch sein Einknicken beim
Landverkehrsabkommen mit der Schweiz, das von
Wissmann vehement als unausgewogen abgelehnt worden ist,
({13})
und sein halbherziger Vignettenkompromiß. Die Folge
waren eine zusätzliche Belastung allein des deutschen
Güterverkehrsgewerbes und eine schlimme Verletzung
deutscher Interessen.
({14})
Zum Stichwort Ökosteuer: Nicht zu verstehen ist in
diesem Zusammenhang Münteferings Nichteintreten für
die Verkehrsbelange. Hier handelt es sich um einen völlig falschen Ansatz. Statt umweltgerechte Techniken zu
fördern, wird ausschließlich abkassiert. In der Koalitionsvereinbarung wurde versprochen: „Berücksichtigung
der besonderen Anforderungen an Mobilität gerade im
ländlichen Raum“ und „Förderung des ÖPNV“. Was ist
gemacht worden? Ohne Kompensation geschieht genau
das Gegenteil.
Das vorweihnachtliche Kanzlerwort von Gerhard
Schröder lautete, bei der Mineralölsteuer werde es nur
einmal eine Erhöhung von 6 Pfennigen geben. Dann
wurden es drei Stufen. Jetzt sind es fünf Stufen: insgesamt 30 Pfennige plus Mehrwertsteuer, also
35 Pfennige. Im Jahr 2003 wird der Benzinpreis
2,20 DM betragen. Das wirklich irre Ding - ich sage das
so hart - ist, daß die Autofahrer um zusätzlich
52 Milliarden DM abkassiert werden und gleichzeitig
die Investitionen in ihre Straßen um 4 Milliarden DM
gekürzt werden. Das heißt, daß sie für ihre Belange nicht
nur nichts abbekommen, sondern es wird ihnen sogar
aus dem Bestand etwas genommen. Diese Nummer ist
mit uns nicht zu machen.
({15})
Die Bahn rechnet mit zusätzlichen Belastungen von
400 Millionen DM pro Jahr. Das wird ihren Gewinn also
schmälern. Beim Güterkraftverkehr kostet die Ökosteuer
mehr als 13 000 DM pro Lastzug und Jahr. Als Folge
werden weitere Arbeitsplätze vernichtet.
({16})
Man kann gespannt sein, ob Klimmt als ExMinisterpräsident für die Probleme der Länder bei der
ÖPNV-Finanzierung mehr Verständnis hat und sie besser vertritt. Münterfering jedenfalls hat nicht den geringsten Widerstand gegen die Benachteiligung des ÖPNV
durch die Ökosteuer geleistet. Er hat es hingenommen;
es war ihm ziemlich egal. Wir haben nicht gespürt, daß
er sich dem entgegengestemmt hat.
({17})
Dirk Fischer ({18})
Zum Stichwort Haushalt: Der Haushaltsentwurf
2000 und die mittelfristige Finanzplanung sind der Gipfel der verkehrs- und finanzpolitischen Fehlleistungen
dieses Ministers: unverantwortlicher Kahlschlag bei den
Investitionen, Kürzungen bis 2003 um rund 3,5 Milliarden DM, eine unspezifizierte globale Minderausgaben
von über 5 Milliarden DM und Risiken allein im Verkehrsbereich von knapp 12 Milliarden DM, bisher fehlgeschlagener Verkauf der Eisenbahnerwohnungen mit
einem Volumen von 4,6 Milliarden DM - das steht als
Einnahme im Haushalt 1999 -, die nicht vollzogene
Veräußerung von Bundesforderungen gegenüber der DB
AG an eine Finanzierungsgesellschaft in Höhe von
6 Milliarden DM - auch diese steht schon im 99er
Haushalt; kommt aber nicht - und schließlich die strittige Forderung von Schily an die Bahn, für die Polizeidienste in der Zukunft 1 Milliarde DM zu bezahlen.
Auch das ist noch nicht finanziert.
({19})
Hinzu kommt - Dietmar Kansy wird darauf eingehen im Baubereich das Wohngeld, wo mal eben
10 Milliarden DM aus der Bundeskasse in die Gemeindekassen verschoben werden sollen. Das ist eine Sache,
die im Bundesrat überhaupt keine Chance hat.
Das heißt, wir haben hier einen Haushalt, zu dem ich
nur wiederholen kann: Die Ansätze von Wissmann im
Haushalt 2000 waren um zirka 460 Millionen DM höher. Das Fazit ist: Schröder, Müntefering und Co stehen
nach nicht einmal einem Jahr vor den Haushaltsruinen
einer desaströsen rotgrünen Politik.
({20})
Die Risiken, die ich eben aufgezählt habe, lassen
weitere Streichungen bei den Investitionen befürchten,
wobei wir immer im Hinterkopf haben müssen, daß die
Streichung von 1 Milliarde DM den Verlust von 15 000
Arbeitsplätzen bedeutet, damit jeder weiß, welcher Tort
dem Arbeitsmarkt hier angetan wird.
({21})
Die sogenannte Erblast der alten Bundesregierung ist
doch längst als demagogische Lüge entlarvt worden.
({22})
Wissmann hat in der letzten Legislaturperiode ungefähr
4,4 Milliarden DM eingespart und die Infrastrukturinvestitionen dennoch auf konstant hohem Niveau gehalten.
Waigel hat seit 1995 Schrumpfhaushalte gefahren. Der
Konsolidierungskurs der alten Bundesregierung sah eine
Reduzierung der Nettokreditaufnahme 1999 um
56 Milliarden DM und 2002 um 45 Milliarden DM vor.
Lafontaine aber hat seinen Haushalt 1999 um exakt
31,2 Milliarden DM aufgebläht. Das ist ein völliger
Kurswechsel in der Konsolidierungspolitik. Das bedeutet eine Steigerung um 6,3 Prozent - seit zehn Jahren die
mit Abstand höchste Steigerung, und das nur, um Wahlversprechen zu bezahlen. Jetzt muß Eichel den Haushalt
um 30 Milliarden DM auf ziemlich genau den WaigelAnsatz zurückfahren. Dieses Rauf und Runter ist der
Prozeß, der hier läuft. Gehen Sie doch nicht raus und
verdummen Sie die Leute; sie können doch bis drei
zählen.
({23})
Betroffen sind jetzt viele Bürger, die von den Wahlgeschenken nichts hatten. Diese Politik der Regierung
Schröder verunsichert die Menschen, beschädigt das
Vertrauen der Wirtschaft und des mittelständischen Gewerbes in den Standort Deutschland. Fehlende Investitionsbereitschaft, keine neuen Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze sowie Ausbluten unseres Know-hows werden die katastrophalen Folgen sein.
Ich sage zum Schluß: Würde Müntefering jetzt nicht
freiwillig gehen, müßte er sofort abgelöst werden.
({24})
Er hat der deutschen Verkehrspolitik großen Schaden
zugefügt.
({25})
Jetzt wird also Trittin für 14 Tage unser Verkehrsminister.
({26})
Auch das sagt eigentlich alles. Das paßt richtig in das
Bild dieser Koalition. Schröders „Klimmt-Zug“ soll einzig die Parteilinken besänftigen und einen Kritiker
disziplinieren. Verkehrspolitische Interessen verfolgt
Schröder nicht. Sie sind für ihn bedeutungslos. Das haben wir schon bei der Regierungserklärung gemerkt,
denn dort gab es kein einziges Wort dazu. Hier steht innerparteilicher Abzählreim kontra Fachkompetenz. Ich
denke aber, unsere Verkehrspolitik braucht Investition in
die Infrastruktur, Innovation, Berechenbarkeit und vor
allem einen Minister,
Herr Kollege Fischer, Sie hatten den Schluß Ihrer Rede schon angekündigt.
- der für die
Belange seines Ressorts kämpft. Deswegen bringt der
heutige Abend für uns eine absolute Negativbilanz des
Ministers, dem ich - sicherlich wir alle - für sein persönliches Wohlergehen in der Zukunft alles Gute wünsche. Aber ich glaube, daß wir Fachkollegen froh sind,
({0})
daß er jetzt nicht mehr Minister ist, da er diese Fehlleistungen erbracht hat.
({1})
Dirk Fischer ({2})
Herr Kollege Albert
Schmidt, Sie haben das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Fischer freut sich schon auf Herrn
Klimmt; das hätte ich mir nie träumen lassen.
Aber in allem Ernst, Herr Kollege Fischer: Wenn Sie
sich hier hinstellen und behaupten - ohne es wissen zu
können - bei der Umbesetzung an der Spitze des Bundesunternehmens Deutsche Bahn AG habe der Aufsichtsrat nicht mitgewirkt, so ist dies eine unverschämte
Unterstellung, die ich hier in aller Form zurückweise.
({0})
Mit jedem einzelnen Mitglied des Aufsichtsrates wurde
über die Sache und zur Person Klartext gesprochen. Der
formale Beschluß wird selbstverständlich in der entsprechenden Sitzung gefaßt werden.
({1})
- Wenn Sie hier sagen, dies sei eine parteipolitische
Entscheidung gewesen, ist das nicht nur eine Beleidigung des Ministers, sondern auch eine Beleidigung eines
hervorragenden Unternehmers namens Hartmut Mehdorn, der wegen seiner Fähigkeiten und wegen keiner
anderen Kriterien an die Spitze des Unternehmens berufen wurde.
({2})
- Die Sitzung wird am 24. September stattfinden. Dort
wird der Vorschlag unterbreitet werden; dann entscheidet der Aufsichtsrat darüber.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Ich möchte
Sie fragen, ob Ihnen bewußt ist, daß nach dem Aktienrecht ein telefonischer Rundruf nicht ausreicht, sondern
eine Meinungsbildung und eine Sitzung, die ordnungsgemäß protokolliert werden muß, stattzufinden haben.
Telefonanrufe, die man in der Politik manchmal als
Mauschelei bezeichnet, können so etwas nicht ersetzen.
Zunächst einmal, Kollege Fischer, frage ich
Sie, woher Sie wissen, daß es Telefonanrufe waren. Ich
habe gesagt, es wurde mit jedem einzelnen persönlich
über den Vorschlag gesprochen. Außerdem bestätige ich
Ihnen gerne noch einmal - ich habe das vorhin schon
gesagt -, daß demnächst eine formale Sitzung gemäß
Aktienrecht stattfinden wird, auf der vom Aufsichtsratsvorsitzenden - dazu ist er ja da - ein Kandidat vorgeschlagen, eine Abstimmung durchgeführt und eine Protokollierung erfolgen wird. Selbstverständlich erfolgt
erst dann die formale Inthronisation.
({0})
- Tun Sie doch nicht so scheinheilig: Das Procedere war
doch bei der Berufung von Ludewig damals nicht anders.
Wer selbst das Unternehmen Deutsche Bahn AG jahrelang als Abstellbahnhof für mißglückte Parteikarrieren
benutzt hat, sollte an dieser Stelle ganz still sein.
({1})
Johannes Ludewig hat das Unternehmen damals in einer
sehr schwierigen Phase übernommen. Es gebührt ihm
ausdrücklich unser Respekt und unsere Anerkennung
und nicht eine so unwürdige Debatte zum Abschluß.
({2})
Nun aber zu einem anderen Punkt, der von Ihrer Seite
hier immer wieder hochgekocht wird: die Lüge von den
gekürzten Investitionen. Als ich, lieber Kollege Fischer,
1994 Mitglied dieses Hauses wurde, betrugen der Haushaltsansatz für den Straßenbau 10 Milliarden DM und
der Haushaltsansatz für den Schienenbau ebenfalls 10
Milliarden DM. Ausgegeben wurden jeweils nur 8 Milliarden DM - soviel nebenbei zur Haushaltswahrheit.
Als Wissmann aus dem Amt schied, waren der Straßenbautitel innerhalb von fünf Jahren auf 8,2 Milliarden
DM und der Schienenbautitel auf 6,7 Milliarden DM geschrumpft. Ihre Politik war es, von Jahr zu Jahr Milliarden zu kürzen. Es ist gerade die Leistung dieses Ministers, daß er trotz der Einsparzwänge im Bundeshaushalt 2000 die Investivposten nicht nur gehalten, sondern
bei der Bahn sogar 100 Millionen DM draufgesattelt hat.
Dafür sollten Sie ihm dankbar sein, statt solche Lügen
zu verbreiten.
({3})
- Lesen Sie es doch nach. Ich stelle es Ihnen gerne zur
Verfügung.
Nun zum Projekt Transrapid: Sie erinnern sich, im
April 1997 wurde von den drei Projektbeteiligten, von
der Deutschen Bahn AG, vom Industriekonsortium und
vom Bund mit der Unterschrift von Wissmann zum
Transrapid ein sogenanntes Eckpunktepapier verabschiedet, in dem steht, daß eine zweispurige Verbindung
zwischen Hamburg und Berlin gebaut werden soll, auf
der im 20-Minuten-Takt gefahren werden und die maximal 6,2 Milliarden DM zu Lasten des Bundes kosten
soll. Seitdem ist folgendes passiert: Die Fahrgastprognosen mußten bis zu einem Drittel nach unten korrigiert
werden, und die Schätzung der Kosten hat sich als nicht
realistisch erwiesen. Für den Fahrweg liegen sie eher bei
9 als bei 6 Milliarden DM. Man hat versucht, auf dem
Kapitalmarkt nach privaten Investoren zu suchen, aber
das ist offenbar gescheitert.
Die nun herrschende Ratlosigkeit durchbrach der Minister mit seinem schlitzohrigen Vorschlag, man könne
ja zunächst einmal einen einspurigen Transrapid bauen,
also einen Transrapid light oder einen SchmalspurTransrapid, wie auch immer man ihn nennen will. Genau dieser Vorschlag wurde ja von den Projektbeteiligten im Frühjahr dieses Jahres geprüft. Das Ergebnis dieser Prüfung möchte ich dem Hohen Hause nicht vorenthalten. Ich zitiere aus der Risikoanalyse „Bewertung von
Lösungen und Ausnutzung teileinspuriger Streckenabschnitte“ vom 24. März 1999, die aus Sicht der Deutschen Bahn AG erstellt wurde. Dort heißt es wörtlich:
Die Deutsche Bahn AG hält diese Ansätze - also die
Einspurigkeit - nicht für eine Umsetzung geeignet, und
zwar aus folgenden Gründen:
Erstens. Eine Teileinspurigkeit führt zu Einschränkungen im angebotenen Betriebsprogramm und damit zu
deutlich verringerten Ertragspotentialen. Im Klartext
heißt das: Ich muß den 20-Minuten-Takt auf einen 30Minuten-Takt strecken, habe weniger Fahrgäste, weniger Einnahmen, ein höheres Defizit und ergo rote Zahlen
beim Betreiber Deutsche Bahn AG.
Zweitens. Die Verfügbarkeit und die betriebliche Zuverlässigkeit werden vermindert. Damit ergeben sich zusätzliche Ertragsrisiken. Es ergibt sich übrigens auch ein
psychologisches Problem. Denken Sie, die Fahrgäste fahren mit jeweils 400 km/h aufeinander zu, im Vertrauen,
daß im richtigen Moment die Ausweichstelle kommt? Das wird im Unternehmen ernsthaft diskutiert.
Drittens. Derartige Konzepte können nur als Zwischenstufe auf dem Weg zum geplanten Gesamtprogramm verstanden werden. Die Nachrüstung auf die
volle Streckenkapazität muß in jedem Fall in die Betrachtung des Businessplans einbezogen werden.
Hierbei ist dann - jetzt hören Sie genau zu - von
deutlich höheren Gesamtinvestitionen sowohl für den
Fahrweg als auch für das Betriebssystem auszugehen.
Im Klartext: Es wird dann am Ende noch teurer. Ich
kann auch sagen um wieviel: um ca. 500 Millionen DM.
Vierter Grund. Simulationen haben ergeben, daß es
ein erhöhtes Betriebsrisiko im Störfall gibt. Wenn ich
nur eine Schiene oder eine Strecke habe und es passiert
die kleinste Störung, dann ist natürlich Schicht. Da kann
nicht ausgewichen oder anderswo gefahren werden. Eine
Kettenreaktion wird in Gang gesetzt.
Fünfter Einwand. Es gibt eine sehr starke Einschränkung beim Komfort durch das Überfahren zahlreicher
Weichen.
Soweit die Analyse der Deutschen Bahn AG.
({4})
Die Industrie hat es entsprechend formuliert: Gegenüber einer Doppelspur verschlechtert sich die Wirtschaftlichkeitsberechnung des Systems durch die wegen
der Einspurigkeit hohen Nachrüstkosten um nochmals 2
Prozent. Es wird empfohlen, auf dieses Modell zu verzichten. Übrigens müßten wahrscheinlich auch die Planfeststellungsverfahren neu eröffnet werden.
Ich neige also dazu, diesen Vorschlag des Ministers
nach dem Motto „Halbe Strecke zum gleichen Preis“,
der in Wahrheit der doppelte Preis ist, unter der Rubrik
„Abschiedsscherz eines scheidenden Ministers“ abzubuchen.
({5})
Ich glaube, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, in
dem die Ziffer 10 des Eckpunktepapiers in Kraft treten
muß, daß sich nämlich die drei Projektbeteiligten Bahn,
Industrie und Bund in Ruhe zusammensetzen und überlegen müssen: Was machen wir angesichts der Situation? Wie entscheiden wir gemeinsam? Dann - darüber
bin ich sehr beruhigt - wird die richtige Entscheidung
herauskommen. Das ist jedenfalls das Vorgehen, das ich
empfehle.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Haushalt
sagen. Der Kollege Fischer hat die ökologische Steuerreform angesprochen. Herr Kollege Fischer, das RWI
hat gerade erst vor wenigen Tagen nachgewiesen, daß
durch die Stetigkeit bei der Erhöhung der Mineralölsteuer ein Verlagerungseffekt zugunsten des öffentlichen
Verkehrs erfolgt, was zusätzliche Einnahmen bei den
ÖPNV-Betrieben erwarten läßt. Das ist genau das, was
wir erreichen wollten. Deswegen sind wir froh, daß mit
maßvollen Steuersätzen eine Verstetigung der Ökosteuer
erreicht worden ist.
Was sich ebenfalls mit der Ära Franz Müntefering
verbinden wird, ist eine wichtige Grundsatzentscheidung
hinsichtlich des weiteren Streckenausbaus bei der Bahn.
Am 7. Juli dieses Jahres wurde vom Aufsichtsrat mit
ausdrücklicher Unterstützung der Bundesregierung unter
dem Stichwort „Netz 21“ eine völlig neue Investitionsstrategie beschlossen und auf den Weg gebracht.
Diese sieht vor, daß in den nächsten zehn Jahren für
den Ausbau des Bestandsnetzes, die Modernisierung
der Strecken bis in die Fläche hinein mit moderner Leitund Sicherungstechnik, mit elektronischen Stellwerken 48 Milliarden DM - hauptsächlich aus Bundesmitteln - aufgewendet werden sollen. Dieses soll Vorrang
haben vor Einzellösungen bzw. überteuerten Einzelprojekten. Dies ist eine richtige Entscheidung, für die wir
jahrelang gekämpft haben. Das begrüßen wir. Das sollten die neue Bahn- und die neue Ministeriumsführung
fortsetzen.
({6})
Die Frage Alpentransit und Güterverkehr ist von
der Opposition angesprochen worden. Es ist ja gerade
die Leistung von Franz Müntefering gewesen - übrigens
die allererste, die er bereits nach wenigen Wochen erbracht hat -, daß er die Blockadepolitik von Wissmann
in Brüssel zur Verhinderung einer produktiven Lösung
Albert Schmidt ({7})
im Alpentransit beendet hat, daß er vermittelt und die
verschiedenen Parteien zueinander gebracht hat, so daß
nun eine faire Lösung für die Schweiz erreicht worden
ist. Darüber hinaus hat Deutschland schon damals zu
Protokoll gegeben, daß spätestens ab 2002 auch in
Deutschland die elektronische streckenabhängige LkwMaut eingeführt wird. Das ist leistungsgerechter als
heute. Die Maut muß so hoch sein, daß die LkwLawinen wirklich gestoppt und die Güter auf die Schiene oder Binnenschiffe verlagert werden. Das ist ein
richtiger Impuls, der sich auch mit dem Namen Franz
Müntefering verbindet.
({8})
Zum Bundesverkehrswegeplan. Das ist ja nun eine
Herkulesarbeit, die vor uns liegt. Es ist schon damit begonnen worden. Die Studien sind in Auftrag gegeben.
Die ersten Auswertungen liegen vor. Es sind keine rotgrüne Marotte, kein Übermut und auch nicht Jux und
Tollerei bzw. grüne Streichwut, daß wir an den Bundesverkehrswegeplan herangehen, sondern es ist der
schlichte Auftrag des Gesetzes.
Der jetzige BVWP gilt seit 1992. Dort steht, daß er
alle fünf Jahre revidiert werden muß, und zwar substantiell und ehrlich. Das haben Sie versäumt. Deshalb holen
wir diese Hausaufgabe nach.
({9})
Wir werden ihn - auch hier kann ich dem Minister
ausdrücklich zustimmen und ihn unterstützen - nicht als
Märchenbuch mißbrauchen, um allen Landräten und allen Ministerpräsidenten etwas zu versprechen, was man
garantiert nicht halten kann. Wir werden vielmehr ehrlich miteinander umgehen und feststellen müssen, was
notwendig, was unabweisbar, was umweltverträglich
und was am Ende auch bezahlbar ist.
({10})
Diese Kriterien werden wir unter der Überschrift
„Neue Ehrlichkeit“ in die Verkehrswegeplanung einführen.
({11})
- Das haben Sie sich nicht getraut, weil Sie allen etwas
versprochen haben. In dem Moment, als Sie diese Versprechen hätten einlösen müssen, sind Sie abgetaucht
bzw. abgewählt worden. So war das.
({12})
Lassen Sie mich kurz einige weitere Punkte im Rahmen einer Zwischenbilanz - mehr kann dies nach einem
Jahr Amtszeit nicht sein - ansprechen. Die Lärmsanierung an den Schienenwegen, ein 100-Millionen-DMProgramm, ist angesprochen worden. Die leichtere
Ausweisung von innerörtlichen Tempo-30-Zonen ist auf
den Weg gebracht worden. Die entsprechenden Beratungen befinden sich gerade in einer sehr konstruktiven
Phase. Wir werden demnächst zu einem Ergebnis kommen. Weiterhin werden die Bedingungen für die Bahnreform hinsichtlich des Güterverkehrs diskutiert. Die
Senkung von Trassenpreisen ist für mich ein Thema, das
noch auf der Tagesordnung steht.
Herr Kollege
Schmidt, denken Sie bitte an die Redezeit.
Nach diesem einen Jahr Amtszeit kann man
sagen: Eine ganze Menge Impulse sind auf den Weg gebracht worden. Einiges ist schon abgearbeitet bzw. erledigt worden. Manches wartet auf den neuen Minister,
auf den ich mich schon freue und dem ich von unserer
Seite aus eine gute Zusammenarbeit anbiete.
({0})
Das Wort hat der
Kollege Horst Friedrich, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!
Zu zugegebenermaßen interessanter Zeit beraten wir den
größten Investitionshaushalt des Bundes. Er ist gleichzeitig der zweite und letzte Entwurf des Ministers für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Franz Müntefering, der sich gewissermaßen in der Götterdämmerung
seiner Ministerzeit befindet,
({0})
der aber trotzdem die Verantwortung für den Zahlensalat
übernehmen muß. Originalton Müntefering: Das Elend
ist zu Ende.
({1})
Es bleibt dabei: Der gute Klimmt - Originalton
Klimmt: Oskar und ich, wir sind wie ein altes Ehepaar;
da können wir eine tolle Politik erwarten - wird mit den
Segnungen des Haushaltes von Müntefering leben müssen.
Infrastrukturinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen für den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Standort Deutschland. Ein hohes Investitionsniveau bleibt für die weitere konjunkturelle
und arbeitsmarktpolitische Entwicklung unverzichtbar.
Dies sagt Müntefering im „Zukunftsprogramm 2000“, in
dem er gleichzeitig zugesteht, daß bis 2003 die Investitionen sowohl für die Straße als auch für die Schiene um
2,3 Milliarden DM gekürzt werden und daß sie auch im
Bereich der Wasserstraßen um 1 Milliarde DM reduziert
wird.
Die Realität sieht eben anders aus: 1997 wurden für
Bedarfsplanmaßnahmen im Bereich Autobahnbau tatsächlich 4,63 Milliarden DM ausgegeben, 1998, also im
letzten Jahr unserer Regierungszeit, 4,81 Milliarden
Albert Schmidt ({2})
DM. Der Haushaltsansatz der neuen Regierung für das
Jahr 1999 betrug im gleichen Titel 3,36 Milliarden DM,
und für das Jahr 2000 sind es nur noch sagenhafte 3,1
Milliarden DM.
({3})
Im Finanzplan bis 2003 sehen die Zahlen so aus:
1998 sind im Haushalt Gesamtinvestitionen in Höhe von
57,1 Milliarden DM vorgesehen worden. Diese werden
im Jahre 2003 auf 53,3 Milliarden DM zurückgeführt,
bei gleichzeitiger Erhöhung der Steuereinnahmen von
341,5 Milliarden DM in 1998 auf - man höre und staune
- 437,2 Milliarden DM im Jahre 2003. Irgendwie war
mir im Ohr, daß dies alles ohne Steuererhöhungen erfolgen soll. Die Hauptlast dieser Steuererhöhungen trägt
der Straßenverkehr. Nach Berechnungen unterschiedlicher Institute sind das zusätzlich rund 52 Milliarden
DM, und das bei gleichzeitiger Senkung der Investitionen für die Straßen. Wenn das eine sozial gerechte Politik ist, dann verstehe ich wirklich einiges nicht mehr,
({4})
es sei denn, man ist mindestens auf einem Auge blind.
Daß eine funktionierende Straßenverkehrsinfrastruktur in Deutschland wichtig ist, mögen Sie vielleicht an folgenden Zahlen erkennen: Der Lkw befördert
derzeit jährlich immerhin unter anderem 13 Milliarden
Liter alkoholfreie Getränke, 10 Milliarden Liter Bier,
700 000 Tonnen Schokolade und Kekse, 2,5 Millionen
Tonnen Äpfel, 1 Million Tonnen Bananen
({5})
- hören Sie zu; das ist wichtig; so lernen Sie vielleicht
noch etwas; wir haben ja vorhin über Bildung gesprochen - und 6 Millionen Tonnen Gemüse. Nach neuen
Trendprognosen nimmt der Güterverkehr auf den Autobahnen im Westen um 51 Prozent zu, in den östlichen
Bundesländern um 78 Prozent. Der Herr Kollege
Schmidt hat heute erklärt, auch die Infrastrukturinvestitionen in den neuen Ländern müßten auf den Prüfstand.
Auch dort ist offensichtlich nicht mehr alles notwendig.
Selbst wenn man glaubt, daß man mit einer Verdopplung des Güterverkehrs auf der Schiene rechnen
kann - wer auch immer das zu verantworten hätte; in
diesem Zusammenhang muß man allerdings fragen,
warum Herr Sinnecker bei diesen Zahlen eigentlich noch
im Amt ist -, wäre die verbleibende Transportmenge auf
der Straße gigantisch. Darauf reagiert dieses Haus, wie
schon gesagt, mit weiteren Kürzungen im Straßenbauhaushalt. In einigen Jahren werden Sie sich wahrscheinlich wegen dieser Periode mit der Frage konfrontieren
lassen müssen: Wie verhält sich Ihr Fahrzeug im Stau?
Das ist fürwahr keine glänzende Bilanz. Deswegen
kann man tatsächlich froh sein, wenn die Ära Müntefering beendet ist. Ob der Nachfolger allerdings besser
wird, wage ich zumindest mit einem Fragezeichen zu
versehen, auch wenn ich ihm zugestehe, daß er zunächst
einmal die Chance bekommen soll, nachzuweisen, was
er machen wird.
Herr Minister Müntefering redet von der Vernetzung
der Verkehrsträger, die wichtig für die Lösung aller Probleme sei. Das ist okay. Nur muß er sich fragen lassen,
warum er dann die Investitionen in die Schiene ausweislich des Finanzplanes um 2,3 Milliarden DM kürzt.
Wie soll sich das auf die Investitionen, auch in das
„Netz 21“, auswirken? Auch die kosten Geld; das muß
irgendwoher kommen. Wie soll das umgesetzt werden?
Wie wirken sich die Entscheidungen zum Vorstand
der Bahn in den kommenden Monaten aus? Sie schaffen
mit dieser Entscheidung ein Interregnum. Der alte Chef
ist nicht mehr in der Lage, etwas zu machen; ihm hört
keiner mehr zu. Der neue ist noch nicht da; er hat eigentlich noch bis September 2000 einen Vertrag mit
dem RWE. Den kann man lösen; aber auch er muß sich
einarbeiten.
Man kann über Johannes Ludewig viel sagen. Er ist
mit Sicherheit nicht an allem persönlich schuldig.
({6})
Er hat auch nicht alle Pannen alleine gemacht.
({7})
Er hat allerdings einen folgenschweren Fehler für sich
selbst gemacht: Er hat darauf hingewiesen, daß die Ökosteuer - da gab es eine unsinnige Debatte - die Bahn zusammen mit den Gebühren für den Bundesgrenzschutz
um schätzungsweise 750 Millionen DM im Jahr belasten
wird.
({8})
- Originalton Ludewig: 750 Millionen DM. - Das
könnte Konsequenzen für das Ergebnis haben. Deswegen bleibt ein gewisses „Geschmäckle“.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, Herr Kollege
Schmidt, daß Mehdorn nicht unbekannt ist.
({9})
Er hat sich über den Airbus profiliert. Auch der mußte
lange Zeit gegen Tausende von Bedenkenträgern durchgesetzt werden und ist letztendlich zum Erfolg geworden.
({10})
Ich bin nun einmal gespannt, wie Herr Mehdorn auf
die Situation reagiert, daß bei der Bahn auf der einen
Seite unternehmerische Entscheidung gefordert ist und
auf der anderen Seite alles Herrn Ludewig angelastet
Horst Friedrich ({11})
wurde. Das fängt bei der Senkung des Personalbestandes
an und geht mit Eingriffen in unternehmerische Entscheidungen weiter;
({12})
dazu gehört die Diskussion über die Kostenanlastung
und all das, was kommt. Ich kann nur sagen: Es wird mit
Herrn Mehdorn mit Sicherheit sehr kurzweilig werden ({13})
nach dem Motto: Der Neue kommt; warten wir es ab!
({14})
Nun kommen wir zum Thema Wohnungsbau. Das
ist
({15})
ein Stück aus dem Tollhaus.
({16})
Das Kapitel ist geprägt durch die im Haushaltssanierungsgesetz - wohlgemerkt dort! - enthaltenen Wohngeldoperationen der Bundesregierung und durch Investitionskürzungen bei der Städtebauförderung
({17})
und beim sozialen Wohnungsbau. Der Entwurf sieht vor,
den Ansatz für Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz
von 4,02 Milliarden DM auf 1,845 Milliarden DM zu
kürzen. Damit ist im wesentlichen die geplante Verlagerung der Wohngeldlasten für das pauschalierte Wohngeld auf die Kommunen eingestellt, obwohl offensichtlich ist, daß dieser Ansatz eine Luftbuchung sein wird;
denn er wird bei den Ländern und Kommunen keine Zustimmung finden. Insofern fehlt diesem Haushaltsansatz
nach unserer Ansicht bis jetzt die gesetzliche Grundlage.
({18})
- Liebe Frau Fuchs, wenn wir noch an der Regierung
wären und beim Wohngeld den Eiertanz, den sich die
neue Regierung geleistet hat, aufgeführt hätten, wären
Sie lauter als jetzt. Das muß man klar sagen.
({19})
Lediglich - das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen - die von Ihnen vorgesehene Kürzung des
Wohngelds für Sozialhilfeempfänger
({20})
auf das Niveau des normalen Tabellenwohngelds hat
Aussicht auf Erfolg. Aber selbst dieser Vorschlag ist
mangels gesetzlicher Grundlage eigentlich noch nicht
haushaltsreif.
Die Förderung des Städtebaus wird gegenüber dem
im Jahre 1999 schon reduzierten Ansatz erstmals unter
die 600 Millionen-Grenze gedrückt, wobei die Kürzungen um 14 Millionen DM ganz eindeutig und ausschließlich zu Lasten der neuen Bundesländer gehen.
({21})
Bei einem Gesamtvolumen von 2,5 Milliarden DM in
1999 bleiben im Jahre 2000 für den sozialen Wohnungsbau noch 2,05 Milliarden DM übrig. Dem steht
eine wahrhaft gigantische Erhöhung des Haushaltstitels
„soziale Stadt“ - haushaltswirksam - von 5 Millionen
DM auf sagenhafte 30 Millionen DM gegenüber. Das ist
eine tolle Leistung, das kann man nur sagen.
Die im Haushaltssanierungsgesetz enthaltene Wohngeldnovelle wird wahrscheinlich unter Verlagerungsgesichtspunkten nicht inhaltlich beraten, sondern ausschließlich im Haushaltsausschuß. Die Fachpolitiker,
auch die der Koalition, dürfen oder können geordnete
Fachberatungen der vorhandenen wohnungspolitischen
Novelle nicht zulassen, ganz zu schweigen von der Tatsache, daß die Wohngelderhöhung mittlerweile auf das
Jahr 2001 verschoben wurde, und zwar immer noch unter Vorbehalt der Finanzierung.
Was ist uns vor und seit dem September 1998 nicht
alles versprochen worden: Ich erinnere an die diversen
Podiumsgespräche, die wir auch noch im Januar 1999
beim Institut für Städtebau hatten. Das hat der eine oder
andere aus Ihren Reihen noch volltönend öffentlich erklärt, wann das alles in trockenen Tüchern wäre. Ein
bißchen weniger Vorschußlorbeeren und etwas mehr
Einhalten von Versprechungen wäre besser gewesen.
({22})
Insgesamt ist in der Subsumierung aller Maßnahmen,
deren Umsetzung Sie seit Ihrer Regierungsübernahme
begonnen haben, vom Streichen des Vorkostenabzugs
bis hin zu den neuerlichen Überlegungen zur Erhöhung
der Erbschaftsteuer - das tun Sie, um das Haus- und
Grundvermögen der Landwirte und Häuslebauer konfiszieren zu können -, die Axt an die Wurzeln des Wohnungsbaues gelegt worden. Die Investoren im Mietwohnungsbau sind schon lange auf die Suche nach anderen
Anlagemöglichkeiten gegangen, und das eigentliche
Ziel, Eigentum zu schaffen, das vor Armut im Alter
schützt - das ist angesichts Ihrer Rentenpolitik wichtig -, wird mit diesen Maßnahmen konterkariert.
Lassen Sie mich zum Schluß versuchen, eine Würdigung der Arbeit von Herrn Minister Müntefering aus der
Sicht der F.D.P. vorzunehmen. Vorweg möchte ich das
Positive nennen; das muß auch sein. Ich habe ihm am
25. Februar dieses Jahres bei der ersten Lesung des
letzten Haushalts dringend ans Herz gelegt, eine Expertenkommission einzuberufen, die Möglichkeiten echter
Privatfinanzierung untersuchen soll. Ohne diese MögHorst Friedrich ({23})
lichkeiten werden wir die Probleme nicht lösen. Das ist
auf gutem Weg. Danke schön, Herr Minister.
Ich habe ihm am 6. Mai empfohlen, daß ein Minister
dann, wenn er die wesentlichen Antworten auf die Infrastrukturproblematik schuldig bleibt, seinen Regierungsauftrag zurückgeben sollte. Auch das hat er soeben vollzogen. Insofern klappt ja eigentlich alles.
({24})
- Nein, Sie regiert nicht mit. Sie sagt nur die Wahrheit.
Die Gesamtbilanz ist trotzdem desaströs. In der Koalitionsvereinbarung gab es bestenfalls vage Andeutungen und in der Regierungserklärung des Kanzlers kein
Wort zu diesem wichtigen Bereich. Im Kampf mit beiden Finanzminstern, sowohl mit Lafontaine als auch mit
Eichel, sind Sie, Herr Müntefering, als Verlierer vom
Felde gegangen, wenn Sie überhaupt gekämpft haben.
Die Mittel für Investitionen in Ihrem Haushalt, Herr
Minister, sinken kontinuierlich. Die Zahlen für dieses
Jahr sind aus unserer Sicht unseriös, weil sie Luftbuchungen und Haushaltsrisiken in zweistelligen Milliardenbeträgen beinhalten, die dann, wenn sie sich nicht so
umsetzen lassen, wie Sie es glauben, dazu führen, daß
Investitionen in noch stärkerem Maße gekürzt werden
müssen, als dies jetzt schon der Fall ist. Bestenfalls können Sie darüber ungedeckte Wechsel ausstellen.
Die Deutsche Bahn - das habe ich schon gesagt haben Sie in ein Interregnum entlassen. Ich kann nur
hoffen, daß Sie sich nicht noch stärker in unternehmerische Entscheidungen einmischen.
Zu den wesentlichen Problemen der Luftfahrt sind
Sie bisher alle Antworten schuldig geblieben. Ihr Nachfolger tritt ein schweres Erbe an. Wir werden das aufmerksam verfolgen. Aber wir können Ihren Haushaltsentwurf ohne Zögern in allen Punkten ablehnen. Dabei
werden wir uns aber vorbehalten, Ihrem Haus Vorschläge dazu zu unterbreiten, wo aus unserer Sicht tatsächliche Einsparungen vorgenommen werden können.
({25})
Ich erinnere hier an das immer noch nicht umgesetzte
Gutachten Wibera II zur Regionalisierung des Nahverkehrs und ähnlichem. Über all diese Punkte muß man
reden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Glück für
Ihr Parteiamt; hoffentlich nicht zu unseren Lasten.
Danke sehr.
({26})
Für die PDSFraktion spricht jetzt die Kollegin Christine Ostrowski.
Vielleicht sollte ich
jetzt auch etwas wehmütig tun, weil es immerhin meine
letzte Rede ist, die ich an einen Minister richte, der
heute abend seinen Hut nimmt. Aber ehrlich gesagt,
hatte ich, Herr Müntefering, nie den Eindruck, daß Sie
sich für den Wohnungsbau besonders interessiert haben.
Allein die ungleichen Einsparsummen im Wohnungsbau- und im Verkehrsetat sprechen Bände. Insofern hält
sich meine Trauer durchaus in Grenzen, obwohl ich Ihnen persönlich selbstverständlich auch alles Beste wünsche. Egal, wie der künftige Minister heißt: Schlechter
kann es mit Sicherheit nicht werden.
Damit komme ich zum Haushalt, welcher heute das
eigentliche Thema ist. Ich hatte nicht erwartet, daß der
99er Haushalt, der schon der niedrigste seit Jahren war,
noch einmal zu übertreffen sei. Ich hatte mich geirrt.
Meine Damen und Herren, Sie legen mit dem Haushalt 2000 eine so radikale Ausgabenstreichung vor, wie
sich das nicht einmal Schwarzgelb getraut hatte. Die
Ausgabenstreichung erfolgt aber alles andere als gerecht. Wenn Sie nämlich in den nächsten vier Jahren ungefähr 12 Milliarden DM im Wohnungsetat einsparen
und davon allein 9,6 Milliarden DM den Kommunen im
Rahmen des Pauschalwohngeldes überstülpen, also den
finanziell schwächsten Gliedern der öffentlichen Hand,
ist das nicht gerecht. Wenn Sie die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in den Keller fahren und damit
Menschen treffen, die auf preiswerten Wohnraum angewiesen sind, ist das ebenfalls nicht gerecht.
({0})
Wenn Sie dem die Summe gegenüberstellen, die im
Rahmen der Steuer über die Eigenheimzulage und beim
Vorkostenabzug eingespart wird, die eben nur ein Fünftel dieses Betrages ausmacht, ist das eine Schieflage, ob
Sie das nun wollen oder nicht.
Es ist spannend: Manche der Streichkonzerte zum
Haushalt - das wage ich zu behaupten - sind sogar
wahltaktisch angelegt, zum Beispiel zum Wohngeld.
Das Tabellenwohngeld West soll um 80 DM, das Tabellenwohngeld Ost um 35 DM erhöht werden. Vor einem Jahr hatten wir dazu einen Antrag vorgelegt. Den
haben Sie verrissen, daß es nur so rauchte. Sie können
sich sicher erinnern. Heute ist es wie häufig: Sie erfüllen
beim Tabellenwohngeld nicht nur unsere Forderung, Sie
gehen sogar noch darüber hinaus. Fast würde ich sagen:
Sie überholen uns, ohne uns einzuholen.
Aber, meine Damen und Herren, meine Freude ist
getrübt, denn erstens wird die Erhöhung auf das Jahr
2001 verschoben,
({1})
und 2002 sind Wahlen. Sie wird verschoben, obwohl Sie
nächstes Jahr das Wohngeld für Sozialhilfeempfänger
die Kommunen bezahlen lassen wollen und damit schon
erkleckliche Milliarden einsparen. Das verschlägt mir
schon die Sprache. Wenn Sie sich schon in dieser Position aus der Finanzierung des Wohngeldes zurückziehen, ist es doch das Mindeste, daß Sie das Wohngeld
zugleich und zeitgleich angeben.
Zweitens. Die Kostenverschiebung von der einen öffentlichen Hand in die andere ist wirklich nichts anderes
Horst Friedrich ({2})
als eine Luftbuchung. Das sehe ich ganz genauso. Es ist
in Anbetracht der finanziellen Lage der Kommunen völlig inakzeptabel. Die Gemeinden sind weder bereit noch
dazu in der Lage, die auf sie zukommenden Mehrausgaben hinzunehmen. Sie sind auch nicht die Ersatzkassen
des Bundes.
({3})
Besonders schlimm ist, daß Sie sich Ihrer politischen
Verantwortung auf eine unredliche Art und Weise entledigen. Denn Arbeitsmarktpolitik ist in erster Linie Ihre
Sache, ist Sache des Bundes. Sie ist in zweiter Linie Sache der Länder und erst in dritter Linie Sache der Kommunen. Deshalb ist die Feststellung - die sich im Gesetzentwurf manifestiert -, es gebe da einen Sachzusammenhang, völlig unzutreffend. Vielleicht lesen Sie
einmal bei Rommel nach, der so schön gesagt hat - ich
zitiere ihn einmal -:
Im Umgang mit den Bonner Ministerien hat man
oft den Eindruck, sie könnten sich nie irren, da sich
die Kommunen ihrer Ansicht nach immer irren.
Denken Sie einmal über diesen klugen Satz nach!
Drittens. Was Sie mit den Sozialhilfeempfängern
vorhaben, ist besonders problematisch. Wir warnen davor, die Anhebung des Tabellenwohngeldes mit einem
Abbau der Leistungen bei den Schwächsten zu bezahlen.
({4})
Nun schlagen Sie das nicht so direkt vor - vielmehr
schweigen Sie in dieser Sache -, aber im Ergebnis läuft
es darauf hinaus. Es ist doch zum einen völlig klar, daß
durch die Abwälzung der finanziellen Lasten auf die
Kommunen ein ungeheurer Druck auf die Gemeinden
entsteht. Er wird dazu führen, daß Sozialhilfeempfänger
in schlechteren Wohnungen untergebracht werden. Zum
anderen werden die Betroffenen normiert und zukünftig
wie Tabellenwohngeldempfänger behandelt. Steigende
Mieten, steigender Zuschuß - dieser Zusammenhang gilt
nun nicht mehr. Sie drücken das ja auch aus, wenn auch
etwas verschämt - ich zitiere -:
Der besondere Mietzuschuß für Sozialhilfeempfänger steigt künftig weniger dynamisch an.
Aber der Anstieg des Wohngeldes war ja nicht den
steigenden Ansprüchen der Bedürftigen geschuldet,
sondern steigenden Mieten. So beseitigen Sie die Ungerechtigkeit gegenüber den Tabellenwohngeldempfängern und erzeugen eine neue gegenüber Sozialhilfeempfängern. Wenn Sie das als soziale Gerechtigeit verkaufen - nicht mit uns. Die Sozialhilfeempfänger sind weder schuld, daß sie Hilfe zum Lebensunterhalt brauchen,
noch daß ihre Mieten steigen.
Zum sozialen Wohnungsbau. Schon in den letzten
fünf Jahren wurden die Fördermittel von Bund und Ländern massig zurückgefahren; die Auswirkungen sind
sichtbar. Und doch bin ich versucht auszurufen: Was ist
dieser Rückgang schon gegen den Kopfsprung ins
Nichts, den Sie mit diesem vorgelegten Haushaltsentwurf wagen: von 1,1 Milliarden DM auf 600 Millionen
DM. Das ist das Aus für den sozialen Wohnungsbau,
und das bei einer SPD-geführten Regierung. Da ist man
schon sprachlos. Achim Großmann sagte seinerzeit - ich
zitiere -:
Eine SPD-geführte Bundesregierung wird dafür
sorgen, daß die Zahl der Sozialwohnungen wieder
steigt.
({5})
Vielleicht haben Sie es ja vergessen, meine Damen
und Herren von Rotgrün: Der soziale Wohnungsbau ist
für Menschen da, die auf bezahlbares Wohnen angewiesen sind. Mit dieser Talfahrt legen Sie eine soziale Zeitbombe, weil bezahlbare Wohnungen für Bedürftige
kaum mehr gebaut werden, weil vorhandene Sozialwohnungen - das wissen Sie ja alles - en masse aus der Bindung herausfallen und der Verkauf von öffentlichen
Wohnungsbeständen bei Bund, Ländern und Kommunen
voranschreitet. Darüber hinaus legen Sie eine arbeitsmarktpolitische Zeitbombe - auch das ist eine Binsenweisheit -, weil sinkender Mietwohnungsbau zu einem
Abbau der Arbeitsplätze in der Bauindustrie führt. Das
heißt letztlich, daß Sie auch hinsichtlich der Steuereinnahmen eine Zeitbombe legen.
Um noch einmal die soziale Gerechtigkeit zu bedienen: Ihre radikale Kürzung beim sozialen Wohnungsbau
ist eben auch ungerecht. Ich frage mich, warum Sie nicht
an die hohen degressiven Abschreibungen im freifinanzierten Wohnungsbau herangehen. Da waren ja - das
muß ich ja auch einmal sagen - die Petersberger Beschlüsse schon weiter.
Ganz schlimm ist noch, daß Sie - Sie sind Wohnungsbaupolitiker, Sie sind Fachleute, Sie wissen das die nächste Wohnungskrise einleiten. Der Wohnungsmarkt ist ja nur bei oberflächlicher Betrachtung entspannt. Das Fehlen von 1 Millionen Wohnungen, die
Notwendigkeit des Ersatzes von Wohnungen, die veränderten Haushaltsgrößen, die veränderten Wohnbedürfnisse und die Zuwanderung erfordern Jahr für Jahr den
Bau von mindestens 400 000 Wohnungen. Diese Zahl
haben Sie auf dem Rostocker Mietertag genannt. Sie
aber folgen dem alten Muster: Rückzug, wenn es entspannt aussieht, statt eines vorausschauenden Handelns.
So lief es immer in der Bundesrepublik. Ich bedauere,
daß Sie nichts gelernt haben.
Kommen wir zum Programm „Soziale Stadt“. Auch
wenn Sie ein zweites Programm von 100 Millionen DM
auflegen - real stehen im nächsten Jahr nur 30 Millionen
DM zur Verfügung -, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie beim sozialen Wohnungsbau immense
Kürzungen vornehmen. Die Mittel reichen - das wissen
Sie - auch nicht aus, um dem Anspruch des Programms
gerecht zu werden. Denn es geht ja nicht nur um die Beseitigung von Problemen in gefährdeten Stadtteilen. Eigentlich geht es darum, eine Politik zu machen, die eine
nachhaltige - auch und gerade eine sozial nachhaltige Entwicklung der Städte ermöglicht: „Lebensqualität in
den Städten“, wie der Herr Bundesminister zu Recht
sagte.
Man fragt sich: Wenn beim sozialen Wohnungsbau
schon so gekürzt wurde, waren sie denn dann nicht in
der Lage, diese Kürzungen wenigstens mit Ihrem wirklich hervorragenden Ansatz zur sozialen Stadt so zu verbinden, daß Sie dort mehr draufpacken? Man fragt sich
überhaupt, wo all die Millionen und Milliarden verschwunden sind, die im Wohnungsbereich direkt und
steuerlich eingespart worden sind. Im Wohnungsbau
sind sie jedenfalls nicht gelandet.
Noch ein letztes Wort zum KfW-Programm für die
neuen Länder. Das ist sehr witzig: Wir hatten im letzten
Jahr beantragt - daran werden Sie sich noch erinnern -,
die Zinszuschüsse zu erhöhen, damit das Programm
fortgesetzt wird. Sie haben das entschieden abgelehnt
und uns für blöd erklärt. Jetzt aber - man höre und staune - gehen Sie diesen Schritt. Natürlich ist er richtig.
Was denn sonst? Nur dieser Schritt ist die Garantie für
die Fortsetzung des Programms.
Zusätzlich zu diesen 330 Millionen DM, die Sie als
Zinszuschüsse neu auflegen, kündigen Sie für das Folgejahr ein weiteres Programm mit einem Volumen von
10 Milliarden DM an. Spannenderweise steht dafür kein
Betrag im Haushalt.
({6})
Wenn es zu diesem angekündigten Programm kommt,
dann entfaltet dieses Programm seine volle Wirkung etwa im Jahr 2002 und damit - wann auch sonst? - pünktlich zu den nächsten Bundestagswahlen. Dafür soll die
Zinsstützung zur Hälfte von den Ländern getragen werden. Ich vermute, die Länder werden das tun, weil sie
um die Notwendigkeit der Modernisierung der Wohnungen wissen. Ich vermute aber auch, daß die Länder
diese Mittel an anderer Stelle in ihrer Wohnungsförderung einsparen müssen. Ein Loch wird gestopft, ein anderes aufgemacht. Ich könnte Position für Position im
Haushalt durchgehen. Ich erspare es mir.
({7})
Im Prinzip gilt: Wohin man schaut, es wird abgebaut.
In der letzten Legislaturperiode hatten Sie wieder und
wieder die Reform der Wohnungsbauförderung angemahnt. Heute - ich hoffe, das fällt Ihnen überhaupt auf ist das Wort Reform aus Ihrem wohnungspolitischen
Wortschatz nahezu verschwunden. Das ist der eigentliche Vorwurf, den ich Ihnen machen muß. Wenn Sie
schon sparen, dann wäre das ja noch zu akzeptieren,
dann wäre das alles ja noch hinnehmbar, wenn Sie das
wenigstens mit einem neuen qualitativen Ansatz verbinden würden; aber genau der fehlt. Bei der Mickrigkeit
Ihrer Fonds stellt sich ja auch die Frage, wie Sie überhaupt noch etwas reformieren sollen können. Es ist zum
Reformieren fast nichts mehr da. Das kommt dabei heraus, wenn ein Finanzminister der oberste Wohnungspolitiker der Bundesregierung ist.
Ich hatte eigentlich etwas anderes erhofft, aber Ihr
Haushalt
Frau Kollegin, ich
bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
- ich komme zum
Schluß - ist die Fortsetzung der alten Politik - nicht mit
anderen, sondern mit weniger, mit deutlich weniger
Mitteln. - Na dann, gute Nacht!
({0})
Frau Kollegin Annette Faße, Sie haben jetzt das Wort für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich gefragt, ob ich
noch heute oder erst morgen reden kann; wir haben es
denn ja noch heute geschafft.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß es schwer zu ertragen war: Die eine Seite tut so, als wenn sie mit den Versäumnissen der Verkehrspolitik in den letzten 16 Jahren
nichts zu tun gehabt hätte; die andere Seite tut so, als
wenn ohne sie der ganze Sozialstaat zusammenbrechen
würde, die Menschen ohne Wohnung wären und wir die
Zelte aufbauen müßten.
({0})
Die einen stellen sich hin und sagen, das seien alles
furchtbare Kürzungen, haben aber überhaupt nicht richtig in den Haushalt geschaut; die anderen sagen, wir
müßten mehr Geld einstellen, verschweigen aber, woher
wir es nehmen sollen. Meine Damen und Herren, was
die Oppositionsparteien uns heute geboten haben, war
Verschwendung der Zeit.
({1})
Es war nicht nur Zeitverschwendung, sondern auch
schlechter Stil, was Sie, Herr Fischer, heute abend geliefert haben.
({2})
Man kann sich ja in der Sache streiten, aber einen Minister anzugreifen, der sich in der ganzen Verkehrswirtschaft einen hervorragenden Namen erworben hat,
({3})
steht Ihnen nicht zu. Sie haben sich an dieser Stelle
wirklich unhöflich und unmöglich benommen.
({4})
- Dann muß ich Ihnen sagen, daß Sie den Kontakt zur
Wirtschaft nicht mehr halten. ({5})
Der Minister hat sich in diesem Jahr eine hohe Anerkennung erworben - trotz des Vermächtnisses, das Sie uns
hinterlassen haben,
({6})
trotz der vielen Spatenstiche, die Sie gemacht haben und
bei denen die Finanzierung nicht stand, und trotz eines
Bundesverkehrswegeplans mit einem Minus von 80 bis
90 Milliarden DM, auch wenn Sie das jetzt abschwächen
wollen.
Sie haben hier Versprechungen gemacht und im ganzen Land munter Geschenke verteilt, sich dabei aber nie
damit auseinandergesetzt, wie Sie das finanzieren wollen. Wir werden die Finanzierung auf eine sichere Basis
stellen, so daß der Streit vor Ort aufhört und jeder weiß,
woran er ist. Das ist eine schwierige Aufgabe. Wenn Sie
bei dieser Aufgabe, der wir uns stellen, nicht mitmachen
wollen, dann ist es Ihr Bier. Ein „Weiter so“ wird es jedenfalls bei uns nicht geben.
({7})
20 744 000 000 DM beträgt die Summe, die im
Haushalt 2000 für Verkehrsinvestitionen zur Verfügung
steht. Das sind 726 357 000 DM mehr als im vorigen
Haushalt. Ich frage mich, ob Sie den Haushaltsentwurf
gelesen haben.
({8})
Wenn man noch bedenkt, daß wir aus dem EUStrukturprogramm 3 Milliarden DM in den Jahren 2002
bis 2006 bekommen und damit zusätzlich Investitionen
in Höhe von 8 Milliarden DM anstoßen, dann muß das
an dieser Stelle ganz deutlich und ganz besonders in
Richtung der neuen Länder gesagt werden. Damit werden die Maßnahmen schneller finanziert, als es anders
möglich gewesen wäre.
({9})
Es ist fast so, als ob der Brandstifter nach der Feuerwehr ruft. Ich finde es schon sehr erstaunlich, was Sie
hier geleistet haben. Wir haben es mit 1,5 Billionen DM
Schulden und mit 82 Milliarden DM Zinsen jedes Jahr
zu tun.
({10})
Wenn ich in dem zuständigen Ausschuß sagen würde, es
würde trotz dieser Tatsache keine einzige Mark eingespart, dann wäre das unverantwortlich.
({11})
Die vorgesehenen Kürzungen treffen eben nicht den
investiven Bereich, weil wir natürlich selber ganz genau
wissen, daß jede Mark in diesem Bereich den Arbeitsplätzen zugute kommt. Wir stehen außerdem in der Verpflichtung, neue Projekte anzugehen, aber vor allen
Dingen - ich will betonen: auch das ist ein Vermächtnis
von Ihnen - müssen wir von Jahr zu Jahr mehr Geld für
den Erhalt unserer Straßen und Schienenwege ausgeben.
({12})
Man muß deutlich sehen, daß es in diesem Bereich eine
Umgewichtung geben wird. Wenn wir nämlich unsere
Straßen und Schienenwege nicht mehr befahren können,
dann können wir einpacken. Das wollen wir nicht.
({13})
Für uns gilt weiterhin klar und deutlich: Wir schaffen
Arbeitsplätze mit diesem Haushalt; wir sichern die
Handlungsfähigkeit in der Verkehrspolitik; wir übernehmen Verantwortung für zukünftige Generationen;
wir sichern die Mobilität, und wir setzen Wachstumsimpulse. Ganz klar und deutlich gesagt: Diese Erblast, die
wir übernommen haben, hat uns nicht dazu bewegt, zu
sagen, daß nichts mehr passiert und daß wir einen radikalen Kahlschlag durchführen. Wir haben vielmehr klar
und deutlich gesagt, daß wir investieren wollen, weil wir
wissen, daß diese Vorgehensweise richtig ist.
Bei den Bundeswasserstraßen liegt der Etatansatz für
Investitionen bei mehr als 1,3 Milliarden DM. Im Schienenbereich werden 6,83 Milliarden DM zusätzlich zu
den Eigenmitteln der Bahn zur Verfügung gestellt. Für
die Bundesfernstraßen bleiben die Investitionen mit
knapp 8,3 Milliarden DM auf einem hohen Niveau.
({14})
- Ich habe schon im letzten Jahr an diesem Punkt Ihren
Einwurf gehört. Dieses Jahr können Sie ihn sich sparen,
Herr Friedrich.
({15})
Wir bleiben bei unserem Ziel, ein integriertes Verkehrssystem auf die Beine zu stellen, in dem jeder Verkehrsträger seine Systemvorteile nutzen kann. Wir bleiben bei unserer Aussage, daß wir die umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße stärken
wollen. Um das zu erreichen, werden wir die streckenbezogene Lkw-Gebühr einführen, um eine Stärkung für
Schienen- und Wasserwege erreichen zu können.
Trotz aller Haushaltsnöte sind wir weiterhin in der
Lage, die 100 Millionen DM für die Lärmsanierung in
den Haushalt einzustellen.
Wir veranschlagen weiterhin 60 Millionen DM für
den Schwerpunkt Kombiverkehr. In diesem Zusammenhang habe ich mich schon gewundert, daß unser
Ausschußvorsitzender gesagt hat, wir könnten die
60 Millionen DM eigentlich in den Straßenbau stecken.
Heißt das, daß sich die CDU/CSU vom Kombiverkehr
verabschiedet?
({16})
Dann frage ich mich: Haben Sie die ganzen Jahre auf
das falsche Pferd gesetzt, oder was ist das für ein Zeichen? Diese Aussage hat mich schon sehr gewundert.
Es ist schon richtig, daß der kombinierte Verkehr zur
Zeit nicht die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt.
({17})
Mit den Ergebnissen der aktuellen HaCon-Studie, in denen der KV unter derzeitigen Voraussetzungen auch im
Jahr 2010 lediglich bei 30 Millionen Tonnen Ladungsaufkommen pro Jahr liegt, können wir uns nicht zufriedengeben. Aber das heißt nicht, daß wir diesen Bereich
aufgeben.
({18})
Darum begrüße ich es ausdrücklich, daß Minister
Müntefering eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die uns
im Herbst - eher war es nie angekündigt - konkrete
Vorschläge für diesen Bereich auf den Tisch legen wird.
Ich sehe gerade hier einen Bereich, in dem die Deutsche Bahn ganz klar eine Verbesserung der Netzqualität
auf ihre Fahnen schreiben muß und wird, daß ganz klar
ein diskriminierungsfreier Zugang neuer Wettbewerber
nötig ist, daß eine Straffung von Managementstrukturen
und ein Angebot marktfähiger Preise ein Ziel sein muß.
Ich verspreche mir hierbei von Herrn Mehdorn sehr viel.
Wir kennen ihn aus dem Norden. Wir haben unsere Dasa-Werke gehabt. Es ist ein Mann, der sich einsetzt und
Ahnung hat. Er wird es hinbekommen. Mit ihm wollen
wir es gerne tun.
Eine aktive Schiffahrts- und Hafenpolitik zeigt erste Erfolge. Mich wundert, daß es von Herrn Fischer
nicht erwähnt worden ist. Wir haben dabei einen Teil
gemeinsam gemacht. Nachdem die Umsetzung der Tonnagesteuer erfreulicherweise im ersten Halbjahr gelungen ist, setzen nun die erwarteten positiven Wirkungen
ein. Deutsche Unternehmen kehren zurück. Ausländische Reedereien lassen sich am deutschen Standort nieder. Ich will betonen, daß wir die Probleme, was die
Schiffsbesetzung betrifft, weiterhin kritisch sehen.
Die Seeschiffahrt bekommt auch in Zukunft
5 Millionen DM für den Bereich Ausbildung. Das ist
uns sehr wichtig, um es deutlich zu sagen. Wir sehen für
die Seehäfen in Gemeinsamkeit mit den Ländern große
Chancen. Wir haben heute die gemeinsame Plattform
des Bundes und der Länder. So etwas hat es vorher nie
gegeben. So etwas ist unter diesem Minister entstanden.
Wir stehen zu den seewärtigen Zugängen und natürlich
auch für die Bereitstellung der Hinterlandverbindungen,
sei es Straße, Schiene oder Wasserstraße ein.
Wir werden in unser integriertes Verkehrskonzept
natürlich auch den Luftverkehr einbeziehen. Anfang
des Jahres 2000 wird ein Lufthafenkonzept vorgelegt,
das Bestandteil des für das erste Quartal 2000 angekündigte Luftfahrtkonzept 2015 sein wird.
({19})
- So eine Konzeptverbundenheit aller Verkehrsträger
haben Sie nie in Ihrem Kopf als Idee, Vorstellung oder
Ziel gehabt.
({20})
Wir haben es. Wir gehen ganz vernünftig daran, dies
auch Stück für Stück umzusetzen.
({21})
- Das meinen Sie. Wenn Sie schlafen gehen wollen,
können Sie das gerne tun, Frau Baumeister. Ich beurlaube Sie gerne, wenn Sie gehen wollen.
({22})
Ich habe etwas zum Erhalt der Straße gesagt und daß
dieser Erhalt für uns eine höhere Wertigkeit haben muß.
Ich habe ganz klar und deutlich die Worte von Herrn
Friedrich gehört, der nun meint, die Privatfinanzierung
sei seine Idee. Ich bin nicht bereit, heute nacht mit Ihnen
darüber zu streiten.
({23})
Ich halte es für sehr richtig und wichtig, daß wir hier bei
dem großen Bedarf an Straßenausbau und -erhalt neue
Wege beim Straßenneubau suchen. Ich begrüße es sehr,
daß diese Arbeitsgruppe eingesetzt worden ist.
Was wir nicht mehr machen werden, ist die reine private Vorfinanzierung von Projekten. Das muß ich ganz
klar und deutlich sagen; denn die Probleme werden einige Länder in nicht allzu langer Zeit bekommen. Sie
müssen zurück zahlen. Die ersten Projekte stehen an.
Dabei ist die Quote, die jedem Land zusteht, zu berücksichtigen.
({24})
Es wird in den Ländern noch ganz lange Gesichter
geben, die sich zuerst gefreut haben, daß sie eine Maßnahme schnell bekommen haben. Dabei wird es eng
werden. Es wird viele Schwierigkeiten geben.
({25})
Ich bin dafür, die Bahn ganz massiv zu unterstützen.
Wir wollen den Wettbewerb auf der Schiene forcieren.
Inwieweit in diesem Zusammenhang eine neutrale Institution von Nutzen sein kann, die den Schienenzugang
regelt, muß sicherlich diskutiert werden.
Bei den Bundeswasserstraßen liegt der Etatansatz
für Investitionen bei mehr als 1,3 Milliarden DM und
damit gut 16 Millionen DM höher als im Haushalt 1999.
Die Binnenschiffahrt spielt für uns eine sehr wesentliche
Rolle. Ich begrüße es an dieser Stelle ausdrücklich, daß
die 3 Millionen DM für die Ausbildungsförderung in der
Binnenschiffahrt, die wir im letzten Jahr zum erstenmal
einstellen konnten, auch für das Jahr 2000 bereitgestellt
werden. Das ist für die Binnenschiffahrt ein wichtiges
Zeichen in Richtung Zukunft. Dieses Zeichen - so denke
ich - braucht die Binnenschiffahrt auch.
Wir werden bei den Projekten für die Wasserstraßen
danach vorgehen, welche für den Erhalt und für die
Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von
größter Bedeutung und Wichtigkeit sind. Schwerpunkte
werden weiterhin die seewärtigen Anbindungen, das
Kanalnetz und natürlich das Verkehrsprojekt 17 Deutsche Einheit sein. Wir wissen aber auch, daß wir beim
Erhalt großen Handlungsbedarf haben; ich denke nur an
die große Problematik bei den Schleusen. Wenn wir
nicht etwas für den Erhalt tun, dann bekommen wir ganz
klar und deutlich Schwierigkeiten.
Ich freue mich, daß es wahrscheinlich gelingt, für die
Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft eine gute,
haushaltsneutrale Lösung zu finden. Manchmal darf man
nicht allen Verbänden glauben. Es kann andere Lösungen geben als die, wie sie im Bundeshaushalt vorgesehen ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich an dieser
Stelle bei Minister Müntefering für seine Arbeit bedanken. Wir alle, die wir hier sitzen - ich denke, ich spreche
auch für Sie -, wünschen Ihnen für die Zukunft alles
Gute. Die SPD und die Kolleginnen und Kollegen der
Arbeitsgruppe haben mit Ihnen hervorragend zusammengearbeitet. Ein neuer Minister, an den wir uns sicherlich erst gewöhnen müssen, braucht bestimmt etwas
Einarbeitungszeit. Wir sind bereit, ihm diese zu geben ich hoffe, Sie auch.
Der frühere britische Premier Edward Heath hat einmal gesagt:
Ich hätte gerne ein Regierungssystem, in dem die,
die etwas tun wollen, an der Macht sind - und die,
die gerne reden, die Opposition bilden.
Wir tun etwas. Das macht dieser Haushalt deutlich. Ich
denke, die Rollen im Bundestag sind hervorragend verteilt.
Danke schön.
({26})
Letzter Redner an
diesem Tag - aber noch nicht in dieser Debatte - ist der
Kollege Dr. Dietmar Kansy, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
hatte mir schon immer gewünscht, einmal um Mitternacht im Reichstagsgebäude zu reden. Wir haben jetzt
sozusagen Geisterstunde - auch deswegen, weil ab heute
ausgerechnet Herr Trittin Verkehrs- und Bauminister
dieses Landes ist. Das spricht eine Menge für das, was
hier passiert ist.
Herr Müntefering, bitte haben Sie Verständnis dafür,
daß ich die guten Wünsche der Frau Kollegin ausschließlich auf Ihr persönliches Wohlergehen der nächsten Jahre beziehe. Nachdem Sie schon zu Anfang eine
gewisse Erwartungshaltung hinsichtlich Polemik an Dirk
Fischer und mich gerichtet haben, muß auch ich mich
daran halten, damit ich im Rahmen bleibe.
Als die rotgrüne Koalition im letzten Herbst die Bildung eines - wie es damals hieß - neuen Superministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen bekanntgab, da wurde der damalige Ministeraspirant, der heute
gerade noch Minister ist, neben Lafontaine - der auch
schon weg ist - als zweiter Superminister dieser Regierung gefeiert. Es wurden entsprechend der Koalitionsvereinbarung Erwartungen geweckt, es wurden von Ihnen Verzahnungs- und Synergieeffekte versprochen, die
auch dem Wohnungs- und Städtebau zugute kommen
sollten. Die Erwartungen waren tatsächlich sehr hoch.
Ich möchte an Wilfried Drager erinnern, der zwei Tage nach Ihrer Vereidigung, Herr Minister - Sie werden
sich bestimmt noch daran erinnern -, auf dem Verbandstag des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft
1998 noch hoffnungsvoll erklärte - ich zitiere -:
Ihre Bestellung als neuer Wohnungsminister ist aus
Sicht der Wohnungswirtschaft ein Glücksfall.
Dies sagt heute keiner mehr, selbst nicht der Ihnen
sehr nahestehende Mieterbund.
Nicht nur die rotgrünen Wahlversprechen, sondern
auch die Koalitionsvereinbarung ist nach einem Jahr, in
dem Sie Minister waren, nur noch Makulatur. Verstärkung der Städtebauförderung - Fehlanzeige! Das vielgepriesene Projekt „Soziale Stadt“, das in den letzten
zwei oder drei Jahren von der ARGE Bau entwickelt
wurde und nicht von dieser Regierung, ist in zweifacher
Hinsicht eine Luftnummer. Real stehen 30 Millionen
DM zur Verfügung. Diese werden aus dem Etat für den
sozialen Wohnungsbau abgezogen, über den der Minister eben noch sagte, er müsse die Mittel im sozialen
Wohnungsbau bedauerlicherweise kürzen, aber er wolle
sie auf den Ausbau der Bestände insbesondere in den
neuen Ländern konzentrieren. Dieses ganze Paket wird
dann „Soziale Stadt“ genannt.
Verbesserung des sozialen Wohnungsbaus - Fehlanzeige! Ein schnell verbessertes Wohngeld - Fehlanzeige! Weiterentwicklung der Eigentumsförderung - Fehlanzeige! Alle diese Maßnahmen stehen in Ihrer Koalitionsvereinbarung. Stärkere Beschäftigungsimpulse in
der Bauwirtschaft - das Gegenteil ist auf Grund der vorherigen Fehlanzeigen der Fall. Aus der Ankündigung
des Bundeskanzlers „Wir machen nicht alles anders,
aber manches besser“ ist nach unserer generellen Erfahrung der Satz geworden: „Wir machen vieles anders,
aber nichts besser.“ Für das verantwortliche Ministerium
- das werfe ich Ihnen auch hier noch einmal vor scheint in diesem Jahr die Parole gegolten zu haben:
„Wir machen gar nichts mehr.“ Das ist im Grunde das
Ergebnis der Wohnungs- und Städtebaupolitik des letzten Jahres.
({0})
Aus Ihrem Ministerium, Herr Minister, haben Sie eine Verfügungsmasse Ihrer Parteizentrale gemacht. Sie
und die anderen Kampa-Experten wie Machnik, Donnermeyer, Wasserhöfel und wie sie alle heißen, werden
ständig zwischen der Parteizentrale und den Ministerien
hin und her geschaufelt. Dies ist einer der Gründe dafür,
warum Ihr Ministerium nie vorangekommen ist und
auch in den nächsten Monaten nicht vorankommen wird;
denn diese Schaufelei geht weiter.
Auch der Einzelplan 12 für den Baubereich ist das
Ergebnis dieser Politik. Dazu wird der Kollege Willner
im Laufe dieser Debatte noch detailliert Stellung nehmen. Natürlich sind die finanziellen Rahmenbedingungen seit Jahren schlecht. Wir haben auch nicht erwartet,
daß Sie die von uns angeschobenen Reformvorhaben
wie die im Bundesrat an der Lafontainschen Blockadepolitik gescheiterte Reform des sozialen Wohnungsbaus
oder die Wohngeldnovelle der alten Regierung, die mit
250 Millionen DM mehr ausgestattet war, einfach übernehmen würden. Aber daß Sie, Herr Minister, im Wohnungsbau gleichzeitig die Rahmenbedinungen für den
frei finanzierten Wohnungsbau, für den sozialen Wohnungsbau und für die Eigentumsförderung sichtbar verschlechtert haben, eine Wohngeldnovelle nicht auf den
Weg gebracht haben und sich auf dem Polster eines ausgeglichenen Wohnungsmarktes ausgeruht haben - das
war ein Riesenfehler, der auch schon in der Wohnungsbaupolitik der letzten Jahre mehrfach gemacht wurde -,
lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Beispielhaft für gebrochene Wahlversprechen und
nicht eingelöste Ankündigungen - das ist heute schon
mehrfach angesprochen worden - ist das Wohngeld.
Keiner weiß mehr in diesem Hause - außer vielleicht der
ehemalige Bauminister Oswald auf Grund seiner Erfahrungen, die er während der letzten Monate der letzten
Legislaturperiode gesammelt hat -, wie schwierig es ist,
bei einem Finanzminister Geld für eine Wohngelderhöhung lockerzumachen. Aber 250 Millionen DM zusätzliche Bundesmittel haben wir dem damaligen Finanzminister - trotz der bekannten Finanznot der letzten Jahre im wahrsten Sinne des Wortes abgerungen. Wir haben
uns öffentlich mit ihm angelegt, um dieses Ziel zu erreichen.
Was haben Sie nach den großartigen Ankündigungen
- ich meine nicht nur Ihre, sondern auch die des Kanzlers - eigentlich getan? Schröder schrieb in der „MieterZeitung“ kurz vor der Wahl - ich zitiere -:
Die Wohngeldreform steht auf der Agenda einer
sozialdemokratisch geführten Bundesregierung
ganz oben.
Heute steht sie auf der Kürzungsliste ganz oben.
({1})
Immer noch O-Ton Schröder:
Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Minireform mit 250 Millionen DM hätte das Problem
nicht gelöst. Schon Ex-Bauminister Töpfer hatte
einen Bedarf von 1,8 Milliarden DM ermittelt.
Im Plenum des Deutschen Bundestages - damals
noch in Bonn - sagte in einer sehr erregten Debatte der
SPD-Senator Wagner aus Hamburg: „Und Sie stellen
sich hierhin und kommen mit Ihren 250 Millionen DM.“
So war die Situation am Ende der Legislaturperiode. Der
Erwartungshorizont war hoch. Was jetzt passiert, kann
angesichts der Dreistigkeit nur die Sprache verschlagen:
2,3 Milliarden DM werden über das pauschalierte
Wohngeld den Ländern und Gemeinden einfach aufs
Auge gedrückt. Zusätzlich zu Lasten der Länder kommen noch rund 0,3 Milliarden DM Wohngeld aus der
Krankenhausmischfinanzierung, die bisher vom Bund
getragen wurden.
Frau Kollegin Mertens, als wir dies Anfang dieses
Jahres im Ausschuß ansprachen, haben Sie - das haben
Sie auch in Ihren Presseveröffentlichungen dokumentiert
- gesagt, die Finanzierung der Wohngeldnovelle - der
Bedarf liegt bei 750 Millionen DM mehr für den Bund;
das war noch im Februar - eine Verschiebung vom pauschalierten Wohngeld zum Tabellenwohngeld lehne die
Arbeitsgruppe ab. Statt dessen ist eine Finanzierung
vorgesehen, die unter anderem aus dem Wegfall des
Vorkostenabzugs des Eigenheimzulagengesetzes resultiert, so wie es im Steuerentlastungsgesetz vorgesehen
ist. Auch die Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums wird nicht etwa zur Finanzierung des Wohngelds genutzt; vielmehr wird sie zum zweiten Abkassierungsmodell innerhalb weniger Monate umgepolt.
Ich möchte etwas zur Diskussion über das Thema
„soziale Gerechtigkeit“ in Ihrer Partei sagen. Schauen
Sie sich doch einmal das Wohngeldgesetz im Detail an:
geringere anzuerkennende Höchstbeträge für Miete und
Belastung, Wegfall des degressiven Familienfreibetrages, Verringerung der pauschalen Abzüge vom Einkommen. Jeder, der behauptet, dies werde unterm Strich
besonders den Rentnern, den Alleinerziehenden und den
Empfängern von Transferleistungen besonders weh tun,
hat recht. Eine Partei, die den Anspruch erhebt, eine
Partei der sozialen Gerechtigkeit zu sein, darf eine solche Politik nicht für sich in Anspruch nehmen.
({2})
Unter diesem Gesichtspunkt ist es nicht verwunderlich, daß der Fachausschuß des Bundesrates diese Superwohngeldregelung dieses Superministers ohne Gegenstimme vom Tisch gewischt hat. Ich teile die Befürchtung, daß sie auch im Plenum des Bundesrates
nicht verabschiedet wird. Für das, was dann passiert,
gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, daß
wir ein zusätzliches Finanzloch von 2,6 Milliarden DM
haben. Dieses Finanzloch würde wieder zu Lasten von
Investitionen gehen, die schon in erheblichem Umfang
gesenkt wurden. Die zweite Möglichkeit wäre, daß die
Wohngeldnovelle erneut scheitert. Dies ist das letzte,
was wir brauchen.
({3})
Der Direktor des Deutschen Mieterbundes, FranzGeorg Rips - es handelt sich um Ihre ehemaligen politischen Freunde; wessen Parteibuch er hat, das wissen
wir -, hat gesagt:
Das Bonner Sparpaket mit drastischen Kürzungen
und Streichungen in der Wohnungspolitik ist eine
einzige Enttäuschung. Der soziale Wohnungsbau
steht vor dem Aus, und die längst überfällige und
immer wieder versprochene Wohngelderhöhung
wird auch nicht kommen.
Ein sehr mutiges Wort von ihm:
Die zahlreichen Versprechen vor und nach der
Wahl werden von der Bundesregierung nicht eingehalten.
Das sagt der sozialdemokratische Direktor des Deutschen Mieterbundes.
Herr Kollege Kansy,
schauen Sie bitte einmal auf die Uhr. Es ist nicht nur ein
neuer Tag, auch Ihre Redezeit ist vorbei.
Falls Ihnen
das immer noch nicht zu denken geben sollte, meine
Kolleginnen und Kollegen:
Der Rückzug des Bundes aus einer aktiven, kontinuierlichen und stetigen Wohnungspolitik wird
Konsequenzen haben.
Allerdings!
Vielen Dank.
({0})
Frau Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, Sie haben jetzt für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir hören uns den ganzen Tag über SanktFlorians-Reden an: Sparen ja, aber doch bitte nicht in
meinem Ressort!
({0})
Wir hören sie von dieser und von der anderen Seite der
Opposition, vor allen Dingen aber von denjenigen, die
vier Jahre lang den schlanken Staat gepredigt haben.
({1})
Heute fragen sie uns nur nach mehr Staatsknete.
({2})
Eigentlich sollten doch gerade Bau- und Verkehrspolitiker wissen, daß man mit einer solchen Form von Politik keinen Blumentopf gewinnen kann. Wir wissen
ganz genau, daß wir langfristig denken müssen. Schon
um unsere Investitionsaufgaben auch in den nächsten
Jahren noch erfüllen zu können, müssen wir gemeinsam
ein existentielles Interesse daran haben, daß die Haushaltssanierung auf den Weg gebracht wird.
({3})
Den Kopf in den Sand zu stecken, nutzt da überhaupt
nichts.
Wenn Sie, Herr Kollege Kansy, und andere hier so
vollmundig reden, muß ich Sie darauf hinweisen, daß es
Ihre Regierung war, die durch die milliardenschweren
Sonderabschreibungen Ost die Staatsfinanzen so weit
hinunter gefahren hat, daß wir jetzt mit leeren Taschen
dastehen. Das sollten Sie jetzt endlich einmal eingestehen. Herr Stoiber hat es bereits eingestanden, als er gemerkt hat, daß er die Sonderabschreibungen sogar noch
bis in den Defizitbereich hochgeschraubt hatte. Wir
müssen also einmal Tacheles darüber reden, woher die
ganze Situation kommt.
({4})
Sie werfen uns vor, daß wir während der Koalitionsverhandlungen und in der Wahlkampfzeit noch einige
Illusionen darüber hatten, was wir mit dem Haushalt
machen könnten.
({5})
Das gebe ich zu; das wissen wir, und das wissen Sie.
({6})
Aber dann sollten Sie jetzt auch anerkennen, daß wir
trotz der Sparzwänge, die Sie uns hinterlassen haben,
nicht nach der Rasenmähermethode gekürzt haben, sondern sehr wohl darauf geachtet haben, daß wir die politisch wichtigen Ziele im Auge behalten. Die Städtebauförderung ist nicht gekürzt worden, das Programm „Soziale Stadt“ - Herr Minister hat es vorhin schon dargestellt - ist überhaupt erst neu eingeführt worden. Es ist
schön, daß Sie auf die ARGE Bau verweisen; aber sie
hat das Geld nicht gefunden. Wir haben uns darum bemüht.
({7})
Ferner geht das CO2-Minderungsprogramm weiter, der
Kreditrahmen für das Wohnraummodernisierungsprogramm Ost wird noch einmal aufgestockt. Sie sehen, wir
nehmen unser Ziel, die Förderung stärker auf den Bestand auszurichten, sehr ernst. Bei dieser wichtigen Aufgabe gibt es keine Abstriche.
Zu Frau Kollegin Ostrowski muß ich noch sagen, daß
wir nicht auf Neubau, sondern auf Bauinvestitionen angewiesen sind, um die Bauwirtschaft zu erhalten. Die
Investitionen können sehr wohl im Bestand vorgenommen werden. Dort bringen sie sogar noch mehr Arbeitsplätze. Diesen Unterschied sollten wir deutlich sehen.
({8})
Zum Thema Wohngeld. Es ist wirklich ein Skandal,
wie CDU/CSU und F.D.P. mit diesem Thema umgehen.
Mehr als vier Jahre lang haben sie die Wohngeldreform
versprochen, aber nicht auf die Reihe gebracht, weil sie
gleichzeitig stets vom schlanken Staat geredet haben.
({9})
Jetzt legen Sie uns einen Antrag auf den Tisch, den Sie
seinerzeit mit Ihren 250 Millionen DM nie und nimmer
hätten finanzieren können.
({10})
Dann mobilisieren Sie auch noch gegen die einzig realistische Finanzierungsform, die es heute gibt - hören Sie
zu, Herr Kansy! -, die wir uns mit Mühe und nicht aus
Daffke und mit Vergnügen ausgedacht haben, nämlich
die Absenkung der Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage.
({11})
Ich fordere Sie von der CDU/CSU und auch Sie von der
F.D.P. auf, während der Beratungen des Haushalts und
des Haushaltssanierungsgesetzes zu erklären, wie Sie die
Wohngeldnovelle, die wir eigentlich alle gemeinsam
wünschen, bezahlen wollen.
({12})
Sie wissen ganz genau, daß Sie über den Vermittlungsausschuß jetzt mit im Verfahren sind und sich nicht um
die Antwort drücken können, auch wenn Sie hier noch
so großartige Reden halten.
({13})
- Den Vorschlag haben wir gemacht. Ja, es wäre gut,
wenn Sie das mittragen würden. Wenn Sie diesen Vorschlag nicht mittragen wollen, dann möchte ich hören,
wie Sie den einkommensschwachen Haushalten erklären
wollen, daß kein Geld übrig ist, weil ein Haushalt mit
240 000 DM Jahreseinkommen nicht auf 5 000 oder
8 000 DM Eigenheimzulage verzichten soll. Das müssen
Sie den Menschen erklären, wenn Sie der Wohngeldnovelle, die wir jetzt auf den Weg bringen, nicht zustimmen wollen.
({14})
Bei allem Gejammer darüber, daß Ihnen die Novelle
nicht gefällt, sollten Sie sich Ihren Antrag durchlesen.
Die Reform bringt zumindest für die westdeutschen
Haushalte - die ostdeutschen werden gegenüber dem
jetzigen Status nicht wesentlich bessergestellt; da sollte
man nichts versprechen - im Durchschnitt 83 DM mehr
im Monat. Das sind keine Peanuts, sondern das ist ein
echter sozialpolitischer Fortschritt.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Sie werden im Bundesrat mit darüber entscheiden, ob
die Wohnverhältnisse und Wohnkosten der einkommensschwachen Haushalte in dieser Situation endlich
verbessert werden. Mehr als eine Million Haushalte
warten dringend auf diese Entlastung. Im Interesse dieser Menschen fordere ich Sie auf, in dieser Frage endlich die Polemik zu lassen und sich der Verantwortung,
die Sie mit tragen, nicht zu entziehen. Denn wenn die
Wohngeldnovelle scheitert, können Sie noch so sehr reden: Dann werden Sie dafür mit haftbar gemacht.
({16})
Ich habe von der Wohngeldreform und vom Tabellenwohngeld gesprochen. Jetzt sage ich einen Satz zur
Finanzierung des pauschalierten Wohngelds.
Diese Frage muß im weiteren Verfahren zwischen
Bund, Ländern und Kommunen geklärt werden. Das ist
ein Finanzproblem, das so gelöst werden muß, daß die
Finanzierung keinen der Beteiligten überfordert. Der Finanzminister hat als Gegenfinanzierung vorgeschlagen,
die Kappung des Anstiegs der Beamtenbesoldung und
der Pensionen einzubringen.
({17})
- Moment. - Wem das nicht ausreicht, der muß entweder andere oder ergänzende Vorschläge dazu machen
und darf nicht einfach nur über das Sankt-FloriansPrinzip sprechen. Da muß dann endlich Butter bei die
Fische kommen, auch von Ihrer Seite.
({18})
Nur Lamentieren nützt überhaupt nichts. Hier muß eine
Lösung gefunden werden.
({19})
- Nein, das ist kein Unding, das ist einfach die Realität.
Sie werden im Verfahren des Vermittlungsausschusses
merken, wo Ihre eigenen Verantwortlichkeiten liegen.
Aber ich möchte noch zu einem anderen Thema
kommen. Gerade wenn ich mir die Presseerklärungen
der letzten Zeit von der Seite der CDU/CSU und der
F.D.P. anschaue, fühle ich mich in die wohnungspolitischen Debatten der 70er Jahre zurückversetzt: „Masse
macht Masse“; - „Mehr Geld, mehr Wohnungsfertigstellungszahlen“. In der Praxis - darauf hat Herr Minister Müntefering vorhin sehr deutlich hingewiesen - hat
die Wohnungspolitik inzwischen ganz andere Probleme,
und das wissen Sie auch sehr gut. Es geht überhaupt
nicht mehr um die quantitative Frage, mehr und mehr
Wohnungen herzustellen, sondern es geht um die qualitative Frage: Wie können wir in den Städten die soziale
Lage stabilisieren, bzw. wie verhindern wir weitere Destabilisierungen?
Tatsache ist: Wir haben keinen Bevölkerungszuwachs, und wir haben keinen größeren Nachholbedarf
an Wohnungen und Wohnflächen. Statt dessen haben
wir - auf der einen Seite durch die Arbeitslosigkeit und
wachsende soziale Distanzen, auf der anderen Seite
durch die extensive Neubaupolitik, die Sie betrieben haben, insbesondere durch die Steuerabschreibungen, die
es erlaubt haben, sich auf Null herunterzurechnen Überangebote. Das Problem ist nicht durch das Warten
auf den nächsten Schweinezyklus aus der Welt zu schaffen, sondern damit ist die Gefahr verbunden, daß unsere
Städte räumlich, siedlungsmäßig und sozial auseinanderdriften: Die einkommensstarken Haushalte gehen in
den Speckgürtel, und die Haushalte mit den sozialen
Problemen und den niedrigen Einkommen bleiben in
den Städten. Insofern hängt mit Ihrer schicken Politik
der Überangebote zusammen, daß wir in den Städten
zunehmend soziale Probleme bekommen. Ich glaube,
wir alle wollen keine amerikanischen Verhältnisse.
({20})
Von daher ist für uns die Verbindung des Programms
„Soziale Stadt“ mit der Städtebauförderung einerseits
und die Stadterneuerung mit der Reform des sozialen
Wohnungsbaus andererseits mit mehr Bestandsorientierung in dem Bereich und mehr Integration mit städtebaulich-räumlichen Aspekten ein wichtiges Ziel, das die
Koalition auf den Weg bringen wird, statt einfach nur
nach Fertigstellungszahlen zu schielen.
Dazu gehört auch die ökologische Dimension, die
uns wichtig ist. Auch die Energieeinsparverordnung und
die Ökosteuer werden wir - auch wenn Sie das nie hören
wollen - auf den Weg bringen, wodurch die Bauwirtschaft wesentlich mehr Beschäftigung erhalten soll, als
es beim Neubau der Fall wäre.
({21})
Letzter Satz. Wir warten auf Ihre Beiträge zu diesen
Problemen, statt von Ihnen immer nur billige Forderungen nach Geld und Quantität zu hören, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition in beiden Richtungen. Warten wir nicht auf den nächsten Schweinezyklus.
Ein Wort zum Schluß. Herr Minister Müntefering, ich
möchte mich bei Ihnen für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Im Unterschied zu den anderen Kollegen, die Ihnen immer nur persönlich Glück wünschen ich halte es schon für ein wenig mißgünstig, wie sich die
Opposition verhält -, wünschen wir Ihnen nicht nur persönlich, sondern insbesondere auch für Ihre neue Aufgabe: Glück auf!
({22})
Das Wort hat der
Kollege Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich Sie,
Herr Bundesminister, richtig verstanden habe, haben Sie
ausgeführt, Sie würden in die drei großen Verkehrsträger im kommenden Haushaltsjahr 500 Millionen DM
mehr investieren. Ich kann diese Zahl nicht nachvollziehen. Sie haben dabei auf den Haushalt verwiesen; in einer Vorlage aus Ihrem eigenen Hause kann ich jedoch
anderes nachlesen: Von der in der mittelfristigen Finanzplanung von 2000 bis 2003 vorgesehenen Summe
werden bei den Straßen jährlich 149 Millionen DM im
konsumtiven und 200 Millionen DM im investiven Bereich, 100 Millionen DM bei der Bahn - ab 2001 jährlich 214 Millionen DM - und 113 Millionen DM bei den
Wasserstraßen eingespart. Das geht so weiter; ich spare
mir jetzt das übrige zur mittelfristigen Finanzplanung.
Ich habe im Einzelplan 12 nachgesehen und mir die
Kapitelabschlüsse vergegenwärtigt. Dabei mußte ich
feststellen, daß ausweislich der Zahlenangaben im Kapitel 12 22 „Eisenbahnen des Bundes“ tatsächlich eine
Steigerung der Investitionen von 99 Millionen DM gegenüber 1999 und bei den Bundeswasserstraßen von sage und schreibe 60 Millionen DM vorgesehen ist, aber
dafür bei den Bundesstraßen eine Minderung um
98 Millionen DM festzustellen ist. Insgesamt kürzen Sie
beispielsweise im Kapitel 12 10 „Bundesfernstraßen“
238 Millionen DM gegenüber dem Haushaltsjahr 1999.
Dort ist ja auch bereits im vergangenen Jahr gekürzt
worden.
({0})
Soweit habe ich das auf die Schnelle feststellen können. Die von Ihnen gemachten Angaben kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Sie scheinen dort Nebelkerzen zu werfen, da diese Angaben nicht mit der Realität
übereinstimmen. Im Gegenteil ist es so, daß weniger in
die Verkehrswege investiert wird, obwohl wir mehr Investitionen bräuchten.
({1})
Dazu möchte ich anmerken, daß Sie für meine Begriffe die Verkehrspolitik immer sehr realistisch und
vergleichsweise ideologiefrei darstellen, so daß man diesen Teil Ihrer Politik querschreiben kann. Nur die Ergebnisse kann man nicht querschreiben, weil die Ergebnisse nicht dem entsprechen, was hier gesagt und angekündigt worden ist.
Dieses ganze Sparprogramm wird als Zukunftsprogramm dargestellt. Es wird dabei aber an der falschen
Stelle gespart. Man sollte nicht so einfältig sein, sparen
zu wollen, weil man Sparen zur Tugend erhebt, sondern
man muß immer schauen, wie man insgesamt die
volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit und damit auch
die Einnahmesituation des Staates und der öffentlichen
Hände verbessern kann. Hier wird keine Vorsorge für
die Zukunft getroffen, sondern die Zukunft gefährdet,
weil nicht mehr Wachstum und Beschäftigung generiert
werden, sondern Wachstum und Beschäftigung vielmehr
gefährdet werden. Direkt und indirekt werden Arbeitsplätze gefährdet, und vor allen Dingen werden Entwicklungschancen in peripheren Gebieten und in den
ländlichen Räumen, aber auch in innerstädtischen Bereichen gefährdet. Wir bekommen ja reihenweise Pressemeldungen, daß Bürger Ortsumgehungen fordern, daß
nichts mehr geht und so weiter.
({2})
- Nein, der Bundesminister selber, Herr Kollege
Schmidt, hat doch darauf hingewiesen, daß der Unterhaltsbedarf immer größer wird. Ich kann auch hier noch
einmal Aussagen des Ministeriums selber zitieren, daß
begonnene Maßnahmen noch durchgeführt werden können, die Priorität beim Ausbau Ost fortgesetzt wird, aber
- so geht es dann weiter - zur Sicherung von Substanz
und damit der Funktionsfähigkeit der Bundesfernstraßen
die Ausgaben für die Erhaltung Vorrang vor weiteren
neuen Ausbauvorhaben haben.
({3})
Im Klartext heißt das: Im Neubau geht nichts mehr, da
es schon schwierig genug ist, überhaupt die Substanz zu
erhalten. Damit wird auch unsere volkswirtschaftliche
Leistungsfähigkeit und damit unsere Zukunft gefährdet.
Wir können auch nicht eine Politik betreiben, die den
Individualverkehr in die Enge treibt. Darauf kann man
auch nicht setzen.
Damit bin ich beim nächsten Thema, nämlich bei der
Ökosteuer. Sie ist vorhin schon angesprochen worden.
Was sich hier abspielt, ist eine Politik gegen die peripheren Gebiete, gegen das flache Land, gegen die kleinen
Leute und gegen die sozial Schwachen; auch das muß
man hier sagen.
({4})
Der Kollege Fischer - ich glaube, er war es - hat vorhin schon darauf hingewiesen, daß der Benzinpreis mit
diesen Stufen der Ökosteuerreform in wenigen Jahren
bei über 2,10 DM bzw. 2,20 DM angekommen sein
wird. Damit haben sich die Grünen dann schon fast zur
Hälfte durchgesetzt.
Die Bundesregierung steht hier selbst in größten Widersprüchen. Erst vor kurzem habe ich vernommen, daß
der Bundeswirtschaftsminister sehr wohl günstige Energiepreise für den Standort Deutschland haben wollte.
({5})
Sie verschlechtern einen weiteren Standortfaktor zu Lasten und zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Ich meine damit insgesamt Ihre Politik der Besteuerung von Energie und der damit verbundenen Kostenerhöhung. Wenn Sie die Einnahmen wenigstens zur Senkung der Lohnnebenkosten verwenden würden. Aber
das ist ja nicht der Fall. Sie verwenden nur einen Teil für
diesen Zweck. Sie haben sich bei jeder Stufe eine Reserve von 1,6 Milliarden DM bzw. 1,7 Milliarden DM
zugelegt.
Nach Ihren Vorschlägen senken Sie die Lohnnebenkosten im Jahre 2001 um 0,2 Prozent. Das sind ungefähr
3,4 Milliarden DM. Aber Sie kassieren 5,1 Milliarden
DM plus Mehrwertsteuer zusätzlich. So stellt es sich
dar, wenn man sich Dinge genauer ansieht.
Leider läuft mir die Zeit davon. Ich habe nur wenige
Minuten Redezeit zur Verfügung.
Es muß die Leute schon sehr geschockt haben - auch
die tüchtigen Mitarbeiter im Verkehrsministerium -, daß
sie den größten Feind aller Verkehrspolitik, weil er vor
Ideologie gar nicht anders denken kann, nämlich den
Herrn Trittin, vorübergehend als Verkehrsminister ertragen müssen. Ich würde mich gar nicht trauen, so etwas
zu sagen, wenn nicht ausgerechnet „Der Spiegel“ am
12. Juli 1999 über ihn getitelt hätte: Der Rüpel vom
Dienst. - Gestern hat er hier in der Debatte diesem Titel
alle Ehre gemacht. Ich will mich nicht länger damit aufhalten.
Das Thema Wohngeldverschiebung zu Lasten der
Kommunen ist bereits angesprochen worden. Es ist unerträglich, wie Sie hier die Last wegschieben wollen und
das dann auch noch als Sparerfolg für den Bund verkaufen. Der Herr Schleußer, der Städtetagspräsident, auch
Ihrer Partei angehörend, und viele andere haben bereits
massivsten Widerstand angekündigt, so daß wir davon
ausgehen können, daß diese Belastung auf die Kommunen nicht zukommen wird. Das macht für jeden einzelnen Landkreis im Durchschnitt eine Mehrbelastung von
etwa 1,5 bis 2 Millionen DM aus, die dann von den
Kommunen getragen werden müßte.
Herr Minister, meine Vorrednerin hat Ihnen schon
gedankt. Sie hat Ihnen noch etwas mehr gewünscht, als
ich Ihnen wünschen kann. Da ich Berichterstatter und
von den Haushaltsberichterstattern wohl der einzige bin,
der in dieser ersten Lesung spricht, darf ich Ihnen im
Einverständnis mit allen Berichterstatterkollegen zum
Einzelplan 12 persönlich alles Gute wünschen. Daß Ihnen der Kollege Rübenkönig und der Kollege Schütz für
Ihr neues Amt mehr Erfolg wünschen als ich, ist verständlich. Das will ich nicht so sehr tun, damit es nicht
zu sehr zu unseren Lasten geht. Aber das wird hoffentlich auch nicht eintreten.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der
Kollege Dieter Maaß, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die bisher gehaltenen Reden zur
Einbringung des Haushalts 2000 haben deutlich gemacht: Die von uns Sozialdemokraten geführte Bundesregierung macht Ernst mit dem Abbau der Staatsverschuldung,
({0})
einer Verschuldung in einer Größenordnung von fast
1 500 Milliarden DM. Sie, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU und der F.D.P., tragen dafür die Verantwortung. Sie sollten dies bedenken, wenn Sie Kritik
an unserem Haushaltsentwurf üben. Das strukturelle
Haushaltsdefizit, das uns die Regierung Kohl nach
16 Jahren hinterlassen hat, läßt uns keinen anderen
Ausweg, als mit der Haushaltskonsolidierung unverzüglich zu beginnen, und zwar in einer solidarischen
Gemeinschaftsanstrengung. Das wissen auch Sie, meine
Damen und Herren von der CDU/CSU. Sie haben nur
nicht den Mut, den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit zu sagen.
({1})
Um es gleich vorweg zu sagen: Wir werden im Haushalt 2000 im Bereich Bau- und Wohnungswesen
2,4 Milliarden DM einsparen. Sie können versichert
sein: Wir hätten es gerne anders gehabt. Denn Zuwachs
zu verteilen ist allemal leichter, als mit Einsparungen eine möglichst hohe Effizienz zu erzielen und dabei den
Maßstab von Solidarität und Gerechtigkeit nicht preiszugeben.
({2})
Darum will ich darauf hinweisen, daß in diesem Teil
des Haushaltes für den Investitionsbereich 5,4 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Wir haben auch nicht die
Absicht, aus der Förderung des sozialen Wohnungsbaus auszusteigen. Wir erhalten den sozialen Wohnungsbau und fördern ihn mit 600 Millionen DM. Erhalten bleiben auch die bisherigen 600 Millionen DM
für die Städtebauförderung. Wir alle hier wissen, wie
viele private Investitionen gerade diese Förderung mobilisieren kann.
Eine wichtige Aussage in unserem Regierungsprogramm ist der Hinweis auf einen innovativen Einsatz
von Finanzmitteln. Das Projekt „Soziale Stadt“ ist ein
wichtiger Ansatz, um den Verfall von bestimmten
Wohnquartieren zu stoppen.
({3})
Hier gilt es, Förderprogramme von Bund, Ländern und
Gemeinden zusammenzuführen und diese finanzielle
Kraft so zu bündeln, daß wir ein gutes städtebauliches,
vor allem aber ein sozial gerechtes Ergebnis erzielen
können. Nordrhein-Westfalen und Hamburg, zwei Bundesländer mit sozialdemokratisch geführten Regierungen,
({4})
haben auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet.
Ich möchte Ihnen dazu Beispiele aus NordrheinWestfalen nennen: Im nördlichen Ruhrgebiet hat die
Internationale Bauausstellung Emscherpark zwei
Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf beispielhaft gefördert, nämlich Duisburg-Marxloh, einen Stadtteil am Rande der Stahlindustrie im Duisburger Norden,
und Gelsenkirchen-Bismarck, eine jahrzehntelang intakte Bergbausiedlung, solange die Zeche im Herzen
dieses Stadtteils noch Kohle gefördert hat. Beide Stadtteile, der Stahlstandort Duisburg und die Bergbausiedlung Gelsenkirchen-Bismarck, sind durch massive Arbeitsplatzverluste von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt worden. Beide Wohnviertel zeichnen sich
durch eine hohe Arbeitslosenquote - sie liegt bei etwa
20 Prozent - und durch einen enorm hohen Ausländeranteil aus.
Hier hat die Internationale Bauausstellung Emscherpark Projekte auf den Weg gebracht, die eine Stadtteilerneuerung unter Berücksichtigung der Wünsche und
Möglichkeiten der Menschen erlauben, gekoppelt mit
Angeboten zur Qualifizierung und Beschäftigung sowie
mit Initiativen zur Förderung von Handel und Handwerk
in diesen Stadtteilen.
({5})
An diesen gelungenen Projekten orientiert sich unser
Programm „Soziale Stadt“. Dafür werden wir im Haushalt 2000 insgesamt 100 Millionen DM zur Verfügung
stellen.
({6})
Das sind 100 Millionen DM, die mit Geldern aus anderen Förderprojekten gekoppelt werden. Insgesamt löst
dieses Programm ein Volumen von 300 Millionen DM
aus. Weiterhin sind dies 100 Millionen DM, die wir zusätzlich zu den schon genannten 600 Millionen DM für
die Städtebauförderung in den Haushalt einstellen.
An dem Ziel orientiert, die Bundesfinanzen zu sanieren und gleichzeitig möglichst viele Finanzmittel für Investitionen zur Verfügung zu haben, verweise ich auf
das Programm für Wohnraummodernisierung in den
neuen Ländern bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das bewährte Modernisierungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau wird mit einem Gesamtvolumen in Höhe von 10 Milliarden DM eine modifizierte
Neuauflage erhalten. Der Zinsvorteil beträgt bis zu
2 Prozent. Wie Sie wissen, sichert und schafft dieses
Programm Arbeitsplätze in den mittelständischen Unternehmen. Allerdings wollen wir, daß sich die Länder an
den Zinslasten zur Hälfte beteiligen.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser
Stelle auch über das Wohngeld reden. Auf eine Wohngeldnovelle warten die Länder, die Städte und Gemeinden und auch die Verbände seit gut neun Jahren vergebens, obwohl die Mietpreissteigerungen bei 30 Prozent
lagen. Drei Minister der vorigen Regierung haben sich
erfolglos daran versucht. Ich danke Franz Müntefering
dafür, daß er dieses Problem angepackt hat.
({7})
Das Wohngeld ist im Reformstau der Regierung Kohl
steckengeblieben. Wir werden die angekündigten Reformen zum Wohngeld im nächsten Jahr auf den Weg
bringen, damit sie im Jahre 2001 wirksam werden. Die
Wohngeldleistungsnovelle hat ein Gesamtvolumen von
rund 1,4 Milliarden DM. Dafür wird der Bund zusätzlich
700 Millionen DM zur Verfügung stellen, wie wir Sozialdemokraten es lange gefordert haben.
Die abgewählte Regierung Kohl hat es jahrelang versäumt, das Tabellenwohngeld an die tatsächliche Mietentwicklung anzupassen. Wir beseitigen diese soziale
Schieflage.
({8})
Außerdem wird das Wohngeld in Ost und West angeglichen. In diesem Fall heißt das: Die Nachteile für Wohngeldempfänger im Westen werden beseitigt.
Pauschaliertes Wohngeld, das Empfängern von Sozialhilfe zusteht, soll sich künftig im Sinne der Gleichbehandlung nach den gleichen Regeln richten wie bei
Empfängern des Tabellenwohngelds. Für das pauschalierte Wohngeld geht ab 1. Januar 2000 die finanzielle
Verantwortung auf die Länder und Gemeinden über.
Damit nehmen wir die bisherige Mischfinanzierung zurück, ohne daß sich daraus rechtliche Nachteile für den
berechtigten Personenkreis ergeben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
werfen uns vor, dies sei ein Verschiebebahnhof.
({9})
Ordnungspolitisch ist das jedoch eine richtige Entscheidung.
({10})
Städte und Gemeinden werden zwar stärker in die
Verantwortung genommen,
({11})
doch wird der finanzielle Mehraufwand durch wirksame
Entlastungen ausgeglichen. Finanzminister Eichel hat
vorgestern an dieser Stelle darauf hingewiesen. Er
nannte die zu erwartenden Steuermehreinnahmen, die
Verbesserung bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik und
die Entlastung bei der Sozialhilfe.
({12})
Ich wollte in diesem Zusammenhang einige Ausführungen zu den vorliegenden Wohngeldanträgen von
CDU/CSU und PDS machen, aber die Anträge sind,
meine ich, durch unsere Wohngeldnovelle erledigt. Sie
werden noch in den Ausschüssen beraten.
Meine Damen und Herren, trotz des Sparzwanges erhalten wir die Eigenheimzulage als Beschleuniger der
Bildung von Wohneigentum. Doch wir werden die Einkommensgrenzen senken. Bisher erhalten Ledige bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 120 000
DM und Verheiratete bei 240 000 DM diese Zulage. Wir
meinen, bei Einkommen in dieser Höhe muß der Staat
den Kauf von Wohneigentum nicht fördern. Wir wollen
uns darauf konzentrieren, Familien mit geringerem Einkommen beim Bau und beim Kauf von Eigenheimen
und Eigentumswohnungen unter die Arme zu greifen,
und senken diese Einkommensgrenzen auf 80 000 DM
bzw. 160 000 DM. Für jedes Kind kommen 10 000 DM
hinzu.
Damit fördern wir weiterhin gezielt Familien in
Deutschland. Die Durchschnittsfamilie, ein Ehepaar mit
zwei Kindern und 15 000 DM oder weniger Monatseinkommen, bekommt als Bauherr auch künftig die Eigenheimzulage. Sie sehen: Auch bei notwendigen Sparmaßnahmen sorgen wir für soziale Ausgewogenheit.
Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren habe
ich die Einbringung des Haushaltes stets dazu genutzt,
die Fertigstellung des Schürmann-Baus - richtiger: des
Gebäudes an der Kurt-Schumacher-Straße in Bonn - zu
fordern. Jetzt wird dieses Bauwerk fertiggestellt und einer wirtschaftlichen Nutzung zugeführt. Die „Deutsche
Welle“ wird hier eine neue Bleibe finden. 610 Millionen
DM sind dafür einschließlich der Planungskosten im
Haushalt eingestellt.
Ich stelle fest: Hier haben sich die Baupolitiker fraktionsübergreifend durchgesetzt. Das ist sicher ein gutes
Beispiel für die weiteren Beratungen über den Haushalt.
Schönen Dank, meine Damen und Herren.
Auch ich möchte mich bei Minister Franz Müntefering recht herzlich bedanken. Lieber Franz, ich wünsche
dir alles Gute. Du hast dieses Ministerium elf Monate
hervorragend geleitet, dafür hat die CDU/CSU noch
zwei Mann gebraucht, während du das alleine gemacht
hast. Ich wünsche dir persönlich alles Gute und natürlich
beruflichen Erfolg. Ich stehe hinter dir.
Danke schön.
({13})
Kompliment, Herr
Kollege Maaß, Sie sind der einzige, der noch reichlich
Zeit gehabt hätte.
Letzter Redner in dieser langen Debatte ist der Kollege Gert Willner, CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Auch Sparen muß man können, und zum
Sparen muß sich Wachstum gesellen. Richtiges Sparen
heißt sparen am Konsum, aber nicht an Investitionen.
Dieter Maaß ({0})
Infrastrukturinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen
für Deutschland, für den wirtschaftlichen, sozialen und
gesellschaftlichen Standort Deutschland.
Herr Minister Müntefering, Sie begehen einen schweren Fehler, weil Sie bei Investitionen auf die Bremse
treten und keine Signale setzen, wie Sie den Verkehrszuwachs bewältigen wollen. Wer die Mineralölsteuer
erhöht, muß auch etwas für den Verkehr abzweigen. Sie,
Herr Minister, hätten die Macht gehabt, sich gegenüber
dem Finanzminister durchzusetzen. Sie haben das nicht
getan. Sie haben statt dessen wichtige Investitionsmaßnahmen falschen Sparzielen preisgegeben.
Das wird im sozialen Wohnungsbau ganz deutlich.
Sie reduzieren den Verpflichtungsrahmen der Bundesfinanzhilfen binnen zwei Jahren um 60 Prozent. Das ist in
der Tat ein radikaler Einschnitt, so daß man sehr wohl
von einem Steinbruch für die rotgrüne Sparpolitik sprechen kann,
({1})
und das, obwohl Sie noch vor der Wahl für eine deutliche Erhöhung des gesetzlichen Mindestrahmens eingetreten sind. Wir werden in den Beratungen Korrekturen
beantragen.
Sie verhindern durch diese Politik jeden Monat den
Bau von Tausenden neuer Wohnungen und schließen die
Augen vor dem notwendigen Erneuerungsbedarf im sozialen Wohnungsbau. Sie vergessen, daß der Bau von
10 000 neuen Wohnungen Beschäftigungseffekte von
rund 20 000 Arbeitsplätzen mit sich bringt.
Dabei haben Sie noch vor der Wahl vollmundig gesagt, Sie wollten auch den sozialen Wohnungsbau verstärken, und jetzt rufen Sie in der Tat zum Kampf um
die rote Laterne im Wohnungsbau auf; denn auch die
Länder werden selbstverständlich ihr finanzielles Engagement zurückfahren. Ihre Wohnungsbaupolitik, Herr
Minister, führt in die Sackgasse.
Das gilt auch für Ihr Herumbasteln an der Eigenheimzulage. Wir haben seinerzeit in großer Übereinstimmung im Ausschuß mit der Eigenheimzulage gerade
für Familien ein einfaches und wirksames Förderinstrument geschaffen, das von der Bauwirtschaft und von
bauwilligen Bürgern schnell angenommen wurde, weil
es unbürokratisch umgesetzt werden konnte. Die Eigenheimzulage wurde ein Renner in der Bauwirtschaft und
ein stabilisierender Faktor in der Baukonjunktur.
({2})
Im Jahreswirtschaftsbericht 1999 ist zu lesen, daß die
Bundesregierung prüft, wie die Eigenheimförderung
weiterentwickelt werden kann. Eine Herabsetzung der
Einkommensgrenzen ist nun genau das Gegenteil. Die
von Rotgrün geplanten Änderungen der Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage treffen Familien, die ein
sicheres Potential für Eigentumsbaumaßnahmen sind.
Die Kürzungen sind in der Sache nicht gerechtfertigt.
Tausende von Bauwilligen werden auf den eigenen
Hausbau verzichten oder ihn hinausschieben, weil der
Anreiz fehlt. Sie zerstören damit ein hervorragend funktionierendes Programm, das dazu beigetragen hat, daß
auch die Innenstädte wieder mit Wohnungen belebt
werden.
Dies ist ein Beitrag zu einer Stop-and-go-Politik in
der Wohnungswirtschaft, die zur Verunsicherung beiträgt. Wie wollen Sie eigentlich bei einer solchen Verunsicherung der Bauwirtschaft den Aufschwung schaffen? Lassen Sie die Finger von dem funktionierenden
Instrument Eigenheimzulage, und basteln Sie daran
nicht herum!
({3})
Schön wäre es auch gewesen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wenn den Ankündigungen früherer Jahre,
mehr Geld für die Städtebauförderung zu fordern, dieses
Mal Taten gefolgt wären, da ein Ausbau - darin sind wir
uns einig - aus arbeitsmarktpolitischen Gründen sinnvoll wäre.
Jetzt haben Sie auch noch die flexibilisierenden
Haushaltserläuterungen gestrichen, nach denen bisher
Einsparungen beim sozialen Wohnungsbau zugunsten
von Sanierungs- und Entwicklungsgebieten möglich waren. Es ist schon bedauerlich, daß Sie auch hier eine bisher bestehende Gemeinsamkeit aufgegeben haben. Bekanntlich - der Kollege Maaß hat es vorhin schon angedeutet - ist die Städtebauförderung ein anerkanntes Instrument zur Stärkung und Belebung von Innenstädten,
Wiedernutzung von Flächen und Behebung sozialer
Mißstände. Deshalb müssen wir gemeinsam darüber beraten, wie hier mehr Mittel bereitgestellt werden könnten. Aber wir wollen auf jeden Fall die Flexibilität erhalten.
Sie haben vollmundig ein Hundert-Millionen-MarkProgramm „Soziale Stadt“ angekündigt. Wer nun
meint, hier würde angesichts der Volumina, angesichts
der tatsächlichen Mittelbereitstellung effektiv etwas geschehen, der wird enttäuscht sein. Angekündigt ist ein
jährlicher Verpflichtungsrahmen von 100 Millionen
DM. Veranschlagt sind aber für 2000 als kassenwirksamer Betrag nur 5 Millionen DM. Der Rest wird im
Rahmen von Verpflichtungsermächtigungen in den
nächsten Jahren vergeben. Auch hier besteht ein Widerspruch zwischen Reden und Handeln.
Zum Stichwort Wohngeld: Der Kollege Kansy hat
vorhin bereits daran erinnert, daß die SPD vor der Bundestagswahl dem Bürger zugesichert hatte, eine Wohngeldanpassung so schnell wie möglich,
({4})
nämlich spätestens zum 1. Juli 1999 - so nachzulesen in die Wege zu leiten.
({5})
Die Grünen haben sogar eine Rechnung aufgemacht,
Frau Eichstädt-Bohlig, daß Bund und Länder mehr Mittel für eine Wohngeldreform zur Verfügung hätten, sogar ohne zusätzliche Haushaltsbelastung.
({6})
Joschka Fischer sprach von einer Wohngeldreform bereits zum 1. Januar 1999.
Doch das, was jetzt von Rotgrün und von Ihnen, Herr
Minister, auf den Tisch gelegt wird, widerspricht zeitlich
und inhaltlich diesen Ankündigungen und ist in der Tat
eine abenteuerliche Konstruktion. Das sehen auch viele
SPD-Landes- und Kommunalpolitiker so.
({7})
Ich sage es deutlich: Sie mißbrauchen die Wohngeldreform zur Haushaltssanierung.
({8})
Eine Nullquote des Bundes an der Mitfinanzierung
der Wohnkosten für Sozialhilfeempfänger ist schlicht
inakzeptabel. Der schleswig-holsteinische Finanzminister Möller, SPD, hat die Vorschläge von Minister
Müntefering als plumpe Verschiebung bezeichnet.
Städtetagspräsident Hoffmann hat diese rotgrünen Pläne
zu Recht als Armutszeugnis für die Politik der Bundesregierung bezeichnet und festgestellt - hören Sie bitte
gut zu -:
Es ist unseriös, den Städten Lasten für Aufgaben
aufzubürden, die Sache des Bundes sind. Sparen
auf Kosten der Kommunen ist keine Konsolidierung, sondern eine Mogelpackung.
- So Herr Hoffmann, auch SPD-Oberbürgermeister von
Saarbrücken.
Hier muß daran erinnert werden, daß Bundeskanzler
Schröder sein Versprechen gebrochen hat. Er hat vor der
Wahl erklärt, daß mit dem Verschieben von Lasten von
der einen auf die andere Ebene endlich Schluß sein müsse. Und was tut er? - Er verschiebt Lasten auf Länder,
Städte und Gemeinden in einer unvorstellbaren Höhe.
Bis zum Jahre 2003 sind dies insgesamt 9,6 Milliarden
DM. Dies ist eine unvorstellbare Größenordnung. Sie
verschieben diese Lasten in die Sozialhilfe. Dadurch
werden sich die Sozialhilfekosten um 20 Prozent erhöhen. Das verkaufen Sie, meine Damen und Herren, als
Zukunftsprogramm. Verschiebebahnhöfe sind kein Zukunftsprogramm!
({9})
Durch dieses sogenannte Zukunftsprogramm nehmen
der Bundeskanzler und diese rotgrüne Bundesregierung
den Gemeinden und Städten die Luft zum Atmen, nehmen sie den Kommunen die Investitionskraft. Erhöhung
der Gebühren oder Einsparungen bei Schulen, Kindergärten oder anderen kommunalen Einrichtungen sind die
Folge.
Die beim Deutschen Gemeindekongreß in Berlin am
16. September dieses Jahres versammelten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben vor wenigen Stunden
einstimmig, das heißt parteiübergreifend, festgestellt:
Die Kommunen sind nicht die Kolonien und auch
nicht die Ersatzkassen des Staates!
Aber aus Niedersachsen wissen wir, meine Damen
und Herren: Städte und Gemeinden haben Gerhard
Schröder noch nie interessiert.
Auch wesentliche andere Reformziele des Entwurfs
des Wohngeldgesetzes werden nicht erreicht:
Das bezieht sich darauf, daß der Verwaltungsaufwand
für pauschaliertes Wohngeld in nicht vertretbarem Umfang steigt und die geringfügigen Entlastungen beim
Verwaltungsaufwand für das Tabellenwohngeld bereits
durch die Zunahme der Fallzahlen überkompensiert
werden.
Was häufig vergessen wird, ist, daß jedem Wohngeldhaushalt seit Januar 1999 monatlich im Durchschnitt
38 DM entgehen, weil die SPD im vergangenen Jahr den
Vorschlägen der CDU/CSU zur Wohngelderhöhung
nicht zugestimmt hat ({10})
man kann auch sagen: vorsätzlich verhindert hat.
Als ich bei der Vorbereitung des Redetextes in meinen PC bei dem Stichwort „globale Minderausgabe“ die
Frage eingab, wo denn das Geld erwirtschaftet werden
soll, schlug mir mein Computer bei der Überarbeitung
im Rahmen des Korrekturprogramms vor, statt des
Wortes „erwirtschaftet“ das Wort „verwirtschaftet“ zu
nehmen. Fürwahr: Sie erwirtschaften nichts, Sie verwirtschaften - auch Vertrauen der Bürger in die Politik.
({11})
Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Dieser
Haushalt und die mittelfristige Finanzplanung sind Ausdruck einer negativen Bilanz der Amtszeit von Minister
Müntefering. Diese Bilanz ist gekennzeichnet dadurch,
daß Investitionen radikal gekürzt werden. Wer dies tut,
schadet bestehenden und neuen Arbeitsplätzen. Sie haben es nicht geschafft, sich gegen den Bundesfinanzminister durchzusetzen. Sie haben riesige Löcher im Haushalt; denn die pauschalen Minderausgaben sind nicht
belegt, der Verkauf der Eisenbahnerwohnungen aus
1999 ist gestoppt, und zur Verlagerung der Wohngeldkosten haben Sie noch keine Zustimmung im Bundesrat.
Damit wird deutlich: Das gesamte Sparpaket der
Bundesregierung wackelt. Auch Sparen will gelernt
sein, und Wachstum gehört dazu.
Minister Müntefering, hinsichtlich der Wünsche für
Ihr neues Amt schließe ich mich den Kollegen Dietmar
Kansy und Bartholomäus Kalb an.
Damit habe ich meine Redezeit präzise eingehalten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau und Wohnungswesen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird die Überweisung des Antrags
der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/1346 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung beschlossen.
Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich möchte mich ausdrücklich bei all denjenigen
Kolleginnen und Kollegen, die hier bis zuletzt, bis
0.52 Uhr, ausgehalten haben, für ihre Geduld, aber
auch für ihr Temperament bei den Zwischenrufen bedanken.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Freitag, den 17. September 1999,
9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.