Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1a bis 1c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2000
({0})
- Drucksache 14/1400 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Finanzplan des Bundes 1999 bis 2003
- Drucksache 14/1401 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sanierung des
Bundeshaushalts - Haushaltssanierungsgesetz
({1})
({2})
- Drucksache 14/1523 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({3})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die heutige Aussprache im Anschluß an die Einbringung
zehneinhalb Stunden, für morgen zwölf Stunden und
für Freitag viereinhalb Stunden vorgesehen. - Dagegen
erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der
Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 23. Juni hat das Kabinett das Zukunftsprogramm 2000 beschlossen. Es besteht aus dem Haushalt
2000, der mittelfristigen Finanzplanung, den Eckpunkten zur Familienförderung, den Eckpunkten zur Ökosteuerreform und den Eckpunkten zur Unternehmensteuerreform. Zum Gesamtkonzept der Politik dieser
Regierung für diese Wahlperiode gehören aber auch
das bereits in Kraft getretene Steuerentlastungsgesetz
1999/2000/2002 und die Projekte der Rentenstrukturreform sowie der Gesundheitsstrukturreform.
Jetzt geht es um die Umsetzung des Zukunftsprogramms. In der vergangenen Woche haben wir die Steuergesetze in erster Lesung diskutiert: das Familienförderungsgesetz, das Ökosteuergesetz und das Steuerbereinigungsgesetz. Die weiteren werden folgen. Heute diskutieren wir in erster Lesung den Haushalt 2000 und das
Haushaltssanierungsgesetz.
Meine Damen und Herren, welche Ausgangslage haben wir vorgefunden? 1,5 Billionen DM Schulden des
Bundes.
({1})
- Ja, meine Damen und Herren, Sie können es nicht hören, man muß es aber immer wieder sagen.
({2})
Ich bin heute übrigens gar nicht auf Krawall aus ({3})
damit wir uns da gar nicht mißverstehen -, aber ich muß
es sagen.
({4})
- Sie brauchen gar nicht unruhig zu werden.
Ich stelle übrigens eines fest: Bei allen diesen Gelegenheiten gibt es die verschiedensten Arten, dem Thema
auszuweichen. Was da alles an Debatten rechts und links
daneben geführt wird, nur damit man nicht das zentrale
Thema diskutieren muß, ist schon verwunderlich.
({5})
Wir alle werden aber, und zwar im Interesse des Landes,
an diesem Thema nicht vorbeikommen. Denn es geht
nicht nur darum, daß der Bundestag und in der zweiten
Phase auch der Bundesrat Entscheidungen treffen. Bei
dem, was wir vor uns haben, geht es vielmehr darum da spreche ich als Sozialdemokrat; ich meine das sehr
ernst, aus der sehr leidvollen Erfahrung der letzten
Wahlniederlagen -,
({6})
daß die Menschen im Lande verstehen, was wirklich los
ist und warum wir diese Maßnahmen ergreifen müssen.
({7})
Deswegen ist eines noch wichtiger: Wir alle kennen
den Sachverhalt - ob wir ihn auch wahrhaben wollen
und ob wir alle bereit sind, das in unsere politischen
Konzeptionen einzubauen, sind ganz andere Fragen -,
aber noch längst nicht alle Menschen im Lande kennen
ihn. Wir müssen also noch viel mehr mit den Menschen
reden, um zu zeigen, daß das der Zukunftsweg ist und
daß auch manche bittere Pille geschluckt werden muß,
damit wir die Zukunft gewinnen.
({8})
Es gibt also 1,5 Billionen DM Schulden, oder anders
gesagt: Die Verschuldung ist mehr als dreimal so hoch
wie das Haushaltsvolumen des Bundes.
Es ist ganz wichtig, daß das alle lernen, weil es in
Deutschland nur eine einzige Gebietskörperschaft gibt,
die noch schlechter dasteht als der Bund: Das ist das
Haushaltsnotlagenland Bremen. Ich weise in Diskussionen mit Landespolitikern und Kommunalpolitikern auch
meiner eigenen Partei immer wieder darauf hin - das ist
ja nicht so einfach klarzumachen -: Überlegt euch bitte
nur einen Augenblick, wie der Haushalt in eurem Land
und in eurer Kommune aussieht. Wenn ihr ihn mit dem
Haushalt des Bundes vergleicht, dann werdet ihr feststellen, daß niemand einen so schlechten Haushalt wie
der Bund hat, mit Ausnahme von Bremen. Der Bund, für
den die Kriterien des Bundesverfassungsgerichtsurteils
für eine Haushaltsnotlage ebenfalls gelten, hilft Bremen
und dem Saarland allein, während die anderen Länder ich habe mich als Ministerpräsident des Landes Hessen
auch darüber gefreut, keine Zahlungen leisten zu müssen
- mit den Händen tief in den Taschen dastehen. Das
muß klar werden.
Nun sage ich - nicht weil ich Krawall machen
möchte, sondern weil wir eine riesige Aufgabe vor uns
haben, die wir alle bewältigen müssen -: Der größte Teil
von den 1,5 Billionen DM, nämlich 900 Millionen DM der Hinweis darauf war immer richtig; ich habe ihn nie
bestritten; ich habe sogar selber darauf hingewiesen -,
ist Folge der Finanzierung der deutschen Einheit. Herr
Kollege Waigel hat darauf kürzlich in einem Interview
hingewiesen. Das ist richtig. Ich habe das zu jeder Zeit
an dieser Stelle, wenn ich über dieses Thema geredet
habe, auch zugegeben.
({9})
- Nein, wissen Sie, es ist noch etwas anders; seien Sie
vorsichtig.
Ich habe mich über das Interview des Kollegen Waigel - sofern ich es richtig verstanden habe - sehr wohl
gefreut. Er hat nämlich gesagt: Eigentlich haben wir gedacht, wir könnten die Kosten der deutschen Einheit auf
längere Zeit über Generationen verteilen. Wenn Sie
1990 - deshalb rate ich uns allen, mit so harten Begriffen wie „Betrug“, die im Wahlkampf gefallen sind, ganz
vorsichtig umzugehen - nicht gesagt hätten, die deutsche Einheit koste uns nichts,
({10})
sondern den Unterschied klargemacht hätten, daß die
einen die Kosten gleich bezahlen wollten, während die
anderen das der nächsten Generation überlassen wollten,
dann hätte dies zu einem redlichen Wahlkampf 1990 geführt. Deswegen sollte man vorsichtig sein.
({11})
Die 1,5 Billionen Schulden haben unmittelbare Konsequenzen für das, was wir uns noch leisten können.
Diese Schulden bedeuten 82 Milliarden DM Zinsen in
diesem Jahr, Tendenz steigend. Übrigens sage ich immer
wieder: Man führt hier einen Mehrfrontenkrieg. Wer
jetzt nicht eingreift, der wird, wenn er den Weg der
weiteren Staatsverschuldung geht, vielleicht erleben, daß
dann auch noch die Zinsen zusätzlich steigen. Ich
möchte mir bei der momentan hohen Staatsverschuldung
nicht auch noch steigende Zinsen vorstellen müssen. Ich
möchte alles dafür tun, daß die Zinsen im Euroland
niedrig bleiben.
({12})
82 Milliarden DM an Zinszahlungen sind der zweitgrößte Ausgabeposten im Bundeshaushalt. Das gibt es in
keinem anderen Haushalt. Das heißt, Bewegungsfreiheit
ist praktisch nicht mehr vorhanden. Das heißt auch, daß
der Bürger für 100 DM Steuern, die er zahlt, nur noch
Leistungen im Wert von 78 DM erhält. Das ist eine
Grundlage für Staatsverdrossenheit. Nicht weil die
Staatsdiener faul wären, sondern weil so viel Geld für
die Zinsen abgezweigt werden muß, erhalten die Bürger
ihre Leistungen nicht. Das macht sie verdrossen. Das ist
kein gutes Omen für das Verhältnis zwischen Bürgern
und Staat.
({13})
Wir sind nicht mehr in der Lage, einen verfassungsgemäßen Haushalt aufzustellen. Wir brauchen jedes
Jahr 80 bis 85 Milliarden DM für die Zinszahlungen.
Diese Summe übersteigt die diesjährigen Investitionen
um mehr als die Hälfte. Das ist die Lage. Diese Lage
haben Sie in den letzten Jahren durch einen verfassungswidrigen Haushalt im Vollzug ignoriert, übrigens
nicht nur beim Bund. Das war für mich Grund - ich
weiß ja, daß auch die Situation in den Länderhaushalten
nicht gut ist; das bestreite ich gar nicht -, zu sagen: Eine
Steuerreform mit so riesigen Einnahmeausfällen, wie Sie
sie konzipiert hatten, verkraften weder der Bundeshaushalt noch die Länderhaushalte. Eine solche Steuerreform
kann man den Menschen nicht verkaufen - vielleicht im
Wahlkampf; aber sie ist keine verantwortliche Politik.
Deswegen mußten wir eingreifen.
({14})
Wer will sich eigentlich vorstellen, daß ausgerechnet
Deutschland, die größte Volkswirtschaft Europas, erklärt, es könne den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht
einhalten? Als die Italiener eine solche Erklärung abgegeben haben, war das Drama schon groß genug. Das
kann sich die Leitwirtschaft in Europa auf gar keinen
Fall leisten.
({15})
Deswegen müssen wir eingreifen. Der gegenwärtige Zustand ist auch nicht mehr durch Privatisierungserlöse zu
vertuschen. Ich kann verstehen, daß man versucht hat,
über das Wahljahr hinwegzukommen. Aber danach wäre
Schluß gewesen. Im übrigen - das muß man denjenigen
sagen, die immer nur über die jetzt anstehenden Fragen
diskutieren - ist die Überschuldung des Staates die
größte Umverteilung von unten nach oben und die unsozialste Politik.
({16})
Sie alle kennen doch die Situation, die wir vorgefunden haben: Der Normalverdiener, der praktisch sein
ganzes Einkommen zum Leben brauchte, mußte die
meisten Steuern zahlen. Von den vielen Vergünstigungen des Steuersystems, die im Laufe der Zeit massiv
überhand genommen hatten, konnte er gar keinen Gebrauch machen. Ein ähnliches Problem hatten auch die
kleinen und mittleren Unternehmen. Sie haben gezahlt.
Es liegt doch auf der Hand, daß das Geld, das zu den
Banken getragen wird, nicht gerade bei den Sozialhilfeempfängern und bei den Menschen ankommt, die ihr
ganzes Geld zum Leben brauchen und keine Geldanlagen vornehmen können. Deswegen muß mit einer Politik des Marsches in die Staatsverschuldung aus sozialen
Gründen Schluß gemacht werden.
({17})
Der Nachtwächterstaat des 19. Jahrhunderts liegt
hinter uns. Die Bundesregierung will keinen handlungsunfähigen Staat. Wer einen handlungsfähigen Staat will,
wer will, daß der Staat die Schutzmacht der kleinen
Leute ist, wenn sie seine Hilfe brauchen, der muß ihm
aber auch die Kraft dazu geben. Daran fehlt es heute.
({18})
Daß unsere Kinder für das Steuern zahlen, was wir an
Schulden gemacht haben, ist nicht unsere Vorstellung
von der Zukunft unserer Kinder. Deswegen müssen wir
die Konsequenzen ziehen. Unserer Kinder wegen, der
sozialen Gerechtigkeit heute wegen und der Handlungsfähigkeit des Staates heute und in Zukunft wegen müssen wir heraus aus der Schuldenfalle. Dies geschieht
sehr konkret und sehr praktisch. Es führt kein Weg an
einer konsequenten Haushaltskonsolidierung vorbei.
Im Haushalt 2000 machen wir den Anfang. Was vor
vier Monaten noch kaum jemand für möglich gehalten
hat, das haben wir geschafft. Wir legen einen Haushalt
für das kommende Jahr vor, in dem wir in einer gemeinsamen Kraftanstrengung Einsparungen in Höhe von
30 Milliarden DM erzielt haben. Ich sage Ihnen gleich:
Die globalen Minderausgaben mit Ausnahme der Effizienzrenditen, die auch in Ihrem letzten Haushalt enthalten waren, werden alle in der parlamentarischen Beratung noch belegt werden. Sie können sich diesen Einwand sparen.
({19})
Mit dem Haushalt 2000 schaffen wir die Umkehr in
der Finanzpolitik. Sie haben in der Finanzpolitik 16 Jahre lang mehr Geld ausgegeben, als Sie eingenommen
haben. Ein Leben über seine Verhältnisse kann als Dauereinrichtung überhaupt nicht funktionieren.
({20})
Wir haben den Bürgern reinen Wein über den
schlimmen Zustand der Staatsfinanzen eingeschenkt und
die Konsequenzen gezogen. Wir betreiben eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik, die in eine umfassende
finanz-, wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption
eingebettet ist. Der Haushalt 2000 steht für eine ehrliche
Bestandsaufnahme der finanziellen Situation des Bundes. Der Haushalt 2000 steht - ich sage das mit aller
Vorsicht - genauso für den Beginn der Rückgewinnung
der Zukunftsfähigkeit; denn es ist nicht mit einem einmaligen Kraftakt getan. Nur mit einer konsequenten
Politik der Ausgabendisziplin, die Ausgaben langsamer
als die Einnahmen steigen zu lassen, kommen wir aus
der Schuldenfalle heraus. Nur so!
({21})
Der Haushalt 2000 steht für eine Politik, die den Bürgern zwar etwas abverlangt - manchmal auch nicht wenig -, die ihnen aber auch etwas gibt: soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit auch in Zukunft, Generationengerechtigkeit, vor allem aber die Voraussetzungen
für eine konsequente Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Es ist ein Irrglaube, zu meinen, die Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes seien zum Sparen nicht bereit.
Das Gegenteil ist der Fall; alle Meinungsumfragen zeigen das. Ich spüre auch bei jedem Gespräch, das ich fühBundesminister Hans Eichel
re, nicht nur Zustimmung, aber doch ein erhebliches
Maß an Bereitschaft zum Sparen. Viele Menschen
kommen täglich auf mich zu - das gilt auch für Unbekannte - und sagen: Das finden wir richtig; halten Sie
durch; machen Sie so weiter; diesen Weg muß die Regierung gehen.
({22})
Das gilt übrigens auch für viele Ihrer Anhänger. Täuschen Sie sich da nicht!
({23})
Daß das großen Gesprächsbedarf auslöst, das haben
uns die Wahlergebnisse gezeigt, wobei ich übrigens
nicht glaube, daß es allein daran liegt; aber darüber will
ich jetzt nicht philosophieren. Das gilt auch für all jene
Länder - gestern abend konnten Sie einen Film über
Schweden sehen -, in denen die Konsequenzen gezogen
worden sind. Am Anfang war dies politisch nicht einfach; aber der Erfolg hat sich eingestellt, meine Damen
und Herren; das können wir bei unseren europäischen
Nachbarn beobachten. Ich rate sehr dazu, über den deutschen Gartenzaun hinwegzusehen und zur Kenntnis zu
nehmen, was unsere Nachbarn tun.
({24})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, ich glaube, auch Sie wollen, wie die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, das Ziel der Bundesregierung nicht ernsthaft in Frage stellen, so bald wie
möglich einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.
Auch Sie wissen ganz genau, daß es zu unserem Kurs
einer konsequenten Haushaltssanierung keine wirkliche
Alternative gibt.
({25})
Das ist nicht Rechthaberei, wie uns jetzt gelegentlich der
eine oder andere vorwirft. Man kann doch nicht die
schlichten Fakten ignorieren.
({26})
Man kann sich natürlich in jedem einzelnen Fall Alternativen vorstellen. Ob sie schöner als das sind, was wir
vorgeschlagen haben, mag die Debatte ja zeigen. Aber
zu dem grundsätzlichen Kurs „Raus aus der Schuldenfalle“ gibt es wirklich keine Alternative, jedenfalls keine
vernünftige.
({27})
Was Sie bisher an Kritik vorgebracht haben, ist für
mich deshalb erst einmal nicht mehr als Wahlkampfgeplänkel - das wird noch ein bißchen andauern; aber dann
sind die Auseinandersetzungen für diesen Herbst zumindest vorbei -, das nur das Ziel hat, die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Lande zu verunsichern. Wie man
sieht, ist das im Moment ja nicht so ganz erfolglos.
({28})
Ernstzunehmende Anregungen habe ich jedenfalls
von Ihrer Seite nicht vernommen, aber das kann sich ja das hoffe ich - noch ändern. Ich lade Sie ein, konstruktive Arbeit zu leisten und mit uns zusammen auf der Basis unseres Konzeptes Lösungen zu suchen. Ansonsten
sollten Sie wenigstens einen eigenen Vorschlag vorlegen. Sie sind jetzt gefordert und müssen entscheiden, ob
Sie als Opposition an der Gestaltung der Zukunft unseres Landes teilhaben wollen
({29})
oder ob Sie, wie das in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung war, angesichts der riesigen Staatsverschuldung
einfach weiterhin den Kopf in den Sand stecken wollen.
({30})
Ich habe übrigens das „Spiegel“-Interview in dieser
Woche, Herr Kollege Schäuble, wenn es dabei bleibt, so
verstanden, daß Sie durchaus bereit sind, konstruktiv
mitzuarbeiten.
({31})
Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, daß Herr
Kollege Biedenkopf sich schon vor seiner Wahl öffentlich zur Richtigkeit des Kurses der Bundesregierung bekannt hat.
({32})
Ich habe mit großer Freude zur Kenntnis genommen,
daß Herr Kollege Vogel, allerdings erst am Tag nach der
Wahl, sich zur Richtigkeit dieses Kurses bekannt und
gesagt hat, in Thüringen müsse man jetzt genau das machen, was der Bund macht. Das war am Tag nach der
Wahl; aber Erkenntnisse dieser Art kommen ja nie zu
spät.
({33})
Auch die Gespräche, die wir nicht für die Öffentlichkeit führen, zeigen mir - das muß übrigens im föderalen
Staat auch so sein; er steht jetzt nämlich vor seiner Bewährungsprobe -, daß es eine gemeinsame Vorstellung
davon gibt - ich hoffe, daß sich das dann auch in gemeinsamen Entscheidungen wiederspiegelt -, was im
föderalen Staat die Aufgaben des Staates insgesamt, die
Aufgaben der verschiedenen Ebenen und die notwendige Finanzausstattung dafür sind; anderenfalls hätte ich in
der Tat Angst um die Konkurrenzfähigkeit des föderativen Systems der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Europäischen Union. Wir müssen beweisen,
daß der Föderalismus auch in einer solchen Frage zukunftsfähig ist und nicht der Zentralstaat in Europa das
Rennen vor dem Föderalstaat macht.
({34})
Ich glaube allerdings, daß eine Äußerung, die ich gehört habe und die etwa lautete, das Sparpaket werde
immer kleiner, wenn die SPD jetzt noch ordentlich
Wahlen verliere - ich möchte den Kollegen, der das gesagt hat, nicht zitieren, weil ich kein Öl ins Feuer gießen
möchte -, nicht die richtige Einstellung zu dem Thema
zeigt, die wir brauchen.
Wir jedenfalls stellen uns mit unserem Zukunftsprogramm der Verantwortung. Wir werden dafür sorgen,
daß der Bundeshaushalt saniert wird. Natürlich, keiner
spart gerne, und Politiker - das ist schon so im Kampf
um die Gunst der Wähler - geben lieber, als daß sie
nehmen. Aber davon lassen wir uns nicht leiten und
können wir uns auch angesichts der tatsächlichen Verhältnisse nicht leiten lassen. Wir müssen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes im Auge haben. Wir müssen
alle die bittere Medizin eines konsequenten Konsolidierungskurses schlucken, die für die Heilung unabdingbar
ist. Deswegen bleiben wir auf unserem Weg. Das heißt
nicht, daß nicht einzelne Punkte kritisch hinterfragt werden können und sollen. Aber wer bestimmte Maßnahmen nicht will, kann nicht den bequemen Ausweg wählen, einfach zu sagen: Das nicht. Er muß auch sagen,
was an dessen Stelle treten soll. Das Durchmogeln und
das einfache Verneinen hat keine Zukunft.
({35})
Der Schuldenstand des Bundes hat sich in den letzten
16 Jahren verfünffacht, von rund 300 Milliarden DM in
1982 auf 1,5 Billionen DM.
Übrigens, weiß ich nicht, was Ihnen noch alles einfällt; jetzt war es angeblich Helmut Schmidt. Ich habe
heute einen entsprechenden Kommentar in der Zeitung
gelesen. Ich glaube, Herr Kollege Kolbe hat das gesagt.
Das ist so ungefähr das Abwegigste, aber es zeigt Ihre
Not, wie Sie um die 1,5 Billionen DM herumkommen
wollen. Aber Sie kommen nicht darum herum. Stellen
Sie sich ihnen!
({36})
Ich habe darauf hingewiesen, daß die Zinszahlungen
bereits der zweitgrößte Etatposten nach dem Sozialhaushalt sind. Ohne die beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen hätte der Bund eine Haushaltslücke
von 80 Milliarden DM, eine Summe, die fast um die
Hälfte über den Investitionen liegt - ein eklatanter Verstoß gegen das Grundgesetz.
Deshalb haben wir im Bundeshaushalt einen unabweisbaren Konsolidierungsbedarf von 30 Milliarden
DM, der bis zum Ende des Finanzplanungszeitraumes
im Jahr 2003 auf 50 Milliarden DM anwächst, wenn wir
aus der Politik des ständigen Über-unsere-VerhältnisseLebens herauswollen.
Eine derart hohe Staatsverschuldung ist zutiefst ungerecht und gefährdet das demokratische Gemeinwesen.
Deshalb war es höchste Zeit, daß wir das Ruder herumgeworfen haben. Ein solch grundsätzlicher Kurswechsel
kann nicht ohne schmerzhafte Eingriffe abgehen. Bundeskanzler Kohl - das sage ich jetzt zur anderen Seite hat damals gemeint, die deutsche Einheit könne man, ohne daß es jemanden etwas kostet, finanzieren. Das ging
aber nicht. Ich sage jetzt: Auch eine Haushaltskonsolidierung, auch den Weg raus aus der Staatsverschuldung
können wir nicht erreichen, ohne daß es jemand merkt.
Etwas anderes zu behaupten wäre dieselbe Illusion.
({37})
Das geht nicht ohne schmerzhafte Eingriffe. Aber dazu
stehen wir. Denn wer Verantwortung übernimmt, kann
sich die Probleme, die gelöst werden müssen, nicht aussuchen.
Die Haushaltskonsolidierung ist dabei ein wesentlicher Teil unseres Zukunftsprogramms, aber sie ist nicht
das Zukunftsprogramm. Handeln müssen wir auch auf
dem Gebiet von Steuern und Abgaben. Wir haben ein
Steuersystem vorgefunden, das bei hohen Steuersätzen
den gutverdienenden Abschreibungskünstler begünstigte, während der Normalverdiener die meiste Last tragen
mußte, der, der nicht ausweichen konnte, sowie die kleinen und mittleren Betriebe.
Damit nicht genug: Hohe Sozialabgaben sind ein
schwerer Hemmschuh für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Man muß einmal darüber nachdenken, welcher
Zusammenhang besteht zwischen der Tatsache, daß wir
so hohe Sozialabgaben haben, und der Tatsache, daß bei
uns, anders als in anderen Ländern, erst bei 2 Prozent
Wirtschaftswachstum neue Arbeitsplätze geschaffen
werden, während in den Ländern rundum meistens
schon ab 1 Prozent neue Arbeitsplätze entstehen. Wir
haben also trotz hoher Produktivität unserer Wirtschaft
ein großes Problem. Das heißt, wir müssen runter von
dem Rationalisierungsdruck.
({38})
- Nur, Herr Kollege Merz, wann ist dieser denn entstanden? Während der ganzen Zeit, als Sie an der Regierung
waren, sind die Lohnnebenkosten gestiegen.
({39})
Deshalb umfaßt das Zukunftsprogramm auch die
Senkung von Steuern und Abgaben für Arbeitnehmer
und Familien sowie die Gestaltung eines international
konkurrenzfähigen Steuersystems bei den Unternehmen,
beides übrigens damit verbunden, Steuerschlupflöcher,
das heißt Steuervergünstigungen, abzuschaffen, die Basis zu verbreitern, Mißbrauchsmöglichkeiten zu beseitigen, um damit im Steuersystem Gerechtigkeit herzustellen, damit wieder Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit stattfindet, wie es das Grundgesetz fordert.
({40})
Außerdem fördern wir umweltschonendes Verhalten.
Eine Politik für sozialen Ausgleich braucht einen
handlungsfähigen Staat und genügend finanzielle Spielräume. Indem wir den Weg in den Verschuldungsstaat
stoppen, schaffen wir die Grundlage für die Sicherung
des Sozialstaates auch in Zukunft. Mit der konsequenten
Haushaltssanierung bekämpfen wir die soziale Ungerechtigkeit der Staatsverschuldung; denn die extrem hohen Zinsausgaben im Bundeshaushalt müssen von den
Steuerzahlern finanziert werden und landen bei den
Banken. Ich habe darüber schon gesprochen. Es hat keinen Zweck, sich um diesen sozialen Tatbestand herumdrücken zu wollen.
Mit der Haushaltssanierung beenden wir auch die ungerechtfertigte Belastung zukünftiger Generationen mit
Schulden, die wir heute anhäufen. Dabei sind wir erst
am Anfang. Das sage ich, damit sich keiner täuscht. Wir
fahren ja auch keinen Crashkurs. Nächstes Jahr erst,
trotz all dieser harten Eingriffe und ohne alle anderen
Tricks wie eine Vertuschung des Defizits durch Privatisierungserlöse, steigen die Staatsschulden nicht schneller als die Einnahmen. Erst im Jahr darauf werden wir
erstmalig seit langem die Situation haben, daß die
Staatsschulden langsamer steigen als die Einnahmen.
Keiner möge sich über den langen Weg, den wir noch
vor uns haben, täuschen.
Mit der Haushaltssanierung wollen wir also ein Ende
der ungerechtfertigten Belastung künftiger Generationen
erreichen. Damit sorgen wir heute für soziale Gerechtigkeit wie auch für Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Dazu gehört, daß die junge Generation für die ältere
Verantwortung übernimmt. Die ältere Generation muß
umgekehrt aber auch ihren Beitrag für die Sicherung der
Zukunft der jüngereren Generation leisten.
In jüngster Zeit wurde wieder viel über zunehmende
Staatsverdrossenheit geklagt. Hieran hat auch die hohe
Staatsverschuldung ihren Anteil. Arbeitnehmer und ehrliche Steuerbürger müssen immer mehr für immer weniger Leistung bezahlen. Dies senkt die Steuermoral weiter und fördert die Unzufriedenheit mit Politik und Staat.
Hier müssen wir wieder Vertrauen und Sicherheit schaffen. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch
darauf, daß ihre Steuergelder nicht sinnlos verpuffen,
sondern daß verantwortungsvoll mit ihnen umgegangen
wird und wir uns nur das leisten, was wir uns leisten
können.
({41})
Nur so kann die Bereitschaft verstärkt werden, unser
Gemeinwesen mitzutragen und mitzugestalten.
Mit dem Haushalt 2000 haben wir das größte Konsolidierungsvorhaben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet.
({42})
Damit kann der Bundeshaushalt endlich wieder solide
finanziert werden - übrigens ohne Steuererhöhungen.
({43})
- Vorsicht mit Ihren Zwischenrufen, sonst komme ich
einmal auf die frühen 90er Jahre zu sprechen.
Folgende Eckwerte sind vorgesehen: Das Ausgabevolumen des Haushalts 2000 wird gegenüber 1999 um
1,5 Prozentpunkte abgesenkt. Die Nettokreditaufnahme
wird gegenüber 1999 um 4 Milliarden DM auf
49,5 Milliarden DM zurückgeführt. Sie liegt damit übrigens um 10 Prozentpunkte unter der Neuverschuldung,
die die vorherige Bundesregierung für das Jahr 2000
unter Zugrundelegung völlig unrealistischer Annahmen
für das Wirtschaftswachstum und unter Nichtveranschlagung einer Reihe von Ausgaben, die sie hätte veranschlagen müssen, geplant hatte.
({44})
Diese deutliche Absenkung der Neuverschuldung wird
erreicht, obwohl gleichzeitig die Privatisierungseinnahmen im Haushalt 2000 gegenüber 1999 um rund 10 Milliarden DM und gegenüber 1998 sogar um 11 Milliarden
DM verringert werden.
Mit dem mittelfristigen Finanzplan bis 2003 stellt
die Bundesregierung die Weichen für eine strukturelle
und dauerhafte Konsolidierung des Bundeshaushaltes.
Das Sparvolumen von 30 Milliarden DM im Jahr 2000
wächst bis 2003 auf eine Größenordnung von
50 Milliarden DM. Damit umfaßt das Konsolidierungsvolumen in den nächsten vier Jahren insgesamt weit
über 150 Milliarden DM. Die Neuverschuldung wird in
den nächsten Jahren Schritt für Schritt zurückgeführt.
Sie sinkt von 53,5 Milliarden DM in diesem Jahr bis
zum Ende des Finanzplanungszeitraums im Jahr 2003
auf rund 30 Milliarden DM.
Ausgehend vom abgesenkten Ausgabevolumen des
Bundeshaushaltes 2000, wird der Ausgabenanstieg in
den Folgejahren im Durchschnitt auf unter 2 Prozent pro
Jahr begrenzt. Gleichzeitig unterstellen wir - auch hier
mußten wir Ihre frühere Planung nach unten korrigieren
- ein Wachstum von real 2 Prozent und eine Inflationsrate von 1,5 Prozent, also nominal insgesamt
3,5 Prozent. Das heißt, es ist eine ständige Differenz von
mindestens 1,5 bis 2 Prozent zwischen dem Ausgabezuwachs und dem Einnahmezuwachs zu erwarten. Damit hält sich die Bundesregierung an die Vereinbarungen des Finanzplanungsrates.
Wir brauchen und wir wollen so schnell wie möglich
einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden.
Dieses qualitativ neue Ziel soll in der nächsten Legislaturperiode erreicht werden. Mit diesem Konsolidierungskurs des Bundes und bei einer weiterhin sparsamen
Ausgabenpolitik von Ländern und Gemeinden erfüllt
Deutschland auch die Vorgaben des europäischen Stabilitätspaktes.
Ein Blick über die eigenen Grenzen zeigt, daß wir uns
mit dieser Politik in guter Gesellschaft befinden. Andere
europäische Länder wie Großbritannien, Frankreich, die
Niederlande oder Dänemark haben in den letzten Jahren
deutliche Anstrengungen zur Reduzierung ihrer Defizite
unternommen und haben zum Teil bereits Überschüsse
erwirtschaftet. Das beste Beispiel ist Schweden das war gestern abend zu sehen -, das von einem Anteil des öffentlichen Defizits am Bruttoinlandsprodukt von 7 Prozent im Jahre 1994 auf fast 2 Prozent
Überschuß im letzten Jahr gekommen ist. Das Programm, das die Schweden umgesetzt haben, war allerdings sehr hart.
Diesen Exempeln wollen und müssen gerade wir
Deutsche als Motor der europäischen Einigung, wenn
auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in der Tendenz
folgen. Wir wollen damit auch ein wichtiges Signal für
die Stabilität des Euro setzen. Wir wollen, daß in
Europa die Preise dauerhaft stabil und die Zinsen dauerhaft niedrig bleiben können.
({45})
Das Wichtigste ist: Wir reden nicht nur über einen
soliden Haushalt, wie es zu Zeiten der alten Koalition an
dieser Stelle des öfteren getan worden ist, sondern setzen dies auch um, und zwar ohne zu hoch gerechnete
Einnahmen und ohne vergessene Ausgabenposten.
({46})
Ein beliebtes Stilmittel der vorigen Regierung war es,
Haushaltsrisiken zu ignorieren, sie nicht in den Haushalt aufzunehmen.
({47})
Wir mußten eine Reihe notwendiger Ausgaben in den
Haushalt 1999 einstellen, die Sie, meine Damen und
Herren von der jetzigen Opposition, schlichtweg vergessen hatten oder nicht unterbringen konnten, weil Sie
sonst vor der Wahl hätten aufdecken müssen, daß der
Haushalt, den Sie vorgelegt haben, verfassungswidrig
war.
({48})
Herr Kollege Waigel, wir beide können darüber gut reden, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Ich
habe es Ihnen am 25. September, zwei Tage vor der
Bundestagswahl, als Sprecher der SPD-geführten Länder im Bundesrat in der Haushaltsdebatte minutiös vorgerechnet: Im Haushalt wurde keine Vorsorge für die
Risiken aus den Rußlandkrediten getroffen. Diese Risiken - nach den Vereinbarungen, die im Pariser Club getroffen werden mußten - belasten den laufenden Haushalt mit mehr als 3 Milliarden DM. Man wußte aber bereits im vergangen Herbst, daß da etwas getan werden
mußte.
({49})
Die Hilfen für die Haushaltsnotlagenländer Bremen
und Saarland wurden überhaupt nicht veranschlagt; auch
das sind 3 Milliarden DM. Die notwendigen Leistungen
für die Postunterstützungskassen wurden nicht berücksichtigt; das sind 6,5 Milliarden DM.
({50})
Ferner wurden die Wachstumsraten der Steuereinnahmen zu hoch angesetzt; das macht 3 Milliarden DM aus.
Außerdem plante die alte Bundesregierung für die
kommenden Jahre eine deutlich höhere Neuverschuldung; das macht wieder 5 Milliarden DM.
({51})
Allein diese Veranschlagungsdefizite, die Gelder, die
Sie in den Haushalt hätten einstellen müssen, aber nicht
eingestellt haben, machen über 20 Milliarden DM aus,
meine Damen und Herren.
({52})
Mit dieser Art des Durchwurschtelns machen wir
Schluß.
Ich habe gewisses Verständnis dafür, daß man die
Probleme nicht im letzten Jahr einer Wahlperiode aufdeckt. Sie werden uns dann aber wohl nicht verübeln,
daß wir sie aufdecken. Wir müssen dies um einer soliden Haushaltspolitik willen tun.
({53})
Durch das Sparpaket ist es gelungen, die Summe der
Belastungen auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren.
Grundlage für den Sparerfolg der Bundesregierung ist,
daß alle Politikbereiche - ich betone dies; es wird spannend sein, ob Sie Änderungsanträge stellen und was Sie
im Rahmen dieser als Deckungen anbieten ({54})
ihren solidarischen Konsolidierungsbeitrag erbracht haben und den vereinbarten Kurs strikter Haushaltsdisziplin in den nächsten Jahren konsequent umsetzen werden.
Der sich nach den Ausgabekürzungen ergebende Finanzrahmen ist von den Ressorts in eigener Verantwortung mit eigenen Prioritäten ausgefüllt worden. Ich danke allen meinen Kabinettskolleginnen und -kollegen für
ihre Solidarität, und ich danke auch dem Bundeskanzler
sehr herzlich für die nachhaltige Unterstützung, ohne die
das Ganze nicht möglich gewesen wäre.
({55})
Bei uns läuft dies anders als zur Zeit bei einigen Landesregierungen ab - ich beobachte dies mit großem Interesse -, die vor ähnlichen Problemen stehen. Man liest in
der Zeitung, daß sich die Kabinettskollegen gegenseitig
damit traktieren, dies alles ginge gar nicht. Das hat bei
uns nicht stattgefunden. Dies war schwer, aber solidarisch.
({56})
Meine Damen und Herren, unser Zukunftsprogramm ist in den letzten Wochen heftig diskutiert und
in einzelnen Punkten auch kritisch hinterfragt worden.
({57})
Ich halte das für sehr vernünftig und für legitim. Das gilt
auch für die Kritik von den Interessenverbänden, deren
ureigenste Aufgabe die Wahrnehmung von Einzelinteressen ist. Ich bin auch nicht verwundert darüber, daß der
konsequente Konsolidierungskurs, der allen etwas abverlangt, keine Begeisterungsstürme hervorruft. Aber er
findet viel Zustimmung. Ich werde mich allerdings nicht
dafür entschuldigen - und das wird die gesamte RegieBundesminister Hans Eichel
rung nicht tun -, daß wir den Karren aus dem Dreck ziehen, den andere dort hineingefahren haben.
({58})
Auch wenn Sie mir diesen Satz vielleicht nicht gern
erlauben, so - das können Sie nicht verhindern - muß
ich schon sagen: Nachdem ich mir auch die Haushaltspolitik in ein paar Ländern angesehen habe, weil ich zur
Zeit in den Landeshauptstädten bin - ({59})
- Ja, Hessen zum Beispiel. Sehen Sie, da fängt man an,
gleich im ersten Jahr alle Reserven, die die alte Regierung angehäuft hat, auszugeben, und dann muß man auf
die Bremse treten.
({60})
So fängt man an; klassischer geht es nicht.
Dann sage ich Ihnen: Ich habe mir das in Schwerin
und in Berlin angesehen. Ich kann Ihnen noch andere
Positionen nennen.
({61})
Übrigens müßte man auch einmal nach Paris oder nach
London gehen. Dort haben sich die Konservativen um
Haushaltskonsolidierung bemüht. Wo aber in Deutschland die Mär herkommt, daß Konservative besser mit
Geld umgehen können, ist mir schlicht ein Rätsel. Das
ist ein Märchen der Brüder Grimm.
({62})
Wenn es jetzt um die Umsetzung geht, so haben wir
dafür Sorge zu tragen - wir haben dafür Sorge getragen -, daß die notwendigen Belastungen auf viele
Schultern verteilt werden. Außerdem enthält das Zukunftsprogramm neben der konsequenten Haushaltssanierung auch neue Haushaltsschwerpunkte und steuerliche Maßnahmen zur Umsetzung einer sozial gerechten
Politik.
Die Schwerpunkte des Haushalts 2000 liegen auf
dem Abbau von Subventionen, und zwar insbesondere
auf der Beihilfeseite, übrigens auch auf der Steuerseite,
wobei das - das will ich hier in aller Offenheit sagen zu einem Teil durch die Ökosteuer verdeckt wird. Aus
diesem Tatbestand werden wir erst dann herauskommen,
wenn wir eine europaweit einheitliche Energiebesteuerung bekommen. Die Chancen - so ist mein Eindruck -,
daß die Spanier sich vielleicht bewegen - sie sind der
eigentliche Bremsklotz - , haben sich in letzter Zeit verbessert. Die Schwerpunkte des Haushalts liegen bei der
Stabilisierung des Sozialstaats bei gleichzeitiger Steigerung seiner Effektivität und einer Straffung des öffentlichen Dienstes.
Bei allem bleibt der Bundeshaushalt 2000 auch und
gerade ein Sozialhaushalt. Die Ausgaben des Bundes für
soziale Sicherung werden im Jahre 2000 196 Milliarden
DM betragen, nachdem sie 1998 noch 182 Milliarden DM
betragen haben. Insbesondere im Bereich der Arbeitsmarktaufwendungen sind die größten Veränderungen zu
verzeichnen. Beispielsweise stehen für aktive Arbeitsmarktpolitik 45 Milliarden DM und damit 6 Milliarden
DM mehr im Bundeshaushalt zur Verfügung als 1998.
({63})
Insgesamt wird die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt massiv gefördert.
Weitere Maßnahmen sind: Ab dem Jahr 2001 sollen
die Wohngeldleistungen für Bezieher von Tabellenwohngeld deutlich verbessert werden. Das erforderliche
Sonderprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit - das gab es bei Ihnen überhaupt nicht - wird
verlängert.
({64})
Damit stellt die Bundesregierung im Jahre 2000 erneut
2 Milliarden DM im Rahmen des Zuschusses zur Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung. Mittlerweile sind
fast 178 000 Jugendliche in Maßnahmen dieses Programms eingetreten. Das sind Perspektiven für 178 000
junge Leute.
({65})
Deutschland ist an dieser Stelle in Europa ganz vorn Gott sei Dank. Meine Damen und Herren, auch das muß
man berücksichtigen, wenn Sie über unseren Haushalt
reden. So etwas war bei Ihnen nie vorgesehen.
({66})
Wir werden unser Versprechen umsetzen, die Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung in den
nächsten fünf Jahren zu verdoppeln. Das Zukunftsprogramm schafft hierfür die Voraussetzungen. Wir haben
im Haushalt 2000 dafür Sorge getragen, daß der Aufbau
Ost und damit die reale Verwirklichung der Deutschen
Einheit auf hohem Niveau fortgeführt wird.
({67})
So haben wir bei der regionalen Wirtschaftsförderung
die im Finanzplan vorgesehenen Ansätze aufrechterhalten. Die Sonder-Bundesergänzungszuweisungen an die
neuen Länder von 14 Milliarden DM jährlich und die
Hilfen im Investitionsförderungsgesetz Ost von 6,6 Milliarden DM werden in voller Höhe erhalten. Bei Eingriffen in spezielle Programme findet im wesentlichen nur
eine Anpassung entweder an den Mittelabfluß oder an
mögliche Kostensenkungen statt. Wir bemühen uns sehr
- auch das liegt im Interesse der ostdeutschen Länder -,
Mitnahmeeffekte zu streichen. Denn wer einen dauerhaft getragenen Aufschwung in den neuen Ländern will,
der muß dafür sorgen, daß die eigenen Kräfte aktiviert
werden. Deswegen ist staatliche Hilfe eine Hilfe, die
gleichzeitig eigene Anstrengungen voraussetzt.
({68})
Vor diesem Hintergrund haben wir neue Programme
aufgenommen: nicht nur die Verstärkung der aktiven
Arbeitsmarktpolitik, und zwar nicht nur bis zur folgenden Bundestagswahl, sondern auch deren Verstetigung darüber hinaus, nicht nur ein Programm, das 2
Milliarden DM für junge Menschen zur Verfügung stellt
und das insbesondere auch in den neuen Ländern ankommt, sondern auch ein neues Wohnungsmodernisierungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit
einem Kreditrahmen von 10 Milliarden DM. Auch hier
gilt - das sage ich ausdrücklich -: Die neuen Länder
sollen bitte die Hälfte der Zinszuschüsse übernehmen.
Denn dann wissen wir, daß dieses Programm wirklich
gebraucht wird. Programme, die zu 100 Prozent finanziert werden, werden zwar gerne angenommen. Ob sie
aber zusätzlich irgend etwas auslösen oder ob sie nicht
in erster Linie reine Mitnahmeeffekte bewirken, ist die
Frage. Deswegen muß man mit solchen Programmen auf
diese Art und Weise umgehen.
({69})
Besonders umstritten sind die vorgesehenen Maßnahmen bei der Rente, wonach der Rentenanstieg in
den Jahren 2000/2001 auf die Höhe der Preissteigerung
begrenzt werden soll. Damit wird die Rentenversicherung in die Lage versetzt - dies ist eine wesentliche
Voraussetzung -, die demographischen Herausforderungen zu bestehen. In diesem Zusammenhang muß ich
ausdrücklich sagen - dies stelle ich fest, damit Kollege
Riester nicht in einen falschen Zusammenhang gerät -:
Dies ist kein Element der Haushaltssanierung gewesen,
sondern ein Element des Rentenkonzeptes, das Herr
Riester im Laufe dieses Jahres ohnehin auf den Tisch legen wollte und über das dann im Herbst dieses Jahres in
aller Ausführlichkeit diskutiert werden kann. Da wir
aber den Haushalt für das nächste Jahr aufstellen müssen, muß dieser Teil des Rentenkonzepts seinen Niederschlag in diesem Haushalt finden.
Es kommt übrigens nur zu einer einmalig etwas niedrigeren Zuführung; denn die Zuführungen aus dem Bundeshaushalt für den Rentenbereich - das ist die Konsequenz der Ökosteuer - steigen in diesem Jahr massiv an.
Es kommt also nicht zu einem Rückzug aus dem Rentensystem. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Es kommt
zu einer enormen Befestigung des Rentensystems.
({70})
Mit dieser vorübergehenden Begrenzung des Rentenanstiegs leisten die Rentnerinnen und Rentner - dafür
bin ich sehr dankbar - einen solidarischen Beitrag zur
Entlastung der Beitragszahler. Ich möchte hier ein weit
verbreitetes Mißverständnis direkt ansprechen und aus
dem Weg räumen: Diese Regelung bedeutet keine Kürzung der Renten, wie Sie den Menschen immer erzählen. Die Renten steigen vielmehr auch in den nächsten
beiden Jahren um die volle Preissteigerungsrate, was in
den letzten 5 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht der Fall
war, da die Erhöhung der Renten regelmäßig darunterblieb.
({71})
Wenn die vor uns liegenden Wahlen vorbei sind,
dann ist dieses Thema hoffentlich aus der jetzigen Gefechtslage heraus. Ich bzw. die ganze Bundesregierung
hofft, daß wir dann zu einem einvernehmlichen Konzept
kommen. Denn es ist wahr: Generationen gegeneinander
auszuspielen ist das, was unsere Gesellschaft am allerwenigsten erträgt. Deswegen ist es richtig, bei der Rente
einen breiten Konsens zu finden.
({72})
Sie von der Opposition waren doch vor der letzten Bundestagswahl darauf erpicht, ein Rentenkonzept ohne uns
durchzusetzen.
({73})
Das war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. Bis 1992 - also auch in der Zeit, als wir in der
Opposition waren - haben wir das einvernehmlich beschlossen.
({74})
- Herr Glos, das ist doch nicht verlogen. Die Wahrheit
ist ganz einfach: Nach den Wahlen im Frühjahr 1996
haben Sie sich für ein Ende des Bündnisses für Arbeit
und für Konfrontation entschieden. So ist das Ganze abgelaufen.
({75})
Meine Damen und Herren, wir müssen neues Vertrauen in die Zukunftsfestigkeit der Rentenversicherung
und unseres gesamten Alterssicherungssystems aufbauen. Das basiert letzten Endes darauf, daß es in der Gesellschaft einen breiten Konsens über die Prinzipien des
Rentensystems gibt. Das wäre in der Tat die wünschenswerteste Lösung.
Ebenso wie bei den Renten und Pensionen wird sich
in den Jahren 2000 und 2001 die Erhöhung anderer
sozialer Leistungen, wie zum Beispiel die des Arbeitslosengeldes und die der Arbeitslosenhilfe, am Ziel der
Realeinkommensicherung orientieren. Auch von den
Beamten und Pensionären fordern wir einen solchen
Konsolidierungsbeitrag. Dies ist keineswegs ein Eingriff
in die Tarifautonomie. Darauf lege ich den allergrößten
Wert. Aber daß der Staat als Arbeitgeber wie jedes
Unternehmen, das ein großes Problem hat, dies bei den
Tarifverhandlungen berücksichtigen muß und daß alle wie bei jedem Unternehmen auch - ihren Beitrag leisten
müssen, um aus einer krisenhaften Lage herauszukommen, ist selbstverständlich. Auch beim Staat ist das so,
auch in bezug auf die Einkommen, die der Staat selber
zu gewähren hat. Das muß auch bei den Tarifverhandlungen berücksichtigt werden.
Die Einsparungen aus dem „Zukunftsprogramm
2000“, die der Regelung durch Gesetz oder Verordnung
bedürfen, werden im Haushaltssanierungsgesetz umgesetzt, die übrigen vereinbarten Kürzungen bei den parlamentarischen Beratungen zum Haushalt 2000. Wir
halten dabei an unserem Konzept fest: Wer einzelne
Maßnahmen aus dem Sparpaket herausbrechen möchte,
muß gleichwertige Einsparmaßnahmen, ich vermute das ist jedenfalls unsere Position -, im gleichen Ressortbereich nennen. Das Grundprinzip des Sparkonzepts
lautet: solidarische Konsolidierungsbeiträge aller Ressorts und aller Politikbereiche entsprechend ihrer Anteile am Gesamthaushalt.
Wir haben alle zustimmungsbedürftigen und nicht zustimmungsbedürftigen rechtlichen Regelungen der Ausgabenseite in einem Haushaltssanierungsgesetz zusammengefaßt. Das Gesetz bedarf der Zustimmung des
Bundesrates. Hierfür gibt es gute Gründe. Wir wollen,
daß sich auch die Länder ihrer Verantwortung für den
Bund nicht entziehen, so wie der Bund sich seiner Verantwortung für die Länder nicht entzieht, wie die Beispiele des Saarlands und Bremens extrem beweisen.
({76})
Denn nur ein leistungsfähiger Bund mit solide finanziertem Haushalt ist in der Lage, den Ländern wirkungsvoll zu helfen. Die Diskussionen der letzten Wochen
zeigen, daß bei aller Kritik im Einzelfall eine breite
grundsätzliche Zustimmung zu unserem Konsolidierungskurs vorhanden ist. Deswegen bin ich guter Dinge,
daß am Ende der Bundesrat dem Gesamtkonzept zustimmt. Ich halte diese Hoffnung auch insofern für berechtigt, weil wir mit unserem Zukunftsprogramm die
Interessen von Ländern und Gemeinden durchaus im
Blick haben, obwohl die Finanzlage des Bundes - ich
habe das schon ausgeführt - deutlich schlechter ist als
die Finanzlage der Länder und Kommunen. Aus dem
Sparprogramm werden sie zusammen im Durchschnitt
der Jahre bis 2003 mit rund 600 Millionen DM jährlich
entlastet. Länder und Kommunen profitieren zum Beispiel erheblich von der Begrenzung der Personalausgaben. Den Belastungen von Ländern und Kommunen bei
den Sozialausgaben stehen spürbare Entlastungen gegenüber. Beispiele sind geringere Ausgaben bei der Sozialhilfe zum Beispiel durch die Erhöhung des Kindergeldes und durch die Verstetigung der Arbeitsmarktpolitik. Das gilt gerade für die arbeitslosen Jugendlichen. Zudem werden Länder und Kommunen entsprechend ihres Anteils am Steueraufkommen beim Abbau
steuerlicher Subventionen begünstigt. Das Steuerbereinigungsgesetz entlastet die Kommunen zusätzlich. Falls
die kommunale Ebene bzw. einzelne Kommunen von
Belastungen besonders betroffen sind, kann dies der
Bund nicht ausgleichen. Allein die Länder besitzen das
für einen zielgerichteten Ausgleich geeignete Instrument
des kommunalen Finanzausgleichs.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nochmals
betonen: Ein solider Bundeshaushalt kommt letztlich immer auch den Ländern zugute, vor allem den neuen Ländern. Dies ist eine Binsenweisheit. Wer hier von
einer Erpressung der neuen Länder spricht - übrigens tun
das auch CDU-Ministerpräsidenten nicht -, verkennt
eines: Es ist nicht die Politik, sondern die ökonomische
Wirklichkeit, die die Länder im eigenen Interesse zur
Unterstützung dieses Konsolidierungskurses bringen muß.
({77})
Der konsequente Konsolidierungskurs ist ein wichtiger Beitrag zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Der neue „World Economic Outlook“ des Internationalen Währungsfonds, der genauso wie die Bundesbank und die Europäische Zentralbank unser Zukunftsprogramm ausdrücklich lobt, geht von einer einsetzenden Konjunkturbelebung in Europa und in
Deutschland aus. Dies bestätigen auch die Wirtschaftsinstitute. Insofern passen der Haushalt 2000 und das gesamte Konsolidierungskonzept in den konjunkturellen
Rahmen. Es soll ab dem Jahre 2000 greifen. Für das Jahr
2000 nehmen alle Institute als Mindestwert des durchschnittlichen wirtschaftlichen Wachstums 2,5 Prozent
an. Das ist mehr, als wir in den 90er Jahren gehabt haben. Wenn man dann nicht mit der Konsolidierung anfangen kann - das sage ich anderen Kritikern -: Wann
könnte man denn überhaupt den Bundeshaushalt konsolidieren; wann würde man denn überhaupt aus der
Staatsverschuldung herauskommen?
({78})
Wir brauchen derzeit kein betont expansives Verhalten des Staates. Jetzt kommt es vielmehr darauf an, stabile Rahmenbedingungen für Konsumenten und Investoren zu schaffen und die finanzpolitische Flanke der
Geldpolitik zu sichern. Genau dies wird durch das Zukunftsprogramm erreicht; das heißt im Klartext: Es wird
niedrige Zinsen möglich machen. Ein klares Bekenntnis
zu einem mittelfristig ausgeglichenen Haushalt gibt eben
ein klares Signal für dauerhaft niedrige Zinsen, für einen
nachlassenden Steuer- und Abgabendruck, für stabile
Preise und einen stabilen Euro. Wenn wir jetzt die Unsicherheit für Investoren und Konsumenten für lange Zeit
beenden, werden wir rasch in eine sich selbst verstärkende positive Wachstumsdynamik kommen.
({79})
So schaffen wir mit unserer Finanzpolitik einen verläßlichen Rahmen für kräftiges Wachstum. Unterstützt
wird dies durch die Steuerpolitik. Durch die Entlastung
kleiner und mittlerer Einkommen tragen wir zusätzlich
zu einer Belebung der privaten Nachfrage bei. Im Rahmen des Zukunftsprogramms werden Familien und Arbeitnehmer erheblich steuerlich entlastet und das Kindergeld erhöht. Ich erinnere nur daran, daß der Eingangssteuersatz beginnend mit dem 1. Januar dieses Jahres schrittweise um sechs Punkte von 25,9 Prozent auf
19,9 Prozent gesenkt wird.
Das Kindergeld ist zum 1. Januar dieses Jahres um 30
DM für das erste und zweite Kind erhöht worden und
wird ab 1. Januar nächsten Jahres um weitere 20 DM erhöht. Das bedeutet eine Steigerung seit der Regierungsübernahme um 23 Prozent. Insgesamt ergibt sich für eine Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern bereits in diesem Jahr eine Entlastung von etwa 1 200 DM, im nächsten Jahr von 2 200 DM, im Jahr 2002 von bis zu 3 000
DM, übrigens unter Berücksichtigung der Wirkungen
der Ökosteuerreform, meine Damen und Herren.
({80})
- Damit auch Sie es noch einmal hören: unter Berücksichtigung der Wirkungen der Ökosteuer.
Hinzu kommt die Entlastung der Unternehmen durch
die Unternehmensteuerreform ab dem Jahr 2001. Mit
der vorgesehenen Senkung des Steuersatzes für einbehaltene Gewinne auf 25 Prozent und der geplanten Nettoentlastung der Unternehmen in einer Größenordnung
von 8 Milliarden DM, die wir im wesentlichen auf die
kleinen und mittleren Unternehmen konzentrieren wollen, wird die Wettbewerbsfähigkeit des Investitionsstandortes nachhaltig gestärkt.
All dies wird positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Das hat auch der Internationale Währungsfonds in dem bereits zitierten Bericht bestätigt. Das
Zukunftsprogramm ist notwendig, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Ich sage noch einmal: Ja, über die Frage,
warum bei uns zusätzliche Jobs erst bei 2 Prozent und
nicht schon bei 1 Prozent Wachstum entstehen, werden
wir noch weiter nachdenken müssen, und dann muß entsprechend gehandelt werden.
Ich weise aber auch darauf hin - das war bei genauerem Hinsehen übrigens schon am Ende ihrer Regierungszeit, in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres
wie am Anfang dieses Jahres, das Problem -, daß die
deutsche Volkswirtschaft, obwohl unsere Zukunft im
Binnenmarkt Europa liegt, stärker als alle anderen europäischen Volkswirtschaften weltweit verflochten ist und
deswegen die Südostasienkrise wie die Südamerikakrise
und die Rußlandkrise, die uns besonders finanziell betrifft, in der deutschen Volkswirtschaft stärker als in jeder anderen europäischen zu Buche schlagen. Ich hoffe
aber auch, daß, wenn sie jetzt aus dem Loch herauskommen, wie es den Anschein hat, uns das auch wieder
helfen wird, ein stärkeres Wirtschaftswachstum zu bekommen.
Zusätzliche Beschäftigungsgewinne werden sich
durch eine Senkung der Lohnnebenkosten über die
ökologische Steuerreform ergeben. Insgesamt, meine
Damen und Herren, trägt das Zukunftsprogramm also
künftig maßgeblich zur Senkung der Arbeitslosigkeit
bei. Schon aus diesem Grund steht es für soziale Gerechtigkeit, für Wachstum und Beschäftigung. Mit anderen Worten: Es steht für die Wende in der Finanzpolitik,
die diese Bundesregierung eingeleitet hat.
({81})
In diesem Zusammenhang von sozialer Ungerechtigkeit zu sprechen ist falsch.
({82})
Ich habe das in allen einzelnen Bereichen bereits dargestellt. Ich sage wieder zur PDS: Sie müssen bei dem
Thema der Staatsverschuldung anfangen. Dann müssen
Sie sich ansehen, was im Steuerentlastungsgesetz an
Schlupflöchern oben geschlossen worden ist und was an
Steuerentlastungen unten gemacht worden ist. Dann
können Sie so nicht mehr reden.
({83})
Ich sage das in alle Richtungen.
Ich wüßte noch ein Steuerschlupfloch, das ich gerne
schlösse. Wir werden im Rahmen der Unternehmensteuerreform nach dem Prinzip „Bemessungsgrundlage breit,
Sätze niedrig“ auch noch eine Reihe von solchen Fragen
zu diskutieren haben. Da bleibt die Besteuerung der Kapitalerträge in Europa. Das ist ein wahnsinnig schwieriges Thema. Ich bin froh, daß es endlich wenigstens einen ersten Vorschlag der britischen Regierung dazu gibt.
Aber ich bekenne ausdrücklich: Mit dem Vorschlag, der
auf dem Tisch liegt, können wir vor die Bürger Europas
nicht treten. Denn daß wir die Kleinanleger besteuern
und die großen nicht, das will mir nun wirklich nicht in
den Kopf.
({84})
Wie wir es hinbekommen, daß es anders wird, werden
wir noch intensiv zu diskutieren haben. Aber da müssen
wir voran.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß von allen
Seiten - auch das ist eine der Ablenkungsdiskussionen
in diesem Sommer, damit man sich nicht mit der Sache
beschäftigen muß - der Vorwurf der sozialen Unausgewogenheit kommt. Wenn er von der Opposition kommt,
finde ich das allerdings besonders stark. Denn gerade die
Umverteilungspolitik der letzten 16 Jahre ist es, die wir
korrigieren müssen, die wir mit diesem Konzept angehen.
({85})
Wir reden nicht nur von sozialer Gerechtigkeit, wir
tun auch sehr konkret etwas dafür. Wir flüchten uns
nicht in Wolkenkuckucksheime und verdrängen ein paar
Probleme. Ich erinnere nur an die Wiedereinführung der
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, an die Senkung der
Arzneimittelzuzahlungen, an die Wiedereinführung des
Zahnersatzes für Jugendliche und an die Streichung des
Krankenhausnotopfers. Ist es nicht diese Bundesregierung, die im Rahmen der ökologischen Steuerreform
erstmals in Deutschland überhaupt die Lohnnebenkosten
senkt?
({86})
Es ist auch diese Bundesregierung, die die Steuerschlupflöcher - ich habe das schon gesagt - stopft und
Mißbrauchsmöglichkeiten zur Steuervermeidung eindämmt. Endlich werden damit auch Einkommensmillionäre wieder zur Finanzierung der Staatsaufgaben entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit herangezogen, und
so muß es auch sein.
({87})
Meine Damen und Herren, soziale Gerechtigkeit, Zukunftsfähigkeit, Generationengerechtigkeit und vor allem die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind für uns
nicht nur Schlagworte, sie sind unser Programm, und
dieses Programm bestimmt unser Handeln. Wir brauchen in Zukunft weniger Egoismus der einzelnen und
der Gruppen, mehr Gemeinsinn und ein gemeinsames
Verständnis davon, daß nur eine gerechte Gesellschaft,
in deren Mittelpunkt die Würde des einzelnen Menschen
steht und seine Fähigkeit und Bereitschaft, für andere
einzustehen, eine lebenswerte und zukunftsfähige Gesellschaft ist,
({88})
und das bei allen Belastungen, die wir den Menschen
auf diesem Weg notwendigerweise zumuten müssen,
weil wir aus den Schwierigkeiten heraus müssen.
Ich lade Sie ein, bei diesem Zukunftsprojekt mitzumachen. Teilen Sie mit uns die Verantwortung für eine
gute Zukunft dieser Gesellschaft!
({89})
Meine Damen und
Herren ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat nun
der Kollege Friedrich Merz, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, Sie haben im Verlauf Ihrer Rede beklagt, daß die CDU/CSU in
den zurückliegenden Wahlkämpfen die Wählerinnen
und Wähler in Deutschland verunsichert habe und Sie
deswegen nicht den aus Ihrer Sicht verdienten Wahlerfolg erzielt hätten. Ich sage Ihnen: Wir haben nicht die
Wählerinnen und Wähler verunsichert,
({0})
sondern es war überall dort, wo in den letzten Wochen
Wahlen stattgefunden haben, festzustellen: Die Wählerinnen und Wähler in Deutschland haben von Ihrer Politik und der Art Ihres Auftretens, Herr Bundeskanzler,
die Nase gestrichen voll.
({1})
Sie haben - wie auch in der letzten Woche - erneut
auf die Entwicklung der öffentlichen Finanzen und insbesondere des Schuldenstandes hingewiesen. Es kam,
wie es nicht anders zu erwarten war. Sie haben gesagt ich habe es wohl richtig mitgeschrieben -, es sei Ihnen
ein Rätsel, wie man Konservativen unterstellen könne,
sie könnten konsolidieren. Weil ich das genauso erwartet habe, habe ich mir nicht nur die Zahlen der letzten
Jahre, sondern die Zahlen von 1949 bis 1998 herausgesucht.
Herr Eichel, in den Jahren von 1949 bis 1969 hat die
Verschuldung in Deutschland praktisch keine Rolle gespielt. Wir hatten eine Zins-Steuer-Quote in den öffentlichen Haushalten von 2,8 Prozent. Nach 1969 - deswegen war das, was der Kollege Kolbe dazu gesagt hat,
völlig berechtigt und notwendig -, in der Zeit der sozialliberalen Koalition, ist die Verschuldung des Bundes
in einem Zeitraum von 13 Jahren von 45 Milliarden DM
auf über 300 Milliarden DM angestiegen.
({2})
In dieser Zeit, der ersten langen Regierungszeit einer
sozialliberalen Koalition, ist die Zins-Steuer-Quote des
Bundeshaushaltes von 2,8 Prozent auf 12,1 Prozent gestiegen. Die eigentlich dramatische Veränderung in den
öffentlichen Finanzen hat es in der Verantwortung der
sozialliberalen Koalition von 1969 bis 1982 gegeben.
({3})
In der Zeit von 1982 bis 1989 - ich teile ganz bewußt
die von Ihnen immer wieder zitierten, als Einheit dargestellten 16 Jahre in zwei Zeitabschnitte - konnte die
Nettokreditaufnahme des Bundes von 37,2 Milliarden
DM auf 19,2 Milliarden DM zurückgeführt werden. Es
hat in der Zeit von 1982 bis 1989 eine Halbierung der
Nettokreditaufnahme des Bundes gegeben. Hätte es
nicht - ich werde darauf zu sprechen kommen - die
außergewöhnlich hohen, von vielen - auch von uns - in
diesem Umfang nicht so eingeschätzten zusätzlichen
Belastungen durch die Überwindung der deutschen
Teilung gegeben, hätten wir heute in Deutschland einen
ausgeglichenen Bundeshaushalt.
({4})
Es ist wahr, es kam in den Jahren 1989/90 eine Herausforderung auch auf die deutsche Finanzpolitik zu, die
in diesem Umfang und in diesem Ausmaß nicht vorherzusehen war. Gleichwohl ist es in den Jahren von 1990
bis 1998 entgegen vielen Befürchtungen nicht nur gelungen, den Geldwert stabil zu halten, sondern es ist
auch gelungen, einen großen Teil der Erblasten aus
40 Jahren real existierendem Sozialismus in eine geordnete Finanzpolitik in der Bundesrepublik Deutschland
zu überführen.
({5})
Meine Damen und Herren, es hat in diesen Jahren
einen breiten politischen Konsens im Bundestag und im
Bundesrat darüber gegeben, daß diese Erblasten aus
40 Jahren Sozialismus in der alten DDR in einem außerhalb des regulären Bundeshaushaltes geführten Titel zusammengefaßt werden, den wir damals Erblastentilgungsfonds und Fonds Deutsche Einheit genannt haben. Dieser Titel, dessen Volumen sich zum Ende des
Jahres 1998 auf insgesamt mehr als 500 Milliarden DM
addiert, ist außerhalb des regulären Bundeshaushalts geführt worden.
Herr Bundesfinanzminister, es ist unredlich, wenn Sie
heute diese Zahlen, in den Gesamthaushalt, in einen
Titel einbeziehen und nicht die Differenzierung danach
vornehmen, welches Schulden aus der alten DDR sind
({6})
und welches die laufenden Schulden der öffentlichen
Haushalte, insbesondere des Bundeshaushaltes ausmachen.
Meine Damen und Herren, in der Zeit von 1990 bis
1998 ist dieses Land, ist diese Volkswirtschaft in der
Lage gewesen, 5 Prozent seines Bruttoinlandprodukts
für den Aufbau der neuen Bundesländer auszugeben.
Wir sind in der Lage gewesen, in acht Jahren Zinserstattungen in Höhe von 80 Milliarden DM aus dem
Haushalt zu zahlen, Tilgungen in Höhe von 18 Milliarden DM vorzunehmen und zusätzlich Sondertilgungen
in Höhe von 25,5 Milliarden DM aus den Bundesbankgewinnen dem Erblastentilgungsfonds zuzuführen.
Sie haben nicht nur den Fonds Deutsche Einheit und
den Erblastentilgungsfonds in den allgemeinen Bundeshaushalt überführt, sondern Sie haben in diesem Jahr,
1999, die mögliche Tilgung in einem Umfang von 8
Milliarden DM dem Erblastentilgungsfonds gar nicht
mehr zugeführt.
({7})
Wir hätten heute eine höhere Beseitigung der Schulden
aus 40 Jahren real existierendem Sozialismus in einer
Größenordnung von 8 Milliarden DM, die dem Erblastentilgungsfonds zusätzlich zugeführt worden wären,
wenn Sie nicht den Erblastentilgungsfonds und den
Fonds Deutsche Einheit in den allgemeinen Bundeshaushalt überführt hätten. Das ist die Wahrheit.
({8})
Ich finde es schon ein bemerkenswert dreistes Stück,
wenn Sie heute ständig über die nächste und die übernächste Generation reden, aber verschweigen, daß Sie
im Jahre 1999 die 8 Milliarden DM Tilgung, die möglich gewesen wären, in den allgemeinen Bundeshaushalt
überführt haben. Dies ist ein bemerkenswert dreistes
Stück.
({9})
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren,
lagen wir Ende 1998 - das war das letzte Jahr dieser
schrecklichen 16 Jahre, die Sie immer beschreiben dem Tilgungsplan zum Erblastentilgungsfonds um
20 Milliarden DM voraus. Wir hatten also Ende 1998
20 Milliarden DM mehr getilgt, obwohl im Jahre 1997
entgegen dem ursprünglichen Tilgungsplan für den
Erblastentilgungsfonds die Tilgungen einmal ausgesetzt
worden sind.
Diese Bundesregierung hat das Sparen nicht erfunden; sie spart in Wahrheit auch nicht. Im Bundeshaushalt des Jahres 2000 sind Ausgaben in einer Größenordnung von 478 Milliarden DM veranschlagt. Das sind gegenüber dem laufenden Haushalt 1999 nicht 30 Milliarden DM, sondern nur ganze 7 Milliarden DM weniger.
Der laufende Haushalt des Jahres 1999 beläuft sich auf
485 Milliarden DM. Für das Jahr 2000 haben Sie Ausgaben von 478 Milliarden DM veranschlagt. Das sind
nicht 30 Milliarden DM, sondern nur 7 Milliarden DM
weniger. Ich werde auf eine Reihe von ungedeckten
Schecks noch zu sprechen kommen.
Auch hier der Vergleich zu dem, was war: Im Haushalt 1998 - und zwar im vollzogenen Haushalt des Jahres 1998 - belaufen sich die Bundesausgaben auf
455 Milliarden DM. Im ersten Jahr des Bundesfinanzministers Hans Eichel gibt die Bundesrepublik
Deutschland nicht 30 Milliarden DM weniger, sondern
22 Milliarden DM mehr aus als im letzten Bundeshaushalt der alten Regierung. Das ist die Wahrheit.
({10})
Dieser Betrag von 7 Milliarden DM, den Sie gegenüber dem laufenden Haushalt 1999 sparen wollen, ist
mit einer ganzen Reihe von ungedeckten Schecks finanziert. Ich will nur auf den größten Posten zu sprechen
kommen: Sie wollen im Bereich des Wohngeldes für
Sozialhilfeempfänger die Länder und die Kommunen in
die Pflicht nehmen. Allein in diesem Bereich wollen Sie
nicht 2,25 Milliarden DM einsparen, sondern auf die
Kommunen verschieben. Wenn Sie weitere Titel, die auf
die Kommunen verschoben werden sollen, hinzunehmen, dann können Sie feststellen, daß allein 4,5 Milliarden DM, möglicherweise sogar 5 Milliarden DM, nicht
wirklich gespart, sondern auf die Kommunen verschoben werden. Herr Bundesfinanzminister, Verschieben ist
kein Sparen,
({11})
sondern eine Lastenverschiebung auf die unteren staatlichen und kommunalen Ebenen.
Sie weisen in Ihrem Sparpaket globale Minderausgaben in einer Größenordnung von 5 Milliarden DM aus.
Das heißt, ein ganz erheblicher Teil des Sparvolumens,
das Sie realisieren wollen, ist nicht spezifiziert. Sie
überlassen es jetzt dem Parlament und den Ressorts,
Einsparungsvorschläge in einer Größenordnung von
5 Milliarden DM zu machen, von denen Sie heute schon
wissen, daß sie nicht realistisch sind.
Ich nenne Ihnen ein ganz konkretes Beispiel: Sie machen insbesondere den Bundesverteidigungsminister für
Einsparungen in seinem Bereich verantwortlich, um damit einen großen Teil dieser sogenannten globalen Minderausgabe zu decken. - Herr Scharping ist im Augenblick nicht anwesend.
({12})
- So wird es sein. - Mit dem, was der Bundeswehr im
Rahmen dieses Sparpaketes zusätzlich zugemutet wird entgegen allen Versprechungen, die ihr und ihrem
Amtsinhaber, der gegen seinen Willen dieses Amt erhalten hat, gemacht worden sind; Ende des letzten Jahres
hieß es, die Bundeswehr werde von den jetzt als notwendig angesehenen Sparmaßnahmen ausgenommen -,
wird ihre Funktionsfähigkeit im Kern beschädigt.
({13})
Möglicherweise schließt sich gerade der Bundesaußenminister mit dem Bundesverteidigungsminister kurz.
Es macht nämlich keinen Sinn, über internationale Verpflichtungen der Bundeswehr zu sprechen und weitere
Beiträge der Bundesrepublik Deutschland zu internationalen Friedensmissionen in Aussicht zu stellen,
({14})
wenn nicht gleichzeitig auch die Bundeswehr bezüglich
ihrer Personalsituation und technischen Ausrüstung in
die Lage versetzt wird, einen solchen Auftrag wahrnehmen zu können.
({15})
Herr Kollege Poß, die Lautstärke Ihrer Zwischenrufe
ist diametral entgegengesetzt der Überzeugungskraft,
mit der Sie Ihre Politik im eigenen Wahlkreis vertreten.
({16})
Ich habe mir mit großem Interesse die Wahlergebnisse
vom letzten Sonntag angesehen. Gerade in den früheren
Hochburgen der SPD im Ruhrgebiet ist zu beobachten diese Tatsache verdient es, daß eine breitere Öffentlichkeit von ihr Kenntnis nimmt -, daß die größten Verluste,
die die SPD dort am letzten Sonntag erlitten hat, im
Wahlkreis des Kollegen Poß in einer Größenordnung
von 14,1 Prozent gegenüber der letzten Kommunalwahl
lagen.
({17})
Es wird noch besser - ich habe mir die Ergebnisse genau
angesehen -: Herr Poß, vielleicht haben Sie diese Zahl
nicht so genau im Kopf. Gegenüber der Bundestagswahl
haben Sie 20,7 Prozent verloren. Das ist ein Beleg für
die Überzeugungskraft des Kollegen Poß in seinem eigenen Wahlkreis.
({18})
- Da hinten ruft einer, der es noch besser kann als Sie.
Aber auch da finden demnächst Wahlen statt.
({19})
Ich komme zurück auf den Bundeshaushalt des Jahres
2000. Sie beziehen - nicht nur in den Haushalt des Jahres 2000, sondern auch in die mittelfristige Finanzplanung - eine erhebliche Begrenzung des Einkommenszuwachses bei den Abschlüssen für die Beamten ein.
Herr Eichel, die ÖTV und andere haben Ihnen bereits
klar gesagt, daß das mit ihnen nicht zu machen ist.
({20})
Ganz objektiv wird es in einer ganzen Reihe von Bundesländern gar nicht so gehen können, wie Sie das wollen. Denn Sie haben offensichtlich übersehen, daß in
Sachsen und in anderen ostdeutschen Bundesländern ein
großer Teil der öffentlich Bediensteten, die Sie in Ihre
Rechnung einbezogen haben, nicht Beamte, sondern
Angestellte des öffentlichen Dienstes sind.
({21})
Sie können also von einer solchen Begrenzung des Zuwachses bei den Einkommen der Beamten und anderer
Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes objektiv nicht ausgehen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch
einmal auf das Thema Ökosteuer zu sprechen kommen,
jenseits aller steuerrechtlichen und sozialpolitischen Erwägungen: Wenn das Wirklichkeit wird, was Sie mit der
Ökosteuer in den nächsten fünf Schritten geplant haben,
dann werden Sie am Ende dieses Zeitraums im Bundeshaushalt Ausgaben - gesetzliche Verpflichtungen! - in
einer Größenordnung von 150 Milliarden DM eingestellt
haben, über die Sie nicht mehr verfügen können, es sei
denn, Sie stellen die Finanzierung der Rentenversicherung über die Ökosteuer zu einem späteren Zeitpunkt in
Frage.
Herr Eichel, das sind rund ein Drittel der Auszahlungen des Bundeshaushaltes. Wenn Sie - ich widerspreche
Ihnen nicht - beklagen, daß die Handlungsspielräume
des Staates durch zu viele Vorfestlegungen bei den öffentlichen Ausgaben zu schmal werden, dann sage ich
Ihnen: Mit diesem Konzept der Ökosteuer werden Sie
sich auf der Ebene des Bundeshaushaltes endgültig jedes
Handlungsspielraumes begeben, weil Sie mit der Quersubventionierung der Rentenversicherung durch die
Ökosteuer Festlegungen getroffen haben, von denen Sie,
wenn Sie das Wirklichkeit werden lassen, nie wieder herunterkommen.
({22})
Sie haben in diesem Zusammenhang gesagt, durch
dieses Ökosteuerkonzept sei es erstmalig gelungen, die
Abgaben zu senken.
({23})
Herr Eichel, Sie senken doch keine Abgaben. Sie haben
für die Probleme der Rentenversicherung, die unbestritten sind und über die wir ja schon lange diskutieren,
nicht eine Problemlösung, sondern nur eine neue Finanzierungsquelle gesucht.
({24})
Sie versuchen, mit einer eleganten Verpackung - wer
wolle bestreiten, daß die Formulierung „ökologischsoziale Steuerreform“ geschickt gewählt ist: jeder ist für
Ökologie, jeder ist gerne sozial ({25})
zu verdecken, daß Sie in Wahrheit ein zusätzliches, und
zwar dauerhaftes, Problem für den Bundeshaushalt
schaffen, wenn Sie Ausgaben aus dem Bundeshaushalt
in diesem Umfang für die Zukunft festlegen.
({26})
Meine Damen und Herren, wir werden im Bereich
der Sozial- und Rentenpolitik und anderer sozialer Sicherungssysteme nicht um grundlegende Veränderungen
herumkommen.
({27})
- Wissen Sie, Herr Kollege Wagner, bei Ihren Zwischenrufen wenden sich mittlerweile schon Ihre grünen
Koalitionspartner entsetzt ab. Sie sind wirklich nicht
mehr anzuhören. Ich habe größtes Verständnis dafür,
daß Sie nach dem Wahlergebnis im Saarland vom vorletzten Sonntag hier besonders zerknirscht sind. Sie sind
ja noch nie ein Ausbund großer Fröhlichkeit gewesen.
Aber Sie belästigen uns mit der Art und Weise, wie Sie
dazwischenrufen.
({28})
Meine Damen und Herren, wir werden um grundlegende Strukturreformen der sozialen Sicherungssysteme
nicht herumkommen. Wir werden das auch deswegen
nicht vermeiden können, weil die Beschäftigungsschwelle auf dem Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik
- die Sie, Herr Eichel, zu Recht beklagt haben - außergewöhnlich hoch ist. Die Beschäftigungsschwelle sagt
etwas darüber aus, ab welchem Wirtschaftswachstum in
der Bundesrepublik Deutschland oder in einer anderen
Volkswirtschaft eine Zunahme an Beschäftigung auf
dem Arbeitsmarkt zu erwarten ist.
Die Beschäftigungsschwelle in Deutschland ist in der
Tat hoch. Sie ist höher als in den meisten Industrieländern dieser Welt. Woran liegt das? Sie haben wohlweislich in diesem Zusammenhang nicht darüber gesprochen, daß die Beschäftigung in Deutschland im laufenden Jahr 1999 wieder deutlich abgenommen hat. Im übrigen war auffallend, daß Sie in Ihrer fast einstündigen
Rede das zentrale Thema Ihrer Regierung, nämlich die
Beseitigung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt, immer
nur im Zusammenhang mit Haushaltskennziffern genannt haben.
Wir werden auch in der Haushalts- und Finanzpolitik
sehr viel mehr über die wirtschaftspolitischen Grundfragen unseres Landes sprechen müssen. Zu diesen wirtschaftspolitischen grundsätzlichen Herausforderungen
gehört, daß in der Bundesrepublik Deutschland die sogenannte Beschäftigungsschwelle gesenkt werden muß.
Das geht aber nur, wenn Sie die Zutrittsbarrieren zum
Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland senken
und nicht weiter erhöhen.
({29})
Diese Bundesregierung hat zum Anfang ihrer Regierungstätigkeit genau das Gegenteil von dem getan, was
zur Senkung der Zutrittsschwellen zum Arbeitsmarkt in
Deutschland notwendig gewesen wäre.
Sie haben sich immer wieder selbst dafür gelobt, daß
Sie Versprechungen gehalten haben. In der Tat ist es
nicht ehrenrührig, Versprechungen zu halten. Sie haben
aber, meine Damen und Herren, von Anfang an die falschen Versprechungen abgegeben.
({30})
Sie haben nämlich der deutschen Öffentlichkeit - insoweit sind Sie jetzt Gefangene Ihrer eigenen Wahlkampfrhetorik des letzten Jahres - den Eindruck vermittelt,
man könne auch mit sehr hohen Kündigungsschutzschwellen, mit einer sehr umfangreichen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und mit weiteren Rigiditäten auf
dem Arbeitsmarkt das Problem nur dadurch lösen, wenn
man das vorhandene Volumen an Arbeit möglichst gerecht verteilt. Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat aber nicht in erster Linie ein
Verteilungsproblem, sondern ein nachhaltiges Investitions- und Wachstumsproblem.
({31})
Sie werden selbst bei einer besseren Entwicklung der
Konjunktur, die in der Tat auch ohne Ihr Zutun im nächsten Jahr zustande kommen wird, nicht vermeiden, daß
die Beschäftigungsschwelle in der Bundesrepublik
Deutschland nach wie vor oberhalb des Zuwachses des
realen Bruttoinlandsproduktes liegen wird.
Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland darauf, Herr Eichel, haben Sie überhaupt keine Antwort
gegeben - zur Absenkung der Beschäftigungsschwelle
und für die Möglichkeit, mehr Beschäftigung zu organisieren, eine höhere Flexibilität des Arbeitsmarktes. Wir
brauchen mehr Möglichkeiten, um auch im unteren
Lohnbereich Beschäftigung zu organisieren. Wenn Sie
mit diesen hohen Zutrittsbarrieren zum Arbeitsmarkt
fortfahren, dann werden Sie dieses zentrale Problem unseres Landes, das Sie zum zentralen Anliegen Ihrer Regierung gemacht haben, nicht lösen.
({32})
Richtigerweise haben Sie in Ihrer Rede immer wieder
die Steuerpolitik angesprochen. Sie haben gesagt, Sie
wollten in der Bundesrepublik Deutschland ein Steuersystem nach Leistungsfähigkeit und Sie wollten in der
Bundesrepublik Deutschland ein gerechtes Steuersystem, das mehr Beschäftigung ermögliche. Herr Eichel,
ich habe in guter Erinnerung, wie die Angriffe aus den
Reihen der Sozialdemokraten und aus den Reihen der
sozialdemokratisch geführten Bundesländer gegen unser
Steuerkonzept in den Jahren 1996 und 1997 gelaufen
sind, als wir genau das, was Sie heute reklamieren,
schon einmal machen wollten. Ich könnte Ihnen heute
noch Briefe vorlesen, die Kollegen aus der SPDBundestagsfraktion aus den Küstenländern verfaßt haben. Ich könnte Ihnen einen Brief vorlesen, den die noch
amtierende Ministerpräsidentin des Landes SchleswigHolstein geschrieben hat, als wir genau das machen
wollten, was Sie heute reklamieren, nämlich die zahlreichen Ausnahmetatbestände in unserem Steuersystem zu
beseitigen. Ich nenne nur das Beispiel der Schiffsbeteiligungen. Wir wollten das im Jahr 1997 angehen; wir
wollten die steuerliche Bemessungsgrundlage so
verbreitern, daß eine Besteuerung nach Leistungsfähigkeit in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich verwirklicht wird.
({33})
Diejenigen, die das verhindert haben, sitzen hier auf der
linken Seite, meine Damen und Herren.
({34})
Ich finde es ja schon fast amüsant, wie häufig an die
Opposition appelliert wird, jetzt nicht zu blockieren.
Offensichtlich haben Sie Angst davor, daß die heutige
Opposition die gleichen Verhaltensmuster wie die frühere Opposition anwendet.
({35})
Ich sage Ihnen: Wir werden das nicht tun. Im Gegenteil:
Ich mache Ihnen zwei konkrete Angebote. Ich mache
Ihnen das Angebot, daß wir mit Ihnen zusammen bei
zwei zentralen innenpolitischen Fragen gemeinsame
Konzepte erarbeiten und kurzfristig umsetzen.
Erstens. Wir sind bereit, mit Ihnen darüber zu sprechen, ob nicht die nebeneinander stehenden und häufig
auch im Widerspruch zueinander stehenden Systeme der
Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Transfersystem zusammengefaßt werden sollten.
({36})
Die Ausgaben für die Sozialhilfe bewegen sich in
einer Größenordnung von 50 Milliarden DM und für die
Arbeitslosenhilfe in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM. Im Arbeitslosenhilfesystem besteht nicht die
Möglichkeit, jemanden zu entsprechender Beschäftigung
heranzuziehen und zur Aufnahme gemeinnütziger Tätigkeit zu verpflichten. Die Behörden, die diese sozialen
Systeme zu verwalten haben, stehen nebeneinander,
teilweise sogar gegeneinander. Sie schieben sich die
Fälle gegenseitig zu. Durch ein einheitliches Transfersystem könnte man hier nicht nur einen erheblichen Teil
der Ausgaben einsparen, sondern auch eine konsistente
Politik für diejenigen betreiben, die diese Systeme tatsächlich brauchen. Wir bekennen uns ausdrücklich dazu:
Auch in Zukunft ist Sozialhilfe für diejenigen notwendig, die verschuldet oder unverschuldet ein Problem haben. Wir sind ausdrücklich bereit, zugunsten einer neuen
Möglichkeit der Finanzierung, die auf unterer Ebene
gehalten werden muß, die Systeme der Sozialhilfe und
der Arbeitslosenhilfe zu einem System zusammenzufassen.
Kollege Merz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuhrmann?
Der Kollege Fuhrmann? - Gerne.
Herr Merz, habe ich Sie
richtig verstanden, daß es im Bundessozialhilferecht
keine Möglichkeit gibt, zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen zu werden? Das irritiert mich jetzt.
({0})
Ich habe Verständnis
dafür, Herr Kollege Fuhrmann, daß Sie das irritiert. Sie
alle waren damals, als wir diese Regelung eingeführt
haben, dagegen. Trotzdem haben Sie dies nach dem Regierungswechsel - richtigerweise - nicht geändert. Aber
nach den Bestimmungen des Sozialhilfegesetzes können
Sozialhilfeempfänger zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen werden. Wenn Sie dieser Verpflichtung nicht
Folge leisten, müssen sie eine erhebliche Kürzung ihrer
Leistungen akzeptieren. Darauf habe ich ausdrücklich
hingewiesen.
({0})
- Entschuldigung, wenn es ein Mißverständnis gegeben
hat. Ich habe es ausdrücklich gesagt.
Ich habe darauf hingewiesen - Ihre Frage ist deswegen richtig und notwendig, weil sie mir Gelegenheit
gibt, es noch einmal zu erklären -, daß von der Möglichkeit, Leistungen zu kürzen, im Rahmen der Arbeitslosenhilfe kein Gebrauch gemacht werden kann. Ich
biete ausdrücklich an, daß die bisher nebeneinander stehenden Sozialsysteme - Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe - zu einem einheitlichen Sozialhilfesystem - wie immer Sie es nennen wollen - zusammengefaßt werden.
Wenn das geschieht, muß auch die Möglichkeit wie im
heutigen Sozialhilferecht gegeben sein, Empfänger von
Arbeitslosenhilfe zu gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen.
({1})
Wir machen der Bundesregierung ein zweites konkretes Angebot der Zusammenarbeit. Wir sind bereit,
mit Ihnen vorurteilsfrei auf der Basis aller bis zum heutigen Tag erarbeiteten fachlichen und wissenschaftlichen
Vorschläge in der Bundesrepublik Deutschland kurzfristig eine Steuerreform für Wachstum und Beschäftigung umzusetzen.
({2})
Ich weise darauf hin: Die zentralen Probleme unseres
Landes - nicht dieser Regierung; die wird den nachfolgenden Generationen völlig gleichgültig sein - bestehen
darin, daß das wirtschaftliche Wachstum zu gering ist,
daß es keine Investitionen gibt und daß die Beschäftigungsschwelle zu hoch ist. Wir müssen in der Bundesrepublik Deutschland ein Steuersystem verwirklichen,
das den Forderungen nach mehr Wachstum und mehr
Beschäftigung Rechnung trägt.
Wenn Sie die Fragen stellen: „Was ist sozial? Was ist
soziale Gerechtigkeit?“ - vorausgesetzt, dies soll mehr
als Worthülsen sein, mit der Sie Wahlkampf führen -,
dann müssen wir antworten: Sozial gerecht ist das, was
Beschäftigung in Deutschland schafft.
({3})
Diese Antwort bedeutet - bedauerlicherweise ist auch
der Kollege Struck bei der Diskussion über dieses Thema nicht im Saal -, ein Steuersystem zu verwirklichen,
das im wesentlichen dem entspricht, was wir in der letzten
Legislaturperiode durchzusetzen versucht haben. Wir sind
bereit - ich wiederhole das -, vorurteilsfrei auf der Basis
aller fachlich erarbeiteten Vorschläge eine grundlegende
Reform des Steuersystems in der Bundesrepublik
Deutschland mit Ihnen durchzusetzen, und zwar zu einem
Zeitpunkt, an dem Sie sich, Herr Eichel, mit Ihrem geplanten Betriebssteuerkonzept in den Fallstricken des
Systems offensichtlich völlig verfangen haben.
({4})
Wir sind bereit, das mit Ihnen gemeinsam zu machen.
Wir sind bereit, das zu tun, wovon der Kollege Struck
völlig zu Recht gesprochen hat, nämlich eine Steuerreform in Deutschland auf den Weg zu bringen, die diesen
Namen wirklich verdient.
({5})
Wir sind sogar bereit, mit Ihnen zusammen ein Versprechen einzuhalten, das Sie und nicht wir abgegeben
haben, nämlich eine solche Steuerreform mit einer Nettoentlastung zum 01.01.2000 kurzfristig in Kraft zu setzen. Das ist möglich. Wenn es gelänge, dann ginge ein
wirklicher Ruck für mehr Wachstum, für mehr Beschäftigung und für mehr Arbeitsplätze durch dieses Land.
({6})
Sparen ist zwar grundsätzlich richtig, aber wenn Sie
es nur auf der Basis Ihrer verkorksten Haushaltslage, die
Sie selbst zu Beginn des Jahres 1999 mit 30 Milliarden
DM Mehrausgaben gegenüber dem Vorjahr herbeigeführt haben,
({7})
wenn Sie nur Ihre eigenen Probleme lösen und nicht dazu beitragen, daß wir in Deutschland mehr Wachstum
und mehr Beschäftigung bekommen, dann wird jede
Sparoperation umsonst sein, dann werden die Probleme
dieses Landes nicht gelöst.
Herzlichen Dank.
({8})
Werter Kollege
Wagner, ich möchte Ihnen eine Empfehlung aussprechen: Gehen Sie mit dem im Zwischenruf gemachten
Vorwurf „Sie lügen“ etwas sparsamer um! Man könnte
beweispflichtig werden. Es handelt sich um eine herzliche Bitte.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Joachim Poß,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Man kann zutreffende Feststellungen unterschiedlich ausdrücken;
({0})
man muß nicht das Wort „Lüge“ gebrauchen. Ich werde
im Rahmen meiner Ausführungen darauf zu sprechen
kommen, daß bei Herrn Merz die Fähigkeit zur Formulierung spitzfindiger Sottisen weitaus ausgeprägter als
der Hang zur Wahrhaftigkeit oder auch zu klarem, konzeptionellem Denken ist.
({1})
Eines ist nicht zu leugnen: Wir werden derzeit bei
Wahlen für die Abtragung der Erblast bestraft, die Herr
Merz heute morgen versucht hat wegzudefinieren. Für
diese Hypotheken werden wir bestraft.
({2})
Das muß man schlicht und einfach feststellen.
Im übrigen, Herr Merz, bezogen auf meinen Wahlkreis: Ich stand da nicht zur Wahl. Zur Wahrhaftigkeit
gehört auch, das zu sagen.
({3})
Welche Zielmarke Sie und ich erreichen, das wird sich
im Jahre 2002 herausstellen, Herr Merz. Das wollen wir
einmal sehen. Meine letzte Zielmarke waren 65,4 Prozent. Ich glaube, Sie sind im Sauerland stärker eingebrochen. Haben Sie das schon vergessen? Das war am 27.
September. Herr Merz, die Konkurrenz zwischen uns
tragen wir wieder im Jahre 2002 aus. Dann können wir
im Deutschen Bundestag Bericht erstatten, wie diese
Konkurrenz ausgegangen ist.
({4})
Wir haben hier eine Premiere erlebt. Die Rede von
Herrn Merz war eine Rede mit Ansage. In der „Welt“
war heute zu lesen, er werde Herrn Eichel mit einer
Zahlenreihe entlarven. Was haben wir hier erlebt? Herr
Merz hat versucht, mit verschiedensten Zahlen zu belegen, es gebe gar keine Kohlsche Erblast, es gebe nur
eine Erblast der sozialliberalen Koalition und eine der
ehemaligen DDR. Kohl und die ehemalige Regierungskoalition hätten nie in der Verantwortung gestanden.
Das war die Quintessenz der Beweisführung.
Wenden wir uns doch einmal den Fakten und nicht
den Vernebelungen, die hier mit eloquenter Blasiertheit
vorgetragen wurden, zu.
({5})
Zu den Fakten zählt, daß in der ersten Hälfte der Regierungszeit von Helmut Kohl - diese Differenzierung
wurde von Herrn Merz vorgenommen - die Schulden
verdoppelt wurden. In der zweiten Hälfte der Regierungszeit von Helmut Kohl wurden die Schulden verFriedrich Merz
vierfacht. Herr Merz, Sie können reden, was Sie wollen,
das sind die Fakten.
({6})
Herr Eichel hat immer die richtigen Zahlen und Daten
genannt.
Herr Merz, Sie haben über unsere Regierungszeit gesagt, wir hätten von Anfang an die falschen Versprechungen abgegeben. Nein, Sie haben im Zusammenhang
mit der deutschen Einheit die falschen Versprechungen
abgegeben.
({7})
Sie haben 1990 gesagt, die Einheit werde aus der Portokasse finanziert. Auf diese Weise haben Sie sich am Zusammenwachsen von Ost und West versündigt.
({8})
Mit Ihrer Herangehensweise haben Sie so getan, als sei
die Einheit ohne Anstrengungen zu finanzieren. Für dieses historische Versäumnis stehen Sie, Herr Merz, und
andere; Herr Waigel natürlich mehr als Sie. Zu jener
Zeit spielten Sie noch keine große Rolle, und die Regierungszeit haben Sie nicht lange genießen können. Aber
Herr Kohl, der vorhin hier saß, und Herr Waigel spielten
neben der F.D.P. dabei eine wichtige Rolle.
Wir haben die richtigen Versprechungen abgegeben.
Wir haben vor der Wahl gesagt, wir würden Arbeitnehmer wieder in den alten Stand setzen, was ihre Rechte
angeht. Dazu stehen wir Sozialdemokraten; auch wenn
das manche in den eigenen Reihen oder von Gewerkschaften ungerechtfertigterweise anders sehen. Wir haben nach der Wahl das gemacht, was wir vor der Wahl
gesagt haben. Wir sind wahrhaftig geblieben. Natürlich
kann man über die einzelnen Maßnahmen streiten. Sie
dagegen haben vor der Wahl 1990 der deutschen Bevölkerung die Unwahrheit gesagt. Das ist die Wahrheit,
meine Damen und Herren.
({9})
Es unterscheidet diese Koalition von Ihnen, daß wir
nach der Wahl das machen, was wir vor der Wahl gesagt
haben.
({10})
Wenn man nicht ein kurzes Gedächtnis hat, muß man
das doch zugestehen.
Herr Merz hat auch gesagt, es sei nicht richtig, jetzt
den Erblastentilgungsfonds in den Haushalt aufzunehmen; anderenfalls hätten wir 8 Milliarden DM tilgen
können. Herr Merz, es hat doch nie reale Tilgungen gegeben. Die Tilgungen wurden durch zusätzlichen Schuldenaufbau finanziert. Das ist die Wahrheit. Es war kein
echtes Tilgen.
({11})
Dann haben Sie gesagt, Sie hätten das großzügige
Angebot einer großen Steuerreform gemacht. Sie haben
doch jetzt die Chance, bei den Schritten mitzuwirken,
die anstehen. Wir haben den Entwurf eines Familienförderungsgesetzes. Wir bekommen Anfang nächsten Jahres den Entwurf einer Unternehmensteuerreform. Bei
dem größten Reformvorhaben, das je realisiert wurde,
beim Steuerentlastungsgesetz, haben Sie doch permanent gegen das Schließen von Schlupflöchern gestimmt.
Das gehört auch zur Wahrheit; das kann man doch im
Protokoll nachlesen, Herr Merz.
({12})
Ich weiß gar nicht, welchen Eindruck Sie hier der
deutschen Öffentlichkeit vermitteln wollen. Wir realisieren derzeit die größte Steuerreform aller Zeiten im Zusammenwirken von Steuerentlastungsgesetz, Familienförderungsgesetz, Unternehmensteuerreform und Fortsetzung der Ökosteuerreform. Ein solches Paket hat es in
der Bundesrepublik Deutschland bisher noch nicht gegeben.
({13})
Nein, es ist wirklich schizophren: Seit elf Monaten sind
wir dabei, die höchste Arbeitslosigkeit, den höchsten
Schuldenberg sowie die höchste Steuer- und Abgabenlast abzuarbeiten. Dabei werden wir von Ihnen so begleitet, wie wir es gegenwärtig erleben. Sie müssen
wirklich eine andere Haltung annehmen.
({14})
Sie können doch nicht mit dem kurzen Gedächtnis der
Menschen rechnen und so tun, als hätten alle vergessen
- viele haben es ja leider schon vergessen -, welchen
Scherbenhaufen Sie uns hinterlassen haben.
({15})
Deshalb ist das Zukunftsprogramm richtig und
wichtig. Über Einzelheiten des vorgelegten Zukunftsprogramms wird sicher noch geredet und gestritten werden. Gesamtrichtung und Gesamtkonzept müssen jedoch
Bestand haben. In dieser Frage gibt es Konsens in der
SPD-Fraktion und auch bei den SPD-geführten Bundesländern.
Das Zukunftsprogramm bricht endgültig mit der Verschuldungspolitik der Regierung Kohl;
({16})
es stellt eine Zäsur dar. Die Zahlen hat Herr Eichel
Ihnen genannt. Aber ich wiederhole sie; man kann sie ja
nicht oft genug nennen. Von 350 Milliarden DM im Jahre 1982 ist die Staatsverschuldung allein beim Bund auf
1,5 Billionen DM angestiegen - eine riesige Summe,
die, auf den einzelnen Bundesbürger gerechnet, einen
Schuldenbetrag von etwa 19 000 DM bedeutet. Das ist
alarmierend.
Wenn der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr
Dr. Schäuble, im ZDF vor Millionen von Menschen behauptet, mit den Staatsfinanzen sei es gar nicht so
schlimm, die Lage der Bundesfinanzen werde von uns
dramatisiert, dann ist das eine unzulässige - ich sage sogar: verantwortungslose - Verharmlosung der wahren
Lage.
({17})
Aber weil die abgelöste Koalition nicht den Mut und
nicht die Standfestigkeit hatte, eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung zu betreiben, bleibt dem Partei- und
Fraktionsvorsitzenden Schäuble gar nichts anderes übrig, als zu behaupten, alles sei nicht so schlimm. Nur,
zukunftsfähig ist das nicht, was er da macht.
({18})
Wenn auf Grund der aufgetürmten Schulden heute
die Zinszahlungen nach den Sozialausgaben der zweitgrößte Etatposten des Bundes sind, dann ist die finanzielle Handlungsfähigkeit des Bundes in Gefahr. Da beißt
die Maus keinen Faden ab; das ist der Tatbestand. Jede
vierte Steuermark des Bundes muß heute für Zinsen
verwendet werden. Dieses Geld steht für Zukunftsaufgaben, wie zum Beispiel für Bildung, Forschung und Infrastruktur, nicht mehr zur Verfügung. Deshalb müssen
wir umsteuern. Deshalb muß unser Zukunftsprogramm
einen umfangreichen Spar- und Konsolidierungsteil enthalten. Darüber müßte eigentlich parteiübergreifend
Konsens bestehen.
({19})
In einer Welt, in der die sozialen Spannungen eher zuals abnehmen, in der durch Globalisierung und immer
rasantere Produktivitätsentwicklung auch in Zukunft
Arbeitsplätze gefährdet werden, muß der Staat in erheblichem Maße finanziell handlungsfähig bleiben.
Auch das Volumen des von der Regierung vorgeschlagenen Konsolidierungspaketes ist richtig und unvermeidlich. Würden nicht im Jahre 2000 30 Milliarden DM und im Finanzplan bis 50 Milliarden DM gespart, würde die Nettokreditaufnahme des Bundes ab
dem Jahre 2000 Jahr für Jahr auf ein Niveau von etwa
80 Milliarden DM oder höher steigen. Nur zur Erinnerung: Den traurigen Rekord bei der jährlichen Kreditaufnahme des Bundes hält ebenfalls die Regierung
Kohl/Waigel mit 78 Milliarden DM im Jahre 1996.
({20})
Die frühere Koalition hat uns einen Haushalt hinterlassen, der in erschreckender Weise gegen das grundlegende Prinzip der Haushaltswahrheit verstoßen hat. So
wurden zum Beispiel vor der Bundestagswahl die wirtschaftliche Entwicklung zu positiv eingeschätzt, um die
Steuereinnahmen optisch nach oben zu treiben, die nötigen Ausgaben für den Arbeitsmarkt zu gering veranschlagt, Risiken ignoriert - zum Beispiel in der Frage
der Gewährleistungen - und feststehende Verpflichtungen nicht etatisiert - zum Beispiel beim Kohlekompromiß. Erst als dies von der neuen Regierung bereinigt
worden ist - denn darum geht es: wir haben nicht den
Haushalt aufgebläht, sondern wir haben für Haushaltsklarheit und -wahrheit gesorgt, Herr Kollege Merz,
nichts anderes -,
({21})
ist das Gesamtausmaß der Haushaltsmalaise deutlich
geworden.
Zu den Schattenhaushalten habe ich schon etwas
gesagt. Sie haben die Schattenhaushalte gebildet, um das
Ausmaß der Haushaltsprobleme zu verschleiern. Auch
das haben wir beendet. Uns vor diesem Hintergrund eine
expansive Haushaltspolitik vorzuwerfen und uns zu unterstellen, wir sammelten jetzt ein, was wir 1999 „draufgelegt“ hätten,
({22})
obwohl wir nur Haushaltswahrheit und -klarheit hergestellt haben, wie Recht und Gesetz es vorschreiben,
grenzt schon an Demagogie.
({23})
Was die Struktur der Sparmaßnahmen angeht,
Herr Merz - wegen Ihrer Bemerkung zu einzelnen
Haushalten, zum Beispiel Verteidigung -, so kann der
Haushalt im notwendigen hohen Umfang nur dann konsolidiert werden, wenn die neben den Zinsausgaben
größten Ausgabeblöcke im Bundeshaushalt - die Sozialausgaben, die Verteidigungsausgaben und auch die Ausgaben für Verkehr und Bauwesen - begrenzt werden. Es
wird sich in den kommenden Diskussionen im einzelnen
zeigen, daß für die vom Kabinett vorgelegte Struktur der
Konsolidierungsmaßnahmen gute Argumente bestehen.
Es ist zum Beispiel durchaus überzeugend, in welcher
Weise Arbeitsminister Riester seine Prioritäten setzt. Bei
der aktiven Arbeitsmarktpolitik und beim Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit wird auf Einsparungen und
Schnitte verzichtet. Dafür muß allerdings vorübergehend
der Anstieg von Sozialleistungen begrenzt werden.
Schmerzhaft und von uns nur im Hinblick auf den Gewinn von Zukunftsperspektive akzeptabel sind sicherlich
die vorgesehenen Einsparungen bei den Arbeitslosenhilfeausgaben.
Eine grundsätzliche Alternative zum eingeschlagenen Konsolidierungskurs kann ich nicht erkennen. Erinnern wir uns doch: Noch im Frühjahr war es beim politischen Gegner, teilweise auch in der eigenen Koalition jedenfalls bei einzelnen - und auch bei den Medien eine
ausgemachte Sache, daß wir, um überhaupt einen verfassungsmäßigen Haushalt aufstellen zu können, die
Mehrwertsteuer um mehrere Prozentpunkte anheben
müßten. Aber allein aus konjunkturellen Gründen wäre
das doch verheerend gewesen, meine Damen und Herren. Wer wie wir die Steuern gerade der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, der Familien und des
Mittelstandes senken will, der kann nicht gleichzeitig
den Haushalt über Steuererhöhungen konsolidieren
wollen. Deshalb machen wir das auch nicht.
({24})
Die Opposition kündigt fast täglich an, sie wolle sich
konstruktiv an der Haushaltskonsolidierung beteiligen.
Nur fehlen bisher ernstzunehmende Vorschläge. Wir hören nur, dieses dürfe nicht gekürzt, jenes dürfe nicht zurückgefahren werden. Nur in einem Bereich wird die
CDU/CSU deutlich: So fordert Herr Merz im „Focus“,
den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit gleich um
viele Milliarden DM zurückzufahren. Das würde bedeuten: weniger Geld für das äußerst erfolgreiche Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit, weniger Geld für
aktive Arbeitsmarktpolitik in West- und vor allem in
Ostdeutschland.
Oder wollen Sie etwa auf die Vorschläge der Herren
Protzner und Uldall zurückgreifen? Sie forderten: kein
Geld für Arbeitslose mehr im ersten Monat ohne Job, in
der Krankenversicherung nur noch begrenzte Leistungen, erhöhte Zuzahlungen und Selbstbehalt. Es muß
doch allen klar sein: Wenn die alte Koalition bestätigt
worden wäre, wäre das, was jetzt Uldall und Protzner
fordern, Bestandteil des Drehbuchs für die Koalitionsvereinbarungen geworden.
({25})
Die Menschen müssen doch erfahren und es muß ihnen klar werden, was ihnen bei Fortsetzung einer
schwarzgelben Koalition gedroht hätte; dann können sie
zwischen jenem und dem, was wir jetzt an sozialen
Härten in unserem Zukunftsprogramm formulieren, abwägen.
({26})
Für diese Form von konstruktiver Mitarbeit werden Sie
unseren Beifall nicht finden - und wohl auch gar nicht
ernsthaft erwarten.
Die Debatte um Zukunftsprogramm und Konsolidierung wird insgesamt zu einseitig geführt. Konsolidierung und Zukunftsgestaltung sind zwei Seiten einer Medaille. So gelingt es uns durch unseren Konsolidierungskurs, bereits im Jahre 1999, im Haushalt 2000, aber auch
im Finanzplan bis 2003 starke Akzente für mehr Innovation, mehr Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit zu
setzen.
So wird die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verantwortung für die Sicherung des Friedens und den
Wiederaufbau in Südosteuropa gerecht. Deshalb stellen
wir im Finanzplanungszeitraum für den Stabilitätspakt
Südosteuropa außerhalb des militärischen Bereichs
1,2 Milliarden DM zur Verfügung.
Das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, dessen Erfolg bereits jetzt unübersehbar
ist, wird auch im Jahr 2000 fortgeführt und erneut mit
2 Milliarden DM ausgestattet. Insgesamt bleibt die aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau.
Die Zukunftsinvestitionen in Forschung, Bildung und
Wissenschaft werden sukzessive erhöht.
Ab dem 1. Januar 2001 wird für Bezieher von Tabellenwohngeld das Wohngeld erhöht. Acht Jahre lang haben vier Bauminister von CDU/CSU und F.D.P. immer
wieder eine Wohngeldreform versprochen und nichts
getan. Die neue Regierung handelt dagegen auf diesem
Felde.
({27})
Beginnend mit dem Jahr 1999 wird der Einsatz regenerativer Energien von uns massiv durch zinsverbilligte Darlehen und/oder Investitionskostenzuschüsse gefördert. Schwerpunkte bilden dabei das auf sechs Jahre
angelegte 100 000-Dächer-Solarstromprogramm und ein
Marktanreizprogramm zugunsten erneuerbarer Energien.
Insgesamt werden dafür im Finanzplanungszeitraum
rund 1,1 Milliarden DM aufgewendet.
Mit dem bereits in Kraft getretenen Steuerentlastungsgesetz, das finanzwirtschaftlich in einem engen
Zusammenhang mit der haushaltspolitischen Konsolidierung gesehen werden muß, werden lohnsteuerpflichtige Arbeitnehmer bis zum Jahre 2002 um 46 Milliarden
DM entlastet. Das entspricht einer Absenkung der
Lohnsteuerbelastung gegenüber dem bisher geltenden
Recht um 14 Prozent. Dies ist eine bedeutende und
grundlegende Kurskorrektur in der deutschen Steuerpolitik. Zu einer solchen sozialen Korrektur ist es durch die
alte Bundesregierung nie gekommen; dazu wäre sie auch
nie in der Lage gewesen.
({28})
Zu den großen gesellschaftspolitischen Problemen
Deutschlands gehört auch die Benachteiligung der Familien mit Kindern. Das ist nicht nur, aber auch ein
gravierendes finanzielles Problem. Kinder sind noch
immer oft genug Armutsrisiko Nummer eins. Auch hier
haben wir bereits die Trendwende vollzogen: mit dem
Steuerentlastungsgesetz, mit der Anhebung des Kindergeldes. Mit dem Familienförderungsgesetz wird eine
weitere Anhebung des Kindergeldes um 20 DM vorgenommen; auch die Erhöhung des steuerlichen Freibetrags auf knapp 10 000 DM ist darin vorgesehen.
Eine Familie mit zwei Kindern hat ab dem Jahre 2000
inklusive der Grundfreibetragsanhebung und der Werbungskostenpauschale ein steuerfreies Einkommen von
knapp 50 000 DM.
({29})
Von einer solchen steuerlichen Entlastung konnten Familien unter der Regierung Kohl nur träumen.
({30})
Für unsere Kinder zu sparen, auch wenn es manchmal
schmerzhaft ist, ist Zukunftsprogramm in seiner reinsten
Form.
Das Steuerentlastungsgesetz enthält ebenfalls Steuerentlastungen für kleine und mittlere Unternehmen.
Nach einer Untersuchung des arbeitgebernahen Instituts
der deutschen Wirtschaft werden kleine und mittlere
Unternehmen um 12,3 Milliarden DM entlastet. Die geplante Unternehmensteuerreform soll daneben ab dem
1. Januar 2001 zusätzlich rund 8 Milliarden DM netto an
Steuererleichterungen bringen. Das belegt eindrucksvoll,
daß nicht nur Arbeitnehmer und insbesondere Familien
mit Kindern durch unsere Reformgesetze steuerlich begünstigt werden. Auch die Wirtschaft wird spürbar und
nachhaltig entlastet.
All dies geht aber nur, wenn gespart wird, wenn das
Ziel unserer Haushaltspolitik auch weiterhin heißt: Zukunftsgestaltung und Konsolidierung. Das ist die große
gesellschaftliche Aufgabe, vor der wir stehen. Die
Schaffung von Arbeitsplätzen kann nur mit einem finanziell handlungsfähigen Staat gelingen. Wir sind auf dem
guten Weg, einen solchen Staat hinzubekommen.
Vielen Dank.
({31})
Ich erteile dem Kollegen Günter Rexrodt, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, in Ihrer
Koalitionsvereinbarung vom Oktober 1998 heißt es:
Der Schlüssel zur Konsolidierung der Staatsfinanzen ist die erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({0})
An der Arbeitslosigkeit werden wir Sie messen - heute
und in anderem Zusammenhang. Die Bilanz, die Sie
heute vorweisen können, ist über alle Maßen dürftig.
Mit Ihrer Politik wird sie auch dürftig bleiben.
({1})
- Wir haben die Wende in der Arbeitsmarktentwicklung
geschafft. - Weil sie so dürftig ist, kaprizieren Sie sich
heute darauf, die finanzielle Hinterlassenschaft der Regierung Kohl als Wurzel allen Übels darzustellen. Damit
wollen Sie glauben machen, daß der schlingernde Kurs
und die handwerkliche Unzulänglichkeit Ihrer Finanzpolitik gewissermaßen zwangsläufig die Folge der vermeintlichen Haushaltsmisere der Regierung Kohl seien.
Herr Eichel, Sie machen das zuweilen sehr geschickt,
weil Sie die Dinge aus dem Zusammenhang reißen;
dann nämlich sind sie formal nicht falsch. Wir alle aber
wissen: Dadurch wird es nicht richtig. Deshalb sind dies
Halbwahrheiten. Und Halbwahrheiten sind das Gefährlichste und das Demagogischste, was es gibt - auch im
Zusammenhang mit der Haushaltspolitik.
({2})
Ich will Ihnen das an einem Beispiel darstellen. Sie
stellen die Bundesschuld von 300 Milliarden DM im
Jahre 1982 einer Schuld von 1,5 Billionen DM im Jahre
1998 gegenüber. Das schockt. Das müssen wir aufräumen, sagen Sie. Sie müssen da mithelfen, setzen Sie
hinzu. Das klingt staatstragend.
Tatsache ist, daß die Schulden des Bundes zwischen
1982 und 1989 bei einem enorm gestiegenen Sozialprodukt um 59 Prozent gestiegen sind und daß in derselben
Zeit die Staatsquote von über 50 Prozent auf 45,5 Prozent gesenkt werden konnte. Das war ein Riesenerfolg,
und das war auch ein Stück Aufräumarbeit.
({3})
Kollege Rexrodt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold?
Nein, ich würde sehr
gern im Zusammenhang vortragen, Herr Präsident.
Tatsache ist auch - das geben wir zu - , daß die Verschuldung des Bundes nach 1990 enorm angewachsen
ist. Aber jeder weiß, daß das wiedervereinigungsbedingt
war.
Die neue Bundesregierung hat nun, um die Zahlen zu
dramatisieren, die Erblastentilgungsfondsschulden und
den Fonds Deutsche Einheit in die Bundesschuld integriert. Das ist haushaltstechnisch in Ordnung. Aber der
getrennte Ausweis wäre nach meiner Überzeugung klüger gewesen. Ich glaube auch, eine Tilgung über die Zeit
hätte mit Blick auf die Generationen ihre innere Begründung gehabt.
Darüber hinaus - das halte ich für entscheidend - ist
dieser Anstieg auch darauf zurückzuführen, daß sich die
alten Bundesländer nur unzulänglich am Aufbau der
neuen Länder beteiligt haben.
({0})
Da waren sich alle im Prinzip einig. Aber die sozialdemokratischen Bundesländer, die immer die Fahne der
Solidarität hochhalten, haben sich in diesem Zusammenhang in besonderer Weise schwergetan.
({1})
Das war im übrigen, Herr Bundeskanzler, die Zeit, als
der niedersächsische Oppositionsführer Gerhard Schröder davon sprach, daß man die da drüben wohl nicht den
Polen zuschlagen könne.
Im Jahre 1982 konnte der Bund 48,4 Prozent der Gesamtsteuereinnahmen auf sich ziehen. Heute sind es 40,9
Prozent. Gebetsmühlenartig tragen Sie vor - auch heute
wieder - , Bundeskanzler Kohl hätte den Leuten sagen
müssen: Die Wiedervereinigung kostet viel Geld; also
Steuererhöhung gleich zu Beginn. Wahr ist, daß damals
kaum einer übersehen konnte, wieviel Investitionen in
den Aufbau Ost fließen mußten. Aber tun Sie von der
Regierung nicht so, als ob Sie gewußt hätten, wo es
langgeht und wieviel Geld Sie hätten aufwenden müssen.
Nicht die gesamte, aber große Teile der SPD und der
Grünen haben damals nur auf das Kostenargument gesetzt und auf die Steuererhöhungen gelauert, weil Sie
damit hätten Stimmung machen können gegen die Wiedervereinigung Deutschlands, die in großen Teilen Ihrer
Partei gar nicht gewünscht worden war.
({2})
Sie haben nur darauf gelauert, daß wir mit dem Steuererhöhungsargument kommen.
Kollege Rexrodt, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen.
Kollege Urbaniak,
Sie haben gehört.
({0})
Ach, Feigling. Nunmehr kann in einem fortgeschrittenen Stadium der Wiedervereinigung festgestellt werden, daß in Deutschland
eine Staatsschuld von insgesamt 60 Prozent des Bruttosozialprodukts besteht. Daß wir im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld liegen, ist Ausdruck der
enormen Anstrengungen der Menschen in Ost und West.
Das ist Ausdruck der enormen Leistungskraft dieses
Landes. Das, meine Damen und Herren, dürfen wir in
dieser Diskussion nicht vergessen.
Natürlich sind Staatsschulden in Höhe von 60 Prozent des Bruttosozialprodukts zu hoch, viel zu hoch.
Natürlich hat das nichts mehr mit Generationengerechtigkeit zu tun, und natürlich muß diese Finanzlast zurückgefahren werden. Da besteht ein überparteilicher
Konsens; das ist gar keine Frage. Tun Sie von der Koalition aber nicht so, als ob Sie die ersten wären, die dieses Staatsziel überhaupt verfolgt hätten.
Tatsache ist, daß schon im Jahre 1998 bei Theo Waigel die Gesamtausgaben im Bundeshaushalt unter denen
des Jahres 1993 gelegen haben.
({0})
- 1,5 Billionen DM Schulden sind aus den Gründen entstanden, die ich soeben dargestellt habe. Sie hängen mit
der Wiedervereinigung zusammen und damit, daß sich
vor allem - aber nicht nur - die sozialdemokratischen
Länder nicht anständig am Aufbau der neuen Länder
beteiligt haben. Das ist der Fakt.
({1})
Meine Damen und Herren, bei uns wären die Einsparungen mit einer Steuerreform einhergegangen, die für
Bürger und Unternehmen eine Nettoentlastung in Höhe
von 30 Milliarden DM gebracht hätte. Aber dieses Reformpaket haben Sie - auch Sie, Herr Eichel - im Bundesrat blockiert.
({2})
Übrigens sind zur Amtszeit des Ministerpräsidenten
Eichel in Hessen die Landesschulden um 59 Prozent
gewachsen; auch das sollte man sich in Erinnerung rufen.
({3})
Wir sind nicht gegen den Sparkurs. Ihr eigenes Versagen in Hessen, Herr Eichel, stelle ich einmal hintan. Es
geht aber darum, ob das, was Sie uns als Sparpaket
verkaufen, eine Mogelpackung ist oder nicht. Angesichts dessen möchte ich dem Bundesfinanzminister sagen: Herr Eichel, es ist schon dreist, welch zusammengewürfelte Mixtur ganz verschiedener Sachverhalte Sie
uns als Sparpaket verkaufen wollen. Auf einen Punkt
gebracht hat das Professor Peffekoven, der Mitglied
des Sachverständigenrates ist, als er gesagt hat - ich zitiere -:
Mit dem Sparprogramm nimmt also Eichel im wesentlichen das zurück, was sein Vorgänger Lafontaine im Haushalt 1999 draufgesattelt hat.
({4})
Aber nicht einmal das schaffen Sie. Von dem Sparvolumen in Höhe von rund 30 Milliarden DM sind allein
5,5 Milliarden DM globale Minderausgaben. Das
heißt, Sie sind - zumindest bis jetzt - nicht in der Lage,
dies konkret zu belegen. Ich hätte es für richtig gefunden, daß einem Parlament, dem ein solches Paket vorgelegt wird, konkret gesagt wird, um was es geht.
5,5 Milliarden DM sind kein Pappenstiel. Angesichts
dessen wollen wir wissen, ob und wie Sie es schaffen,
diesen enormen Betrag in den Haushalten zu sparen. Ich
glaube nicht, daß Sie überhaupt in der Lage sind, dies zu
schaffen.
Herr Kollege Rexrodt, es gibt noch eine Bitte um eine Zwischenfrage,
diesmal von seiten des Kollegen Wagner.
Da Sie, Kollege Wagner, Mitglied des Haushaltsausschusses sind, lasse ich
diese Zwischenfrage als einzige zu. Dann möchte ich
meine Rede im Zusammenhang fortführen.
Ich möchte nur wissen, Herr Kollege Rexrodt, was Sie als damaliger Minister erfahren haben, als Herr Waigel im Kabinett das
Erfordernis einer globalen Minderausgabe in Höhe von
5,2 Milliarden DM begründet hat, und welche Erfahrungen Sie dahin gehend gesammelt haben, wie sie aufgeDr. Günter Rexrodt
bracht worden ist. Nach meinem Kenntnisstand sind die
Beträge nie realisiert worden, sondern sind in das nächste Jahr hinübergerettet worden.
Herr Wagner, Ihr
Kenntnisstand ist falsch. Es handelte sich um einen sehr
viel geringeren nicht belegten Betrag. Als wir darüber in
den Ressorts gesprochen haben, standen die Strukturen,
wo diese Minderausgaben zu erbringen sind, weitgehend
fest. Sie sind auch erbracht worden. Das waren Beträge,
die in der damaligen Zeit aus dem Haushalt zu erbringen
waren. Damals war ein bißchen mehr Fett auf den Rippen. Deshalb war unser Vorgehen solide und konkret.
Sie aber haben nicht die geringste Vorstellung davon,
wie dies umgesetzt werden soll.
({0})
Das Entscheidende ist ja, daß Sie mit diesem sogenannten Sparhaushalt in der Öffentlichkeit Furore machen
und sagen: Das ist eine neue Konzeption bzw. eine neue
Richtung. Wie Sie mit dieser riesigen Summe umgehen,
wie Sie sie als eine Luftbuchung für einen Sachverhalt
einrechnen, den Sie überhaupt noch nicht erfüllt haben,
das ist nicht seriös, Herr Wagner.
({1})
Sie sprechen vom Sparen und verlagern bisherige
Aufgaben des Bundes auf andere öffentliche Haushalte.
Das ist eine weitere Dreistigkeit. Dazu gehört der Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe. Dazu gehört der
Wegfall des Wohngeldes für Sozialhilfeempfänger. Dazu gehört die kräftige Beteiligung der Länder am sogenannten Unterhaltsvorschuß. Allein diese drei Positionen addieren sich jetzt auf 3,5 Milliarden DM und für
den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung auf
15 Milliarden DM.
Man kann ja im Einzelfall darüber nachdenken, ob
solche Verlagerungen angebracht sind oder nicht. Aber
am Ende bleibt hier der Eindruck: Das ist ein Verschiebebahnhof hinsichtlich anderer öffentlicher Haushalte;
das hat nichts mit gesamtwirtschaftlichem Sparen und
einer Neuorientierung Ihrer Politik zu tun. Das ist ein
Verschiebebahnhof. Hinzu kommen die Luftbuchungen.
Das kann man nicht nach draußen und vor diesem Hohen Hause als Sparhaushalt verkaufen.
({2})
Aus meiner Sicht ist die Entwicklung der Staatsquote, die für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat
eine sehr aussagekräftige Rechengröße ist, das einzig
wichtige Kriterium; daran muß man den Erfolg und die
Seriösität einer Finanz- und Haushaltspolitik messen.
Über die Staatsquote habe ich von Ihnen, Herr Eichel, in
den letzten Monaten gar nichts gehört.
Die Liste läßt sich fortsetzen. Diese Liste läuft auf
den Eindruck hinaus: Das ist eine Mogelpackung und
ein Verschiebebahnhof. Sie kürzen im nächsten Jahr die
Zuschüsse an die Rentenversicherung um 8 Milliarden DM. Auch darüber kann man reden. Aber solange
das fehlende Geld von den Sozialkassen übernommen
werden muß, hat das nichts mehr mit Sparen zu tun. Das
ist ein Faktum.
Es ist Ihnen auch noch folgender ganz besonderer
Trick eingefallen: Sie rechnen die sogenannten Personalverstärkungsmittel zunächst bis 2003 fiktiv auf
14 Milliarden hoch, und im Haushaltssanierungsgesetz,
in dem Sie nicht mehr auf eine solche Weise „gestalten“
können, setzen Sie diese Personalverstärkungsmittel auf
einmal mit 2,2 Milliarden DM an. Die Differenz zwischen einer aufgeblasenen Zahl und den realistischen
2,2 Milliarden bezeichnen Sie dann als Sparsumme. Das
möge man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen,
was uns da präsentiert wird: Man rechnet den entsprechenden Posten intern fiktiv auf über 14 Milliarden DM
hoch, dann setzt man ihn - das ist realistisch - auf
2 Milliarden fest und bezeichnet anschließend die Differenz von 12 Milliarden als Sparsumme! So können Sie
das mit uns nicht machen.
({3})
Vor diesem Hintergrund - ich habe nur eine Auswahl
von Luftbuchungen, Verschiebebahnhöfen und Tricksereien vorgetragen - wird dieser Haushalt Ihrem löblichen Anspruch - ich sage das ohne Ironie - nicht gerecht: Pfusch und Flickschusterei an vielen Stellen. An
sich müßte man das Zahlenwerk zurücknehmen. Eines
müßten Sie ganz bestimmt tun, nämlich vorsichtig sein,
dieses Machwerk als Sparpaket zu bezeichnen.
({4})
In Wirklichkeit sind fast zwei Drittel der angekündigten Einsparungen nicht seriös und nicht belegbar. Es
ist ein Verschiebebahnhof.
({5})
Das muß man im Kern über das sagen, womit Sie
({6})
nach einem chaotischen Jahr rotgrüner Politik jetzt Ihre
Glaubwürdigkeit wiedererlangen wollen.
({7})
Die Menschen erkennen das. Wenn die Menschen das
nicht im Detail, in all seinen filigranen Verästelungen
erkennen, dann spüren sie es. Die Wahlergebnisse der
letzten Wochen haben Ihnen das gezeigt.
({8})
- Das hat andere Gründe. Das liegt daran, daß wir die
Wahrheit sagen und eine schwierige Botschaft haben.
Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, will ich eines sagen: Sie tun ständig so,
als ob Ihnen die Wähler weglaufen, weil Sie ein schwieriges Sparpaket zu präsentieren haben. Wissen Sie, was
die Wirklichkeit ist? Die Wirklichkeit ist, daß Sie seit
einem Jahr Flickschusterei betreiben und ein Chaos anrichten, daß Sie die Menschen verunsichern, was ihre
Rente und ihre Steuerzahlungen angeht, und die Wirklichkeit ist, daß die Menschen merken, daß sich dieser
Bundeskanzler nicht für Inhalte interessiert.
({9})
Deswegen bekommen Sie jeden Sonntag die Rechnung
präsentiert. Das sind die Fakten. Das hat überhaupt
nichts mit dem Sparkurs und Ihrer angeblichen Tapferkeit zu tun, sondern mit dem Pfusch und der Flickschusterei, die Sie in den letzten Monaten verursacht haben.
({10})
Nun, meine Damen und Herren, würde ich gern auf
die weiteren vier Elemente Ihrer Finanz- und Haushaltspolitik eingehen.
({11})
- Das ist ein sachlich starkes Argument, Herr von Larcher, sehr stark.
Die Steuerpolitik der rotgrünen Koalition ist eine
schlichte Zumutung,
({12})
nicht nur, weil sie unser Steuerrecht weiter kompliziert
oder, wie in den Fällen der §§ 2 und 2 b des Einkommensteuergesetzes, ganz und gar unanwendbar
macht.
({13})
Rufen Sie einmal die Finanzämter an, und fragen Sie,
wie es um die Mindestbesteuerung steht, wie man mit
diesem Sachverhalt vorankommt. Die Finanzämter sind
ratlos. Sie sagen Ihnen: Wir wissen nicht, wie wir diese
Gesetze anwenden können. Das sind die Tatsachen.
Greifen Sie zum Hörer, Sie werden es erleben. Das ist
Flickschusterei, und das ist Pfusch der letzten Jahre.
({14})
Konzeptionell verunsichern Sie den Mittelstand und
diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen. Das ist keine Politik aus einem Guß. Wir haben Ihnen eine Steuerreform
aus einem Guß vorgelegt,
({15})
die eine Entlastung beim Eingangssteuersatz, in der
Mitte und beim Spitzensteuersatz ermöglicht hätte. Das
wäre eine Steuerreform gewesen, die Arbeit geschaffen
hätte.
({16})
Sie haben sie verhindert. Sie machen jetzt eine Entlastung im unteren Bereich. Das ist im übrigen berechtigt,
und das wäre im übrigen okay,
({17})
wenn es im Kontext erfolgt wäre. Aber Sie meinen ja,
Sie können sich einen Lorbeerkranz flechten, indem Sie
von oben nach unten umverteilen.
({18})
Sie vergessen und übersehen dabei, daß Sie die Menschen, die dafür Sorge tragen, daß in Deutschland Arbeitsplätze entstehen, nämlich die mittleren und kleinen
Unternehmen, verunsichern und vor den Kopf schlagen.
({19})
Weil Sie merken, daß Sie die Karre gegen die Wand
fahren, kündigen Sie nun eine Unternehmensteuerreform an.
({20})
- Dann war es eben mitbedacht. - Aber ich bitte Sie
darum, einmal über folgendes nachzudenken, weil es
hier nicht darum geht, ob ein Steuersatz einen Prozentpunkt höher oder niedriger ist, oder um eine Geschichte,
die Sie in den Sand gesetzt haben, wie bei den
630-Mark-Jobs, die aber korrigierbar ist.
({21})
Bei der Unternehmensteuerreform geht es um viel mehr.
Diese Reform birgt meines Erachtens die Gefahr, daß
unsere personenbezogenen Unternehmensstrukturen
über den Haufen gerannt werden.
({22})
Ich sehe in dem, was man bisher erkennt, die Gefahr,
daß Erträge - steuerpolitisch bedingt - an nicht optimaler Stelle im Betrieb eingesperrt werden. Dies müßte
zwangsläufig zu einem volkswirtschaftlich bedenklichen
und falschen Investitionsverhalten führen. Das sind die
Fakten, meine Damen und Herren.
({23})
Es geht hier um die Weichenstellung in unserem Land steuerpolitisch und auch mit Blick auf die Unternehmensverfassung über Jahre hinweg.
Herr Eichel, ich möchte Sie hier abseits von dem
Schlagabtausch, den wir über tagespolitische Themen
führen, sehr herzlich bitten, diese Dinge, was die Unternehmensverfassung und die Spreizung der Steuersätze
angeht - personenbezogene Unternehmensstrukturen
versus Optierung für die Kapitalertragsteuer und alle
Folgen, die daraus resultieren -, schon in der KonzeptiDr. Günter Rexrodt
onsphase auch mit uns zu besprechen und verantwortungsvoll anzugehen. Das ist mehr als die Gestaltung
eines Steuersatzes. Hier geht es um die verfassungskonformen unternehmenspolitischen Formen in unserem
Land.
({24})
An dritter Stelle nennen Sie in Ihrem finanzpolitischen Konzept die Verteuerung des Ressourcenverbrauchs. Das ist auch Steuerpolitik, meine Damen und
Herren. Beim Bürger kommt dieses Steuerkonzept ganz
schlicht an als Abkassieren, und zwar verpackt und
überhöht durch zwei Argumente, die sich ganz schnell
als falsch und bedenklich erweisen. Es sei doch viel besser, den Verbrauch natürlicher Ressourcen und nicht den
Faktor Arbeit in Gestalt von Sozialabgaben zu verteuern, so heißt es. Das klingt gut, aber die Wahrheit ist
doch: Wenn von der Erhöhung des Benzinpreises, wenn
von der Erhöhung des Strompreises wirklich eine ökologische Steuerungsfunktion ausgehen soll, dann sind Sie
ganz schnell bei den 5 DM der Grünen pro Liter Benzin
und bei 1 DM pro Kilowattstunde Strom. Damit würden
Sie den Menschen ein gutes Stück Lebensqualität verhageln. Das trauen Sie sich aber nicht. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie sich das nicht trauen. Statt dessen erhöhen Sie die Preise bis zur vermeintlichen Schmerzgrenze. Das hat jedoch mit Ökologie nichts, aber auch
gar nichts zu tun.
({25})
Sagen Sie den Leuten doch: Wir brauchen Geld, und
hier meinen wir, daß wir noch draufsatteln können. Das
wäre wenigstens ehrlich, und das würde Ihnen eher und
besser abgenommen als Ihre verquasten Argumente zur
sogenannten Öko-Steuerreform.
({26})
Es ist ein ganz gefährlicher Weg, den Sie hinsichtlich
des vierten Elements Ihrer Finanz- und Haushaltspolitik,
der sogenannten Senkung der Lohnnebenkosten, gehen.
Genauer gesagt geht es um die Beiträge zu den Sozialversicherungssystemen. Diese müssen in der Tat gesenkt
werden, zumindest müßten sie stabilisiert werden.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Aber es geht bei der
Reform der Versicherungssysteme, wie wir mittlerweile übereinstimmend wissen, nicht um immer höhere
Steuerbeträge, die in die Versicherungssysteme zu pumpen sind - mittlerweile sind es 126 Milliarden DM; das
ist ein Viertel des Gesamthaushalts -, es geht vielmehr
darum, daß die Versicherungssysteme wirklich reformiert werden. Wir haben dazu Vorschläge unterbreitet.
Jetzt begeben Sie sich, abgesehen von den zwei Jahren,
in denen Sie die Leute über den Tisch ziehen, auf denselben Kurs.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, daß Herr Lafontaine, als wir die sogenannte demographische Komponente in die Rentenformel einbrachten, an diesem Pult
stand und sagte: Diese Art der Rentenpolitik ist Betrug
an den Rentnern. Das ist „sozialer Betrug“, so hat er
wörtlich gesagt.
({0})
- Eine „soziale Sauerei“.
Jetzt bewegen Sie sich, abgesehen von dem Trick, den
Sie zwischendurch praktizieren, auf demselben Kurs.
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Frau Präsidentin, ich
komme zum Schluß.
({0})
Das Desaster Ihrer Haushalts- und Finanzpolitik liegt
auf der Hand. Es ist ein Hickhack. Ich führe dabei aus
zeitlichen Gründen gar nicht an, was Sie mit der Bundeswehr machen.
Dann würde ich Ihnen auch das Wort entziehen. Sie haben Ihre Redezeit
bereits um zwei Minuten überschritten.
Ich führe gar nicht an,
was Sie bei den Straßenbaumitteln machen.
Betreiben Sie eine berechenbare Politik, eine Politik,
die darauf hinausläuft, dieses Land zu modernisierern!
Beenden Sie Ihren Streit zwischen Traditionalisten und
Modernisierern! Dann kommen wir auch bei den Arbeitsplätzen vorwärts, dann können wir Vertrauen bei
unseren Bürgern und ausländischen Investoren finden.
({0})
Dazu ist aber eine Veränderung dieser Politik,
({1})
die ein Desaster und ein Hickhack ist, notwendig. Begeben Sie sich auf diesen Weg! Es wird für Sie ein langer
Weg sein.
({2})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Oswald Metzger. Dann werden sicherlich auch diejenigen in den ersten Reihen, die offensiv Zeitung gelesen haben, das ein wenig einstellen. Das
sieht nicht gut aus, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Herr Metzger, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Rexrodt, zu dem Zusammenhang von Ökonomie und Sparpaket fallen mir
zwei Anekdoten ein. Erstens. Gestern hat ein ExMinister der Unionsfraktion im Fahrstuhl gesagt: Menschenskinder, daß ich das erleben muß; am Montag sinken der Euro-Kurs und der DAX, wenn wir am Sonntag
die Wahl gewonnen haben und die SPD verloren hat.
- Was hier paradox wirkt, zeigt doch folgendes: Die
Märkte erwarten, daß das Sparkonzept in Deutschland
die Investitionsbereitschaft stärkt und positive Signale
für die europäische Wirtschaft setzt. Sie waren im
Wahlkampf als Opposition quasi der Abstauber einer
Politik, die Sie in der Vergangenheit selbst häufig gepredigt haben. Jetzt stehen Sie plötzlich als Verteilungspolitiker da und wollen nichts mehr von der Strukturreform in der Rentenversicherung wissen. Statt dessen
ziehen Sie mit dem Schlagwort „Rentenlüge“ durch die
Lande, obwohl Sie wissen, daß wir die Strukturreform
brauchen. So weit ist es gekommen.
({0})
Zweitens. Der „Economist“ hat letzten Samstag in der
Schlußpassage eines Artikel mit der Überschrift „Schröder angeschlagen“ geschrieben: Das derzeitige Zukunftsprogramm oder das Sparpaket und die Absicht, im
Jahre 2001 die Unternehmenssteuern auf ein international konkurrenzfähiges Maß zu senken, sind der richtige
Weg, damit sich in Deutschland im nächsten Jahr die
Chance eröffnet, in Richtung eines wirtschaftlichen
Wachstums von 3 Prozent, also in Richtung einer Verdoppelung der Wachstumsquote, zu marschieren.
Deshalb freuen sich alle aus der Opposition zu früh,
die meinen, dieser Mann, der im Moment nicht hier ist,
sei ausgezählt. Er - und mit ihm diese Koalition - kann
sich durchaus erholen, und die Opponenten von heute
können sich blutige Nasen holen. Das ist die Einschätzung der internationalen Wirtschaftspresse. Das sollten
Sie sich, Herr Kollege Merz, durchaus merken, weil Sie
so ökonomisch argumentiert haben.
({1})
Dritter Gesichtspunkt: Wenn ich hier zuhöre, habe ich
den Eindruck, daß die Roten und die Grünen sagen: Es
sind die Schulden der Schwarzen, und Sie sagen: Das
waren die Schulden aus der sozialliberalen Ära in den
70er Jahren. - Dies ist angesichts der Wirklichkeit absurd. Es handelt sich um die Lasten, die wir als Volkswirtschaft, als Bevölkerung gemeinsam zu tragen haben.
Schauen Sie, Kollege Merz, Kollege Rexrodt: In den
90er Jahren hatten wir in diesem Land trotz der einigungsbedingten Sonderkonjunkturen 1990 und 1991 ein
durchschnittliches Wirtschaftswachstum von nur 1,8
Prozent, das deutlich unter der Beschäftigungsschwelle
lag. In den 90er Jahren haben in diesem Land aber fast
neun Jahre lang CDU und F.D.P. regiert, nicht wir.
Glauben Sie doch nicht, daß der wirtschaftliche Abschwung des dritten und vierten Quartals 1998 und des
ersten und zweiten Quartals dieses Jahres ausschließlich
von dieser Regierung herrührte! Dieser war die Folge
der Finanzkrisen in Südostasien und in Rußland.
Auch das bestätigen fast alle Wirtschaftswissenschaftler
und die Wirtschaftspresse.
Im Augenblick haben wir eine Trendwende. Diese
wird unter anderem dadurch herbeigeführt, daß dieser
Regierung etwas gelingt, was Sie in der Vergangenheit
nicht geschafft haben, nämlich das strukturelle Defizit
auszugleichen, tatsächlich zu konsolidieren und nicht
nur Privatisierungserlöse einzustellen und Lastenverschiebungen in die Zukunft vorzunehmen. Dies ist eine
Leistung, die Ihnen unterschwelligen Respekt abnötigt.
Deswegen haben Sie es, Kollege Merz, nicht sonderlich
leicht, hier anzugreifen. Dabei habe ich gedacht: Heute
kommt aus der Opposition Substanz in Sachen Konsolidierung. Wissen Sie, was Sie vorgeschlagen haben? Sie wollen eine Reform im Bereich der Arbeitslosenund Sozialhilfe. Hierüber kann man grundsätzlich diskutieren. Aber zum Sparpaket haben Sie nur einen Verriß ohne eigenen substantiellen Beitrag geliefert.
({2})
Das klingt genauso wie letzte Woche im Bundesrat.
Ich habe den Antrag der Länder Baden-Württemberg,
Bayern, Thüringen und Sachsen sowie Bremens - großkoalitionär regiert - gelesen, in dem steht: Sparen ist
prinzipiell richtig, aber das ist das falsche Sparpaket.
Dann werden alle Mehrausgabenwünsche bzw. Nichteinsparungen der unionsgeführten Länder aufgelistet.
Wissen Sie, was das ist? - Das ist ein Sich-aus-derVerantwortung-stehlen. Das ist die Bankrotterklärung
einer Opposition, die uns vorwirft, daß wir mit dem
Konsolidierungskurs ernst machen wollen. So weit ist
es!
({3})
Sich nur hinzustellen und zu sagen, wir blockieren
nicht - wie früher angeblich die alte Konstellation -,
wird Ihnen die Öffentlichkeit nicht durchgehen lassen.
({4})
Hier im Raum sitzt der designierte Finanzminister eines
Landes, Herr Jacoby aus Ihrer Fraktion. Ich bin gespannt, wie er als saarländischer Finanzminister im
Vermittlungsausschuß im Rahmen des Verhandlungspakets agieren wird;
({5})
denn man weiß ja, daß das Saarland auf Grund seiner
Haushaltsnotlage von Bundesergänzungszuweisungen
lebt und der Bund jetzt selber die Voraussetzungen dafür
schafft, daß der Staat überhaupt wieder handlungsfähig
wird.
({6})
Ich komme zu einem Bereich, den man durchaus
noch einmal beleuchten muß, wenn man in die Vergangenheit schaut. Heute hat die Höhe der Verschuldung,
die in den 90er Jahren einigungsbedingt explodiert ist,
eine sehr große Rolle gespielt. In dem Zusammenhang,
Kollege Merz, haben Sie einige Ausführungen gemacht,
an denen ich merke, daß Sie der finanzpolitische Sprecher Ihrer Fraktion und nicht der Haushaltspolitiker
sind. Sie haben zum Beispiel behauptet, die Integration
des Erblastentilgungsfonds in den Bundeshaushalt habe den Bundeshaushalt 1999 entlastet. - Das stimmt
nicht. Für 1999 sind genau 18,9 Milliarden DM an Zinszahlungen für den Erblastentilgungsfonds eingestellt.
Im alten Etat des Finanzministers Waigel - damals war
der Erblastentilgungsfonds noch nicht im Bundeshaushalt integriert - waren für dieses Jahr nur Zahlungen in
Höhe von etwas über 16 Milliarden DM an den Erblastentigungsfonds aus dem Bundeshaushalt eingeplant.
Daran wird deutlich, daß in diesem Jahr durch die Integration des Erblastentilgungsfonds der Bundeshaushalt
sogar belastet und eben nicht entlastet wird. Das ist das
eine.
Zum zweiten haben Sie behauptet, daß der Fonds
„Deutsche Einheit“ in den Bundeshaushalt integriert
worden sei. Das stimmt nicht. Die 80 Milliarden DM
sind als Sondervermögen erhalten geblieben, weil sich
in diesem Fall der Bund und die Länder die Lasten teilen.
Zum dritten kann ich Ihnen sagen, daß der Erblastentilgungsfonds, der am Anfang dieses Jahres einen
Schuldenstand von 305 Milliarden DM hatte, am Jahresende einen Schuldenstand von 254 Milliarden DM haben wird, weil die Bundesbankgewinne von über 7 Milliarden DM weiterhin dort hineinfließen und weil der
Bund, so steht es im Haushaltsgesetz, alle Anschlußfinanzierungen für auslaufende Kredite des Erblastentilgungsfonds ablöst. Deswegen wird der Erblastentilgungsfonds in der Tat in relativ kurzer Zeit getilgt. Am
Ende des Finanzplanungszeitraumes im Jahre 2003 steht
der Schuldenstand des Erblastentilgungsfonds bei nur
noch etwa 100 Milliarden DM.
({7})
Diese Tatsache wurde von der Opposition bisher nicht
zur Kenntnis genommen; sie muß aber deutlich herausgestellt werden.
({8})
Kollege Merz, das „Handelsblatt“ hat im letzten Jahr
den Sachverständigenrat mit der Frage zitiert, wie man
Tilgungen mit Zuschüssen aus einem Bundeshaushalt,
der im Durchschnitt der letzten vier Jahre jährlich 60
Milliarden DM bis 65 Milliarden DM neue Schulden
aufwies, vornehmen könne. Die Sachverständigen haben
einfach recht. Deshalb führt Ihre heutige Behauptung zu
nichts anderem als zu einer großen Verwirrung der Öffentlichkeit.
({9})
Zum Spar- und Konsolidierungskurs gibt es keine
Alternative. Die „Zeit“ hat letzte Woche den Kanzler als
den Populist des Unpopulären beschrieben. In einem
nachdenkenswerten Aufmacher hat Klaus Hartung am
Schluß geschrieben, daß wir in der Gesellschaft das
Thema „soziale Gerechtigkeit“ wieder so definieren und
diskutieren müssen, daß der Anspruch des Bürgers an
den Staat mit dem Anspruch korrespondiert, den die
Gemeinschaft an den einzelnen stellen kann, weil anderenfalls das Gemeinwesen vor die Hunde ginge.
Das gleiche gilt auch für die parlamentarische Auseinandersetzung um die Finanzpolitik eines Staates.
Handlungsfähigkeit muß wieder neu in dem Sinne definiert werden, daß der Staat nicht bei immer mehr Bürgerinnen und Bürgern ständig höhere Steuern und Abgaben verlangt und sie umverteilt und daß am Schluß nicht
durch eine unpräzise Zuordnung von sozialen Leistungen ein relativ großer Teil dieser Einnahmen verschwindet.
Durch die hohe Steuer- und Abgabenquote reproduziert sich die Arbeitslosigkeit. Dieser Mechanismus ist
bekannt. Deshalb führt keine Alternative daran vorbei,
die Staatsquote zu senken. Wir befinden uns in der
glücklichen Situation, daß sowohl der Wirtschafts- als
auch der Finanzminister im Rahmen des Stabilitätsprogramms der Regierung das Ziel formuliert haben: herunter mit der Staatsquote auf 45 Prozent. Am Ende dieser Legislaturperiode werden wir dieses Ziel durch unser
Konsolidierungspaket erreicht haben.
Herr Kollege Merz, schauen Sie sich doch eine andere erfreuliche Nachricht von letzter Woche an! Entsprechend der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der
EU haben wir im letzten Jahr ein Defizitquorum von
1,7 Prozent gehabt.
({10})
Wir werden dieses Defizitquorum in den nächsten Jahren weiter reduzieren. Dieses Ziel der Regierung ist stabilitätspolitisch absolut richtig. Dadurch wird die EZB
in die Lage versetzt, eine Politik zu machen, die zukünftig - derzeit ist die Tendenz eher expansiv - bei steigendem Wachstum konjunkturneutral ist. Andererseits wird
diese Politik der Staatsquotensenkung dazu führen, daß
allen staatlichen Ebenen, also Bund, Ländern und Gemeinden, wieder eine ausreichende Finanzausstattung
für Investitionen gegeben wird, weil weniger Geld für
Zinszahlungen auf Grund alter Schulden ausgegeben
werden muß. Damit kann auch in den sozialen Ausgleich der Gesellschaft, die nicht auseinanderdividiert
werden darf, investiert werden.
Im Rahmen dieser Debatte sollte man in keiner Weise
hämisch über die Auseinandersetzungen in einer Volkspartei reden, die darum ringt, einen Kurs zwischen sozialer Gerechtigkeit einerseits und notwendiger Konsolidierung andererseits zu finden. Zu der Grundwahrnehmung von politischen Parteien gehört beispielsweise,
daß viele Bürgerinnen und Bürger, auch wenn sie nicht
Wähler der SPD sind, durchaus sagen würden: Die SPD
ist für die Solidarität zuständig, für einen Ausgleich der
Interessen zwischen Gutsituierten und weniger gut SiOswald Metzger
tuierten. Diesen Ruf in der Bevölkerung hat sich die Sozialdemokratie über einen langen Zeitraum erworben.
In der SPD-Fraktion wird jetzt darum gestritten, wie
man diesen sozialen Ausgleich hinbekommt, wie man es
schafft, daß die jetzigen Konsolidierungsbemühungen
von der Bevölkerung nicht als Kaltherzigkeit im Sinne
eines blanken Neoliberalismus verstanden werden nach dem Motto: Hauptsache, die Kurse an den Aktienbörsen steigen, egal welche Auswirkungen das auf die
Arbeitsmärkte hat oder wie sich die Einkommenssituation der Unterprivilegierten darstellt.
Dieser Kurs ist schwierig. Aber, meine Damen und
Herren von der Union und von der F.D.P., beide Regierungsfraktionen werden, so glaube ich, diesen Kurs der
Öffentlichkeit vermitteln können. Denn die Menschen
werden in den nächsten Monaten merken, daß die wirtschaftliche Erholung tendenziell auch am Arbeitsmarkt
nicht spurlos vorübergeht und daß, Kollege Merz, nicht
nur die Demographie, sondern auch die Konjunkturentwicklung hilft. Sparen ist kein Selbstzweck. Vielmehr
schaffen wir damit eine Perspektive für die öffentliche
Finanzlage in unserem Land.
({11})
Ich spreche bewußt noch einmal das Beispiel Rente
an. Denn auch daran sieht man den Zusammenhang zwischen ökonomischer Entwicklung, sozialer Gerechtigkeit und langfristiger Finanzierbarkeit. Einer ihrer Einwände, Kollege Merz, war absolut richtig. Ich sage das,
um hier im Parlament zu einer guten Diskussionskultur
beizutragen und auf Argumente einzugehen, obwohl Sie
in Teilbereichen durchaus ordentlich Polemik abgefeuert
haben. Rentenzuschüsse, die über die Ökosteuer finanziert werden, führen dazu, daß der Anteil der Ausgaben
im Bundeshaushalt, der für die Rente aufgewendet werden muß, steigt. Das ist absolut richtig. Das habe ich
sowohl zu Oppositionszeiten als auch in verschiedenen
Haushaltsdebatten des Bundestages in diesem Jahr gesagt.
Deshalb ist für uns Grüne eine Rentenstrukturreform,
die den auf Grund der steigenden Lebenserwartung steigenden Ausgaben Rechnung trägt, eine unabdingbare
Voraussetzung, um zu der Regelung in diesem Sparpaket, daß die Rentnerinnen und Rentner in den nächsten
zwei Jahren nur einen Inflationsausgleich erhalten, ja zu
sagen.
({12})
Das war aber schon immer klar. Das hat unsere Fraktion
im Bundestagswahlkampf gesagt, und das steht sogar in
unserem damals vielgeschmähten „Magdeburger Programm“ des letzten Jahres.
({13})
Angesichts der Tatsache, daß es hier um rund 18
Millionen Menschen geht, die derzeit Rente beziehen,
kommen wir gar nicht an einem größtmöglichen gesellschaftlichen Konsens vorbei. Wir Grüne bieten da
durchaus an, die Position des Vermittlers zu übernehmen: zwischen den Verweigerern der Vergangenheit, die
die Demographie nicht wahrnehmen wollten, und den
Verweigerern von heute, die einen Demographiefaktor
eingeführt hatten und jetzt im Wahlkampf auf den
Marktplätzen die eigenen vorgesehenen Einschnitte in
die Rente verschweigen
({14})
und nur noch von einer „Rentenlüge“ der heutigen Regierung sprechen. Das ist unglaubwürdig.
({15})
Ich selber habe Ihren Fraktionsvorsitzenden Schäuble
in Potsdam über die Rente sprechen hören und war
wirklich zerknirscht darüber, daß jemand, der noch im
letzten Jahr in Auseinandersetzungen im Bundestag für
die Einführung eines Demographiefaktors gestritten hat,
es jetzt plötzlich schlichtweg unter den Tisch fallen läßt,
daß auch er die Renten weniger stark steigen lassen
wollte. Diese Form von Populismus geht mir gegen den
Strich.
({16})
Die Menschen im Lande vertragen Aufrichtigkeit, und
deswegen sollte man dies alles deutlich sagen.
({17})
Wir werden in diesem Herbst - der Arbeitsminister
ist dabei - ein Rentenkonzept diskutieren, das eine aus
unserer Sicht abgewandelte Rentenformel beinhaltet,
die der steigenden Lebenserwartung Rechnung trägt. Es
ist logisch - keine Frage! -, daß es dazu verschiedene
Wege gibt. Bezüglich des konkreten Weges sind wir
nicht festgelegt. Wir wissen nur: Die steigende Lebenserwartung führt dazu, daß das heutige nettolohnbezogene Rentensystem nicht bleiben kann.
Lösbar ist dies zum Beispiel im Wege der Familienpolitik. Die Familienpolitik dieser Regierung ist ja wesentlich großzügiger als die der alten Regierung.
({18})
Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen die Notwendigkeit von Korrekturen ja mehrfach ins Stammbuch geschrieben.
Wir werden auf jeden Fall im Herbst eine restrukturierte Formel auf die politische Agenda setzen. Denn:
lediglich Inflationsausgleich für die nächsten zwei Jahre
ohne eine neue Rentenformel - das wird nicht greifen.
Unsere Fraktion wird ihren Teil beitragen. Ich denke,
ähnliches gilt auch für die SPD. Sie unterschätzen die
Beweglichkeit der SPD, was die Anerkenntnis der Entwicklungen in dieser Gesellschaft betrifft.
({19})
Die Volkspartei SPD ist derzeit in der Situation, daß
sie sich stärker reformiert und restrukturiert als die
Union.
({20})
Die Union ist in alte volksparteiliche Widersprüchlichkeiten zurückgefallen.
({21})
- Wissen Sie, Wahlergebnisse sind ja immer differenziert zu beurteilen. Kollege Merz, immerhin wissen wir
- so ehrlich kann man doch in einer Parlamentsdebatte
diskutieren -, daß es bei uns im Hinblick auf die FünfProzent-Hürde ums politische Überleben geht;
({22})
bei der SPD geht es „nur“ um den Machterhalt. Es stellt
sich die Frage, wie wir aufrichtig mit einer Situation
umgehen, in der wir alle wissen, daß an unserem Konzept praktisch kein Weg vorbeiführt, und in der die Bevölkerung unterschwellig ein Gespür dafür hat, daß diese Politik aufrichtiger als vieles von dem ist, was wir in
den letzten Jahren erlebt haben.
({23})
Ich vertrete übrigens die Auffassung, daß das konkrete Sparkonzept nicht der entscheidende Grund dafür
war, daß beide Regierungsfraktionen in den Landtagswahlen der letzten Wochen so abgestraft worden sind.
Vielmehr gab es eine Geschichte vor dem Sparpaket.
Ich behaupte im Gegenteil: Das Spar- und Konsolidierungsprogramm mit der Unternehmensteuerreform,
mit den Aspekten der Steuerentlastung für mittlere und
untere Einkommen und mit der Familienkomponente
wird uns aus dem Tal der Tränen herausführen. Bereits
bei den Wahlen des nächsten Frühjahrs weiß ich nicht,
ob Ihre Seite so triumphierend durch die Hallen schleichen kann. Denn die Verfallszeit von politischen Stimmungen ist außerordentlich kurz. Sobald sich an der
wirtschaftlichen Lage etwas ändert, sobald die Ökonomie anzieht, werden wir in eine bessere Ausgangssituation kommen. Darauf kann ich Ihnen Brief und Siegel
geben.
({24})
- Kollege Merz, Hochmut kommt vor dem Fall. Sie sind
zur Zeit Profiteure der Performance dieser Regierung.
Sie werden nicht auf Grund Ihrer eigenen Stärke gewählt. Ich sage Ihnen nochmals: Ihnen wächst im Bundesrat jetzt eine Verantwortung zu, die Ihnen noch manche schlaflose Nacht bereiten wird.
({25})
Die Grundkonzeption der Strategie dieser Regierung ist
nämlich tragfähig. Viele Ihrer Kollegen in den Ländern
sehen das ähnlich.
Der Finanzminister hat in den letzten Tagen zu Recht
darauf hingewiesen, daß von dem ganzen 30-MilliardenDM-Konzept 17 Milliarden DM auf das Haushaltssanierungsgesetz und 13 Milliarden DM auf Einschränkungen
in Leistungsgesetzen entfallen. Von der gesamten Summe von 30 Milliarden DM sind - wenn Sie so wollen maximal 6 Milliarden DM zustimmungspflichtig. Sie
werden den Konsolidierungskurs also nicht aufdröseln
können. Der Bund hat auch Möglichkeiten, einmal mit
den Ländern auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln,
auch wenn wir wissen, daß das Verfassungsorgan Bundesrat die Rechte der Länder - dazu sind die Regierungen der Länder gewählt - zu vertreten hat. Der Gesamtverantwortung für die öffentlichen Finanzen können sich
die Länder nicht entziehen.
({26})
Deswegen werden Sie auch nicht an der Tatsache
vorbeikommen, daß der Bund - das hat übrigens der
Kollege Adolf Roth bei jeder sich bietenden Gelegenheit
in den Haushaltsdebatten in der Unionsregierungszeit
erwähnt - durch das föderale Konsolidierungsprogramm, das seit dem 1. Januar 1995 gilt und das 1993 also zu Zeiten, in denen Theo Waigel Finanzminister
war - beschlossen wurde, den seit ewigen Zeiten geringsten Anteil an allen staatlichen Steuereinnahmen hat.
Die Länder haben Steuereinnahmenzuwächse gehabt.
Das wurde nur durch die Erosion der Steuerbasis in Ihrer
Regierungszeit kaschiert.
({27})
Der übliche Steuerzuwachs, auf den die öffentliche
Hand immer gesetzt hat - es liegt bei wirtschaftlichem
Wachstum in der Natur der Sache, daß die Einnahmen
aus Verbrauchsteuern, aber auch aus progressiver Lohnund Einkommensteuer bei Zuwachs der Einkommen ansteigen -, war nicht vorhanden. Trotzdem muß man
konstatieren, daß sich der Bund bei den finanzwirtschaftlichen Kennzahlen in der Tendenz verschlechtert
hat und die Länder profitiert haben. Bei einer zwischenstaatlichen Finanzverteilung muß man dieser Tatsache
Rechnung tragen. Als Bundespolitiker kann man nicht
die Interessen der einzelnen Finanzminister der jeweiligen Länder vertreten, sondern muß gesamtstaatlich agieren. - An dieser Stelle müßten die Bundespolitiker eigentlich klatschen, denn es geht um die Interessenlage
des Bundes.
({28})
- Kollege Poß, das gestehe ich Ihnen gerne zu.
({29})
Zur Steuerpolitik: Wenn Kollege Merz - er mußte
gehen; er hat sich vorher bei mir entschuldigt; das war
sehr kollegial - für die Union eine Diskussion über die
Unternehmensteuerreform angeboten hat, dann muß ich
feststellen, daß das ein schöner Blitzableiter in einer Situation ist, in der die Frage nicht beantwortet wird, wie
der Staat sich konsolidieren soll. Plötzlich taucht wieder
die Fata Morgana auf, wir könnten jetzt eine Einkommensteuerreform zum 1. Januar 2000 mit einer gigantischen Nettoentlastung auf den Weg bringen. Es wird so
getan, als könnten wir wie der Nikolaus durch das Land
ziehen und jedem gut situierten und weniger gut situierten Bürger schlagartig einige Tausend DM pro Jahr an
Steuergeschenken machen. Das wird nicht funktionieren. Dafür haben die Leute auch das Gespür. Über
70 Prozent haben bei einer Emnid-Umfrage letzte Woche gesagt, daß an dem Konsolidierungskurs kein Weg
vorbeiführt, daß also der Staat sparen muß. Wenn man
in dieser Situation so tut, als könne man die alten Petersberger Versprechen aus dem Hut zaubern, dann kann
ich nur lachen.
Wir machen zumindest in einem konkreten Bereich,
nämlich im Bereich der Unternehmensteuerreform für
das Jahr 2001, ein Angebot, über das die Fachwelt und
die Wirtschaft urteilen: Damit können wir leben. Zur
Zeit gibt es schon einen überdurchschnittlichen Anstieg
der Ausrüstungsinvestitionen. Das wird sich verstärken,
weil die Betriebe, die die positiven Konjunkturerwartungen an den Märkten spüren, im nächsten Jahr Investitionen vorgezogen tätigen werden, um noch die alten
hohen Abschreibungssätze zu nutzen, während die erwarteten Gewinne in Zeiten realisiert werden, in denen
die Steuertarife sinken. So ist der ökonomische Mechanismus. Den können Sie von CDU und F.D.P. nicht beklagen, im Gegenteil: Auch Sie weisen auf ihn immer
hin. Wenn wir auf ihn in dem jetzigen Zusammenhang
hinweisen, ist das berechtigt. Wir verfolgen also im
Unternehmensbereich ein Ziel, mit dem die gesamte
Konjunktur stimuliert wird.
Wenn die Wirtschaft stimuliert ist, tritt das ein, was
der Finanzminister schon letzte Woche im Plenum vorsichtig angedeutet hat. Es ist ja nicht so, daß die heutigen Steuertarife sozusagen eine Unendlichkeitsgarantie
haben; vielmehr muß man während der gesamten Steuerdebatte daran denken, daß selbst am Ende dieser Legislaturperiode der Eingangssteuersatz immer noch bei
fast 20 Prozent liegen wird. Wenn man den Eingangssteuersatz und die Sozialversicherungsbeiträge als Einstiegshemmnisse in den ersten Arbeitsmarkt betrachtet,
dann muß man feststellen - ich denke, in der SPD wird
es hiermit grundsätzlich keine Probleme geben -, daß
der Eingangssteuersatz weiter gesenkt werden muß.
Über den gesamten Tarifbereich muß nachgesteuert
werden, und man muß über die Neujustierung von Verbrauchssteuern und direkten Steuern reden.
({30})
Es ist doch keine Frage, daß die Regierung mit ihrem
Konsolidierungsprogramm das Pulver noch nicht verschossen hat; vielmehr ist dieses Konsolidierungsprogramm der Einstieg in eine Finanzpolitik, die durch
steuerliche Maßnahmen die Angebotsbedingungen verbessert und damit die Konjunktur verstetigt. Aber das
gilt nicht nur für oben, für den Spitzensteuersatz. Das
darf nicht ideologisch gesehen werden. Vielmehr bietet
das jetzt vorliegende Konsolidierungspaket auch die
Möglichkeit, soziale Gerechtigkeit ins Steuerrecht zu
bringen und Steuerehrlichkeit dadurch zu schaffen, daß
die Tarife im gesamten Verlauf gesenkt werden. Dadurch verbreitert man die Bemessungsgrundlage. Wenn
das geschieht, zahlen auch diejenigen wieder Steuern,
die sich bisher entzogen haben. Das wissen wir alle.
Dieses Wissen ist Allgemeingut in der Gesellschaft.
Aber es wird noch zu wenig umgesetzt. Hier gibt es
noch Handlungsbedarf. Das wissen auch unsere und die
SPD-Finanzpolitiker.
Zum Punkt der Glaubwürdigkeit. Ich habe schon darauf hingewiesen: Im Bundesrat hat die Opposition bis
dato keine Vorschläge unterbreitet. Ich als haushaltspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion kann belegen,
daß meine Fraktion während der parlamentarischen Oppositionszeit die Finanzlage des Staates bereits genauso
schonungslos beschrieben hat, wie sie es heute in der
Regierung tut. Wir haben in allen Haushaltsberatungen
Kürzungsanträge eingebracht, zum Beispiel auf Subventionsabbau und auf Abschaffung der Gasölbeihilfe
für die Landwirtschaft. Wir haben auch Einschnitte in
der Beamtenversorgung gefordert. Die Gestaltung der
Beamtenversorgung kommt nach meiner Sicht in der öffentlichen Debatte viel zu kurz. Es wird zwar viel über
die Renten diskutiert, aber die Grundstruktur der Beamtenversorgung wird im Gesamtkontext nicht angesprochen.
Alle diese Anträge wurden von der damaligen Regierung abgelehnt. Ich wünsche mir heute, daß Sie Sparvorschläge einbringen, die wir in unserem Konsolidierungsprogramm noch nicht haben. Man könnte dann
einmal erleben, ob wir es Ihnen gleichtun würden und
Sparvorschläge, die im konsumtiven Bereich notwendige Restrukturierungen nach sich ziehen, ablehnen würden. Es ist unbedingt notwendig, den Haushalt zu sanieren und in Teilbereichen trotzdem Akzente zu setzen.
Ich möchte einige für unsere Fraktion wichtige
Punkte ansprechen. Wir stellen das Gesamttableau überhaupt nicht in Frage; wir stehen aus Überzeugung hinter
der Konsolidierung, weil Generationengerechtigkeit
auch heißt, daß man die Staatsfinanzen langfristig tragfähig hält. Aber wir fragen durchaus: Ist es nicht notwendig, daß man, wenn im Einzelplan 60, allgemeine
Finanzverwaltung, 2 Milliarden DM für den Verteidiger
etatisiert werden, in einem Jahr, in dem dieses Land
erstmals Kriegspartei war, auch für zivile Konfliktprävention Mittel im Etat einstellt?
({31})
Diese Frage muß gestellt werden.
Ist es richtig, daß in Zeiten, in denen Personalabbau
im öffentlichen Dienst Bestandteil dieses Konsolidierungskonzeptes ist - Stellenkürzungen um 1,5 Prozent
im gesamten Bereich -, die Nachrichtendienste, die GeOswald Metzger
heimdienste und den gesamten Sicherheitsbereich von
den Kürzungen komplett auszunehmen?
({32})
Ist es in Ordnung, wenn die Ökosteuer-Einnahmen dauerhaft steigen, aber die Ausgaben für Programme zur
Markteinführung erneuerbarer Energien bei 200 Millionen DM festgesetzt sind? Darüber muß man im Detail
diskutieren. Auch in der SPD-Fraktion gibt es den
Wunsch nach anderen Akzentuierungen.
({33})
Eines ist klar: Die Grünen sind in den schwierigen
nächsten Wochen und Monaten ein verläßlicher Partner,
wenn es darum geht, dieses Konsolidierungsprogramm
durch das Parlament zu bringen und aus Überzeugung
dafür zu streiten, daß wir das heutige Geld nur in Verantwortung vor künftigen Generationen ausgeben können. Wir glauben, daß wir mit der Politik zu Lasten
künftiger Generationen Schluß machen müssen, daß wir
Anreize für Investitionen schaffen müssen und daß wir
trotzdem die soziale Gerechtigkeit dabei nicht vergessen. Wir stehen aus Überzeugung hinter dem Konsolidierungsprogramm.
Vielen Dank.
({34})
Das Wort hat nun
die Kollegin Professor Dr. Luft.
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Diese erste rotgrüne Bundesregierung ist ein knappes Jahr im Amt und verantwortet in der 50jährigen Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland - ich bedaure, das sagen zu müssen - zwei
entscheidende Zäsuren. Die erste Zäsur war die grundgesetzwidrige Beteiligung am Kosovo-Krieg. Die zweite
Zäsur sind die angeblich alternativlosen tiefen Einschnitte in das, was in der Bevölkerung als soziale Gerechtigkeit und als gesellschaftliche Solidarität empfunden wird.
({0})
Das hat Wählerstimmen gekostet und wird noch
weitere kosten. Im Unterschied zu den Fraktionen von
CDU/CSU und F.D.P. sind wir darüber nicht schadenfroh. Wir empfinden darüber keine Häme. Wir bedauern
das; denn die Hoffnung in der Bevölkerung auf eine Alternative erfüllt sich - jedenfalls vorerst - nicht.
({1})
Herr Minister, Sie sagen, Regierung und Koalitionsfraktionen müßten den Menschen im Lande noch viel
besser erklären, daß die Zinslasten drückend sind - fürwahr -, daß die öffentlichen Kassen klamm sind und daß
Einschnitte daher unvermeidlich sind. Ich sage Ihnen,
Herr Minister: Die Bevölkerung ist in ihrer Mehrheit
Tatsachen gegenüber nicht ignorant. Die Bevölkerung
erkennt doch, daß es an den Börsen boomende Kursgewinne gibt. Die Bevölkerung erkennt, daß es bei großen
Unternehmen, bei Banken und bei Versicherungsgesellschaften steigende Gewinne gibt. Die Bevölkerung erkennt, daß es eine Konzentration von privatem Vermögen in immer weniger Händen gibt. Auf solche Fakten
aber reagiert die Bundesregierung leider überhaupt
nicht.
({2})
Es ist ja richtig, was Sie gesagt haben, Herr Minister:
Die deutsche Einheit ist von der Vorgängerregierung
Kohl kredit- statt steuerfinanziert worden, weil sie lieber
in vollem Glanze dastehen wollte. Warum aber setzen
Sie jetzt die Steuersenkungspolitik gegenüber jenen fort,
die zehn Jahre lang trocken unter dem Regen durchgekommen sind?
({3})
Große Unternehmen, Banken und Versicherungsgesellschaften sind zehn Jahre lang geschont worden. Sie haben sogar seit 1994 von der Kohl-Regierung pausenlos
Steuersenkungen bekommen, ohne daß es auf dem Arbeitsmarkt zu entsprechenden Wirkungen gekommen
wäre. Sie setzen das jetzt fort. Warum eigentlich können
die Unternehmen nach beendeter Schonfrist nun nicht
im nachhinein noch herangezogen werden, um endlich
ihren Obolus zu leisten? Warum sollen für die hohen
Zinslasten - sie sind fürwahr sehr hoch und drückend jene bluten, die nicht in dem Maße wie die großen Unternehmen, Banken und Versicherungskonzerne von
Steuerentlastungen profitiert haben?
Die soziale Schieflage ist der Knackpunkt in diesem
Haushalt und auch in der mittelfristigen Finanzplanung.
Es geht doch nicht nur um die quer durch alle Einzeletats verordnete Ausgabenkürzung in Höhe von
7,4 Prozent; das ist die eine Sache. Es geht um Systembrüche, die auf vielen Gebieten vorgenommen werden,
ohne daß verläßlich gesagt werden kann, wie denn die
neuen Systeme in der Zukunft aussehen sollen. Das führt
zu einer beträchtlichen Verunsicherung in der Bevölkerung.
Ein drastisches Beispiel für diese Systembrüche ist
die veränderte Bezugsbasis für die Anpassung der Renten, der Arbeitslosenhilfe, des Übergangsgeldes und des
Unterhaltsgeldes. Herr Minister, die davon betroffenen
Bevölkerungsgruppen haben ihren Konsolidierungsbeitrag, ihren Solidarbeitrag für die Gesellschaft doch
schon geleistet, indem sie beispielsweise von der Ökosteuer zusätzlich belastet, aber nicht entlastet werden.
Das ist die Schieflage.
Ein Systembruch findet auch statt, wenn sich der
Bund dadurch entlastet, daß er von ihm getragene Ausgaben in Höhe von etwa 9 Milliarden DM auf die
Kommunen abwälzt. Von der Bundesregierung wäre
doch zu erwarten, daß sie bei den Bundesländern um
eine Wiedererhebung der Vermögensteuer wirbt, statt
hier abzuwiegeln. Von den Einnahmen aus einer Vermögensteuer könnten die Kommunen direkte Zuflüsse
bekommen, mit denen sie beispielsweise wieder freiwillige Aufgaben finanzieren könnten, die sie heute nicht
mehr finanzieren können. Daß man Kinder- und Jugendarbeit, Kultur und Sport, überhaupt soziokulturelle Arbeit, als freiwillige Aufgabe bezeichnet, tut mir schon
weh. Besonders schlimm ist es, wenn ich weiß, daß das
jetzt alles unter den Hammer kommt.
({4})
Ich wage mir nicht vorzustellen, wie dieses Gemeinwesen in zehn oder 15 Jahren aussehen wird. Wenn die sogenannten freiwilligen Aufgaben der Kommunen weiterhin nicht mehr finanzierbar sein werden, welches
Gemeinwesen werden wir dann in zehn oder 15 Jahren
haben?
Zweifellos setzt dieser Haushalt einige Akzente, die
die Unterstützung meiner Fraktion finden werden. Das
gilt selbstverständlich für das höhere Kindergeld, die für
die aktive Arbeitsmarktpolitik eingestellten Mittel und
das Sofortprogramm für Ausbildung und Beschäftigung
junger Leute, wenngleich ich mir sehr gut vorstellen
könnte, daß es an der Zeit ist, die Ausbildungsplatzabgabe als Umlagefinanzierung einzuführen und die
2 Milliarden DM, die im Bundeshaushalt zur öffentlichen Finanzierung der Ausbildung vorgesehen werden,
für andere Zwecke zu verwenden.
({5})
Ich nenne auch das Programm „Die soziale Stadt“ oder
das Inno-Regio-Programm.
Insgesamt aber ist der Haushaltsentwurf weit davon
entfernt, eine finanzielle Untersetzung der Wahlversprechen von SPD und Bündnisgrünen zu sein. Das bundestagswahlentscheidende Versprechen war die engagierte
Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Das sollte der
Schlüssel zur Haushaltskonsolidierung sein. Inzwischen
ist die Haushaltskonsolidierung - das ist jedenfalls mein
Eindruck - über weite Strecken zum Selbstzweck geworden und hat kontraproduktive Wirkungen auf den
Arbeitsmarkt, weil öffentliche Investitionen reduziert
werden, weil die Kommunen zusätzlich belastet werden
und folglich als Auftraggeber für kleine und mittlere
Unternehmen weitestgehend ausfallen, weil das Eigenkapitalhilfeprogramm für Existenzgründer nach wie vor
nicht ausfinanziert ist und weil Mittel für die neuen
Länder von Kürzungen nicht ausgenommen sind.
Im übrigen, Herr Minister: Ich hoffe, es ist nur ein
Gerücht, daß Sie sich der Zustimmung der CDUMinisterpräsidenten von Thüringen und Sachsen, von
Herrn Vogel und Herrn Biedenkopf, versichern wollen,
indem Sie ihnen die Aufstockung von Strukturhilfen
zum Aufbau Ost zu Lasten der Strukturhilfen für Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt versprechen.
Herr Biedenkopf und Herr Vogel meinen jedenfalls,
Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern bekämen zuviel, und das sei ungerecht. Ich hoffe wirklich,
daß das nur ein Gerücht ist.
Unbestritten ist, daß dieser Bundeshaushalt konsolidiert werden muß. Entgegen allen Unterstellungen und
Unkenrufen, die immer zu hören sind, die PDS würde
nur mit einem Programm „Wünsch dir was“ durch die
Gegend laufen, sage ich: Wir werden nicht bedenkenlos
eine Erhöhung der Neuverschuldung fordern. Wir wissen um deren fatale Umverteilungswirkungen zugunsten
Vermögender. Von den Zinsen auf die Staatspapiere, deren Gesamtvolumen in Deutschland inzwischen über
2 Billionen DM beträgt, profitieren die vermögenden
Schichten überdurchschnittlich. Zur Aufbringung von
Tilgung und Zins wird nun das allgemeine Steueraufkommen herangezogen, das sich vorwiegend aus der
Lohnsteuer abhängig Beschäftigter und der Mehrwertsteuer, die die 80 Millionen hier lebenden Konsumenten aufbringen, zusammensetzt.
Wir sind für den sorgfältigen Umgang mit öffentlichen Geldern. Wir machen auch Ausgabenkürzungsvorschläge. Das sind zum ganz großen Teil andere als
die der Regierung. Aber wir machen Vorschläge; meine
Kollegin Höll wird in der Debatte im einzelnen darüber
sprechen. Herr Kollege Merz - der leider nicht mehr da
ist, aber er hat ja im Auftrage der Fraktion gesprochen hat in dieser Debatte jedenfalls keine Kürzungsvorschläge unterbreitet. Er hat davon gesprochen, daß für
die Bundeswehr und die Beamtenbesoldung mehr Gelder eingestellt werden müssen. Ich halte es wirklich
nicht für fair, wenn man in der Debatte auf der einen
Seite die Regierung für den sogenannten Sparkurs lobt
und auf der anderen Seite selbst eine Menge von Ausgabenerhöhungen vorschlägt, ohne selbst eine eigene Kürzungsidee einzubringen. Wir werden unsere Vorschläge
noch in dieser Debatte vorstellen.
Keine ökonomisch stichhaltige Begründung gibt es
nach unserer Auffassung dafür, daß man sich bei der
Haushaltskonsolidierung nur auf die Ausgabenseite beschränkt und Einnahmeerhöhungen als Konsolidierungsstrategie außer acht läßt. Es steht auch nirgendwo geschrieben, daß mit Brachialgewalt binnen weniger Jahre
eine Neuverschuldung von 0 DM realisiert werden
müßte, gerade wenn man sagt, daß dieses Land das einzige in Europa ist, das die Wiedervereinigung von früher
getrennten Teilen zu bewältigen hat.
Wir fordern, die Einnahmen zu erhöhen. Dazu liegen
ebenfalls unsere Vorschläge vor, die wir Herrn Eichel
auch schriftlich übergeben werden. Eine mittel- und
langfristig nachhaltige Haushaltskonsolidierung läßt sich
mit kurzfristigen Eingriffen in Sozialleistungen und
durch Ausgabenverlagerungen auf die Kommunen nicht
erreichen.
({6})
Notwendig sind aus unserer Sicht strukturelle Reformen,
die von der SPD während ihrer 16jährigen Oppositionszeit offenbar aber leider nicht konzeptionell ausreichend
vorbereitet worden sind.
Denken Sie bitte an
Ihre Redezeit.
Ja, ich komme zum Ende.
Ich nenne dafür nur die Besteuerung aller Vermögensarten, die Umbasierung der Sozialversicherungsbeiträge auf die Wertschöpfung, eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftsförderung und die Einrichtung eines
dauerhaften Non-Profit-Sektors, in dem arbeitslose
Menschen zu einer vernünftigen, existenzsichernden
Arbeit kommen können.
Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, verspielen Sie nicht endgültig die Chance auf eine
Alternative zu der Politik, die am 27. September vergangenen Jahres abgewählt worden ist!
Danke schön.
({0})
Nun hat das Wort
der Kollege Hans Georg Wagner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wenn Sie, Frau Präsidentin,
oder jemand von Ihren Kolleginnen und Kollegen heute
abend die Sitzung schließen, dann hat Hans Eichel bereits 220 Millionen DM an Zinsen an die Banken überwiesen. Auch morgen wird er 220 Millionen DM überweisen, ebenso übermorgen und all die Tage.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und
F.D.P., das ist die Erblast Ihrer Regierung: 220 Millionen DM müssen jeden Tag an Zinsen gezahlt werden;
davon profitieren nur die Banken.
({0})
Sie haben mit Ihrer Politik dafür gesorgt, daß einem
Baby, das in dieser Sekunde geboren wird, eine Schuldenlast von 19 000 DM auferlegt ist. Auch die Frau, die
kürzlich 106 Jahre alt geworden ist, um das andere
Spektrum darzustellen, hat 19 000 DM Bundesschulden
auf ihrem alten Rücken. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik; das müssen Sie sich einmal ansehen und anerkennen. An Alternativvorschlägen ist dazu von Ihnen bis
jetzt noch nichts gekommen.
Die Bundesschuld ist mittlerweile der zweitgrößte
Einzelplan des Bundeshaushaltes nach dem Sozialhaushalt, der mit 196 Milliarden DM natürlich ein ganz großes Pfund ist, mit dem man wuchern muß. Angesichts
dieser Höhe kann von Abbau von Sozialleistungen überhaupt keine Rede sein, weil alles erhalten wird, was
notwendig ist. Auch das ist ein Punkt, den man in der öffentlichen Diskussion etwas stärker hervorheben sollte.
- Zur Rente werde ich nachher noch etwas sagen.
Herr Kollege Merz, der nicht mehr da ist, hatte ja
vorhin eine Aussage von mir zum Wahlergebnis im
Saarland gebracht. Ich gebe zu, wir haben die Wahl im
Saarland verloren.
({1})
Aber bei einer Wahl spielen ja nicht allein die erzielten
Prozentanteile eine Rolle, sondern auch die Stimmen.
Wählerstimmen hat aber die CDU im Saarland wie in
Thüringen verloren. Sie hat nur wegen der geringen
Wahlbeteiligung Prozente gewonnen, aber Stimmen
verloren. Sie sind also nicht so glorreiche Sieger, wie
Sie sich gerne darstellen. Kollege Metzger hat vollkommen recht, wenn er sagt: Hochmut kommt vor dem
Fall. Warten Sie einmal ab, wie uns, wenn sich die wirtschaftlichen Daten verbessern, nächstes Jahr wieder jeder zujubelt und sagt, wir machen eine vernünftige und
richtige Politik.
({2})
Die brutale Altlast der abgewählten Bundesregierung
besteht nun einmal aus den 82 Milliarden DM an Zinsen, die wir Jahr für Jahr aufbringen müssen, ohne daß
mit diesem Geld überhaupt irgend etwas gestaltet werden kann. Nur die Banken sind froh, daß sie dieses Geld
bekommen. Diese Erblast haben Sie uns hinterlassen.
Jetzt vom Brandstifter zum Biedermann zu werden, das
wird Ihnen nicht gelingen. Sie haben dies verschuldet
und müssen auch in der jetzigen Zeit, wo wir in schweres Wasser geraten sind, dafür geradestehen. Durch Ihre
Politik haben Sie die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel
gesetzt. Wir sind dabei, durch eine Konsolidierung des
Haushalts diese Zukunftsmöglichkeiten wiederherzustellen. Diese Aufgabe müssen wir erfüllen.
({3})
Deutschland muß für die Zukunft fit gemacht werden.
Nun zum Etat der Bundeswehr: Sie sagen, man darf
bei der Bundeswehr nichts kürzen. Aber was haben Sie
eigentlich mit der Bundeswehr angestellt? An den
Standorten meines Wahlkreises müssen völlig veraltete
Maschinen gewartet werden, Lastwagen und Transportfahrzeuge, die so alt sind wie die Bundesrepublik
Deutschland selber. Es wurden keine Neuanschaffungen
getätigt. Sie haben bei der Bundeswehr alles verrotten
lassen. Ich wundere mich, warum 6 000 Bundeswehrangehörige dieser Tage hier demonstriert haben, wo doch
das Chaos, das Rühe und andere vorher angerichtet haben, für jedermann sichtbar war.
({4})
Wir haben die Familien zum 1. Januar steuerlich
entlastet. Wir haben das Kindergeld in 13 Monaten um
50 DM erhöht - und werden es weiter erhöhen. Sie waren 16 Jahre lang nicht dazu fähig, dies zu tun.
({5})
Wir haben die Bezieher kleinerer Einkommen steuerlich
bessergestellt. Der Eingangssteuersatz ist gesenkt worden,
({6})
das Existenzminimum ist erhöht worden. Das geschah
alles zugunsten der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen.
Zu Ihren Bemerkungen zum Saarland möchte ich
Ihnen sagen: Diese Bundesregierung verhält sich solidarisch gegenüber dem Saarland und Bremen, denn sie hat
deren Teilentschuldung in den Bundeshaushalt aufgenommen, während Sie das verweigerten. Wenn der
Kollege Jacoby noch da wäre, könnte ich ihm als designiertem Finanzminister des Saarlandes prophezeien,
({7})
daß er jetzt die Teilentschuldung umsetzen wird, indem
er sich das Geld bei Hans Eichel wahrscheinlich persönlich - das könnte ich mir gut vorstellen - abholt. Das ist
jedenfalls eine Tat dieser Bundesregierung und nicht
derjenigen, die jetzt im Saarland zufälligerweise einmal
die Wahlen gewonnen haben.
({8})
Wir haben eine ganze Serie von Steuerschlupflöchern gestopft. Während Ihrer Regierungszeit war es ja
möglich, daß in Korea innerhalb von drei Tagen 180
Schiffe zu Abschreibungszwecken bestellt wurden. Dieses Steuerschlupfloch wurde gestopft. Wir haben auch
die Steuerschlupflöcher für Abschreibungen in den neuen Ländern gestopft. Jetzt sitzen die Kameraden auf ihren Ruinen und stellen fest, daß sie fehlinvestiert haben.
Das geschah aber auf Kosten der deutschen Steuerzahler. Das ist Ihr Verdienst, meine Damen und Herren, an
dieser ganzen Geschichte.
({9})
Wir wollen die Nettokreditaufnahme bis zum Jahre 2003 auf 30 Milliarden DM senken und haben vor, sie
in der nächsten Legislaturperiode gegen null zu führen.
Diese Aufgabe, die wir übernommen haben, ist wirklich
schwierig. Ich bin aber sicher, daß es uns gelingt, wenn
wir an dem Sparkurs festhalten. Ich sage hier für die
SPD-Fraktion: Wir werden bei diesen 30 Milliarden DM
nicht wackeln. Es soll sich keiner einbilden, daß daran
etwas geändert wird. Das Ziel, 30 Milliarden DM einzusparen, bleibt bestehen.
({10})
Wir haben das Sparpaket ohne Steuererhöhungen
durchgesetzt; Herr Eichel hat das heute morgen schon
gesagt. Wie war das denn in den letzten Jahren mit Ihrer
Mineralölsteuererhöhung? Wie war das denn mit der
Mehrwertsteuer, die wir gemeinsam mit Ihnen erhöht
haben, damit die Rentenversicherungsbeiträge unter
20 Prozent fallen konnten? Sie waren doch auf Grund
Ihrer ideenlosen und zukunftslosen Politik auf dem besten Weg, diese Beiträge auf 22 Prozent ansteigen zu
lassen.
Übrigens: Herr Rexrodt, Sie haben von einem Entlastungsvolumen von 30 Milliarden DM seitens Ihrer Regierung gesprochen. Davon waren allein durch die
Mehrwertsteuererhöhung schon 15 Milliarden DM
verbraten. Es wären noch 15 Milliarden DM übriggeblieben; für diese haben Sie nie eine Gegenfinanzierung
dargestellt.
({11})
Deswegen ist es gut, daß wir hier für Klarheit gesorgt
haben.
({12})
Sie haben gesagt, die Ökosteuer sei verwerflich. Ich
sage Ihnen eines, Herr Kollege Rexrodt: Wir haben die
Ökosteuer zur Finanzierung der Renten- und Sozialversicherung eingeführt. Damit wird für die Rentnerinnen und Rentner auch in der Zukunft Sicherheit geschaffen.
({13})
Jetzt komme ich zu den Renten, meine Damen und
Herren. Ich habe nie eine unsinnigere Diskussion geführt als diese und habe nie eine verlogenere Diskussion
seitens der CDU/CSU gehört als die zu diesem Punkt.
({14})
CDU/CSU und F.D.P. haben eine, wie sie es nannten,
Rentenreform beschlossen, die vorsah, das Rentenniveau
von 70 Prozent auf 64 Prozent zu senken. Das war Ihr
Beschluß. Jede Rentnerin und jeder Rentner, die in den
letzten Tagen bei den Landtagswahlen - vielleicht auch
künftig - ihre Stimme nicht abgegeben oder die CDU
gewählt haben, haben sich ganz tief ins eigene Fleisch
geschnitten; denn das, was Sie wollten, ist doch viel
schlimmer als das, was jetzt diskutiert wird.
({15})
Ihre Handlungsweise in den letzten Jahren spricht
doch Bände. Im vergangenen Jahr beispielsweise lag die
Preissteigerungs- bzw. Inflationsrate bei 1 Prozent; die
Rentenerhöhung betrug 0,4 Prozent. Wir wollen jetzt
endlich sicherstellen, daß die Rentnerinnen und Rentner
keine Kaufkraftverluste mehr hinnehmen müssen und
sehen deshalb für die nächsten zwei Jahre vor, die Rente
in Höhe der Inflationsrate heraufzusetzen. Damit verdreifachen wir die Rentenerhöhung in Relation zu dem,
was Sie gemacht haben, und schaffen Sicherheit für die
Rentnerinnen und Rentner. Niemand nimmt ihnen Geld
ab. Deswegen halte ich es für verrückt, dies im Zusammenhang mit dem Sparpaket zu diskutieren. Das eine hat
doch mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Die
Renten werden doch nicht deshalb „nur“ in Höhe der Inflationsrate angehoben, um den Haushalt sanieren zu
können, sondern um sie zukunftssicher zu machen, auch
für die nächsten Jahrzehnte.
({16})
Sie müssen einmal einen Blick in das Grundgesetz
werfen, Herr Kollege Zwischenrufer. Im Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland steht:
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
Was haben Sie eigentlich in Ihrer Regierungszeit aus
dem demokratischen und sozialen Bundesstaat gemacht?
({17})
Sie haben ihn ruiniert. Sie haben ihn handlungsunfähig
gemacht für die Zukunft. Wir sind jetzt dabei, in schwierigen Diskussionen und mit schwierigen Entscheidungen, den Haushalt wieder zukunftssicher zu machen.
Dem Land muß eine Zukunft gegeben werden.
Ich habe Herrn Biedenkopf und Herrn Vogel so verstanden, daß sie sagen: Wir müssen das Sparpaket diskutieren, aber auch unterstützen, damit der Bund handlungsfähig wird und im Jahr 2004 die Ostförderung
weitergeführt werden kann. Dies wäre bei Ihrer Politik
nicht mehr möglich gewesen. Bei Ihnen wäre mit der
Förderung im Jahre 2004 Schluß gewesen. Das müssen
Sie sich immer wieder vor Augen führen.
({18})
Nun noch zu den Investitionen. Frau Kollegin Luft
hat gerade gesagt, die Investionsquote sinke. Man muß
sich dies schon einmal genau ansehen: Durch die Übernahme der Postunterstützungskassen ist der konsumtive
Bereich des Bundeshaushalts vergrößert worden. Dadurch ist die Investitionsquote relativ gesunken. In
Wirklichkeit aber bleibt es bei den 58 Milliarden DM,
die wir in der mittelfristigen Finanzplanung zur Finanzierung der Investitionen jährlich vorgesehen haben;
daran wird nichts geändert. Wir werden jedem Versuch
widerstehen, etwas daran zu ändern. Das wird schwierig
werden, meine Damen und Herren; denn es gibt Haushaltsrisiken.
Herr Kollege Rexrodt, Sie haben sich darüber echauffiert, daß die globalen Minderausgaben im Verteidigungshaushalt, im Verkehrshaushalt und im Sozialhaushalt nicht belegt werden. Ich kann Ihnen versichern: Die
Koalition wird dies spätestens in der Bereinigungssitzung belegen, und zwar auf den Pfennig. Das kann ich
Ihnen für beide Partner zusagen.
({19})
Was die globale Minderausgabe von 3,4 Milliarden
DM im Verteidigungshaushalt betrifft, so habe ich
Herrn Scharping wohl falsch verstanden, wenn es so ist,
wie Sie es auslegen. Er hat mir gesagt, er habe die 3,4
Milliarden DM im Gespräch mit dem Finanzminister
belegt. Er habe Schwierigkeiten, das zu belegen - nicht
wegen der Demonstration am vergangenen Sonntag,
sondern weil in der Beschaffung Lücken klafften und
die Bewaffnung der Bundeswehr unter aller Kanone sei.
({20})
Das ist etwas, was die Verteidigungspolitiker Ihrer
Partei ja auch wissen. Herr Rühe hat als Verteidigungsminister - mit Blick auf die Nachfolgeregelung Kohl Aufträge nach Bayern geschoben, um sich Herrn Waigel
gesonnen zu halten. Das waren die Transportfahrzeuge
für das Heer, das waren die Eurofighter, das waren die
Kampfhubschrauber Uhu usw. Das waren Dinge, die mit
dem eigentlichen Auftrag der Bundeswehr nur schwer in
Einklang zu bringen sind.
({21})
Wenn man darüber diskutiert, wie die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland aussehen soll,
stellt man fest: Man muß eine Bundeswehr haben, die
im Verteidigungsfall bereit und in der Lage ist, mit allen
technologischen Geräten ausgestattet, anzutreten. Das
alles haben Sie versiebt.
Ich will jetzt nicht darauf eingehen, wie es im Kosovo
aussieht, daß dort Panzer ausgeschlachtet werden mußten, damit wenigstens die eine Hälfte funktionsfähig
war. Am Schluß hat man dann festgestellt, daß man gar
keine Waffen an Bord hatte. Das sind Dinge, bei denen
die Versäumnisse so eindeutig bei Ihnen liegen, daß es
eigentlich verwunderlich ist, daß Sie das Wort Verteidigungshaushalt hier überhaupt in den Mund nehmen.
({22})
Herr Kollege Rexrodt, Sie haben eben gesagt, es
würden Beanstandungen auf die Gemeinden abgewälzt.
({23})
Die Zinslastquote des Bundes liegt bei 22 Prozent. Jede
vierte Mark geht für Zinsen weg. Sie haben die Zahl genannt: 82 Milliarden DM. Bei den Ländern und Gemeinden liegt sie durchschnittlich nur bei 11 Prozent.
Bei den Gemeinden ist sie noch geringer als 11 Prozent.
Nur Bremen ist etwas schlechter dran. Das heißt, die desolateste Haushaltssituation hat der Bund, und zwar von
Ihnen verursacht. Wir versuchen, davon wegzukommen.
Deshalb sollten Sie uns nicht diffamieren, sondern uns
in diesen schwierigen Zeiten unterstützen.
({24})
Wir haben auch für die Gemeinden Entlastungen vorgesehen. Das werden Sie, wenn Sie ehrlich und fair sind
und sich das Haushaltssanierungsgesetz genau ansehen,
zugeben müssen. Die Erhöhung des Kindergeldes etwa
verringert die Aufwendungen bei der Sozialhilfe. Das
geht zugunsten der Gemeinden. Der Umfang, in dem die
Gemeinden von dem Paket profitieren, beläuft sich auf
ungefähr 350 Millionen DM jährlich. Das gilt nicht für
die ersten beiden Jahre. Aber dann profitieren sie davon,
weil langfristig eine Entwicklung eingeleitet wird, die in
der Tat zu einer Entlastung in diesem Bereich führt.
Ich möchte zu der Beamtenbesoldung noch etwas sagen.
({25})
- Das wird neu formuliert, ganz klar. Das haben wir ja
auch gemacht.
({26})
Ich frage Sie: Warum haben Sie es zugelassen, daß
im Gesetz für den sozialen Wohnungsbau steht, daß der
soziale Wohnungsbau Sache der Länder ist? Wenn jetzt
der Bund sagt, wir halten uns daran, dann sagen Sie:
Geht nicht! Ihr legt alles auf die Gemeinden um. - Sie
müssen einmal unterscheiden lernen und sich klarmachen, welches wirklich die Ebene ist, die hier zählt.
({27})
Es hat neulich Diskussionen gegeben, weil ich in einer Pressekonferenz gesagt habe, daß im Zuge der Anpassung der Rentenentwicklung an die Inflationsrate
in den nächsten zwei Jahren natürlich auch die PensioHans Georg Wagner
näre, die Beamten, die Minister, die Staatssekretäre und
die Abgeordneten mit zwei Nullrunden auskommen
müßten, weil das alles auf Pump finanziert ist. Das hat
zu erregten Briefen geführt, weil man sich ärgerte. Aber
die Beamten und wir alle werden auf Pump bezahlt.
Meine Damen und Herren, alle, die wir hier sitzen, haben kreditfinanzierte Einkommen, die der Bund finanziert. Der Bund muß Geld aufnehmen, um unsere Diäten
zu bezahlen; so einfach ist das. Deshalb ist ein Solidarbeitrag auch von den Gruppen einzufordern, die bisher
dazu nicht bereit waren. Sie müssen lernen, daß Solidarität keine Einbahnstraße ist, sondern daß es ein solidarisches Verhalten geben muß, um dieses Paket über die
Bühne zu bringen und den Staat wieder handlungsfähig
zu machen.
({28})
Herr Kollege Kampeter, Sie, der Sie ständig dazwischenrufen, waren doch gegen die Änderungen bei der
Lohnfortzahlung. Sie waren dafür, die Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall einfach einzusparen. Sie haben es ja
beschlossen. Wir haben vor der Wahl gesagt, daß wir
das ändern werden, und wir haben die Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall wiederhergestellt. Das war die Einhaltung eines Versprechens.
Vor der Wahl haben wir versprochen, daß wir die unselige Kündigungsschutzbestimmung, die Sie beschlossen haben, wieder aufheben. Das haben wir getan.
In der letzten Sitzungswoche fand die erste Lesung bezüglich einer Neuregelung des Schlechtwettergeldes
statt. Sie sind mit dem Schicksal Tausender Bauarbeiter
umgegangen, als seien diese keine Menschen; denn Sie
haben sie in die Arbeitslosigkeit entlassen und damit zu
Lasten der Bundesanstalt für Arbeit finanzieren wollen.
Wir haben gesagt, daß wir eine Schlechtwettergeldregelung durchsetzen werden, die das ganzjährige Einkommen der Bauarbeiter sicherstellt. Auch dieses Versprechen haben wir eingehalten.
({29})
Letzte Woche hat Herr Schäuble im ZDF gesagt, daß
die Lage der Bundesfinanzen gar nicht so schlimm sei,
wie wir sie darstellen würden. - Ich sage das so, weil
mir der Präsident heute morgen verboten hat, wahrheitswidrig das Wort Lüge zu gebrauchen.
Auch ich fände es
nicht schön, wenn Sie dies täten, Herr Kollege.
- Das hatte ich vermutet, Frau Präsidentin. Deswegen habe ich es vorsorglich anders formuliert - aber das war schlichtweg gelogen.
({0})
Denn es bestehen Schulden in Höhe von 19 000 DM
pro Kopf der Bevölkerung. Das sind schwarzgelbe
Schulden, die wir abbauen müssen. 1982 betrug die
Schuldenlast 350 Milliarden DM. 1990 betrug sie etwa
700 Milliarden DM. Am Ende Ihrer Regierungszeit waren es 1,5 Billionen DM. Ich formuliere es einmal anders - Herr Kampeter, damit auch Sie es begreifen -:
1 500 Milliarden DM Schulden.
({1})
Diese haben wir von Ihnen übernommen. Jetzt müssen
wir schmerzhaft versuchen, diese Schulden abzutragen.
({2})
Trotz des Wahlergebnisses im Saarland bleiben wir Kollege Jacoby wird das bestätigen - liebenswerte, liebenswürdige, freundliche Menschen. Sie können gerne
zu uns in das Saarland kommen. Sie sind herzlich willkommen. Aber diffamieren Sie uns nicht permanent! Sie
sollten aufpassen, was Sie Herrn Jacoby sagen werden,
wenn er einmal auf der Bundesratsbank sitzen sollte und
er für das Saarland weiterhin die Teilentschuldung einfordern müßte, weil sich die Finanzsituation im Saarland
seit 1985 so verschlechtert habe.
Die CDU/CSU fordert - das habe ich Ihren Vorstellungen entnommen, die Sie auf Ihrer Klausurtagung in
Berlin entwickelt haben -, die Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit drastisch zu senken. Das müssen
die Arbeitslosen draußen im Land wissen. Das müssen
auch diejenigen, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in
Anspruch nehmen, wissen! Die CDU/CSU möchte, daß
die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kassiert bzw. nicht
mehr ausgeführt werden und daß die Menschen weiter in
der Arbeitslosigkeit verharren. Sie haben mit dem Beschluß, den Ihre Arbeitsgruppe gefaßt hat, entschieden,
daß Sie das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nicht fortführen wollen. Sie wollen es
streichen. Ich finde das einen Skandal; denn 178 000
junge Menschen haben von unserem Programm profitiert. Die wollen Sie wieder in die Arbeitslosigkeit, in
die Konzeptionslosigkeit, in die Zukunftslosigkeit entlassen. Das ist wirklich eine sehr progressive Politik, die
Sie uns hier vortragen.
({3})
Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen. Er
betrifft die kleinen und mittleren Unternehmen. Das
Institut der deutschen Wirtschaft hat am 28. Juli 1999
erklärt, daß die Koalition, die jetzige Regierung aus SPD
und Grünen, eine Entlastung der kleinen und mittleren
Unternehmen in einer Größenordnung von 12,3 Milliarden DM erreicht hat. Am 1. Januar 2001 kommen weitere 8 Milliarden DM hinzu. Daran ist erkennbar, daß wir
etwas geändert haben. Wir setzen auf kleine und mittlere
Unternehmen. Sie sind auf dem Markt beweglicher als
Großunternehmen. Deshalb haben sie unsere volle Unterstützung. Mehr als eine Entlastung in Höhe von 20
Milliarden DM für kleine und mittlere Unternehmen das sollten Sie einmal schaffen, davon sollten Sie sich
einmal ein Stück abschneiden! Sie waren dazu zu keinem Zeitpunkt in den 16 Jahren Ihrer Regierung in der
Lage.
({4})
Ich stelle fest: Wir werden darauf bauen und darauf
vertrauen, daß Sie in den Beratungen des Haushaltsausschusses konstruktiv mitarbeiten. Den Kollegen Merz,
der an diesen Beratungen noch nie teilgenommen hat,
lade ich ausdrücklich zu einer Teilnahme ein, damit er
sich einmal informiert, wie es dort zugeht. Dann werden
wir Ihre Alternativvorschläge ergebnisoffen diskutieren.
Wenn sie vernünftig sind, werden sie umgesetzt; wenn
sie unvernünftig sind, werden sie abgelehnt. So ist das
nun einmal im politischen Leben.
({5})
Wir bauen darauf, daß Sie zu einer konstruktiven Mitarbeit zurückkehren.
Schönen Dank.
({6})
Ich erteile nun der
Kollegin Dr. Höll, PDS-Fraktion, das Wort.
({0})
- Oh, Entschuldigung, Herr Kollege. Ich hatte Ihren
Namen auf der Rednerliste schon durchgestrichen, Sie
also schon abgehakt, Herr Kollege.
({1})
Denn ich dachte, Sie hätten schon geredet.
Das Wort hat der Kollege Dietrich Austermann.
Frau Präsidentin, das könnte Ihnen so gefallen.
Es ist heute ein erfreulicher Tag, nicht nur, weil der
Finanzminister eine solch schlechte Rede gehalten hat.
({0})
Vielmehr hat Kollege Adolf Roth heute Geburtstag.
Herzlichen Glückwunsch!
({1})
Ich glaube, das ganze Haus wird sich den Glückwünschen gern anschließen.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege!
({0})
Das kann man
sich ganz leicht merken: Der Kollege hat an dem Tag
Geburtstag, an dem Konrad Adenauer sein Amt angetreten hat. Das ist heute vor fünfzig Jahren gewesen. Ich
erwähne das deshalb, weil ich glaube, daß dies noch eine
Zeit war - daran erinnert man sich gern -, als Politik
gemacht wurde, die wirklich Visionen verfolgte und die
versuchte, Visionen durchzusetzen.
({0})
Ich glaube schon, daß es richtig ist, sich daran zu erinnern.
Im übrigen möchte ich noch bemerken: Es ist mir
schwergefallen, den Platz zu verlassen, auf dem ich gesessen habe. Ich saß eben neben Peter Jacoby, dem neuen Finanzminister des Saarlandes.
({1})
Mein Vorredner wäre es möglicherweise gern geworden.
Jeder, der seine Rede gehört hat, weiß, warum er es
nicht geworden ist.
({2})
Auf der anderen Seite neben mir saß der künftige Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, Volker
Rühe.
({3})
Ich finde, das ist durchaus ein erfreulicher Tag für uns.
Ich komme jetzt zum Inhaltlichen, zu dem, was in
zwei, drei wesentlichen Punkten heute immer wieder
angesprochen worden ist, und will mich damit auseinandersetzen.
Herr Kollege Wagner hat - genau wie der Bundesfinanzminister - versucht, die Verschuldung des Bundes
eindeutig zuzuordnen. Er hat von den schwarzgelben
Schulden gesprochen.
({4})
Das ist sicher falsch, wenn man sich vor Augen führt,
wie diese Schulden entstanden sind.
({5})
Das hängt aber auch davon ab, wer von der rotgrünen
Koalition gerade redet. Herr Metzger hat es ein bißchen
anders dargestellt und gesagt, daß er das mit der Erblast
schon nicht mehr hören kann. Andere stellen das aber so
dar.
Wir haben 1982 350 Milliarden DM Schulden übernommen - die Zinsen rechne ich noch gar nicht hinzu -,
übrigens von Helmut Schmidt, der in der „Welt am
Sonntag“ gesagt hat, daß er sich mittelmäßig regiert
fühlt. Ich denke, daß es zum Umgang unter Parteifreunden gehört hat, daß er nicht schärfere Worte gebraucht
hat.
({6})
„Mittelmäßig regiert“ ist, glaube ich, ein Ausdruck, der
einiges aussagt. Wir haben also 1982 jene 350 Milliarden DM Schulden von Helmut Schmidt übernommen.
Dann kamen, nachdem wir über Jahre hinweg bis 1989
vernünftige Haushalte eingebracht haben, 500 bis
600 Milliarden DM aus der kommunistischen Erblast hinzu. Deswegen bin ich jedes Mal befremdet, wenn die Erben der SED hier auftreten und Forderungen aufstellen.
Jeder, der sich heute in Berlin-Mitte bewegt, weiß, welche
Leistungen erbracht worden sind. Weiterhin sind noch jene 600 Milliarden DM zu erwähnen, die inzwischen in
die neuen Bundesländer hineingesteckt worden sind.
Wenn das so ist, daß es sich dabei um schwarzgelbe
Schulden handelt, dann sage ich: Wir übernehmen gern
die Verantwortung, weil hinter dieser Aussage das Eingeständnis steckt, daß wir für diese positive Entwicklung unseres Landes in den letzten zehn Jahren verantwortlich sind.
({7})
Jeder, der sich davon lossagt, sagt sich auch von der
Verpflichtung zum Aufbau Ost los, die wir miteinander
übernommen haben.
({8})
- Zu dieser Zahl komme ich gleich, Herr Kollege. Sie
müßten ja eigentlich deutlich machen, wie denn die Arbeitslosigkeit während Ihrer Regierungszeit zurückgegangen ist.
Ich fange mit diesem Punkt an. Eine wesentliche
Aufgabe von Politik muß doch heute in die Richtung
gehen, daß sie die Bedingungen für mehr Arbeitsplätze
verbessert und daß man das auch dokumentieren kann.
Politik - auch das Sparen - sollte heute dazu beitragen,
daß die Bedingungen für zusätzliche Arbeitsplätze in
Deutschland verbessert werden. Das, was Sie bisher in
den ersten elf Monaten gemacht haben, bewirkte genau
das Gegenteil: Arbeitsplätze sind verlorengegangen; Beschäftigung ist zurückgegangen. Sie haben nicht mehr
Arbeitsplätze geschaffen, sondern Sie haben Arbeitsplätze vernichtet. Das kann man mit einem Vergleich
zum Vorjahr oder mit Vergleichen auf Monatsbasis beweisen.
({9})
Wenn Sie sich die gesamte Statistik anschauen, werden Sie merken: Das, was Sie gemacht haben - die Regelungen zur Scheinselbständigkeit, zu den 630-MarkArbeitsverhältnissen, die zusätzlichen Steuerbelastungen -, hat dazu beigetragen, die Bedingungen für mehr
Arbeitsplätze zu verschlechtern, Herr Kollege Schwanhold.
({10})
- Schauen Sie sich doch die Statistik an. Wir haben im
Jahr 1998 die Arbeitslosigkeit um 400 000 - ({11})
- Können Sie den Brüller nicht ein bißchen deckeln,
Frau Präsidentin?
Herr Austermann
hat das Wort. Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen
wollen, sollten Sie sich melden, Herr Kollege. Aber Zurufe sind hier schon erlaubt, Herr Austermann.
({0})
Vielen Dank,
Frau Präsidentin.
Im Jahre 1998 ist die Arbeitslosigkeit gegenüber dem
Vorjahr um 400 000 zurückgegangen. 400 000 Arbeitslose weniger! Die Beschäftigung ist um 150 000 gestiegen. Wenn Sie den Vergleich heute ziehen, elf Monate
nach dem Regierungswechsel, werden Sie feststellen,
daß dieser Rückgang von 400 000 von Monat zu Monat
abschmilzt, und können absehen, wann Sie unter der Linie des Vorjahres liegen. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, daß 200 000 Menschen, demographisch bedingt, aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind. Das
heißt, Sie haben heute weniger Beschäftigung als vor
einem Jahr; Sie haben heute mehr Arbeitslose als vor
einem Jahr. Das ist die Folge Ihrer Politik, und daran
müssen Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik gemessen werden.
({0})
Das Programm, das der Bundesfinanzminister hier
vorstellt, wird gelegentlich mit unterschiedlichen Titeln
versehen, unter anderem wird es auch als „Zukunftsprogramm“ bezeichnet. Ich habe den Eindruck, das
Wort Zukunft wird jetzt zum Unwort des Jahres, wenn
das Zukunft sein soll, was dort vorgestellt wird - es sei
denn es wird jetzt tatsächlich gespart und gestaltet.
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, noch einmal die
Zahlen vorzutragen, weil selbst Journalisten, die sich
täglich mit dem Thema befassen, bis heute noch nicht
alle erkannt haben, daß Herr Eichel in der Tat gar nicht
spart.
({1})
Ich nehme auf, was Kollege Merz vorhin gesagt hat: Der
Bundeshaushalt des letzten Jahres lag, ganz grob, bei
457 Milliarden DM. Das war im übrigen das Niveau
der letzten fünf Jahre. 1993 haben wir mehr ausgegeben
als im letzten Jahr. Sie können sich vielleicht noch erinnern, daß Sie uns vorgeworfen haben, wir würden eine
Ellbogengesellschaft propagieren, soziale Kälte schüren,
eine soziale Schieflage herbeiführen und den Staat kaputtsparen. Dies waren doch ständig die Vokabeln, mit
denen Sie uns vorgeworfen haben, wir würden zuviel
sparen.
({2})
Jetzt sagen Sie, wir hätten nicht genug oder an der
falschen Stelle gespart und hinterließen einen gewaltigen Schuldenberg. Sie haben die Behauptung aufgestellt, wir hätten damals nicht genug getan, während Sie
jeden Tag neue Forderungen erhoben haben, die unseren
Haushalt belastet hätten. Jetzt predigen Sie das Sparen.
Wie sieht es in diesem Jahr aus? Lafontaine bzw. Eichel geben 30 Milliarden DM mehr aus. Im nächsten
Jahr geben sie 22 Milliarden mehr aus als im letzten
Jahr. Wenn Sie den gesamten Finanzplanungszeitraum
bis zum Jahr 2003 nehmen - auch wenn Eichel dann
nicht mehr Finanzminister sein wird -, dann stellen Sie
fest: Nach Ihrer Vorstellung steigen die Bundesausgaben
gegenüber unserem Ansatz des letzten Jahres um 50
Milliarden DM, steigen die Schulden - Herr Kollege
Wagner, Sie machen sich ja Sorgen um die Belastung
der Bürger, was verständlich ist - bis zum Jahr 2003 um
220 Milliarden DM. Eichel ist aber dann nicht mehr im
Amt, denn es gibt eine gewaltige Rotation in der Regierung: Drei sind schon weg, die nächsten werden wahrscheinlich irgendwann folgen. Wenn die ganzen Verlierer hier Platz nehmen sollen, wird wahrscheinlich die
Kabinettsbank zu eng.
({3})
Es werden also in den nächsten vier Jahren 220 Milliarden DM neue Schulden gemacht.
Herr Poß, jetzt kommt das entscheidende Thema,
wenn man die Berechnungen sieht. Herr Eichel sagt, er
trage dazu bei, daß es den Familien jetzt gutgehe. Ich
habe beim zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär
einmal angefragt: Was haben die Bürger und die Betriebe nach Ihrem vorgelegten Programm im nächsten Jahr
mehr in der Tasche? Ausweislich seiner Antwort sieht
die Nettorechnung für die Steuerentlastung des kommenden Jahres so aus: 2,7 Milliarden DM weniger
nimmt der Staat an Steuern ein. Jetzt muß man dagegenrechnen, daß die Betriebe mit etwa 1 Milliarde DM zusätzlich ein bißchen ausgeplündert werden. Das heißt,
um 3,7 Milliarden DM werden die Familien entlastet.
Jetzt teile ich die 3,7 Milliarden DM durch die 15 Millionen ersten und zweiten Kinder; das Kindergeld wird
ja nur für das erste und zweite Kind erhöht. Teile ich also 3,7 Milliarden DM durch diese 15 Millionen Kinder,
ergibt sich ein Betrag von 233 DM im Jahr. Er sprach
von 1 800 DM, 2 800 DM - und und und. 233 DM im
Jahr machen grob gerechnet 20 DM im Monat aus.
Jetzt rechne ich die gewaltige Belastung gegen, die
Sie den Bürgern mit Ihrem irren Renten- und Ökosteuerkonzept - das ist wirklich ein irres Konzept, weil es
unterm Strich zu zusätzlicher Belastung, also in die falsche Richtung, führt - aufbürden.
({4})
Sie kassieren in diesem Jahr 9,5 Milliarden DM durch
die Ökosteuer und im nächsten Jahr 17,6 Milliarden
DM. Diesen Betrag müssen Sie abziehen. Was heißt das
für Familien mit zwei Kindern? Zusätzliche Belastung.
Sie sprachen von Erblasten, deshalb sage ich Ihnen:
Wir haben die Familien in unserer Regierungszeit durch
den Familienleistungsausgleich um 50 Milliarden DM
entlastet.
({5})
- Das kann ich Ihnen leicht vorrechnen. Im Jahr 1982,
als Sie die Regierung abgegeben haben, betrug das Kindergeld für das erste Kind 50 DM, als wir aufgehört haben, betrug es 220 DM. Sie haben den Kinderfreibetrag
abgeschafft; das Bundesverfassungsgericht hat deshalb
Kritik geübt. Wir haben ihn auf zirca 6 000 DM gesteigert; die genauen Zahlen spielen keine Rolle. Das alles
summiert ergibt eine zusätzliche Leistung für die Familien von 50 Milliarden DM. Sie kommen im nächsten
Jahr mit 3,7 Milliarden daher, klopfen sich auf die
Schulter und sprechen von Zukunftsvisionen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?
Nein.
({0})
Ich glaube, die Zahlen kann jeder nachvollziehen. Frau
Kressl kann sich ja später zu einer Kurzintervention
melden und ihren Beitrag leisten.
Mir geht es darum, deutlich zu machen, daß ein wesentlicher Teil dessen, was Sie an Argumenten vorgetragen haben, nicht zutrifft. Es sind Scheinargumente. Dazu gehört das Thema Sparen. Wenn ich Hans Eichel
über das Sparen reden höre, kommt es mir so vor, als
käme jemand mit einem Lendenschurz daher und sagte:
Guck mal, habe ich nicht einen schönen neuen Anzug
an? Denn die Dimensionen stimmen nicht. Hier wird nur
ein bißchen gespart. Ich kann das vorrechnen: Im nächsten Jahr werden 7,5 Milliarden DM weniger als in diesem Jahr ausgegeben, davon sind 5,6 Milliarden DM
nicht gedeckt.
Ich komme jetzt zum Thema Bundeswehr, weil die
Bundeswehr ein besonderes Opfer für das Sparen
erbringen muß. Es ist das erste Mal in der Geschichte
der Bundeswehr, daß Soldaten gegen ihren Chef, gegen
ihren Minister bzw. die Bundesregierung, aufbegehren.
Es ist in der Nachkriegszeit noch nicht vorgekommen,
daß sich 5 000 Soldaten versammeln und friedlich gegen
das protestieren, was ihnen von dieser Regierung oktroyiert werden soll.
Ich glaube, das macht deutlich, daß die Entscheidungen für die Bundeswehr während unserer Regierungszeit
in die richtige Richtung gegangen sind. Wir können
nichts dafür, daß seit Oktober des letzten Jahres kein
Beschaffungsprojekt mehr umgesetzt wurde, wenngleich
einige Projekte in der Vorbereitung waren. Ich kann
mich auch nicht erinnern, daß Sie den Jäger 90 wieder
abbestellt hätten. Jahrelang haben Sie daraus Honig gesaugt und gesagt, das Projekt sei falsch. Projekte, die wir
im letzten Jahr beschlossen haben, sind bis heute nicht
umgesetzt worden, weil das Geld fehlt, bestimmte Vorgaben umzusetzen. Kasernenküchen werden geschlossen, weil sie in diesem Jahr nicht mehr saniert werden
können. Die Situation spricht doch Bände. Wir wollten,
daß sich unsere Bundeswehr auch in Zukunft kontinuierlich weiterentwickeln kann.
Lassen Sie mich nun etwas zu unserer Alternative sagen. Sie haben danach gefragt, und ParlamentsdiskusDietrich Austermann
sion heißt, jeder trägt das vor, was er in der Argumentation mit anderen austauschen will.
Vorher möchte ich aber noch etwas zum Thema Rente sagen, weil ich das für wichtig halte. Auch hier stellt
sich die Frage: Wie entwickelt sich die gegenwärtige
Finanzlage der Renten? Im letzten Jahr hat der Bund Zuschüsse in Höhe von 100 Milliarden DM an die Rentenkasse gezahlt, am Ende des Finanzplanungszeitraums
werden es 150 Milliarden DM sein müssen. 50 % mehr
Rentenzuschüsse in vier Jahren - das kann keine richtige
Politik sein.
Sie bürden den Bürgern an anderer Stelle Lasten auf.
Was bedeuten denn die zusätzlichen Steuern, die sogenannten Ökosteuern, die mit Öko wenig zu tun haben,
für die weitere Entwicklung:für Pendler, für Flächenländer und Betriebe, die energieintensiv arbeiten? Sie sind
eine deutliche zusätzliche Belastung. Als wir vor knapp
einem Jahr abgetreten sind, betrug der Benzinpreis
1,50 DM. Heute liegt er bei 1,80 DM. Wenn Sie so
weitermachen, liegt er bald bei 2,20 DM. Ich kann nicht
erkennen, daß das dazu beiträgt, die Spediteure, die
Pendler, die Menschen, die in der Fläche wohnen und in
den Großstädten arbeiten, kräftig zu entlasten. Dies ist
übrigens eine Belastung, die Arbeitslose, Rentner und
kleine Beamte besonders stark trifft. Das machen Sie,
um damit die zusätzlichen Ausgaben bei der Rente zu
finanzieren. Ich glaube, jeder sollte erkennen, daß das
falsch ist. Das Konzept muß weg. Wir brauchen eine
Nettoentlastung der Menschen und keine zusätzliche
Belastung durch die Steuern.
({1})
Über viele Wirkungen, die Ihre Politik hat und die für
den Arbeitsmarkt schädlich sind, kann man lange reden.
Ich nehme einmal Ihr Programm zur Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit, weil es hier angesprochen worden ist. Nachdem gesagt worden ist, diese Regierung
gebe mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik aus, müßten
Sie den Bürgern zunächst einmal erklären, weshalb zu
diesem Zeitpunkt 70 000 Menschen weniger als vor
einem Jahr in ABM, FuU und Strukturanpassungsmaßnahmen sind, obwohl Sie die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit mit dem Ziel aufgebläht haben, den
zweiten Arbeitsmarkt zu puschen, was immer zu Lasten
des ersten Arbeitsmarktes geht.
Jetzt kommen Sie mit Ihrem Milliardenprogramm für
junge Leute. Wir haben gestern in der Zeitung lesen
können, was Sie damit tatsächlich anrichten. Pro Person,
die gefördert wird, sind 220 000 DM aufzuwenden. Das
ist doppelt so viel, wie ein Kohlekumpel kostet. Dies
soll ein Zukunftsprogramm sein? Damit werden junge
Leute in die Warteschleife geschickt. So haben Sie das
früher immer genannt.
({2})
Ausbildungsplätze gleich Null. Was hat eigentlich das
Bündnis für Arbeit, bezogen auf Ausbildungsplätze, bisher gebracht?
({3})
- Nichts, völlig richtig, Herr Kollege. - Es hat keine zusätzlichen Ausbildungsplätze für Jugendliche gebracht.
Sie haben kein Herz für junge Leute. Das haben die
Wahlergebnisse der letzten Monate gezeigt.
({4})
Die Zustimmung gerade der jüngeren Generation zur
Union war im Bereich derer, die Sie mit falschen Rezepten ansprechen wollten, besonders stark. Das erfüllt
uns mit Genugtuung, weil sich hier zeigt, wer wirklich
an die Zukunft denkt.
Wenn Sie über Steuern reden, macht es gar keinen
Sinn, mit dem Neidargument zu arbeiten. Wir bekommen die Wirtschaft nur dann wieder in Gang, wir bekommen nur dann wieder das Wachstum, das wir noch
im letzten Jahr hatten - wir hatten im letzten Jahr ein
Wachstum von 3 Prozent trotz der Krisen weltweit,
Kollege Metzger -, wenn wir erkennen, daß es um hausgemachte Fehler dieser Regierung geht, die ganz eindeutig in die falsche Richtung weisen. Das können Sie
an praktisch jeder Haushaltszahl ablesen. Andere Länder
um uns herum haben ein höheres Wachstum. Deutschland und Italien stellen in bezug auf das Wachstum die
Schlußlichter dar. Sind die weniger oder stärker als andere von der Entwicklung in Südostasien betroffen? Das
kann doch nicht wahr sein.
Ich möchte noch etwas dazu sagen, ob tatsächlich
gespart wird. Sieht man sich den Haushalt im Detail an,
stellt man fest: Man könnte eine Fülle von Beispielen
dafür finden, daß selbst diejenigen, die viel vom Sparen
reden, es nicht tun. Herr Schwarzer ist noch da, soll aber
demnächst entlassen werden, weil er zufällig gehört hat,
daß Hans Eichel zu Oskar Lafontaine vor der Wahl in
Hessen gesagt hat: Bitte, lieber Oskar, vor der Wahl
nicht bei etwas sparen, was in Hessen Auswirkungen
hat. Ich kann verstehen, daß man an sein Wahlergebnis
denkt und daß man Zeugen, die bestätigen, daß man früher mit Sparen am Hut nichts gehabt hat, am liebsten aus
dem Wege räumt.
Die Frage ist aber: Was macht er heute? Dazu habe
ich mir seine Verfügungsmittel angesehen. Wieso
eigentlich muß Gerhard Schröder doppelt so hohe Mittel
zur privaten Verfügung haben wie sein Vorgänger in
den 16 Jahren?
({5})
Wieso eigentlich muß der Bundesfinanzminister mehr
Verfügungsmittel haben? Wieso eigentlich müssen die
Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit steigen? Wieso müssen
wir eigentlich 1,8 Millionen DM zusätzlich für die mediengerechte Ausstattung des Kanzleramtes bereitstellen?
Kann mir das einmal jemand erklären? Wieso müssen jede
Woche Millionen für Anzeigen ausgegeben werden, um
die Arbeit der Regierung in einem anderen Licht darzustellen, als sie tatsächlich steht? Eine Anzeige kostet Millionen. Und da redet man hier vom Sparen? Machen Sie es
doch ganz einfach: Sie können sich jede Mark für Öffentlichkeitsarbeit sparen, wenn Sie ordentlich regieren.
({6})
Nur derjenige, der Mist macht, muß erklären, warum er
Mist macht.
({7})
Ich habe gesagt, daß wir verstärkt eigene Akzente
setzen wollen.
({8})
- Herr Kollege, Sie können nachher gern reden und mir
dann erzählen, woran es eigentlich liegt, daß wir kein
wirtschaftliches Wachstum wie im Vorjahr und weniger
Beschäftigte als im Vorjahr haben.
({9})
Sie können dann bitte auch den Menschen erklären,
weshalb zur Zeit niemand bereit ist, über die aktuelle
Beschäftigungslage Auskunft zu geben.
Das Statistische Bundesamt und die Bundesanstalt für
Arbeit erklären, daß sie keine Zahlen vorliegen haben.
Ich gehe einmal davon aus, daß man versucht, die Beschäftigten mit 630-Mark-Jobs nach dem Motto „Jetzt
sind es ja sozialversicherungspflichtig Beschäftigte“ in
die Arbeitsmarktstatistik einzubauen. Auf einen Schlag
hätten Sie damit 2,5 Millionen Menschen mehr in Ihrer
Beschäftigungsstatistik. Damit dies nicht sofort auffällt,
gibt es seit einem halben Jahr keine Zahlen für Beschäftigung in Deutschland mehr. Diese Vorgehensweise
kann man eindeutig nachvollziehen. Heute gibt es
150 000 Beschäftigte weniger als vor einem Jahr. Gerhard Schröder ist mit der Aussage „Messen Sie mich an
der Zahl der Arbeitslosen!“ angetreten. Wir messen ihn
daran und müssen feststellen, daß er sozusagen zu klein
ist.
({10})
Die jetzigen Maßnahmen reichen nicht aus. Deswegen müssen andere Akzente gesetzt werden. Alternativen
({11})
hat der Kollege Merz schon dargestellt.
({12})
- Vielleicht sind Sie an dieser Stelle eingenickt. Er hat
diese Alternativen deutlich herausgestellt.
Ich will noch einen weiteren Punkt nennen: Unser
Ziel ist es, die Steuerbelastung der Bürger und Betriebe
im kommenden Jahr um mindestens weitere 10 Milliarden DM zurückzuführen.
({13})
- Sie können uns in diesem Punkt gerne übertreffen. Wir
würden uns Ihnen dann wahrscheinlich anschließen.
Unser Ziel ist auch, die Konsumausgaben zu drosseln. In diesem Zusammenhang habe ich kleine, aber
doch signifikante Beispiele erwähnt. Wenn die Zahl der
Arbeitslosen demographisch bedingt zurückgeht, dann
braucht die Bundesanstalt für Arbeit nicht die vorgesehenen Mittel. Streichen wir diese Mittel! Es ist besser, in
den ersten Arbeitsmarkt zu investieren, als den zweiten
Arbeitsmarkt aufzublähen.
({14})
Dies macht etwa 10 Milliarden DM aus.
Wir wollen zusätzliche Mittel für den Straßenbau und
für die Verbesserung der Infrastruktur.
({15})
Wenn man den scheidenden Verkehrsminister daran
mißt, welche Perspektiven wir für die Verbesserung der
Infrastruktur in Deutschland haben, dann kommt man zu
dem Schluß, daß seine Bilanz schlecht ist. Ich nenne ein
Beispiel: Das für ganz Norddeutschland wichtige Projekt A 20 soll auf Eis gelegt werden, weil in diesem Jahr
beim Straßenbau 500 Millionen DM und im nächsten
Jahr weitere 500 Millionen DM gekürzt werden. Das ist
der falsche Weg.
({16})
Wir brauchen mehr Geld für Projekte zur Verbesserung
der Infrastruktur.
({17})
Wir brauchen auch mehr Geld für die Forschung. Ich
will Sie an Ihre eigenen Versprechungen erinnern, die
etwa lauteten: Wir werden die Investitionsausgaben für
Forschung in den nächsten vier Jahren verdoppeln. Wenn Sie die globale Minderausgabe aufgelöst haben,
dann geben Sie in diesem Jahr weniger Geld für Forschung aus. Ich habe vor wenigen Tagen mit einem
kompetenten Mitarbeiter aus dem Wirtschaftsministerium gesprochen. Er sagte mir, daß heute noch Probleme
bestünden, die globale Minderausgabe dieses Jahres aufzulösen. Bei der Kohle kann nicht gespart werden. Es
bleiben nur die Bereiche Handwerk, Existenzgründungen, neue Technologien und - Ihr Lieblingskind - erneuerbare Energien übrig. In diesen Bereichen wird eingespart werden. Damit kommt unter dem Strich weniger
für neue Technologien und für Forschung heraus, als bei
uns vorgesehen war.
Diese Feststellung gilt auch für den Haushalt von
Frau Bulmahn, von deren Seite nur relativ wenig über
zukunftsweisende Technologien zu hören ist. Das gilt
auch für andere Bereiche.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Jawohl.
Wir wollen mehr Geld für neue Technologien, für Infrastruktur und Forschung ausgeben.
({0})
Wir wollen ferner die Ungerechtigkeit gegenüber der
Landwirtschaft ausräumen. Man hat eine Strafaktion für
falsches Wahlverhalten durchgeführt, indem man 500
Millionen DM bei den Bauern gekürzt hat. So darf es
nicht weitergehen.
({1})
Wenn Sie unseren Vorschlägen folgen und die dadurch entstehenden steuerlichen Mehreinnahmen und
Minderausgaben addieren würden, dann würden Sie erkennen, daß es mehr wirtschaftliches Wachstum, mehr
Beschäftigung und mehr Erneuerung geben würde, als
es durch das Sparen im Rahmen Ihres sogenannten Zukunftsprogramms der Fall ist.
In diesem Sinne appelliere ich an Sie: Seien Sie so offen, wie Sie es vor den Haushaltsberatungen waren! Ich
erinnere mich: Nachdem Sie die Regierung übernommen hatten
Herr Kollege.
- Letzte Bemerkung -, war es oft so, daß wir Beschlüsse fassen
mußten, bevor uns die Unterlagen vorlagen. Mit der Arroganz der Macht haben Sie alles weggewischt. Jetzt
backen Sie etwas kleinere Brötchen. Ich kann nur hoffen, daß dies dazu führt, daß wir gemeinsam einem guten Weg folgen werden. Das ist der, den wir vorgegeben
haben.
Herzlichen Dank.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Metzger.
Kollege Austermann, es ist unglaublich, mit welchen
Argumenten Sie als Obmann der größten Oppositionsfraktion im Haushaltsausschuß hier im deutschen Parlament die Leute für dumm verkaufen.
({0})
Erstens. Sie sprechen von der Ökosteuer und verweisen einfach auf die Nominalpreise an den Tankstellen.
Sie müssen doch wissen, daß die OPEC derzeit mit mehr
als 22 Dollar pro Barrel den höchsten Rohölpreis seit
vielen Jahren durchgesetzt hat. Der Anteil der Mineralölsteuererhöhung schlägt nur mit 7 Pfennig - eine vergleichsweise bescheidene Zahl - durch, während die Erhöhung der Rohölpreise mehr als 25 Pfennig ausmacht.
Das ist die Wahrheit. Für diese 25 Pfennig kann die Regierung nichts; die Mineralölkonzerne geben diese Erhöhung einfach nur weiter. Das müßten sie auch tun,
wenn Sie an der Regierung wären.
Zweitens. Sie behaupten hier frank und frei, diese
Regierung plane, im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung mehr als 220 Milliarden DM neue Schulden zu machen. Rechnen Sie doch einmal die Nettokreditaufnahme der nächsten vier Jahre zusammen! Ich
komme da auf etwa 160 Milliarden DM. Dagegen hat
die CDU/CSU-Regierung, Kollege Austermann, in den
letzten vier Jahren 260 Milliarden DM Schulden aufgenommen. Das ist die Wahrheit, und das muß man der
Bevölkerung sagen.
({1})
Außerdem - Ihre Aussagen werden auch durch
x-malige Wiederholung nicht wahrer -: Die Haushalte
sind nur vergleichbar, wenn die Vorbelastungen auf
Grund der Steuergesetzgebung, die die alte Koalition
mit zu vertreten hat, hineingerechnet werden. Sie haben
am 1. April des letzten Jahres die Mehrwertsteuer erhöht, um genau das zu tun, was wir dieses Jahr mit der
Einführung der Ökosteuer zum 1. April beabsichtigt haben: den Anstieg des Rentenversicherungsbeitrages damals von 20,3 auf 21,0 Prozent - zu verhindern. Wir
haben dieses Jahr den Rentenversicherungsbeitrag von
20,3 auf 19,5 Prozent gesenkt und damit mit der Senkung der Lohnnebenkosten ernst gemacht.
Das Ganze hat eine weitere finanzielle Konsequenz:
Eine Mehrwertsteuererhöhung in diesem Umfang bringt
innerhalb eines Dreivierteljahres rund 6 Milliarden DM
weniger als eine Erhöhung für ein ganzes Jahr. Dieses
Jahr greift die Mehrwertsteuererhöhung, die Sie beschlossen haben, erstmals für das ganze Jahr. Also ist es
logisch, daß das Volumen dieses Haushalts um 6 Milliarden DM höher sein mußte als das des letzten Jahres.
Hinzu kommen Unteretatisierungen von Posten, von denen Sie genau wußten, daß sie nach dem Grundsatz von
Haushaltsklarheit und -wahrheit korrigiert werden mußten, zum Beispiel die Unterstützungshilfen für Bremen
und das Saarland oder die Postunterstützungskassen in
Höhe von 8 Milliarden DM.
Deshalb sind Ihre Aussage, die Aussage des Kollegen
Merz und der Inhalt auf der Internetseite der Bundesgeschäftsstelle Ihrer Partei nicht wahr. Das Konzept mit
einem Volumen von 30 Milliarden DM, das wir jetzt
vorlegen, hat in der Tat eine echte Konsolidierungswirkung. Deshalb reagiert die wirtschaftsnahe Presse,
die sonst Sie hochjubelt, so positiv, genauso wie Investmentfonds. Wenn wir eine Scheinbuchung machen
würden, würden die Märkte nicht reagieren, wären Euro
und DAX am Montag, nach Ihren Wahlerfolgen, nicht
abgestürzt. Nach Ihrer Lesart hätte die Wirtschaftspresse
jubeln müssen, weil die Union endlich wieder in der Lage ist, vernünftige ökonomische Konzepte durchzusetzen.
Also: Bleiben Sie bei der Wahrheit! Dazu, daß Politik
in der Bevölkerung ein schlechtes Image hat, hat Ihre
Rede wieder anschaulich beigetragen.
({2})
Herr Kollege Austermann, Sie können erwidern. Bitte sehr.
Vielen Dank.
Kollege Metzger, Sie haben sich bemüht, das, was ich
gesagt habe, zu widerlegen. Ich fange einmal bei den
Benzinpreisen an: Ist es falsch, daß die Ökosteuer in
diesem Jahr mit der Begründung eingeführt wurde, man
müsse etwas für die Renten tun, und von den Bürgern so
insgesamt 9,5 Milliarden DM abkassiert wurden?
({0})
Ist es falsch, daß die vorgesehene weitere Erhöhung der
Ökosteuer - ich habe von einem Benzinpreis von
2,20 DM in der Zukunft gesprochen - zusätzliche Mehreinnahmen bringt: einschließlich der Mehrwertsteuer im
nächsten Jahr 17,6 Milliarden DM, im übernächsten Jahr
23,6 Milliarden DM, dann 29,2 Milliarden DM und
schließlich, im Jahr 2003, 35 Milliarden DM? Wenn
man das auf den Rentenversicherungsbeitrag umrechnet,
müßte dieser im Jahre 2003 um zwei Prozentpunkte sinken. Er wird aber statt bei 20 Prozent - dem Wert, der
sich bei Realisierung unseres Konzeptes mit der Einführung eines Demographiefaktors ergeben hätte - bei
19,1 Prozent liegen. Das heißt, Sie kassieren 35 Milliarden DM für eine Absenkung des Rentenbeitrages um
0,9 Prozent.
({1})
- Ja, das tut weh. Die Ökosteuer wird also verwendet,
um den Haushalt zu sanieren.
Jetzt zu dem nächsten Punkt, der Nettoneuverschuldung. Minister Hans Eichel wollte sparen. In diesem
Jahr sollte die Nettokreditaufnahme neu, sollten also die
zusätzlichen Schulden 53,5 Milliarden DM betragen, im
nächsten Jahr 49,5 Milliarden DM, im Jahr 2001
46,1 Milliarden DM, im Jahre 2002 41,2 Milliarden DM
und 2003, wenn er nicht mehr im Amt ist, 30,4 Milliarden DM.
Wenn ich das addiere, komme ich auf 219,7 Milliarden DM an zusätzlichen Schulden in Ihrer Regierungszeit, angefangen am 1. Januar dieses Jahres bis 2003. Sie
machen also eine Politik von mehr Schulden und mehr
Steuern und weniger Entlastung der Bürger.
({2})
Das Wort hat nun
die Kollegin Dr. Höll, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das Kurzzeitgedächtnis der CDU
ist wirklich verblüffend. Wenn Ihre Rezepte, die Sie
bisher, als Sie in Regierungsverantwortung waren, immer vorgelegt haben, nicht so versagt hätten, wären Sie
ja vor einem Jahr wahrscheinlich nicht abgewählt worden.
({0})
Die F.D.P. reagiert noch besser: Gestern abend hatte
ich das Vergnügen einer Diskussionsrunde mit Herrn
Rexrodt, der nur noch herumbrüllte. Heute läßt er nicht
einmal mehr Zwischenfragen zu - auch sehr bezeichnend!
({1})
Bei der Diskussion am heutigen Tage erstaunt mich
ein bißchen, daß die vorgetragene Kritik nicht auf den
Punkt kommt. Gerade die Entscheidung der SPDGrünen-Koalition zur Frage der Rente - ein zentrales
und sehr sensibles Thema - ist letztlich dieselbe, die
auch Sie in der letzten Legislaturperiode getroffen haben. Damals haben Sie gemeinschaftlich die Verbrauchsteuer Mehrwertsteuer erhöht; jetzt erhöht die
neue Koalition die Energiesteuern. Ökologisch ist das
völlig sinnlos; darüber sind wir uns völlig einig. Es ist
auch nicht richtig, weil es zu einer Belastung von Haushalten mit einem geringeren Einkommen führt. Ich habe
das einmal ausgerechnet: Ein Vier-Personen-Haushalt
muß ein Einkommen von mindestens 6 000 DM bis
8 000 DM monatlich haben, damit aus Ökosteuer und
Senkung der Versicherungsbeiträge per Saldo null herauskommt. Alle Menschen, die ein geringeres Einkommen haben, erfahren eine Mehrbelastung. Wenn
man dann noch arbeitslos, Student, Rentnerin oder
Rentner ist, wird man bei dieser Regierung doppelt belastet, weil für diese noch weitere Sparvorschläge im Paket enthalten sind. Das ist unsozial.
Da sich Herr Eichel heute hierhergestellt und gesagt
hat, der Rentenvorschlag der Regierung habe überhaupt
nichts mit dem Haushalt zu tun, muß ich sagen, daß er
wohl zu denken scheint, daß die Mehrheit der Bevölkerung mit dem Klammerbeutel gepudert ist. Denn zufälligerweise soll die Regelung ja nur nächstes und übernächstes Jahr gelten. Im Wahljahr 2002 soll die Rentensteigerung wieder an die Nettolohnentwicklung angebunden werden. Es ist doch offensichtlich, was damit
bezweckt wird! Aber es ist auch offensichtlich, daß damit ein eklatanter Systembruch eingeleitet wird, ohne
daß tatsächlich ein modernes Rentenkonzept auf den
Tisch gelegt wird, welches die solidarische Finanzierung
beinhaltet.
({2})
Wir reden dabei über die Lebensarbeitsleistung von
Frauen und Männern; sie wird zur Spielmasse des Finanzministers gemacht.
In Ihrem Paket werfen Sie nur auf die Seite der Einnahmeerhöhung ein Auge. Ansonsten gilt nur: einsparen, einsparen, einsparen. Die PDS vermißt aber ganz
stark die Umsetzung der Vorschläge, die Sie als Opposition noch eingebracht haben. Wir vermissen die
Streichung der Mittel für den Eurofighter; dafür müssen
wir im nächsten Jahr nicht über 1 Milliarde DM ausgeben.
({3})
Wir vermissen die Streichung der Mittel für den Transrapid. Wir vermissen eine ganze Reihe weiterer möglicher Streichungen; das betrifft die Öffentlichkeitsarbeit
- auch die der Regierung -, aber auch weitere Aufrüstungsvorhaben im Verteidigungshaushalt.
Ganz stark vermissen wir ein Augenaufmachen bei
der Einnahmenseite. Vorhin haben wir noch einmal das
Beispiel der neuen Bundesländer gehört. Sicher waren
es politische Mehrheitsentscheidungen, auf Grund derer
privates Kapital in die neuen Bundesländern gegangen
ist. Dafür wurden die Aufwendungen steuerlich subventioniert. Man muß auch zur Kenntnis nehmen, daß das
vielfach fehlgelaufen ist: Zum Beispiel haben wir in
Leipzig einen hohen Büroleerstand; das ist etwas, was
wir überhaupt nicht brauchen. Damit sind aber auch
große Vermögenswerte geschaffen worden - natürlich
nur von Leuten, die so viel privates Kapital hatten, daß
sie es einsetzen konnten. Das bedeutet aber, daß jetzt
Vermögen vorhanden ist. Deswegen frage ich mich folgendes: Wenn in der Staatskasse nun wirklich kein Geld
vorhanden ist, warum gehen wir dann nicht an die großen Vermögen heran? Warum scheuen Sie sich als Koalition mit aller Macht, an die wirklich Vermögenden,
an Banken und Versicherungen, die auch und gerade im
Prozeß der deutschen Einheit unwahrscheinlich viel gewonnen haben, heranzugehen? Die Polarisierung des
Verhältnisses zwischen Einkommen und Vermögen hat
in den letzten neun Jahren mit einer rasanten Geschwindigkeit zugenommen. Es wäre Ihre Pflicht, dagegen tatsächlich etwas zu unternehmen.
({4})
Richtigerweise - das verkennt die PDS überhaupt
nicht - ist der Eingangssteuersatz gesenkt worden. Der
Grundfreibetrag ist angehoben worden. Gut, aber das
kommt nicht nur demjenigen mit einem Jahreseinkommen von 20 000 DM, sondern auch dem Vermögensmillionär zugute. Warum muß der Vermögensmillionär auch noch zusätzlich in den Genuß eines gesenkten Spitzensteuersatzes gelangen? Die Senkung
dieses Steuersatzes pro Prozentpunkt kostet 1 Milliarde
DM, auf die Herr Eichel trotz knapper Kassen frank
und frei verzichten möchte. Das sollten Sie der Bevölkerung erklären, ehe Sie sozial ungerecht handeln und
Ihren eigenen Ansprüchen, die Sie sich auch bezüglich
des Kindergeldes gesetzt haben, nicht mehr gerecht
werden.
Auch wenn Sie immer so tun, als hätte die PDS keine
eigenen Vorschläge einzubringen: Wir haben unsere eigenen Sparbücher erstellt, die ich jetzt auf die - leider sehr leere Regierungsbank - offenbar will sich die Regierung der Diskussion nicht stellen - lege, damit Sie
sich mit unseren Vorschlägen auseinandersetzen können
und sie nicht wie sonst vom Tisch wischen.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat jetzt
der Staatsminister Rolf Schwanitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen Debatte geht es um den Entwurf für
den Bundeshaushalt 2000; es geht um die Finanzsituation des Bundes. Seit vielen Wochen rennen viele Oppositionsabgeordnete in Ostdeutschland umher, werfen
Nebelkerzen und verbreiten Hiobsbotschaften über die
Fortsetzung des Aufbaus Ost. Ihr Vorgehen - ich mache
das auch an Ihrem Redebeitrag, Frau Höll, fest - wird
noch nicht einmal vom Parteibuch bestimmt. Die gesamte Opposition spricht davon, daß der Etat für den
Aufbau Ost um 3 Milliarden bis 8 Milliarden DM gekürzt werden soll. Es wird befürchtet - so wird gesagt -,
daß die Mittel für die SAMs - die Strukturanpassungsmaßnahmen -, die Eigenkapitalhilfe und für die BvS gekürzt werden sollen.
Ich möchte als erstes klarstellen: Wir werden weder
die Mittel für die Strukturanpassungsmaßnahmen im
Osten noch für das Eigenkapitalhilfeprogramm, noch
für die BvS, die sich um in Not geratene Unternehmen kümmert, kürzen. Wir werden in den nächsten
Jahren keine Leute nach Hause schicken. Wir werden
die Hilfen nicht versagen; vielmehr werden wir sie
kontinuierlich fortsetzen. Wir werden die Hilfen gewährleisten, zu denen wir gesetzlich verpflichtet sind.
Wir werden die Unterstützungsmaßnahmen, die wir
auch lokal gewähren, selbstverständlich bereitstellen. Hören Sie mit Ihrer Angstkampagne auf! Dazu
kann ich Ihnen nur nachdrücklich raten. Hören Sie
auf, Verunsicherung zu verbreiten! Schauen Sie sich
die Haushaltstitel genau an. Machen Sie sich sachkundig!
({0})
Allerdings möchte ich auch klar sagen: Es gibt keine
Alternative dazu, daß die Bundesrepublik selber etwas
dafür tut, um finanzpolitisch wieder handlungsfähig zu
werden. Ich sage das auch und gerade aus der Sicht
eines Ostdeutschen und vor dem Hintergrund der ostdeutschen Probleme. Es geht weniger um die abstrakte
Zahl - auch wenn sie in der heutige Debatte eine große
Rolle gespielt hat - von 1,5 Billionen DM Schulden des
Bundes; vielmehr geht es um viele konkrete und praktische Dinge, deren Realisierbarkeit letztendlich von der
Staatsverschuldung abhängt. Ich möchte dazu ein Beispiel bringen: Wir debattieren mittlerweile über zwei
Stunden. Während dieser Zeit mußten auf Grund der
Staatsverschuldung 20 Millionen DM an Zinsen gezahlt
werden. Das ist genau die Summe, die im Rahmen der
Absatzförderung für ostdeutsche Unternehmen für das
gesamte Jahr 1999 bereitgestellt werden kann. Das ist
ein ganz konkretes, praktisches Beispiel.
Die Tatsache, daß die ostdeutschen Unternehmen
eine schwache Eigenkapitaldecke haben und so ertragsschwach sind, daß ihnen Hilfe auch in den nächsten Jahren gewährt werden muß - daran ändert sich auch
nichts, wenn wir uns darüber beschweren -, hat selbstverständlich auch Konsequenzen für einen handlungsfähigen, hilfegewährenden Bundesstaat. Das bedeutet
dann auch, daß wir eine wirklich finanzierbare Unternehmensteuerreform auf den Weg bringen müssen. Da
in Ostdeutschland - ich greife Ihr Beispiel, Frau Höll,
auf - der Anteil der Familien an der Bevölkerung überproportional hoch ist, ebenso wie der Anteil derjenigen,
die finanziell schwächer gestellt sind, müssen wir ein
großes Interesse an einem ordentlichen finanziellen
Lastenausgleich für die Familien haben. Wenn wir
es schaffen - wir wollen es auf den Weg bringen -, daß
die vierköpfige Durchschnittsfamilie in Ostdeutschland - der Vater hat noch Arbeit; er verdient das
Durchschnittseinkommen, die Mutter ist arbeitslos; zwei
erziehungspflichtige Kinder sind vorhanden - in den
nächsten vier Jahren über 7 600 DM mehr im Portemonaie hat, dann ist das eine gute und ordentliche Leistung, insbesondere auch für Ostdeutschland.
({1})
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Kollegin Höll?
Ich würde gern im Zusammenhang vortragen. Ich beantworte die Zwischenfrage gern am Schluß meiner
Rede.
Das hat natürlich auch etwas mit der Schwäche einer
Region zu tun. Dies darf nicht verschwiegen werden.
Wir müssen über die Dauer der Hilfe in Verbindung mit
der Leistungsfähigkeit des Bundes reden. Ich bin völlig
sicher, daß das in Ihren eigenen Reihen, insbesondere
bei der CDU/CSU, völlig klar ist. Der CDUWirtschaftsminister in Sachsen, Herr Schommer, sagte
gegenüber der „Mitteldeutschen Zeitung“, angesichts
der Notwendigkeit radikaler Reformen in Deutschland
verdiene jeder, der diese schwierige Aufgabe anpacke,
Unterstützung. Herr Schommer räumte ein, daß die Probleme wesentlich von der alten Bundesregierung aus
CDU/CSU und F.D.P. mitverschuldet worden seien.
Damit sei Deutschland nicht zukunftsfähig. Die Aussage
von Herrn Schommer endet mit dem Satz - wörtliches
Zitat -: „Deshalb werde ich unabhängig von der Parteizugehörigkeit jene unterstützen, die die dringend notwendigen Reformen durchsetzen wollen.“ Dazu sage
ich: Bravo, das ist Klartext; so ist die Situation, auch
wenn Sie in dieser Debatte offensichtlich nicht dazu fähig sind, das zu artikulieren.
({0})
Es ist in den zurückliegenden Tagen und Wochen
sehr viel über die Kraftanstrengung gesprochen worden.
Ich sage deswegen noch einmal ausdrücklich: Der Aufbau Ost braucht einen handlungsfähigen Bundesstaat.
Wir haben ein vitales Interesse daran, den Bundeshaushalt in den nächsten Jahren zu konsolidieren. Der Aufbau Ost wird im Bundeshaushalt 2000 höchste Priorität
besitzen. Wir werden einen anderen Kurs einschlagen
als den, den wir in den letzten Jahren bei Haushaltsaufstellungen - damals saßen wir noch in der Opposition,
und Sie haben regiert - kennengelernt haben. Als Ostdeutscher erinnere ich mich noch sehr gut daran, daß bei
jedem Haushaltsentwurf sofort der Rotstift über dem
Thema Aufbau Ost kreiste.
({1})
Fragen Sie doch einmal die ostdeutschen Kollegen in Ihrer Fraktion. So war es, selbstverständlich!
In unserem Haushaltsentwurf ist dies nicht der Fall.
Wir werden einen Konsolidierungshaushalt mit 30 Milliarden DM als Gesamtumfang des Konsolidierungsnotwendigen auf den Weg bringen, und wir werden den
Aufbau Ost in Stabilität und Kontinuität fortsetzen. Das
ist eine enorme Leistung dieser Bundesregierung, auf
die ich ein Stück weit stolz bin.
({2})
Wir müssen uns in diesem Zusammenhang allerdings
sehr intensiv darüber unterhalten, was künftig als Aufbau Ost überhaupt noch definiert werden kann. Wenn
der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Herr
Teufel, vor kurzem die Forderung nach der Rückführung
der Hilfen für Ostdeutschland mit der Begründung
garniert hat, daß jährlich 150 Milliarden DM nach Ostdeutschland transferiert werden, dann zeigt das genau, in
welchem Dilemma wir mittlerweile auf Grund überzogener und überhöhter Darstellungen aus der vergangenen Haushaltspraxis in der gesamtdeutschen Diskussion
stecken.
Ich plädiere dafür, daß wir ab sofort, beginnend mit
dem Bundeshaushalt 2000, eine andere Praxis pflegen.
Wir haben in den letzten neun Jahren bei der Vorgängerregierung ein reines Territorialprinzip erlebt. Alles,
was irgendwie, direkt oder indirekt, territorial Ostdeutschland zuzuordnen war, wurde in eine große
Klammer gepackt, wurde addiert - dabei sind die berühmten dreistelligen Milliardenbeträge herausgekommen -, und darüber wurde „Aufbau Ost“ oder gegebenenfalls - was noch schmerzlicher ist - „Transfer“ geschrieben. So war die Situation.
Ich sage Ihnen: Davon müssen wir weg.
({3})
Nach meiner Auffassung enthielten die Bundeshaushaltspläne der Vergangenheit Dinge, die mit dem Aufbau Ost im engeren Sinne überhaupt nichts zu tun hatten, zum Beispiel das Erziehungsgeld, zum Beispiel das
BAföG für einen Bundesbediensteten in der Oberfinanzdirektion in Bayern. Auch das Geld für die Sanierung einer Kaserne im bayerischen Raum wird bei uns
nie als eine Transferleistung definiert werden, während
diese Praxis in den zurückliegenden Jahren für Ostdeutschland gang und gäbe war.
({4})
Der Bund hat sich ständig auf die Schultern geklopft
und hat riesige Summen, dreistellige Milliardenbeträge, zusammengerechnet, um letztendlich - natürlich
taktisch - zu dokumentieren, welche großen Leistungen
vollbracht worden sind.
Meine Damen und Herren, kein Bayer, kein BadenWürttemberger würde sich so etwas gefallen lassen, und
den ostdeutschen Menschen ist das auch nicht mehr anzutun. Da sind viele Verletzungen, viele mentale Beschädigungen entstanden, weil sich der Ostdeutsche natürlich fragt, ob er denn überhaupt nicht die Kraft habe,
irgend etwas zu erwirtschaften, und ob denn alles gebrachtes Geld sei. Der Westdeutsche hingegen hat angesichts dreistelliger Milliardenbeträge das Gefühl, überfordert zu sein, wodurch natürlich die Debatte losbricht,
wie lange das Ganze noch weitergehen soll.
({5})
Deswegen muß Schluß mit der regierungsamtlichen
Selbstbeweihräucherungspolitik sein. Ich schlage Ihnen
vor, im Bundeshaushalt 2000 nur noch das dem Aufbau
Ost zuzurechnen, was im engeren Sinne zusätzliche
Aufbauhilfen sind, und all das aus den Listen herauszunehmen, worauf Ostdeutsche einen Rechtsanspruch haben, wie es bei Bürgern, die in Bayern, BadenWürttemberg oder in anderen Teilen Deutschlands leben, auch der Fall ist,
({6})
und solche Dinge herauszunehmen, bei denen der Bund
letztendlich normale Bundesleistungen erfüllt und seinen
Pflichten nachkommt, die natürlich auch gegenüber Ostdeutschland bestehen. Das ist ein Stück Ehrlichkeit, ein
Stück Respekt und auch ein Stückchen Hinwendung gegenüber den Leistungen der Menschen, die das Ganze zu
schultern haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte, daß wir künftig - das ist mein Vorschlag - von fünf Säulen sprechen, die den Aufbau Ost ausmachen. Diese fünf Säulen werde ich mit Mark und Pfennig benennen, wobei
ich auch den Vergleich zu 1998 ziehen werde, da gerade
aus Ihrem Kreis immer der Vorwurf kommt, alles breche
weg, alles werde heruntergefahren, alles gehe den Bach
hinunter.
Die erste Säule, um die es mir geht, umfaßt all das,
was im Bundeshaushalt 2000 für Forschungs- und
Technologieförderung enthalten ist. Hier geht es also
um jene innovativen Prozesse, die eine Zukunftsfrage
für ostdeutsche Unternehmen darstellen.
({7})
Wir werden im Bundeshaushalt 2000 knapp
3,1 Milliarden DM für den Gesamtkomplex Forschung,
Technologie und Innovationsförderung für Ostdeutschland zur Verfügung stellen. Das sind exakt 200 Millionen DM mehr, als die Vorgängerregierung im Wahlkampfhaushalt 1998 für die neuen Länder zur Verfügung gestellt hatte.
In diesen Ansätzen sind bewährte Dinge enthalten,
aber auch neue Dinge, zum Beispiel das mittlerweile gut
angelaufene Programm Inno-Regio, über das ich mich
sehr freue. Wir können in den nächsten Jahren
25 Modellregionen fördern. 400 Anträge liegen vor;
400 Regionen sehen darin eine Chance, ihre Kräfte zu
bündeln. Das zeigt, daß dieses Programm richtig ist. Ich
wiederhole: Bei dieser ersten Säule gibt es keinen Abbruch und nicht nur eine Verstetigung, sondern sogar eine Verstärkung.
({8})
Meine Damen und Herren, die zweite Säule umfaßt
die klassische Wirtschaftsförderung, in der die GAOst und die Absatzförderung enthalten sind. Im Haushalt 2000 haben wir eine Gesamtsumme von 2,3 Milliarden DM etatisiert. Das sind 460 Millionen DM weniger, als 1998 von der alten Bundesregierung veranschlagt worden waren. Dieser Sinkflug hat natürlich etwas damit zu tun, wie die Titel veranschlagt worden
sind. Sie wissen, daß die GA-Ost immer entsprechend
den Verpflichtungsermächtigungen der Vorjahre etatisiert wird. Insoweit ist ein Sinkflug vorprogrammiert.
Außerdem werden wir erstmalig - anders als Sie - über
zusätzliche Förderungen aus den EFRE-Mitteln den ostdeutschen Ländern 300 Millionen DM Jahr für Jahr zur
Verfügung stellen. Mit der Stabilität und Verstärkung
auch an dieser Stelle gibt die Bundesregierung ein
wichtiges Signal.
({9})
Die dritte Säule umfaßt den Infrastrukturausbau:
alles, was mit Straße und Schiene zusammenhängt,
ebenso das - ich erweiterte es für mich -, was mit Städtebau- und Wohnungsförderung zusammenhängt. Auch
hier will ich Ihnen die Zahlen nicht verschweigen: Im
Haushalt 2000 stellen wir für diesen Bereich eine Gesamtsumme von 19,1 Milliarden DM für Ostdeutschland
zur Verfügung. Das sind 800 Millionen DM mehr, als
von der Vorgängerregierung im Wahlkampfjahr 1998
zur Verfügung gestellt werden konnte. Das wird allerdings nicht die bittere Botschaft des Bundesverkehrswegeplanes heilen, die Sie hinterlassen haben, nämlich die
Unterdeckung in Höhe von 90 Milliarden DM gegenüber den angekündigten Projekten. Das bleibt ein großes
Problem, über das wir schmerzliche Diskussionen vor
uns haben. Wir lassen nicht die Kräfte erlahmen, sondern erhöhen die Ausgaben um 800 Millionen DM. Das
sind Zukunftsinvestionen.
({10})
Damit komme ich zur vierten Säule: aktive Arbeitsmarktpolitik. Es gibt - im Gegensatz zu Ihnen - einen
großen Konsens im „Bündnis für Arbeit“, auch mit den
Arbeitgebern, daß wir sie entsprechend der Arbeitsmarktsituation brauchen. Wir etatisieren für 2000 insgesamt 11,9 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik
in Ostdeutschland. Das ist, gemessen an dem, was Sie in
der Finanzplanung hatten, eine Verdoppelung des Bundeszuschusses. Wenn man das umsetzen würde, was Sie
in der Finanzplanung hatten, könnte man in vielen Regionen in Ostdeutschland, in vielen Beschäftigungsgesellschaften nur noch das Licht ausmachen. Das machen
wir nicht. Hier muß stabilisiert werden; denn wir wissen,
daß das Schaffen von Arbeitsplätzen keine leichte und
auch keine in zwei, drei Wochen oder Monaten zu
schulternde Angelegenheit ist.
Damit komme ich zur fünften Säule, mit der in der öffentlichen Argumentation sehr viel Schindluder getrieben
worden ist. Für mich ist alles das, was im Zusammenhang
mit der Wismut, mit der Treuhand-Nachfolgeeinrichtung,
der BvS, und mit der Braunkohlesanierung passiert, das
fünfte Standbein des Aufbaus Ost. Für dieses fünfte
Standbein haben wir im Haushalt 2000 eine Summe von
1,7 Milliarden DM vorgesehen. Das sind exakt
180 Millionen DM mehr, als Sie 1998 bereit waren, dafür
auszugeben. Deswegen sage ich: Wir sorgen für Klarheit,
Stabilität und höchste Priorität für den Aufbau Ost.
Ich glaube, wir müssen diesen unbequemen Schritt
tun. Bundespolitik darf sich nicht permanent durch
künstliche Hochrechnungen selber auf die Schulter klopfen. Es ist etwas ungewöhnlich, ein solcher Schritt hin
zu mehr Transparenz und Offenheit. Das Aufaddieren
hat gespalten, das hat uns innerlich auseinandergetrieben. Sich unsere fünf Säulen anzuschauen lohnt sehr,
übrigens auch, weil wir für 2000 mit insgesamt
2,6 Milliarden DM über dem liegen werden, was Sie als
Vorgängerregierung 1998 für die fünf Säulen zugunsten
des Ostens bereit waren auszugeben.
Wir konsolidieren, wir machen den Bundesstaat fit,
und wir gewährleisten, daß der Aufbau Ost höchste Priorität hat. Daß das auch viele Kollegen aus Ihren Reihen
so sehen, weiß ich.
Ich möchte Ihnen ein Zitat aus der Konferenz der ostdeutschen Wirtschaftsminister zur Kenntnis geben. Die
Konferenz hat im Juli dieses Jahres getagt und sich mit
dem Thema beschäftigt, das wir jetzt hier diskutieren.
Die Minister haben nicht nur gesagt, daß es notwendig
sei, die Finanzen zu konsolidieren, sondern sie haben
sich auch zum Aufbau Ost geäußert. Da haben sie festgestellt - und das sind nicht nur Sozialdemokraten -:
Die Wirtschaftsminister der ostdeutschen Länder
würdigen, daß die Bundesregierung dem Aufbau
Ost höchste Priorität einräumt.
({11})
So ist es. Wenn die Nebelkerzen eingepackt sind,
wird das vielleicht auch bei Ihnen aussprechbar sein. Ich
bin dankbar für ein so klares Wort über die Parteigrenzen hinaus, auch wenn Sie das heute hier nicht finden
konnten.
Schönen Dank.
({12})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Gerda Hasselfeldt von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Schwanitz, auch wenn Sie verkünden und gebetsmühlenartig wiederholen, daß die Bundesregierung dem
Aufbau Ost höchste Priorität zumißt: Das, was Sie tun
und was Sie entschieden haben, ist etwas anderes. Ich
nenne als Beispiel nur die Streichung der ICE-Trasse im
Thüringer Bereich und der Investitionen im Verkehrsbereich. Sie schaden damit der weiteren wirtschaftlichen
Entwicklung in den neuen Ländern.
({0})
Lieber Herr Wagner, Sie haben in Ihrer Rede, auch
fast gebetsmühlenartig, die Erblast der früheren Regierung angesprochen.
({1})
Auch durch ein noch so häufiges oder ständiges Wiederholen wird das nicht richtiger. Sie lenken damit nur
von Ihrem eigenen finanzpolitischen Chaos und von den
Defiziten Ihrer gescheiterten Umverteilungspolitik ab.
Wenn wir von Erblast reden, müssen wir gemeinsam
von der Erblast von 40 Jahren Sozialismus reden. Mit
dieser Erblast haben wir es zu tun.
({2})
Es ist von den Vorrednern schon deutlich gemacht worden, wie sich die darauf aufbauenden Kosten zusammensetzen: Es waren keine Kosten der Einheit, sondern
Kosten der Teilung. Darauf will ich deutlich hinweisen.
({3})
Unsere Aufgabe ist und wird es sein, darauf hinzuarbeiten, daß die Menschen in unserem Land künftig von Sozialismus und Staatsdirigismus verschont bleiben und
ihnen die Erfahrungen, die sie in den Gebieten der ehemaligen DDR gemacht haben, erspart bleiben.
Die Aufgaben der Wiedervereinigung finanziell zu
schultern war nur möglich, weil wir ab 1982 eine konsequente und erfolgreiche Konsolidierungspolitik betrieben haben. Wir haben in dieser Zeit trotz Konsolidierung auch viele Schwerpunkte gesetzt.
({4})
Ich nenne als Beispiele im familienpolitischen Bereich
die Einführung des Erziehungsgelds und die Einführung
von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung sowie
die großartige Steuerreform Ende der 80er Jahre, die
auch ihre Wirkung in bezug auf Wachstum nicht verfehlt hat. Diese Konsolidierungspolitik war auch bitter
nötig. Was Sie uns überlassen hatten - das wissen nicht
nur wir und die Fachleute, sondern hat auch in Ihrem
Kollegenkreis mittlerweile Eingang gefunden -, war alles andere als eine solide Basis. Ich zitiere den Kollegen
Metzger - er scheint momentan nicht im Saal zu sein -,
der vor wenigen Monaten, nämlich im März 1999, in einem Interview in der „Woche“ wörtlich gesagt hat:
Wir zahlen heute die Zeche der sozialliberalen Koalition in den 70er Jahren, die die Sozialleistungen
und den öffentlichen Dienst aufgebläht hat, als
lebten wir in Schlaraffia.
Besser kann man es nicht sagen. Wo der Mann recht hat,
hat er recht.
({5})
Trotz dieser Erblast und trotz internationaler Finanzkrisen haben wir die öffentlichen Finanzen nicht mit
Schieflage übergeben, sondern bis 1998 jährlich ein
durchschnittliches Wachstum von 2,4 Prozent erzielt.
Damit lagen wir besser als der Durchschnitt in der Europäischen Union. Wir haben für Preisstabilität gesorgt,
und - das wird in der ganzen Diskussion heute schon
wieder vergessen - es war Theo Waigel, der es trotz
dieser Schwierigkeiten und enormen Herausforderungen
geschafft hat, daß Deutschland die Maastricht-Kriterien
für die Aufnahme in die europäische Währungsunion erfüllt hat. Das war nicht selbstverständlich, sondern ist
einer harten Konsolidierungspolitik zu verdanken.
({6})
Was ist heute daraus geworden? Heute haben wir
nicht ein Wachstum von 2,4 Prozent, wie wir es damals
hatten, sondern von gerade noch 0,8 Prozent. Wir haben
steigende Arbeitslosenzahlen und sinkende Beschäftigungszahlen, die Investitionen sinken, und vor allem ist
eine Verunsicherung in der Wirtschaft und ein Riesenvertrauensverlust in der Bevölkerung festzustellen.
({7})
Dieses ist auch überhaupt kein Wunder angesichts der
Gesetzgebungsarbeit, die Sie in den vergangenen Monaten geleistet haben. Ich will Ihnen nur einige Beispiele
nennen: das Steuerentlastungsgesetz von vor wenigen
Monaten, das 630-Mark-Gesetz, das Gesetz über die
Scheinselbständigkeit, die Einführung einer sogenannten
Ökosteuer, die nichts anderes als eine Erhöhung der
Strom- und Mineralölsteuer ist, das Hinausschieben der
Unternehmensteuerreform und nun das vorliegende sogenannte Sparpaket.
All diese Maßnahmen sind nicht geeignet, zusätzliche
Arbeitsplätze zu schaffen, zusätzliche Investitionen anzukurbeln und zusätzliches Vertrauen, das notwendig
wäre, zu schaffen. Im Gegenteil, mit diesen Maßnahmen
wird das Abkassieren und das Umverteilen fortgesetzt.
Durch diese Maßnahmen werden Arbeitnehmer und
mittelständische Betriebe weiter geschröpft. Die notwendige Nettoentlastung der Steuerpflichtigen und ein
Impuls für Wachstum und Beschäftigung bleiben aus.
({8})
Nun, meine Damen und Herren, ein paar Anmerkungen zu dem 630-Mark-Gesetz. Ich zitiere Ihnen hierzu
den Bundeskanzler Schröder, der am 19. November
1998 hier in diesem Hause öffentlich ({9})
- in Bonn, aber im Bundestag.
({10})
Ist Ihnen das denn wirklich wichtig, Herr Poß? - zu den
630-Mark-Arbeitsverhältnissen gesagt hat:
Diese Arbeitsverhältnisse bleiben steuerfrei, und
zwar unabhängig von weiteren Einkünften.
Was ist daraus geworden? Diese Arbeitsverhältnisse
sind bei weiteren Einkünften eben nicht steuerfrei. Es
wird doppelt zur Kasse gebeten: sowohl durch die Sozialversicherung als auch durch die Steuer.
({11})
Man muß sich einmal fragen: Was gilt eigentlich noch
das Wort dieses Bundeskanzlers?
({12})
Bei der Rente haben wir es erlebt, auch bei den 630Mark-Jobs und verschiedenen anderen Dingen: Die Unglaubwürdigkeit kommt deutlich zum Ausdruck. Es ist
doch kein Wunder, daß die Wähler haufenweise davonlaufen.
({13})
Ein zweites Beispiel: die sogenannte Ökosteuer. Es
klingt so schön, aber man fragt sich, was das mit Ökologie zu tun hat. Von Ökologie kann keine Rede sein. Es
handelt sich um eine weitere Erhöhung der Stromsteuer
und der Mineralölsteuer.
({14})
Noch vor einem halben Jahr haben Sie gesagt: Die weiteren Stufen werden EU-weit abgestimmt. Davon ist
heute keine Rede mehr. Vor der Wahl hat der Bundeskanzler gesagt: 6 Pfennig und nicht mehr! Auch dies gilt
nicht mehr. Weitere Erhöhungen erfolgen in vier
Schritten. Sie kassieren von den Steuerpflichtigen, den
Autofahrern und den Haushalten über die Stromsteuer
und die Mineralölsteuer im Jahr 2000 zusätzlich
5,1 Milliarden DM, zuzüglich der Mehrwertsteuer. Bis
zum Jahr 2003 kassieren Sie nur durch die Erhöhungen
der Mineralöl- und der Stromsteuer 105 Milliarden DM
zusätzlich.
({15})
Davon, meine Damen und Herren, fließt keine müde
Mark in die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur.
Auch dies muß einmal erwähnt werden.
({16})
In diesem Zusammenhang wird immer gesagt: Ja,
aber wir senken doch die Beiträge zur Rentenversicherung. Auf die grundsätzliche Problematik der Steuerfinanzierung dieser Versicherung hat der Kollege Merz
schon hingewiesen. Ich will einen anderen Punkt ansprechen: Mit diesen vier Stufen, die Sie zusätzlich planen, kassieren Sie bis zum Jahr 2003 schon ohne die erste Stufe 56,6 Milliarden DM.
({17})
Diesen Betrag geben Sie aber nicht voll an die Rentenversicherung weiter, sondern nur zu einem geringen
Teil. Sie haben zwar noch keinen Gesetzentwurf vorgeGerda Hasselfeldt
legt, aber in Ihrem sogenannten Haushaltssanierungsgesetz sehen Sie dafür nur 44,4 Milliarden DM vor. Man
kann natürlich über den Grundsatz der Weitergabe
streiten. Wenn Sie aber schon immer verkünden, daß
dieses Geld an die Rentenversicherung weitergegeben
wird, dann sollten Sie dies bitte auch tun. Sie aber erhöhen diese Steuern, und diese Steuererhöhungen betreffen
alle Steuerpflichtigen.
Im übrigen sind diejenigen, die von der geringfügigen
Senkung des Rentenversicherungsbeitrages nicht betroffen sind, die Hauptleidtragenden. Und das sind wieder
die Rentner, die Sozialhilfeempfänger, die Studenten
und Hausfrauen und die Familien mit geringem Einkommen: Sie werden durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge nicht entlastet, aber durch die Erhöhungen der Strom- und Mineralölsteuer in besonderer
Weise belastet, ganz zu schweigen von den vielen
Pendlern, die auf das Auto angewiesen sind und kein
Äquivalent bei der Kilometerpauschale und ähnlichem
haben.
({18})
Diese sind ganz massiv betroffen. Dies alles passiert
nur, weil Ihnen der Mut zu echten Reformen fehlt.
({19})
- Natürlich, weil Sie nur umschichten, nur umverteilen.
Unsere Rentenstrukturreform haben Sie zurückgenommen. Nun wollen Sie die Rentenerhöhungen nur noch in
Höhe der Inflationsrate vornehmen. Eine Rente nach
Kassenlage, nach Willkür ist das. Das ist alles andere als
eine zuverlässige, berechenbare Größe.
({20})
Ich will nun noch einige Sätze zur Unternehmensteuerreform, die seit langem versprochen wird, verlieren. Sie haben großspurig versprochen, die Unternehmensteuerreform werde zum Jahr 2000 in Kraft treten.
Mittlerweile ist sie auf das Jahr 2001 verschoben.
({21})
- Warum haben Sie sie dann großspurig für das
Jahr 2000 versprochen? Warum haben Sie noch vor wenigen Monaten bei der Verabschiedung des sogenannten
Steuerentlastungsgesetzes, im Frühjahr dieses Jahres, im
Namen der Fraktion und auch der Bundesregierung immer wieder öffentlich versprochen, die Reform komme
zum Jahr 2000?
({22})
Erst nachdem dieses Gesetz beschlossen war, haben Sie
gesagt: Jetzt doch nicht, Kommando zurück. Jetzt machen wir es ein Jahr später.
({23})
So war das. Wir sollten ehrlich miteinander umgehen.
({24})
Aber das Schlimmere ist, daß das Konzept, so wie es
jetzt angedacht ist, im wesentlichen nur ein Plan für die
Kapitalgesellschaften ist. Alles, was den Mittelstand betrifft, was die 90 Prozent Personenunternehmer in unserem Land betrifft, was das Handwerk und den Handel
betrifft, ist noch offen. Das, was Sie hier andenken, die
Trennung von Unternehmens- und Unternehmerbesteuerung, die Bevorzugung des einbehaltenen Gewinns im
Vergleich zum entnommenen Gewinn, ist wegen des
Lock-in-Effekts nicht nur volkswirtschaftlich unsinnig.
Das ist auch praktisch kaum durchführbar und in Verlustjahren bei Personenunternehmen in der Realität völlig unmöglich.
({25})
Der Bundeskanzler hat vor wenigen Wochen auf einer Veranstaltung in Frankfurt wörtlich gesagt:
Wir wollen eine Senkung der Unternehmensteuern.
Wir wollen aber keine Senkung der Unternehmersteuern.
Ich frage mich, meine Damen und Herren, wo lebt
der Mann eigentlich? Weiß er, daß fast 90 Prozent der
deutschen Unternehmen nicht als anonyme Kapitalgesellschaften, sondern von Unternehmern, von Personen
geführt werden? Offensichtlich weiß er das nicht. Sonst
würde er nicht so daherreden.
({26})
Sie haben durch Ihren falschen Ansatz wertvolle Zeit
verloren, nur weil Sie ideologische Barrieren aufgestellt
haben, über die Sie nicht springen wollen. Ihr Steuerkurs
hat auch keine Linie. Sie schlängeln sich durch die Probleme hindurch. So beschlossen Sie im Frühjahr 1999
mit dem sogenannten Steuerentlastungsgesetz rückwirkend Steuergesetze, die Sie wenige Monate später wieder korrigierten, unvollständig korrigierten. Mit diesen
unvollständigen Korrekturen lassen Sie die Finanzverwaltung, die Berater und die Steuerpflichtigen in weiten
Bereichen weiterhin im unklaren, weil viele Teile des
beschlossenen Gesetzes nicht durchführbar, nicht anwendbar sind. Ich nenne nur die Bereiche Verlustzuweisungsgesellschaft, Mindestbesteuerung, Mehr-KontenModell. Es wäre notwendig gewesen, das so schnell wie
möglich zu korrigieren. Das haben Sie aber nicht gemacht.
({27})
Sie reden von Steuerentlastung und beschließen Steuererhöhungen, beispielsweise bei der Ökosteuer. Sie arbeiten parallel an weiteren Erhöhungen, beispielsweise
bei der Erbschaftssteuer. Bei dieser chaotischen Vorgehensweise in der Finanz- und Steuerpolitik brauchen Sie
sich nicht zu wundern, wenn die Menschen verunsichert
sind und wenn Ihnen die Wähler haufenweise davonlaufen.
({28})
Unser Angebot steht. Wir sind bereit, mit Ihnen eine
Steuerreform, die wirklich den Namen „Steuerreform“
verdient, zu machen, eine Steuerreform, die aber nicht
an der Umverteilung ausgerichtet ist, sondern die ausgerichtet ist an dem Ziel, weitere Impulse für Wachstum
und Beschäftigung zu geben, die ausgerichtet ist an einer
Nettoentlastung für alle Steuerpflichtigen, und damit den
nötigen Schwung auf dem Arbeitsmarkt bringt.
({29})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Dr.
Barbara Höll von der PDS-Fraktion.
Da Herr Schwanitz vergaß,
daß er mir während seiner Rede eine Frage gestatten
wollte, möchte ich jetzt folgendes formulieren. Ich glaube, es ist notwendig, bei den Aussagen zur Entlastung
der Familien zu konkretisieren, daß von seiten der Regierungskoalition die Entlastung, was das Kindergeld
bzw. den Kinderfreibetrag angeht, und die Entlastung
durch den Grundfreibetrag sowie die Senkung des Eingangsteuersatzes, was alle abhängig Beschäftigten bzw.
zur Einkommensteuer Veranlagten betrifft, immer zusammengerechnet werden. Das heißt, die Summen, die
Sie hier ausweisen, sind nicht familienspezifisch, sondern es handelt sich um eine Vermengung allgemeiner
steuerlicher Maßnahmen mit tatsächlich kinderspezifischen Maßnahmen. Ich meine, das ist nicht redlich.
Das wird noch deutlicher, wenn man sich dann anschaut, was Ihnen das Leben mit Kindern in Form einer
Entlastung wert ist. Bis zum Jahre 2002 sind das 6,7
Milliarden DM. Das ist aber zum großen Teil die Verwirklichung eines durch das Verfassungsgericht bestätigten Rechtsanspruchs. Es ist also keine großartige
freiwillige Leistung. Im Vergleich dazu planen Sie, die
ertragsstarken Unternehmen um fast doppelt soviel, um
über 13 Milliarden DM zu entlasten.
Ich möchte bemerken, daß ich mit Freude von verschiedenen Seiten, auch von Herrn Schwanitz, zur
Kenntnis genommen habe, daß sich immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, daß die alte Regierung bis kurz vor
dem Regierungswechsel in bezug auf die Transferleistungen in die neuen Bundesländer mit Bruttozahlen und
nicht mit Nettozahlen gerechnet hat und daß auf diese
Art und Weise versucht wurde, eine neue Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland aufzubauen, gegenseitig Neid zu schüren bzw. die neuen Bundesländer als
Verursacher der Finanzmisere darzustellen. In Wahrheit
war es eine verfehlte Finanzpolitik. Es ist Ihre Aufgabe,
diesen Kurs zu korrigieren.
({0})
Herr
Kollege Schwanitz, wollen Sie antworten? - Bitte schön.
Frau Kollegin Höll, ich bitte um Nachsicht. Ich habe in
der Tat vergessen, Ihnen eine Fragemöglichkeit einzuräumen.
Ich freue mich über Ihre Zustimmung zu meiner
Konkretisierung dessen, wie der Aufbau Ost künftig
aussehen soll. Ich werbe sehr dafür, daß sich dies als eine flächendeckende Position im Haus durchsetzt. Ich
glaube, daß dies in der Tat der richtige Weg ist.
Bezogen auf die Familienentlastung schlage ich Ihnen
vor, daß wir einfach einmal die Zahlen abgleichen. Die
von mir vorgestellte Zahl ist eine seriös gerechnete Zahl,
die im übrigen nicht nur die Entlastungs-, sondern sehr
wohl auch die Belastungselemente einkalkuliert, also
auch die Belastungen durch die ökologische Steuerreform, und die dies für das ostdeutsche Durchschnittseinkommen bilanziert. Dies können wir gerne individuell
abgleichen, und wir können nachprüfen, ob - Sie vermuten das; ich glaube das nicht - etwas vergessen worden sein sollte.
Bezogen auf das, was Sie - ich möchte es einmal mit
meinen Worten sagen - als unausgewogen oder gegebenenfalls sozial schieflastig kritisiert haben, bitte ich darum, daß sehr wohl das mit in die Bilanz hineingerechnet
wird, was die Bundesregierung unmittelbar nach ihrem
Regierungsantritt zum Beispiel im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 1999 getan hat, in dem wir gerade
bei kleinen und mittleren Einkommen massive Entlastungen im Steuerrecht organisiert haben, die wir durch
eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage erreicht
haben. Das Gesamtvolumen betrug - wenn ich die Zahlen richtig in Erinnerung habe - etwa 35 Milliarden DM.
Das war ein Beitrag hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit,
in dessen Rahmen Leistungen erzielt worden sind, die
auch Sie, wenn Sie Bilanz ziehen bzw. wenn eine solche
These aufgestellt wird, mit im Blick haben müssen.
({0})
Als voraussichtlich letzte Rednerin zu diesem Themenbereich
gebe ich der Kollegin Nicolette Kressl von der SPDFraktion das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Statt von den Oppositionsrednern ein auch nur annähernd durchgehendes Konzept, in
dem Alternativen vorgestellt werden, zu hören, haben
sich Herr Austermann und Frau Hasselfeldt zu einer Ansammlung von Behauptungen verstiegen, die so einfach
nicht wahr sind.
({0})
Drei davon - es bleibt mir wirklich nichts anderes übrig - will und muß ich hier aufgreifen.
Erstens. Frau Hasselfeldt, Sie müßten doch wissen ich weiß nicht, ob Sie das tun, weil Sie es nicht besser
wissen, oder ob Sie es tun, obwohl Sie es besser wissen;
das erste wäre schlecht in bezug auf Ihre Kompetenz,
das zweite wäre charakterlich etwas problematisch -,
daß diese Bundesregierung in bezug auf das Kindergeld
wesentliche Schritte unternommen hat, während Sie
bzw. Herr Austermann behauptet haben - Herr Thiele
hat dies letzte Woche auch schon getan -, Sie hätten das
Kindergeld von 70 auf 200 DM erhöht. Das ist ja wohl
ein Witz.
({1})
Sie wissen doch ganz genau, daß das Kindergeld zu
Beginn Ihrer Regierungszeit 70 DM betrug, daß Sie die
Steuerfreibeträge hinzugerechnet haben und daß das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Ich kann mir nicht
vorstellen, daß Sie so wenig von der Steuerpolitik verstehen, daß Sie etwas Falsches sagen.
({2})
- Ich habe in diesem Fall Herrn Austermann und Herrn
Thiele gemeint. Herr Austermann müßte - er ist ordentliches Mitglied des Haushaltsausschusses - die Grundlagen des Steuerrechts so weit kennen, daß er hier nicht
einfach die Unwahrheit erzählt. Sie haben das Kindergeld nicht von 70 auf 200 DM erhöht. Sie haben vielmehr die Steuerfreibeträge hinzugerechnet und das hinterher insgesamt als Kindergeld bezeichnet. Das ist etwas völlig anderes. Das ist die erste Unwahrheit.
({3})
Zweitens. Sie behaupten immer wieder, die Einnahmen aus der Ökosteuer verblieben im Haushalt. Das ist
einfach nicht wahr. Sie können sich die Zahlen noch
einmal anschauen. Wir werden in den Jahren 2000 bis
2003 jeweils Steuermehreinnahmen haben; ich mache es
Ihnen einmal am Beispiel der Jahre 2002 und 2003 klar:
Wir werden in diesen Jahren Steuermehreinnahmen in
Höhe von 21,2 Milliarden DM haben. Mit Ausnahme
von 200 Millionen DM, die für ein Förderprogramm für
regenerative Energien eingesetzt werden, werden exakt
19,3 Milliarden DM in die Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber zurückgegeben.
Das geschieht durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge auf sagenhafte 18,5 Prozent. Davon haben
Sie in Ihren 16 Jahren nur träumen können.
({4})
Hören Sie einfach auf, zu behaupten, das sei Abkassieren, wenn wir es vollständig - minus diese 200 Millionen - zurückgeben.
Dritte Unwahrheit. Sie behaupten in bezug auf die
Unternehmensteuerreform, wir würden uns nicht um
diejenigen Unternehmerinnen und Unternehmer kümmern, die nicht in einer Kapitalgesellschaft tätig sind.
Das ist absolut lächerlich. Sie wissen erstens, daß wir
mit dem Steuerentlastungsgesetz die Unternehmer, die
im Rahmen der Einkommensteuer veranlagt werden wie alle anderen auch -, schon entlastet haben, und
zweitens wissen Sie, daß wir Konzepte suchen
({5})
bzw. Konzepte prüfen lassen, mit denen wir die angesprochenen kleinen und mittleren Unternehmen entlasten können.
({6})
Wenn Sie sagen, daß Sie Konzepte haben, dann kann
ich nur lachen. Ihre Alternative, den Körperschaftsteuersatz zu senken, bedeutet nichts anderes, als daß Sie nur
große Unternehmen entlasten wollen.
({7})
Was Sie uns vorwerfen, wollen Sie selber machen.
Frau
Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Grund?
Ja.
({0})
Herr
Kollege Grund, bitte schön.
({0})
Frau Kollegin, Sie
sprachen davon, daß die Einnahmen aus der Energiesteuer voll an die Arbeitnehmer und Arbeitgeber in
Form der Senkung des Rentenversicherungsbeitrages
weitergegeben werden. Was sagen Sie zu den Zahlen,
die ich letzte Woche aus dem Finanzministerium bekommen habe - sie beziehen sich auf die neuen Bundesländer - und die besagen, daß dort bis zum Ende diesen Jahres durch die Energiesteuer 1,6 Milliarden DM
eingenommen werden, daß aber die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags nur einen Umfang von 1,3
Milliarden einnimmt? Man muß also sagen: Es werden
300 Millionen DM Mehreinnahmen nicht weitergegeben; sie werden wahrscheinlich von Ost nach West
transferiert. Das widerspricht klar Ihrer These, daß diese
Mehreinnahmen voll an die Arbeitnehmer und Arbeitgeber weitergegeben werden.
({0})
Wir sind angetreten, um eine Politik für alte und für neue Bundesländer zu machen. In diesem Fall heißt das für uns, daß wir uns die
Gesamteinnahmen und Gesamtausgaben anschauen
müssen. Ich habe Ihnen die Zahlen schon vorgelesen,
nämlich daß 19,3 Milliarden zurückgegeben werden. Ich
halte es für völlig verfehlt, auf der einen Seite spezielle
Forderungen für die neuen Bundesländer aufzustellen,
auf der anderen Seite aber immer wieder bestimmte
Zahlen herauszurechnen und das nicht als Gesamtpaket
zu sehen. Sie können ja an dem, was ich Ihnen gerade
vorgelesen habe, sehr deutlich ersehen, daß nichts von
den Ökosteuereinnahmen im Bundeshaushalt verbleibt.
Ich gebe Ihnen nachher dieses Blatt gern herüber, falls
es Ihnen nicht vorliegen sollte.
({0})
Sie haben keine Konzepte vorgelegt, wir müssen andauernd Ihre Unwahrheiten richtigstellen.
Ich möchte jetzt zu der Gesamtschau und zu dem
Thema kommen, das wir heute zu besprechen haben.
Wir, die Regierung und die Regierungsfraktionen, wollen mit dem Haushalt, den wir hier vorlegen - bildlich
gesprochen -, Wege bereiten, von denen man sagen
kann, daß sie richtige Wege für unsere Gesellschaft sind.
Wir beginnen doch heute mit dem, was Sie 16 Jahre lang
hätten in Angriff nehmen sollen, aber was Sie nicht getan haben,
({1})
nämlich damit, einen Bundeshaushalt vorzulegen, in
dem deutlich wird, daß wir Verantwortung, auch Verantwortung für die nächsten Generationen übernehmen
wollen. Aber Verantwortung für die nächsten Generationen zu übernehmen bedeutet auch, daß wir natürlich
nicht den Diskussionen mit denen aus dem Wege gehen,
die von Einzelmaßnahmen betroffen sind. Die Menschen
erwarten von uns nicht, daß wir solchen Diskussionen
aus dem Wege gehen, und sie erwarten auch nicht, daß
wir ausschließlich bequeme Wege suchen. Das ist für
uns jetzt keine leichte Aufgabe, aber es wird sich natürlich auszahlen, wenn die Menschen erkennen, daß wir
nicht immer bequeme Wege gehen.
Was Sie in den letzten 16 Jahren immer gemacht haben, wenn Sie Haushalte aufgestellt haben, war, die bequemen Wege zu suchen, weil Sie nie deutlich gemacht
haben, daß ein Haushalt auch Solidarität zwischen verschiedenen Gruppen und zwischen verschiedenen Generationen untereinander bedeutet,
({2})
weil Sie jeweils Ihre Grüppchen und Ihre Klientel betreut und bedacht haben.
({3})
Wir haben übrigens nicht nur von 1,5 Billionen DM
Schulden zu reden. Was Sie an Nichtsolidarität produziert haben, ist der zweite Schuldenberg, den wir Stück
für Stück mit unserer Politik abzuarbeiten haben. Ich
glaube, das ist mindestens genauso schwer, wie die
Schulden in D-Mark abzuarbeiten.
({4})
Selbstverständlich - das ist heute schon ein paarmal
sehr deutlich geworden - kann Haushaltskonsolidierung kein Selbstzweck sein. Es kann nicht darum gehen,
nur für sich Zinsbelastungen zu reduzieren. Ich will Ihnen drei Punkte nennen, die ich für ganz wesentlich
halte, warum wir diese Haushaltskonsolidierung hinbekommen müssen.
Erstens: Wenn wir es schaffen, daß nicht mehr jede
vierte Mark für Zinsen ausgegeben werden muß, können
wir bald wieder entscheiden, welche politischen Schwerpunkte wir setzen wollen. Dann können wir das tun und
nicht nur davon reden. Wenn wir hier nicht eine Kehrtwende hinbekommen - das machen wir gerade -, verspielen wir doch auf Dauer die Chance, daß Politik
überhaupt noch Einfluß nehmen kann. Die Menschen
erwarten zu Recht, daß die, die Politik machen, nicht
einfach tatenlos zusehen, wie wir durch steigende Zinslasten immer handlungsunfähiger werden. Sie erwarten
zu Recht von uns, daß wir wieder finanziellen Spielraum schaffen, damit wir in Universitäten, in Forschung, in die Entwicklung neuer Technologien, in die
Umwelttechnik und im Ergebnis damit auch in neue Arbeitsplätze investieren können. Sie hatten sich da doch
jeder Chancen Jahr für Jahr beraubt.
({5})
Man kann das auch auf einen sehr einfachen Nenner
bringen: Vorsorge in den Haushalten für die nächsten
Generationen ist soziale Gerechtigkeit.
Zweitens: Zu Recht haben wir Sozialdemokraten der
alten Regierung immer angelastet, daß sie bei ihren
Steuergesetzen die Entlastung der unteren und mittleren
Einkommen massiv vernachlässigt hat. Wir haben mit
dem Steuerentlastungsgesetz ganz entscheidende
Schritte nach vorne gemacht.
({6})
Wir haben mit der Senkung des Eingangssteuersatzes,
mit der Erhöhung des Grundfreibetrages, mit der Kindergelderhöhung die Schwerpunkte der Entlastung in
diesen Bereich gelegt. Anders als bei Ihren Steuervorschlägen haben wir allerdings auf eine seriöse Finanzierung geachtet. Uns war nämlich immer klar: Es macht
überhaupt keinen Sinn, den großen Luftballon aufsteigen
zu lassen, auf dem Steuerentlastung steht, in Wirklichkeit aber die nächste Generation zu belasten, weil Steuerentlastungen auf Pump gemacht werden.
({7})
Was wären denn die nicht finanzierten 45 Milliarden
DM bei Ihrer Steuerreform gewesen? Das wären doch
Steuerentlastungen auf Pump und Belastungen für die
nächste Generation gewesen.
({8})
Wenn Herr Merz uns jetzt wieder den gleichen Vorschlag vorlegen will, hat er es offensichtlich immer noch
nicht kapiert.
({9})
Natürlich sind wir bereit, auf Vorschläge einzugehen,
aber doch nicht auf solche, bei denen wir wieder damit
rechnen müssen, daß wir 30, 45 Milliarden DM nicht finanziert haben. Und dann kommt womöglich bei dem
Vorschlag wieder die kleine Fußnote der Mehrwertsteuererhöhung heraus. Darauf freuen wir uns natürlich besonders.
Eine seriöse Finanzierung von Steuerentlastungen ist
übrigens auch kein Selbstzweck, sondern ebenso eine
Frage der sozialen Gerechtigkeit. Ziel für uns ist selbstverständlich: Wir wollen den Menschen, besonders auch
den Familien, dadurch Freiraum geben, daß sie von den
Einkommen durch Erwerbsarbeit oder durch unternehmerisches Engagement möglichst viel selbst behalten
können. Das ist für uns sozialdemokratisch. Dann können sie sich auch an Vermögen und Unternehmen beteiligen. Sie können sich dann für eine zusätzliche Säule in
der Altersversorgung entscheiden. Sie können sich in
der Gesellschaft engagieren, und sie können dann Weiterbildung und gleiche Ausbildungschancen in der Gesellschaft wahrnehmen.
Aber auch das kann nicht auf Pump sein. Das muß
durch umsichtiges Handeln vorbereitet werden. Mit jedem Jahr, in dem wir Haushaltskonsolidierung vornehmen, haben wir wieder mehr Freiraum, um den Menschen netto mehr zu lassen. Nur dann ist es auch ernsthaft, seriös und verantwortungsvoll gemacht.
({10})
Damit wir die Wege zu dieser seriösen Steuerentlastung weiter ebnen können - zusätzlich zu dem, was wir
schon gemacht haben -, müssen und wollen wir das Zukunftsprogramm auf den Weg bringen. Wir machen es
anders. Wir hängen keine bunten Luftballons auf - ich
habe es vorhin schon gesagt -, auf denen Steuerentlastung steht, sondern wir sorgen dafür, daß Steuerentlastungen ein solides Fundament bekommen.
Drittens. Deutschland braucht Zukunftsinvestitionen. Wir haben bereits in den engen Grenzen, die Sie
uns durch Ihre Verschuldungspolitik gesteckt haben,
Schwerpunkte gesetzt: in Forschung und Bildung und in
Programmen für regenerative Energien. Mit jedem Jahr,
in dem es uns gelingen wird, den Haushalt zukunftssicherer zu machen, gelingt es uns gleichzeitig, den Spielraum zu gewinnen, den wir brauchen, um noch mehr
Akzente zu setzen.
Allein diese Ziele sind es wert, sich an diese Aufgaben zu machen. Wir erleben - das ist wahr -, daß es
nicht einfach ist. Wir haben aber auch sehr viele Steine
wegzuräumen, die Sie uns auf den Weg gelegt haben,
indem Sie Ihre Haushalte nicht am Gemeinwohl, sondern - ich wiederhole mich - an dem Interesse orientiert
haben, einzelne Gruppen speziell zu bedienen.
Ich will noch einen Blick auf die Aufräumarbeiten
werfen, die unsere Regierung schon geleistet hat. Wir
haben im Steuerentlastungsgesetz eine Aufgabe angepackt, die dringend notwendig war. Wir haben die unteren und mittleren Einkommen entlastet und Maßnahmen umgesetzt, mit denen ungerechtfertigte Steuervergünstigen abgebaut worden sind. Nachdem Sie das hier
immer bestritten haben, will ich mir nichts ausdenken,
sondern einfach das ausführen, was Sie alle im „Spiegel“ dieser Woche lesen konnten. Es ging darum, was
bis zum Jahr 2002 für die unteren und mittleren Einkommensbezieher geschehen wird. Ein Kfz-Mechaniker
mit einem zu versteuernden Einkommen von 60 000
DM wird im Jahr 2002 netto 2 106 DM mehr im Geldbeutel haben. Das sind fast 22 Prozent Steuerersparnis.
Wenn er zwei Kinder hat, wird er über 30 Prozent Ersparnis haben. Überlegen Sie sich das einmal.
({11})
Wir haben eine Steuerreform vorgenommen, die dafür
sorgt, daß er 30 Prozent Steuerersparnis haben wird.
Dabei ist die weitere Stufe der Familienentlastung übrigens noch nicht einmal eingerechnet.
Ein Spitzenverdiener mit einem zu versteuernden
Einkommen von 250 000 DM wird 4,8 Prozent weniger
zahlen. Es ist also nicht wahr - wie Sie immer behaupten - daß wir bei den Spitzenverdienern zuschlagen
würden.
Der Bereich, in dem wir etwas gemacht haben, ist das
dritte Beispiel aus dem „Spiegel“: Ein Architekt, der
sein zu versteuerndes Einkommen bisher auf Null gerechnet hat, wird das nicht mehr tun können und eine
entsprechende Mehrbelastung von über 150 000 DM im
Jahr haben. Der tut mir aber auch nicht leid. Wir alle auch Sie - haben das gefordert, und wir haben das umgesetzt.
({12})
Diese Beispiele machen deutlich, daß diejenigen, die
durch eigene Leistung oder unternehmerisches Engagement Einkommen erwirtschaften, auf jeden Fall entlastet
werden, daß aber diejenigen, die sich durch reine Abschreibungsmodelle bedient haben, nicht weiter die „Gescheiten“ in der Gesellschaft sind, sondern daß auch sie
zur Kasse gebeten werden.
Sie haben uns bei den Aufräumarbeiten noch ein paar
ganz dicke Brocken hinterlassen: Familienentlastung.
Es ist mir aufgefallen, daß Frau Hasselfeldt bewußt nur
das Erziehungsgeld genannt hat; denn sie weiß wahrscheinlich sehr genau, daß sie auf den Bereich der Steuerentlastung wahrhaftig nicht stolz sein kann. Eigentlich
hätte es des Verfassungsgerichtsurteils nicht mehr bedurft, um zu zeigen, daß Sie ein Weglein bereitet haben
und keinen Weg für die Solidarität der Generationen.
Das Urteil hat es aber noch einmal sehr deutlich gemacht.
Was für eine mühsame Arbeit war es denn, Sie von
jeder Verbesserung für die Familien zu überzeugen!
({13})
Nicht nur, daß Sie die Erhöhung des Kindergeldes auf
220 DM wieder zurücknehmen - obwohl wir sie schon
beschlossen hatten - und nur 200 DM Kindergeld zahlen
wollten, nicht nur daß Sie auch kleine Verbesserungen,
die wir im Ausschuß beantragt hatten, immer abgelehnt
haben und wir das jetzt sehr schnell umgesetzt haben,
({14})
sondern auch, daß Sie, Frau Hasselfeldt, noch im Januar
die Kindergelderhöhung, die wir gemacht haben, obwohl wir das Urteil nicht kannten,
({15})
ein Weihnachtsgeschenk genannt haben. Der Witz dabei
ist, daß jetzt überall die christdemokratischen Politiker
aufstehen und sagen: Wir möchten aber mehr Kindergeld. Dies kann wirklich nur als schizophren bezeichnet
werden.
({16})
Diese Entscheidungen für steuerliche Entlastungen
der Familien haben uns übrigens eine sehr große Kraftanstrengung gekostet. Dies ist logisch. Wenn man einen
Haushalt vorfindet, der so wenig Spielraum läßt, kostet
es viel Kraft, Bewegungsfreiraum für Familien und deren steuerliche Entlastung zu schaufeln.
Hier schließt sich der Kreis auch wieder, weil wir genau aus diesem Grund, nämlich um für Familien weitere
Entlastungen schaffen und diese vielleicht auch noch
mehr fördern zu können, einen konsolidierten Haushalt
brauchen.
Wir wissen, daß es noch eine ganze Reihe von Aufgaben geben wird, für die wir die Unterstützung durch
die Bürgerinnen und Bürger brauchen und wesentlich
mehr brauchen, als wir sie bisher haben. Wir wissen
auch, daß es nicht einfach sein wird, diese Menschen
davon zu überzeugen, daß es der richtige Weg ist.
Ich stelle mir unter Politik vor, endlich wieder entscheiden zu können, wo ich politische Schwerpunkte
setze, und nicht durch Haushaltszwänge gebunden zu
sein, so daß ich mich nicht so entscheiden kann, wie ich
es möchte. Wenn es das ist, was die Menschen von Politik erwarten, dann weiß ich, daß es sich lohnen wird,
dafür zu kämpfen, die Menschen von diesem Ansatz zu
überzeugen.
({17})
- Ich kann Sie trotz Ihres Gebrülls nur dazu auffordern,
diesen Weg mit uns zu gehen.
Vielen Dank.
({18})
Weitere
Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen nicht
vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie,
Einzelplan 09. Das Wort hat als erster Redner der Bundesminister Werner Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Seit dem zweiten Quartal des letzten Jahres verflachte das Wirtschaftswachstum und war bis zum
Amtsantritt der neuen Bundesregierung stetig rückläufig. Seitdem kommt das Wirtschaftswachstum aus der
Talsohle des vierten Quartales heraus, wenn auch zunächst nur zögerlich.
Inzwischen haben wir einen gesamtwirtschaftlichen
Datenkranz, der uns berechtigt, auf eine deutliche Konjunkturbelebung zu vertrauen. Es ist das Ziel der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung, den aktuellen
Konjunkturaufschwung in einen stabilen, sich selbst tragenden Wachstumspfad unserer Volkswirtschaft zu
überführen.
({0})
Es liegt nun an uns allen, ob wir diese notwendigen
und günstigen Rahmenbedingungen für die Wachstumspolitik wider besseres Wissen zerreden wollen und
zerreden lassen. Der Wirtschaftsminister will das nicht,
denn die Bundesrepublik wird auf Grund der Reformen
dieser Bundesregierung ein wieder attraktiver Investitionsstandort.
Das müssen wir auch sein, damit wir den Abbau der
zu hohen Arbeitslosigkeit bewältigen.
({1})
Vier Millionen Arbeitslose sind zuviel, jeder einzelne
Arbeitslose ist einer zuviel. Jeder vermiedene Arbeitslose ist ein einzelner Erfolg. Deshalb bitte ich auch zu sehen, daß angesichts des Wachstumsverlustes seit dem
zweiten Quartal letzten Jahres die Arbeitslosigkeit beim
Politikverständnis früherer Jahre bis heute kräftig angestiegen wäre. Die Arbeitslosigkeit ist aber trotz Wachstumsverlusten nicht gestiegen, sondern leicht rückläufig,
was die Wirkungsmöglichkeit der aktiven Arbeitsmarktpolitik belegt, die diese Bundesregierung unternimmt.
({2})
So ist es zum Beispiel in kurzer Zeit gelungen, die
Jugendarbeitslosigkeit ganz erheblich abzubauen.
Wenn man diesen Erfolg in dieser kurzen Zeit sieht,
wird deutlich, wie unverantwortlich es über Jahre gewesen ist, dieses große gesellschaftspolitische Problem der
Jugendarbeitslosigkeit nicht schon viel früher bekämpft
zu haben.
({3})
Ich will das Wort Erblast der alten Regierung nicht
überstrapazieren; denn die neue Regierung ist gewählt
worden, um diese Erblasten wegzuarbeiten. Es stimmt
mich aber doch nachdenklich, wenn ich beobachte, wie
die, die für diese Erblasten verantwortlich sind, heute
mit ihrer Hinterlassenschaft umgehen. Wenn diese Regierung die Inflationssicherung der Renten erreichen
will, dann nennt das die heutige Opposition einen Einschnitt in der Rentenpolitik. Dabei hat es bei der alten
Regierung seit 1995 keine Inflationssicherung der Renten mehr gegeben.
({4})
Jedes Jahr wurden die Renten aufs neue abgewertet.
Als die alte Regierung abgewählt wurde, waren die
Renten 5 Prozent weniger wert als 1994.
({5})
Wenn die seit Jahren erstmalig durchgeführte Inflationssicherung heute von CDU/CSU als Einschnitt bezeichnet wird,
({6})
dann muß ich sagen, daß die CDU/CSU seit Jahren bei
den Renten Kahlschlag betrieben hat.
({7})
Wie gesagt: Es stimmt mich nachdenklich, wie man
zu der Hinterlassenschaft steht. Nehmen Sie den Haushaltsentwurf für das Bundesministerium für Wirtschaft
für das Jahr 2000. Diesen hat die alte Regierung im
Rahmen der noch geltenden Finanzplanung des Bundes
bereits einmal aufgestellt. Obwohl gerade erst bindende
Verträge mit dem Bergbau geschlossen worden waren,
hat die alte Regierung die Absatzhilfe für die Steinkohle
viel zu gering veranschlagt. Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie die Haushalte aufgestellt wurden, damit
die Neuverschuldung nicht uferlos wurde.
Heute muß man sich aber anhören, daß der Haushaltsentwurf 2000 der neuen Bundesregierung angeblich
nur geringfügig unter dem Entwurf der alten Regierung
liege.
({8})
Man muß sich vorhalten lassen, daß das Einsparvolumen
von 30 Milliarden DM getürkt sei. In aller Klarheit:
Getürkt war die Haushaltsplanung der alten Regierung.
({9})
Am Beispiel der viel zu gering etatisierten Steinkohle
zeigt sich: Es wurden Einsparungen verbucht durch eingeplante Vertragsbrüche. Deswegen sage ich in aller
Klarheit: Diese Bundesregierung wird die erste sein, die
die Verträge mit dem Bergbau einhält.
({10})
Nun stand ich vor dem ganz praktischen Problem, die
Steinkohlehilfen einerseits nach oben zu setzen und andererseits über 1 Milliarde DM im Gesamthaushalt einzusparen. Konkret: Die Summe aller Haushaltspositionen - außer Kohle - beträgt im Haushalt 1999 7,8 Milliarden DM, wovon 1,3 Milliarden DM einzusparen wären.
Herr
Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Uldall zulassen?
Ja.
Bitte
schön, Herr Uldall.
Angesichts der Tatsache, daß Sie sich so vehement für die Steinkohlesubventionen einsetzen, muß ich fragen:
({0})
Schließen Sie es aus, daß im Laufe des Vollzuges des
Haushalts 2000 seitens der Regierung Kürzungen bei
den Steinkohlesubventionen vorgenommen werden?
Sie greifen meiner Rede voraus, Herr
Uldall. Ich komme jetzt auf diesen Punkt zu sprechen.
Im Grundsatz habe ich Ihnen schon gesagt: Vertragsbrüche planen wir nicht ein.
({0})
Da viele Ausgaben im Haushalt 2000 schon gebunden sind, ist die Aufgabe, 1,3 Milliarden DM von 7,8
Milliarden DM zu sparen, mit denkbar ungünstigen Einschnitten bei einzelnen Positionen verbunden. Ich habe
mich mit diesem Problem - ich sage noch einmal: begründet durch die zu geringe Veranschlagung der Kohlehilfen in der Planung der alten Regierung - an den
Bergbau gewandt: an Unternehmen, an die Gewerkschaft und an den Bergbauverband. Für den bisherigen
Gesprächsverlauf bin ich dankbar, zumal wir wohl hinsichtlich der Behandlung einiger seit Jahren erörterter
Fragen zur Abrechnung von Bilanzhilfen früherer Jahre
eine Annäherung finden.
Ferner bat ich zu prüfen, ob wir die vertraglich für
das Jahr 2000 zustehenden Hilfen zu einem sehr geringen Prozentsatz etwas verzögert zur Auszahlung bringen
können, weil ich damit für den Haushalt im Jahr 2000
ungünstige Brüche vermeiden kann.
Die Gespräche mit dem Bergbau stehen kurz vor dem
Abschluß, so daß ich in Kürze dem Haushaltsausschuß
vorschlagen kann, wie die im Moment noch ausgewiesene globale Minderausgabe im Haushaltsentwurf 2000
weitgehend aufgelöst wird.
({1})
Damit darüber gar nicht erst ein Mißverständnis aufkommt, sage ich noch einmal, daß die Kohlevereinbarungen vom 13. März 1997 und die damit verbundenen
politischen Ziele, insbesondere die sozialverträgliche
Anpassung, sowie der vereinbarte Finanzrahmen unverändert umgesetzt werden.
({2})
Im Gegensatz zum Bergbau, bei dem bis 2005 die
Subventionen deutlich zurückgefahren werden, der also
Subventionsabbau akzeptiert, muß man sich hier und da
in der Wirtschaft noch daran gewöhnen, daß manche
Staatshilfe in meinem Haushaltsentwurf niedriger angesetzt wird.
({3})
Ich hatte die Wirtschaft frühzeitig darauf hingewiesen,
daß sie mit dem Abbau von Subventionen, seien es
Steuersubventionen oder direkte Hilfen, rechnen muß,
damit Steuern und Abgaben auf breiter Front gesenkt
werden können und damit die Neuverschuldung langfristig abgebaut werden kann.
Ich habe oft den Eindruck, daß der Schuldenstand
des Bundes beim Regierungswechsel nicht so recht begriffen wird, wenn man immer nur die Zahl von 1,5 Billionen DM hört. Vielleicht wird es etwas plastischer,
wenn ich sage: Wir haben uns den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers bereits rund einhundertmal von
unseren Enkeln und Kindern geliehen. Schulden machen
ist bequem, aber nur für die, die das geliehene Geld ausgeben. Viel unbequemer ist es, das zu erarbeiten, was
man ausgeben will. Es wäre für die Zukunft verhängnisvoll, wenn die heutige Opposition das weitere Verschulden noch einmal zum bequemen Prinzip einer Regierungspolitik ausrufen wollte.
({4})
Mit solcher Bequemlichkeit mag man offensichtlich
aktuell Wahlen gewinnen, aber die Zukunft gewinnt
man nicht.
({5})
Zum unbequemen Sparpaket dieser Bundesregierung
gibt es im Grundsatz keine Alternative. Das müßte allen
Seiten dieses Hauses klar sein. Also sind im Haushalt
des Bundeswirtschaftsministers gegenüber dem laufenden Haushalt 1999 rund 1,3 Milliarden DM einzusparen.
Das bedeutet nun aber keineswegs Kahlschlag bei den
Fördermaßnahmen. Sinnvolles wird auf hohem Niveau
fortgesetzt. Das gilt nicht bloß für die Gemeinschaftsaufgabe in Ost und West, das gilt insbesondere auch für
die Mittelstandsförderung, deren Volumen wir durch
Bündelung und Zusammenführung bei der Deutschen
Ausgleichsbank aufrechterhalten und mit mehr Effizienz
versehen. Das Fördervolumen von rund 11 Milliarden
DM werden wir so auch in Zukunft beibehalten.
In der Energiepolitik strebt die Bundesregierung eine
moderne Energieversorgung auf der Grundlage von
Markt und Wettbewerb an. Dazu gehört auch das Ziel,
langfristig zu subventionsfreien Versorgungsstrukturen
zu kommen. Bei den erneuerbaren Energien haben wir
eine zielgerichtete Anschubförderung vorgesehen. Für
das Anfang des Jahres gestartete 100 000-DächerSolarprogramm geht der Bund bis zum Jahr 2004 Verpflichtungen in Höhe von mehr als 1 Milliarde DM ein.
({6})
Wir wollen der Photovoltaik in Deutschland zum breiten
Durchbruch verhelfen. Das neue Marktanreizprogramm,
das im September gestartet worden ist, legt die Schwerpunkte auf Solarkollektoren und Biomasseanlagen. Wir
stellen dafür jedes Jahr 200 Millionen DM zur Verfügung, und zwar zunächst bis zum Jahr 2003.
({7})
Energiepolitik ist langfristig nur tragfähig, wenn sie
von Politik und Gesellschaft getragen wird. Deshalb
müssen wir dort zu Hilfen bereit sein, wo der neue
Wettbewerb Unternehmen vor Probleme stellt, die nichts
mit mangelnder Vorbereitung auf den Wettbewerb oder
nichts mit sonstigen unternehmerischen Fehlleistungen
zu tun haben. Die Sicherung der ostdeutschen Braunkohleförderung und -verstromung gehört dazu, ebenso
die Tatsache, daß einzelne kommunale Kraft-WärmeKopplungsanlagen auf Steinkohlebasis im Wettbewerb
entwertet werden, aber wegen der Fernwärmeversorgung der Bürger nicht einfach abgestellt werden können.
Bei solchen Problemen wird es Hilfen geben müssen
und geben, die weder Wettbewerbsvorteile für alle verhindern noch mißbraucht werden können.
({8})
Lassen Sie mich zusammenfassen: Mit den Beschlüssen für diesen Haushalt und das gesamte Zukunftsprogramm setzt die Bundesregierung ein klares Signal für
ein zukunftsfähiges Staatsverständnis. Wir müssen die
staatlichen Aktivitäten auf die zentralen Aufgaben zur
Sicherung des Sozialstaates konzentrieren und können
dadurch mehr Freiraum für Eigeninitiative, für Eigenverantwortung und für mehr unternehmerisches Engagement schaffen. Indem wir die Staatsfinanzen sanieren
und die sozialen Sicherungssysteme auf eine solide Finanzierungsbasis stellen, stärken wir auch die Solidarität
der Generationen.
({9})
Eines muß man noch deutlich sagen: Der Generationenvertrag wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß
jemand die eigenständige Altersversorgung als dritte
Säule ins Gespräch bringt. Der Generationenvertrag
wird vielmehr von denjenigen in Frage gestellt, die den
Anstieg der Lohnkosten und die Aushöhlung der Sozialkassen hingenommen und der Abwanderung von Unternehmen und Leistungsträgern ins Ausland tatenlos zugesehen haben.
({10})
Die Vorlage zum Haushalt, die dem Parlament zum
Jahresende vorzulegende Unternehmensteuerreform und
die Reform der Altersvorsorge sind notwendige Bestandteile des Gesamtkonzeptes für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Eines muß ich der Opposition noch
zu bedenken geben: Unternehmer, Wirtschaftsverbände,
die Bundesbank und die wissenschaftlichen Institute sehen das genauso.
Damit das Fundament für den Wirtschaftsstandort
Deutschland für das nächste Jahrtausend zukunftsfähig
gemacht wird, bitte ich um die Zustimmung zu dieser
Haushaltsvorlage als wichtigen Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem Land.
Vielen Dank.
({11})
Der
Kollege Austermann hat die Ausführungen des Herrn
Bundesministers mit einem Wort qualifiziert, das ich
nicht wiederholen will, welches aber unparlamentarisch
war.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Dankward Buwitt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich möchte mit zwei Bemerkungen auf die Ausführungen von Frau Kressl zurückkommen. Sie verlangt von den Menschen sehr viel; sie
verlangt von den Menschen vor allen Dingen, daß sie
alles vergessen. Wer das Wort Solidarität in den Mund
nimmt - gerade bei der Frage Aufbau Ost -, muß bedenken: Herr Eichel ist ja noch mit einem guten Gedächtnis versehen; er hat heute vormittag gesagt, bei
dieser Frage hätten die westlichen Länder die Hände
ganz tief in den Taschen gehabt. Herr Schröder hat dazu
etwas ganz anderes gesagt; er hat gesagt, es gebe keine
Mark niedersächsischer Steuerzahler für den Aufbau der
neuen Bundesländer. Das ist Solidarität, wie Sie sie verstehen.
({0})
Wenn Sie sich darauf auch noch beziehen, ist das wirklich traurig genug.
({1})
Zur Frage des Selbstfinanzierungseffektes einer
Steuerreform. Wer sich die Zahlen der Jahre 1986 bis
1990 ansieht und erkennt, was in dieser Zeit durch Steuerentlastungen angeschoben worden ist - neue Arbeitsplätze und damit höheres Wirtschaftswachstum; mehr
Menschen, die eigenes Einkommen haben; eine Entlastung des Staates und der Sozialkassen -, und dann daran nicht glaubt, der braucht gar keine Steuerreform zu
machen. Was für einen Sinn sollte sie sonst haben, wenn
man damit keine bezahlte Arbeit befördern könnte?
({2})
- Herr Fischer, Ihre Zwischenrufe von der Regierungsbank sind nicht besser geworden und waren von den
Abgeordnetenplätzen früher auch schon nicht besonders.
({3})
- Ach, er hat gestöhnt? Ja, er hat auch allen Grund dazu.
({4})
Wenn man heute die Reden von Herrn Müller, von
Herrn Eichel und von der rotgrünen Koalition insgesamt
hört, dann kann man feststellen, daß zwei Botschaften
rübergebracht werden. Die eine lautet: Früher war alles
schlecht, heute ist alles in Ordnung. Die andere lautet:
Die Bürger haben es nur nicht verstanden.
Zunächst einmal kann ich nicht bestätigen, daß zur
Zeit alles in Ordnung ist; das möchte ich sogar bestreiten. Zudem geht es auch gar nicht darum, ob die Leute
es verstehen, sondern darum, daß die Leute diese Politik
nicht haben wollen. Wenn der Finanzminister sagt - das
klingt ja schon fast rührend -, die Leute kämen zu ihm
und sagten, er solle ruhig so weitermachen, dann muß
ich feststellen: Die Wahlergebnisse sagen etwas anderes.
Wenn jemand mir in dieser Situation solche Ratschläge
gibt, dann würde ich doch überlegen, ob derjenige es mit
mir gut meint oder mir sogar ein Bein stellen möchte.
({5})
- Das lassen Sie doch meine Sache sein, um das ganz
deutlich zu sagen.
Über den Wirtschaftshaushalt ist gar nicht viel zu sagen. Der Wirtschaftsminister selber hat in erster Linie
über die Renten gesprochen.
({6})
- Herr Präsident, wer soll reden? Ich oder die anderen?
Ein paar
Zwischenrufe müssen Sie schon ertragen.
Zwischenrufe ertrage ich gerne.
Ihnen
steht ein Mikrofon zur Verfügung. Mit dessen Hilfe
können sie sich durchsetzen.
Der Wirtschaftsminister hat hier über die Renten gesprochen. In der
„Welt“ hat er ausgeführt: Mich widert an, was die CDU
zu den Renten sagt. - Nun muß man feststellen, daß Sie
zwar kein SPD-Mitglied sind. Trotzdem dürften Sie
nicht so zurückgezogen gelebt haben, daß Sie keine
Nachrichten gehört und keine Zeitungen gelesen haben,
bevor Sie in die Regierung eingetreten sind. Wir wollten
einen demographischen Faktor einfügen. Das haben wir
auch getan. Sie haben das rückgängig gemacht. Der Anstieg der Renten sollte langfristig abgeflacht werden.
Herr Schröder sagt, daß er die zutiefst unanständige
Rentenreform rückgängig machen wolle. Das ist eines
von vielen falschen Versprechen, die er gemacht hat und
die ihm schon heute leid tun. Aber der Bundeskanzler
hat auch gesagt - das ist eine ganz andere Sache -: Ich
stehe dafür, daß die Renten in Zukunft weiterhin so steigen werden wie die Nettoeinkommen. Davon kann doch
im Moment überhaupt keine Rede mehr sein. Wenn Sie,
Herr Müller, das alles gewußt hätten, dann hätten Sie
sagen müssen: Mich widert der Rentenbetrug meiner eigenen Regierung an. SPD und Grüne haben den Rentnern - nicht nur diesen - viel versprochen. Sie haben sie
getäuscht. Sie sind dabei, sie zu betrügen.
({0})
Jetzt stellt sich die Frage: Welchen Beitrag leistet der
Wirtschaftshaushalt, um die Wirtschaft in Gang zu bringen und das Wirtschaftswachstum zu fördern?
({1})
1998 gab es ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent.
1998 gab es 400 000 Arbeitslose weniger als heute. Das
waren Entwicklungen, die auf Grund der Rahmenbedingungen möglich waren, die die letzte Regierung in diesem Hause - also in Bonn, falls Sie das wieder fragen
wollen - beschlossen hat.
({2})
Was ist nach dem Regierungswechsel geschehen? Es
gehörte nicht viel dazu, wenn Herr Fischer - vielleicht
hat er es ironisch gemeint - sagte: Der Aufschwung wird
bis zum 27. September anhalten. Das ist richtig: Sie haben den Aufschwung kaputtgemacht und vernichtet.
({3})
Sie haben die Maßnahmen, die wir für ein größeres
Wirtschaftswachstum und für mehr Arbeitsplätze getroffen haben, zurückgenommen.
({4})
- Ich meine die Maßnahmen zur Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall, die Maßnahmen für Existenzgründungen
und die Maßnahmen zum Schlechtwettergeld. Diese Liste könnte man beliebig fortsetzen. Diese Maßnahmen
haben Sie alle rückgängig gemacht. Deshalb dürfen Sie
sich nicht wundern, daß dadurch die wirtschaftliche
Entwicklung zurückgegangen ist. Sie beziehen sich immer auf europäische und internationale Entwicklungen.
Aber richtig ist, daß Deutschland im Vergleich zu anderen am Ende der Entwicklung des Wirtschaftswachstums steht. Warum ist das so?
({5})
- Deutschland hat in diesem Jahr ein schlechteres Wirtschaftswachstum als alle anderen Länder aufzuweisen.
Das können Sie überhaupt nicht bestreiten. Das sind die
Folgen der Politik, die Sie betrieben haben.
({6})
Sie dürfen sich also nicht wundern, daß sich beim
Thema „Abbau der Arbeitslosigkeit“, das Sie zu ihrem
Thema machen wollten, überhaupt nichts bewegt. Sie
reden über das Thema kaum noch. Noch im Frühjahr
haben Sie sich darüber gestritten, ob man den Stand der
Arbeitslosigkeit Monat mit Monat vergleichen sollte;
denn Sie wollten sich den Rückgang gegenüber 1998
gutschreiben lassen. Jetzt vergehen im Laufe des Jahres
die Monate, und der Vergleich Monat mit Monat ist
schon nicht mehr so schön, und natürlich unterlassen Sie
ihn.
Der Minister hat hier dargestellt, daß alles so fortgesetzt wird. Das stimmt nicht; meine elf Minuten Redezeit reichen nicht aus, um all das vorzulesen, was das
belegt. Wer sich den Haushalt ansieht, der erkennt, daß
es diesbezüglich viele Posten gibt. Es geht um die Mittelstandsförderung, es geht um den Aufbau Ost, und es
geht um all das, was für die Schaffung von Arbeitsplätzen einen Anstoß bewirkt. Die Ausgaben hierfür sind in
diesem Haushalt zurückgeführt worden, und zwar immer
mit der Bemerkung: Die Förderkonditionen wurden gestrafft. - Sie haben sich diese Möglichkeit geschaffen,
um die Veränderungen durchzuführen.
({7})
- Doch, das alles ist im Haushalt enthalten. Sie haben
ihn nur nicht gelesen; das ist das Problem. Wenn Sie den
Haushalt gelesen hätten, dann hätten Sie diese Aussage
gefunden. Das ist nicht mein, sondern Ihr Problem.
Es gibt wenig im Haushalt, worüber man verhandeln
kann. Wie der Minister richtig dargestellt hat, liegen die
pauschalen Minderausgaben bei 600 Millionen DM.
Obendrein müssen 38,6 Millionen DM als Effizienzrendite erwirtschaftet werden. Dies alles sind zur Zeit ungedeckte Schecks.
Aber die Lösung zeichnet sich ab. Im ersten Teil seiner Rede sprach Herr Müller von den unglaublichen
Vertragsverstößen im Bereich der Kohle. Im zweiten
Teil seiner Rede sagte er, er werde sich gütlich einigen.
Es handele sich um einen kleinen Betrag von 500 Millionen DM, der zur Sanierung des Haushalts freiwillig
zur Verfügung gestellt wird. Wie dies zusammenpassen
soll, frage ich mich sehr ernsthaft.
Bei den letzten Haushaltsberatungen haben Sie sich
vehement dagegen gewehrt, daß vom Verkauf der Rohölreserve Geld in den Haushalt eingestellt wird. Sie haben den richtigen Zeitpunkt verpaßt: Sie fangen jetzt im
September an zu verkaufen; Sie hätten ab Juni mit gutem Gewinn verkaufen können. Aber noch besser ist: Sie
erwarten im nächsten Jahr eine Einnahme von
560 Millionen DM. Diese Einnahme ist im Haushalt gar
nicht enthalten. So sieht Ihr Beitrag zu Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit aus.
Die Absatzförderung im Osten wird ab dem Jahre
2001 auf Null gesenkt. Der Osten blüht schon so, daß
alles von alleine geht: Forschungsförderung neuer
Technologien, Hilfen für den Mittelstand, Geld für die
Auslandsvertretungen und Geld für die Messen. Dort,
wo dem Mittelstand geholfen werden kann, werden
wir ganz genau darauf schauen, was wir machen können.
Im Bereich des Normenwesens ({8})
- Sie selber sagen in Ihrem Haus „Normenwesen“; Sie
wissen wohl nicht, was das ist; aber das muß nicht jeder
wissen - wäre es auf internationaler Ebene ausgesprochen wichtig, daß die Arbeit verstärkt wird. Was machen Sie? Sie beauftragen das DIN mit dieser Aufgabe.
Sie kürzen in diesem Jahr nicht von 20 oder 30 Millionen DM, sondern von 9,9 Millionen DM um 3 Millionen
DM, und im nächsten Jahr kürzen Sie um 2 Millionen
DM. Aber die Aufgabe soll mit weniger als der Hälfte
des Geldes verstärkt werden.
Zum Tourismus, von dem Sie im Frühjahr gesagt
haben, er müsse verstärkt unterstützt werden und für ihn
müsse mehr Geld ausgegeben werden. Das Ergebnis ist:
In diesem Haushalt wird weniger Geld ausgegeben, obwohl die EU reklamiert, daß wir gerade im Dienstleistungsbereich großen Nachholbedarf haben. Wenn der
Tourismus gefördert wird, dann werden im Hotelbereich, im Gaststättengewerbe, im Dienstleistungsbereich
insgesamt und im Einzelhandel sofort Arbeitsplätze geschaffen. In der Tourismusförderung führen Sie die
Mittel zurück, obwohl Sie im Frühjahr angekündigt haben, dafür sorgen zu wollen, daß dort mehr passiert. Ich
glaube, in Ihrem Haus passiert zwar vieles, aber vieles,
das Sie entweder nicht steuern oder gar nicht so gewollt
haben.
Recht herzlichen Dank.
({9})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Michaele Hustedt
vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist mit dem
Haushalt insgesamt sehr zufrieden; denn er verbindet
optimal die Ansätze des Sparens und des Gestaltens.
Auch der Wirtschaftshaushalt muß einen Beitrag zum
Sparen leisten; auf der anderen Seite wird der Anspruch
aufrechterhalten, gestalterisch tätig sein zu können. Ich
nenne dafür als Beispiel - Herr Müller ist schon darauf
eingegangen -, daß wir die Mittel für die marktnahen
erneuerbaren Energien wie Solarthermie und Biomasse
im Vergleich zur alten Bundesregierung verzehnfacht
haben.
({0})
Auch wenn wir im großen und ganzen sehr zufrieden
sind, gibt es doch ein paar Unterpunkte wie den Forschungsetat „Erneuerbare Energien“, über die wir noch
sachlich und solidarisch miteinander diskutieren müssen. Wir haben uns daher entschlossen, in diesem Teil
der Haushaltsdebatte den Schwerpunkt auf die Frage der
Zukunft der Energiewirtschaft zu legen, und zwar nicht
nur deshalb, weil dieser Bereich für die Grünen besonders wichtig ist - dieser Wirtschaftszweig hat sehr viel
mit dem Umweltschutz zu tun, der uns besonders am
Herzen liegt -, sondern auch deshalb, weil sich gerade
dieser Wirtschaftszweig heute im größten Umbruch befindet, den es in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland jemals gegeben hat. Die Aufbrüche, Umbrüche, Abbrüche in diesem Bereich machen es durchaus notwendig, daß man intensiv darüber diskutiert.
Als Grüne haben wir die Liberalisierung immer begrüßt und gefördert. Ich selbst bin ja die erste Bürgerin
Deutschlands, die die freie Wahl des Stromlieferanten
durchgesetzt hat, so daß ich schon seit längerem „grünen
Strom“ bekomme. Wir haben Anträge eingebracht, die
aufzeigen, wie die Liberalisierung beschleunigt und der
Markt optimal und fair gestaltet werden kann. Wir stehen für Wettbewerb und Marktwirtschaft im Energiebereich und sind davon überzeugt, daß sie für wesentlich
mehr Effizienz sorgen werden. Was im Augenblick auf
dem Markt geschieht, zeigt, daß große Effizienzspielräume vorhanden waren. Wir glauben ferner, daß dies
die Entwicklung von Innovationen beschleunigt und daß
es richtig ist, daß heutzutage der Bürger als Stromkunde
nicht mehr ein Gefangener ist, sondern selbst darüber
entscheiden kann, bei wem er welche Art von Strom
kauft.
({1})
Deswegen sagen wir ein eindeutiges Ja zur Liberalisierung des Marktes.
Allerdings sind Sie, die Sie die Liberalisierung ebenfalls begrüßen, dieses Problem sehr dilettantisch angegangen. Sie waren nämlich auf einem Auge blind und
haben nur die niedrigen Preise gesehen. Als Politiker,
der Verantwortung trägt - wir alle tragen Verantwortung
-, hat man sein Augenmerk auch auf die Frage der Zukunftsfähigkeit unserer Energieversorgung zu richten:
ob die Energieversorgung Stück für Stück umweltverDankward Buwitt
träglicher wird - die Energieversorgung leistet ja einen
großen Beitrag zur Verstärkung des Treibhauseffektes;
auch müssen wir auf die Endlichkeit der Ressourcen
Rücksicht nehmen - und ob wir Rahmenbedingungen
schaffen, die in die richtige Richtung weisen. Auf diesem Auge aber waren Sie bei der von Ihnen vorgeschlagenen Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes hundertprozentig blind; auf diesem Gebiet müssen wir jetzt vieles nacharbeiten. Uns geht es nicht nur
um niedrige Preise. Unser Ziel ist es vielmehr, den
Markt über den Wettbewerb mit dem Umweltschutz zu
versöhnen.
Die aktuellen Probleme dabei sind sehr groß. Die
Stadtwerke schalten teilweise jetzt schon die KraftWärme-Kopplungsanlagen ab, obwohl es sich dabei um
hocheffiziente Energieerzeugungstechnologien handelt.
Für die Erzeugung regenerativer Energien vergeben die
Banken keine Kredite mehr, weil die Einspeisungsvergütungen nach dem Stromeinspeisungsgesetz drastisch
sinken werden, da sie an die allgemeinen Strompreise
gekoppelt sind, und dann das Betreiben von Wind- und
von Biomasseanlagen nicht mehr rentabel sein wird.
Wenn wir jetzt nicht aufpassen, werden uns Techniken
der hocheffizienten Energieerzeugung wegbrechen und
wird der Aufbruch bei den erneuerbaren Energien zum
Stillstand kommen. Hier muß also sofort gehandelt werden.
Von der Opposition gibt es keine Vorschläge; ich habe jedenfalls bisher kein Wort dazu gehört. Der einzige Vorschlag, der von Ihrer Seite gekommen ist, sah
vor, eine Enquete-Kommission „Energie“ zu bilden, die dann drei Jahre tagt. Das würde aber bedeuten,
daß dann, wenn sie zu Ende getagt hat, der Markt für
diese Bereiche kahlgefegt wäre. Das ist nach dem
Motto: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, dann gründe
ich einen Arbeitskreis. Ich bin nicht gegen die Enquete-Kommission, aber ich glaube, daß wir nicht mehr
drei Jahre Zeit haben, um die Fragen Umweltverträglichkeit und Markt zusammenzubringen, denn dann
ist der Zug abgefahren. Wir müssen in dieser Frage
relativ schnell handeln und Ihren Gesetzentwurf nachbessern.
({2})
Was die Diskussion in der SPD zu diesem Punkt angeht, kann ich nur sagen: Ich verstehe durchaus Ihre
Sorgen, was die Stadtwerke betrifft. Die Stadtwerke
sind jetzt natürlich hochgradig gefordert, wenn es um
Wettbewerb geht. Sie haben es mit Konkurrenten zu tun,
die auf Grund der Monopolwirtschaft wahrlich prall gefüllte Kassen haben. Aber man muß sagen: Zum einen
sind Stadtwerke nicht unbedingt gleich Umweltschutz.
Es gibt auch Stadtwerke, die nicht sehr umweltverträglich produzieren. Zum anderen kann es nicht angehen,
daß man in einem Wettbewerb Unternehmen stützt, weder indem man Schutzzäune um diese Unternehmen
zieht, noch indem man sie in irgendeiner Form subventioniert,
({3})
weder große noch kleine, weder öffentliche noch private. Die Unternehmen müssen auf dem Markt diskriminierungsfrei, aber wettbewerbsneutral agieren.
Was wir im volkswirtschaftlichen Interesse für den
Umweltschutz tun können, ist, mit marktkonformen
Mitteln bestimmte Technologien zu fördern, wie die
Kraft-Wärme-Kopplung oder auch die erneuerbaren
Energien. Das ist ein gangbarer Weg, wenn man marktkonforme Instrumente findet. Aber bestimmte Unternehmen im Markt zu subventionieren oder Schutzzäune
zu ziehen ist, glaube ich, der falsche Weg.
({4})
Von daher kann man sagen: Die Ziele bleiben, aber
der Weg in der Energiepolitik muß sich ändern, sonst
wird man auch die Ziele nicht erreichen. Herr Müller hat
in diesem Zusammenhang vorgestern einen sehr interessanten Vorschlag auf den Markt gebracht. Herr Müller,
Sie wissen selbst, daß dieser Vorschlag weder mit dem
EU-Recht kompatibel ist noch jemals praktiziert werden
kann. Es würde von den Bürgern in keiner Weise akzeptiert werden, daß der Bürgermeister einer Stadt sagt:
„Ich entscheide, daß es in dieser Kommune keine freie
Wahl gibt“, aber eine Straße weiter die freie Wahl möglich ist. Die verschiedenen Unternehmen werben, ob für
grünen, gelben, roten oder blauen Strom, bundesweit,
und der Bürger darf nicht wählen, weil der Bürgermeister entscheidet: Bei uns nicht. Das ist nicht praktikabel,
das würde keine einzige Kommune machen. Von daher
ist Ihr Vorschlag sehr schlitzohrig.
({5})
Ich glaube, daß dieser Vorschlag keinerlei Chance
hat, jemals Recht zu werden.
({6})
Soweit ich weiß, ist das auch nicht die Position der SPD.
Damit sollte die Debatte über diesen Vorschlag endgültig abgeschlossen sein. Dieser Vorschlag muß endgültig
vom Tisch.
({7})
Ernsthaft diskutieren muß man die Frage, wie man
mit der Versorgungssicherheit umgeht. Das bewegt die
SPD teilweise. Ich glaube, daß das überhaupt kein Problem ist. Das Problem, daß irgend jemand keinen
Stromlieferanten findet, wird es auf dem zukünftigen
Markt angesichts der Überkapazität nicht geben. Deswegen glaube ich auch nicht, daß man irgendeine Absicherung für die Versorgungssicherheit in diesem Bereich braucht. Man braucht ebenso niemanden, auch die
Stadtwerke nicht, der im Zweifelsfall Stand-by steht und
dem Bürger, der keinen Stromlieferanten findet, den
Strom liefert.
Von daher sagen wir auch in bezug auf die Diskussion um Garantielieferanten: Das wird mit uns nicht zu
machen sein. Eine Art Gebühr für den Wechsel des
Stromlieferanten ist nicht marktkonform und paßt nicht
in das System. Deswegen lehnen wir auch diesen Vorschlag ab.
({8})
Ich glaube aber, daß wir in vielen Punkten entlang der
Linie tatsächlich etwas tun können. Wir wollen den
Umweltschutz im Markt erhalten. Da möchte ich einmal
einige Punkte nennen, die wir gemeinsam machen können und auf die wir uns aus meiner Sicht sehr schnell
verständigen sollten. Gut wäre es natürlich, wenn wir
das noch vor der Demonstration der Stadtwerke am
27. September schaffen würden.
Das erste ist die Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes. Da spreche ich jetzt auch die Kollegen
der Opposition an, denn das haben wir zusammen gemacht. Vorher waren wir in der Opposition und Sie in
der Regierung.
({9})
- Nein, Herr Uldall, bei Ihnen nicht, das stimmt.
({10})
Das Stromeinspeisungsgesetz haben wir hier einstimmig verabschiedet. Ich hoffe und würde es mir sehr
wünschen, daß uns dies, Herr Austermann, Herr Hircher,
Herr Carstensen, Herr Ramsauer und wie Sie alle heißen, mit denen wir immer aktiv und produktiv zusammengearbeitet haben, auch diesmal gelingt. Nach unseren Vorstellungen müssen die Preise unbedingt stabilisiert, nicht erhöht werden, damit sie nicht drastisch sinken; gleichzeitig müssen wir, um den EUAnforderungen gerecht zu werden, aber auch differenzieren. Das heißt, daß es für windstärkere Standorte eher
eine niedrigere Einspeisevergütung gibt und für windschwächere Standorte länger der erhöhte Einspeisevergütungssatz gilt. Das wäre eine Möglichkeit, zu differenzieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, daß Windund Biomasseanlagen auch in Zukunft rentabel auf dem
Markt betrieben werden können.
Ein weiterer Beitrag im Rahmen des Stromeinspeisungsgesetzes wäre, demnächst, also wahrscheinlich
schon im nächsten Jahr, einen 5-Prozent-Deckel greifen
zu lassen. Dann könnten Anlagen von 190 Megawatt an
der Küste nicht mehr gebaut werden. Hier besteht
Handlungsbedarf. Wir haben ja schon gemeinsam über
verschiedene Vorschläge diskutiert; es wird wohl zu einer bundesweiten Umlage kommen, durch die die regionalen Unterschiede zwischen Nord und Süd und vor
allem zwischen dem Norden und der Mitte ausgeglichen
werden können. Ein Ausgleich der regionalen Ungleichgewichte wäre neben der Regelung der Netzanschlußkosten und anderer Punkte ein wichtiger Bestandteil. Wir sollten auch die Geothermie aufnehmen
und die Biomasse vielleicht noch ein bißchen besserstellen, damit das von uns angeschobene Förderprogramm noch Unterstützung durch das Stromeinspeisungsgesetz erhält.
All diese Punkte halte ich für sehr sinnvoll. Ich würde
mich freuen, wenn das ganze Haus hierbei wieder zusammenarbeitet und diesen Gesetzentwurf gemeinsam
auf den Weg bringt.
({11})
Ein zweiter Punkt ist sehr wichtig: In absehbarer Zeit
- Ende September - läuft die Verbändevereinbarung
für den Netzzugang aus. Wir haben immer gesagt:
Wenn sie sich bewährt, ist alles in Ordnung, wenn sie
sich aber als schlecht herausstellt, muß es dringend eine
Netzzugangsregelung geben. Was ich bisher gehört habe, hört sich gar nicht schlecht an, aber jetzt ist der Zeitpunkt, Kriterien dafür zu definieren, was gut und
schlecht ist. Kriterien wären meines Erachtens die
Transparenz, die Börsengängigkeit oder auch die Frage,
ob dezentrale Stromerzeuger deutlich geringere Durchleitungsgebühren als Großkraftwerke bezahlen müssen.
Dabei handelt es sich nicht um eine Subventionierung
oder Bevorzugung, sondern es geht schlicht und einfach
um Kostengerechtigkeit.
Die Hoch- und Höchstspannungsnetze müssen nämlich nur deshalb aufrechterhalten werden, weil beim
Ausfall eines Großkraftwerks von einem anderen Großkraftwerk auf einen Schlag sehr viel Strom in das betreffende Gebiet geleitet werden muß. Bei dezentraler
Stromerzeugung wären diese Netze nicht notwendig.
Deswegen sollen die dezentralen Erzeuger auch nicht
zur Finanzierung dieser Netze herangezogen werden,
und deswegen
({12})
ist es richtig, von den dezentralen Erzeugern eine geringere Vergütungssumme zu verlangen. Wenn das gelingt,
wäre das ein sehr modernes und marktkonformes Mittel,
um umweltverträgliche Energieerzeugung zu unterstützen, denn diese geschieht fast immer dezentral.
({13})
- Sie werden ja sehen, ob es abenteuerlich ist. Ich höre,
daß bei den Beratungen zur Verbändevereinbarung genau über diesen Punkt diskutiert wird und die Wahrscheinlichkeit, daß wir uns bei dieser Frage durchsetzen,
sehr groß ist. Sie können die Verbändevereinbarung
dann ja als abenteuerlich bezeichnen und ablehnen. Das
werden wir ja sehen.
({14})
Auf jeden Fall ist das eine Chance für die KraftWärme-Kopplung und die erneuerbaren Energien. Wenn
es für diese Energiearten noch einmal eine um 2 Pfennig
geringere Durchleitungsgebühr gibt, bedeutet das, daß
eine Kilowattstunde aus Kraft-Wärme-Kopplung auf
dem Markt besser dasteht als eine Kilowattstunde aus
Atomkraftwerken oder großen Kohlekraftwerken. Hierin
liegt auch eine Chance für die Stadtwerke. Deswegen ist
dies ein wichtiges Instrument, um die Stadtwerke zu
stützen. Ich weiß, daß auch der Verband kommunaler
Unternehmen dieses Kriterium für sehr wichtig hält.
Ein dritter Punkt ist, daß die Kraft-WärmeKopplung wahrscheinlich noch weitere Sicherungsinstrumente braucht. Herr Müller hat vorgeschlagen, ein
Modernisierungsprogramm für Fernwärme und Kohle
aufzulegen. Ich finde das gut, weil, egal was wir tun,
gerade diese Kraftwerke noch eine Zeitlang Probleme haben werden. Ihnen zu helfen, sich umzustellen
und auf den Wettbewerb einzustellen, wäre der optimale
Weg.
Sicherlich ist bei der Ökosteuer eine entsprechende
Ausgestaltung wichtig, damit die Kraft-Wärme-Kopplung nicht durch eine Doppelbesteuerung von Gas und
Strom benachteiligt wird. Das haben wir im Kabinett
schon beschlossen.
Drittens müssen wir diskutieren, ob diese Maßnahmen reichen oder ob nicht doch eine Quote für die
Kraft-Wärme-Kopplung notwendig ist. Diese Quote
müßte allerdings wettbewerbskonform ausgestaltet sein:
Derjenige, der zertifizierten Strom aus Kraft-WärmeKopplung anbietet, muß den Zuschlag erhalten. Und an
der Börse muß der ökonomisch effizienteste Strom gekauft werden können, der auf dem Markt angeboten
wird. Das darf keine Ausnahmeregelung sein.
Frau
Hustedt, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ja.
Ich glaube, mit diesen Maßnahmen können wir es tatsächlich schaffen, die Liberalisierung bis zum letzten
Bürger durchzusetzen. Gleichzeitig sorgen wir dafür,
daß die umweltverträgliche Energieerzeugung nicht unter die Räder der Liberalisierung kommt. Das ist der
richtige Weg für die Zukunft. Ich hoffe, bezüglich dieses
Punktes werden wir in nächster Zeit zu einem gemeinsamen Antrag kommen.
Danke.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Rainer Brüderle von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Minister Müller, letzte Woche
war die Stunde der Wahrheit. Das Statistische Bundesamt hat das reale Wachstum festgestellt: 0,8 Prozent.
Das ist die Bilanz Ihrer bisherigen Tätigkeit. Damit sind
wir in Europa das Schlußlicht.
Daher rührt es auch, wenn renommierte Wirtschaftsfachzeitungen wie der „Economist“ schreiben, daß
Deutschland der „kranke Mann des Euro“ sei. Die
Schwäche Deutschlands ist die Schwäche von EuroLand. Weil wir zu wenig Dynamik haben, geht der Zug
nicht richtig voran. Die Arbeitslosigkeit stagniert auf
unerträglich hohem Niveau; saisonbereinigt nimmt sie
sogar zu.
Gestern kam vom Statistischen Bundesamt die Meldung, daß das Handwerk, entscheidende Stütze unserer
Wirtschaft, Herzstück des Mittelstands, Arbeitsplätze
abbaue. Beim Handwerk gehen Arbeitsplätze verloren.
Wie soll es denn zu einer Veränderung kommen? Heute
wurde gesagt, man solle den Standort nicht schlechtreden. Ja, das soll man nicht. Sie können ihn aber auch
nicht gesundbeten. Sie können doch nicht über die Probleme hinweggehen; so glaubt Ihnen keiner mehr. Die
Abstimmung auf den Märkten ist die Abstimmung über
Fehlentscheidungen.
({0})
Die nüchterne, ja ernüchternde Bilanz des fast vollendeten ersten Jahres Ihrer Regierungstätigkeit ist eine
traurige. Sie reden sich aber immer wieder heraus.
Sie versuchen, alles auf die Vorgänger zu schieben. Diese Erblastlüge kann man aber nicht beliebig lange
vor sich herschieben. Es sind Ihre Arbeitslosen, es ist
Ihre Konjunkturflaute. Damit müssen Sie fertig werden.
({1})
Das ist doch alles durchschaubar: Sie kommen an die
Regierung und reden alles schlecht, an allem seien die
Vorgänger schuld. Damit versuchen Sie, über Ihre eigene Untätigkeit hinwegzutäuschen.
Offiziell rechnen Sie mit einer Wachstumsrate von
1,6 Prozent. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung - nicht gerade regierungskritisch, Ihnen sehr
gewogen - rechnet mit 1,3 Prozent. Im „Spiegel“ vergangener Woche konnte man es nachlesen: Auch in internen Papieren Ihres Hauses heißt es - ich zitiere -:
Bereits ein Jahresdurchschnitt von 1,3 Prozent setzt
eine sehr spürbare Belebung im Verlauf des Jahres
voraus.
Wo ist denn die spürbare Belebung? Man spürt nichts
davon. Deshalb werden Sie Ihre Ziele nicht erreichen.
Diese verfehlte Wirtschaftspolitik schlägt sich auch in
Ihrem Haushalt nieder. Sparen ist notwendig, aber Sparen kann nicht buchhaltermäßig heißen: einfach kürzen.
Selbst beim Sparen braucht man Verstand und Kreativität. Auch Sparen muß man richtig machen.
({2})
- Daß Ihnen das weh tut, verstehe ich; aber es ist die
Wahrheit. Einer muß es Ihnen doch sagen.
Zum Subventionsabbau: An die Kohlesubventionen
trauen Sie sich nicht heran; denn da geht es um Ihre sozialdemokratischen Kernländer. Vielleicht wird dies
jetzt im Saarland geschehen; denn da gibt es eine neue
Mehrheit. Sie geben pro Beschäftigten im Bergbau
über 100 000 DM an Subventionen aus. Sie verhindern
damit den Strukturwandel. Sie schaffen so keine ArMichaele Hustedt
beitsplätze, und Sie verhindern das Entstehen neuer
Arbeitsplätze.
({3})
Was könnte man mit 8 Milliarden DM
({4})
beispielsweise hinsichtlich Existenzgründungen machen? Nein, es wird eisern daran festgehalten und verbrämend gesagt: Wir sind vertragstreu. - Sie haben
einen Amtseid auf dieses Land geleistet. Sie müssen
handeln, damit Sie herunterkommen von dieser Fehlentwicklung, damit Sie eine neue Entwicklung in unserem Lande einleiten.
({5})
Sie haben da tolle Ideen.
({6})
- Ich möchte bei zehn Minuten Redezeit keine Zwischenfrage zulassen. Sie können anschließend eine
Stunde reden.
Herr
Brüderle, gilt das generell?
Ich lehne generell jede
Zwischenfrage ab, weil ich die zehn Minuten am Stück
reden will.
Es ist
nur so, daß die Zeit nicht angerechnet wird.
Alles klar.
Zum Subventionsabbau haben Sie ja tolle Vorschläge. Das soll nicht mehr die Regierung tun, sondern bei
Ihnen sollen die Subventionsempfänger die Subventionen abbauen. Da können wir die Stelle des Wirtschaftsministers doch ganz sparen - da sparen wir wenigstens
ein paar Mark -, wenn sie alles selbst machen sollen.
({0})
Sie haben nicht den Mut umzustrukturieren. Daran
fehlt es. Dem Mittelstand, der die eigentliche Chance
zur Schaffung neuer Arbeitsplätze ist, werfen Sie weitere Knüppel zwischen die Beine. Dort wird gespart. Dort
streichen Sie. Aber es ist genau falsch, beim ERPProgramm, bei der Handwerksförderung, bei den Kleinen zu sparen. An die großen Konzerne, beispielsweise
die Ruhrkohle AG - dies sage ich nicht, weil Sie früher
in dem Bereich tätig waren -, gehen Sie nicht heran.
Aber bei den kleinen Handwerkern kann man ja kürzen.
Das ist mutig!
({1})
In Ihrem wunderschön bebilderten Müller-Comic
steht, daß 20 Redakteure mitgewirkt haben. Vielleicht
legen Sie einmal dar, was ein Exemplar kostet. Es sind
wenig Informationen, aber viele Bilder enthalten. Ich
gebe zu, es sind nicht lauter Müller-Bilder; aber zur Sache selbst gibt es wenig Informationen.
Darin schreiben Sie - das klingt wie Hohn - , Sie
schaffen neue Spielräume für mittelständische Unternehmen. Das tun Sie doch gar nicht! Sie machen doch
genau das Gegenteil bei den 630-Mark-Jobs, Sie machen
das Gegenteil bei der Scheinselbständigkeit. Menschen,
die etwas tun wollen, werden durch Ihr Vorgehen fast
kriminalisiert.
({2})
Dann kommt der Höhepunkt in diesem MüllerComic. Sie toppen Ihre irreführende Botschaft noch mit
der Aussage - ich zitiere -:
Gewinner der grün-roten Unternehmensteuerreform
werden die mittelständischen Betriebe des Handwerks sein.
- Das ist unglaublich. Denn das ist schlichtweg falsch,
und das wissen Sie auch. Sie haben es doch neulich zugegeben. Sie wollen aus der Unternehmensteuerreform im Kern eine Körperschaftsteuersatzreform machen. 90 Prozent der Betriebe in Deutschland sind Personengesellschaften, die davon nicht profitieren werden.
Ihr Optionsmodell ist der Gipfel, was Bürokratiekosten, Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung - etwa die
Behandlung der Privatentnahme - angeht. Es geht um
mehrjährige Bindungsfristen, die Mittelständler so gar
nicht erfüllen können.
Es hat seinen Grund, daß der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium und verschiedene
Forschungsinstitute diese grünrote Unternehmensteuerreform ablehnen; denn sie halten sie zu Recht für falsch.
Hören Sie doch einmal auf Herrn Struck.
({3})
Herr Struck - er ist nicht da - sagt gelegentlich etwas
Vernünftiges, indem er sich für das F.D.P.Steuermodell ausspricht, das Herr Solms erfunden hat.
({4})
Dieses Modell sieht drei Steuersätze von 15, 25 und 35
Prozent vor; es führt zu einer konsequenten Vereinfachung. Er darf es zwei Tage sagen. Dann wird er zusammengebatscht, daß er sich nicht mehr traut. Das wären doch die Schritte, die man konsequent machen sollte. Das wäre das richtige Format, um an die Dinge richtig heranzugehen.
Herr Müller, Sie haben sich als Ankündigungsminister profiliert. Sie erklären, Sie wollen die Staatsquote
senken, Sie wollen die Tarifpolitik flexiblisieren, die
Arbeitslosenversicherung reformieren. Das hört sich gut
an und ist sehr vernünftig. Aber Sie haben nie ein Konzept vorgelegt. Sie finden kein Gehör im Kabinett. Sie
sind doch für diese falsche Politik das ordnungspolitische Feigenblättchen. Sie geben sich für eine falsche
Politik als Deckmäntelchen her.
({5})
Völlig unklar ist, wohin die Reise in der Energiepolitik geht. Wegen der permanenten Koalitionskrisen wird
das Symbolthema der Grünen, der schnelle Ausstieg aus
der Kernenergie, irgendwo unter dem Teppich versteckt. Es gibt einen orientalischen Basar über die Restlaufzeiten: Wie hätten Sie es denn gern? Mal heißt es 30
Jahre, mal 25, mal 26 oder 27 Jahre. 26,5 Jahre, Herr
Müller, habe ich noch nicht gehört. Das wäre eine neue
Variante. Hier ist keine klare Linie erkennbar. Das ist
doch keine Politik, sondern das ist Trallala-Ökonomie,
was Sie machen.
Ein Energiekonsens ist auch mit dem Fernrohr nicht
erkennbar. Die diffuse Diskussion in bezug auf die
Kernenergie und die starre Haltung der Grünen führen
dazu, daß wir nicht weiterkommen, Weltmarktchancen
im Rahmen moderner Technologien und damit auch
Chancen für Arbeitsplätze nicht wahrnehmen und beim
Klimaschutz nicht vorankommen, weil der ideologisch
zu begründende schnelle Ausstieg aus der Kernenergie
Vorrang hat. Die Grünen brauchen ja dieses Thema, um
zu versuchen, die Atomkraftgegner, die sie in die Regierung gewählt haben, zufriedenzustellen. Das ist in der
Sache falsch. Das ist für die Arbeitslosen und auch für
die Zukunftsentwicklung falsch.
({6})
Mit der Liberalisierung der Strommärkte haben
wir unter der Federführung von Günter Rexrodt endlich
einen Durchbruch in Deutschland erreicht. Jetzt fängt
der Wettbewerb auf dem Energiesektor an; jetzt spüren die Verbraucher ähnlich wie bei der Liberalisierung
des Telefonmarktes - Sie waren auch gegen diese
Liberalisierung, weil Sie das Monopol der durch die
Gewerkschaft bestimmten Betriebe nicht abschaffen
wollten -, was Wettbewerb bedeutet, nämlich daß der
Kunde König ist und nicht die Gewerkschaft der Stadtwerke und deren Direktoren, die meistens einer Couleur
sind.
({7})
Da fällt Ihnen gleich ein Weg ein, wie man den Menschen durch die Ökosteuer die Vorteile aus der Senkung
der Stromkosten wieder wegnimmt. Stromkosten stellen
ja eine hohe Vorbelastung dar. Den Kleinabnehmer kostet eine Kilowattstunde im Schnitt 35 Pfennig. Große
Konzerne zahlen 8, 9, 10 bzw. 11 Pfennig pro Kilowattstunde. Die Kleinen zahlen also das Dreifache. Deshalb
ist die Politik des Wettbewerbs, die der Liberalisierung,
eine Politik für die kleinen, für die tüchtigen Menschen,
also kein Kotau vor großen Konzernen, sondern eine
konsequente Mittelstandspolitik.
({8})
Wen wollen Sie vor dem Wettbewerb schützen? Haben Sie doch einmal Mut zum Markt! Es fängt gerade
erst an. Die hohen Strompreise sind doch ein Standortnachteil. Viele Arbeitslose stehen deshalb auf der Straße, weil die Strompreise in Deutschland, verglichen mit
unseren Wettbewerbern in den Nachbarländern, zu hoch
sind. Die Arbeitslosen bekommen nur dann eine Chance,
wenn wir hier vergleichbare Konditionen haben. Deshalb muß die Liberalisierung konsequent fortgesetzt
werden.
({9})
Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Und Ihr
Vorgehen ist falsch. Sie erreichen keinen Fortschritt,
wenn Sie im Strombereich eine Regulierungsbehörde,
eine Ökoquote oder sogar vielleicht noch eine Frauenquote vorsehen. Das ist doch alles Quatsch hoch drei.
Sie müssen durch vernünftige Leistungen ein vernünftiges Preisbild ermöglichen, damit wir hier Fortschritte erreichen. Deshalb sollte man bei der Liberalisierung bleiben. Jetzt entsteht endlich einmal ein gewisser Strommarkt. Statt ihn zu bewahren, überlegen Sie gleich wieder, wie Sie davon wegkommen.
Ich möchte zum Schluß Ihren Wirtschaftsbericht in
einem weiteren Satz zitieren. Sie schreiben dort, Sie
wollten eine transparente, in sich konsistente wirtschaftspolitische Konzeption mit klaren Zielen und
Maßnahmen, die Vertrauen und Rückhalt in Wirtschaft
und Gesellschaft finden und die Eigeninitiative der
Wirtschaft stärken.
So weit der Text der Werbebroschüre des Herrn
Müller. Die Realität ist völlig anders. Tun Sie doch endlich das, was Sie schreiben! Dann wird es besser.
({10})
Als
nächster Redner hat der Kollege Rolf Kutzmutz von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Anmerkungen zu Beginn. Erstens. Wirtschaftsminister, so scheint es, neigen zu Formulierungen, die ihnen wohl ewig hinterherschleichen
werden. Erst kommt Herr Rexrodt mit seiner Formulierung „Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt“, und nun
kommt Herr Müller und sagt: „Ich lasse mir für die Belange der Wirtschaft den Kopf blutig schlagen.“
Die Differenzierung ist schon wichtig: „für die Wirtschaft“ und nicht „von der Wirtschaft“.
({0})
Herr Müller, meine Freude darüber, Sie hier so unversehrt zu sehen, ist aufrichtig.
Zweitens. Während der Haushalt des Jahres 1999 in
vielen Punkten den Vorstellungen der Herren Waigel
und Rexrodt entsprach, wurde der Entwurf für das Jahr
2000 allenthalben als echter Ausweis für rotgrüne Politik und damit als Nagelprobe für deren wirtschaftspolitische Vorstellungen gewertet. Schon der Blick auf die
Eckwerte zeigt zweierlei: Die kritisierte Entwicklung
des in den vergangenen Jahren erfolgten Abbaus der
Wirtschaftsförderung wird fortgesetzt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erscheint - Sie
können es drehen und wenden, wie Sie wollen - wie die
Finanzabteilung einer „Deutschen Steinkohle AG“.
Schließlich sollen fast 8,2 des auf knapp 15 Milliarden
DM geschrumpften Etats der Subventionierung des
Steinkohleabsatzes und der von Zechenstillegungen dienen.
Ich will deutlich sagen: Es ist das Verhältnis der Größen im Haushalt, das störend wirkt. Herr Müller hat
selbst angeführt, daß die gesamte Einsparung, die er
erbringen muß, praktisch in den anderen Bereich geht.
Das zeigt: In der Durchführung des Haushalts wird es
noch große Probleme geben.
Wohlgemerkt, auch wir wenden uns keineswegs gegen die Hilfen für die Umstrukturierungsprozesse im
Steinkohlebergbau. Wir Sozialisten plädieren aus regionalpolitischen wie auch aus volkswirtschaftlichen
Gründen sogar für den Erhalt von Zechen, so wie wir
seit Jahren für eine behutsame Umstrukturierung der
ostdeutschen Braunkohlereviere kämpfen.
({1})
Aber nicht nur wir sollten uns fragen, wieso die Kohlebosse plötzlich auf eine halbe Milliarde DM freiwillig
verzichten wollen - „substantielle Minderansprüche“
heißt das -, zumindest für das Jahr 2000, und das angesichts der erbitterten Preiskämpfe auf den Strommärkten. Wir werden die Regierung in den Ausschußberatungen sehr nachdrücklich fragen, wieso sie 406 Millionen
DM Zuschüsse zum Kapazitätsabbau ausschütten will,
die im aktuellen Kohlevertrag von 1997 nicht vorgesehen waren. Das ist auch wieder ein Punkt: Sie waren halt
nicht vorgesehen. Zur Vertragstreue gehört nicht nur,
über die Höhe der Summen zu reden, sondern es gehört
dazu ebenfalls, über die Verwendung der Gelder zu
sprechen. Auch darüber muß man Kontrolle ausüben.
({2})
Dies nur als Gegenbeispiel gegen die angebliche Alternativlosigkeit der vorgelegten Sparpapiere. Die darin
offenbarten politischen Gestaltungsspielräume sind tatsächlich bisher gleich null. Wenn der Kanzler und sein
Spitzenpersonal aus Regierung und Koalitionsparteien
pausenlos mit der Losung „Es gibt keine Alternative“
durch die Lande ziehen, dann sage ich Ihnen aus eigener
bitterer Erfahrung: Diese Losung kenne ich; ich kenne
sie aus der DDR. Ich habe sogar lange an sie geglaubt.
Ich will nur sagen: Spätestens vor zehn Jahren ist der
Beweis erbracht worden, daß es durchaus Alternativen
zu dem gibt, was Obrigkeiten festlegen.
({3})
Wir werden auch diesmal Alternativen sehen.
Auch Sie, Herr Bundesminister Müller, dachten vor
Monaten ja noch an andere Wege. Es handelte sich nicht
um Größenordnungen, die denen der Wende vergleichbar wären. Sie haben zum Beispiel die Idee des „Zukunftspfennigs“ in die Diskussion gebracht. Was ist aus
dieser Idee geworden? Gibt es sie noch? Wird sie jemals
wieder aufleben? Wie werden wir damit umgehen?
Nicht nur die erneuerbaren Energien hätten so etwas nötig. Denn das jetzt vorliegende Sparprogramm schlägt in
der Wirtschafts- und Technologieförderung voll durch.
Es hat also mit Zukunft überhaupt nichts zu tun.
Die Kürzungen gegenüber dem laufenden Jahr liegen
in den politisch wichtigsten Feldern noch über dem
Durchschnitt der Kürzungen des Gesamtetats. Sehen
Sie, Herr Minister: Ende Juli loben Sie in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht 1999 noch die - ich zitiere - verbesserte Förderpolitik für den innovativen Mittelstand.
Zur selben Zeit gehen bei den wichtigsten Förderprogrammen per Haushaltssperre die Rolläden herunter.
Wenn man etwas zu den Folgen erfahren will, braucht
man sich nur die aktuelle Ausgabe der Infos der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen anzusehen: Rotstift lähmt Innovationsförderung Haushaltssperre von 12 Prozent erzwingt Förderstop.
Im nächsten Jahr geht es so weiter: Der Planansatz
der Mittel für Forschung und Entwicklung sowie für Innovationsanwendungen, insbesondere in kleineren Unternehmen und im Osten - um beim genannten konkreten Beispiel zu bleiben -, schrumpft um 9,5 Prozent.
Das trifft nicht nur, aber gerade auch die wirtschaftliche
Gesundung der neuen Länder. Der Sprecher der ostdeutschen SPD-Abgeordneten, Kollege Mathias Schubert,
ließ gestern in seiner und meiner Heimatzeitung mitteilen, der Aufbau Ost müsse nicht nur Chef-, sondern
Herzenssache sein.
({4})
Solche Kritik am Kanzler ist berechtigt, aber folgenlos,
solange nur am Personalkarussell gedreht werden soll.
Es ist ja interessant und manchmal auch amüsant zu lesen, was in den letzten Tagen über Personen so geschrieben wird. Frau Hildebrandt spricht zweifellos die
Herzen mehr an als Herr Schwanitz, aber auch ein engagierterer Verkauf verbessert das Produkt noch lange
nicht.
({5})
Hier muß sich etwas ändern, und zwar grundlegend.
Natürlich wird die PDS in den Haushaltsberatungen
Änderungen beantragen, damit mehr Mittel in den ökologischen Umbau und zur Stabilisierung von Kleinunternehmen und Existenzgründern fließen können. Also
soll es sowohl auf der Einnahmeseite als auch bei den
Kosten Einsparungen geben. Klar ist aber ebenso: Ohne
grundlegenden Umbau der gesamten Förderkulisse bleiben alle Aktivitäten kurzatmig, stehen wir nächstes Jahr
wieder vor denselben Problemen. Deshalb wird unsere
Fraktion noch in diesem Jahr einen Antrag zur grundlegenden Reform der Wirtschaftsförderung in das
Parlament einbringen - übrigens Vorschläge, die von
den Wirtschaftspolitikern von SPD und Grünen in der
vergangenen Wahlperiode im Fachausschuß nicht abgelehnt wurden. Vielleicht erinnern sich die heutigen Koalitionsparteien mancher ihrer eigenen früheren Ideen
für eine neue Wirtschafts- und vor allem neue Steuerpolitik. Wir sollten gemeinsam alles dafür tun, die Debatte, die jetzt geführt wird, vom Kopf auf die Füße zu
stellen.
Hinsichtlich einer zukunftsorientierten Politik auch
im Wirtschaftsbereich muß doch gefragt werden: Erstens. Was braucht die Gesellschaft? Zweitens. Wie
kommt man zu den erforderlichen Mitteln für das als
notwendig Erkannte? Die Frage kann nicht weiterhin
lauten: Wie kann der Staat um jeden Preis sparen? Solange Sie von der Koalition weiter dieser Unlogik des
Neoliberalismus folgen, so lange werden Sie und über
eine wegbrechende Wahlbeteiligung die Demokratie mit
jedem Wahlsonntag einen höheren Preis zahlen. Denn
etwas Überflüssigeres als eine schwarze SPD und gelbe
Grüne kann auf dem Stimmzettel kaum erscheinen.
Echte Alternativen und nicht radikal durchgezogene
Plagiate schon gescheiterter Konzepte sind gefragt, und
die vermisse ich hier.
({6})
Als
nächster Redner hat der Kollege Ernst Schwanhold von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ich will auf Herrn
Brüderle eingehen, der hier eine Rede wie im Festzelt
gehalten hat, die einige Brüche aufwies, die man darstellen muß.
Er wirft uns quasi vor, daß 8 Milliarden DM viel
Geld seien und daß man damit viel anderes hätte tun
können. Was meinen Sie, Herr Brüderle, was wir mit
den 82 Milliarden Zinsen tun könnten, von denen Sie jedenfalls gute Teile verursacht haben?
({0})
Was meinen Sie, was man mit den 1,5 Billionen DM
machen könnte, die wir jetzt als Schulden zu tilgen haben? Davon leben nur Couponschneider und nicht diejenigen, die in Arbeitsplätze investieren; ausschließlich
Couponschneider.
({1})
Ich will Ihnen einen zweiten Punkt nennen: Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen: Wollen Sie
den Abbau von Subventionen, oder wollen Sie ihn
nicht? Nun kann man sagen, da sind wir noch nicht weit
genug gekommen; sich aber 3 Minuten später hierherzustellen und Subvention eins, zwei, drei, vier, fünf für Ihre Klientelpolitik, die Sie betreiben, zu fordern, ist ein
Bruch in der Rede. Da müssen Sie sich entscheiden.
({2})
Das ist bei Ihrer Politik durchgängig so. Sie wissen
nicht, was Sie wollen, sondern Sie sind nach allen Seiten
hin offen. Deshalb - hören Sie sich das gut an - hat Ihnen mal gerade 1 Prozent der Wählerinnen und Wähler
in Thüringen ihre Zustimmung gegeben. Das ist die
Antwort auf Ihre Art, hier Demagogie zu betreiben.
({3})
Einerseits Steuerschlupflöcher zu schließen und andererseits Steuern zu senken, damit der Faktor Arbeit
entlastet wird und die Unternehmen zur Kapitalbildung
kommen und investieren können, das ist genau der richtige Weg. Aber selbst dazu haben Sie sich nicht bekannt.
Wo sollen denn die Steuerschlupflöcher geschlossen
werden? Sie wollen dann immer wieder noch so tun, als
ob Sie einerseits diese Botschaft überbringen könnten,
aber anderseits müsse man hier oder da das, was man
getan hat, völlig ungerechtfertigterweise wieder zurücknehmen.
Auch hier müssen Sie sich entscheiden. Entweder
wird es niedrige Steuersätze geben, damit Gewinne in
den Unternehmen bleiben, damit investiert werden kann
und damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Entlastung erfahren, oder wir tun das, was Frau Hasselfeldt und Sie sagen: Wir öffnen die Steuerschlupflöcher wieder. Dann machen Sie das, was Sie in der Vergangenheit immer gemacht haben: Klientelpolitik, nichts
als Klientelpolitik. Sie sind völlig zu Recht ausschließlich die Klientelpartei.
({4})
Dann führen Sie am Ende hier das ordnungspolitische
Credo wieder ein, das Sie sonntags in Ihren Reden immer verwenden. Ich glaube, daß die Politik der Vielzahl
der früheren F.D.P.-Minister, die erstens auf ihre Weise
dazu bei getragen haben, daß das Wirtschaftsministerium in der Vergangenheit völlig zu Recht ein schlechtes
Ansehen hatte, die zweitens eine Wirtschaftspolitik zu
verantworten haben, die 4,5 oder gar 4,8 Millionen Arbeitslose in der Spitzenzeit bewirkte, dazu nicht paßt
und daß Sie sich endlich zu Ihrer Verantwortung aus der
Vergangenheit bekennen müssen.
({5})
Sie müssen sich zu dieser Verantwortung bekennen, und
wir werden Sie auch nicht aus dieser Verantwortung
entlassen.
({6})
Mit den jetzt eingeleiteten Maßnahmen, nämlich
Senkung der Lohnnebenkosten, Senkung der Unternehmensteuern, Senkung der Steuern für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, genau mit diesen Maßnahmen
wird jene Wende eingeleitet, die dazu führen wird, daß
wir in kurzer Zeit die Dividende unserer strukturpolitischen Anpassungsmaßnahmen kassieren können.
Genau dies haben uns die wirtschaftswissenschaftlichen Institute und internationale Organisationen bescheinigt. Sie sagen, daß das Wachstum in der zweiten
Hälfte dieses Jahres beschleunigt wird. Sie sagen uns ein
Wachstum für das kommende Jahr voraus, bei dem auf
Grund der Maßnahmen, die wir eingeleitet haben, die
Bundesrepublik Deutschland in Europa zur Wachstumslokomotive wird. Das haben wir nötig, um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen und die Arbeitslosigkeit
abzubauen. Es wird uns bescheinigt, daß dies genau der
richtige Weg ist. Da können Sie noch so laut schreien:
Sie werden uns ihn nicht kaputtreden.
({7})
Die Erholung der Konjunktur und das Wachstum, das
sich daraus ergibt, werden - dessen bin ich mir auf
Grund des Haushaltsplans, den wir vorgelegt haben, sicher - dazu führen, daß die Stärken, in denen es zu zusätzlicher Beschäftigung und Wirtschaftswachstum
kommen wird, auch dotiert sind. Ich will diese Stärken
der deutschen Volkswirtschaft nennen: Angesichts der
notwendigen Kürzungen ist es eine große Leistung, die
Zukunftsperspektiven der Luft- und Raumfahrt in diesem Haushalt ausdrücklich zu dotieren und sie als Zukunftsbranche zu erkennen, weiterzuentwickeln und gegen Kürzungsbegehren aus anderen Bereichen zu schützen.
Es ist natürlich eine große Leistung, unterhalb der
üblichen Kürzungen den Bereich der kleinen und mittelständischen Wirtschaft weiterhin anständig zu dotieren, so daß im Bereich des Mittelstandes zusätzliche
Existenzgründungen zustande kommen, daß dort etwas
aufgebaut wird und Handwerker am Markt operieren
können.
({8})
- Sie müssen sich das einfach einmal anhören. Sie setzen sich ja noch nicht einmal mit den Zahlen auseinander. Es war kein Wort von Ihnen dazu zu hören, daß Sie
den Leuten in den letzten Jahren so in die Taschen gegriffen haben, daß es in den letzten drei Jahren keine
Mark Umsatzplus im Handel gegeben hat, daß es aber
durch die Maßnahmen, die diese Bundesregierung eingeleitet hat, endlich wieder zu Steigerungen im Handel
gekommen ist.
({9})
- Natürlich gibt es Steigerungsraten im Handel. Sie
schwätzen immer nur über Ladenöffnungszeiten,
({10})
aber nicht darüber, daß die Leute auch Geld im Portemonnaie brauchen, um einkaufen gehen zu können.
Der Internationale Währungsfonds hat gute Noten
vergeben. Er sagt ebenso wie die Deutsche Bank ein
Wirtschaftswachstum - ich will das betonen - von bis zu
3 Prozent voraus. Herr Merz hat sich wohltuend von
Ihrer polemischen Schreierei abgesetzt. Er hat eine
zentrale Frage gestellt: Warum gelingt es in der Bundesrepublik Deutschland bei gleichen Rationalisierungspotentialen, wie sie andere Länder haben, nicht,
mit einem Wachstum von 1 oder 1,5 Prozent zusätzliche Beschäftigung aufzubauen? - Das hängt mit der
unterentwickelten Situation auf dem ersten Arbeitsmarkt, den personengebundenen Dienstleistungen, zusammen. Das ist ein Bereich, über den wir streiten können.
Wir können darüber streiten, wie wir diesen integrieren können, damit wir bei den Wirtschaftswachstumsraten, die wir in der Zukunft haben werden, einen Aufbau
von zusätzlichen Arbeitsplätzen erzielen können. Darüber zu streiten lohnt sich. Man kann aber nicht in Festzelt- oder Bierzeltmanier eine populistische Rede halten,
die einem niemand mehr abnimmt. Da bin ich sehr bei
Ihnen, Herr Merz.
({11})
Hier ist es international gesehen um uns eher schlecht
bestellt. Das darf man nicht durch Billiglohnjobs oder
dadurch kaputtreden, daß man erklärt, es ergäben sich
keine solchen Chancen wie in anderen hochtechnologischen und hochtechnisierten Bereichen. Es ist sinnvoll,
einen Teil des Geldes durch eigener Hände Arbeit zu
verdienen und eine zusätzliche Unterstützung zu erhalten.
({12})
- Das ist eine Diskussion, die jetzt angestoßen wird.
Genau diese Diskussion wird uns in den nächsten Wochen und Monaten begleiten, und es wird nicht ganz
leicht werden, sie zum Erfolg zu führen. Ich bin aber sicher, daß uns die Menschen folgen werden, wenn wir
diese Diskussion vorsichtig und zielgerichtet angehen.
({13})
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, von dem
ich glaube, daß wir bei ihm große Fortschritte erzielen
werden. Die Senkung der Unternehmensteuern auf etwas mehr als 35 Prozent und das Optionsmodell sind
kein in sich schlüssiges Modell, um zu einem einfachen
Steuersystem zu kommen. Das ist sehr wohl wahr. Wer
sich hier hinstellt und - Herr Uldall hat plötzlich neue
Steuersätze entdeckt - angesichts der Zinsrisiken und
der Haushaltslücke, die vorhanden sind, so tut, als ob
man weitergehen könne, der baut ein zweites Mal einen
Erwartungshorizont in der Öffentlichkeit auf, von dem
jeder weiß, daß er nicht einzuhalten ist. Wir können die
Wählerinnen und Wähler und die Unternehmen nicht
täuschen und in eine falsche Richtung jagen. Deshalb ist
es besser zu sagen, wir nehmen 35 Prozent und wählen
die Optionsmöglichkeit, damit die Unternehmer, auch
die Mittelständler, davon einen Vorteil haben. Wir können nicht so tun, als ob man in der nächsten Zukunft
mehr erreichen könnte. Was die Menschen brauchen, ist
Verläßlichkeit.
({14})
Sie sehnen sich nach der Verläßlichkeit, auf die sie in
Ihrer Regierungszeit nicht bauen konnten. Darum ging
es doch immer in den Klagen.
({15})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine letzte
Bemerkung zu einer Frage machen, die eine große Rolle
gespielt hat. Das ist die Frage der zukünftigen Energiepolitik und des Wettbewerbs auf allen Ebenen der Energiemärkte. Sie haben erhebliche Monopolstrukturen
aufgebaut, die nicht dazu geführt haben, daß die Verbraucherinnen und Verbraucher auf allen Ebenen zu
einer kostengünstigen Versorgung gekommen sind.
Daraus haben sich ganz bestimmte Strukturen ergeben, für die auch wir Verantwortung tragen. Niemand
sollte sich leichtfertig hier herstellen und das, was sich
dort entwickelt hat, beiseite schieben. Wir haben eine
besondere Vorsorge für die Investitionen im Bereich der
Braunkohle und der Kraft-Wärme-Koppelung zu treffen.
Wir haben auch eine Vorsorge für die Stadtwerke zu
treffen und zu berücksichtigen, was mit den Stadtwerken
und mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern passiert. Die Diskussion darüber wird uns etwas länger beschäftigen.
({16})
Übrigens sollten Sie sich nicht zu früh darüber freuen.
Wir werden zu einem Ergebnis kommen, welches die
Koalition am Ende auch gemeinsam tragen wird, selbst
wenn die eine oder andere öffentliche Erklärung dafür
nicht immer hilfreich ist.
Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören.
({17})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Hermann Otto
Solms, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Kollege
Schwanhold, Ihre empfindliche Reaktion zeigt, daß Sie
sich getroffen fühlen.
({0})
Ich möchte nur zu drei Punkten etwas sagen, denn Ihre
Erwiderung auf Herrn Brüderle war völlig unsachgemäß.
Erstens: Steuersubventionen. Sie haben gesagt, wir
hätten nicht den Mut, Steuersubventionen zu beseitigen.
Das genaue Gegenteil ist der Fall. Erstens haben wir bei
der Steuerreform 1990 bereits Steuersubventionen in
einem Umfang von rund 40 Milliarden DM beseitigt.
Zweitens haben wir mit den Petersberger Beschlüssen
gerade die Beschlüsse für eine vernünftige Gesetzgebung gefaßt: radikale Beseitigung der Steuerausnahmen
und Senkung der Tarife. Sie haben genau das verhindert,
und jetzt rühmen Sie sich als diejenigen, die die Steuersubventionen abbauen wollen.
({1})
Zweitens: Ordnungspolitik. Der abgedroschene Begriff der Klientelpartei - wie Sie uns immer bezeichnen
- ist völlig verfehlt. Gerade die Energierechtsreform,
über die hier diskutiert worden ist, zeigt doch, daß eine
liberale Ordnungspolitik zugunsten der Verbraucher
erfolgreich ist.
({2})
Sie sind jetzt wieder auf dem Weg, das zu konterkarieren und den kommunalen Energieversorgern nachzugeben.
Drittens: Mittelstand. Das ist ganz besonders wichtig. Ich finde es besonders lobenswert, daß Herr Brüderle die Probleme des Mittelstandes angesprochen hat.
Was Sie in der Unternehmensteuerreform planen, ist das
Mittelstandsfeindlichste, was ich hier in den letzten 20
Jahren erlebt habe. Sie gehen einfach über die Interessen
des Mittelstandes hinweg und senken die Steuersätze
allein für die Kapitalgesellschaften, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, wie dies die Gesamtwirtschaft
und dann auch die Arbeitnehmer trifft, die Sie mit Ihren
Vorschlägen diskriminieren.
({3})
Zur Erwiderung Herr
Kollege Schwanhold, bitte.
Herr Kollege Solms, ich
will auf zwei Punkte eingehen, zu denen Sie gesagt haben, daß sich daran die sozialdemokratische bzw. die
Politik dieser Bundesregierung nicht messen ließe:
Erstens. Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
in Verbindung mit der Steuerreform 1999, 2000 und
2002 hat zu einer Entlastung geführt, die durch den
durchgängigen Tarif beim Eingangssteuersatz am Ende
6 Prozent ausmachen und ausdrücklich auch allen Personengesellschaften und damit allen Unternehmern zugute kommen wird. Dies ist eine Steuerentlastung, die
nicht zu unterschätzen ist.
Zweitens. Wir haben - mit einer Wirksamkeit, die
vielleicht noch besser hätte sein können - den kinderreichen Familien durch ein Familienentlastungsgesetz
Geld in die Hand gegeben, damit sie am Konsum teilhaben können. Dies kommt im besonderen Maße dem
Handel zugute.
Drittens. Wir haben mit der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage eine Gegenfinanzierung vorgenommen. Ich kann mich sehr genau daran erinnern, wie
Briefe dazu auch aus Ihrer Partei gekommen sind, etwa
zur Teilwertabschreibung. All jene Maßnahmen, die wir
vorgenommen haben, sind von uns am Ende gegen Ihren
Widerstand durchgesetzt worden.
({0})
Die Teilwertabschreibung haben wir korrigiert; ich bleibe bei diesem Beispiel.
Aber Sie haben auch jene Briefe geschrieben, die das
weitere Öffnen der Steuerschlupflöcher möglich gemacht hätten. Ich will dazu nur den halben Steuersatz im
Veräußerungsfall für den Handwerker einerseits und die
Mitnahmeeffekte andererseits nennen, die Sie alle kennen. Sie müssen sich entscheiden, wo Sie eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage wollen. Jedenfalls ist
hier ein Stück Veränderung der Steuerlandschaft herbeigeführt worden, die ein einfacheres Steuerrecht möglich
macht, damit sich die Unternehmerinnen und Unternehmer nicht auf die Suche nach Steuerschlupflöchern begeben müssen, sondern sich endlich wieder um ihr Unternehmen, um Aufträge und um Beschäftigung kümmern können.
Nächster Punkt: Mittelstand. Es gibt kaum eine Regierung, die so viel für den Mittelstand getan hat wie die
jetzige. Wir haben den Technologietransfer im Handwerk im Haushalt 1999 dotiert. Das Inno-RegioProgramm für Ostdeutschland ist ein Programm, welches den kleinen und mittelständischen Unternehmen
endlich die Chance gibt, sich durch Synergien zwischen
Wissenschaft und Wirtschaft zukünftige Märkte zu erobern.
Ich will weitere Punkte aufzählen: Wir haben entgegen Ihren Vorstellungen das Meister-BAföG deutlich
erhöht. Wir haben in anderen Bereichen Förderprogramme zusammengefaßt und haben insbesondere - das
hat schon eine Rolle gespielt - für die zukünftige dezentrale Energieversorgung ein Programm aufgelegt,
welches durch die erreichten Energieeinsparungen fast
ausschließlich der mittelständischen Wirtschaft zugute
kommen wird. Das dient dem Handwerk vor Ort und
schafft zusätzliche Beschäftigung.
All das sind Maßnahmen, auf die das Handwerk und
die mittelständische Wirtschaft bei Ihnen vergeblich
gewartet haben. Deshalb haben sie sich bei der letzten
Wahl von Ihnen abgewandt.
({1})
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Max Straubinger.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Angesichts der Ausführungen von Herrn Schwanhold, in denen er uns dargelegt
hat, daß es angeblich mehr Geld für das Meister-BAföG
gibt, muß ich klar feststellen, daß er den Haushaltsentwurf nicht gelesen hat, da für diesen Bereich nämlich
weniger Geld veranschlagt wird.
({0})
Verehrte Damen und Herren, auch wenn in den
Schlagzeilen der Wirtschaftspresse festgestellt wird, daß
die Konjunktur angeblich wieder besser läuft und daß
anscheinend mit einem Aufschwung im nächsten oder
im übernächsten Jahr zu rechnen ist, glaube ich dennoch, daß wir nach einem Jahr rotgrüner Wirtschaftspolitik feststellen müssen: Es besteht in unserem Land
ein Stillstand in wirtschaftspolitischer Hinsicht.
({1})
Trotz der viel propagierten Nachfragepolitik, von der
ja in der Vergangenheit immer großartig behauptet wurde, daß sie mehr Arbeitsplätze bringe, steht mittlerweile
fest, daß das Wirtschaftswachstum in Deutschland im
ersten Halbjahr nur 0,8 Prozent beträgt. Damit steht
Deutschland zusammen mit Italien an letzter Stelle innerhalb der EU. Dies zeigt deutlich, daß in den vergangenen Monaten eine verfehlte Politik betrieben wurde.
({2})
Wenn vielfach dargestellt wird, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angeblich mehr Geld hätten diese Aussage war heute mehreren Beiträgen zu entnehmen -, so habe ich doch den Eindruck, daß all diejenigen, die dies heute festgestellt haben, den Geldbeutel
eines Schotten haben müssen, der ja bekanntlich nur alle
drei Wochen geöffnet wird. In diesem Fall kann man
nämlich nicht mehr erkennen, ob mehr oder weniger
Geld im Geldbeutel enthalten ist.
({3})
Nach einem Jahr rotgrüner Regierungspolitik ist festzustellen: Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist nicht vorangekommen - im Gegenteil. Nach der bekannten
Schröder-Uhr ist die Zahl der Arbeitslosen sogar um
58 350 gestiegen. Die Zahl der Erwerbstätigen ist um
über 300 000 zurückgegangen. Dies ist die Wahrheit
über die rotgrüne Regierungspolitik.
({4})
Auch die Investitionsfreudigkeit der Unternehmen
wurde mit dieser Politik natürlich gehemmt. Mit der
Einführung der Ökosteuer und der Einführung vieler anderer Maßnahmen, die zu größeren steuerlichen Belastungen der Betriebe führten, wurde die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe wesentlich verschlechtert. Wer
soll also überhaupt noch großes Zutrauen in diese Politik
haben?
Diese Situation wäre vermeidbar gewesen, wenn in
der Vergangenheit der frühere Bundesfinanzminister Lafontaine, aber auch der heutige Bundesfinanzminister
Eichel, der nun den großen Sparkommissar spielt, für
sinnvolles Sparen, wie es unter der Regierung von
CDU/CSU und F.D.P. der Fall war, eingetreten wären.
Sie, verehrte Damen und Herren von der Koalition,
haben gerade die Kürzung der Lohnfortzahlung ausgesetzt und damit zur Erhöhung der Lohnnebenkosten beigetragen. Sie, Herr Eichel, haben die Steuerreform, die
wir in diesem Hohen Haus zweimal beschlossen haben,
in Ihrer Funktion als hessischer Ministerpräsident und
finanzpolitischer Sprecher der SPD im Bundesrat blokkiert. Wenn diese Steuerreform umgesetzt worden wäre,
dann hätten wir in unserem Land weniger Arbeitslose
und mehr wirtschaftliche Tätigkeit.
({5})
Das wäre entscheidend für unser Land gewesen - nicht
die politischen Gegebenheiten, die Sie bewogen haben,
dem entgegenzutreten.
Wenn man den Haushaltsentwurf der Bundesregierung näher betrachtet, stellt man fest, daß es noch weit
schwieriger wird. Ich glaube, CDU/CSU und F.D.P. waren in der Vergangenheit für sinnvolles Sparen und
sinnvolles Wirtschaften bekannt.
({6})
- Ja, Herr Schwanhold. Sparen nach Rasenmähermethode, wie es SPD und Grüne vorhaben, ist nicht dazu angetan, die wirtschaftlichen Kräfte zu stützen.
({7})
Das zeigt sich auch im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers sehr deutlich. Zunächst wird mittels
einer globalen Minderausgabe in Höhe von
600 Millionen DM gestrichen. Keiner der Parlamentarier
weiß, wo tatsächlich gespart werden soll. Ich bin der
Meinung, daß wir ein Recht darauf haben, darüber
rechtzeitig informiert zu werden.
({8})
Aber auch im laufenden Haushalt sind, Herr Bundeswirtschaftsminister, noch 300 Millionen DM für eine
globale Minderausgabe zu erwirtschaften. Wir wären
daran interessiert, wie dies passieren soll. Ich habe die
Befürchtung, daß letztendlich an den Zukunftsinvestitionen gespart wird: bei der Förderung des Mittelstandes
- dies wurde hier schon vielfach mit angesprochen -, bei
Forschungsprogrammen, bei Innovationen, bei der
Energieforschung.
Anhand von praktischen Beispielen läßt sich dies belegen. Ich möchte - Herr Schwanhold hat es ebenfalls
angesprochen - das Programm für die Luftfahrtforschung anführen. Die Bundesregierung unter Helmut
Kohl und Finanzminister Theo Waigel hat ein großartiges Luftfahrtforschungsprogramm mit einem Umfang
von 1,2 Milliarden DM für vier Jahre aufgelegt und seriös finanziert: 50 Prozent der Bund, 50 Prozent die Industrie.
({9})
- Nein! - Jetzt ging es darum, dieses Luftfahrtforschungsprogramm weiterzuführen. In den Haushaltsberatungen des letzten Jahres hat die neue Bundesregierung großartig angekündigt, sie werde ebenfalls ein
Luftfahrtforschungsprogramm in einer Größenordnung
von 1,2 Milliarden DM auflegen. Aber bezahlen wollte
sie es nicht. Bezahlen sollte es die Industrie - gut, das ist
zu akzeptieren -, und die Bundesländer sollten in eine
Kofinanzierung eintreten. Natürlich haben sich im Ergebnis alle Bundesländer geweigert, dies zu bezahlen.
Unter dem Gesichtspunkt der Vergabe von forschungspolitischen Projekten ist es auch nicht richtig, daß die
Bundesländer mit eingebunden sind. Denn wenn sie dazu Mittel beitragen, dann wollen sie auch etwas zu sagen
haben. Man kann es den Bundesländern nicht zumuten,
nur die Kosten zu übernehmen.
Letztendlich ist jetzt der Fall eingetreten, daß im Jahr
1999 von dem großartig angekündigten Lufo-2-Programm bis heute, Mitte September, keine müde Mark
ausgegeben wurde. Das ist Ergebnis rotgrüner Regierungskunst.
({10})
Die Mittel werden wohl schließlich dazu verwandt werden, die heurige globale Minderausgabe in Höhe von
300 Millionen DM zu erwirtschaften.
Die Kollegin Hustedt hat angekündigt, die jetzige
Bundesregierung werde 200 Millionen DM für die Einführung der erneuerbaren Energien ausgeben. Das ist
gut und recht; wir freuen uns alle darüber. Aber zur ganzen Wahrheit gehört auch, daß die rotgrüne Bundesregierung im Entwurf des Haushaltsjahres 2000 im Vergleich zum Haushalt 1999 bei der Erforschung der rationelleren Energieanwendung und der erneuerbaren Energien mehr als 65 Millionen DM gestrichen hat. Meines
Erachtens gehört auch das an dieser Stelle aufgeführt.
({11})
Zur Kohleförderung nur eins: Wenn die Ruhrkohle
AG bereits freiwillig 500 Millionen DM anbietet, um
sozusagen einen Beitrag für die Konsolidierung des
Bundeshaushalts zu leisten, so bin ich durchaus der
Meinung, daß man dann möglicherweise über eine Milliarde DM reden kann. Das ist altes wirtschaftliches
Denken.
Werte Damen und Herren, gerade für die Wirtschaft
in unserem Land ist es wichtig, daß wir mehr Selbständige bekommen. Wenn sich der Bundesminister so
großartig gerühmt hat, die Jugendarbeitslosigkeit wäre
mit dem Programm bekämpft worden, so muß ich feststellen: In Bayern gibt es seit Jahren und Jahrzehnten
immer mehr Lehrstellen und mehr Lehrstellenangebote
als Lehrstellenbewerber. Warum ist das so? Weil wir
eine höhere Selbständigenquote in Bayern haben
({12})
und deswegen mehr Lehrplätze angeboten werden können. Deshalb wäre es richtiger gewesen, verehrter Herr
Bundeswirtschaftsminister, zwei Milliarden DM nicht in
ein verpuffendes Programm, sondern in die Förderung
von Mittelstand, Handwerk und Dienstleistungen zu geben. Ich bin der Meinung, dann wären in unserem Land
die nötigen Lehrstellen entstanden.
({13})
Es sei mir gerade im Hinblick auf mehr Selbständigkeit in unserem Land, die Rotgrün mit der Gesetzgebung
zur Bekämpfung der angeblichen Scheinselbständigkeit
so verprellt hat, gestattet, festzuhalten, daß durch die
Steuergesetzgebung im Bereich der Altersversorgung
der Selbständigen - das ist nun einmal der Bereich der
Kapitallebensversicherung - zukünftig eklatante steuerliche Benachteiligungen hingenommen werden sollen.
Ich glaube, es lohnt sich, bei diesem Punkt einmal in die
Statistik hineinzuschauen.
Herr Kollege Straubinger, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich bin noch in der
Zeit, Frau Präsidentin.
Sie sind drüber.
Nein.
({0})
Ist doch jetzt egal. - Entschuldigung. - Einen Schlußsatz
noch: Ich glaube, es lohnt sich, über diesen Bereich
nachzudenken. Gerade die Selbständigen haben den
höchsten Anteil an Lebensversicherungen für ihre Alters- und Berufsunfähigkeitsabsicherung. Insbesondere
für einen jungen Selbständigen ist das in der Gründungsphase, wo wenig Kapital vorhanden ist, die beste
Möglichkeit, für den Berufsunfähigkeitsfall und für das
Alter vorzusorgen. Deshalb kann diese Schlechterstellung
Kollege Straubinger!
- der Lebensversicherungen nicht hingenommen werden. - Wir werden
die Beratungen, Herr Bundeswirtschaftsminister, mit
zukunftsorientierten Vorschlägen aus der CDU/CSU bereichern.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Straubinger, für Sie und auch für alle anderen Kolleginnen
und Kollegen gelten dieselben Spielregeln wie in Bonn.
Wenn am Rednerpult das Minus angezeigt wird, sind Sie
weit über Ihrer Redezeit.
({0})
Für die Fraktion der SPD spricht jetzt der Kollege Dr.
Ditmar Staffelt.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal
macht mich außerordentlich stutzig, was für eine Debatte hier im Zusammenhang mit dem Sparkonzept der
Bundesregierung geführt wird.
({0})
Während Sie es heftig kritisieren, höre ich aus Fachkreisen der Wirtschaft,
({1})
höre ich aus Instituten, höre ich von Herrn Walter von
der Deutschen Bank, daß es für die deutsche Wirtschaft
und ihre Entwicklung geradezu unerläßlich ist, daß dieses Sparprogramm durchgesetzt wird.
({2})
Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, worüber
Sie reden.
Mir ist sehr wohl eingängig, daß man über einzelne
Frage diskutieren, sie auch kritisch beleuchten kann. Das
ist auch Ihre Aufgabe, die Aufgabe der Opposition. Aber
die Art, in der Sie das machen, nämlich mit einer wirklich substanzlosen Besserwisserei in jedem einzelnen
Punkt, kann doch von der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nicht als redlich wahrgenommen werden,
({3})
die ist doch einfach unglaubwürdig.
An dieser Stelle sage ich auch im Zusammenhang mit
vielen Diskussionen, die ich geführt habe: Sie haben hier
gerade über das Handwerk geredet. Ich muß Ihnen ganz
offen gestehen, daß in den Gesprächen, die ich mit Vertretern aus der Politik über die Unternehmensteuerreform und über viele andere Schritte, die eingeleitet worden sind, geführt habe, deutlich wurde, daß Handwerk
und Handel sowie die kleinen Selbständigen durchaus
Hoffnungen haben.
({4})
Wenn ich mit den Präsidenten der Handwerkskammern
und der Industrie- und Handelskammern über das heutige Thema rede, dann höre ich von der Fundamentalkritik, die Sie äußern, überhaupt nichts. Ich meine jedenfalls, daß Ihre Kritik keine Substanz hat.
({5})
Für uns - das sage ich Ihnen sehr deutlich - gilt der
Grundsatz: Wir wollen keine neoliberale Politik verwirklichen, wie Sie sie hier dargestellt haben.
({6})
Ich glaube, daß sich die Erfolgsstory der Bundesrepublik
Deutschland, Herr Möllemann, im wesentlichen auf soziale Marktwirtschaft gründet, das heißt, auch auf eine
vernünftige Symmetrie zwischen der Reform der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Instrumente einerseits
und der sozialen Verantwortung andererseits. An dieser
Leitlinie - das haben uns die Erfahrungen aus der Erfolgsstory gelehrt - möchten wir festhalten. Wir möchten sie den Gegebenheiten entsprechend ausbauen.
({7})
Wir möchten das nachholen, was von Ihnen in vielen
Bereichen nicht erledigt worden ist. Daß es objektiv einen Reformstau gibt, gehört heute zum Allgemeingut.
Das weiß ja jedes Kind. Das pfeifen ja die Spatzen von
den Dächern.
({8})
Ich bekenne mich in diesem Zusammenhang ganz
ausdrücklich und sehr bewußt dazu, daß die bestehenden
Verträge über die Förderung der Steinkohle eingehalten werden.
({9})
Ich muß daran erinnern, daß die vertraglichen Vereinbarungen über die Steinkohlenförderung nicht etwa einseitig von den Sozialdemokraten ausgehandelt worden
sind. Soweit ich weiß, hat letztlich eine CDU/CSUF.D.P.-Bundesregierung die Verträge über diese Förderung unterschrieben. Lassen Sie mich auch sagen: Das
Schlimmste, das in diesem Lande passieren kann, ist,
daß wir die Menschen verunsichern, indem wir ihnen
den Eindruck vermitteln, sie könnten sich auf das, was
wir einmal verabredet und beschlossen haben, nicht
mehr verlassen.
({10})
Herr Kollege Staffelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Staffelt,
haben Sie nicht auch wie ich den Eindruck gewonnen,
daß dann, wenn die Regierungskoalition nicht gewechselt hätte, Herr Brüderle den Kohlekompromiß spätestens jetzt aufgekündigt hätte?
Ja, es hörte sich jedenfalls so an. Ich bin ohnehin etwas über Herrn Brüderle
irritiert. So wie er die Großkonzerne angegangen hat,
fürchte ich um das Spendenkonto der F.D.P. bei den
nächsten Wahlkämpfen.
({0})
Wir müssen die jetzige Diskussion wieder auf eine
vernünftige Grundlage zurückführen. Nach meiner Meinung sollten Sie einfach anerkennen, daß wir auf dem
Weg sind, die Lohnnebenkosten zu senken und eine
Unternehmensteuerreform anzugehen. Daran gibt es
doch keinen Zweifel. Wir haben einen Haushalt vorgestellt, der natürlich Einschnitte mit sich bringt. Aber das
ist aus meiner Sicht die Konsequenz aus dem, was Sie
zu verantworten haben. Ich füge hinzu: Die Notwendigkeit einzusparen erhöht den Druck, den Erfolg der Förderprogramme zu kontrollieren. Ich denke an die Mittel,
die im Wirtschaftsetat für diese Programme vorgesehen
sind, zum Beispiel für die Mittelstandsförderung; jeder,
der sich fachlich einmal damit beschäftigt hat, weiß, daß
es da Programme von Bund und Ländern sowie Programme der Förderinstitute des Bundes und der Länder
gibt. Die Mittel dürfen nicht einfach mit der Gießkanne
ausgeschüttet werden. Niemand sollte glauben, daß ein
Mehr immer auch qualitative Verbesserungen zur Folge
hat.
({1})
Dies gilt natürlich auch für Innovationsbereiche. Dazu möchte ich ausdrücklich sagen: Innovationen und
regenerative Energien sind zwei Bereiche, die im Vergleich zu Ihrer Regierungszeit deutlich besser abschneiden. Deshalb werden sie schon in diesem Jahr und auch
in den nächsten Jahren zu entsprechenden Anschüben in
der Wirtschaft führen.
({2})
Ich glaube, daß unsere Politik auf dem richtigen Wege ist, weil sie bisher eine Vielzahl von Reformschritten
vollzogen hat. Weitere müssen folgen. Aus den allermeisten Diskussionen, die ich geführt habe, habe ich den
Eindruck gewonnen, daß die von uns eingeschlagene
Richtung für notwendig erkannt wird. Ich bin davon
überzeugt, daß uns alle unsere Schritte - Herr Eichel
hatte die entscheidenden fünf Punkte heute morgen
deutlich gemacht - in den nächsten Monaten nicht nur
eine Verbesserung des Wirtschaftswachstums, sondern
auch einen weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit bringen werden.
Sie sollten sehr vorsichtig sein, wenn Sie so wie der
Kollege von der CSU auftreten. Er sprach von 2 Milliarden DM, die dem Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit entzogen werden sollten, und davon, daß diese Mittel besser dem Handwerk gegeben
werden sollten. Aber das Handwerk ist, jedenfalls so wie
ich es kenne, in aller Regel gar nicht darauf aus, staatliche Subventionen zu empfangen. Was das Handwerk
braucht, sind Mittel für öffentliche Investitionen, an denen es sich über öffentliche Ausschreibungen beteiligen
kann. Unser Sparkurs führt zu neuen Spielräumen für öffentliche Investitionen. Das ist die beste - übrigens
marktwirtschaftlich fundamentierte - Politik, die man in
dem Zusammenhang machen kann.
({3})
Die Art und Weise, wie Sie über unser Programm
zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit geredet haben, ist
schlicht und einfach nicht mehr nachvollziehbar. Wir
haben junge Menschen von der Straße geholt, und wir
haben sie in Arbeit gebracht. Anerkennen Sie doch wenigstens einmal einen solchen Schritt! Es handelt sich
doch objektiv um einen Erfolg, den man nicht wegreden
kann.
({4})
Herr Brüderle, Ihr ehemaliger Parteivorsitzender,
jetzt Ehrenvorsitzender Ihrer Partei, hat mit seinem
Kommentar im Berliner „Tagesspiegel“ recht. Er hat gesagt:
Aber das dürfen auch die Oppositionsparteien nicht
außer Acht lassen. Es ist verlockend, die Schwierigkeiten auszunutzen, in die eine Regierung mit
mutigen Reformschritten gerät. Aber es ist gefährlich, aus taktischen Gründen anders zu handeln, als
man handeln würde und müsste, wenn man selbst
Regierungsverantwortung tragen würde.
({5})
Das sollten Sie sich einmal hinter den Spiegel stecken.
Wenn Sie das täten, dann würden wir hier eine wesentDr. Ditmar Staffelt
lich sachlichere und uns auch wirklich voranbringende
Diskussion führen können.
Schönen Dank.
({6})
Herr Kollege Staffelt, dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen
Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
möchte ich Ihnen sehr herzlich gratulieren, auch dazu,
daß Ihre erste Rede so lebendig war.
({0})
Für die Fraktion der CDU/CSU hat jetzt der Kollege
Dr. Bernd Protzner das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Lieber Herr Staffelt, auch
Sie werden wir an dem Maßstab messen, der die Auseinandersetzung im Wahlkampfjahr 1998 in unserem
Land bestimmt hat. Damals hat der Bundeskanzler
vollmundig erklärt, er lasse sich am Abbau der Arbeitslosigkeit messen. Diesen Maßstab werden wir auch
an den Wirtschaftsminister anlegen; denn er hat ebenfalls in seinem Wirtschaftsbericht 1999 sehr klar formuliert, man wolle die Arbeitslosigkeit so schnell wie
möglich abbauen.
Ich werde deshalb die Arbeitslosenzahlen nennen:
im März saisonbereinigt plus 1 000, im April plus
12 000, im Mai plus 13 000, im Juni plus 13 000 und im
August plus 4 000. Das erste Jahr Ihrer Tätigkeit als
Wirtschaftsminister, Herr Minister, war ein schlechtes
Jahr für die Arbeitslosen. Es hat keinen Rückgang der
Zahl der Arbeitslosen gegeben.
({0})
Wenn ich nach der ehrlichen Statistik gehe, die auch in
den internen Diskussionen der nordrhein-westfälischen
Regierung angewandt wird, nämlich nach der Zahl der
Erwerbstätigen, dann sieht es noch schlechter aus:
367 000 Vollzeitarbeitsplätze sind weggefallen.
Das war also ein verlorenes erstes Jahr, und ich
fürchte, Herr Minister Müller, daß uns ein verlorenes
zweites Jahr Ihrer Tätigkeit bevorsteht; denn das Wirtschaftswachstum, für das Sie als Wirtschaftsminister
verantwortlich sind - Herr Staffelt, im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft wollen wir Wachstum; „nicht die
Division des Produkts“, hat Ludwig Erhard in seiner etwas altertümlichen Sprache formuliert, „sondern die
Multiplikation des Produkts ist die Aufgabe der sozialen
Marktwirtschaft“ -, betrug im Jahr 1998, also zu Zeiten
der Regierung Kohl, noch 2,8 Prozent. Zu der Zeit hatten wir seit fünf Jahren erstmals wieder eine Zunahme
der Erwerbstätigenzahl und entsprechend eine Abnahme
der Arbeitslosenzahl. Im Jahre 1999, Herr Minister
Müller, haben Sie bislang noch nicht einmal die Hälfte
von diesen 2,8 Prozent zusammengebracht.
In Ihrer Einbringungsrede haben Sie sehr nebulös von
einem Datenkranz gesprochen, der für sich spreche, haben aber das Datum Wirtschaftswachstum wohlweislich
nicht genannt. Ein Wachstum von 0,8 Prozent wäre
wohl auch eher ein Trauerkranz. In diesem Zusammenhang sind Sie heute morgen sogar von Ihrem Ministerkollegen Eichel kritisiert worden. Er hat sehr klar gesagt, daß wir 2 Prozent Wachstum bräuchten, damit die
Arbeitslosigkeit zurückgeht. Sie haben dies nicht geschafft und müssen die Kritik Ihres Kollegen schon zur
Kenntnis nehmen.
({1})
Ich frage mich allerdings, was Sie auf diese Kritik
antworten. Sie haben die aktive Arbeitsmarktpolitik in
den Mittelpunkt gestellt. Dann überlassen Sie Ihre Tätigkeit doch gleich dem Kollegen Riester und lösen Sie
das Wirtschaftsministerium auf; denn für den zweiten
Arbeitsmarkt ist Herr Riester zuständig. Allerdings sind
sich mittlerweile alle Fachleute einig, daß wir vom
zweiten Arbeitsmarkt keinen Erfolg für den ersten Arbeitsmarkt zu erwarten haben. Entscheidend ist der erste
Arbeitsmarkt, und mit Ersatzarbeitsmärkten ist den
Menschen nicht geholfen.
({2})
Herr Staffelt, da Sie eben so optimistisch waren, gehe
ich davon aus, daß Sie auf die Demographie setzen,
nämlich darauf, daß die Zahl der Arbeitslosen wegen der
schwächeren Altersjahrgänge, die auf den Arbeitsmarkt
drängen, in den nächsten Jahren automatisch um
300 000 pro Jahr zurückgehen wird. Das werden Sie als
Erfolg verkaufen. Es ist aber kein echter Erfolg.
({3})
- Weil Sie dazwischenrufen, sage ich Ihnen ganz klar,
daß auch 3,9, 3,8, 3,7 oder 3,6 Millionen Arbeitslose zu
viele Arbeitslose sind. Jeder Arbeitslose ist zuviel. Wir
stehen in der Bundesrepublik Deutschland vor der Aufgabe, die Arbeitslosenzahl drastisch zurückzuführen;
({4})
denn die Probleme unserer Staatsfinanzen und der Finanzen unserer Solidarversicherungen gehen auf die hohe Arbeitslosenzahl zurück, die Löcher in beide Haushalte reißt.
Meine Damen und Herren, ich frage mich allerdings,
was der Wirtschaftsminister für klare Rahmenbedingungen tut, beispielsweise für Klarheit und Stetigkeit in
der Wirtschaftspolitik. Hier hat er seine Stimme gegen
die Verunsicherung in der Wirtschaft nicht erhoben, als
es um die Neuregelung des 630-Mark-Gesetzes ging,
mit dem mindestens 500 000 Familien ein Zusatzverdienst weggenommen worden ist. Er hat auch nichts gegen das Gesetz zur Scheinselbständigkeit unternommen.
Herr Müller, es ist doch ganz klar, daß bei dieser Ihrer
Untätigkeit der Regierung die Wählerschaft davonläuft,
insbesondere die Jungwähler, die davon besonders betroffen sind.
Herr Minister, was haben Sie zum steuerlichen
Rahmen beigetragen? Nicht nur Herr Struck sagt, daß
die Steuersätze zu hoch sind, die Sie sich für die Zukunft
vorstellen. Er spricht von einem Eingangssteuersatz von
15 Prozent. Heute morgen hat Herr Metzger von den
Grünen in dieser Debatte ebenfalls gesagt, daß ein Eingangssteuersatz von 20 Prozent als Ziel für das Ende der
Wahlperiode deutlich zu hoch sei. Wo haben Sie hier Ihre Stimme erhoben, Herr Müller? Wo haben Sie Ihre
Stimme gegen die Erhöhung der sogenannten Ökosteuer
erhoben: gegen die zusätzlichen 30 Pfennige beim Benzin - fünfmal 6 Pfennige -, gegen die Steuern auf Gas,
Heizöl und Strom? Wo haben Sie Ihr Wort gegen die
Planung hinsichtlich der Vermögensabgabe und der
Vermögensteuer bzw. der Erbschaftsteuererhöhung für
Einfamilienhausbesitzer erhoben, die gegenwärtig in der
Koalition diskutiert wird?
Wo hat Minister Müller etwas gegen Fehlentwicklungen in anderen Geschäftsbereichen gesagt?
({5})
Als Wirtschaftsminister hat er im Kabinett Verantwortung über seinen Bereich hinaus. Herr Staffelt, Sie haben
darauf hingewiesen, daß die Handwerker Aufträge
bräuchten. Ich entnehme aber Ihren Haushaltsplanungen,
daß Sie die Investitionen kürzen:
({6})
von 58,2 Milliarden DM in 1999 auf 57,6 Milliarden DM in 2000 und rund 53 Milliarden DM im Jahr
2003.
({7})
Sie bauen weniger Autobahnen, Sie bauen weniger
Bundesfernstraßen, Sie bauen die große ICE-Linie durch
die Mitte Deutschlands, durch Thüringen, Bayern und
Sachsen-Anhalt, nicht, und über den Transrapid, eine
neue Technologie, haben Sie gar nichts gesagt. Außerdem fahren Sie die Investitionen im Bereich der Verteidigung, der Bundeswehr, zurück. Sie können schon in
den Zeitungen lesen, daß das Arbeitsplatzauswirkungen
auf Unternehmen hat.
In diesem Zusammenhang fällt mir zu Ihrer Ministerkollegin Fischer ein: Hier wird mit Budgetierung im Gesundheitswesen ein wachstumsträchtiger Dienstleistungsbereich mit 4,1 Millionen Beschäftigten in ganz
große Schwierigkeiten gestürzt. Hier hätten Sie Ihr Wort
erheben müssen, Herr Minister Müller, hier hätten Sie
etwas tun müssen; hier haben Sie versagt.
({8})
Wachstum fördern, Wachstumskräfte entfesseln,
neuen Arbeitsplätzen den Weg bahnen, Arbeit für alle das ist Ihre Aufgabe und die Aufgabe Ihres Haushaltes.
Allerdings ist Ihr Haushalt zur Hälfte rückwärtsgewandt,
nämlich im Bereich der Kohlesubvention, wo die Arbeitsplätze von gestern aufrechterhalten und keine Arbeitsplätze für morgen geschaffen werden.
({9})
Ich kann mir durchaus vorstellen, daß mit den Unternehmen, mittlerweile auch mit dem Land Saarland und
wahrscheinlich, Frau Skarpelis-Sperk, ab März nächsten
Jahres auch mit dem Land Nordrhein-Westfalen besser
darüber zu reden sein wird, wie man mit diesen
7 Milliarden DM bessere Zukunftsarbeitsplätze schaffen
kann.
({10})
Mit der einen Hälfte Ihres Haushalts sind Sie rückwärts- und mit der anderen nicht vorwärtsgewandt. Wo
nutzen Sie die Chance Osterweiterung der Europäischen
Union? Sie kürzen die Mittel für die Außenhandelsinformation. Wo nutzen Sie die Chance der Selbständigkeit im Handwerk, Herr Staffelt? Sie bauen das MeisterBAföG nicht aus, so daß es immer weniger angenommen wird. Wo nutzen Sie die Chance Innovationen? Sie
kürzen die Mittel für die Innovationskooperation. Wo
nutzen Sie die Chance Regionalförderung? Auch hier
bauen Sie ab.
Darüber hinaus verunsichern Sie in der Ordnungspolitik. Weil es den Stadtwerken an Kunden mangelt,
wollen Sie den Mangel verwalten, Kunden zuteilen,
Wettbewerb und Markt einschränken. Industrieunternehmen wollen Sie ausnehmen, Herr Müller, aber den
Kleingewerbetreibenden, den Handwerkern, dem Mittelstand und den Privatverbrauchern soll das Wahlrecht
genommen werden. Nein, so kann es nicht gehen. Deswegen haben wir die Freigabe des Energiemarktes nicht
betrieben.
Sie betreiben eine Politik in die falsche Richtung. Sie
sind am falschen Platz. Entlasten Sie die Arbeitnehmer
netto, damit sich Arbeit lohnt. Kämpfen Sie für Arbeitnehmer und Betriebe, und zwar nicht nur in Reden und
in Zeitungsbeiträgen, sondern auch in Ihrem Ministerium und in Ihrem Haushaltsansatz.
Herzlichen Dank.
({11})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Brunhilde Irber, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Daß es in München einen arbeitslosen
Minister mehr gibt, ist natürlich schade, aber wir können
nichts dafür.
({0})
Das haben Sie Herrn Sauter zu verdanken, Herr Protzner.
Zu Ihrer Generalabrechnung, dazu, wie Sie uns rasiert
haben, kann ich nur sagen: Hätten Sie es in den letzten
16 Jahren, in denen Sie an der Regierung waren, besser
gemacht, dann bräuchten wir uns heute nicht über die
Einschränkungen im Haushalt zu unterhalten.
({1})
Ich will mich aber jetzt einem Bereich zuwenden, der
in dem Haushaltsjahr, über das wir reden, wirklich eine
Erfolgsstory ist, und zwar einem Bereich, der bisher
eher ein Schattendasein geführt hat: dem Tourismus.
Dieser Wirtschaftszweig ist weltweit der wichtigste Devisenbringer. Mit einem Gesamtumsatz in Höhe von
958 Milliarden DM lag der internationale Tourismus
1998 an der Spitze aller Exportbranchen. Der Wirtschaftsfaktor Tourismus macht 8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus, also etwa 275 Milliarden DM. Damit gehört die Branche zu den großen Vier in Deutschland.
Das aktuelle Jahr - darauf lege ich besonderen Wert ist für den Tourismus in Deutschland ein gutes Jahr. Die
Gästezahlen sind in den ersten sechs Monaten des Jahres
im Vergleich zum Vorjahr um 5,3 Prozent gestiegen.
Die neuen Bundesländer können teilweise zweistellige
prozentuale Zuwächse der Gästezahlen verbuchen. Das
ist ein Ergebnis der guten Konjunkturpolitik dieser Bundesregierung.
({2})
Diese Situation wird sich noch weiter verbessern, denn
das Kindergeld wurde angehoben, die Lohnnebenkosten
gesenkt und die Steuerlast verringert. Die Leute haben
also mehr Geld und können sich daher auch mehr leisten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brähmig?
Gleich, Herr Brähmig. Hiervon profitiert in besonderem Maße die Tourismuswirtschaft. Bei den Beherbergungsbetrieben sind in den
ersten vier Monaten dieses Jahres die nominalen Umsätze um 2,2 Prozent gestiegen. Die Zahl der Übernachtungen im ersten Halbjahr 1999 ist, wie bereits gesagt, um
5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Auch die Bettenauslastung ist im ersten Quartal
1999 um 1 Prozentpunkt gestiegen. Das Investitionsvolumen dieser Branche in der Bundesrepublik beträgt
heuer 60 Milliarden Dollar.
Bitte, Herr Brähmig.
Frau Kollegin Irber,
wir sprechen ja heute über den Haushalt. Die Zahlen, die
Sie vorgetragen haben, möchte ich in keiner Weise in
Frage stellen.
Die EU-Kommission hat die deutsche Beschäftigungspolitik kritisiert, indem sie feststellte, daß über
6 Millionen Jobs brachliegen, weil in Deutschland im
Tourismus- und Dienstleistungsgewerbe nur 38,5 Prozent der Arbeitnehmer tätig sind, in anderen EU-Staaten
dagegen bis zu 50 Prozent.
({0})
Auf diese Schieflage hat ja Kollege Schwanhold vorhin
schon hingewiesen.
({1})
Nun eine Frage zum Haushalt: Sind Sie mit mir der
Meinung, daß trotz der schwierigen Haushaltssituation
die Titel „Förderung der Leistungssteigerung im Fremdenverkehrsgewerbe“, „Zuwendung an die Deutsche
Zentrale für Tourismus e. V.“ und vor allem die Gemeinschaftsaufgabe Ost im Haushaltsjahr 2000 nicht
gekürzt, sondern drastisch erhöht werden sollten, um mit
einem Fünfjahresprogramm für Tourismus und Dienstleistungen eine nachhaltige Entwicklung für Beschäftigung und mehr Arbeitsplätze zu schaffen?
Herr Kollege Brähmig, ich
komme im Laufe meiner Rede noch auf Ihre Fragen zu
sprechen.
({0})
Dabei gebe ich Ihnen dann auch die entsprechenden
Antworten.
Das Reiseland Deutschland ist im Aufwind; die Zahl
der Urlaubsreisen ist um 2,1 Prozentpunkte gestiegen.
Damit ist der negative Trend, der seit 1995 angehalten
hatte, gebrochen worden. Ein Schelm, wer meint, dies
habe nichts mit dem Konjunkturprogramm dieser Bundesregierung zu tun.
({1})
- Das muß für alles herhalten, für schlechte und für gute
Zeiten.
Natürlich wurde die Branche von einzelnen Maßnahmen auch hart getroffen. Die Neuregelung bei den
630-Mark-Verträgen hat aber 2,5 Millionen neue Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig
gemacht.
({2})
Dies zeigt, daß Handlungsbedarf gegeben war, insbesondere, wenn nach eigenen Angaben 40 Prozent in dieser Branche versicherungsfrei beschäftigt waren. Es ist
also nicht so, daß Arbeit wegfällt und Arbeitslosigkeit
entsteht. Vielmehr wird in einem nicht immer einfachen
Umstrukturierungsprozeß die geforderte Arbeitsleistung
in korrekte Arbeitsverhältnisse umgewandelt. Wir haben
bei der Tourismuspolitik auch dank der Zahlen der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten das Problem
jahrelang deutlich vor Augen gehabt. Ihnen aber hat der
Gestaltungswille zur Lösung dieses Problems gefehlt.
Das Sparziel, das mit dem jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf für das nächste Jahr erreicht werden soll, ist
ehrgeizig. Alle Bereiche müssen ihren Beitrag leisten.
Der Einschnitt, der bei der Finanzierung der Deutschen
Zentrale für Tourismus vorgenommen werden muß,
fällt aber nicht so tief aus, wie es seinerzeit Waigel in
seiner mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen hatte.
Sie, meine Damen und Herren, wollten die DZT-Mittel
mittelfristig um 50 Prozent kürzen. Wer das Deutschland-Marketing auf die Hälfte reduzieren will, der will
diesen Bereich im Grunde genommen sich selbst überlassen und sich langfristig aus der Verpflichtung der öffentlichen Hand zurückziehen.
({3})
Kommen Sie mir jetzt nicht damit, Herr Brähmig, der
seinerzeitige Finanzminister hätte im Falle seiner Wiederwahl den gleichen Förderbetrag für die DZT eingesetzt! Wer kurz vor der Bundestagswahl noch schnell
einen Haushaltsentwurf vorlegt, bei dem alle Fördertitel
einen Schluckauf bekommen, der will letztendlich nur
Wahlkampf betreiben. Zum Glück mußten Sie nicht beweisen, ob Sie den gleichen Förderbetrag eingestellt
hätten.
Noch etwas zu den Haushaltsansätzen: Unsere leicht
abgesenkte Zuwendung an die DZT nach einer kräftigen
Anhebung im laufenden Haushaltsjahr ist, Herr Kollege
Buwitt, trotzdem noch höher als die tatsächlichen Ausgaben in Ihrer Regierungszeit.
({4})
Sie haben die Haushaltsansätze bei den Ist-Ausgaben nie
erfüllt. Die DZT hat von Ihnen nie mehr als 36 Millionen DM bekommen. Wir werden Ihren Betrag noch um
3 Millionen DM übertreffen.
Beim Wirtschaftsminister haben wir Tourismuspolitiker Verständnis für die Belange der Branche gefunden.
Dafür möchte ich Ihnen, Herr Minister Müller, meinen
Dank aussprechen.
({5})
Hier unterscheiden Sie sich sehr deutlich von Ihrem
Vorgänger.
Ich möchte zum Schluß noch auf eines hinweisen:
Die Tourismuswirtschaft ist als größtes Segment im
Dienstleistungsbereich ein Arbeitsplatzmotor. Gegenwärtig sind in dieser Branche 2,8 Millionen Menschen in
Deutschland beschäftigt. Der Tourismus ist also in
puncto Beschäftigung mit Abstand die größte Branche.
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist vorüber.
Herr Straubinger hat auch
einen Nachschlag bekommen, der ist auch aus Bayern.
({0})
Solche Spielchen
fange ich jetzt nicht an.
Nirgends sonst werden so
viele Arbeits- und Ausbildungsplätze angeboten. In diesem Bereich ist eine Steigerung um 9,3 Prozent zu konstatieren. Dies rechtfertigt die volle Aufmerksamkeit des
Wirtschaftsministeriums, der Regierung und des Parlaments.
Mit den Ansätzen zur Aus- und Weiterbildung
Frau Kollegin, Sie
müssen jetzt wirklich aufhören.
- ja - und der Zuwendung
an das deutsche Seminar für Fremdenverkehr liegen wir
richtig. Meine Botschaft an die Opposition: Kommen
Sie nicht mit Ihren Anträgen von 100 Millionen DM;
denn das ist unrealistisch! Helfen Sie vielmehr in realistischer Weise mit, den Tourismusstandort, das Wachstum und die Beschäftigung in Deutschland zu befördern.
Danke schön.
({0})
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, zum
Einzelplan 11.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Einbringung seines Haushalts hat der Bundesminister für Arbeit
und Sozialordnung, Walter Riester.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Der Einzelplan 11, der Einzelplan des
Arbeits- und Sozialministeriums, umfaßt ein Volumen
von fast 170 Milliarden DM. Auch dieser Einzelplan ist
wie alle anderen Einzelpläne unter dem Gesichtspunkt
der Haushaltskonsolidierung zu sehen. Wir haben allerdings die Ausrichtung derart vorgenommen, daß Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik weiterhin Priorität haben. In anderen Leistungsbereichen nehmen wir
Einschränkungen hin; darauf gehe ich noch ein.
Ich möchte meine Rede unterteilen. Zuerst werde ich
zur aktiven Arbeitsmarktpolitik kommen, dann zur Alterssicherung - denn parallel zur Haushaltssanierung
werden wir eine Reform der Alterssicherung in Angriff
nehmen - und dann zu den notwendigen Einschränkungen.
Aktive Arbeitsmarktpolitik: Ich bin der Debatte
sehr interessiert gefolgt und höre von der jetzigen Opposition, daß aktive Arbeitsmarktpolitik im zweiten Arbeitsmarkt entbehrlich sei und daß man die Mittel dafür
besser in den ersten Arbeitsmarkt stecken solle.
Nun ist bei der Politik der jetzigen Opposition festzustellen, daß wir beispielsweise 1993 und 1994 etwa 64
Milliarden DM bzw. 53 Milliarden DM an Ausgaben für
die aktive Arbeitsmarktpolitik hatten. Wir haben das mit
unterstützt. Wir haben im letzten Jahr 43,5 Milliarden
DM eingestellt. Der Unterschied zwischen Ihnen und
uns kann eigentlich nicht darin liegen, daß wir aktive
Arbeitsmarktpolitik fördern und Sie nicht. Der Unterschied liegt woanders: Wir richten aktive Arbeitsmarktpolitik an den Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes und
nicht an Entscheidungen im Wahlkampf oder an Maastricht-Kriterien aus.
({1})
Vor allem aber richten wir aktive Arbeitsmarktpolitik an
den Zielgruppen aus, bei denen die Förderung am notwendigsten und eine Verfestigung von Arbeitslosigkeit
am gravierendsten ist.
Erster Schwerpunkt: Sonderprogramm zur Unterstützung arbeitsloser Jugendlicher. Als dieses Sonderprogramm entwickelt worden ist - das gestehe ich
Ihnen -, bin ich auch in meinem Ministerium mit der
Warnung konfrontiert worden, 100 000 Jugendliche in
diesem schwierigen Bereich zu erreichen, das sei ein
nicht ganz einfaches Unterfangen. Wenn wir jetzt rund
180 000 jungen Menschen beim Eintritt in Ausbildung
und Arbeit zusätzliche Chancen eröffnet haben, dann
muß ich sagen: Allein das ist eine Sache, über die wir
uns alle freuen müßten.
({2})
Deswegen haben wir gesagt: Bei allen notwendigen
Sparmaßnahmen, dieses Programm muß verläßlich
weiterbetrieben werden. Wir werden es natürlich in dem
einen oder anderen Punkt korrigieren, wie es bei jedem
anderen Programm auch geschieht. Aber diesen Schwerpunkt zu setzen ist vor dem Hintergrund der Erfahrung,
die wir gemacht haben, dringend erforderlich.
Zweiter Schwerpunkt. Ich freue mich, daß es uns zunehmend gelingt, Langzeitarbeitslosigkeit deutlich
stärker als die allgemeine Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Auch das, denke ich, ist ein ganz entscheidender
Schwerpunkt, den wir weiter verfolgen wollen.
Nun zur Frage der Zahlen: Herr Austermann hat gesagt - ich habe es zum Teil amüsiert verfolgt -, er wolle
zuerst einmal wissen, warum das Statistische Bundesamt
keine neuen Zahlen mehr herausgebe. Ich sehe Herrn
Austermann leider nicht. Vielleicht kann er das am
Fernsehschirm mitverfolgen. Ich wollte ihn gern aufklären: Das Statistische Bundesamt stellt, und zwar aufgelegt von Eurostat, die gesamte Statistik um und ist seit
Januar leider - ich bedauere es am meisten - nicht in der
Lage, neue Zahlen über sozialversicherungs- und überhaupt über versicherungspflichtige Erwerbstätige auszuweisen. Ich bedauere das sehr.
({3})
- Ob wir da gut aussehen oder nicht, lieber Herr Kues,
können wir erst sehen, wenn wir Fakten haben. Im Moment gibt es keine Fakten, sondern bestenfalls Spekulationen von Ihnen.
({4})
Eines aber kann ich ihnen sicher sagen: Was die Aussage Ihres Parteikollegen angeht, daß die Arbeitslosigkeit
im letzten Jahr im Jahresdurchschnitt um 400 000 zurückgegangen sei, so will ich jetzt die Kritik von heute
früh nicht erneut aufgreifen, nämlich daß hier gelogen
wird. Aber da ich nicht annehme, daß er diese Zahl im
Zustand der Bewußtlosigkeit genannt hat, hat er das
Parlament bewußt falsch informiert.
({5})
Im letzten Jahr ist die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt um 105 000 zurückgegangen.
({6})
In diesem Jahr werden wir die Zahl der Arbeitslosen im
Jahresdurchschnitt voraussichtlich um zusätzlich
150 000 bis 200 000 reduzieren.
({7})
Davon kann man ausgehen. Das ist auch ein Ausweis für
aktive Arbeitsmarktpolitik.
Nun kommen wir zum nächsten Bereich, der in der
Öffentlichkeit breit debattiert wird: dem Alterssicherungssystem. Um die Mär zu beenden, der Haushalt
werde über Rentner konsolidiert, möchte ich zunächst
einmal sagen: Es hat noch nie eine Phase gegeben, in der
wir die Rentenversicherung in so hohem Maße aus
Haushaltsmitteln unterstützt haben wie in den letzten
beiden Jahren. Und das wird weitergehen.
({8})
- Herr Fuchtel, auf die Steuerfrage komme ich gern
noch zu sprechen.
In diesem Jahr wird die Rentenversicherung mit zusätzlich 16,5 Milliarden DM unterstützt. Das ist notwendig, um die versicherungsfremden Leistungen völlig aus
der Rentenversicherung herausnehmen zu können.
({9})
Geredet haben Sie darüber jahrelang, getan haben Sie
nichts. Das war eine Luftnummer!
({10})
Nun, Herr Fuchtel, komme ich auf den Bereich der
Steuer zurück. Wir haben uns entschieden, die Mehreinnahmen aus der Erhöhung der Mineralölsteuer Mark
für Mark in die Rentenversicherung fließen zu lassen.
Manchmal stinkt es mir - das ist auch an die Öffentlichkeit gerichtet -, daß die Bilanz Ihrer Regierung etwas
verdrängt worden ist: Sie haben allein in den Jahren
1989 bis 1994 die Steuer auf Normalbenzin um 50 PfenBundesminister Walter Riester
nig pro Liter und auf unverbleites Benzin um 57 Pfennig
pro Liter angehoben und damit die Haushaltslöcher gestopft.
({11})
Wir dagegen handeln transparent: Wir werden jede
Mark, die wir durch die Ökosteuer einnehmen, zur Stabilisierung bzw. zur Absenkung der Rentenbeiträge einsetzen. Dies ist Verantwortung. In diesem Punkt unterscheiden wir uns ganz gewaltig.
({12})
- Jetzt fragen die Herren von der Opposition, woher die
Rentner ihr Geld bekommen. Sie hätten dies fragen sollen, als Sie die Mineralölsteuer in Ihrer Regierungszeit
erhöht haben. Da haben die Rentner nicht nur eine erhöhte Mineralölsteuer gezahlt, sondern sie haben auch
gesehen, wie die Mehreinnahmen aus der Mineralölsteuer in den Haushaltslöchern verschwunden sind. Wir setzen die Mittel, die wir bei der Ökosteuer einnehmen,
ein, damit die aktiven, jetzt arbeitenden Menschen geringere Beiträge zahlen. Wir setzen sie ein, um einen gerechten Generationenvertrag hinzubekommen.
({13})
Nun lassen Sie mich die Unterschiede zwischen Ihren
häufig diskutierten, in das Rentensystem eingebrachten
Demographiefaktor und unserer ausgewiesenen Position,
die Renten in den nächsten zwei Jahren im Rahmen der
Preissteigerung des Vorjahres anzuheben, aufzeigen. Ihr
Vorschlag, dauerhaft, das heißt jedes Jahr, von der Nettoanpassung der Renten wegzugehen und das Rentenniveau bis auf ein Niveau von 64 Prozent abzusenken,
bedeutet folgendes: Die heutige Rentnergeneration darüber können wir uns alle freuen -, die im Moment
noch die höchste Rendite erhält, bezogen auf das, was
sie eingezahlt hat, und bezogen auf das, was sie als
Rente bekommt, würden Sie langsam auf ein Rentenniveau von 64 Prozent herunterführen.
({14})
Bei denjenigen, die jetzt aktiv und 50 Jahre alt oder jünger sind, passiert folgendes: Sie müssen nach ihrem
Konzept ständig steigende Beiträge zahlen mit der Perspektive, daß sie anschließend, wegen des vorgesehenen
Rentenniveaus von 64 Prozent, die niedrigsten Renten
erhalten.
({15})
Nun können Sie ja mit mir einiges machen; einige Ihrer Vorstellungen vertrete auch ich: Ich bin dafür, daß
diejenigen, die in die Rentenversicherung hohe Beiträge
einzahlen, auch relativ hohe Renten erhalten. Ich kann
auch mittragen, daß diejenigen, die geringe Beiträge
einzahlen, relativ geringe Renten erhalten. Aber mich
werden Sie nicht dazu bringen, daß ganze Generationen
immer höhere Beiträge einzahlen und dann geringe
Renten erhalten. Das kann ich nicht mitmachen.
({16})
Es ist manchmal unbequem, solche Dinge offen auszusprechen. Aber es ist ehrlicher als das Konzept, das
wir von Ihnen geboten bekommen haben. Es ist nicht
bequem, so etwas festzustellen; aber es ist ehrlich. Wenn
wir die Sicherung der Alterssysteme angehen, dann
werden wir sie mittelfristig nur dann durchstehen - und
zwar unabhängig davon, ob im Deutschen Bundestag
parteiübergreifend ein Kompromiß gefunden wird oder
nicht -, wenn wir diese Position den Menschen gegenüber ehrlich vertreten.
({17})
- Genau, wie der Bundeskanzler im Februar. Dazu sage
ich Ihnen etwas zum Mitschreiben: Er hat gesagt, daß
wir bei dem Prinzip bleiben, die Entwicklung der Renten
an die Entwicklung der Löhne und Gehälter zu koppeln.
({18})
Bei diesem Prinzip werden wir nach den zwei Jahren
auch bleiben.
({19})
Mich können Sie ins Obligo nehmen. Zu dem, was ich
in der Vergangenheit gesagt habe, stehe ich,
({20})
und zu dem, was ich jetzt sage, stehe ich auch. Ich kann
mich gern mit dem Vorwurf der Rentenlüge auseinandersetzen; aber das wird für Sie sehr unangenehm.
({21})
Ich beispielsweise wäre nicht ein Jahrzehnt lang durch
die Republik gereist und hätte alten Menschen gesagt:
„Eins ist sicher: die Rente“.
({22})
und hätte vergessen, hinzuzufügen, mit welchen Beiträgen und für wie lange. Ich bin sehr offen, mich mit Ihnen über Rentenlügen zu unterhalten.
({23})
Um auf den Haushalt zurückzukommen: Wir haben
im Haushalt die klaren Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Rentenversicherung - dabei geht es um
ganz erhebliche Beiträge - von versicherungsfremden
Leistungen entlastet wird.
({24})
Bundesminister Walter Riester
Dies haben wir im Vorfeld der Reform gemacht. Ferner
haben wir im Vorfeld der Reform etwas angepackt, was
Sie immer wollten, aber nie gemacht haben.
({25})
- Sie wissen doch gar nicht, was ich sagen will. Er sagt:
„Es stimmt wieder nicht“ und weiß noch gar nicht, was
ich sagen will.
({26})
Wir haben die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die bisher versicherungsfrei waren, rentenversicherungspflichtig gemacht.
({27})
Wir haben in diesem Zusammenhang eine Kampagne
erleben müssen, die widerlich war.
({28})
Heute kann die erste Bilanz vorgelegt werden - wir haben es gehört -: 2,5 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigte sind ordnungsgemäß bei den deutschen
Rentenversicherungen angemeldet.
({29})
- Lieber Herr Fuchtel, das sind jene 2,5 Millionen, die
nur einen solchen Job haben. Die Nebentätigkeiten sind
darin nicht enthalten, weil man sie gar nicht erfassen
kann.
({30})
Die Beitragseinnahmen, die wir in den ersten drei
Monaten zu verzeichnen haben, übersteigen das, was wir
unterstellt haben. Wir kommen jetzt in eine Situation, in
der man sagen kann: Der Markt strukturiert sich in diesem Bereich um; wir bekommen Transparenz hinein,
und wir haben etwas geschafft, von dem Sie immer die
Finger gelassen haben,
({31})
weil Sie Angst hatten, daß Sie sich die Finger schmutzig
machen oder sie sich verbrennen. Wir haben es gemacht.
Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie das nicht machen, können Sie jede Reform der sozialen Sicherungssysteme
vergessen. Wenn Sie einen Bereich von 5 bis 6 Millionen - mit steigender Tendenz - als Fluchtoption offenlassen, dann wird jedes Sozialversicherungssystem erodieren. Da sind wir herangegangen.
({32})
Das sind notwendige Schritte, die natürlich unbequem sind. Warum sind sie denn unbequem? Es ist doch
nicht so, daß die neue Regelung im Vergleich zur alten
unattraktiv ist. Denn nach der neuen Regelung bleibt
derjenige, der nur einen 630-Mark-Job hat, steuerfrei,
und den Sozialversicherungsbeitrag bezahlt der Betrieb.
Das ist für den Betreffenden absolut attraktiv. Warum
wurde es also hochgekocht? Weil die gesamte Mißbrauchslandschaft offenbar wurde,
({33})
weil deutlich wurde, daß es in sehr vielen Fällen eben
nicht nur ein Job war, sondern daß es viele gegeben hat,
die zwei, drei, vier dieser Jobs ausübten.
({34})
- Herr Niebel war ja vorher in der Arbeitsvermittlung
tätig. Mitarbeiter der Arbeitsvermittlung sagen mir: Sehr
viele Menschen, die arbeitslos sind und Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe bekommen und die zwei oder drei
dieser Mini-Jobs machen, sind leider - das muß ich sagen - nicht vermittelbar; denn ihre Nettoeinkünfte bewegen sich auf einer solchen Ebene, daß sie nicht vermittelbar sind. Auch Sie müßten doch eigentlich Interesse daran haben, daß wir dort Klarheit und Transparenz
hineinbekommen.
({35})
Wir haben das gelöst.
({36})
Wir nehmen jetzt die Stabilisierung der Rente in Angriff und richten sie für die Zukunft aus, so daß wir den
jetzt aktiven Rentnern sagen können: Das Leistungsniveau wird nach den betreffenden beiden Jahren bis zum
Jahr 2030 stabil gehalten.
({37})
- Auf einem Niveau von 67 Prozent, lieber Herr Fuchtel.
Wenn Sie sich daran erinnern, was Ihr Kollege Blüm
angestrebt hat, dann werden Sie noch wissen, daß das 64
Prozent waren.
({38})
Aber war noch wichtiger ist: Auch die Beiträge halten
wir stabil. Weil wir verhindern wollen, daß diese brisante Sache zu einem Generationenkonflikt ausartet,
stellen wir uns der Frage.
({39})
Beitrag und Leistung müssen für die Menschen wieder
langfristig stabil und damit berechenbar sein. Das ist
wichtig, und das gehen wir an.
({40})
Bundesminister Walter Riester
- Lieber Herr Singhammer: ,,Wir glauben es Ihnen ja
nicht.“ Mit Ihnen will ich mich nicht über Glaubensfragen streiten. Aber ich will Ihnen einige Fakten nennen:
Von 1993 bis 1998 haben Sie es geschafft - damals waren Sie in der Regierungsverantwortung -, daß der Beitrag zur Rentenversicherung von 17,5 auf 20,3 Prozent gestiegen ist. Das heißt, das Beitragsvolumen, das
notwendig war, um Ihre Rentenerhöhung, die viermal
unterhalb der Preissteigerungsrate lag, auszugleichen, ist
um 41 Milliarden DM angestiegen. Gleichzeitig sind die
Leistungen des Bundes um rund 40 Milliarden DM angewachsen.
Jetzt nehmen wir einmal beide Zahlen zusammen. Ist
Ihnen schon aufgefallen, daß dies das Volumen einer
Mehrwertsteuererhöhung um fünf Prozentpunkte wäre?
Wir haben Sie gnädigerweise aus der Peinlichkeit entlassen, auf einen Rentenversicherungsbeitrag von 21
Prozent gehen zu müssen, indem wir eine Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt mitgetragen
haben. Das haben wir zwar hingenommen; aber wir
nehmen nicht ständig steigende Beiträge hin.
Wir sind zum erstenmal die Aufgabe angegangen und
sagen: Wir gehen in Richtung Beitragssenkung. Wir
werden die Lohnnebenkosten absenken.
({41})
Nun habe ich heute früh vom Finanzminister völlig
zu Recht gehört, daß wir eine hohe Eintrittsschwelle in
bezug auf den Arbeitsmarkt haben. Herr Merz ist darauf
mit den Worten eingegangen: Endlich merken wir es.
Woran liegt denn das? Es liegt an den hohen Lohnnebenkosten. - Ja, damit haben Sie sehr viel Erfahrung.
Sie haben den Gesamtsozialversicherungsbeitrag trefflich hochbekommen, auf über 42 Prozent.
({42}): Und Sie
haben sie weiter erhöht!)
- Nein, wir haben sie erstmals abgesenkt.
({43})
Wir haben die Beiträge zur Rentenversicherung gesenkt,
und wir werden sie noch weiter senken.
Ich sage Ihnen eines: Alle Vorschläge, die im Moment mit Blick auf die nächsten zwei Jahre alternativ
eingebracht werden, bedeuten eine weitere Anhebung
des Rentenversicherungsbeitrages. Aber die Bevölkerung, die jetzt bei der Ökosteuer einen Beitrag für die
Rentenversicherung erbringt, wird kein zweites Mal wie in Ihrer Zeit - akzeptieren, daß die Mineralölsteuer
erhöht wird, um Haushaltslöcher zu stopfen, und der
Rentenversicherungsbeitrag hochgeht. Das machen wir
nicht mit.
({44})
Deswegen gibt es keine Alternative zu dieser Vorgehensweise. Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie es mittragen. Aber es ist natürlich populärer, durch das Land
zu marschieren und eine Verhetzungskampagne mitzutragen, die unverantwortlich ist.
({45})
Lassen Sie mich auf einen Punkt eingehen, den ich
sehr wichtig finde und den Ihr Kollege Merz angesprochen hat. Er hat uns bei zwei Punkten ein Angebot zur
Mitarbeit gemacht. Einer betrifft mein Ressort. Herr
Merz sagte: Wir wären durchaus bereit, bei einer Verbindung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu
einem einheitlichen Förderungssystem mitzumachen.
Das hätte ich genauso sagen können. Sie wissen, daß ich
an einer Verzahnung der Maßnahmen arbeite.
({46})
Wir arbeiten in dieser Frage mit den Ländern zusammen
und nutzen die Erfahrungen, die im Moment mit solchen
Projekten gemacht werden. Wir sprechen auch mit den
Kommunen, und wir gehen dies an. Aber ich muß Ihnen
eines sagen - Herr Merz ist jetzt leider nicht da -:
({47})
Man kann diese Frage nicht mit dem schlanken Fuß angehen. Da kann man auch nicht nach dem Motto verfahren: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.
Daran möchte ich erinnern, wenn ich jetzt darauf komme, daß wir bei der Haushaltskonsolidierung gesagt haben:
({48})
Ja, wir werden bei der Arbeitslosenhilfe zwar die Zahlbeträge beibehalten, wir werden aber die Transferleistungen in die Sozialversicherungssysteme staatlicherseits auf den Zahlbetrag abstimmen. Das ist ein erster
Schritt; es müssen weitere folgen. Warum?
Nehmen wir einen Facharbeiter, der heute 5 000 DM
verdient und arbeitslos wird. Nach 32 Monaten ist er
ausgesteuert und bekommt Arbeitslosenhilfe. Das ist ein
bedauerlicher Fall, aber seine Rentenversicherungsbeiträge bemessen sich weiterhin nach 80 Prozent seines
ehemaligen Verdienstes, möglicherweise bis er in Rente
kommt. Nun betrachte ich eine Verkäuferin, die ganztags arbeitet und zwischen 2 200 und 2 300 DM verdient. Vergleichen Sie nun den Rentenversicherungsbeitrag, bezahlt aus Steuermitteln, beim Arbeitslosenhilfeempfänger mit dem bei der vollzeitbeschäftigten Verkäuferin. Wenn Ihnen da noch kein Licht aufgeht, warum wir diesen Schritt gehen, dann können wir noch
deutlicher werden. Das sind unbequeme Schritte. Das
haben wir ja nicht aus Jux und Dollerei gemacht. Es ist
uns auch nicht leichtgefallen.
Bundesminister Walter Riester
Wir haben es zum jetzigen Zeitpunkt ausschließlich
wegen der Haushaltskonsolidierung gemacht. Langfristig ist es aber sinnvoll - das nehme ich gerne auf -,
die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zu verzahnen,
allerdings nicht so, wie wir es von Ihnen schon einmal gehört haben: daß die Arbeitslosenhilfe auf die
Ebene der Sozialhilfe kommt. Das ist mit uns nicht zu
machen.
({49})
- Das könnte ich Ihnen noch aus Bundestagsdrucksachen vorlesen, wie es mein Vorgänger auch vertreten
hat. Ich werde das nicht machen.
Wir verzahnen das so - in der Ausrichtung bin ich
mit Herrn Merz einig -, daß wir möglichst viele Leistungsempfänger aktiv in den Arbeitsprozeß einbinden.
Das ist unser Ziel. Wir haben bei der Erstellung des
Haushalts den ersten Schwerpunkt nicht nur darauf gelegt, daß die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik weitergeführt und verstetigt werden, sondern auch
darauf, daß wir zielgerichtet dort am meisten einsteigen,
wo der größte Bedarf ist: bei Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit. Hier zeigen sich erste gute Erfolge, die
wir ausbauen werden.
Wir sehen auch, daß die Ausrichtung der Instrumente
über die Veränderung des Sozialgesetzbuchs III zu greifen beginnen. Wir werden in der Reform des Sozialgesetzbuchs III diesen Weg konsequent weiter beschreiten.
Dabei hoffe ich auf Ihre Unterstützung.
Wir haben zweitens den Haushalt so ausgerichtet, daß
durch das Reformprojekt eine langfristige Sicherung des
Alterssicherungssystems organisiert werden kann, ohne
daß die Rentenversicherung weniger Leistungen gewährt. Statt dessen statten wir sie mit mehr Mitteln aus.
Wir wollen die Rentenversicherung stabilisieren.
Wir werden aber auch hinbekommen, daß diejenigen,
die aktiv arbeiten, also die Renten bezahlen, bezahlbare
Beiträge zu erbringen haben. Das ist ein Punkt, der ganz
wichtig ist. Hier würde ich mir manchmal - das will ich
hier offen sagen - von den, wie Sie wissen, mir nahestehenden Gewerkschaften wünschen, daß sie in ihr eigenes Grundsatzprogramm hineinschauen; denn darin
steht, daß die Senkung der Lohnnebenkosten eine vorrangige Aufgabenstellung ist. Wir gehen jetzt an diese
Aufgabe heran.
({50})
Das ist nicht immer bequem, aber das ist der Unterschied zwischen der Beschlußlage und dem Machen.
Ich würde mir, auch wenn Sie berechtigterweise in
der Opposition eine andere Rolle haben, hier durchaus
wünschen, daß ein so schwieriger, für die Menschen im
Lande aber ungeheuer wichtiger Reformprozeß von Ihnen nachhaltig unterstützt wird.
({51})
Es ist so verführerisch, das süße Gift von Verhetzung in
die Menschen zu streuen.
({52})
Aber ich sage Ihnen eines: Das wird sich mittelfristig
rächen;
({53})
denn die Leute werden Sie beim Wort nehmen.
({54})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Laumann?
Walter Riester; Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ja, natürlich.
Herr Riester, ich
möchte Sie fragen, welche Rolle Sie in den Jahren, bevor Sie Arbeitsminister geworden sind, bezüglich der
„IG-Metall-Zeitung“ in der IG Metall gespielt haben?
Ich bin seit 25 Jahren Mitglied dieser Gewerkschaft und
lese seither die „IG-Metall-Zeitung“. Viele Jahre lang
waren Sie der zweitwichtigste Mann der IG-Metall. Sind
sie damals nicht auch dem süßen Gift der Verhetzung
gegen Norbert Blüm und seine Sozialpolitik erlegen,
oder haben Sie die Artikel, die dort geschrieben wurden,
alle vergessen?
({0})
Walter Riester; Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ich kann Ihnen auf die Frage, wie viele Jahre, antworten: Es waren vier Jahre. Auf die zweite Frage
kann ich antworten: Ich bin schon, bevor ich zweiter
Vorsitzender der IG Metall war, jedem Ausschlußantrag
gegen meinen Kollegen Norbert Blüm massiv und entschieden entgegengetreten. Ich habe ihn verteidigt, weil
man so etwas aushalten muß. Ich habe die Verunsicherungskampagne nie mitgemacht, und ich werde das auch
zukünftig nicht tun. Die Saat jedoch, die Sie ausstreuen,
geht leider auf. Aber Sie wird sich auch gegen Sie wenden.
({1})
Für die CDU/CSUFraktion hat jetzt der Kollege Dr. Hermann Kues das
Wort.
Bundesminister Walter Riester
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Riester,
ich glaube, die Saat, die Sie im vergangenen Jahr gesät
haben, ist schon am letzten Sonntag aufgegangen. Sie
wird am kommenden Sonntag auch wieder aufgehen.
({0})
Herr Riester, sie haben ein Kernproblem: Ihre Sozialund Rentenpolitik ist zum Anhängsel der Finanzpolitik
verkommen.
({1})
Wer den Sozialstaat zukunftsfähig machen will, darf
sich nicht ausschließlich von fiskalischen Überlegungen
leiten lassen. Das muß schiefgehen. Wer ihn zukunftsfähig machen will, muß eigene Ziele formulieren und ein
in sich schlüssiges Konzept vorlegen.
Wir brauchen eine intelligentere Sozialpolitik, mit der
man im Endeffekt auch Geld sparen kann. Ich möchte
Ihnen ein Beispiel nennen: 2 Millionen Menschen werden in Deutschland entweder über die Arbeitslosenhilfe
oder über die Sozialhilfe oder über beides unterstützt.
Sie bekommen lediglich Geld ausbezahlt. Wir machen
uns aber keine Gedanken darüber, wie sie im Arbeitsund Wirtschaftsleben mitwirken können. Das ist falsch
und muß korrigiert werden.
({2})
In diesem Sinne unterstütze ich ausdrücklich den
Vorschlag, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenzufassen, weil ich glaube, daß es darum gehen
muß, für die Menschen Arbeit zu organisieren und ihnen, soweit sie auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht genügend Geld für sich erwirtschaften können, Geld in Form
eines Kombilohnes dazuzugeben. Darum muß es gehen.
Das ist finanzpolitisch und auch sozialpolitisch vernünftig.
({3})
Im Wahlkampf haben Sie, Herr Minister Riester, die
Menschen glauben gemacht, eine Reform der Rentenversicherung sei nicht notwendig und jegliche Absenkung des Rentenniveaus sei unsozial.
({4})
Sie haben damit schlichtweg Sachverhalte geleugnet.
Davon werden Sie jetzt eingeholt.
Der Bundeskanzler hat am 17. Februar 1999 gesagt:
Ich stehe dafür, daß die Renten steigen wie die
Nettoeinkommen.
Sie haben sich jetzt entschlossen, die Rentnerinnen und
Rentner deutlich stärker zu belasten, als dies in unserem
Konzept je vorgesehen war, nämlich um 100 DM monatlich. Die Quittung für diesen Wahlbetrug haben Sie
in den vergangenen Wochen im Saarland, in Thüringen
und auch in Nordrhein-Westfalen erhalten.
({5})
Wir lehnen Ihre Rentenpolitik aus folgenden fünf
Gründen ab: Erstens. Ihnen fehlt jegliche Rentenphilosophie. Sie haben kein Konzept.
({6})
Sie greifen mit improvisierten Maßnahmen brachial und
willkürlich in die Systematik ein, ohne auch nur in Ansätzen erkennen zu lassen, wohin die Reise mit dieser
Regierung in der Rentenpolitik geht. Ich zitiere dazu die
„Süddeutsche Zeitung“ vom 30. Juli 1999:
Riesters Rentenkonzept ist äußerst dürftig, weil es
die gesetzliche Rentenversicherung ziellos in die
Zukunft entläßt.
({7})
Zweitens. Sie betreiben Rentenpolitik nach Kassenlage und ruinieren damit das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung. Sie können ganz sicher sein:
Ihnen und dem Bundeskanzler glaubt in Deutschland inzwischen niemand mehr, daß Sie nach zwei Jahren wieder zur Anpassung an die Nettolöhne zurückkehren werden.
({8})
Drittens. Trotz anderslautender Versprechungen wird
die Ökosteuer nicht an die Beitragszahler weitergegeben, sondern zum Stopfen von Haushaltslöchern herangezogen. Das können wir an Hand der Zahlen belegen.
Das haben wir Ihnen mehrfach vorgetragen. Es müßte
sonst wesentlich mehr in die Rentenkasse fließen.
({9})
Viertens. Mit der Einführung der Mindestrente höhlen Sie das Versicherungsprinzip in der Rentenversicherung aus. Ich habe manchmal das Gefühl, daß Ihnen die
Rentenkürzungen gerade recht kommen, weil Sie damit
die Altersarmut schaffen, die Sie dann mit der Mindestrente bekämpfen wollen.
({10})
Fünftens. Die von Ihnen angestrebte Rente mit 60
Jahren, von der Sie auch jetzt wieder reden, ist nicht
bezahlbar, und Sie wissen das. Ich nenne Ihnen einmal
die Zahlen. Nach den Angaben des VDR betragen die
Kosten für 100 000 Frührentner 3,5 Milliarden DM pro
Jahr. Bei 500 000 Frührentnern sind das rund 17,5 Milliarden DM pro Jahr bzw. ein Beitragspunkt, den Sie den
Beitragszahlern aufbürden. Wie wollen Sie den Menschen eigentlich erklären, daß das ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit ist, wenn Sie einerseits gravierende Rentenkürzungen vornehmen, andererseits aber Geld
der Rentenversicherung für Vorruhestandsregelungen,
die arbeitsmarktpolitisch höchst zweifelhaft sind, mit
vollen Händen hinauswerfen?
({11})
Der Schaden, den Sie mit Ihren unausgegorenen Rezepten hervorrufen, ist immens. Sie zerstören mit Ihren
Manipulationen das Vertrauen, und - dieser Punkt ist
noch wichtiger, weil Sie es ja angemahnt haben - Sie
untergraben damit nachhaltig die Veränderungsbereitschaft in der Bevölkerung.
({12})
Wir stehen dazu, daß in der gesetzlichen Rentenversicherung umgesteuert werden muß. Dazu muß auch die
ältere Generation einen Beitrag leisten. Aber Sie wissen
doch ganz genau: Die von Ihnen wider besseres Wissen
und gegen alle Expertenkritik durchgeführte Abschaffung des demographischen Faktors, den wir eingeführt
haben, kostet die Rentenversicherung 4,3 Milliarden
DM pro Jahr. Wenn Sie das Sparpaket hinzunehmen,
dann kommen weitere Belastungen auf die Rentenversicherung in Höhe von 10 Milliarden DM dazu. Damit
schaffen Sie die Probleme, die die zukünftige Generation aushalten muß.
Wir sind als CDU/CSU-Fraktion trotzdem bereit, in
ein Gespräch über einen Rentenkonsens einzutreten. Ich
sage aber auch ganz deutlich, daß bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Erstens. Die willkürlichen
Sparaktionen müssen zurückgenommen werden. Die
Ausarbeitung der Reform der Rentenversicherung muß
von der aktuellen Haushaltssituation getrennt werden.
Zweitens. Die beitragsbezogene Rente muß weiterhin
Kern des Alterssicherungssystems bleiben. Für uns gilt:
Rente ist Alterslohn für Lebensleistung.
({13})
Ich sage ganz deutlich: Wir wollen durchaus überlegen,
wie man Familienleistungen in der Rentenversicherung
stärker berücksichtigen kann. Denn wer Kinder aufzieht,
muß bei der Altersversorgung auch angemessen begünstigt werden.
({14})
Drittens. Eine Reform muß die Gerechtigkeit zwischen den Generationen wahren. Deshalb muß der demographische Faktor in der Rentenversicherung wieder
eingeführt werden, weil er die Altersentwicklung berücksichtigt. Wir stehen mit dieser Meinung nicht allein
da, wie sie wissen. Auf unserer Seite stehen der VdK
und der DGB.
({15})
Viertens. Die beitragsfinanzierte Rente muß um kapitalgedeckte Elemente ergänzt werden. Das ist unstreitig; wir sind bereit, auch darüber zu diskutieren. Zur
Stärkung der privaten Altersvorsorge haben Sie aber
bislang kein Konzept vorgelegt, auf dessen Grundlage
sich diskutieren ließe.
Inzwischen gibt es in der öffentlichen Meinung eine
breite Basis für einen Rentenkonsens. Der Vorschlag
zum Beispiel des DGB könnte eine solche Basis sein.
Der VdK begrüßt das Konzept als diskutabel. Die Grünen befürworten mittlerweile ebenfalls einen demographischen Faktor. Der einzige, der sich bislang jedem
Gespräch widersetzt, sind Sie, Herr Riester. Ich zitiere
noch einmal die „Süddeutsche Zeitung“ vom 10. September:
Mittlerweile gehört Walter Riester zu den letzten
Gefangenen, die tapfer im eigenen Käfig ausharren
und sich dem demographischen Faktor verweigern,
den die SPD im Bundestagswahlkampf erfolgreich
als Begriff für die Kürzung der Renten diskreditiert
hat.
Das ist die Wahrheit.
({16})
Wenn Sie an einem Rentenkonsens interessiert sind,
Herr Riester, kann ich Ihnen nur sagen: kommen Sie aus
Ihrem Käfig heraus, und reden Sie mit uns!
Die Diskussion um die Rente verstellt den Blick auf
den Arbeitsmarkt. Aber gerade sie wollten sich an den
Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt messen lassen. Die
Bilanz nach knapp einem Jahr ist verheerend: Die Zahl
der Arbeitslosen verharrt mit über 4 Millionen auf einem
unerträglich hohen Niveau. Seit dem Regierungswechsel
ist diese Zahl sogar um rund 60 000 gestiegen. Die Bundesanstalt für Arbeit schreibt dazu:
Der Arbeitsmarkt tritt auf der Stelle. Eine Besserung kann kurzfristig nicht erwartet werden.
({17})
- Diesen Bericht können Sie bei der Bundesanstalt für
Arbeit anfordern. Die Zahl der Arbeitsplätze ist seit dem
Regierungswechsel bis zum Dezember des letzten Jahres
um 350 000 gesunken. Diese Zahl ist jedem zugänglich.
({18})
- Ich sage Ihnen gern, woher Sie diese Zahl bekommen
können, nämlich vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit.
Die Zahlen für 1999 verschweigen Sie uns. Aber der
jüngste Bericht der Bundesanstalt für Arbeit - diese Behörde untersteht Ihnen ja - läßt auch hier nichts Gutes
erahnen. Dort heißt es: Die Daten sprechen dafür,
daß die Zahl der Erwerbstätigen, anders als 1998,
im bisherigen Jahresverlauf nicht weiter gewachsen
ist.
Das ist die Wahrheit, vor der Sie sich drücken.
Jetzt noch etwas zum Programm für 100 000 Jugendliche, das Sie wie eine Monstranz vor sich hertragen. Dieses Programm versuchen Sie ständig als Erfolg
zu verkaufen. Wenn Sie es sich näher ansehen - diese
Zahlen müßten eigentlich auch Ihnen zugänglich sein -,
dann stellen Sie fest, daß das eine teure Mogelpackung
zur Bereinigung der Statistik ist.
({19})
Ich will Sie einmal an einer Ausarbeitung messen, die
Sie der SPD-Bundestagsfraktion zur Verfügung gestellt
haben und die auch mir vorliegt. Dort heißt es:
Ein besonderes Anliegen des Sofortprogramms ist
es, Jugendliche zu erreichen, die nicht beim Arbeitsamt registriert sind. Jugendliche, die überwiegend aus einem schwierigen sozialen Umfeld
kommen, in der Regel keinen Schulabschluß haben,
sollen durch Maßnahmen … motiviert werden, eine
Ausbildung, Qualifizierung oder Arbeit aufzunehmen.
Um diese Jugendlichen geht es.
Jetzt schauen wir uns einmal die Realität an: Der
Anteil der Jugendlichen ohne Schulabschluß in dem
Programm - der Kollege Laumann hat häufig die Zahl
von 60 000 Jugendlichen erwähnt -, die es ganz schwer
haben unterzukommen, beträgt gerade einmal 17 Prozent. Sie reden immer davon, 100 000 Jugendliche in
Arbeit und Ausbildung zu bringen.
({20})
- Entscheidend ist: Die anderen 83 Prozent gehören zumindest nicht zu der Gruppe, die als Maßstab genannt
werden: Die haben Abitur gemacht, die haben Realschulabschluß oder Hauptschulabschluß. Das ist eine
andere Klientel als die, die Sie in Ihrer Zielvorstellung
angeben.
({21})
Ich sage Ihnen: Entscheidend ist nicht, wie viele Jugendliche in eine Maßnahme eintreten, sondern wie
viele von ihnen nach Abschluß der Maßnahme in Ausbildung oder Beschäftigung stehen.
({22})
Die vorliegenden Zahlen sind erschreckend: Von den
70 000 Jugendlichen, die die Maßnahmen absolviert haben, sind knapp 20 000 wieder arbeitslos. Bei 10 000
Jugendlichen heißt es: „sonstiger Verbleib“. Bei 3 500
heißt es: „noch nicht untergebracht“. Bei 9 400 heißt es:
„der Verbleib ist unbekannt“. Dagegen sind lediglich
2 300 in außerbetriebliche Ausbildung und nur 8 900 in
Arbeit vermittelt worden.
Sie haben also nicht 100 000 Jugendliche in Arbeit
oder Ausbildung gebracht, sondern gerade einmal rund
11 000. Für jeden dieser Jugendlichen haben Sie - wir
sind ja in einer Haushaltsdebatte - rund 220 000 DM
ausgegeben.
({23})
Den notwendigen Strukturreformen sind Sie bislang
ausgewichen. Systematische Änderungen, die Menschen
in Arbeit bringen, haben Sie nicht angepackt. Ich glaube,
daß Sie mit Ihrer Politik auf verlorenem Posten stehen.
Die einzigen, die das noch nicht erkannt haben, sind Sie
selbst.
Vielen Dank.
({24})
Das Wort hat die
Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob Sie sich im Zeitalter der von
Computern entwickelten Wahlplakate noch an eines der
frühen Grünen-Plakate - eine Zeichnung, auf der die
Weltkugel zu sehen war - erinnern. Dort hieß der Slogan: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt“. Ich sage das deshalb, weil gerade wir Grünen
sehr früh erkannt haben, daß die Nachhaltigkeit von Politik - eine Politik für die zukünftigen Generationen ein zentraler gesellschaftlicher und sozialpolitischer
Auftrag ist.
Wenn Herr Kues hier behauptet, wir würden um des
Sparens willen sparen, dann hat er einen ganz wesentlichen Aspekt in dieser Sache nicht erkannt. Das Wirtschaften zu Lasten der zukünftigen Generationen ist
schlichtweg extrem unsozial.
({0})
Deswegen gehen wir diesen sehr unbequemen Weg;
er ist nicht populär. Ich sage Ihnen aber eins: Ich bin fest
davon überzeugt, daß gerade das auf die Dauer tragen
wird, und daß wir damit die gesamte gesellschaftspolitische Situation verbessern werden. Die Menschen werden das in Zukunft erkennen.
Die nachhaltige Finanzpolitik, der Schuldenabbau
und die Konsolidierung der Staatsfinanzen sind kein
Selbstzweck. Vielmehr ist das ein Mittel, um für die Zukunft die Handlungsfähigkeit wiederherzustellen und um
die soziale Sicherheit auch noch im nächsten Jahrtausend zu gewährleisten.
Die vorgefundene Situation ist untragbar. 1,5 Billionen DM Schulden - das kann man sich nicht vorstellen,
wie wir heute schon vom Wirtschaftsminister gehört haben. Vorstellen kann man sich aber, daß jede vierte
Mark des Bundeshaushalts für Zinsen ausgegeben wird.
Das ist eine Spirale, die gestoppt werden muß. Wer nicht
bereit ist, den Abbau der Nettoneuverschuldung voranzutreiben, wird die zukünftigen sozialen Probleme selber
produzieren.
({1})
Darüber besteht in unserer Fraktion und in der rotgrünen Koalition Konsens.
({2})
- Frau Adam-Schwaetzer,
({3})
das heißt auch, daß wir keinen anderen Weg sehen, auch
in der Sozialpolitik diese nachhaltige Finanzpolitik, diese Konsolidierung durchzusetzen. Denn wir wollen
nicht, daß die zukünftigen Generationen Ihre Suppe
auslöffeln müssen. Insofern müssen wir schon Verantwortung übernehmen.
({4})
Das bedeutet, daß der Sozialhaushalt mit einer Einsparung von 7,4 Prozent seine Einsparleistung wie alle anderen Haushalte erbringen muß. Auch wenn die Verlokkungen, zu schieben oder zu strecken, sehr groß sind,
um einigen unbequemen Konflikten aus dem Weg zu
gehen, werden wir das nicht tun. Wir wissen, daß dieser
Haushalt Einschnitte bedeutet. Sie sind aber notwendig,
und sie sind sozial vertretbar.
Dabei nehmen wir die Bedenken der Betroffenen sehr
ernst. Weiß Gott geht es uns nicht um ein, wie Herr
Zwickel behauptet hat, „Augen zu und durch“. Wir fragen uns bei diesem Haushalt bei jeder einzelnen Maßnahme, wie die Alternativen aussehen können. Herr
Zwickel und jeder andere - auch Sie, meine Damen und
Herren, und Sie, Herr Kues - ist aufgerufen, in diesem
Punkt mit uns in einen Wettstreit zu treten und Vorschläge zu machen. Aber gerade ihre Vorschläge zur
Konsolidierung des Haushaltes, eines Schuldenberges,
den Sie produziert haben, führen weiter in den Schuldenstaat und sind sozialpolitisch ungerecht.
({5})
Die Konsolidierung ist auch ein Zukunftsprogramm. Warum ist das so? Nicht nur, weil sie die Sozialkassen vor einer weiteren Erosion schützt, die Sie
eingeleitet haben, sondern vor allen Dingen, weil wir
mit diesem Haushalt den Grundstein für längst überfällige Reformen der sozialen Sicherungssysteme legen.
({6})
Während Sie in den Innenstädten stehen und mit billigen
Kampagnen gerade die ältere Generation vor Ihren Karren spannen wollen - Herr Kues hat eben die entsprechenden Pamphlete vorgelesen -, stellt sich der Sozialminister vor Sie hin und hat den Mut, die Wahrheit beim
Namen zu nennen.
({7})
Die heutigen Rentnerinnen und Rentner haben nicht
das Problem. Die Renten werden - das haben Sie gehört - steigen. Es wird keine Einbußen geben, wie Sie
es fälschlicherweise immer wieder suggerieren. Die
Renten werden auch bei einer Anpassung entlang der Inflationsrate stärker steigen, als Sie das in den letzten
fünf Jahren zustande gebracht haben, meine Damen und
Herren.
({8})
Das ist nicht das Problem, um das es geht. In Wahrheit
liegt das Rentenproblem in der Zukunft. Das wissen Sie
sehr genau. Der erste Schritt zur Rentenanpassung, der
mit dem vorliegenden Haushalt vorgenommen wird,
mildert zwar das Problem. Das ist richtig. Aber die
Wahrheit ist auch - das hat der Minister hier sehr deutlich gesagt -, daß eine Reform der Rentenstruktur auf
allen Ebenen notwendig ist. Der Minister hat die Eckpunkte dafür vorgelegt. Wir haben unsere Vorschläge
dazu eingebracht. Wir befinden uns in der Diskussion.
Wir brauchen diese Strukturreform deshalb, weil auch
die junge Generation einen Anspruch auf eine vernünftige Rente im Alter hat, ohne daß gleichzeitig die Beitragssätze explodieren.
Die zukünftige Rentnergeneration wird aber auch ein
weiteres Standbein brauchen, nämlich die private Altersvorsorge. Gleichzeitig müssen wir Beitragsstabilität
gewährleisten. Dazu wird die Ökosteuer ihren Beitrag
leisten, aber nicht alleine. Auch die Rentnerinnen und
Rentner müssen ihren Beitrag dazu leisten; denn
schließlich wird die Gesellschaft immer älter, und die
Rentenlaufzeiten werden immer länger.
Natürlich ist in unserem Konzept die Kopplung der
Rentenentwicklung an die Lohn- und Gehaltsentwicklung vorgesehen. Aber wir müssen gleichzeitig eine
sehr offene und ehrliche Debatte über das langfristige
Rentenniveau, dessen Entwicklung und auch über die
Rentenformel führen. Wenn uns dies gelingt, dann werden auch die Rentnerinnen und Rentner bereit sein, ihre
Enkel an die Hand zu nehmen und einen neuen Generationenvertrag abzuschließen. Das ist das Zukunftsprojekt.
Walter Riester hat sehr deutlich darauf hingewiesen:
Im Rahmen eines Haushalts wird ein neuer sozialpolitischer Ansatz eingebracht. Es ist der Versuch, die öffentliche und die private Vorsorge Hand in Hand gehen
zu lassen. Damit wird quasi eine neue Art eines vernetzten Wohlfahrtsmixes zur Debatte gestellt. Abgestützt und armutsfest gemacht wird dieser Ansatz durch
eine Grundsicherung für Rentnerinnen und Rentner sowie auch durch den Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung für Frauen.
({9})
Aus grüner Perspektive ist das ein zukunftsweisender
Ansatz, an den wir mit unseren Rentenvorstellungen
sehr gut andocken können. Ich stimme mit meinem
Kollegen Metzger - er hat das heute morgen schon gesagt - darin überein: Es wird eine sehr offene Debatte
über diese Vorschläge geführt werden. Der Ansatz zur
Reform der Rente ist nur ein Teil des Haushalts, an dem
deutlich wird, daß es um mehr geht, nämlich daß es um
Strukturreformen und auch um eine neue Sozialpolitik
geht.
Es ist klar, daß in der Öffentlichkeit eine Diskussion,
die von Ihnen angeheizt wurde - das ist in der Sozialpolitik so -, über die Frage der Gerechtigkeit geführt
wird. Diese Frage sollen und können wir sehr offen diskutieren, weil sie nur dann zu beantworten ist, wenn
man nicht nur den Haushalt, sondern den gesamten
Kontext unserer Politik berücksichtigt. Erstmals seit
20 Jahren sind in diesem Jahr die Nettolöhne gestiegen.
Das ist der erste Punkt, den es zu beachten gilt.
({10})
Zweitens. Erstmals sind die Lohnnebenkosten gesunken.
Dies ist ein Resultat der Ökosteuer und der Senkung der
Steuersätze.
({11})
Drittens. Das neue Familienlastenausgleichsgesetz bringt
allein Familien mit zwei Kindern 1 200 DM mehr in die
Geldbörse. Alle verschiedenen Reformen zusammengenommen bringen der Durchschnittsfamilie im Jahr 2002
bis zu 3 000 Mark mehr in die Geldbörse.
Wer dies nicht sieht und auch den Hintergrund unserer Sozialpolitik ignoriert, zum Beispiel daß der Begriff
der Zumutbarkeit abgeschwächt und die dreimonatige
Schikane für Arbeitslose abgeschafft worden ist, der
kann natürlich auch nur ein einseitiges Urteil über unsere Politik fällen, Wir haben eine neue sozialpolitische
und materielle Entwicklung bereits durch das, was wir
durchgesetzt haben, in Gang gesetzt. Diese Entwicklung
ist Zeugnis einer sozial verantwortlichen und sehr engagierten Politik. Wer nicht sieht, daß sich die Einkommensschere nicht vergrößert, sondern verkleinert hat,
der wird allerdings weiterhin von einer Schieflage
schwadronieren.
({12})
Wir haben diese neuen Prioritäten gesetzt. Wir denken,
daß wir auf einem guten Weg sind.
Wegen dieses Konsolidierungsbedarfs, den wir in
diesem Haushalt haben und den wir auch als Sozialpolitikerinnen anerkennen - das fällt uns nicht immer
leicht -, haben wir auch Probleme. Das ist ganz klar.
Aber während die SPD Seite an Seite mit uns für einen
vernünftigen Haushalt und für eine gute Sozialpolitik
kämpft, schickt die CDU Exponenten vor, die zum Beispiel fordern, das Arbeitslosengeld für den ersten Monat
zu streichen. Wir legen einen Sparhaushalt vor, in dem
keine Kürzung des Arbeitslosengeldes, sondern eine
Steigerung entlang der Inflationsrate vorgesehen ist. Das
mag viele Erwartungen enttäuschen, das sehe ich ein.
Aber es ist keine Leistungskürzung.
({13})
Die Kürzungen betreffen die Zahlbeträge, die für
Empfänger von Arbeitslosenhilfe in die Sozialversicherung eingezahlt werden. Wie wir schon vorhin gehört
haben, wäre es besser, diese Zahlbeträge systematisch in
eine neue Struktur der Arbeitslosen- und Sozialhilfe, das
heißt in eine Konzeption der Grundsicherung, wie sie
die Grünen schon vor Jahren entwickelt haben, einzubinden. Das ist nicht so schnell zu leisten. Deswegen ist
zunächst einmal dieser Schritt zu gehen. Der Weg ist
richtig. Wie Herr Eichel schon heute morgen gesagt hat,
müssen wir da in diesem Haushalt bittere Pillen schlukken.
Wir müssen eine weitere bittere Pille schlucken.
Auch die ist systematisch zu vertreten. Es handelt sich
um die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe. Diese Streichung betrifft eine Gruppe von 72 000 Menschen, Referendare, Zivildienstleistende und andere, die
nunmehr wie viele andere auch keinen Anspruch auf
Arbeitslosenhilfe erwerben können. Wir hätten die
Zahlung von Arbeitslosenhilfe für diese Gruppen gerne
in den Kontext einer Neuregelung der Arbeitslosen- und
Sozialhilfe gestellt. Das ist noch zu leisten. Der Schritt
der Angleichung der Bedingungen an dieser Stelle ist
schwierig, aber im Zusammenhang mit der Haushaltskonsolidierung notwendig.
Trotz dieser schweren Schritte haben wir in diesem
Haushalt gleichzeitig einen ganz zentralen Akzent gesetzt. Für uns steht weiterhin der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit oben auf der politischen Agenda. Wir haben das „Bündnis für Arbeit“, das Sie nicht zustande gebracht haben, auf den Weg gebracht. Wir haben gleichzeitig als eines der zentralen Ergebnisse dieses Bündnisses das JUMP-Programm initiiert. Man hat es hier in,
wie ich finde, sehr unflätiger Weise angegriffen. Das
JUMP-Programm erfaßt im Moment 100 000 Jugendliche. Wenn Sie sich hier hinstellen und behaupten, es
handele sich um eine Mogelpackung, dann weiß ich,
ehrlich gesagt nicht, wovon Sie sprechen.
({14})
Sie haben die Probleme der Jugendarbeitslosigkeit bereits in der Vergangenheit nicht ernst genommen. Jetzt
wollen Sie ein Programm diskreditieren, das erfolgreich
ist. Wir werden es fortsetzen.
({15})
Die Kritik, die zum Beispiel auch der Zentralverband
des Deutschen Handwerks übt, ist nur ein Manöver, um
von einer anderen Entwicklung abzulenken. Es geht
darum, daß gerade das Handwerk seine Versprechungen
hinsichtlich der Ausbildungsplätze nicht einhält.
Wir haben das Problem der Jugendarbeitslosigkeit
weiterhin, und deswegen werden wir den Kampf dagegen engagiert fortführen. Wir werden gerade im Bereich
der Arbeitsmarktpolitik durch das „Bündnis für Arbeit“
mit neuen Konzepten, durch die Brücken in den Arbeitsmarkt hinein gebaut werden, mehr tun. Das ist wichtig,
Sie haben Stop-and-go-Politik gemacht; wir verstetigen
über diesen Haushalt die aktive Arbeitsmarktpolitik.
Ich sage Ihnen aber auch eines: Dieses Plädoyer für
eine aktive Arbeitsmarktpolitik und für eine Arbeitsförderung beinhaltet auch für uns keinen Bestandsschutz
einzelner Instrumente. Wir prüfen die Instrumente der
aktiven Arbeitsmarktpolitik auch auf ihre Effizienz.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit!
Ja, ich komme sofort zum Schluß, Frau Präsidentin.
Im Zuge der SGB-III-Reform wollen wir eine Straffung des Angebotes der aktiven Arbeitsmarktpolitik
durchsetzen.
Alles in allem sind wir, was die Arbeitsmarktpolitik,
die Rentenpolitik und die Sozialpolitik anbelangt, auf
einem Reformkurs. Mit diesem Haushalt machen wir
beides: Wir stabilisieren das Sozialsystem und schaffen
einen politischen Handlungsspielraum, und wir gehen
engagiert und mutig eine Reform an, für die Sie nie den
Mut hatten.
({0})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr. Irmgard
Schwaetzer.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der langanhaltende
Beifall eben wirkte auf mich - ich bin auch lange genug
in einer Fraktion gewesen, die die Regierung unterstützt
hat - wie die letzte Ermunterung zum Durchhalten. Offensichtlich ist das auch nötig.
In der Debatte über den Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ist in jedem Jahr
ein Rekord zu vermelden. Dieser Haushalt ist seit langem der größte Einzelplan des Bundeshaushalts. In diesem Jahr betragen die Gesamtausgaben knapp 170 Milliarden DM. Damit geht jede dritte Mark des Bundeshaushalts in den Bereich Arbeit und Soziales. Meine
Damen und Herren, das ist auch ein Ausweis dafür, daß
der Sozialstaat nicht nur im Grundgesetz und auf
dem Papier steht, sondern daß jede Regierung - natürlich auch die letzte Regierung aus CDU/CSU und Liberalen - ihren sozialstaatlichen Verpflichtungen nachkommen will. Dies ist dann auf Heller und Pfennig belegbar.
Herr Bundesarbeitsminister, Herr Kues hat Ihren
Haushalt eben als Anhängsel der Finanzpolitik bezeichnet. Ich möchte es etwas anders ausdrücken: Sie, Herr
Riester, legen den Offenbarungseid für eine traditionelle
SPD-Sozialpolitik vor, ohne daß dabei ein schlüssiges
anderes Konzept überhaupt sichtbar würde.
({0})
Natürlich dämmert es Ihnen - Herr Dreßen, das macht
wohl Ihren Galgenhumor aus -, daß Sparen mit Leistungseinschränkungen verbunden ist. Das wollen Sie
bisher nicht wahrhaben. Deswegen ist das Haushaltssanierungsgesetz, das Sie parallel zum Haushalt vorsehen,
schon ein Ausweis dafür, daß Sie ans Eingemachte gehen wollen. Das ist auch richtig und wichtig. Im übrigen
ist es, Frau Dückert, keine neue Erkenntnis in diesem
Haus, daß Sparpolitik eine Politik zugunsten der nächsten Generation ist.
({1})
Vielmehr ist es ganz selbstverständlich das Ziel auch der
Sparanstrengungen der alten Regierung gewesen, die das wissen wir nun alle - durch die damalige Opposition
vor allen Dingen im Bundesrat verhindert worden sind.
Aber eines kann ich Ihnen versichern, meine Damen
und Herren: Wir werden nicht den Weg von Oskar Lafontaine gehen und blockieren. Für uns ist Sparen nämlich immer mit Gestalten verbunden gewesen. Genauso
werden wir das auch weiterhin halten.
({2})
Das Zurückdrängen der Staatsverschuldung und die
Entlastung der sozialen Sicherungssysteme sind nun
wirklich nicht neu.
({3})
All diejenigen, die in der letzten Legislaturperiode dabei
waren, wissen, daß dies hier diskutiert worden ist, das es
aber nur - das werden auch Sie jetzt spüren - mit einer
Mehrheit im Bundesrat umzusetzen ist. Diese allerdings
gehört nun nicht mehr Ihnen, sondern Sie sind genauso
wie die alte Bundesregierung darauf angewiesen, mit der
Opposition zusammenzuarbeiten.
({4})
- Liebe Frau Dückert, immerhin noch drei.
({5})
Das ist auch ganz gut so, und wir arbeiten kräftig daran,
daß wir im nächsten Jahr auch in Schleswig-Holstein
und Nordrhein-Westfalen der jeweiligen Landesregierung angehören werden. Da werden wir die Auseinandersetzung mit Ihnen noch suchen.
Herr Riester, Sie müssen ja Ihren Beitrag zu dem Einsparziel in Höhe von 30 Milliarden DM bringen.
Das wird nicht leicht sein. Sie werden auf jeden Fall
noch 2 Milliarden DM suchen müssen. Wir sind gespannt, was Sie da noch auftreiben werden. Ich muß sagen: Wenn Sie es tatsächlich schaffen, die 30 Milliarden
DM, die der frühere Finanzminister Lafontaine zusätzlich ausgegeben hat, jetzt wieder einzusammeln, dann ist
das eine hohe Leistung.
Ich sage es noch einmal: Wir werden es uns nicht
nehmen lassen, gerade an der Gestaltung der Sozialpolitik mitzuwirken. Deswegen schauen wir uns einmal
an, was Sie vorgelegt haben, Herr Riester: Das ist ein
Sammelsurium von Maßnahmen, die Sie erstens entweder bei uns kopiert haben,
({6})
die zweitens lediglich eine Verschiebung von Lasten auf
Länder, Kommunen und andere Sozialversicherungssysteme darstellen
({7})
oder drittens so willkürlich sind, daß sie den gewachsenen Strukturen in Deutschland nicht gerecht werden.
({8})
Ich will für alle drei Kategorien ein kurzes Beispiel
geben. Zur ersten Kategorie, den kopierten Maßnahmen,
gehört zweifellos die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe. Was haben wir mit Ihnen darüber debattiert! Frau Dückert, Sie waren damals noch nicht da.
Aber die anderen wissen noch, was auch der Kollege
Niebel eben gesagt hat: Am liebsten hätten Sie uns damals - selbstverständlich nur verbal betrachtet - geteert
und gefedert.
({9})
Die Ausdrücke, mit denen Herr Dreßler uns im Plenum
belegt hat - es kommt nicht von ungefähr, daß sich Herr
Dreßler bei diesen Debatten nie mehr sehen läßt -, machen sehr deutlich, daß das Verhetzungspotential auf Ihrer Seite damals voll ausgespielt worden ist.
({10})
Zu dem zweiten Punkt, der Kategorie der schlichten
Verschiebung. Da möchte ich wirklich sagen, Herr Riester: Wir können darüber debattieren, ob die Beiträge
für Arbeitslose an die Rentenversicherung den tatsächlich gezahlten Zahlbeträgen angepaßt werden. Aber Sie
müssen doch wissen, daß das einen Verschiebebahnhof
zu Lasten der Kommunen darstellt. Die Kommunen
werden Ihnen das über die Länder im Bundesrat dann
auch sagen. Vor allen Dingen die Verschiebung in der
Pflegeversicherung
({11})
ist nun wirklich nicht zu akzeptieren. Die Bundesanstalt
für Arbeit wird dadurch entlastet. Aber trotzdem ist das
Augenwischerei, denn den Zuschuß zur Bundesanstalt
für Arbeit werden Sie etwas senken, und die Folgen
werden die Pflegekasse und im Anschluß natürlich die
Beitragszahler oder die Sozialhilfe zu tragen haben.
({12})
Alle Maßnahmen in der Arbeitslosenversicherung
machen eines ganz klar: Sie wollen vermeiden, den Arbeitslosen schon heute mitzuteilen, daß Sie bei ihnen
sparen, denn alles, was Sie einsetzen, sind ausschließlich
Maßnahmen, die die heute Arbeitslosen erst in Zukunft
zu spüren bekommen. Das betrachte ich als ziemlich zynisch. Das ist nicht mutig, wie Sie es hier darzustellen
versuchen, sondern es ist schlicht zynisch.
({13})
Der Höhepunkt ist allerdings die Zumutung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie haben den demographischen Faktor abgeschafft. Ich freue mich, daß wir
jetzt Unterstützung vom DGB und von den Sozialversicherungsverbänden bekommen, den demographischen
Faktor wieder einzuführen. Darüber werden wir uns sicherlich mit Ihnen unterhalten. Aber ich sage Ihnen auch
eines: Die anderen Vorschläge vom DGB und von den
Sozialversicherungsverbänden sind hundertmal diskussionswürdiger als Ihre unsystematische Kürzung der Erhöhung der Rentenanpassung in diesem und im nächsten
Jahr.
({14})
Genau dies hat der Bundeskanzler zu dem gesagt,
was die alte Koalition gemacht hat. Als wir nämlich das
Rentenniveau stufenweise absenken wollten, hat er gesagt, das sei unanständig, und hat tränendrüsendrückend
mit seiner Mutter argumentiert. Herr Riester, der Bundeskanzler ist zwar jetzt nicht da, aber Sie sollten ihm
einmal sagen, was Sie seiner Mutter jetzt zumuten,
nämlich daß sie jetzt das, was wir in zwölf Jahren machen wollten, in zwei Jahren bluten muß. Das ist unanständig!
({15})
Lassen Sie mich noch eines dazu sagen. Sie argumentieren immer, die Rentner hätten fünf Jahre nur den
Inflationsausgleich gehabt.
({16})
Aber sagen Sie doch dazu: Die Arbeitnehmer hatten
auch nicht mehr. In den letzten zwei Jahren gab es jedoch für die Arbeitnehmer eine wirkliche Nettolohnsteigerung; aber die Rentner wollen Sie jetzt abkassieren.
Auch das ist nicht in Ordnung.
({17})
Was Sie, meine Damen und Herren, hier bezüglich
der Rente vorlegen, ist keine Reform. Vielmehr ist es
Schöntuerei, wenn Sie diesen unsystematischen Eingriff
als einen Reformansatz bezeichnen. Sie machen vielmehr Rentenpolitik nach Kassenlage.
({18})
Haben Sie, Herr Riester, irgendwann einmal Eckpunkte
für eine richtige Reform vorgelegt? Heute haben Sie
nicht davon gesprochen. Kein Wort hört man mehr davon. Es würde sich aber lohnen, darüber weiter zu diskutieren.
Ich wiederhole unser Angebot zur Schaffung einer
parteiübergreifenden Rentenreform. In dieser müssen
aber eine einfache und überschaubare Lösung für das
Hinterbliebenenrecht - wir haben dazu einen Vorschlag
gemacht - und die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente enthalten sein. Das haben Sie alles einfach wieder
zurückgenommen. Es muß Ihnen aber klar sein, daß dieses nicht so bleiben kann, wie es ist. Darüber müssen
wir reden. In der Stärkung der Familienkomponente in
der Rente sind wir uns einig; dafür werden wir einen
Weg finden. Für all dies haben wir konkrete Vorschläge
vorgelegt.
Es geht uns aber auch darum, die private Vorsorge
und die betriebliche Altersversorgung zu stärken und in
diesem Zusammenhang auch Pensionsfonds zuzulassen.
Dies ist aber ohne eine bessere Verzahnung von Sozialund Steuerpolitik nicht möglich. In diesem Zusammenhang werden wir mit Ihnen auch noch über Steuersenkungen für Arbeitnehmer reden müssen. Diese haben
Sie bisher überhaupt noch nicht vor. Deshalb müssen Sie
auch da noch nachbessern. Wir brauchen für einen solchen Konsens keinen Rentengipfel, sondern sachliche
Gespräche, die Gemeinsames und möglicherweise auch
Trennendes ausloten.
Zu dem Trennenden, Frau Dückert, gehört ganz sicherlich die Grundsicherung innerhalb des Rentensystems.
({19})
Eine Aushöhlung des leistungsbezogenen Rentensystems kann nicht richtig sein. Wir können uns darüber
unterhalten, wie wir im Rahmen der Sozialhilfe die
Möglichkeiten verbessern. Wir müssen gemeinsam versuchen, dieses hinzubekommen, damit das verspielte
Vertrauen endlich zurückgewonnen wird.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Programm
zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sagen.
Auch hier haben Sie, meine Damen und Herren, Hoffnungen geweckt - Herr Riester und auch Sie haben sie
gerade wieder aufrechterhalten -, die sich in keiner Weise bewahrheiteten. Mit Blick auf das Vertrauen in die
Demokratie halte ich das für eine höchst gefährliche Sache. Mit Ihrem Programm haben Sie 160 000 oder, wie
wir heute hören, 180 000 Jugendliche in eine kurzfristige Maßnahme eingeschleust.
({20})
Was passierte dann? Darauf hat der Kollege vorhin
schon hingewiesen.
({21})
Inzwischen sind 15 600 wieder arbeitslos. Von 40 000
Teilnehmern weiß man überhaupt nicht, wo sie geblieben sind. 7 500 haben danach eine Ausbildung abgebrochen, 8 500 haben echt Arbeit, und nur 1 700 haben
einen Ausbildungsplatz gefunden. Meine Damen und
Herren, hören Sie auf, sich und uns und die Jugendlichen zu belügen! Seien Sie endlich ehrlich, damit wir
wirklich daran arbeiten können, Hoffnungsperspektiven
aufzubauen.
({22})
Frau Kollegin
Schwaetzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Frau Kollegin
Schwaetzer, Sie haben gerade Zahlen verwendet, die der
Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerkes in seiner Kritik an diesem Sofortprogramm gestern verwendet hat. Ich habe mir die Mühe gemacht,
einmal nachzurechnen und zu recherchieren, inwieweit
diese Zahlen stimmen. Nach Auskunft der Bundesanstalt
für Arbeit stimmt keine dieser Zahlen. Die wenigen, die
tatsächlich in der öffentlichen Diskussion verwendet
werden, sind statistisch unseriös ermittelt. Deshalb hat
die Bundesanstalt gestern in einer Pressemitteilung dies
auch entsprechend dargelegt. Ist Ihnen diese Pressemitteilung bekannt, in der die Bundesanstalt für Arbeit
ausdrücklich davor gewarnt hat, zum jetzigen Zeitpunkt,
wo die Effizienz dieses Programms überhaupt noch
nicht bewertet werden kann, mit einer solch pauschalen
Kritik an die Öffentlichkeit zu gehen?
({0})
Daß die Bundesanstalt, die dem Bundesarbeitsminister untersteht, nichts
anderes sagen kann als „Nun wartet einmal ab!“, ist natürlich klar.
({0})
Herr Kues hat eben an Hand der Zahlen des Bundesinstituts für Ausbildung klargemacht, daß der einzige
Fehler an den Zahlen des ZDH ist, daß sie zu niedrig
sind. Die eigentliche Bilanz sieht also noch schlimmer
aus als das, was der ZDH gestern veröffentlicht hat. Das
ist - ich muß es Ihnen sagen - wirklich katastrophal.
({1})
Die Kritik kommt nicht von uns allein. Der DGBVorsitzende Schulte hat - ich glaube, es war in der vergangenen Woche - in der Sendung „Monitor“ genau die
gleiche Kritik, nämlich daß dies ausschließlich kurzfristige Durchschleusungsmaßnahmen sind, geäußert. - Sie
haben Erwartungen geweckt; Sie verspielen Vertrauen.
Dies haben aber nicht nur Sie, sondern wir alle auszubaden, weil das Vertrauen in die Demokratie verspielt
wurde. Das ist daran das Schlimmste überhaupt.
({2})
Frau Kollegin
Schwaetzer, gestatten Sie noch eine zweite Frage des
Kollegen Hoffmann?
Bitte.
Frau Kollegin
Schwaetzer, Sie kennen doch, so vermute ich, die Systematik dieses Programms. Sie wissen, daß es elf Maßnahmearten gibt, die in der Tat zeitlich gestaffelt sind.
Es gibt kurz-, mittel- und längerfristige Maßnahmen,
immer bezogen auf die jeweiligen Zielgruppen.
({0})
Es dürfte Ihnen doch auch bekannt sein, daß es von der
Systematik her zu diesem Zeitpunkt viele gibt, die die
Maßnahmen im positiven Sinne schon beendet haben,
und andere, die mit diesen Maßnahmen gerade erst beginnen - insgesamt kommt man zu einer Zahl von
180 000 -,
({1})
und der DGB gesagt hat - ich selber hatte Gelegenheit,
an einer Fachtagung zu dieser Thematik teilzunehmen -,
daß dies ein begrüßenswertes und sinnvolles Programm
sei.
({2})
Meine Frage ist daher: Sind Ihnen diese durchaus
kritischen, aber positiven Stellungnahmen des DGB bekannt? Und kennen Sie die einzelnen Maßnahmearten?
Wenn Sie diese kennen, können Sie nicht zu diesen
Schlußfolgerungen kommen.
({3})
Herr Kollege, zu
welchen Schlußfolgerungen ich komme, das müssen Sie
schon mir überlassen.
({0})
Selbstverständlich haben wir im Ausschuß lang und
breit über dieses Programm gesprochen. Wir haben immer darauf hingewiesen, daß es im Einzelfall durchaus
sinnvoll sein kann, bestimmte Maßnahmen zum Beispiel
der schulischen Qualifikation nachzuholen. Wir haben
immer gesagt, daß uns der Betrag pro Maßnahme deutlich zu hoch erscheint. Was aber vor allen Dingen zu
kritisieren war, waren die Erwartungen, die dadurch geweckt worden sind. Das Programm war doch als Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen deklariert.
({1})
Genau dieses Ziel aber, Frau Kollegin Rennebach, erfüllt es jetzt und in absehbarer Zeit nicht. Sie haben Erwartungen geweckt, die Sie nicht erfüllen können.
({2})
Darunter müssen alle leiden, und das ist das Schlimme.
({3})
Lassen Sie mich zu einem letzten Punkt kommen.
Seit Sie die Regierung übernommen haben, hören wir
von Herrn Riester, es müsse Ordnung auf dem Arbeitsmarkt hergestellt werden. Sehr geehrter Herr Riester, Ihre Regulierungsorgie hat dazu geführt, daß das größte
Chaos entstanden ist: durch das Gesetz zur Scheinselbständigkeit und durch die Regelung zu den 630-MarkJobs.
({4})
Ich frage mich, wo denn endlich die Gesetzesvorlage
zur Nachbesserung des Scheinselbständigengesetzes
bleibt? Monat für Monat wird sie angekündigt, aber hier
kommt nichts an. Wahrscheinlich wird auch keine
Rückwirkung vorgesehen.
({5})
Jetzt wird mit dem Kopf geschüttelt. Der Wirtschaftsminister und die Wirtschaftspolitiker Ihrer Koalition haben
allen Verbänden erzählt, es werde nachgebessert. Aber
es kommt nichts. Wann legen Sie endlich eine Gesetzesvorlage vor?
({6})
Die Leute warten darauf, damit die Katastrophe in bezug
auf die Existenzgründer endlich ein Ende hat.
({7})
Zu den 630-Mark-Jobs. Inzwischen inserieren die
Zeitungsverleger flehentlich: Bitte nehmt dieses Gesetz
zurück! Sie, Herr Riester, sagen, 2,5 Millionen seien angemeldet. Es wurde aber immer von 5 bis 6 Millionen
gesprochen. Wenn ich nachrechne, stelle ich fest: Ganz
offensichtlich sind 3 Millionen weggefallen.
Das ist ja nun wirklich keine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wenn Ordnung auf dem Arbeitsmarkt Arbeit kostet, wenn dadurch Menschen Beschäftigungsmöglichkeiten genommen werden, dann ist das eine falsche
Politik. Sie sollten sie korrigieren.
({8})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt in
bezug auf den Haushalt für das Jahr 2000 genug zu debattieren, ganz sicher auch in bezug auf die Haushaltsbegleitgesetze. Ich hoffe inständig, daß auch unter konstruktiver Zuhilfenahme des Bundesrates die schlimmsten Fehler darin noch korrigiert werden können.
Danke.
({9})
Das Wort hat nunmehr der Kollege Dr. Klaus Grehn von der PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Haushaltsplan für das laufende Jahr erfüllt die Erwartungen, die die Wähler an die
neue Bundesregierung und an die neue Politik hatten,
trotz punktueller Verbesserungen nicht.
Was dann im Verlaufe des Haushaltsjahres folgte,
mutet wie der Gang durch einen Irrgarten an. Glaubte
man bei einigen Entscheidungen, daß sie zu einer anderen Politik führen würden, waren andere genau das Gegenteil. Alles in allem wurde deutlich, daß von den hehren Vorstellungen und Zielen aus den Oppositions- und
Wahlkampfzeiten immer deutlicher abgerückt wurde.
Wo ist die Umsetzung der vielen Oppositionspositionen
im Sozial- und Arbeitsmarktbereich geblieben?
Wir erinnern uns nur allzugut an den Schlagabtausch
({0})
- ja, Herr Ostertag, ich erinnere mich daran sehr gut zum Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm,
zum Sozialgesetzbuch III, zur Zukunft der Renten oder
den Veränderungen des Bundessozialhilfegesetzes, um
nur einiges zu nennen.
Ich kenne aus praktischer Arbeit die Hoffnungen der
Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger, Rentner, Behinderten, der an den Rand der Gesellschaft Gedrängten sehr
gut. Ich erinnere mich an die in den Anhörungen vertretenen Positionen der damaligen Opposition ebenso
deutlich. Das alles waren wichtige Gründe, die die
Wähler zu ihrer Wahlentscheidung im September 1998
veranlaßt haben.
Nun hat die neue Bundesregierung den Haushaltsplan
für das Jahr 2000 vorgelegt. Für den Einzelplan 11 läßt
sich feststellen: Er verursacht bei Betroffenen Wut und
Empörung, und das nicht, weil sie zu den Legendenträgern der hohen Nebenverdienste gehören, Herr Bundesminister.
Dieser Einzelplan setzt weder die vormaligen Oppositionspositionen noch die Wahlversprechen um. Schon
gar nicht erfüllt er die Erwartungen der Ausgegrenzten,
Bedrängten und Benachteiligten. Daß dies keine theoretische oder gar ideologisch gefärbte Position ist, haben
die Wahlen in diesem Jahr gezeigt. Die Ergebnisse sind
eine Quittung dafür, daß die sozialen Schieflagen überwiegend nicht beseitigt, sondern mehrfach vergrößert
wurden.
Wegen der sozialen Schieflagen haben die Wähler
Rotgrün auf die Stimmenrutsche gesetzt. Bereits am
Sonntag, wenn die Wahlergebnisse aus Sachsen vorliegen, werden Sie erneut einen Beweis erhalten, wie die
Sicht der Wähler auf diese Art von Politik ist. Es ist eine
Politik, die die Erwartungen an mehr soziale Gerechtigkeit bitter enttäuscht.
Unter anderem wegen des Grundsatzes von mehr sozialer Gerechtigkeit hatte die gegenwärtige Regierungskoalition die Zustimmung der Wähler erhalten. Es
ist nicht akzeptabel, wenn sie sich nun wegen eines im
übrigen nicht neuen Sparzwanges von diesem Grundsatz
verabschiedet. Statt den Sparzwang als Begründung zur
Reduzierung des Sozialstaates anzuführen, sollte das
Sparen dem höheren Prinzip der sozialen Gerechtigkeit
folgen und es verwirklichen helfen. Statt dessen droht
Sparen zur moralischen Keule gegen die sogenannten
nicht Sparbereiten zu werden, die allzu häufig wegen
ihrer finanziellen Schwäche die nicht Sparfähigen sind.
Sparen bei den Armen, für Rotgrün nun eine politische Notwendigkeit, wird für die Betroffenen, insbesondere die 80 Prozent von ihnen, die jetzt schon weniger
als 1 200 DM im Monat erhalten, zu einer Frage des
finanziellen und materiellen Überlebens. Wie soll - so
ist der Bundeskanzler zu fragen - mit dieser Politik seine in der Haushaltsdiskussion am 24. Februar formulierte Herzensangelegenheit, die Wiederherstellung der
sozialen Balancen, umgesetzt werden?
Der Haushaltsplanentwurf wird weder dieser Herzensangelegenheit gerecht, noch bewegt er sich auf der
Ebene der Wahlversprechen. Er ist nicht sozial gerecht,
sondern sozial ungerecht und unanständig, weil er sich
auf tiefe Einschnitte bei den Sozialleistungen konzentriert. Das ist um so verwunderlicher, als sich Rotgrün
doch am Abbau der Arbeitslosigkeit und nicht am Abbau der Sozialleistungen messen lassen wollte.
Es ist auffällig, daß in der Haushaltsplanung jeglicher
Hinweis auf sinkende Arbeitslosenzahlen fehlt. Geringere Ausgaben vor allem bei der Arbeitslosenhilfe und
beim Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit beruhen gemäß der Haushaltsplanung keineswegs auf sinkenden Arbeitslosenzahlen. Statt dessen ist das einzige
Argument die Haushaltssanierung.
Immerhin wird selbst in der Bundesanstalt für Arbeit
in diesem und in den nächsten drei Jahren mit sinkenden
Arbeitslosenzahlen gerechnet. Allerdings, Herr Riester, ist
dies kein Erfolg der Regierungspolitik. Die Ursachen liegen vielmehr in der demographischen Entwicklung, die
allerdings ein Ergebnis vormaliger verfehlter Politik ist.
Es kann Ihnen auch nicht erspart bleiben zu begründen, warum Sie angesichts des Zieles des Abbaus der
Arbeitslosigkeit gerade bei den Mitteln für die Förderung von Maßnahmen zur Erprobung zusätzlicher Wege
in der Arbeitsmarktpolitik Einsparungen in Höhe von 20
Millionen DM bzw. von mehr als 20 Prozent vornehmen. Im vorliegenden Haushaltsplanentwurf sucht man
vergeblich nach einer Begründung.
In der öffentlich geführten Diskussion über die soziale Schieflage nimmt die Regierungskoalition bekanntlich eine Abwehrhaltung ein. Angesichts der konkreten Planinhalte ist diese Abwehr unverständlich;
denn von den bis 2003 vorgesehenen Einsparungen in
Höhe von 150 Milliarden DM entfallen 67 Milliarden
DM auf den Bereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Sozialordnung.
Von den im Jahre 2000 im Sparpaket vorgesehenen
Einsparungen in Höhe von 30 Milliarden DM entfallen
nahezu 50 Prozent auf den Einzelplan 11, und von den
12,5 Milliarden DM, die der Bundesarbeitsminister einsparen möchte, entfallen auf das Kapitel 11 12, also auf
das Kapitel bezüglich der Arbeitslosenhilfe, der Arbeitsfördermittel und des Zuschusses des Bundes an die
Bundesanstalt für Arbeit zusammen mit der in Kapitel
11 12 bereits eingestellten globalen Minderausgabe in
Höhe von 700 Millionen DM sage und schreibe 8,5
Milliarden DM bzw. 68 Prozent.
Die Ausgaben im Rahmen der Arbeitslosenhilfe
sollen um 5,8 Milliarden DM niedriger ausfallen, obwohl Ende Juni dieses Jahres mit 62 Prozent des Haushaltssolls bereits mehr ausgegeben worden ist als zu
erwarten war, und obwohl man im Ansatz für das Jahr
2000 von einer eigentlich gleichbleibenden bzw. leicht
steigenden Zahl von Arbeitslosenhilfebezieherinnen
bzw. -beziehern ausgegangen ist. Die Einsparungen
werden allein den Maßnahmen des Sparpakets zugeschrieben.
Der Sozialabbau trifft in besonderer Weise ohnehin
die Arbeitslosenhilfebezieherinnen bzw. -bezieher, und
zwar durch die Neuberechnung der Beiträge zur Renten- und Pflegeversicherung und die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe. Wenn das Sparpaket damit
begründet wird, daß den zukünftigen Generationen weniger Schulden hinterlassen werden sollen - dieses Ziel
ist durchaus ehrenwert -, dann wird der kommenden
Generation mit den Maßnahmen, die in diesem Einzelplan vorgesehen sind, die Gefahr zunehmender Altersarmut aufgebürdet. Immerhin liegen die Rentenkürzungen pro Jahr des Bezugs von Arbeitslosenhilfe nach
heutigen Rentenwerten zwischen 11 und 33 DM monatlich.
Da Arbeitslosenhilfeempfänger in aller Regel Langzeitarbeitslose sind, potenzieren sich die Kürzungen erheblich. Wenn dazu im Haushaltssanierungsgesetz bemerkt wird, das mache nichts, weil ja eine bedarfsorientierte Grundsicherung eingeführt werden solle, liegt der
Verdacht des Zynischen nahe.
Im Jahresdurchschnitt gibt es 1,4 Millionen Langzeitarbeitslose. Herr Riester, die Bundesregierung wurde von der Europäischen Kommission ermahnt, etwas
dagegen zu unternehmen. Es hat sich sehr wenig bewegt. Der Behauptung, daß es eine Reduzierung der
Zahl der Langzeitarbeitslosen gegeben haben soll, kann
ich nicht folgen.
Die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe für
zuletzt durchschnittlich 70 000 bis 80 000 Personen bedeutet neben Einsparungen in Höhe von 1 Milliarde DM
im Bundeshaushalt zugleich Beitragsausfälle in der
Rentenversicherung und in der Pflege- und Krankenversicherung sowie den Verlust von Rentenansprüchen für
die Betroffenen. Außerdem bedeutet sie für die Kommunen Mehrausgaben im Sozialhilfebereich von bis zu
600 Millionen DM.
Neben den Belastungen durch die ökologische Steuerreform halbiert die vorgesehene Anpassung der Lohnersatzleistungen und der Renten an die Preissteigerung
die Erhöhungsbeträge.
In den Kürzungskatalog aufgenommen wurde die
Verringerung der Sachkostenzuschüsse für Träger von
ABM um 500 Millionen DM bzw. sage und schreibe um
nahezu 85 Prozent. Diese Kürzungen gefährden die arbeitsmarktpolitische Wirksamkeit von ABM. Das gilt
auch, wenn der reale Bedarf der Träger an Sachkostenzuschüssen und der geringe Abfluß der Mittel in krassem Widerspruch zueinander stehen. Die Aufklärung
dieses Widerspruches ist für die künftige Wirkung von
ABM unverzichtbar.
Im Bereich der Rentenversicherung fehlt zudem jeder
Hinweis auf die Bereitstellung jener Mittel, die durch
die Umsetzung der vier einschlägigen Urteile des Bundesverfassungsgerichts notwendig sind. Damit ist klar,
daß eine ganze Reihe der Betroffenen die Umsetzung
dieser Urteile nicht mehr erleben wird.
Als letztes Beispiel der unvollständigen Liste zur sozialen Ausrichtung des Haushaltsplanes verweise ich auf
die im Einzelplan 11 vorgesehenen Kürzungen der Mittel für die soziale Eingliederung von Menschen mit Behinderungen, wie zum Beispiel die Kürzung der Mittel
für die Förderung zentraler Einrichtungen und für Maßnahmen des Behindertensports um ein Drittel sowie die
Kürzung bei den Zuschüssen zur Förderung der sozialen
Eingliederung behinderter Menschen.
Wenn die Regierungskoalition dem Leitmotiv von
mehr sozialer Gerechtigkeit folgen will, kann ich ihr nur
empfehlen, das Leitmotiv der gegen den von ihr eingeschlagenen Weg agierenden Betroffenen und ihrer Verbände nachvollziehbar zu berücksichtigen: Streichen bei
den Reichen statt sparen bei den Armen.
({1})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Konstanze Wegner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sparen macht keinen besonderen Spaß - das muß ich ehrlich sagen -, und zwar
schon gar nicht, wenn es im Bereich des Sozialhaushalts
sein muß,
({0})
wo die Maßnahmen vor allem auch die Anhängerschaft
der eigenen Partei treffen.
({1})
So etwas zu tun ist durchaus mutig, und es ist nicht vergnüglich.
({2})
Sparen ist aber notwendig, wenn wir den Staat wieder
handlungsfähig machen wollen und wenn wir der jungen
Generation Chancen eröffnen wollen.
({3})
Im Haushalt 2000 klafft eine nicht durch Steuereinnahmen gedeckte Finanzierungslücke von rund
80 Milliarden DM. Haushaltslöcher dieser Größenordnung sind nun einmal eine Erbschaft der Regierung
Kohl/Waigel.
({4})
Das können Sie nicht bestreiten.
({5})
Wir haben zwar von Ihnen diese Haushaltslöcher geerbt,
aber wir können nicht die Methoden übernehmen, die
Sie angewandt haben, um diese Haushaltslöcher zu verkleistern.
({6})
Erstens können wir eben nicht Jahr für Jahr uns bis an
die Grenze der Verfassungsmäßigkeit Geld pumpen;
zweitens können wir nicht, so wie es Waigel gemacht
hat, das Bundesvermögen verkaufen - es ist fast alles
verkauft; Sie haben fast alles verscherbelt, was da war -,
({7})
und drittens wollen und können wir keine Steuererhöhung machen. Deshalb bleibt uns nur der sehr bittere
Weg des Sparens, wenn wir überhaupt einen verfassungskonformen Haushalt aufstellen wollen.
Dabei kann auch der Sozialhaushalt, der immerhin
42 Prozent des Gesamthaushalts umfaßt, nicht ausgenommen werden. Wo immer man jedoch im Sozialhaushalt kürzt - das ist das Problem -, trifft man die Schwächeren in dieser Gesellschaft. Wenn wir uns einmal den
Sozialetat des laufenden Haushalts 1999 angucken,
werden wir finden, daß es da drei große Kostenblöcke
gibt. Der erste ist der Bereich der Sozialversicherungen
- das heißt, der Renten - mit rund 119 Milliarden DM;
dann kommt der Bereich der Arbeitslosenhilfe für die
Langzeitarbeitslosen mit etwa 30 Milliarden DM, und
schließlich kommen die Maßnahmen, die der Bund direkt als aktive Arbeitsmarktpolitik durchführt; das sind
rund 14 Milliarden DM im laufenden Haushalt.
Wir haben uns nun entschieden, folgendes zu tun: Bei
den Rentnern wird es zwei Jahre lediglich einen Inflationsausgleich geben - bis zum Jahr 2001 -, und anschließend werden wir zu einer an der Lohn- und Gehaltsentwicklung orientierten Anpassung zurückkehren.
({8})
Das Protestgeschrei, das Sie hier erheben - das ist heute
schon oft gesagt worden -, ist absolut heuchlerisch;
({9})
denn in den letzten Jahren Ihrer Regierung haben die
Rentner nicht einmal den Inflationsausgleich bekommen.
({10})
Ich sage Ihnen eines:
({11})
Diesen Beitrag müssen die Rentner zur Stabilisierung
der künftigen Systeme leisten. - Bitte, schreit nicht mir
dazwischen; schreit der Opposition dazwischen.
({12})
Frau Kollegin Schwaetzer, zu Ihrer Rede möchte ich
nur einen Satz sagen: Ich halte Sie für eine sehr kluge
und kompetente Frau, aber nach dem, was Sie heute gesagt haben, fange ich an, mich nach Frau Babel zurückzusehnen. Das will etwas heißen.
({13})
Ich möchte etwas zur Situation der Rentner sagen. Ich
denke, insgesamt - das ist sehr erfreulich - ist die Situation der Rentner in unserem Land nicht schlecht. Nicht
jeder Rentner ist arm, meine Damen und Herren. Einem
Drittel geht es heute materiell sehr gut, zum Beispiel
weit besser als jungen Familien oder Alleinerziehenden.
Einem zweiten Drittel geht es zufriedenstellend. Die
Probleme befinden sich im letzten Drittel. Darunter sind
in der Tat vor allem Frauen mit ganz niedrigen Renten,
die gar keine Erwerbsbiographie oder nur eine lückenhafte Erwerbsbiographie haben. Hier werden wir - das
hat Minister Riester auch gesagt - mit der Riesterschen
Rentenreform eine soziale Grundsicherung einführen,
die diese Frauen dann von der Sozialhilfe unabhängig
macht.
({14})
Frau Kollegin Wegner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Grehn?
Ja, wenn es sein
muß.
Ich danke Ihnen herzlich.
Es muß sein. - Sie haben gesagt, insgesamt gehe es den
Rentnern nicht schlecht. Nicht alle hätten wenig Geld.
Können Sie etwas näher quantifizieren, was sich dahinter verbirgt?
Ich kann es gerne
wiederholen. Ich habe gesagt: Insgesamt ist die Situation
der Rentner nicht schlecht. Man muß aber differenzieren. Einem Drittel geht es sehr gut, besser als jungen
Familien und Alleinerziehenden. Einem zweiten Drittel
geht es zufriedenstellend, und die Probleme, die wir haben, liegen beim letzten Drittel. Darunter ist ein Prozentsatz von Menschen, vor allem Frauen, mit unzumutbar niedrigen Renten. Für diese werden wir die soziale
Grundsicherung einführen.
({0})
Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen - das
weiß ich aus vielen Gesprächen vor Ort, und es ist zur
Zeit nicht leicht, diese Diskussionen zu führen -, daß die
meisten Rentner durchaus einsehen, daß der zweijährige
Verzicht auf die volle Anpassung ein struktureller Beitrag zur Sanierung des Staatshaushaltes und vor allem
zur langfristigen Sicherung des Rentensystems ist, und
daß sie bereit sind, diesen Beitrag zu bezahlen.
Sehr viel problematischer - das will ich hier offen
zugeben - als die Einsparung bei den Rentnern erscheint
mir persönlich eine andere Sparmaßnahme: die Kürzung
der Rentenversicherungsbeiträge für die Arbeitslosenhilfeempfänger auf den reinen Zahlbetrag. Die Langzeitarbeitslosen werden damit doppelt getroffen: Sie haben ihren Arbeitsplatz verloren, und sie erhalten jetzt
weiter gekürzte Renten. Es wundert mich immer, daß
diese Maßnahme in der Öffentlichkeit lange nicht die
Diskussionen ausgelöst hat wie bei den Rentnern.
({1})
Ich ziehe daraus den Schluß, daß der alte Satz „Arbeitslose haben keine Lobby“ wahr ist.
({2})
Dennoch - das muß ich hier mit aller Deutlichkeit sagen
- ist auch diese Sparmaßnahme unumgänglich, weil wir
keine andere Wahl haben.
Ich komme auf eine weitere Sparmaßnahme, nämlich
die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe. Hier
kann man schon sagen, daß dies von der Versicherungssystematik her und auch als Sparmaßnahme vertretbar
ist, vorausgesetzt, die Kommunen erhalten einen Ausgleich für die Lasten, die auf sie zukommen.
({3})
Aber eben dies ist vorgesehen, wenn man das Gesamtprogramm betrachtet, das Minister Eichel vorgestellt
hat, denn in der mittelfristigen Finanzplanung werden
Länder und Kommunen im Schnitt um eine halbe Milliarde entlastet. Es gehört zur Ehrlichkeit, daß man auch
das hier sagt.
({4})
In den dritten großen Bereich des Sozialhaushaltes, in
die aktive Arbeitsmarktpolitik, greifen wir bewußt nicht
ein, sondern führen sie entsprechend unserem Wahlversprechen auf hohem Niveau fort.
({5})
Damit bieten wir den Arbeitslosen und auch gerade jungen Leuten mit unserem Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit eine Chance - für viele ist es die einzige,
in Beschäftigung zu kommen.
({6})
Durch die Verstetigung des Zuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit schaffen wir Planungssicherheit für
die Träger, im Gegensatz zu der Stop-and-go-Politik, die
ihre Regierung früher betrieben hat.
Wenn wir hier einschneiden würden und bei der Bundesanstalt um Milliardenbeträge kürzten, wie Sie es immer beantragt haben, würde das automatisch zu einer
Erhöhung der Arbeitslosenzahl im Osten führen, und das
kann niemand wollen, der halbwegs verantwortungsbewußt ist.
({7})
Es bleibt als weiteres Problem die beträchtliche Minderausgabe in Höhe von 2,4 Milliarden DM im Haushalt. Das ist ein Problem, aber ich kann Ihnen sagen, daß
Minister Riester mit seinem Haus äußerst konstruktiv an
dieser sehr schwierigen Aufgabe mitgearbeitet hat und
wir einen Vorschlag zur Abdeckung der Minderausgabe
vorlegen werden. Sie werden das erfahren. Es bleiben
uns noch zweieinhalb Monate Zeit, um das zu erarbeiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Anfang dieser
doch sehr schmerzlichen und schwierigen Sparoperation
stellen sich zwei Fragen. Erstens. Was gewinnt der
Staat, wenn diese Operation gelingt? Zweitens. Gibt es
eine Gerechtigkeitslücke in der Politik der rotgrünen
Regierung? Zur ersten Frage: Ich hoffe, daß das Sparpaket möglichst unverändert umgesetzt werden kann, denn
nur so gewinnt der Staat seine Handlungsfähigkeit zur
Politikgestaltung zurück, und nur so bauen wir allmählich die Lasten ab, die wir der jungen Generation alle
gemeinsam in den letzten Jahrzehnten aufgebürdet haben.
({8})
Bezüglich der sozialen Gerechtigkeit gibt es in der
Politik der rotgrünen Regierung kein Defizit; denn mit
der ersten Stufe der Steuerreform, die vor allem Familien und Bezieher kleiner Einkommen spürbar entlastet
hat, und mit der Rücknahme sozial ungerechter Gesetze
der alten Regierung Kohl ist ein Teil von Gerechtigkeit
in diesem Land wiederhergestellt worden. Leider haben
die Wählerinnen und Wähler fast alles schon wieder
vergessen.
({9})
- Diese Bemerkung müssen Sie mir schon gestatten.
Vielleicht haben wir auch den Fehler gemacht, unsere
Politik zu wenig überzubringen; das will ich gern
zugeben.
Meines Erachtens existiert jedoch unzweifelhaft eine
Gerechtigkeitslücke in der Gesellschaft, und auch das ist
eine Erbschaft aus der Regierungszeit von Helmut Kohl.
({10})
Es fehlt in unserem Land nach wie vor ein Beitrag der
großen Vermögen zu den Kosten der Einheit und zu der
Sanierung des Staatshaushalts. Wenn der damalige
Kanzler Kohl zur Zeit der Wiedervereinigung 1990 einen angemessenen Beitrag der großen Vermögen zu den
Kosten der Wiedervereinigung verlangt hätte, hätte sich
keiner gemuckt oder widersetzt.
({11})
Heute ist die Durchsetzung einer solchen Forderung
viel schwieriger. Beispielsweise werden manche verfassungsrechtliche, vielfach aber auch nur vorgeschobene
Bedenken gegen die Wiedereinführung der privaten
Vermögensteuer
({12})
oder einer angemessenen Erhöhung der Erbschaftsteuer
ins Feld geführt. Ich denke, die Lösung dieses Problems
ist überfällig. Sie soll kein Schnellschuß sein,
({13})
sie muß verfassungsrechtlich in Ordnung sein. Ich denke, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
({14})
- Ich will sie, Herr Niebel. Sie brauchen nicht dazwischenzuschreien. Es ist eine Gerechtigkeitslücke, die aus
Ihrer Regierungszeit stammt.
({15})
Das sogenannte Sparpaket, meine Damen und Herren,
ist notwendig. Es sollte nicht weiter zerredet werden,
auch nicht in der eigenen Partei. Es sollte möglichst
nicht aufgeschnürt und zerfasert werden.
Ich denke auch, die Opposition sollte ihre Polemik
einstellen und sich konstruktiv an der Sanierung des
Staatshaushalts beteiligen. Sie haben hier eine Bringschuld; denn es waren in der Tat CSU, CDU und F.D.P.,
die durch ihre unverantwortliche Schuldenpolitik den
Staatshaushalt ruiniert haben.
Danke.
({16})
Für die CDU/CSUFraktion spricht nun der Kollege Joachim Fuchtel.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als erstes
möchte ich bemerken, daß der größte Einzeletat des
Bundeshaushalts ganz besonders unter Gerhard Schröder
leidet.
Frau Kollegin Wegner, das Problem ist nicht in erster
Linie, daß wir sparen müssen. Ich habe mir einmal die
Mühe gemacht, die Summen der Anträge auf zusätzliche
Ausgaben zusammenzurechnen, die die SPD-Fraktion in
den letzten 16 Jahren im A-und-S-Ausschuß sowie im
Haushaltsausschuß gestellt hat.
({0})
- Es war sehr viel Arbeit. - Ich bin auf über 100 Milliarden DM gekommen. Die Leute, die hier erzählen, daß
man sparen muß, haben das erst begriffen, seit sie in der
Regierung sind.
({1})
In der Opposition ist es offensichtlich doch schöner, und
weil Sie so schlecht begreifen, gehören Sie dort auch
bald wieder hin.
({2})
Nein, meine Damen und Herren, es geht eher um die
Art und Weise, in der hier Politik gemacht wird. Wie
man als Berichterstatter hört - Sie wissen, da gibt es den
Bischof von Hildesheim,
({3})
- vielleicht auch jetzt die Bischöfin - , wurde das Ministerium am Beginn seiner konzeptionellen Arbeit von
der Sparidee, die sehr plötzlich über die Häuser hereinbrach, völlig überrascht. Dies wird einem von Beamten
aus dem Haus bestätigt. Man wurde gezwungen, ausschließlich fiskalisch zu denken. Das ist das Problem,
das zur Zeit besteht.
({4})
Das heißt, man tritt ohne Konzeption in Aktion. Dies ist
ein typischer Managerfehler. Hier hat der Chef versagt.
Es ist besonders für die Sozialpolitik tödlich, wenn dadurch die Politik nicht vertrauenswürdig geführt werden
kann.
({5})
Ich möchte das belegen, und zwar nicht nur mit der
verkorksten Rentendebatte. Wir befinden uns in der
Haushaltsdebatte. Manchmal hat man allerdings den
Eindruck, man hört Besinnungsaufsätze. Ein Beleg ist
vor allem die globale Minderausgabe mit 2,4 Milliarden DM. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen
aus dem Haushaltsausschuß, Herr Riester mußte die
2,4 Milliarden DM einbringen, damit die Vorlage von
Herrn Eichel überhaupt rechnerisch aufgeht. Er weiß
noch nicht, woher er sie nehmen soll. Wenn er es wüßte,
würde er es uns vielleicht sagen. Herr Minister Riester,
Sie haben hier sehr viel erzählt, aber die haushaltspolitische Wahrheit, die Sie als Minister gewährleisten müssen, haben Sie heute nicht präsentiert.
({6})
Eine globale Minderausgabe von seiten der Regierung in dieser Höhe gab es im Sozialetat in der ersten
Lesung eines Bundeshaushalts noch nie. Das werden die
Haushälter wissen. Was hätten Sie an dieser Stelle Waigel und Blüm vorgeworfen, wenn dies vorgekommen
wäre? Sie hätten verlangt, daß die Haushaltsberatungen
ausgesetzt werden, bis entsprechende Ausplanungen
stattgefunden haben. Das hätten Sie getan.
({7})
So fragen wir ganz einfach: Ist das Sparziel auch hier
eine Luftnummer, oder wollen Sie warten, bis die Wahlen in Sachsen und Berlin vorbei sind, um dann den
echten Schröder-Wein einzuschenken? Wir als
CDU/CSU verzichten darauf, jetzt zu sehr zu agitieren
und den sozial Schwachen Angst zu machen.
({8})
Sie würden jetzt im Land herumrennen und sagen, was
alles noch für schlimme Dinge geschehen werden. Wir
wollen nur eines und verlangen schlichtweg: Legen Sie
unverzüglich einen ausgeplanten Entwurf vor - nichts
weiter -, damit Klarheit darüber herrscht, worüber wir
überhaupt reden können.
({9})
Ich möchte auf die Zeitbomben hinweisen, die heute
noch gar nicht zur Sprache kamen, so zunächst einmal
auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur
Aufstockung der Renten nach dem AAÜG. Bekanntlich wurde in diesem Jahr dazu ein Urteil gefällt. Bewußt haben Sie die Gesetzesarbeiten so hinausgezögert,
daß Sie heute dazu noch nichts sagen müssen. Hier fallen dreistellige Millionensummen, wahrscheinlich in
der oberen Hälfte, an; und kein Wort vom Minister dazu
an diesem Tag. Das bedeutet, daß die globale Minderausgabe in Höhe von 2,4 Milliarden DM, die nicht
konkretisiert ist, zusammen mit der halben Milliarde
oder noch etwas mehr, die auf Grund dieser Gesetzgebung erforderlich ist, sowie den Nachzahlungen, die
zu leisten sind, eine Summe von zirka 3 Milliarden
DM ergibt, über die Minister Riester heute keine Auskunft geben kann. So eine große Summe hatten wir in
diesem Stadium der Beratungen zum Bundeshaushalt
noch nie.
({10})
Ich fange langsam an zu verstehen, warum unter Haushältern vom „blanken Hans“ die Rede ist. Für die NichtInsider: Damit meinen wir Herrn Eichel.
Ich stelle die zweite Frage, die bisher ebenfalls in
keiner Weise beantwortet wurde: Was machen Sie
eigentlich, wenn die Ökosteuer tatsächlich ihren Zweck
erfüllt? Was machen Sie, wenn weniger verbraucht wird
und damit das Aufkommen niedriger ist? Dann fehlen
Ihnen ganz schnell Beträge in Milliardenhöhe.
({11})
Das wäre nicht so tragisch, wenn es nur darum ginge,
einen einmaligen Ausfall von einigen Milliarden DM zu
verkraften. Aber Sie haben die Einnahmen aus der Ökosteuer mit den gesamten Transfers im Sozialbereich verquickt. Jeder, der diese Regelungen ändern und die
Politik auf ein anderes Gleis führen will, wird sich damit
sehr schwer tun, weil er dann aus dem Stand heraus große Milliardensummen aufbringen muß. Auf die Frage,
was geschieht, wenn die Ökosteuer weniger einbringt,
geben Sie keine Antwort.
({12})
Ich fordere an dieser Stelle: Wer sich der sogenannten
Ökosteuer zur Rentenfinanzierung bedient, der muß die
Schwankungsreserve bei den Renten erhöhen. Nur so
kann man den Rentnern die Angst nehmen, daß die
Rente gekürzt wird, wenn es weniger Einnahmen aus der
sogenannten Ökosteuer gibt.
({13})
Eine weitere Bemerkung. Das Rentenchaos verdeckt
den eigentlichen Skandal. Ich habe mich heute gewundert, wie wenig das Thema Arbeitslosigkeit zur Sprache
kam. Sie haben bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
versagt. Das muß heute einmal gesagt werden.
({14})
Dieses Versagen hat den Steuerzahler ungefähr 9,8 Milliarden DM gekostet. Dafür sind Sie verantwortlich.
({15})
Obwohl überall um uns herum, ob in Frankreich oder
auch in den USA, die Steuerquellen sprudeln und die
Konjunktur läuft, nimmt bei dieser rotgrünen Regierung
die Zahl der Erwerbstätigen ab statt zu. Dabei rechnen
die Institute im Jahre 2000 - ohne Zutun der Politik mit zirka 200 000 weniger Arbeitslosen, weil die Zahl
der Erwerbsfähigen stark abnimmt. Allein schon deswegen müßte eine Rückführung des Bundeszuschusses
nach Nürnberg um 6 Milliarden bis 8 Milliarden DM
möglich sein. Dann erst, Herr Riester, fängt die politische Leistung an. Wenn ich höre, wie kläglich Sie mit
den Zahlen von 150 000 oder 200 000 weniger Arbeitslosen operieren, dann zeigt mir das, wie wenig Vertrauen Sie in Ihre eigene Politik haben. Ansonsten wären Sie
davon überzeugt, daß die Maßnahmen, die Sie hier als
gut bezeichnen, tatsächlich einmal anfangen zu wirken.
Dieses Vertrauen schlägt sich auch nicht in den Zahlen
für den Haushalt 2000 nieder, da statt null DM
9,85 Milliarden DM für die entsprechende Position des
Haushaltes veranschlagt werden.
({16})
Die CDU/CSU fordert die Senkung dieses Ansatzes,
damit Sie endlich gezwungen werden, das Notwendige
zur Belebung des ersten Arbeitsmarktes zu tun. Statt
dessen schröpfen Sie die Bezieher von Arbeitslosenhilfe
sowie die jungen Wehr- und Ersatzdienstpflichtigen. Die
Rentenbeiträge für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe
werden jährlich um 4 Milliarden DM gekürzt. Die betroffenen Menschen werden auf eine Rente in Höhe der
Sozialhilfe buchstäblich hingeführt. In der Begründung
zu dem Gesetzentwurf - man sollte sie einmal nachlesen
- wird kleingedruckt offenbart, was eigentlich dahintersteckt. Dort heißt es nämlich, daß die Maßnahme
sozial begründbar sei, weil eine solide Grundsicherung
geschaffen werden soll. Diese Regierung arbeitet also
darauf hin, daß eine soziale Grundsicherung erforderlich wird.
({17})
Eine Politik dieser Art lehnen wir als CDU/CSUFraktion vollständig ab.
({18})
Diese Politik ist auch haushaltspolitisch äußerst unseriös. Jetzt reduzieren Sie die Rentenanwartschaften der
sozial Schwächeren, um den Haushalt zu sanieren. Sie
verweisen in diesem Zusammenhang auf die Grundsicherung. Für diese Grundsicherung haben Sie aber keine einzige Mark im Haushalt eingestellt.
({19})
Zeigen Sie uns einmal, wo das Geld für die Grundsicherung steckt, Herr Riester! Ich gehe nicht davon aus, daß
Sie vorhaben, dieses Geld ohne weitere Finanzierungsmöglichkeit aus dem Rententopf zu nehmen. Wenn Sie
das anders machen wollen, dann müssen Sie neues Geld
beibringen. Bisher habe ich noch keine Lösung gesehen;
ich warte auf eine Antwort. Sie wollen jetzt kassieren
und erst später finanzieren. Das ist das Fazit: Eichel und
Riester wollen den Haushalt im Sozialbereich durch
Verschiebung von Aufgaben auf die Zukunft sanieren.
Das ist die Wahrheit Ihrer Politik: Sie stellen Schecks
für die Zukunft aus, die über die Grundsicherung eingelöst werden.
Wie ernüchternd Regierung sein kann, sieht man an
folgendem: 1989 hat die SPD im Zusammenhang mit
dem Rentenkonsens die damalige Bundesregierung zu
ebendiesem Schritt gezwungen, den Rotgrün jetzt wieder rückgängig macht, nämlich die Anhebung der für
Arbeitslosenhilfebezieher abgeführten Beiträge. Damals
waren Sie es, die das in den Vermittlungsgesprächen erzwungen haben. Jetzt machen Sie es auf einmal wieder
anders. Als wir die originäre Arbeitslosenhilfe abschaffen wollten, haben Leute wie Eichel und Schröder das
im Bundesrat verhindert. Aber auch Sie, die Sie dort sitzen, waren über die Gremien dabei: Im A-und-SAusschuß und im Haushaltsausschuß haben Sie Zeter
und Mordio geschrien und das ganze Land sozialpolitisch in Brand gesteckt. Und jetzt soll das auf einmal gehen.
({20})
- Auch wir wollten damals nichts anderes als eine solide
Finanzierung des Haushaltes, und hinsichtlich der Ausgleichsmaßnahmen für die Kommunen haben wir dieselben Ansätze gehabt. Also, da haben Sie wirklich keinen guten Stich gemacht.
Zusammengenommen muß man ganz klar sagen: In
diesem Haushalt gibt es viel mehr Löcher, als bisher
diskutiert wurden. An Ihrer Stelle wäre ich nicht so sicher, daß Sie mit diesem Haushaltskonzept auch nur ansatzweise über die Runden kommen.
({21})
Die Kollegin Ekin
Deligöz spricht nun für Bündnis 90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen
Kindern geht es heute besser als den früheren Generationen von Kindern: Der Familienalltag ist demokratischer geworden, der materielle Standard ist höher denn
je - aber das Ganze nur im Durchschnitt. Denn gleichzeitig können wir in unserer Gesellschaft feststellen, daß
die Tendenzen sozialer Spaltung vor der Familie nicht
haltmachen. In der Bundesrepublik Deutschland leben
1 Million Kinder und Jugendliche in Familien, deren
Existenzgrundlage die Sozialhilfe ist.
Der 10. Kinder- und Jugendbericht brachte es an den
Tag: Kinder sind heute das Armutsrisiko Nummer eins.
Vor allem: Armut ist kein Randgruppenproblem mehr.
Sie trifft das Kind, dessen Vater kein oder zuwenig Unterhalt zahlt. Sie trifft immer öfter auch Familien, die
über ein regelmäßiges Einkommen verfügen. Die Folgen
sind gravierend; denn Armut hat viele Gesichter. Armut
macht Kinder seelisch und körperlich krank. Noch nie
seit 1982 waren die Chancen sozialen Aufstiegs für
Kinder und Jugendliche so schlecht wie heute, nach der
Ära Kohl.
({0})
Dies ist die Erblast der alten Regierung, die immer von
Kinderfreundlichkeit geredet und bisher viel zuwenig
dafür getan hat.
({1})
- Dazu komme ich noch.
An den Kindern zu sparen ist der falsche Weg der
Sparsamkeit und geht vor allem zu Lasten der gesamten
Gesellschaft. Die rotgrüne Bundesregierung wird der
Kinderarmut den Kampf ansagen. Wir von Bündnis
90/Die Grünen haben bereits in der letzten Wahlperiode
ein Kindergeld von 300 DM gefordert, um die notwendige Besserstellung der Familien zu erreichen. Dieses
Ziel wurde durch das Urteil des Verfassungsgerichts zur
Familienbesteuerung bestätigt.
Übrigens war dieses Urteil eher für Ihre als für unsere
Politik vernichtend.
({2})
In diesem Urteil wird vor allem die horizontale Steuergerechtigkeit betont. Das heißt, Familien mit Kindern
dürfen gegenüber Kinderlosen der gleichen Gehaltsklasse nicht benachteiligt werden.
({3})
Um dies sicherzustellen, werden die Kinderfreibeträge
jetzt kräftig erhöht. Gleichzeitig erhöhen wir das Kindergeld um nochmals 20 DM, damit Haushalte mit Kindern, die weniger gut verdienen, bessergestellt werden.
({4})
Verglichen mit der Ära Kohl/Schäuble/Gerhardt erhalten Familien mit Kindern ab dem kommenden Jahr deshalb netto 600 DM mehr für jedes ihrer ersten beiden
Kinder.
({5})
Von der Anhebung des Kindergeldes haben aber bisher die Sozialhilfeempfänger nicht profitiert. Denn das
Kindergeld wird auf die Sozialhilfe angerechnet.
({6})
Die Kommunen, die für die Sozialhilfe aufkommen
müssen, kassieren aber das vom Bund gezahlte Kindergeld. Deswegen haben wir von der Fraktion bereits eine
Anfrage an das Finanzministerium gerichtet,
({7})
um nachzufragen, wie die Erhöhung des Kindergeldes
gestaltet werden kann,
({8})
damit die Erhöhung auch bei allen Kindern ankommt.
Wir erwarten die Antwort in diesen Tagen.
({9})
- Ich möchte hier einmal reden, ohne daß Sie dazwischenblöken.
({10})
Parallel dazu haben wir Kontakt zu Sozialrechtsexperten aufgenommen. Das Ergebnis ist sehr ermutigend: Das erhöhte Kindergeld läßt sich tatsächlich
rechtlich so verankern, daß es nicht mit der Hilfe zum
Lebensunterhalt verrechnet wird. Die Erhöhung des
Kindergeldes kann voll an sozial bedürftige Kinder
weitergegeben werden, ohne daß Folgewirkungen für
das Existenzminimum bestehen. Das Sparpaket der rotgrünen Regierung bleibt in diesem Sinne also unberührt.
Zusätzliche Belastungen für den Bundeshaushalt entstehen nicht, denn das erhöhte Kindergeld wird an die
Kommunen ja ohnehin ausgezahlt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir es mit
der Bekämpfung von Kinderarmut ernst meinen, dann
dürfen wir an dieser Stelle nicht mehr über das Ob, sondern nur noch über das Wie debattieren. Mit der Weitergabe der Kindergelderhöhung auch an Sozialhilfeempfänger haben wir nach jahrelanger Untätigkeit endlich die Möglichkeit, etwas für diejenigen Kinder zu tun,
die auf unsere Solidarität am dringendsten angewiesen
sind.
({11})
Ich bin sehr zuversichtlich, daß wir in der Koalition diesen Weg gemeinsam beschreiten können und werden.
Ich lade auch Sie von der Opposition dazu ein, uns keine
Steine in den Weg zu legen, denn Sie haben in dieser
Beziehung noch einiges wiedergutzumachen.
({12})
Für die SPDFraktion gebe ich dem Kollegen Adolf Ostertag das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die neue Bundesregierung hat Startbedingungen vorgefunden, wie sie vorher
noch nie eine neue Regierung hatte.
({0})
Die finanziellen Gestaltungsspielräume waren schlechter
als je zuvor und sind außerordentlich gering; das wissen
Sie.
({1})
Das gilt insbesondere für den größten Einzeletat, nämlich den für Arbeit und Soziales. Dennoch haben wir in
den ersten Monaten der Regierungsverantwortung bereits eine Reihe von Reformprojekten durchgesetzt. Ich
erinnere an die Stärkung der Arbeitnehmerrechte Rechte, die Sie jahrzehntelang geschwächt haben ({2})
und an die Besserstellung von Klein- und Normalverdienern. Weitere Reformschritte werden trotz enger
finanzieller Spielräume folgen. Darauf können Sie sich
ganz sicher verlassen.
({3})
Nun hat sich die Bundesregierung entschieden, nicht
einfach eine Politik des „Weiter so!“ zu machen; das ist
heute ja schon deutlich geworden. Mit diesen Reformprojekten in der jüngsten Vergangenheit ist das nachdrücklich unterstrichen worden, und das ist bei den Bürgerinnen und Bürgern, bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch angekommen. Das dauert - das haben
wir schmerzlich feststellen müssen - zwar ein bißchen
länger, ich bin aber überzeugt, daß sich das ändern wird.
Der Überbringer einer schlechten Nachricht hat schon
immer einen schweren Stand gehabt. Das war schon in
der griechischen Antike so; offensichtlich hat sich das
nicht geändert. Wir werden auf diesem Feld weiterhin
sehr intensiv arbeiten.
({4})
Wir sind die schmerzliche Aufgabe angegangen, Haushaltskonsolidierung zu betreiben. Alternativen sind immer schwer zu vermitteln. Eben nicht nur ein „Weiter
so!“, raus aus den eingefahrenen Gleisen!
Gerade als Sozialpolitiker sage ich: Verschuldung ist
in höchstem Maße sozial ungerecht.
({5})
Wenn von jeder vierten Mark des Staates nur die Banken und Kreditgeber profitieren, dann ist das nichts anderes als die Fortsetzung Ihrer Politik der Umverteilung
von unten nach oben.
({6})
Soziale Gerechtigkeit auf Pump funktioniert nur kurzfristig und ist unsolidarisch. Von wem sollen die Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, in Zukunft ihr Geld erhalten, wenn die Staatskassen leer sind?
Sozialdemokratische Politik in Zeiten leerer Kassen bedeutet deshalb, die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme in den Mittelpunkt zu stellen.
({7})
Dies ist Politik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Die Steuereinnahmen müssen vorrangig wieder für
die Zukunftsaufgaben des Staates, für Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und für Investitionen in Bildung,
Forschung und für den Ausbau der Infrastruktur ausgegeben werden. Dafür werden wir sorgen. Die Haushaltspolitik der Sozialdemokratischen Partei hat heute schon
die Akzente dafür gesetzt.
Sparen ist aber kein Selbstzweck. Das ist mehrfach
gesagt worden, auch von Oppositionsrednern. Darin sind
wir uns sicherlich einig. Wir sparen, um unseren Staat
im Interesse des Allgemeinwohls wieder handlungsfähig
zu machen. Das ist etwas anderes als das, was Sie bisher
gemacht haben. Nein, Sie haben insbesondere die Kleinverdiener und die Armen abgezockt. Sie haben sie ins
Abseits gestellt. Darüber gibt es umfangreiche Statistiken. Schauen Sie sich doch einmal die Unterlagen von
Herrn Blüm an, in denen aufgelistet ist, wie in den letzten Jahren abgezockt und umverteilt wurde. Hier kann
man das sehr schön nachvollziehen. Wir werden Ihnen
diese Unterlagen gerne wieder zur Verfügung stellen,
wenn Sie sie verlegt haben sollten.
({8})
Heute wird zu Recht viel von der finanziellen Erblast
der Kohl-Regierung gesprochen. Ich nenne nur die Zahl
18 750. Diese Zahl steht für die Schuldenlast, die auf
jedem einzelnen - egal, ob Kind oder Greis, ob Deutscher oder Ausländer - in Deutschland lastet, wenn man
die Schulden des Bundes gleichmäßig auf jeden Bürger
verteilt. Eine vierköpfige Familie hat damit Schulden in
Höhe von 75 000 DM. Das sind nur die Schulden des
Bundes. Hinzu kommen noch die Schulden der Länder,
der Gemeinden und der übrigen öffentlichen Körperschaften. Sie haben uns für die Zukunft also eine äußerst
schwere Hypothek hinterlassen.
Aber nicht nur diese Schuldenlast von 1,5 Billionen DM haben wir von der Kohl-Regierung geerbt,
sondern auch die Rekordarbeitslosigkeit. Wie wir alle
wissen, hängt das eine mit dem anderen ganz eng zusammen. Jährlich kostet uns die Arbeitslosigkeit mehr
als 170 Milliarden DM, einschließlich der aus der Verschwendung von Arbeitskraft herrührenden Mindereinnahmen aus Steuern und Mehraufwendungen für die Sozialausgaben. Das sind die eigentlichen Erblasten, die
wir übernommen haben: die Schulden zusammen mit einer Arbeitslosenquote von weit über 4 Millionen. Daraus folgt: Nur wer das Kardinalproblem der Arbeitslosigkeit in den Griff bekommt, kann die Staatsfinanzen
letzten Endes sanieren. Das ist nicht über andere Methoden möglich. Deshalb haben wir in den ersten elf Monaten nach der Bundestagswahl die Weichen für mehr
Beschäftigung gestellt.
({9})
- Ja, Sie müssen sich das anhören. Sie haben unsere
Vorschläge auch schon in den letzten Monaten teilweise
bekämpft.
Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt. Sie haben
das jahrzehntelang - das ist schon mehrfach gesagt worden - auch auf Ihre Fahne geschrieben. Aber Sie haben
nichts getan. Im Gegenteil: Sie haben die Lohnnebenkosten nur in die Höhe getrieben.
({10})
Wir haben es geschafft, diese Kosten zu senken, ohne
die Finanzen der Sozialversicherung zu gefährden, und
zwar im Zusammenhang mit einer verursachergemäßen
Finanzierung der sogenannten versicherungsfremden
Leistungen. Auch davon haben Sie immer geredet. Aber
Sie haben die Finanzierung der versicherungsfremden
Leistungen im Rahmen der sozialen Sicherungssysteme
immer mehr ausgeweitet. Das ist in diesen Stunden der
haushaltspolitischen Debatte deutlich geworden. Auch
im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben wir in
den letzten Jahren immer dafür gekämpft, daß die notwendigen Kosten der deutschen Vereinigung nicht über
die solidarischen Sicherungssysteme finanziert werden.
Wenn man zusammenzählt, was hier gemacht worden
ist, ergibt sich daraus wahrscheinlich schon mehr als 1
Billion DM.
Wir haben eine Steuerreform durchgesetzt, die vor
allem dem Klein- und Normalverdiener zugute kommt
und durch die die Binnenkonjunktur gestützt wird. Eine
Entlastung für kleine und mittlere Unternehmen ist auch
schon erfolgt. Sie wird fortgesetzt werden.
Wir haben die Ausgaben für Bildung und Forschung
erhöht. Was haben Sie in den letzten Jahren hier gemacht? Sie haben eine skandalöse Politik betrieben. Hier
gab es eine große Kluft zwischen Ihren großartigen
Sprüchen und Sonntagsreden einerseits und Ihrer Haushaltspolitik andererseits.
Wir haben die Ausgaben für aktive Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit auf einem hohen Niveau verstetigt.
Wir haben keine „stop and go“-Politik wie Sie betrieben.
Wir haben nicht vor Wahlen neue Mittel bereitgestellt,
um sie danach zurückzufahren, während die Menschen
in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden. Wir werden die
Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit verstetigen. Das gehört zur Handschrift, die dieser Haushalt trägt.
Wir wissen: Diese Maßnahmen benötigen Zeit, bis sie
greifen und bis sich ihre Wirkung auch deutlich auf dem
Arbeitsmarkt niederschlägt. Aber bereits heute steht fest:
Es gibt am Arbeitsmarkt eine positive Grundtendenz.
Vergleicht man die Zahlen mit denen des Vorjahres, so
kann man insgesamt eine Stabilisierung bei der Zahl der
arbeitslosen Jugendlichen - darauf komme ich noch besonders zu sprechen - feststellen. Bei den Langzeitarbeitslosen sind sogar deutliche Erfolge zu verzeichnen.
Hierbei handelt es sich um besondere Problemgruppen.
Das haben wir Ihnen jahrelang immer wieder gesagt;
aber Sie haben nicht gehandelt.
Die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit sind eindeutig. Von September 1998 bis September 1999 ist die
Zahl der Arbeitslosen zurückgegangen. Es gibt zirka
300 000 Arbeitslose weniger. Es gibt Hoffnung auf dem
Arbeitsmarkt. Natürlich hätten wir uns gern eine sich
schneller abzeichnende Verbesserung gewünscht; aber
die konjunkturelle Delle Ende 1998 und Anfang 1999 dazu ist heute schon etwas gesagt worden - ließ die
Entwicklung nicht so schnell anspringen, wie wir es gehofft hatten, und die Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt waren nicht so massiv, wie wir alle es uns gewünscht hatten. Ich unterstelle Ihnen gar nicht, daß Sie
da böse Absichten haben.
Heute beraten wir den ersten Haushalt für das neue
Jahrhundert. Ich möchte klar sagen: Der Haushalt 2000
ist aus Sicht der Sozialpolitiker der SPD kein Schönwetterhaushalt. Aber der Haushalt 2000 ist ein Haushalt
der Zukunft in Solidarität zwischen den verschiedenen
Bevölkerungsgruppen.
({11})
Solidarität ist eben keine Schönwetterangelegenheit.
Wenn es hart auf hart geht - es geht in vielen politischen
Bereichen hart auf hart zu -, heißt es: zusammenstehen
und die Belastungen gemeinsam schultern. Das ist das,
was Sie die letzten 15 Jahre haben vermissen lassen.
Die Einsparungen von 30 Milliarden DM - das hat
der Finanzminister heute noch einmal unterstrichen müssen zusammenkommen, und dabei kann der größte
Einzelhaushalt nicht ausgenommen bleiben. Wir kürzen
keine Leistungen im Sozialhaushalt. Wir begrenzen für
zwei Jahre die Steigerungen des persönlichen Einkommens auf die Preisentwicklung. Damit verlangen wir
einiges von den Rentnern und Arbeitslosen, die mit höheren Steigerungsraten gerechnet haben. Aber wir verlangen auch einiges von den im öffentlichen Dienst Beschäftigten.
Meine persönliche Erfahrung der letzten Wochen ist:
Wenn man Zeit hat, den Menschen die Zusammenhänge
zu erklären, dann haben sie durchaus Verständnis dafür
- auch wenn niemand Beifall klatscht -, daß die Steigerungsraten auf die Höhe der Inflationsrate gekappt werden. Aber man kann schon verdeutlichen, daß das, was
bei unserer Politik herauskommt, noch immer wesentlich mehr als das ist, was Sie vielen in den letzten Jahren
zugemutet haben; denn in dieser Zeit waren die Steigerungsraten wesentlich geringer.
Sparen ist in unserem Land eine Tugend mit einem
hohen Stellenwert. Das haben viele offensichtlich verlernt. Ich bin der Meinung, wir sollten diese Tugend ein
Stückchen beherzigen, vor allen Dingen, wenn es um
das Geld geht, das die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler letzten Endes aufbringen müssen. Wir können
nicht mehr wie in der Vergangenheit auf das Tafelsilber,
das die Bundesrepublik einmal besaß, zurückgreifen.
Man muß deutlich sagen: Sie haben es verscherbelt.
Ihr Wehgeschrei über unsere Maßnahmen ist sehr
scheinheilig. Sie versuchen, sich als Verteidiger der
Rentner und Arbeitslosen aufzuspielen. In den letzten
16 Jahren haben Sie insbesondere bei diesen Menschen
abkassiert.
({12})
Ich möchte ein paar Beispiele nennen, die hier angesprochen worden sind: Absenkung der ABM-Entgelte,
jährliche Kürzung der Arbeitslosenhilfe, hohe Rentenabschläge bei vorgezogener Altersrente und Kürzungen bei
rentensteigernden Anwartschaften, Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das sind nur wenige Beispiele. Ich kann noch einmal auf die umfangreichen Papiere von Herrn Blüm verweisen, in denen er versucht,
das Ganze zu rechtfertigen. Im Vertrauen auf das
scheinbar kurze Gedächtnis der Menschen wollen Sie
überspielen, daß Sie die Probleme angehäuft haben, die
wir in den nächsten Jahren lösen müssen.
Das Verursacherprinzip, nach dem derjenige, der den
Müll macht, ihn auch aufräumt, gilt in der Politik leider
nicht. Das erfahren wir in diesen Wochen schmerzlich
beim Versuch der Konsolidierung. Aber daß sich jetzt
diejenigen, die den Müll wirklich hinterlassen haben,
lauthals mokieren und als Verteidiger der Rentner und
der Arbeitslosen aufspielen, das ist schon ein starkes
Stück.
({13})
Der Einzelplan „Arbeit und Soziales“ trägt mit gut
12 Milliarden DM den größten Anteil des Sparvolumens. Einsparungen in dieser Größenordnung fallen
schwer, an welcher konkreten Stelle auch immer. Einen
Bereich haben wir ganz bewußt ausgenommen, nämlich
die aktive Arbeitsmarktpolitik. Hier geht es darum,
den Menschen eine Perspektive zu geben. Erinnern Sie
sich daran, wie wir darüber in den letzten Jahren im
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gestritten haben? Wir haben immer gesagt: Machen Sie das nicht!
Dennoch haben Sie ständig gekürzt, der Prozentsatz ist
auf ein Drittel der Gesamtausgaben gesunken, die nur
noch für die aktiven, für die chancenerhaltenden Maßnahmen gedient haben. Das ist in der Tat eine verkehrte
Politik gewesen.
Wir werden versuchen, dieses Verhältnis wieder zu
verbessern. Wir haben erste Schritte gemacht. Wie Sie
wissen, haben wir im laufenden Haushalt den Ansatz
schon um 6 Milliarden DM erhöht. Das wird sich auch
in der nächsten Zeit verstetigen; denn nur dann gibt es
Chancen für die Menschen, sich wieder auf dem Arbeitsmarkt einbringen zu können.
({14})
- Am Montag hatten wir gar keine Landesgruppensitzung.
({15})
Wenn Kollege Laumann schon alle möglichen Zeitungen einschließlich der Käseblätter liest, dann sollte er sie
auch sorgfältig lesen.
({16})
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend
noch etwas zu den Debatten sagen, die wir zum Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit hatten. Herr
Kues und Frau Schwaetzer haben dazu bereits etwas gesagt. Hier sind Milchmädchenrechnungen zu einem Programm aufgemacht worden,
({17})
das seit wenigen Monaten läuft. Hier wurden Äpfel mit
Birnen verglichen, Herr Kues. Ich empfehle Ihnen und
auch Frau Schwaetzer, in Ihre Arbeitsämter zu gehen
und dort die Mitarbeiter zu fragen, was sie von dem
Programm halten. Sie sagen nämlich, dieses Programm
sei unter den Jugendlichen ein Renner, und es wird von
ihnen positiv und intensiv begleitet.
({18})
Sprechen Sie mit den jungen Menschen, die in solchen
Maßnahmen sind. Sie drehen nicht ständig Ehrenrunden,
sondern sie sehen für sich eine Perspektive, was etwas
anderes ist, als nur auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet zu werden, wie es in den letzten Jahren auf Grund
Ihrer Politik zumeist geschah.
({19})
Wir werden also diese Konsolidierungspolitik fortsetzen.
Herr Kollege, bitte
kommen Sie jetzt zum Schluß.
Ja, ich komme gleich zum
Schluß.
Wir werden dieses Programm verstetigen. Wir werden die aktive Arbeitsmarktpolitik verstetigen. Wir werden weiterhin soziale Reformen in diesem Lande umsetzen; darauf können Sie bauen. Schließlich werden wir
den Haushalt konsolidieren, weil das ein ganz wichtiger
Schritt ist, um Sozialpolitik in diesem Lande machen zu
können, um politische Handlungsspielräume zu eröffnen
und zurückzugewinnen und um Solidarität in diesem
Lande wirklich zustande zu bringen.
Vielen Dank.
({0})
Als letzte Rednerin
zu diesem Geschäftsbereich spricht nunmehr Birgit
Schnieber-Jastram von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Bundesregierung kann einem wirklich ein bißchen leid tun: eine
katastrophale Wahlniederlage für die SPD nach der anderen, der Brioni-Kanzler im Knitterlook verliert das
einzige, was die SPD an ihm mag, das Lächeln des Siegers.
({0})
Verloren hat er übrigens noch etwas anderes: Er hat
ganz schnell das Verständnis für die Menschen und ihre
Sorgen verloren.
({1})
Seine Welt ist längst von der Realität des Alltags der
Menschen abgerückt.
Angesichts dessen müssen Sie jetzt zusehen, wie Ihre
Bundesratsmehrheit dahinschmilzt wie Butter in der
Spätsommersonne. Dem Regieren-macht-Spaß-Kanzler
ist der Spaß in nur kurzer Zeit gründlich vergangen. Die
Wähler geben ihm die Quittung für Ihre katastrophale
Politik.
({2})
- Besonders schlimm, Herr Gilges, haben auch Sie es,
weil Sie das alles mittragen, mit den Menschen in der
Sozialpolitik getrieben. Sie werden unseren Ärger verstehen: Vor den Wahlen haben Sie den Menschen mehr
soziale Gerechtigkeit versprochen. Sie haben uns beschimpft, weil wir uns für mehr Generationengerechtigkeit eingesetzt und den demographischen Faktor in
die Rentenformel eingeführt haben. Herr Riester, dies
wird sich mittelfristig für Sie, für diese Koalition, rächen.
({3})
Was Sie jetzt machen, ist Rente nach Kassenlage. Das
können Sie schönreden, solange Sie wollen; das können
Sie auch lange entschuldigen, Herr Riester. Noch vor
fünf Monaten hat der Kanzler versprochen, daß die
Renten auch in Zukunft so wie die Nettoeinkommen steigen. Was Sie jetzt machen, ist eine Unverfrorenheit.
({4})
Sie belasten die Rentner noch viel stärker, als die frühere Bundesregierung es mit dem demographischen Faktor je getan hätte.
Ich rechne es Ihnen gerne noch einmal vor, wenn Sie
das nicht glauben. Ein Stückchen Selbstverleugnung ist
wirklich verständlich, aber Sie treiben es im Übermaß.
100 DM Mehrbelastung monatlich durch die Rente
nach Kassenlage für die Jahre 2000 und 2001, 20 DM
monatlich mehr durch die Einführung der ersten Stufe
der Ökosteuer und 52 DM monatlich mehr, wenn Sie die
Zwangszusatzrente einführen, über die hier auch immer
wieder geredet wird. Das ist die Bilanz Ihrer Rentenpolitik.
Frau Kollegin
Schnieber-Jastram, der Kollege Niebel möchte Ihnen eine Frage stellen.
Bitte
schön.
Frau Kollegin SchnieberJastram, Sie haben vorhin in der Debatte mitverfolgen können, wie sich die Kollegin Dückert echauffiert
hat, als gesagt wurde, auch die Grünen seien gegen den
demographischen Faktor gewesen. Das ist richtig, denn
sie waren immer dafür. Wie würden Sie denn die Tatsachen bezeichnen, daß die Grünen für den demographischen Faktor sind, ihn aber trotzdem abgeschafft haben?
Herr Niebel, das ist eine schöne Frage, die Sie da stellen. Ich
wundere mich wirklich zutiefst über das, was die Grünen heute reden und was sie noch gestern gesagt und
propagiert haben,
({0})
denn da ist eine Riesenkluft. Grüne Politik verkommt in
diesem Lande zur Unkenntlichkeit. Die Wahlergebnisse
zeigen das auch den Grünen, und das ist gut so.
({1})
Noch schlimmer - ich will in meiner Rede fortfahren
- als die Mehrbelastung der Rentner ist in der Tat der
Vertrauensverlust hinsichtlich der Rentenversicherung.
Bei der Rente nach Kassenlage ist die Erhöhung der
Renten zukünftig nicht mehr absehbar. Die Rentenanpassung erfolgt nach dem Motto: Sind Bananen da, gibt
es Bananen; sind keine da, gibt es keine. Mit der Rente
nach Kassenlage sparen Sie nicht zugunsten der jüngeren Generation, sondern Sie sparen zugunsten des Bundeshaushalts, nachdem Sie Anfang des Jahres 30 Milliarden DM zum Fenster hinausgeworfen haben.
({2})
Jetzt will ich einmal ein Mitglied Ihrer Partei zitieren,
um Ihnen zu zeigen, wie das vor Ort in den entsprechenden Debatten in den Landtagen gesehen wird. Die Sozialministerin aus Schleswig-Holstein, Heide Moser, sagte
in einer Debatte des schleswig-holsteinischen Landtags
erstens:
Die Aussetzung des Demographiefaktors ist mit
falschen Begründungen, die falsche Erwartungen
bei Rentnern geweckt haben, auf den Weg gebracht
worden.
Zweitens sagte sie:
Die Verbindung von Rentenreform und Sparpaket
ist so ziemlich die unglücklichste Schiene.
Die dritte Aussage von Heide Moser entspricht dem,
was Sie sich wünschen:
Da müssen wir durch.
Ganz nach dem Motto: Augen zu und durch. Das ist die
Erlebnislage Ihrer eigenen Partei vor Ort. Nehmen Sie
doch wenigstens das zur Kenntnis, wenn Sie schon nicht
zur Kenntnis nehmen, was wir sagen.
({3})
Ich will Ihnen noch etwas zu dem sagen, was immer
behauptet wird; denn ich finde, das ist wichtig. Auch
von Ihnen, Frau Dr. Dückert, ist heute gesagt worden,
unsere Rentenanpassungen seien jahrelang viel niedriger gewesen, als bei der Rente nach Inflationsausgleich.
Ich möchte dazu feststellen: Wir haben sie nie willkürlich festgelegt, sondern uns am Lohnniveau orientiert.
Da die Zuwachsraten im Bereich der Löhne niedrig waren, mußte auch die Rente entsprechend niedriger ausfallen.
({4})
Aber wenn die Nettolöhne jetzt erstmalig steigen, sind
Sie diejenigen, die die Rentner nicht beteiligen.
({5})
- Frau Schmidt, hören Sie doch einmal eine Sekunde zu;
denn es ist ganz wichtig, das zu wissen.
({6})
Ich will Ihnen ein weiteres sagen: Hätte man 1957 die
Rente nicht an die Löhne, sondern an die Preise gebunden, wären die Rentner in ihrer realen Kaufkraft heute
dort, wo sie vor 42 Jahren waren.
({7})
Das müssen Sie sich einmal zu Gemüte führen. Der
Wert der Rente hat sich durch die Anbindung an die
Lohnentwicklung seit 1957 um 230 Prozent erhöht.
({8})
Dieses Prinzip der Rentenversicherung wollen Sie außer
Kraft setzen! Dafür werden Sie bestraft werden. Wir
machen da nicht mit.
({9})
Ich möchte noch eines ausführen; der Kollege Kues
hat das zu Beginn schon gesagt. Herr Riester, es wird
immer deutlicher: Sie sind in der Tat ein Gefangener der
SPD-Propaganda vor den Bundestagswahlen. Ich will
gerne bei dem Bild bleiben, das ein Kollege heute schon
benutzt hat: Mittlerweile sind Sie einer der letzten Gefangenen, die tapfer im eigenen Käfig ausharren und
sich dem demographischen Faktor verweigern, den Sie
vor den Bundestagswahlen so vehement bekämpft haben. Denn der DGB ist soeben durch die Gitterstäbe geschlüpft und hat sich zum demographischen Faktor bekannt. Deswegen fordern wir Sie auf: Folgen Sie dem
Beispiel des DGB - wir öffnen auch gern die Tür -, und
führen Sie den demographischen Faktor ein. Hören Sie
auf, sich so beratungsresistent gegenüber vielen gutmeinenden Leuten zu verhalten.
({10})
Sie haben sich in der Rentenpolitik mittlerweile völlig isoliert. Ihre Rente nach Kassenlage wollen Sie unbeeindruckt vom Widerstand aller gesellschaftlichen
Gruppen durchziehen. Selbst die Gewerkschaften wollen
Ihren Rentenbetrug nicht mitmachen: DAG-Vorstand
Freitag spricht von einem mittleren politischen Skandal,
DGB-Chef Schulte mahnt Sie, daß man beim Sparen
nicht mit der Brechstange ansetzen darf.
Die Bundesregierung schlägt aber nicht nur die Proteste der Gewerkschaften, sondern auch die Warnungen
der von ihr zum Teil selbst bestellten Experten in den
Wind. Der Vorsitzende des Sozialbeirats, Winfried
Schmähl, und auch Ihr Berater in Rentenfragen, Bert
Rürup, lehnen die Rente nach Kassenlage ab, aber Sie
wollen nicht hören. Auch die Sozialverbände haben
sich vehement gegen diese Rente nach Kassenlage ausgesprochen. Der Reichsbund will im Oktober eine Sternfahrt mit mehreren tausend Rentnern nach Berlin organisieren. VdK-Chef Hirrlinger spricht im Zusammenhang
mit Ihrer Rentenpolitik von Flickschusterei. Kommen
Sie zur Vernunft! Nehmen Sie Ihre unsoziale Rente nach
Kassenlage zurück!
({11})
- Sie werden es bereuen.
Aber nicht nur die Rente nach Kassenlage, auch die
geplante bedarfsorientierte Mindestrente gehört in den
Reißwolf. Kommt die Mindestrente nämlich, dann
passiert es - auch das muß man einmal sehr deutlich sagen -, daß die Rentner durch eine Bedürftigkeitsprüfung
gemangelt werden und ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müssen. Sie haben nicht verstanden, daß die
Rente kein Almosen ist, sondern ein durch Beiträge erworbener Anspruch.
({12})
Es geht die Rentenversicherung einen Dreck an, was die
Rentner besitzen. Die Rentenversicherung ist nicht dazu
da, Rentner, die ein Leben lang gearbeitet haben, zu bespitzeln.
({13})
Wenn Sie so weitermachen, werden fleißige Beitragszahler um ihre Lebensleistung gebracht. Dann ist
der Rentner nicht mehr Inhaber von Ansprüchen gegen
die Rentenversicherung, sondern Empfänger von barmherzigen Leistungen der Politik. Wir können nicht dulden, daß aus Antragstellern Bittsteller werden. Jemand,
der 20 Jahre Beiträge gezahlt hat, soll nach Ihrer Politik
das gleiche bekommen wie jemand, der 10 Jahre Beiträge gezahlt hat. Das kann und darf nicht sein!
({14})
Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam machen, den wir alle im Auge behalten sollten: Sie
ebnen mit Ihrer Politik den Weg zur steuerfinanzierten
Grundrente, indem Sie den Steueranteil bei der Rentenversicherung immer mehr anheben. Schon jetzt übersteigt der Bundeszuschuß die versicherungsfremden Leistungen in der Rentenversicherung erheblich. Die weitere Anhebung der Ökosteuer wird diese Entwicklung
noch verstärken. Mit Ihrer Politik wollen Sie die leistungsgerechte und beitragsbezogene Rente außer Kraft
setzen. Nach Ihrer Ideologie soll jeder die gleiche Rente
bekommen, egal, wieviel Beiträge er gezahlt hat. Mit Ihrer Politik treten Sie den fleißigen Arbeitnehmern in den
Hintern.
({15})
Wenn Sie das machen wollen, werden wir hier in der Tat
richtig Streit bekommen.
({16})
Was wir hier jetzt erleben, ist ein laues Lüftchen im
Vergleich zu dem Sturm, der dann kommt.
({17})
Die sozialpolitische Geisterfahrt der Bundesregierung
geht aber noch weiter: Um die Kritik der Gewerkschaften an der Rente nach Kassenlage verstummen zu lassen,
soll jetzt der schon totgewähnte Tariffonds wiederbelebt werden. Der Deal sieht so aus: Kommt die Rente
mit 60, werden die Gewerkschaften die Rente nach Kassenlage durchwinken. Das würde die Rentenpolitik allerdings um Jahre zurückwerfen. Das Geld wird dann für
zweifelhafte Frühverrentungsprogramme anstatt zur
langfristigen Sicherung der Rentenansprüche genutzt.
({18})
Der einprozentige Lohnabschlag - das wurde vorhin
schon einmal sehr deutlich gesagt; Sie müssen es nur
wissen und verstehen - kostet den Durchschnittsverdiener rund 500 DM pro Jahr, der ihm beim Aufbau seiner
eigentlich erforderlichen eigenen privaten Vorsorge
fehlt. Die Generation der 60jährigen profitiert dagegen
doppelt: Die Senioren können sich deutlich früher als
bisher geplant zur Ruhe setzen, und das auch noch mit
einem Rentenniveau, von dem die heute 30jährigen noch
nicht einmal träumen können.
Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen das Prinzip der
Generationengerechtigkeit.
({19})
Wir können Ihnen also nur raten: Lassen Sie die Finger
vom Tariffonds!
Das heißt natürlich nicht, daß wir uns nicht des Problems älterer Arbeitnehmer annehmen müssen. Das ist
ein Thema, das mir besonders wichtig ist. Ich finde es
unerträglich, daß für Jugendliche - so wichtig das ist großangelegte Förderprogramme aufgelegt werden, die
immer stärker wachsende Zahl von Personen über
55 Jahren jedoch kaum Berücksichtigung findet. Innovation und Erfahrung gehören in unserer Gesellschaft
zusammen; die Arbeitsmarktzahlen belegen das. Hier
muß etwas getan werden.
Während der Arbeitsmarkt nach Angaben des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit gegenüber dem
Vorjahresmonat insgesamt entlastet ist, ist für 55jährige
und Ältere das Gegenteil festzustellen: Im Vergleich
zum August 1998 lag die Zahl der älteren Arbeitslosen
im August 1999 mit 937 388 deutlich höher. - Was ist
mit den von Ihnen angekündigten neuen Jobs? Nix ist.
({20})
Ich möchte mit zwei Wünschen schließen. Der erste
Wunsch geht an die Regierung. Ich wünsche mir, daß
diese Regierung nicht jede Tür zuschlägt, nicht jedes
Angebot sofort zurückweist - Herr Riester, Sie haben
dies eben wieder getan -, weil wir, wie ich glaube,
dringlich Kooperation und gemeinsame Lösungen brauchen.
Der zweite Wunsch: gute Besserung für Sie alle miteinander!
({21})
Ich war etwas voreilig, als ich die letzte Rednerin zu diesem Punkt angekündigt habe; denn der Kollege Peter Dreßen hat sich zu
einer Kurzintervention gemeldet.
Ich habe mich aus zwei Gründen gemeldet.
Erstens. Frau Schnieber-Jastram, ich war immer der
Meinung, daß wir in diesem Parlament ein Stück weit
ehrlich sein sollten. Ihre Rede basierte nun wirklich auf
falschen Angaben. Dies möchte ich an zwei Beispielen
deutlich machen.
Erstens. Sie sagten, wir würden die Leute durch eine
Grundsicherung in eine Bedürfnislage bringen, wir würden sie bespitzeln, wir würden einen sozialen Schnitt
machen. Genau das aber gilt jetzt für diejenigen, die eine
niedrige Rente bekommen, die von der Sozialhilfe leben.
Diese Menschen müssen jedes Jahr zum Sozialamt gehen und ihre Verhältnisse offenlegen; auch ihre Kinder
werden befragt. Genau diesen unwürdigen Zustand aber
wollen wir beseitigen. Sie haben also die Unwahrheit
gesagt.
({0})
Zweitens. Sie haben frisch und frei behauptet, wir
würden bei der Rente die Lohnbezogenheit außer Kraft
setzen. Sie wissen doch genau, daß wir von Anfang an
gesagt haben, daß dies nur für zwei Jahre gilt.
({1})
Das, was Sie gemacht haben, war blanker Populismus.
Sie wissen doch, daß das Gegenteil der Fall ist. Wir diskutieren zur Zeit über eine Rentenreform. Natürlich wird
das eine oder andere noch in diese Debatte einbezogen
werden. Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie die
Leute mit solchen unwahren Behauptungen verunsichern.
({2})
Zur Erwiderung erhält die Kollegin Schnieber-Jastram das Wort.
Herr Dreßen, vielleicht sollten wir Ihnen einmal einen Kursus zur
Rentensystematik anbieten.
({0})
Die Höhe der Rente hat damit zu tun, wie viele Jahre
welcher Beitrag eingezahlt worden ist. Am Ende gibt es
keine Bedürftigkeitsprüfung. Rente ist vielmehr ein Besitzanspruch; sie resultiert aus eigenen Beiträgen für eigene Leistungen.
({1})
Wenn Sie das nicht so sehen, dann sollten Sie, wie gesagt, einen Kursus belegen.
({2})
Zu dem zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben.
Bei immer höheren Anteilen aus dem Steuertopf für die
Rentenversicherung geraten wir in die Situation, daß die
Rente zwangsweise - dann auch auf Grund juristischer
Meinung - zu einer staatlichen Versorgung wird.
Ich sehe es als meine Pflicht in diesem Parlament an,
Ihnen und allen anderen in diesem Punkt die Augen zu
öffnen.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende des
Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Arbeit
und Sozialordnung.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern; das sind die Einzelpläne 06 und 33.
Ich gebe Bundesinnenminister Schily das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wie alle anderen Ressorts muß sich auch das Innenressort solidarisch daran beteiligen, daß wir die Finanzen, den Haushalt konsolidieren, den wir von der alten Bundesregierung bekanntlich in einem zerrütteten Zustand haben
übernehmen müssen.
({0})
Wenn man - trotz des Gelächters der Opposition das Zivilrecht zugrunde legen würde, dann hätten wir
diesen Nachlaß eigentlich wegen Überschuldung ausschlagen müssen. Aber so geht es ja nun im öffentlichen
Leben nicht zu, sondern wir müssen mit diesen Finanzen
zurechtkommen.
Für das Bundesinnenministerium ist die Tatsache,
daß auch wir den Sparbeitrag von 7,4 Prozent erbringen müssen, natürlich eine besondere Schwierigkeit.
Diejenigen, die sich in diesem Ressort auskennen, wissen das.
Für das kommende Haushaltsjahr, über das wir jetzt
sprechen, bedeutet das ein Einsparvolumen von 536,6
Millionen DM. Das steigt in der Finanzplanung auf
894,3 Millionen DM, also knapp 900 Millionen DM, im
Jahre 2003.
In dem zur Diskussion stehenden Haushaltsjahr sind
das 7,4 Prozent, später 12,3 Prozent des Haushaltsvolumens.
Wenn man sich die Haushaltsstruktur des Innenministeriums anschaut, dann weiß man, welche Schwierigkeiten sich auftun. Nach dem Haushaltsentwurf werden
rund 85 Prozent des Einzelplansolls verausgabt für 23
Verwaltungsbehörden einschließlich des Ministeriums
und des Bundesamtes für Verfassungschutz. Für drei
weitere Kapitel, zwei Zuwendungs- und Zuschußkapitel
sowie die Beschaffung für die Bereitschaftspolizeien der
Länder verbleiben rund 15 Prozent.
In dem Haushalt überwiegen die Personalausgaben
für die rund 57 000 Beschäftigten. Ohne das Bundesamt
für Verfassungschutz sind rund 4 Milliarden DM veranschlagt. Das sind 57,3 Prozent des Einzelplanansatzes.
Es entfallen über 60 Prozent der Ausgaben des Einzelplanes in Höhe von 4,2 Milliarden DM auf den Sicherheitsbereich. Dieser umfaßt das Bundesamt für
Verfassungschutz, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Beschaffungen für die Bereitschaftspolizeien der Länder und last
not least den Bundesgrenzschutz.
Wir haben zwei Ansätze gewählt, um dieses Einsparvolumen zu erreichen, ohne daß damit Einbußen gerade
bei der inneren Sicherheit hingenommen werden müssen. Das war unser vordringlichstes Ziel. Ich glaube, daß
wir das auch erreicht haben. Unser vordringlichstes Ziel
ist, daß die innere Sicherheit für unsere Bürgerinnen und
Bürger weiterhin gewährleistet ist.
({1})
Ich kann schon vorweg sagen: Die Ausgaben für die
innere Sicherheit in diesem Etat sinken nicht, sondern
sie steigen. Ich glaube, allein das ist Ausdruck dessen,
daß wir den richtigen Ansatz gewählt haben.
Der zweite Ansatz, den wir gesucht und mit einem
vernünftigen Ergebnis auch gefunden haben, lautet, daß
wir die Einsparbemühungen, die Konsolidierung der
Finanzen verbinden mit der Verwaltungsmodernisierung, indem wir nämlich alle Institutionen, alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen und uns überlegen, wo Effizienzpotentiale sind, die nicht ausgeschöpft sind. Ich
werde Ihnen eine Reihe dieser Ansätze nennen. Die organisatorischen Maßnahmen sind breit gefächert.
Es geht etwa um die Frage, ob die Einrichtung eines
Oberbundesanwalts noch Sinn macht oder nicht. Dort
besteht ein Einsparvolumen. Ich gebe zu - das habe ich
in allen Fragen so gehandhabt -, daß wir da, wo es vernünftige Ansätze der alten Bundesregierung gab, diese
fortgeführt haben.
Das gilt auch - ich komme später darauf zurück - für
die Reform des Bundesgrenzschutzes, die ich nicht
zuletzt im Hinblick darauf überprüft habe, daß einige verständlicherweise - sehr massiv für die Beibehaltung
bestimmter Standorte eingetreten sind, wie das auch
jetzt wieder auf allen Seiten des Hauses bei der Klärung
der Frage, welche Spätaussiedlereinrichtungen bestehenbleiben sollen, geschieht. Das ist immer so: Wenn
ein Standort geschlossen werden soll, dann gibt es aus
den verschiedensten Richtungen sich übrigens in den
Fraktionen sehr widersprechende Engagements für bestimmte Standorte.
Das verstehe ich gut. Aber ich bitte um Verständnis,
daß wir dies unter einem generellen Gesichtspunkt prüfen müssen und uns nicht allein für partikuläre Interessen verwenden können.
Unter diesem Gesichtspunkt haben wir entschieden,
daß das Bundesamt für Zivilschutz zum 1. Januar 2001
aufgelöst wird und daß die Aufgaben, die diesem Bundesamt zugeordnet sind, auf das Bundesverwaltungsamt
übertragen werden. Das Bundesverwaltungsamt wird
viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bundesamt für Zivilschutz übernehmen. Dadurch sparen wir eine ganze Menge an Overheadkosten.
Ähnliches gilt für die Auflösung der Einrichtung des
Bundesdisziplinaranwaltes. Diese wird parallel zu einer Reform des Disziplinarrechtes vollzogen.
Die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des
Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der
DDR hat gute Arbeit geleistet, für die ich mich an dieser
Stelle bedanken möchte. Aber diese Arbeit ist im wesentlichen geleistet. Deshalb kann das Sekretariat dieser
Kommission aufgelöst werden.
Wir schließen vier Erstaufnahmeeinrichtungen für
Spätaussiedler. Ob Bramsche oder Friedland betroffen
sein werden, ist noch umstritten. Wir werden die
kostengünstigste Lösung wählen, die dann meiner Meinung nach auch die beste sein wird.
({2})
- Wir führen zur Zeit darüber Gespräche. Ich sage Ihnen
zu: Wir werden die kostengünstigste Lösung wählen.
Wer in diesem Zusammenhang Gesprächsbedarf hat, ist
herzlich in mein Ministerium eingeladen. Es sind ja
schon einige Gesprächswünsche an mich herangetragen
worden.
Wir haben die Aufbaustruktur des Bundesamtes für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gestrafft.
Wir straffen die Aufbaustruktur der Gauck-Behörde.
Wir werden das Bundesinstitut für Sportwissenschaften
überprüfen, und wir werden auch andere Einrichtungen
dahin gehend auf den Prüfstand stellen, ob wir dort nicht
Effizienzgewinne erzielen können.
Lassen Sie mich ein paar Worte zu dem Bereich
Spätaussiedler, deutsche Minderheiten und Vertriebene
sagen. Ich glaube, es ist richtig - das hat auch mein
Kollege Jochen Welt, der Aussiedlerbeauftragte, in einem neuen Konzept entwickelt -, daß wir eine deutliche
Akzentverschiebung zugunsten der gesellschaftlichen
Integration der Spätaussiedler vollzogen haben.
({3})
Deshalb sind ja die Ausgaben in diesem Bereich in
1998, also noch zu Zeiten der alten Regierung, von 32
Millionen DM auf über 42 Millionen DM in diesem
Jahr, also um 10 Millionen DM, erheblich aufgestockt
worden. Sie werden im Jahre 2000 noch einmal auf 45
Millionen DM gesteigert. Das ist auch im Sinne derjenigen in der Opposition, die sich mit Recht für eine solche
Integrationspolitik einsetzen. Ich denke, wir können gemeinsam eine solche Politik stützen.
Ich bin der Meinung, daß Jochen Welt mit der Neuausrichtung der Förderpolitik - weg von nicht kontrollierbaren Großinvestitionen hin zur Hilfe zur Selbsthilfe - richtig handelt. Auf diese Weise haben wir Einsparpotentiale entdeckt, die vernünftig sind.
({4})
Wir wollen keine Investitionsruinen, die - wie es leider
der Fall ist - in den fremden Ländern herumstehen und
dort vor sich hinrosten; wir wollen durch sehr gezielte
Hilfe vielmehr dafür sorgen, daß diejenigen Menschen,
die in den Ländern bleiben wollen, dort auch bleiben
können, um dort gute Arbeit zu leisten. Deswegen werden wir, wie gesagt, auch im Bereich der Erstaufnahmeeinrichtungen eine Neuordnung vornehmen.
Sie alle wissen, daß der Innenminister auch für den
Sport zuständig ist. Das ist eine, wie ich finde, schöne
und wichtige Aufgabe. Ich denke, daß wir in diesem Bereich eine gute Bilanz aufzuweisen haben. Ich hätte jetzt
gerne einmal dargestellt, wie positiv sich die Sportpolitik unter der neuen Bundesregierung entwickelt hat.
({5})
Wir sind aber bei der Haushaltsberatung; dazu habe ich
im Moment nicht genug Redezeit.
Folgenden Punkt halte ich für wichtig: Trotz der
Sparnotwendigkeiten können wir die Sportförderung auf
dem Niveau von 1999 erhalten. Dabei ist besonders
wichtig, daß wir den Goldenen Plan Ost fortführen können, damit die Sportstätteninfrastruktur in den neuen
Bundesländern, die noch sehr zu wünschen übrig läßt,
Schritt für Schritt verbessert wird. Ich glaube, das sind
wir den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern schuldig.
({6})
Wir haben ein wichtiges Sportereignis hoffentlich vor
uns: nämlich die Fußballweltmeisterschaft im Jahre
2006. Ich bin optimistisch, daß wir eine gute Chance haben, sie durchzuführen. Deswegen finde ich es richtig,
daß wir von Bundesseite einen Beitrag für die Sanierung
des Olympiastadions und des Stadions in Leipzig leisten. Ich bin dankbar dafür, daß der frühere Bundeskanzler Kohl schon eine Zusage gemacht hat. Wir erhalten diese Zusage aufrecht; das erachte ich für wichtig
und notwendig.
({7})
Der wichtigste Punkt für mich ist, daß wir die innere
Sicherheit stärken und dort keine Einbußen erleiden.
Wir können von uns sagen, daß wir im internationalen
Vergleich zu einem der sichersten Länder in der Welt
überhaupt gehören. Deshalb sind Ausgaben auf diesem
Gebiet gut investiertes Geld. Das ist übrigens ein wichtiger Standortvorteil auch im wirtschaftlichen Wettbewerb. Also sind wir gut beraten, dieses hohe Niveau der
inneren Sicherheit aufrechtzuerhalten. Deshalb haben
wir in den Einzelansätzen Steigerungsraten: beim Bundesamt für Verfassungsschutz von 3,57 Prozent; beim
Bundesgrenzschutz von 2,43 Prozent; beim Bundeskriminalamt von 3,37 Prozent.
Beim Bundesgrenzschutz möchte ich auf einen besonderen Sachverhalt hinweisen: Indem wir das Hebungsprogramm erheblich aufgestockt haben, haben wir
etwas Wichtiges dafür getan, daß die Stellenstruktur im
Bundesgrenzschutz besser wird und wir dort eine Qualitätsverbesserung zu verzeichnen haben. Sie wissen
ja, daß in den zurückliegenden Jahren ein sehr starker
Personalzuwachs stattgefunden hat - vielleicht nicht
immer mit den Qualitätsanforderungen, die notwendig
waren. Deshalb glaube ich, daß gerade an dieser Stelle
eine solche Qualifizierungsoffensive notwendig und
wichtig ist.
Auch auf der internationalen Ebene haben wir die
Mittel aufgestockt; wir haben zum Beispiel die Mittel
für Europol im Jahre 2000 auf 15,7 Millionen DM erhöht; das ist eine Steigerung von 50 Prozent.
Ich glaube, daß wir deshalb sagen dürfen, daß die
Politik der Bundesregierung im nationalen, im internationalen und insbesondere im europäischen Rahmen zu
einer erheblichen Verbesserung geführt hat. Auf diesem
Gebiet haben wir - auch auf der Grundlage der Haushaltszahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe - sowohl
durch Sicherheitspartnerschaften im Lande mit den einzelnen Bundesländern als auch durch eine Vielzahl von
Kooperationsabkommen mit unseren Nachbarstaaten
oder etwas entfernter liegenden Staaten eine sinnvolle
Sicherheitsstruktur aufgebaut. Ich meine, daß das Ausweis einer soliden und erfolgreichen Sicherheitspolitik
ist,
({8})
die wir allerdings - das sage ich zum Schluß - in allererster Linie denjenigen zu verdanken haben, die vor Ort
gute Arbeit leisten.
Ich finde, es gehört sich für den Bundesinnenminister, daß er die Gelegenheit wahrnimmt, allen Beamtinnen und Beamten, die in diesen Sicherheitsinstitutionen,
im Bundeskriminalamt, beim Bundesamt für Verfassungsschutz, beim Bundesgrenzschutz, beim Bundesamt
für Sicherheit in der Informationstechnik, aber auch im
Ministerium arbeiten, seinen Dank für vorzügliche Arbeit auszusprechen.
Diesen Dank möchte ich besonders an diejenigen
richten, denen ich in besonderer Weise verbunden bin,
nämlich den Beamten, die in diesen Wochen einen
Dienst auf sich genommen haben, der wahrlich bürgerliches Engagement, Sachkunde und Einsatzbereitschaft in sehr hohem Maße erfordert. Das sind die Kolleginnen und Kollegen, die sich bereit erklärt haben, im
Kosovo die Ermittlungsarbeit für Kriegsverbrechen zu
leisten,
({9})
und sich an dem Aufbau des internationalen Polizeikontingents beteiligen.
Meine Damen und Herren, in der kurzen Zeit, die mir
zur Verfügung steht, konnte ich leider auf viele Dinge
nicht eingehen, aber ich nehme an, in der Diskussion ergibt sich noch die Gelegenheit zu dem einen oder anderen Dialog.
Ich danke Ihnen.
({10})
Für die CDU/CSUFraktion spricht nun Herr Kollege Dr. Jürgen Rüttgers.
Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier gerade, wenn mein Gefühl mich nicht täuscht, eine sehr
lustlose Rede des Bundesinnenministers gehört.
({0})
Vielleicht wollte er uns einfach deutlich machen, wie
schwer es ist, in einer Zeit Minister zu sein, in der einem
der Haushalt aus den Fingern rinnt, nachdem man zuerst
30 Milliarden DM durch den Kamin gejagt hat und jetzt
auf der Suche nach den 30 Milliarden DM ist.
Herr Schily, Sie haben gesagt, daß das Wesentliche
Ihrer Haushaltsbemühungen gewesen sei, alle Ausgaben
auf den Prüfstand zu stellen. Nur, das gehört zu den Ministerpflichten. Jeder Minister muß das jedes Jahr tun.
Aber es gibt, glaube ich, noch einen anderen Maßstab,
an dem man die Arbeit eines Ministers messen muß.
Dieser Maßstab ist - ich habe ihn für meine Ausführungen gewählt -: Was schlägt sich eigentlich von all den
Ankündigungen, die man im Laufe eines Jahres gemacht
hat, in der konkreten Haushaltswirklichkeit dieser Regierung nieder?
Ich darf einmal daran erinnern, daß wir vor weniger
als einem halben Jahr in diesem Parlament sehr intensiv
über die Frage eines neuen Ausländerrechts diskutiert
haben, darum gerungen haben, wie es da weitergeht, und
uns mit der Frage beschäftigt haben: Wie gelingt es eigentlich, die hier rechtmäßig und dauerhaft lebenden
Ausländer besser zu integrieren? Schaue ich jetzt in
diesen Haushaltsplanentwurf hinein, dann stelle ich fest,
daß Sie trotz der bekannten Regelungslücken und Wertungswidersprüche in dem Gesetz zur Neuordnung des
Staatsbürgerschaftsrechts, das Sie vor der Sommerpause
durch das Parlament gepeitscht haben, in diesem Haushalt keine einzige neue Initiative zur Integration der
rechtmäßig und dauerhaft hier lebenden Ausländer vorgesehen haben.
Sie haben damals unser Integrationskonzept abgeschmettert. Das müssen Sie selbst verantworten. Aber
wo ist eigentlich das Integrationskonzept dieser Bundesregierung, die nach außen immer so tut, als stehe sie für
Integration, in Wahrheit aber die Ausländerinnen und
Ausländer in diesem Land alleinläßt? Das ist der erste
Kritikpunkt.
({1})
Aber es ging bei diesem Gesetzgebungsvorhaben in
Wahrheit ja auch nicht um Integration, sondern um
Ideologie und Machterhalt. Ich habe vor wenigen Tagen,
am 9. September, in einem Artikel des „Kölner StadtAnzeigers“ eine hochinteressante Aussage der Entwicklungshilfeministerin, Mitglied dieses Kabinetts
Schröder, gelesen, die in einer Diskussionsveranstaltung
gesagt hat, unter den Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund könne die SPD mit Stimmenanteilen von
über 50 Prozent rechnen. Sie fügte hinzu: Hier liegen
Wählerpotentiale, die, richtig und vernünftig angesprochen, manche Kommunalwahl in Großstädten entscheiden können.
Hier kann ich Ihnen helfen: in Krefeld 62,9 Prozent
für die CDU, in Solingen 59,3 Prozent, in Neuss
59,3 Prozent, in Münster 57,5 Prozent, in Essen
51,7 Prozent, und ich könnte noch zehn Minuten so
weitermachen. Die Ausländerinnen und Ausländer, gerade die vielen, die im Ruhrgebiet leben, wissen genau,
daß sie von dieser Bundesregierung bei der Frage der
Integration im Stich gelassen werden. Ein neuer Paß ersetzt eben nicht den Sprachunterricht vor Ort. Das ist der
Vorwurf, den ich Ihnen mache. Sie haben sich verkalkuliert.
({2})
Nehmen Sie einen zweiten Punkt: Diese Bundesregierung redet viel von nationalen Interessen, die sie durchsetzen will. Sie, Herr Schily, frage ich: Was haben Sie
während Ihrer EU-Präsidentschaft an nationalen Interessen in Ihrem Zuständigkeitsbereich durchgesetzt? Wo ist
eigentlich das faire und angemessene System in Europa
bei der Aufnahme von Flüchtlingen, für das Sie sich einsetzen wollten? Wo ist eigentlich der europaweite Solidarausgleich? Was ist aus ihm geworden?
Bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme aus dem
Kosovo haben wir nichts davon gemerkt. Sie waren es
doch, der die Flüchtlingspolitik zum Schwerpunkt Ihrer
Ratspräsidentschaft machen wollte. Sie waren es doch,
der ein europaweites System zur Identifizierung von
Fingerabdrücken von Asylbewerbern und illegal Eingereisten oder Eingeschleusten schaffen wollte. Von dieser
Datei haben wir bis heute nichts gesehen.
Herr Kollege Rüttgers, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Bundesinnenministers?
Selbstverständlich.
({0})
Gut, hier des Abgeordneten. Er ist aber auch Bundesinnenminister.
Herr Kollege Dr. Rüttgers, ist
Ihnen entgangen, daß während der deutschen Ratspräsidentschaft das Eurodac-Abkommen zu Ende geführt
worden ist, daß aber mit Rücksicht auf die Tatsache, daß
ab 1. Mai 1999 der Amsterdamer Vertrag gilt, die formelle Seite der Kommission zufällt? Die Arbeiten sind
während der deutschen Ratspräsidentschaft abgeschlossen worden.
Ist Ihnen entgangen, daß es bei der Frage der Flüchtlinge aus dem Kosovo dank des intensiven Engagements
der deutschen Bundesregierung gelungen ist, dafür zu
sorgen, daß die Mehrzahl der Flüchtlinge vor Ort, nämlich in Albanien, in Mazedonien und anderen an den
Kosovo angrenzenden Ländern, versorgt worden ist und
daß von der Bundesrepublik lediglich 15 000 Vertriebene aufgenommen worden sind, während europaweit
60 000 aufgenommen wurden?
({0})
Ist Ihnen entgangen, Herr Dr. Rüttgers, daß während
des Bosnien-Konflikts unter der alten Bundesregierung
320 000 Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen worden sind und praktisch keine vom übrigen Europa?
Ist Ihnen entgangen, Herr Dr. Rüttgers, daß es während der deutschen Präsidentschaft gelungen ist, Europol, die europäische Polizeibehörde, ab 1. Juli 1999 arbeitsfähig zu machen?
Ist Ihnen entgangen, Herr Dr. Rüttgers, daß während
der deutschen Ratspräsidentschaft Schengen - eine sehr
komplizierte Materie, wie Sie vielleicht wissen - in den
Amsterdamer Vertrag integriert worden ist?
Wer ein wenig Sachkunde besitzt, weiß, daß die deutsche Ratspräsidentschaft in der Innen- und Rechtspolitik
besonders erfolgreich war. Wenn Sie das nicht anerkennen wollen, erkundigen Sie sich bei den europäischen
Regierungen, damit Sie sich sachkundig machen.
({1})
Herr Kollege
Schily, das ist mir nicht entgangen. Ich habe das, was
ich gesagt habe, an dem gemessen, was Sie angekündigt
haben. Das, was Sie durchgesetzt haben, liegt weit unter
dem, was Sie vorher angekündigt haben. Das ist exakt
das, was ich hier kritisiere. Das ist auch genau das, was
wir immer von Ihnen hören. Sie kündigen zum Beispiel
an, Sie wollten sorgfältig untersuchen lassen, ob es ein
bilaterales Abkommen mit der Türkei gibt. Wo ist es
bitte, Herr Schily?
Sie sagen zum Beispiel im Zusammenhang mit Öcalan: Wir wollen einen europäischen Gerichtshof haben.
Wo ist er denn bitte? Sie sagen: Wir wollen Fingerabdruckdateien. Wo sind sie denn bitte? Wo schlägt sich
das alles nieder?
Daß man immer dann, wenn man zu den Kollegen in
Europa fährt - das habe ich als Minister auch gemacht -,
ein Stückchen weiterkommt, weiß ich auch. Daß man in
Europa immer wieder einen Kollegen findet, der, weil er
andere Interessen verfolgt, sagt „Wir sind ein gutes
Stück weitergekommen“, das weiß ich auch. Das ist aber
nicht der Maßstab. Der Maßstab, der hier zugrunde zu
legen ist, ist, ob wir inzwischen in Europa ein System
haben, das wirklich sicherstellt, daß es hier zu einem
Solidarausgleich kommt. Den gibt es bisher nicht.
({0})
Kollege Rüttgers,
gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Kollegen
Schily?
Ja.
Herr Kollege Dr. Rüttgers, ich
stelle zunächst einmal fest, daß Sie meine Fragen nicht
beantwortet haben. Aber das ist ja klar.
({0})
Ist Ihnen nicht bekannt, daß für Fragen bezüglich der
Justiz eine Kollegin zuständig ist, nämlich die aus dem
Justizressort? Sie haben selber einmal sehr befehdet, daß
man beide Ressorts zusammenlegt. Für Fragen bezüglich des Justizressorts dürfen Sie mich nicht in Anspruch
nehmen. Darin, daß die Schaffung eines internationalen
Gerichtshofes natürlich eine Schwierigkeit darstellt,
können wir uns aber vielleicht einig sein.
Ich möchte Sie auch auf den zweiten Sachverhalt ansprechen. Ist Ihnen nicht bekannt, Herr Kollege Dr.
Rüttgers, daß gerade die bilaterale Zusammenarbeit mit
der Türkei durch die alte Bundesregierung ziemlich in
Schwierigkeiten geraten ist, weil sich das Verhältnis zur
Türkei unter der alten Bundesregierung wirklich negativ
entwickelt hat? Erst der neuen Bundesregierung ist es
gelungen, dieses Verhältnis in hohem Maße zu verbessern, so daß wir jetzt bessere Aussichten für ein Abkommen haben, als es bisher der Fall war.
({1})
Wir werden das mit aller Vorsicht und aller Geduld angehen.
Wir können nicht alles - wie Sie sich das einbilden in einem Dreivierteljahr aufräumen. Wir können nicht
die Schulden und auch nicht die Arbeitslosigkeit in
einem Dreivierteljahr abbauen. Wir können so schnell
auch nicht die Versäumnisse beheben, die Sie uns in der
Türkeipolitik hinterlassen haben.
({2})
Die Frage, ob
mir bekannt ist, daß es Schwierigkeiten zwischen der
alten Bundesregierung und der Türkei gegeben hätte,
beantworte ich mit Nein.
({0})
Die Frage, ob es jetzt ein besseres Verhältnis zur
Türkei gibt, beantworte ich ebenso mit Nein; speziell in
dem Zusammenhang, den Sie ansprechen, denn ich sehe
die Ergebnisse nicht. Herr Schily, sich hier hinzustellen
und zu sagen: Das sind alles ganz furchtbare Sachen, das
kann ich nicht in einem Dreivierteljahr lösen, das ist am
einfachsten. Ich gebe zu, das haben wir 1982/83 auch
manchmal gemacht.
Das könnten wir alles noch durchgehen lassen, wenn
Sie im vergangenen halben bis dreiviertel Jahr den
Mund nicht so voll genommen, alles angekündigt und
gesagt hätten: Das machen wir, das packen wir. Jetzt
schauen wir nach den Ergebnissen, aber es sind keine
da. Das ist Ihr Problem. Sie stehen hier mit leeren Händen. Das ist das Problem Ihrer Politik. Das, was Sie hier
zu diesem Haushalt vorgeführt haben, ist letztlich konzeptionslos. Ich bleibe bei dieser Einschätzung.
({1})
Wenn man sich damit auseinandersetzt, Herr Schily,
welche Auswirkungen das hat, kommen Sie nicht daran
vorbei, daß das, was Sie hier als vordringlichstes Ziel
dieses Haushaltes erklärt haben, nämlich die Gewährleistung der inneren Sicherheit, von Ihnen ausweislich der
Daten des Haushaltes nicht erreicht werden kann. Was
Sie mit diesem Haushalt produzieren, ist eine Sicherheitslücke.
Wo wir gerade bei den Ergebnissen Ihrer EUPräsidentschaft sind, wollen wir uns doch bitte die Frage
stellen, was im Bereich der inneren Sicherheit gerade im
Hinblick auf die organisierte Kriminalität festzustellen
ist. Wenn das Bundeskriminalamt in seinem Lagebericht
feststellt, daß gerade die organisierte Kriminalität aus
dem Kosovo eine extreme Gewaltbereitschaft habe und
daß es hierbei eine äußerst massive und brutale Gewaltausübung gebe, stelle ich Ihnen auch angesichts dieses
Haushaltes die Frage: Was haben Sie getan, um die organisierte Kriminalität besser zu bekämpfen? Jetzt rächt
sich eben, daß auf Ihr Betreiben hin die akustische
Überwachung von Gangsterwohnungen verwässert worden ist.
({2})
Ich stelle Ihnen die Frage: Warum sperren Sie sich gegen die optische Überwachung von Gangsterwohnungen? Warum wird der Verfassungsschutz nicht in allen
Ländern im Vorfeld eingesetzt?
Statt dessen haben Sie - auch das ist ein interessanter
Punkt - und hat diese Regierung mit Bodo Hombach
einen Mann zum EU-Sonderkoordinator für die Stabilität auf dem Balkan gemacht, der mehr Zeit dafür
braucht, sich in seinen Affären zurechtzufinden, als sich
um den Aufbau des Balkans zu kümmern und damit
auch dieser Not und dieser Kriminalität den Boden zu
entziehen.
({3})
Wenn man sich anschaut, welche Maßnahmen Sie
eingeleitet haben, stellt man fest, daß Sie die Mittel für
die bessere Ausstattung der Bereitschaftspolizei im
nächsten Jahr von 39 Millionen DM auf 32 Millionen
DM, im Jahr 2001 von 32 Millionen DM auf 6 Millionen DM und im Jahr 2002 auf null DM kürzen. Statt
Sicherheit produzieren Sie Sicherheitslücken. Dies
schlägt sich im Haushalt nieder, und diesem Eindruck
kann man sich nicht entziehen.
Wenn ich höre, daß darüber nachgedacht wird, für
den Einsatz des Bundesgrenzschutzes auf Bahnhöfen
und in Zügen noch Geld zu kassieren, dann komme ich
zu dem Schluß, daß die Lage noch bedenklicher wird.
Sollen demnächst die Fußballvereine für den Einsatz der
Polizei bei Fußballspielen bezahlen?
({4})
Sollen die Eltern für die Sicherung der Schulwege durch
die Polizei bezahlen? Sollen die Bürger für die Streifenfahrten der Polizei in ihren Wohnvierteln bezahlen?
Klatschen Sie weiter! Das Gewaltmonopol ist eine
kulturelle Leistung. Der Staat kann nicht plötzlich erklären, daß er in irgendeinem Bereich für die Gewährleistung der inneren Sicherheit noch Gebühren verlangt.
Wer diesen Weg einmal beschreitet, begibt sich auf eine
schiefe Bahn, von der er letztlich nicht mehr herunterkommt.
({5})
Es darf nicht wieder dazu kommen, daß die innere
Sicherheit letztlich vom Geldbeutel und damit von der
Frage abhängt, ob man das Geld für die Installation teurer Alarmanlagen in seinem Haus oder für die Bezahlung „schwarzer Sheriffs“ hat. Wenn ich lese, daß inzwischen in Deutschland 200 000 Menschen in privaten
Wachdiensten arbeiten, es aber nur 314 000 Polizeibeschäftigte gibt, dann sage ich: Es wird Zeit, daß wir über
die Frage der Gewährleistung der inneren Sicherheit und
über das Gewaltmonopol diskutieren.
Kollege Rüttgers,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf?
Aber natürlich.
Herr Kollege Rüttgers, Sie versuchen, der deutschen Öffentlichkeit gegenüber den Eindruck zu erwecken, als würde hier ganz
Schlimmes passieren. Halten Sie es nicht für richtig,
sich im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen in deutschen Stadien darüber Gedanken zu machen - und das
vor allem angesichts der Tatsachen, daß die Vereine,
Spieler und Trainer immense Summen in Millionenhöhe
verdienen, daß die Stadien mit Steuergeldern subventioniert werden und daß jedes Wochenende Tausende Polizisten eingesetzt werden -, ob die Vereine einen Beitrag
zur Sicherheit leisten sollen? Halten Sie es nicht für angebracht, daß man da einmal über andere Regelungen
nachdenkt?
({0})
Nein, ich halte
dies für einen ganz gefährlichen Weg, der, einmal begonnen, letztendlich dazu führt, daß es vom Geld abhängt, ob die innere Sicherheit gewährleistet wird oder
nicht. Diesen Weg darf man nicht beschreiten.
({0})
Wenn man schon dabei ist, über innere Sicherheit und
über die Ausstattung der Bereitschaftspolizei zu diskutieren, dann muß man auch ein Wort zur Polizeibesoldung sagen. Es ist sehr interessant, daß der dafür zuständige Minister zu den Tarif- und den Besoldungsfragen in seiner Rede kein einziges Wort gesagt hat. Wer
wie Sie, Herr Schily, in diesem Jahr die Beamtenbesoldung von den Tariferhöhungen abkoppelt, der trifft und das wissen Sie auch - vor allem die Beamten des
mittleren und des gehobenen Dienstes, das heißt, vor
allem die Polizisten und die Justizbeamten. Völlig unverständlich ist es, daß Sie die zum 1. Juni dieses Jahres
vorgesehenen Anpassungen der Beamtengehälter an den
Tarifabschluß kurz vor der Beratung des Besoldungsgesetzes im Innenausschuß des Bundestages durch einen
Antrag der Koalitionsfraktionen kassiert haben.
Damit noch nicht genug. Jetzt ist es sogar wieder offen, ob der 1. Juni überhaupt noch gilt. Den Beamten der
Besoldungsgruppe B, deren Bezüge ja erst zum 1. Januar 2000 erhöht werden sollen, die aber bereits einen Abschlag auf die vorgesehene Erhöhung der Bezüge zum 1.
Juni erhalten haben, wurde dieser Abschlag wieder abgezogen. Um das Maß der Verwirrung und der Mißachtung der Beamten voll zu machen, sollen Beamte, Angestellte und Arbeiter künftig nur noch den Inflationsausgleich erhalten und damit von der Wohlstandsmehrung
der Bevölkerung ausgeschlossen werden. Wie war das
doch mit der Nachfragetheorie, die noch vor wenigen
Monaten von Ihrem damaligen Parteivorsitzenden vorgetragen wurde?
({1})
Wo schlägt sich diese Theorie in Ihrem Handeln nieder?
In Wahrheit ist Ihre Politik gegenüber den Beamten, den
Angestellten und den Arbeitern im öffentlichen Dienst
unfair und ungerecht.
Herr Schily, ich glaube Ihnen wirklich von Herzen,
daß der eben von Ihnen an die Polizeibeamten ausgesprochene Dank ehrlich gemeint war. Aber er wäre
glaubwürdiger, wenn Sie sie nicht so behandeln würden,
wie Sie sie im Tarif- und Besoldungsbereich behandeln.
So geht man nicht mit Polizisten und kleinen Beamten
um, Herr Schily.
({2})
Sie haben Ihre neuen Büros in Berlin für 1,6 Millionen DM nachträglich umbauen lassen. Aber Sie haben
kein Geld für die Beamten. Diese Regierung hat Geld,
um einen Luxus-Dienstwagen von Mercedes für den ExKanzleramtschef Hombach zu beschaffen, weil ihm der
vom Bundeskriminalamt zur Verfügung gestellte fabrikneue gepanzerte Audi A8 nicht gut genug war. Aber Sie
kürzen die Mittel für die Ausbildung der Bevölkerung in
Erster Hilfe von 15,7 Millionen DM auf 5,3 Millionen
DM in diesem Haushalt. Das paßt eben nicht zusammen;
das sind die Widersprüche, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen.
Sie sagen, Sie seien auch von Herzen Sportminister.
Aber wie begründen Sie dann, daß die Förderung des
Spitzensportes für den Haushalt des Olympiajahres um
9 Millionen DM gekürzt wird? Ferner haben Sie gesagt,
der Sportstättenausbau in den neuen Bundesländern
sei auf tollem Weg. 100 Millionen DM waren zugesagt;
im Haushalt stehen aber nur 11 Millionen DM - und
das, obwohl jeder weiß, daß diese Förderung nicht nur
der Gesundheit und dem Sport, sondern der Infrastruktur
der neuen Bundesländer insgesamt dient und im Hinblick auf Gemeinschaftserlebnisse, gerade bei den jungen Leuten dort, unglaublich wichtig ist.
({3})
Herr Schily, das, was Sie zu diesem Haushalt vorgetragen haben - Sie hätten sich damit gequält, Einsparungen vornehmen zu müssen -, war leider zu einfach. Sie
haben über die Probleme im Beamtenbereich und im Bereich der inneren Sicherheit hinweggeredet. Sie haben
trotz der Kürzungen so getan, als sei nichts passiert. In
Wahrheit verfolgen Sie mit diesem Haushalt des Innenministeriums eine Politik, die konzeptionslos und unfair
ist, nämlich gegenüber den kleinen Leuten im Bereich
des öffentlichen Dienstes und denjenigen, die auf das
Gewaltmonopol des Staates angewiesen sind. Das ist
nun wahrlich keine Bilanz, auf die Sie stolz sein können,
Herr Schily.
({4})
Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Otto Schily.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren Kollegen! Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen,
Herr Dr. Rüttgers: Ich habe in meinem parlamentarischen Leben noch keine Rede gehört, die so von Unwahrheiten strotzt wie die, die Sie heute gehalten haben.
({0})
Ich kann in einer Kurzintervention nicht auf alles eingehen, aber daß Sie behaupten, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität sei unter dieser Bundesregierung geschwächt worden - in welcher Weise auch immer -, ist die schlichte Unwahrheit. Wir haben das System der Kooperation für die Verfolgung der organisierten Kriminalität international ausgebaut, während sie
bei Ihnen über Jahre blockiert war.
({1})
Das ist die Wahrheit! In der wichtigen Alpenregion beispielsweise haben wir kürzlich ein mustergültiges Abkommen mit der Schweiz geschlossen. Wir haben das
endlich auch mit Rußland zustande gebracht, bei all den
Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Gerade erst
haben wir ein wichtiges Vorhaben im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität - Sie haben
sich ja gerade auf den Osten bezogen - gemeinsam, im
Konsens, zustande gebracht. Sie haben da eine andere
Position. Aber wir werden auf den Tisch legen, was damit geschieht.
Im Bereich der Kriminalität, gerade der Gewaltkriminalität, verzeichnen wir in diesem Jahr einen deutlichen
Rückgang. Das ist - das müssen Sie zur Kenntnis nehmen - ein Erfolg der Sicherheitspolitik.
({2})
Ich will Ihnen ein paar Zahlen nennen. Ich weiß
nicht, warum Sie jetzt Gemeinsamkeiten in Frage stellen. Das ist schade, ich finde es traurig. Aber so sind Sie
halt. Wir haben gemeinsam das BGS-Gesetz reformiert.
Das war ein Erfolg. Bei den Kontrollen, die wir im ersten halben Jahr durchgeführt haben, haben wir immerhin 40 000 Personenfahndungserfolge - auch solche mit
Verdacht auf Kapitalverbrechen - erzielt. Das sind
enorme Fortschritte in der inneren Sicherheit.
Herr Kollege Dr. Rüttgers, was Sie mir in bezug auf
die kleinen Beamten vorgeworfen haben, finde ich - das
sage ich Ihnen so deutlich - infam. Sie können unterstellen, daß sie auch mir am Herzen liegen. Hinsichtlich der Verschiebung der Besoldungserhöhung in diesem Jahr haben wir lediglich gesagt - gerade auf Grund
der Berücksichtigung der sozialen Komponente, mit
Blick auf die kleinen Beamten -: Die etwas Besserverdienenden, der Bundeskanzler, die Minister - das gilt für
mich -, die Staatssekretäre, können es hinnehmen, daß
die Besoldungsanpassung um ein paar Monate verschoben wird.
({3})
Wenn Sie das in hohem Ton mit den Worten kritisieren,
das solle die kleinen Beamten treffen, dann finde ich das
ungeheuerlich.
Wer hat denn in den vergangenen Jahren welche Besoldungsanpassung vorgenommen? Schauen Sie doch
einmal nach! Wie oft lag die Besoldungsanpassung unterhalb der Inflationsrate? Sehen Sie nach! Oder lassen
Sie die Amnesie in Ihrem Kopf?
({4})
Ich will noch eines dazu sagen: Ich verstehe die Beamten, die vor meinem Ministerium gestanden haben.
Die Sparzwänge haben Sie doch erzeugt, nicht wir.
Wollen Sie mit 82 Milliarden DM Zinsen im Jahr weiterarbeiten? Also müssen wir sparen. Dafür finde ich bei
diesen Menschen mehr Verständnis als bei Ihnen. Sie
versuchen, die Situation in einer demagogischen Weise
auszunutzen. Ich sage Ihnen: Auf die Dauer wird Ihnen
das nicht helfen. Vielleicht haben Sie ein paar Augenblickserfolge, aber auf lange Frist werden die Leute
merken, daß Sie mit Unwahrheiten arbeiten. Das hat
aber auf lange Sicht erfreulicherweise keinen Erfolg,
weil die Menschen nicht so dumm sind, wie Sie glauben.
({5})
Kollege Rüttgers,
wollen Sie die Gelegenheit zur Antwort nutzen?
({0})
Ich will jetzt
nicht die Art und Weise kommentieren, in der Herr
Schily geantwortet hat.
({0})
- Ich werfe ihm nichts vor; er hat versucht, mir einen
Vorwurf zu machen. Daß er sich aufregt, das gehört dazu; ich werfe es ihm gar nicht vor. - Ich stelle fest, daß
Sie in der Sache keinem einzigen Punkt konkret widersprochen haben.
({1})
Ich erteile dem Kollege Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Schwäbischen sagt man: „Net gschompfa isch gnuag globt!“
Das heißt, die Schwaben sind sehr zurückhaltend mit
Lob. Trotzdem will ich von diesem urschwäbischen
Prinzip ein wenig abweichen und das Innenministerium
dafür loben, daß es bei der schwierigen Frage der Aufnahme von Kosovo-Albanern unseres Erachtens großzügig vorgegangen ist. Das wurde verschiedentlich angesprochen. Wir hätten uns gewünscht, daß andere europäische Regierungen ähnlich großzügig gewesen wären.
Trotzdem war das, denke ich, in der Zeit der Ratspräsidentschaft ein wichtiges Signal gegenüber anderen europäischen Staaten. Ich hoffe, daß das kommt, was verschiedentlich angemahnt wurde, nämlich die europäische Regelung zur Flüchtlingsaufnahme.
Bei der Gelegenheit ein zweites Lob: Sicherlich haben wir von dieser Stelle aus wenig Möglichkeiten gehabt, die Schmerzen, die das Erdbeben in der Türkei
hervorgerufen hat, zu lindern. Trotzdem war es gut und
richtig, daß wir uns bei der Frage der Visumsvergabe ich meine die Aufnahme von Menschen, die in
Deutschland Verwandte haben - vergleichsweise unbürokratisch gezeigt haben. Ich hoffe, daß diese Praxis
fortgeführt wird. Denn die Menschen - gerade diejenigen, die alle Angehörigen verloren haben - sind dringend darauf angewiesen, wenigstens für eine befristete
Zeit zu uns zu kommen.
({0})
Ich will auf eines der großen Reformvorhaben dieser
Legislaturperiode zu sprechen kommen. Das Staatsangehörigkeitsrecht wurde vom Kollegen Rüttgers angesprochen. Wir haben zwar das Gesetz verabschiedet,
aber die Frage der Verwaltungsvorschriften und die
Frage der Änderung von Folgegesetzen stehen nach wie
vor aus. Wir haben im Bundesrat eine neue Situation.
Ich glaube, daß wir alle ein Interesse daran haben
müssen, die Punkte, die noch ausstehen, über die Fraktionsgrenzen hinweg einer vernünftigen Lösung zuzuführen.
({1})
Ich will nur ein Beispiel nennen, bei dem ich der Meinung bin, daß wir sicherlich alle ein Interesse daran haben, eine sinnvolle Lösung zu finden.
Ich rede jetzt nicht über die doppelte Staatsbürgerschaft, sondern über einen Punkt, über den Sie auch immer geredet haben. Wir haben die Fristen für einen
Rechtsanspruch auf Einbürgerung auf acht Jahre verkürzt. Es kann nicht sinnvoll sein, daß wir bei der Ermessenseinbürgerung ebenfalls bei einer Frist von acht
Jahren bleiben. Ich glaube, wir müssen insofern zu einer
anderen Frist kommen.
({2})
- Ja, gut, dann machen Sie doch mit. Um so besser!
Dann machen wir im Innenausschuß in Zusammenarbeit
mit Ihnen eine vernünftige Vorlage.
({3})
Ein zweiter Punkt, der dringend ansteht, ist die Frage
der Aufenthaltstitel. Auch insofern macht es sicherlich
keinen Sinn, bei der Aufenthaltsberechtigung bei acht
Jahren zu liegen, wenn nach dieser Zeit bereits die
Staatsbürgerschaft per Rechtsanspruch erlangt werden
kann.
Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt eingehen,
der von Ihren Kollegen im Innenausschuß - nicht von
uns, sondern aus den Reihen der CDU/CSU - angesprochen wurde. Es geht um die Frage, was wir in den Fällen
machen, die auch nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht nur unzureichend gelöst sind. Das sind die Fälle, in
denen sich der Staat im Auflösungszustand befindet oder
in denen es Sonderprobleme gibt: Stichworte: Iran,
deutsch-persisches Niederlassungsabkommen; Jugoslawien, Nachfolgerepubliken. Ich möchte Sie daher bitten,
beizutragen, daß wir auch in diesen Spezialfällen gemeinsam eine sinnvolle Regelung finden.
({4})
Die F.D.P., die heute etwas spärlich besetzt ist - ({5})
- Es trifft ja immer die Falschen, wenn man kritisiert.
Deswegen schließe ich ausdrücklich - das sage ich in
aller Deutlichkeit - die anwesenden Kollegen der F.D.P.
von dieser Kritik aus. Wir arbeiten im Innenausschuß
hervorragend zusammen. Ich weiß, Ihre Kollegen sind
mit der Frage der Nachfolgeregelung in Sachen Vorsitz
in Ihrer Partei beschäftigt.
({6})
- Gut!
Der Kollege Westerwelle reklamiert immer sehr gerne die Vaterschaft für das Staatsangehörigkeitsrecht. Ich
möchte seine Vaterschaft gerne auf die Optionslösung
beschränken; über Sinn und Unsinn der Optionslösung
werden die folgenden Generationen entscheiden. Die
Mutterschaft für dieses Gesetz kann wohl die Regierung
für sich beanspruchen, vor allem hinsichtlich der Frage
des Geburtsrechts, deren Lösung der entscheidende Reformschritt im Staatsangehörigkeitsrecht war.
Ich möchte mich gerne mit Herrn Rüttgers am 1. Januar 2000 treffen, dann nämlich, wenn das erste Kind
ausländischer Eltern in dieser Republik geboren und
nicht mehr Ausländer sein wird, weil die Eltern deutscher Herkunft und nichtdeutscher Herkunft ab diesem
Zeitpunkt gleich viel wert sein werden. Darüber sollten
Sie sich mit uns freuen. Ich hoffe, daß Sie in Ihrem
Wahlkreis der Mutter und dem Vater - egal, ob die Eltern nun türkischer, griechischer, spanischer oder gemischtnationaler Herkunft sind - zu ihrem Kind gratulieren und mit einem Blumenstrauß in der Hand sagen:
Herzlich willkommen, neuer Staatsbürger! - Sie werben
darum, daß dieses Kind irgendwann einmal CDU wählt.
Ich werbe darum, daß das Kind irgendwann einmal die
Grünen wählt. Wir werden sehen, wie sich unsere neuen
Bürger entscheiden werden.
({7})
Der Kollege Rüttgers hat auch die Integration angesprochen. Es freut mich sehr, daß Sie dazu ein Papier
vorgelegt haben - ich möchte die Polemik hier beiseite
lassen -, in dem wirklich viele diskussionswürdige
Sachverhalte stehen. Nur an einer Stelle, glaube ich, haben Sie es sich ein bißchen zu einfach gemacht, nämlich
bei der Zuständigkeit für die Finanzierung. Das ist die
entscheidende Frage. Das wissen Sie genauso gut wie
wir. Die Integration kostet etwas. Ich glaube, daß das
Geld hier gut angelegt ist. Jede Mark, die wir in die Integration investieren, spart Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe
und Mittel für Resozialisierung.
Ein ganz konkreter Vorschlag: Der Innenausschusses
hat mit allen Stimmen beschlossen, sich in Holland das
dort praktizierte Modell - Sie kennen es - mit Sprachund Integrationskursen anzuschauen. Lassen Sie uns das
anschauen! Lassen Sie uns überlegen, wie ein ausreichendes Angebot an Sprach- und Integrationskursen
durchgesetzt werden kann, in denen man auch lernt, sich
in der Gesellschaft zurechtzufinden und mit Alltagstechniken umzugehen: nicht nur für Fälle der Familienzusammenführung, sondern, bitte schön, auch für Aussiedler und Flüchtlinge, für die es bisher keine vergleichbaren Kurse gibt. Lassen Sie dies nicht daran
scheitern, daß der Bund die Verantwortung für die Einrichtung solcher Kurse auf die Länder schiebt, die sie
dann auf die Kommunen schieben, welche sie dann ihrerseits wieder auf die höhere Ebene zurückverweisen.
So wird daraus nichts. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich sage Ihnen eine ernsthafte Zusammenarbeit zu.
({8})
Lassen Sie mich auf ein Thema zu sprechen kommen,
das uns ebenfalls auf den Nägeln brennt und über das
auch etwas in der Koalitionsvereinbarung steht, nämlich
auf den Rechtsradikalismus. Ich denke, auch dieses
Thema kann nur gemeinsam in Angriff genommen werden. Ich möchte mich auch an die linke Seite des Hauses
richten, an die PDS, die sich mittlerweile quasi zum
Lordsiegelbewahrer der freiheitlichen Demokratie gemausert hat. Mich freut das sehr. Es tut der Demokratie
nur gut, wenn sie noch mehr Verteidiger hat. Sie braucht
diese in diesen Tagen, wenn ich an das Wahlergebnis
der DVU in Brandenburg denke. Das Thema Rechtsradikalismus ist eines der Themen, das uns alle in Zukunft
mehr beschäftigen sollte als in der Vergangenheit. Wir,
die Regierungsfraktionen, werden vorschlagen, über dieses Thema im Bundestag zu debattieren.
Es geht gar nicht darum, mit erhobenem Zeigefinger
auf die neuen Länder zu zeigen. Zwar gibt es dort ein
besonderes Problem mit Gewalt, Rechtsradikalismus
und der Hinnahme von rechtsradikalen Strukturen. Aber
dieses Problem werden wir nur gemeinsam lösen können. In der letzten Legislatur - das wissen die Kollegen,
die damals dabei waren - ist dies aus verschiedensten
Gründen verhindert worden. Ich hoffe, daß wir dieses
Mal eine gemeinsame Entschließung zustande bringen
werden, in der wir klarmachen, daß die demokratischen
Parteien Rechtsradikalismus in keiner Färbung hinnehmen und sich ihm entgegenstellen.
Ich habe die PDS vorhin deshalb angesprochen, weil
ich mir wünsche, daß sie den Rechtsradikalismus in den
neuen Ländern - ihr spielt dort eine wichtige Rolle, beispielsweise in Berlin - mehr thematisiert. Dieses Thema
im Bundestag zu debattieren ist gut und wichtig. Aber
ich wünsche mir auch - ich mache gerade eine Tour
durch die neuen Länder und auch durch Berlin, wo wir
die Ehre haben, zu sitzen -, daß die PDS den Rechtsradikalismus gerade auch bei ihrer Klientel stärker thematisiert. Davon sehe ich bisher sehr wenig.
Ich möchte auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen, der, so glaube ich, bisher noch zuwenig gewürdigt wurde, obwohl er voraussichtlich einer der großen Erfolge in dieser Legislaturperiode sein wird, nämlich die Novelle des Datenschutzes. Es gibt - erzwungen durch Brüssel - die Notwendigkeit, unser Datenschutzgesetz zu reformieren. Das einstige Modelland des
Datenschutzes, die Bundesrepublik Deutschland, ist zurückgefallen. Brüssel ermahnt uns mittlerweile, unsere
Datenschutzgesetze zu aktualisieren, die in keiner Weise
mehr zeitgemäß sind.
Ich möchte jetzt nicht das Lied von den Altlasten singen; vielmehr bitte ich darum: Schauen Sie sich diese
Novelle an; ich glaube, es ist eines der besten Datenschutzgesetze, die diese Republik je hatte. Der Datenschutzbeauftragte wird in seinen Kompetenzen gestärkt.
Wir erarbeiten zusammen mit der Wirtschaft - das sollten gerade diejenigen unter Ihnen begrüßen, die immer
von der Wirtschaft reden - ein Datenschutzgesetz, das
sich endlich am Stand der Technik orientiert und in das
der private Bereich genauso einbezogen wird wie die
Betriebe und die Kommunen. Die Wirtschaft hat bezüglich des Datenschutzes schon längst umgedacht. Die
Wirtschaft hat erkannt: Moderner Datenschutz ist ein
Standortfaktor und ein Wettbewerbsvorteil. Diejenigen,
die für Rechtssicherheit plädieren, sind auch diejenigen,
die sich für gute Wettbewerbsbedingungen in der Wirtschaft einsetzen.
Ich wünsche mir, daß uns die Opposition bei der Datenschutznovelle unterstützt. Bei dieser Gelegenheit
möchte ich dem Koalitionspartner sagen: Wir hatten in
der Frage des Datenschutzes nicht immer Einigkeit. Es
hat einige heftige Gespräche hinter verschlossenen Türen benötigt. Ich möchte mich ausdrücklich bei den
Kollegen Jörg Tauss und Ute Vogt von der SPD bedanken, die uns in unserem Anliegen unterstützt haben, das
Datenschutzgesetz in der zweiten Stufe anzupacken und
das, was wir in die erste Stufe des Datenschutzgesetzes
nicht hineinnehmen werden, in die zweite Stufe aufzunehmen. Sie stehen im Wort, und wir wollen gemeinsam
die zweite Stufe des Datenschutzgesetzes noch in dieser
Legislaturperiode auf den Weg bringen.
({9})
Wir würden gerne noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf einbringen, mit dem die Akteneinsichtsrechte
so geklärt werden, wie es in den USA und in vielen anderen westlichen Ländern längst aktueller Stand ist. Wir
brauchen keinen Staat mehr, der seinen Bürgern nicht
traut; vielmehr brauchen wir einen Staat, der den Bürger
als Souverän sieht und dem Bürger dort, wo es nicht gegen die Interessen von Wirtschaftsunternehmen verstößt,
die Möglichkeit gibt, in Akten Einsicht zu nehmen. Es
gehört zu einem modernen, aufgeklärten Staat, daß er
seinen Bürgern vertraut.
Weil hier so viel von Konsens und von den neuen
Mehrheitsverhältnissen die Rede war, möchte ich noch
ein Wort an die Opposition richten. Es gab von Ihnen
verschiedentlich Äußerungen zur direkten Demokratie.
Vielleicht haben auch Sie in der „FAZ“ vom 11. September den bemerkenswerten Artikel von Charles Beat
Blanket gelesen, in dem er eine Verlängerung der Legislaturperiode mit mehr direkter Demokratie im Gegenzug anregt. Ich halte dies für einen spannenden Gedanken, auch wenn ich gar nicht behaupte, daß man es
so machen soll. Aber die Diskussion darüber lohnt. Sie
sollten Ihre Haltung zur direkten Demokratie überdenken. Ich weiß, daß dieses Thema bei Ihnen vor Ort
längst anders diskutiert wird. Ich wünsche mir, daß auch
hier eine vernünftige Diskussion zu diesem Thema zustande kommt.
Meine Redezeit ist leider schon überschritten; deshalb
muß ich zum Schluß kommen.
In einem Bereich sind wir meines Erachtens noch
nicht so weit, wie wir sein sollten: im Bereich der Asylpolitik. Ich möchte dieses Thema mit Feststellungen beenden: Es kann nicht sinnvoll sein, daß wir die Legislaturperiode damit beenden, daß jemand, der in Algerien
Islamist ist und dort Menschen unterdrückt und bedroht
zu uns kommt und auf Grund unseres Asylrechts Asyl
erhält, während diejenigen, die vor ihm fliehen, bei uns
kein Asyl bekommen, weil es sich um eine sogenannte
nichtstaatliche Verfolgung handelt. Ich wünsche mir
dringend, daß wir in dieser Legislaturperiode dieses
Thema genauso wie die Frage der frauenspezifischen
Fluchtgründe anpacken.
({10})
Es ist eine Schande für uns alle, wenn Frauen, die
beispielsweise durch Säureattentate verfolgt werden,
weil sie sich weigern, ein Kopftuch so zu tragen, wie es
in dem entsprechenden Land vorgeschrieben ist, bei uns
kein Asyl bekommen. Hoffentlich bringen wir eine vernünftige Lösung zustande.
({11})
Das Wort hat nun
der Kollege Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt Gelegenheit zu einigen Betrachtungen über Kontinuität und Diskontinuität. Wir haben soeben einen verbalen Schlagabtausch zwischen Herrn Schily und Herrn Rüttgers erlebt.
Trotzdem tritt man der SPD nicht zu nahe, wenn man
feststellt, daß Sie Ihre Innenpolitik unter das Leitmotiv
der Kontinuität gestellt haben.
({0})
Große Änderungen gegenüber der Innenpolitik Manfred Kanthers haben Sie gar nicht versprochen. Herr
Wiefelspütz, dies ist sogar nachvollziehbar; denn die
einzige große Reform, die Sie in diesen zehn Monaten
wirklich angepackt haben, war die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.
({1})
So, wie Sie es angepackt haben, haben Sie mit Ihren
Vorstellungen in der Bevölkerung, wie die Wahl in Hessen gezeigt hat, keine Zustimmung gefunden. Nach der
Wahl in Hessen haben Sie offenkundig die Lust verloren, zu sehr mit reformerischen Aktionen vorzupreschen. Im übrigen ist diese Reform in der Bevölkerung
erst allgemein akzeptiert worden, als sie dem von der
F.D.P. vorgeschlagenen Modell angepaßt worden ist.
Der Bayerischen Staatsregierung geht allerdings sogar das zu weit. Sie hat Änderungen angekündigt, die sie
über den Bundesrat durchsetzen will. Ich kann nur meine Hoffnung zum Ausdruck bringen: Soweit damit ein
Zurückholen der Reformen auf den vorherigen Zustand
beabsichtigt ist, wird die Bayerische Staatsregierung im
Bundesrat hoffentlich scheitern.
({2})
Der Kollege Wiefelspütz wird im „Spiegel“ mit der
Frage konfrontiert, warum das von der SPD in der letzten Legislaturperiode betriebene Vorhaben, die privaten
Sicherheitsdienste einer gesetzlichen Regelung zu unterwerfen, so langsam vorankommt. Er wird mit der
Antwort zitiert, Fragen der inneren Sicherheit seien derzeit eben kein Thema.
Wenn man die Politik der neuen Koalition bewertet,
muß man, wie ich glaube, diese Feststellung noch etwas
erweitern. Innenpolitische und gesellschaftspolitische
Reformvorhaben insgesamt sind bei dieser Koalition
kein Thema, jedenfalls dann nicht, wenn man den Anspruch zugrunde legt, den mindestens ein Koalitionspartner selber zuvor erhoben hat. Denn ganz im Gegensatz zur SPD mit ihrem Sinn für Kontinuität huldigt die
Fraktion der Grünen ganz offenkundig dem parlamentarischen Grundsatz der Diskontinuität. Dieser Grundsatz besagt bekanntlich, daß sich ein Gesetzentwurf mit
dem Ende der Legislaturperiode erledigt. Viele ReformCem Özdemir
vorhaben der Grünen aus der Vergangenheit haben sich
auf diese Weise erledigt.
Die Grünen haben aber offenbar vergessen, daß es
trotz dieses Grundsatzes der Diskontinuität nicht verboten wäre, frühere Ideen erneut ins Parlament einzubringen.
({3})
Davon machen sie jedoch keinen Gebrauch. Vielmehr
haben sie sich von dem, was sie in der Innenpolitik früher einmal vertreten haben, weitgehend verabschiedet.
Ihr Bundestagswahlprogramm war noch mit dem Titel
„Grün ist der Wechsel“ überschrieben. Diesen Wechsel
haben sie aber in der Innenpolitik inhaltlich bisher nicht
eingelöst.
Ich gebe einige konkrete Belege aus der beliebten
Rubrik „Versprochen, jedoch nicht gehalten“.
Erstens. Es war schon die Rede von der Beamtenbesoldung. Dabei sind wir aber noch nicht zum entscheidenden Punkt durchgedrungen. Die neue Koalition hat ja
eine Nullrunde bzw. lediglich einen Inflationsausgleich
für die Beamten dekretiert. Was Ihnen zu Recht die Kritik von DGB und Deutschem Beamtenbund einbringt, ist
doch folgende Tatsache: Sie wollen damit die Tarifverhandlungen für die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst präjudizieren.
({4})
Ich erinnere daran: Als die alte Koalition in der letzten
Legislaturperiode einmal in ähnlicher Weise ein Entgeltfortzahlungsgesetz für die Beamten verabschiedet hat,
haben Sie uns heftig kritisiert und gesagt, wir unternähmen damit einen Angriff auf die Tarifautonomie, da für
den Tarifbereich dasselbe nachfolgen müßte.
({5})
Wo bleiben denn die wackeren Verteidiger der Tarifautonomie? Diese Frage geht vor allem an die Sozialdemokratie in diesem Hause.
Zweitens. Meine Damen und Herren, es war die Rede
von Europol. Wie haben Sie uns wegen der EuropolImmunitätenregelung kritisiert. Die Grünen versprachen
im Wahlprogramm, diese Regelung völlig aufzuheben.
Wir sind viel bescheidener. Wir haben gemeinsam in der
letzten Legislaturperiode beschlossen, die Bundesregierung möge in Europa darauf hinwirken, daß insgesamt nicht nur bei Europol - die nicht mehr zeitgemäßen Immunitäten einer Prüfung unterzogen werden. Geschehen
ist gar nichts, wie die Bundesregierung auf eine Anfrage
von mir eingeräumt hat.
Drittens. Ich komme zum Stichwort Datenerhebung.
Da trifft es sich gut, daß die Frau Justizministerin auch
schon im Saal ist; die Dinge gehen manchmal ineinander
über. Ich kritisiere gar nicht, daß Sie das Bundesdatenschutzgesetz noch nicht neu vorgelegt haben, denn es ist
eine schwierige Materie. Aber Sie könnten allmählich
damit zu Stuhle kommen.
Interessant ist jedenfalls, daß der erste Entwurf für
die Verbesserung des Zeugnisverweigerungsrechts für
Journalisten - Stichwort: selbstrecherchiertes Material von uns und nicht von der „Reformkoalition“ von SPD
und Grünen vorgelegt worden ist. Wo bleibt im übrigen
die Überprüfung des § 12 des Fernmeldeanlagengesetzes, der in bedenklicher Weise in das Fernmeldegeheimnis eingreift? Die alte Koalition hat einen damaligen Regierungsentwurf nicht passieren lassen, wie Sie
sich erinnern. Wir haben sogar eine Frist dafür gesetzt,
bis wann die Regierung den Entwurf einer Neuregelung
vorlegen soll. Sie bringen dazu gar nichts. Es wäre etwas
seltsam, wenn Sie möglicherweise dieser problematischen Vorschrift neuerdings wieder Sympathie entgegenbrächten, weil auf Grund von § 12 FAG ein ausgewiesener CSU-Freund soeben in Kanada aufgespürt
worden ist. Ich hoffe nicht, daß das der Grund für Ihre
Untätigkeit ist.
Viertens. Die Kurdenpolitik weist innenpolitische
Bezüge auf. Ich stelle fest, daß neue Akzente von Ihnen
auch hier nur sparsam, mühsam und mit zeitlicher Verzögerung, wenn überhaupt, gesetzt worden sind. Es war
eine Initiative unserer Kollegin Ulla Jelpke, die dazu geführt hat, daß sich eine Delegation des Innenausschusses
in der Türkei massiv gegen die Inhaftierung des Menschenrechtlers Akim Birdal gewandt hat. Jetzt, da die
Bundesregierung in Gesprächen darüber steht, ob die
Türkei den Status eines EU-Beitrittskandidaten erlangen
soll, wäre sie gut beraten, massiv darauf hinzuwirken,
daß Akim Birdal und mit ihm andere Menschenrechtler
unverzüglich freigelassen werden.
({6})
Leider ist all das, was ich Ihnen hier gerne noch zu
bedenken geben wollte, so viel, daß meine Zeit dafür
nicht ausreicht.
Sie ist ohnehin vorüber.
({0})
Ja, ich komme zum
Schluß.
Von all dem, was Sie versprochen haben - Wiederherstellung des Asylrechts, bei dem Sie bisher nicht
einmal Änderungen bei der Flughafenregelung zustande
gebracht haben, Demokratieoffensive, Antidiskriminierungsgesetz usw. -, fehlt in der praktischen Politik bisher jede Spur. Angesichts der Diskrepanz von Wort und
Tat bei den Grünen fragt man sich schon, wie Sie denn
die von Ihnen eingegangene Koalition mit der SPD inhaltlich überhaupt rechtfertigen können.
Daher bleibt als Fazit nur noch ein Zitat: „Die große
politische Linie ist überhaupt nicht zu erkennen.“ Dies
hat vor kurzem Jürgen Trittin gesagt, und wo er recht
hat, hat er recht.
({0})
Kollege Stadler, ich
habe selbstverständlich nur Ihre Redezeit gemeint, die
Sie deutlich überschritten haben.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Özdemir erbeten. Bitte schön.
Lieber Kollege Stadler, wir kennen uns sehr gut aus dem
Innenausschuß; deshalb an der Stelle nur eine kurze
Bemerkung. Mich freut es sehr, daß die F.D.P. unser altes Magdeburger Programm entdeckt hat - wenigstens
einer, der es liest; das ist sehr begrüßenswert.
({0})
Aber das ist nicht der Inhalt meiner Kurzintervention.
Meine Kurzintervention bezieht sich auf das zuletzt Gesagte, auf die Kurdenfrage. Ich glaube, daß man das
wirklich richtigstellen muß, lieber Max Stadler, und Sie
werden mir sicher zustimmen, daß das so nicht richtig
ist. Der Außenminister hat sich mehrfach, zuletzt bei
seiner Türkeireise, bei der Kollegen aller Fraktionen dabei waren, vernehmlich dafür eingesetzt, daß nicht nur
Akim Birdal, sondern alle Menschen, die in der Türkei
wegen sogenannter Meinungsfreiheitsdelikte einsitzen,
freigelassen werden.
({1})
Das ist keine neue Politik, das hat auch Herr Kinkel
schon gemacht. Alle deutschen Politiker aller Fraktionen
haben sich dafür eingesetzt. Es ist auch gut, daß wir
in dieser Frage keinen Streit haben. Das belegt auch
der Applaus an dieser Stelle. Deshalb bitte ich darum, keinen Streit bei Fragen zu beginnen, bei denen
es nicht sein muß. Über die anderen Fragen können wir
uns gerne unterhalten, aber hier finde ich es unangebracht.
Zum Innenminister: Daß die Bundesregierung ein
Darstellungsproblem hat, ist nicht neu. Es wurde verschiedentlich angesprochen, daß die guten Sachen, die
wir machen, nicht immer gut dargestellt werden. Ich
kann Ihnen ein Beispiel dafür nennen: Der Innenminister
hat ein Treffen mit kurdischen Organisationen in
Deutschland organisiert, zu dem alle relevanten, nicht
Gewalt unterstützenden - das ist wichtig - Organisationen eingeladen worden sind und bei dem man sich darüber unterhalten hat, wie man in Deutschland Deeskalation betreiben kann, wie man sich frühzeitig verständigen kann. Das gleiche hat die Ausländerbeauftragte der
Bundesregierung, Frau Marieluise Beck, gemacht. Ähnliches macht auch der Außenminister in seinem Bereich.
Hier tut sich viel. Wir reden nur nicht über alles so laut,
weil man manches - das werden Sie verstehen - nur
hinter verschlossenen Türen machen kann, denn sonst
hat es keinen Sinn.
({2})
Kollege Stadler, Sie
haben das Wort.
Kollege Özdemir, es ist
unstrittig, daß sich sowohl Herr Kinkel als auch Herr
Fischer und viele andere im Parlament, etwa Claudia
Roth und der ganze Menschenrechtsausschuß, für die
Menschenrechtler in der Türkei einsetzen, die auf Grund
wirklich skandalöser Gesetze und ebenso skandalöser
Urteile inhaftiert sind. Ich habe den Punkt deswegen angesprochen, weil Außenpolitik, Menschenrechtspolitik
und Innenpolitik ineinandergreifen, denn all das hat
wieder einen Rückbezug auf die Situation, auf die Sicherheitslage in Deutschland. Sie geben mir mit Ihrer
Kurzintervention Gelegenheit, noch einmal den Kernpunkt dessen hier darzustellen, was ich an dieser Stelle
sagen wollte.
Wir sind jetzt mit der Türkei in Gesprächen über einen Status der Türkei als Beitrittskandidat für die EU.
Nicht alle, aber viele in der Türkei sind daran interessiert, daß dieser Status erreicht wird. Die Bundesregierung hat zu erkennen gegeben, daß dies möglichst noch
bis Dezember dieses Jahres über die Bühne gebracht
werden soll.
Meine Einschätzung in der alten, schwierigen Frage,
ob man denn Schritte aufeinander zu machen soll, gewissermaßen ohne jede Vorbedingung, oder ob man
nicht bei solchen Gelegenheiten aktuelle Anliegen mit
Nachdruck vertreten muß, ist, daß mir in der Nachfolge
all dessen, worauf Sie hingewiesen haben, was in der
Vergangenheit gemacht worden ist, auch im Wege der
stillen Diplomatie, jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein scheint, daß man in den wenigen Wochen,
die von jetzt an bis Dezember verbleiben, in denen man
überhaupt nur Verhandlungsmasse hat, diese Fragen
nicht aus dem Blick verliert, sondern daß die Außenpolitiker, die Menschenrechtspolitiker und die Innenpolitiker aller Fraktionen Wert darauf legen, daß die Bundesregierung im Sinne einer Lösung der von mir angedeuteten Fragen bei diesen Verhandlungen initiativ wird.
({0})
Ich erteile das Wort
nun der Kollegin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Auch ich denke, daß der Schlagabtausch
zwischen Herrn Rüttgers und Innenminister Schily nicht
nachvollziehbar ist. Ich möchte selber gerne an Hand einiger Beispiele aus dem Haushalt, den wir hier heute beraten, aufzeigen, daß diese rotgrüne Bundesregierung
sehr wohl in Kontinuität zur vorherigen steht und keineswegs in wesentlichen Fragen grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen hat. Das haben auch die Auseinandersetzungen eben bewiesen.
Daß die Erwartungen und die Hoffnungen in die
Politik dieser Bundesregierung enttäuscht worden sind,
zeigen, nüchtern betrachtet, nicht nur die Wahlergebnisse, sondern auch Vergleiche der Versprechungen mit der
konkreten Politik. Ich zitiere dazu einmal aus der Koalitionsvereinbarung, in der es so schön heißt:
Die neue Bundesregierung wird die politische Auseinandersetzung mit und die Bekämpfung von
Rechtsextremismus zu einem Schwerpunkt machen.
Ihre Aussagen, Kollege Özdemir, in Ehren, aber die
PDS war, soweit ich weiß, in den vergangenen Wahlkämpfen - das kann man auch aus den Forschungsergebnissen von Instituten herauslesen - die einzige parlamentarisch vertretene Partei, die mit Plakaten und entsprechenden Aufklärungsmaterialien öffentlich in diesem Punkt zur Stelle war. Ich kann Ihnen dazu gerne eine Analyse zukommen lassen.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, daß ich seit
Jahren in diesem Haus in Form von Kleinen Anfragen,
Stellungnahmen und Analysen zum Haushalt Aufklärungsarbeit leiste. Es ist aber nicht allein die Aufgabe
der PDS, sondern die Aufgabe aller hier im Hause, gegen Rechtsextremismus, den Einzug der DVU in Landesparlamente und ähnliches zu kämpfen und dafür zu
sorgen, daß die Menschen entsprechend aufgeklärt werden.
({0})
An diesem Punkt möchte ich Sie bitten - es heißt ja
so schön: wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen
werfen -, sich anzuschauen, welche Mittel im Haushalt
für Aufkflärungsarbeit in Sachen Rechtsextremisus und
Antisemitismus vorgesehen sind. Aus Kleinen Anfragen
von mir können Sie wiederum herauslesen, daß es im
vergangenen Jahr über 760 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund und allein im ersten Halbjahr dieses
Jahres fast 1000 solcher Straftaten gab. Dabei sind über
150 Menschen angegriffen worden, und ein Toter ist zu
verzeichnen. Das wäre allemal Grund genug dafür, die
eigene Politik zu ändern und das Versprechen zu halten,
das damals formuliert wurde.
({1})
Ich begrüße natürlich jede Debatte hier im Bundestag
über dieses Thema, weil sie zur Aufklärung beitragen
kann. Aber das allein reicht nicht aus. Ich möchte auch
meinen Kollegen Graf und andere daran erinnern, daß
sie, bevor ihre Partei an die Regierung gekommen ist,
immer wieder erklärt haben, sie wollten die entsprechenden Haushaltsansätze überprüfen. Tatsache aber ist,
daß der Haushaltsansatz für Organisationen, die rechtsextremistisches Gedankengut verbreiten, gestiegen ist.
Ich nenne die Vertriebenenverbände.
({2})
- Ich habe noch nie behauptet, daß die Vertriebenenverbände als Ganze rechtsextremistisch sind,
({3})
aber sie vertreten rechtsextremistisches Gedankengut
bzw. steuern nicht gegen.
Wenn die Präsidentin der Vertriebenenverbände im
Zusammenhang mit Polen und Tschechien erneut revanchistische Forderungen stellt - daran möchte ich Sie nur
ganz kurz erinnern -,
({4})
dann müssen wir uns damit auseinandersetzen und darüber Aufklärung fordern. Auf jeden Fall können wir
auch aus diesem Haushalt wieder herauslesen, daß diese
Organisationen weiterhin finanziert werden und für sie
mehr, aber für Aufklärungsarbeit immer weniger Geld
ausgegeben wird.
Lassen Sie mich einen sehr kritischen Punkt ansprechen, der mir und vielen Betroffenen am Herzen liegt:
Wir suchen im Haushalt vergeblich nach einem Ansatz
für eine Stiftung für die Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter, obwohl die Koalition deren Einrichtung ebenfalls versprochen hat.
Ich muß ehrlich sagen, daß ich persönlich es als einen
Skandal empfunden habe, als in den letzten Wochen bekannt wurde, daß der Außenminister mit Einverständnis
des Kanzlers Schröder einen Brief an die Gerichte geschickt hat, worin steht, daß die Zwangsarbeiterinnen
und Zwangsarbeiter beispielsweise der Firmen Degussa,
Siemens und Ford gar nicht entschädigt werden müßten,
daß die Gerichte diese Klagen also zurückweisen sollten, weil die Firmen gezwungen worden seien, Zwangsarbeiter zu beschäftigen. In der Sendung „Monitor“ aber
wurde erst vor kurzem dargelegt, daß dies nicht wahr ist.
Es liegt ein Schriftverkehr vor, der zeigt, daß sich diese
Firmen darum beworben haben.
Ich meine, daß dieses Verhalten nicht angehen kann.
Es ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer, wenn von der
Bundesregierung vor dem Hintergrund, daß gegenwärtig
Verhandlungen zwischen der Bundesregierung, den Betroffenenverbänden und den Anwälten stattfinden und
sich auch die amerikanische Regierung eingeschaltet
hat, solche Briefe verfaßt werden.
Kollegin Jelpke, Ihre
Redezeit ist schon deutlich überschritten. Ich bitte Sie,
zum Schluß zu kommen.
Ja. Lassen Sie mich aber zum
Schluß noch an das anknüpfen, was ich zu Beginn gesagt habe: Die Kontinuität zum Kanther-Haushalt ist mit
diesem Haushalt eindeutig gegeben. Das wird auch an
den Ausgaben deutlich, die der Innenminister heute selber vorgestellt hat. Ich sehe nicht ein, warum Millionen
für neue Waffen für den Bundesgrenzschutz ausgegeben
werden, beim Sozialbereich aber drastisch gespart werden muß. Ich meine, daß eine ganze Reihe von Punkten,
die zeigen, wie auch im Innenministerium eingespart
werden könnte, offengeblieben ist. So wie der Haushalt
gegenwärtig aussieht, werden wir ihm auf keinen Fall
zustimmen.
Danke.
({0})
Das Wort hat nun
der Kollege Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben
mit dem Amtsvorgänger von Herrn Schily, dem früheren
Bundesminister Kanther, zusammengearbeitet. Wir waren manchmal sehr unterschiedlicher Auffassung und
haben gestritten. Wir haben aber von Herrn Kanther nie
solch niveaulose Diskussionsbeiträge gehört wie den
Beitrag von Herrn Rüttgers.
({0})
Ich halte es für einen Tiefstand der parlamentarischen
Debatte, Herr Rüttgers, daß Sie meinen, sich hier eine
solche Rede leisten zu können.
({1})
Sie treten an und wollen Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen werden.
({2})
Das wäre eine Tragödie für dieses Land; das hat es
wirklich nicht verdient.
({3})
Ich will hier eines deutlich sagen: Die Innenpolitik
der Koalition ist geprägt von Kontinuität, auch von
Kontinuität zu früheren Bundesregierungen. Sie ist aber
ebenso geprägt von notwendiger Erneuerung. Kontinuität und Erneuerung - das ist es, was man zur erfolgreichen Tätigkeit des Innenministers Schily sagen kann.
Dazu bekennen wir uns.
Selbstverständlich arbeitet die Koalition - wie könnte
es auch anders sein - in und mit den Strukturen, die frühere Bundesregierungen geschaffen haben. Die jetzige
Koalition und das Innenministerium haben aber auch die
Kraft zu Reformen mit Augenmaß. Es hat in früheren
Regierungen auch Stillstand und Rückschritt gegeben.
Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die dringend notwendige Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die
nur von dieser Regierung, nur von dieser Koalition auch mit Hilfe der F.D.P., Herr Stadler - durchgesetzt
worden ist. Früher gab es nur Ankündigungen; daran
haben auch Sie sich beteiligt. Sie haben nicht die Kraft
gehabt, weil Sie sich gegenseitig blockiert haben. Wir
hatten diese Kraft.
({4})
Seien wir doch bitte ehrlich: Die ganze Tragweite
dieser Reform, die ein großer Beitrag zum inneren Frieden in unserem Land ist, ist doch noch gar nicht wirklich
begriffen worden. Es ist in der Tat eine herausragende
Reform im Bereich der Innenpolitik. Ich frage mich,
welche der früheren Bundesregierungen ein Reformwerk
vergleichbaren Ausmaßes zustande gebracht hat. Ich sage Ihnen: Selbst wenn wir in der gesamten Legislaturperiode nur dies zustande bringen würden, so sollte man
dies nicht geringschätzen. Wir werden aber zusätzlich
noch einiges zustande bringen.
({5})
Aber wenn wir nicht immer und ausschließlich Reformen diesen Ausmaßes wählen, dann sollte man uns das
nicht entgegenhalten.
Ich glaube, diese Koalition steht für eine seriöse Reformpolitik. Die Innenpolitik, die sich weiß Gott nicht
für Ideologie eignet, sollte geprägt sein von Solidität und
von Erneuerung da, wo es wirklich erforderlich ist.
Der Haushalt, den die Bundesregierung heute vorgelegt hat, ist, wie ich finde, in seiner Gesamtheit eine
große, mutige strategische Leistung. Sie ist die erste
wirklich große strategische Leistung dieser Bundesregierung. Neben anderen Dingen, die auch wichtig
sind, ist das eine große Leistung, vor der ich Respekt
habe. Der Anspruch, innerhalb von wenigen Jahren den
Bundeshaushalt wieder auszugleichen, bedeutet wahrlich den Einzug eines neuen Denkens in die Politik.
Kein Finanzminister früherer Bundesregierungen hatte
auch nur ansatzweise den Mut und die konzeptionelle
Kraft zu einer solchen Vision.
Es geht dabei nicht allein ums Sparen. Es geht vielmehr darum, staatliche politische Gestaltungfähigkeit
wieder möglich zu machen. Es geht um nichts weniger,
als uns alle wieder zukunftsfähig werden zu lassen, diesem Land und seinen Menschen die Chancen zurückzugeben, die von der Regierung Kohl in vielen Bereichen
zugeschüttet worden sind.
({6})
Zu dieser Politik wird die Innenpolitik der rotgrünen
Koalition ihren Beitrag leisten. Der Anteil des Haushalts
des Innenministeriums am gesamten Bundeshaushalt ist
- seien wir ehrlich - durchaus überschaubar. Er beträgt
weniger als zwei Prozent. Gleichwohl trägt der Einzelplan 06 einen überdurchschnittlichen Anteil zur Sanierung des Bundeshaushalts bei. Das sollte man hier einmal ausdrücklich anerkennen und auch loben. Die Einsparungen im Umfang von ca. 600 Millionen DM fallen
uns weiß Gott nicht leicht. Die SPD-Bundestagsfraktion
unterstützt nachdrücklich die Weichenstellung von Minister Schily, den Bereich der inneren Sicherheit von
Einsparungen nicht nur zu verschonen, sondern durch
haushaltswirksame Maßnahmen im Bereich des Bundesgrenzschutzes, des Bundeskriminalamtes und des
Bundesamtes für Verfassungsschutz Verbesserungen bei
der Leistungsfähigkeit dieser Bereiche zu erreichen.
In bezug auf die innere Sicherheit weiß jeder, der sich
ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt, daß immer
wieder überlegt werden muß, wie Menschen und Ressourcen optimal eingesetzt werden. Das Produkt des
Staates, die innere Sicherheit, darf auf keinen Fall beeinträchtigt werden, im Gegenteil: Die Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes haben einen elementaren Anspruch darauf, daß der Staat die innere Sicherheit verbürgt.
Dafür stehen wir ein. Dabei erzielt der Bundesinnenminister mit seinem Haus erhebliche Erfolge. Herr Rüttgers, studieren Sie bitte die Kriminalstatistik. Es gibt
manche Probleme in unserem Land. Aber es gibt auch
Erfreuliches, das sich entwickelt. Beispielsweise sinkt in
vielen Bereichen und insgesamt die Kriminalität.
({7})
Das soll uns nicht den Blick auch vor zusätzlichen
Herausforderungen verstellen, beispielsweise, Herr Bosbach, bei dem wichtigen Thema der international operierenden Kriminalität. Dieser Bundesinnenminister ist
derjenige, der in einem Maße wie keiner seiner Vorgänger diese internationale Komponente von Anfang angesehen hat, der einen wesentlichen Teil seiner Aktivitäten gerade darauf richtet, in diesem Bereich, der weiß
Gott nicht von heute auf morgen zu regeln ist, Schritt für
Schritt Verbesserungen zu erzielen. Er scheut sich dabei
auch nicht, die nicht unproblematischen Wege in Richtung Moskau, in Richtung Rußland zu gehen und dort
Vereinbarungen zu treffen, die wichtig und notwendig
sind, die sich aber nicht von selbst verstehen. Die frühere Bundesregierung hat sie lange Zeit hinzukriegen versucht, ist aber daran gescheitert. Das hat hier heute
schon eine Rolle gespielt.
Wenn Sie also dem Bundesinnenminister etwas vorhalten, dann bitte mit Niveau und Wahrhaftigkeit und
nicht mit einer Argumentation, die im Grunde nur beleuchtet, welche Defizite in Ihrer Regierungszeit alle
aufgelaufen sind.
({8})
Meine Damen und Herren, die Haushalts- und
Finanzpolitik der früheren Bundesregierung hat die
Staatsfinanzen fast vor die Wand gefahren. Wenn jetzt
Sanierungsarbeit vorgenommen werden muß, die da und
dort für die davon Betroffenen schmerzhaft sein kann,
sollte dies auch als Chance zur Erneuerung verstanden
werden.
Unsere Gesellschaft ist notwendigerweise auf einen
qualifizierten öffentlichen Dienst und auf eine zeitgemäße Behördenstruktur angewiesen. Die Projekte „Aktivierender Staat“ und „Zeitgemäße Verwaltungsstrukturen“ wollen wir auch in Zeiten knapper Mittel
vorantreiben. Das geht auch, und erste Erfolge sind sehr
wohl zu verzeichnen.
Weniger Geld muß nicht unausweichlich weniger
Qualität und weniger Leistung bedeuten. Wer sich beispielsweise mit der Tätigkeit des Bundesverwaltungsamtes auseinandersetzt, wird feststellen, daß in den Behörden des Bundes auf eindrucksvolle Weise wichtige
Reform- und Modernisierungsimpulse entstehen und vorangetrieben werden, und zwar im Zusammenwirken mit
den Beschäftigten und dem Personalrat. Gewinner sind
die Bürgerinnen und Bürger, die ein noch besseres Produkt aus dem Bereich des Innenministeriums erhalten.
Gewinner sind aber auch die Mitarbeiter des Bundes, die
motivierter, zufriedener und qualifizierter ihre Arbeit
tun.
Nach fast einem Jahr rotgrüner Innenpolitik mit
einem sozialdemokratischen Innenminister Schily stelle
ich fest: Diese Politik ist geprägt von Solidität,
({9})
von Augenmaß und von notwendiger Erneuerung. Diesen Kurs wollen und werden wir fortsetzen.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat nun
Kollege Carl-Detlev von Hammerstein, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Wiefelspütz, man kann gebetsmühlenartig wiederholen, daß etwas an die Wand gefahren worden ist. Hätten Sie das Volumen des Haushaltes,
das wir im letzten Jahr, als wir den Haushalt für das Jahr
2000 vorberaten haben - ihn haben die Haushaltspolitiker der SPD zum überwiegenden Teil mitgetragen - mit
456 Milliarden DM veranschlagt haben, angenommen,
und hätten Sie nicht gleich 30 Milliarden DM im ersten
Jahr mehr ausgegeben - das ist nicht die Schuld des Innenministers, sondern die des Kanzlers -, dann müßte
man jetzt nicht über ein katastrophales bzw. verheerendes Sparpaket sprechen.
Es handelt sich gar nicht um 30 Milliarden DM. Denn
das Volumen des diesjährigen Haushalts beträgt
478 Milliarden DM, das heißt 8 Milliarden DM weniger.
Von diesen 8 Milliarden DM sind noch globale Minderausgaben in Höhe von 5 Milliarden DM zu erwirtschaften.
Ich sage bewußt: Das ist nicht die Schuld des Innenministers. Er befindet sich jedoch in der kritischen Situation, im Einzelplan 06, der fast 60 Prozent Personalausgaben beinhaltet, eine halbe Milliarde DM einsparen
zu müssen. Herr Schily, wenn man sich anschaut, auf
welche Art und Weise Sie einsparen wollen, dann frage
ich mich: Wie kommen Sie eigentlich auf die bemerkenswerte Idee, die Deutsche Bahn AG mit 250 Millionen DM zu belasten? Im Augenblick gewährleistet der
BGS die Sicherheit der Bahn mit 5 400 BGS-Soldaten.
({0})
- Richtig, Herr Schily, Beamte. - Die in diesem Zusammenhang entstehenden Kosten in Höhe von 250 MilDieter Wiefelspütz
lionen DM werden auf die Bahn übertragen. Ich sage
Ihnen klar und deutlich: Dies ist kein Sparen, sondern
ein klares und deutliches Verschieben der Kosten auf
den deutschen Bürger.
({1})
Nachdem die Bahnpolizei im BGS aufgegangen ist,
wird nun die Bahn für die Sicherung der Bahnhöfe zur
Kasse gebeten. Dies ist meines Erachtens keine Sparpolitik, sondern eine neue versteckte Abgabenerhöhung,
die die Bahn an ihre Kunden weiterreichen wird. Sie haben richtig gehört: Was Sie betreiben, ist eine Erhöhung
der Abgaben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
Ja, bitte.
Herr Kollege, sind Sie
nicht doch der Meinung, daß die Tatsache, daß eine
staatliche Einrichtung privatisiert worden ist, und der
Aspekt der Pflicht zur Sicherung, die jeder private Eigentümer hat, Anlaß sind, darüber nachzudenken, wie
man den neuen Eigentümer beispielsweise an Verkehrssicherungspflichten beteiligt und wie ein Kostenausgleich stattfinden kann? Das ist doch ein ganz normaler
Umgang mit Sachverhalten, der in vergleichbaren Situationen überall erfolgen muß.
Herr Wiefelspütz, noch ist es meines Erachtens
Aufgabe des Staates, für die Sicherheit auf den Bahnhöfen zu sorgen, und nicht Aufgabe des deutschen Bürgers, für diese Kosten zusätzlich zu bezahlen.
({0})
- Doch. - Es geht hier um schlichtes Umverteilen. Sie
haben in Ihrer vorhergehenden Äußerung ständig von
„an die Wand fahren“ gesprochen. Hier werden die Bürger „an die Wand gefahren“, die dies zu bezahlen haben.
Die Bahn, Herr Minister, ist in einer sehr kritischen
Phase: Sie soll privatisiert werden. Eigentlich wird eine
Braut immer geschmückt, bevor man sie sozusagen privatisiert und verkauft.
({1})
Sie machen genau das Gegenteil: Sie erhöhen die Kosten um 250 Millionen DM; die Regierung erhöht durch
ökologische Zusatzkosten die Kosten bei der Bahn um
weitere 300 bis 400 Millionen DM. Auch wenn jetzt ein
Wechsel im Vorstand stattfinden soll: - Ich weiß nicht,
wer dieses alles am Ende finanzieren und bezahlen soll.
Gerade Bahnhöfe, Herr Minister, stellen für viele
Reisende einen Ort potentieller Straftaten dar. Daher
erwartet der Bürger hier die Präsenz staatlicher Behörden und ihren Schutz. Er vertraut hier auf das Gewaltmonopol des Staates und möchte dies in Form uniformierter Beamter erleben und spüren. Die Bahn dagegen
wird auf private Anbieter ausweichen müssen, wenn von
ihr für den BGS derartige Summen verlangt werden.
Zusätzlich hat Ihre Sparpolitik folgende Konsequenzen: Der Fahrpreis wird durch die zusätzlichen Aufwendungen steigen; der Bürger erlebt einen verminderten
staatlichen Schutz, und der Staat verliert die Möglichkeit, an sozialen Brennpunkten Präsenz zu zeigen. Ich
hoffe, daß wir in den Beratungen, die jetzt, Herr Minister Schily, anstehen, zu einer Lösung kommen, die bewirkt, daß wir auf andere Art sparen können und nicht
den Bürger belasten müssen.
Ich komme zu einem zweiten Thema, zum Goldenen
Plan Ost. Ein weiteres Manko in diesem Haushalt stellt
die heimliche Einstellung des Goldenden Plans Ost zur
Förderung des Spitzen- und Breitensports in den neuen
Bundesländern dar. Nach meinen Informationen sind der Staatssekretär des Finanzministers ist ja anwesend die Gelder für den Goldenen Plan Ost zwar halbwegs
versprochen, sie sind im Haushalt aber gar nicht eingeplant. Das gilt auch für das Olympiastadion in Berlin,
für das zunächst erst einmal 20 Millionen DM angesetzt
worden sind, die nach Aussage des Finanzministeriums
zur Zeit aber ebenfalls noch nicht fest verbindlich zugesagt worden sind. Sie, Herr Minister Schily, wollen mit
diesen vagen Aussagen vor die Öffentlichkeit treten? Sie
haben im Osten Ihre Sportpolitik gerade so positiv verkauft. Ist sie wirklich so positiv, wenn Sie das bedenken,
was Sie eben von mir dargestellt bekommen haben?
Eine Anmerkung zum Bundesinstitut für Sportwissenschaft: Hier, Herr Schily, mahne ich eine Überprüfung der Organisationsstruktur an. Da bei einem Volumen von 12 Millionen DM 6 Millionen DM alleine für
Personalausgaben und nur 6 Millionen DM für Investitionen ausgegeben werden, bin ich der Auffassung, daß
wir mit Ihnen darüber diskutieren müssen, um hier eine
Neuregelung zu finden. Dazu bin ich gerne bereit.
Lassen Sie mich zu einem Bereich kommen, wo Sie
in meinen Augen erheblich und zu viel gekürzt haben:
Bei den Aufwendungen für Vertriebene und Aussiedler haben Sie allein 176 Millionen DM - das sind
28 Prozent des jetzigen Haushaltes für diesen Bereich gekürzt. Damit leisten die Spätaussiedler und Vertriebenen den Löwenanteil Ihres tatsächlichen Sparvolumens.
Es trifft hier den kleinen Mann, Menschen ohne Lobby,
ohne Einfluß. Ich verstehe nicht, warum gerade Sie, die
für sich beanspruchen, sozial zu sein, hier in dieser Form
und in diesem Umfang sparen.
Sie wollen erstmalig den Zuzug von Aussiedlern begrenzen und auf eine Zahl von maximal 100 000 festschreiben. Wo bleibt die von Ihnen beschworene Solidarität? Was Sie hier machen, meine Damen und Herren
von der Regierung, ist zutiefst unsozial und ungerecht.
Darüber hinaus ist eine solche Politik kontraproduktiv.
Die Begrenzung der Zuzugszahlen wird sich herumsprechen, und es ist absehbar, daß wahrscheinlich viele
Angst vor der kompletten Schließung der Grenzen bekommen werden, was dazu führt, daß eventuell jetzt
noch schnell Ausreiseanträge gestellt werden.
Lassen Sie mich, da meine Zeit zu Ende geht - ({2})
- Machen Sie sich keine Sorgen, ob es die Redezeit oder
eine andere Zeit ist.
Jedenfalls weiß ich, daß ich jetzt noch einige Dinge
ansprechen möchte, die mich sehr besorgt machen, und
zwar ist das zunächst der investive Bereich. Ich weiß,
daß es sehr schwierig ist, den Haushalt zu regulieren. Ihr
Hauruckverfahren, daß jeder Einzelplan 7,4 Prozent einsparen muß, ist bei einem Einzelplan mit über 60 Prozent Personalkosten sehr schwierig durchzuführen. Aber
den investiven Bereich so radikal zu kürzen ist kontraproduktiv.
Der Kanzler ist angetreten, die Arbeitslosenzahlen zu
senken. Wenn wir im investiven Bereich weiter so kürzen wie hier und in vielen anderen Einzelplänen auch,
ist es meines Erachtens gefährlich. Auch hier sollten wir
in den Haushaltsberatungen, Herr Minister, überlegen,
was wir machen können. Ich bin bereit, mit Ihnen gemeinsam zu sparen. Es gibt auch Bereiche, die sich dafür eignen.
Es ist allerdings eine gewisse Geldverschwendung,
daß Sie, obwohl Sie die Behörde des Bundesdisziplinaranwalts schließen wollen, noch für zwei Jahre einen Präsidenten einstellen, jemanden, der untergebracht werden
mußte. Herr Schily, das hätten wir schlicht und einfach
bei den Beratungen im letzten Jahr streichen können.
Wir hätten diese Kosten sparen können. Hätten Sie damals schon damit angefangen, wäre es diesmal leichter
gewesen, Ihren Haushalt sorgfältiger und schneller in
den Griff zu bekommen.
Ich darf mich bedanken.
({3})
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
des Inneren liegen nicht vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Justiz, Einzelpläne 07 und 19.
Ich erteile der Bundesministerin der Justiz, Dr. Herta
Däubler-Gmelin, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Haushalt 2000 ist der erste richtige Haushalt, den
ich als Bundesministerin der Justiz einbringen kann. Bei
der Fortsetzung der Beratungen zum Haushalt 1999 war
das weit weniger möglich. Hier waren auf Grund der
Vorprägung durch die vorhergehende Regierung kaum
Veränderungsmöglichkeiten gegeben, schon gar nicht
bei einem Haushalt wie dem des Justizministeriums, der,
wie Sie wissen, ein kleiner Verwaltungshaushalt mit einem ganz hohen Personalkostenanteil und mit einem erheblichen Selbstfinanzierungsanteil ist.
Der Haushalt 2000 - lassen Sie mich das am Anfang
sagen, meine Damen und Herren, weil sich diese Bemerkung wie ein roter Faden durch die gesamten Haushaltberatungen am heutigen Tage gezogen hat und auch
morgen ziehen wird - wird ein sehr schwieriger sein. Er
wird geprägt sein von der Notwendigkeit zu sparen, obwohl das im Justizhaushalt, wo Schmalhans sowieso
schon Küchenmeister ist, eigentlich kaum mehr möglich
ist. Aber es ist gar nicht anders machbar, weil wir ganz
genau wissen, daß die politische Handlungsfähigkeit
wieder erobert werden muß. Daß sie bei der heutigen
Finanzsituation, bei einer Überschuldung, wie wir sie
vorgefunden haben, nicht gegeben ist, das kann nun ein
Blinder mit einem Krückstock sehen.
({0})
Wir müssen eine Politik für mehr Arbeitsplätze machen, für Ausbildungschancen, für soziale Gerechtigkeit.
Das geht nicht, solange wir jede vierte Steuermark für
Zinsen ausgeben müssen.
Meine Damen und Herren, aus dieser Verantwortung
kann sich niemand herausstehlen, auch wenn Sie das
natürlich gerne möchten. Aber glauben Sie mir: Es geht
nicht. Deswegen sollten wir hier etwas ehrlicher miteinander umgehen, als ich das in den vergangenen Stunden
erlebt habe.
Ich habe gesagt: Es ist bei dem Charakter des Justizhaushalts schwer, den Beitrag zu erbringen, den selbstverständlich auch unser Ressort erbringen muß. Es ist
nicht nur wegen des Charakters eines Verwaltungshaushalts schwer, sondern auch deshalb, weil wir keinerlei
nachgeordnete Behörden haben, aus denen wir uns mit
Stellen versorgen könnten, um die Aufgaben, die nicht
weniger, sondern mehr werden, tatsächlich zu erfüllen.
Es ist besonders schwer, weil wir wissen, daß Sie in den
letzten 16 Jahren den Bereich des Justizetats - lassen Sie
mich das sagen - besonders stiefmütterlich und stiefväterlich behandelt haben. Das ist so.
Demjenigen, der das nicht glauben möchte, nenne ich
einfach ein paar Zahlen. Allein im höheren Dienst - Sie
wissen, daß wir besonders auf dessen Mitarbeit angewiesen sind - ist in den letzten zehn Jahren der Personalbestand von 242 auf 226 gesunken. Das geht natürlich nicht, wenn man hier die Aufgaben solide erledigen will, wie wir das heute tun.
Meine Damen und Herren, der Grundsatz der Effizienzrendite - das will ich allen Mitgliedern des HausCarl-Detlev Freiherr von Hammerstein
haltsausschusses noch einmal sehr deutlich sagen - trifft
natürlich einen Etat von der Struktur des Justizetats in
doppelter und dreifacher Weise. Hier werden wir für die
Zukunft andere Möglichkeiten finden müssen. Sparsamkeit ist bei uns ebenso selbstverständlich wie ein guter
Mitteleinsatz.
Ich sage das nicht, weil ich in die große Jammerarie
einstimmen will, sondern weil ich allen hier in diesem
Hause offen sagen will, daß die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Justizministeriums bei dem Reformkurs,
den wir fahren, bis an die Grenze, einige sogar über die
Grenze ihrer Belastbarkeit hinaus beansprucht sind.
({1})
Ich nehme die Gelegenheit wahr, mich herzlich dafür
zu bedanken, daß sie das akzeptieren und in sehr motivierter Weise mitarbeiten. Dies gilt doppelt, weil ihnen
der Umzug nach Berlin, so wie er geplant und beschlossen war, zusätzliche Belastungen aufbürdet, und zwar
einfach deshalb, weil erhebliche Teile des einfachen,
mittleren und gehobenen Dienstes bei uns ausgetauscht
wurden und die neuen Kräfte angelernt werden müssen.
Meine Damen und Herren, was genug ist, ist genug.
Man kann nicht mehr nur mit Dank arbeiten, sondern
muß auch mit Stellen nachhelfen. Das wird eine der
Aufgaben der nächsten Jahre sein, weil sonst das Bundesministerium der Justiz seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann.
Was mich mit Stolz erfüllt, ist, daß wir im vergangenen Dreivierteljahr nicht nur effizient und haushalterisch
vorgegangen sind, sondern daß wir in der Tat das, was
wir angekündigt haben, zeitgerecht einbringen oder sogar schon abschließen konnten. Sie wissen, wir haben
den Grundsatz vertreten: Wir werden einiges korrigieren, anderes sorgfältig vorbereiten und dann in der Öffentlichkeit diskutieren. Sie haben davon gesprochen,
ich würde vieles ankündigen. Selbstverständlich tue ich
das. Ich tue das einfach deswegen, weil ich die Diskussion will. Ich brauche auch Ihre Beiträge, und ich lade
Sie ausdrücklich zur Mitarbeit ein. Abgesehen davon,
verehrter Herr Kollege Geis, wenn ich es nicht täte, lautete Ihr Vorwurf, ich würde Sie überfallen; ich kann es
mir also aussuchen.
({2})
Deswegen sage ich Ihnen: Wir werden auch diese Art
und Weise der Planung und der öffentlichen Diskussion
beibehalten.
({3})
Wir werden die Vorhaben, die die Koalition gemeinsam beschlossen hat, zeitgerecht ins Gesetzgebungsverfahren einbringen. Bei einigen haben wir das schon getan. Ich habe in den letzten Haushaltsberatungen gesagt,
daß wir bei der Umsetzung von EU-Richtlinien im
Verzug sind und daß wir uns bemühen werden, das zu
bereinigen. Das haben wir auf der einen Seite durch das
Überweisungsgesetz und auf der anderen Seite durch die
Umsetzung der Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie, die dem Bundesrat vorliegt und den Deutschen
Bundestag danach erreichen wird, und dadurch getan,
daß wir in den kommenden Monaten Umsetzungsgesetze sowohl zur Fernabsatzrichtlinie als auch zur vergleichenden Werbung als auch zum Niederlassungsrecht für
Rechtsanwälte und zum Verbrauchsgüterkauf in den
Bundestag einbringen werden.
Ich sage Ihnen: Wir wollen nie wieder in die Situation geraten - soweit ich das verhindern kann, werde ich
das auch zu verhindern wissen -, daß die Bundesregierung wegen zögerlicher Umsetzung europäischen Rechts
vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wird, wie es in
den vergangenen Jahren, zuletzt im April, der Fall war.
Dabei handelte es sich um eine Altlast.
({4})
Meine Damen und Herren, der Bundestag hat mit unserer Hilfe bereits das DNA-Gesetz, die IPR-Novelle,
das Überweisungsgesetz, das ich schon erwähnt habe,
und in der letzten Woche das Gesetz zur obligatorischen
außergerichtlichen Streitschlichtung verabschiedet. Dieses hätten wir gern schon in der letzten Legislaturperiode, konnten dies aber aus Gründen, die Sie alle
kennen - es wurde diese unselige Handelsregister„Privatisierung“ fakultativ draufgesattelt -, nicht.
({5})
- Aber wir haben es gemacht, im Gegensatz zu Ihnen,
verehrter Herr Kollege Geis.
({6})
Das haben wir schon nach einem Dreivierteljahr gemacht und Sie in 16 Jahren nicht. Wir haben auch das
Recht auf gewaltfreie Erziehung bereits im Gesetzgebungsverfahren. Dies sollten wir nach meiner Meinung
gemeinsam schnell verabschieden. Die Zeit ist wirklich
reif.
({7})
Wir haben das StVÄG, das U-Haft-Vollzugsgesetz,
das sicherlich noch eine Menge Auseinandersetzungen
bringen wird, den Täter-Opfer-Ausgleich und das Gesetz
zur Verbesserung der Zahlungsmoral im Gesetzgebungsverfahren. Ich denke, das ist wichtig und vernünftig.
Wir werden eines nicht machen: Wir werden nicht jeden Schritt einzeln einbringen und beraten, obwohl uns
das manche Länder immer vorschlagen. Das treibt die
Praxis zum Wahnsinn. Wir werden vielmehr Schwerpunkte bilden. Ich bitte Sie auch - wie ich das früher
schon gesagt habe -, uns darin zu unterstützen.
In den nächsten Monaten ist mit folgenden Vorhaben
zu rechnen: mit der Rechtsmittelreform in Zivilsachen
als nächster Stufe der Justizreform - Sie wissen, wir haBundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
ben von der Justizministerkonferenz einen einstimmigen
Auftrag erhalten, den wir bis zur nächsten Justizministerkonferenz Anfang November durch einen Referentenentwurf umsetzen werden, zu dessen Diskussion
wir Sie und auch die Öffentlichkeit herzlich einladen und mit dem Zeugnisverweigerungsrecht. Auch dies ist
reif. Ich bin der F.D.P. dankbar, auch wenn ich deren
Gesetzentwurf für verbesserungsfähig halte, daß sie den
Reigen der eingebrachten Diskussionsentwürfe eröffnet.
Zu rechnen ist mit der Erweiterung des Sanktionensystems, des Mietrechts - ich bedanke mich ausdrücklich
bei Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, daß sie
hierzu die öffentliche Diskussion eröffnet haben - und
außerdem der Beendigung der Diskriminierung der
gleichgeschlechtlichen Sexualität und zugleich der
Schaffung eines Rechtsrahmens für Lebenspartnerschaften. Meine Damen und Herren, das sind die Dinge,
die wir vorhaben. Das ist eine ganz ordentliche Bilanz.
Ich kann mich Cem Özdemir nur anschließen: „Ordentlich“ ist für Schwaben ein großes Lob.
Wir wollen Bereitschaft zum Konsens. Ich will Ihnen
den neuen Haushalt kurz vorstellen, weil ich darüber
gern mit Ihnen Diskussionen in aller Offenheit führen
will. Wir wissen ganz genau, wie schwierig die finanzielle Lage ist und daß wir Schwerpunkte setzen müssen.
Wir sind nicht schuld an der schwierigen Lage. Wir
werden den Karren aus dem Dreck ziehen. Aber wir
wissen ganz genau, daß ein Handeln nach der Methode,
wie wir sie gerade beim Innenetat gehört haben, nämlich
daß man nirgendwo sparen darf, nichts erhöhen darf,
aber alles verbessern muß, nur möglich ist, wenn man
einen Goldesel hat. Den hatten Sie nicht, deswegen haben Sie es so weit kommen lassen. Den haben wir nicht,
deswegen müssen wir politisch gestalten. Sie sind herzlich eingeladen, das mitzutun.
Was bringt nun der Haushalt 2000 an Strukturen? Der
Umfang des Haushalts des Justizministeriums bleibt bei
1,5 Promille des Gesamthaushaltes. Er sieht eine Ausgabenreduzierung um 23 Millionen DM vor, und zwar
deshalb, weil wir für die Bauvorhaben der Gerichte das ist ein Durchlaufposten, das wissen Sie selber - erheblich weniger zu verbuchen haben. Damit sinken die
Investitionen. Auch das bezieht sich auf die Gerichtsbauten, die planmäßige Fortschritte machen, nämlich in
Leipzig, beim Internationalen Seegerichtshof in Hamburg, aber auch beim Bundespatentgericht in München.
Wir brauchen auch nicht mehr so viele umzugsbedingte
Beschaffungen zu bezahlen. Auch daher sinken die Investitionen.
Aber wir haben die Zuwendungen um 2,9 Prozent geringer angesetzt. Dafür haben wir einen Anstieg der Personalausgaben. Dies ist eine Tendenz, die dem Gesamthaushalt deutlich entgegengesetzt ist. Dies hat seinen
Grund.
Wir haben auch einen Anstieg der Sachkosten in
einem Bereich zu verzeichnen, der zu dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums gehört und der ungeheuer wichtig ist. Es geht um das Deutsche Patentund Markenamt. Dieses Amt ist unser Sorgenkind gewesen. Bei der Übernahme der Regierung mußten wir
nämlich feststellen, daß für dieses wichtige Amt mit seinen wichtigen Aufgaben - der Stützung der Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft - zu wenig getan wurde.
Einzelne haben sich große Mühe gegeben. In diesem
Zusammenhang schaue ich Sie, Herr Funke, ganz bewußt an. Aber die Tatsachen treffen zu, daß in diesem
Bereich die Zahl der Anträge in den letzten 10 Jahren
gestiegen ist, aber der Personalbestand heruntergefahren
wurde, daß man mit der Organisationsreform nicht weiterkam und daß die EDV-Ausstattung einfach nicht verbessert wurde.
Wir haben jetzt mit Veränderungen angefangen. Bereits im Haushalt 1999 - ich bedanke mich nochmals für
die Unterstützung - haben wir mit der kleinen Zahl von
sechs neuen Stellen im Patentprüferbereich angefangen. Jetzt schaffen wir 49 neue Stellen plus einige neue
Stellen im Markenbereich und im Verwaltungsbereich.
Im Juli konnte der Staatssekretär das EDV-Programm
DEPATIS der Öffentlichkeit vorstellen, das zügig ausgebaut werden soll. Wir haben die Umorganisation
„DPMA 2000“ kräftig vorangetrieben. Auch diese Maßnahme wird Früchte tragen.
Ich komme jetzt zu dem entscheidenden Punkt. Wer
in diesem Hause glaubt, wir könnten die Umstrukturierung angesichts der desolaten Haushaltssituation, die wir
vorgefunden haben, einfach so bezahlen, und wir könnten der Notwendigkeit zu Einsparungen, die wir brauchen, um mehr Arbeitsplätze, Ausbildung und Gerechtigkeit zu finanzieren, nicht die notwendige Beachtung
schenken, der drückt sich um die Wahrheit herum und
zeigt damit, daß er einfach politikunfähig ist.
({8})
So können wir natürlich nicht vorgehen. Deswegen
sage ich ganz offen: Die einzige Möglichkeit bestand
darin - so gern ich Geld ausgegeben hätte; das wäre mir
viel sympathischer -, zu überlegen, in welchem Bereich
wir Gebühren erhöhen können, ohne daß die Innovationsfähigkeit und ohne daß die Erfinder und insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen in ihrer Arbeit beeinträchtigt werden. Diese erhöhten Gebühren
sollten den Zweck haben, die Antragsbearbeitung beim
Deutschen Patent- und Markenamt und seinen Service
tatsächlich voranzutreiben.
({9})
- Eben, Herr Staatssekretär.
Die zweite Frage ist: In welchem Bereich können wir
Gebühren erhöhen, ohne daß wir in irgendeiner Weise in
Konkurrenz zum Europäischen Patentamt und zu den
Patentämtern in den anderen Staaten treten? Mit dieser
Frage haben wir uns beschäftigt. Wir haben die einzelnen Gebühren so erhöht, daß genau diese Ziele erreicht
wurden. Übrigens können wir diese Erhöhungen auch
deswegen ganz gut verantworten, weil die Gebühren seit
1976 - ich wiederhole mit Nachdruck: seit 1976 - nicht
mehr angepaßt worden waren.
Ich will Ihnen sagen, welche Gebührenerhöhungen
sich ergeben haben. Die Gebühr für die Patenterteilung
ist bei uns von 650 DM auf insgesamt - alles eingerechnet - 735 DM gestiegen. Die entsprechenden Kosten
beim Europäischen Patentamt betragen in der vergleichbaren Kategorie 6 838 DM. Wir haben aber sehr sorgfältig darauf geachtet, daß die Gebühr für die erste Anmeldung zum Patent nicht erhöht wird. Das ist eine der
Überlegungen gewesen, die den Erfindern und den kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommt. Diese
Gebühr beträgt übrigens bei uns nach wie vor 100 DM,
beim Europäischen Patentamt 248 DM.
Allerdings waren wir der Meinung, die Recherchegebühren kräftig erhöhen zu können. Ich sage Ihnen auch,
warum. Es gibt eine ganze Reihe von Recherchen des
hochsubventionierten deutschen Rechercheservice, die
dazu genutzt wurden, um mit den entsprechenden Informationen eine Tür weiter beim Europäischen Patentamt die Patentanmeldung vorzunehmen. Wir haben die
Relationen völlig verändert. Die Gebühr steigt von 200
auf 300 DM. Beim Europäischen Patentamt kostet diese
Dienstleistung immer noch 1 350 DM.
Wir handeln also genau nach der Devise: Wir erhöhen die Gebühren, um schwerpunktmäßig investieren zu
können. Wir haben die innovatorisch handelnde Wirtschaft und die kleinen Erfinder geschont. Wir handeln
im übrigen ganz im Einklang mit dem, was die Verfassung und auch das Europarecht vorsehen. Wenn wir uns
die Finanzierung und die Ausgaben für das DPMA
anschauen, so können wir feststellen, daß wir noch
deutlich im gegebenen Spielraum für die Gebühren liegen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie am Ende
meiner Rede nochmals dazu einladen, die Reformvorhaben der kommenden Zeit mit uns zu gestalten. Im
Rechtsausschuß herrscht immer ein erfreuliches Klima.
Ich glaube, daß wir das gemeinsam machen können. Ich
lege bei den Reformprojekten, die wir vorhaben, großen
Wert darauf, daß alle in der Öffentlichkeit und alle hier
in diesem Haus nicht nur ihre Meinung sagen können,
sondern uns helfen, sie durchzusetzen. Wir sind der Auffassung: Das Bessere ist immer der Feind des Guten. So
soll es auch bleiben.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat nun
Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, wir
müssen sparen; das ist wahr. Aber Sie müssen erst einmal auf den Stand zurückkommen, den wir in unserem Haushaltsentwurf für das Jahr 1999 vorgesehen
hatten. Sie haben den Ansatz sträflicherweise um
30 Milliarden DM erhöht und müssen nun das Kunststück fertigbringen, von diesen 30 Milliarden DM wieder herunterzukommen. Diese Suppe haben Sie sich
selbst eingebrockt.
({0})
Lassen Sie mich in meinem Teil der Stellungnahme
zum Haushalt
Kollege Geis, bevor
Sie so richtig loslegen, will der Kollege Karl Diller
schon etwas von Ihnen wissen. Darf er?
Bitte sehr.
Kollege Geis, ich sehe Ihnen nach,
da Sie kein Haushalter sind, daß Ihnen möglicherweise
der Zusammenhang unbekannt ist.
({0})
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Aufwuchs des Haushaltes 1999 gegenüber dem Haushalt
1998 um gut 28 Milliarden DM im wesentlichen mit drei
grundlegenden Veränderungen des Haushaltssystems zu
tun hat: Erstens. Erstmals werden im 99er Haushalt die
Einnahmen und Ausgaben für die Postunterstützungskassen nicht mehr als Sonderrechnung geführt, sondern
im Haushalt veranschlagt.
({1})
Volumen: 8 Milliarden DM.
Kollege Diller, Sie
müssen schon fragen.
Ja: „Sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen…?“
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß zweitens in diesem Jahr die Erhöhung der Mehrwertsteuer
um 1 Prozent, die Sie zugunsten der Rentenkassen vorgenommen haben - abweichend vom Vorjahr, wo dies
nur für ein Dreivierteljahr relevant war -, erstmals voll
ihren Niederschlag fand und daß wir drittens im April
dieses Jahres zugunsten der Rentenkassen die Ökosteuer
eingeführt haben? Die beiden letztgenannten Maßnahmen bedeuten zusätzlich 15 Milliarden DM, so daß sich
insgesamt 23 Milliarden DM der Veränderung in Höhe
von 28 Milliarden DM aus diesen drei Positionen erklären. Sind Sie endlich bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?
Wir haben folgende
Situation: Von 1993 bis einschließlich 1998 war die
Haushaltssituation weitgehend dieselbe; nur wenige Beträge unterschieden sich. Wir stellen fest, daß Sie frisch an die Regierung gekommen - für das Jahr 1999
entgegen unserem Entwurf, eine Erhöhung um 30 Milliarden DM vorgenommen haben und jetzt behaupten, sie
müßten 30 Milliarden DM sparen.
({0})
Nach Adam Riese ist dies eine ganz einfache Rechnung:
Hätten Sie nicht um diese 30 Milliarden DM erhöht,
dann hätten Sie zumindest nicht jene Schwierigkeiten,
die Sie der Bevölkerung draußen jetzt darzulegen versuchen. Die Bevölkerung glaubt es Ihnen auch gar nicht;
Sie merken das an den Wahlergebnissen.
({1})
Der Kollege Diller
will noch einmal nachfragen. Ich hoffe, es handelt sich
wirklich um eine Frage, Kollege Diller.
Herr Kollege Diller, Sie
können die Debatte jetzt ausschließlich auf den haushalterischen Bereich verlagern. Ich bin gerne damit einverstanden. Aber ich bin hierhergekommen, um über
Rechtspolitik zu reden. Den Haushaltspart bei diesem
Einzelplan wird der Kollege Henke übernehmen. Vielleicht können Sie Ihre Fragen, die sich nur mit dem
Haushaltsansatz beschäftigen, an den Kollegen Henke
richten. Aber wenn Sie nicht wollen: Bitte, ich versuche,
auch Ihren Fragen Rede und Antwort zu stehen. Der andere Weg wäre mir aber lieber.
Sie bestehen also auf
Ihrer Zwischenfrage? - Bitte.
Herr Kollege, wenn Sie behaupten, wir hätten 30 Milliarden DM zum Fenster hinausgeworfen oder was auch immer damit gemacht, dann erklären Sie mir bitte, an welchen wesentlichen Ausgabetiteln sich diese 30 Milliarden DM festmachen. Ich sage
Ihnen noch einmal:
({0})
Sie machen sich in der Größenordnung von 23 Milliarden DM an diesen drei strukturellen Veränderungen fest.
Es ist einfach Ihrer Reputation unwürdig, eine wahrheitswidrige Behauptung weiter aufrechtzuerhalten. Ich
bitte Sie, sie im Interesse des Umgangs miteinander zurückzunehmen.
Ich bin zwar über Ihre
hohe Anerkennung meiner Reputation sehr erfreut, bleibe aber dabei: Wir haben im September des Jahres 1998
für das Jahr 1999 einen Haushalt vorgelegt, haben ihn
auch mit der Mehrheit dieses Parlamentes vor den
Wahlen am 27. September verabschiedet. In diesem
Haushalt waren 30 Milliarden DM weniger enthalten.
Dann haben Sie den Haushalt vorgelegt und 30 Milliarden DM draufgesattelt. Das ist eine ganz einfache Rechnung. Ich weiß nicht, welche Schwierigkeiten Sie haben,
wenn wir Ihnen vorhalten: Hätten Sie Ihren Haushalt
1999 in einer anderen Weise aufgestellt, dann hätten Sie
jetzt nicht diese Probleme.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich jetzt zu ein paar rechtspolitischen Themen Stellung
nehmen. Frau Ministerin, Sie werfen mir vor, ich würde
immer gegenüber - ({0})
- Na gut, Sie halten mir vor, ich würde immer sagen,
aus Ihrem Hause würde nichts kommen. Seit einem Jahr
diskutieren wir über die Justizreform. Das ist eine unendliche Geschichte: In regelmäßigen Abständen lesen
wir dazu Ihre Pressemitteilungen und über Ihre Gespräche mit der Presse; im Rhythmus von acht Wochen lesen
wir immer wieder das gleiche. Mich wundert, daß die
Presse das überhaupt aufnimmt. Die müßte inzwischen
eigentlich kapiert haben, daß nichts Neues mehr kommt.
Trotzdem sind wir noch auf Spekulationen angewiesen,
weil immer noch kein Gesetzentwurf vorliegt.
Frau Ministerin, wenn Sie an meiner Stelle stünden,
also in der Opposition, dann würden Sie Ihre Wortmeldung in einer ganz anderen Weise geltend machen. Und
Sie hätten Recht! Dieses Recht nehme ich für mich in
Anspruch. Ich bin Oppositionspolitiker; ich muß darauf
hinweisen. Es ist doch in der Tat so: Im Augenblick haben wir - was wir, seit ich im Rechtsausschuß bin, noch
nie hatten - im Rechtsausschuß einen Mangel an Tagesordnungspunkten, so daß wir eine Obleutebesprechung
machen müssen, um zu klären, was wir auf der nächsten
Sitzung machen.
({1})
Solange ich Mitglied des Rechtsausschusses bin, gab es
so etwas noch nie. Darauf muß ich hinweisen; das muß
ich auch kritisieren. Ich hoffe aber sehr, Frau Ministerin,
daß Sie die angekündigten Reformen demnächst in Form
von Gesetzesentwürfen vorlegen. Dann werden wir uns
konkret damit auseinandersetzen können.
In der Justizreform unterscheiden wir zwei Punkte:
die Justizorganisationsreform, über die Sie heute nichts
gesagt haben, und Verfahrensrechtsreform. Für die Verfahrensrechtsreform sind wir, das habe ich immer gesagt, offen. Wir selbst haben einen Entwurf zur Verbesserung des Zivilprozeßrechtes vorgelegt. Sie haben diesen Entwurf blockiert. Er stammt aus der letzten Legislaturperiode und wurde von Abgeordneten der SPD und
der CDU/CSU zusammen mit den Kolleginnen und
Kollegen des Bundesrates erarbeitet, er kommt aus der
Praxis. Aber Sie haben nichts Besseres zu tun gehabt, als
ihn bis heute zu blockieren.
Inzwischen haben Sie einen Punkt herausgenommen.
Das ist die außergerichtliche Streitschlichtung. Dazu
liegt nun ein Gesetzentwurf vor. Wir werden damit zurechtkommen; wir haben keine Einwendungen. Es ist
auch fast das gleiche, was wir vorgeschlagen haben,
nicht wortgleich, aber dem Sinn nach gleich. Wir werden dem Entwurf zustimmen. Hätten Sie aber nicht
blockiert, dann hätten wir die außergerichtliche Streitschlichtung längst. Wir haben sie dem Haus schon im
Januar dieses Jahres vorgelegt. Sie haben blockiert, jetzt
sind Sie zur besseren Einsicht gekommen. Ich danke Ihnen dafür. Wenn es hilft, dann ist es ja gut.
Bei der Frage der Rechtsmittelreform bitte ich aber,
eines zu berücksichtigen. Es gibt diesen Bericht, der aus
dem Bundesrat kommt; es war die einstimmige Meinung
des Bundesrates. Der Bericht wurde erstellt unter maßgeblicher Beteiligung von Bayern.
({2})
- Das ist nun einmal so; das können Sie nicht leugnen.
Was wahr ist, darf man wohl noch sagen.
Aber ich möchte ein Argument dagegen anführen.
Bei der Rechtsmittelreform ist vorgesehen, daß es nur
noch eine Eingangsinstanz gibt und die zweite Instanz
als Tatsacheninstanz so gut wie abgeschafft wird. Ich
halte das für verkehrt,
({3})
und zwar deswegen, weil die Hauptaufgabe im Zivilprozeß in der Tat die Erfassung des Sachverhaltes ist. Das
macht 95 Prozent der Arbeit in einem Zivilprozeß aus.
Die Rechtsanwendung macht den weit geringeren Teil
aus. Die Fehler passieren in der Erfassung des Sachverhalts. Deshalb sind in der zweiten Instanz, nachdem sich
die Dinge abgeklärt haben, oft genug Korrekturen angebracht. Deswegen sollte man sehr vorsichtig mit der
Überlegung sein, nur eine Tatsacheninstanz einzurichten
und die Rechtsmittelinstanz nur noch für die Überprüfung von Rechtsfehlern zu verwenden. Das halte ich für
ein Problem; darüber muß man jedenfalls gut nachdenken. Ich weiß, dazu gibt es viele andere Meinungen, die
auch berechtigt sind und die ich nicht abtun möchte.
Aber es gibt auch viele Argumente gegen die Abschaffung dieser Instanz. Diese habe ich darzulegen versucht.
Soweit die Justizreform die Organisation betrifft, gibt
es Streit. Unser Justizsystem zeichnet sich durch eine
Viergliedrigkeit aus. Es gibt Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte und eine Revisionsinstanz in
Form des BGH. Wir meinen, daß sich diese Viergliedrigkeit in hervorragender Weise bewährt hat. Wir sollten
mit ihr nicht leichtsinnig umgehen. Ich weiß, daß das
Thema der Dreigliedrigkeit seit hundert Jahren durch die
Justiz geistert. Aber es muß nicht sein, daß dieses Gespenst in unseren Tagen Wirklichkeit wird. Die Viergliedrigkeit gewährleistet die bessere Organisation unserer Gerichte. Deshalb bitte ich, sie auch beizubehalten.
Jedenfalls schließe ich aus der Tatsache, daß Sie heute
nichts dazu vorgetragen haben, daß Sie mit Ihren Beratungen noch nicht fertig sind. Ich hoffe sehr, daß in diese Beratungen noch mehr Argumente eingebracht und
bedacht werden.
Sie haben vorhin die weiteren Bereiche des Zivilrechts erwähnt. Wir haben längst einen Gesetzentwurf
zur Verbesserung der Zahlungsmoral eingebracht. Sie
haben dieses Thema ebenfalls aufgegriffen. Ich bin sicher, daß wir zusammen zu einer vernünftigen Regelung
dieser Frage gelangen werden. Die Handwerker haben
diese Regelung nötig. Die jetzt existierende Gesetzeslage wird den Bedürfnissen der Handwerker nicht gerecht.
Sie werden bei Zahlungsverzug illiquide und müssen
dann Konkurs anmelden. Das gilt insbesondere für die
Handwerker in den neuen Bundesländern. Diesen Zustand müssen wir verändern. Hier sind beide großen
Parteien der gleiche Meinung.
({4})
Bei der Änderung des § 1631 BGB, in dem die Frage
der Gewaltanwendung in der Familie behandelt wird,
mahnen wir zu einer größeren Zurückhaltung. Diese
Norm haben wir in der letzten Legislaturperiode verändert. Wir haben eine gute Formulierung gefunden, die
auch der Privatsphäre der Familie gerecht wird. Aber ich
möchte nicht leugnen, daß es Gewalt natürlich auch in
den Familien gibt. Die Statistiken besagen, daß es sie auch das muß gesagt werden - insbesondere in Familien
ausländischer Herkunft gibt. Das ist leider so. Ein neues
Gutachten des Kriminologen Pfeiffer beweist dies ganz
deutlich. Aber wir müssen natürlich vor allem festhalten,
daß die Familie zu einem ganz überwiegenden Teil noch
immer der Hort der Sicherheit für heranwachsende Kinder ist. Das sollten wir bei dieser Diskussion nicht vergessen. Wir meinen, daß man mit einer Umformulierung
des § 1631 BGB, der erst in der letzten Legislaturperiode neu gefaßt wurde, dem Problem der Gewaltanwendung nicht gerecht wird. Es gibt andere Politikfelder, die
hier eher gefordert sind, zum Beispiel die Familien- und
vor allen Dingen die Jugendpolitik.
Ich möchte auch noch die gleichgeschlechtlichen
Partnerschaften ansprechen. Dazu liegen inzwischen
drei Gesetzentwürfe vor. Es liegt ein Gesetzentwurf aus
Hamburg und ein Gesetzentwurf von den Lesben und
Schwulen vor. Es gibt auch den Gesetzentwurf der
F.D.P.. Sie von der F.D.P. sagen zwar, daß Sie keine
Konkurrenzveranstaltung zur Ehe etablieren wollen. Ich
nehme Ihnen das auch ab. Aber wenn Sie sich Ihren eigenen Gesetzentwurf einmal genauer anschauen, dann
werden Sie feststellen, daß dort eine Masse von Verrechtlichungen der nichtehelichen, der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften vorgesehen ist. Nach ihrem Regelungswerk würden sich gleichgeschlechtlichen Partnerschaften - wenn man die steuer- und rentenrechtlichen Regelungen auch in Betracht ziehen würde - in
nichts mehr von der Ehe unterscheiden. Dagegen stellen
wir uns. Wir halten dies nicht für verfassungskonform.
Wir sind der Auffassung, daß damit ein Verstoß gegen
Artikel 6 GG vorliegt.
({5})
Ich möchte einen Blick auf das Strafrecht richten.
Uns interessiert die Aktivität der Bundesregierung im
europäischen Bereich. Die Europäische Kommission
kümmert sich immer stärker um Strafrecht. Es gibt den
Vorschlag einer Gutachterkommission, die vom Europäischen Parlament initiiert und bezahlt worden ist. Wir
bitten die Bundesregierung in der Diskussion mit Brüssel dafür Sorge zu tragen, daß unsere vernünftigen und
guten Regelungen im materiellen Recht und im Verfahrensrecht nicht durch Verwässerung im europäischen
Bereich schlechter werden. Das ist unser Anliegen. Ich
bitte sehr, darauf zu achten.
Ich möchte noch ein Wort zum Sanktionensystem
sagen. Frau Ministerin, auch hier haben wir es mit einer
unendlichen Geschichte zu tun. Es kommen ständig Ankündigungen; aber es liegt kein Gesetzentwurf vor. Soweit es um das Fahrverbot geht, bin ich trotz Bedenken
der Meinung, daß man es in Zukunft als weitere Sanktion auch für andere Straftaten als nur für Verkehrsstraftaten vorsehen kann. Man muß feststellen, daß der Führerscheinentzug für einen jungen Menschen, der den
Führerschein vor kurzer Zeit gemacht hat, nach dem Begehen einer Straftat immer noch schwerwiegender als
eine Gefängnisstrafe mit Bewährung und zusätzlicher
Geldbuße ist. Diese Möglichkeit der Sanktion ist vorzusehen. Da stimmen wir zu.
Wir stimmen nicht der Einführung eines Strafgeldes
zu. Sie haben diese Absicht erst neulich wieder verkündet. Hiermit ist die Polizei nach unserer Auffassung
überfordert. Es ist verfassungsrechtlich bedenklich, daß
der Polizist zum Richter würde. Hinzu kommt, daß dadurch Polizeikräfte gebunden werden, die eher in der
Verbrechensbekämpfung gebraucht werden. Ich bitte,
unsere Gegenargumente zu beachten.
Meine Redezeit ist abgelaufen. In der Kürze der Zeit
kann ich nicht alle rechtspolitischen Themen ansprechen. Die Rechtspolitik hat eine von der gesamten Politik oft übersehene Wirkung, die weder heute noch morgen zutage tritt und die auch nicht spektakulär ist, die
aber sehr stark in die Gesellschaft hineinwirkt. Ich hoffe
sehr, daß wir wie in der Vergangenheit in den grundliegenden Fragen im Rechtsausschuß zu einer vernünftigen
Einigung finden. Sie können sich unserer Offenheit und
unserer Gesprächsbereitschaft sicher sein.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der
Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Geis,
ich muß mich schon wundern, daß Sie so darüber
schimpfen, wie es bei uns im Obleutegespräch zugeht.
Ich weiß gar nicht, woher Sie das wissen. Sie zumindest
habe ich in dieser Wahlperiode dort noch nicht gesehen.
Den Kollegen Pofalla habe ich zu meiner großen Freude
dagegen um so öfter gesehen. Uns ist es da nicht langweilig, und wir haben auch genügend zu tun. Wir haben
eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Daß wir so
etwas wie die Justizreform nicht übers Knie brechen, das
spricht nur für die Sorgfalt, mit der die Koalition an diesem Punkt arbeitet.
({0})
Sie würden sich doch zu recht beschweren, wenn wir einen Entwurf vorlegen würden, der mit niemandem diskutiert worden wäre, der große Mängel aufweisen würde
und in dem wir die vielen komplizierten Fragen in diesem Zusammenhang nicht wohl abgewogen hätten. Daß
so etwas, was Sie nie angepackt haben, eine Weile
braucht, das versteht sich von selbst.
Was Sie hier zum Thema „Gewalt in der Familie“ gesagt haben, fand ich wirklich schlimm. Sie haben gesagt:
Bei den ausländischen Familien hier findet Gewalt statt.
- Bei den anderen Familien offensichtlich nicht.
({1})
Das Problem der Gewalt in der Familie ist kein Problem
von Deutschen, Ausländern oder Migrantenfamilien.
Das Problem der Gewalt in der Familie müssen wir da
angehen, wo wir es vorfinden. Dabei dürfen wir die Familie nicht ideologisch schönbeten oder dieses Thema
dazu verwenden, die Familie zu diskreditieren. Wir
müssen den Familien helfen, in denen Gewaltphänomene auftauchen. Wir müssen die Jugendlichen und Kinder
schützen und ihnen eine Chance für eine anständige Sozialisation und eine richtige Erziehung geben. Wo das
nicht klappt, müssen wir prüfen, mit welchen Instrumenten wir intervenieren können.
Aber dagegen, daß der Gesetzgeber ein für allemal
klarstellt, daß jedes Kind ein Recht auf gewaltfreie Erziehung hat, sollten Sie angesichts dessen nicht polemisieren, daß wir wissen, daß gewaltbelastete Kinder mit
einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit später selber als
Gewalttäter auftreten. Das, was wir hier machen und
was Sie versäumt haben, ist die beste Gewaltprävention.
({2})
Zum Thema Sanktionensystem möchte ich hier nicht
viel sagen. Wir werden das demnächst diskutieren. Wir
haben natürlich auch eine Weile gewartet, bis die von
Ihnen eingesetzte Reformkommission endlich mit Vorschlägen rüberkommt. Es gehört sich auch so, daß man
die Fachleute eine Weile arbeiten läßt, bevor man hier
etwas vorlegt. Die Diskussion haben wir aber trotzdem
schon in der Gesellschaft begonnen.
Meine Damen und Herren, wir müssen in diesen Tagen mit Sorge beobachten, daß es auch Tendenzen der
Rechtsstaatserosion gibt. Unrühmliche Beispiele von
Bremen und Schwerin haben jetzt im Saarland Konjunktur. So fiel dem designierten Ministerpräsidenten
dort nichts Besseres ein, als sich sogleich für eine Einverleibung des Justizressorts auszusprechen. Zu Recht
erntete Herr Müller daraufhin den Proteststurm der großen juristischen Berufsverbände, des Richterbundes und
des Anwaltsvereins, sowie diverser Justizminister. Diese
Diskussion - das geht ja leider parteiübergreifend -, das
Justizministerium geringzuschätzen, ist ein ganz
schlechtes Signal, daß wir den Rechtsstaat mit seinem
Wert, den er für uns hat, nicht wirklich ernst nehmen.
Das Amt des Ministerpräsidenten mit dem des Justizministers zusammenzulegen ist eine Geringschätzung des
Rechtsstaates. Zu den Aufgaben einer unabhängigen Justiz zählt doch auch, die Umsetzung von Politik zu kontrollieren und auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.
({3})
Wer aber diese vom Grundgesetz erforderte eindeutige Trennung von Exekutive und Judikative verwischen
will, stellt sich aus Macht- oder falsch verstandenem Effektivitätsdenken nicht nur gegen die Verfassung. Nein,
solche Ideen fördern auch nicht das Vertrauen der Bevölkerung in die Kraft und die Unabhängigkeit der dritten Gewalt.
Herr Kollege Beck,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Funke?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Beck, sind Sie
mit mir der Auffassung, daß Ihre richtigen Ausführungen hinsichtlich des Zusammenwerfens der Ämter des
Ministerpräsidenten und des Justizministers auch für die
Ämter des Innenministers und des Justizministers gelten
müßten?
Selbstverständlich. Wir haben das da, wo es passiert ist,
also in Nordrhein-Westfalen, auch immer kritisiert.
({0})
Das ist gegen unseren Widerstand beschlossen worden.
Aber wir haben da mit unserer Kritik nicht hinter dem
Berg gehalten, sondern klar Farbe bekannt. Wir sind
auch froh, daß das Verfassungsgericht von NordrheinWestfalen unsere Position geteilt hat.
Sie wissen ganz genau, daß es in manchen Punkten
Sache des Regierungschefs ist zu entscheiden, wenn
man nicht vorher andere Vereinbarungen getroffen hat.
Wir haben kein Jota an der Kritik zurückgenommen, und
wir haben jetzt in Nordrhein-Westfalen auch wieder anständige Verhältnisse. Wir sollten an diesem Punkt nicht
Parteipolitik betreiben, sondern gemeinsam für den
Rechtsstaat streiten.
({1})
Meine Damen und Herren, in dieser Koalition bildet
die Rechtspolitik einen deutlichen Schwerpunkt. Wir
schätzen den Rechtsstaat hoch ein. Deshalb wollen wir
das Recht an die modernen Lebensverhältnisse anpassen. Wir wollen mehr Bürgernähe, mehr Bürgerfreundlichkeit und mehr Transparenz. Vielleicht muß man das sage ich auch zu dem, was Sie, Herr Geis, hier zum
Justizaufbau gesagt haben - manchmal auch den Mut
haben, Dinge zu erneuern, um näher an die Bürger heranzukommen und ein transparenteres Rechtssystem zu
haben, das die Menschen besser verstehen. Deshalb
halte ich die Reform, die wir im Justizbereich auf den
Weg bringen, für ganz entscheidend.
Bei allen guten Gründen, die auch aus Effektivitätsgesichtspunkten für eine solche Reform sprechen, werden wir vom Bündnis 90/Die Grünen darauf achten, daß
es nicht zu einem Abbau der Rechte der Bürgerinnen
und Bürger kommt. Im Gegenteil, wir werden den
Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen
dieser Reform verbessern.
So sollen künftig auch solche Amtsgerichtsurteile von
einer Berufungsinstanz überprüft werden können, die
bislang wegen ihres Streitwertes einer gerichtlichen
Kontrolle gar nicht oder allenfalls durch das Bundesverfassungsgericht zugänglich waren. Das Bundesverfassungsgericht hat fürwahr andere Aufgaben, als Revisions- oder Berufungsinstanz zu sein. Dies betrifft nicht
wenige Urteile; mehr als 40 Prozent aller amtsgerichtlichen Urteile sind heute nicht überprüfbar. Wir wollen
hier mehr Rechtsschutz und Gerechtigkeit. Das wird die
Koalition in diesem Zusammenhang schaffen.
Auch in anderen Rechtsbereichen besteht nach Auffassung meiner Fraktion dringender Modernisierungsbedarf. Ich nenne hier nur unser Mietrecht. Die Justizministerin hat angekündigt: Wir wollen eine Vereinfachung des Mietrechts. Wir werden uns dem notwendigen Modernisierungsbedarf stellen und den Schutz der
Mieterinnen und Mieter in diesem Zusammenhang stärken.
Bündnis 90/Die Grünen unterstützen nachdrücklich
eine Regelung, nach der nicht nur der Ehepartner, sondern auch der Partner einer gleichgeschlechtlichen oder
anderen nichtehelichen Lebensgemeinschaft beim Tod
des Mieters in den Mietvertrag einsteigen kann. Es ist
doch absurd, wenn der Gesetzgeber bei einer Materie
wie dem Mietrecht, von der tagtäglich Millionen von
Bürgerinnen und Bürgern betroffen sind, die Augen vor
den gesellschaftlichen Realitäten verschließt.
Ein weiterer Gesetzentwurf - Sie haben es schon angesprochen, Herr Geis -, den die Koalition in den nächsten Wochen anpacken wird, ist in der Bundesrepublik
ohnehin längst überfällig: die rechtliche Anerkennung
gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. Viele
Länder in Europa haben bereits positive Erfahrungen,
zum Teil von über zehn Jahren, mit der eingetragenen
Lebenspartnerschaft für schwule und lesbische Paare
gemacht: Dänemark, Schweden, Norwegen, Island und
die Niederlande. Auch beim Nachbarn Frankreich steht
der Gesetzgebungsprozeß für eine ähnliche Regelung
kurz vor dem Abschluß und wird diesen Herbst im dortigen Gesetzblatt seinen Niederschlag finden.
Das skandinavische Modell eignet sich als Vorbild
für unsere Gesetzgebung. Dort wurden die Rechte und
Pflichten von Eheleuten in Form einer Generalverweisung im Paket auf die eingetragene Partnerschaft übertragen. Dieses Modell hat dort hohe Akzeptanz in der
Bevölkerung gefunden, weil es transparent ist und Gerechtigkeit schafft. Gleiche Rechte und gleiche Pflichten
- das sollte auch in Deutschland der Grundgedanke und
das Ziel einer Reform sein.
Was Sie, Herr Geis, hier bezüglich des Art. 6 des
Grundgesetzes gesagt haben, war interessengeleitet und
hat mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts
zu tun. 1993 hat das Bundesverfassungsgericht in einer
Entscheidung zur Aktion „Standesamt“ des Lesben- und
Schwulenverbandes entschieden, dem Gesetzgeber hier
Volker Beck ({2})
freie Hand zu lassen und keine Vorgaben zu machen.
Gleichzeitig hat es ihn aber gewarnt, daß es in dem genannten Bereich hinsichtlich einzelner Rechtsgebiete zur
Zeit erhebliche Benachteiligungen bei der privaten Lebensführung gebe und der Gesetzgeber sich um die Abschaffung dieser Benachteiligungen kümmern müsse. Es
hat ihm lediglich keine Vorschriften gemacht, wie er das
zu lösen habe. Somit hat Karlsruhe den Ball damals
nach Bonn, jetzt nach Berlin gespielt. Wir sollten dankbar sein, daß wir diese Freiheit haben, und uns hier nicht
hinter der Verfassung verstecken.
Aber zu Ihrem Entwurf, Herr Funke: Rosinenpickerei
kann es in diesem Zusammenhang nicht geben. Sie
übertragen in Ihrem Gesetzentwurf einzelne Rechte von
Ehegatten auf eingetragene Partnerschaften, ohne auch
die Pflichten zu übertragen. Wer gleiche Rechte will,
muß bereit sein, gleiche Pflichten zu übernehmen. Dies
geht in beide Richtungen. Wir können hier keine Sonderrechte schaffen. Das ist ganz klar. Ansonsten würden
wir tatsächlich die Ehe gegenüber diesen Partnerschaften benachteiligen. Das will zumindest die Koalition von
Rotgrün nicht. Ihr Gesetzentwurf ist weder verfassungskonform, noch befriedigt er die tatsächlichen Bedürfnisse der Lesben und Schwulen, die eine rechtliche Regelung verlangen.
({3})
Die Bundesrepublik Deutschland kann es sich nicht
leisten, bei der Umsetzung wichtiger internationaler Abkommen in nationales Recht zu den Nachzüglern zu gehören. Unsere Fraktion ermutigt deshalb die Bundesregierung, möglichst rasch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes in Deutschland zu ratifizieren. Die erforderlichen Gesetzentwürfe - das Vertragsgesetz und die Änderung von Art. 16 Abs. 2 des
Grundgesetzes - müssen alsbald in Kraft treten.
Heute hat sich dazu die Hauptanklägerin der UN,
Louise Arbour, geäußert, die die Notwendigkeit der im
vergangenen Jahr beschlossenen Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes noch einmal unterstrichen und dabei betont hat, daß ein internationaler Gerichtshof dazu beitragen kann, Machtmißbrauch von Politikern und Militärs zu bestrafen, aber ein ständiges
Strafgericht die bessere Alternative sei, weil es klarmacht, was in unserer Rechtsgemeinschaft gilt.
Sie sind über Ihre
Zeit hinaus, Sie müssen jetzt den letzten Satz sprechen.
Ein weiter Punkt, zu dem ich Ihnen gerne noch mehr erzählt hätte, das jetzt aber nicht tun darf, wäre der Verbraucherschutz und die Umsetzung von entsprechenden EU-Richtlinien gewesen. Die Justizministerin hat
schon betont, daß es diese Koalition nicht mehr zu Verurteilungen kommen lassen will, sondern zügig handeln
wird. Manche dieser EU-Richtlinien zeigen aber auch
uns, daß der Verbraucherschutz in den 16 Jahren Ihrer
Regierungszeit zu kurz gekommen ist. Mit der Einbringung des Überweisungsgesetzes haben wir einen ersten
Schritt getan, weitere werden folgen.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat ist das Bundesministerium
der Justiz, Frau Ministerin, ein kleines aber feines Haus:
klein, weil der Einzelplan 07 des Haushalts im Vergleich
zu anderen Häusern sehr schmal ausfällt; fein, weil in
diesem Hause besonders qualifizierte Mitarbeiter tätig
sind, die durch ihre Sacharbeit überzeugen. Auf diese
Mitarbeiter sind wir Parlamentarier ganz besonders angewiesen, denn das Justizministerium erbringt für den
Gesetzgeber Bundestag äußerst wichtige Dienstleistungen.
Wie allgemein im Dienstleistungsbereich ist das einzige Kapital - das Pfund, mit dem man wuchern kann die Qualifikation der Mitarbeiter. Diese Qualifikation
muß durch Motivation und gelegentlich durch Lob und
Anerkennung gefördert werden. Dies gilt um so mehr,
als Sie, Frau Ministerin, für diese Legislaturperiode
wichtige Reformvorhaben im Rahmen einer Justizreform beabsichtigen, wie Sie ja schon mehrfach angekündigt haben.
Einer lediglich aus fiskalischen Überlegungen durchgeführten Reform werden wir eine Absage erteilen.
({0})
Eine Justizreform hat nämlich nur dann Sinn, wenn sichergestellt ist, daß der Rechtsschutz des Bürgers hinreichend gewahrt wird. Wichtig erscheint uns vor allem,
daß schnell und effektiv Recht gesprochen wird, damit
der Rechtsfrieden in der Gesellschaft gewahrt wird. Das
ist die Aufgabe der Rechtsprechung, die wir auch für die
Zukunft sicherstellen wollen.
Diese Reform wird man nicht gegen die Organe der
Rechtspflege durchführen können. Deswegen erscheint
mir eine einvernehmliche Regelung mit der Anwaltschaft und der Richterschaft unbedingt notwendig. Diese
Organe der Rechtspflege sollten frühzeitig in die Überlegungen einbezogen werden, und zwar mit der Möglichkeit zu echten Diskussionen und nicht in der Form,
daß ihnen bloß mitgeteilt wird, wie die Ministerin es beabsichtigt.
Meine Damen und Herren, die Ministerin hat es erwähnt, die deutsche Wirtschaft ist maßgeblich auf die
Dienstleistungen des Deutschen Patent- und Markenamtes angewiesen. Der Rückstand bei Eintragungen für
Patente und Marken ist nicht mehr zu vertreten. Ich sage
das jetzt nicht als Vorwurf, sondern stelle bloß fest, daß
ganz erhebliche Rückstände vorhanden sind. Das Deutsche Patent- und Markenamt, das sich zum großen Teil
über die Gebühren selbst trägt und in Zukunft sogar
noch mehr tragen soll, muß personell in die Lage versetzt werden, zeitnah die Anmeldungen einzutragen,
sonst entsteht der deutschen Wirtschaft ein großer SchaVolker Beck ({1})
den, im internationalen Wettbewerb natürlich auch ein
Schaden gegenüber den Konkurrenten.
Durch eine weitere Privatisierung des „Bundesanzeigers“ und einer Teilprivatisierung der Juris GmbH
könnten darüber hinaus Mittel frei gemacht werden, um
die Arbeit des Deutschen Patent- und Markenamtes zu
unterstützen.
({2})
Natürlich weiß ich, Frau Ministerin, daß haushaltsrechtliche Erlöse ersteinmal ins Bundesfinanzministerium und nicht in das Justizressort fließen. Ein solcher
Erlös kann dazu beitragen, daß der Justizhaushalt in Zukunft etwas erhöht werden kann.
Die deutsche Rechtsordnung gilt in der Welt als eine
der besten Rechtssysteme. Es ist deswegen nicht verwunderlich, daß immer mehr Länder bei der Neuordnung ihrer Rechtssysteme auf deutsches Recht zurückgreifen oder zumindest von Deutschland aus beraten
werden wollen. Dies gilt insbesondere für die ehemaligen sozialistischen Länder, aber auch für einige
Schwellenländer. Bei der letzten Haushaltsdebatte hatte
ich bereits angemahnt, daß die Bundesregierung ein geschlossenes Konzept für die Rechtsberatung dieser Länder entwickelt.
Ich halte es nicht für zweckmäßig, daß auf der einen
Seite die Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit für 11 oder 12 Länder zuständig ist und
die GTZ, also die Gesellschaft für Technische - nicht
für Rechtliche - Zusammenarbeit, für den Rest der Welt.
Wir müssen eine Beratung aus einer Hand anbieten.
Dann kann man auch ein vernünftiges Konzept vorlegen. Dazu ist in erster Linie die Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit geeignet.
Meine Damen und Herren, die Europäische Kommission nimmt über die Richtlinien zum Verbraucherschutz
zunehmend Einfluß auf unser deutsches Schuldrecht,
insbesondere auf den großen Teil unseres Vertragsrechts. Dieser Teil des BGB wirkt inzwischen schon fast
wie ein Flickenteppich. Wir sollten daher analog zu den
Arbeiten der Schuldrechtskommission darüber nachdenken, wie wir ein Europäisches Vertragsrecht gestalten
können. Hier sollte alsbald die Bundesregierung in
Brüssel initiativ werden; denn das muß auch von den
Staaten, in diesem Fall der Bundesregierung, vorangetrieben werden.
Das Wirtschaftsrecht, insbesondere auch das Aktienrecht, wird bei der Globalisierung der Wirtschaft nicht
ausgespart werden können. Eine Frage, die wir beim
Kontrakt noch nicht behandeln konnten, Herr Kollege
Pick, weil das noch nicht so weit erkennbar war, ist die
Frage der Umstellung von Inhaberaktien auf Namensaktien. Da erwarte ich, daß wir alsbald diese Umstellung
im Aktienrecht dokumentieren und besonders den Datenschutz mit berücksichtigen. Dasselbe gilt auch für die
Entwicklung im Internetbereich und für Electronic
Commerce. Da können wir nicht mehr national arbeiten,
sondern müssen internationale Vereinbarungen haben,
die vorangetrieben werden müssen.
Meine Damen und Herren, ich habe sehr wohl das
Angebot der Ministerin auf enge Kooperation im
Rechtsausschuß gehört. Wir nehmen diese Einladung
gerne an und hoffen auf gute Zusammenarbeit.
({3})
Das Wort hat nun
Kollegin Dr. Evelyn Kenzler, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministe-
rin, noch bei der zweiten Lesung des Haushalts 1999 im
Mai dieses Jahres sprachen Sie von einer Akzentver-
schiebung, einer anderen Weichenstellung, da zirka
10 Millionen DM mehr in den Justizhaushalt eingestellt
wurden und damit - ich zitiere -
die ständige Streichorgie der vergangenen Jahre
aufgehört hat.
Diese Akzentverschiebung war jedoch leider nur von
sehr kurzer Dauer. Bei den ohnehin knapp bemessenen
Minieinzelplänen Justiz und Bundesverfassungsgericht
sollen nach den Vorgaben des Finanzministers - nicht
nach Ihren - tatsächlich noch die Ausgaben um insge-
samt 24,5 Millionen DM gekürzt und Mehreinnahmen
von fast 34 Millionen DM eingestellt werden.
Sieht man sich die Zahlen näher an, soll es deutliche
Rückläufe bei der Beschäftigung zum Beispiel von Aus-
hilfskräften im Justizministerium geben, ohne daß eine
entsprechende Steigerung der Personalkosten bei den
dauerhaft Angestellten feststellbar ist. Für die Aus- und
Fortbildung ist eine drastische Mittelkürzung auf weni-
ger als ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr vorgese-
hen.
Mehreinnahmen sollen offensichtlich durch eine ver-
stärkte Auferlegung der sogenannten Mißbrauchsge-
bühr beim Bundesverfassungsgericht oder durch höhere
Gebühreneinnahmen für die Erteilung von Führungs-
zeugnissen und Auskünften des Gewerbezentralregisters
beim Generalbundesanwalt erzielt werden.
Einsparungen bei personellen Investitionen einerseits
und Gebührenerhöhungen für die Rechtsuchenden ande-
rerseits sind jedoch der falsche Weg. Sie führen zu einer
weiteren Ausdünnung der Justiz, und das in einer Zeit,
in der durch die angekündigte große Justizreform andere
Weichen gestellt werden sollen.
Nach wie vor sind jedoch die Umrisse dieser Reform
schwer zu erkennen. Es gibt zwar nicht wenige Diskus-
sionsrunden, Studien und Gutachten, beispielsweise zur
Rechtsmittelreform in Zivilsachen oder zur Reform des
Sanktionensystems. Für Referenten- oder Gesetzentwür-
fe aus dem Justizministerium, die diesem Vorhaben als
erste Schritte der Gesamtreform konkrete Gestalt geben,
wird es nach Ablauf eines Viertels der Wahlperiode al-
lerdings höchste Zeit.
Längst überfällig sind Regelungen, die mit den Unge-
rechtigkeiten gegenüber redlichen ostdeutschen Eigen-
tümern und den Benachteiligungen gegenüber Nutzern
von Wohn- und Erholungsgrundstücken endlich Schluß
machen. Die Justizministerkonferenz Ost tagt zwar re-
gelmäßig. Es fehlt auch nicht an entsprechenden An-
kündigungen. Gesetzentwürfe liegen jedoch leider noch
immer nicht vor.
Wirklich enttäuscht hat mich, daß sich die Bundesre-
gierung nicht imstande sah, der Aufforderung des Bun-
destages vom Juni 1998 nachzukommen und einen Be-
richt über die Wirkungen der Nutzungsentgelt-
verordnung termingemäß zum 30. Juni dieses Jahres
vorzulegen. Der Bericht soll nun zum 30. März 2000
kommen. Vorher ist auch hier die dringend notwendige
Novellierung nicht zu erwarten. Inzwischen läuft jedoch
die Entgeltspirale munter weiter.
Zwei Initiativen der PDS-Fraktion zur Schuldrechts-
anpassung und zur Nutzungsentgeltverordnung liegen
seit nunmehr neun Monaten auf Eis. Es mag sein, daß
unsere Entwürfe unvollkommen sind. Dann nehmen wir
Änderungsvorschläge gerne entgegen. Aber weitere
Verzögerungen können wir nicht mehr hinnehmen. In
Kürze wird unsere Fraktion noch einen Vorschlag für
eine gerechtere Regelung, soweit es noch möglich ist,
der sachenrechtlichen Probleme vorlegen.
Frau Ministerin, Sie haben sich erfreulicherweise für
die Erarbeitung einer Charta der Grundrechte der
Europäischen Union eingesetzt. In diesem Punkt kön-
nen Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Nicht zu-
friedenstellend ist allerdings, daß nach dem Beschluß
des Europäischen Rates eine solche Charta zunächst nur
feierlich proklamiert wird. Gebraucht wird meiner Mei-
nung nach ein Dokument mit völkerrechtlicher Ver-
bindlichkeit.
Die Gruppe der PDS hat vor vier Jahren im Bundes-
tag einen Vorschlag für eine solche Charta eingereicht,
der bei der Erarbeitung Beachtung finden sollte.
Auch die zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getre-
tene Insolvenzordnung bedarf nicht nur, wie vom Mi-
nisterium angekündigt, der Beobachtung. Es besteht
dringender Handlungsbedarf, da sie im Bereich der
Verbraucherinsolvenz gerade für die Gruppe der soge-
nannten Armutsschuldner nicht greift. Das betrifft die
Nichtgewährung von Prozeßkostenhilfe in der Praxis,
den fehlenden Vollstreckungsschutz bei der außerge-
richtlichen Schuldenbereinigung und den sogenannten
Nullplan. Wir werden auch hierzu in Kürze aktiv wer-
den.
Zum Schluß noch ein Dankeschön an Sie, Frau Mini-
sterin, und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres
Hauses. Das neue Handbuch der Rechtsförmlichkeit
ist eine nützliche Hilfe, auf die ich auch selbst gern zu-
rückgreife. Möge es dazu beitragen, daß die Gesetze, die
hier verabschiedet werden, qualitativ hochwertig, ver-
fassungskonform und für die Bürgerinnen und Bürger
verständlich sind.
Danke schön.
[Beifall bei der PDS)
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Angesichts des vormals abgegebenen freimütigen
und damit auch strafmildernden Geständnisses des Kollegen Funke, er habe in die damalige Beratung zur Entlastung der Justiz den Vorschlag zur Ausgliederung des
Handelsregisters eingebracht, weil er gewußt habe, daß
die Länder diesem Gesetz dann nicht zustimmen würden, und damit habe er verhindern wollen, daß Flickwerkreformen gemacht werden, Herr Geis, erscheint mir
Ihr Vorwurf, wir seien die Blockierer, einigermaßen absurd.
({0})
Eingeweihte wissen, um was es geht.
Dabei sind Sie, die abgewählte Kohl-Regierung, es
doch gewesen, die mit ihren Justizministerinnen und Justizministern 16 Jahre lang im Status quo verharrte und
die es versäumt hat, die Justiz auf das 21. Jahrhundert
vorzubereiten.
({1})
Wenn Sie das Wort „Reformen“ gebraucht haben, dann
bedeutete dies in aller Regel den Abbau von Rechten.
Wenn Sie von Entlastungen sprachen, bedeutete dies in
aller Regel, daß an anderer Stelle neue Belastungen ungerecht verteilt wurden.
({2})
Es gibt ein paar Ausnahmen. Zu diesen Ausnahmen
kam es immer dann, wenn wir Sozialdemokraten uns
aktiv in das Gesetzgebungsverfahren eingeschaltet hatten. Ich nenne das Betreuungsrecht, die Insolvenzordnung, die Zwangsvollstreckungsnovelle, das Ordnungswidrigkeitenrecht und nicht zuletzt das Gesetz zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren.
({3})
Alles andere, was Sie gemacht haben, waren PatchworkGesetze. Vielleicht wissen Sie nicht, was das ist: hier ein
Paragräphchen, dort ein Paragräphchen, hier ein Wort
und dort ein Wort.
({4})
Lieber Norbert Geis, als Jurist kam man angesichts
dessen, wie schnell ihr Gesetze verabschiedet habt, gar
nicht hinterher, die Ergänzungslieferungen für den
Schönfelder und den Satorius zu drucken.
({5})
Zu den Zeitpunkten, als die Novitäten in Kraft traten,
wußte die Praxis meist nicht, um was es ging. Manchmal
lag noch nicht einmal ein Gesetzestext vor.
Unmittelbar nach der deutschen Vereinigung bestand
erheblicher Handlungsbedarf. Seit Anfang der 90er Jahre wissen wir, daß weder die Ausbildung der Juristinnen
und Juristen noch unser Gerichtssystem mit der rasanten
internationalen Entwicklung Schritte halten können. Unsere jungen Juristinnen und Juristen werden immer noch
ausgebildet wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Alle Reformansätze sind bisher an „konservativen Wertvorstellungen“ gescheitert.
({6})
- Wir sprechen nachher bei einem Bier darüber. - Anwälte kommen im europäischen Wettbewerb zu kurz.
Die Prozesse, insbesondere die Zivilprozesse, dauern zu
lange.
({7})
Recht wird zu spät gewährt. Oft ist das Urteil nur noch
Makulatur, weil der Prozeßgegner längst pleite gegangen ist.
Wir legen heute einen Haushalt vor, der den Weg
nach vorne zeigt. Mit diesem Haushalt stehen wir in der
Linie unserer Bemühungen, dieses Land wieder fit bzw.
tauglich zu machen für die Herausforderungen, die auf
unsere Justiz zukommen.
Wer die hohe Staatsverschuldung betrachtet, die in
den 16 Jahren der vormaligen christliberalen Regierung
angehäuft wurde, der weiß: Das Kohlsche Wort vom
„Weiter so“ ist total out. Wenn wir dem Staat und damit auch der Justiz die Handlungsfähigkeit zurückgeben wollen, müssen wir uns auf das Wesentliche besinnen.
Herr Kollege Hartenbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja; aber ich bitte darum,
das nicht auf meine Redezeit anzurechnen. - Bitte sehr,
Herr Geis.
Herr Kollege, nehmen
Sie zur Kenntnis, daß im amtsgerichtlichen Bereich die
Zivilprozesse in erster Instanz zu 90 Prozent und im
landgerichtlichen Bereich die Zivilprozesse in zweiter
Instanz zu 83 Prozent erledigt werden und daß sie gar
nicht erst die nächste Instanz erreichen, und nehmen Sie
zur Kenntnis, daß unser Rechtssystem im zivilprozessualen Bereich im europäischen Vergleich das schnellste
ist?
Verehrter Herr Kollege
Geis, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, daß
Sie in der vergangenen Legislaturperiode Ihre teilweise
unsäglichen Beschleunigungsgesetze eingebracht haben
und uns damit vergewaltigen wollten,
({0})
daß Sie einen internationalen Vergleich herangezogen
haben, indem Sie uns vorgehalten haben, wie schnell
dies in Frankreich gehe und daß wir eine viel zu hohe
Richterdichte hätten. Sie haben auf Holland und auf
Italien verwiesen, was, davon abgesehen, völlig falsch
war.
({1})
Eines wissen Sie offensichtlich nicht, nämlich daß
unsere Juristinnen und Juristen durch ihre doppelte Ausbildung, durch die universitäre und die nachfolgende
praktische Ausbildung, in aller Regel zweieinhalb bis
drei Jahre später in den internationalen Wettbewerb gehen können, als dies in anderen Ländern der Fall ist.
Dies ist ein Fehler.
({2})
- Sie sollten erst einmal zuhören. Ich antworte jetzt auf
Ihre Zwischenfrage. Bleiben Sie ganz ruhig.
({3})
- Was bin ich heute für ein begehrter Mensch.
Dazu ein weiterer Punkt. Ich habe mich gerade gestern am Telefon mit einem aufgebrachten Berliner - ich
kann nicht berlinern - herumgeplagt, mit einem Menschen, der über sieben Jahre einen Arzthaftungsprozeß
geführt hat. Sieben Jahre sind bei einem Arzthaftungsprozeß sechs Jahre zuviel; da geben Sie mir doch recht.
Deswegen müssen wir dafür sorgen, daß die Dauer unserer Prozesse kürzer wird. - Habe ich Sie ausreichend
zufriedengestellt?
({4})
Herr Kollege Hartenbach, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Funke?
Eine Frage des Kollegen
Funke beantworte ich gerne.
Herr Kollege Hartenbach, ist
Ihnen bekannt, daß die Juristenausbildung und deren gesetzliche Ausgestaltung in erster Linie eine Angelegenheit der Bundesländer ist?
Verehrter Kollege, natürlich weiß ich das. Wir aber müssen die gesetzlichen
Voraussetzungen für die Ausbildung schaffen; darin
sind wir uns doch einig. Das müssen wir gemeinsam mit
den Bundesländern und mit den Universitäten machen,
damit alles stimmt, und natürlich auch - wie Sie es eben
gesagt haben - unter Einschluß aller anderen juristischen
Kräfte, die uns wert und teuer sind.
Nun komme ich zu dem Thema, das ich eben angeprangert habe. Wir wollen dem Staat seine Handlungsfähigkeit zurückgeben und werden dies mit einigen mutigen Reformschritten auch tun. Allerdings machen wir
das, Herr Kollege Geis, nicht so, wie Sie das gemacht
haben: daß wir ein Gesetz in die Menge hineinwerfen.
({0})
Wir lassen uns Zeit.
Wir werden einiges einbringen, wozu Sie wahrscheinlich Beifall klatschen werden. Wir haben ja schon
das Gesetz zur außergerichtlichen Streitbeilegung auf
den Weg gebracht. Das hat nichts gekostet, das wird
nichts kosten, und - im Gegenteil - die Länder werden
noch kräftig sparen. Wir werden den Täter-OpferAusgleich im Gesetz verankern, weil wir ihn als weiteren Meilenstein moderner Justizpolitik ansehen. Wir
wollen, daß auch im Strafprozeß die Aussöhnung möglich ist und sie den Rechtsfrieden im Lebenskreis der
Betroffenen ordnet. Wir werden den Menschen in
gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften eine sichere rechtliche Grundlage für ein diskriminierungsfreies Zusammenleben in unserer Gesellschaft geben. Wir
arbeiten an einer Modernisierung des Schuldrechts und
haben erste Schritte unternommen, um die Stellung von
Unfallopfern im Tatsächlichen und Rechtlichen zu verbessern. Wir werden entscheidend an der Verwirklichung einer europäischen Grundrechtscharta mitarbeiten. Die Wirtschaft darf sich darauf verlassen, daß wir anders als unsere Vorgängerregierung - europäische
Richtlinien zeitnah in nationales Recht umsetzen und
gleichwohl die Interessen unseres Landes wahren. Wir
werden - das ist schon mehrfach angesprochen worden - den Handwerkern durch unser Gesetz zur Beschleunigung von Zahlungen eine sichere Basis geben.
Erfinder und Tüftler werden künftig schneller zur
Vermarktung ihrer Erfindungen gelangen. Wir werden
im Patent- und Markenamt neue Stellen schaffen und für
eine optimale Ausstattung mit modernen Technologien
sorgen. Dann wird auch endlich ein Herzenswunsch des
Bayern Otto Wiesheu erfüllt, der bei der Ministerin eine
zu lange Bearbeitungszeit angemahnt hatte. Dabei hat er
offensichtlich vergessen, daß in den letzten 16 Jahren
andere das Sagen im Deutschen Patentamt hatten.
Nun, Herr Geis, will ich Ihnen zum Abschluß meiner
Rede auf bayrisch erklären, was das mit den 30 Milliarden DM auf sich hat.
({1})
- Von mir aus auch auf fränkisch. - Ihr habt eine tolle
Sache gemacht: Ihr habt - wie man bei uns in Nordhessen sagt - alles „versteckelt“: 8 Milliarden DM hinsichtlich der Postunterstützungskasse; ihr habt im Haushalt 1999 nicht veranschlagt, daß die Mehrwertsteuererhöhung - 1 Prozent - für die Rentenkassen voll abgeführt werden muß. Wir haben seit dem 1. April 1999 die
ökologische Steuerreform. Daraus resultieren Mehreinnahmen und Mehrausgaben. Wenn Sie das zusammenrechnen, kommen Sie auf etwa 28 Milliarden DM.
({2})
Von daher gesehen haben wir nichts verpulvert und
nichts vertan.
Nun lassen Sie mich zum Abschluß noch versöhnlich
werden, weil ich mich freue, daß Sie nicht in den Chor
derer eingetreten sind, die die Erhöhungen der Gebühr
beim Patent- und Markenamt gerügt haben. Sie haben es
richtig gut gemacht, daß Sie dazu geschwiegen haben.
Unsere Justizpolitik, mit der wir ins neue Jahrtausend
gehen, verdient Anerkennung und Respekt. Wir bedanken uns sehr herzlich bei unserer Justizministerin und
bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute
und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Lassen Sie uns nun die wichtigen Schritte, die wir
machen müssen, gemeinsam machen. Wir laden Sie
herzlich dazu ein; Sie sind, wie ich festgestellt habe, bereit dazu.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat Herr
Kollege Hans Jochen Henke, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die Aufregung nicht ganz verstehen können, Herr Kollege Diller. Vielleicht läßt sie sich so erklären, daß Sie insgesamt nicht mehr an die Phase von Oskar Lafontaine erinnert werden wollen. Aber an der Tatsache, daß es nun
einmal 30 Milliarden DM sind, um die Sie den Haushaltsentwurf 1999 ausgedehnt haben, führt nichts vorbei.
Das ist die erste Feststellung. Die zweite Feststellung ist,
daß die Phantasien des zurückgetretenen Finanzministers für die mittelfristige Finanzplanung noch viel weiter gereicht hätten. Aber wir sollten und brauchen uns,
werte Kolleginnen und Kollegen, daran gar nicht allzu
lange auf- und festhalten; denn Sie finden, wie die heutige Debatte zur Einbringung des Haushaltes zeigt, zunehmend auf den Boden der nüchternen Wirklichkeit zurück.
Geprägt war und ist dieser Haushalt 1999 - daran
möchte ich schon erinnern - allerdings von sehr restriktiven Rahmenbedingungen, die die Handschrift Theo
Waigels getragen haben. Wer weiß, was passiert wäre,
wenn dieses Korsett nicht so geschnürt worden wäre?
In der Tat, werte Frau Ministerin: Dies ist erstmals
ein Entwurf, der Ihre Handschrift trägt, und insofern
bietet er Gelegenheit, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen im Hinblick darauf, was Sie im Einzelplan 07 unter
Konsolidieren und Sparen verstehen und wie Sie mit Reformen und Reformzielen umgehen.
Eine Anmerkung an dieser Stelle: Sparen bei Stellen-,
Sach- und Verwaltungskosten, Frau Ministerin und Herr
Staatssekretär Diller, ist längst vor Ihrer Zeit in der
letzten Legislaturperiode praktiziert worden. Ich will nur
auf ein Beispiel hinweisen: 1,5 Prozent Stelleneinsparungen über viele Jahre und darüber hinaus von - nach
der schwierigen Wiedervereinigungsphase - 51 Prozent
Staatsquote auf etwas mehr als 48 Prozent beim Regierungswechsel, mit der klaren Aussage, sie in dieser
14. Legislaturperiode auf 45 Prozent zurückzufahren,
wenn wir die Verantwortung bekommen.
Im übrigen verstehe ich die Widersprüche nicht ganz.
Die Ministerin klagt, daß in ihrem Haus überhaupt keine
Spielräume mehr vorhanden gewesen seien, weil in der
letzten Legislaturperiode alles ausgekehrt worden sei.
Auf der anderen Seite redet man davon, wir hätten Altlasten und eine Überschuldung hinterlassen. Aber jetzt
geht es ja mit 30 Milliarden DM brutto und 7,5 Milliarden DM netto flott nach vorne.
({0})
68 Millionen DM, Frau Ministerin, ist der absolut bescheidene, für Ihren Einzelplan in der Tat aber bemerkenswert stattliche Betrag, den Sie an Einsparungen zu
erbringen haben. Wenn man näher hinschaut, sieht man
allerdings, daß Sie vier Fünftel, nämlich 55,5 Millionen
DM, durch die Erhöhung von Gebühren und Entgelten erreichen. Sparen und Konsolidieren heißt, Impulse
für Wachstum und Beschäftigung zu geben. Ob dies mit
diesen Weichenstellungen erreicht werden kann, ist
mehr als fraglich.
Einen Betrag haben Sie, wenn ich richtig zugehört
habe, erst gar nicht erwähnt, nämlich die 7,5 Millionen
DM, die zusätzlich durch die Auskünfte aus dem Bundeszentralregister erbracht werden sollen. Meine Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Verdoppelung der Gebühren innerhalb von sieben Jahren. Wer bezahlt sie? In
allererster Linie Schüler, Studenten, Auszubildende,
Wehrpflichtige und Ersatzdienstleistende. Sie müssen
für diesen wichtigen, aber schlichten Computerausdruck
neben der Ökosteuer noch diese Sonderlast tragen, und
zwar nicht nur sie, sondern Millionen anderer Bürger
auch. Auskünfte in diesem Bereich, Frau Ministerin, gehören nach meinem Verständnis zur Grundversorgung
unserer Bürger.
Ebenso verhält es sich nach meinem Verständnis im
Forschungs- und Innovationsbereich bei der Patentierung und den 48 Millionen DM, die Erfinder und Kreative bringen sollen. Was Sie einführen, nämlich 50 Millionen DM über die tatsächliche Kostenkalkulation hinaus einzuplanen, ist eine Patentsteuer, die Innovation
und Kreativität blockiert. Bitte lassen Sie die Vergleiche
mit der europäischen Ebene! Wir vergleichen uns, was
Kostenniveaus betrifft, sonst auch nicht mit Brüssel. Ich
denke, dies geht fehl. Im übrigen sollte nicht zu jedem
Zeitpunkt jeder denkbare und theoretisch mögliche
Spielraum ausgenutzt werden.
({1})
Aber Ihnen ist ja noch sehr viel mehr eingefallen. An
den von den heutigen Regierungsparteien in der Vergangenheit heftig bekämpften Privatisierungen haben
Sie doch erheblich Gefallen gefunden, so zum Beispiel
an der Privatisierung des „Bundesanzeigers“ und der
Entwicklung bei „Juris“. Aktuelle Zahlen belegen dies.
Der „Bundesanzeiger“ erbrachte der Bundeskasse 1998
10 Millionen DM und in diesem Jahr mehr als
10 Millionen DM. Ich sehe überhaupt keinen Grund dafür, warum die Einnahmen im 2000er Entwurf niedriger
angesetzt werden sollten.
Die „Juris“ wird im nächsten Jahr zum drittenmal in
Folge Bundeszuschüsse in Höhe von ebenfalls 10 Millionen DM zurückzahlen. Im Haushaltsentwurf sind diese
Mehreinnahmen noch gar nicht enthalten. Diese zusätzlichen Millionen hätten Sie besser rechtzeitig im Haushaltsentwurf etatisiert, statt mit höheren Gebühren, mit
Belastungen für Forschung und Innovation in einer Zeit
des Sparens und der Konsolidierung falsche Signale zu
setzen.
Aber ohne die verfehlte Gebührenpolitik hätte Sie,
Frau Ministerin, der Finanzminister wahrscheinlich
ebenfalls zu einer globalen Minderausgabe herangezogen. Dieser haben Sie sich auf der einen Seite bequem,
auf der anderen Seite aber strukturell völlig verquer entzogen.
Aufmerksamkeit verdient auch Ihre Personalplanung. Sie haben die Stelle des Leiters des Leitungsstabs
wieder eingerichtet, den Ihre Vorgänger im Interesse einer schlanken Verwaltung eingespart hatten. Sie beantragen zusätzlich 750 000 DM für Personalmittel für Bereiche, die Ihre Vorgänger sparsam freigehalten hatten.
Sie wollen noch einmal 826 000 DM für zusätzliche
Stellen im Ministerium. Das ist eine Ihrer Antworten auf
die Chance, mit dem Regierungsumzug strukturelle Reformen zu allererst in Ihrem Haus anzugehen.
Der Rechnungshof hat in der Vergangenheit wiederholt und zu Recht die Organisation des Hauses mit ihrer
Vielzahl von Kleinstreferaten gerügt. Seit geraumer Zeit
liegt eine Kienbaum-Studie vor und Ihnen auf dem
Tisch. Wenn Sie den bis Mitte 2000 laufenden Umzug
Ihres Hauses nicht für die Neuausrichtung entsprechend
nutzen, werden die Ressourcen Ihres Hauses weiterhin
leider Gottes nur suboptimal genutzt werden können.
Ein weiteres Beispiel: Beim Patent- und Markenamt sind wir dafür, daß etwas geschieht, Frau Ministerin. Wir sind jetzt und nachhaltig dafür, aber es soll bitte
auch transparent und strukturiert sein. Wir werden den
auch von uns befürworteten und geforderten zusätzlichen Stellen zustimmen; wir tun das aber nur unter einer
wichtigen Maßgabe, daß nämlich dem bereits von uns
bei den 99er Beratungen geforderten Stellenkonzept
zum Durchbruch verholfen und dieses rechtzeitig vorgelegt wird. Diese Stellenkonzeption muß in die neue
IT-Landschaft eingebettet und an den Zielen der gewaltigen externen Beratungs- und Dienstleistungen orientiert werden, die allein im Jahr 2000 12 Millionen DM
betragen und in den Folgejahren ebenfalls mit 12 Millionen DM durchgeschrieben werden.
Ich bitte Sie, uns für dieses Amt klare Zielvereinbarungen vorzulegen, die dem hohen Aufwand entsprechen. Wir wollen klare Aussagen zu Qualität und Leistungsumfang. Qualitätsmanagement, Frau Ministerin,
gehört heute auch bei den öffentlichen Dienstleistungen
zum selbstverständlichen Standard. Wir wollen wissen,
wie und wann die Überhänge beseitigt werden, wann die
Antragsteller mit der Bescheidung ihrer Patente innerhalb einer drei- bis viermonatigen Frist endgültig rechnen können. Wer in Zeiten knapper Kassen mehr Geld
bekommt, hat eine besonders hohe Verantwortung.
({2})
Noch etwas: Bei den justizpolitisch wie städtebaulich
bedeutsamen Projekten, so unter anderem dem Umbau
des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, haben sich
die an der Ausführung Beteiligten wahrhaftig nicht ausgezeichnet. Ohne das hartnäckige, konsequente Nachhaken und Vorgehen des Haushaltsausschusses hätte der
Steuerzahler das Nachsehen gehabt. Ich denke, für das
nächste Vorhaben beim BGH gilt es, entsprechende Folgerungen zu ziehen. Wir sind gespannt, von Ihnen zu erfahren, wie diese Einschätzung aussieht. Solide und
sparsam, zukunftsorientiert und reformfähig ist der
Maßstab, an dem Sie sich jetzt und in Zukunft werden
messen lassen müssen.
Ein anderes Thema: Bei der Verschlankung und
Entbürokratisierung des Staats hat Ihr Haus eine wichtige Querschnitts- und Bündelungsfunktion. Ich denke, es
wäre wichtig, zu erfahren, wie das Haus, an dem kein
Gesetz, keine Novelle vorbeigeht, das Ziel der Entstaatlichung, der Entbürokratisierung und Verschlankung definiert und wie Sie damit umgehen.
Mit der EU-Ratspräsidentschaft haben Sie beachtliche Ausgaben im laufenden Haushalt begründet. Ich
möchte an dieser Stelle fragen: Wie sieht die Bilanz Ihrer Ratspräsidentschaft im Hinblick auf unsere Rechtspflege im europäischen Kontext aus? Böse Zungen behaupten, daß mit Vollgas oftmals nur Leerlauf gefahren
wird. Diese Bilanz ist grundsätzlich von Wichtigkeit, um
andere Ankündigungen richtig einordnen zu können,
wie zum Beispiel die Justizreform, die in verschiedener
Hinsicht bereits angesprochen wurde. Dabei kommt es
neben der Transparenz und der Stärkung der Eingangsinstanz vor allen Dingen auf die Gewinnung von Entlastungs- und Synergieeffekten an.
Um konkret zu werden und dies - weil meine Redezeit abgelaufen ist - abzuschließen: Sie rechnen mit einer Vielzahl von Einsparungen, die von den Ländern,
die mit der Optimierung des vorhandenen Systems am
weitesten sind, entweder bestritten oder ganz anders
eingeordnet werden, so daß es mehr als fragwürdig ist,
diesen Ansatz weiterzuverfolgen.
Frau Ministerin, lassen Sie mich zusammenfassen:
Wenn Sie einen Weg echter Reformen mit belegbaren
Verbesserungen und ohne Verschiebung von Belastungen auf Bürgerinnen und Bürger oder andere Ebenen beschreiten, wenn Sie moderne und effiziente Strukturen
und Verfahren in Ihrem Haus und den nachgeordneten
Bereichen umsetzen
Herr Kollege, Sie
hatten den Schluß schon angekündigt.
({0})
- bei dem bin
ich, Frau Präsidentin -, können Sie in Zukunft auf unsere konstruktive Mitarbeit und Begleitung zählen.
Ich bedanke mich.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Dr. Herta DäublerGmelin, SPD-Fraktion, das Wort.
Vielen Dank,
Frau Präsidentin! Herr Henke, lassen Sie mich dies sagen: Natürlich rechne ich auch weiter mit Ihrem Verständnis. Wenn ich Ihnen - dazu gab es heute viel Anlaß
- dabei helfen kann, das eine oder andere richtig zu sehen und richtig zu stellen, soll es an mir nicht liegen.
Ich möchte auf den einen oder anderen Punkt eingehen. Mit der Justizreform lassen wir uns nicht so viel
Zeit wie die letzte Bundesregierung. Ich kann nur allen
Kolleginnen und Kollegen sagen: Wenn ich die 16 Jahre, die Sie hatten, mit 16 Monaten unserer Regierungszeit gleichsetze, verstehe ich Ihre Ungeduld. Wenn Sie
freundlicherweise zur Kenntnis nehmen würden, daß das
Grundkonzept von allen Ländern gebilligt wurde, übrigens auch von denen, die Ihnen ideologisch gesehen
möglicherweise näherstehen als mir, kämen wir sicher
auch leichter zusammen.
Was die EU-Präsidentschaft angeht, lade ich Sie
herzlich in den Rechtsausschuß ein. Ich habe schon vor
einigen Monaten einen Termin zu vereinbaren versucht.
Wie ich höre, wird er am 6. Oktober stattfinden. Vielleicht können Sie dort einige Ihrer Fragen, die Sie ganz
ohne Zweifel haben, loswerden.
Die Kollegen Norbert Geis und Frau Kenzler, bei denen ich mich herzlich bedanke, haben angemahnt, ich
möge mehr Gesetze und schneller mehr Gesetze vorlegen. Gestatten Sie, daß ich sage, daß mich dies in gewisser Weise amüsiert, weil ich Ihnen mehrfach gesagt habe
- Sie wissen, ich meine das dann ernst -, daß jedes Gesetz, das wir nicht brauchen, den Bürgern besonders gut
gefällt.
({0})
Daher, meine Damen und Herren, bin ich der Meinung,
daß wir das Ganze anders machen als Sie. Deswegen
habe ich das gesagt. Wir wollen die Praxis nicht zum
Wahnsinn treiben, sondern wir werden Schwerpunkte
regeln und die gut vorbereiten, übrigens auch durch öffentliche Diskussionen.
Ich bedanke mich auch sehr für den Hinweis auf das
Handbuch. Ich glaube, das ist in der Tat eine besonders
gute Hilfe.
Lassen Sie mich noch etwas dazu sagen, was Sie,
Herr Kollege Henke, liebenswürdigerweise zum Deutschen Patent- und Markenamt gesagt haben. Das Problem ist: Wenn ich die Feststellungen, die Sie jetzt vom
Justizministerium verlangen, treffen wollte, müßte ich
mehr Leute haben. Dies weiß niemand besser als Sie.
Daher - gestatten Sie, daß ich das bemerke - ist dies
wohl genauso wenig ernst gemeint wie Ihre Aussage, die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums
würden nicht genügend arbeiten. Dies fand ich als einziges etwas ärgerlich. Denn anders konnte ich Ihre Bemerkung nicht verstehen, der Umzug nach Berlin hätte
dazu führen müssen, die Stellen im Justizministerium
noch mehr zu beschneiden. Wenn Sie diesen Punkt noch
klarstellen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Ich habe bisher aus dem Haus nur gehört - auf diese
Feststellung lege ich großen Wert -, daß das Justizministerium keine einzige Stelle zuviel, sondern eher Stellen
zu wenig hat, um die Aufgaben innerhalb der Bundesregierung und im Rahmen der Serviceleistungen für den
Deutschen Bundestag zu erfüllen. Ich wäre Ihnen also
dankbar, wenn Sie das noch einmal klarstellen könnten.
Zur Erwiderung,
Kollege Henke, bitte.
Ich bin für die
Gelegenheit dankbar, meine Ausführungen zu erläutern,
um gegebenenfalls Mißverständnisse auszuräumen.
Ich habe folgendes ausgeführt: Wenn Sie den Empfehlungen des Gutachtens von Kienbaum - diesen Empfehlungen liegen wiederholte Rügen des Bundesrechnungshofes zugrunde - entsprechen würden, dann
könnten die personellen Möglichkeiten Ihres Hauses, die
bisher suboptimal genutzt werden, weiter optimiert werden. Diese Feststellung hat überhaupt nichts mit dem
einzelnen Mitarbeiter zu tun. Ich bitte darum, daß Sie
eine differenzierte Betrachtung akzeptieren. In einer
großen Organisation - das gilt sowohl für die Wirtschaft
als auch für den öffentlichen Dienst ({0})
- darf ich meine Ausführungen ohne Zurufe von Ihrer
Seite zu Ende führen? ({1})
sollten die Möglichkeiten des einzelnen Mitarbeiters
besser genutzt werden.
Ich möchte diese Differenzierung wiederholen: Der
einzelne Mitarbeiter ist das eine; die Struktur der Organisation ist das andere. Beide Möglichkeiten optimiert
ausgerichtet schafft die Voraussetzungen für einen optimalen Output. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich einbringen. Aber wir glauben - darin besteht
der entscheidende Unterschied -, daß die Organisation
nicht in Ordnung ist. In diesem Bereich bestehen erhebliche Defizite. Es gibt weder auf Bundesebene noch auf
Länderebene ein Haus, das eine so zersplitterte Kleinstorganisationsstruktur hat wie Ihr Haus, Frau Ministerin.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen mir nicht vor.
Wir kommen jetzt zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Einbringung seines Haushalts hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Dieser Haushalt ist sicherlich aus
mehreren Gründen ein besonderer Haushalt. Er ist der
erste Haushalt, der hier in Berlin eingebracht wird. Aber
er ist auch seit langem der erste Haushalt, der sich konsequent der Zukunftsaufgabe, nämlich der Aufgabe der
Haushaltskonsolidierung, stellt.
Wegen dieser Politik weht uns vielfach ein kalter
Wind entgegen. Aber wir, auch wir Ökologen, beharren
auf dieser Konsolidierung. Wir wollen den folgenden
Generationen keine Erblasten aufbürden. Wir wollen Ihnen daher keine zerstörte Natur, keine geplünderten
Ressourcen und - nach unseren Kräften - keinen übermäßigen Berg atomaren Mülls hinterlassen.
({0})
Aber wir wollen auch nicht, daß nachfolgende Generationen durch einen Berg von Schulden und Zinsen erdrückt werden. Wenn Sie sehen, daß heute jede vierte
Mark für Zinsen ausgegeben wird und daß die neue Regierung von Ihnen 1,5 Billionen DM Schulden übernommen hat, dann kann man - um einen Begriff aus der
Umweltpolitik zu nehmen - von einer stinkigen Altlast
reden, die Sie uns hinterlassen.
({1})
Wenn wir also für zukünftige Generationen einen handlungsfähigen und auch sozialen und ökologischen Staat
erhalten wollen, dann gibt es zur Haushaltskonsolidierung keine Alternative.
Nachhaltigkeit ist in der Umweltpolitik ein bewährtes Prinzip. Wir freuen uns, daß dieses Prinzip der
Nachhaltigkeit nunmehr auch in die Haushaltspolitik
Einzug findet: Wir haben mit diesem Kurs begonnen.
Ich denke, es gibt gerade für Umweltpolitiker gute
Gründe, diesen Kurs zu unterstützen.
Wir als Umweltministerium haben - wie alle Ressorts - unseren Beitrag zu erbringen gehabt. Da sind
schmerzhafte und - betrachten Sie die Ausgaben für den
Endlagerbereich - auch weniger schmerzhafte Kürzungen dabei. Dennoch haben wir klare Akzente gesetzt:
Wir haben im letzten Haushalt die Förderung für die
Umweltverbände erhöht. Dieses hohe Niveau wird jetzt
- ungeachtet der Sparbemühungen - gehalten.
Aufgestockt haben wir die Mittel für die Beratung der
osteuropäischen Länder. Wenn wir - ich glaube, da sind
wir uns einig - wollen, daß die mittel- und osteuropäischen Länder der EU beitreten, und wenn wir wollen,
daß es dabei nicht zu Umweltdumping und somit zu
Wettbewerbsverzerrungen kommt, wenn wir also nicht
wollen, daß diejenigen, die hier zum Beispiel keine
Hühnerfarmen mehr betreiben dürfen, hinter die tschechische Grenze gehen, dann müssen wir den Mittel- und
Osteuropäern helfen, die Standards, die wir in der EU
gemeinsam erarbeitet haben, tatsächlich zu erreichen.
({2})
Ungeachtet der Sparbemühungen haben wir in diesem
Haushalt auch den Neubau des Umweltbundesamtes in
Dessau endlich finanziell abgesichert. Der hing nämlich
auf Grund äußerst fragwürdiger Vereinbarungen zwischen dem damaligen Finanzminister, Herrn Waigel,
und Frau Merkel finanziell in der Luft. Ich freue mich,
pünktlich zum 25. Jahrestag des Bestehens des Umweltbundesamtes mitteilen zu können, daß diese Regierung
die 170 Millionen DM auch langfristig sichert.
({3})
Sie wissen, daß Umweltpolitik nicht eine Veranstaltung ist, die lediglich im Umweltministerium stattfindet.
Ich will nur darauf verweisen, daß allein im Haushalt
des BMZ ungefähr 1,42 Milliarden DM für Umweltprojekte und nachhaltige Entwicklung eingestellt sind.
Aber internationale Verantwortung führt eben auch dazu, daß wir eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie verfolgen müssen, gerade wenn wir unserer Verantwortung
gegenüber den sich entwickelnden Ländern gerecht
werden wollen. Deswegen messen wir einer nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie einen hohen Stellenwert bei.
Ich freue mich, daß eine Politik, die über die Ressortsgrenzen hinweg eine solche Strategie entwickeln will,
einhellige Zustimmung - im Ausschuß ohne Gegenstimmen - findet.
({4})
Schließlich haben wir in zentralen Fragen bereits
Weichenstellungen für eine nachhaltige Entwicklung gesetzt. Alle Parteien waren sich noch vor wenigen Jahren
einig, daß die Abgabenbelastung auf den Ressourcenverbrauch erhöht und die auf menschliche Arbeit gesenkt werden muß. Das hat der CDU-Bundesparteitag
ebenso beschlossen wie der Bayerische Landtag.
Wir haben das umgesetzt: Die Steuern auf Strom und
Kraftstoffe werden ansteigen, und dafür wird die Abgabenlast beim Faktor Arbeit gesenkt. Wir wollen umsteuern und nicht - wie Sie das 16 Jahre lang getan
haben - Steuern und insbesondere Abgaben auf den
Faktor Arbeit Schritt für Schritt erhöhen. Das ist das
Neue, das diese Regierung umwelt- und sozialpolitisch
angefangen hat.
({5})
Und - für eine nachhaltige Entwicklung von zentraler
Bedeutung -: Wir wollen die Energiewende. Windenergie, Solarenergie, Geothermie, Biomasse - in all
diesen Bereichen muß die Förderung aufgebaut werden.
Wir müssen dieses Ziel in einer äußerst schwierigen Situation, nämlich in einem weitgehend liberalisierten
Strommarkt, erreichen. Das ist der Grund, warum wir
die Förderung regenerativer Energien gegenüber den
vergleichsweise lächerlichen 20 Millionen DM, die Sie
dafür bereitgestellt haben, verzehnfacht und verstetigt
haben. Wir haben gerade diejenigen, die mit hocheffektiven Gas- und Dampfkraftwerken, mit Kraft-WärmeKoppelung vernünftig und energieeffizient produzieren,
im Wettbwerb gleichgestellt. Wir müssen dafür sorgen,
daß sie, wenn diese Energien wirklich das zukünftige
Rückgrat der Energieversorgung sein sollen, nicht in eine wettbewerbsverzerrende Konkurrenz zu ineffizienten
Altanlagen - das sind Atomkraftwerke nun einmal - geraten. Deswegen müssen wir die Laufzeiten begrenzen.
({6})
Wir wollen noch in diesem Jahr die Energiesparverordnung verabschieden, weil wir glauben, daß Energiesparen eine der größten Energiequellen ist. Im Verkehrsbereich haben wir erreicht, den Schwefelgehalt
von Benzin und Diesel drastisch zu reduzieren. Wir
werden dreieinhalb Jahre vor der EU einen Wert von
50 ppm erreichen. Wenn die EU auf 50 ppm ist, werden
wir auf 10 ppm sein. Wir haben für schwere LKWs,
Busse und ähnliches ambitionierte Grenzwerte eingeführt. Wir machen den Rußpartikelfilter und den
DeNOx-Katalysator zur Vorschrift in Europa. Schließlich glauben wir, daß mit einem Biotopverbundsystem
erreicht werden kann, die Zerschneidung von Lebensräumen für Tier- und Pflanzenarten zu beenden.
Meine Damen und Herren, Nachhaltigkeit in allen
Politikbereichen, Klimaschutz, Energiewende, Atomausstieg, aktiver Naturschutz - das sind die Herausforderungen für eine Politik, die auf Erneuerung durch
ökologische und soziale Nachhaltigkeit setzt. Darauf
kommt es an; das spiegelt sich in diesem Haushalt wider. Dafür bitte ich um Unterstützung.
({7})
Das Wort hat der
Kollege Jochen Borchert, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ein Jahr nach der Bundestagswahl wird der zweite Haushalt der rotgrünen Bundesregierung eingebracht. Das ist eine gute Gelegenheit
für die Bilanz ein Jahr rotgrüner Umweltpolitik. Ich
denke, Herr Minister, auch Ihre Einbringungsrede hat
gezeigt, daß die Bilanz mager ist.
({0})
Sie haben wieder viele Ankündigungen gemacht. Das
habe ich auch nicht anders erwartet. Denn wenn die Bilanz positiv wäre, dann hätten Sie diese Bilanz sicher
schon mit großem Presseaufwand in den letzten Wochen
vorgelegt.
Wir erinnern uns: Mit dem ersten Haushalt kam die
Ankündigung, den Ausstieg aus der Kernenergie zu beBundesminister Jürgen Trittin
ginnen, die Wiederaufbereitung zu beenden und die
Endlagerung faktisch zu verbieten. Auch heute gibt es
wieder Ankündigungen, was Sie machen wollen. Seit
September 1998 ist aber ein Jahr nutzlos verstrichen.
({1})
Wenn Sie heute gesagt haben, es gebe keine Alternative zur Haushaltskonsolidierung, so stimme ich Ihnen
zu. Man überlege sich aber einmal, wie die Aussagen
noch bei der Einbringung des ersten Haushaltes waren.
Damals ging es im Sinne der Kaufkrafttheorie um eine
Ausweitung der Ausgaben, um mehr Kaufkraft und um
mehr Konsumausgaben. Heute, ein Jahr später, reden
Sie alle von der Konsolidierung.
Wenn ich aber die letzten Jahre betrachte, dann stelle
ich fest, daß die Ausgaben im Haushalt 1998 unterhalb
derer im Haushalt 1994 liegen, während wir vom Haushalt 1998 zum Haushalt 2000 eine erhebliche Ausdehnung der Ausgaben haben. Das ist genau das Gegenteil
von Haushaltskonsolidierung.
Zur Energiepolitik. Bis heute ist es bei Ankündigungen geblieben.
({2})
Bis heute gibt es von der rotgrünen Koalition kein
schlüssiges energiepolitisches Konzept. Bis heute ist
nicht geklärt, wie der Ausstieg aus der Kernenergie erfolgen soll.
({3})
Planspiele und Spekulationen gibt es genug. Zuletzt war
es ein vertrauliches Papier des Umweltministers. Es hat
das Sommertheater um einen Akt verlängert. Danach
sollen bis zum Ende dieser Legislaturperiode sechs
Kernkraftwerke stillgelegt und die Laufzeit aller Meiler
auf 25 Jahre begrenzt werden. Interessant sind die Reaktionen darauf - sowohl in der Regierungskoalition als
auch bei den Energieunternehmen.
Diese Reaktionen zeigen: Der Umweltminister und
seine Vorschläge werden nicht mehr ernst genommen,
weder von seinen Kabinettskollegen noch von Vertretern der betroffenen Wirtschaft und auch nicht von den
eigenen Parteikollegen. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, daß an seiner Stelle der Wirtschaftsminister und
für die Grünen der Außenminister mit den Vertretern der
Energieunternehmen verhandelt.
Der Kollege Simmert, ein junger Linker der grünen
Fraktion, bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt:
„Sein“ - Trittins - „öffentlicher Konfrontationskurs
wird keine Erfolge zeitigen.“ Damit wiederholt der
Kollege Simmert das, was führende Grüne in ihren Thesen zur Erneuerung bündnisgrüner Umweltpolitik geschrieben haben. In diesen Thesen macht sich der geballte grüne Unmut über die Umweltpolitik Trittins Luft.
Herr Bundesminister, in dieser Sache haben Ihre Kollegen recht. Sie haben keinen Erfolg und werden auch
keinen haben.
({4})
Das liegt einerseits an Ihrem Konfrontationskurs, andererseits auch an der Konzeptionslosigkeit Ihrer Politik.
Ideologie ist keine ausreichende Basis für eine langfristige und verantwortungsbewußte Energiepolitik. Es genügt eben nicht, wenn Sie auf Ihrer BMU-Homepage
mitteilen, daß der Ausstieg aus der Kernenergie für die
Grünen „identitätsstiftend“ und eine „Herzensangelegenheit“ sei. Sie haben bis heute nicht die Frage beantwortet, wie die Kernenergie ersetzt werden soll und wie
Sie die damit verbundenen ökologischen Probleme lösen
wollen.
Helmut Schmidt hat doch recht, wenn er in der „Welt
am Sonntag“ vom 29. August schreibt,
… daß man heute noch nicht entscheiden kann,
welches der Risiken größer ist, das Risiko, das
zwangsläufig mit Nuklearkraftwerken verbunden
ist, oder andererseits das Risiko der Erwärmung
durch die Verbrennung von Kohlenwasserstoffen.
({5})
Ich möchte gern, Frau Kollegin, Helmut Schmidt weiter
zitieren:
Aber die Grünen wollen einfach die nuklearen
Kraftwerke abschaffen, obwohl sie als Grüne doch
eigentlich genauso über den Temperaturanstieg besorgt sein müßten. Da fehlt es an Logik im Gehirn
von Herrn Trittin und Genossen.
Dies ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit.
Unlogisch ist aber nicht nur der Ausstieg aus der
Kernenergie, sondern auch die Art und Weise, in der Sie
diesem Ausstieg im Haushalt Rechnung tragen wollen.
Gerade dann, wenn Zweifel an der Eignung von Gorleben als Endlager bestehen, sollte man diese durch verstärkte Erkundungen und mit dem Abschluß der Untersuchungen beseitigen, aber nicht mit der Unterbrechung
der Erkundung.
Herr Bundesminister, ich möchte als weiteres Beispiel Ihr Verhalten bei der Verabschiedung der EUAltautoverordnung nennen. Gegen Ihre Überzeugung
und auf Weisung der Autoindustrie, vertreten durch den
selbsternannten Automann Bundeskanzler Schröder, haben Sie als amtierender Ratspräsident die EUAltautoverordnung blockiert. Sie haben sich dadurch
isoliert und wurden schließlich überstimmt. Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, der Kollege Metzger, hat nach Ihrer Niederlage in Brüssel erklärt, man
könne „nicht ständig den Mund vollnehmen und dann
am Boden kriechen“.
({6})
Weiter sagte der Kollege Metzger:
Ich bin der Auffassung, wir würden einen Befreiungsschlag erleben, wenn Jürgen Trittin selber den
Hut nähme. Ein Rücktritt würde den Grünen sofort
ein bis zwei Prozentpunkte bringen.
Nur, dies würde Ihnen in Sachsen auch nichts mehr
helfen. Dort helfen auch zwei Prozentpunkte nicht mehr.
Insofern ist es für das Wahlergebnis egal, Herr Kollege
Koppelin, ob Trittin im Amt bleibt oder zurücktritt.
({7})
Die erfolglose Umweltpolitik wird mit dem Haushalt
2000 fortgesetzt. Der Haushalt des BMU sinkt im Jahr
2000 um 3,4 Prozent im Vergleich zum Haushalt 1999.
Gemessen am Finanzplan sinkt der Haushalt um
7,4 Prozent. Für den Stammhaushalt beträgt die Sollkürzung 265,8 Millionen DM bis zum Jahr 2003. Da die
Ausgaben im Verwaltungshaushalt weitgehend festliegen und in Teilbereichen weiter ansteigen, müssen die
Kürzungen im Programmhaushalt erbracht werden. Betroffen sind davon schwerpunktmäßig die großen Fördertitel, die Pilotprojekte im In- und Ausland, Naturschutzprojekte und Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes.
Das führt dazu, daß von den Gesamtmitteln immer
weniger für den Umweltschutz, aber immer mehr für die
Verwaltung benötigt wird. 1998 wurden vom Stammhaushalt noch 52,5 Prozent für den Programmhaushalt
und nur 47,5 Prozent für den Verwaltungshaushalt eingesetzt. Zwei Jahre später, im Haushalt 2000, dreht sich
das Verhältnis um: Der Programmhaushalt sinkt um
20,5 Millionen DM auf nur noch 47,9 Prozent, und der
Verwaltungshaushalt steigt auf 52,1 Prozent. Immer
mehr Verwaltung, aber immer weniger Mittel für den
Umweltschutz. Dieser Trend wird sich in den nächsten
Jahren fortsetzen.
Der Verwaltungshaushalt bleibt, und es findet immer
weniger Umweltpolitik statt: Fehlanzeige bei der Energiesparverordnung, Fehlanzeige bei der Umsetzung der
UVP-Richtlinie und der IVU-Richtlinie, Fehlanzeige bei
den Energiekonsensgesprächen mit der Wirtschaft und
Fehlanzeige bei den Energiekonsensgesprächen mit der
Wirtschaft und Fehlanzeige bei einer echten ökologischen Steuerreform.
Herr Bundesminister, von dieser Steuerreform geht
keine Lenkungswirkung aus. Sie ist ein reines Modell,
um mehr abzukassieren, um die Wirtschaft zu belasten,
aber nicht, um umzusteuern.
({8})
Wenn die Grünen auf ihrer Klausurtagung in Weimar
feststellen, daß die akuten Umweltprobleme wie die
Luft- und Wasserverschmutzung zwar nicht gelöst, aber
doch zurückgegangen seien, dann ist dies eine außerordentlich positive Bewertung der Umweltpolitik der
CDU/CSU aus den vergangenen 16 Jahren.
({9})
- Natürlich, Sie wollen doch nicht behaupten, daß dies
das Ergebnis Ihrer Politik seit zwölf Monaten ist.
Sie haben in Ihrer Stellungnahme von Weimar deutlich die Erfolge unserer Umweltpolitik zum Ausdruck
gebracht. Sie hätten wenigstens versuchen können, diese
positive Politik weiter zu verbessern. Statt dessen haben
Sie seit der Bundestagswahl ein Jahr nutzlos verstreichen lassen. Die Bilanz in der Umweltpolitik ist traurig
und selbst für einen Grünen unentschuldbar.
Vielen Dank.
({10})
Für die SPDFraktion spricht jetzt die Kollegin Ulrike Mehl.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Borchert, wenn Sie in den letzten 16 Jahren nicht so eine katastrophale Politik und insbesondere so eine katastrophale Finanzpolitik gemacht
hätten, dann hätten wir jetzt diese Probleme nicht.
({0})
Wir müssen jetzt Ihre Suppe auslöffeln.
Wenn Sie sich darüber beschweren, daß gespart wird,
ist das wirklich der Gipfel der Frechheit. Auch ich würde lieber aus dem Füllhorn Politik machen. Aber wir
müssen jetzt das machen, was Sie jahrelang nicht geschafft haben. Wenn Sie sich über eine zu schlaffe Ökosteuer beschweren, dann kann man doch nur laut lachen. Dazu fällt einem gar nichts mehr ein.
({1})
Frau Merkel hat vor ein paar Jahren einmal erwähnt, sie
sei der Meinung, daß die Ökosteuer etwas Sinnvolles ist.
Es hat keine fünf Minuten gedauert, bis diese Meldung
kassiert wurde.
({2})
Und Sie erzählen uns, es handele sich um eine zu geringe und unwirksame Ökosteuer. Damit wird Ihre Glaubwürdigkeit wirklich auf den Kopf gestellt.
({3})
Sie haben uns einen riesigen Schuldenberg hinterlassen. Wir müssen jetzt den Haushalt auf ein Maß zurechtstutzen, so daß man Politik wieder gestalten kann. Das
geht natürlich nur in kleinen Schritten. Wenn Sie schon
nach einem Jahr Bilanz ziehen, dann schauen Sie sich
doch einmal an, was Sie in den letzten 16 Jahren in der
Umweltpolitik gemacht haben. Wenn Sie das getan haben, dann werden Sie vielleicht ein bißchen kleinlauter.
({4})
Im Umweltbereich ist es bei knappen Haushaltsmitteln besonders wichtig, vorausschauend zu denken und
klug zu wirtschaften. Genau das spiegelt sich nicht nur
im Haushalt des Bundesumweltministers wider; vielmehr muß es sich auch in allen anderen Haushalten widerspiegeln. Sie haben in den letzten Jahren diese Zahlen immer genannt und gesagt, die Bundesregierung gebe insgesamt über 8 Milliarden DM für umweltbezogene
Projekte aus. Das stimmt, und es ist auch richtig, daß
dieses Geld in allen Politikbereichen in die Hand genommen wird. Aber wir werden zukünftig genauer
überprüfen, was daran wirklich umweltrelevant ist.
Sie haben eben gesagt, auch im Zusammenhang mit
dem Energiebereich gebe es nur Ankündigungen und es
sei nichts umgesetzt worden. Das ist schlicht und ergreifend falsch. Anderenfalls könnten Sie sich mit uns auch
gar nicht streiten. Wir haben den Einstieg in die ökologische Steuerreform geschafft,
({5})
und wir werden damit noch stärker als bisher die Lohnnebenkosten senken. Das haben Sie jahrelang nicht geschafft; Sie haben sogar das Gegenteil gemacht.
Außerdem werden wir mit einem Förderpaket, das
aus den Einnahmen aus der Besteuerung der regenerativen Energien gespeist wird, in diesen Bereich zurückinvestieren. Das heißt, bis einschließlich 2003 werden
200 Millionen DM zur Förderung erneuerbarer
Energien zur Verfügung stehen. Dazu kommen noch
jährlich 180 Millionen DM für das 100 000-DächerSolarstrom-Programm. Allein bei diesem Programm
geht man davon aus, daß es Investitionen in Höhe von
voraussichtlich 2,5 Milliarden DM auslöst. Das bedeutet
nichts anderes, als daß wir mit diesem Programm und
diesen Investitionen Arbeitsplätze sichern und neue
schaffen.
Hinzu kommen noch weitere 190 Millionen DM, die
aus dem Wirtschaftsministerium für Forschungs- und
Entwicklungsvorhaben im Bereich rationeller Energieverwendung und erneuerbarer Energien bereitgestellt
werden.
Mit dieser Politik haben wir einen neuen, in die Zukunft gerichteten Weg eingeschlagen, auf dem wir
Schritt für Schritt dem Ziel näher kommen wollen, daß
der Schutz natürlicher Lebensgrundlagen und der schonende Umgang mit natürlichen Ressourcen nicht länger
als Bremsklotz für die wirtschaftliche Entwicklung angesehen werden. Dazu haben Sie in der öffentlichen
Diskussion beigetragen.
({6})
Wir wollen den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen
zum Maßstab für eine zukunftsfähige, dauerhaft umweltverträgliche Wirtschaft machen und nutzen dies als
Triebfeder für die ökologische Modernisierung.
Selbst wenn man den Untersuchungen skeptisch gegenübersteht, die beispielsweise besagen, daß durch eine
Verschärfung der Wärmeschutzverordnung bis zu
80 000 neue Arbeitsplätze im Baugewerbe entstehen
werden oder durch eine breitangelegte Elektronikschrottverordnung 43 000 Menschen in neue Arbeitsverhältnisse kommen werden, wird doch wohl niemand
hier im Hause der Meinung sein, daß die ökologische
Modernisierung keine Arbeitsplätze schafft. Das sind die
Arbeitsplätze der Zukunft, für die politisch die Weichen
gestellt werden müssen. Das tun wir bereits, und das
werden wir auch weiterhin tun.
({7})
Außerdem haben wir trotz allem Druck zum Sparen
die Fördermittel für die Umwelt- und Naturschutzverbände auf dem Niveau von 1999 gehalten, das von
uns bereits um 23 Prozent erhöht worden war. Damit
können die Umweltverbände recht zufrieden sein. Wir
alle wissen, daß die Umweltverbände eigentlich nicht
bezahlbare Arbeit, unschätzbare Dienste im Sinne der
Umwelt leisten.
({8})
Sie sind Multiplikatoren in der Umweltaufklärung und
Anwälte für die Natur. Das wollen wir auch weiterhin
unterstützen.
Auch der Ansatz für die Ressortforschung im Naturschutzbereich konnte auf dem vorher schon um
19,1 Prozent erhöhten Niveau gehalten werden, und das
trotz der großen Anstrengungen, die hier beim Sparen an
den Tag gelegt werden mußten. Die Mittel für die Naturschutzgroßvorhaben liegen immer noch über der
tatsächlich gezahlten Fördersumme der letzten Jahre.
Dies ist gleichwohl ein für mich, die ich mich in diesem
Bereich besonders engagiert habe, schmerzhafter Bereich; aber wir müssen nun einmal in einer solchen Situation auch an Bereiche herangehen, bei denen man es
am liebsten gar nicht täte. Da gibt es auch beim Naturschutz keine Ausnahme. Aber wir sind, wie gesagt, auch
jetzt noch auf einem Niveau, zu dem Sie sich in Ihren
Haushalten gerade mühevoll hochgerungen hatten.
Trotz der angespannten Haushaltslage werden
3 Millionen DM als Umweltberatungshilfe für die
Staaten in Mittel- und Osteuropa bereitgestellt. Das ist
eine besonders wichtige Neuerung in diesem Haushalt;
denn bisher wurde Umweltberatung nur im Rahmen der
Wirtschaftsförderung und dort auch nur in relativ geringem Umfang unterstützt. Deshalb ist es für uns sehr
wichtig, daß wir jetzt aus dem Umwelthaushalt diese
Arbeit der Umweltberatung mit 3 Millionen DM unterstützen. Das dient erstens einer großen Umweltentlastung, zweitens dem Transport unserer Umweltstandards
in diese Länder und drittens der Schaffung neuer Arbeitsplätze dort, weil wir auf diesem Wege Umwelttechnologie exportieren können. Das ist eine Investition in
die Zukunft im doppelten Sinne.
({9})
Im Amsterdam-Vertrag haben sich alle EUMitgliedstaaten verpflichtet, Umweltpolitik in alle
Fachbereiche zu integrieren. Das ist schon lange überfällig und bisher nur unzureichend umgesetzt worden.
Deshalb brauchen wir dringend - das mahnen wir schon
seit vielen Jahren an - eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie, wie sie in manchen anderen europäischen
Ländern, wenn auch in unterschiedlicher Form, längst
existiert. Deutschland ist da weit zurück. Wir werden
dieses Projekt angehen. Die Nachhaltigkeitsstrategie
muß zum Beispiel für die Reduktion von CO2, Stickstoff- und Schwefelemission, für die verbesserte Wärmedämmung im Gebäudebereich, für die Verminderung
der Lärmbelästigung, was gerade in diesem Jahr wieder
ein sehr wichtiges Thema geworden ist, für die Verringerung des Flächenverbrauchs oder für eine umweltfreundliche Mobilität verbindliche Ziele und Umsetzungszeiträume festlegen.
Gleichzeitig muß über den angestrebten Rat für
Nachhaltigkeit eine Diskussion mit allen gesellschaftlichen Akteuren geführt werden, um eine sinnvolle Lastenverteilung für diesen Nachhaltigkeitsprozeß und in
der Gesellschaft eine breite Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen zu erreichen.
Wir streben außerdem an, daß die öffentliche Verwaltung selbst mit gutem Beispiel vorangeht, und
werden uns deshalb darum kümmern, daß gezieltes
Umweltmanagement und Umweltcontrolling nun endlich in der öffentlichen Verwaltung verankert werden.
Allein dadurch können nach einer Studie des Umweltbundesamtes der Energie- und der Wasserverbrauch erheblich gesenkt werden, und umweltfreundliche Verkehrsmittel können weiter gefördert werden. Im gleichen
Zuge würde das Umweltbewußtsein in den Behörden
geschärft. Das ist ein Ziel, das wir dringend anstreben
sollten.
Insgesamt können damit nach Berechnung des
Umweltbundesamtes Einsparpotentiale von 9 Milliarden DM erschlossen werden. Das heißt, Umweltschutz
ist kein Luxus, den man sich leistet oder nicht, sondern
ein Gebot vernünftiger Haushaltspolitik.
({10})
Die ökologische Modernisierung unserer Gesellschaft wird durch die enormen Einsparpotentiale für die
öffentlichen Haushalte, durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze, durch gezielte Investitions- und Förderungsprogramme sowie durch einen anspruchsvollen, EU-weit
harmonisierten und für die Unternehmen kalkulierbaren
Umweltgesetzgebungsrahmen zu einem der wichtigsten
Eckpfeiler der Haushaltskonsolidierung. Deshalb müssen wir die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft konsequent weiterführen. Wir werden das tun.
Vielen Dank.
({11})
Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt die Kollegin Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Liebe Frau Mehl, gleich zu Beginn
zu dem, was Sie zum Schluß gesagt haben, nämlich daß
Umweltschutz Aufgabe vernünftiger Haushaltspolitik
sei. Wenn Sie sich nur auf dieses bißchen Haushalt verlassen,
({0})
dann werden Sie es in der Umweltpolitik nicht weit
bringen.
({1})
Das haben wir in der Vergangenheit immer wieder diskutiert, daß ein guter Teil dessen, was für die Umwelt
getan wird, außerhalb des Haushalts stattfindet. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch mit dem Haushalt die
Möglichkeit, Akzente zu setzen. Da haben wir von den
Grünen außer vollmundigen Erklärungen im ersten Jahr
der rotgrünen Amtszeit nicht viel gehört und gesehen.
Außer daß das Ideologiethema „Ausstieg aus der Kernenergie“ und das Thema sogenannte Ökosteuer aufgegriffen wurden, läuft eigentlich nichts. Von eigenen Akzenten ist im Stammhaushalt des BMU weit und breit
nichts zu sehen; im Gegenteil, er wird auch noch mehr
als durchschnittlich abgesenkt.
({2})
- Ich habe sehr wohl zugehört, vor allen Dingen habe
ich aber den Haushalt gelesen, Frau Kollegin. Da steht
so etwas drin.
({3})
Die Zahlen sprechen also eine andere Sprache als das,
was hier jetzt gerade vorgetragen wurde. Das gilt auch
für den Bereich Naturschutz. Bedauerlich sind vor allem die Kürzungen im Programmhaushalt, insbesondere
bei Umweltschutzpilotprojekten im In- und Ausland, bei
den Naturschutzgroßprojekten sowie bei Erprobungsund Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiete des Naturschutzes, um insgesamt 14,6 Millionen DM. An den
Stellen, an denen Sie noch ein paar Akzente im Haushalt
setzen könnten, haben Sie den Haushaltsansatz gekürzt.
Aber auch das reden Sie hier jetzt noch schön.
({4})
Der amtierende Bundesumweltminister konzentriert
seine Tatkraft und seinen Einfallsreichtum ja mehr auf
den Ausstieg aus der Atomenergie. Das, was im Haushaltsplan schlicht als Änderung des Endlagerkonzeptes
bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit eine Vernichtung
von Vermögenswerten in großem Stil.
({5})
In die Endlagerprojekte Schacht Konrad und Gorleben
sind in den vergangenen Jahren nämlich Milliardenbeträge investiert worden.
({6})
Das Projekt Konrad ist so gut wie fertig und zur Aufnahme schwachradioaktiver Abfälle sicher geeignet. Das
andere - Gorleben - befindet sich in einer fortgeschrittenen Phase der Erkundung und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Aufnahme starkradioaktiver Abfälle geeignet.
({7})
Jetzt hat der Minister den Abbruch der Arbeiten an
den Projekten Konrad und Gorleben verfügt und die Erkundung weiterer Standorte zur Endlagerung radioaktiver Abfälle als Titel in den Haushalt aufgenommen. Es
sollen also Erkundigungen über weitere Standorte eingeholt werden. Der Titelansatz in Höhe von 5 Millionen
DM ist für diese Aufgabe recht kläglich; viel mehr als
die Kosten für einen neu einberufenen Arbeitskreis, die
Literaturrecherche und vielleicht einen Zaun um ein
noch imaginäres Gelände werden damit nicht zu finanzieren sein.
({8})
Daneben laufen die Kosten für die ausgesetzten Projekte Konrad und Gorleben unter der Bezeichnung „Offenhaltungskosten“ munter weiter: Im Jahr 2000 sind
allein 48 Millionen DM für Konrad und 49 Millionen
DM für Gorleben vorgesehen. Weitere Kosten zur Unterhaltung und Wartung der beiden Bergwerke werden
also noch die nächsten 20 Jahre auf uns zukommen. So
lange wird es nämlich wohl dauern, bis Alternativen erkundet sind. Bis dahin gibt es auch kein Entsorgungskonzept, von dem Sie immer so gerne reden.
Sie, Herr Minister - das scheint ihn gar nicht zu interessieren -, haben vorhin gesagt, es gebe auch weniger
schmerzhafte Einschnitte, beispielsweise bei der Kürzung im Endlagerbereich. Daraus schließe ich, daß Sie
sich Ihren Haushalt noch gar nicht richtig angeschaut
haben, weil sich dort nämlich eine bemerkenswerte Besonderheit befindet: Für die Projekttitel Schacht Konrad und Gorleben ist eine gesetzlich geregelte Refinanzierung vorgesehen; sämtliche Projektkosten werden
durch die zukünftigen Benutzer der Endlager wieder hereinkommen, indem die EVUs sie auf Heller und Pfennig im nächsten Jahr an die Staatskasse zurückzahlen.
({9})
Das heißt also, daß Sie, wenn Sie im Haushalt des
BMU die Titelansätze für die Projekte Konrad und
Gorleben aufstocken oder absenken, nicht über Steuermittel, sondern eigentlich über Gelder der EVUs und
damit letztlich der Stromkunden verfügen. Das erkennt
man natürlich nur, wenn man sich den Haushaltsplan
genau anschaut. Im Sinne der gewünschten Wahrheit
und Klarheit sollte die Darstellung dieses Sachverhaltes
im Haushaltsplan verbessert werden.
Sie betreiben ja eine Politik, Herr Minister - meine
Ausführungen scheinen ihn überhaupt nicht zu interessieren -
Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Koppelin?
Selbstverständlich.
Frau Kollegin, wie beurteilen Sie das Verhalten des Umweltministers, der hier
erst seine Rede herunterleiert und anschließend bei der
Debatte nicht zuhört?
Es ist Ausdruck der üblichen Amtsauffassung des Ministers, Herr Kollege.
({0})
Frau Kollegin Homburger, die Frau Kollegin Lemke hat auch noch eine
Zwischenfrage.
Ja, bitte.
Frau
Homburger, ich möchte Sie fragen, ob Sie aus Ihrem
parlamentarischen Verständnis heraus der Meinung sind,
daß alle Kollegen, die einer Debatte nicht immer aufmerksam folgen, also auch Mitglieder der CDU/CSUoder der F.D.P.-Bundestagsfraktion, in Zukunft zu höherer Aufmerksamkeit verpflichtet werden sollten.
({0})
Frau Kollegin, die Bemerkung bezog sich auf die gesamte Amtsauffassung einer Person. Wenn die Amtsauffassung in Ordnung wäre,
könnte man auch einmal hinnehmen, wenn zwischendurch mit den Kollegen geredet wird. Wenn aber die
Aufmerksamkeit für das eigene Thema permanent nicht
vorhanden ist, halte ich das für einen großen Unterschied.
({0})
So, jetzt möchte ich aber weitermachen: Man versucht hier eine Politik der Nadelstiche. Man will die
Entsorgungswege verstopfen und die Fertigstellung und
Inbetriebnahme von Endlagern verhindern. Allein die
Verantwortung der Vorsitzenden der EVUs gegenüber
ihren Aktionären muß schon dazu führen, daß die
Rechtmäßigkeit der Zahlungen daraufhin einmal gerichtlich überprüft werden muß oder auch wird. Vorsorglich haben Sie in Ihrem Haushalt beim Projekt Konrad schon einmal 5 Millionen DM für Verwaltungsstreitverfahren vorgesehen. Ich finde das sehr bezeichnend.
Außerhalb des Haushalts spielt inhaltlich nur noch
die sogenannte Ökosteuer eine Rolle. Damit wird im
Rahmen des neuen Entwurfs der Mißbrauch des Ökoetiketts für Steuererhöhung unter Ihrem Beifall, Herr
Umweltminister, fortgesetzt. Die ökologischen Verwerfungen innerhalb des Gesetzes werden sogar noch weiter
verschärft. Alle anderen umweltpolitischen Fragen leiden nach wie vor an der Ignoranz des Umweltministers.
Sie haben sich vorher mit dem schnellen Einstieg in
den schwefelfreien und schwefelarmen Kraftstoff gebrüstet. Ich möchte doch gerne einmal wissen: Warum
haben Sie eigentlich nicht dafür gesorgt, daß der Antrag
des Landes Baden-Württemberg auf Steuerspreizung im
Bundesrat angenommen wird, wenn Ihnen so sehr viel
daran liegt? Das hätte die Sache noch viel schneller
vorwärtsgebracht.
({1})
Aber da kommt natürlich nichts.
Das Umweltgesetzbuch haben Sie gerade erfolgreich
im Kabinett an die Wand gefahren. Bei der Nachhaltigkeitsstrategie muß Sie der Umweltausschuß zum Jagen
tragen. Der Beschluß ist nämlich, Frau Kollegin Mehl,
dankenswerterweise von allen Fraktionen mitgetragen
worden; das finde ich auch gut.
({2})
Im Abfallbereich haben Sie es, Herr Minister, über
eine erzwungene, magere Stichpunkteerklärung im
Umweltausschuß und einen peinlichen Auftritt bei der
Altautoverordnung nicht hinausgebracht. Von Vorbereitungen auf zukünftige internationale Verhandlungsrunden zum Beispiel zum Klimaschutz hört man nichts.
({3})
Also, wenn es nach den Thesen zur Erneuerung
bündnisgrüner Umweltpolitik, die im Sommerloch so ihre Runde gemacht haben, noch eines weiteren Beweises
bedarf, dann zeigt der heute hier eingebrachte Umwelthaushalt, daß Sie bisher auf der gesamten Linie gescheitert sind.
({4})
Das Wort hat die
Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Umwelthaushalt ist in den letzten zwei Jahren einiges in Bewegung
geraten. Eine neue Regierung setzt andere Prioritäten;
das ist nicht überraschend. Überraschend aber ist, daß
ein grüner Umweltminister dazu gebracht wird, dem
Sparkurs seiner CDU-Vorgängerin noch eins draufzusetzen.
({0})
Wer hätte sich das am Wahlabend gedacht?
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Etat des
Umweltministeriums liegt auch unter dem der Koalition,
weil im letzten Jahr im Endlagerbereich gestrichen wurde, was ja nur wünschenswert ist. Der Haushalt für das
Jahr 2000 jedoch setzt den Rotstift anstatt im Atomhaushalt im Stammetat an - Frau Homburger hat dazu
schon gesprochen -, in den Bereichen also, die die Aufgaben des Bundes in den klassischen Bereichen des
Umweltschutzes berühren.
Daran glauben müssen vor allem die Umweltschutzpilotprojekte Inland und Ausland, die Naturschutzgroßprojekte und die Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes. Da auch das
BMU sein Scherflein zum Sparpaket beitragen soll und
die Mittel für den Endlagerbereich wieder um 6,7 Prozent erhöht werden, weil der Atomausstieg doch nicht so
ganz ernst gemeint war, soll hier kräftig gestrichen werden.
Insbesondere der Titel, der die Investitionen zur
Verminderung der Umweltbelastungen enthält, ist seit
Jahren der große Verlierer. Er wird im Haushalt 2000
um 6,5 Millionen DM - das sind 14 Prozent - reduziert.
Dabei ist zu beachten, daß dieser Titel seit 1993 - das
trifft jetzt die anderen - von damals 181 Millionen DM
auf jetzt 40 Millionen DM zusammengeschmolzen wurde, also insgesamt um 88 Prozent.
Mit seinen 1,088 Milliarden DM beträgt der Haushalt
des BMU-Geschäftsbereiches nur 0,23 Prozent des Bundesetats. Obwohl es kein Investitionshaushalt ist, spricht
diese lächerliche Summe für sich. Es sind noch weitere
Kürzungen geplant. Bis zum Jahre 2003 sollen insgesamt 445 Millionen DM eingespart werden. Mit dieser
Summe könnte, so meine ich, fast der halbe Umweltetat
eines Jahres finanziert werden. Es wird üblicherweise
immer gleich nachgeschoben, in den anderen Haushalten
sind ja auch noch massenhaft Umweltausgaben versteckt. Sieht man dann genauer hin, dann stellt sich heraus, daß im kommenden Jahr, nimmt man die Zahlen
des Finanzberichts, auch die Gesamtausgaben des Bundes für den Umweltschutz um 5,5 Prozent sinken sollen
- und das unter einem grünen Umweltminister.
Doch daß die Bundesregierung dem dringend notwendigen Übergang zu einer nachhaltig umweltverträglichen Wirtschaftsweise einen Impuls geben wird, ist das sieht man auch am Haushalt - inzwischen ein Treppenwitz. Sicher, es gibt einige kleine Bonbons für die
Umweltbewegung. Dazu zählen das 200-MillionenProgramm für die Förderung der erneuerbaren Energien
und das 100 000-Dächer-Programm der Bundesregierung. Aber wir hätten uns eben mehr gewünscht.
({1})
- Das ist immer so.
Doch nicht nur die Blockade bei der Altautoverordnung oder beim Atomausstieg sind Belege dafür, wohin
der Wind eigentlich weht. Der Umgang mit der Altautoverordnung wurde auch von Herrn Borchert kritisiert.
Nur, da muß ich Ihnen sagen: Sie hätten vor Jahren die
Möglichkeit gehabt, das umzusetzen. Ich habe es auch
schon im Umweltausschuß gesagt: Sie sind genauso vor
der Autolobby eingeknickt wie jetzt die rotgrüne Regierung. Beschweren Sie sich also nicht.
Auch der verwerfliche Mißbrauch der Idee einer
Ökosteuerreform, die in diesem Rahmen betriebene
totale Diskreditierung des Umweltschutzgedankens zu
einer Umverteilungsmaschine von unten nach oben,
macht den Wirtschaftsschmusekurs dieser Regierung
deutlich. Den Umweltverbrauch verteuern, ohne untere
Einkommen zusätzlich zu belasten, wäre das mindeste,
was man erwarten könnte. Aber das Gegenteil ist der
Fall.
Rechnet man die zu erwartenden Energiesteuern im
Jahre 2003 gegen die Entlastung durch die Senkung der
Rentenbeiträge, dann gehen Familien mit mehr als drei
Personen mit dieser Ökosteuerreform im Nettoeffekt
nicht nur leer aus, nein, sie zahlen noch kräftig drauf,
und zwar um so mehr, je weniger sie verdienen. Eine
dreiköpfige Familie müßte ein sozialversicherungspflichtiges Einkommen von monatlich mindestens 8 000
DM beziehen, um in den Genuß einer Nettoentlastung
zu kommen. Haushalte mit einem Bruttoeinkommen von
weniger als 4 000 DM sind allesamt Verlierer dieser sogenannten Ökosteuerreform.
Transferbezieherinnen und -bezieher, Rentner sowie
Studenten und Studentinnen haben eine zusätzliche
Mehrbelastung zu tragen. Sie können überhaupt nicht an
der Senkung der Rentenbeiträge partizipieren. Das ist
für uns eine Umverteilung von unten nach oben. Ich bestreite nicht, daß normale Haushalte Energie einsparen
sollten. Was aber ist mit der Industrie? Die bezahlen
doch nicht mehr als 1 000 DM Steuern. Da gibt es natürlich ein Volumen, das umverteilt wird. Das ist inzwischen berechnet. Sie sollten nicht immer leugnen, daß es
hier eine Umverteilung von unten nach oben gibt.
({2})
Ich meine, darüber muß man diskutieren. Dazu gehört
auch, daß durch eine Senkung der Lohnkosten, die über
diese Ökosteuer erreicht wird, Arbeitsplätze geschaffen
werden sollen. Es gibt keinen Beweis dafür, daß dadurch
auch nur ein Arbeitsplatz geschaffen wird.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich meine, daß
der ökologische Umbau nur dann gelingen kann, wenn
man das gesamte Geld aus der Ökosteuer in den ökologischen Umbau steckt. Hierdurch kann man auch Arbeitsplätze schaffen, auf andere Weise hingegen nicht.
({0})
Herr Kollege Winfried Hermann, Sie haben für die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Ökologinnen! Liebe Ökologen! Ich habe leider zu wenig Zeit, um all die Punkte, die Sie angesprochen haben, ordentlich zu beantworten. Das bitte ich mir
nachzusehen. Ich kann nur einiges beispielhaft herauspicken.
({0})
Erster Punkt. Sie werfen uns vor, daß wir im Bereich
des Umwelthaushalts sparen. Ich muß Ihnen sagen:
Wenn alle Ökologen über Jahre sagen, Sparen sei ein
urökologisches Prinzip, und wir immer wieder gemeinsam formuliert haben, daß wir nur dann, wenn wir sparen,
zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik kommen, dann
kann man nicht, wenn es um Haushaltspolitik geht, plötzlich sagen: Alle sollen sparen, aber wir nicht. Das halten
Sie nicht durch. Das findet auch keinen Niederschlag in
einer wirklich konsequenten nachhaltigen Finanzpolitik.
({1})
Insofern ist nicht die Frage wichtig, ob man sparen
soll oder nicht. Wichtig sind vielmehr die Fragen, wie
man sparen kann und ob wir die richtigen Akzente setzen. Wir haben in diesem Haushalt trotz aller Kürzungen
versucht, in manchen Bereichen unsere Akzente zu setzen, zum Beispiel bei den Umweltschutzverbänden und
bei der Beratung der osteuropäischen Länder hin zu
mehr Ökologie.
Wir haben aber auch in Bereichen gespart, angesichts
derer man auf den ersten Blick fragen muß: Können wir
das überhaupt tun? Das betraf zum Beispiel die Naturschutzgroßprojekte. Aber wenn man die Sache genauer
anschaut, stellt man fest, daß es nicht der Bund ist, der
im Moment zu wenig Geld ausgibt, sondern daß zum
Teil die Länder und die freien Träger nicht in der Lage
sind, gegenzufinanzieren.
({2})
Wir haben uns an den Istwerten orientiert und haben
Kürzungen vorgenommen. Das ist in diesem Bereich
faktisch gesehen keine Sparpolitik.
({3})
Sie werfen uns vor, daß wir aus der Atomenergie
aussteigen wollen, und sagen, wir würden damit Kapital
vernichten. Die schlimmste Form der Kapitalvernichtung aber sind Atomkraftwerke bzw. ist die Atomtechnologie.
({4})
- Die Form der Entsorgung, so wie sie von Ihnen angelegt worden ist, ist - ich hätte beinahe gesagt: ein arschteurer - ein verdammt teurer Irrweg. Mit dem, was Sie
im Schacht Konrad bzw. in Gorleben organisiert haben,
haben Sie viele Milliarden DM sozusagen unter Grund
gesetzt.
({5})
Damit kommen Sie nicht weiter. Wir dagegen haben gesagt: Wir machen damit nicht weiter; wir sparen an dieser Stelle; das können wir ändern. Denn wir brauchen
einen neuen Entsorgungsweg, ein neues Gesamtkonzept.
Dem haben Sie sich bisher verschlossen.
({6})
Herr Borchert, zugegeben, wir können Ihnen heute
kein Ausstiegskonzept präsentieren. Wenn ich aber Ihre
Aufforderung und Ihre Kritik richtig verstehe, dann
wollen Sie uns bei dessen Formulierung helfen. Ich sehe
Licht am Horizont, wenn uns die CDU/CSU bei der Erstellung unseres Ausstiegskonzeptes helfen will, indem
sie anmahnt, daß wir das nicht schaffen.
({7})
Nächster Punkt. Auch hier sagt Kollege Borchert,
was wir alles nicht geschafft haben. Es ist wahr, daß wir
innerhalb eines Jahres noch nicht so viel geschafft haben, wie wir es uns erhofft hätten.
({8})
- Wir haben einiges erreicht. Ich will nicht das, was
schon von vielen gesagt worden ist, wie eine Leier wiederholen. - Es ist schon ziemlich dreist, sich hier hinzustellen und zu kritisieren, wir hätten die UVP-Richtlinie
nicht umgesetzt. Dazu hatten Sie viele Jahre vorher Zeit.
Das gleiche gilt für die IVU-Richtlinie. Sie haben die
Umsetzung all dessen verstreichen lassen. Sie haben in
der letzten Woche vom Europäischen Gerichtshof die
Quittung dafür bekommen, daß Sie das Umweltinformationsgesetz nicht richtig umgesetzt haben. Das sind
die Altlasten, mit denen wir zu tun haben. Hätten wir
nicht so viele Altlasten, würden wir schneller nach vorne
kommen.
({9})
Herr Kollege Hermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Homburger?
Nein; denn ich möchte meinen Gedanken weiter ausführen. Danach kann die Kollegin Homburger gerne zu
Wort kommen, falls das dann noch angebracht ist.
Sie haben angemahnt, daß wir nicht genügend Einzelerfolge haben, daß wir nicht genügend Ausgaben machen. Auf der anderen Seite haben Sie gesagt: Wir
überlegen uns eine neue Strategie. Natürlich ist es angebracht, Ende der 90er Jahre über neue Strategien in der
Umweltpolitik nachzudenken. Es kann doch nicht wahr
sein, daß die Ausgaben bei Einzelposten des Umwelthaushaltes Maßgabe für den Erfolg von Umweltpolitik
sind.
({0})
Es kann doch nicht wahr sein, daß nur der Umwelthaushalt kritisch betrachtet wird. Es ist doch längst bekannt, daß die Umweltpolitik eine Querschnittsaufgabe
ist und daß wir heute an einem Punkt stehen, an dem wir
über Strategien nachdenken müssen.
({1})
Das haben Sie übrigens eingesehen. Sie haben doch
gemeinsam mit uns im Umweltausschuß die Strategie
einer nachhaltigen Entwicklung beschlossen. Denn auch
Sie haben erkannt: Der eigentliche Punkt ist, daß es
nichts nützt, Einzelmaßnahmen in diesem oder in jenem
Feld vorzunehmen. Vielmehr kommt es darauf an, diese
Dinge miteinander zu verknüpfen, daraus also ein Gesamtkonzept zu erstellen, und zwar mit Zielvorgaben,
mit der Überlegung, welche Methode am schnellsten zu
einem Erfolg führt, und mit Konzepten in anderen Bereichen.
Jetzt geht es um den Umweltetat. Aber ich sage Ihnen
ganz offen: Für mich bzw. für uns stellt der Wechsel im
Infrastrukturministerium die Herausforderung dar, daß
mit der Person des neuen Ministers das Infrastrukturministerium ein Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsministerium wird. Die Bundesverkehrswegeplanung muß zu
einer Nachhaltigkeitskonzeption werden.
({2})
- Herr Kollege Paziorek, ich habe Sie leider nicht verstanden. Sie können aber gerne eine Zwischenfrage
stellen.
({3})
- Jetzt dürfen auch Sie.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist leider vorbei. Das hätten Sie sich eher
überlegen müssen.
Das tut mir leid.
({0})
Herr Kollege Hermann, das, was Sie vorhin eigentlich nicht sagen wollten, habe ich besser nicht gehört; denn sonst müßte ich
Sie jetzt rügen.
Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Peter Paziorek
von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!
Die Unzufriedenheit über die Umweltpolitik der
Regierung ist unübersehbar.
({0})
Mit dieser Aussage beginnt ein Thesenpapier von Umweltpolitikern der Bündnisgrünen zur Krise der Umweltpolitik unter der rotgrünen Bundesregierung. Sie
steht - das kann man unschwer feststellen - in scharfem
Gegensatz zu der geschönten Bilanz, die der Bundesumweltminister in seiner Einbringungsrede gerade vorgetragen hat. Herr Minister: Da, wo bündnisgrüne ParlamentaWinfried Hermann
rier recht haben, da haben sie recht. Diese Aussage aus
dem Papier von Herrn Loske stimmt voll und ganz.
({1})
Weiter heißt es in diesem Papier - ich möchte, mit
Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, daraus zitieren -:
Es mangelt nicht an der Formulierung von Zielen im Gegenteil kann die Umweltpolitik bei den meisten Anliegen auf starke Unterstützung in der Bevölkerung und auch bei den Medien rechnen. Was
offenkundig mißlingt, ist die öffentliche Gestaltung
einer Politik, die diese Unterstützung für ihre Reformen auch tatsächlich mobilisiert.
Man kann das auch anders formulieren: Tatsache ist, daß
eine Umweltpolitik der Bundesregierung in weiten Bereichen überhaupt nicht stattfindet - und da, wo sie stattfindet, stößt sie auf breite Ablehnung in der Bevölkerung. Das ist nicht die Folge einer mangelhaften Darstellung in den Medien. Die rotgrüne Bundesregierung
stößt mit ihrer Umweltpolitik auf Ablehnung, weil die
ausführliche Darstellung ihrer Politik von der Öffentlichkeit verstanden wird und weil deutlich wird, daß in
dieser Politik völlig falsche Akzente gesetzt werden.
({2})
Als ich die Rede von Herrn Hermann hörte, mußte
ich feststellen, daß er die Argumente vorgetragen hat,
die wir über acht Jahre hinweg gegen die Kollegen vorgetragen haben, Herr Hermann, die vorher Oppositionspolitik betrieben haben. Es ist erstaunlich, daß Sie auf
einmal unsere Argumente aus der Regierungszeit übernommen haben.
({3})
Rotgrün hat immer versucht, mit Umweltpolitik Oppositionspolitik zu betreiben. Ich kann mich noch gut daran
erinnern, wie stark der rhetorische Aufwand bei Attakken gegen Bundesumweltminister Töpfer und gegen
Bundesumweltministerin Merkel war.
Sie haben sich bei Ihrer Koalitionsabsprache ehrgeizige Ziele gesetzt. Das Entscheidende aber ist doch: Wie
sieht die Bilanz aus? Nach gut einem Jahr rotgrüner
Umweltpolitik fällt diese Bilanz erschreckend schwach
aus.
({4})
Von den vollmundigen Absichtserklärungen Ihrer Umweltpolitik ist in der täglichen Arbeit nichts, aber wirklich gar nichts übriggeblieben. Man wäre ja schon froh,
wenn Sie, Herr Trittin, zumindest ein Ankündigungsminister wären; dann könnte man in diesem Hause wenigstens über Konzeptionen streiten. Aber auch auf diesem
Gebiet leisten Sie nichts, rein gar nichts.
({5})
Die Regierung Schröder zehrt auch im täglichen
Vollzug der Umweltpolitik von den Ergebnissen der erfolgreichen und fortschrittlichen Umweltpolitik ihrer
Vorgängerregierung.
({6})
Die Organisation Greenpeace hatte recht, als sie im Mai
dieses Jahres folgendes vernichtende Urteil über die
Umweltpolitik der Bundesregierung mit der knappen
Formulierung gefällt hat: Die rotgrüne Bilanz in der
Umweltpolitik ist ein einziges Debakel.
({7})
Die Politik des Bundesumweltministers beschränkt
sich auf den ideologiegeprägten Wunsch, möglichst
schnell möglichst viele Kernkraftwerke abzuschalten.
Darüber hinaus ist er auch noch bereit, für eine Steuererhöhungspolitik einzutreten, die fälschlicherweise mit
dem Siegel der Ökosteuer belegt ist. Für die übrigen
90 Prozent der Themen der deutschen Umweltpolitik
scheint sich dieser Minister dagegen überhaupt nicht zu
interessieren.
({8})
Umweltpolitik fand in den vergangenen Monaten mit
Ausnahme der beiden Themenbereiche überhaupt nicht
statt. Das ist der wirkliche Befund zur augenblicklichen
Umweltpolitik dieser Bundesregierung.
Klimaschutzpolitik - bislang international respektierter und anerkannter Vorzeigepunkt deutscher Politik
- ist vollständig ins Abseits geraten,
({9})
so auch deutsche Initiativen, Frau Ganseforth, die Sie
früher bekämpft haben. Ich hätte mir Ihren Einsatz in
den vergangenen Wochen viel stärker vorgestellt, nämlich als deutlich wurde, daß im Bereich der Klimaschutzpolitik von Schubkraft und Durchbruch überhaupt
nicht mehr die Rede sein kann.
Ich kann mir noch vorstellen, wie es dem Minister
gegangen ist, als er in Buenos Aires zunächst die mageren Ergebnisse zu einem großen Erfolg hochjubeln
wollte. Als aber dann all die kritischen Experten, die
vorher die Bundesregierung kritisiert hatten, mit einem
„Expertenspott“ über die Äußerungen des Ministers hergefallen sind, hat er sich ganz schnell bequemt - das war
das einzig Kreative -, die schlechten Ergebnisse von
Buenos Aires nicht mehr hochzureden.
Konsequenzen für die Umweltpolitik auf internationaler Ebene sind aber daraus von Bundesumweltminister
Trittin überhaupt nicht gezogen worden. Von einer
Weiterentwicklung nach innen in der Klimaschutzpolitik
ist doch gar nichts zu spüren. Meine Damen und Herren,
es gibt zur Zeit keine neuen Initiativen über die von
Töpfer und Merkel eingeleiteten Reduktionsmaßnahmen
hinaus. Man muß sogar sagen, daß die bereits eingeleiteten Maßnahmen nur zögerlich und unlustig fortgeführt
werden, wie zum Beispiel die Energieeinsparverordnung. Sie haben immer erklärt: Die kommt sofort, wenn
wir drankommen.
({10})
Wir warten darauf. Es wird angekündigt, und man stellt
fest: Nichts von den ganzen großen Versprechungen, die
Sie gemacht haben, wird eingehalten.
({11})
Das ist das große Problem. Sie haben nämlich in der
Umweltpolitik eine Glaubwürdigkeitslücke. Noch vor
einem Jahr wurden die Klimaschutzziele der Regierung
Kohl als mangelhaft, der globalen Katastrophe nicht angemessen,
({12})
der Rolle des industriestarken Deutschlands nicht gerecht werdend angegriffen. Unter Führung des grünen
Umweltministers Trittin ist aber nirgendwo zu erkennen,
auf welchem Gebiet und zu welchen Punkten neue
Schwerpunkte in der internationalen Umweltpolitik gesetzt werden.
Und was noch viel schlimmer ist: Von all dem, was
unter den Vorgängerregierungen auf den Weg gebracht
worden ist, wird heute nichts mehr realisiert. Das allseits
anerkannte internationale Profil der deutschen Umweltpolitik ist schon nach wenigen Monaten rotgrüner Politik bis zur Unkenntlichkeit verblaßt. Das ist das traurige
Ergebnis der Umweltpolitik dieser Bundesregierung.
({13})
Naturschutzpolitik - verschoben auf eine nicht näher festgelegte Zukunft. Zur Umsetzung europäischer
Richtlinien können Sie noch so viel erzählen, Herr Hermann, aber mein Befund ist richtig: Bei der IVURichtlinie und der UVP-Richtlinie gibt es keinen Schritt
über die Vorarbeiten der Vorgängerregierung hinaus.
({14})
Das ist das Entscheidende. Zeit wird verspielt, Ideen
werden nicht entwickelt, Lösungen nicht gefunden. Und
die Zeit verrinnt.
Das Umweltministerium hat eine Querschnitts- und
Programmfunktion wahrzunehmen. Leider werden Sie,
Herr Minister, dieser Aufgabenstellung überhaupt nicht
gerecht. Das alles ist traurig, aber durchaus nachvollziehbar; denn diese Regierung hat sich in ihrer Umweltpolitik so auf das Thema Kernenergieausstieg festgelegt,
daß für eine sachliche Arbeit auf den übrigen Feldern
der Umweltpolitik keine Zeit verbleibt.
Natürlich versucht die Regierung, über diese Fehlentwicklungen öffentlichkeitswirksam hinwegzukommen. Aber das wird ihr auf Dauer nicht gelingen. Da
gibt es ein sogenanntes Strategiepapier zur Sommersmog-Verordnung. Wer sich mit diesem Thema befaßt,
kann feststellen, daß es sich dabei nur um das Aufwärmen alter, untauglicher Kamellen handelt - vom überzogenen Tempolimit bis zum undifferenzierten Fahrverbot.
({15})
Von Wissenschaftlern ist das schon mehrfach widerlegt worden. Dennoch kann man immer wieder feststellen: Sie wollen auf diese Argumente der Wissenschaft
nicht eingehen. Wissenschaftliche Anregungen werden
nicht mehr ernst genommen, nur um die eigene Parteibasis mit rotgrünen Schlagworten zufriedenzustellen. Anerkannte Wissenschaftler wie zum Beispiel Professor
Birkhofer in der Atompolitik werden aus der Reaktorsicherheitskommission abberufen, nur weil dieser Umweltminister unabhängigen wissenschaftlichen Sachverstand nicht ertragen kann.
({16})
- Ich weiß, das tut weh, aber was Sie als Witz bezeichnen, ist ganz einfach die Tatsache, daß Sie ein großes
Problem im Umgang mit unabhängigen Wissenschaftlern haben. Es ist traurig, daß Sie das als eine witzige
Angelegenheit ansehen, Herr Kubatschka.
({17})
Das Fazit, das sich auch jetzt wieder bei den Haushaltsplanberatungen deutlich zeigen wird, ist ein enormer umweltpolitischer Glaubwürdigkeitsverlust dieser
Bundesregierung.
({18})
Das führt zu Politikverdruß, zu Politikablehnung und
bringt uns in der Umweltpolitik kein Stückchen weiter.
Frau Ganseforth, wir werden die Haushaltsplanberatungen nutzen, darzulegen, wie Sie Akzente falsch gesetzt haben, aber Sie müssen verstehen, daß es gerade
für uns und für mich heute abend sehr erfreulich ist,
einmal darlegen zu können, wie Sie vollmundig gestartet
sind und wie Sie umweltpolitisch nur Seifenblasen produziert haben. Es ist natürlich auch der tiefere Sinn von
Haushaltsberatungen, deutlich zu machen: Der Mund ist
voll genommen worden, aber die Ergebnisse sind äußerst mangelhaft.
Der Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2000 setzt den
falschen Weg der letzen Monate fort. Neue Schwerpunkte in der Umweltpolitik sind nicht zu erkennen.
Auch mit diesem Haushaltsplanentwurf wird die
Glaubwürdigkeitslücke von Rot und Grün in der Umweltpolitik nicht geschlossen werden können.
({19})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Loske,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte zu vier Punkten des letzten Beitrags ein paar
Gedanken äußern.
Erstens zum Thema Klimaschutzpolitik. Herr Kollege Paziorek, Sie haben moniert, daß in diesem Bereich
nicht genug geschieht. Ich möchte zunächst einmal um
der historischen Wahrheit willen die Tatsachen klarstellen. Die Tatsachen sehen nämlich so aus, daß Sie in Sachen Klimaschutzpolitik nichts auf den Weg gebracht
haben und daß all das, was in Sachen CO2-Reduktion erreicht worden ist, darauf zurückzuführen ist, daß in den
neuen Bundesländern die Industrie kollabiert ist. Sie
wollen das doch nicht ernsthaft als Erfolg Ihrer Klimaschutzpolitik darstellen. Das kann doch nicht Ihr Ernst
sein; da ist nur sehr wenig geschehen.
({0})
In den neuen Bundesländern sind die CO2-Emmissionen
derzeit sogar angestiegen, in den alten Bundesländern
sind sie aus dem genannten Grund gesunken. Bleiben
Sie also bitte bei der Wahrheit, und idealisieren Sie nicht
die goldenen Zeiten der Klimaschutzpolitik unter Töpfer
und Merkel! So war es nicht.
Zweitens. Die Dinge, die wir gemacht haben - beispielsweise die ökologische Steuerreform, der das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut ausdrücklich
attestiert, daß sie einen klimapolitischen Lenkungseffekt
hat, das 100 000-Dächer-Programm, das Förderprogramm für erneuerbare Energien, die Energiesparverordnung, die jetzt natürlich kommen wird, die gesamte
Energierechtsnovelle oder die Einspeisungsverordnung
-, laufen unter der Überschrift Klimaschutzpolitik, und
sie werden ihre Folgen zeitigen.
({1})
Drittens. Sie können andere Prioritäten haben - das
ist völlig klar -, Sie können aber nicht sagen, es würde
eine ausschließliche Konzentration auch auf die Themen
Atomausstieg und ökologische Steuerreform stattfinden.
Es findet sehr wohl eine Konzentration auf andere Themen statt. Der Minister hat ganz klar beschrieben, daß
die nationale Nachhaltigkeitsstrategie ein solcher
Schwerpunkt ist. Wir haben einen Antrag zustande gebracht, der sich durchaus vorzeigen läßt.
Das, was Sie in der letzten Legislaturperiode gemacht
haben, war, daß Sie sich zu unverbindlichen Plauderrunden zusammengefunden haben, an deren Ende überhaupt
nichts herausgekommen ist. Das wollen wir ändern.
({2})
Viertens zur Besetzung der Kommission. Es ist so:
Jeder hat seine Prioritäten; das ist normal. Tun Sie aber
bitte nicht so, als wären alle Wissenschaftler, die Sie
vorschlagen, völlig interessenfrei und dienten nur der
ehernen Wahrheit, während alle, die wir vorschlagen,
interessengeleitete Leute sind. So ist es doch nicht. Die
Wahrheit ist: In der Reaktorsicherheitskommission
haben nur Atombefürworter und keine Skeptiker gesessen. Das haben wir jetzt einigermaßen ins Lot gebracht.
Das ist nur gut so.
Danke schön.
({3})
Herr Kollege Paziorek zur Erwiderung.
({0})
Zu zwei Punkten
möchte ich Ihnen antworten, und zwar erstens zu den
Ausführungen zur Klimaschutzpolitik und zweitens zu
der Frage der Lenkungswirkung der ökologischen Steuerreform.
Herr Loske, Sie selbst haben vor Ihrer parlamentarischen Tätigkeit wissenschaftlich zu dieser Frage gearbeitet. Ich weiß überhaupt nicht, wie Sie sich zu der
Aussage versteigen konnten, der Rückgang der CO2Emmissionen in Deutschland - es kann strittig sein, ob
das seit 1990 14 Prozent, 15 Prozent oder 16 Prozent
sind - sei nur auf den Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaft zurückzuführen.
({0})
- Im wesentlichen. Das ist hochinteressant.
Darüber hinaus wissen Sie, Herr Loske, ganz genau:
Diese Erfolge sind nur möglich gewesen, weil wir es in
Deutschland - auch in den alten Bundesländern - seit
1987 im industriellen Bereich in der Tat geschafft haben, eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und
Energieeinsatz vorzunehmen.
({1})
Ohne diese Entkopplung hätten wir diese Bilanz nicht
gehabt.
Sie können die Aussagen von Prognos - vielleicht
haben Sie nicht daran gedacht, weil das zu Ihrer früheren Beschäftigung ein Konkurrenzinstitut ist - oder anderen Instituten heranziehen. Sie besagen: Ein Rückgang
ist vorhanden. Es ist nur strittig, welche Maßnahmen
notwendig sind, um, ausgehend von dem Mittelwert von
15 Prozent Reduktion seit 1990, jetzt noch die letzten
10 Prozent zu erreichen, damit wir im Jahr 2005 bei
25 Prozent landen.
({2})
- Frau Ganseforth, es wird doch spannend, ob Sie jetzt
noch mit dem Zeitrahmen hinkommen. Es soll ein Energiedialog angestrebt werden, ohne daß wir genau wissen, was diese rotgrüne Bundesregierung vorhat. Eventuell soll jetzt in Fragen des Klimaschutzes ein solcher
Dialog beginnen; Frau Mehl hat dies heute abend gesagt.
Wir haben das Jahr 1999 und nur noch sechs Jahre Zeit.
Ich bin gespannt, wann diese Regierung eigene Vorschläge auf den Tisch legt, damit wir im Parlament sauber darüber beraten können.
Zweitens zum Lenkungseffekt der ökologischen
Steuerreform. Es ist nicht so, daß alle wissenschaftlichen Institute, Herr Loske, der ökologischen Steuerreform unter umweltpolitischen Gesichtspunkten so zugeDr. Reinhard Loske
stimmt haben, wie Sie es hier gerade geschildert haben.
Eines ist schon erstaunlich: Bei den Haushaltsplanberatungen, auch bei den Beratungen der mittelfristigen
Finanzplanung, erlebt man, daß das Aufkommen aus der
ökologischen Steuerreform ansteigend veranschlagt ist.
Wenn es sich wirklich um eine ökologische Steuerreform handeln soll, muß diese Steuer doch so angelegt
sein, daß das Verhalten der Menschen geändert wird.
Mit anderen Worten: Das Verhalten der Menschen soll
sich ändern, dadurch soll die Bemessungsgrundlage geringer werden, und dadurch muß dann, wenn es eine
ökologische Steuerreform ist, schon mittelfristig das
Aufkommen der Steuer geringer werden.
({3})
Das riesige Problem ist, daß Sie es eigentlich anders
angelegt haben. Denn sonst bekommen Sie langfristig
Ihre Sicherungssysteme nicht unter Kontrolle.
({4})
Aus dem Grunde ist es ein Abkassiermodell und keine
ökologische Steuerreform.
({5})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Michael Müller, SPDFraktion.
({0})
Herr Paziorek,
Ihre Aussage „nicht einmal ein Ankündigungsminister“
kann man eigentlich nur so werten, daß Sie meinen, die
Vorgänger, Frau Merkel und Herr Töpfer, seien Ankündigungsminister gewesen.
({0})
Das ist ein schönes Eingeständnis. Das haben wir immer
gewußt. Wir danken für die Bestätigung.
Meine Damen und Herren, es ist klar, daß man auf
Sie so reagieren muß. Sie haben bei Ihren Vorwürfen
Gott sei Dank immer ein wenig gelächelt. Deshalb finde
ich das immer noch recht sympathisch. Daran merkt
man, daß Sie es besser wissen. Lassen Sie mich deshalb
zur Sache mehr sagen als zu dieser Form des Vortrages;
ich glaube, daß uns das nicht viel weiterhilft.
({1})
Ich möchte auf zwei Punkte tiefer eingehen: zum einen auf den Ausstieg aus der Atomkraft und zum anderen darauf, daß ich uns allen wünsche, daß wir mehr
Mut in der Ökologie zeigen.
Ich fange mit dem Atomausstieg an. Ich muß entschieden zurückweisen, daß die Forderung nach dem
Ausstieg aus der Atomkraft Willkür sei. Es gibt zwei
überragende Gründe dafür, die wir immer genannt haben. Das ist einmal die Sicherheitsproblematik. Man
kann ein Atomkraftwerk nicht mit einer anderen, zeitlich
und räumlich begrenzten Technologie vergleichen. Die
Atomkraft hat eine andere Dimension. Deshalb ergibt
sich schon daraus eine legitimatorische Position für den
Ausstieg. Das ist zum anderen die ungeklärte Entsorgung, daß wir sozusagen unzählige Generationen mit einer Hinterlassenschaft belasten, die wir immer weniger
verantworten können. Bei der alttestamentarischen Frist
ging es um vier Generationen. Beim Atommüll jedoch
reden wir über tausend Generationen. Das ist eine ganz
andere Dimension. Auch das berechtigt zur Kritik an
dieser Technologie.
Frau Homburger, Sie haben von einer Verstopfungsstrategie geredet. Dazu muß ich Ihnen sagen: Den
Transportstopp für Atommüll hat Frau Merkel erlassen.
Daran möchte ich Sie erinnern. Sie hat damals, im Mai
1998, gesagt, der bleibe so lange bestehen, bis alle zehn
Punkte eines Aktionsprogramms der Bundesregierung
abgearbeitet seien. Man ist im Augenblick dabei, dies zu
tun, und zwar mit den Betreibern. Was reden Sie denn
eigentlich?
({2})
Auch wir machen das, obwohl wir Weitergehendes
wollen als das, was Sie wollten.
Aber lassen Sie mich den sehr viel wichtigeren Grund
nennen: Ich glaube, daß wir im Augenblick in der Energiepolitik an einer Weichenstellung angekommen sind:
Wollen wir in erster Linie zurück zur Strategie der großen Stromverkäufer im europäischen Verbund, oder sagen wir: Gerade weil die Situation so ist, müssen wir einen Strukturwandel in der Energiepolitik einleiten, der
sehr viel stärker auf Energiedienstleistung, auf neue
Märkte etc. ausgerichtet ist? Das ist die Scheidelinie, an
der wir derzeit stehen.
Meine These ist, auch mit Blick auf die Klimaproblematik: Sie werden die Klimaproblematik mit einer
Verlängerung der sich im Augenblick zeigenden Tendenzen auf den Energiemärkten, zu einer im wesentlichen auf den Stromverkauf ausgerichteten europäischen
Verbundwirtschaft zu kommen, nicht lösen. Sie werden
auch nicht den entsprechenden Schub kriegen, um beispielsweise Klimaschutztechnologien, Energietechnologien oder solare Technologien in den Markt zu bringen.
Dies ist eine Schlüsselfrage, bei der die Politik den
Rahmen setzen muß. Diese Rahmensetzung hat viel mit
der Veränderung der heutigen Strukturen zu tun. Auch
deshalb reden wir über die Atomkraft.
({3})
Die Atomkraft ist nämlich unter energetischen Gesichtspunkten ineffizient. Vor allem ist sie wegen der
Großstruktur der entsprechenden Unternehmen in der
Bundesrepublik letztlich nur wirtschaftlich, wenn viel
Strom verkauft wird. Das ist einer der entscheidenden
Gründe, warum wir sagen, daß sich die Struktur der
Energieunternehmen von einer zentralisierten Struktur
hin zu einer eher dezentralen Flexibilität ändern muß.
Das leistet die Atomindustrie aber nicht. Insofern ist der
Ausstieg aus der Atomkraft eine industrie-, beschäftigungs- und umweltpolitische Entscheidung.
Wenn der Staat im Interesse der Zukunftsfähigkeit
und des Allgemeinwohls die Weichen in diese Richtung
stellen will, dann ist es nicht Willkür, sondern es ist sein
Recht und seine Pflicht, so zu handeln. Es ist also eine
politische Entscheidung, die wir unterstützen.
({4})
Obwohl ich um die Schwierigkeiten weiß, will ich
noch kurz folgenden Einwand machen. Sie zitieren Ihren
eigenen Beschluß zum Klimaschutz immer sehr unzureichend. Denn die Zahl von 25 Prozent war auf die alten Bundesländer bezogen, Herr Paziorek. Im Beschluß
hieß es damals weiter, daß der Prozentsatz in den neuen
Bundesländern sehr viel höher liegen müsse.
({5})
- Herr Paziorek, Ihr Beschluß war 1990 in diesem Punkt
unspezifiziert - und zwar aus einem ganz einfachen
Grunde: Damals hatten wir zu wenig Daten über die
Einsparpotentiale in den neuen Bundesländern. Deshalb
wurde der Prozentsatz nicht konkretisiert. Sie haben
damals im übrigen noch hinzugefügt, daß Sie darüber
hinaus ökologische Steuerungsinstrumente, etwa eine
Restverschmutzungsabgabe, mittels einer Steuerreform
einführen wollten.
Ich will Ihnen jetzt nicht beckmesserisch vorwerfen,
daß Sie diese Vorgaben nicht erfüllt haben. Tatsächlich
ist es so, daß in den alten Bundesländern die CO2Emissionen gegenüber den Emissionen des Jahres 1990
weiter angestiegen sind. Trotzdem ist die heutige Problematik eine andere. Wir haben durch die Entwicklungen in den 90er Jahren, insbesondere durch den Strukturwandel in den neuen Bundesländern, eine erhebliche
CO2-Reduktion erreicht. Unser Vorwurf ist aber, daß
diese Reduktion im wesentlichen nicht auf Basis einer
aktiven Energiepolitik und durch eine aktive Klimaschutzpolitik, sondern daß sie letztlich nur auf Grund
des ökonomischen und politischen Trends erreicht wurde.
({6})
- Schauen Sie sich doch an, was Ihre Regierung in den
Berichten der Interministeriellen Arbeitsgruppe „CO2Reduktion“ geschrieben hat! Davon haben Sie kaum etwas umgesetzt. Das ist leider die Wirklichkeit. Jetzt
kommt es darauf an, über die Gründe nachzudenken.
Wir sagen, daß der entscheidende Punkt die Weichenstellung ist. Ich glaube, daß durch die folgenden drei
Maßnahmen die Substitution der Atomenergie möglich
ist, ohne den Ausstieg mit der Klimakatastrophe zu bezahlen:
Erster Punkt. Wir müssen eine massive Steigerung
der Energieproduktivität erreichen. Wir haben heute
ein Wachstum der Energieproduktivität von 1,7 Prozent.
Dieses Wachstum kann ohne Schwierigkeiten auf
3 Prozent gesteigert werden, wenn wir dafür den politischen Rahmen setzen.
({7})
Zweiter Punkt. Wir wollen die Kraft-WärmeKopplung schützen und ausbauen. Im Augenblick passiert leider durch die Marktentwicklung das Gegenteil.
Deshalb müssen wir in diesem Bereich schützend eingreifen.
({8})
Erreichen wir eine Verdopplung der Energieerzeugung
durch Kraft-Wärme-Kopplung - eine Verdopplung ist
ein realistisches Ziel -, erreichen wir einen zweiten wesentlichen Baustein der Energieversorgung in den nächsten 10 Jahren. Somit bekommen wir einen wesentlichen
Beitrag zum Klimaschutz.
Dritter Punkt. Wenn wir den Anteil der regenerativen Energien in den nächsten 10 Jahren verdreifachen,
dann haben wir ein Gesamtpaket, das es ermöglicht, daß
wir aus der Atomkraft aussteigen, ohne daß dieser Ausstieg zur Klimakatastrophe führt. Sie wissen ebenfalls,
daß das eine mögliche Strategie ist.
({9})
Aber auch aus einem anderen Grunde müssen wir
diese Energiepolitik betreiben. Ich sehe mit großer Sorge, daß der Energiestandort Bundesrepublik Deutschland als Erzeugungsstandort zunehmend gefährdet ist.
({10})
Diese Gefahr ist entstanden, weil Sie ein Energiegesetz
gemacht haben, das die Handlungsmöglichkeiten der
Politik nicht genutzt hat. Es hat vielmehr den gesamten
Energiemarkt einem ungleichen, aber nicht einem sinnvollen, geregelten Wettbewerb, den wir alle wollen,
ausgesetzt. Das ist das eigentliche Problem.
({11})
Man müßte manchmal Ludwig Erhard zitieren, damit
Sie begreifen, daß Marktwirtschaft eben nicht nur freie
Marktwirtschaft ist, sondern vor allen Dingen das Setzen
von Rahmenbedingungen für den Wettbewerb bedeutet.
Dies ist gerade in der Ökologie der entscheidende Punkt,
bei der wir es unter anderem mit den Lebensinteressen
künftiger Generationen zu tun haben.
({12})
Der Marktprozeß selbst kann diesen Rahmen in einer
sinnvollen Weise nicht setzen.
Wir machen uns aus Beschäftigungs- und aus Umweltschutzgründen große Sorgen. Deshalb treten wir für
eine aktive Klimaschutzpolitik ein. Sie kann nämlich einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung einer vernünftigen und zukunftsorientierten Energiepolitik leisten.
Michael Müller ({13})
Ich wollte noch eine Bemerkung machen: Ich glaube,
wir sollten Ökologie vor allem als Chance verstehen.
Ökologie wird im Augenblick sehr stark als Belastung
empfunden. Ich glaube, daß sie die wichtigste Antwort
ist auf die globalen Veränderungen. Denn ökologische
Politik im Sinne von Nachhaltigkeit bedeutet, neue
Märkte zu erschließen, bedeutet, Innovationen zu fördern, bedeutet aber vor allem, regionale Standortfaktoren zu stärken. Das ist ein ganz wichtiger Ansatz.
Sie wissen vielleicht: Aus meiner Sicht ist es das
Wichtigste, in der Globalisierung die Entgrenzung von
Zeit und Raum zu sehen. Das ist die neue Qualität der
Globalisierung.
({14})
- Es kann ja sein, daß Sie keine Bücher lesen. Aber
wenn Sie die internationale Debatte verfolgen, dann
werden Sie feststellen, daß die Ökonomisierung der Zeit
das entscheidende Kriterium der Globalisierung ist.
({15})
- Klar, Sie kennen das alles. Deswegen habe ich von Ihnen auch schon so viele Beiträge dazu gehört.
Wenn also die Entgrenzung die Haupttriebkraft der
Globalisierung ist, dann müssen wir alles tun, um
Standortfaktoren zu stärken. Die Ökologie ist ein zentraler Standortfaktor - eine Stärke, die wir haben und die
wir nutzen sollten. Ökologie ist nicht Belastung, sondern
Zukunftschance.
({16})
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen
nicht vor.
Ich rufe jetzt den Einzelplan 10 auf: Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Einbringung seines Haushalts hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Karl-Heinz Funke.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Über die finanzpolitische Situation und darüber, daß gespart werden muß,
daß es keine Alternative zum Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung gibt
({0})
- vielleicht können wir, speziell was den Einzelplan 10
anbelangt, noch einige hören -, ist heute vormittag, aber
auch im Laufe des ganzen Tages gesprochen worden.
Deutlich geworden ist, so glaube ich, auch, daß diese
Konsolidierung schmerzliche Eingriffe mit sich bringt.
Ich mache überhaupt keinen Hehl daraus, daß auch der
Haushalt des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten von den notwendigen Sparmaßnahmen schmerzlich betroffen ist.
({1})
- Ich bin ja immer gespannt darauf, ob ich Vorschläge
bekomme, wie man es anders gestalten sollte. Denn es
ist ja wohl klar, daß es nicht sein kann, daß man einen
Haushalt oder einige Haushalte vom Sparen ausnimmt.
Wenn man die Debatte verfolgt, muß man zu der Auffassung gelangen, daß Sie alle Haushalte vom Sparen
ausnehmen wollen.
({2})
Bisher habe ich überhaupt nicht vernommen, welche
Haushalte Sie denn nun zum Sparen heranziehen wollen.
Man hört nur überall, welche man verschonen sollte,
welche weniger betroffen sein sollten und daß es so
nicht gehen könne. Das ist natürlich eine Scheinalternative.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Ja, gerne.
({0})
Er hat ja nach Alternativen gefragt, Kollege Schmidt. Er wird dann immer ganz
unruhig.
Ich neige gar nicht zur Unruhe, Herr Kollege.
Das weiß ich. Dafür sind
Sie ja bekannt.
Herr Minister, wären Sie bereit, sich zum Beispiel
einmal das Schröder-Blair-Papier durchzulesen, und
könnten Sie sich vorstellen, daß sich dann, wenn man
das verwirklicht, durch Steuersenkungen Steuermehreinnahmen erzielen lassen? Damit hätten dann auch Sie
wieder Geld.
Es ist schade, daß ich nur
10 Minuten zur Verfügung habe. Sonst würde ich gerne
länger darüber reden. Unter anderem geht es ja darum,
daß man mehr Markt organisieren soll. Angesichts der
Tatsache, daß in einigen Pressemitteilungen - je nachMichael Müller ({0})
dem, für wen sie gerade geschrieben sind -, insbesondere denen aus Ihrer Fraktion, mal von mehr Markt und
dann wieder von Markt- und Preisstützung die Rede ist was dann mit Markt weniger zu tun hat -, weiß ich, wie
widersprüchlich Ihre Vorschläge sind. Ich bin dann in
der schwierigen Lage, mir zu überlegen, welches Ihrer
Konzepte man nehmen sollte. Ich bin gerne bereit, Ihnen
die Pressemitteilungen in ihrer unterschiedlichsten Form
auf den Tisch zu legen. Sie müssen sich dann schon entscheiden. Sie beklagen auf der einen Seite die Streichung von Steuervergünstigungen
({1})
- doch, auch das ist Ihren Pressemitteilungen, zumindest
teilweise, zu entnehmen -, obwohl jeder weiß, daß dies
notwendig ist, und auf der anderen Seite beklagen Sie
die Veränderung bei den Steuertarifen. Sie beklagen also
beides oder fordern beides, je nachdem, wie es Ihnen gerade paßt. Das sind keine sachlichen Beiträge, die einem
weiterhelfen. Das ist nichts anderes als politische Deklamation - je nachdem, wie sich das Publikum gerade
zusammensetzt. Damit kommen wir in der praktischen
Politik des Alltags nicht zurecht. Das muß ich Ihnen
deutlich sagen.
({2})
Es gibt also schmerzliche Eingriffe, meine Damen
und Herren. Natürlich ist es besonders schmerzlich,
wenn zum Beispiel der Sozialetat des Bundesministers
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten betroffen ist.
Angesichts der fast mitternächtlichen Stunde will ich
jetzt nicht in Einzelheiten gehen. Aber eines muß ich
schon sagen: Ich beklage, daß sich der Einzelplan 10
über viele Jahre - über Verantwortlichkeiten brauchen
wir insofern ja nicht zu streiten - dahin gehend entwikkelt hat, daß 70 Prozent des Landwirtschafthaushaltes
ausschließlich für die sozialen Sicherungssysteme in der
Landwirtschaft ausgegeben werden. Das ist ein Strukturproblem im Haushalt an sich.
Ich wundere mich - das sage ich ohne Zorn und Eifer, auch nicht anklägerisch; das sage ich, damit wir uns
richtig verstehen -, daß in den letzten fünf bis zehn Jahren nicht darüber nachgedacht worden ist, in der Organisation, in der Struktur der landwirtschaftlichen Sozialversicherungssysteme zu Änderungen zu kommen.
Dieses System ist auf Dauer so nicht finanzierbar. Das
wird ja wohl deutlich. Da sind Sie zusammen mit uns das will ich überhaupt nicht bestreiten - in der Verantwortung. Sich aber herauszuziehen und so zu tun, als
sei, wenn man von 870 Millionen DM steigend auf 1,4
Milliarden DM im Jahre 2003, spricht, die Existenz der
Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland in
Frage gestellt, ist keine redliche Diskussion - weder von
Ihnen noch, um das deutlich zu sagen, von manchen
Vertretern des Bauernverbandes.
({3})
Es wäre gut gewesen, wenn man bereits in den letzten
fünf bis zehn Jahren über Struktur- und Organisationsfragen nachgedacht hätte. Denn ein System, das fast
ausschließlich am Tropf der öffentlichen Haushalte
hängt, kann auf Dauer nicht tragfähig sein.
Ich bestreite nicht - auch das meine ich mit schmerzlichem Eingriff -, daß es auch unter dem Gesichtspunkt
der Wettbewerbsverzerrung in Europa zu sehen ist,
wenn man an die Streichung der Gasölverbilligung herangeht. Ich leugne das überhaupt nicht. Wenn man aber
nicht will, daß in diesem Bereich eingespart wird - ich
sage noch einmal, daß ich das als schmerzlich empfinde
-, muß man schon sagen, welche Alternativen man dazu
hat. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir im Zuge der Ausschußberatungen Alternativen vorgestellt bekämen. Das
sage ich in Richtung der Oppositionsfraktionen von
CDU/CSU und F.D.P., das sage ich aber auch in Richtung des Bauernverbandes.
Gar nicht über Alternativen reden zu wollen, bevor
der Landwirtschaftshaushalt nicht insgesamt von den
Sparmaßnahmen ausgenommen ist, ist angesichts der
Tatsache, daß Sie ganz genau wissen, daß man die Gesamtsparleistung nur solidarisch erbringen kann, einigermaßen verantwortungslos.
({4})
So ist die Diskussion aber in den letzten Monaten gelaufen. Es ging bis hin zum Schreiben von Briefen, die zu
zitieren ich mir heute ersparen will und die überhaupt
nicht weiterhelfen.
({5})
- Ich kann mich ja nur wundern, wenn Vokabeln wie
„Vernichtungskrieg der Bundesregierung gegen die
deutsche Landwirtschaft“ oder „ … gegen Bauern und
Bäuerinnen“ fallen. Als hätte es einen Strukturwandel
erst im letzten Jahr gegeben!
({6})
- Ja, doch! Ich habe das doch alles sorgfältig verfolgt.
Als würde es Betriebsaufgaben erst in der Zukunft, erst
auf Grund des Sparpaketes dieser Bundesregierung geben! Jeder weiß, daß es Strukturwandel in der Vergangenheit gegeben hat und auch in der Zukunft geben
wird.
({7})
- Ich kann die Zahlen ja einmal nennen. Wenn ich es
richtig im Kopf habe, hatten wir im Jahre 1980 noch
800 000 Betriebe, jetzt haben wir rund 480 000 Betriebe.
320 000 sind während dieser Zeit aufgegeben worden.
Ich sage nicht, daß dies etwa Schuld der vorherigen
Bundesregierung sei - selbstverständlich nicht. Im übrigen ist in diesen Größen die zusätzliche Zahl der Existenzgründungen in den fünf neuen Bundesländern enthalten. Dies müßte also noch statistisch bereinigt werden. Wie gesagt, ich sage nicht, daß es ausschließlich
Schuld der letzten Bundesregierung sei, daß diese Entwicklung eingetreten ist. Hier spielen selbstverständlich
viele ökonomische Gründe eine Rolle. Deshalb sollte
man auch jetzt nicht den Teufel an die Wand malen und
so tun, als sei durch die Einsparungen im Haushalt des
Bundeslandwirtschaftsministers in Höhe von 7,4 Prozent
das Ende der deutschen Landwirtschaft vorgezeichnet.
Das ist nicht der Fall.
({8})
- Nun fällt das Stichwort „abkassieren“. Es ist schon
bemerkenswert, welches Niveau manche Zwischenrufe
- ich muß das bei aller Sympathie sagen - haben.
({9})
Es wird immer wieder über den Landwirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland diskutiert. Es wird
über Wettbewerbsverzerrungen und Erwerbsbedingungen in der Landwirtschaft debattiert. Ich bin bereit, an
einer Diskussion über das Stichwort „abkassieren“ unter
Berücksichtigung der Wettbewerbsbedingungen in Europa teilzunehmen. Man muß die Frage stellen, wo angesichts der Umsetzung der Agenda Modulationen vorgenommen werden und wo „cross compliances“ erzielt
wird. Angesichts einer verbleibenden Restredezeit von
gut zwei Minuten kann ich darauf nicht im einzelnen
eingehen. Vielleicht müßte ich dem einen oder anderen
sogar erklären, welche Auswirkung die Umsetzung der
Agenda hat. Wir müssen diskutieren, welche Gesamtbelastungen die Agenda mit sich bringt, nicht nur für die
deutsche Landwirtschaft, sondern auch für die Länder,
die mit uns in Konkurrenz stehen.
Ich bin bereit - das gilt sicherlich für alle, die an den
zukünftigen Ausschußberatungen teilnehmen werden -,
über Alternativen zu reden. Wir sind bereit, darüber zu
reden, wie die Folgen der Agenda sozialer ausgestaltet
werden können, wenn es möglich ist. Wir sind auch bereit, darüber zu reden, wie die Bedingungen in der
Landwirtschaft wettbewerbsgerechter gestaltet werden
können. Aber eines muß ich auch sagen - das ist deutlich geworden -: Es kann nicht angehen, einen Haushalt
von den notwendigen Sparbemühungen auszunehmen.
Es gibt - das kann man in den Bundesbankberichten und
in Veröffentlichungen entsprechender Institutionen
nachlesen - zu all dem, was in den verschiedensten Bereichen der Politik und der Gesellschaft schmerzlich
getan wird, nur folgende Alternativen: Steuererhöhungen oder Zinserhöhungen. Was diese Alternativen angesichts der Lage des Standortes Bundesrepublik
Deutschland gerade für die deutsche Landwirtschaft bedeuten, müßte auch Ihnen - wenn man das Einmaleins
der Ökonomie beherrscht - klar sein. Deshalb gibt es
schmerzliche Eingriffe. Sie sind notwendig für die Zukunftsfähigkeit auch des deutschen Staates.
({10})
- Herr Kollege Deß, das merke ich auch, wenn ich in
Bayern bin. Ich erlebe dort ja nicht nur schöne Stunden.
({11})
- Nein, nicht weil ich zuviel versprochen habe. Das ist
nicht der Punkt. Die Bauern sind enttäuscht, weil einige
den Eindruck erweckt haben - ich nenne das als konkretes Beispiel -, als könne man auf Grund von Garantien des Staates mit 28 Kühen im Stall dauerhaft als Vollerwerbslandwirt überleben. Wer das versprochen hat,
dem muß klargemacht werden, was er den Leuten damit
angetan hat und welche Erwartungen er damit geweckt
hat.
({12})
Über Alternativen reden wir sehr gerne. Deshalb
freue ich mich auf die Ausschußberatungen. Aber es
müssen auch realistische Alternativen sein.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({13})
Das Wort hat der
Kollege Josef Hollerith, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herausragendes Merkmal und Kennzeichen der Politik der rotgrünen Bundesregierung mit
Bundeskanzler Gerhard Schröder an der Spitze ist die
Täuschung der Wählerinnen und Wähler in unserem
Land. Kennzeichen ist die Täuschung der Rentner durch
eine Rente nach Kassenlage, die Täuschung durch die
Ökosteuer,
({0})
die Täuschung der Arbeitslosen durch Abbau von
360 000 Arbeitsplätzen seit dem Regierungsantritt von
Gerhard Schröder und die Täuschung der Öffentlichkeit
durch das sogenannte Sparpaket. Es ist eine Roßtäuscherei, wenn diese Bundesregierung im Jahre 1999 den
Haushalt um 30 Milliarden DM aufbläht und Wahlgeschenke verteilt und dann bei der Verabschiedung des
Haushaltes im nächsten Jahr behauptet: Wir sind Helden, weil wir in der Lage sind, zu sparen. Dazu muß
man sagen, daß das sogenannte Sparpaket bis auf 7,5
Milliarden DM aus Luftbuchungen besteht und deshalb
eine Mogelpackung ist. Das ist Roßtäuscherei.
({1})
Herr Kollege Hollerith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Diller?
Nein, ich möchte meine Rede fortsetzen.
Herr Minister Funke, mein Vorwurf an Sie lautet, daß
Sie die Landwirte getäuscht haben. Sie sind mit dem
Versprechen angetreten, die Landwirtschaft in Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen. Genau das Gegenteil von dem, was Sie versprochen haben, tun Sie. Deswegen nenne ich Sie in aller Öffentlichkeit einen politischen Roßtäuscher.
({0})
Wie sieht die Belastung der Landwirtschaft, bezogen auf die mittelfristige Finanzplanung von Theo Waigel bis zum Jahre 2003, im einzelnen aus? Erstens. Die
Streichung der Gasölbeihilfe liegt bei 835 Millionen
DM. Bei der landwirtschaftlichen Alterssicherung betragen die Beitragszuschußkürzungen 460 Millionen DM.
115 Millionen DM werden bei der landwirtschaftlichen
Unfallversicherung gekürzt. Bei der Krankenversicherung fallen 250 Millionen DM weg. Die Agrarstrukturund Küstenschutzaufgabe muß mit 19 Millionen DM
weniger auskommen. Insgesamt liegen die Kürzungen in
diesem Haushalt, bezogen auf die mittelfristige Finanzplanung, bei 1,5 Milliarden DM.
Hinzu kommen die Streichungen beim Branntweinmonopol in Höhe von 90 Millionen DM. Eine Nettomehrbelastung von 600 Millionen DM durch die zweite
Stufe der Ökosteuerreform - eine Strompreiserhöhung
um viermal 0,5 Pfennig plus Mehrwertsteuer; viermal 6
Pfennig auf Benzin und Diesel plus Mehrwertsteuer kommt hinzu; die Gegenfinanzierung durch die Entlastung bei der Sozialversicherung ist eingerechnet. Das
ergibt zusammen in diesem Haushalt eine Mehrbelastung von 1,5 Milliarden DM.
Zweitens. Dazu kommt eine Mehrbelastung von
1 140 Millionen DM aus dem Steuerentlastungsgesetz
vom 19. März 1999.
Drittens. Hinzu kommt weiter eine Mehrbelastung
von noch einmal 300 Millionen DM aus der ersten Stufe
der ökologischen Steuerreform.
Viertens: 90 Millionen DM Mehrbelastung ergeben
sich durch Streichungen beim Branntweinmonopol.
Fünftens: Rund 1,5 Milliarden DM Nettomehrbelastung der deutschen Landwirtschaft resultieren aus den
Agenda-2000-Beschlüssen.
Das ergibt - bei einem Einkommen von 18 Milliarden DM - rund 4,5 Milliarden DM an zusätzlicher Belastung für die deutsche Landwirtschaft. Ein Viertel der
Einkommen der Landwirte wird gestrichen. Das beklagen wir, und das greifen wir neben Ihrer Täuschung der
Wählerschaft an.
({1})
Sie strafen diesen Berufsstand in einer dramatischen,
unverhältnismäßigen und unsozialen Art und Weise in
diesem Land ab. Was die Bundesregierung mit dem Berufsstand der Landwirte veranstaltet, ist gemein und unsozial.
({2})
Sie haben im zurückliegenden Wahlkampf immer von
sozialer Gerechtigkeit geredet. Wo bleibt die soziale
Gerechtigkeit, wenn Sie bei der landwirtschaftlichen
Alterskasse streichen, aber nicht den Mut haben, auch
bei der knappschaftlichen Rentenkasse zu streichen?
Was Sie hier tun, das ist sozial ungerecht, feige und
verlogen.
({3})
Herr Minister Funke, niemand hat abgestritten, daß es
in der Vergangenheit einen Strukturwandel gegeben
hätte. Aber die Ergebnisse Ihrer Politik werden den
Strukturwandel in der Landwirtschaft dramatisch beschleunigen. Was die Möglichkeiten der Landwirte angeht, Arbeitsplätze zu finden, habe ich keine Sorge. Jeder Unternehmer weiß, daß Landwirte arbeiten gelernt
haben; jeder Handwerker weiß, daß Landwirte motiviert
und zuverlässig sind. Deswegen werden die Landwirte,
die aus der Landwirtschaft ausscheiden, Arbeitsplätze
finden. Aber es wird zugleich einen Verdrängungseffekt
geben, wodurch die Probleme auf dem Arbeitsmarkt
weiter verschärft werden. Das ist auch ein Ergebnis der
Agrarpolitik dieser Bundesregierung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch dramatischer beurteile ich die Auswirkungen auf das Land,
auf unsere Dörfer und auf die Regionen. Wir werden das befürchte ich - weite Teile unserer Heimat nicht
mehr wiedererkennen, wenn sich diese Politik so fortsetzt.
({4})
Das hat in den sozialen und ökologischen Dimensionen
Auswirkungen, die noch gar nicht in Gänze abgesehen
werden können.
({5})
Wir haben nie die Notwendigkeit von Einsparungen
bezweifelt.
({6})
Deswegen hat ja Theo Waigel in seine mittelfristige Finanzplanung klar das Ziel einer Senkung der Nettokreditaufnahme und einer Senkung der Staatsquote
auf das Niveau, das wir vor der Wiedervereinigung hatten, nämlich auf 45 Prozent, aufgenommen.
({7})
- Wir haben das gemacht. Sie brauchen nur die Zahlen
des Haushalts des Jahres 1997
({8})
und die Finanzplanung von Theo Waigel mit der Finanzplanung von Hans Eichel vergleichen. Dann werden
Sie feststellen - das sind die Zahlen, die das Bundesfinanzministerium vorlegt -, daß der Haushalt um
54 Milliarden DM aufgebläht wird. Das ist keine Sparpolitik; das ist genau das Gegenteil von dem, was wir
brauchen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind
bereit, über Strukturfragen zu diskutieren. In meiner
letzten Rede im Rahmen einer Haushaltsdebatte habe ich
zur Frage der landwirtschaftlichen Unfallversicherung Gedanken vorgetragen, die ich jetzt in knapper
Form wiederhole. Natürlich macht es Sinn, die landwirtschaftliche Unfallversicherung zu reformieren. Dazu
sind wir bereit. Ich denke an ein Modell, bei dem die
alte Last, die aus dem Strukturwandel der Vergangenheit
herrührt, sauber herausgerechnet und dann vom Bund
finanziert wird und alle übrigen, die in der Landwirtschaft verbleiben, sich privat versichern.
({9})
Das hätte den Effekt, daß der Staat entlastet würde und
zugleich die Landwirte durch ein privates Versicherungsmodell erhebliche Beiträge sparen könnten.
({10})
Wir sind offen, auch darüber zu reden, wie wir die
Struktur und die Organisation der Krankenkassen und
der Rentenversicherungsträger neu gestalten. Dafür waren wir immer offen und bereit. Es ist völlig falsch, Herr
Minister Funke, wenn Sie uns vorwerfen, die Opposition
sei nicht bereit, darüber zu reden.
({11})
- Herr Minister, liebe Zwischenrufer, Tatsache ist, daß
in der Zeit, in der wir die Regierungsverantwortung gehabt haben und in der wir als Fraktionen die Regierung
Kohl/Waigel gestärkt und getragen haben, die Maßnahmen finanzieren konnten. Sie sind doch jetzt durch Ihre
verfehlte Politik, nämlich dadurch, daß Sie in diesem
Jahr für 30 Milliarden DM Wahlgeschenke verteilt haben, in die Situation gekommen, eine neue Konsolidierungsaktion machen zu müssen. Dies ist doch hausgemacht; daher müssen Sie die Suppe, die Sie sich eingebrockt haben, auch auslöffeln.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich verlange von dieser Regierung und von Ihnen Herr Minister
Funke, mehr Redlichkeit in der Diskussion.
({13})
Ich verlange ferner, daß das Sonderopfer, das Sie den
Landwirten abverlangen wollen, nicht realisiert wird.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Steffi Lemke.
Werte
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Hollerith, falls Sie noch zuhören mögen. Sie
haben eben Redlichkeit eingefordert. Ich finde, Sie sollten damit bei sich selbst anfangen.
({0})
Denn Sie haben hier einen Beitrag abgeliefert - ich werde bei der Frage der Unfallversicherung darauf zurückkommen -, der mit Haushaltskonsolidierung wirklich
nichts zu tun hat.
({1})
Der Agrarhaushalt 2000 untersteht, wie alle übrigen
Einzelhaushalte auch, dem Ziel der Haushaltskonsolidierung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat in
den vergangenen Wochen deutlich gemacht, daß sie die
vorgesehenen Sparziele für notwendig und unumgänglich hält und daß wir die Einsparsummen auch im landwirtschaftlichen Bereich erbringen müssen. Im Gegensatz zur früheren Bundesregierung, die den Agraretat zurückgeführt hat, ohne eine Haushaltskonsolidierung zu
erreichen, werden wir ein Maßnahmenpaket vorlegen,
das zwar an manchen Stellen Bitteres enthält - das
bestreiten wir nicht -, insbesondere was den Agraretat
betrifft, mit dem wir aber Handlungsspielräume zurückgewinnen werden, die die Vorgängerregierung verspielt
hat.
({2})
Sie haben heute im Laufe des Tages mehrfach auf die
30 Milliarden DM abgestellt, um die wir den Haushalt in
diesem Jahr angeblich erhöht haben. Ich möchte darauf
aufmerksam machen, daß die frühere Bundesregierung
ihren allerersten Wahlkampf im Jahre 1983 vor allem
mit dem Argument bestritten hat, sie werde alles tun, um
die unvertretbar hohe Staatsverschuldung von 350 Milliarden DM zu beseitigen.
({3})
350 Milliarden DM sind eine Last, über die man heute
ganz anders diskutieren würde als über die 1,5 Billionen DM, mit denen wir uns momentan herumzuschlagen
haben.
({4})
Ich möchte noch einmal Bezug auf die Agenda 2000
nehmen. Ich möchte vor der Debatte warnen, die der
Kollege Hollerith heute mit seinen polemischen Äußerungen begonnen hat. Sie wissen genau, wie wir nach
dem Regierungswechsel hier in die Agenda-2000-Debatte
eingestiegen sind. Es gab damals im Berufsstand und
auch in der Opposition eine große Aufregung. Damals ist
von Ihnen der Untergang des Bauernstandes beschworen
worden. Jetzt fangen Sie an, das zu wiederholen.
({5})
Ich nehme die Sorgen und die Ängste der Bauern
ernst.
({6})
Wir geben zu, daß es im Agrarhaushalt schmerzliche
Einschnitte gibt. Aber Sie sollten sich, gemeinsam mit
dem Deutschen Bauernverband, fragen, wie oft Sie dieses Spiel von dem Beschwören des Untergangs
({7})
und dem letztlichen Akzeptieren des Verhandlungsergebnisses, das bei der Agenda 2000 erzielt werden
konnte - das räumt der Bauernverband inzwischen offen
ein - wiederholen können.
In der landwirtschaftlichen Sozialpolitik führt kein
Weg an Einschnitten vorbei. Wenn Sie sich den Haushalt anschauen, stellen Sie fest, daß inzwischen mehr als
zwei Drittel der Agrarausgaben in die Sozialpolitik fließen.
({8})
Wenn man in der Debatte seriös argumentieren will und
das Einsparziel der Bundesregierung auch für den
Agrarhaushalt akzeptiert - ich denke, anders kann man
eine Konsolidierungsdebatte hier nicht führen -,
({9})
wird man auch an dem Bereich der Sozialpolitik nicht
vorbeikommen.
Die Ausgangslage stellt sich so dar, daß die Mittel für
investive Maßnahmen und Strukturentwicklung im
ländlichen Raum unter der Vorgängerregierung stärker
zurückgenommen worden und für die Sozialpolitik immer höhere Ausgaben notwendig geworden sind. Ich
werfe das nicht den Bauern vor; das ist nicht richtig. Ich
werfe Ihnen vor, daß Sie nicht versucht haben, rechtzeitig auf diese Entwicklung einzuwirken, daß die seit langem als unumgänglich erkannte Strukturreform bei den
landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträgern von Ihnen verschleppt worden ist.
Wir packen das jetzt an und tun das gemeinsam mit
den beteiligten Verbänden und Gewerkschaften, die diese Initiative unterstützen. Denn alle Betroffenen, außer
Ihnen offensichtlich, haben erkannt, daß es zu diesem
Konsolidierungskurs keine Alternative gibt.
({10})
Zur Unfallversicherung. Der Haushaltsentwurf sieht
für die Unfallversicherung eine maßvolle Verringerung
des Bundeszuschusses vor. Der Bundeszuschuß ist eine
freiwillige Leistung des Bundes, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Unser Ziel ist es aber, den Bundeszuschuß auf einem Niveau von 500 Millionen DM zu verstetigen.
({11})
Das ist das Ziel, mit dem wir in die Haushaltsberatung
gegangen sind. Wenn Sie als Opposition jetzt, nachdem
Sie bei der letzten Haushaltsberatung eine Aufstockung
der Unfallversicherung um 300 Millionen DM gefordert
haben - das spielt jetzt offensichtlich keine Rolle mehr,
eine Privatisierung der Unfallversicherung als Konsolidierungsbeitrag fordern, Herr Hollerith, möchte ich Sie
fragen, ob Sie durchgerechnet haben, welche Last das
für den Bund bedeutet.
({12})
Wenn die alte Last in den Bundeshaushalt übernommen
wird, haben Sie letztendlich eine Ausgabensteigerung.
Wo da der Konsolidierungsbeitrag liegen soll, hat sich
mir bisher nicht erschlossen.
Wir halten eine eigenständige agrarsoziale Versicherung für absolut notwendig, zum einen, weil die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und die Landwirte Planungssicherheit in diesem Bereich brauchen,
({13})
und zum anderen, weil wir die Lasten für den Bundeshaushalt in diesem Bereich nicht nach oben treiben
wollen.
({14})
Wir werden auch im Bereich der landwirtschaftlichen
Alterskassen nicht um Einschnitte herumkommen. Wir
sind auch hier - diesen vermutlich nutzlosen Appell
richte ich an die Opposition, vor allen Dingen aber an
die Versicherungsträger - zum Gespräch bereit.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jochen Borchert?
Ja,
natürlich. Bitte sehr.
Frau Kollegin, Sie
haben gesagt, Sie hielten eine eigenständige agrarsoziale
Versicherung für notwendig. Eine eigenständige sektorale Sicherung der Landwirtschaft hat nicht nur den
ungleichmäßigen Altersaufbau, mit dem die Rentenversicherungen insgesamt zu kämpfen haben, sondern auch
den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu verkraften.
Können Sie mir verraten, wie Sie, wenn Sie sich für eine
eigenständige agrarsoziale Versicherung aussprechen,
die Last des Strukturwandels finanzieren wollen? Wenn
Sie gleichzeitig kürzen, müssen Sie die Lasten des
Strukturwandels allein den Landwirten zumuten. Die
Entscheidung für eine sektorale Versicherung hat aber
der Bundestag getroffen. Wenn Sie hier kürzen, distanzieren Sie sich von dieser Entscheidung und muten den
Bauern diese Belastung zu.
({0})
Nein,
das tun wir nicht. Sie müssen schlicht und einfach zwischen einer Kürzung, die im Rahmen der sektoralen
Versicherung noch vertretbar ist, und einer Abschaffung
der sektoralen Versicherung bzw. Privatisierung, wie Sie
sie eben in der Haushaltsdebatte gefordert haben, unterscheiden.
Außerdem habe ich Sie darauf aufmerksam gemacht ({0})
- lassen Sie mich doch wenigstens einmal auf die Zwischenfrage antworten, und reden Sie nicht ständig dazwischen; der Kollege möchte die Antwort vielleicht hören -,
({1})
daß die Last für den Bund beim Übertragen der alten
Last schlicht und einfach höher wird und dadurch kein
Konsolidierungsbeitrag erreicht wird. Unser Ziel ist es,
eine Verstetigung auf einem Niveau, das eine sektorale
Versicherung noch ermöglicht, zu gewährleisten, aber
gleichzeitig Einsparungen vorzunehmen und die in diesem Bereich notwendige Strukturreform, die unter anderem vom Bundesrechnungshof angemahnt worden ist,
voranzutreiben. Sie haben das verschlafen. Wir wollen
dieses jetzt nach Möglichkeit im Konsens mit den Versicherungsträgern vorantreiben.
({2})
Bei der Alterssicherung der Landwirte wird sich in
Zukunft auf Grund des fortschreitenden Strukturwandels
die Schere zwischen Beitragszahlern und Zuwendungsempfängern weiter öffnen. Der Bund sieht sich hier in
der Pflicht, Einschnitte vorzunehmen, damit das System
finanzierbar bleibt. Wir streben auch hier in erster Linie
eine Konsolidierung an, das heißt, daß keine überproportionalen Einschnitte vorgenommen werden und vor
allem die unterste Einkommensschicht geschützt wird.
({3})
Wir haben deshalb im Haushalt 2000 eine schrittweise
Anpassung vorgesehen, die auf der maßvollen Anhebung des Einheitsbetrages durch schrittweise Verringerung des Abschlages bei der Beitragsberechnung beruht.
Liebe Kollegen, es ist wirklich schwierig für die Rednerin, wenn Sie
bei jedem Satz dazwischenrufen, mit ihrer Rede fortzufahren, zumal es auch schon so spät ist.
Die
Kollegen kommen heute alle selber nicht dazu, zu reden;
deshalb ist das Mitteilungsbedürfnis so groß.
Des weiteren werden die Beitragszuschüsse verringert und die Einkommensgrenzen herabgesetzt. Im unteren Sektor wird es jedoch nach wie vor Zuschüsse geben, allerdings nicht in voller Höhe, wie es bisher der
Fall gewesen ist. Wenn wir aber das Ziel der Haushaltssanierung mittragen wollen, kommen wir um diese
Maßnahme nicht herum.
Die Gasölbeihilfe, Sie haben es angesprochen; das ist
richtig - ist bei den Landwirten direkt einkommenswirksam. Wenn Sie aber den Haushalt konsolidieren wollen
und nicht einen Bereich überproportional belasten wollen, werden Sie auch beim Agrarhaushalt in alle Bereiche eingreifen müssen.
({0})
Die Verringerung der Gasölbeihilfe ist, wenn man die
Kritik des Bauernverbandes als Maßstab nimmt, ja offensichtlich das größte Problem im Sparhaushalt. Ich
will auch nicht in Abrede stellen, daß es dadurch zu
Wettbewerbsverzerrungen auf europäischer Ebene
kommen kann.
({1})
Dies müssen wir durch zweierlei Maßnahmen vermeiden:
Erstens werden wir die Harmonisierungsbemühungen
auf EU-Ebene verstärken.
Zweitens werden wir den Landwirten Alternativen
mit innovativem Charakter anbieten, die inzwischen
selbst vom Bauernverband eingefordert werden.
Wir werden die Verwendung von Pflanzenölen, insbesondere von Bio-Diesel, in landwirtschaftlichen Fahrzeugen fördern, indem wir diese durch die Fortführung
der Flächenstillegung im Rahmen der Agenda und die
Befreiung von der Mineralölsteuer bereits heute wettbewerbsfähig machen. Außerdem ist es unser Ziel, Investitionshemmnisse bei der Umrüstung älterer Maschinen
auf Pflanzenöl zu beseitigen und eine Verbesserung der
Infrastruktur für biogene Treibstoffe zu erreichen. Wir
wollen deshalb die Markteinführung zeitlich begrenzt
unterstützen. Wer den Landwirten neue Märkte eröffnen
will, sollte massiv in diesen Bereich hineingehen. Er
stellt eine echte Alternative gerade auch vor dem Hintergrund der Diskussion um die Gasölbeihilfe dar.
({2})
Zur Gemeinschaftsaufgabe. Sie ist meiner Ansicht
nach das zentrale Instrument einer Agrarpolitik auf naJochen Borchert
tionaler Ebene, die überhaupt noch gestalten will. Dennoch hat die frühere Bundesregierung hier überproportional gekürzt. Der Bundesanteil wurde seit 1994 um ein
Drittel verringert. Unser Ziel ist es, die Gemeinschaftsaufgabe auf dem derzeitigen Niveau von 1,7 Milliarden
DM zu verstetigen, sie mit neuen Aufgaben zukunftsfähig zu machen und den Landwirten neue Möglichkeiten
zu eröffnen.
({3})
Deshalb wollen wir bei der Beratung über die zukünftigen Aufgaben in der Gemeinschaftsaufgabe die
neue Schwerpunktsetzung vorantreiben. Regionale Verarbeitung, Vermarktung und umweltgerechte Landwirtschaft sind Möglichkeiten, um den Landwirten neue
Märkte zu eröffnen. Wir wollen in diesen Bereichen die
Förderziele der Gemeinschaftsaufgabe erweitern, um
den Landwirten im Interesse der Verbraucher weitere
Möglichkeiten zu eröffnen.
Zusammenfassend möchte ich Ihnen noch einmal mit
auf den Weg geben, daß Sie versuchen sollten, diese
Debatte ehrlich zu führen, sich in die Beratung mit einzubringen. Wir sind durchaus bereit, über Alternativvorschläge Ihrerseits zu diskutieren. Wenn ich mir allerdings die Debatte, die Sie heute im Laufe des Tages geführt haben, anschaue, dann weiß ich, daß Sie bei jedem
Einzelplan, der heute beraten worden ist, davor gewarnt
haben, überhaupt irgendwelche Einschnitte vorzunehmen. Sie haben darauf verwiesen, daß man prinzipiell zu
einer Haushaltssanierung bereit sei. Aber bisher ist von
Ihrer Seite überhaupt kein Vorschlag gekommen, wie
das Ganze realisiert werden soll.
({4})
Deshalb ist unser Ziel, alle Einzelpläne gemeinsam in
dieses Konsolidierungskonzept einzubinden. Wir werden Ihre Beteiligung an den Haushaltsberatungen an
substantiellen Alternativvorschlägen messen und nicht
an einer Polemik, die ausschließlich darauf abzielt, dieses Konsolidierungskonzept in Frage zu stellen.
Danke.
({5})
Es war auch
eine mit Zwischenrufen gespickte Rede.
Jetzt hat der Kollege Heinrich das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme zwei
Stichworte des Herrn Bundesminister Funke auf. Wir
sollen erstens Alternativen vorlegen; zweitens würde die
Bundesregierung solidarisch handeln.
Die Alternative, Herr Bundesminister, würde bedeuten, daß wir Ihre Wahlversprechen in der Form nicht
durchgeführt und umgesetzt hätten und daß die zusätzliche Aufblähung des Haushalts um 30 Milliarden DM,
die unter Lafontaine geschehen ist, nicht stattgefunden
hätte.
({0})
Wenn Sie auf der einen Seite - aus welchen Gründen
auch immer - Ihr Geld ausgeben und auf der anderen Seite kassieren und dann die Solidarität einklagen,
dann will ich Ihnen einmal sagen, wie die Solidarität, die
Sie jetzt praktizieren wollen, denn in Wirklichkeit aussieht.
Herr Kollege
Heinrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Diller?
Nein. Herr Kollege Diller,
ich will Ihnen sagen, ich schätze Sie sehr, aber ich
möchte diese Agrardebatte nicht zur Lächerlichkeit verkommen lassen.
({0})
Die Art und Weise, wie hier Solidarität definiert wird,
darf ich an ein paar Beispielen darstellen. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat
festgestellt, daß die Landwirtschaft überproportional von
der Ökosteuer betroffen ist. Wo ist hier das solidarische
Verhalten?
({1})
Davon ist nichts zu spüren. Die Sache geht einseitig zu
Lasten der Landwirtschaft. Der Haushalt wird um etwa
knapp 6 Prozent gekürzt, was im Ernährungshaushalt
fast immer ausschließlich direkt auf die Einkommenssituation der Landwirtschaft durchschlägt. Auch das
wissen Sie. Das hat zur Folge, daß wir insgesamt mit einer Einkommensminderung von 15 bis 20 Prozent zu
rechnen haben, und das ohne die Beträge, die durch die
Agenda 2000 uns ohnehin noch serviert werden.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Uli Höfken?
Nein, ich möchte meine
Gedanken hier vortragen. Ich habe nur sieben Minuten
und lasse mich nicht durch Zwischenfragen von meinen
Gedanken abbringen.
({0})
Die Tatsache, daß wir durch Kürzungen im Agrarhaushalt direkt einkommenswirksame Kürzungen zu registrieren haben, zeigt sich auch ganz deutlich an folgendem: In Ihrem Kürzungspaket, mit dem Sie bei den
Zuschüssen für die landwirtschaftlichen Alterskassen
ganz besonders solidarisch eingreifen, nämlich bei den
Einkommen zwischen 16 000 und 20 000 DM, bei den
Einkommen, bei denen alle sieben Einkommensarten
zugrunde gelegt werden, haben Sie die Stirn und verlangen von den Landwirten, daß sie zwischen 162 und 100
Prozent höhere Beiträge bezahlen, als es derzeit der Fall
ist. Das ist Ihre Definition von Solidarität.
Wenn Sie jetzt mit dem Kopf schütteln, Herr Minister, dann muß ich sagen: Ich habe hier die Zahlen, die
aus Ihrem Hause stammen und die genau zeigen, wie
sich das in den einzelnen Betrieben darstellt.
({1})
Das ist Solidarität à la Bundesregierung.
Lassen Sie mich noch ein Weiteres anführen; Solidarität im Bereich der Berufsgenossenschaft. Es gibt Kürzungen auch auf diesem Gebiet, die einseitig zu Lasten
der deutschen Landwirtschaft gehen.
({2})
Es gibt Kürzungen im Dieselölbereich. Dazu sagen
Sie großspurig: Ich weiß, es verschlechtert die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft. Ich habe aber keine
andere Möglichkeit. - Sie haben dieses Jahr Null vorgesehen, weil Sie sonst von der gesetzlichen Abfolge her
die entsprechenden Daten nicht mehr erreichen und das
eingesparte Geld, die 50 Millionen DM, die ursprünglich
eingesetzt waren, nicht mehr bekommen. Was machen
Sie? Sie schlagen es einfach im Bereich der Krankenkassen drauf. Für die Krankenkassen waren ursprünglich
200 Millionen DM veranschlagt. Aber weil man beim
Diesel in diesem Jahr nicht zulangen kann, schlägt man
bei den Krankenkassen noch einmal 50 Millionen DM
drauf. Das ist Solidarität à la Funke.
({3})
So einfach ist das. Das wirkt sich natürlich negativ
auf die Beitragsgestaltung aus; denn man kann nicht beliebig in die Reserven eingreifen, ohne daß man das
später in Form einer Beitragserhöhung wieder kompensieren muß.
({4})
- Herr Minister, mir wäre es recht, wenn von der Regierungsbank keine Zwischenrufe kämen.
({5})
- Frau Präsidentin!
Herr Minister,
der Redner weist zu Recht darauf hin, daß Sie auf der
Regierungsbank schweigen und zuhören müssen.
Ich bitte darum, daß mir
die Zeit nicht angerechnet wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Dieselbereich führt zu einer absolut einseitigen Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der deutschen Landwirtschaft.
Wenn Sie den Abbau der 41,5 Pfennig pro Liter nehmen
und die 30 Pfennig Ökosteuer, die im Laufe der nächsten drei Jahre dazu kommen, hinzurechnen - 6 Pfennig
haben wir ja schon -, dann sind es 70 Pfennig, die Sie
drauflegen dürfen. Dann liegen Sie bei über 1,70 DM.
Das heißt, im Vergleich zu den französischen Nachbarn
liegen Sie um 1 DM pro Liter höher.
Jetzt können Sie ausrechnen: Wenn Sie 130 Liter im
Schnitt pro Hektar zugrunde legen, dann wissen Sie, daß
die Landwirtschaft in Deutschland allein durch die Dieselöl- und die Ökosteuer um 130 DM stärker belastet
wird. Das ist Solidarität à la Funke.
({0})
Man kann gar nicht drastisch genug darstellen, wie
die Auswirkung dieser Politik in den nächsten Jahren
sein wird. Die Auswirkung wird sein, daß sich der
Strukturwandel beschleunigt. Das, was Sie vom Strukturwandel sagen, Herr Minister Funke, habe ich jetzt
schon fünfmal gehört. Das wird deshalb nicht richtiger. Es überzeugt überhaupt nicht; denn das, was Sie
hier anfachen, indem Sie in den Geldbeutel der Landwirte greifen und ihnen letztendlich die Perspektive
nehmen, geht ja noch weiter. Sie können heute den
Landwirten auf Grund des vorliegenden Haushaltes und
der absehbaren Entwicklung der nächsten drei Jahre keine positive Perspektive geben. Dazu kommt noch die
Herausforderung der europäischen und weltweiten
Agrarpolitik. Die WTO steht vor der Türe. Das wird zu
einer Situation führen, die Sie - und niemand anders zu verantworten haben. Wir werden klar und deutlich
sagen, daß der beschleunigte Strukturwandel und das
verstärkte Höfesterben auf Ihr Konto - und auf kein anderes - gehen.
({1})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das Fazit des vorgelegten Haushaltsplanes für das Jahr 2000 liest sich in Fortsetzung
des Planes für 1999 etwa so: Wir spannen die Bauern
vor den Karren der Neoliberalisierung, füttern sie mit
der Agenda 2000 und geschmackvollen Worten zum
notwendigen Strukturwandel gut an und lassen sie dann
die Karren in Richtung Weltmärkte ziehen. Die Bauern,
die es dorthin nicht schaffen, lassen wir über die Klinge
springen.
Jegliche lautstarken Proteste und Feuerzeichen stoßen
auf taube Ohren. Viel wohltuender für die BundesregieUlrich Heinrich
rung sind da die Worte des Präsidenten des Deutschen
Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl, der Bundeskanzler Schröder den Rat gibt, nicht zu wackeln, da
es geradezu tödlich wäre, wenn er vom gerade erst eingeschlagenen Pfad der ökonomischen Tugend wieder
abweichen würde.
Doch wer hat nach den vergangenen Landtagswahlen
nicht längst schon das Wackeln der Bundesregierung
bemerkt? Wie die Ausgänge der letzten Landtagswahlen
zeigen, läuten die Bäuerinnen und Bauern, aber auch die
Bevölkerung in den ländlichen Regionen das absehbare
Ende einer kurzen SPD-Ära ein.
({0})
Angesichts dessen, daß die Bundesregierung auf dem
besten Weg ist, noch schneller noch mehr Bauern abzuschaffen, und angesichts dessen, daß wettbewerbsfähige
Bauern auf Expansion setzen müssen, versichere ich Ihnen: Die Landwirtschaft der Zukunft wird amerikanische Züge annehmen, was auf jeden Fall nicht nur bei
der PDS auf Widerstand stoßen wird.
({1})
Auf 3 bis 5 Milliarden DM schätzt der Deutsche Bauernverband die Belastungen der Landwirtschaft durch
die Agenda 2000 und die Haushalts- und Steuerpolitik
der Bundesregierung. Man muß kein Hellseher sein, um
die Folgen dieser Politik für die Agrarbetriebe, die
landwirtschaftlichen Arbeitsplätze und die Entwicklung
der ländlichen Räume vorherzusehen. Die sinkenden
Einkommen nötigen dazu, die Produktion weiter auszudehnen und zu intensivieren, und das mit erheblichen
Umweltfolgen und Veränderungen im Landschaftsbild
sowie im ländlichen Raum. Die Schröder-Regierung
schafft in einem Jahr, wozu die Kohl-Regierung mehr
als zehn Jahre gebraucht hat. Sie hat den Draht zur Realität verloren.
({2})
Die drastische Kürzungspolitik wird nicht nur konsequent fortgesetzt, sondern überdimensional auf die Bauern abgewälzt.
({3})
Bei Einsparungen von 1,5 Prozent im Gesamthaushalt
gegenüber dem Vorjahr will die Bundesregierung im
Agrarhaushalt 4,6 Prozent, also mehr als das Dreifache,
einsparen. Ist das die Antwort der Bundesregierung auf
die existentiellen Sorgen der Bauern?
Es ist nicht nachzuvollziehen, was die Bundesregierung zu einer solchen Politik des Harakiri treibt. Es ist
also an der Zeit, daß der Kanzler und mit ihm die Bundesregierung über echte Alternativen nachdenken. Denn
sein Gerede - Minister Funke hat dies soeben auch betont -, es gebe keine, aber auch gar keine Alternative, ist
der Vollzug der Wende von der Marktwirtschaft zur reinen Profitwirtschaft.
Staatssekretär Dr. Wille antwortete auf unsere Kritik
der dramatischen Einkommensentwicklung in der
Landwirtschaft mit den Worten, daß in Betrieben, die
durchschnittliche Produktionsbedingungen aufweisen
und die ordnungsgemäß geführt werden, die wirtschaftliche Existenz einer bäuerlichen Familie nachhaltig gewährleistet ist. Welch Hohn für alle Bäuerinnen und
Bauern, die um das Überleben kämpfen!
Fast eine halbe Milliarde DM soll bei der landwirtschaftlichen Sozialpolitik eingespart werden. Was hat
das noch mit sozialer Gerechtigkeit zu tun? Das ist mehr
als schmerzlich, Herr Minister Funke. Auch die Hoffnung auf eine Verbesserung dieser Situation durch die
Ökosteuer war eine Fehlanzeige. Ein Familienbetrieb hat
zwar die Belastungen aus der Ökosteuer, aber keine Einsparungen bei den Lohnnebenkosten.
Es ist sicherlich richtig, daß Biomasse, Biogas und
nachwachsende Rohstoffe gefördert werden sollten.
Dies ist aber erstens ein Tropfen auf den heißen
Stein und zweitens werden den Landwirten solche Fördergelder über soziale Kürzungen, die Ökosteuer und
Kürzungen der Gasölverbilligungen wieder abgenommen.
Diese Politik läuft sozialökologischen und regionalen
Wirtschaftskreisläufen entgegen. Je rücksichtsloser sich
das Großkapital der Konzerne über die Lebensziele der
von ihnen abhängigen Bauern hinwegsetzt, um so größer
wird die Verpflichtung des Staates, sich wenigstens als
soziales Regulativ auszuweisen.
Die PDS fordert deshalb: Der agrarpolitische Kurs
der Bundesregierung muß korrigiert werden. Er darf
nicht die weiteren Vorhaben bei der Steueränderung, bei
der Neustrukturierung der landwirtschaftlichen Krankenkassen und bei der Umsetzung der Agenda 2000
bestimmen. Die Kürzungen im Agrarhaushalt sind zurückzunehmen. Wir fordern daher eine Aufstockung
bzw. eine Zurückführung auf 11,8 Milliarden DM. Außerdem sind zusätzliche Mittel bereitzustellen, durch die
- zusammen mit den Mitteln der EU - in den ländlichen
Räumen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Das
mindeste wäre, wieder die Möglichkeit zur Beantragung
einer Produktionsaufgaberente für Landwirte zu schaffen.
Es ist für die Sozialdemokratie und für die europäische Linke verhängnisvoll, wenn die SPD und Bündnis
90/Die Grünen den Versuch fortsetzen, eine nachholende Thatcher-Politik zu betreiben, um in die Fußstapfen
von Tony Blair zu treten. Noch ist im Agrarbereich Zeit
zur Umkehr. Dazu aber benötigen wir den politischen
Willen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Bernhard Brinkmann, und zwar zu
seiner Jungfernrede. Wir werden also genau zuhören.
Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Gestatten Sie mir, daß ich zunächst eine kurze Vorbemerkung mache. Es ist für mich eine besondere Freude,
daß ich heute, wenn auch zu später Stunde, fast gegen
Mitternacht, meine erste Rede hier im neuen Plenarsaal
des Reichstagsgebäudes halten darf; Frau Präsidentin hat
schon darauf hingewiesen.
Sie werden sicher verstehen, daß ich deshalb ein wenig aufgeregt bin; aufgeregt bin ich aber auch auf Grund
der Äußerungen zumindest der zwei Vorredner und der
Vorrednerin von Herrn Hollerith, von Herrn Heinrich
und der Kollegin von der PDS. Es ist doch eine feststehende Tatsache - das kann man gar nicht oft genug wiederholen -: Angesichts der enormen Staatsverschuldung und des für jeden sichtbaren Scherbenhaufens, den
die heutige Opposition hinterlassen hat, muß sich die
jetzige Bundesregierung damit befassen, wie der weitere
Gang in die Staatsverschuldung gestoppt werden kann
und wie die Scherben einigermaßen gerecht beseitigt
werden können.
({1})
- Herr Kollege, auf diesen Zwischenruf will ich Ihnen
eine deutliche Antwort geben. Aus der Anfangszeit meiner kommunalpolitischen Tätigkeit habe ich noch genau
im Ohr, daß Ihre Parteifreunde Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten vorgeworfen haben, sie könnten nicht
mit Geld umgehen. Was Sie in 16 Jahren gemacht haben, ist der Beweis dafür, daß Sie mit Geld überhaupt
nicht umgehen können:
({2})
Fast jede vierte Steuermark aus dem Bundeshaushalt
wird für Zinsen benötigt. 1,5 Billionen DM an Staatsschulden ist die Bilanz der Regierungszeit aus
CDU/CSU und F.D.P. Sie sprechen - wie auch im Verlauf der heutigen Debatte - sehr oft diese 30 Milliarden
DM an und lassen dann Zwischenfragen des Staatssekretärs Diller nicht zu. Diese 1,5 Billionen DM Staatsschulden, Herr Ronsöhr, sind doch nicht die Bilanz aus
einem Jahr Rotgrün, sondern die Bilanz Ihrer Politik aus
16 Jahren.
({3})
- Herr Kollege Heinrich, hören Sie aufmerksam zu!
Ich füge hinzu - Sie nehmen für sich in Anspruch,
davon eine ganze Menge zu verstehen -: Jeder Privatmann würde bei dieser hohen Schuldenlast gehörige Zukunftsängste haben; jeder Unternehmer würde mit Recht
von seinen Banken zum Konkursrichter geschickt werden. Wir werden das in Ordnung bringen: Das müssen
wir, das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in
Deutschland und gerade den nachfolgenden Generationen schuldig.
Herr Bundesminister Funke hat schon darauf hingewiesen: Der Agrarbereich kann davon nicht ausgenommen werden. Weil mittlerweile 70 Prozent des Agrarhaushaltes auf Ausgaben für die Agrarsozialpolitik entfallen, kann auch dieser Bereich nicht vollkommen ausgespart bleiben.
Um Sparprogramme haben wir uns nicht gerissen,
und bei den Ausgaben für die Sozialpolitik kürzen wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht gerade gern und schon gar nicht leichtfertig, was Sie uns
ständig unterstellen.
({4})
Wir werden uns die vorgeschlagenen Maßnahmen noch
einmal genau ansehen und prüfen, ob das eine oder andere noch geändert werden kann, damit sozial gerechte
und für die Betriebe tragbare Lösungen gefunden werden können.
({5})
Wir haben in diesen Tagen hierzu ja sehr viele Briefe
bekommen, von Landwirten, von Bauernverbänden und
auch von deren Präsident, Herrn Sonnleitner. Ihnen ist
vielleicht auch bekannt, daß ich aus einem durchaus
landwirtschaftlich strukturierten Wahlkreis komme, daß
ich in Gesprächen mit den beiden Landvolkverbänden
meines Wahlkreises
({6})
in dem einen oder anderen Punkt schon durchaus Verständnis gefunden habe. Es hilft nämlich wenig, wenn
man sich so verhält, wie Sie es tun und wie es Ihre Bauernpräsidenten tun, die sagen: Eine Verhandlungsbasis
gibt es nicht, sondern wir bestehen darauf, daß es im
Agrarhaushalt keine Kürzungen gibt.
({7})
Daher nehmen wir diese Briefe und die Ergebnisse
aus den geführten Gesprächen auch sehr ernst und werden uns mit den aufgezeigten Argumenten sehr intensiv
beschäftigen.
({8})
Auffallend daran aber ist, daß die Notwendigkeit zum
Sparen offenbar nicht bezweifelt wird, aber doch, bitte
schön, nur bei den anderen, nicht bei den Landwirten.
So geht das beim besten Willen nicht.
Vorschläge, wie etwas besser ausgestaltet werden
kann, welche Alternativen es gibt, kommen leider auch
nicht von der heutigen Opposition.
({9})
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und
F.D.P., tragen die volle Verantwortung für die desolate
Haushaltssituation, die wir vorgefunden haben.
({10})
Überall höre ich von Diskussionen und sogar Beschlüssen über die Fusion von Sozialversicherungsträgern. Von der Kürzung der Bundesmittel für die Unfallversicherung in diesem Jahr, für die man uns signalisiert
hatte, daß Beitragserhöhungen zunächst nicht erforderlich werden, ist offenbar ein geradezu heilsamer Druck
ausgegangen.
({11})
Die Diskussion um die Struktur der landwirtschaftlichen
Sozialversicherung ist nun nicht neu. Die Kolleginnen
und Kollegen, die etwas länger diesem Hause angehören, können mir das sicherlich bestätigen. Das Gutachten
des Bundesrechnungshofes und die darin aufgezeigten
Mißstände beziehen sich auf eine Zeitspanne, für die
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die
alleinige Verantwortung tragen.
({12})
Wir müssen vielmehr das Ziel neu und wie folgt definieren: Die soziale Sicherung der in der Landwirtschaft
Beschäftigten ist so auszugestalten, daß innerhalb des
Sektors im Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen
und beim Verhältnis von aktiven Landwirten zu Rentnern ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beiträgen
und Leistungen besteht.
({13})
Der Bund entzieht sich nicht seiner Verantwortung.
Weiterhin wird er zur agrarsozialen Sicherung in erheblichem Umfang beitragen und dafür auch erhebliche
Mittel des Agrarhaushaltes aufwenden.
Ich gestehe gerne ein, daß wir uns über die Ausgestaltung im einzelnen noch unterhalten müssen, daß wir
im Rahmen der weiteren Haushaltsplanberatungen
durchaus redlich diskutieren und weiter beraten werden.
Hierzu laden wir alle ein, die bereit sind, konstruktive
Vorschläge zu unterbreiten, damit das eine oder andere
noch verändert werden kann, allerdings unter der großen
Überschrift: Das Einsparvolumen darf dabei nicht in
Frage gestellt werden.
Vielen Dank.
({14})
Danke schön,
Herr Kollege. Ich möchte Ihnen, wie wir das so halten,
zu dieser ersten Rede gratulieren.
({0})
Ich darf vorsichtig anmerken, daß auch bei einer ersten Rede fünf Minuten nur fünf Minuten sind.
Das Wort hat jetzt Herr Abg. Schindler.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Heute ist für mich eigentlich
ein sehr schöner Tag, nicht wegen des Themas, aber ich
habe mir vor zehn Jahren beim Beginn der Weinlese und
der Herbstarbeiten nicht vorstellen können, daß ich einmal im Reichstag reden werde. Ich habe mir aber auch
nicht vorgestellt, daß wir im Jahre 1999 über einen
Haushaltsansatz für das Jahr 2000 reden, bei dem Sie,
Herr Minister Funke, auf zwei Zwischenfragen eingehen, aber nicht die notwendigen Begründungen zu dem
Vorschlag Ihres Hauses anführen. Ich konstatiere aber:
Respekt, das war heute keine Karnevalsrede, wie Sie sie
schon gehalten haben. Man hatte manchmal den Eindruck, die Agrarpolitik wird im Parlament bewußt lächerlich gemacht. Das ist heute nicht passiert.
Um so trauriger ist der Ansatz, der uns heute vorgelegt wird, und dies unter dem Eindruck - den ich den
ganzen Tag über gewonnen habe -, daß 1,5 Billionen
DM Schulden 1,5 Billionen Mark Schulden zuviel sind.
({0})
- Das ist so richtig. Herrn Brinkmann sehe ich das noch
nach, aber Ihnen, Herr Schmidt, und Ihnen, Herr Diller,
nicht. Sie sind schon lange genug im Parlament.
1990 fand die deutsche Einheit statt. Diese haben wir
gemeistert. Es war besser und billiger, die Zukunft unseres Volkes zu finanzieren, als militärisch aufzurüsten.
({1})
Ich sage in aller Deutlichkeit: Ich bin stolz auf die
Schulden in Höhe von 1,1 Billionen DM, die durch die
deutsche Einheit entstanden sind.
({2})
Ich bin stolz auf diese Schulden - ich sage das noch
einmal - und auf das, was wir in diesen zehn Jahren geleistet haben. 16 Jahre Kohl-Regierung hört sich an wie
ein Trauerchor, es waren aber mit die schönsten und besten Jahre dieser Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Herr Kollege
Schindler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Diller?
Bernhard Brinkmann ({0})
Er wurde so oft
abgewiesen, und ich mag ihn persönlich gut leiten. Bitte
schön.
({0})
Herr Kollege Schindler, zu Ihrer
Information, damit Sie die Zahlen richtig im Kopf haben, möchte ich Ihnen folgendes sagen.
({0})
Möchten Sie bitte endlich zur Kenntnis nehmen, daß
sich in der ersten Hälfte der Amtszeit von Kanzler Kohl
zwischen 1982 und 1990 die Schulden, die die Regierung Kohl übernehmen mußte, für die der Bund geradezustehen hatte, verdoppelt haben? Diese verdoppelten Schulden haben Sie seit der deutschen Einheit
noch einmal verdoppelt. Sie können nicht 1,1 Billionen
DM von 1,5 Billionen DM der deutschen Einheit anlasten. Das ist eine Mär. Nehmen Sie das bitte zur
Kenntnis.
Ich nehme das gern
zur Kenntnis, Herr Kollege Diller, und mache Ihnen die
Rechnung auf: Der Saldo von Staatskosten und Steuererträgen in den jungen Bundesländern betrug 600 bis
700 Milliarden DM. Dazu kommen die geerbten Altschulden der DDR. Dann komme ich auf 1,1 Billionen
DM. Ich glaube, auch ich habe die vier Rechenarten gelernt.
Zu den Altschulden der Regierung Schmidt habe ich
keine Aufrechnung gemacht. Sie bewegen sich um
400 Milliarden DM. Wenn Sie von Altlasten reden,
müssen Sie alles aufzählen.
Gerade die Infrastruktur in den jungen Bundesländern
hat sich vorbildlich entwickelt. Ich war vor acht Tagen
in Polen. Was schauen die Menschen dort mit Begierde
nach Westen. Mit Blick auf das, was gemeinsam vom
deutschen Volk in den neuen Bundesländern geleistet
wurde, sage ich noch einmal: Ich bin stolz auf diese
Schulden.
({0})
Es wird vom Sparpaket geredet. Ich will das nicht
wiederholen. Tatsächlich werden zwischen 5 und 8 Milliarden DM gespart. Das hat Minister Waigel alle Jahre
mit viel Streit und auch Vorführen der Opposition auf
den Weg gebracht. Wenn man die Modernisierung der
Rheinbrücke in Worms auf den Sankt-Nimmerleins-Tag
verschiebt oder wenn man Verlagerungen in die Länder
vornimmt und dies bei Herrn Müntefering als Sparmaßnahmen abbucht, dann ist das unredlich. Ich habe mir
angesehen, was wo gespart wird und was uns Bauern
mit 1,7 Milliarden DM in der Gesamtsumme der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2002 genommen
wird. Der Entwurf betrifft heute 850 Millionen DM, und
dies unter dem Eindruck der Agenda-Beschlüsse vom
23. März 1999 in Berlin. Dazu verkünden Sie, Herr
Funke, was wir Deutsche alles geleistet haben. Ich erkenne schon an, daß die Vorschläge Fischlers andere waren. Es muß aber auch deutlich gesagt werden:
Der beste Anwalt war hier der französische Staatspräsident.
({1})
Das können Sie gern in den Protokollen über die
deutsch-französischen Konsultationsgespräche nachlesen.
Mit der Agenda 2000 wurde, Herr Funke, eine Belastung beschlossen, ohne den Milchpreisrückgang von
1,6 Prozent zu berücksichtigen.
({2})
Herr Minister,
zum zweitenmal schaue ich in Ihre Richtung.
Herr Minister, ich
habe Sie auch nicht unterbrochen. Wir können nachher
noch ein Bier trinken und dies vertiefen. Dagegen habe
ich nichts. Dann reden wir über Eiswein und Eisbein weil Sie solche Redewendungen so mögen - und können
dabei die Materie vertiefen.
Die Agenda wird uns mittelfristig - ohne den gefürchteten Rückgang des Milchpreises zu berücksichtigen - mit, vorsichtig geschätzt, zirka 1,7 Milliarden DM
belasten.
Herr Kollege Weisheit, es wurde auch eine Steuerbelastung für die deutschen Bauern beschlossen. Sie wissen selbst, welchen Einfluß Sie bei diesen Themen in Ihrer Fraktion haben: null Komma null. Das ist ein beinahe so schlechtes Prozentergebnis wie das, das Sie derzeit
bei den Wahlen einstreichen. Sie klagen an, die Berufsverbände und Agrarpolitiker seien nicht mehr gesprächsbereit und es gebe keinen Spielraum mehr, um
die Interessenlage des ländlichen Raumes zu berücksichtigen. Aber was sollen wir vor dem Hintergrund dieses Haushaltes denn noch machen? Ein leerer Sack kann
keine Geldbörse mehr beinhalten. Wie sollen wir denn
dem eigenen Klientel, den Landwirten, draußen noch erklären, wo ein konstruktiver Vorschlag möglich ist?
Dann kommen Sie und zitieren die Berufsgenossenschaft.
Jetzt hat man 55 oder 65 Millionen DM in diesem
Jahr einfach über Nacht beschlossen. Im nächsten Jahr
sind es 115 Millionen DM. Das bedeutet für uns
in Rheinland-Pfalz eine Beitragserhöhung um 20 bis
25 Prozent. Hier findet ein Abstrafen des strukturschwachen Südens unserer Republik statt. Der Norden kommt
etwas besser dabei weg. Das sage ich nicht zynisch, aber
es ist Realität.
Dann wird der Bundesrechnungshof geholt. Aber was
besagt dessen Gutachten in der Konsequenz? Ich lasse
mich so nicht vorführen. Dafür bin ich zu lange dabei.
Ich habe schon Fusionen mitgemacht. Es besagt: Wenn
es bundeseinheitlich wäre, wäre es möglich, 0,6 Prozent
des Gesamtvolumens des Haushaltes in den nächsten
Jahren zu sparen. - Was eine Fusion kosten kann, habe
ich selbst erlebt. Für die Konzentration, dafür, die Verbände bundeseinheitlich zusammenzuführen, die Verbände mit Sonderstrukturen und die mit gesunden
Strukturen wie zum Beispiel in Westfalen-Lippe oder
Braunschweig, wünsche ich viel Glück. Es gibt Vorschläge dazu. Es ist nicht so, daß sich der Berufsstand
dem verweigert. Über fünf oder sechs Mittelzentren
kann man vernünftigerweise reden. Dafür sind wir auch
offen.
Zu den Einsparungen, die man vornimmt, um die alten Lasten wegzubekommen, muß ich nach dem, was
ich dazu gehört habe, Beispiele wie aus der Bibel bringen: Von 20 Bauernkindern geht nur eines in den Beruf
der Eltern. Von diesen 20 Bauernkindern haben zwölf
oder zehn Elternteile. Wer übernimmt bei einem Unfall
diese alte Last, wenn dann nur noch eines von 20 Kindern übrigbleibt?
Wir geben aus dem Bauernstand - ich bin selbst
praktizierender Landwirt - unser bestes, ausgebildetes
Menschenmaterial in die andere Arbeitswelt ab. Diese
Menschen steigen dort neu und jung als Beitragszahler
ein. Uns fehlen sie dann im Generationenvertrag. Das
muß man doch einsehen. Deswegen liegt die alte Last
nicht bei 615 Millionen DM - das haben wir auch bei
der alten Regierung immer wieder kritisiert, haben uns
aber nicht so durchgesetzt, wie es notwendig gewesen
wäre -, sondern bei 720 bis 730 Millionen DM. Diesen
Betrag kürzt man einfach auf 500 Millionen DM. Sie
wären noch weiter gegangen, wäre nicht der große
Druck auch aus der Vergangenheit gekommen.
Nun zur Gasölbeihilfe: Diese wird auf Null gefahren,
obwohl die Kosten für einen Liter Treibstoff in Holland,
in Frankreich und in England bei nur 27 Pfennig liegen.
Dies sage ich zur Information. Wie erkläre ich es meinen Südpfälzer Bauern oder den Badensern, die über den
Rhein schauen, warum diese Wettbewerbsverzerrung
und diese Preise in Frankreich weiterhin möglich sind,
man uns Deutschen aber mit der zweiten Stufe der Ökoreform einen Preis von 1,70 DM oder 1,80 DM pro Liter
Treibstoff zumutet? Das bedeutet unter dem Strich eine
Wettbewerbsverzerrung in der Größenordnung von 160
bis 170 DM pro Hektar. Trotzdem reden wir von Wettbewerbsgleichheit und von der Globalisierung der
Märkte.
({0})
Herr Funke, das ist der verkehrte Ansatz; das wissen
Sie genauso gut wie ich. Angesichts der Tatsache, was
bei den Verhandlungen zur Agenda gelaufen ist, hätte
ich an Ihrer Stelle wirklich einmal auf den Tisch gehauen, so daß - um es auf Pfälzisch auszudrücken - die
Aschenbecher vom Tisch gefallen wären. Wo war Ihr
Einsatz im Kabinett? Nach acht Monaten Regierungszeit
weist Ihre Bilanz Verluste für die Landwirte auf, die Jochen Borchert und Kiechle in neun Jahren nicht zu verantworten hatten. Wenn ich die EU-Mittel herausrechne,
dann stelle ich fest, daß Ihre Kürzungen im Bundeshaushalt in acht Monaten das Niveau der Kürzungen seit
dem Jahr 1991 erreichen. Deswegen kann man Sie beim
besten Willen nicht loben.
({1})
- Da wäre es vielleicht einmal gut, dem Landsmann
Ronsöhr zuzuhören, der gute Vorschläge macht und gute
Ideen hat.
({2})
Man geht an die Gemeinschaftsaufgabe zu locker
heran. Das ist aber das einzige Instrument, mit dem die
Länderagrarminister die Möglichkeit haben, mit Kompensationsmitteln vor Ort etwas zu gestalten. Daß wir in
diesem Zusammenhang einen Konflikt zwischen Nord
und Süd haben, verpflichtet Sie eigentlich bei dem anstehenden Strukturwandel und bei den preislichen Vorgaben, diese Mittel genauso aufzustocken wie die Mittel
der Berufsgenossenschaft. Aber es wird der andere Weg
gegangen.
Herr Minister, es wurden in acht Monaten Belastungen für die deutsche Landwirtschaft in der Größenordnung von 5 Milliarden DM pro Jahr beschlossen. Das
sind 12 Prozent der landwirtschaftlichen Wertschöpfung. Das heißt in der Konsequenz: Ein Berufsstand
wird sich, gemessen an der Zahl seiner Mitglieder, halbieren. Dies wird nicht in 10 oder 20 Jahren passieren,
sondern in den nächsten zwei bis drei Jahren. Wenn dies
die Agrarstrukturpolitik der Zukunft ist, dann kann ich
nur sagen: Gute Nacht!
Diese Politik setzt die falschen Zeichen bei der jungen Generation. Wer sind denn die billigsten Landschaftspfleger überhaupt? Das sind nicht die Umweltapostel in den Kreisverwaltungen, sondern das sind
die Bauern. Erklären Sie einmal einem Landwirt die Regelung mit dem Gasöl. Manager und Urlauber fahren
mit steuerfreiem Flugbenzin zu ihren Terminen. Die
Bauern sollen aber in der Kälte und in der Hitze die
Ernte einbringen, wobei der Steueranteil des Gasöls bei
über 1 DM liegt. Das ist den Landwirten nicht zu erklären.
({3})
Diese Punkte passen nicht ins Gesamtkonzept. Ich
habe den Eindruck, daß die Bauern in Sippenhaft genommen werden, weil sie nicht so gewählt haben, wie
sich das mancher von Ihnen vorgestellt hat.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Matthias Weisheit.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Es ist bemerkenswert, wie in der
Opposition eine Verdrängung dessen stattfindet, was
war. Die 1,5 Billionen DM Schulden - diesen Punkt
muß man wiederholen - sind Ihre Erblast.
({0})
Die Darstellungen über die Wahlgeschenke und die
Aufblähung um 30 Milliarden DM treffen auch nicht zu.
Das hat der Herr Staatssekretär heute schon zweimal
dargestellt. Sie wollen diese Tatsache nicht zur Kenntnis
nehmen.
({1})
Sie verdrängen die Geschichte.
({2})
- Nur Sie sind nicht schuld.
Norbert Schindler hat mich gerade fast zu Tränen gerührt, als er gesagt hat, er sei stolz auf die Schulden, die
auf Grund der Einheit entstanden sind.
({3})
Der Urfehler Ihrer Politik war doch, zu behaupten, die
deutsche Einheit ließe sich aus der Portokasse bezahlen.
Dabei hat doch jeder gewußt, daß sie eine Menge Geld
kostet.
({4})
Damals hätte man eine Steuererhöhung oder eine Abgabe „Deutsche Einheit“ einführen können, die jeder akzeptiert hätte. Wir stünden heute nicht vor der Aufgabe, einen Haushalt konsolidieren zu müssen, den Sie
an die Wand gefahren haben, inklusive des Verscherbelns des Tafelsilbers und all dem, was dazugehört. Sie
sind ja froh, daß Sie heute in der Opposition sind und
sagen können: Wir brauchen doch gar nicht zu sparen.
Wir sind stolz auf die Schulden. Wir können - das habe
ich heute gehört - in jedem Haushalt mehr ausgeben. Das gilt natürlich vor allem für den Landwirtschaftshaushalt.
Auch das gehört zur Redlichkeit: In den letzten Jahren haben Sie den Landwirtschaftshaushalt um 17 Prozent zurückgefahren, während der Gesamthaushalt des
Bundes um 18 Prozent gestiegen ist. Sie haben ihn in
allen wichtigen Positionen zurückgefahren.
({5})
- Natürlich! - Doch nicht wir, sondern Sie haben die
Gemeinschaftsaufgabe um 300 Millionen DM gekürzt.
Richtig ist: Der soziokulturelle Einkommensausgleich
durfte nicht mehr ausgezahlt werden. Aber auch das dadurch eingesparte Geld hätte man sinnvoller nutzen
können, zum Beispiel um Strukturen zu verändern - die
Nachteile in Süddeutschland, die zweifellos vorhanden
sind, auszugleichen - und die Vermarktung zu verbessern.
({6})
- Ach, schwätz doch nicht. - Der Ausgleich durfte nicht
mehr ausgezahlt werden. Er ist aus dem Agrarhaushalt
gestrichen worden.
Überall dort, wo man vernünftige, zukunftsträchtige Strukturen hätte entwickeln können, haben Sie gestrichen. Nur dort, wo es um Einkommensbeihilfen
ging, haben Sie nicht gestrichen. Insofern sind Sie in
einer feinen Lage. Aber uns, die wir den Haushalt konsolidieren müssen, bleibt gar nichts anderes übrig, als
an die einkommenswirksamen Ausgaben heranzugehen.
({7})
- So ein Unfug. Es gibt nichts Dümmeres als das Gerede
- wahrscheinlich von Ihnen oder vom Deutschen Bauernverband erfunden -, wir wollten die armen Bauern
abstrafen, weil sie uns nicht wählen.
({8})
Zurück zu dem, was notwendig ist. Ich sage noch
einmal in aller Deutlichkeit und Klarheit: Es geht nicht
nach dem Motto „Wir müssen sparen, aber bitte nicht
bei mir“, auch wenn ich das heute schon den ganzen Tag
von der Opposition höre. Es geht nur, wenn tatsächlich
jedes Ressorts die Vorgabe - Einsparungen von 7,84
Prozent - erfüllt.
Ich danke Karl-Heinz Funke ganz ausdrücklich dafür,
daß er sich solidarisch mit seinen Kollegen verhält und
Einsparungen in Höhe von 7,48 Prozent vorgeschlagen
hat. Er kann sich darauf verlassen, daß die Koalitionsfraktionen seinen Haushalt innerhalb dieser Leitplanken
verabschieden wird.
({9})
Jetzt warte ich die ganze Zeit schon auf Vorschläge
von Ihnen, woher wir das Geld nehmen sollen.
({10})
- Dieses Motto funktioniert nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Schindler, einen Moment.
Es gibt keine Strafaktion.
Jeder Haushalt hat den gleichen Anteil zu erbringen.
Wenn Sie den Agrarhaushalt nicht in den letzten bis zum
Gehtnichtmehr ausgemolken hätten, würden auch nicht
bei den einkommenswirksamen Leistungen eingespart
werden müssen.
({0})
- Das kann doch überhaupt nicht sein, Siegfried.
({1})
- Nein, das kann nicht sein, weil ihr ihn schon so runtergefahren habt, daß wir jetzt, wenn wir die Einsparungen
erbringen müssen, an die Dinge heranmüssen.
Wenn ich das Geweine über die Änderungen bei der
Gasölbeihilfe höre, dann fühle ich mich an frühere
Haushaltsberatungen erinnert. Die Gasölbeihilfe war
nicht nur bei uns im Gespräch.
({2})
Sie war auch bei Ihnen immer im Gespräch, aber wurde
lieber zu einer Gemeinschaftsaufgabe gemacht. Damit
wurde verhindert, daß das, was notwendig ist, nämlich
Strukturwandel zu begleiten, den ökologischen Landbau
zu fördern und die regionale Vermarktung zu fördern,
gemacht wird.
({3})
- Ach, das ist doch gar nicht wahr.
({4})
- Das ist doch gar nicht wahr, lieber Siegfried.
({5})
- Nein, ihr habt in diesem einzigen Strukturmaßnahmenbereich gekürzt und konntet dann die Gasölbeihilfe
retten. Das geht jetzt nicht mehr.
({6})
Wir wollen die Gemeinschaftsaufgabe in der Höhe
erhalten, wie sie im letzten Haushalt war.
({7})
- Ach, rede doch keinen Schmarren! ({8})
Wir müssen doch auch die Mittel aus Brüssel abrufen
können. Dann kann man sich ausrechnen, wo es noch
Möglichkeiten gibt, die Millionen an Einsparungen zu
erbringen, die wir erbringen müssen, um das Einsparziel
zu erreichen.
Bei allem Verständnis dafür, daß man als Abgeordneter, der gleichzeitig Bauernverbandsfunktionär ist, Sprache und Gestus und all das übernimmt, was im Moment
vom Bauernverband kommt, glaube ich doch, daß das
unangemessen ist. Das wäre nämlich genauso - ({9})
- Ich laß das. Es ist wirklich unredlich, was ihr da treibt.
({10})
- Was?
({11})
- Ich wüßte nicht - ({12})
- Es ist wunderbar!
Lassen Sie mich noch einmal auf das Thema zurückkommen. Der Konsolidierungsbeitrag wird von uns erbracht. Ich warte darauf, daß wir im Ausschuß klären,
daß wir innerhalb der Leitlinien, die Gemeinschaftsaufgabe nach Möglichkeit nicht antasten, daß aber Beiträge
kommen, wo wir rangehen können. Daran führt kein
Weg vorbei. Das ist kein Sonderopfer für die Landwirtschaft, sondern genau dasselbe -
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schindler?
Ganz bestimmt nicht
mehr. Ich möchte jetzt zum Schluß kommen.
Es wird der notwendige Beitrag der Landwirtschaft
({0})
- wie in jedem anderen Bereich auch - zum Sparhaushalt geleistet. Eigentlich müßten Landwirte dafür Verständnis haben. Denn wir betreiben damit eine nachhaltige Politik: Wir bauen Schulden, die nicht von uns zu
verantworten sind, ab, bauen die Nettokreditaufnahme
ab und bauen die Zinsleistungen ab, damit wir für uns
und für die nächste Generation wieder Handlungsoptionen eröffnen. Das ist nachhaltige Politik. eigentlich
müßte in der Landwirtschaft genau dafür großes Verständnis bestehen.
Danke schön.
Weitere
Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Donnerstag, den 16. September
1999, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.