Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/15/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1a bis 1c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2000 ({0}) - Drucksache 14/1400 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung Finanzplan des Bundes 1999 bis 2003 - Drucksache 14/1401 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sanierung des Bundeshaushalts - Haushaltssanierungsgesetz ({1}) ({2}) - Drucksache 14/1523 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({3}) Innenausschuß Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache im Anschluß an die Einbringung zehneinhalb Stunden, für morgen zwölf Stunden und für Freitag viereinhalb Stunden vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

({0}) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 23. Juni hat das Kabinett das Zukunftsprogramm 2000 beschlossen. Es besteht aus dem Haushalt 2000, der mittelfristigen Finanzplanung, den Eckpunkten zur Familienförderung, den Eckpunkten zur Ökosteuerreform und den Eckpunkten zur Unternehmensteuerreform. Zum Gesamtkonzept der Politik dieser Regierung für diese Wahlperiode gehören aber auch das bereits in Kraft getretene Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 und die Projekte der Rentenstrukturreform sowie der Gesundheitsstrukturreform. Jetzt geht es um die Umsetzung des Zukunftsprogramms. In der vergangenen Woche haben wir die Steuergesetze in erster Lesung diskutiert: das Familienförderungsgesetz, das Ökosteuergesetz und das Steuerbereinigungsgesetz. Die weiteren werden folgen. Heute diskutieren wir in erster Lesung den Haushalt 2000 und das Haushaltssanierungsgesetz. Meine Damen und Herren, welche Ausgangslage haben wir vorgefunden? 1,5 Billionen DM Schulden des Bundes. ({1}) - Ja, meine Damen und Herren, Sie können es nicht hören, man muß es aber immer wieder sagen. ({2}) Ich bin heute übrigens gar nicht auf Krawall aus ({3}) damit wir uns da gar nicht mißverstehen -, aber ich muß es sagen. ({4}) - Sie brauchen gar nicht unruhig zu werden. Ich stelle übrigens eines fest: Bei allen diesen Gelegenheiten gibt es die verschiedensten Arten, dem Thema auszuweichen. Was da alles an Debatten rechts und links daneben geführt wird, nur damit man nicht das zentrale Thema diskutieren muß, ist schon verwunderlich. ({5}) Wir alle werden aber, und zwar im Interesse des Landes, an diesem Thema nicht vorbeikommen. Denn es geht nicht nur darum, daß der Bundestag und in der zweiten Phase auch der Bundesrat Entscheidungen treffen. Bei dem, was wir vor uns haben, geht es vielmehr darum da spreche ich als Sozialdemokrat; ich meine das sehr ernst, aus der sehr leidvollen Erfahrung der letzten Wahlniederlagen -, ({6}) daß die Menschen im Lande verstehen, was wirklich los ist und warum wir diese Maßnahmen ergreifen müssen. ({7}) Deswegen ist eines noch wichtiger: Wir alle kennen den Sachverhalt - ob wir ihn auch wahrhaben wollen und ob wir alle bereit sind, das in unsere politischen Konzeptionen einzubauen, sind ganz andere Fragen -, aber noch längst nicht alle Menschen im Lande kennen ihn. Wir müssen also noch viel mehr mit den Menschen reden, um zu zeigen, daß das der Zukunftsweg ist und daß auch manche bittere Pille geschluckt werden muß, damit wir die Zukunft gewinnen. ({8}) Es gibt also 1,5 Billionen DM Schulden, oder anders gesagt: Die Verschuldung ist mehr als dreimal so hoch wie das Haushaltsvolumen des Bundes. Es ist ganz wichtig, daß das alle lernen, weil es in Deutschland nur eine einzige Gebietskörperschaft gibt, die noch schlechter dasteht als der Bund: Das ist das Haushaltsnotlagenland Bremen. Ich weise in Diskussionen mit Landespolitikern und Kommunalpolitikern auch meiner eigenen Partei immer wieder darauf hin - das ist ja nicht so einfach klarzumachen -: Überlegt euch bitte nur einen Augenblick, wie der Haushalt in eurem Land und in eurer Kommune aussieht. Wenn ihr ihn mit dem Haushalt des Bundes vergleicht, dann werdet ihr feststellen, daß niemand einen so schlechten Haushalt wie der Bund hat, mit Ausnahme von Bremen. Der Bund, für den die Kriterien des Bundesverfassungsgerichtsurteils für eine Haushaltsnotlage ebenfalls gelten, hilft Bremen und dem Saarland allein, während die anderen Länder ich habe mich als Ministerpräsident des Landes Hessen auch darüber gefreut, keine Zahlungen leisten zu müssen - mit den Händen tief in den Taschen dastehen. Das muß klar werden. Nun sage ich - nicht weil ich Krawall machen möchte, sondern weil wir eine riesige Aufgabe vor uns haben, die wir alle bewältigen müssen -: Der größte Teil von den 1,5 Billionen DM, nämlich 900 Millionen DM der Hinweis darauf war immer richtig; ich habe ihn nie bestritten; ich habe sogar selber darauf hingewiesen -, ist Folge der Finanzierung der deutschen Einheit. Herr Kollege Waigel hat darauf kürzlich in einem Interview hingewiesen. Das ist richtig. Ich habe das zu jeder Zeit an dieser Stelle, wenn ich über dieses Thema geredet habe, auch zugegeben. ({9}) - Nein, wissen Sie, es ist noch etwas anders; seien Sie vorsichtig. Ich habe mich über das Interview des Kollegen Waigel - sofern ich es richtig verstanden habe - sehr wohl gefreut. Er hat nämlich gesagt: Eigentlich haben wir gedacht, wir könnten die Kosten der deutschen Einheit auf längere Zeit über Generationen verteilen. Wenn Sie 1990 - deshalb rate ich uns allen, mit so harten Begriffen wie „Betrug“, die im Wahlkampf gefallen sind, ganz vorsichtig umzugehen - nicht gesagt hätten, die deutsche Einheit koste uns nichts, ({10}) sondern den Unterschied klargemacht hätten, daß die einen die Kosten gleich bezahlen wollten, während die anderen das der nächsten Generation überlassen wollten, dann hätte dies zu einem redlichen Wahlkampf 1990 geführt. Deswegen sollte man vorsichtig sein. ({11}) Die 1,5 Billionen Schulden haben unmittelbare Konsequenzen für das, was wir uns noch leisten können. Diese Schulden bedeuten 82 Milliarden DM Zinsen in diesem Jahr, Tendenz steigend. Übrigens sage ich immer wieder: Man führt hier einen Mehrfrontenkrieg. Wer jetzt nicht eingreift, der wird, wenn er den Weg der weiteren Staatsverschuldung geht, vielleicht erleben, daß dann auch noch die Zinsen zusätzlich steigen. Ich möchte mir bei der momentan hohen Staatsverschuldung nicht auch noch steigende Zinsen vorstellen müssen. Ich möchte alles dafür tun, daß die Zinsen im Euroland niedrig bleiben. ({12}) 82 Milliarden DM an Zinszahlungen sind der zweitgrößte Ausgabeposten im Bundeshaushalt. Das gibt es in keinem anderen Haushalt. Das heißt, Bewegungsfreiheit ist praktisch nicht mehr vorhanden. Das heißt auch, daß der Bürger für 100 DM Steuern, die er zahlt, nur noch Leistungen im Wert von 78 DM erhält. Das ist eine Grundlage für Staatsverdrossenheit. Nicht weil die Staatsdiener faul wären, sondern weil so viel Geld für die Zinsen abgezweigt werden muß, erhalten die Bürger ihre Leistungen nicht. Das macht sie verdrossen. Das ist kein gutes Omen für das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat. ({13}) Wir sind nicht mehr in der Lage, einen verfassungsgemäßen Haushalt aufzustellen. Wir brauchen jedes Jahr 80 bis 85 Milliarden DM für die Zinszahlungen. Diese Summe übersteigt die diesjährigen Investitionen um mehr als die Hälfte. Das ist die Lage. Diese Lage haben Sie in den letzten Jahren durch einen verfassungswidrigen Haushalt im Vollzug ignoriert, übrigens nicht nur beim Bund. Das war für mich Grund - ich weiß ja, daß auch die Situation in den Länderhaushalten nicht gut ist; das bestreite ich gar nicht -, zu sagen: Eine Steuerreform mit so riesigen Einnahmeausfällen, wie Sie sie konzipiert hatten, verkraften weder der Bundeshaushalt noch die Länderhaushalte. Eine solche Steuerreform kann man den Menschen nicht verkaufen - vielleicht im Wahlkampf; aber sie ist keine verantwortliche Politik. Deswegen mußten wir eingreifen. ({14}) Wer will sich eigentlich vorstellen, daß ausgerechnet Deutschland, die größte Volkswirtschaft Europas, erklärt, es könne den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht einhalten? Als die Italiener eine solche Erklärung abgegeben haben, war das Drama schon groß genug. Das kann sich die Leitwirtschaft in Europa auf gar keinen Fall leisten. ({15}) Deswegen müssen wir eingreifen. Der gegenwärtige Zustand ist auch nicht mehr durch Privatisierungserlöse zu vertuschen. Ich kann verstehen, daß man versucht hat, über das Wahljahr hinwegzukommen. Aber danach wäre Schluß gewesen. Im übrigen - das muß man denjenigen sagen, die immer nur über die jetzt anstehenden Fragen diskutieren - ist die Überschuldung des Staates die größte Umverteilung von unten nach oben und die unsozialste Politik. ({16}) Sie alle kennen doch die Situation, die wir vorgefunden haben: Der Normalverdiener, der praktisch sein ganzes Einkommen zum Leben brauchte, mußte die meisten Steuern zahlen. Von den vielen Vergünstigungen des Steuersystems, die im Laufe der Zeit massiv überhand genommen hatten, konnte er gar keinen Gebrauch machen. Ein ähnliches Problem hatten auch die kleinen und mittleren Unternehmen. Sie haben gezahlt. Es liegt doch auf der Hand, daß das Geld, das zu den Banken getragen wird, nicht gerade bei den Sozialhilfeempfängern und bei den Menschen ankommt, die ihr ganzes Geld zum Leben brauchen und keine Geldanlagen vornehmen können. Deswegen muß mit einer Politik des Marsches in die Staatsverschuldung aus sozialen Gründen Schluß gemacht werden. ({17}) Der Nachtwächterstaat des 19. Jahrhunderts liegt hinter uns. Die Bundesregierung will keinen handlungsunfähigen Staat. Wer einen handlungsfähigen Staat will, wer will, daß der Staat die Schutzmacht der kleinen Leute ist, wenn sie seine Hilfe brauchen, der muß ihm aber auch die Kraft dazu geben. Daran fehlt es heute. ({18}) Daß unsere Kinder für das Steuern zahlen, was wir an Schulden gemacht haben, ist nicht unsere Vorstellung von der Zukunft unserer Kinder. Deswegen müssen wir die Konsequenzen ziehen. Unserer Kinder wegen, der sozialen Gerechtigkeit heute wegen und der Handlungsfähigkeit des Staates heute und in Zukunft wegen müssen wir heraus aus der Schuldenfalle. Dies geschieht sehr konkret und sehr praktisch. Es führt kein Weg an einer konsequenten Haushaltskonsolidierung vorbei. Im Haushalt 2000 machen wir den Anfang. Was vor vier Monaten noch kaum jemand für möglich gehalten hat, das haben wir geschafft. Wir legen einen Haushalt für das kommende Jahr vor, in dem wir in einer gemeinsamen Kraftanstrengung Einsparungen in Höhe von 30 Milliarden DM erzielt haben. Ich sage Ihnen gleich: Die globalen Minderausgaben mit Ausnahme der Effizienzrenditen, die auch in Ihrem letzten Haushalt enthalten waren, werden alle in der parlamentarischen Beratung noch belegt werden. Sie können sich diesen Einwand sparen. ({19}) Mit dem Haushalt 2000 schaffen wir die Umkehr in der Finanzpolitik. Sie haben in der Finanzpolitik 16 Jahre lang mehr Geld ausgegeben, als Sie eingenommen haben. Ein Leben über seine Verhältnisse kann als Dauereinrichtung überhaupt nicht funktionieren. ({20}) Wir haben den Bürgern reinen Wein über den schlimmen Zustand der Staatsfinanzen eingeschenkt und die Konsequenzen gezogen. Wir betreiben eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik, die in eine umfassende finanz-, wirtschafts- und sozialpolitische Konzeption eingebettet ist. Der Haushalt 2000 steht für eine ehrliche Bestandsaufnahme der finanziellen Situation des Bundes. Der Haushalt 2000 steht - ich sage das mit aller Vorsicht - genauso für den Beginn der Rückgewinnung der Zukunftsfähigkeit; denn es ist nicht mit einem einmaligen Kraftakt getan. Nur mit einer konsequenten Politik der Ausgabendisziplin, die Ausgaben langsamer als die Einnahmen steigen zu lassen, kommen wir aus der Schuldenfalle heraus. Nur so! ({21}) Der Haushalt 2000 steht für eine Politik, die den Bürgern zwar etwas abverlangt - manchmal auch nicht wenig -, die ihnen aber auch etwas gibt: soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit auch in Zukunft, Generationengerechtigkeit, vor allem aber die Voraussetzungen für eine konsequente Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Es ist ein Irrglaube, zu meinen, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes seien zum Sparen nicht bereit. Das Gegenteil ist der Fall; alle Meinungsumfragen zeigen das. Ich spüre auch bei jedem Gespräch, das ich fühBundesminister Hans Eichel re, nicht nur Zustimmung, aber doch ein erhebliches Maß an Bereitschaft zum Sparen. Viele Menschen kommen täglich auf mich zu - das gilt auch für Unbekannte - und sagen: Das finden wir richtig; halten Sie durch; machen Sie so weiter; diesen Weg muß die Regierung gehen. ({22}) Das gilt übrigens auch für viele Ihrer Anhänger. Täuschen Sie sich da nicht! ({23}) Daß das großen Gesprächsbedarf auslöst, das haben uns die Wahlergebnisse gezeigt, wobei ich übrigens nicht glaube, daß es allein daran liegt; aber darüber will ich jetzt nicht philosophieren. Das gilt auch für all jene Länder - gestern abend konnten Sie einen Film über Schweden sehen -, in denen die Konsequenzen gezogen worden sind. Am Anfang war dies politisch nicht einfach; aber der Erfolg hat sich eingestellt, meine Damen und Herren; das können wir bei unseren europäischen Nachbarn beobachten. Ich rate sehr dazu, über den deutschen Gartenzaun hinwegzusehen und zur Kenntnis zu nehmen, was unsere Nachbarn tun. ({24}) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, ich glaube, auch Sie wollen, wie die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, das Ziel der Bundesregierung nicht ernsthaft in Frage stellen, so bald wie möglich einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Auch Sie wissen ganz genau, daß es zu unserem Kurs einer konsequenten Haushaltssanierung keine wirkliche Alternative gibt. ({25}) Das ist nicht Rechthaberei, wie uns jetzt gelegentlich der eine oder andere vorwirft. Man kann doch nicht die schlichten Fakten ignorieren. ({26}) Man kann sich natürlich in jedem einzelnen Fall Alternativen vorstellen. Ob sie schöner als das sind, was wir vorgeschlagen haben, mag die Debatte ja zeigen. Aber zu dem grundsätzlichen Kurs „Raus aus der Schuldenfalle“ gibt es wirklich keine Alternative, jedenfalls keine vernünftige. ({27}) Was Sie bisher an Kritik vorgebracht haben, ist für mich deshalb erst einmal nicht mehr als Wahlkampfgeplänkel - das wird noch ein bißchen andauern; aber dann sind die Auseinandersetzungen für diesen Herbst zumindest vorbei -, das nur das Ziel hat, die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande zu verunsichern. Wie man sieht, ist das im Moment ja nicht so ganz erfolglos. ({28}) Ernstzunehmende Anregungen habe ich jedenfalls von Ihrer Seite nicht vernommen, aber das kann sich ja das hoffe ich - noch ändern. Ich lade Sie ein, konstruktive Arbeit zu leisten und mit uns zusammen auf der Basis unseres Konzeptes Lösungen zu suchen. Ansonsten sollten Sie wenigstens einen eigenen Vorschlag vorlegen. Sie sind jetzt gefordert und müssen entscheiden, ob Sie als Opposition an der Gestaltung der Zukunft unseres Landes teilhaben wollen ({29}) oder ob Sie, wie das in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung war, angesichts der riesigen Staatsverschuldung einfach weiterhin den Kopf in den Sand stecken wollen. ({30}) Ich habe übrigens das „Spiegel“-Interview in dieser Woche, Herr Kollege Schäuble, wenn es dabei bleibt, so verstanden, daß Sie durchaus bereit sind, konstruktiv mitzuarbeiten. ({31}) Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, daß Herr Kollege Biedenkopf sich schon vor seiner Wahl öffentlich zur Richtigkeit des Kurses der Bundesregierung bekannt hat. ({32}) Ich habe mit großer Freude zur Kenntnis genommen, daß Herr Kollege Vogel, allerdings erst am Tag nach der Wahl, sich zur Richtigkeit dieses Kurses bekannt und gesagt hat, in Thüringen müsse man jetzt genau das machen, was der Bund macht. Das war am Tag nach der Wahl; aber Erkenntnisse dieser Art kommen ja nie zu spät. ({33}) Auch die Gespräche, die wir nicht für die Öffentlichkeit führen, zeigen mir - das muß übrigens im föderalen Staat auch so sein; er steht jetzt nämlich vor seiner Bewährungsprobe -, daß es eine gemeinsame Vorstellung davon gibt - ich hoffe, daß sich das dann auch in gemeinsamen Entscheidungen wiederspiegelt -, was im föderalen Staat die Aufgaben des Staates insgesamt, die Aufgaben der verschiedenen Ebenen und die notwendige Finanzausstattung dafür sind; anderenfalls hätte ich in der Tat Angst um die Konkurrenzfähigkeit des föderativen Systems der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Europäischen Union. Wir müssen beweisen, daß der Föderalismus auch in einer solchen Frage zukunftsfähig ist und nicht der Zentralstaat in Europa das Rennen vor dem Föderalstaat macht. ({34}) Ich glaube allerdings, daß eine Äußerung, die ich gehört habe und die etwa lautete, das Sparpaket werde immer kleiner, wenn die SPD jetzt noch ordentlich Wahlen verliere - ich möchte den Kollegen, der das gesagt hat, nicht zitieren, weil ich kein Öl ins Feuer gießen möchte -, nicht die richtige Einstellung zu dem Thema zeigt, die wir brauchen. Wir jedenfalls stellen uns mit unserem Zukunftsprogramm der Verantwortung. Wir werden dafür sorgen, daß der Bundeshaushalt saniert wird. Natürlich, keiner spart gerne, und Politiker - das ist schon so im Kampf um die Gunst der Wähler - geben lieber, als daß sie nehmen. Aber davon lassen wir uns nicht leiten und können wir uns auch angesichts der tatsächlichen Verhältnisse nicht leiten lassen. Wir müssen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes im Auge haben. Wir müssen alle die bittere Medizin eines konsequenten Konsolidierungskurses schlucken, die für die Heilung unabdingbar ist. Deswegen bleiben wir auf unserem Weg. Das heißt nicht, daß nicht einzelne Punkte kritisch hinterfragt werden können und sollen. Aber wer bestimmte Maßnahmen nicht will, kann nicht den bequemen Ausweg wählen, einfach zu sagen: Das nicht. Er muß auch sagen, was an dessen Stelle treten soll. Das Durchmogeln und das einfache Verneinen hat keine Zukunft. ({35}) Der Schuldenstand des Bundes hat sich in den letzten 16 Jahren verfünffacht, von rund 300 Milliarden DM in 1982 auf 1,5 Billionen DM. Übrigens, weiß ich nicht, was Ihnen noch alles einfällt; jetzt war es angeblich Helmut Schmidt. Ich habe heute einen entsprechenden Kommentar in der Zeitung gelesen. Ich glaube, Herr Kollege Kolbe hat das gesagt. Das ist so ungefähr das Abwegigste, aber es zeigt Ihre Not, wie Sie um die 1,5 Billionen DM herumkommen wollen. Aber Sie kommen nicht darum herum. Stellen Sie sich ihnen! ({36}) Ich habe darauf hingewiesen, daß die Zinszahlungen bereits der zweitgrößte Etatposten nach dem Sozialhaushalt sind. Ohne die beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen hätte der Bund eine Haushaltslücke von 80 Milliarden DM, eine Summe, die fast um die Hälfte über den Investitionen liegt - ein eklatanter Verstoß gegen das Grundgesetz. Deshalb haben wir im Bundeshaushalt einen unabweisbaren Konsolidierungsbedarf von 30 Milliarden DM, der bis zum Ende des Finanzplanungszeitraumes im Jahr 2003 auf 50 Milliarden DM anwächst, wenn wir aus der Politik des ständigen Über-unsere-VerhältnisseLebens herauswollen. Eine derart hohe Staatsverschuldung ist zutiefst ungerecht und gefährdet das demokratische Gemeinwesen. Deshalb war es höchste Zeit, daß wir das Ruder herumgeworfen haben. Ein solch grundsätzlicher Kurswechsel kann nicht ohne schmerzhafte Eingriffe abgehen. Bundeskanzler Kohl - das sage ich jetzt zur anderen Seite hat damals gemeint, die deutsche Einheit könne man, ohne daß es jemanden etwas kostet, finanzieren. Das ging aber nicht. Ich sage jetzt: Auch eine Haushaltskonsolidierung, auch den Weg raus aus der Staatsverschuldung können wir nicht erreichen, ohne daß es jemand merkt. Etwas anderes zu behaupten wäre dieselbe Illusion. ({37}) Das geht nicht ohne schmerzhafte Eingriffe. Aber dazu stehen wir. Denn wer Verantwortung übernimmt, kann sich die Probleme, die gelöst werden müssen, nicht aussuchen. Die Haushaltskonsolidierung ist dabei ein wesentlicher Teil unseres Zukunftsprogramms, aber sie ist nicht das Zukunftsprogramm. Handeln müssen wir auch auf dem Gebiet von Steuern und Abgaben. Wir haben ein Steuersystem vorgefunden, das bei hohen Steuersätzen den gutverdienenden Abschreibungskünstler begünstigte, während der Normalverdiener die meiste Last tragen mußte, der, der nicht ausweichen konnte, sowie die kleinen und mittleren Betriebe. Damit nicht genug: Hohe Sozialabgaben sind ein schwerer Hemmschuh für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Man muß einmal darüber nachdenken, welcher Zusammenhang besteht zwischen der Tatsache, daß wir so hohe Sozialabgaben haben, und der Tatsache, daß bei uns, anders als in anderen Ländern, erst bei 2 Prozent Wirtschaftswachstum neue Arbeitsplätze geschaffen werden, während in den Ländern rundum meistens schon ab 1 Prozent neue Arbeitsplätze entstehen. Wir haben also trotz hoher Produktivität unserer Wirtschaft ein großes Problem. Das heißt, wir müssen runter von dem Rationalisierungsdruck. ({38}) - Nur, Herr Kollege Merz, wann ist dieser denn entstanden? Während der ganzen Zeit, als Sie an der Regierung waren, sind die Lohnnebenkosten gestiegen. ({39}) Deshalb umfaßt das Zukunftsprogramm auch die Senkung von Steuern und Abgaben für Arbeitnehmer und Familien sowie die Gestaltung eines international konkurrenzfähigen Steuersystems bei den Unternehmen, beides übrigens damit verbunden, Steuerschlupflöcher, das heißt Steuervergünstigungen, abzuschaffen, die Basis zu verbreitern, Mißbrauchsmöglichkeiten zu beseitigen, um damit im Steuersystem Gerechtigkeit herzustellen, damit wieder Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit stattfindet, wie es das Grundgesetz fordert. ({40}) Außerdem fördern wir umweltschonendes Verhalten. Eine Politik für sozialen Ausgleich braucht einen handlungsfähigen Staat und genügend finanzielle Spielräume. Indem wir den Weg in den Verschuldungsstaat stoppen, schaffen wir die Grundlage für die Sicherung des Sozialstaates auch in Zukunft. Mit der konsequenten Haushaltssanierung bekämpfen wir die soziale Ungerechtigkeit der Staatsverschuldung; denn die extrem hohen Zinsausgaben im Bundeshaushalt müssen von den Steuerzahlern finanziert werden und landen bei den Banken. Ich habe darüber schon gesprochen. Es hat keinen Zweck, sich um diesen sozialen Tatbestand herumdrücken zu wollen. Mit der Haushaltssanierung beenden wir auch die ungerechtfertigte Belastung zukünftiger Generationen mit Schulden, die wir heute anhäufen. Dabei sind wir erst am Anfang. Das sage ich, damit sich keiner täuscht. Wir fahren ja auch keinen Crashkurs. Nächstes Jahr erst, trotz all dieser harten Eingriffe und ohne alle anderen Tricks wie eine Vertuschung des Defizits durch Privatisierungserlöse, steigen die Staatsschulden nicht schneller als die Einnahmen. Erst im Jahr darauf werden wir erstmalig seit langem die Situation haben, daß die Staatsschulden langsamer steigen als die Einnahmen. Keiner möge sich über den langen Weg, den wir noch vor uns haben, täuschen. Mit der Haushaltssanierung wollen wir also ein Ende der ungerechtfertigten Belastung künftiger Generationen erreichen. Damit sorgen wir heute für soziale Gerechtigkeit wie auch für Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Dazu gehört, daß die junge Generation für die ältere Verantwortung übernimmt. Die ältere Generation muß umgekehrt aber auch ihren Beitrag für die Sicherung der Zukunft der jüngereren Generation leisten. In jüngster Zeit wurde wieder viel über zunehmende Staatsverdrossenheit geklagt. Hieran hat auch die hohe Staatsverschuldung ihren Anteil. Arbeitnehmer und ehrliche Steuerbürger müssen immer mehr für immer weniger Leistung bezahlen. Dies senkt die Steuermoral weiter und fördert die Unzufriedenheit mit Politik und Staat. Hier müssen wir wieder Vertrauen und Sicherheit schaffen. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, daß ihre Steuergelder nicht sinnlos verpuffen, sondern daß verantwortungsvoll mit ihnen umgegangen wird und wir uns nur das leisten, was wir uns leisten können. ({41}) Nur so kann die Bereitschaft verstärkt werden, unser Gemeinwesen mitzutragen und mitzugestalten. Mit dem Haushalt 2000 haben wir das größte Konsolidierungsvorhaben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. ({42}) Damit kann der Bundeshaushalt endlich wieder solide finanziert werden - übrigens ohne Steuererhöhungen. ({43}) - Vorsicht mit Ihren Zwischenrufen, sonst komme ich einmal auf die frühen 90er Jahre zu sprechen. Folgende Eckwerte sind vorgesehen: Das Ausgabevolumen des Haushalts 2000 wird gegenüber 1999 um 1,5 Prozentpunkte abgesenkt. Die Nettokreditaufnahme wird gegenüber 1999 um 4 Milliarden DM auf 49,5 Milliarden DM zurückgeführt. Sie liegt damit übrigens um 10 Prozentpunkte unter der Neuverschuldung, die die vorherige Bundesregierung für das Jahr 2000 unter Zugrundelegung völlig unrealistischer Annahmen für das Wirtschaftswachstum und unter Nichtveranschlagung einer Reihe von Ausgaben, die sie hätte veranschlagen müssen, geplant hatte. ({44}) Diese deutliche Absenkung der Neuverschuldung wird erreicht, obwohl gleichzeitig die Privatisierungseinnahmen im Haushalt 2000 gegenüber 1999 um rund 10 Milliarden DM und gegenüber 1998 sogar um 11 Milliarden DM verringert werden. Mit dem mittelfristigen Finanzplan bis 2003 stellt die Bundesregierung die Weichen für eine strukturelle und dauerhafte Konsolidierung des Bundeshaushaltes. Das Sparvolumen von 30 Milliarden DM im Jahr 2000 wächst bis 2003 auf eine Größenordnung von 50 Milliarden DM. Damit umfaßt das Konsolidierungsvolumen in den nächsten vier Jahren insgesamt weit über 150 Milliarden DM. Die Neuverschuldung wird in den nächsten Jahren Schritt für Schritt zurückgeführt. Sie sinkt von 53,5 Milliarden DM in diesem Jahr bis zum Ende des Finanzplanungszeitraums im Jahr 2003 auf rund 30 Milliarden DM. Ausgehend vom abgesenkten Ausgabevolumen des Bundeshaushaltes 2000, wird der Ausgabenanstieg in den Folgejahren im Durchschnitt auf unter 2 Prozent pro Jahr begrenzt. Gleichzeitig unterstellen wir - auch hier mußten wir Ihre frühere Planung nach unten korrigieren - ein Wachstum von real 2 Prozent und eine Inflationsrate von 1,5 Prozent, also nominal insgesamt 3,5 Prozent. Das heißt, es ist eine ständige Differenz von mindestens 1,5 bis 2 Prozent zwischen dem Ausgabezuwachs und dem Einnahmezuwachs zu erwarten. Damit hält sich die Bundesregierung an die Vereinbarungen des Finanzplanungsrates. Wir brauchen und wir wollen so schnell wie möglich einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden. Dieses qualitativ neue Ziel soll in der nächsten Legislaturperiode erreicht werden. Mit diesem Konsolidierungskurs des Bundes und bei einer weiterhin sparsamen Ausgabenpolitik von Ländern und Gemeinden erfüllt Deutschland auch die Vorgaben des europäischen Stabilitätspaktes. Ein Blick über die eigenen Grenzen zeigt, daß wir uns mit dieser Politik in guter Gesellschaft befinden. Andere europäische Länder wie Großbritannien, Frankreich, die Niederlande oder Dänemark haben in den letzten Jahren deutliche Anstrengungen zur Reduzierung ihrer Defizite unternommen und haben zum Teil bereits Überschüsse erwirtschaftet. Das beste Beispiel ist Schweden das war gestern abend zu sehen -, das von einem Anteil des öffentlichen Defizits am Bruttoinlandsprodukt von 7 Prozent im Jahre 1994 auf fast 2 Prozent Überschuß im letzten Jahr gekommen ist. Das Programm, das die Schweden umgesetzt haben, war allerdings sehr hart. Diesen Exempeln wollen und müssen gerade wir Deutsche als Motor der europäischen Einigung, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in der Tendenz folgen. Wir wollen damit auch ein wichtiges Signal für die Stabilität des Euro setzen. Wir wollen, daß in Europa die Preise dauerhaft stabil und die Zinsen dauerhaft niedrig bleiben können. ({45}) Das Wichtigste ist: Wir reden nicht nur über einen soliden Haushalt, wie es zu Zeiten der alten Koalition an dieser Stelle des öfteren getan worden ist, sondern setzen dies auch um, und zwar ohne zu hoch gerechnete Einnahmen und ohne vergessene Ausgabenposten. ({46}) Ein beliebtes Stilmittel der vorigen Regierung war es, Haushaltsrisiken zu ignorieren, sie nicht in den Haushalt aufzunehmen. ({47}) Wir mußten eine Reihe notwendiger Ausgaben in den Haushalt 1999 einstellen, die Sie, meine Damen und Herren von der jetzigen Opposition, schlichtweg vergessen hatten oder nicht unterbringen konnten, weil Sie sonst vor der Wahl hätten aufdecken müssen, daß der Haushalt, den Sie vorgelegt haben, verfassungswidrig war. ({48}) Herr Kollege Waigel, wir beide können darüber gut reden, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Ich habe es Ihnen am 25. September, zwei Tage vor der Bundestagswahl, als Sprecher der SPD-geführten Länder im Bundesrat in der Haushaltsdebatte minutiös vorgerechnet: Im Haushalt wurde keine Vorsorge für die Risiken aus den Rußlandkrediten getroffen. Diese Risiken - nach den Vereinbarungen, die im Pariser Club getroffen werden mußten - belasten den laufenden Haushalt mit mehr als 3 Milliarden DM. Man wußte aber bereits im vergangen Herbst, daß da etwas getan werden mußte. ({49}) Die Hilfen für die Haushaltsnotlagenländer Bremen und Saarland wurden überhaupt nicht veranschlagt; auch das sind 3 Milliarden DM. Die notwendigen Leistungen für die Postunterstützungskassen wurden nicht berücksichtigt; das sind 6,5 Milliarden DM. ({50}) Ferner wurden die Wachstumsraten der Steuereinnahmen zu hoch angesetzt; das macht 3 Milliarden DM aus. Außerdem plante die alte Bundesregierung für die kommenden Jahre eine deutlich höhere Neuverschuldung; das macht wieder 5 Milliarden DM. ({51}) Allein diese Veranschlagungsdefizite, die Gelder, die Sie in den Haushalt hätten einstellen müssen, aber nicht eingestellt haben, machen über 20 Milliarden DM aus, meine Damen und Herren. ({52}) Mit dieser Art des Durchwurschtelns machen wir Schluß. Ich habe gewisses Verständnis dafür, daß man die Probleme nicht im letzten Jahr einer Wahlperiode aufdeckt. Sie werden uns dann aber wohl nicht verübeln, daß wir sie aufdecken. Wir müssen dies um einer soliden Haushaltspolitik willen tun. ({53}) Durch das Sparpaket ist es gelungen, die Summe der Belastungen auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren. Grundlage für den Sparerfolg der Bundesregierung ist, daß alle Politikbereiche - ich betone dies; es wird spannend sein, ob Sie Änderungsanträge stellen und was Sie im Rahmen dieser als Deckungen anbieten ({54}) ihren solidarischen Konsolidierungsbeitrag erbracht haben und den vereinbarten Kurs strikter Haushaltsdisziplin in den nächsten Jahren konsequent umsetzen werden. Der sich nach den Ausgabekürzungen ergebende Finanzrahmen ist von den Ressorts in eigener Verantwortung mit eigenen Prioritäten ausgefüllt worden. Ich danke allen meinen Kabinettskolleginnen und -kollegen für ihre Solidarität, und ich danke auch dem Bundeskanzler sehr herzlich für die nachhaltige Unterstützung, ohne die das Ganze nicht möglich gewesen wäre. ({55}) Bei uns läuft dies anders als zur Zeit bei einigen Landesregierungen ab - ich beobachte dies mit großem Interesse -, die vor ähnlichen Problemen stehen. Man liest in der Zeitung, daß sich die Kabinettskollegen gegenseitig damit traktieren, dies alles ginge gar nicht. Das hat bei uns nicht stattgefunden. Dies war schwer, aber solidarisch. ({56}) Meine Damen und Herren, unser Zukunftsprogramm ist in den letzten Wochen heftig diskutiert und in einzelnen Punkten auch kritisch hinterfragt worden. ({57}) Ich halte das für sehr vernünftig und für legitim. Das gilt auch für die Kritik von den Interessenverbänden, deren ureigenste Aufgabe die Wahrnehmung von Einzelinteressen ist. Ich bin auch nicht verwundert darüber, daß der konsequente Konsolidierungskurs, der allen etwas abverlangt, keine Begeisterungsstürme hervorruft. Aber er findet viel Zustimmung. Ich werde mich allerdings nicht dafür entschuldigen - und das wird die gesamte RegieBundesminister Hans Eichel rung nicht tun -, daß wir den Karren aus dem Dreck ziehen, den andere dort hineingefahren haben. ({58}) Auch wenn Sie mir diesen Satz vielleicht nicht gern erlauben, so - das können Sie nicht verhindern - muß ich schon sagen: Nachdem ich mir auch die Haushaltspolitik in ein paar Ländern angesehen habe, weil ich zur Zeit in den Landeshauptstädten bin - ({59}) - Ja, Hessen zum Beispiel. Sehen Sie, da fängt man an, gleich im ersten Jahr alle Reserven, die die alte Regierung angehäuft hat, auszugeben, und dann muß man auf die Bremse treten. ({60}) So fängt man an; klassischer geht es nicht. Dann sage ich Ihnen: Ich habe mir das in Schwerin und in Berlin angesehen. Ich kann Ihnen noch andere Positionen nennen. ({61}) Übrigens müßte man auch einmal nach Paris oder nach London gehen. Dort haben sich die Konservativen um Haushaltskonsolidierung bemüht. Wo aber in Deutschland die Mär herkommt, daß Konservative besser mit Geld umgehen können, ist mir schlicht ein Rätsel. Das ist ein Märchen der Brüder Grimm. ({62}) Wenn es jetzt um die Umsetzung geht, so haben wir dafür Sorge zu tragen - wir haben dafür Sorge getragen -, daß die notwendigen Belastungen auf viele Schultern verteilt werden. Außerdem enthält das Zukunftsprogramm neben der konsequenten Haushaltssanierung auch neue Haushaltsschwerpunkte und steuerliche Maßnahmen zur Umsetzung einer sozial gerechten Politik. Die Schwerpunkte des Haushalts 2000 liegen auf dem Abbau von Subventionen, und zwar insbesondere auf der Beihilfeseite, übrigens auch auf der Steuerseite, wobei das - das will ich hier in aller Offenheit sagen zu einem Teil durch die Ökosteuer verdeckt wird. Aus diesem Tatbestand werden wir erst dann herauskommen, wenn wir eine europaweit einheitliche Energiebesteuerung bekommen. Die Chancen - so ist mein Eindruck -, daß die Spanier sich vielleicht bewegen - sie sind der eigentliche Bremsklotz - , haben sich in letzter Zeit verbessert. Die Schwerpunkte des Haushalts liegen bei der Stabilisierung des Sozialstaats bei gleichzeitiger Steigerung seiner Effektivität und einer Straffung des öffentlichen Dienstes. Bei allem bleibt der Bundeshaushalt 2000 auch und gerade ein Sozialhaushalt. Die Ausgaben des Bundes für soziale Sicherung werden im Jahre 2000 196 Milliarden DM betragen, nachdem sie 1998 noch 182 Milliarden DM betragen haben. Insbesondere im Bereich der Arbeitsmarktaufwendungen sind die größten Veränderungen zu verzeichnen. Beispielsweise stehen für aktive Arbeitsmarktpolitik 45 Milliarden DM und damit 6 Milliarden DM mehr im Bundeshaushalt zur Verfügung als 1998. ({63}) Insgesamt wird die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt massiv gefördert. Weitere Maßnahmen sind: Ab dem Jahr 2001 sollen die Wohngeldleistungen für Bezieher von Tabellenwohngeld deutlich verbessert werden. Das erforderliche Sonderprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit - das gab es bei Ihnen überhaupt nicht - wird verlängert. ({64}) Damit stellt die Bundesregierung im Jahre 2000 erneut 2 Milliarden DM im Rahmen des Zuschusses zur Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung. Mittlerweile sind fast 178 000 Jugendliche in Maßnahmen dieses Programms eingetreten. Das sind Perspektiven für 178 000 junge Leute. ({65}) Deutschland ist an dieser Stelle in Europa ganz vorn Gott sei Dank. Meine Damen und Herren, auch das muß man berücksichtigen, wenn Sie über unseren Haushalt reden. So etwas war bei Ihnen nie vorgesehen. ({66}) Wir werden unser Versprechen umsetzen, die Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln. Das Zukunftsprogramm schafft hierfür die Voraussetzungen. Wir haben im Haushalt 2000 dafür Sorge getragen, daß der Aufbau Ost und damit die reale Verwirklichung der Deutschen Einheit auf hohem Niveau fortgeführt wird. ({67}) So haben wir bei der regionalen Wirtschaftsförderung die im Finanzplan vorgesehenen Ansätze aufrechterhalten. Die Sonder-Bundesergänzungszuweisungen an die neuen Länder von 14 Milliarden DM jährlich und die Hilfen im Investitionsförderungsgesetz Ost von 6,6 Milliarden DM werden in voller Höhe erhalten. Bei Eingriffen in spezielle Programme findet im wesentlichen nur eine Anpassung entweder an den Mittelabfluß oder an mögliche Kostensenkungen statt. Wir bemühen uns sehr - auch das liegt im Interesse der ostdeutschen Länder -, Mitnahmeeffekte zu streichen. Denn wer einen dauerhaft getragenen Aufschwung in den neuen Ländern will, der muß dafür sorgen, daß die eigenen Kräfte aktiviert werden. Deswegen ist staatliche Hilfe eine Hilfe, die gleichzeitig eigene Anstrengungen voraussetzt. ({68}) Vor diesem Hintergrund haben wir neue Programme aufgenommen: nicht nur die Verstärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, und zwar nicht nur bis zur folgenden Bundestagswahl, sondern auch deren Verstetigung darüber hinaus, nicht nur ein Programm, das 2 Milliarden DM für junge Menschen zur Verfügung stellt und das insbesondere auch in den neuen Ländern ankommt, sondern auch ein neues Wohnungsmodernisierungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit einem Kreditrahmen von 10 Milliarden DM. Auch hier gilt - das sage ich ausdrücklich -: Die neuen Länder sollen bitte die Hälfte der Zinszuschüsse übernehmen. Denn dann wissen wir, daß dieses Programm wirklich gebraucht wird. Programme, die zu 100 Prozent finanziert werden, werden zwar gerne angenommen. Ob sie aber zusätzlich irgend etwas auslösen oder ob sie nicht in erster Linie reine Mitnahmeeffekte bewirken, ist die Frage. Deswegen muß man mit solchen Programmen auf diese Art und Weise umgehen. ({69}) Besonders umstritten sind die vorgesehenen Maßnahmen bei der Rente, wonach der Rentenanstieg in den Jahren 2000/2001 auf die Höhe der Preissteigerung begrenzt werden soll. Damit wird die Rentenversicherung in die Lage versetzt - dies ist eine wesentliche Voraussetzung -, die demographischen Herausforderungen zu bestehen. In diesem Zusammenhang muß ich ausdrücklich sagen - dies stelle ich fest, damit Kollege Riester nicht in einen falschen Zusammenhang gerät -: Dies ist kein Element der Haushaltssanierung gewesen, sondern ein Element des Rentenkonzeptes, das Herr Riester im Laufe dieses Jahres ohnehin auf den Tisch legen wollte und über das dann im Herbst dieses Jahres in aller Ausführlichkeit diskutiert werden kann. Da wir aber den Haushalt für das nächste Jahr aufstellen müssen, muß dieser Teil des Rentenkonzepts seinen Niederschlag in diesem Haushalt finden. Es kommt übrigens nur zu einer einmalig etwas niedrigeren Zuführung; denn die Zuführungen aus dem Bundeshaushalt für den Rentenbereich - das ist die Konsequenz der Ökosteuer - steigen in diesem Jahr massiv an. Es kommt also nicht zu einem Rückzug aus dem Rentensystem. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Es kommt zu einer enormen Befestigung des Rentensystems. ({70}) Mit dieser vorübergehenden Begrenzung des Rentenanstiegs leisten die Rentnerinnen und Rentner - dafür bin ich sehr dankbar - einen solidarischen Beitrag zur Entlastung der Beitragszahler. Ich möchte hier ein weit verbreitetes Mißverständnis direkt ansprechen und aus dem Weg räumen: Diese Regelung bedeutet keine Kürzung der Renten, wie Sie den Menschen immer erzählen. Die Renten steigen vielmehr auch in den nächsten beiden Jahren um die volle Preissteigerungsrate, was in den letzten 5 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht der Fall war, da die Erhöhung der Renten regelmäßig darunterblieb. ({71}) Wenn die vor uns liegenden Wahlen vorbei sind, dann ist dieses Thema hoffentlich aus der jetzigen Gefechtslage heraus. Ich bzw. die ganze Bundesregierung hofft, daß wir dann zu einem einvernehmlichen Konzept kommen. Denn es ist wahr: Generationen gegeneinander auszuspielen ist das, was unsere Gesellschaft am allerwenigsten erträgt. Deswegen ist es richtig, bei der Rente einen breiten Konsens zu finden. ({72}) Sie von der Opposition waren doch vor der letzten Bundestagswahl darauf erpicht, ein Rentenkonzept ohne uns durchzusetzen. ({73}) Das war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. Bis 1992 - also auch in der Zeit, als wir in der Opposition waren - haben wir das einvernehmlich beschlossen. ({74}) - Herr Glos, das ist doch nicht verlogen. Die Wahrheit ist ganz einfach: Nach den Wahlen im Frühjahr 1996 haben Sie sich für ein Ende des Bündnisses für Arbeit und für Konfrontation entschieden. So ist das Ganze abgelaufen. ({75}) Meine Damen und Herren, wir müssen neues Vertrauen in die Zukunftsfestigkeit der Rentenversicherung und unseres gesamten Alterssicherungssystems aufbauen. Das basiert letzten Endes darauf, daß es in der Gesellschaft einen breiten Konsens über die Prinzipien des Rentensystems gibt. Das wäre in der Tat die wünschenswerteste Lösung. Ebenso wie bei den Renten und Pensionen wird sich in den Jahren 2000 und 2001 die Erhöhung anderer sozialer Leistungen, wie zum Beispiel die des Arbeitslosengeldes und die der Arbeitslosenhilfe, am Ziel der Realeinkommensicherung orientieren. Auch von den Beamten und Pensionären fordern wir einen solchen Konsolidierungsbeitrag. Dies ist keineswegs ein Eingriff in die Tarifautonomie. Darauf lege ich den allergrößten Wert. Aber daß der Staat als Arbeitgeber wie jedes Unternehmen, das ein großes Problem hat, dies bei den Tarifverhandlungen berücksichtigen muß und daß alle wie bei jedem Unternehmen auch - ihren Beitrag leisten müssen, um aus einer krisenhaften Lage herauszukommen, ist selbstverständlich. Auch beim Staat ist das so, auch in bezug auf die Einkommen, die der Staat selber zu gewähren hat. Das muß auch bei den Tarifverhandlungen berücksichtigt werden. Die Einsparungen aus dem „Zukunftsprogramm 2000“, die der Regelung durch Gesetz oder Verordnung bedürfen, werden im Haushaltssanierungsgesetz umgesetzt, die übrigen vereinbarten Kürzungen bei den parlamentarischen Beratungen zum Haushalt 2000. Wir halten dabei an unserem Konzept fest: Wer einzelne Maßnahmen aus dem Sparpaket herausbrechen möchte, muß gleichwertige Einsparmaßnahmen, ich vermute das ist jedenfalls unsere Position -, im gleichen Ressortbereich nennen. Das Grundprinzip des Sparkonzepts lautet: solidarische Konsolidierungsbeiträge aller Ressorts und aller Politikbereiche entsprechend ihrer Anteile am Gesamthaushalt. Wir haben alle zustimmungsbedürftigen und nicht zustimmungsbedürftigen rechtlichen Regelungen der Ausgabenseite in einem Haushaltssanierungsgesetz zusammengefaßt. Das Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Hierfür gibt es gute Gründe. Wir wollen, daß sich auch die Länder ihrer Verantwortung für den Bund nicht entziehen, so wie der Bund sich seiner Verantwortung für die Länder nicht entzieht, wie die Beispiele des Saarlands und Bremens extrem beweisen. ({76}) Denn nur ein leistungsfähiger Bund mit solide finanziertem Haushalt ist in der Lage, den Ländern wirkungsvoll zu helfen. Die Diskussionen der letzten Wochen zeigen, daß bei aller Kritik im Einzelfall eine breite grundsätzliche Zustimmung zu unserem Konsolidierungskurs vorhanden ist. Deswegen bin ich guter Dinge, daß am Ende der Bundesrat dem Gesamtkonzept zustimmt. Ich halte diese Hoffnung auch insofern für berechtigt, weil wir mit unserem Zukunftsprogramm die Interessen von Ländern und Gemeinden durchaus im Blick haben, obwohl die Finanzlage des Bundes - ich habe das schon ausgeführt - deutlich schlechter ist als die Finanzlage der Länder und Kommunen. Aus dem Sparprogramm werden sie zusammen im Durchschnitt der Jahre bis 2003 mit rund 600 Millionen DM jährlich entlastet. Länder und Kommunen profitieren zum Beispiel erheblich von der Begrenzung der Personalausgaben. Den Belastungen von Ländern und Kommunen bei den Sozialausgaben stehen spürbare Entlastungen gegenüber. Beispiele sind geringere Ausgaben bei der Sozialhilfe zum Beispiel durch die Erhöhung des Kindergeldes und durch die Verstetigung der Arbeitsmarktpolitik. Das gilt gerade für die arbeitslosen Jugendlichen. Zudem werden Länder und Kommunen entsprechend ihres Anteils am Steueraufkommen beim Abbau steuerlicher Subventionen begünstigt. Das Steuerbereinigungsgesetz entlastet die Kommunen zusätzlich. Falls die kommunale Ebene bzw. einzelne Kommunen von Belastungen besonders betroffen sind, kann dies der Bund nicht ausgleichen. Allein die Länder besitzen das für einen zielgerichteten Ausgleich geeignete Instrument des kommunalen Finanzausgleichs. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nochmals betonen: Ein solider Bundeshaushalt kommt letztlich immer auch den Ländern zugute, vor allem den neuen Ländern. Dies ist eine Binsenweisheit. Wer hier von einer Erpressung der neuen Länder spricht - übrigens tun das auch CDU-Ministerpräsidenten nicht -, verkennt eines: Es ist nicht die Politik, sondern die ökonomische Wirklichkeit, die die Länder im eigenen Interesse zur Unterstützung dieses Konsolidierungskurses bringen muß. ({77}) Der konsequente Konsolidierungskurs ist ein wichtiger Beitrag zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Der neue „World Economic Outlook“ des Internationalen Währungsfonds, der genauso wie die Bundesbank und die Europäische Zentralbank unser Zukunftsprogramm ausdrücklich lobt, geht von einer einsetzenden Konjunkturbelebung in Europa und in Deutschland aus. Dies bestätigen auch die Wirtschaftsinstitute. Insofern passen der Haushalt 2000 und das gesamte Konsolidierungskonzept in den konjunkturellen Rahmen. Es soll ab dem Jahre 2000 greifen. Für das Jahr 2000 nehmen alle Institute als Mindestwert des durchschnittlichen wirtschaftlichen Wachstums 2,5 Prozent an. Das ist mehr, als wir in den 90er Jahren gehabt haben. Wenn man dann nicht mit der Konsolidierung anfangen kann - das sage ich anderen Kritikern -: Wann könnte man denn überhaupt den Bundeshaushalt konsolidieren; wann würde man denn überhaupt aus der Staatsverschuldung herauskommen? ({78}) Wir brauchen derzeit kein betont expansives Verhalten des Staates. Jetzt kommt es vielmehr darauf an, stabile Rahmenbedingungen für Konsumenten und Investoren zu schaffen und die finanzpolitische Flanke der Geldpolitik zu sichern. Genau dies wird durch das Zukunftsprogramm erreicht; das heißt im Klartext: Es wird niedrige Zinsen möglich machen. Ein klares Bekenntnis zu einem mittelfristig ausgeglichenen Haushalt gibt eben ein klares Signal für dauerhaft niedrige Zinsen, für einen nachlassenden Steuer- und Abgabendruck, für stabile Preise und einen stabilen Euro. Wenn wir jetzt die Unsicherheit für Investoren und Konsumenten für lange Zeit beenden, werden wir rasch in eine sich selbst verstärkende positive Wachstumsdynamik kommen. ({79}) So schaffen wir mit unserer Finanzpolitik einen verläßlichen Rahmen für kräftiges Wachstum. Unterstützt wird dies durch die Steuerpolitik. Durch die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen tragen wir zusätzlich zu einer Belebung der privaten Nachfrage bei. Im Rahmen des Zukunftsprogramms werden Familien und Arbeitnehmer erheblich steuerlich entlastet und das Kindergeld erhöht. Ich erinnere nur daran, daß der Eingangssteuersatz beginnend mit dem 1. Januar dieses Jahres schrittweise um sechs Punkte von 25,9 Prozent auf 19,9 Prozent gesenkt wird. Das Kindergeld ist zum 1. Januar dieses Jahres um 30 DM für das erste und zweite Kind erhöht worden und wird ab 1. Januar nächsten Jahres um weitere 20 DM erhöht. Das bedeutet eine Steigerung seit der Regierungsübernahme um 23 Prozent. Insgesamt ergibt sich für eine Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern bereits in diesem Jahr eine Entlastung von etwa 1 200 DM, im nächsten Jahr von 2 200 DM, im Jahr 2002 von bis zu 3 000 DM, übrigens unter Berücksichtigung der Wirkungen der Ökosteuerreform, meine Damen und Herren. ({80}) - Damit auch Sie es noch einmal hören: unter Berücksichtigung der Wirkungen der Ökosteuer. Hinzu kommt die Entlastung der Unternehmen durch die Unternehmensteuerreform ab dem Jahr 2001. Mit der vorgesehenen Senkung des Steuersatzes für einbehaltene Gewinne auf 25 Prozent und der geplanten Nettoentlastung der Unternehmen in einer Größenordnung von 8 Milliarden DM, die wir im wesentlichen auf die kleinen und mittleren Unternehmen konzentrieren wollen, wird die Wettbewerbsfähigkeit des Investitionsstandortes nachhaltig gestärkt. All dies wird positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Das hat auch der Internationale Währungsfonds in dem bereits zitierten Bericht bestätigt. Das Zukunftsprogramm ist notwendig, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Ich sage noch einmal: Ja, über die Frage, warum bei uns zusätzliche Jobs erst bei 2 Prozent und nicht schon bei 1 Prozent Wachstum entstehen, werden wir noch weiter nachdenken müssen, und dann muß entsprechend gehandelt werden. Ich weise aber auch darauf hin - das war bei genauerem Hinsehen übrigens schon am Ende ihrer Regierungszeit, in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres wie am Anfang dieses Jahres, das Problem -, daß die deutsche Volkswirtschaft, obwohl unsere Zukunft im Binnenmarkt Europa liegt, stärker als alle anderen europäischen Volkswirtschaften weltweit verflochten ist und deswegen die Südostasienkrise wie die Südamerikakrise und die Rußlandkrise, die uns besonders finanziell betrifft, in der deutschen Volkswirtschaft stärker als in jeder anderen europäischen zu Buche schlagen. Ich hoffe aber auch, daß, wenn sie jetzt aus dem Loch herauskommen, wie es den Anschein hat, uns das auch wieder helfen wird, ein stärkeres Wirtschaftswachstum zu bekommen. Zusätzliche Beschäftigungsgewinne werden sich durch eine Senkung der Lohnnebenkosten über die ökologische Steuerreform ergeben. Insgesamt, meine Damen und Herren, trägt das Zukunftsprogramm also künftig maßgeblich zur Senkung der Arbeitslosigkeit bei. Schon aus diesem Grund steht es für soziale Gerechtigkeit, für Wachstum und Beschäftigung. Mit anderen Worten: Es steht für die Wende in der Finanzpolitik, die diese Bundesregierung eingeleitet hat. ({81}) In diesem Zusammenhang von sozialer Ungerechtigkeit zu sprechen ist falsch. ({82}) Ich habe das in allen einzelnen Bereichen bereits dargestellt. Ich sage wieder zur PDS: Sie müssen bei dem Thema der Staatsverschuldung anfangen. Dann müssen Sie sich ansehen, was im Steuerentlastungsgesetz an Schlupflöchern oben geschlossen worden ist und was an Steuerentlastungen unten gemacht worden ist. Dann können Sie so nicht mehr reden. ({83}) Ich sage das in alle Richtungen. Ich wüßte noch ein Steuerschlupfloch, das ich gerne schlösse. Wir werden im Rahmen der Unternehmensteuerreform nach dem Prinzip „Bemessungsgrundlage breit, Sätze niedrig“ auch noch eine Reihe von solchen Fragen zu diskutieren haben. Da bleibt die Besteuerung der Kapitalerträge in Europa. Das ist ein wahnsinnig schwieriges Thema. Ich bin froh, daß es endlich wenigstens einen ersten Vorschlag der britischen Regierung dazu gibt. Aber ich bekenne ausdrücklich: Mit dem Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, können wir vor die Bürger Europas nicht treten. Denn daß wir die Kleinanleger besteuern und die großen nicht, das will mir nun wirklich nicht in den Kopf. ({84}) Wie wir es hinbekommen, daß es anders wird, werden wir noch intensiv zu diskutieren haben. Aber da müssen wir voran. Meine Damen und Herren, ich weiß, daß von allen Seiten - auch das ist eine der Ablenkungsdiskussionen in diesem Sommer, damit man sich nicht mit der Sache beschäftigen muß - der Vorwurf der sozialen Unausgewogenheit kommt. Wenn er von der Opposition kommt, finde ich das allerdings besonders stark. Denn gerade die Umverteilungspolitik der letzten 16 Jahre ist es, die wir korrigieren müssen, die wir mit diesem Konzept angehen. ({85}) Wir reden nicht nur von sozialer Gerechtigkeit, wir tun auch sehr konkret etwas dafür. Wir flüchten uns nicht in Wolkenkuckucksheime und verdrängen ein paar Probleme. Ich erinnere nur an die Wiedereinführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, an die Senkung der Arzneimittelzuzahlungen, an die Wiedereinführung des Zahnersatzes für Jugendliche und an die Streichung des Krankenhausnotopfers. Ist es nicht diese Bundesregierung, die im Rahmen der ökologischen Steuerreform erstmals in Deutschland überhaupt die Lohnnebenkosten senkt? ({86}) Es ist auch diese Bundesregierung, die die Steuerschlupflöcher - ich habe das schon gesagt - stopft und Mißbrauchsmöglichkeiten zur Steuervermeidung eindämmt. Endlich werden damit auch Einkommensmillionäre wieder zur Finanzierung der Staatsaufgaben entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit herangezogen, und so muß es auch sein. ({87}) Meine Damen und Herren, soziale Gerechtigkeit, Zukunftsfähigkeit, Generationengerechtigkeit und vor allem die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind für uns nicht nur Schlagworte, sie sind unser Programm, und dieses Programm bestimmt unser Handeln. Wir brauchen in Zukunft weniger Egoismus der einzelnen und der Gruppen, mehr Gemeinsinn und ein gemeinsames Verständnis davon, daß nur eine gerechte Gesellschaft, in deren Mittelpunkt die Würde des einzelnen Menschen steht und seine Fähigkeit und Bereitschaft, für andere einzustehen, eine lebenswerte und zukunftsfähige Gesellschaft ist, ({88}) und das bei allen Belastungen, die wir den Menschen auf diesem Weg notwendigerweise zumuten müssen, weil wir aus den Schwierigkeiten heraus müssen. Ich lade Sie ein, bei diesem Zukunftsprojekt mitzumachen. Teilen Sie mit uns die Verantwortung für eine gute Zukunft dieser Gesellschaft! ({89})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Meine Damen und Herren ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat nun der Kollege Friedrich Merz, CDU/CSU. ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, Sie haben im Verlauf Ihrer Rede beklagt, daß die CDU/CSU in den zurückliegenden Wahlkämpfen die Wählerinnen und Wähler in Deutschland verunsichert habe und Sie deswegen nicht den aus Ihrer Sicht verdienten Wahlerfolg erzielt hätten. Ich sage Ihnen: Wir haben nicht die Wählerinnen und Wähler verunsichert, ({0}) sondern es war überall dort, wo in den letzten Wochen Wahlen stattgefunden haben, festzustellen: Die Wählerinnen und Wähler in Deutschland haben von Ihrer Politik und der Art Ihres Auftretens, Herr Bundeskanzler, die Nase gestrichen voll. ({1}) Sie haben - wie auch in der letzten Woche - erneut auf die Entwicklung der öffentlichen Finanzen und insbesondere des Schuldenstandes hingewiesen. Es kam, wie es nicht anders zu erwarten war. Sie haben gesagt ich habe es wohl richtig mitgeschrieben -, es sei Ihnen ein Rätsel, wie man Konservativen unterstellen könne, sie könnten konsolidieren. Weil ich das genauso erwartet habe, habe ich mir nicht nur die Zahlen der letzten Jahre, sondern die Zahlen von 1949 bis 1998 herausgesucht. Herr Eichel, in den Jahren von 1949 bis 1969 hat die Verschuldung in Deutschland praktisch keine Rolle gespielt. Wir hatten eine Zins-Steuer-Quote in den öffentlichen Haushalten von 2,8 Prozent. Nach 1969 - deswegen war das, was der Kollege Kolbe dazu gesagt hat, völlig berechtigt und notwendig -, in der Zeit der sozialliberalen Koalition, ist die Verschuldung des Bundes in einem Zeitraum von 13 Jahren von 45 Milliarden DM auf über 300 Milliarden DM angestiegen. ({2}) In dieser Zeit, der ersten langen Regierungszeit einer sozialliberalen Koalition, ist die Zins-Steuer-Quote des Bundeshaushaltes von 2,8 Prozent auf 12,1 Prozent gestiegen. Die eigentlich dramatische Veränderung in den öffentlichen Finanzen hat es in der Verantwortung der sozialliberalen Koalition von 1969 bis 1982 gegeben. ({3}) In der Zeit von 1982 bis 1989 - ich teile ganz bewußt die von Ihnen immer wieder zitierten, als Einheit dargestellten 16 Jahre in zwei Zeitabschnitte - konnte die Nettokreditaufnahme des Bundes von 37,2 Milliarden DM auf 19,2 Milliarden DM zurückgeführt werden. Es hat in der Zeit von 1982 bis 1989 eine Halbierung der Nettokreditaufnahme des Bundes gegeben. Hätte es nicht - ich werde darauf zu sprechen kommen - die außergewöhnlich hohen, von vielen - auch von uns - in diesem Umfang nicht so eingeschätzten zusätzlichen Belastungen durch die Überwindung der deutschen Teilung gegeben, hätten wir heute in Deutschland einen ausgeglichenen Bundeshaushalt. ({4}) Es ist wahr, es kam in den Jahren 1989/90 eine Herausforderung auch auf die deutsche Finanzpolitik zu, die in diesem Umfang und in diesem Ausmaß nicht vorherzusehen war. Gleichwohl ist es in den Jahren von 1990 bis 1998 entgegen vielen Befürchtungen nicht nur gelungen, den Geldwert stabil zu halten, sondern es ist auch gelungen, einen großen Teil der Erblasten aus 40 Jahren real existierendem Sozialismus in eine geordnete Finanzpolitik in der Bundesrepublik Deutschland zu überführen. ({5}) Meine Damen und Herren, es hat in diesen Jahren einen breiten politischen Konsens im Bundestag und im Bundesrat darüber gegeben, daß diese Erblasten aus 40 Jahren Sozialismus in der alten DDR in einem außerhalb des regulären Bundeshaushaltes geführten Titel zusammengefaßt werden, den wir damals Erblastentilgungsfonds und Fonds Deutsche Einheit genannt haben. Dieser Titel, dessen Volumen sich zum Ende des Jahres 1998 auf insgesamt mehr als 500 Milliarden DM addiert, ist außerhalb des regulären Bundeshaushalts geführt worden. Herr Bundesfinanzminister, es ist unredlich, wenn Sie heute diese Zahlen, in den Gesamthaushalt, in einen Titel einbeziehen und nicht die Differenzierung danach vornehmen, welches Schulden aus der alten DDR sind ({6}) und welches die laufenden Schulden der öffentlichen Haushalte, insbesondere des Bundeshaushaltes ausmachen. Meine Damen und Herren, in der Zeit von 1990 bis 1998 ist dieses Land, ist diese Volkswirtschaft in der Lage gewesen, 5 Prozent seines Bruttoinlandprodukts für den Aufbau der neuen Bundesländer auszugeben. Wir sind in der Lage gewesen, in acht Jahren Zinserstattungen in Höhe von 80 Milliarden DM aus dem Haushalt zu zahlen, Tilgungen in Höhe von 18 Milliarden DM vorzunehmen und zusätzlich Sondertilgungen in Höhe von 25,5 Milliarden DM aus den Bundesbankgewinnen dem Erblastentilgungsfonds zuzuführen. Sie haben nicht nur den Fonds Deutsche Einheit und den Erblastentilgungsfonds in den allgemeinen Bundeshaushalt überführt, sondern Sie haben in diesem Jahr, 1999, die mögliche Tilgung in einem Umfang von 8 Milliarden DM dem Erblastentilgungsfonds gar nicht mehr zugeführt. ({7}) Wir hätten heute eine höhere Beseitigung der Schulden aus 40 Jahren real existierendem Sozialismus in einer Größenordnung von 8 Milliarden DM, die dem Erblastentilgungsfonds zusätzlich zugeführt worden wären, wenn Sie nicht den Erblastentilgungsfonds und den Fonds Deutsche Einheit in den allgemeinen Bundeshaushalt überführt hätten. Das ist die Wahrheit. ({8}) Ich finde es schon ein bemerkenswert dreistes Stück, wenn Sie heute ständig über die nächste und die übernächste Generation reden, aber verschweigen, daß Sie im Jahre 1999 die 8 Milliarden DM Tilgung, die möglich gewesen wären, in den allgemeinen Bundeshaushalt überführt haben. Dies ist ein bemerkenswert dreistes Stück. ({9}) Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, lagen wir Ende 1998 - das war das letzte Jahr dieser schrecklichen 16 Jahre, die Sie immer beschreiben dem Tilgungsplan zum Erblastentilgungsfonds um 20 Milliarden DM voraus. Wir hatten also Ende 1998 20 Milliarden DM mehr getilgt, obwohl im Jahre 1997 entgegen dem ursprünglichen Tilgungsplan für den Erblastentilgungsfonds die Tilgungen einmal ausgesetzt worden sind. Diese Bundesregierung hat das Sparen nicht erfunden; sie spart in Wahrheit auch nicht. Im Bundeshaushalt des Jahres 2000 sind Ausgaben in einer Größenordnung von 478 Milliarden DM veranschlagt. Das sind gegenüber dem laufenden Haushalt 1999 nicht 30 Milliarden DM, sondern nur ganze 7 Milliarden DM weniger. Der laufende Haushalt des Jahres 1999 beläuft sich auf 485 Milliarden DM. Für das Jahr 2000 haben Sie Ausgaben von 478 Milliarden DM veranschlagt. Das sind nicht 30 Milliarden DM, sondern nur 7 Milliarden DM weniger. Ich werde auf eine Reihe von ungedeckten Schecks noch zu sprechen kommen. Auch hier der Vergleich zu dem, was war: Im Haushalt 1998 - und zwar im vollzogenen Haushalt des Jahres 1998 - belaufen sich die Bundesausgaben auf 455 Milliarden DM. Im ersten Jahr des Bundesfinanzministers Hans Eichel gibt die Bundesrepublik Deutschland nicht 30 Milliarden DM weniger, sondern 22 Milliarden DM mehr aus als im letzten Bundeshaushalt der alten Regierung. Das ist die Wahrheit. ({10}) Dieser Betrag von 7 Milliarden DM, den Sie gegenüber dem laufenden Haushalt 1999 sparen wollen, ist mit einer ganzen Reihe von ungedeckten Schecks finanziert. Ich will nur auf den größten Posten zu sprechen kommen: Sie wollen im Bereich des Wohngeldes für Sozialhilfeempfänger die Länder und die Kommunen in die Pflicht nehmen. Allein in diesem Bereich wollen Sie nicht 2,25 Milliarden DM einsparen, sondern auf die Kommunen verschieben. Wenn Sie weitere Titel, die auf die Kommunen verschoben werden sollen, hinzunehmen, dann können Sie feststellen, daß allein 4,5 Milliarden DM, möglicherweise sogar 5 Milliarden DM, nicht wirklich gespart, sondern auf die Kommunen verschoben werden. Herr Bundesfinanzminister, Verschieben ist kein Sparen, ({11}) sondern eine Lastenverschiebung auf die unteren staatlichen und kommunalen Ebenen. Sie weisen in Ihrem Sparpaket globale Minderausgaben in einer Größenordnung von 5 Milliarden DM aus. Das heißt, ein ganz erheblicher Teil des Sparvolumens, das Sie realisieren wollen, ist nicht spezifiziert. Sie überlassen es jetzt dem Parlament und den Ressorts, Einsparungsvorschläge in einer Größenordnung von 5 Milliarden DM zu machen, von denen Sie heute schon wissen, daß sie nicht realistisch sind. Ich nenne Ihnen ein ganz konkretes Beispiel: Sie machen insbesondere den Bundesverteidigungsminister für Einsparungen in seinem Bereich verantwortlich, um damit einen großen Teil dieser sogenannten globalen Minderausgabe zu decken. - Herr Scharping ist im Augenblick nicht anwesend. ({12}) - So wird es sein. - Mit dem, was der Bundeswehr im Rahmen dieses Sparpaketes zusätzlich zugemutet wird entgegen allen Versprechungen, die ihr und ihrem Amtsinhaber, der gegen seinen Willen dieses Amt erhalten hat, gemacht worden sind; Ende des letzten Jahres hieß es, die Bundeswehr werde von den jetzt als notwendig angesehenen Sparmaßnahmen ausgenommen -, wird ihre Funktionsfähigkeit im Kern beschädigt. ({13}) Möglicherweise schließt sich gerade der Bundesaußenminister mit dem Bundesverteidigungsminister kurz. Es macht nämlich keinen Sinn, über internationale Verpflichtungen der Bundeswehr zu sprechen und weitere Beiträge der Bundesrepublik Deutschland zu internationalen Friedensmissionen in Aussicht zu stellen, ({14}) wenn nicht gleichzeitig auch die Bundeswehr bezüglich ihrer Personalsituation und technischen Ausrüstung in die Lage versetzt wird, einen solchen Auftrag wahrnehmen zu können. ({15}) Herr Kollege Poß, die Lautstärke Ihrer Zwischenrufe ist diametral entgegengesetzt der Überzeugungskraft, mit der Sie Ihre Politik im eigenen Wahlkreis vertreten. ({16}) Ich habe mir mit großem Interesse die Wahlergebnisse vom letzten Sonntag angesehen. Gerade in den früheren Hochburgen der SPD im Ruhrgebiet ist zu beobachten diese Tatsache verdient es, daß eine breitere Öffentlichkeit von ihr Kenntnis nimmt -, daß die größten Verluste, die die SPD dort am letzten Sonntag erlitten hat, im Wahlkreis des Kollegen Poß in einer Größenordnung von 14,1 Prozent gegenüber der letzten Kommunalwahl lagen. ({17}) Es wird noch besser - ich habe mir die Ergebnisse genau angesehen -: Herr Poß, vielleicht haben Sie diese Zahl nicht so genau im Kopf. Gegenüber der Bundestagswahl haben Sie 20,7 Prozent verloren. Das ist ein Beleg für die Überzeugungskraft des Kollegen Poß in seinem eigenen Wahlkreis. ({18}) - Da hinten ruft einer, der es noch besser kann als Sie. Aber auch da finden demnächst Wahlen statt. ({19}) Ich komme zurück auf den Bundeshaushalt des Jahres 2000. Sie beziehen - nicht nur in den Haushalt des Jahres 2000, sondern auch in die mittelfristige Finanzplanung - eine erhebliche Begrenzung des Einkommenszuwachses bei den Abschlüssen für die Beamten ein. Herr Eichel, die ÖTV und andere haben Ihnen bereits klar gesagt, daß das mit ihnen nicht zu machen ist. ({20}) Ganz objektiv wird es in einer ganzen Reihe von Bundesländern gar nicht so gehen können, wie Sie das wollen. Denn Sie haben offensichtlich übersehen, daß in Sachsen und in anderen ostdeutschen Bundesländern ein großer Teil der öffentlich Bediensteten, die Sie in Ihre Rechnung einbezogen haben, nicht Beamte, sondern Angestellte des öffentlichen Dienstes sind. ({21}) Sie können also von einer solchen Begrenzung des Zuwachses bei den Einkommen der Beamten und anderer Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes objektiv nicht ausgehen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einmal auf das Thema Ökosteuer zu sprechen kommen, jenseits aller steuerrechtlichen und sozialpolitischen Erwägungen: Wenn das Wirklichkeit wird, was Sie mit der Ökosteuer in den nächsten fünf Schritten geplant haben, dann werden Sie am Ende dieses Zeitraums im Bundeshaushalt Ausgaben - gesetzliche Verpflichtungen! - in einer Größenordnung von 150 Milliarden DM eingestellt haben, über die Sie nicht mehr verfügen können, es sei denn, Sie stellen die Finanzierung der Rentenversicherung über die Ökosteuer zu einem späteren Zeitpunkt in Frage. Herr Eichel, das sind rund ein Drittel der Auszahlungen des Bundeshaushaltes. Wenn Sie - ich widerspreche Ihnen nicht - beklagen, daß die Handlungsspielräume des Staates durch zu viele Vorfestlegungen bei den öffentlichen Ausgaben zu schmal werden, dann sage ich Ihnen: Mit diesem Konzept der Ökosteuer werden Sie sich auf der Ebene des Bundeshaushaltes endgültig jedes Handlungsspielraumes begeben, weil Sie mit der Quersubventionierung der Rentenversicherung durch die Ökosteuer Festlegungen getroffen haben, von denen Sie, wenn Sie das Wirklichkeit werden lassen, nie wieder herunterkommen. ({22}) Sie haben in diesem Zusammenhang gesagt, durch dieses Ökosteuerkonzept sei es erstmalig gelungen, die Abgaben zu senken. ({23}) Herr Eichel, Sie senken doch keine Abgaben. Sie haben für die Probleme der Rentenversicherung, die unbestritten sind und über die wir ja schon lange diskutieren, nicht eine Problemlösung, sondern nur eine neue Finanzierungsquelle gesucht. ({24}) Sie versuchen, mit einer eleganten Verpackung - wer wolle bestreiten, daß die Formulierung „ökologischsoziale Steuerreform“ geschickt gewählt ist: jeder ist für Ökologie, jeder ist gerne sozial ({25}) zu verdecken, daß Sie in Wahrheit ein zusätzliches, und zwar dauerhaftes, Problem für den Bundeshaushalt schaffen, wenn Sie Ausgaben aus dem Bundeshaushalt in diesem Umfang für die Zukunft festlegen. ({26}) Meine Damen und Herren, wir werden im Bereich der Sozial- und Rentenpolitik und anderer sozialer Sicherungssysteme nicht um grundlegende Veränderungen herumkommen. ({27}) - Wissen Sie, Herr Kollege Wagner, bei Ihren Zwischenrufen wenden sich mittlerweile schon Ihre grünen Koalitionspartner entsetzt ab. Sie sind wirklich nicht mehr anzuhören. Ich habe größtes Verständnis dafür, daß Sie nach dem Wahlergebnis im Saarland vom vorletzten Sonntag hier besonders zerknirscht sind. Sie sind ja noch nie ein Ausbund großer Fröhlichkeit gewesen. Aber Sie belästigen uns mit der Art und Weise, wie Sie dazwischenrufen. ({28}) Meine Damen und Herren, wir werden um grundlegende Strukturreformen der sozialen Sicherungssysteme nicht herumkommen. Wir werden das auch deswegen nicht vermeiden können, weil die Beschäftigungsschwelle auf dem Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik - die Sie, Herr Eichel, zu Recht beklagt haben - außergewöhnlich hoch ist. Die Beschäftigungsschwelle sagt etwas darüber aus, ab welchem Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik Deutschland oder in einer anderen Volkswirtschaft eine Zunahme an Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten ist. Die Beschäftigungsschwelle in Deutschland ist in der Tat hoch. Sie ist höher als in den meisten Industrieländern dieser Welt. Woran liegt das? Sie haben wohlweislich in diesem Zusammenhang nicht darüber gesprochen, daß die Beschäftigung in Deutschland im laufenden Jahr 1999 wieder deutlich abgenommen hat. Im übrigen war auffallend, daß Sie in Ihrer fast einstündigen Rede das zentrale Thema Ihrer Regierung, nämlich die Beseitigung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt, immer nur im Zusammenhang mit Haushaltskennziffern genannt haben. Wir werden auch in der Haushalts- und Finanzpolitik sehr viel mehr über die wirtschaftspolitischen Grundfragen unseres Landes sprechen müssen. Zu diesen wirtschaftspolitischen grundsätzlichen Herausforderungen gehört, daß in der Bundesrepublik Deutschland die sogenannte Beschäftigungsschwelle gesenkt werden muß. Das geht aber nur, wenn Sie die Zutrittsbarrieren zum Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland senken und nicht weiter erhöhen. ({29}) Diese Bundesregierung hat zum Anfang ihrer Regierungstätigkeit genau das Gegenteil von dem getan, was zur Senkung der Zutrittsschwellen zum Arbeitsmarkt in Deutschland notwendig gewesen wäre. Sie haben sich immer wieder selbst dafür gelobt, daß Sie Versprechungen gehalten haben. In der Tat ist es nicht ehrenrührig, Versprechungen zu halten. Sie haben aber, meine Damen und Herren, von Anfang an die falschen Versprechungen abgegeben. ({30}) Sie haben nämlich der deutschen Öffentlichkeit - insoweit sind Sie jetzt Gefangene Ihrer eigenen Wahlkampfrhetorik des letzten Jahres - den Eindruck vermittelt, man könne auch mit sehr hohen Kündigungsschutzschwellen, mit einer sehr umfangreichen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und mit weiteren Rigiditäten auf dem Arbeitsmarkt das Problem nur dadurch lösen, wenn man das vorhandene Volumen an Arbeit möglichst gerecht verteilt. Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat aber nicht in erster Linie ein Verteilungsproblem, sondern ein nachhaltiges Investitions- und Wachstumsproblem. ({31}) Sie werden selbst bei einer besseren Entwicklung der Konjunktur, die in der Tat auch ohne Ihr Zutun im nächsten Jahr zustande kommen wird, nicht vermeiden, daß die Beschäftigungsschwelle in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor oberhalb des Zuwachses des realen Bruttoinlandsproduktes liegen wird. Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland darauf, Herr Eichel, haben Sie überhaupt keine Antwort gegeben - zur Absenkung der Beschäftigungsschwelle und für die Möglichkeit, mehr Beschäftigung zu organisieren, eine höhere Flexibilität des Arbeitsmarktes. Wir brauchen mehr Möglichkeiten, um auch im unteren Lohnbereich Beschäftigung zu organisieren. Wenn Sie mit diesen hohen Zutrittsbarrieren zum Arbeitsmarkt fortfahren, dann werden Sie dieses zentrale Problem unseres Landes, das Sie zum zentralen Anliegen Ihrer Regierung gemacht haben, nicht lösen. ({32}) Richtigerweise haben Sie in Ihrer Rede immer wieder die Steuerpolitik angesprochen. Sie haben gesagt, Sie wollten in der Bundesrepublik Deutschland ein Steuersystem nach Leistungsfähigkeit und Sie wollten in der Bundesrepublik Deutschland ein gerechtes Steuersystem, das mehr Beschäftigung ermögliche. Herr Eichel, ich habe in guter Erinnerung, wie die Angriffe aus den Reihen der Sozialdemokraten und aus den Reihen der sozialdemokratisch geführten Bundesländer gegen unser Steuerkonzept in den Jahren 1996 und 1997 gelaufen sind, als wir genau das, was Sie heute reklamieren, schon einmal machen wollten. Ich könnte Ihnen heute noch Briefe vorlesen, die Kollegen aus der SPDBundestagsfraktion aus den Küstenländern verfaßt haben. Ich könnte Ihnen einen Brief vorlesen, den die noch amtierende Ministerpräsidentin des Landes SchleswigHolstein geschrieben hat, als wir genau das machen wollten, was Sie heute reklamieren, nämlich die zahlreichen Ausnahmetatbestände in unserem Steuersystem zu beseitigen. Ich nenne nur das Beispiel der Schiffsbeteiligungen. Wir wollten das im Jahr 1997 angehen; wir wollten die steuerliche Bemessungsgrundlage so verbreitern, daß eine Besteuerung nach Leistungsfähigkeit in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich verwirklicht wird. ({33}) Diejenigen, die das verhindert haben, sitzen hier auf der linken Seite, meine Damen und Herren. ({34}) Ich finde es ja schon fast amüsant, wie häufig an die Opposition appelliert wird, jetzt nicht zu blockieren. Offensichtlich haben Sie Angst davor, daß die heutige Opposition die gleichen Verhaltensmuster wie die frühere Opposition anwendet. ({35}) Ich sage Ihnen: Wir werden das nicht tun. Im Gegenteil: Ich mache Ihnen zwei konkrete Angebote. Ich mache Ihnen das Angebot, daß wir mit Ihnen zusammen bei zwei zentralen innenpolitischen Fragen gemeinsame Konzepte erarbeiten und kurzfristig umsetzen. Erstens. Wir sind bereit, mit Ihnen darüber zu sprechen, ob nicht die nebeneinander stehenden und häufig auch im Widerspruch zueinander stehenden Systeme der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Transfersystem zusammengefaßt werden sollten. ({36}) Die Ausgaben für die Sozialhilfe bewegen sich in einer Größenordnung von 50 Milliarden DM und für die Arbeitslosenhilfe in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM. Im Arbeitslosenhilfesystem besteht nicht die Möglichkeit, jemanden zu entsprechender Beschäftigung heranzuziehen und zur Aufnahme gemeinnütziger Tätigkeit zu verpflichten. Die Behörden, die diese sozialen Systeme zu verwalten haben, stehen nebeneinander, teilweise sogar gegeneinander. Sie schieben sich die Fälle gegenseitig zu. Durch ein einheitliches Transfersystem könnte man hier nicht nur einen erheblichen Teil der Ausgaben einsparen, sondern auch eine konsistente Politik für diejenigen betreiben, die diese Systeme tatsächlich brauchen. Wir bekennen uns ausdrücklich dazu: Auch in Zukunft ist Sozialhilfe für diejenigen notwendig, die verschuldet oder unverschuldet ein Problem haben. Wir sind ausdrücklich bereit, zugunsten einer neuen Möglichkeit der Finanzierung, die auf unterer Ebene gehalten werden muß, die Systeme der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe zu einem System zusammenzufassen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Merz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuhrmann?

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Kollege Fuhrmann? - Gerne.

Arne Fuhrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Merz, habe ich Sie richtig verstanden, daß es im Bundessozialhilferecht keine Möglichkeit gibt, zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen zu werden? Das irritiert mich jetzt. ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe Verständnis dafür, Herr Kollege Fuhrmann, daß Sie das irritiert. Sie alle waren damals, als wir diese Regelung eingeführt haben, dagegen. Trotzdem haben Sie dies nach dem Regierungswechsel - richtigerweise - nicht geändert. Aber nach den Bestimmungen des Sozialhilfegesetzes können Sozialhilfeempfänger zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen werden. Wenn Sie dieser Verpflichtung nicht Folge leisten, müssen sie eine erhebliche Kürzung ihrer Leistungen akzeptieren. Darauf habe ich ausdrücklich hingewiesen. ({0}) - Entschuldigung, wenn es ein Mißverständnis gegeben hat. Ich habe es ausdrücklich gesagt. Ich habe darauf hingewiesen - Ihre Frage ist deswegen richtig und notwendig, weil sie mir Gelegenheit gibt, es noch einmal zu erklären -, daß von der Möglichkeit, Leistungen zu kürzen, im Rahmen der Arbeitslosenhilfe kein Gebrauch gemacht werden kann. Ich biete ausdrücklich an, daß die bisher nebeneinander stehenden Sozialsysteme - Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe - zu einem einheitlichen Sozialhilfesystem - wie immer Sie es nennen wollen - zusammengefaßt werden. Wenn das geschieht, muß auch die Möglichkeit wie im heutigen Sozialhilferecht gegeben sein, Empfänger von Arbeitslosenhilfe zu gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen. ({1}) Wir machen der Bundesregierung ein zweites konkretes Angebot der Zusammenarbeit. Wir sind bereit, mit Ihnen vorurteilsfrei auf der Basis aller bis zum heutigen Tag erarbeiteten fachlichen und wissenschaftlichen Vorschläge in der Bundesrepublik Deutschland kurzfristig eine Steuerreform für Wachstum und Beschäftigung umzusetzen. ({2}) Ich weise darauf hin: Die zentralen Probleme unseres Landes - nicht dieser Regierung; die wird den nachfolgenden Generationen völlig gleichgültig sein - bestehen darin, daß das wirtschaftliche Wachstum zu gering ist, daß es keine Investitionen gibt und daß die Beschäftigungsschwelle zu hoch ist. Wir müssen in der Bundesrepublik Deutschland ein Steuersystem verwirklichen, das den Forderungen nach mehr Wachstum und mehr Beschäftigung Rechnung trägt. Wenn Sie die Fragen stellen: „Was ist sozial? Was ist soziale Gerechtigkeit?“ - vorausgesetzt, dies soll mehr als Worthülsen sein, mit der Sie Wahlkampf führen -, dann müssen wir antworten: Sozial gerecht ist das, was Beschäftigung in Deutschland schafft. ({3}) Diese Antwort bedeutet - bedauerlicherweise ist auch der Kollege Struck bei der Diskussion über dieses Thema nicht im Saal -, ein Steuersystem zu verwirklichen, das im wesentlichen dem entspricht, was wir in der letzten Legislaturperiode durchzusetzen versucht haben. Wir sind bereit - ich wiederhole das -, vorurteilsfrei auf der Basis aller fachlich erarbeiteten Vorschläge eine grundlegende Reform des Steuersystems in der Bundesrepublik Deutschland mit Ihnen durchzusetzen, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem Sie sich, Herr Eichel, mit Ihrem geplanten Betriebssteuerkonzept in den Fallstricken des Systems offensichtlich völlig verfangen haben. ({4}) Wir sind bereit, das mit Ihnen gemeinsam zu machen. Wir sind bereit, das zu tun, wovon der Kollege Struck völlig zu Recht gesprochen hat, nämlich eine Steuerreform in Deutschland auf den Weg zu bringen, die diesen Namen wirklich verdient. ({5}) Wir sind sogar bereit, mit Ihnen zusammen ein Versprechen einzuhalten, das Sie und nicht wir abgegeben haben, nämlich eine solche Steuerreform mit einer Nettoentlastung zum 01.01.2000 kurzfristig in Kraft zu setzen. Das ist möglich. Wenn es gelänge, dann ginge ein wirklicher Ruck für mehr Wachstum, für mehr Beschäftigung und für mehr Arbeitsplätze durch dieses Land. ({6}) Sparen ist zwar grundsätzlich richtig, aber wenn Sie es nur auf der Basis Ihrer verkorksten Haushaltslage, die Sie selbst zu Beginn des Jahres 1999 mit 30 Milliarden DM Mehrausgaben gegenüber dem Vorjahr herbeigeführt haben, ({7}) wenn Sie nur Ihre eigenen Probleme lösen und nicht dazu beitragen, daß wir in Deutschland mehr Wachstum und mehr Beschäftigung bekommen, dann wird jede Sparoperation umsonst sein, dann werden die Probleme dieses Landes nicht gelöst. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Werter Kollege Wagner, ich möchte Ihnen eine Empfehlung aussprechen: Gehen Sie mit dem im Zwischenruf gemachten Vorwurf „Sie lügen“ etwas sparsamer um! Man könnte beweispflichtig werden. Es handelt sich um eine herzliche Bitte. Ich erteile das Wort dem Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann zutreffende Feststellungen unterschiedlich ausdrücken; ({0}) man muß nicht das Wort „Lüge“ gebrauchen. Ich werde im Rahmen meiner Ausführungen darauf zu sprechen kommen, daß bei Herrn Merz die Fähigkeit zur Formulierung spitzfindiger Sottisen weitaus ausgeprägter als der Hang zur Wahrhaftigkeit oder auch zu klarem, konzeptionellem Denken ist. ({1}) Eines ist nicht zu leugnen: Wir werden derzeit bei Wahlen für die Abtragung der Erblast bestraft, die Herr Merz heute morgen versucht hat wegzudefinieren. Für diese Hypotheken werden wir bestraft. ({2}) Das muß man schlicht und einfach feststellen. Im übrigen, Herr Merz, bezogen auf meinen Wahlkreis: Ich stand da nicht zur Wahl. Zur Wahrhaftigkeit gehört auch, das zu sagen. ({3}) Welche Zielmarke Sie und ich erreichen, das wird sich im Jahre 2002 herausstellen, Herr Merz. Das wollen wir einmal sehen. Meine letzte Zielmarke waren 65,4 Prozent. Ich glaube, Sie sind im Sauerland stärker eingebrochen. Haben Sie das schon vergessen? Das war am 27. September. Herr Merz, die Konkurrenz zwischen uns tragen wir wieder im Jahre 2002 aus. Dann können wir im Deutschen Bundestag Bericht erstatten, wie diese Konkurrenz ausgegangen ist. ({4}) Wir haben hier eine Premiere erlebt. Die Rede von Herrn Merz war eine Rede mit Ansage. In der „Welt“ war heute zu lesen, er werde Herrn Eichel mit einer Zahlenreihe entlarven. Was haben wir hier erlebt? Herr Merz hat versucht, mit verschiedensten Zahlen zu belegen, es gebe gar keine Kohlsche Erblast, es gebe nur eine Erblast der sozialliberalen Koalition und eine der ehemaligen DDR. Kohl und die ehemalige Regierungskoalition hätten nie in der Verantwortung gestanden. Das war die Quintessenz der Beweisführung. Wenden wir uns doch einmal den Fakten und nicht den Vernebelungen, die hier mit eloquenter Blasiertheit vorgetragen wurden, zu. ({5}) Zu den Fakten zählt, daß in der ersten Hälfte der Regierungszeit von Helmut Kohl - diese Differenzierung wurde von Herrn Merz vorgenommen - die Schulden verdoppelt wurden. In der zweiten Hälfte der Regierungszeit von Helmut Kohl wurden die Schulden verFriedrich Merz vierfacht. Herr Merz, Sie können reden, was Sie wollen, das sind die Fakten. ({6}) Herr Eichel hat immer die richtigen Zahlen und Daten genannt. Herr Merz, Sie haben über unsere Regierungszeit gesagt, wir hätten von Anfang an die falschen Versprechungen abgegeben. Nein, Sie haben im Zusammenhang mit der deutschen Einheit die falschen Versprechungen abgegeben. ({7}) Sie haben 1990 gesagt, die Einheit werde aus der Portokasse finanziert. Auf diese Weise haben Sie sich am Zusammenwachsen von Ost und West versündigt. ({8}) Mit Ihrer Herangehensweise haben Sie so getan, als sei die Einheit ohne Anstrengungen zu finanzieren. Für dieses historische Versäumnis stehen Sie, Herr Merz, und andere; Herr Waigel natürlich mehr als Sie. Zu jener Zeit spielten Sie noch keine große Rolle, und die Regierungszeit haben Sie nicht lange genießen können. Aber Herr Kohl, der vorhin hier saß, und Herr Waigel spielten neben der F.D.P. dabei eine wichtige Rolle. Wir haben die richtigen Versprechungen abgegeben. Wir haben vor der Wahl gesagt, wir würden Arbeitnehmer wieder in den alten Stand setzen, was ihre Rechte angeht. Dazu stehen wir Sozialdemokraten; auch wenn das manche in den eigenen Reihen oder von Gewerkschaften ungerechtfertigterweise anders sehen. Wir haben nach der Wahl das gemacht, was wir vor der Wahl gesagt haben. Wir sind wahrhaftig geblieben. Natürlich kann man über die einzelnen Maßnahmen streiten. Sie dagegen haben vor der Wahl 1990 der deutschen Bevölkerung die Unwahrheit gesagt. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({9}) Es unterscheidet diese Koalition von Ihnen, daß wir nach der Wahl das machen, was wir vor der Wahl gesagt haben. ({10}) Wenn man nicht ein kurzes Gedächtnis hat, muß man das doch zugestehen. Herr Merz hat auch gesagt, es sei nicht richtig, jetzt den Erblastentilgungsfonds in den Haushalt aufzunehmen; anderenfalls hätten wir 8 Milliarden DM tilgen können. Herr Merz, es hat doch nie reale Tilgungen gegeben. Die Tilgungen wurden durch zusätzlichen Schuldenaufbau finanziert. Das ist die Wahrheit. Es war kein echtes Tilgen. ({11}) Dann haben Sie gesagt, Sie hätten das großzügige Angebot einer großen Steuerreform gemacht. Sie haben doch jetzt die Chance, bei den Schritten mitzuwirken, die anstehen. Wir haben den Entwurf eines Familienförderungsgesetzes. Wir bekommen Anfang nächsten Jahres den Entwurf einer Unternehmensteuerreform. Bei dem größten Reformvorhaben, das je realisiert wurde, beim Steuerentlastungsgesetz, haben Sie doch permanent gegen das Schließen von Schlupflöchern gestimmt. Das gehört auch zur Wahrheit; das kann man doch im Protokoll nachlesen, Herr Merz. ({12}) Ich weiß gar nicht, welchen Eindruck Sie hier der deutschen Öffentlichkeit vermitteln wollen. Wir realisieren derzeit die größte Steuerreform aller Zeiten im Zusammenwirken von Steuerentlastungsgesetz, Familienförderungsgesetz, Unternehmensteuerreform und Fortsetzung der Ökosteuerreform. Ein solches Paket hat es in der Bundesrepublik Deutschland bisher noch nicht gegeben. ({13}) Nein, es ist wirklich schizophren: Seit elf Monaten sind wir dabei, die höchste Arbeitslosigkeit, den höchsten Schuldenberg sowie die höchste Steuer- und Abgabenlast abzuarbeiten. Dabei werden wir von Ihnen so begleitet, wie wir es gegenwärtig erleben. Sie müssen wirklich eine andere Haltung annehmen. ({14}) Sie können doch nicht mit dem kurzen Gedächtnis der Menschen rechnen und so tun, als hätten alle vergessen - viele haben es ja leider schon vergessen -, welchen Scherbenhaufen Sie uns hinterlassen haben. ({15}) Deshalb ist das Zukunftsprogramm richtig und wichtig. Über Einzelheiten des vorgelegten Zukunftsprogramms wird sicher noch geredet und gestritten werden. Gesamtrichtung und Gesamtkonzept müssen jedoch Bestand haben. In dieser Frage gibt es Konsens in der SPD-Fraktion und auch bei den SPD-geführten Bundesländern. Das Zukunftsprogramm bricht endgültig mit der Verschuldungspolitik der Regierung Kohl; ({16}) es stellt eine Zäsur dar. Die Zahlen hat Herr Eichel Ihnen genannt. Aber ich wiederhole sie; man kann sie ja nicht oft genug nennen. Von 350 Milliarden DM im Jahre 1982 ist die Staatsverschuldung allein beim Bund auf 1,5 Billionen DM angestiegen - eine riesige Summe, die, auf den einzelnen Bundesbürger gerechnet, einen Schuldenbetrag von etwa 19 000 DM bedeutet. Das ist alarmierend. Wenn der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr Dr. Schäuble, im ZDF vor Millionen von Menschen behauptet, mit den Staatsfinanzen sei es gar nicht so schlimm, die Lage der Bundesfinanzen werde von uns dramatisiert, dann ist das eine unzulässige - ich sage sogar: verantwortungslose - Verharmlosung der wahren Lage. ({17}) Aber weil die abgelöste Koalition nicht den Mut und nicht die Standfestigkeit hatte, eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung zu betreiben, bleibt dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Schäuble gar nichts anderes übrig, als zu behaupten, alles sei nicht so schlimm. Nur, zukunftsfähig ist das nicht, was er da macht. ({18}) Wenn auf Grund der aufgetürmten Schulden heute die Zinszahlungen nach den Sozialausgaben der zweitgrößte Etatposten des Bundes sind, dann ist die finanzielle Handlungsfähigkeit des Bundes in Gefahr. Da beißt die Maus keinen Faden ab; das ist der Tatbestand. Jede vierte Steuermark des Bundes muß heute für Zinsen verwendet werden. Dieses Geld steht für Zukunftsaufgaben, wie zum Beispiel für Bildung, Forschung und Infrastruktur, nicht mehr zur Verfügung. Deshalb müssen wir umsteuern. Deshalb muß unser Zukunftsprogramm einen umfangreichen Spar- und Konsolidierungsteil enthalten. Darüber müßte eigentlich parteiübergreifend Konsens bestehen. ({19}) In einer Welt, in der die sozialen Spannungen eher zuals abnehmen, in der durch Globalisierung und immer rasantere Produktivitätsentwicklung auch in Zukunft Arbeitsplätze gefährdet werden, muß der Staat in erheblichem Maße finanziell handlungsfähig bleiben. Auch das Volumen des von der Regierung vorgeschlagenen Konsolidierungspaketes ist richtig und unvermeidlich. Würden nicht im Jahre 2000 30 Milliarden DM und im Finanzplan bis 50 Milliarden DM gespart, würde die Nettokreditaufnahme des Bundes ab dem Jahre 2000 Jahr für Jahr auf ein Niveau von etwa 80 Milliarden DM oder höher steigen. Nur zur Erinnerung: Den traurigen Rekord bei der jährlichen Kreditaufnahme des Bundes hält ebenfalls die Regierung Kohl/Waigel mit 78 Milliarden DM im Jahre 1996. ({20}) Die frühere Koalition hat uns einen Haushalt hinterlassen, der in erschreckender Weise gegen das grundlegende Prinzip der Haushaltswahrheit verstoßen hat. So wurden zum Beispiel vor der Bundestagswahl die wirtschaftliche Entwicklung zu positiv eingeschätzt, um die Steuereinnahmen optisch nach oben zu treiben, die nötigen Ausgaben für den Arbeitsmarkt zu gering veranschlagt, Risiken ignoriert - zum Beispiel in der Frage der Gewährleistungen - und feststehende Verpflichtungen nicht etatisiert - zum Beispiel beim Kohlekompromiß. Erst als dies von der neuen Regierung bereinigt worden ist - denn darum geht es: wir haben nicht den Haushalt aufgebläht, sondern wir haben für Haushaltsklarheit und -wahrheit gesorgt, Herr Kollege Merz, nichts anderes -, ({21}) ist das Gesamtausmaß der Haushaltsmalaise deutlich geworden. Zu den Schattenhaushalten habe ich schon etwas gesagt. Sie haben die Schattenhaushalte gebildet, um das Ausmaß der Haushaltsprobleme zu verschleiern. Auch das haben wir beendet. Uns vor diesem Hintergrund eine expansive Haushaltspolitik vorzuwerfen und uns zu unterstellen, wir sammelten jetzt ein, was wir 1999 „draufgelegt“ hätten, ({22}) obwohl wir nur Haushaltswahrheit und -klarheit hergestellt haben, wie Recht und Gesetz es vorschreiben, grenzt schon an Demagogie. ({23}) Was die Struktur der Sparmaßnahmen angeht, Herr Merz - wegen Ihrer Bemerkung zu einzelnen Haushalten, zum Beispiel Verteidigung -, so kann der Haushalt im notwendigen hohen Umfang nur dann konsolidiert werden, wenn die neben den Zinsausgaben größten Ausgabeblöcke im Bundeshaushalt - die Sozialausgaben, die Verteidigungsausgaben und auch die Ausgaben für Verkehr und Bauwesen - begrenzt werden. Es wird sich in den kommenden Diskussionen im einzelnen zeigen, daß für die vom Kabinett vorgelegte Struktur der Konsolidierungsmaßnahmen gute Argumente bestehen. Es ist zum Beispiel durchaus überzeugend, in welcher Weise Arbeitsminister Riester seine Prioritäten setzt. Bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik und beim Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit wird auf Einsparungen und Schnitte verzichtet. Dafür muß allerdings vorübergehend der Anstieg von Sozialleistungen begrenzt werden. Schmerzhaft und von uns nur im Hinblick auf den Gewinn von Zukunftsperspektive akzeptabel sind sicherlich die vorgesehenen Einsparungen bei den Arbeitslosenhilfeausgaben. Eine grundsätzliche Alternative zum eingeschlagenen Konsolidierungskurs kann ich nicht erkennen. Erinnern wir uns doch: Noch im Frühjahr war es beim politischen Gegner, teilweise auch in der eigenen Koalition jedenfalls bei einzelnen - und auch bei den Medien eine ausgemachte Sache, daß wir, um überhaupt einen verfassungsmäßigen Haushalt aufstellen zu können, die Mehrwertsteuer um mehrere Prozentpunkte anheben müßten. Aber allein aus konjunkturellen Gründen wäre das doch verheerend gewesen, meine Damen und Herren. Wer wie wir die Steuern gerade der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, der Familien und des Mittelstandes senken will, der kann nicht gleichzeitig den Haushalt über Steuererhöhungen konsolidieren wollen. Deshalb machen wir das auch nicht. ({24}) Die Opposition kündigt fast täglich an, sie wolle sich konstruktiv an der Haushaltskonsolidierung beteiligen. Nur fehlen bisher ernstzunehmende Vorschläge. Wir hören nur, dieses dürfe nicht gekürzt, jenes dürfe nicht zurückgefahren werden. Nur in einem Bereich wird die CDU/CSU deutlich: So fordert Herr Merz im „Focus“, den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit gleich um viele Milliarden DM zurückzufahren. Das würde bedeuten: weniger Geld für das äußerst erfolgreiche Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit, weniger Geld für aktive Arbeitsmarktpolitik in West- und vor allem in Ostdeutschland. Oder wollen Sie etwa auf die Vorschläge der Herren Protzner und Uldall zurückgreifen? Sie forderten: kein Geld für Arbeitslose mehr im ersten Monat ohne Job, in der Krankenversicherung nur noch begrenzte Leistungen, erhöhte Zuzahlungen und Selbstbehalt. Es muß doch allen klar sein: Wenn die alte Koalition bestätigt worden wäre, wäre das, was jetzt Uldall und Protzner fordern, Bestandteil des Drehbuchs für die Koalitionsvereinbarungen geworden. ({25}) Die Menschen müssen doch erfahren und es muß ihnen klar werden, was ihnen bei Fortsetzung einer schwarzgelben Koalition gedroht hätte; dann können sie zwischen jenem und dem, was wir jetzt an sozialen Härten in unserem Zukunftsprogramm formulieren, abwägen. ({26}) Für diese Form von konstruktiver Mitarbeit werden Sie unseren Beifall nicht finden - und wohl auch gar nicht ernsthaft erwarten. Die Debatte um Zukunftsprogramm und Konsolidierung wird insgesamt zu einseitig geführt. Konsolidierung und Zukunftsgestaltung sind zwei Seiten einer Medaille. So gelingt es uns durch unseren Konsolidierungskurs, bereits im Jahre 1999, im Haushalt 2000, aber auch im Finanzplan bis 2003 starke Akzente für mehr Innovation, mehr Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit zu setzen. So wird die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verantwortung für die Sicherung des Friedens und den Wiederaufbau in Südosteuropa gerecht. Deshalb stellen wir im Finanzplanungszeitraum für den Stabilitätspakt Südosteuropa außerhalb des militärischen Bereichs 1,2 Milliarden DM zur Verfügung. Das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, dessen Erfolg bereits jetzt unübersehbar ist, wird auch im Jahr 2000 fortgeführt und erneut mit 2 Milliarden DM ausgestattet. Insgesamt bleibt die aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau. Die Zukunftsinvestitionen in Forschung, Bildung und Wissenschaft werden sukzessive erhöht. Ab dem 1. Januar 2001 wird für Bezieher von Tabellenwohngeld das Wohngeld erhöht. Acht Jahre lang haben vier Bauminister von CDU/CSU und F.D.P. immer wieder eine Wohngeldreform versprochen und nichts getan. Die neue Regierung handelt dagegen auf diesem Felde. ({27}) Beginnend mit dem Jahr 1999 wird der Einsatz regenerativer Energien von uns massiv durch zinsverbilligte Darlehen und/oder Investitionskostenzuschüsse gefördert. Schwerpunkte bilden dabei das auf sechs Jahre angelegte 100 000-Dächer-Solarstromprogramm und ein Marktanreizprogramm zugunsten erneuerbarer Energien. Insgesamt werden dafür im Finanzplanungszeitraum rund 1,1 Milliarden DM aufgewendet. Mit dem bereits in Kraft getretenen Steuerentlastungsgesetz, das finanzwirtschaftlich in einem engen Zusammenhang mit der haushaltspolitischen Konsolidierung gesehen werden muß, werden lohnsteuerpflichtige Arbeitnehmer bis zum Jahre 2002 um 46 Milliarden DM entlastet. Das entspricht einer Absenkung der Lohnsteuerbelastung gegenüber dem bisher geltenden Recht um 14 Prozent. Dies ist eine bedeutende und grundlegende Kurskorrektur in der deutschen Steuerpolitik. Zu einer solchen sozialen Korrektur ist es durch die alte Bundesregierung nie gekommen; dazu wäre sie auch nie in der Lage gewesen. ({28}) Zu den großen gesellschaftspolitischen Problemen Deutschlands gehört auch die Benachteiligung der Familien mit Kindern. Das ist nicht nur, aber auch ein gravierendes finanzielles Problem. Kinder sind noch immer oft genug Armutsrisiko Nummer eins. Auch hier haben wir bereits die Trendwende vollzogen: mit dem Steuerentlastungsgesetz, mit der Anhebung des Kindergeldes. Mit dem Familienförderungsgesetz wird eine weitere Anhebung des Kindergeldes um 20 DM vorgenommen; auch die Erhöhung des steuerlichen Freibetrags auf knapp 10 000 DM ist darin vorgesehen. Eine Familie mit zwei Kindern hat ab dem Jahre 2000 inklusive der Grundfreibetragsanhebung und der Werbungskostenpauschale ein steuerfreies Einkommen von knapp 50 000 DM. ({29}) Von einer solchen steuerlichen Entlastung konnten Familien unter der Regierung Kohl nur träumen. ({30}) Für unsere Kinder zu sparen, auch wenn es manchmal schmerzhaft ist, ist Zukunftsprogramm in seiner reinsten Form. Das Steuerentlastungsgesetz enthält ebenfalls Steuerentlastungen für kleine und mittlere Unternehmen. Nach einer Untersuchung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft werden kleine und mittlere Unternehmen um 12,3 Milliarden DM entlastet. Die geplante Unternehmensteuerreform soll daneben ab dem 1. Januar 2001 zusätzlich rund 8 Milliarden DM netto an Steuererleichterungen bringen. Das belegt eindrucksvoll, daß nicht nur Arbeitnehmer und insbesondere Familien mit Kindern durch unsere Reformgesetze steuerlich begünstigt werden. Auch die Wirtschaft wird spürbar und nachhaltig entlastet. All dies geht aber nur, wenn gespart wird, wenn das Ziel unserer Haushaltspolitik auch weiterhin heißt: Zukunftsgestaltung und Konsolidierung. Das ist die große gesellschaftliche Aufgabe, vor der wir stehen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen kann nur mit einem finanziell handlungsfähigen Staat gelingen. Wir sind auf dem guten Weg, einen solchen Staat hinzubekommen. Vielen Dank. ({31})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Günter Rexrodt, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, in Ihrer Koalitionsvereinbarung vom Oktober 1998 heißt es: Der Schlüssel zur Konsolidierung der Staatsfinanzen ist die erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. ({0}) An der Arbeitslosigkeit werden wir Sie messen - heute und in anderem Zusammenhang. Die Bilanz, die Sie heute vorweisen können, ist über alle Maßen dürftig. Mit Ihrer Politik wird sie auch dürftig bleiben. ({1}) - Wir haben die Wende in der Arbeitsmarktentwicklung geschafft. - Weil sie so dürftig ist, kaprizieren Sie sich heute darauf, die finanzielle Hinterlassenschaft der Regierung Kohl als Wurzel allen Übels darzustellen. Damit wollen Sie glauben machen, daß der schlingernde Kurs und die handwerkliche Unzulänglichkeit Ihrer Finanzpolitik gewissermaßen zwangsläufig die Folge der vermeintlichen Haushaltsmisere der Regierung Kohl seien. Herr Eichel, Sie machen das zuweilen sehr geschickt, weil Sie die Dinge aus dem Zusammenhang reißen; dann nämlich sind sie formal nicht falsch. Wir alle aber wissen: Dadurch wird es nicht richtig. Deshalb sind dies Halbwahrheiten. Und Halbwahrheiten sind das Gefährlichste und das Demagogischste, was es gibt - auch im Zusammenhang mit der Haushaltspolitik. ({2}) Ich will Ihnen das an einem Beispiel darstellen. Sie stellen die Bundesschuld von 300 Milliarden DM im Jahre 1982 einer Schuld von 1,5 Billionen DM im Jahre 1998 gegenüber. Das schockt. Das müssen wir aufräumen, sagen Sie. Sie müssen da mithelfen, setzen Sie hinzu. Das klingt staatstragend. Tatsache ist, daß die Schulden des Bundes zwischen 1982 und 1989 bei einem enorm gestiegenen Sozialprodukt um 59 Prozent gestiegen sind und daß in derselben Zeit die Staatsquote von über 50 Prozent auf 45,5 Prozent gesenkt werden konnte. Das war ein Riesenerfolg, und das war auch ein Stück Aufräumarbeit. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Rexrodt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold?

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich würde sehr gern im Zusammenhang vortragen, Herr Präsident. Tatsache ist auch - das geben wir zu - , daß die Verschuldung des Bundes nach 1990 enorm angewachsen ist. Aber jeder weiß, daß das wiedervereinigungsbedingt war. Die neue Bundesregierung hat nun, um die Zahlen zu dramatisieren, die Erblastentilgungsfondsschulden und den Fonds Deutsche Einheit in die Bundesschuld integriert. Das ist haushaltstechnisch in Ordnung. Aber der getrennte Ausweis wäre nach meiner Überzeugung klüger gewesen. Ich glaube auch, eine Tilgung über die Zeit hätte mit Blick auf die Generationen ihre innere Begründung gehabt. Darüber hinaus - das halte ich für entscheidend - ist dieser Anstieg auch darauf zurückzuführen, daß sich die alten Bundesländer nur unzulänglich am Aufbau der neuen Länder beteiligt haben. ({0}) Da waren sich alle im Prinzip einig. Aber die sozialdemokratischen Bundesländer, die immer die Fahne der Solidarität hochhalten, haben sich in diesem Zusammenhang in besonderer Weise schwergetan. ({1}) Das war im übrigen, Herr Bundeskanzler, die Zeit, als der niedersächsische Oppositionsführer Gerhard Schröder davon sprach, daß man die da drüben wohl nicht den Polen zuschlagen könne. Im Jahre 1982 konnte der Bund 48,4 Prozent der Gesamtsteuereinnahmen auf sich ziehen. Heute sind es 40,9 Prozent. Gebetsmühlenartig tragen Sie vor - auch heute wieder - , Bundeskanzler Kohl hätte den Leuten sagen müssen: Die Wiedervereinigung kostet viel Geld; also Steuererhöhung gleich zu Beginn. Wahr ist, daß damals kaum einer übersehen konnte, wieviel Investitionen in den Aufbau Ost fließen mußten. Aber tun Sie von der Regierung nicht so, als ob Sie gewußt hätten, wo es langgeht und wieviel Geld Sie hätten aufwenden müssen. Nicht die gesamte, aber große Teile der SPD und der Grünen haben damals nur auf das Kostenargument gesetzt und auf die Steuererhöhungen gelauert, weil Sie damit hätten Stimmung machen können gegen die Wiedervereinigung Deutschlands, die in großen Teilen Ihrer Partei gar nicht gewünscht worden war. ({2}) Sie haben nur darauf gelauert, daß wir mit dem Steuererhöhungsargument kommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Rexrodt, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Urbaniak, Sie haben gehört. ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ach, Feigling. Nunmehr kann in einem fortgeschrittenen Stadium der Wiedervereinigung festgestellt werden, daß in Deutschland eine Staatsschuld von insgesamt 60 Prozent des Bruttosozialprodukts besteht. Daß wir im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld liegen, ist Ausdruck der enormen Anstrengungen der Menschen in Ost und West. Das ist Ausdruck der enormen Leistungskraft dieses Landes. Das, meine Damen und Herren, dürfen wir in dieser Diskussion nicht vergessen. Natürlich sind Staatsschulden in Höhe von 60 Prozent des Bruttosozialprodukts zu hoch, viel zu hoch. Natürlich hat das nichts mehr mit Generationengerechtigkeit zu tun, und natürlich muß diese Finanzlast zurückgefahren werden. Da besteht ein überparteilicher Konsens; das ist gar keine Frage. Tun Sie von der Koalition aber nicht so, als ob Sie die ersten wären, die dieses Staatsziel überhaupt verfolgt hätten. Tatsache ist, daß schon im Jahre 1998 bei Theo Waigel die Gesamtausgaben im Bundeshaushalt unter denen des Jahres 1993 gelegen haben. ({0}) - 1,5 Billionen DM Schulden sind aus den Gründen entstanden, die ich soeben dargestellt habe. Sie hängen mit der Wiedervereinigung zusammen und damit, daß sich vor allem - aber nicht nur - die sozialdemokratischen Länder nicht anständig am Aufbau der neuen Länder beteiligt haben. Das ist der Fakt. ({1}) Meine Damen und Herren, bei uns wären die Einsparungen mit einer Steuerreform einhergegangen, die für Bürger und Unternehmen eine Nettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM gebracht hätte. Aber dieses Reformpaket haben Sie - auch Sie, Herr Eichel - im Bundesrat blockiert. ({2}) Übrigens sind zur Amtszeit des Ministerpräsidenten Eichel in Hessen die Landesschulden um 59 Prozent gewachsen; auch das sollte man sich in Erinnerung rufen. ({3}) Wir sind nicht gegen den Sparkurs. Ihr eigenes Versagen in Hessen, Herr Eichel, stelle ich einmal hintan. Es geht aber darum, ob das, was Sie uns als Sparpaket verkaufen, eine Mogelpackung ist oder nicht. Angesichts dessen möchte ich dem Bundesfinanzminister sagen: Herr Eichel, es ist schon dreist, welch zusammengewürfelte Mixtur ganz verschiedener Sachverhalte Sie uns als Sparpaket verkaufen wollen. Auf einen Punkt gebracht hat das Professor Peffekoven, der Mitglied des Sachverständigenrates ist, als er gesagt hat - ich zitiere -: Mit dem Sparprogramm nimmt also Eichel im wesentlichen das zurück, was sein Vorgänger Lafontaine im Haushalt 1999 draufgesattelt hat. ({4}) Aber nicht einmal das schaffen Sie. Von dem Sparvolumen in Höhe von rund 30 Milliarden DM sind allein 5,5 Milliarden DM globale Minderausgaben. Das heißt, Sie sind - zumindest bis jetzt - nicht in der Lage, dies konkret zu belegen. Ich hätte es für richtig gefunden, daß einem Parlament, dem ein solches Paket vorgelegt wird, konkret gesagt wird, um was es geht. 5,5 Milliarden DM sind kein Pappenstiel. Angesichts dessen wollen wir wissen, ob und wie Sie es schaffen, diesen enormen Betrag in den Haushalten zu sparen. Ich glaube nicht, daß Sie überhaupt in der Lage sind, dies zu schaffen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Rexrodt, es gibt noch eine Bitte um eine Zwischenfrage, diesmal von seiten des Kollegen Wagner.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da Sie, Kollege Wagner, Mitglied des Haushaltsausschusses sind, lasse ich diese Zwischenfrage als einzige zu. Dann möchte ich meine Rede im Zusammenhang fortführen.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte nur wissen, Herr Kollege Rexrodt, was Sie als damaliger Minister erfahren haben, als Herr Waigel im Kabinett das Erfordernis einer globalen Minderausgabe in Höhe von 5,2 Milliarden DM begründet hat, und welche Erfahrungen Sie dahin gehend gesammelt haben, wie sie aufgeDr. Günter Rexrodt bracht worden ist. Nach meinem Kenntnisstand sind die Beträge nie realisiert worden, sondern sind in das nächste Jahr hinübergerettet worden.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Wagner, Ihr Kenntnisstand ist falsch. Es handelte sich um einen sehr viel geringeren nicht belegten Betrag. Als wir darüber in den Ressorts gesprochen haben, standen die Strukturen, wo diese Minderausgaben zu erbringen sind, weitgehend fest. Sie sind auch erbracht worden. Das waren Beträge, die in der damaligen Zeit aus dem Haushalt zu erbringen waren. Damals war ein bißchen mehr Fett auf den Rippen. Deshalb war unser Vorgehen solide und konkret. Sie aber haben nicht die geringste Vorstellung davon, wie dies umgesetzt werden soll. ({0}) Das Entscheidende ist ja, daß Sie mit diesem sogenannten Sparhaushalt in der Öffentlichkeit Furore machen und sagen: Das ist eine neue Konzeption bzw. eine neue Richtung. Wie Sie mit dieser riesigen Summe umgehen, wie Sie sie als eine Luftbuchung für einen Sachverhalt einrechnen, den Sie überhaupt noch nicht erfüllt haben, das ist nicht seriös, Herr Wagner. ({1}) Sie sprechen vom Sparen und verlagern bisherige Aufgaben des Bundes auf andere öffentliche Haushalte. Das ist eine weitere Dreistigkeit. Dazu gehört der Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe. Dazu gehört der Wegfall des Wohngeldes für Sozialhilfeempfänger. Dazu gehört die kräftige Beteiligung der Länder am sogenannten Unterhaltsvorschuß. Allein diese drei Positionen addieren sich jetzt auf 3,5 Milliarden DM und für den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung auf 15 Milliarden DM. Man kann ja im Einzelfall darüber nachdenken, ob solche Verlagerungen angebracht sind oder nicht. Aber am Ende bleibt hier der Eindruck: Das ist ein Verschiebebahnhof hinsichtlich anderer öffentlicher Haushalte; das hat nichts mit gesamtwirtschaftlichem Sparen und einer Neuorientierung Ihrer Politik zu tun. Das ist ein Verschiebebahnhof. Hinzu kommen die Luftbuchungen. Das kann man nicht nach draußen und vor diesem Hohen Hause als Sparhaushalt verkaufen. ({2}) Aus meiner Sicht ist die Entwicklung der Staatsquote, die für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat eine sehr aussagekräftige Rechengröße ist, das einzig wichtige Kriterium; daran muß man den Erfolg und die Seriösität einer Finanz- und Haushaltspolitik messen. Über die Staatsquote habe ich von Ihnen, Herr Eichel, in den letzten Monaten gar nichts gehört. Die Liste läßt sich fortsetzen. Diese Liste läuft auf den Eindruck hinaus: Das ist eine Mogelpackung und ein Verschiebebahnhof. Sie kürzen im nächsten Jahr die Zuschüsse an die Rentenversicherung um 8 Milliarden DM. Auch darüber kann man reden. Aber solange das fehlende Geld von den Sozialkassen übernommen werden muß, hat das nichts mehr mit Sparen zu tun. Das ist ein Faktum. Es ist Ihnen auch noch folgender ganz besonderer Trick eingefallen: Sie rechnen die sogenannten Personalverstärkungsmittel zunächst bis 2003 fiktiv auf 14 Milliarden hoch, und im Haushaltssanierungsgesetz, in dem Sie nicht mehr auf eine solche Weise „gestalten“ können, setzen Sie diese Personalverstärkungsmittel auf einmal mit 2,2 Milliarden DM an. Die Differenz zwischen einer aufgeblasenen Zahl und den realistischen 2,2 Milliarden bezeichnen Sie dann als Sparsumme. Das möge man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, was uns da präsentiert wird: Man rechnet den entsprechenden Posten intern fiktiv auf über 14 Milliarden DM hoch, dann setzt man ihn - das ist realistisch - auf 2 Milliarden fest und bezeichnet anschließend die Differenz von 12 Milliarden als Sparsumme! So können Sie das mit uns nicht machen. ({3}) Vor diesem Hintergrund - ich habe nur eine Auswahl von Luftbuchungen, Verschiebebahnhöfen und Tricksereien vorgetragen - wird dieser Haushalt Ihrem löblichen Anspruch - ich sage das ohne Ironie - nicht gerecht: Pfusch und Flickschusterei an vielen Stellen. An sich müßte man das Zahlenwerk zurücknehmen. Eines müßten Sie ganz bestimmt tun, nämlich vorsichtig sein, dieses Machwerk als Sparpaket zu bezeichnen. ({4}) In Wirklichkeit sind fast zwei Drittel der angekündigten Einsparungen nicht seriös und nicht belegbar. Es ist ein Verschiebebahnhof. ({5}) Das muß man im Kern über das sagen, womit Sie ({6}) nach einem chaotischen Jahr rotgrüner Politik jetzt Ihre Glaubwürdigkeit wiedererlangen wollen. ({7}) Die Menschen erkennen das. Wenn die Menschen das nicht im Detail, in all seinen filigranen Verästelungen erkennen, dann spüren sie es. Die Wahlergebnisse der letzten Wochen haben Ihnen das gezeigt. ({8}) - Das hat andere Gründe. Das liegt daran, daß wir die Wahrheit sagen und eine schwierige Botschaft haben. Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, will ich eines sagen: Sie tun ständig so, als ob Ihnen die Wähler weglaufen, weil Sie ein schwieriges Sparpaket zu präsentieren haben. Wissen Sie, was die Wirklichkeit ist? Die Wirklichkeit ist, daß Sie seit einem Jahr Flickschusterei betreiben und ein Chaos anrichten, daß Sie die Menschen verunsichern, was ihre Rente und ihre Steuerzahlungen angeht, und die Wirklichkeit ist, daß die Menschen merken, daß sich dieser Bundeskanzler nicht für Inhalte interessiert. ({9}) Deswegen bekommen Sie jeden Sonntag die Rechnung präsentiert. Das sind die Fakten. Das hat überhaupt nichts mit dem Sparkurs und Ihrer angeblichen Tapferkeit zu tun, sondern mit dem Pfusch und der Flickschusterei, die Sie in den letzten Monaten verursacht haben. ({10}) Nun, meine Damen und Herren, würde ich gern auf die weiteren vier Elemente Ihrer Finanz- und Haushaltspolitik eingehen. ({11}) - Das ist ein sachlich starkes Argument, Herr von Larcher, sehr stark. Die Steuerpolitik der rotgrünen Koalition ist eine schlichte Zumutung, ({12}) nicht nur, weil sie unser Steuerrecht weiter kompliziert oder, wie in den Fällen der §§ 2 und 2 b des Einkommensteuergesetzes, ganz und gar unanwendbar macht. ({13}) Rufen Sie einmal die Finanzämter an, und fragen Sie, wie es um die Mindestbesteuerung steht, wie man mit diesem Sachverhalt vorankommt. Die Finanzämter sind ratlos. Sie sagen Ihnen: Wir wissen nicht, wie wir diese Gesetze anwenden können. Das sind die Tatsachen. Greifen Sie zum Hörer, Sie werden es erleben. Das ist Flickschusterei, und das ist Pfusch der letzten Jahre. ({14}) Konzeptionell verunsichern Sie den Mittelstand und diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen. Das ist keine Politik aus einem Guß. Wir haben Ihnen eine Steuerreform aus einem Guß vorgelegt, ({15}) die eine Entlastung beim Eingangssteuersatz, in der Mitte und beim Spitzensteuersatz ermöglicht hätte. Das wäre eine Steuerreform gewesen, die Arbeit geschaffen hätte. ({16}) Sie haben sie verhindert. Sie machen jetzt eine Entlastung im unteren Bereich. Das ist im übrigen berechtigt, und das wäre im übrigen okay, ({17}) wenn es im Kontext erfolgt wäre. Aber Sie meinen ja, Sie können sich einen Lorbeerkranz flechten, indem Sie von oben nach unten umverteilen. ({18}) Sie vergessen und übersehen dabei, daß Sie die Menschen, die dafür Sorge tragen, daß in Deutschland Arbeitsplätze entstehen, nämlich die mittleren und kleinen Unternehmen, verunsichern und vor den Kopf schlagen. ({19}) Weil Sie merken, daß Sie die Karre gegen die Wand fahren, kündigen Sie nun eine Unternehmensteuerreform an. ({20}) - Dann war es eben mitbedacht. - Aber ich bitte Sie darum, einmal über folgendes nachzudenken, weil es hier nicht darum geht, ob ein Steuersatz einen Prozentpunkt höher oder niedriger ist, oder um eine Geschichte, die Sie in den Sand gesetzt haben, wie bei den 630-Mark-Jobs, die aber korrigierbar ist. ({21}) Bei der Unternehmensteuerreform geht es um viel mehr. Diese Reform birgt meines Erachtens die Gefahr, daß unsere personenbezogenen Unternehmensstrukturen über den Haufen gerannt werden. ({22}) Ich sehe in dem, was man bisher erkennt, die Gefahr, daß Erträge - steuerpolitisch bedingt - an nicht optimaler Stelle im Betrieb eingesperrt werden. Dies müßte zwangsläufig zu einem volkswirtschaftlich bedenklichen und falschen Investitionsverhalten führen. Das sind die Fakten, meine Damen und Herren. ({23}) Es geht hier um die Weichenstellung in unserem Land steuerpolitisch und auch mit Blick auf die Unternehmensverfassung über Jahre hinweg. Herr Eichel, ich möchte Sie hier abseits von dem Schlagabtausch, den wir über tagespolitische Themen führen, sehr herzlich bitten, diese Dinge, was die Unternehmensverfassung und die Spreizung der Steuersätze angeht - personenbezogene Unternehmensstrukturen versus Optierung für die Kapitalertragsteuer und alle Folgen, die daraus resultieren -, schon in der KonzeptiDr. Günter Rexrodt onsphase auch mit uns zu besprechen und verantwortungsvoll anzugehen. Das ist mehr als die Gestaltung eines Steuersatzes. Hier geht es um die verfassungskonformen unternehmenspolitischen Formen in unserem Land. ({24}) An dritter Stelle nennen Sie in Ihrem finanzpolitischen Konzept die Verteuerung des Ressourcenverbrauchs. Das ist auch Steuerpolitik, meine Damen und Herren. Beim Bürger kommt dieses Steuerkonzept ganz schlicht an als Abkassieren, und zwar verpackt und überhöht durch zwei Argumente, die sich ganz schnell als falsch und bedenklich erweisen. Es sei doch viel besser, den Verbrauch natürlicher Ressourcen und nicht den Faktor Arbeit in Gestalt von Sozialabgaben zu verteuern, so heißt es. Das klingt gut, aber die Wahrheit ist doch: Wenn von der Erhöhung des Benzinpreises, wenn von der Erhöhung des Strompreises wirklich eine ökologische Steuerungsfunktion ausgehen soll, dann sind Sie ganz schnell bei den 5 DM der Grünen pro Liter Benzin und bei 1 DM pro Kilowattstunde Strom. Damit würden Sie den Menschen ein gutes Stück Lebensqualität verhageln. Das trauen Sie sich aber nicht. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie sich das nicht trauen. Statt dessen erhöhen Sie die Preise bis zur vermeintlichen Schmerzgrenze. Das hat jedoch mit Ökologie nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({25}) Sagen Sie den Leuten doch: Wir brauchen Geld, und hier meinen wir, daß wir noch draufsatteln können. Das wäre wenigstens ehrlich, und das würde Ihnen eher und besser abgenommen als Ihre verquasten Argumente zur sogenannten Öko-Steuerreform. ({26}) Es ist ein ganz gefährlicher Weg, den Sie hinsichtlich des vierten Elements Ihrer Finanz- und Haushaltspolitik, der sogenannten Senkung der Lohnnebenkosten, gehen. Genauer gesagt geht es um die Beiträge zu den Sozialversicherungssystemen. Diese müssen in der Tat gesenkt werden, zumindest müßten sie stabilisiert werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber es geht bei der Reform der Versicherungssysteme, wie wir mittlerweile übereinstimmend wissen, nicht um immer höhere Steuerbeträge, die in die Versicherungssysteme zu pumpen sind - mittlerweile sind es 126 Milliarden DM; das ist ein Viertel des Gesamthaushalts -, es geht vielmehr darum, daß die Versicherungssysteme wirklich reformiert werden. Wir haben dazu Vorschläge unterbreitet. Jetzt begeben Sie sich, abgesehen von den zwei Jahren, in denen Sie die Leute über den Tisch ziehen, auf denselben Kurs. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, daß Herr Lafontaine, als wir die sogenannte demographische Komponente in die Rentenformel einbrachten, an diesem Pult stand und sagte: Diese Art der Rentenpolitik ist Betrug an den Rentnern. Das ist „sozialer Betrug“, so hat er wörtlich gesagt. ({0}) - Eine „soziale Sauerei“. Jetzt bewegen Sie sich, abgesehen von dem Trick, den Sie zwischendurch praktizieren, auf demselben Kurs.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluß. ({0}) Das Desaster Ihrer Haushalts- und Finanzpolitik liegt auf der Hand. Es ist ein Hickhack. Ich führe dabei aus zeitlichen Gründen gar nicht an, was Sie mit der Bundeswehr machen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dann würde ich Ihnen auch das Wort entziehen. Sie haben Ihre Redezeit bereits um zwei Minuten überschritten.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich führe gar nicht an, was Sie bei den Straßenbaumitteln machen. Betreiben Sie eine berechenbare Politik, eine Politik, die darauf hinausläuft, dieses Land zu modernisierern! Beenden Sie Ihren Streit zwischen Traditionalisten und Modernisierern! Dann kommen wir auch bei den Arbeitsplätzen vorwärts, dann können wir Vertrauen bei unseren Bürgern und ausländischen Investoren finden. ({0}) Dazu ist aber eine Veränderung dieser Politik, ({1}) die ein Desaster und ein Hickhack ist, notwendig. Begeben Sie sich auf diesen Weg! Es wird für Sie ein langer Weg sein. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Oswald Metzger. Dann werden sicherlich auch diejenigen in den ersten Reihen, die offensiv Zeitung gelesen haben, das ein wenig einstellen. Das sieht nicht gut aus, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Herr Metzger, Sie haben das Wort.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Rexrodt, zu dem Zusammenhang von Ökonomie und Sparpaket fallen mir zwei Anekdoten ein. Erstens. Gestern hat ein ExMinister der Unionsfraktion im Fahrstuhl gesagt: Menschenskinder, daß ich das erleben muß; am Montag sinken der Euro-Kurs und der DAX, wenn wir am Sonntag die Wahl gewonnen haben und die SPD verloren hat. - Was hier paradox wirkt, zeigt doch folgendes: Die Märkte erwarten, daß das Sparkonzept in Deutschland die Investitionsbereitschaft stärkt und positive Signale für die europäische Wirtschaft setzt. Sie waren im Wahlkampf als Opposition quasi der Abstauber einer Politik, die Sie in der Vergangenheit selbst häufig gepredigt haben. Jetzt stehen Sie plötzlich als Verteilungspolitiker da und wollen nichts mehr von der Strukturreform in der Rentenversicherung wissen. Statt dessen ziehen Sie mit dem Schlagwort „Rentenlüge“ durch die Lande, obwohl Sie wissen, daß wir die Strukturreform brauchen. So weit ist es gekommen. ({0}) Zweitens. Der „Economist“ hat letzten Samstag in der Schlußpassage eines Artikel mit der Überschrift „Schröder angeschlagen“ geschrieben: Das derzeitige Zukunftsprogramm oder das Sparpaket und die Absicht, im Jahre 2001 die Unternehmenssteuern auf ein international konkurrenzfähiges Maß zu senken, sind der richtige Weg, damit sich in Deutschland im nächsten Jahr die Chance eröffnet, in Richtung eines wirtschaftlichen Wachstums von 3 Prozent, also in Richtung einer Verdoppelung der Wachstumsquote, zu marschieren. Deshalb freuen sich alle aus der Opposition zu früh, die meinen, dieser Mann, der im Moment nicht hier ist, sei ausgezählt. Er - und mit ihm diese Koalition - kann sich durchaus erholen, und die Opponenten von heute können sich blutige Nasen holen. Das ist die Einschätzung der internationalen Wirtschaftspresse. Das sollten Sie sich, Herr Kollege Merz, durchaus merken, weil Sie so ökonomisch argumentiert haben. ({1}) Dritter Gesichtspunkt: Wenn ich hier zuhöre, habe ich den Eindruck, daß die Roten und die Grünen sagen: Es sind die Schulden der Schwarzen, und Sie sagen: Das waren die Schulden aus der sozialliberalen Ära in den 70er Jahren. - Dies ist angesichts der Wirklichkeit absurd. Es handelt sich um die Lasten, die wir als Volkswirtschaft, als Bevölkerung gemeinsam zu tragen haben. Schauen Sie, Kollege Merz, Kollege Rexrodt: In den 90er Jahren hatten wir in diesem Land trotz der einigungsbedingten Sonderkonjunkturen 1990 und 1991 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von nur 1,8 Prozent, das deutlich unter der Beschäftigungsschwelle lag. In den 90er Jahren haben in diesem Land aber fast neun Jahre lang CDU und F.D.P. regiert, nicht wir. Glauben Sie doch nicht, daß der wirtschaftliche Abschwung des dritten und vierten Quartals 1998 und des ersten und zweiten Quartals dieses Jahres ausschließlich von dieser Regierung herrührte! Dieser war die Folge der Finanzkrisen in Südostasien und in Rußland. Auch das bestätigen fast alle Wirtschaftswissenschaftler und die Wirtschaftspresse. Im Augenblick haben wir eine Trendwende. Diese wird unter anderem dadurch herbeigeführt, daß dieser Regierung etwas gelingt, was Sie in der Vergangenheit nicht geschafft haben, nämlich das strukturelle Defizit auszugleichen, tatsächlich zu konsolidieren und nicht nur Privatisierungserlöse einzustellen und Lastenverschiebungen in die Zukunft vorzunehmen. Dies ist eine Leistung, die Ihnen unterschwelligen Respekt abnötigt. Deswegen haben Sie es, Kollege Merz, nicht sonderlich leicht, hier anzugreifen. Dabei habe ich gedacht: Heute kommt aus der Opposition Substanz in Sachen Konsolidierung. Wissen Sie, was Sie vorgeschlagen haben? Sie wollen eine Reform im Bereich der Arbeitslosenund Sozialhilfe. Hierüber kann man grundsätzlich diskutieren. Aber zum Sparpaket haben Sie nur einen Verriß ohne eigenen substantiellen Beitrag geliefert. ({2}) Das klingt genauso wie letzte Woche im Bundesrat. Ich habe den Antrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Thüringen und Sachsen sowie Bremens - großkoalitionär regiert - gelesen, in dem steht: Sparen ist prinzipiell richtig, aber das ist das falsche Sparpaket. Dann werden alle Mehrausgabenwünsche bzw. Nichteinsparungen der unionsgeführten Länder aufgelistet. Wissen Sie, was das ist? - Das ist ein Sich-aus-derVerantwortung-stehlen. Das ist die Bankrotterklärung einer Opposition, die uns vorwirft, daß wir mit dem Konsolidierungskurs ernst machen wollen. So weit ist es! ({3}) Sich nur hinzustellen und zu sagen, wir blockieren nicht - wie früher angeblich die alte Konstellation -, wird Ihnen die Öffentlichkeit nicht durchgehen lassen. ({4}) Hier im Raum sitzt der designierte Finanzminister eines Landes, Herr Jacoby aus Ihrer Fraktion. Ich bin gespannt, wie er als saarländischer Finanzminister im Vermittlungsausschuß im Rahmen des Verhandlungspakets agieren wird; ({5}) denn man weiß ja, daß das Saarland auf Grund seiner Haushaltsnotlage von Bundesergänzungszuweisungen lebt und der Bund jetzt selber die Voraussetzungen dafür schafft, daß der Staat überhaupt wieder handlungsfähig wird. ({6}) Ich komme zu einem Bereich, den man durchaus noch einmal beleuchten muß, wenn man in die Vergangenheit schaut. Heute hat die Höhe der Verschuldung, die in den 90er Jahren einigungsbedingt explodiert ist, eine sehr große Rolle gespielt. In dem Zusammenhang, Kollege Merz, haben Sie einige Ausführungen gemacht, an denen ich merke, daß Sie der finanzpolitische Sprecher Ihrer Fraktion und nicht der Haushaltspolitiker sind. Sie haben zum Beispiel behauptet, die Integration des Erblastentilgungsfonds in den Bundeshaushalt habe den Bundeshaushalt 1999 entlastet. - Das stimmt nicht. Für 1999 sind genau 18,9 Milliarden DM an Zinszahlungen für den Erblastentilgungsfonds eingestellt. Im alten Etat des Finanzministers Waigel - damals war der Erblastentilgungsfonds noch nicht im Bundeshaushalt integriert - waren für dieses Jahr nur Zahlungen in Höhe von etwas über 16 Milliarden DM an den Erblastentigungsfonds aus dem Bundeshaushalt eingeplant. Daran wird deutlich, daß in diesem Jahr durch die Integration des Erblastentilgungsfonds der Bundeshaushalt sogar belastet und eben nicht entlastet wird. Das ist das eine. Zum zweiten haben Sie behauptet, daß der Fonds „Deutsche Einheit“ in den Bundeshaushalt integriert worden sei. Das stimmt nicht. Die 80 Milliarden DM sind als Sondervermögen erhalten geblieben, weil sich in diesem Fall der Bund und die Länder die Lasten teilen. Zum dritten kann ich Ihnen sagen, daß der Erblastentilgungsfonds, der am Anfang dieses Jahres einen Schuldenstand von 305 Milliarden DM hatte, am Jahresende einen Schuldenstand von 254 Milliarden DM haben wird, weil die Bundesbankgewinne von über 7 Milliarden DM weiterhin dort hineinfließen und weil der Bund, so steht es im Haushaltsgesetz, alle Anschlußfinanzierungen für auslaufende Kredite des Erblastentilgungsfonds ablöst. Deswegen wird der Erblastentilgungsfonds in der Tat in relativ kurzer Zeit getilgt. Am Ende des Finanzplanungszeitraumes im Jahre 2003 steht der Schuldenstand des Erblastentilgungsfonds bei nur noch etwa 100 Milliarden DM. ({7}) Diese Tatsache wurde von der Opposition bisher nicht zur Kenntnis genommen; sie muß aber deutlich herausgestellt werden. ({8}) Kollege Merz, das „Handelsblatt“ hat im letzten Jahr den Sachverständigenrat mit der Frage zitiert, wie man Tilgungen mit Zuschüssen aus einem Bundeshaushalt, der im Durchschnitt der letzten vier Jahre jährlich 60 Milliarden DM bis 65 Milliarden DM neue Schulden aufwies, vornehmen könne. Die Sachverständigen haben einfach recht. Deshalb führt Ihre heutige Behauptung zu nichts anderem als zu einer großen Verwirrung der Öffentlichkeit. ({9}) Zum Spar- und Konsolidierungskurs gibt es keine Alternative. Die „Zeit“ hat letzte Woche den Kanzler als den Populist des Unpopulären beschrieben. In einem nachdenkenswerten Aufmacher hat Klaus Hartung am Schluß geschrieben, daß wir in der Gesellschaft das Thema „soziale Gerechtigkeit“ wieder so definieren und diskutieren müssen, daß der Anspruch des Bürgers an den Staat mit dem Anspruch korrespondiert, den die Gemeinschaft an den einzelnen stellen kann, weil anderenfalls das Gemeinwesen vor die Hunde ginge. Das gleiche gilt auch für die parlamentarische Auseinandersetzung um die Finanzpolitik eines Staates. Handlungsfähigkeit muß wieder neu in dem Sinne definiert werden, daß der Staat nicht bei immer mehr Bürgerinnen und Bürgern ständig höhere Steuern und Abgaben verlangt und sie umverteilt und daß am Schluß nicht durch eine unpräzise Zuordnung von sozialen Leistungen ein relativ großer Teil dieser Einnahmen verschwindet. Durch die hohe Steuer- und Abgabenquote reproduziert sich die Arbeitslosigkeit. Dieser Mechanismus ist bekannt. Deshalb führt keine Alternative daran vorbei, die Staatsquote zu senken. Wir befinden uns in der glücklichen Situation, daß sowohl der Wirtschafts- als auch der Finanzminister im Rahmen des Stabilitätsprogramms der Regierung das Ziel formuliert haben: herunter mit der Staatsquote auf 45 Prozent. Am Ende dieser Legislaturperiode werden wir dieses Ziel durch unser Konsolidierungspaket erreicht haben. Herr Kollege Merz, schauen Sie sich doch eine andere erfreuliche Nachricht von letzter Woche an! Entsprechend der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der EU haben wir im letzten Jahr ein Defizitquorum von 1,7 Prozent gehabt. ({10}) Wir werden dieses Defizitquorum in den nächsten Jahren weiter reduzieren. Dieses Ziel der Regierung ist stabilitätspolitisch absolut richtig. Dadurch wird die EZB in die Lage versetzt, eine Politik zu machen, die zukünftig - derzeit ist die Tendenz eher expansiv - bei steigendem Wachstum konjunkturneutral ist. Andererseits wird diese Politik der Staatsquotensenkung dazu führen, daß allen staatlichen Ebenen, also Bund, Ländern und Gemeinden, wieder eine ausreichende Finanzausstattung für Investitionen gegeben wird, weil weniger Geld für Zinszahlungen auf Grund alter Schulden ausgegeben werden muß. Damit kann auch in den sozialen Ausgleich der Gesellschaft, die nicht auseinanderdividiert werden darf, investiert werden. Im Rahmen dieser Debatte sollte man in keiner Weise hämisch über die Auseinandersetzungen in einer Volkspartei reden, die darum ringt, einen Kurs zwischen sozialer Gerechtigkeit einerseits und notwendiger Konsolidierung andererseits zu finden. Zu der Grundwahrnehmung von politischen Parteien gehört beispielsweise, daß viele Bürgerinnen und Bürger, auch wenn sie nicht Wähler der SPD sind, durchaus sagen würden: Die SPD ist für die Solidarität zuständig, für einen Ausgleich der Interessen zwischen Gutsituierten und weniger gut SiOswald Metzger tuierten. Diesen Ruf in der Bevölkerung hat sich die Sozialdemokratie über einen langen Zeitraum erworben. In der SPD-Fraktion wird jetzt darum gestritten, wie man diesen sozialen Ausgleich hinbekommt, wie man es schafft, daß die jetzigen Konsolidierungsbemühungen von der Bevölkerung nicht als Kaltherzigkeit im Sinne eines blanken Neoliberalismus verstanden werden nach dem Motto: Hauptsache, die Kurse an den Aktienbörsen steigen, egal welche Auswirkungen das auf die Arbeitsmärkte hat oder wie sich die Einkommenssituation der Unterprivilegierten darstellt. Dieser Kurs ist schwierig. Aber, meine Damen und Herren von der Union und von der F.D.P., beide Regierungsfraktionen werden, so glaube ich, diesen Kurs der Öffentlichkeit vermitteln können. Denn die Menschen werden in den nächsten Monaten merken, daß die wirtschaftliche Erholung tendenziell auch am Arbeitsmarkt nicht spurlos vorübergeht und daß, Kollege Merz, nicht nur die Demographie, sondern auch die Konjunkturentwicklung hilft. Sparen ist kein Selbstzweck. Vielmehr schaffen wir damit eine Perspektive für die öffentliche Finanzlage in unserem Land. ({11}) Ich spreche bewußt noch einmal das Beispiel Rente an. Denn auch daran sieht man den Zusammenhang zwischen ökonomischer Entwicklung, sozialer Gerechtigkeit und langfristiger Finanzierbarkeit. Einer ihrer Einwände, Kollege Merz, war absolut richtig. Ich sage das, um hier im Parlament zu einer guten Diskussionskultur beizutragen und auf Argumente einzugehen, obwohl Sie in Teilbereichen durchaus ordentlich Polemik abgefeuert haben. Rentenzuschüsse, die über die Ökosteuer finanziert werden, führen dazu, daß der Anteil der Ausgaben im Bundeshaushalt, der für die Rente aufgewendet werden muß, steigt. Das ist absolut richtig. Das habe ich sowohl zu Oppositionszeiten als auch in verschiedenen Haushaltsdebatten des Bundestages in diesem Jahr gesagt. Deshalb ist für uns Grüne eine Rentenstrukturreform, die den auf Grund der steigenden Lebenserwartung steigenden Ausgaben Rechnung trägt, eine unabdingbare Voraussetzung, um zu der Regelung in diesem Sparpaket, daß die Rentnerinnen und Rentner in den nächsten zwei Jahren nur einen Inflationsausgleich erhalten, ja zu sagen. ({12}) Das war aber schon immer klar. Das hat unsere Fraktion im Bundestagswahlkampf gesagt, und das steht sogar in unserem damals vielgeschmähten „Magdeburger Programm“ des letzten Jahres. ({13}) Angesichts der Tatsache, daß es hier um rund 18 Millionen Menschen geht, die derzeit Rente beziehen, kommen wir gar nicht an einem größtmöglichen gesellschaftlichen Konsens vorbei. Wir Grüne bieten da durchaus an, die Position des Vermittlers zu übernehmen: zwischen den Verweigerern der Vergangenheit, die die Demographie nicht wahrnehmen wollten, und den Verweigerern von heute, die einen Demographiefaktor eingeführt hatten und jetzt im Wahlkampf auf den Marktplätzen die eigenen vorgesehenen Einschnitte in die Rente verschweigen ({14}) und nur noch von einer „Rentenlüge“ der heutigen Regierung sprechen. Das ist unglaubwürdig. ({15}) Ich selber habe Ihren Fraktionsvorsitzenden Schäuble in Potsdam über die Rente sprechen hören und war wirklich zerknirscht darüber, daß jemand, der noch im letzten Jahr in Auseinandersetzungen im Bundestag für die Einführung eines Demographiefaktors gestritten hat, es jetzt plötzlich schlichtweg unter den Tisch fallen läßt, daß auch er die Renten weniger stark steigen lassen wollte. Diese Form von Populismus geht mir gegen den Strich. ({16}) Die Menschen im Lande vertragen Aufrichtigkeit, und deswegen sollte man dies alles deutlich sagen. ({17}) Wir werden in diesem Herbst - der Arbeitsminister ist dabei - ein Rentenkonzept diskutieren, das eine aus unserer Sicht abgewandelte Rentenformel beinhaltet, die der steigenden Lebenserwartung Rechnung trägt. Es ist logisch - keine Frage! -, daß es dazu verschiedene Wege gibt. Bezüglich des konkreten Weges sind wir nicht festgelegt. Wir wissen nur: Die steigende Lebenserwartung führt dazu, daß das heutige nettolohnbezogene Rentensystem nicht bleiben kann. Lösbar ist dies zum Beispiel im Wege der Familienpolitik. Die Familienpolitik dieser Regierung ist ja wesentlich großzügiger als die der alten Regierung. ({18}) Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen die Notwendigkeit von Korrekturen ja mehrfach ins Stammbuch geschrieben. Wir werden auf jeden Fall im Herbst eine restrukturierte Formel auf die politische Agenda setzen. Denn: lediglich Inflationsausgleich für die nächsten zwei Jahre ohne eine neue Rentenformel - das wird nicht greifen. Unsere Fraktion wird ihren Teil beitragen. Ich denke, ähnliches gilt auch für die SPD. Sie unterschätzen die Beweglichkeit der SPD, was die Anerkenntnis der Entwicklungen in dieser Gesellschaft betrifft. ({19}) Die Volkspartei SPD ist derzeit in der Situation, daß sie sich stärker reformiert und restrukturiert als die Union. ({20}) Die Union ist in alte volksparteiliche Widersprüchlichkeiten zurückgefallen. ({21}) - Wissen Sie, Wahlergebnisse sind ja immer differenziert zu beurteilen. Kollege Merz, immerhin wissen wir - so ehrlich kann man doch in einer Parlamentsdebatte diskutieren -, daß es bei uns im Hinblick auf die FünfProzent-Hürde ums politische Überleben geht; ({22}) bei der SPD geht es „nur“ um den Machterhalt. Es stellt sich die Frage, wie wir aufrichtig mit einer Situation umgehen, in der wir alle wissen, daß an unserem Konzept praktisch kein Weg vorbeiführt, und in der die Bevölkerung unterschwellig ein Gespür dafür hat, daß diese Politik aufrichtiger als vieles von dem ist, was wir in den letzten Jahren erlebt haben. ({23}) Ich vertrete übrigens die Auffassung, daß das konkrete Sparkonzept nicht der entscheidende Grund dafür war, daß beide Regierungsfraktionen in den Landtagswahlen der letzten Wochen so abgestraft worden sind. Vielmehr gab es eine Geschichte vor dem Sparpaket. Ich behaupte im Gegenteil: Das Spar- und Konsolidierungsprogramm mit der Unternehmensteuerreform, mit den Aspekten der Steuerentlastung für mittlere und untere Einkommen und mit der Familienkomponente wird uns aus dem Tal der Tränen herausführen. Bereits bei den Wahlen des nächsten Frühjahrs weiß ich nicht, ob Ihre Seite so triumphierend durch die Hallen schleichen kann. Denn die Verfallszeit von politischen Stimmungen ist außerordentlich kurz. Sobald sich an der wirtschaftlichen Lage etwas ändert, sobald die Ökonomie anzieht, werden wir in eine bessere Ausgangssituation kommen. Darauf kann ich Ihnen Brief und Siegel geben. ({24}) - Kollege Merz, Hochmut kommt vor dem Fall. Sie sind zur Zeit Profiteure der Performance dieser Regierung. Sie werden nicht auf Grund Ihrer eigenen Stärke gewählt. Ich sage Ihnen nochmals: Ihnen wächst im Bundesrat jetzt eine Verantwortung zu, die Ihnen noch manche schlaflose Nacht bereiten wird. ({25}) Die Grundkonzeption der Strategie dieser Regierung ist nämlich tragfähig. Viele Ihrer Kollegen in den Ländern sehen das ähnlich. Der Finanzminister hat in den letzten Tagen zu Recht darauf hingewiesen, daß von dem ganzen 30-MilliardenDM-Konzept 17 Milliarden DM auf das Haushaltssanierungsgesetz und 13 Milliarden DM auf Einschränkungen in Leistungsgesetzen entfallen. Von der gesamten Summe von 30 Milliarden DM sind - wenn Sie so wollen maximal 6 Milliarden DM zustimmungspflichtig. Sie werden den Konsolidierungskurs also nicht aufdröseln können. Der Bund hat auch Möglichkeiten, einmal mit den Ländern auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln, auch wenn wir wissen, daß das Verfassungsorgan Bundesrat die Rechte der Länder - dazu sind die Regierungen der Länder gewählt - zu vertreten hat. Der Gesamtverantwortung für die öffentlichen Finanzen können sich die Länder nicht entziehen. ({26}) Deswegen werden Sie auch nicht an der Tatsache vorbeikommen, daß der Bund - das hat übrigens der Kollege Adolf Roth bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den Haushaltsdebatten in der Unionsregierungszeit erwähnt - durch das föderale Konsolidierungsprogramm, das seit dem 1. Januar 1995 gilt und das 1993 also zu Zeiten, in denen Theo Waigel Finanzminister war - beschlossen wurde, den seit ewigen Zeiten geringsten Anteil an allen staatlichen Steuereinnahmen hat. Die Länder haben Steuereinnahmenzuwächse gehabt. Das wurde nur durch die Erosion der Steuerbasis in Ihrer Regierungszeit kaschiert. ({27}) Der übliche Steuerzuwachs, auf den die öffentliche Hand immer gesetzt hat - es liegt bei wirtschaftlichem Wachstum in der Natur der Sache, daß die Einnahmen aus Verbrauchsteuern, aber auch aus progressiver Lohnund Einkommensteuer bei Zuwachs der Einkommen ansteigen -, war nicht vorhanden. Trotzdem muß man konstatieren, daß sich der Bund bei den finanzwirtschaftlichen Kennzahlen in der Tendenz verschlechtert hat und die Länder profitiert haben. Bei einer zwischenstaatlichen Finanzverteilung muß man dieser Tatsache Rechnung tragen. Als Bundespolitiker kann man nicht die Interessen der einzelnen Finanzminister der jeweiligen Länder vertreten, sondern muß gesamtstaatlich agieren. - An dieser Stelle müßten die Bundespolitiker eigentlich klatschen, denn es geht um die Interessenlage des Bundes. ({28}) - Kollege Poß, das gestehe ich Ihnen gerne zu. ({29}) Zur Steuerpolitik: Wenn Kollege Merz - er mußte gehen; er hat sich vorher bei mir entschuldigt; das war sehr kollegial - für die Union eine Diskussion über die Unternehmensteuerreform angeboten hat, dann muß ich feststellen, daß das ein schöner Blitzableiter in einer Situation ist, in der die Frage nicht beantwortet wird, wie der Staat sich konsolidieren soll. Plötzlich taucht wieder die Fata Morgana auf, wir könnten jetzt eine Einkommensteuerreform zum 1. Januar 2000 mit einer gigantischen Nettoentlastung auf den Weg bringen. Es wird so getan, als könnten wir wie der Nikolaus durch das Land ziehen und jedem gut situierten und weniger gut situierten Bürger schlagartig einige Tausend DM pro Jahr an Steuergeschenken machen. Das wird nicht funktionieren. Dafür haben die Leute auch das Gespür. Über 70 Prozent haben bei einer Emnid-Umfrage letzte Woche gesagt, daß an dem Konsolidierungskurs kein Weg vorbeiführt, daß also der Staat sparen muß. Wenn man in dieser Situation so tut, als könne man die alten Petersberger Versprechen aus dem Hut zaubern, dann kann ich nur lachen. Wir machen zumindest in einem konkreten Bereich, nämlich im Bereich der Unternehmensteuerreform für das Jahr 2001, ein Angebot, über das die Fachwelt und die Wirtschaft urteilen: Damit können wir leben. Zur Zeit gibt es schon einen überdurchschnittlichen Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen. Das wird sich verstärken, weil die Betriebe, die die positiven Konjunkturerwartungen an den Märkten spüren, im nächsten Jahr Investitionen vorgezogen tätigen werden, um noch die alten hohen Abschreibungssätze zu nutzen, während die erwarteten Gewinne in Zeiten realisiert werden, in denen die Steuertarife sinken. So ist der ökonomische Mechanismus. Den können Sie von CDU und F.D.P. nicht beklagen, im Gegenteil: Auch Sie weisen auf ihn immer hin. Wenn wir auf ihn in dem jetzigen Zusammenhang hinweisen, ist das berechtigt. Wir verfolgen also im Unternehmensbereich ein Ziel, mit dem die gesamte Konjunktur stimuliert wird. Wenn die Wirtschaft stimuliert ist, tritt das ein, was der Finanzminister schon letzte Woche im Plenum vorsichtig angedeutet hat. Es ist ja nicht so, daß die heutigen Steuertarife sozusagen eine Unendlichkeitsgarantie haben; vielmehr muß man während der gesamten Steuerdebatte daran denken, daß selbst am Ende dieser Legislaturperiode der Eingangssteuersatz immer noch bei fast 20 Prozent liegen wird. Wenn man den Eingangssteuersatz und die Sozialversicherungsbeiträge als Einstiegshemmnisse in den ersten Arbeitsmarkt betrachtet, dann muß man feststellen - ich denke, in der SPD wird es hiermit grundsätzlich keine Probleme geben -, daß der Eingangssteuersatz weiter gesenkt werden muß. Über den gesamten Tarifbereich muß nachgesteuert werden, und man muß über die Neujustierung von Verbrauchssteuern und direkten Steuern reden. ({30}) Es ist doch keine Frage, daß die Regierung mit ihrem Konsolidierungsprogramm das Pulver noch nicht verschossen hat; vielmehr ist dieses Konsolidierungsprogramm der Einstieg in eine Finanzpolitik, die durch steuerliche Maßnahmen die Angebotsbedingungen verbessert und damit die Konjunktur verstetigt. Aber das gilt nicht nur für oben, für den Spitzensteuersatz. Das darf nicht ideologisch gesehen werden. Vielmehr bietet das jetzt vorliegende Konsolidierungspaket auch die Möglichkeit, soziale Gerechtigkeit ins Steuerrecht zu bringen und Steuerehrlichkeit dadurch zu schaffen, daß die Tarife im gesamten Verlauf gesenkt werden. Dadurch verbreitert man die Bemessungsgrundlage. Wenn das geschieht, zahlen auch diejenigen wieder Steuern, die sich bisher entzogen haben. Das wissen wir alle. Dieses Wissen ist Allgemeingut in der Gesellschaft. Aber es wird noch zu wenig umgesetzt. Hier gibt es noch Handlungsbedarf. Das wissen auch unsere und die SPD-Finanzpolitiker. Zum Punkt der Glaubwürdigkeit. Ich habe schon darauf hingewiesen: Im Bundesrat hat die Opposition bis dato keine Vorschläge unterbreitet. Ich als haushaltspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion kann belegen, daß meine Fraktion während der parlamentarischen Oppositionszeit die Finanzlage des Staates bereits genauso schonungslos beschrieben hat, wie sie es heute in der Regierung tut. Wir haben in allen Haushaltsberatungen Kürzungsanträge eingebracht, zum Beispiel auf Subventionsabbau und auf Abschaffung der Gasölbeihilfe für die Landwirtschaft. Wir haben auch Einschnitte in der Beamtenversorgung gefordert. Die Gestaltung der Beamtenversorgung kommt nach meiner Sicht in der öffentlichen Debatte viel zu kurz. Es wird zwar viel über die Renten diskutiert, aber die Grundstruktur der Beamtenversorgung wird im Gesamtkontext nicht angesprochen. Alle diese Anträge wurden von der damaligen Regierung abgelehnt. Ich wünsche mir heute, daß Sie Sparvorschläge einbringen, die wir in unserem Konsolidierungsprogramm noch nicht haben. Man könnte dann einmal erleben, ob wir es Ihnen gleichtun würden und Sparvorschläge, die im konsumtiven Bereich notwendige Restrukturierungen nach sich ziehen, ablehnen würden. Es ist unbedingt notwendig, den Haushalt zu sanieren und in Teilbereichen trotzdem Akzente zu setzen. Ich möchte einige für unsere Fraktion wichtige Punkte ansprechen. Wir stellen das Gesamttableau überhaupt nicht in Frage; wir stehen aus Überzeugung hinter der Konsolidierung, weil Generationengerechtigkeit auch heißt, daß man die Staatsfinanzen langfristig tragfähig hält. Aber wir fragen durchaus: Ist es nicht notwendig, daß man, wenn im Einzelplan 60, allgemeine Finanzverwaltung, 2 Milliarden DM für den Verteidiger etatisiert werden, in einem Jahr, in dem dieses Land erstmals Kriegspartei war, auch für zivile Konfliktprävention Mittel im Etat einstellt? ({31}) Diese Frage muß gestellt werden. Ist es richtig, daß in Zeiten, in denen Personalabbau im öffentlichen Dienst Bestandteil dieses Konsolidierungskonzeptes ist - Stellenkürzungen um 1,5 Prozent im gesamten Bereich -, die Nachrichtendienste, die GeOswald Metzger heimdienste und den gesamten Sicherheitsbereich von den Kürzungen komplett auszunehmen? ({32}) Ist es in Ordnung, wenn die Ökosteuer-Einnahmen dauerhaft steigen, aber die Ausgaben für Programme zur Markteinführung erneuerbarer Energien bei 200 Millionen DM festgesetzt sind? Darüber muß man im Detail diskutieren. Auch in der SPD-Fraktion gibt es den Wunsch nach anderen Akzentuierungen. ({33}) Eines ist klar: Die Grünen sind in den schwierigen nächsten Wochen und Monaten ein verläßlicher Partner, wenn es darum geht, dieses Konsolidierungsprogramm durch das Parlament zu bringen und aus Überzeugung dafür zu streiten, daß wir das heutige Geld nur in Verantwortung vor künftigen Generationen ausgeben können. Wir glauben, daß wir mit der Politik zu Lasten künftiger Generationen Schluß machen müssen, daß wir Anreize für Investitionen schaffen müssen und daß wir trotzdem die soziale Gerechtigkeit dabei nicht vergessen. Wir stehen aus Überzeugung hinter dem Konsolidierungsprogramm. Vielen Dank. ({34})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Professor Dr. Luft.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese erste rotgrüne Bundesregierung ist ein knappes Jahr im Amt und verantwortet in der 50jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - ich bedaure, das sagen zu müssen - zwei entscheidende Zäsuren. Die erste Zäsur war die grundgesetzwidrige Beteiligung am Kosovo-Krieg. Die zweite Zäsur sind die angeblich alternativlosen tiefen Einschnitte in das, was in der Bevölkerung als soziale Gerechtigkeit und als gesellschaftliche Solidarität empfunden wird. ({0}) Das hat Wählerstimmen gekostet und wird noch weitere kosten. Im Unterschied zu den Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. sind wir darüber nicht schadenfroh. Wir empfinden darüber keine Häme. Wir bedauern das; denn die Hoffnung in der Bevölkerung auf eine Alternative erfüllt sich - jedenfalls vorerst - nicht. ({1}) Herr Minister, Sie sagen, Regierung und Koalitionsfraktionen müßten den Menschen im Lande noch viel besser erklären, daß die Zinslasten drückend sind - fürwahr -, daß die öffentlichen Kassen klamm sind und daß Einschnitte daher unvermeidlich sind. Ich sage Ihnen, Herr Minister: Die Bevölkerung ist in ihrer Mehrheit Tatsachen gegenüber nicht ignorant. Die Bevölkerung erkennt doch, daß es an den Börsen boomende Kursgewinne gibt. Die Bevölkerung erkennt, daß es bei großen Unternehmen, bei Banken und bei Versicherungsgesellschaften steigende Gewinne gibt. Die Bevölkerung erkennt, daß es eine Konzentration von privatem Vermögen in immer weniger Händen gibt. Auf solche Fakten aber reagiert die Bundesregierung leider überhaupt nicht. ({2}) Es ist ja richtig, was Sie gesagt haben, Herr Minister: Die deutsche Einheit ist von der Vorgängerregierung Kohl kredit- statt steuerfinanziert worden, weil sie lieber in vollem Glanze dastehen wollte. Warum aber setzen Sie jetzt die Steuersenkungspolitik gegenüber jenen fort, die zehn Jahre lang trocken unter dem Regen durchgekommen sind? ({3}) Große Unternehmen, Banken und Versicherungsgesellschaften sind zehn Jahre lang geschont worden. Sie haben sogar seit 1994 von der Kohl-Regierung pausenlos Steuersenkungen bekommen, ohne daß es auf dem Arbeitsmarkt zu entsprechenden Wirkungen gekommen wäre. Sie setzen das jetzt fort. Warum eigentlich können die Unternehmen nach beendeter Schonfrist nun nicht im nachhinein noch herangezogen werden, um endlich ihren Obolus zu leisten? Warum sollen für die hohen Zinslasten - sie sind fürwahr sehr hoch und drückend jene bluten, die nicht in dem Maße wie die großen Unternehmen, Banken und Versicherungskonzerne von Steuerentlastungen profitiert haben? Die soziale Schieflage ist der Knackpunkt in diesem Haushalt und auch in der mittelfristigen Finanzplanung. Es geht doch nicht nur um die quer durch alle Einzeletats verordnete Ausgabenkürzung in Höhe von 7,4 Prozent; das ist die eine Sache. Es geht um Systembrüche, die auf vielen Gebieten vorgenommen werden, ohne daß verläßlich gesagt werden kann, wie denn die neuen Systeme in der Zukunft aussehen sollen. Das führt zu einer beträchtlichen Verunsicherung in der Bevölkerung. Ein drastisches Beispiel für diese Systembrüche ist die veränderte Bezugsbasis für die Anpassung der Renten, der Arbeitslosenhilfe, des Übergangsgeldes und des Unterhaltsgeldes. Herr Minister, die davon betroffenen Bevölkerungsgruppen haben ihren Konsolidierungsbeitrag, ihren Solidarbeitrag für die Gesellschaft doch schon geleistet, indem sie beispielsweise von der Ökosteuer zusätzlich belastet, aber nicht entlastet werden. Das ist die Schieflage. Ein Systembruch findet auch statt, wenn sich der Bund dadurch entlastet, daß er von ihm getragene Ausgaben in Höhe von etwa 9 Milliarden DM auf die Kommunen abwälzt. Von der Bundesregierung wäre doch zu erwarten, daß sie bei den Bundesländern um eine Wiedererhebung der Vermögensteuer wirbt, statt hier abzuwiegeln. Von den Einnahmen aus einer Vermögensteuer könnten die Kommunen direkte Zuflüsse bekommen, mit denen sie beispielsweise wieder freiwillige Aufgaben finanzieren könnten, die sie heute nicht mehr finanzieren können. Daß man Kinder- und Jugendarbeit, Kultur und Sport, überhaupt soziokulturelle Arbeit, als freiwillige Aufgabe bezeichnet, tut mir schon weh. Besonders schlimm ist es, wenn ich weiß, daß das jetzt alles unter den Hammer kommt. ({4}) Ich wage mir nicht vorzustellen, wie dieses Gemeinwesen in zehn oder 15 Jahren aussehen wird. Wenn die sogenannten freiwilligen Aufgaben der Kommunen weiterhin nicht mehr finanzierbar sein werden, welches Gemeinwesen werden wir dann in zehn oder 15 Jahren haben? Zweifellos setzt dieser Haushalt einige Akzente, die die Unterstützung meiner Fraktion finden werden. Das gilt selbstverständlich für das höhere Kindergeld, die für die aktive Arbeitsmarktpolitik eingestellten Mittel und das Sofortprogramm für Ausbildung und Beschäftigung junger Leute, wenngleich ich mir sehr gut vorstellen könnte, daß es an der Zeit ist, die Ausbildungsplatzabgabe als Umlagefinanzierung einzuführen und die 2 Milliarden DM, die im Bundeshaushalt zur öffentlichen Finanzierung der Ausbildung vorgesehen werden, für andere Zwecke zu verwenden. ({5}) Ich nenne auch das Programm „Die soziale Stadt“ oder das Inno-Regio-Programm. Insgesamt aber ist der Haushaltsentwurf weit davon entfernt, eine finanzielle Untersetzung der Wahlversprechen von SPD und Bündnisgrünen zu sein. Das bundestagswahlentscheidende Versprechen war die engagierte Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Das sollte der Schlüssel zur Haushaltskonsolidierung sein. Inzwischen ist die Haushaltskonsolidierung - das ist jedenfalls mein Eindruck - über weite Strecken zum Selbstzweck geworden und hat kontraproduktive Wirkungen auf den Arbeitsmarkt, weil öffentliche Investitionen reduziert werden, weil die Kommunen zusätzlich belastet werden und folglich als Auftraggeber für kleine und mittlere Unternehmen weitestgehend ausfallen, weil das Eigenkapitalhilfeprogramm für Existenzgründer nach wie vor nicht ausfinanziert ist und weil Mittel für die neuen Länder von Kürzungen nicht ausgenommen sind. Im übrigen, Herr Minister: Ich hoffe, es ist nur ein Gerücht, daß Sie sich der Zustimmung der CDUMinisterpräsidenten von Thüringen und Sachsen, von Herrn Vogel und Herrn Biedenkopf, versichern wollen, indem Sie ihnen die Aufstockung von Strukturhilfen zum Aufbau Ost zu Lasten der Strukturhilfen für Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt versprechen. Herr Biedenkopf und Herr Vogel meinen jedenfalls, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern bekämen zuviel, und das sei ungerecht. Ich hoffe wirklich, daß das nur ein Gerücht ist. Unbestritten ist, daß dieser Bundeshaushalt konsolidiert werden muß. Entgegen allen Unterstellungen und Unkenrufen, die immer zu hören sind, die PDS würde nur mit einem Programm „Wünsch dir was“ durch die Gegend laufen, sage ich: Wir werden nicht bedenkenlos eine Erhöhung der Neuverschuldung fordern. Wir wissen um deren fatale Umverteilungswirkungen zugunsten Vermögender. Von den Zinsen auf die Staatspapiere, deren Gesamtvolumen in Deutschland inzwischen über 2 Billionen DM beträgt, profitieren die vermögenden Schichten überdurchschnittlich. Zur Aufbringung von Tilgung und Zins wird nun das allgemeine Steueraufkommen herangezogen, das sich vorwiegend aus der Lohnsteuer abhängig Beschäftigter und der Mehrwertsteuer, die die 80 Millionen hier lebenden Konsumenten aufbringen, zusammensetzt. Wir sind für den sorgfältigen Umgang mit öffentlichen Geldern. Wir machen auch Ausgabenkürzungsvorschläge. Das sind zum ganz großen Teil andere als die der Regierung. Aber wir machen Vorschläge; meine Kollegin Höll wird in der Debatte im einzelnen darüber sprechen. Herr Kollege Merz - der leider nicht mehr da ist, aber er hat ja im Auftrage der Fraktion gesprochen hat in dieser Debatte jedenfalls keine Kürzungsvorschläge unterbreitet. Er hat davon gesprochen, daß für die Bundeswehr und die Beamtenbesoldung mehr Gelder eingestellt werden müssen. Ich halte es wirklich nicht für fair, wenn man in der Debatte auf der einen Seite die Regierung für den sogenannten Sparkurs lobt und auf der anderen Seite selbst eine Menge von Ausgabenerhöhungen vorschlägt, ohne selbst eine eigene Kürzungsidee einzubringen. Wir werden unsere Vorschläge noch in dieser Debatte vorstellen. Keine ökonomisch stichhaltige Begründung gibt es nach unserer Auffassung dafür, daß man sich bei der Haushaltskonsolidierung nur auf die Ausgabenseite beschränkt und Einnahmeerhöhungen als Konsolidierungsstrategie außer acht läßt. Es steht auch nirgendwo geschrieben, daß mit Brachialgewalt binnen weniger Jahre eine Neuverschuldung von 0 DM realisiert werden müßte, gerade wenn man sagt, daß dieses Land das einzige in Europa ist, das die Wiedervereinigung von früher getrennten Teilen zu bewältigen hat. Wir fordern, die Einnahmen zu erhöhen. Dazu liegen ebenfalls unsere Vorschläge vor, die wir Herrn Eichel auch schriftlich übergeben werden. Eine mittel- und langfristig nachhaltige Haushaltskonsolidierung läßt sich mit kurzfristigen Eingriffen in Sozialleistungen und durch Ausgabenverlagerungen auf die Kommunen nicht erreichen. ({6}) Notwendig sind aus unserer Sicht strukturelle Reformen, die von der SPD während ihrer 16jährigen Oppositionszeit offenbar aber leider nicht konzeptionell ausreichend vorbereitet worden sind.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, ich komme zum Ende. Ich nenne dafür nur die Besteuerung aller Vermögensarten, die Umbasierung der Sozialversicherungsbeiträge auf die Wertschöpfung, eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftsförderung und die Einrichtung eines dauerhaften Non-Profit-Sektors, in dem arbeitslose Menschen zu einer vernünftigen, existenzsichernden Arbeit kommen können. Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, verspielen Sie nicht endgültig die Chance auf eine Alternative zu der Politik, die am 27. September vergangenen Jahres abgewählt worden ist! Danke schön. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort der Kollege Hans Georg Wagner, SPD-Fraktion.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Sie, Frau Präsidentin, oder jemand von Ihren Kolleginnen und Kollegen heute abend die Sitzung schließen, dann hat Hans Eichel bereits 220 Millionen DM an Zinsen an die Banken überwiesen. Auch morgen wird er 220 Millionen DM überweisen, ebenso übermorgen und all die Tage. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und F.D.P., das ist die Erblast Ihrer Regierung: 220 Millionen DM müssen jeden Tag an Zinsen gezahlt werden; davon profitieren nur die Banken. ({0}) Sie haben mit Ihrer Politik dafür gesorgt, daß einem Baby, das in dieser Sekunde geboren wird, eine Schuldenlast von 19 000 DM auferlegt ist. Auch die Frau, die kürzlich 106 Jahre alt geworden ist, um das andere Spektrum darzustellen, hat 19 000 DM Bundesschulden auf ihrem alten Rücken. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik; das müssen Sie sich einmal ansehen und anerkennen. An Alternativvorschlägen ist dazu von Ihnen bis jetzt noch nichts gekommen. Die Bundesschuld ist mittlerweile der zweitgrößte Einzelplan des Bundeshaushaltes nach dem Sozialhaushalt, der mit 196 Milliarden DM natürlich ein ganz großes Pfund ist, mit dem man wuchern muß. Angesichts dieser Höhe kann von Abbau von Sozialleistungen überhaupt keine Rede sein, weil alles erhalten wird, was notwendig ist. Auch das ist ein Punkt, den man in der öffentlichen Diskussion etwas stärker hervorheben sollte. - Zur Rente werde ich nachher noch etwas sagen. Herr Kollege Merz, der nicht mehr da ist, hatte ja vorhin eine Aussage von mir zum Wahlergebnis im Saarland gebracht. Ich gebe zu, wir haben die Wahl im Saarland verloren. ({1}) Aber bei einer Wahl spielen ja nicht allein die erzielten Prozentanteile eine Rolle, sondern auch die Stimmen. Wählerstimmen hat aber die CDU im Saarland wie in Thüringen verloren. Sie hat nur wegen der geringen Wahlbeteiligung Prozente gewonnen, aber Stimmen verloren. Sie sind also nicht so glorreiche Sieger, wie Sie sich gerne darstellen. Kollege Metzger hat vollkommen recht, wenn er sagt: Hochmut kommt vor dem Fall. Warten Sie einmal ab, wie uns, wenn sich die wirtschaftlichen Daten verbessern, nächstes Jahr wieder jeder zujubelt und sagt, wir machen eine vernünftige und richtige Politik. ({2}) Die brutale Altlast der abgewählten Bundesregierung besteht nun einmal aus den 82 Milliarden DM an Zinsen, die wir Jahr für Jahr aufbringen müssen, ohne daß mit diesem Geld überhaupt irgend etwas gestaltet werden kann. Nur die Banken sind froh, daß sie dieses Geld bekommen. Diese Erblast haben Sie uns hinterlassen. Jetzt vom Brandstifter zum Biedermann zu werden, das wird Ihnen nicht gelingen. Sie haben dies verschuldet und müssen auch in der jetzigen Zeit, wo wir in schweres Wasser geraten sind, dafür geradestehen. Durch Ihre Politik haben Sie die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel gesetzt. Wir sind dabei, durch eine Konsolidierung des Haushalts diese Zukunftsmöglichkeiten wiederherzustellen. Diese Aufgabe müssen wir erfüllen. ({3}) Deutschland muß für die Zukunft fit gemacht werden. Nun zum Etat der Bundeswehr: Sie sagen, man darf bei der Bundeswehr nichts kürzen. Aber was haben Sie eigentlich mit der Bundeswehr angestellt? An den Standorten meines Wahlkreises müssen völlig veraltete Maschinen gewartet werden, Lastwagen und Transportfahrzeuge, die so alt sind wie die Bundesrepublik Deutschland selber. Es wurden keine Neuanschaffungen getätigt. Sie haben bei der Bundeswehr alles verrotten lassen. Ich wundere mich, warum 6 000 Bundeswehrangehörige dieser Tage hier demonstriert haben, wo doch das Chaos, das Rühe und andere vorher angerichtet haben, für jedermann sichtbar war. ({4}) Wir haben die Familien zum 1. Januar steuerlich entlastet. Wir haben das Kindergeld in 13 Monaten um 50 DM erhöht - und werden es weiter erhöhen. Sie waren 16 Jahre lang nicht dazu fähig, dies zu tun. ({5}) Wir haben die Bezieher kleinerer Einkommen steuerlich bessergestellt. Der Eingangssteuersatz ist gesenkt worden, ({6}) das Existenzminimum ist erhöht worden. Das geschah alles zugunsten der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Zu Ihren Bemerkungen zum Saarland möchte ich Ihnen sagen: Diese Bundesregierung verhält sich solidarisch gegenüber dem Saarland und Bremen, denn sie hat deren Teilentschuldung in den Bundeshaushalt aufgenommen, während Sie das verweigerten. Wenn der Kollege Jacoby noch da wäre, könnte ich ihm als designiertem Finanzminister des Saarlandes prophezeien, ({7}) daß er jetzt die Teilentschuldung umsetzen wird, indem er sich das Geld bei Hans Eichel wahrscheinlich persönlich - das könnte ich mir gut vorstellen - abholt. Das ist jedenfalls eine Tat dieser Bundesregierung und nicht derjenigen, die jetzt im Saarland zufälligerweise einmal die Wahlen gewonnen haben. ({8}) Wir haben eine ganze Serie von Steuerschlupflöchern gestopft. Während Ihrer Regierungszeit war es ja möglich, daß in Korea innerhalb von drei Tagen 180 Schiffe zu Abschreibungszwecken bestellt wurden. Dieses Steuerschlupfloch wurde gestopft. Wir haben auch die Steuerschlupflöcher für Abschreibungen in den neuen Ländern gestopft. Jetzt sitzen die Kameraden auf ihren Ruinen und stellen fest, daß sie fehlinvestiert haben. Das geschah aber auf Kosten der deutschen Steuerzahler. Das ist Ihr Verdienst, meine Damen und Herren, an dieser ganzen Geschichte. ({9}) Wir wollen die Nettokreditaufnahme bis zum Jahre 2003 auf 30 Milliarden DM senken und haben vor, sie in der nächsten Legislaturperiode gegen null zu führen. Diese Aufgabe, die wir übernommen haben, ist wirklich schwierig. Ich bin aber sicher, daß es uns gelingt, wenn wir an dem Sparkurs festhalten. Ich sage hier für die SPD-Fraktion: Wir werden bei diesen 30 Milliarden DM nicht wackeln. Es soll sich keiner einbilden, daß daran etwas geändert wird. Das Ziel, 30 Milliarden DM einzusparen, bleibt bestehen. ({10}) Wir haben das Sparpaket ohne Steuererhöhungen durchgesetzt; Herr Eichel hat das heute morgen schon gesagt. Wie war das denn in den letzten Jahren mit Ihrer Mineralölsteuererhöhung? Wie war das denn mit der Mehrwertsteuer, die wir gemeinsam mit Ihnen erhöht haben, damit die Rentenversicherungsbeiträge unter 20 Prozent fallen konnten? Sie waren doch auf Grund Ihrer ideenlosen und zukunftslosen Politik auf dem besten Weg, diese Beiträge auf 22 Prozent ansteigen zu lassen. Übrigens: Herr Rexrodt, Sie haben von einem Entlastungsvolumen von 30 Milliarden DM seitens Ihrer Regierung gesprochen. Davon waren allein durch die Mehrwertsteuererhöhung schon 15 Milliarden DM verbraten. Es wären noch 15 Milliarden DM übriggeblieben; für diese haben Sie nie eine Gegenfinanzierung dargestellt. ({11}) Deswegen ist es gut, daß wir hier für Klarheit gesorgt haben. ({12}) Sie haben gesagt, die Ökosteuer sei verwerflich. Ich sage Ihnen eines, Herr Kollege Rexrodt: Wir haben die Ökosteuer zur Finanzierung der Renten- und Sozialversicherung eingeführt. Damit wird für die Rentnerinnen und Rentner auch in der Zukunft Sicherheit geschaffen. ({13}) Jetzt komme ich zu den Renten, meine Damen und Herren. Ich habe nie eine unsinnigere Diskussion geführt als diese und habe nie eine verlogenere Diskussion seitens der CDU/CSU gehört als die zu diesem Punkt. ({14}) CDU/CSU und F.D.P. haben eine, wie sie es nannten, Rentenreform beschlossen, die vorsah, das Rentenniveau von 70 Prozent auf 64 Prozent zu senken. Das war Ihr Beschluß. Jede Rentnerin und jeder Rentner, die in den letzten Tagen bei den Landtagswahlen - vielleicht auch künftig - ihre Stimme nicht abgegeben oder die CDU gewählt haben, haben sich ganz tief ins eigene Fleisch geschnitten; denn das, was Sie wollten, ist doch viel schlimmer als das, was jetzt diskutiert wird. ({15}) Ihre Handlungsweise in den letzten Jahren spricht doch Bände. Im vergangenen Jahr beispielsweise lag die Preissteigerungs- bzw. Inflationsrate bei 1 Prozent; die Rentenerhöhung betrug 0,4 Prozent. Wir wollen jetzt endlich sicherstellen, daß die Rentnerinnen und Rentner keine Kaufkraftverluste mehr hinnehmen müssen und sehen deshalb für die nächsten zwei Jahre vor, die Rente in Höhe der Inflationsrate heraufzusetzen. Damit verdreifachen wir die Rentenerhöhung in Relation zu dem, was Sie gemacht haben, und schaffen Sicherheit für die Rentnerinnen und Rentner. Niemand nimmt ihnen Geld ab. Deswegen halte ich es für verrückt, dies im Zusammenhang mit dem Sparpaket zu diskutieren. Das eine hat doch mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Die Renten werden doch nicht deshalb „nur“ in Höhe der Inflationsrate angehoben, um den Haushalt sanieren zu können, sondern um sie zukunftssicher zu machen, auch für die nächsten Jahrzehnte. ({16}) Sie müssen einmal einen Blick in das Grundgesetz werfen, Herr Kollege Zwischenrufer. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Was haben Sie eigentlich in Ihrer Regierungszeit aus dem demokratischen und sozialen Bundesstaat gemacht? ({17}) Sie haben ihn ruiniert. Sie haben ihn handlungsunfähig gemacht für die Zukunft. Wir sind jetzt dabei, in schwierigen Diskussionen und mit schwierigen Entscheidungen, den Haushalt wieder zukunftssicher zu machen. Dem Land muß eine Zukunft gegeben werden. Ich habe Herrn Biedenkopf und Herrn Vogel so verstanden, daß sie sagen: Wir müssen das Sparpaket diskutieren, aber auch unterstützen, damit der Bund handlungsfähig wird und im Jahr 2004 die Ostförderung weitergeführt werden kann. Dies wäre bei Ihrer Politik nicht mehr möglich gewesen. Bei Ihnen wäre mit der Förderung im Jahre 2004 Schluß gewesen. Das müssen Sie sich immer wieder vor Augen führen. ({18}) Nun noch zu den Investitionen. Frau Kollegin Luft hat gerade gesagt, die Investionsquote sinke. Man muß sich dies schon einmal genau ansehen: Durch die Übernahme der Postunterstützungskassen ist der konsumtive Bereich des Bundeshaushalts vergrößert worden. Dadurch ist die Investitionsquote relativ gesunken. In Wirklichkeit aber bleibt es bei den 58 Milliarden DM, die wir in der mittelfristigen Finanzplanung zur Finanzierung der Investitionen jährlich vorgesehen haben; daran wird nichts geändert. Wir werden jedem Versuch widerstehen, etwas daran zu ändern. Das wird schwierig werden, meine Damen und Herren; denn es gibt Haushaltsrisiken. Herr Kollege Rexrodt, Sie haben sich darüber echauffiert, daß die globalen Minderausgaben im Verteidigungshaushalt, im Verkehrshaushalt und im Sozialhaushalt nicht belegt werden. Ich kann Ihnen versichern: Die Koalition wird dies spätestens in der Bereinigungssitzung belegen, und zwar auf den Pfennig. Das kann ich Ihnen für beide Partner zusagen. ({19}) Was die globale Minderausgabe von 3,4 Milliarden DM im Verteidigungshaushalt betrifft, so habe ich Herrn Scharping wohl falsch verstanden, wenn es so ist, wie Sie es auslegen. Er hat mir gesagt, er habe die 3,4 Milliarden DM im Gespräch mit dem Finanzminister belegt. Er habe Schwierigkeiten, das zu belegen - nicht wegen der Demonstration am vergangenen Sonntag, sondern weil in der Beschaffung Lücken klafften und die Bewaffnung der Bundeswehr unter aller Kanone sei. ({20}) Das ist etwas, was die Verteidigungspolitiker Ihrer Partei ja auch wissen. Herr Rühe hat als Verteidigungsminister - mit Blick auf die Nachfolgeregelung Kohl Aufträge nach Bayern geschoben, um sich Herrn Waigel gesonnen zu halten. Das waren die Transportfahrzeuge für das Heer, das waren die Eurofighter, das waren die Kampfhubschrauber Uhu usw. Das waren Dinge, die mit dem eigentlichen Auftrag der Bundeswehr nur schwer in Einklang zu bringen sind. ({21}) Wenn man darüber diskutiert, wie die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland aussehen soll, stellt man fest: Man muß eine Bundeswehr haben, die im Verteidigungsfall bereit und in der Lage ist, mit allen technologischen Geräten ausgestattet, anzutreten. Das alles haben Sie versiebt. Ich will jetzt nicht darauf eingehen, wie es im Kosovo aussieht, daß dort Panzer ausgeschlachtet werden mußten, damit wenigstens die eine Hälfte funktionsfähig war. Am Schluß hat man dann festgestellt, daß man gar keine Waffen an Bord hatte. Das sind Dinge, bei denen die Versäumnisse so eindeutig bei Ihnen liegen, daß es eigentlich verwunderlich ist, daß Sie das Wort Verteidigungshaushalt hier überhaupt in den Mund nehmen. ({22}) Herr Kollege Rexrodt, Sie haben eben gesagt, es würden Beanstandungen auf die Gemeinden abgewälzt. ({23}) Die Zinslastquote des Bundes liegt bei 22 Prozent. Jede vierte Mark geht für Zinsen weg. Sie haben die Zahl genannt: 82 Milliarden DM. Bei den Ländern und Gemeinden liegt sie durchschnittlich nur bei 11 Prozent. Bei den Gemeinden ist sie noch geringer als 11 Prozent. Nur Bremen ist etwas schlechter dran. Das heißt, die desolateste Haushaltssituation hat der Bund, und zwar von Ihnen verursacht. Wir versuchen, davon wegzukommen. Deshalb sollten Sie uns nicht diffamieren, sondern uns in diesen schwierigen Zeiten unterstützen. ({24}) Wir haben auch für die Gemeinden Entlastungen vorgesehen. Das werden Sie, wenn Sie ehrlich und fair sind und sich das Haushaltssanierungsgesetz genau ansehen, zugeben müssen. Die Erhöhung des Kindergeldes etwa verringert die Aufwendungen bei der Sozialhilfe. Das geht zugunsten der Gemeinden. Der Umfang, in dem die Gemeinden von dem Paket profitieren, beläuft sich auf ungefähr 350 Millionen DM jährlich. Das gilt nicht für die ersten beiden Jahre. Aber dann profitieren sie davon, weil langfristig eine Entwicklung eingeleitet wird, die in der Tat zu einer Entlastung in diesem Bereich führt. Ich möchte zu der Beamtenbesoldung noch etwas sagen. ({25}) - Das wird neu formuliert, ganz klar. Das haben wir ja auch gemacht. ({26}) Ich frage Sie: Warum haben Sie es zugelassen, daß im Gesetz für den sozialen Wohnungsbau steht, daß der soziale Wohnungsbau Sache der Länder ist? Wenn jetzt der Bund sagt, wir halten uns daran, dann sagen Sie: Geht nicht! Ihr legt alles auf die Gemeinden um. - Sie müssen einmal unterscheiden lernen und sich klarmachen, welches wirklich die Ebene ist, die hier zählt. ({27}) Es hat neulich Diskussionen gegeben, weil ich in einer Pressekonferenz gesagt habe, daß im Zuge der Anpassung der Rentenentwicklung an die Inflationsrate in den nächsten zwei Jahren natürlich auch die PensioHans Georg Wagner näre, die Beamten, die Minister, die Staatssekretäre und die Abgeordneten mit zwei Nullrunden auskommen müßten, weil das alles auf Pump finanziert ist. Das hat zu erregten Briefen geführt, weil man sich ärgerte. Aber die Beamten und wir alle werden auf Pump bezahlt. Meine Damen und Herren, alle, die wir hier sitzen, haben kreditfinanzierte Einkommen, die der Bund finanziert. Der Bund muß Geld aufnehmen, um unsere Diäten zu bezahlen; so einfach ist das. Deshalb ist ein Solidarbeitrag auch von den Gruppen einzufordern, die bisher dazu nicht bereit waren. Sie müssen lernen, daß Solidarität keine Einbahnstraße ist, sondern daß es ein solidarisches Verhalten geben muß, um dieses Paket über die Bühne zu bringen und den Staat wieder handlungsfähig zu machen. ({28}) Herr Kollege Kampeter, Sie, der Sie ständig dazwischenrufen, waren doch gegen die Änderungen bei der Lohnfortzahlung. Sie waren dafür, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einfach einzusparen. Sie haben es ja beschlossen. Wir haben vor der Wahl gesagt, daß wir das ändern werden, und wir haben die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wiederhergestellt. Das war die Einhaltung eines Versprechens. Vor der Wahl haben wir versprochen, daß wir die unselige Kündigungsschutzbestimmung, die Sie beschlossen haben, wieder aufheben. Das haben wir getan. In der letzten Sitzungswoche fand die erste Lesung bezüglich einer Neuregelung des Schlechtwettergeldes statt. Sie sind mit dem Schicksal Tausender Bauarbeiter umgegangen, als seien diese keine Menschen; denn Sie haben sie in die Arbeitslosigkeit entlassen und damit zu Lasten der Bundesanstalt für Arbeit finanzieren wollen. Wir haben gesagt, daß wir eine Schlechtwettergeldregelung durchsetzen werden, die das ganzjährige Einkommen der Bauarbeiter sicherstellt. Auch dieses Versprechen haben wir eingehalten. ({29}) Letzte Woche hat Herr Schäuble im ZDF gesagt, daß die Lage der Bundesfinanzen gar nicht so schlimm sei, wie wir sie darstellen würden. - Ich sage das so, weil mir der Präsident heute morgen verboten hat, wahrheitswidrig das Wort Lüge zu gebrauchen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Auch ich fände es nicht schön, wenn Sie dies täten, Herr Kollege.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- Das hatte ich vermutet, Frau Präsidentin. Deswegen habe ich es vorsorglich anders formuliert - aber das war schlichtweg gelogen. ({0}) Denn es bestehen Schulden in Höhe von 19 000 DM pro Kopf der Bevölkerung. Das sind schwarzgelbe Schulden, die wir abbauen müssen. 1982 betrug die Schuldenlast 350 Milliarden DM. 1990 betrug sie etwa 700 Milliarden DM. Am Ende Ihrer Regierungszeit waren es 1,5 Billionen DM. Ich formuliere es einmal anders - Herr Kampeter, damit auch Sie es begreifen -: 1 500 Milliarden DM Schulden. ({1}) Diese haben wir von Ihnen übernommen. Jetzt müssen wir schmerzhaft versuchen, diese Schulden abzutragen. ({2}) Trotz des Wahlergebnisses im Saarland bleiben wir Kollege Jacoby wird das bestätigen - liebenswerte, liebenswürdige, freundliche Menschen. Sie können gerne zu uns in das Saarland kommen. Sie sind herzlich willkommen. Aber diffamieren Sie uns nicht permanent! Sie sollten aufpassen, was Sie Herrn Jacoby sagen werden, wenn er einmal auf der Bundesratsbank sitzen sollte und er für das Saarland weiterhin die Teilentschuldung einfordern müßte, weil sich die Finanzsituation im Saarland seit 1985 so verschlechtert habe. Die CDU/CSU fordert - das habe ich Ihren Vorstellungen entnommen, die Sie auf Ihrer Klausurtagung in Berlin entwickelt haben -, die Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit drastisch zu senken. Das müssen die Arbeitslosen draußen im Land wissen. Das müssen auch diejenigen, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Anspruch nehmen, wissen! Die CDU/CSU möchte, daß die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kassiert bzw. nicht mehr ausgeführt werden und daß die Menschen weiter in der Arbeitslosigkeit verharren. Sie haben mit dem Beschluß, den Ihre Arbeitsgruppe gefaßt hat, entschieden, daß Sie das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nicht fortführen wollen. Sie wollen es streichen. Ich finde das einen Skandal; denn 178 000 junge Menschen haben von unserem Programm profitiert. Die wollen Sie wieder in die Arbeitslosigkeit, in die Konzeptionslosigkeit, in die Zukunftslosigkeit entlassen. Das ist wirklich eine sehr progressive Politik, die Sie uns hier vortragen. ({3}) Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen. Er betrifft die kleinen und mittleren Unternehmen. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat am 28. Juli 1999 erklärt, daß die Koalition, die jetzige Regierung aus SPD und Grünen, eine Entlastung der kleinen und mittleren Unternehmen in einer Größenordnung von 12,3 Milliarden DM erreicht hat. Am 1. Januar 2001 kommen weitere 8 Milliarden DM hinzu. Daran ist erkennbar, daß wir etwas geändert haben. Wir setzen auf kleine und mittlere Unternehmen. Sie sind auf dem Markt beweglicher als Großunternehmen. Deshalb haben sie unsere volle Unterstützung. Mehr als eine Entlastung in Höhe von 20 Milliarden DM für kleine und mittlere Unternehmen das sollten Sie einmal schaffen, davon sollten Sie sich einmal ein Stück abschneiden! Sie waren dazu zu keinem Zeitpunkt in den 16 Jahren Ihrer Regierung in der Lage. ({4}) Ich stelle fest: Wir werden darauf bauen und darauf vertrauen, daß Sie in den Beratungen des Haushaltsausschusses konstruktiv mitarbeiten. Den Kollegen Merz, der an diesen Beratungen noch nie teilgenommen hat, lade ich ausdrücklich zu einer Teilnahme ein, damit er sich einmal informiert, wie es dort zugeht. Dann werden wir Ihre Alternativvorschläge ergebnisoffen diskutieren. Wenn sie vernünftig sind, werden sie umgesetzt; wenn sie unvernünftig sind, werden sie abgelehnt. So ist das nun einmal im politischen Leben. ({5}) Wir bauen darauf, daß Sie zu einer konstruktiven Mitarbeit zurückkehren. Schönen Dank. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile nun der Kollegin Dr. Höll, PDS-Fraktion, das Wort. ({0}) - Oh, Entschuldigung, Herr Kollege. Ich hatte Ihren Namen auf der Rednerliste schon durchgestrichen, Sie also schon abgehakt, Herr Kollege. ({1}) Denn ich dachte, Sie hätten schon geredet. Das Wort hat der Kollege Dietrich Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, das könnte Ihnen so gefallen. Es ist heute ein erfreulicher Tag, nicht nur, weil der Finanzminister eine solch schlechte Rede gehalten hat. ({0}) Vielmehr hat Kollege Adolf Roth heute Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich glaube, das ganze Haus wird sich den Glückwünschen gern anschließen. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege! ({0})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann man sich ganz leicht merken: Der Kollege hat an dem Tag Geburtstag, an dem Konrad Adenauer sein Amt angetreten hat. Das ist heute vor fünfzig Jahren gewesen. Ich erwähne das deshalb, weil ich glaube, daß dies noch eine Zeit war - daran erinnert man sich gern -, als Politik gemacht wurde, die wirklich Visionen verfolgte und die versuchte, Visionen durchzusetzen. ({0}) Ich glaube schon, daß es richtig ist, sich daran zu erinnern. Im übrigen möchte ich noch bemerken: Es ist mir schwergefallen, den Platz zu verlassen, auf dem ich gesessen habe. Ich saß eben neben Peter Jacoby, dem neuen Finanzminister des Saarlandes. ({1}) Mein Vorredner wäre es möglicherweise gern geworden. Jeder, der seine Rede gehört hat, weiß, warum er es nicht geworden ist. ({2}) Auf der anderen Seite neben mir saß der künftige Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, Volker Rühe. ({3}) Ich finde, das ist durchaus ein erfreulicher Tag für uns. Ich komme jetzt zum Inhaltlichen, zu dem, was in zwei, drei wesentlichen Punkten heute immer wieder angesprochen worden ist, und will mich damit auseinandersetzen. Herr Kollege Wagner hat - genau wie der Bundesfinanzminister - versucht, die Verschuldung des Bundes eindeutig zuzuordnen. Er hat von den schwarzgelben Schulden gesprochen. ({4}) Das ist sicher falsch, wenn man sich vor Augen führt, wie diese Schulden entstanden sind. ({5}) Das hängt aber auch davon ab, wer von der rotgrünen Koalition gerade redet. Herr Metzger hat es ein bißchen anders dargestellt und gesagt, daß er das mit der Erblast schon nicht mehr hören kann. Andere stellen das aber so dar. Wir haben 1982 350 Milliarden DM Schulden übernommen - die Zinsen rechne ich noch gar nicht hinzu -, übrigens von Helmut Schmidt, der in der „Welt am Sonntag“ gesagt hat, daß er sich mittelmäßig regiert fühlt. Ich denke, daß es zum Umgang unter Parteifreunden gehört hat, daß er nicht schärfere Worte gebraucht hat. ({6}) „Mittelmäßig regiert“ ist, glaube ich, ein Ausdruck, der einiges aussagt. Wir haben also 1982 jene 350 Milliarden DM Schulden von Helmut Schmidt übernommen. Dann kamen, nachdem wir über Jahre hinweg bis 1989 vernünftige Haushalte eingebracht haben, 500 bis 600 Milliarden DM aus der kommunistischen Erblast hinzu. Deswegen bin ich jedes Mal befremdet, wenn die Erben der SED hier auftreten und Forderungen aufstellen. Jeder, der sich heute in Berlin-Mitte bewegt, weiß, welche Leistungen erbracht worden sind. Weiterhin sind noch jene 600 Milliarden DM zu erwähnen, die inzwischen in die neuen Bundesländer hineingesteckt worden sind. Wenn das so ist, daß es sich dabei um schwarzgelbe Schulden handelt, dann sage ich: Wir übernehmen gern die Verantwortung, weil hinter dieser Aussage das Eingeständnis steckt, daß wir für diese positive Entwicklung unseres Landes in den letzten zehn Jahren verantwortlich sind. ({7}) Jeder, der sich davon lossagt, sagt sich auch von der Verpflichtung zum Aufbau Ost los, die wir miteinander übernommen haben. ({8}) - Zu dieser Zahl komme ich gleich, Herr Kollege. Sie müßten ja eigentlich deutlich machen, wie denn die Arbeitslosigkeit während Ihrer Regierungszeit zurückgegangen ist. Ich fange mit diesem Punkt an. Eine wesentliche Aufgabe von Politik muß doch heute in die Richtung gehen, daß sie die Bedingungen für mehr Arbeitsplätze verbessert und daß man das auch dokumentieren kann. Politik - auch das Sparen - sollte heute dazu beitragen, daß die Bedingungen für zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland verbessert werden. Das, was Sie bisher in den ersten elf Monaten gemacht haben, bewirkte genau das Gegenteil: Arbeitsplätze sind verlorengegangen; Beschäftigung ist zurückgegangen. Sie haben nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen, sondern Sie haben Arbeitsplätze vernichtet. Das kann man mit einem Vergleich zum Vorjahr oder mit Vergleichen auf Monatsbasis beweisen. ({9}) Wenn Sie sich die gesamte Statistik anschauen, werden Sie merken: Das, was Sie gemacht haben - die Regelungen zur Scheinselbständigkeit, zu den 630-MarkArbeitsverhältnissen, die zusätzlichen Steuerbelastungen -, hat dazu beigetragen, die Bedingungen für mehr Arbeitsplätze zu verschlechtern, Herr Kollege Schwanhold. ({10}) - Schauen Sie sich doch die Statistik an. Wir haben im Jahr 1998 die Arbeitslosigkeit um 400 000 - ({11}) - Können Sie den Brüller nicht ein bißchen deckeln, Frau Präsidentin?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Austermann hat das Wort. Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, sollten Sie sich melden, Herr Kollege. Aber Zurufe sind hier schon erlaubt, Herr Austermann. ({0})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Im Jahre 1998 ist die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr um 400 000 zurückgegangen. 400 000 Arbeitslose weniger! Die Beschäftigung ist um 150 000 gestiegen. Wenn Sie den Vergleich heute ziehen, elf Monate nach dem Regierungswechsel, werden Sie feststellen, daß dieser Rückgang von 400 000 von Monat zu Monat abschmilzt, und können absehen, wann Sie unter der Linie des Vorjahres liegen. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, daß 200 000 Menschen, demographisch bedingt, aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind. Das heißt, Sie haben heute weniger Beschäftigung als vor einem Jahr; Sie haben heute mehr Arbeitslose als vor einem Jahr. Das ist die Folge Ihrer Politik, und daran müssen Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik gemessen werden. ({0}) Das Programm, das der Bundesfinanzminister hier vorstellt, wird gelegentlich mit unterschiedlichen Titeln versehen, unter anderem wird es auch als „Zukunftsprogramm“ bezeichnet. Ich habe den Eindruck, das Wort Zukunft wird jetzt zum Unwort des Jahres, wenn das Zukunft sein soll, was dort vorgestellt wird - es sei denn es wird jetzt tatsächlich gespart und gestaltet. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, noch einmal die Zahlen vorzutragen, weil selbst Journalisten, die sich täglich mit dem Thema befassen, bis heute noch nicht alle erkannt haben, daß Herr Eichel in der Tat gar nicht spart. ({1}) Ich nehme auf, was Kollege Merz vorhin gesagt hat: Der Bundeshaushalt des letzten Jahres lag, ganz grob, bei 457 Milliarden DM. Das war im übrigen das Niveau der letzten fünf Jahre. 1993 haben wir mehr ausgegeben als im letzten Jahr. Sie können sich vielleicht noch erinnern, daß Sie uns vorgeworfen haben, wir würden eine Ellbogengesellschaft propagieren, soziale Kälte schüren, eine soziale Schieflage herbeiführen und den Staat kaputtsparen. Dies waren doch ständig die Vokabeln, mit denen Sie uns vorgeworfen haben, wir würden zuviel sparen. ({2}) Jetzt sagen Sie, wir hätten nicht genug oder an der falschen Stelle gespart und hinterließen einen gewaltigen Schuldenberg. Sie haben die Behauptung aufgestellt, wir hätten damals nicht genug getan, während Sie jeden Tag neue Forderungen erhoben haben, die unseren Haushalt belastet hätten. Jetzt predigen Sie das Sparen. Wie sieht es in diesem Jahr aus? Lafontaine bzw. Eichel geben 30 Milliarden DM mehr aus. Im nächsten Jahr geben sie 22 Milliarden mehr aus als im letzten Jahr. Wenn Sie den gesamten Finanzplanungszeitraum bis zum Jahr 2003 nehmen - auch wenn Eichel dann nicht mehr Finanzminister sein wird -, dann stellen Sie fest: Nach Ihrer Vorstellung steigen die Bundesausgaben gegenüber unserem Ansatz des letzten Jahres um 50 Milliarden DM, steigen die Schulden - Herr Kollege Wagner, Sie machen sich ja Sorgen um die Belastung der Bürger, was verständlich ist - bis zum Jahr 2003 um 220 Milliarden DM. Eichel ist aber dann nicht mehr im Amt, denn es gibt eine gewaltige Rotation in der Regierung: Drei sind schon weg, die nächsten werden wahrscheinlich irgendwann folgen. Wenn die ganzen Verlierer hier Platz nehmen sollen, wird wahrscheinlich die Kabinettsbank zu eng. ({3}) Es werden also in den nächsten vier Jahren 220 Milliarden DM neue Schulden gemacht. Herr Poß, jetzt kommt das entscheidende Thema, wenn man die Berechnungen sieht. Herr Eichel sagt, er trage dazu bei, daß es den Familien jetzt gutgehe. Ich habe beim zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär einmal angefragt: Was haben die Bürger und die Betriebe nach Ihrem vorgelegten Programm im nächsten Jahr mehr in der Tasche? Ausweislich seiner Antwort sieht die Nettorechnung für die Steuerentlastung des kommenden Jahres so aus: 2,7 Milliarden DM weniger nimmt der Staat an Steuern ein. Jetzt muß man dagegenrechnen, daß die Betriebe mit etwa 1 Milliarde DM zusätzlich ein bißchen ausgeplündert werden. Das heißt, um 3,7 Milliarden DM werden die Familien entlastet. Jetzt teile ich die 3,7 Milliarden DM durch die 15 Millionen ersten und zweiten Kinder; das Kindergeld wird ja nur für das erste und zweite Kind erhöht. Teile ich also 3,7 Milliarden DM durch diese 15 Millionen Kinder, ergibt sich ein Betrag von 233 DM im Jahr. Er sprach von 1 800 DM, 2 800 DM - und und und. 233 DM im Jahr machen grob gerechnet 20 DM im Monat aus. Jetzt rechne ich die gewaltige Belastung gegen, die Sie den Bürgern mit Ihrem irren Renten- und Ökosteuerkonzept - das ist wirklich ein irres Konzept, weil es unterm Strich zu zusätzlicher Belastung, also in die falsche Richtung, führt - aufbürden. ({4}) Sie kassieren in diesem Jahr 9,5 Milliarden DM durch die Ökosteuer und im nächsten Jahr 17,6 Milliarden DM. Diesen Betrag müssen Sie abziehen. Was heißt das für Familien mit zwei Kindern? Zusätzliche Belastung. Sie sprachen von Erblasten, deshalb sage ich Ihnen: Wir haben die Familien in unserer Regierungszeit durch den Familienleistungsausgleich um 50 Milliarden DM entlastet. ({5}) - Das kann ich Ihnen leicht vorrechnen. Im Jahr 1982, als Sie die Regierung abgegeben haben, betrug das Kindergeld für das erste Kind 50 DM, als wir aufgehört haben, betrug es 220 DM. Sie haben den Kinderfreibetrag abgeschafft; das Bundesverfassungsgericht hat deshalb Kritik geübt. Wir haben ihn auf zirca 6 000 DM gesteigert; die genauen Zahlen spielen keine Rolle. Das alles summiert ergibt eine zusätzliche Leistung für die Familien von 50 Milliarden DM. Sie kommen im nächsten Jahr mit 3,7 Milliarden daher, klopfen sich auf die Schulter und sprechen von Zukunftsvisionen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Ich glaube, die Zahlen kann jeder nachvollziehen. Frau Kressl kann sich ja später zu einer Kurzintervention melden und ihren Beitrag leisten. Mir geht es darum, deutlich zu machen, daß ein wesentlicher Teil dessen, was Sie an Argumenten vorgetragen haben, nicht zutrifft. Es sind Scheinargumente. Dazu gehört das Thema Sparen. Wenn ich Hans Eichel über das Sparen reden höre, kommt es mir so vor, als käme jemand mit einem Lendenschurz daher und sagte: Guck mal, habe ich nicht einen schönen neuen Anzug an? Denn die Dimensionen stimmen nicht. Hier wird nur ein bißchen gespart. Ich kann das vorrechnen: Im nächsten Jahr werden 7,5 Milliarden DM weniger als in diesem Jahr ausgegeben, davon sind 5,6 Milliarden DM nicht gedeckt. Ich komme jetzt zum Thema Bundeswehr, weil die Bundeswehr ein besonderes Opfer für das Sparen erbringen muß. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundeswehr, daß Soldaten gegen ihren Chef, gegen ihren Minister bzw. die Bundesregierung, aufbegehren. Es ist in der Nachkriegszeit noch nicht vorgekommen, daß sich 5 000 Soldaten versammeln und friedlich gegen das protestieren, was ihnen von dieser Regierung oktroyiert werden soll. Ich glaube, das macht deutlich, daß die Entscheidungen für die Bundeswehr während unserer Regierungszeit in die richtige Richtung gegangen sind. Wir können nichts dafür, daß seit Oktober des letzten Jahres kein Beschaffungsprojekt mehr umgesetzt wurde, wenngleich einige Projekte in der Vorbereitung waren. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß Sie den Jäger 90 wieder abbestellt hätten. Jahrelang haben Sie daraus Honig gesaugt und gesagt, das Projekt sei falsch. Projekte, die wir im letzten Jahr beschlossen haben, sind bis heute nicht umgesetzt worden, weil das Geld fehlt, bestimmte Vorgaben umzusetzen. Kasernenküchen werden geschlossen, weil sie in diesem Jahr nicht mehr saniert werden können. Die Situation spricht doch Bände. Wir wollten, daß sich unsere Bundeswehr auch in Zukunft kontinuierlich weiterentwickeln kann. Lassen Sie mich nun etwas zu unserer Alternative sagen. Sie haben danach gefragt, und ParlamentsdiskusDietrich Austermann sion heißt, jeder trägt das vor, was er in der Argumentation mit anderen austauschen will. Vorher möchte ich aber noch etwas zum Thema Rente sagen, weil ich das für wichtig halte. Auch hier stellt sich die Frage: Wie entwickelt sich die gegenwärtige Finanzlage der Renten? Im letzten Jahr hat der Bund Zuschüsse in Höhe von 100 Milliarden DM an die Rentenkasse gezahlt, am Ende des Finanzplanungszeitraums werden es 150 Milliarden DM sein müssen. 50 % mehr Rentenzuschüsse in vier Jahren - das kann keine richtige Politik sein. Sie bürden den Bürgern an anderer Stelle Lasten auf. Was bedeuten denn die zusätzlichen Steuern, die sogenannten Ökosteuern, die mit Öko wenig zu tun haben, für die weitere Entwicklung:für Pendler, für Flächenländer und Betriebe, die energieintensiv arbeiten? Sie sind eine deutliche zusätzliche Belastung. Als wir vor knapp einem Jahr abgetreten sind, betrug der Benzinpreis 1,50 DM. Heute liegt er bei 1,80 DM. Wenn Sie so weitermachen, liegt er bald bei 2,20 DM. Ich kann nicht erkennen, daß das dazu beiträgt, die Spediteure, die Pendler, die Menschen, die in der Fläche wohnen und in den Großstädten arbeiten, kräftig zu entlasten. Dies ist übrigens eine Belastung, die Arbeitslose, Rentner und kleine Beamte besonders stark trifft. Das machen Sie, um damit die zusätzlichen Ausgaben bei der Rente zu finanzieren. Ich glaube, jeder sollte erkennen, daß das falsch ist. Das Konzept muß weg. Wir brauchen eine Nettoentlastung der Menschen und keine zusätzliche Belastung durch die Steuern. ({1}) Über viele Wirkungen, die Ihre Politik hat und die für den Arbeitsmarkt schädlich sind, kann man lange reden. Ich nehme einmal Ihr Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, weil es hier angesprochen worden ist. Nachdem gesagt worden ist, diese Regierung gebe mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik aus, müßten Sie den Bürgern zunächst einmal erklären, weshalb zu diesem Zeitpunkt 70 000 Menschen weniger als vor einem Jahr in ABM, FuU und Strukturanpassungsmaßnahmen sind, obwohl Sie die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit mit dem Ziel aufgebläht haben, den zweiten Arbeitsmarkt zu puschen, was immer zu Lasten des ersten Arbeitsmarktes geht. Jetzt kommen Sie mit Ihrem Milliardenprogramm für junge Leute. Wir haben gestern in der Zeitung lesen können, was Sie damit tatsächlich anrichten. Pro Person, die gefördert wird, sind 220 000 DM aufzuwenden. Das ist doppelt so viel, wie ein Kohlekumpel kostet. Dies soll ein Zukunftsprogramm sein? Damit werden junge Leute in die Warteschleife geschickt. So haben Sie das früher immer genannt. ({2}) Ausbildungsplätze gleich Null. Was hat eigentlich das Bündnis für Arbeit, bezogen auf Ausbildungsplätze, bisher gebracht? ({3}) - Nichts, völlig richtig, Herr Kollege. - Es hat keine zusätzlichen Ausbildungsplätze für Jugendliche gebracht. Sie haben kein Herz für junge Leute. Das haben die Wahlergebnisse der letzten Monate gezeigt. ({4}) Die Zustimmung gerade der jüngeren Generation zur Union war im Bereich derer, die Sie mit falschen Rezepten ansprechen wollten, besonders stark. Das erfüllt uns mit Genugtuung, weil sich hier zeigt, wer wirklich an die Zukunft denkt. Wenn Sie über Steuern reden, macht es gar keinen Sinn, mit dem Neidargument zu arbeiten. Wir bekommen die Wirtschaft nur dann wieder in Gang, wir bekommen nur dann wieder das Wachstum, das wir noch im letzten Jahr hatten - wir hatten im letzten Jahr ein Wachstum von 3 Prozent trotz der Krisen weltweit, Kollege Metzger -, wenn wir erkennen, daß es um hausgemachte Fehler dieser Regierung geht, die ganz eindeutig in die falsche Richtung weisen. Das können Sie an praktisch jeder Haushaltszahl ablesen. Andere Länder um uns herum haben ein höheres Wachstum. Deutschland und Italien stellen in bezug auf das Wachstum die Schlußlichter dar. Sind die weniger oder stärker als andere von der Entwicklung in Südostasien betroffen? Das kann doch nicht wahr sein. Ich möchte noch etwas dazu sagen, ob tatsächlich gespart wird. Sieht man sich den Haushalt im Detail an, stellt man fest: Man könnte eine Fülle von Beispielen dafür finden, daß selbst diejenigen, die viel vom Sparen reden, es nicht tun. Herr Schwarzer ist noch da, soll aber demnächst entlassen werden, weil er zufällig gehört hat, daß Hans Eichel zu Oskar Lafontaine vor der Wahl in Hessen gesagt hat: Bitte, lieber Oskar, vor der Wahl nicht bei etwas sparen, was in Hessen Auswirkungen hat. Ich kann verstehen, daß man an sein Wahlergebnis denkt und daß man Zeugen, die bestätigen, daß man früher mit Sparen am Hut nichts gehabt hat, am liebsten aus dem Wege räumt. Die Frage ist aber: Was macht er heute? Dazu habe ich mir seine Verfügungsmittel angesehen. Wieso eigentlich muß Gerhard Schröder doppelt so hohe Mittel zur privaten Verfügung haben wie sein Vorgänger in den 16 Jahren? ({5}) Wieso eigentlich muß der Bundesfinanzminister mehr Verfügungsmittel haben? Wieso eigentlich müssen die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit steigen? Wieso müssen wir eigentlich 1,8 Millionen DM zusätzlich für die mediengerechte Ausstattung des Kanzleramtes bereitstellen? Kann mir das einmal jemand erklären? Wieso müssen jede Woche Millionen für Anzeigen ausgegeben werden, um die Arbeit der Regierung in einem anderen Licht darzustellen, als sie tatsächlich steht? Eine Anzeige kostet Millionen. Und da redet man hier vom Sparen? Machen Sie es doch ganz einfach: Sie können sich jede Mark für Öffentlichkeitsarbeit sparen, wenn Sie ordentlich regieren. ({6}) Nur derjenige, der Mist macht, muß erklären, warum er Mist macht. ({7}) Ich habe gesagt, daß wir verstärkt eigene Akzente setzen wollen. ({8}) - Herr Kollege, Sie können nachher gern reden und mir dann erzählen, woran es eigentlich liegt, daß wir kein wirtschaftliches Wachstum wie im Vorjahr und weniger Beschäftigte als im Vorjahr haben. ({9}) Sie können dann bitte auch den Menschen erklären, weshalb zur Zeit niemand bereit ist, über die aktuelle Beschäftigungslage Auskunft zu geben. Das Statistische Bundesamt und die Bundesanstalt für Arbeit erklären, daß sie keine Zahlen vorliegen haben. Ich gehe einmal davon aus, daß man versucht, die Beschäftigten mit 630-Mark-Jobs nach dem Motto „Jetzt sind es ja sozialversicherungspflichtig Beschäftigte“ in die Arbeitsmarktstatistik einzubauen. Auf einen Schlag hätten Sie damit 2,5 Millionen Menschen mehr in Ihrer Beschäftigungsstatistik. Damit dies nicht sofort auffällt, gibt es seit einem halben Jahr keine Zahlen für Beschäftigung in Deutschland mehr. Diese Vorgehensweise kann man eindeutig nachvollziehen. Heute gibt es 150 000 Beschäftigte weniger als vor einem Jahr. Gerhard Schröder ist mit der Aussage „Messen Sie mich an der Zahl der Arbeitslosen!“ angetreten. Wir messen ihn daran und müssen feststellen, daß er sozusagen zu klein ist. ({10}) Die jetzigen Maßnahmen reichen nicht aus. Deswegen müssen andere Akzente gesetzt werden. Alternativen ({11}) hat der Kollege Merz schon dargestellt. ({12}) - Vielleicht sind Sie an dieser Stelle eingenickt. Er hat diese Alternativen deutlich herausgestellt. Ich will noch einen weiteren Punkt nennen: Unser Ziel ist es, die Steuerbelastung der Bürger und Betriebe im kommenden Jahr um mindestens weitere 10 Milliarden DM zurückzuführen. ({13}) - Sie können uns in diesem Punkt gerne übertreffen. Wir würden uns Ihnen dann wahrscheinlich anschließen. Unser Ziel ist auch, die Konsumausgaben zu drosseln. In diesem Zusammenhang habe ich kleine, aber doch signifikante Beispiele erwähnt. Wenn die Zahl der Arbeitslosen demographisch bedingt zurückgeht, dann braucht die Bundesanstalt für Arbeit nicht die vorgesehenen Mittel. Streichen wir diese Mittel! Es ist besser, in den ersten Arbeitsmarkt zu investieren, als den zweiten Arbeitsmarkt aufzublähen. ({14}) Dies macht etwa 10 Milliarden DM aus. Wir wollen zusätzliche Mittel für den Straßenbau und für die Verbesserung der Infrastruktur. ({15}) Wenn man den scheidenden Verkehrsminister daran mißt, welche Perspektiven wir für die Verbesserung der Infrastruktur in Deutschland haben, dann kommt man zu dem Schluß, daß seine Bilanz schlecht ist. Ich nenne ein Beispiel: Das für ganz Norddeutschland wichtige Projekt A 20 soll auf Eis gelegt werden, weil in diesem Jahr beim Straßenbau 500 Millionen DM und im nächsten Jahr weitere 500 Millionen DM gekürzt werden. Das ist der falsche Weg. ({16}) Wir brauchen mehr Geld für Projekte zur Verbesserung der Infrastruktur. ({17}) Wir brauchen auch mehr Geld für die Forschung. Ich will Sie an Ihre eigenen Versprechungen erinnern, die etwa lauteten: Wir werden die Investitionsausgaben für Forschung in den nächsten vier Jahren verdoppeln. Wenn Sie die globale Minderausgabe aufgelöst haben, dann geben Sie in diesem Jahr weniger Geld für Forschung aus. Ich habe vor wenigen Tagen mit einem kompetenten Mitarbeiter aus dem Wirtschaftsministerium gesprochen. Er sagte mir, daß heute noch Probleme bestünden, die globale Minderausgabe dieses Jahres aufzulösen. Bei der Kohle kann nicht gespart werden. Es bleiben nur die Bereiche Handwerk, Existenzgründungen, neue Technologien und - Ihr Lieblingskind - erneuerbare Energien übrig. In diesen Bereichen wird eingespart werden. Damit kommt unter dem Strich weniger für neue Technologien und für Forschung heraus, als bei uns vorgesehen war. Diese Feststellung gilt auch für den Haushalt von Frau Bulmahn, von deren Seite nur relativ wenig über zukunftsweisende Technologien zu hören ist. Das gilt auch für andere Bereiche.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl. Wir wollen mehr Geld für neue Technologien, für Infrastruktur und Forschung ausgeben. ({0}) Wir wollen ferner die Ungerechtigkeit gegenüber der Landwirtschaft ausräumen. Man hat eine Strafaktion für falsches Wahlverhalten durchgeführt, indem man 500 Millionen DM bei den Bauern gekürzt hat. So darf es nicht weitergehen. ({1}) Wenn Sie unseren Vorschlägen folgen und die dadurch entstehenden steuerlichen Mehreinnahmen und Minderausgaben addieren würden, dann würden Sie erkennen, daß es mehr wirtschaftliches Wachstum, mehr Beschäftigung und mehr Erneuerung geben würde, als es durch das Sparen im Rahmen Ihres sogenannten Zukunftsprogramms der Fall ist. In diesem Sinne appelliere ich an Sie: Seien Sie so offen, wie Sie es vor den Haushaltsberatungen waren! Ich erinnere mich: Nachdem Sie die Regierung übernommen hatten

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- Letzte Bemerkung -, war es oft so, daß wir Beschlüsse fassen mußten, bevor uns die Unterlagen vorlagen. Mit der Arroganz der Macht haben Sie alles weggewischt. Jetzt backen Sie etwas kleinere Brötchen. Ich kann nur hoffen, daß dies dazu führt, daß wir gemeinsam einem guten Weg folgen werden. Das ist der, den wir vorgegeben haben. Herzlichen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Metzger.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Austermann, es ist unglaublich, mit welchen Argumenten Sie als Obmann der größten Oppositionsfraktion im Haushaltsausschuß hier im deutschen Parlament die Leute für dumm verkaufen. ({0}) Erstens. Sie sprechen von der Ökosteuer und verweisen einfach auf die Nominalpreise an den Tankstellen. Sie müssen doch wissen, daß die OPEC derzeit mit mehr als 22 Dollar pro Barrel den höchsten Rohölpreis seit vielen Jahren durchgesetzt hat. Der Anteil der Mineralölsteuererhöhung schlägt nur mit 7 Pfennig - eine vergleichsweise bescheidene Zahl - durch, während die Erhöhung der Rohölpreise mehr als 25 Pfennig ausmacht. Das ist die Wahrheit. Für diese 25 Pfennig kann die Regierung nichts; die Mineralölkonzerne geben diese Erhöhung einfach nur weiter. Das müßten sie auch tun, wenn Sie an der Regierung wären. Zweitens. Sie behaupten hier frank und frei, diese Regierung plane, im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung mehr als 220 Milliarden DM neue Schulden zu machen. Rechnen Sie doch einmal die Nettokreditaufnahme der nächsten vier Jahre zusammen! Ich komme da auf etwa 160 Milliarden DM. Dagegen hat die CDU/CSU-Regierung, Kollege Austermann, in den letzten vier Jahren 260 Milliarden DM Schulden aufgenommen. Das ist die Wahrheit, und das muß man der Bevölkerung sagen. ({1}) Außerdem - Ihre Aussagen werden auch durch x-malige Wiederholung nicht wahrer -: Die Haushalte sind nur vergleichbar, wenn die Vorbelastungen auf Grund der Steuergesetzgebung, die die alte Koalition mit zu vertreten hat, hineingerechnet werden. Sie haben am 1. April des letzten Jahres die Mehrwertsteuer erhöht, um genau das zu tun, was wir dieses Jahr mit der Einführung der Ökosteuer zum 1. April beabsichtigt haben: den Anstieg des Rentenversicherungsbeitrages damals von 20,3 auf 21,0 Prozent - zu verhindern. Wir haben dieses Jahr den Rentenversicherungsbeitrag von 20,3 auf 19,5 Prozent gesenkt und damit mit der Senkung der Lohnnebenkosten ernst gemacht. Das Ganze hat eine weitere finanzielle Konsequenz: Eine Mehrwertsteuererhöhung in diesem Umfang bringt innerhalb eines Dreivierteljahres rund 6 Milliarden DM weniger als eine Erhöhung für ein ganzes Jahr. Dieses Jahr greift die Mehrwertsteuererhöhung, die Sie beschlossen haben, erstmals für das ganze Jahr. Also ist es logisch, daß das Volumen dieses Haushalts um 6 Milliarden DM höher sein mußte als das des letzten Jahres. Hinzu kommen Unteretatisierungen von Posten, von denen Sie genau wußten, daß sie nach dem Grundsatz von Haushaltsklarheit und -wahrheit korrigiert werden mußten, zum Beispiel die Unterstützungshilfen für Bremen und das Saarland oder die Postunterstützungskassen in Höhe von 8 Milliarden DM. Deshalb sind Ihre Aussage, die Aussage des Kollegen Merz und der Inhalt auf der Internetseite der Bundesgeschäftsstelle Ihrer Partei nicht wahr. Das Konzept mit einem Volumen von 30 Milliarden DM, das wir jetzt vorlegen, hat in der Tat eine echte Konsolidierungswirkung. Deshalb reagiert die wirtschaftsnahe Presse, die sonst Sie hochjubelt, so positiv, genauso wie Investmentfonds. Wenn wir eine Scheinbuchung machen würden, würden die Märkte nicht reagieren, wären Euro und DAX am Montag, nach Ihren Wahlerfolgen, nicht abgestürzt. Nach Ihrer Lesart hätte die Wirtschaftspresse jubeln müssen, weil die Union endlich wieder in der Lage ist, vernünftige ökonomische Konzepte durchzusetzen. Also: Bleiben Sie bei der Wahrheit! Dazu, daß Politik in der Bevölkerung ein schlechtes Image hat, hat Ihre Rede wieder anschaulich beigetragen. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Austermann, Sie können erwidern. Bitte sehr.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. Kollege Metzger, Sie haben sich bemüht, das, was ich gesagt habe, zu widerlegen. Ich fange einmal bei den Benzinpreisen an: Ist es falsch, daß die Ökosteuer in diesem Jahr mit der Begründung eingeführt wurde, man müsse etwas für die Renten tun, und von den Bürgern so insgesamt 9,5 Milliarden DM abkassiert wurden? ({0}) Ist es falsch, daß die vorgesehene weitere Erhöhung der Ökosteuer - ich habe von einem Benzinpreis von 2,20 DM in der Zukunft gesprochen - zusätzliche Mehreinnahmen bringt: einschließlich der Mehrwertsteuer im nächsten Jahr 17,6 Milliarden DM, im übernächsten Jahr 23,6 Milliarden DM, dann 29,2 Milliarden DM und schließlich, im Jahr 2003, 35 Milliarden DM? Wenn man das auf den Rentenversicherungsbeitrag umrechnet, müßte dieser im Jahre 2003 um zwei Prozentpunkte sinken. Er wird aber statt bei 20 Prozent - dem Wert, der sich bei Realisierung unseres Konzeptes mit der Einführung eines Demographiefaktors ergeben hätte - bei 19,1 Prozent liegen. Das heißt, Sie kassieren 35 Milliarden DM für eine Absenkung des Rentenbeitrages um 0,9 Prozent. ({1}) - Ja, das tut weh. Die Ökosteuer wird also verwendet, um den Haushalt zu sanieren. Jetzt zu dem nächsten Punkt, der Nettoneuverschuldung. Minister Hans Eichel wollte sparen. In diesem Jahr sollte die Nettokreditaufnahme neu, sollten also die zusätzlichen Schulden 53,5 Milliarden DM betragen, im nächsten Jahr 49,5 Milliarden DM, im Jahr 2001 46,1 Milliarden DM, im Jahre 2002 41,2 Milliarden DM und 2003, wenn er nicht mehr im Amt ist, 30,4 Milliarden DM. Wenn ich das addiere, komme ich auf 219,7 Milliarden DM an zusätzlichen Schulden in Ihrer Regierungszeit, angefangen am 1. Januar dieses Jahres bis 2003. Sie machen also eine Politik von mehr Schulden und mehr Steuern und weniger Entlastung der Bürger. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Höll, PDS-Fraktion.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Kurzzeitgedächtnis der CDU ist wirklich verblüffend. Wenn Ihre Rezepte, die Sie bisher, als Sie in Regierungsverantwortung waren, immer vorgelegt haben, nicht so versagt hätten, wären Sie ja vor einem Jahr wahrscheinlich nicht abgewählt worden. ({0}) Die F.D.P. reagiert noch besser: Gestern abend hatte ich das Vergnügen einer Diskussionsrunde mit Herrn Rexrodt, der nur noch herumbrüllte. Heute läßt er nicht einmal mehr Zwischenfragen zu - auch sehr bezeichnend! ({1}) Bei der Diskussion am heutigen Tage erstaunt mich ein bißchen, daß die vorgetragene Kritik nicht auf den Punkt kommt. Gerade die Entscheidung der SPDGrünen-Koalition zur Frage der Rente - ein zentrales und sehr sensibles Thema - ist letztlich dieselbe, die auch Sie in der letzten Legislaturperiode getroffen haben. Damals haben Sie gemeinschaftlich die Verbrauchsteuer Mehrwertsteuer erhöht; jetzt erhöht die neue Koalition die Energiesteuern. Ökologisch ist das völlig sinnlos; darüber sind wir uns völlig einig. Es ist auch nicht richtig, weil es zu einer Belastung von Haushalten mit einem geringeren Einkommen führt. Ich habe das einmal ausgerechnet: Ein Vier-Personen-Haushalt muß ein Einkommen von mindestens 6 000 DM bis 8 000 DM monatlich haben, damit aus Ökosteuer und Senkung der Versicherungsbeiträge per Saldo null herauskommt. Alle Menschen, die ein geringeres Einkommen haben, erfahren eine Mehrbelastung. Wenn man dann noch arbeitslos, Student, Rentnerin oder Rentner ist, wird man bei dieser Regierung doppelt belastet, weil für diese noch weitere Sparvorschläge im Paket enthalten sind. Das ist unsozial. Da sich Herr Eichel heute hierhergestellt und gesagt hat, der Rentenvorschlag der Regierung habe überhaupt nichts mit dem Haushalt zu tun, muß ich sagen, daß er wohl zu denken scheint, daß die Mehrheit der Bevölkerung mit dem Klammerbeutel gepudert ist. Denn zufälligerweise soll die Regelung ja nur nächstes und übernächstes Jahr gelten. Im Wahljahr 2002 soll die Rentensteigerung wieder an die Nettolohnentwicklung angebunden werden. Es ist doch offensichtlich, was damit bezweckt wird! Aber es ist auch offensichtlich, daß damit ein eklatanter Systembruch eingeleitet wird, ohne daß tatsächlich ein modernes Rentenkonzept auf den Tisch gelegt wird, welches die solidarische Finanzierung beinhaltet. ({2}) Wir reden dabei über die Lebensarbeitsleistung von Frauen und Männern; sie wird zur Spielmasse des Finanzministers gemacht. In Ihrem Paket werfen Sie nur auf die Seite der Einnahmeerhöhung ein Auge. Ansonsten gilt nur: einsparen, einsparen, einsparen. Die PDS vermißt aber ganz stark die Umsetzung der Vorschläge, die Sie als Opposition noch eingebracht haben. Wir vermissen die Streichung der Mittel für den Eurofighter; dafür müssen wir im nächsten Jahr nicht über 1 Milliarde DM ausgeben. ({3}) Wir vermissen die Streichung der Mittel für den Transrapid. Wir vermissen eine ganze Reihe weiterer möglicher Streichungen; das betrifft die Öffentlichkeitsarbeit - auch die der Regierung -, aber auch weitere Aufrüstungsvorhaben im Verteidigungshaushalt. Ganz stark vermissen wir ein Augenaufmachen bei der Einnahmenseite. Vorhin haben wir noch einmal das Beispiel der neuen Bundesländer gehört. Sicher waren es politische Mehrheitsentscheidungen, auf Grund derer privates Kapital in die neuen Bundesländern gegangen ist. Dafür wurden die Aufwendungen steuerlich subventioniert. Man muß auch zur Kenntnis nehmen, daß das vielfach fehlgelaufen ist: Zum Beispiel haben wir in Leipzig einen hohen Büroleerstand; das ist etwas, was wir überhaupt nicht brauchen. Damit sind aber auch große Vermögenswerte geschaffen worden - natürlich nur von Leuten, die so viel privates Kapital hatten, daß sie es einsetzen konnten. Das bedeutet aber, daß jetzt Vermögen vorhanden ist. Deswegen frage ich mich folgendes: Wenn in der Staatskasse nun wirklich kein Geld vorhanden ist, warum gehen wir dann nicht an die großen Vermögen heran? Warum scheuen Sie sich als Koalition mit aller Macht, an die wirklich Vermögenden, an Banken und Versicherungen, die auch und gerade im Prozeß der deutschen Einheit unwahrscheinlich viel gewonnen haben, heranzugehen? Die Polarisierung des Verhältnisses zwischen Einkommen und Vermögen hat in den letzten neun Jahren mit einer rasanten Geschwindigkeit zugenommen. Es wäre Ihre Pflicht, dagegen tatsächlich etwas zu unternehmen. ({4}) Richtigerweise - das verkennt die PDS überhaupt nicht - ist der Eingangssteuersatz gesenkt worden. Der Grundfreibetrag ist angehoben worden. Gut, aber das kommt nicht nur demjenigen mit einem Jahreseinkommen von 20 000 DM, sondern auch dem Vermögensmillionär zugute. Warum muß der Vermögensmillionär auch noch zusätzlich in den Genuß eines gesenkten Spitzensteuersatzes gelangen? Die Senkung dieses Steuersatzes pro Prozentpunkt kostet 1 Milliarde DM, auf die Herr Eichel trotz knapper Kassen frank und frei verzichten möchte. Das sollten Sie der Bevölkerung erklären, ehe Sie sozial ungerecht handeln und Ihren eigenen Ansprüchen, die Sie sich auch bezüglich des Kindergeldes gesetzt haben, nicht mehr gerecht werden. Auch wenn Sie immer so tun, als hätte die PDS keine eigenen Vorschläge einzubringen: Wir haben unsere eigenen Sparbücher erstellt, die ich jetzt auf die - leider sehr leere Regierungsbank - offenbar will sich die Regierung der Diskussion nicht stellen - lege, damit Sie sich mit unseren Vorschlägen auseinandersetzen können und sie nicht wie sonst vom Tisch wischen. Danke schön. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Staatsminister Rolf Schwanitz.

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen Debatte geht es um den Entwurf für den Bundeshaushalt 2000; es geht um die Finanzsituation des Bundes. Seit vielen Wochen rennen viele Oppositionsabgeordnete in Ostdeutschland umher, werfen Nebelkerzen und verbreiten Hiobsbotschaften über die Fortsetzung des Aufbaus Ost. Ihr Vorgehen - ich mache das auch an Ihrem Redebeitrag, Frau Höll, fest - wird noch nicht einmal vom Parteibuch bestimmt. Die gesamte Opposition spricht davon, daß der Etat für den Aufbau Ost um 3 Milliarden bis 8 Milliarden DM gekürzt werden soll. Es wird befürchtet - so wird gesagt -, daß die Mittel für die SAMs - die Strukturanpassungsmaßnahmen -, die Eigenkapitalhilfe und für die BvS gekürzt werden sollen. Ich möchte als erstes klarstellen: Wir werden weder die Mittel für die Strukturanpassungsmaßnahmen im Osten noch für das Eigenkapitalhilfeprogramm, noch für die BvS, die sich um in Not geratene Unternehmen kümmert, kürzen. Wir werden in den nächsten Jahren keine Leute nach Hause schicken. Wir werden die Hilfen nicht versagen; vielmehr werden wir sie kontinuierlich fortsetzen. Wir werden die Hilfen gewährleisten, zu denen wir gesetzlich verpflichtet sind. Wir werden die Unterstützungsmaßnahmen, die wir auch lokal gewähren, selbstverständlich bereitstellen. Hören Sie mit Ihrer Angstkampagne auf! Dazu kann ich Ihnen nur nachdrücklich raten. Hören Sie auf, Verunsicherung zu verbreiten! Schauen Sie sich die Haushaltstitel genau an. Machen Sie sich sachkundig! ({0}) Allerdings möchte ich auch klar sagen: Es gibt keine Alternative dazu, daß die Bundesrepublik selber etwas dafür tut, um finanzpolitisch wieder handlungsfähig zu werden. Ich sage das auch und gerade aus der Sicht eines Ostdeutschen und vor dem Hintergrund der ostdeutschen Probleme. Es geht weniger um die abstrakte Zahl - auch wenn sie in der heutige Debatte eine große Rolle gespielt hat - von 1,5 Billionen DM Schulden des Bundes; vielmehr geht es um viele konkrete und praktische Dinge, deren Realisierbarkeit letztendlich von der Staatsverschuldung abhängt. Ich möchte dazu ein Beispiel bringen: Wir debattieren mittlerweile über zwei Stunden. Während dieser Zeit mußten auf Grund der Staatsverschuldung 20 Millionen DM an Zinsen gezahlt werden. Das ist genau die Summe, die im Rahmen der Absatzförderung für ostdeutsche Unternehmen für das gesamte Jahr 1999 bereitgestellt werden kann. Das ist ein ganz konkretes, praktisches Beispiel. Die Tatsache, daß die ostdeutschen Unternehmen eine schwache Eigenkapitaldecke haben und so ertragsschwach sind, daß ihnen Hilfe auch in den nächsten Jahren gewährt werden muß - daran ändert sich auch nichts, wenn wir uns darüber beschweren -, hat selbstverständlich auch Konsequenzen für einen handlungsfähigen, hilfegewährenden Bundesstaat. Das bedeutet dann auch, daß wir eine wirklich finanzierbare Unternehmensteuerreform auf den Weg bringen müssen. Da in Ostdeutschland - ich greife Ihr Beispiel, Frau Höll, auf - der Anteil der Familien an der Bevölkerung überproportional hoch ist, ebenso wie der Anteil derjenigen, die finanziell schwächer gestellt sind, müssen wir ein großes Interesse an einem ordentlichen finanziellen Lastenausgleich für die Familien haben. Wenn wir es schaffen - wir wollen es auf den Weg bringen -, daß die vierköpfige Durchschnittsfamilie in Ostdeutschland - der Vater hat noch Arbeit; er verdient das Durchschnittseinkommen, die Mutter ist arbeitslos; zwei erziehungspflichtige Kinder sind vorhanden - in den nächsten vier Jahren über 7 600 DM mehr im Portemonaie hat, dann ist das eine gute und ordentliche Leistung, insbesondere auch für Ostdeutschland. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?

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Ich würde gern im Zusammenhang vortragen. Ich beantworte die Zwischenfrage gern am Schluß meiner Rede. Das hat natürlich auch etwas mit der Schwäche einer Region zu tun. Dies darf nicht verschwiegen werden. Wir müssen über die Dauer der Hilfe in Verbindung mit der Leistungsfähigkeit des Bundes reden. Ich bin völlig sicher, daß das in Ihren eigenen Reihen, insbesondere bei der CDU/CSU, völlig klar ist. Der CDUWirtschaftsminister in Sachsen, Herr Schommer, sagte gegenüber der „Mitteldeutschen Zeitung“, angesichts der Notwendigkeit radikaler Reformen in Deutschland verdiene jeder, der diese schwierige Aufgabe anpacke, Unterstützung. Herr Schommer räumte ein, daß die Probleme wesentlich von der alten Bundesregierung aus CDU/CSU und F.D.P. mitverschuldet worden seien. Damit sei Deutschland nicht zukunftsfähig. Die Aussage von Herrn Schommer endet mit dem Satz - wörtliches Zitat -: „Deshalb werde ich unabhängig von der Parteizugehörigkeit jene unterstützen, die die dringend notwendigen Reformen durchsetzen wollen.“ Dazu sage ich: Bravo, das ist Klartext; so ist die Situation, auch wenn Sie in dieser Debatte offensichtlich nicht dazu fähig sind, das zu artikulieren. ({0}) Es ist in den zurückliegenden Tagen und Wochen sehr viel über die Kraftanstrengung gesprochen worden. Ich sage deswegen noch einmal ausdrücklich: Der Aufbau Ost braucht einen handlungsfähigen Bundesstaat. Wir haben ein vitales Interesse daran, den Bundeshaushalt in den nächsten Jahren zu konsolidieren. Der Aufbau Ost wird im Bundeshaushalt 2000 höchste Priorität besitzen. Wir werden einen anderen Kurs einschlagen als den, den wir in den letzten Jahren bei Haushaltsaufstellungen - damals saßen wir noch in der Opposition, und Sie haben regiert - kennengelernt haben. Als Ostdeutscher erinnere ich mich noch sehr gut daran, daß bei jedem Haushaltsentwurf sofort der Rotstift über dem Thema Aufbau Ost kreiste. ({1}) Fragen Sie doch einmal die ostdeutschen Kollegen in Ihrer Fraktion. So war es, selbstverständlich! In unserem Haushaltsentwurf ist dies nicht der Fall. Wir werden einen Konsolidierungshaushalt mit 30 Milliarden DM als Gesamtumfang des Konsolidierungsnotwendigen auf den Weg bringen, und wir werden den Aufbau Ost in Stabilität und Kontinuität fortsetzen. Das ist eine enorme Leistung dieser Bundesregierung, auf die ich ein Stück weit stolz bin. ({2}) Wir müssen uns in diesem Zusammenhang allerdings sehr intensiv darüber unterhalten, was künftig als Aufbau Ost überhaupt noch definiert werden kann. Wenn der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Herr Teufel, vor kurzem die Forderung nach der Rückführung der Hilfen für Ostdeutschland mit der Begründung garniert hat, daß jährlich 150 Milliarden DM nach Ostdeutschland transferiert werden, dann zeigt das genau, in welchem Dilemma wir mittlerweile auf Grund überzogener und überhöhter Darstellungen aus der vergangenen Haushaltspraxis in der gesamtdeutschen Diskussion stecken. Ich plädiere dafür, daß wir ab sofort, beginnend mit dem Bundeshaushalt 2000, eine andere Praxis pflegen. Wir haben in den letzten neun Jahren bei der Vorgängerregierung ein reines Territorialprinzip erlebt. Alles, was irgendwie, direkt oder indirekt, territorial Ostdeutschland zuzuordnen war, wurde in eine große Klammer gepackt, wurde addiert - dabei sind die berühmten dreistelligen Milliardenbeträge herausgekommen -, und darüber wurde „Aufbau Ost“ oder gegebenenfalls - was noch schmerzlicher ist - „Transfer“ geschrieben. So war die Situation. Ich sage Ihnen: Davon müssen wir weg. ({3}) Nach meiner Auffassung enthielten die Bundeshaushaltspläne der Vergangenheit Dinge, die mit dem Aufbau Ost im engeren Sinne überhaupt nichts zu tun hatten, zum Beispiel das Erziehungsgeld, zum Beispiel das BAföG für einen Bundesbediensteten in der Oberfinanzdirektion in Bayern. Auch das Geld für die Sanierung einer Kaserne im bayerischen Raum wird bei uns nie als eine Transferleistung definiert werden, während diese Praxis in den zurückliegenden Jahren für Ostdeutschland gang und gäbe war. ({4}) Der Bund hat sich ständig auf die Schultern geklopft und hat riesige Summen, dreistellige Milliardenbeträge, zusammengerechnet, um letztendlich - natürlich taktisch - zu dokumentieren, welche großen Leistungen vollbracht worden sind. Meine Damen und Herren, kein Bayer, kein BadenWürttemberger würde sich so etwas gefallen lassen, und den ostdeutschen Menschen ist das auch nicht mehr anzutun. Da sind viele Verletzungen, viele mentale Beschädigungen entstanden, weil sich der Ostdeutsche natürlich fragt, ob er denn überhaupt nicht die Kraft habe, irgend etwas zu erwirtschaften, und ob denn alles gebrachtes Geld sei. Der Westdeutsche hingegen hat angesichts dreistelliger Milliardenbeträge das Gefühl, überfordert zu sein, wodurch natürlich die Debatte losbricht, wie lange das Ganze noch weitergehen soll. ({5}) Deswegen muß Schluß mit der regierungsamtlichen Selbstbeweihräucherungspolitik sein. Ich schlage Ihnen vor, im Bundeshaushalt 2000 nur noch das dem Aufbau Ost zuzurechnen, was im engeren Sinne zusätzliche Aufbauhilfen sind, und all das aus den Listen herauszunehmen, worauf Ostdeutsche einen Rechtsanspruch haben, wie es bei Bürgern, die in Bayern, BadenWürttemberg oder in anderen Teilen Deutschlands leben, auch der Fall ist, ({6}) und solche Dinge herauszunehmen, bei denen der Bund letztendlich normale Bundesleistungen erfüllt und seinen Pflichten nachkommt, die natürlich auch gegenüber Ostdeutschland bestehen. Das ist ein Stück Ehrlichkeit, ein Stück Respekt und auch ein Stückchen Hinwendung gegenüber den Leistungen der Menschen, die das Ganze zu schultern haben. Meine Damen und Herren, ich möchte, daß wir künftig - das ist mein Vorschlag - von fünf Säulen sprechen, die den Aufbau Ost ausmachen. Diese fünf Säulen werde ich mit Mark und Pfennig benennen, wobei ich auch den Vergleich zu 1998 ziehen werde, da gerade aus Ihrem Kreis immer der Vorwurf kommt, alles breche weg, alles werde heruntergefahren, alles gehe den Bach hinunter. Die erste Säule, um die es mir geht, umfaßt all das, was im Bundeshaushalt 2000 für Forschungs- und Technologieförderung enthalten ist. Hier geht es also um jene innovativen Prozesse, die eine Zukunftsfrage für ostdeutsche Unternehmen darstellen. ({7}) Wir werden im Bundeshaushalt 2000 knapp 3,1 Milliarden DM für den Gesamtkomplex Forschung, Technologie und Innovationsförderung für Ostdeutschland zur Verfügung stellen. Das sind exakt 200 Millionen DM mehr, als die Vorgängerregierung im Wahlkampfhaushalt 1998 für die neuen Länder zur Verfügung gestellt hatte. In diesen Ansätzen sind bewährte Dinge enthalten, aber auch neue Dinge, zum Beispiel das mittlerweile gut angelaufene Programm Inno-Regio, über das ich mich sehr freue. Wir können in den nächsten Jahren 25 Modellregionen fördern. 400 Anträge liegen vor; 400 Regionen sehen darin eine Chance, ihre Kräfte zu bündeln. Das zeigt, daß dieses Programm richtig ist. Ich wiederhole: Bei dieser ersten Säule gibt es keinen Abbruch und nicht nur eine Verstetigung, sondern sogar eine Verstärkung. ({8}) Meine Damen und Herren, die zweite Säule umfaßt die klassische Wirtschaftsförderung, in der die GAOst und die Absatzförderung enthalten sind. Im Haushalt 2000 haben wir eine Gesamtsumme von 2,3 Milliarden DM etatisiert. Das sind 460 Millionen DM weniger, als 1998 von der alten Bundesregierung veranschlagt worden waren. Dieser Sinkflug hat natürlich etwas damit zu tun, wie die Titel veranschlagt worden sind. Sie wissen, daß die GA-Ost immer entsprechend den Verpflichtungsermächtigungen der Vorjahre etatisiert wird. Insoweit ist ein Sinkflug vorprogrammiert. Außerdem werden wir erstmalig - anders als Sie - über zusätzliche Förderungen aus den EFRE-Mitteln den ostdeutschen Ländern 300 Millionen DM Jahr für Jahr zur Verfügung stellen. Mit der Stabilität und Verstärkung auch an dieser Stelle gibt die Bundesregierung ein wichtiges Signal. ({9}) Die dritte Säule umfaßt den Infrastrukturausbau: alles, was mit Straße und Schiene zusammenhängt, ebenso das - ich erweiterte es für mich -, was mit Städtebau- und Wohnungsförderung zusammenhängt. Auch hier will ich Ihnen die Zahlen nicht verschweigen: Im Haushalt 2000 stellen wir für diesen Bereich eine Gesamtsumme von 19,1 Milliarden DM für Ostdeutschland zur Verfügung. Das sind 800 Millionen DM mehr, als von der Vorgängerregierung im Wahlkampfjahr 1998 zur Verfügung gestellt werden konnte. Das wird allerdings nicht die bittere Botschaft des Bundesverkehrswegeplanes heilen, die Sie hinterlassen haben, nämlich die Unterdeckung in Höhe von 90 Milliarden DM gegenüber den angekündigten Projekten. Das bleibt ein großes Problem, über das wir schmerzliche Diskussionen vor uns haben. Wir lassen nicht die Kräfte erlahmen, sondern erhöhen die Ausgaben um 800 Millionen DM. Das sind Zukunftsinvestionen. ({10}) Damit komme ich zur vierten Säule: aktive Arbeitsmarktpolitik. Es gibt - im Gegensatz zu Ihnen - einen großen Konsens im „Bündnis für Arbeit“, auch mit den Arbeitgebern, daß wir sie entsprechend der Arbeitsmarktsituation brauchen. Wir etatisieren für 2000 insgesamt 11,9 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland. Das ist, gemessen an dem, was Sie in der Finanzplanung hatten, eine Verdoppelung des Bundeszuschusses. Wenn man das umsetzen würde, was Sie in der Finanzplanung hatten, könnte man in vielen Regionen in Ostdeutschland, in vielen Beschäftigungsgesellschaften nur noch das Licht ausmachen. Das machen wir nicht. Hier muß stabilisiert werden; denn wir wissen, daß das Schaffen von Arbeitsplätzen keine leichte und auch keine in zwei, drei Wochen oder Monaten zu schulternde Angelegenheit ist. Damit komme ich zur fünften Säule, mit der in der öffentlichen Argumentation sehr viel Schindluder getrieben worden ist. Für mich ist alles das, was im Zusammenhang mit der Wismut, mit der Treuhand-Nachfolgeeinrichtung, der BvS, und mit der Braunkohlesanierung passiert, das fünfte Standbein des Aufbaus Ost. Für dieses fünfte Standbein haben wir im Haushalt 2000 eine Summe von 1,7 Milliarden DM vorgesehen. Das sind exakt 180 Millionen DM mehr, als Sie 1998 bereit waren, dafür auszugeben. Deswegen sage ich: Wir sorgen für Klarheit, Stabilität und höchste Priorität für den Aufbau Ost. Ich glaube, wir müssen diesen unbequemen Schritt tun. Bundespolitik darf sich nicht permanent durch künstliche Hochrechnungen selber auf die Schulter klopfen. Es ist etwas ungewöhnlich, ein solcher Schritt hin zu mehr Transparenz und Offenheit. Das Aufaddieren hat gespalten, das hat uns innerlich auseinandergetrieben. Sich unsere fünf Säulen anzuschauen lohnt sehr, übrigens auch, weil wir für 2000 mit insgesamt 2,6 Milliarden DM über dem liegen werden, was Sie als Vorgängerregierung 1998 für die fünf Säulen zugunsten des Ostens bereit waren auszugeben. Wir konsolidieren, wir machen den Bundesstaat fit, und wir gewährleisten, daß der Aufbau Ost höchste Priorität hat. Daß das auch viele Kollegen aus Ihren Reihen so sehen, weiß ich. Ich möchte Ihnen ein Zitat aus der Konferenz der ostdeutschen Wirtschaftsminister zur Kenntnis geben. Die Konferenz hat im Juli dieses Jahres getagt und sich mit dem Thema beschäftigt, das wir jetzt hier diskutieren. Die Minister haben nicht nur gesagt, daß es notwendig sei, die Finanzen zu konsolidieren, sondern sie haben sich auch zum Aufbau Ost geäußert. Da haben sie festgestellt - und das sind nicht nur Sozialdemokraten -: Die Wirtschaftsminister der ostdeutschen Länder würdigen, daß die Bundesregierung dem Aufbau Ost höchste Priorität einräumt. ({11}) So ist es. Wenn die Nebelkerzen eingepackt sind, wird das vielleicht auch bei Ihnen aussprechbar sein. Ich bin dankbar für ein so klares Wort über die Parteigrenzen hinaus, auch wenn Sie das heute hier nicht finden konnten. Schönen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Gerda Hasselfeldt von der CDU/CSU-Fraktion.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schwanitz, auch wenn Sie verkünden und gebetsmühlenartig wiederholen, daß die Bundesregierung dem Aufbau Ost höchste Priorität zumißt: Das, was Sie tun und was Sie entschieden haben, ist etwas anderes. Ich nenne als Beispiel nur die Streichung der ICE-Trasse im Thüringer Bereich und der Investitionen im Verkehrsbereich. Sie schaden damit der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Ländern. ({0}) Lieber Herr Wagner, Sie haben in Ihrer Rede, auch fast gebetsmühlenartig, die Erblast der früheren Regierung angesprochen. ({1}) Auch durch ein noch so häufiges oder ständiges Wiederholen wird das nicht richtiger. Sie lenken damit nur von Ihrem eigenen finanzpolitischen Chaos und von den Defiziten Ihrer gescheiterten Umverteilungspolitik ab. Wenn wir von Erblast reden, müssen wir gemeinsam von der Erblast von 40 Jahren Sozialismus reden. Mit dieser Erblast haben wir es zu tun. ({2}) Es ist von den Vorrednern schon deutlich gemacht worden, wie sich die darauf aufbauenden Kosten zusammensetzen: Es waren keine Kosten der Einheit, sondern Kosten der Teilung. Darauf will ich deutlich hinweisen. ({3}) Unsere Aufgabe ist und wird es sein, darauf hinzuarbeiten, daß die Menschen in unserem Land künftig von Sozialismus und Staatsdirigismus verschont bleiben und ihnen die Erfahrungen, die sie in den Gebieten der ehemaligen DDR gemacht haben, erspart bleiben. Die Aufgaben der Wiedervereinigung finanziell zu schultern war nur möglich, weil wir ab 1982 eine konsequente und erfolgreiche Konsolidierungspolitik betrieben haben. Wir haben in dieser Zeit trotz Konsolidierung auch viele Schwerpunkte gesetzt. ({4}) Ich nenne als Beispiele im familienpolitischen Bereich die Einführung des Erziehungsgelds und die Einführung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung sowie die großartige Steuerreform Ende der 80er Jahre, die auch ihre Wirkung in bezug auf Wachstum nicht verfehlt hat. Diese Konsolidierungspolitik war auch bitter nötig. Was Sie uns überlassen hatten - das wissen nicht nur wir und die Fachleute, sondern hat auch in Ihrem Kollegenkreis mittlerweile Eingang gefunden -, war alles andere als eine solide Basis. Ich zitiere den Kollegen Metzger - er scheint momentan nicht im Saal zu sein -, der vor wenigen Monaten, nämlich im März 1999, in einem Interview in der „Woche“ wörtlich gesagt hat: Wir zahlen heute die Zeche der sozialliberalen Koalition in den 70er Jahren, die die Sozialleistungen und den öffentlichen Dienst aufgebläht hat, als lebten wir in Schlaraffia. Besser kann man es nicht sagen. Wo der Mann recht hat, hat er recht. ({5}) Trotz dieser Erblast und trotz internationaler Finanzkrisen haben wir die öffentlichen Finanzen nicht mit Schieflage übergeben, sondern bis 1998 jährlich ein durchschnittliches Wachstum von 2,4 Prozent erzielt. Damit lagen wir besser als der Durchschnitt in der Europäischen Union. Wir haben für Preisstabilität gesorgt, und - das wird in der ganzen Diskussion heute schon wieder vergessen - es war Theo Waigel, der es trotz dieser Schwierigkeiten und enormen Herausforderungen geschafft hat, daß Deutschland die Maastricht-Kriterien für die Aufnahme in die europäische Währungsunion erfüllt hat. Das war nicht selbstverständlich, sondern ist einer harten Konsolidierungspolitik zu verdanken. ({6}) Was ist heute daraus geworden? Heute haben wir nicht ein Wachstum von 2,4 Prozent, wie wir es damals hatten, sondern von gerade noch 0,8 Prozent. Wir haben steigende Arbeitslosenzahlen und sinkende Beschäftigungszahlen, die Investitionen sinken, und vor allem ist eine Verunsicherung in der Wirtschaft und ein Riesenvertrauensverlust in der Bevölkerung festzustellen. ({7}) Dieses ist auch überhaupt kein Wunder angesichts der Gesetzgebungsarbeit, die Sie in den vergangenen Monaten geleistet haben. Ich will Ihnen nur einige Beispiele nennen: das Steuerentlastungsgesetz von vor wenigen Monaten, das 630-Mark-Gesetz, das Gesetz über die Scheinselbständigkeit, die Einführung einer sogenannten Ökosteuer, die nichts anderes als eine Erhöhung der Strom- und Mineralölsteuer ist, das Hinausschieben der Unternehmensteuerreform und nun das vorliegende sogenannte Sparpaket. All diese Maßnahmen sind nicht geeignet, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, zusätzliche Investitionen anzukurbeln und zusätzliches Vertrauen, das notwendig wäre, zu schaffen. Im Gegenteil, mit diesen Maßnahmen wird das Abkassieren und das Umverteilen fortgesetzt. Durch diese Maßnahmen werden Arbeitnehmer und mittelständische Betriebe weiter geschröpft. Die notwendige Nettoentlastung der Steuerpflichtigen und ein Impuls für Wachstum und Beschäftigung bleiben aus. ({8}) Nun, meine Damen und Herren, ein paar Anmerkungen zu dem 630-Mark-Gesetz. Ich zitiere Ihnen hierzu den Bundeskanzler Schröder, der am 19. November 1998 hier in diesem Hause öffentlich ({9}) - in Bonn, aber im Bundestag. ({10}) Ist Ihnen das denn wirklich wichtig, Herr Poß? - zu den 630-Mark-Arbeitsverhältnissen gesagt hat: Diese Arbeitsverhältnisse bleiben steuerfrei, und zwar unabhängig von weiteren Einkünften. Was ist daraus geworden? Diese Arbeitsverhältnisse sind bei weiteren Einkünften eben nicht steuerfrei. Es wird doppelt zur Kasse gebeten: sowohl durch die Sozialversicherung als auch durch die Steuer. ({11}) Man muß sich einmal fragen: Was gilt eigentlich noch das Wort dieses Bundeskanzlers? ({12}) Bei der Rente haben wir es erlebt, auch bei den 630Mark-Jobs und verschiedenen anderen Dingen: Die Unglaubwürdigkeit kommt deutlich zum Ausdruck. Es ist doch kein Wunder, daß die Wähler haufenweise davonlaufen. ({13}) Ein zweites Beispiel: die sogenannte Ökosteuer. Es klingt so schön, aber man fragt sich, was das mit Ökologie zu tun hat. Von Ökologie kann keine Rede sein. Es handelt sich um eine weitere Erhöhung der Stromsteuer und der Mineralölsteuer. ({14}) Noch vor einem halben Jahr haben Sie gesagt: Die weiteren Stufen werden EU-weit abgestimmt. Davon ist heute keine Rede mehr. Vor der Wahl hat der Bundeskanzler gesagt: 6 Pfennig und nicht mehr! Auch dies gilt nicht mehr. Weitere Erhöhungen erfolgen in vier Schritten. Sie kassieren von den Steuerpflichtigen, den Autofahrern und den Haushalten über die Stromsteuer und die Mineralölsteuer im Jahr 2000 zusätzlich 5,1 Milliarden DM, zuzüglich der Mehrwertsteuer. Bis zum Jahr 2003 kassieren Sie nur durch die Erhöhungen der Mineralöl- und der Stromsteuer 105 Milliarden DM zusätzlich. ({15}) Davon, meine Damen und Herren, fließt keine müde Mark in die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur. Auch dies muß einmal erwähnt werden. ({16}) In diesem Zusammenhang wird immer gesagt: Ja, aber wir senken doch die Beiträge zur Rentenversicherung. Auf die grundsätzliche Problematik der Steuerfinanzierung dieser Versicherung hat der Kollege Merz schon hingewiesen. Ich will einen anderen Punkt ansprechen: Mit diesen vier Stufen, die Sie zusätzlich planen, kassieren Sie bis zum Jahr 2003 schon ohne die erste Stufe 56,6 Milliarden DM. ({17}) Diesen Betrag geben Sie aber nicht voll an die Rentenversicherung weiter, sondern nur zu einem geringen Teil. Sie haben zwar noch keinen Gesetzentwurf vorgeGerda Hasselfeldt legt, aber in Ihrem sogenannten Haushaltssanierungsgesetz sehen Sie dafür nur 44,4 Milliarden DM vor. Man kann natürlich über den Grundsatz der Weitergabe streiten. Wenn Sie aber schon immer verkünden, daß dieses Geld an die Rentenversicherung weitergegeben wird, dann sollten Sie dies bitte auch tun. Sie aber erhöhen diese Steuern, und diese Steuererhöhungen betreffen alle Steuerpflichtigen. Im übrigen sind diejenigen, die von der geringfügigen Senkung des Rentenversicherungsbeitrages nicht betroffen sind, die Hauptleidtragenden. Und das sind wieder die Rentner, die Sozialhilfeempfänger, die Studenten und Hausfrauen und die Familien mit geringem Einkommen: Sie werden durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge nicht entlastet, aber durch die Erhöhungen der Strom- und Mineralölsteuer in besonderer Weise belastet, ganz zu schweigen von den vielen Pendlern, die auf das Auto angewiesen sind und kein Äquivalent bei der Kilometerpauschale und ähnlichem haben. ({18}) Diese sind ganz massiv betroffen. Dies alles passiert nur, weil Ihnen der Mut zu echten Reformen fehlt. ({19}) - Natürlich, weil Sie nur umschichten, nur umverteilen. Unsere Rentenstrukturreform haben Sie zurückgenommen. Nun wollen Sie die Rentenerhöhungen nur noch in Höhe der Inflationsrate vornehmen. Eine Rente nach Kassenlage, nach Willkür ist das. Das ist alles andere als eine zuverlässige, berechenbare Größe. ({20}) Ich will nun noch einige Sätze zur Unternehmensteuerreform, die seit langem versprochen wird, verlieren. Sie haben großspurig versprochen, die Unternehmensteuerreform werde zum Jahr 2000 in Kraft treten. Mittlerweile ist sie auf das Jahr 2001 verschoben. ({21}) - Warum haben Sie sie dann großspurig für das Jahr 2000 versprochen? Warum haben Sie noch vor wenigen Monaten bei der Verabschiedung des sogenannten Steuerentlastungsgesetzes, im Frühjahr dieses Jahres, im Namen der Fraktion und auch der Bundesregierung immer wieder öffentlich versprochen, die Reform komme zum Jahr 2000? ({22}) Erst nachdem dieses Gesetz beschlossen war, haben Sie gesagt: Jetzt doch nicht, Kommando zurück. Jetzt machen wir es ein Jahr später. ({23}) So war das. Wir sollten ehrlich miteinander umgehen. ({24}) Aber das Schlimmere ist, daß das Konzept, so wie es jetzt angedacht ist, im wesentlichen nur ein Plan für die Kapitalgesellschaften ist. Alles, was den Mittelstand betrifft, was die 90 Prozent Personenunternehmer in unserem Land betrifft, was das Handwerk und den Handel betrifft, ist noch offen. Das, was Sie hier andenken, die Trennung von Unternehmens- und Unternehmerbesteuerung, die Bevorzugung des einbehaltenen Gewinns im Vergleich zum entnommenen Gewinn, ist wegen des Lock-in-Effekts nicht nur volkswirtschaftlich unsinnig. Das ist auch praktisch kaum durchführbar und in Verlustjahren bei Personenunternehmen in der Realität völlig unmöglich. ({25}) Der Bundeskanzler hat vor wenigen Wochen auf einer Veranstaltung in Frankfurt wörtlich gesagt: Wir wollen eine Senkung der Unternehmensteuern. Wir wollen aber keine Senkung der Unternehmersteuern. Ich frage mich, meine Damen und Herren, wo lebt der Mann eigentlich? Weiß er, daß fast 90 Prozent der deutschen Unternehmen nicht als anonyme Kapitalgesellschaften, sondern von Unternehmern, von Personen geführt werden? Offensichtlich weiß er das nicht. Sonst würde er nicht so daherreden. ({26}) Sie haben durch Ihren falschen Ansatz wertvolle Zeit verloren, nur weil Sie ideologische Barrieren aufgestellt haben, über die Sie nicht springen wollen. Ihr Steuerkurs hat auch keine Linie. Sie schlängeln sich durch die Probleme hindurch. So beschlossen Sie im Frühjahr 1999 mit dem sogenannten Steuerentlastungsgesetz rückwirkend Steuergesetze, die Sie wenige Monate später wieder korrigierten, unvollständig korrigierten. Mit diesen unvollständigen Korrekturen lassen Sie die Finanzverwaltung, die Berater und die Steuerpflichtigen in weiten Bereichen weiterhin im unklaren, weil viele Teile des beschlossenen Gesetzes nicht durchführbar, nicht anwendbar sind. Ich nenne nur die Bereiche Verlustzuweisungsgesellschaft, Mindestbesteuerung, Mehr-KontenModell. Es wäre notwendig gewesen, das so schnell wie möglich zu korrigieren. Das haben Sie aber nicht gemacht. ({27}) Sie reden von Steuerentlastung und beschließen Steuererhöhungen, beispielsweise bei der Ökosteuer. Sie arbeiten parallel an weiteren Erhöhungen, beispielsweise bei der Erbschaftssteuer. Bei dieser chaotischen Vorgehensweise in der Finanz- und Steuerpolitik brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn die Menschen verunsichert sind und wenn Ihnen die Wähler haufenweise davonlaufen. ({28}) Unser Angebot steht. Wir sind bereit, mit Ihnen eine Steuerreform, die wirklich den Namen „Steuerreform“ verdient, zu machen, eine Steuerreform, die aber nicht an der Umverteilung ausgerichtet ist, sondern die ausgerichtet ist an dem Ziel, weitere Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu geben, die ausgerichtet ist an einer Nettoentlastung für alle Steuerpflichtigen, und damit den nötigen Schwung auf dem Arbeitsmarkt bringt. ({29})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Barbara Höll von der PDS-Fraktion.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Da Herr Schwanitz vergaß, daß er mir während seiner Rede eine Frage gestatten wollte, möchte ich jetzt folgendes formulieren. Ich glaube, es ist notwendig, bei den Aussagen zur Entlastung der Familien zu konkretisieren, daß von seiten der Regierungskoalition die Entlastung, was das Kindergeld bzw. den Kinderfreibetrag angeht, und die Entlastung durch den Grundfreibetrag sowie die Senkung des Eingangsteuersatzes, was alle abhängig Beschäftigten bzw. zur Einkommensteuer Veranlagten betrifft, immer zusammengerechnet werden. Das heißt, die Summen, die Sie hier ausweisen, sind nicht familienspezifisch, sondern es handelt sich um eine Vermengung allgemeiner steuerlicher Maßnahmen mit tatsächlich kinderspezifischen Maßnahmen. Ich meine, das ist nicht redlich. Das wird noch deutlicher, wenn man sich dann anschaut, was Ihnen das Leben mit Kindern in Form einer Entlastung wert ist. Bis zum Jahre 2002 sind das 6,7 Milliarden DM. Das ist aber zum großen Teil die Verwirklichung eines durch das Verfassungsgericht bestätigten Rechtsanspruchs. Es ist also keine großartige freiwillige Leistung. Im Vergleich dazu planen Sie, die ertragsstarken Unternehmen um fast doppelt soviel, um über 13 Milliarden DM zu entlasten. Ich möchte bemerken, daß ich mit Freude von verschiedenen Seiten, auch von Herrn Schwanitz, zur Kenntnis genommen habe, daß sich immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, daß die alte Regierung bis kurz vor dem Regierungswechsel in bezug auf die Transferleistungen in die neuen Bundesländer mit Bruttozahlen und nicht mit Nettozahlen gerechnet hat und daß auf diese Art und Weise versucht wurde, eine neue Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland aufzubauen, gegenseitig Neid zu schüren bzw. die neuen Bundesländer als Verursacher der Finanzmisere darzustellen. In Wahrheit war es eine verfehlte Finanzpolitik. Es ist Ihre Aufgabe, diesen Kurs zu korrigieren. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schwanitz, wollen Sie antworten? - Bitte schön.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Höll, ich bitte um Nachsicht. Ich habe in der Tat vergessen, Ihnen eine Fragemöglichkeit einzuräumen. Ich freue mich über Ihre Zustimmung zu meiner Konkretisierung dessen, wie der Aufbau Ost künftig aussehen soll. Ich werbe sehr dafür, daß sich dies als eine flächendeckende Position im Haus durchsetzt. Ich glaube, daß dies in der Tat der richtige Weg ist. Bezogen auf die Familienentlastung schlage ich Ihnen vor, daß wir einfach einmal die Zahlen abgleichen. Die von mir vorgestellte Zahl ist eine seriös gerechnete Zahl, die im übrigen nicht nur die Entlastungs-, sondern sehr wohl auch die Belastungselemente einkalkuliert, also auch die Belastungen durch die ökologische Steuerreform, und die dies für das ostdeutsche Durchschnittseinkommen bilanziert. Dies können wir gerne individuell abgleichen, und wir können nachprüfen, ob - Sie vermuten das; ich glaube das nicht - etwas vergessen worden sein sollte. Bezogen auf das, was Sie - ich möchte es einmal mit meinen Worten sagen - als unausgewogen oder gegebenenfalls sozial schieflastig kritisiert haben, bitte ich darum, daß sehr wohl das mit in die Bilanz hineingerechnet wird, was die Bundesregierung unmittelbar nach ihrem Regierungsantritt zum Beispiel im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 1999 getan hat, in dem wir gerade bei kleinen und mittleren Einkommen massive Entlastungen im Steuerrecht organisiert haben, die wir durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage erreicht haben. Das Gesamtvolumen betrug - wenn ich die Zahlen richtig in Erinnerung habe - etwa 35 Milliarden DM. Das war ein Beitrag hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, in dessen Rahmen Leistungen erzielt worden sind, die auch Sie, wenn Sie Bilanz ziehen bzw. wenn eine solche These aufgestellt wird, mit im Blick haben müssen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als voraussichtlich letzte Rednerin zu diesem Themenbereich gebe ich der Kollegin Nicolette Kressl von der SPDFraktion das Wort.

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Statt von den Oppositionsrednern ein auch nur annähernd durchgehendes Konzept, in dem Alternativen vorgestellt werden, zu hören, haben sich Herr Austermann und Frau Hasselfeldt zu einer Ansammlung von Behauptungen verstiegen, die so einfach nicht wahr sind. ({0}) Drei davon - es bleibt mir wirklich nichts anderes übrig - will und muß ich hier aufgreifen. Erstens. Frau Hasselfeldt, Sie müßten doch wissen ich weiß nicht, ob Sie das tun, weil Sie es nicht besser wissen, oder ob Sie es tun, obwohl Sie es besser wissen; das erste wäre schlecht in bezug auf Ihre Kompetenz, das zweite wäre charakterlich etwas problematisch -, daß diese Bundesregierung in bezug auf das Kindergeld wesentliche Schritte unternommen hat, während Sie bzw. Herr Austermann behauptet haben - Herr Thiele hat dies letzte Woche auch schon getan -, Sie hätten das Kindergeld von 70 auf 200 DM erhöht. Das ist ja wohl ein Witz. ({1}) Sie wissen doch ganz genau, daß das Kindergeld zu Beginn Ihrer Regierungszeit 70 DM betrug, daß Sie die Steuerfreibeträge hinzugerechnet haben und daß das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie so wenig von der Steuerpolitik verstehen, daß Sie etwas Falsches sagen. ({2}) - Ich habe in diesem Fall Herrn Austermann und Herrn Thiele gemeint. Herr Austermann müßte - er ist ordentliches Mitglied des Haushaltsausschusses - die Grundlagen des Steuerrechts so weit kennen, daß er hier nicht einfach die Unwahrheit erzählt. Sie haben das Kindergeld nicht von 70 auf 200 DM erhöht. Sie haben vielmehr die Steuerfreibeträge hinzugerechnet und das hinterher insgesamt als Kindergeld bezeichnet. Das ist etwas völlig anderes. Das ist die erste Unwahrheit. ({3}) Zweitens. Sie behaupten immer wieder, die Einnahmen aus der Ökosteuer verblieben im Haushalt. Das ist einfach nicht wahr. Sie können sich die Zahlen noch einmal anschauen. Wir werden in den Jahren 2000 bis 2003 jeweils Steuermehreinnahmen haben; ich mache es Ihnen einmal am Beispiel der Jahre 2002 und 2003 klar: Wir werden in diesen Jahren Steuermehreinnahmen in Höhe von 21,2 Milliarden DM haben. Mit Ausnahme von 200 Millionen DM, die für ein Förderprogramm für regenerative Energien eingesetzt werden, werden exakt 19,3 Milliarden DM in die Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber zurückgegeben. Das geschieht durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge auf sagenhafte 18,5 Prozent. Davon haben Sie in Ihren 16 Jahren nur träumen können. ({4}) Hören Sie einfach auf, zu behaupten, das sei Abkassieren, wenn wir es vollständig - minus diese 200 Millionen - zurückgeben. Dritte Unwahrheit. Sie behaupten in bezug auf die Unternehmensteuerreform, wir würden uns nicht um diejenigen Unternehmerinnen und Unternehmer kümmern, die nicht in einer Kapitalgesellschaft tätig sind. Das ist absolut lächerlich. Sie wissen erstens, daß wir mit dem Steuerentlastungsgesetz die Unternehmer, die im Rahmen der Einkommensteuer veranlagt werden wie alle anderen auch -, schon entlastet haben, und zweitens wissen Sie, daß wir Konzepte suchen ({5}) bzw. Konzepte prüfen lassen, mit denen wir die angesprochenen kleinen und mittleren Unternehmen entlasten können. ({6}) Wenn Sie sagen, daß Sie Konzepte haben, dann kann ich nur lachen. Ihre Alternative, den Körperschaftsteuersatz zu senken, bedeutet nichts anderes, als daß Sie nur große Unternehmen entlasten wollen. ({7}) Was Sie uns vorwerfen, wollen Sie selber machen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grund?

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Grund, bitte schön. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie sprachen davon, daß die Einnahmen aus der Energiesteuer voll an die Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Form der Senkung des Rentenversicherungsbeitrages weitergegeben werden. Was sagen Sie zu den Zahlen, die ich letzte Woche aus dem Finanzministerium bekommen habe - sie beziehen sich auf die neuen Bundesländer - und die besagen, daß dort bis zum Ende diesen Jahres durch die Energiesteuer 1,6 Milliarden DM eingenommen werden, daß aber die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags nur einen Umfang von 1,3 Milliarden einnimmt? Man muß also sagen: Es werden 300 Millionen DM Mehreinnahmen nicht weitergegeben; sie werden wahrscheinlich von Ost nach West transferiert. Das widerspricht klar Ihrer These, daß diese Mehreinnahmen voll an die Arbeitnehmer und Arbeitgeber weitergegeben werden. ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sind angetreten, um eine Politik für alte und für neue Bundesländer zu machen. In diesem Fall heißt das für uns, daß wir uns die Gesamteinnahmen und Gesamtausgaben anschauen müssen. Ich habe Ihnen die Zahlen schon vorgelesen, nämlich daß 19,3 Milliarden zurückgegeben werden. Ich halte es für völlig verfehlt, auf der einen Seite spezielle Forderungen für die neuen Bundesländer aufzustellen, auf der anderen Seite aber immer wieder bestimmte Zahlen herauszurechnen und das nicht als Gesamtpaket zu sehen. Sie können ja an dem, was ich Ihnen gerade vorgelesen habe, sehr deutlich ersehen, daß nichts von den Ökosteuereinnahmen im Bundeshaushalt verbleibt. Ich gebe Ihnen nachher dieses Blatt gern herüber, falls es Ihnen nicht vorliegen sollte. ({0}) Sie haben keine Konzepte vorgelegt, wir müssen andauernd Ihre Unwahrheiten richtigstellen. Ich möchte jetzt zu der Gesamtschau und zu dem Thema kommen, das wir heute zu besprechen haben. Wir, die Regierung und die Regierungsfraktionen, wollen mit dem Haushalt, den wir hier vorlegen - bildlich gesprochen -, Wege bereiten, von denen man sagen kann, daß sie richtige Wege für unsere Gesellschaft sind. Wir beginnen doch heute mit dem, was Sie 16 Jahre lang hätten in Angriff nehmen sollen, aber was Sie nicht getan haben, ({1}) nämlich damit, einen Bundeshaushalt vorzulegen, in dem deutlich wird, daß wir Verantwortung, auch Verantwortung für die nächsten Generationen übernehmen wollen. Aber Verantwortung für die nächsten Generationen zu übernehmen bedeutet auch, daß wir natürlich nicht den Diskussionen mit denen aus dem Wege gehen, die von Einzelmaßnahmen betroffen sind. Die Menschen erwarten von uns nicht, daß wir solchen Diskussionen aus dem Wege gehen, und sie erwarten auch nicht, daß wir ausschließlich bequeme Wege suchen. Das ist für uns jetzt keine leichte Aufgabe, aber es wird sich natürlich auszahlen, wenn die Menschen erkennen, daß wir nicht immer bequeme Wege gehen. Was Sie in den letzten 16 Jahren immer gemacht haben, wenn Sie Haushalte aufgestellt haben, war, die bequemen Wege zu suchen, weil Sie nie deutlich gemacht haben, daß ein Haushalt auch Solidarität zwischen verschiedenen Gruppen und zwischen verschiedenen Generationen untereinander bedeutet, ({2}) weil Sie jeweils Ihre Grüppchen und Ihre Klientel betreut und bedacht haben. ({3}) Wir haben übrigens nicht nur von 1,5 Billionen DM Schulden zu reden. Was Sie an Nichtsolidarität produziert haben, ist der zweite Schuldenberg, den wir Stück für Stück mit unserer Politik abzuarbeiten haben. Ich glaube, das ist mindestens genauso schwer, wie die Schulden in D-Mark abzuarbeiten. ({4}) Selbstverständlich - das ist heute schon ein paarmal sehr deutlich geworden - kann Haushaltskonsolidierung kein Selbstzweck sein. Es kann nicht darum gehen, nur für sich Zinsbelastungen zu reduzieren. Ich will Ihnen drei Punkte nennen, die ich für ganz wesentlich halte, warum wir diese Haushaltskonsolidierung hinbekommen müssen. Erstens: Wenn wir es schaffen, daß nicht mehr jede vierte Mark für Zinsen ausgegeben werden muß, können wir bald wieder entscheiden, welche politischen Schwerpunkte wir setzen wollen. Dann können wir das tun und nicht nur davon reden. Wenn wir hier nicht eine Kehrtwende hinbekommen - das machen wir gerade -, verspielen wir doch auf Dauer die Chance, daß Politik überhaupt noch Einfluß nehmen kann. Die Menschen erwarten zu Recht, daß die, die Politik machen, nicht einfach tatenlos zusehen, wie wir durch steigende Zinslasten immer handlungsunfähiger werden. Sie erwarten zu Recht von uns, daß wir wieder finanziellen Spielraum schaffen, damit wir in Universitäten, in Forschung, in die Entwicklung neuer Technologien, in die Umwelttechnik und im Ergebnis damit auch in neue Arbeitsplätze investieren können. Sie hatten sich da doch jeder Chancen Jahr für Jahr beraubt. ({5}) Man kann das auch auf einen sehr einfachen Nenner bringen: Vorsorge in den Haushalten für die nächsten Generationen ist soziale Gerechtigkeit. Zweitens: Zu Recht haben wir Sozialdemokraten der alten Regierung immer angelastet, daß sie bei ihren Steuergesetzen die Entlastung der unteren und mittleren Einkommen massiv vernachlässigt hat. Wir haben mit dem Steuerentlastungsgesetz ganz entscheidende Schritte nach vorne gemacht. ({6}) Wir haben mit der Senkung des Eingangssteuersatzes, mit der Erhöhung des Grundfreibetrages, mit der Kindergelderhöhung die Schwerpunkte der Entlastung in diesen Bereich gelegt. Anders als bei Ihren Steuervorschlägen haben wir allerdings auf eine seriöse Finanzierung geachtet. Uns war nämlich immer klar: Es macht überhaupt keinen Sinn, den großen Luftballon aufsteigen zu lassen, auf dem Steuerentlastung steht, in Wirklichkeit aber die nächste Generation zu belasten, weil Steuerentlastungen auf Pump gemacht werden. ({7}) Was wären denn die nicht finanzierten 45 Milliarden DM bei Ihrer Steuerreform gewesen? Das wären doch Steuerentlastungen auf Pump und Belastungen für die nächste Generation gewesen. ({8}) Wenn Herr Merz uns jetzt wieder den gleichen Vorschlag vorlegen will, hat er es offensichtlich immer noch nicht kapiert. ({9}) Natürlich sind wir bereit, auf Vorschläge einzugehen, aber doch nicht auf solche, bei denen wir wieder damit rechnen müssen, daß wir 30, 45 Milliarden DM nicht finanziert haben. Und dann kommt womöglich bei dem Vorschlag wieder die kleine Fußnote der Mehrwertsteuererhöhung heraus. Darauf freuen wir uns natürlich besonders. Eine seriöse Finanzierung von Steuerentlastungen ist übrigens auch kein Selbstzweck, sondern ebenso eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Ziel für uns ist selbstverständlich: Wir wollen den Menschen, besonders auch den Familien, dadurch Freiraum geben, daß sie von den Einkommen durch Erwerbsarbeit oder durch unternehmerisches Engagement möglichst viel selbst behalten können. Das ist für uns sozialdemokratisch. Dann können sie sich auch an Vermögen und Unternehmen beteiligen. Sie können sich dann für eine zusätzliche Säule in der Altersversorgung entscheiden. Sie können sich in der Gesellschaft engagieren, und sie können dann Weiterbildung und gleiche Ausbildungschancen in der Gesellschaft wahrnehmen. Aber auch das kann nicht auf Pump sein. Das muß durch umsichtiges Handeln vorbereitet werden. Mit jedem Jahr, in dem wir Haushaltskonsolidierung vornehmen, haben wir wieder mehr Freiraum, um den Menschen netto mehr zu lassen. Nur dann ist es auch ernsthaft, seriös und verantwortungsvoll gemacht. ({10}) Damit wir die Wege zu dieser seriösen Steuerentlastung weiter ebnen können - zusätzlich zu dem, was wir schon gemacht haben -, müssen und wollen wir das Zukunftsprogramm auf den Weg bringen. Wir machen es anders. Wir hängen keine bunten Luftballons auf - ich habe es vorhin schon gesagt -, auf denen Steuerentlastung steht, sondern wir sorgen dafür, daß Steuerentlastungen ein solides Fundament bekommen. Drittens. Deutschland braucht Zukunftsinvestitionen. Wir haben bereits in den engen Grenzen, die Sie uns durch Ihre Verschuldungspolitik gesteckt haben, Schwerpunkte gesetzt: in Forschung und Bildung und in Programmen für regenerative Energien. Mit jedem Jahr, in dem es uns gelingen wird, den Haushalt zukunftssicherer zu machen, gelingt es uns gleichzeitig, den Spielraum zu gewinnen, den wir brauchen, um noch mehr Akzente zu setzen. Allein diese Ziele sind es wert, sich an diese Aufgaben zu machen. Wir erleben - das ist wahr -, daß es nicht einfach ist. Wir haben aber auch sehr viele Steine wegzuräumen, die Sie uns auf den Weg gelegt haben, indem Sie Ihre Haushalte nicht am Gemeinwohl, sondern - ich wiederhole mich - an dem Interesse orientiert haben, einzelne Gruppen speziell zu bedienen. Ich will noch einen Blick auf die Aufräumarbeiten werfen, die unsere Regierung schon geleistet hat. Wir haben im Steuerentlastungsgesetz eine Aufgabe angepackt, die dringend notwendig war. Wir haben die unteren und mittleren Einkommen entlastet und Maßnahmen umgesetzt, mit denen ungerechtfertigte Steuervergünstigen abgebaut worden sind. Nachdem Sie das hier immer bestritten haben, will ich mir nichts ausdenken, sondern einfach das ausführen, was Sie alle im „Spiegel“ dieser Woche lesen konnten. Es ging darum, was bis zum Jahr 2002 für die unteren und mittleren Einkommensbezieher geschehen wird. Ein Kfz-Mechaniker mit einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 DM wird im Jahr 2002 netto 2 106 DM mehr im Geldbeutel haben. Das sind fast 22 Prozent Steuerersparnis. Wenn er zwei Kinder hat, wird er über 30 Prozent Ersparnis haben. Überlegen Sie sich das einmal. ({11}) Wir haben eine Steuerreform vorgenommen, die dafür sorgt, daß er 30 Prozent Steuerersparnis haben wird. Dabei ist die weitere Stufe der Familienentlastung übrigens noch nicht einmal eingerechnet. Ein Spitzenverdiener mit einem zu versteuernden Einkommen von 250 000 DM wird 4,8 Prozent weniger zahlen. Es ist also nicht wahr - wie Sie immer behaupten - daß wir bei den Spitzenverdienern zuschlagen würden. Der Bereich, in dem wir etwas gemacht haben, ist das dritte Beispiel aus dem „Spiegel“: Ein Architekt, der sein zu versteuerndes Einkommen bisher auf Null gerechnet hat, wird das nicht mehr tun können und eine entsprechende Mehrbelastung von über 150 000 DM im Jahr haben. Der tut mir aber auch nicht leid. Wir alle auch Sie - haben das gefordert, und wir haben das umgesetzt. ({12}) Diese Beispiele machen deutlich, daß diejenigen, die durch eigene Leistung oder unternehmerisches Engagement Einkommen erwirtschaften, auf jeden Fall entlastet werden, daß aber diejenigen, die sich durch reine Abschreibungsmodelle bedient haben, nicht weiter die „Gescheiten“ in der Gesellschaft sind, sondern daß auch sie zur Kasse gebeten werden. Sie haben uns bei den Aufräumarbeiten noch ein paar ganz dicke Brocken hinterlassen: Familienentlastung. Es ist mir aufgefallen, daß Frau Hasselfeldt bewußt nur das Erziehungsgeld genannt hat; denn sie weiß wahrscheinlich sehr genau, daß sie auf den Bereich der Steuerentlastung wahrhaftig nicht stolz sein kann. Eigentlich hätte es des Verfassungsgerichtsurteils nicht mehr bedurft, um zu zeigen, daß Sie ein Weglein bereitet haben und keinen Weg für die Solidarität der Generationen. Das Urteil hat es aber noch einmal sehr deutlich gemacht. Was für eine mühsame Arbeit war es denn, Sie von jeder Verbesserung für die Familien zu überzeugen! ({13}) Nicht nur, daß Sie die Erhöhung des Kindergeldes auf 220 DM wieder zurücknehmen - obwohl wir sie schon beschlossen hatten - und nur 200 DM Kindergeld zahlen wollten, nicht nur daß Sie auch kleine Verbesserungen, die wir im Ausschuß beantragt hatten, immer abgelehnt haben und wir das jetzt sehr schnell umgesetzt haben, ({14}) sondern auch, daß Sie, Frau Hasselfeldt, noch im Januar die Kindergelderhöhung, die wir gemacht haben, obwohl wir das Urteil nicht kannten, ({15}) ein Weihnachtsgeschenk genannt haben. Der Witz dabei ist, daß jetzt überall die christdemokratischen Politiker aufstehen und sagen: Wir möchten aber mehr Kindergeld. Dies kann wirklich nur als schizophren bezeichnet werden. ({16}) Diese Entscheidungen für steuerliche Entlastungen der Familien haben uns übrigens eine sehr große Kraftanstrengung gekostet. Dies ist logisch. Wenn man einen Haushalt vorfindet, der so wenig Spielraum läßt, kostet es viel Kraft, Bewegungsfreiraum für Familien und deren steuerliche Entlastung zu schaufeln. Hier schließt sich der Kreis auch wieder, weil wir genau aus diesem Grund, nämlich um für Familien weitere Entlastungen schaffen und diese vielleicht auch noch mehr fördern zu können, einen konsolidierten Haushalt brauchen. Wir wissen, daß es noch eine ganze Reihe von Aufgaben geben wird, für die wir die Unterstützung durch die Bürgerinnen und Bürger brauchen und wesentlich mehr brauchen, als wir sie bisher haben. Wir wissen auch, daß es nicht einfach sein wird, diese Menschen davon zu überzeugen, daß es der richtige Weg ist. Ich stelle mir unter Politik vor, endlich wieder entscheiden zu können, wo ich politische Schwerpunkte setze, und nicht durch Haushaltszwänge gebunden zu sein, so daß ich mich nicht so entscheiden kann, wie ich es möchte. Wenn es das ist, was die Menschen von Politik erwarten, dann weiß ich, daß es sich lohnen wird, dafür zu kämpfen, die Menschen von diesem Ansatz zu überzeugen. ({17}) - Ich kann Sie trotz Ihres Gebrülls nur dazu auffordern, diesen Weg mit uns zu gehen. Vielen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Einzelplan 09. Das Wort hat als erster Redner der Bundesminister Werner Müller.

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem zweiten Quartal des letzten Jahres verflachte das Wirtschaftswachstum und war bis zum Amtsantritt der neuen Bundesregierung stetig rückläufig. Seitdem kommt das Wirtschaftswachstum aus der Talsohle des vierten Quartales heraus, wenn auch zunächst nur zögerlich. Inzwischen haben wir einen gesamtwirtschaftlichen Datenkranz, der uns berechtigt, auf eine deutliche Konjunkturbelebung zu vertrauen. Es ist das Ziel der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung, den aktuellen Konjunkturaufschwung in einen stabilen, sich selbst tragenden Wachstumspfad unserer Volkswirtschaft zu überführen. ({0}) Es liegt nun an uns allen, ob wir diese notwendigen und günstigen Rahmenbedingungen für die Wachstumspolitik wider besseres Wissen zerreden wollen und zerreden lassen. Der Wirtschaftsminister will das nicht, denn die Bundesrepublik wird auf Grund der Reformen dieser Bundesregierung ein wieder attraktiver Investitionsstandort. Das müssen wir auch sein, damit wir den Abbau der zu hohen Arbeitslosigkeit bewältigen. ({1}) Vier Millionen Arbeitslose sind zuviel, jeder einzelne Arbeitslose ist einer zuviel. Jeder vermiedene Arbeitslose ist ein einzelner Erfolg. Deshalb bitte ich auch zu sehen, daß angesichts des Wachstumsverlustes seit dem zweiten Quartal letzten Jahres die Arbeitslosigkeit beim Politikverständnis früherer Jahre bis heute kräftig angestiegen wäre. Die Arbeitslosigkeit ist aber trotz Wachstumsverlusten nicht gestiegen, sondern leicht rückläufig, was die Wirkungsmöglichkeit der aktiven Arbeitsmarktpolitik belegt, die diese Bundesregierung unternimmt. ({2}) So ist es zum Beispiel in kurzer Zeit gelungen, die Jugendarbeitslosigkeit ganz erheblich abzubauen. Wenn man diesen Erfolg in dieser kurzen Zeit sieht, wird deutlich, wie unverantwortlich es über Jahre gewesen ist, dieses große gesellschaftspolitische Problem der Jugendarbeitslosigkeit nicht schon viel früher bekämpft zu haben. ({3}) Ich will das Wort Erblast der alten Regierung nicht überstrapazieren; denn die neue Regierung ist gewählt worden, um diese Erblasten wegzuarbeiten. Es stimmt mich aber doch nachdenklich, wenn ich beobachte, wie die, die für diese Erblasten verantwortlich sind, heute mit ihrer Hinterlassenschaft umgehen. Wenn diese Regierung die Inflationssicherung der Renten erreichen will, dann nennt das die heutige Opposition einen Einschnitt in der Rentenpolitik. Dabei hat es bei der alten Regierung seit 1995 keine Inflationssicherung der Renten mehr gegeben. ({4}) Jedes Jahr wurden die Renten aufs neue abgewertet. Als die alte Regierung abgewählt wurde, waren die Renten 5 Prozent weniger wert als 1994. ({5}) Wenn die seit Jahren erstmalig durchgeführte Inflationssicherung heute von CDU/CSU als Einschnitt bezeichnet wird, ({6}) dann muß ich sagen, daß die CDU/CSU seit Jahren bei den Renten Kahlschlag betrieben hat. ({7}) Wie gesagt: Es stimmt mich nachdenklich, wie man zu der Hinterlassenschaft steht. Nehmen Sie den Haushaltsentwurf für das Bundesministerium für Wirtschaft für das Jahr 2000. Diesen hat die alte Regierung im Rahmen der noch geltenden Finanzplanung des Bundes bereits einmal aufgestellt. Obwohl gerade erst bindende Verträge mit dem Bergbau geschlossen worden waren, hat die alte Regierung die Absatzhilfe für die Steinkohle viel zu gering veranschlagt. Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie die Haushalte aufgestellt wurden, damit die Neuverschuldung nicht uferlos wurde. Heute muß man sich aber anhören, daß der Haushaltsentwurf 2000 der neuen Bundesregierung angeblich nur geringfügig unter dem Entwurf der alten Regierung liege. ({8}) Man muß sich vorhalten lassen, daß das Einsparvolumen von 30 Milliarden DM getürkt sei. In aller Klarheit: Getürkt war die Haushaltsplanung der alten Regierung. ({9}) Am Beispiel der viel zu gering etatisierten Steinkohle zeigt sich: Es wurden Einsparungen verbucht durch eingeplante Vertragsbrüche. Deswegen sage ich in aller Klarheit: Diese Bundesregierung wird die erste sein, die die Verträge mit dem Bergbau einhält. ({10}) Nun stand ich vor dem ganz praktischen Problem, die Steinkohlehilfen einerseits nach oben zu setzen und andererseits über 1 Milliarde DM im Gesamthaushalt einzusparen. Konkret: Die Summe aller Haushaltspositionen - außer Kohle - beträgt im Haushalt 1999 7,8 Milliarden DM, wovon 1,3 Milliarden DM einzusparen wären.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Uldall zulassen?

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Uldall.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Angesichts der Tatsache, daß Sie sich so vehement für die Steinkohlesubventionen einsetzen, muß ich fragen: ({0}) Schließen Sie es aus, daß im Laufe des Vollzuges des Haushalts 2000 seitens der Regierung Kürzungen bei den Steinkohlesubventionen vorgenommen werden?

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Sie greifen meiner Rede voraus, Herr Uldall. Ich komme jetzt auf diesen Punkt zu sprechen. Im Grundsatz habe ich Ihnen schon gesagt: Vertragsbrüche planen wir nicht ein. ({0}) Da viele Ausgaben im Haushalt 2000 schon gebunden sind, ist die Aufgabe, 1,3 Milliarden DM von 7,8 Milliarden DM zu sparen, mit denkbar ungünstigen Einschnitten bei einzelnen Positionen verbunden. Ich habe mich mit diesem Problem - ich sage noch einmal: begründet durch die zu geringe Veranschlagung der Kohlehilfen in der Planung der alten Regierung - an den Bergbau gewandt: an Unternehmen, an die Gewerkschaft und an den Bergbauverband. Für den bisherigen Gesprächsverlauf bin ich dankbar, zumal wir wohl hinsichtlich der Behandlung einiger seit Jahren erörterter Fragen zur Abrechnung von Bilanzhilfen früherer Jahre eine Annäherung finden. Ferner bat ich zu prüfen, ob wir die vertraglich für das Jahr 2000 zustehenden Hilfen zu einem sehr geringen Prozentsatz etwas verzögert zur Auszahlung bringen können, weil ich damit für den Haushalt im Jahr 2000 ungünstige Brüche vermeiden kann. Die Gespräche mit dem Bergbau stehen kurz vor dem Abschluß, so daß ich in Kürze dem Haushaltsausschuß vorschlagen kann, wie die im Moment noch ausgewiesene globale Minderausgabe im Haushaltsentwurf 2000 weitgehend aufgelöst wird. ({1}) Damit darüber gar nicht erst ein Mißverständnis aufkommt, sage ich noch einmal, daß die Kohlevereinbarungen vom 13. März 1997 und die damit verbundenen politischen Ziele, insbesondere die sozialverträgliche Anpassung, sowie der vereinbarte Finanzrahmen unverändert umgesetzt werden. ({2}) Im Gegensatz zum Bergbau, bei dem bis 2005 die Subventionen deutlich zurückgefahren werden, der also Subventionsabbau akzeptiert, muß man sich hier und da in der Wirtschaft noch daran gewöhnen, daß manche Staatshilfe in meinem Haushaltsentwurf niedriger angesetzt wird. ({3}) Ich hatte die Wirtschaft frühzeitig darauf hingewiesen, daß sie mit dem Abbau von Subventionen, seien es Steuersubventionen oder direkte Hilfen, rechnen muß, damit Steuern und Abgaben auf breiter Front gesenkt werden können und damit die Neuverschuldung langfristig abgebaut werden kann. Ich habe oft den Eindruck, daß der Schuldenstand des Bundes beim Regierungswechsel nicht so recht begriffen wird, wenn man immer nur die Zahl von 1,5 Billionen DM hört. Vielleicht wird es etwas plastischer, wenn ich sage: Wir haben uns den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers bereits rund einhundertmal von unseren Enkeln und Kindern geliehen. Schulden machen ist bequem, aber nur für die, die das geliehene Geld ausgeben. Viel unbequemer ist es, das zu erarbeiten, was man ausgeben will. Es wäre für die Zukunft verhängnisvoll, wenn die heutige Opposition das weitere Verschulden noch einmal zum bequemen Prinzip einer Regierungspolitik ausrufen wollte. ({4}) Mit solcher Bequemlichkeit mag man offensichtlich aktuell Wahlen gewinnen, aber die Zukunft gewinnt man nicht. ({5}) Zum unbequemen Sparpaket dieser Bundesregierung gibt es im Grundsatz keine Alternative. Das müßte allen Seiten dieses Hauses klar sein. Also sind im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers gegenüber dem laufenden Haushalt 1999 rund 1,3 Milliarden DM einzusparen. Das bedeutet nun aber keineswegs Kahlschlag bei den Fördermaßnahmen. Sinnvolles wird auf hohem Niveau fortgesetzt. Das gilt nicht bloß für die Gemeinschaftsaufgabe in Ost und West, das gilt insbesondere auch für die Mittelstandsförderung, deren Volumen wir durch Bündelung und Zusammenführung bei der Deutschen Ausgleichsbank aufrechterhalten und mit mehr Effizienz versehen. Das Fördervolumen von rund 11 Milliarden DM werden wir so auch in Zukunft beibehalten. In der Energiepolitik strebt die Bundesregierung eine moderne Energieversorgung auf der Grundlage von Markt und Wettbewerb an. Dazu gehört auch das Ziel, langfristig zu subventionsfreien Versorgungsstrukturen zu kommen. Bei den erneuerbaren Energien haben wir eine zielgerichtete Anschubförderung vorgesehen. Für das Anfang des Jahres gestartete 100 000-DächerSolarprogramm geht der Bund bis zum Jahr 2004 Verpflichtungen in Höhe von mehr als 1 Milliarde DM ein. ({6}) Wir wollen der Photovoltaik in Deutschland zum breiten Durchbruch verhelfen. Das neue Marktanreizprogramm, das im September gestartet worden ist, legt die Schwerpunkte auf Solarkollektoren und Biomasseanlagen. Wir stellen dafür jedes Jahr 200 Millionen DM zur Verfügung, und zwar zunächst bis zum Jahr 2003. ({7}) Energiepolitik ist langfristig nur tragfähig, wenn sie von Politik und Gesellschaft getragen wird. Deshalb müssen wir dort zu Hilfen bereit sein, wo der neue Wettbewerb Unternehmen vor Probleme stellt, die nichts mit mangelnder Vorbereitung auf den Wettbewerb oder nichts mit sonstigen unternehmerischen Fehlleistungen zu tun haben. Die Sicherung der ostdeutschen Braunkohleförderung und -verstromung gehört dazu, ebenso die Tatsache, daß einzelne kommunale Kraft-WärmeKopplungsanlagen auf Steinkohlebasis im Wettbewerb entwertet werden, aber wegen der Fernwärmeversorgung der Bürger nicht einfach abgestellt werden können. Bei solchen Problemen wird es Hilfen geben müssen und geben, die weder Wettbewerbsvorteile für alle verhindern noch mißbraucht werden können. ({8}) Lassen Sie mich zusammenfassen: Mit den Beschlüssen für diesen Haushalt und das gesamte Zukunftsprogramm setzt die Bundesregierung ein klares Signal für ein zukunftsfähiges Staatsverständnis. Wir müssen die staatlichen Aktivitäten auf die zentralen Aufgaben zur Sicherung des Sozialstaates konzentrieren und können dadurch mehr Freiraum für Eigeninitiative, für Eigenverantwortung und für mehr unternehmerisches Engagement schaffen. Indem wir die Staatsfinanzen sanieren und die sozialen Sicherungssysteme auf eine solide Finanzierungsbasis stellen, stärken wir auch die Solidarität der Generationen. ({9}) Eines muß man noch deutlich sagen: Der Generationenvertrag wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß jemand die eigenständige Altersversorgung als dritte Säule ins Gespräch bringt. Der Generationenvertrag wird vielmehr von denjenigen in Frage gestellt, die den Anstieg der Lohnkosten und die Aushöhlung der Sozialkassen hingenommen und der Abwanderung von Unternehmen und Leistungsträgern ins Ausland tatenlos zugesehen haben. ({10}) Die Vorlage zum Haushalt, die dem Parlament zum Jahresende vorzulegende Unternehmensteuerreform und die Reform der Altersvorsorge sind notwendige Bestandteile des Gesamtkonzeptes für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Eines muß ich der Opposition noch zu bedenken geben: Unternehmer, Wirtschaftsverbände, die Bundesbank und die wissenschaftlichen Institute sehen das genauso. Damit das Fundament für den Wirtschaftsstandort Deutschland für das nächste Jahrtausend zukunftsfähig gemacht wird, bitte ich um die Zustimmung zu dieser Haushaltsvorlage als wichtigen Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem Land. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der Kollege Austermann hat die Ausführungen des Herrn Bundesministers mit einem Wort qualifiziert, das ich nicht wiederholen will, welches aber unparlamentarisch war. ({0}) Als nächster Redner hat der Kollege Dankward Buwitt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dankward Buwitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000318, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit zwei Bemerkungen auf die Ausführungen von Frau Kressl zurückkommen. Sie verlangt von den Menschen sehr viel; sie verlangt von den Menschen vor allen Dingen, daß sie alles vergessen. Wer das Wort Solidarität in den Mund nimmt - gerade bei der Frage Aufbau Ost -, muß bedenken: Herr Eichel ist ja noch mit einem guten Gedächtnis versehen; er hat heute vormittag gesagt, bei dieser Frage hätten die westlichen Länder die Hände ganz tief in den Taschen gehabt. Herr Schröder hat dazu etwas ganz anderes gesagt; er hat gesagt, es gebe keine Mark niedersächsischer Steuerzahler für den Aufbau der neuen Bundesländer. Das ist Solidarität, wie Sie sie verstehen. ({0}) Wenn Sie sich darauf auch noch beziehen, ist das wirklich traurig genug. ({1}) Zur Frage des Selbstfinanzierungseffektes einer Steuerreform. Wer sich die Zahlen der Jahre 1986 bis 1990 ansieht und erkennt, was in dieser Zeit durch Steuerentlastungen angeschoben worden ist - neue Arbeitsplätze und damit höheres Wirtschaftswachstum; mehr Menschen, die eigenes Einkommen haben; eine Entlastung des Staates und der Sozialkassen -, und dann daran nicht glaubt, der braucht gar keine Steuerreform zu machen. Was für einen Sinn sollte sie sonst haben, wenn man damit keine bezahlte Arbeit befördern könnte? ({2}) - Herr Fischer, Ihre Zwischenrufe von der Regierungsbank sind nicht besser geworden und waren von den Abgeordnetenplätzen früher auch schon nicht besonders. ({3}) - Ach, er hat gestöhnt? Ja, er hat auch allen Grund dazu. ({4}) Wenn man heute die Reden von Herrn Müller, von Herrn Eichel und von der rotgrünen Koalition insgesamt hört, dann kann man feststellen, daß zwei Botschaften rübergebracht werden. Die eine lautet: Früher war alles schlecht, heute ist alles in Ordnung. Die andere lautet: Die Bürger haben es nur nicht verstanden. Zunächst einmal kann ich nicht bestätigen, daß zur Zeit alles in Ordnung ist; das möchte ich sogar bestreiten. Zudem geht es auch gar nicht darum, ob die Leute es verstehen, sondern darum, daß die Leute diese Politik nicht haben wollen. Wenn der Finanzminister sagt - das klingt ja schon fast rührend -, die Leute kämen zu ihm und sagten, er solle ruhig so weitermachen, dann muß ich feststellen: Die Wahlergebnisse sagen etwas anderes. Wenn jemand mir in dieser Situation solche Ratschläge gibt, dann würde ich doch überlegen, ob derjenige es mit mir gut meint oder mir sogar ein Bein stellen möchte. ({5}) - Das lassen Sie doch meine Sache sein, um das ganz deutlich zu sagen. Über den Wirtschaftshaushalt ist gar nicht viel zu sagen. Der Wirtschaftsminister selber hat in erster Linie über die Renten gesprochen. ({6}) - Herr Präsident, wer soll reden? Ich oder die anderen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ein paar Zwischenrufe müssen Sie schon ertragen.

Dankward Buwitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000318, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zwischenrufe ertrage ich gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihnen steht ein Mikrofon zur Verfügung. Mit dessen Hilfe können sie sich durchsetzen.

Dankward Buwitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000318, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Wirtschaftsminister hat hier über die Renten gesprochen. In der „Welt“ hat er ausgeführt: Mich widert an, was die CDU zu den Renten sagt. - Nun muß man feststellen, daß Sie zwar kein SPD-Mitglied sind. Trotzdem dürften Sie nicht so zurückgezogen gelebt haben, daß Sie keine Nachrichten gehört und keine Zeitungen gelesen haben, bevor Sie in die Regierung eingetreten sind. Wir wollten einen demographischen Faktor einfügen. Das haben wir auch getan. Sie haben das rückgängig gemacht. Der Anstieg der Renten sollte langfristig abgeflacht werden. Herr Schröder sagt, daß er die zutiefst unanständige Rentenreform rückgängig machen wolle. Das ist eines von vielen falschen Versprechen, die er gemacht hat und die ihm schon heute leid tun. Aber der Bundeskanzler hat auch gesagt - das ist eine ganz andere Sache -: Ich stehe dafür, daß die Renten in Zukunft weiterhin so steigen werden wie die Nettoeinkommen. Davon kann doch im Moment überhaupt keine Rede mehr sein. Wenn Sie, Herr Müller, das alles gewußt hätten, dann hätten Sie sagen müssen: Mich widert der Rentenbetrug meiner eigenen Regierung an. SPD und Grüne haben den Rentnern - nicht nur diesen - viel versprochen. Sie haben sie getäuscht. Sie sind dabei, sie zu betrügen. ({0}) Jetzt stellt sich die Frage: Welchen Beitrag leistet der Wirtschaftshaushalt, um die Wirtschaft in Gang zu bringen und das Wirtschaftswachstum zu fördern? ({1}) 1998 gab es ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent. 1998 gab es 400 000 Arbeitslose weniger als heute. Das waren Entwicklungen, die auf Grund der Rahmenbedingungen möglich waren, die die letzte Regierung in diesem Hause - also in Bonn, falls Sie das wieder fragen wollen - beschlossen hat. ({2}) Was ist nach dem Regierungswechsel geschehen? Es gehörte nicht viel dazu, wenn Herr Fischer - vielleicht hat er es ironisch gemeint - sagte: Der Aufschwung wird bis zum 27. September anhalten. Das ist richtig: Sie haben den Aufschwung kaputtgemacht und vernichtet. ({3}) Sie haben die Maßnahmen, die wir für ein größeres Wirtschaftswachstum und für mehr Arbeitsplätze getroffen haben, zurückgenommen. ({4}) - Ich meine die Maßnahmen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Maßnahmen für Existenzgründungen und die Maßnahmen zum Schlechtwettergeld. Diese Liste könnte man beliebig fortsetzen. Diese Maßnahmen haben Sie alle rückgängig gemacht. Deshalb dürfen Sie sich nicht wundern, daß dadurch die wirtschaftliche Entwicklung zurückgegangen ist. Sie beziehen sich immer auf europäische und internationale Entwicklungen. Aber richtig ist, daß Deutschland im Vergleich zu anderen am Ende der Entwicklung des Wirtschaftswachstums steht. Warum ist das so? ({5}) - Deutschland hat in diesem Jahr ein schlechteres Wirtschaftswachstum als alle anderen Länder aufzuweisen. Das können Sie überhaupt nicht bestreiten. Das sind die Folgen der Politik, die Sie betrieben haben. ({6}) Sie dürfen sich also nicht wundern, daß sich beim Thema „Abbau der Arbeitslosigkeit“, das Sie zu ihrem Thema machen wollten, überhaupt nichts bewegt. Sie reden über das Thema kaum noch. Noch im Frühjahr haben Sie sich darüber gestritten, ob man den Stand der Arbeitslosigkeit Monat mit Monat vergleichen sollte; denn Sie wollten sich den Rückgang gegenüber 1998 gutschreiben lassen. Jetzt vergehen im Laufe des Jahres die Monate, und der Vergleich Monat mit Monat ist schon nicht mehr so schön, und natürlich unterlassen Sie ihn. Der Minister hat hier dargestellt, daß alles so fortgesetzt wird. Das stimmt nicht; meine elf Minuten Redezeit reichen nicht aus, um all das vorzulesen, was das belegt. Wer sich den Haushalt ansieht, der erkennt, daß es diesbezüglich viele Posten gibt. Es geht um die Mittelstandsförderung, es geht um den Aufbau Ost, und es geht um all das, was für die Schaffung von Arbeitsplätzen einen Anstoß bewirkt. Die Ausgaben hierfür sind in diesem Haushalt zurückgeführt worden, und zwar immer mit der Bemerkung: Die Förderkonditionen wurden gestrafft. - Sie haben sich diese Möglichkeit geschaffen, um die Veränderungen durchzuführen. ({7}) - Doch, das alles ist im Haushalt enthalten. Sie haben ihn nur nicht gelesen; das ist das Problem. Wenn Sie den Haushalt gelesen hätten, dann hätten Sie diese Aussage gefunden. Das ist nicht mein, sondern Ihr Problem. Es gibt wenig im Haushalt, worüber man verhandeln kann. Wie der Minister richtig dargestellt hat, liegen die pauschalen Minderausgaben bei 600 Millionen DM. Obendrein müssen 38,6 Millionen DM als Effizienzrendite erwirtschaftet werden. Dies alles sind zur Zeit ungedeckte Schecks. Aber die Lösung zeichnet sich ab. Im ersten Teil seiner Rede sprach Herr Müller von den unglaublichen Vertragsverstößen im Bereich der Kohle. Im zweiten Teil seiner Rede sagte er, er werde sich gütlich einigen. Es handele sich um einen kleinen Betrag von 500 Millionen DM, der zur Sanierung des Haushalts freiwillig zur Verfügung gestellt wird. Wie dies zusammenpassen soll, frage ich mich sehr ernsthaft. Bei den letzten Haushaltsberatungen haben Sie sich vehement dagegen gewehrt, daß vom Verkauf der Rohölreserve Geld in den Haushalt eingestellt wird. Sie haben den richtigen Zeitpunkt verpaßt: Sie fangen jetzt im September an zu verkaufen; Sie hätten ab Juni mit gutem Gewinn verkaufen können. Aber noch besser ist: Sie erwarten im nächsten Jahr eine Einnahme von 560 Millionen DM. Diese Einnahme ist im Haushalt gar nicht enthalten. So sieht Ihr Beitrag zu Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit aus. Die Absatzförderung im Osten wird ab dem Jahre 2001 auf Null gesenkt. Der Osten blüht schon so, daß alles von alleine geht: Forschungsförderung neuer Technologien, Hilfen für den Mittelstand, Geld für die Auslandsvertretungen und Geld für die Messen. Dort, wo dem Mittelstand geholfen werden kann, werden wir ganz genau darauf schauen, was wir machen können. Im Bereich des Normenwesens ({8}) - Sie selber sagen in Ihrem Haus „Normenwesen“; Sie wissen wohl nicht, was das ist; aber das muß nicht jeder wissen - wäre es auf internationaler Ebene ausgesprochen wichtig, daß die Arbeit verstärkt wird. Was machen Sie? Sie beauftragen das DIN mit dieser Aufgabe. Sie kürzen in diesem Jahr nicht von 20 oder 30 Millionen DM, sondern von 9,9 Millionen DM um 3 Millionen DM, und im nächsten Jahr kürzen Sie um 2 Millionen DM. Aber die Aufgabe soll mit weniger als der Hälfte des Geldes verstärkt werden. Zum Tourismus, von dem Sie im Frühjahr gesagt haben, er müsse verstärkt unterstützt werden und für ihn müsse mehr Geld ausgegeben werden. Das Ergebnis ist: In diesem Haushalt wird weniger Geld ausgegeben, obwohl die EU reklamiert, daß wir gerade im Dienstleistungsbereich großen Nachholbedarf haben. Wenn der Tourismus gefördert wird, dann werden im Hotelbereich, im Gaststättengewerbe, im Dienstleistungsbereich insgesamt und im Einzelhandel sofort Arbeitsplätze geschaffen. In der Tourismusförderung führen Sie die Mittel zurück, obwohl Sie im Frühjahr angekündigt haben, dafür sorgen zu wollen, daß dort mehr passiert. Ich glaube, in Ihrem Haus passiert zwar vieles, aber vieles, das Sie entweder nicht steuern oder gar nicht so gewollt haben. Recht herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Michaele Hustedt vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist mit dem Haushalt insgesamt sehr zufrieden; denn er verbindet optimal die Ansätze des Sparens und des Gestaltens. Auch der Wirtschaftshaushalt muß einen Beitrag zum Sparen leisten; auf der anderen Seite wird der Anspruch aufrechterhalten, gestalterisch tätig sein zu können. Ich nenne dafür als Beispiel - Herr Müller ist schon darauf eingegangen -, daß wir die Mittel für die marktnahen erneuerbaren Energien wie Solarthermie und Biomasse im Vergleich zur alten Bundesregierung verzehnfacht haben. ({0}) Auch wenn wir im großen und ganzen sehr zufrieden sind, gibt es doch ein paar Unterpunkte wie den Forschungsetat „Erneuerbare Energien“, über die wir noch sachlich und solidarisch miteinander diskutieren müssen. Wir haben uns daher entschlossen, in diesem Teil der Haushaltsdebatte den Schwerpunkt auf die Frage der Zukunft der Energiewirtschaft zu legen, und zwar nicht nur deshalb, weil dieser Bereich für die Grünen besonders wichtig ist - dieser Wirtschaftszweig hat sehr viel mit dem Umweltschutz zu tun, der uns besonders am Herzen liegt -, sondern auch deshalb, weil sich gerade dieser Wirtschaftszweig heute im größten Umbruch befindet, den es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland jemals gegeben hat. Die Aufbrüche, Umbrüche, Abbrüche in diesem Bereich machen es durchaus notwendig, daß man intensiv darüber diskutiert. Als Grüne haben wir die Liberalisierung immer begrüßt und gefördert. Ich selbst bin ja die erste Bürgerin Deutschlands, die die freie Wahl des Stromlieferanten durchgesetzt hat, so daß ich schon seit längerem „grünen Strom“ bekomme. Wir haben Anträge eingebracht, die aufzeigen, wie die Liberalisierung beschleunigt und der Markt optimal und fair gestaltet werden kann. Wir stehen für Wettbewerb und Marktwirtschaft im Energiebereich und sind davon überzeugt, daß sie für wesentlich mehr Effizienz sorgen werden. Was im Augenblick auf dem Markt geschieht, zeigt, daß große Effizienzspielräume vorhanden waren. Wir glauben ferner, daß dies die Entwicklung von Innovationen beschleunigt und daß es richtig ist, daß heutzutage der Bürger als Stromkunde nicht mehr ein Gefangener ist, sondern selbst darüber entscheiden kann, bei wem er welche Art von Strom kauft. ({1}) Deswegen sagen wir ein eindeutiges Ja zur Liberalisierung des Marktes. Allerdings sind Sie, die Sie die Liberalisierung ebenfalls begrüßen, dieses Problem sehr dilettantisch angegangen. Sie waren nämlich auf einem Auge blind und haben nur die niedrigen Preise gesehen. Als Politiker, der Verantwortung trägt - wir alle tragen Verantwortung -, hat man sein Augenmerk auch auf die Frage der Zukunftsfähigkeit unserer Energieversorgung zu richten: ob die Energieversorgung Stück für Stück umweltverDankward Buwitt träglicher wird - die Energieversorgung leistet ja einen großen Beitrag zur Verstärkung des Treibhauseffektes; auch müssen wir auf die Endlichkeit der Ressourcen Rücksicht nehmen - und ob wir Rahmenbedingungen schaffen, die in die richtige Richtung weisen. Auf diesem Auge aber waren Sie bei der von Ihnen vorgeschlagenen Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes hundertprozentig blind; auf diesem Gebiet müssen wir jetzt vieles nacharbeiten. Uns geht es nicht nur um niedrige Preise. Unser Ziel ist es vielmehr, den Markt über den Wettbewerb mit dem Umweltschutz zu versöhnen. Die aktuellen Probleme dabei sind sehr groß. Die Stadtwerke schalten teilweise jetzt schon die KraftWärme-Kopplungsanlagen ab, obwohl es sich dabei um hocheffiziente Energieerzeugungstechnologien handelt. Für die Erzeugung regenerativer Energien vergeben die Banken keine Kredite mehr, weil die Einspeisungsvergütungen nach dem Stromeinspeisungsgesetz drastisch sinken werden, da sie an die allgemeinen Strompreise gekoppelt sind, und dann das Betreiben von Wind- und von Biomasseanlagen nicht mehr rentabel sein wird. Wenn wir jetzt nicht aufpassen, werden uns Techniken der hocheffizienten Energieerzeugung wegbrechen und wird der Aufbruch bei den erneuerbaren Energien zum Stillstand kommen. Hier muß also sofort gehandelt werden. Von der Opposition gibt es keine Vorschläge; ich habe jedenfalls bisher kein Wort dazu gehört. Der einzige Vorschlag, der von Ihrer Seite gekommen ist, sah vor, eine Enquete-Kommission „Energie“ zu bilden, die dann drei Jahre tagt. Das würde aber bedeuten, daß dann, wenn sie zu Ende getagt hat, der Markt für diese Bereiche kahlgefegt wäre. Das ist nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis. Ich bin nicht gegen die Enquete-Kommission, aber ich glaube, daß wir nicht mehr drei Jahre Zeit haben, um die Fragen Umweltverträglichkeit und Markt zusammenzubringen, denn dann ist der Zug abgefahren. Wir müssen in dieser Frage relativ schnell handeln und Ihren Gesetzentwurf nachbessern. ({2}) Was die Diskussion in der SPD zu diesem Punkt angeht, kann ich nur sagen: Ich verstehe durchaus Ihre Sorgen, was die Stadtwerke betrifft. Die Stadtwerke sind jetzt natürlich hochgradig gefordert, wenn es um Wettbewerb geht. Sie haben es mit Konkurrenten zu tun, die auf Grund der Monopolwirtschaft wahrlich prall gefüllte Kassen haben. Aber man muß sagen: Zum einen sind Stadtwerke nicht unbedingt gleich Umweltschutz. Es gibt auch Stadtwerke, die nicht sehr umweltverträglich produzieren. Zum anderen kann es nicht angehen, daß man in einem Wettbewerb Unternehmen stützt, weder indem man Schutzzäune um diese Unternehmen zieht, noch indem man sie in irgendeiner Form subventioniert, ({3}) weder große noch kleine, weder öffentliche noch private. Die Unternehmen müssen auf dem Markt diskriminierungsfrei, aber wettbewerbsneutral agieren. Was wir im volkswirtschaftlichen Interesse für den Umweltschutz tun können, ist, mit marktkonformen Mitteln bestimmte Technologien zu fördern, wie die Kraft-Wärme-Kopplung oder auch die erneuerbaren Energien. Das ist ein gangbarer Weg, wenn man marktkonforme Instrumente findet. Aber bestimmte Unternehmen im Markt zu subventionieren oder Schutzzäune zu ziehen ist, glaube ich, der falsche Weg. ({4}) Von daher kann man sagen: Die Ziele bleiben, aber der Weg in der Energiepolitik muß sich ändern, sonst wird man auch die Ziele nicht erreichen. Herr Müller hat in diesem Zusammenhang vorgestern einen sehr interessanten Vorschlag auf den Markt gebracht. Herr Müller, Sie wissen selbst, daß dieser Vorschlag weder mit dem EU-Recht kompatibel ist noch jemals praktiziert werden kann. Es würde von den Bürgern in keiner Weise akzeptiert werden, daß der Bürgermeister einer Stadt sagt: „Ich entscheide, daß es in dieser Kommune keine freie Wahl gibt“, aber eine Straße weiter die freie Wahl möglich ist. Die verschiedenen Unternehmen werben, ob für grünen, gelben, roten oder blauen Strom, bundesweit, und der Bürger darf nicht wählen, weil der Bürgermeister entscheidet: Bei uns nicht. Das ist nicht praktikabel, das würde keine einzige Kommune machen. Von daher ist Ihr Vorschlag sehr schlitzohrig. ({5}) Ich glaube, daß dieser Vorschlag keinerlei Chance hat, jemals Recht zu werden. ({6}) Soweit ich weiß, ist das auch nicht die Position der SPD. Damit sollte die Debatte über diesen Vorschlag endgültig abgeschlossen sein. Dieser Vorschlag muß endgültig vom Tisch. ({7}) Ernsthaft diskutieren muß man die Frage, wie man mit der Versorgungssicherheit umgeht. Das bewegt die SPD teilweise. Ich glaube, daß das überhaupt kein Problem ist. Das Problem, daß irgend jemand keinen Stromlieferanten findet, wird es auf dem zukünftigen Markt angesichts der Überkapazität nicht geben. Deswegen glaube ich auch nicht, daß man irgendeine Absicherung für die Versorgungssicherheit in diesem Bereich braucht. Man braucht ebenso niemanden, auch die Stadtwerke nicht, der im Zweifelsfall Stand-by steht und dem Bürger, der keinen Stromlieferanten findet, den Strom liefert. Von daher sagen wir auch in bezug auf die Diskussion um Garantielieferanten: Das wird mit uns nicht zu machen sein. Eine Art Gebühr für den Wechsel des Stromlieferanten ist nicht marktkonform und paßt nicht in das System. Deswegen lehnen wir auch diesen Vorschlag ab. ({8}) Ich glaube aber, daß wir in vielen Punkten entlang der Linie tatsächlich etwas tun können. Wir wollen den Umweltschutz im Markt erhalten. Da möchte ich einmal einige Punkte nennen, die wir gemeinsam machen können und auf die wir uns aus meiner Sicht sehr schnell verständigen sollten. Gut wäre es natürlich, wenn wir das noch vor der Demonstration der Stadtwerke am 27. September schaffen würden. Das erste ist die Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes. Da spreche ich jetzt auch die Kollegen der Opposition an, denn das haben wir zusammen gemacht. Vorher waren wir in der Opposition und Sie in der Regierung. ({9}) - Nein, Herr Uldall, bei Ihnen nicht, das stimmt. ({10}) Das Stromeinspeisungsgesetz haben wir hier einstimmig verabschiedet. Ich hoffe und würde es mir sehr wünschen, daß uns dies, Herr Austermann, Herr Hircher, Herr Carstensen, Herr Ramsauer und wie Sie alle heißen, mit denen wir immer aktiv und produktiv zusammengearbeitet haben, auch diesmal gelingt. Nach unseren Vorstellungen müssen die Preise unbedingt stabilisiert, nicht erhöht werden, damit sie nicht drastisch sinken; gleichzeitig müssen wir, um den EUAnforderungen gerecht zu werden, aber auch differenzieren. Das heißt, daß es für windstärkere Standorte eher eine niedrigere Einspeisevergütung gibt und für windschwächere Standorte länger der erhöhte Einspeisevergütungssatz gilt. Das wäre eine Möglichkeit, zu differenzieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, daß Windund Biomasseanlagen auch in Zukunft rentabel auf dem Markt betrieben werden können. Ein weiterer Beitrag im Rahmen des Stromeinspeisungsgesetzes wäre, demnächst, also wahrscheinlich schon im nächsten Jahr, einen 5-Prozent-Deckel greifen zu lassen. Dann könnten Anlagen von 190 Megawatt an der Küste nicht mehr gebaut werden. Hier besteht Handlungsbedarf. Wir haben ja schon gemeinsam über verschiedene Vorschläge diskutiert; es wird wohl zu einer bundesweiten Umlage kommen, durch die die regionalen Unterschiede zwischen Nord und Süd und vor allem zwischen dem Norden und der Mitte ausgeglichen werden können. Ein Ausgleich der regionalen Ungleichgewichte wäre neben der Regelung der Netzanschlußkosten und anderer Punkte ein wichtiger Bestandteil. Wir sollten auch die Geothermie aufnehmen und die Biomasse vielleicht noch ein bißchen besserstellen, damit das von uns angeschobene Förderprogramm noch Unterstützung durch das Stromeinspeisungsgesetz erhält. All diese Punkte halte ich für sehr sinnvoll. Ich würde mich freuen, wenn das ganze Haus hierbei wieder zusammenarbeitet und diesen Gesetzentwurf gemeinsam auf den Weg bringt. ({11}) Ein zweiter Punkt ist sehr wichtig: In absehbarer Zeit - Ende September - läuft die Verbändevereinbarung für den Netzzugang aus. Wir haben immer gesagt: Wenn sie sich bewährt, ist alles in Ordnung, wenn sie sich aber als schlecht herausstellt, muß es dringend eine Netzzugangsregelung geben. Was ich bisher gehört habe, hört sich gar nicht schlecht an, aber jetzt ist der Zeitpunkt, Kriterien dafür zu definieren, was gut und schlecht ist. Kriterien wären meines Erachtens die Transparenz, die Börsengängigkeit oder auch die Frage, ob dezentrale Stromerzeuger deutlich geringere Durchleitungsgebühren als Großkraftwerke bezahlen müssen. Dabei handelt es sich nicht um eine Subventionierung oder Bevorzugung, sondern es geht schlicht und einfach um Kostengerechtigkeit. Die Hoch- und Höchstspannungsnetze müssen nämlich nur deshalb aufrechterhalten werden, weil beim Ausfall eines Großkraftwerks von einem anderen Großkraftwerk auf einen Schlag sehr viel Strom in das betreffende Gebiet geleitet werden muß. Bei dezentraler Stromerzeugung wären diese Netze nicht notwendig. Deswegen sollen die dezentralen Erzeuger auch nicht zur Finanzierung dieser Netze herangezogen werden, und deswegen ({12}) ist es richtig, von den dezentralen Erzeugern eine geringere Vergütungssumme zu verlangen. Wenn das gelingt, wäre das ein sehr modernes und marktkonformes Mittel, um umweltverträgliche Energieerzeugung zu unterstützen, denn diese geschieht fast immer dezentral. ({13}) - Sie werden ja sehen, ob es abenteuerlich ist. Ich höre, daß bei den Beratungen zur Verbändevereinbarung genau über diesen Punkt diskutiert wird und die Wahrscheinlichkeit, daß wir uns bei dieser Frage durchsetzen, sehr groß ist. Sie können die Verbändevereinbarung dann ja als abenteuerlich bezeichnen und ablehnen. Das werden wir ja sehen. ({14}) Auf jeden Fall ist das eine Chance für die KraftWärme-Kopplung und die erneuerbaren Energien. Wenn es für diese Energiearten noch einmal eine um 2 Pfennig geringere Durchleitungsgebühr gibt, bedeutet das, daß eine Kilowattstunde aus Kraft-Wärme-Kopplung auf dem Markt besser dasteht als eine Kilowattstunde aus Atomkraftwerken oder großen Kohlekraftwerken. Hierin liegt auch eine Chance für die Stadtwerke. Deswegen ist dies ein wichtiges Instrument, um die Stadtwerke zu stützen. Ich weiß, daß auch der Verband kommunaler Unternehmen dieses Kriterium für sehr wichtig hält. Ein dritter Punkt ist, daß die Kraft-WärmeKopplung wahrscheinlich noch weitere Sicherungsinstrumente braucht. Herr Müller hat vorgeschlagen, ein Modernisierungsprogramm für Fernwärme und Kohle aufzulegen. Ich finde das gut, weil, egal was wir tun, gerade diese Kraftwerke noch eine Zeitlang Probleme haben werden. Ihnen zu helfen, sich umzustellen und auf den Wettbewerb einzustellen, wäre der optimale Weg. Sicherlich ist bei der Ökosteuer eine entsprechende Ausgestaltung wichtig, damit die Kraft-Wärme-Kopplung nicht durch eine Doppelbesteuerung von Gas und Strom benachteiligt wird. Das haben wir im Kabinett schon beschlossen. Drittens müssen wir diskutieren, ob diese Maßnahmen reichen oder ob nicht doch eine Quote für die Kraft-Wärme-Kopplung notwendig ist. Diese Quote müßte allerdings wettbewerbskonform ausgestaltet sein: Derjenige, der zertifizierten Strom aus Kraft-WärmeKopplung anbietet, muß den Zuschlag erhalten. Und an der Börse muß der ökonomisch effizienteste Strom gekauft werden können, der auf dem Markt angeboten wird. Das darf keine Ausnahmeregelung sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Hustedt, kommen Sie bitte zum Schluß.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Ich glaube, mit diesen Maßnahmen können wir es tatsächlich schaffen, die Liberalisierung bis zum letzten Bürger durchzusetzen. Gleichzeitig sorgen wir dafür, daß die umweltverträgliche Energieerzeugung nicht unter die Räder der Liberalisierung kommt. Das ist der richtige Weg für die Zukunft. Ich hoffe, bezüglich dieses Punktes werden wir in nächster Zeit zu einem gemeinsamen Antrag kommen. Danke. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Rainer Brüderle von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Müller, letzte Woche war die Stunde der Wahrheit. Das Statistische Bundesamt hat das reale Wachstum festgestellt: 0,8 Prozent. Das ist die Bilanz Ihrer bisherigen Tätigkeit. Damit sind wir in Europa das Schlußlicht. Daher rührt es auch, wenn renommierte Wirtschaftsfachzeitungen wie der „Economist“ schreiben, daß Deutschland der „kranke Mann des Euro“ sei. Die Schwäche Deutschlands ist die Schwäche von EuroLand. Weil wir zu wenig Dynamik haben, geht der Zug nicht richtig voran. Die Arbeitslosigkeit stagniert auf unerträglich hohem Niveau; saisonbereinigt nimmt sie sogar zu. Gestern kam vom Statistischen Bundesamt die Meldung, daß das Handwerk, entscheidende Stütze unserer Wirtschaft, Herzstück des Mittelstands, Arbeitsplätze abbaue. Beim Handwerk gehen Arbeitsplätze verloren. Wie soll es denn zu einer Veränderung kommen? Heute wurde gesagt, man solle den Standort nicht schlechtreden. Ja, das soll man nicht. Sie können ihn aber auch nicht gesundbeten. Sie können doch nicht über die Probleme hinweggehen; so glaubt Ihnen keiner mehr. Die Abstimmung auf den Märkten ist die Abstimmung über Fehlentscheidungen. ({0}) Die nüchterne, ja ernüchternde Bilanz des fast vollendeten ersten Jahres Ihrer Regierungstätigkeit ist eine traurige. Sie reden sich aber immer wieder heraus. Sie versuchen, alles auf die Vorgänger zu schieben. Diese Erblastlüge kann man aber nicht beliebig lange vor sich herschieben. Es sind Ihre Arbeitslosen, es ist Ihre Konjunkturflaute. Damit müssen Sie fertig werden. ({1}) Das ist doch alles durchschaubar: Sie kommen an die Regierung und reden alles schlecht, an allem seien die Vorgänger schuld. Damit versuchen Sie, über Ihre eigene Untätigkeit hinwegzutäuschen. Offiziell rechnen Sie mit einer Wachstumsrate von 1,6 Prozent. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung - nicht gerade regierungskritisch, Ihnen sehr gewogen - rechnet mit 1,3 Prozent. Im „Spiegel“ vergangener Woche konnte man es nachlesen: Auch in internen Papieren Ihres Hauses heißt es - ich zitiere -: Bereits ein Jahresdurchschnitt von 1,3 Prozent setzt eine sehr spürbare Belebung im Verlauf des Jahres voraus. Wo ist denn die spürbare Belebung? Man spürt nichts davon. Deshalb werden Sie Ihre Ziele nicht erreichen. Diese verfehlte Wirtschaftspolitik schlägt sich auch in Ihrem Haushalt nieder. Sparen ist notwendig, aber Sparen kann nicht buchhaltermäßig heißen: einfach kürzen. Selbst beim Sparen braucht man Verstand und Kreativität. Auch Sparen muß man richtig machen. ({2}) - Daß Ihnen das weh tut, verstehe ich; aber es ist die Wahrheit. Einer muß es Ihnen doch sagen. Zum Subventionsabbau: An die Kohlesubventionen trauen Sie sich nicht heran; denn da geht es um Ihre sozialdemokratischen Kernländer. Vielleicht wird dies jetzt im Saarland geschehen; denn da gibt es eine neue Mehrheit. Sie geben pro Beschäftigten im Bergbau über 100 000 DM an Subventionen aus. Sie verhindern damit den Strukturwandel. Sie schaffen so keine ArMichaele Hustedt beitsplätze, und Sie verhindern das Entstehen neuer Arbeitsplätze. ({3}) Was könnte man mit 8 Milliarden DM ({4}) beispielsweise hinsichtlich Existenzgründungen machen? Nein, es wird eisern daran festgehalten und verbrämend gesagt: Wir sind vertragstreu. - Sie haben einen Amtseid auf dieses Land geleistet. Sie müssen handeln, damit Sie herunterkommen von dieser Fehlentwicklung, damit Sie eine neue Entwicklung in unserem Lande einleiten. ({5}) Sie haben da tolle Ideen. ({6}) - Ich möchte bei zehn Minuten Redezeit keine Zwischenfrage zulassen. Sie können anschließend eine Stunde reden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Brüderle, gilt das generell?

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich lehne generell jede Zwischenfrage ab, weil ich die zehn Minuten am Stück reden will.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es ist nur so, daß die Zeit nicht angerechnet wird.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Alles klar. Zum Subventionsabbau haben Sie ja tolle Vorschläge. Das soll nicht mehr die Regierung tun, sondern bei Ihnen sollen die Subventionsempfänger die Subventionen abbauen. Da können wir die Stelle des Wirtschaftsministers doch ganz sparen - da sparen wir wenigstens ein paar Mark -, wenn sie alles selbst machen sollen. ({0}) Sie haben nicht den Mut umzustrukturieren. Daran fehlt es. Dem Mittelstand, der die eigentliche Chance zur Schaffung neuer Arbeitsplätze ist, werfen Sie weitere Knüppel zwischen die Beine. Dort wird gespart. Dort streichen Sie. Aber es ist genau falsch, beim ERPProgramm, bei der Handwerksförderung, bei den Kleinen zu sparen. An die großen Konzerne, beispielsweise die Ruhrkohle AG - dies sage ich nicht, weil Sie früher in dem Bereich tätig waren -, gehen Sie nicht heran. Aber bei den kleinen Handwerkern kann man ja kürzen. Das ist mutig! ({1}) In Ihrem wunderschön bebilderten Müller-Comic steht, daß 20 Redakteure mitgewirkt haben. Vielleicht legen Sie einmal dar, was ein Exemplar kostet. Es sind wenig Informationen, aber viele Bilder enthalten. Ich gebe zu, es sind nicht lauter Müller-Bilder; aber zur Sache selbst gibt es wenig Informationen. Darin schreiben Sie - das klingt wie Hohn - , Sie schaffen neue Spielräume für mittelständische Unternehmen. Das tun Sie doch gar nicht! Sie machen doch genau das Gegenteil bei den 630-Mark-Jobs, Sie machen das Gegenteil bei der Scheinselbständigkeit. Menschen, die etwas tun wollen, werden durch Ihr Vorgehen fast kriminalisiert. ({2}) Dann kommt der Höhepunkt in diesem MüllerComic. Sie toppen Ihre irreführende Botschaft noch mit der Aussage - ich zitiere -: Gewinner der grün-roten Unternehmensteuerreform werden die mittelständischen Betriebe des Handwerks sein. - Das ist unglaublich. Denn das ist schlichtweg falsch, und das wissen Sie auch. Sie haben es doch neulich zugegeben. Sie wollen aus der Unternehmensteuerreform im Kern eine Körperschaftsteuersatzreform machen. 90 Prozent der Betriebe in Deutschland sind Personengesellschaften, die davon nicht profitieren werden. Ihr Optionsmodell ist der Gipfel, was Bürokratiekosten, Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung - etwa die Behandlung der Privatentnahme - angeht. Es geht um mehrjährige Bindungsfristen, die Mittelständler so gar nicht erfüllen können. Es hat seinen Grund, daß der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium und verschiedene Forschungsinstitute diese grünrote Unternehmensteuerreform ablehnen; denn sie halten sie zu Recht für falsch. Hören Sie doch einmal auf Herrn Struck. ({3}) Herr Struck - er ist nicht da - sagt gelegentlich etwas Vernünftiges, indem er sich für das F.D.P.Steuermodell ausspricht, das Herr Solms erfunden hat. ({4}) Dieses Modell sieht drei Steuersätze von 15, 25 und 35 Prozent vor; es führt zu einer konsequenten Vereinfachung. Er darf es zwei Tage sagen. Dann wird er zusammengebatscht, daß er sich nicht mehr traut. Das wären doch die Schritte, die man konsequent machen sollte. Das wäre das richtige Format, um an die Dinge richtig heranzugehen. Herr Müller, Sie haben sich als Ankündigungsminister profiliert. Sie erklären, Sie wollen die Staatsquote senken, Sie wollen die Tarifpolitik flexiblisieren, die Arbeitslosenversicherung reformieren. Das hört sich gut an und ist sehr vernünftig. Aber Sie haben nie ein Konzept vorgelegt. Sie finden kein Gehör im Kabinett. Sie sind doch für diese falsche Politik das ordnungspolitische Feigenblättchen. Sie geben sich für eine falsche Politik als Deckmäntelchen her. ({5}) Völlig unklar ist, wohin die Reise in der Energiepolitik geht. Wegen der permanenten Koalitionskrisen wird das Symbolthema der Grünen, der schnelle Ausstieg aus der Kernenergie, irgendwo unter dem Teppich versteckt. Es gibt einen orientalischen Basar über die Restlaufzeiten: Wie hätten Sie es denn gern? Mal heißt es 30 Jahre, mal 25, mal 26 oder 27 Jahre. 26,5 Jahre, Herr Müller, habe ich noch nicht gehört. Das wäre eine neue Variante. Hier ist keine klare Linie erkennbar. Das ist doch keine Politik, sondern das ist Trallala-Ökonomie, was Sie machen. Ein Energiekonsens ist auch mit dem Fernrohr nicht erkennbar. Die diffuse Diskussion in bezug auf die Kernenergie und die starre Haltung der Grünen führen dazu, daß wir nicht weiterkommen, Weltmarktchancen im Rahmen moderner Technologien und damit auch Chancen für Arbeitsplätze nicht wahrnehmen und beim Klimaschutz nicht vorankommen, weil der ideologisch zu begründende schnelle Ausstieg aus der Kernenergie Vorrang hat. Die Grünen brauchen ja dieses Thema, um zu versuchen, die Atomkraftgegner, die sie in die Regierung gewählt haben, zufriedenzustellen. Das ist in der Sache falsch. Das ist für die Arbeitslosen und auch für die Zukunftsentwicklung falsch. ({6}) Mit der Liberalisierung der Strommärkte haben wir unter der Federführung von Günter Rexrodt endlich einen Durchbruch in Deutschland erreicht. Jetzt fängt der Wettbewerb auf dem Energiesektor an; jetzt spüren die Verbraucher ähnlich wie bei der Liberalisierung des Telefonmarktes - Sie waren auch gegen diese Liberalisierung, weil Sie das Monopol der durch die Gewerkschaft bestimmten Betriebe nicht abschaffen wollten -, was Wettbewerb bedeutet, nämlich daß der Kunde König ist und nicht die Gewerkschaft der Stadtwerke und deren Direktoren, die meistens einer Couleur sind. ({7}) Da fällt Ihnen gleich ein Weg ein, wie man den Menschen durch die Ökosteuer die Vorteile aus der Senkung der Stromkosten wieder wegnimmt. Stromkosten stellen ja eine hohe Vorbelastung dar. Den Kleinabnehmer kostet eine Kilowattstunde im Schnitt 35 Pfennig. Große Konzerne zahlen 8, 9, 10 bzw. 11 Pfennig pro Kilowattstunde. Die Kleinen zahlen also das Dreifache. Deshalb ist die Politik des Wettbewerbs, die der Liberalisierung, eine Politik für die kleinen, für die tüchtigen Menschen, also kein Kotau vor großen Konzernen, sondern eine konsequente Mittelstandspolitik. ({8}) Wen wollen Sie vor dem Wettbewerb schützen? Haben Sie doch einmal Mut zum Markt! Es fängt gerade erst an. Die hohen Strompreise sind doch ein Standortnachteil. Viele Arbeitslose stehen deshalb auf der Straße, weil die Strompreise in Deutschland, verglichen mit unseren Wettbewerbern in den Nachbarländern, zu hoch sind. Die Arbeitslosen bekommen nur dann eine Chance, wenn wir hier vergleichbare Konditionen haben. Deshalb muß die Liberalisierung konsequent fortgesetzt werden. ({9}) Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Und Ihr Vorgehen ist falsch. Sie erreichen keinen Fortschritt, wenn Sie im Strombereich eine Regulierungsbehörde, eine Ökoquote oder sogar vielleicht noch eine Frauenquote vorsehen. Das ist doch alles Quatsch hoch drei. Sie müssen durch vernünftige Leistungen ein vernünftiges Preisbild ermöglichen, damit wir hier Fortschritte erreichen. Deshalb sollte man bei der Liberalisierung bleiben. Jetzt entsteht endlich einmal ein gewisser Strommarkt. Statt ihn zu bewahren, überlegen Sie gleich wieder, wie Sie davon wegkommen. Ich möchte zum Schluß Ihren Wirtschaftsbericht in einem weiteren Satz zitieren. Sie schreiben dort, Sie wollten eine transparente, in sich konsistente wirtschaftspolitische Konzeption mit klaren Zielen und Maßnahmen, die Vertrauen und Rückhalt in Wirtschaft und Gesellschaft finden und die Eigeninitiative der Wirtschaft stärken. So weit der Text der Werbebroschüre des Herrn Müller. Die Realität ist völlig anders. Tun Sie doch endlich das, was Sie schreiben! Dann wird es besser. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Rolf Kutzmutz von der PDS-Fraktion das Wort.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Anmerkungen zu Beginn. Erstens. Wirtschaftsminister, so scheint es, neigen zu Formulierungen, die ihnen wohl ewig hinterherschleichen werden. Erst kommt Herr Rexrodt mit seiner Formulierung „Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt“, und nun kommt Herr Müller und sagt: „Ich lasse mir für die Belange der Wirtschaft den Kopf blutig schlagen.“ Die Differenzierung ist schon wichtig: „für die Wirtschaft“ und nicht „von der Wirtschaft“. ({0}) Herr Müller, meine Freude darüber, Sie hier so unversehrt zu sehen, ist aufrichtig. Zweitens. Während der Haushalt des Jahres 1999 in vielen Punkten den Vorstellungen der Herren Waigel und Rexrodt entsprach, wurde der Entwurf für das Jahr 2000 allenthalben als echter Ausweis für rotgrüne Politik und damit als Nagelprobe für deren wirtschaftspolitische Vorstellungen gewertet. Schon der Blick auf die Eckwerte zeigt zweierlei: Die kritisierte Entwicklung des in den vergangenen Jahren erfolgten Abbaus der Wirtschaftsförderung wird fortgesetzt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erscheint - Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen - wie die Finanzabteilung einer „Deutschen Steinkohle AG“. Schließlich sollen fast 8,2 des auf knapp 15 Milliarden DM geschrumpften Etats der Subventionierung des Steinkohleabsatzes und der von Zechenstillegungen dienen. Ich will deutlich sagen: Es ist das Verhältnis der Größen im Haushalt, das störend wirkt. Herr Müller hat selbst angeführt, daß die gesamte Einsparung, die er erbringen muß, praktisch in den anderen Bereich geht. Das zeigt: In der Durchführung des Haushalts wird es noch große Probleme geben. Wohlgemerkt, auch wir wenden uns keineswegs gegen die Hilfen für die Umstrukturierungsprozesse im Steinkohlebergbau. Wir Sozialisten plädieren aus regionalpolitischen wie auch aus volkswirtschaftlichen Gründen sogar für den Erhalt von Zechen, so wie wir seit Jahren für eine behutsame Umstrukturierung der ostdeutschen Braunkohlereviere kämpfen. ({1}) Aber nicht nur wir sollten uns fragen, wieso die Kohlebosse plötzlich auf eine halbe Milliarde DM freiwillig verzichten wollen - „substantielle Minderansprüche“ heißt das -, zumindest für das Jahr 2000, und das angesichts der erbitterten Preiskämpfe auf den Strommärkten. Wir werden die Regierung in den Ausschußberatungen sehr nachdrücklich fragen, wieso sie 406 Millionen DM Zuschüsse zum Kapazitätsabbau ausschütten will, die im aktuellen Kohlevertrag von 1997 nicht vorgesehen waren. Das ist auch wieder ein Punkt: Sie waren halt nicht vorgesehen. Zur Vertragstreue gehört nicht nur, über die Höhe der Summen zu reden, sondern es gehört dazu ebenfalls, über die Verwendung der Gelder zu sprechen. Auch darüber muß man Kontrolle ausüben. ({2}) Dies nur als Gegenbeispiel gegen die angebliche Alternativlosigkeit der vorgelegten Sparpapiere. Die darin offenbarten politischen Gestaltungsspielräume sind tatsächlich bisher gleich null. Wenn der Kanzler und sein Spitzenpersonal aus Regierung und Koalitionsparteien pausenlos mit der Losung „Es gibt keine Alternative“ durch die Lande ziehen, dann sage ich Ihnen aus eigener bitterer Erfahrung: Diese Losung kenne ich; ich kenne sie aus der DDR. Ich habe sogar lange an sie geglaubt. Ich will nur sagen: Spätestens vor zehn Jahren ist der Beweis erbracht worden, daß es durchaus Alternativen zu dem gibt, was Obrigkeiten festlegen. ({3}) Wir werden auch diesmal Alternativen sehen. Auch Sie, Herr Bundesminister Müller, dachten vor Monaten ja noch an andere Wege. Es handelte sich nicht um Größenordnungen, die denen der Wende vergleichbar wären. Sie haben zum Beispiel die Idee des „Zukunftspfennigs“ in die Diskussion gebracht. Was ist aus dieser Idee geworden? Gibt es sie noch? Wird sie jemals wieder aufleben? Wie werden wir damit umgehen? Nicht nur die erneuerbaren Energien hätten so etwas nötig. Denn das jetzt vorliegende Sparprogramm schlägt in der Wirtschafts- und Technologieförderung voll durch. Es hat also mit Zukunft überhaupt nichts zu tun. Die Kürzungen gegenüber dem laufenden Jahr liegen in den politisch wichtigsten Feldern noch über dem Durchschnitt der Kürzungen des Gesamtetats. Sehen Sie, Herr Minister: Ende Juli loben Sie in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht 1999 noch die - ich zitiere - verbesserte Förderpolitik für den innovativen Mittelstand. Zur selben Zeit gehen bei den wichtigsten Förderprogrammen per Haushaltssperre die Rolläden herunter. Wenn man etwas zu den Folgen erfahren will, braucht man sich nur die aktuelle Ausgabe der Infos der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen anzusehen: Rotstift lähmt Innovationsförderung Haushaltssperre von 12 Prozent erzwingt Förderstop. Im nächsten Jahr geht es so weiter: Der Planansatz der Mittel für Forschung und Entwicklung sowie für Innovationsanwendungen, insbesondere in kleineren Unternehmen und im Osten - um beim genannten konkreten Beispiel zu bleiben -, schrumpft um 9,5 Prozent. Das trifft nicht nur, aber gerade auch die wirtschaftliche Gesundung der neuen Länder. Der Sprecher der ostdeutschen SPD-Abgeordneten, Kollege Mathias Schubert, ließ gestern in seiner und meiner Heimatzeitung mitteilen, der Aufbau Ost müsse nicht nur Chef-, sondern Herzenssache sein. ({4}) Solche Kritik am Kanzler ist berechtigt, aber folgenlos, solange nur am Personalkarussell gedreht werden soll. Es ist ja interessant und manchmal auch amüsant zu lesen, was in den letzten Tagen über Personen so geschrieben wird. Frau Hildebrandt spricht zweifellos die Herzen mehr an als Herr Schwanitz, aber auch ein engagierterer Verkauf verbessert das Produkt noch lange nicht. ({5}) Hier muß sich etwas ändern, und zwar grundlegend. Natürlich wird die PDS in den Haushaltsberatungen Änderungen beantragen, damit mehr Mittel in den ökologischen Umbau und zur Stabilisierung von Kleinunternehmen und Existenzgründern fließen können. Also soll es sowohl auf der Einnahmeseite als auch bei den Kosten Einsparungen geben. Klar ist aber ebenso: Ohne grundlegenden Umbau der gesamten Förderkulisse bleiben alle Aktivitäten kurzatmig, stehen wir nächstes Jahr wieder vor denselben Problemen. Deshalb wird unsere Fraktion noch in diesem Jahr einen Antrag zur grundlegenden Reform der Wirtschaftsförderung in das Parlament einbringen - übrigens Vorschläge, die von den Wirtschaftspolitikern von SPD und Grünen in der vergangenen Wahlperiode im Fachausschuß nicht abgelehnt wurden. Vielleicht erinnern sich die heutigen Koalitionsparteien mancher ihrer eigenen früheren Ideen für eine neue Wirtschafts- und vor allem neue Steuerpolitik. Wir sollten gemeinsam alles dafür tun, die Debatte, die jetzt geführt wird, vom Kopf auf die Füße zu stellen. Hinsichtlich einer zukunftsorientierten Politik auch im Wirtschaftsbereich muß doch gefragt werden: Erstens. Was braucht die Gesellschaft? Zweitens. Wie kommt man zu den erforderlichen Mitteln für das als notwendig Erkannte? Die Frage kann nicht weiterhin lauten: Wie kann der Staat um jeden Preis sparen? Solange Sie von der Koalition weiter dieser Unlogik des Neoliberalismus folgen, so lange werden Sie und über eine wegbrechende Wahlbeteiligung die Demokratie mit jedem Wahlsonntag einen höheren Preis zahlen. Denn etwas Überflüssigeres als eine schwarze SPD und gelbe Grüne kann auf dem Stimmzettel kaum erscheinen. Echte Alternativen und nicht radikal durchgezogene Plagiate schon gescheiterter Konzepte sind gefragt, und die vermisse ich hier. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Ernst Schwanhold von der SPD-Fraktion das Wort.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will auf Herrn Brüderle eingehen, der hier eine Rede wie im Festzelt gehalten hat, die einige Brüche aufwies, die man darstellen muß. Er wirft uns quasi vor, daß 8 Milliarden DM viel Geld seien und daß man damit viel anderes hätte tun können. Was meinen Sie, Herr Brüderle, was wir mit den 82 Milliarden Zinsen tun könnten, von denen Sie jedenfalls gute Teile verursacht haben? ({0}) Was meinen Sie, was man mit den 1,5 Billionen DM machen könnte, die wir jetzt als Schulden zu tilgen haben? Davon leben nur Couponschneider und nicht diejenigen, die in Arbeitsplätze investieren; ausschließlich Couponschneider. ({1}) Ich will Ihnen einen zweiten Punkt nennen: Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen: Wollen Sie den Abbau von Subventionen, oder wollen Sie ihn nicht? Nun kann man sagen, da sind wir noch nicht weit genug gekommen; sich aber 3 Minuten später hierherzustellen und Subvention eins, zwei, drei, vier, fünf für Ihre Klientelpolitik, die Sie betreiben, zu fordern, ist ein Bruch in der Rede. Da müssen Sie sich entscheiden. ({2}) Das ist bei Ihrer Politik durchgängig so. Sie wissen nicht, was Sie wollen, sondern Sie sind nach allen Seiten hin offen. Deshalb - hören Sie sich das gut an - hat Ihnen mal gerade 1 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Thüringen ihre Zustimmung gegeben. Das ist die Antwort auf Ihre Art, hier Demagogie zu betreiben. ({3}) Einerseits Steuerschlupflöcher zu schließen und andererseits Steuern zu senken, damit der Faktor Arbeit entlastet wird und die Unternehmen zur Kapitalbildung kommen und investieren können, das ist genau der richtige Weg. Aber selbst dazu haben Sie sich nicht bekannt. Wo sollen denn die Steuerschlupflöcher geschlossen werden? Sie wollen dann immer wieder noch so tun, als ob Sie einerseits diese Botschaft überbringen könnten, aber anderseits müsse man hier oder da das, was man getan hat, völlig ungerechtfertigterweise wieder zurücknehmen. Auch hier müssen Sie sich entscheiden. Entweder wird es niedrige Steuersätze geben, damit Gewinne in den Unternehmen bleiben, damit investiert werden kann und damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Entlastung erfahren, oder wir tun das, was Frau Hasselfeldt und Sie sagen: Wir öffnen die Steuerschlupflöcher wieder. Dann machen Sie das, was Sie in der Vergangenheit immer gemacht haben: Klientelpolitik, nichts als Klientelpolitik. Sie sind völlig zu Recht ausschließlich die Klientelpartei. ({4}) Dann führen Sie am Ende hier das ordnungspolitische Credo wieder ein, das Sie sonntags in Ihren Reden immer verwenden. Ich glaube, daß die Politik der Vielzahl der früheren F.D.P.-Minister, die erstens auf ihre Weise dazu bei getragen haben, daß das Wirtschaftsministerium in der Vergangenheit völlig zu Recht ein schlechtes Ansehen hatte, die zweitens eine Wirtschaftspolitik zu verantworten haben, die 4,5 oder gar 4,8 Millionen Arbeitslose in der Spitzenzeit bewirkte, dazu nicht paßt und daß Sie sich endlich zu Ihrer Verantwortung aus der Vergangenheit bekennen müssen. ({5}) Sie müssen sich zu dieser Verantwortung bekennen, und wir werden Sie auch nicht aus dieser Verantwortung entlassen. ({6}) Mit den jetzt eingeleiteten Maßnahmen, nämlich Senkung der Lohnnebenkosten, Senkung der Unternehmensteuern, Senkung der Steuern für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, genau mit diesen Maßnahmen wird jene Wende eingeleitet, die dazu führen wird, daß wir in kurzer Zeit die Dividende unserer strukturpolitischen Anpassungsmaßnahmen kassieren können. Genau dies haben uns die wirtschaftswissenschaftlichen Institute und internationale Organisationen bescheinigt. Sie sagen, daß das Wachstum in der zweiten Hälfte dieses Jahres beschleunigt wird. Sie sagen uns ein Wachstum für das kommende Jahr voraus, bei dem auf Grund der Maßnahmen, die wir eingeleitet haben, die Bundesrepublik Deutschland in Europa zur Wachstumslokomotive wird. Das haben wir nötig, um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen und die Arbeitslosigkeit abzubauen. Es wird uns bescheinigt, daß dies genau der richtige Weg ist. Da können Sie noch so laut schreien: Sie werden uns ihn nicht kaputtreden. ({7}) Die Erholung der Konjunktur und das Wachstum, das sich daraus ergibt, werden - dessen bin ich mir auf Grund des Haushaltsplans, den wir vorgelegt haben, sicher - dazu führen, daß die Stärken, in denen es zu zusätzlicher Beschäftigung und Wirtschaftswachstum kommen wird, auch dotiert sind. Ich will diese Stärken der deutschen Volkswirtschaft nennen: Angesichts der notwendigen Kürzungen ist es eine große Leistung, die Zukunftsperspektiven der Luft- und Raumfahrt in diesem Haushalt ausdrücklich zu dotieren und sie als Zukunftsbranche zu erkennen, weiterzuentwickeln und gegen Kürzungsbegehren aus anderen Bereichen zu schützen. Es ist natürlich eine große Leistung, unterhalb der üblichen Kürzungen den Bereich der kleinen und mittelständischen Wirtschaft weiterhin anständig zu dotieren, so daß im Bereich des Mittelstandes zusätzliche Existenzgründungen zustande kommen, daß dort etwas aufgebaut wird und Handwerker am Markt operieren können. ({8}) - Sie müssen sich das einfach einmal anhören. Sie setzen sich ja noch nicht einmal mit den Zahlen auseinander. Es war kein Wort von Ihnen dazu zu hören, daß Sie den Leuten in den letzten Jahren so in die Taschen gegriffen haben, daß es in den letzten drei Jahren keine Mark Umsatzplus im Handel gegeben hat, daß es aber durch die Maßnahmen, die diese Bundesregierung eingeleitet hat, endlich wieder zu Steigerungen im Handel gekommen ist. ({9}) - Natürlich gibt es Steigerungsraten im Handel. Sie schwätzen immer nur über Ladenöffnungszeiten, ({10}) aber nicht darüber, daß die Leute auch Geld im Portemonnaie brauchen, um einkaufen gehen zu können. Der Internationale Währungsfonds hat gute Noten vergeben. Er sagt ebenso wie die Deutsche Bank ein Wirtschaftswachstum - ich will das betonen - von bis zu 3 Prozent voraus. Herr Merz hat sich wohltuend von Ihrer polemischen Schreierei abgesetzt. Er hat eine zentrale Frage gestellt: Warum gelingt es in der Bundesrepublik Deutschland bei gleichen Rationalisierungspotentialen, wie sie andere Länder haben, nicht, mit einem Wachstum von 1 oder 1,5 Prozent zusätzliche Beschäftigung aufzubauen? - Das hängt mit der unterentwickelten Situation auf dem ersten Arbeitsmarkt, den personengebundenen Dienstleistungen, zusammen. Das ist ein Bereich, über den wir streiten können. Wir können darüber streiten, wie wir diesen integrieren können, damit wir bei den Wirtschaftswachstumsraten, die wir in der Zukunft haben werden, einen Aufbau von zusätzlichen Arbeitsplätzen erzielen können. Darüber zu streiten lohnt sich. Man kann aber nicht in Festzelt- oder Bierzeltmanier eine populistische Rede halten, die einem niemand mehr abnimmt. Da bin ich sehr bei Ihnen, Herr Merz. ({11}) Hier ist es international gesehen um uns eher schlecht bestellt. Das darf man nicht durch Billiglohnjobs oder dadurch kaputtreden, daß man erklärt, es ergäben sich keine solchen Chancen wie in anderen hochtechnologischen und hochtechnisierten Bereichen. Es ist sinnvoll, einen Teil des Geldes durch eigener Hände Arbeit zu verdienen und eine zusätzliche Unterstützung zu erhalten. ({12}) - Das ist eine Diskussion, die jetzt angestoßen wird. Genau diese Diskussion wird uns in den nächsten Wochen und Monaten begleiten, und es wird nicht ganz leicht werden, sie zum Erfolg zu führen. Ich bin aber sicher, daß uns die Menschen folgen werden, wenn wir diese Diskussion vorsichtig und zielgerichtet angehen. ({13}) Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, von dem ich glaube, daß wir bei ihm große Fortschritte erzielen werden. Die Senkung der Unternehmensteuern auf etwas mehr als 35 Prozent und das Optionsmodell sind kein in sich schlüssiges Modell, um zu einem einfachen Steuersystem zu kommen. Das ist sehr wohl wahr. Wer sich hier hinstellt und - Herr Uldall hat plötzlich neue Steuersätze entdeckt - angesichts der Zinsrisiken und der Haushaltslücke, die vorhanden sind, so tut, als ob man weitergehen könne, der baut ein zweites Mal einen Erwartungshorizont in der Öffentlichkeit auf, von dem jeder weiß, daß er nicht einzuhalten ist. Wir können die Wählerinnen und Wähler und die Unternehmen nicht täuschen und in eine falsche Richtung jagen. Deshalb ist es besser zu sagen, wir nehmen 35 Prozent und wählen die Optionsmöglichkeit, damit die Unternehmer, auch die Mittelständler, davon einen Vorteil haben. Wir können nicht so tun, als ob man in der nächsten Zukunft mehr erreichen könnte. Was die Menschen brauchen, ist Verläßlichkeit. ({14}) Sie sehnen sich nach der Verläßlichkeit, auf die sie in Ihrer Regierungszeit nicht bauen konnten. Darum ging es doch immer in den Klagen. ({15}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zu einer Frage machen, die eine große Rolle gespielt hat. Das ist die Frage der zukünftigen Energiepolitik und des Wettbewerbs auf allen Ebenen der Energiemärkte. Sie haben erhebliche Monopolstrukturen aufgebaut, die nicht dazu geführt haben, daß die Verbraucherinnen und Verbraucher auf allen Ebenen zu einer kostengünstigen Versorgung gekommen sind. Daraus haben sich ganz bestimmte Strukturen ergeben, für die auch wir Verantwortung tragen. Niemand sollte sich leichtfertig hier herstellen und das, was sich dort entwickelt hat, beiseite schieben. Wir haben eine besondere Vorsorge für die Investitionen im Bereich der Braunkohle und der Kraft-Wärme-Koppelung zu treffen. Wir haben auch eine Vorsorge für die Stadtwerke zu treffen und zu berücksichtigen, was mit den Stadtwerken und mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern passiert. Die Diskussion darüber wird uns etwas länger beschäftigen. ({16}) Übrigens sollten Sie sich nicht zu früh darüber freuen. Wir werden zu einem Ergebnis kommen, welches die Koalition am Ende auch gemeinsam tragen wird, selbst wenn die eine oder andere öffentliche Erklärung dafür nicht immer hilfreich ist. Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören. ({17})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Hermann Otto Solms, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schwanhold, Ihre empfindliche Reaktion zeigt, daß Sie sich getroffen fühlen. ({0}) Ich möchte nur zu drei Punkten etwas sagen, denn Ihre Erwiderung auf Herrn Brüderle war völlig unsachgemäß. Erstens: Steuersubventionen. Sie haben gesagt, wir hätten nicht den Mut, Steuersubventionen zu beseitigen. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Erstens haben wir bei der Steuerreform 1990 bereits Steuersubventionen in einem Umfang von rund 40 Milliarden DM beseitigt. Zweitens haben wir mit den Petersberger Beschlüssen gerade die Beschlüsse für eine vernünftige Gesetzgebung gefaßt: radikale Beseitigung der Steuerausnahmen und Senkung der Tarife. Sie haben genau das verhindert, und jetzt rühmen Sie sich als diejenigen, die die Steuersubventionen abbauen wollen. ({1}) Zweitens: Ordnungspolitik. Der abgedroschene Begriff der Klientelpartei - wie Sie uns immer bezeichnen - ist völlig verfehlt. Gerade die Energierechtsreform, über die hier diskutiert worden ist, zeigt doch, daß eine liberale Ordnungspolitik zugunsten der Verbraucher erfolgreich ist. ({2}) Sie sind jetzt wieder auf dem Weg, das zu konterkarieren und den kommunalen Energieversorgern nachzugeben. Drittens: Mittelstand. Das ist ganz besonders wichtig. Ich finde es besonders lobenswert, daß Herr Brüderle die Probleme des Mittelstandes angesprochen hat. Was Sie in der Unternehmensteuerreform planen, ist das Mittelstandsfeindlichste, was ich hier in den letzten 20 Jahren erlebt habe. Sie gehen einfach über die Interessen des Mittelstandes hinweg und senken die Steuersätze allein für die Kapitalgesellschaften, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, wie dies die Gesamtwirtschaft und dann auch die Arbeitnehmer trifft, die Sie mit Ihren Vorschlägen diskriminieren. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Herr Kollege Schwanhold, bitte.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Solms, ich will auf zwei Punkte eingehen, zu denen Sie gesagt haben, daß sich daran die sozialdemokratische bzw. die Politik dieser Bundesregierung nicht messen ließe: Erstens. Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in Verbindung mit der Steuerreform 1999, 2000 und 2002 hat zu einer Entlastung geführt, die durch den durchgängigen Tarif beim Eingangssteuersatz am Ende 6 Prozent ausmachen und ausdrücklich auch allen Personengesellschaften und damit allen Unternehmern zugute kommen wird. Dies ist eine Steuerentlastung, die nicht zu unterschätzen ist. Zweitens. Wir haben - mit einer Wirksamkeit, die vielleicht noch besser hätte sein können - den kinderreichen Familien durch ein Familienentlastungsgesetz Geld in die Hand gegeben, damit sie am Konsum teilhaben können. Dies kommt im besonderen Maße dem Handel zugute. Drittens. Wir haben mit der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage eine Gegenfinanzierung vorgenommen. Ich kann mich sehr genau daran erinnern, wie Briefe dazu auch aus Ihrer Partei gekommen sind, etwa zur Teilwertabschreibung. All jene Maßnahmen, die wir vorgenommen haben, sind von uns am Ende gegen Ihren Widerstand durchgesetzt worden. ({0}) Die Teilwertabschreibung haben wir korrigiert; ich bleibe bei diesem Beispiel. Aber Sie haben auch jene Briefe geschrieben, die das weitere Öffnen der Steuerschlupflöcher möglich gemacht hätten. Ich will dazu nur den halben Steuersatz im Veräußerungsfall für den Handwerker einerseits und die Mitnahmeeffekte andererseits nennen, die Sie alle kennen. Sie müssen sich entscheiden, wo Sie eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage wollen. Jedenfalls ist hier ein Stück Veränderung der Steuerlandschaft herbeigeführt worden, die ein einfacheres Steuerrecht möglich macht, damit sich die Unternehmerinnen und Unternehmer nicht auf die Suche nach Steuerschlupflöchern begeben müssen, sondern sich endlich wieder um ihr Unternehmen, um Aufträge und um Beschäftigung kümmern können. Nächster Punkt: Mittelstand. Es gibt kaum eine Regierung, die so viel für den Mittelstand getan hat wie die jetzige. Wir haben den Technologietransfer im Handwerk im Haushalt 1999 dotiert. Das Inno-RegioProgramm für Ostdeutschland ist ein Programm, welches den kleinen und mittelständischen Unternehmen endlich die Chance gibt, sich durch Synergien zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zukünftige Märkte zu erobern. Ich will weitere Punkte aufzählen: Wir haben entgegen Ihren Vorstellungen das Meister-BAföG deutlich erhöht. Wir haben in anderen Bereichen Förderprogramme zusammengefaßt und haben insbesondere - das hat schon eine Rolle gespielt - für die zukünftige dezentrale Energieversorgung ein Programm aufgelegt, welches durch die erreichten Energieeinsparungen fast ausschließlich der mittelständischen Wirtschaft zugute kommen wird. Das dient dem Handwerk vor Ort und schafft zusätzliche Beschäftigung. All das sind Maßnahmen, auf die das Handwerk und die mittelständische Wirtschaft bei Ihnen vergeblich gewartet haben. Deshalb haben sie sich bei der letzten Wahl von Ihnen abgewandt. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Max Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der Ausführungen von Herrn Schwanhold, in denen er uns dargelegt hat, daß es angeblich mehr Geld für das Meister-BAföG gibt, muß ich klar feststellen, daß er den Haushaltsentwurf nicht gelesen hat, da für diesen Bereich nämlich weniger Geld veranschlagt wird. ({0}) Verehrte Damen und Herren, auch wenn in den Schlagzeilen der Wirtschaftspresse festgestellt wird, daß die Konjunktur angeblich wieder besser läuft und daß anscheinend mit einem Aufschwung im nächsten oder im übernächsten Jahr zu rechnen ist, glaube ich dennoch, daß wir nach einem Jahr rotgrüner Wirtschaftspolitik feststellen müssen: Es besteht in unserem Land ein Stillstand in wirtschaftspolitischer Hinsicht. ({1}) Trotz der viel propagierten Nachfragepolitik, von der ja in der Vergangenheit immer großartig behauptet wurde, daß sie mehr Arbeitsplätze bringe, steht mittlerweile fest, daß das Wirtschaftswachstum in Deutschland im ersten Halbjahr nur 0,8 Prozent beträgt. Damit steht Deutschland zusammen mit Italien an letzter Stelle innerhalb der EU. Dies zeigt deutlich, daß in den vergangenen Monaten eine verfehlte Politik betrieben wurde. ({2}) Wenn vielfach dargestellt wird, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angeblich mehr Geld hätten diese Aussage war heute mehreren Beiträgen zu entnehmen -, so habe ich doch den Eindruck, daß all diejenigen, die dies heute festgestellt haben, den Geldbeutel eines Schotten haben müssen, der ja bekanntlich nur alle drei Wochen geöffnet wird. In diesem Fall kann man nämlich nicht mehr erkennen, ob mehr oder weniger Geld im Geldbeutel enthalten ist. ({3}) Nach einem Jahr rotgrüner Regierungspolitik ist festzustellen: Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist nicht vorangekommen - im Gegenteil. Nach der bekannten Schröder-Uhr ist die Zahl der Arbeitslosen sogar um 58 350 gestiegen. Die Zahl der Erwerbstätigen ist um über 300 000 zurückgegangen. Dies ist die Wahrheit über die rotgrüne Regierungspolitik. ({4}) Auch die Investitionsfreudigkeit der Unternehmen wurde mit dieser Politik natürlich gehemmt. Mit der Einführung der Ökosteuer und der Einführung vieler anderer Maßnahmen, die zu größeren steuerlichen Belastungen der Betriebe führten, wurde die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe wesentlich verschlechtert. Wer soll also überhaupt noch großes Zutrauen in diese Politik haben? Diese Situation wäre vermeidbar gewesen, wenn in der Vergangenheit der frühere Bundesfinanzminister Lafontaine, aber auch der heutige Bundesfinanzminister Eichel, der nun den großen Sparkommissar spielt, für sinnvolles Sparen, wie es unter der Regierung von CDU/CSU und F.D.P. der Fall war, eingetreten wären. Sie, verehrte Damen und Herren von der Koalition, haben gerade die Kürzung der Lohnfortzahlung ausgesetzt und damit zur Erhöhung der Lohnnebenkosten beigetragen. Sie, Herr Eichel, haben die Steuerreform, die wir in diesem Hohen Haus zweimal beschlossen haben, in Ihrer Funktion als hessischer Ministerpräsident und finanzpolitischer Sprecher der SPD im Bundesrat blokkiert. Wenn diese Steuerreform umgesetzt worden wäre, dann hätten wir in unserem Land weniger Arbeitslose und mehr wirtschaftliche Tätigkeit. ({5}) Das wäre entscheidend für unser Land gewesen - nicht die politischen Gegebenheiten, die Sie bewogen haben, dem entgegenzutreten. Wenn man den Haushaltsentwurf der Bundesregierung näher betrachtet, stellt man fest, daß es noch weit schwieriger wird. Ich glaube, CDU/CSU und F.D.P. waren in der Vergangenheit für sinnvolles Sparen und sinnvolles Wirtschaften bekannt. ({6}) - Ja, Herr Schwanhold. Sparen nach Rasenmähermethode, wie es SPD und Grüne vorhaben, ist nicht dazu angetan, die wirtschaftlichen Kräfte zu stützen. ({7}) Das zeigt sich auch im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers sehr deutlich. Zunächst wird mittels einer globalen Minderausgabe in Höhe von 600 Millionen DM gestrichen. Keiner der Parlamentarier weiß, wo tatsächlich gespart werden soll. Ich bin der Meinung, daß wir ein Recht darauf haben, darüber rechtzeitig informiert zu werden. ({8}) Aber auch im laufenden Haushalt sind, Herr Bundeswirtschaftsminister, noch 300 Millionen DM für eine globale Minderausgabe zu erwirtschaften. Wir wären daran interessiert, wie dies passieren soll. Ich habe die Befürchtung, daß letztendlich an den Zukunftsinvestitionen gespart wird: bei der Förderung des Mittelstandes - dies wurde hier schon vielfach mit angesprochen -, bei Forschungsprogrammen, bei Innovationen, bei der Energieforschung. Anhand von praktischen Beispielen läßt sich dies belegen. Ich möchte - Herr Schwanhold hat es ebenfalls angesprochen - das Programm für die Luftfahrtforschung anführen. Die Bundesregierung unter Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel hat ein großartiges Luftfahrtforschungsprogramm mit einem Umfang von 1,2 Milliarden DM für vier Jahre aufgelegt und seriös finanziert: 50 Prozent der Bund, 50 Prozent die Industrie. ({9}) - Nein! - Jetzt ging es darum, dieses Luftfahrtforschungsprogramm weiterzuführen. In den Haushaltsberatungen des letzten Jahres hat die neue Bundesregierung großartig angekündigt, sie werde ebenfalls ein Luftfahrtforschungsprogramm in einer Größenordnung von 1,2 Milliarden DM auflegen. Aber bezahlen wollte sie es nicht. Bezahlen sollte es die Industrie - gut, das ist zu akzeptieren -, und die Bundesländer sollten in eine Kofinanzierung eintreten. Natürlich haben sich im Ergebnis alle Bundesländer geweigert, dies zu bezahlen. Unter dem Gesichtspunkt der Vergabe von forschungspolitischen Projekten ist es auch nicht richtig, daß die Bundesländer mit eingebunden sind. Denn wenn sie dazu Mittel beitragen, dann wollen sie auch etwas zu sagen haben. Man kann es den Bundesländern nicht zumuten, nur die Kosten zu übernehmen. Letztendlich ist jetzt der Fall eingetreten, daß im Jahr 1999 von dem großartig angekündigten Lufo-2-Programm bis heute, Mitte September, keine müde Mark ausgegeben wurde. Das ist Ergebnis rotgrüner Regierungskunst. ({10}) Die Mittel werden wohl schließlich dazu verwandt werden, die heurige globale Minderausgabe in Höhe von 300 Millionen DM zu erwirtschaften. Die Kollegin Hustedt hat angekündigt, die jetzige Bundesregierung werde 200 Millionen DM für die Einführung der erneuerbaren Energien ausgeben. Das ist gut und recht; wir freuen uns alle darüber. Aber zur ganzen Wahrheit gehört auch, daß die rotgrüne Bundesregierung im Entwurf des Haushaltsjahres 2000 im Vergleich zum Haushalt 1999 bei der Erforschung der rationelleren Energieanwendung und der erneuerbaren Energien mehr als 65 Millionen DM gestrichen hat. Meines Erachtens gehört auch das an dieser Stelle aufgeführt. ({11}) Zur Kohleförderung nur eins: Wenn die Ruhrkohle AG bereits freiwillig 500 Millionen DM anbietet, um sozusagen einen Beitrag für die Konsolidierung des Bundeshaushalts zu leisten, so bin ich durchaus der Meinung, daß man dann möglicherweise über eine Milliarde DM reden kann. Das ist altes wirtschaftliches Denken. Werte Damen und Herren, gerade für die Wirtschaft in unserem Land ist es wichtig, daß wir mehr Selbständige bekommen. Wenn sich der Bundesminister so großartig gerühmt hat, die Jugendarbeitslosigkeit wäre mit dem Programm bekämpft worden, so muß ich feststellen: In Bayern gibt es seit Jahren und Jahrzehnten immer mehr Lehrstellen und mehr Lehrstellenangebote als Lehrstellenbewerber. Warum ist das so? Weil wir eine höhere Selbständigenquote in Bayern haben ({12}) und deswegen mehr Lehrplätze angeboten werden können. Deshalb wäre es richtiger gewesen, verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, zwei Milliarden DM nicht in ein verpuffendes Programm, sondern in die Förderung von Mittelstand, Handwerk und Dienstleistungen zu geben. Ich bin der Meinung, dann wären in unserem Land die nötigen Lehrstellen entstanden. ({13}) Es sei mir gerade im Hinblick auf mehr Selbständigkeit in unserem Land, die Rotgrün mit der Gesetzgebung zur Bekämpfung der angeblichen Scheinselbständigkeit so verprellt hat, gestattet, festzuhalten, daß durch die Steuergesetzgebung im Bereich der Altersversorgung der Selbständigen - das ist nun einmal der Bereich der Kapitallebensversicherung - zukünftig eklatante steuerliche Benachteiligungen hingenommen werden sollen. Ich glaube, es lohnt sich, bei diesem Punkt einmal in die Statistik hineinzuschauen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Straubinger, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin noch in der Zeit, Frau Präsidentin.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Sie sind drüber.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Ist doch jetzt egal. - Entschuldigung. - Einen Schlußsatz noch: Ich glaube, es lohnt sich, über diesen Bereich nachzudenken. Gerade die Selbständigen haben den höchsten Anteil an Lebensversicherungen für ihre Alters- und Berufsunfähigkeitsabsicherung. Insbesondere für einen jungen Selbständigen ist das in der Gründungsphase, wo wenig Kapital vorhanden ist, die beste Möglichkeit, für den Berufsunfähigkeitsfall und für das Alter vorzusorgen. Deshalb kann diese Schlechterstellung

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Straubinger!

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- der Lebensversicherungen nicht hingenommen werden. - Wir werden die Beratungen, Herr Bundeswirtschaftsminister, mit zukunftsorientierten Vorschlägen aus der CDU/CSU bereichern. Besten Dank für die Aufmerksamkeit.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Straubinger, für Sie und auch für alle anderen Kolleginnen und Kollegen gelten dieselben Spielregeln wie in Bonn. Wenn am Rednerpult das Minus angezeigt wird, sind Sie weit über Ihrer Redezeit. ({0}) Für die Fraktion der SPD spricht jetzt der Kollege Dr. Ditmar Staffelt.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal macht mich außerordentlich stutzig, was für eine Debatte hier im Zusammenhang mit dem Sparkonzept der Bundesregierung geführt wird. ({0}) Während Sie es heftig kritisieren, höre ich aus Fachkreisen der Wirtschaft, ({1}) höre ich aus Instituten, höre ich von Herrn Walter von der Deutschen Bank, daß es für die deutsche Wirtschaft und ihre Entwicklung geradezu unerläßlich ist, daß dieses Sparprogramm durchgesetzt wird. ({2}) Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, worüber Sie reden. Mir ist sehr wohl eingängig, daß man über einzelne Frage diskutieren, sie auch kritisch beleuchten kann. Das ist auch Ihre Aufgabe, die Aufgabe der Opposition. Aber die Art, in der Sie das machen, nämlich mit einer wirklich substanzlosen Besserwisserei in jedem einzelnen Punkt, kann doch von der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nicht als redlich wahrgenommen werden, ({3}) die ist doch einfach unglaubwürdig. An dieser Stelle sage ich auch im Zusammenhang mit vielen Diskussionen, die ich geführt habe: Sie haben hier gerade über das Handwerk geredet. Ich muß Ihnen ganz offen gestehen, daß in den Gesprächen, die ich mit Vertretern aus der Politik über die Unternehmensteuerreform und über viele andere Schritte, die eingeleitet worden sind, geführt habe, deutlich wurde, daß Handwerk und Handel sowie die kleinen Selbständigen durchaus Hoffnungen haben. ({4}) Wenn ich mit den Präsidenten der Handwerkskammern und der Industrie- und Handelskammern über das heutige Thema rede, dann höre ich von der Fundamentalkritik, die Sie äußern, überhaupt nichts. Ich meine jedenfalls, daß Ihre Kritik keine Substanz hat. ({5}) Für uns - das sage ich Ihnen sehr deutlich - gilt der Grundsatz: Wir wollen keine neoliberale Politik verwirklichen, wie Sie sie hier dargestellt haben. ({6}) Ich glaube, daß sich die Erfolgsstory der Bundesrepublik Deutschland, Herr Möllemann, im wesentlichen auf soziale Marktwirtschaft gründet, das heißt, auch auf eine vernünftige Symmetrie zwischen der Reform der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Instrumente einerseits und der sozialen Verantwortung andererseits. An dieser Leitlinie - das haben uns die Erfahrungen aus der Erfolgsstory gelehrt - möchten wir festhalten. Wir möchten sie den Gegebenheiten entsprechend ausbauen. ({7}) Wir möchten das nachholen, was von Ihnen in vielen Bereichen nicht erledigt worden ist. Daß es objektiv einen Reformstau gibt, gehört heute zum Allgemeingut. Das weiß ja jedes Kind. Das pfeifen ja die Spatzen von den Dächern. ({8}) Ich bekenne mich in diesem Zusammenhang ganz ausdrücklich und sehr bewußt dazu, daß die bestehenden Verträge über die Förderung der Steinkohle eingehalten werden. ({9}) Ich muß daran erinnern, daß die vertraglichen Vereinbarungen über die Steinkohlenförderung nicht etwa einseitig von den Sozialdemokraten ausgehandelt worden sind. Soweit ich weiß, hat letztlich eine CDU/CSUF.D.P.-Bundesregierung die Verträge über diese Förderung unterschrieben. Lassen Sie mich auch sagen: Das Schlimmste, das in diesem Lande passieren kann, ist, daß wir die Menschen verunsichern, indem wir ihnen den Eindruck vermitteln, sie könnten sich auf das, was wir einmal verabredet und beschlossen haben, nicht mehr verlassen. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Staffelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Norbert Formanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000568, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Staffelt, haben Sie nicht auch wie ich den Eindruck gewonnen, daß dann, wenn die Regierungskoalition nicht gewechselt hätte, Herr Brüderle den Kohlekompromiß spätestens jetzt aufgekündigt hätte?

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, es hörte sich jedenfalls so an. Ich bin ohnehin etwas über Herrn Brüderle irritiert. So wie er die Großkonzerne angegangen hat, fürchte ich um das Spendenkonto der F.D.P. bei den nächsten Wahlkämpfen. ({0}) Wir müssen die jetzige Diskussion wieder auf eine vernünftige Grundlage zurückführen. Nach meiner Meinung sollten Sie einfach anerkennen, daß wir auf dem Weg sind, die Lohnnebenkosten zu senken und eine Unternehmensteuerreform anzugehen. Daran gibt es doch keinen Zweifel. Wir haben einen Haushalt vorgestellt, der natürlich Einschnitte mit sich bringt. Aber das ist aus meiner Sicht die Konsequenz aus dem, was Sie zu verantworten haben. Ich füge hinzu: Die Notwendigkeit einzusparen erhöht den Druck, den Erfolg der Förderprogramme zu kontrollieren. Ich denke an die Mittel, die im Wirtschaftsetat für diese Programme vorgesehen sind, zum Beispiel für die Mittelstandsförderung; jeder, der sich fachlich einmal damit beschäftigt hat, weiß, daß es da Programme von Bund und Ländern sowie Programme der Förderinstitute des Bundes und der Länder gibt. Die Mittel dürfen nicht einfach mit der Gießkanne ausgeschüttet werden. Niemand sollte glauben, daß ein Mehr immer auch qualitative Verbesserungen zur Folge hat. ({1}) Dies gilt natürlich auch für Innovationsbereiche. Dazu möchte ich ausdrücklich sagen: Innovationen und regenerative Energien sind zwei Bereiche, die im Vergleich zu Ihrer Regierungszeit deutlich besser abschneiden. Deshalb werden sie schon in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren zu entsprechenden Anschüben in der Wirtschaft führen. ({2}) Ich glaube, daß unsere Politik auf dem richtigen Wege ist, weil sie bisher eine Vielzahl von Reformschritten vollzogen hat. Weitere müssen folgen. Aus den allermeisten Diskussionen, die ich geführt habe, habe ich den Eindruck gewonnen, daß die von uns eingeschlagene Richtung für notwendig erkannt wird. Ich bin davon überzeugt, daß uns alle unsere Schritte - Herr Eichel hatte die entscheidenden fünf Punkte heute morgen deutlich gemacht - in den nächsten Monaten nicht nur eine Verbesserung des Wirtschaftswachstums, sondern auch einen weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit bringen werden. Sie sollten sehr vorsichtig sein, wenn Sie so wie der Kollege von der CSU auftreten. Er sprach von 2 Milliarden DM, die dem Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit entzogen werden sollten, und davon, daß diese Mittel besser dem Handwerk gegeben werden sollten. Aber das Handwerk ist, jedenfalls so wie ich es kenne, in aller Regel gar nicht darauf aus, staatliche Subventionen zu empfangen. Was das Handwerk braucht, sind Mittel für öffentliche Investitionen, an denen es sich über öffentliche Ausschreibungen beteiligen kann. Unser Sparkurs führt zu neuen Spielräumen für öffentliche Investitionen. Das ist die beste - übrigens marktwirtschaftlich fundamentierte - Politik, die man in dem Zusammenhang machen kann. ({3}) Die Art und Weise, wie Sie über unser Programm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit geredet haben, ist schlicht und einfach nicht mehr nachvollziehbar. Wir haben junge Menschen von der Straße geholt, und wir haben sie in Arbeit gebracht. Anerkennen Sie doch wenigstens einmal einen solchen Schritt! Es handelt sich doch objektiv um einen Erfolg, den man nicht wegreden kann. ({4}) Herr Brüderle, Ihr ehemaliger Parteivorsitzender, jetzt Ehrenvorsitzender Ihrer Partei, hat mit seinem Kommentar im Berliner „Tagesspiegel“ recht. Er hat gesagt: Aber das dürfen auch die Oppositionsparteien nicht außer Acht lassen. Es ist verlockend, die Schwierigkeiten auszunutzen, in die eine Regierung mit mutigen Reformschritten gerät. Aber es ist gefährlich, aus taktischen Gründen anders zu handeln, als man handeln würde und müsste, wenn man selbst Regierungsverantwortung tragen würde. ({5}) Das sollten Sie sich einmal hinter den Spiegel stecken. Wenn Sie das täten, dann würden wir hier eine wesentDr. Ditmar Staffelt lich sachlichere und uns auch wirklich voranbringende Diskussion führen können. Schönen Dank. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Staffelt, dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen möchte ich Ihnen sehr herzlich gratulieren, auch dazu, daß Ihre erste Rede so lebendig war. ({0}) Für die Fraktion der CDU/CSU hat jetzt der Kollege Dr. Bernd Protzner das Wort.

Dr. Bernd Protzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001756, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Staffelt, auch Sie werden wir an dem Maßstab messen, der die Auseinandersetzung im Wahlkampfjahr 1998 in unserem Land bestimmt hat. Damals hat der Bundeskanzler vollmundig erklärt, er lasse sich am Abbau der Arbeitslosigkeit messen. Diesen Maßstab werden wir auch an den Wirtschaftsminister anlegen; denn er hat ebenfalls in seinem Wirtschaftsbericht 1999 sehr klar formuliert, man wolle die Arbeitslosigkeit so schnell wie möglich abbauen. Ich werde deshalb die Arbeitslosenzahlen nennen: im März saisonbereinigt plus 1 000, im April plus 12 000, im Mai plus 13 000, im Juni plus 13 000 und im August plus 4 000. Das erste Jahr Ihrer Tätigkeit als Wirtschaftsminister, Herr Minister, war ein schlechtes Jahr für die Arbeitslosen. Es hat keinen Rückgang der Zahl der Arbeitslosen gegeben. ({0}) Wenn ich nach der ehrlichen Statistik gehe, die auch in den internen Diskussionen der nordrhein-westfälischen Regierung angewandt wird, nämlich nach der Zahl der Erwerbstätigen, dann sieht es noch schlechter aus: 367 000 Vollzeitarbeitsplätze sind weggefallen. Das war also ein verlorenes erstes Jahr, und ich fürchte, Herr Minister Müller, daß uns ein verlorenes zweites Jahr Ihrer Tätigkeit bevorsteht; denn das Wirtschaftswachstum, für das Sie als Wirtschaftsminister verantwortlich sind - Herr Staffelt, im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft wollen wir Wachstum; „nicht die Division des Produkts“, hat Ludwig Erhard in seiner etwas altertümlichen Sprache formuliert, „sondern die Multiplikation des Produkts ist die Aufgabe der sozialen Marktwirtschaft“ -, betrug im Jahr 1998, also zu Zeiten der Regierung Kohl, noch 2,8 Prozent. Zu der Zeit hatten wir seit fünf Jahren erstmals wieder eine Zunahme der Erwerbstätigenzahl und entsprechend eine Abnahme der Arbeitslosenzahl. Im Jahre 1999, Herr Minister Müller, haben Sie bislang noch nicht einmal die Hälfte von diesen 2,8 Prozent zusammengebracht. In Ihrer Einbringungsrede haben Sie sehr nebulös von einem Datenkranz gesprochen, der für sich spreche, haben aber das Datum Wirtschaftswachstum wohlweislich nicht genannt. Ein Wachstum von 0,8 Prozent wäre wohl auch eher ein Trauerkranz. In diesem Zusammenhang sind Sie heute morgen sogar von Ihrem Ministerkollegen Eichel kritisiert worden. Er hat sehr klar gesagt, daß wir 2 Prozent Wachstum bräuchten, damit die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Sie haben dies nicht geschafft und müssen die Kritik Ihres Kollegen schon zur Kenntnis nehmen. ({1}) Ich frage mich allerdings, was Sie auf diese Kritik antworten. Sie haben die aktive Arbeitsmarktpolitik in den Mittelpunkt gestellt. Dann überlassen Sie Ihre Tätigkeit doch gleich dem Kollegen Riester und lösen Sie das Wirtschaftsministerium auf; denn für den zweiten Arbeitsmarkt ist Herr Riester zuständig. Allerdings sind sich mittlerweile alle Fachleute einig, daß wir vom zweiten Arbeitsmarkt keinen Erfolg für den ersten Arbeitsmarkt zu erwarten haben. Entscheidend ist der erste Arbeitsmarkt, und mit Ersatzarbeitsmärkten ist den Menschen nicht geholfen. ({2}) Herr Staffelt, da Sie eben so optimistisch waren, gehe ich davon aus, daß Sie auf die Demographie setzen, nämlich darauf, daß die Zahl der Arbeitslosen wegen der schwächeren Altersjahrgänge, die auf den Arbeitsmarkt drängen, in den nächsten Jahren automatisch um 300 000 pro Jahr zurückgehen wird. Das werden Sie als Erfolg verkaufen. Es ist aber kein echter Erfolg. ({3}) - Weil Sie dazwischenrufen, sage ich Ihnen ganz klar, daß auch 3,9, 3,8, 3,7 oder 3,6 Millionen Arbeitslose zu viele Arbeitslose sind. Jeder Arbeitslose ist zuviel. Wir stehen in der Bundesrepublik Deutschland vor der Aufgabe, die Arbeitslosenzahl drastisch zurückzuführen; ({4}) denn die Probleme unserer Staatsfinanzen und der Finanzen unserer Solidarversicherungen gehen auf die hohe Arbeitslosenzahl zurück, die Löcher in beide Haushalte reißt. Meine Damen und Herren, ich frage mich allerdings, was der Wirtschaftsminister für klare Rahmenbedingungen tut, beispielsweise für Klarheit und Stetigkeit in der Wirtschaftspolitik. Hier hat er seine Stimme gegen die Verunsicherung in der Wirtschaft nicht erhoben, als es um die Neuregelung des 630-Mark-Gesetzes ging, mit dem mindestens 500 000 Familien ein Zusatzverdienst weggenommen worden ist. Er hat auch nichts gegen das Gesetz zur Scheinselbständigkeit unternommen. Herr Müller, es ist doch ganz klar, daß bei dieser Ihrer Untätigkeit der Regierung die Wählerschaft davonläuft, insbesondere die Jungwähler, die davon besonders betroffen sind. Herr Minister, was haben Sie zum steuerlichen Rahmen beigetragen? Nicht nur Herr Struck sagt, daß die Steuersätze zu hoch sind, die Sie sich für die Zukunft vorstellen. Er spricht von einem Eingangssteuersatz von 15 Prozent. Heute morgen hat Herr Metzger von den Grünen in dieser Debatte ebenfalls gesagt, daß ein Eingangssteuersatz von 20 Prozent als Ziel für das Ende der Wahlperiode deutlich zu hoch sei. Wo haben Sie hier Ihre Stimme erhoben, Herr Müller? Wo haben Sie Ihre Stimme gegen die Erhöhung der sogenannten Ökosteuer erhoben: gegen die zusätzlichen 30 Pfennige beim Benzin - fünfmal 6 Pfennige -, gegen die Steuern auf Gas, Heizöl und Strom? Wo haben Sie Ihr Wort gegen die Planung hinsichtlich der Vermögensabgabe und der Vermögensteuer bzw. der Erbschaftsteuererhöhung für Einfamilienhausbesitzer erhoben, die gegenwärtig in der Koalition diskutiert wird? Wo hat Minister Müller etwas gegen Fehlentwicklungen in anderen Geschäftsbereichen gesagt? ({5}) Als Wirtschaftsminister hat er im Kabinett Verantwortung über seinen Bereich hinaus. Herr Staffelt, Sie haben darauf hingewiesen, daß die Handwerker Aufträge bräuchten. Ich entnehme aber Ihren Haushaltsplanungen, daß Sie die Investitionen kürzen: ({6}) von 58,2 Milliarden DM in 1999 auf 57,6 Milliarden DM in 2000 und rund 53 Milliarden DM im Jahr 2003. ({7}) Sie bauen weniger Autobahnen, Sie bauen weniger Bundesfernstraßen, Sie bauen die große ICE-Linie durch die Mitte Deutschlands, durch Thüringen, Bayern und Sachsen-Anhalt, nicht, und über den Transrapid, eine neue Technologie, haben Sie gar nichts gesagt. Außerdem fahren Sie die Investitionen im Bereich der Verteidigung, der Bundeswehr, zurück. Sie können schon in den Zeitungen lesen, daß das Arbeitsplatzauswirkungen auf Unternehmen hat. In diesem Zusammenhang fällt mir zu Ihrer Ministerkollegin Fischer ein: Hier wird mit Budgetierung im Gesundheitswesen ein wachstumsträchtiger Dienstleistungsbereich mit 4,1 Millionen Beschäftigten in ganz große Schwierigkeiten gestürzt. Hier hätten Sie Ihr Wort erheben müssen, Herr Minister Müller, hier hätten Sie etwas tun müssen; hier haben Sie versagt. ({8}) Wachstum fördern, Wachstumskräfte entfesseln, neuen Arbeitsplätzen den Weg bahnen, Arbeit für alle das ist Ihre Aufgabe und die Aufgabe Ihres Haushaltes. Allerdings ist Ihr Haushalt zur Hälfte rückwärtsgewandt, nämlich im Bereich der Kohlesubvention, wo die Arbeitsplätze von gestern aufrechterhalten und keine Arbeitsplätze für morgen geschaffen werden. ({9}) Ich kann mir durchaus vorstellen, daß mit den Unternehmen, mittlerweile auch mit dem Land Saarland und wahrscheinlich, Frau Skarpelis-Sperk, ab März nächsten Jahres auch mit dem Land Nordrhein-Westfalen besser darüber zu reden sein wird, wie man mit diesen 7 Milliarden DM bessere Zukunftsarbeitsplätze schaffen kann. ({10}) Mit der einen Hälfte Ihres Haushalts sind Sie rückwärts- und mit der anderen nicht vorwärtsgewandt. Wo nutzen Sie die Chance Osterweiterung der Europäischen Union? Sie kürzen die Mittel für die Außenhandelsinformation. Wo nutzen Sie die Chance der Selbständigkeit im Handwerk, Herr Staffelt? Sie bauen das MeisterBAföG nicht aus, so daß es immer weniger angenommen wird. Wo nutzen Sie die Chance Innovationen? Sie kürzen die Mittel für die Innovationskooperation. Wo nutzen Sie die Chance Regionalförderung? Auch hier bauen Sie ab. Darüber hinaus verunsichern Sie in der Ordnungspolitik. Weil es den Stadtwerken an Kunden mangelt, wollen Sie den Mangel verwalten, Kunden zuteilen, Wettbewerb und Markt einschränken. Industrieunternehmen wollen Sie ausnehmen, Herr Müller, aber den Kleingewerbetreibenden, den Handwerkern, dem Mittelstand und den Privatverbrauchern soll das Wahlrecht genommen werden. Nein, so kann es nicht gehen. Deswegen haben wir die Freigabe des Energiemarktes nicht betrieben. Sie betreiben eine Politik in die falsche Richtung. Sie sind am falschen Platz. Entlasten Sie die Arbeitnehmer netto, damit sich Arbeit lohnt. Kämpfen Sie für Arbeitnehmer und Betriebe, und zwar nicht nur in Reden und in Zeitungsbeiträgen, sondern auch in Ihrem Ministerium und in Ihrem Haushaltsansatz. Herzlichen Dank. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Brunhilde Irber, SPDFraktion.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daß es in München einen arbeitslosen Minister mehr gibt, ist natürlich schade, aber wir können nichts dafür. ({0}) Das haben Sie Herrn Sauter zu verdanken, Herr Protzner. Zu Ihrer Generalabrechnung, dazu, wie Sie uns rasiert haben, kann ich nur sagen: Hätten Sie es in den letzten 16 Jahren, in denen Sie an der Regierung waren, besser gemacht, dann bräuchten wir uns heute nicht über die Einschränkungen im Haushalt zu unterhalten. ({1}) Ich will mich aber jetzt einem Bereich zuwenden, der in dem Haushaltsjahr, über das wir reden, wirklich eine Erfolgsstory ist, und zwar einem Bereich, der bisher eher ein Schattendasein geführt hat: dem Tourismus. Dieser Wirtschaftszweig ist weltweit der wichtigste Devisenbringer. Mit einem Gesamtumsatz in Höhe von 958 Milliarden DM lag der internationale Tourismus 1998 an der Spitze aller Exportbranchen. Der Wirtschaftsfaktor Tourismus macht 8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus, also etwa 275 Milliarden DM. Damit gehört die Branche zu den großen Vier in Deutschland. Das aktuelle Jahr - darauf lege ich besonderen Wert ist für den Tourismus in Deutschland ein gutes Jahr. Die Gästezahlen sind in den ersten sechs Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 5,3 Prozent gestiegen. Die neuen Bundesländer können teilweise zweistellige prozentuale Zuwächse der Gästezahlen verbuchen. Das ist ein Ergebnis der guten Konjunkturpolitik dieser Bundesregierung. ({2}) Diese Situation wird sich noch weiter verbessern, denn das Kindergeld wurde angehoben, die Lohnnebenkosten gesenkt und die Steuerlast verringert. Die Leute haben also mehr Geld und können sich daher auch mehr leisten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brähmig?

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gleich, Herr Brähmig. Hiervon profitiert in besonderem Maße die Tourismuswirtschaft. Bei den Beherbergungsbetrieben sind in den ersten vier Monaten dieses Jahres die nominalen Umsätze um 2,2 Prozent gestiegen. Die Zahl der Übernachtungen im ersten Halbjahr 1999 ist, wie bereits gesagt, um 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Auch die Bettenauslastung ist im ersten Quartal 1999 um 1 Prozentpunkt gestiegen. Das Investitionsvolumen dieser Branche in der Bundesrepublik beträgt heuer 60 Milliarden Dollar. Bitte, Herr Brähmig.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Irber, wir sprechen ja heute über den Haushalt. Die Zahlen, die Sie vorgetragen haben, möchte ich in keiner Weise in Frage stellen. Die EU-Kommission hat die deutsche Beschäftigungspolitik kritisiert, indem sie feststellte, daß über 6 Millionen Jobs brachliegen, weil in Deutschland im Tourismus- und Dienstleistungsgewerbe nur 38,5 Prozent der Arbeitnehmer tätig sind, in anderen EU-Staaten dagegen bis zu 50 Prozent. ({0}) Auf diese Schieflage hat ja Kollege Schwanhold vorhin schon hingewiesen. ({1}) Nun eine Frage zum Haushalt: Sind Sie mit mir der Meinung, daß trotz der schwierigen Haushaltssituation die Titel „Förderung der Leistungssteigerung im Fremdenverkehrsgewerbe“, „Zuwendung an die Deutsche Zentrale für Tourismus e. V.“ und vor allem die Gemeinschaftsaufgabe Ost im Haushaltsjahr 2000 nicht gekürzt, sondern drastisch erhöht werden sollten, um mit einem Fünfjahresprogramm für Tourismus und Dienstleistungen eine nachhaltige Entwicklung für Beschäftigung und mehr Arbeitsplätze zu schaffen?

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Brähmig, ich komme im Laufe meiner Rede noch auf Ihre Fragen zu sprechen. ({0}) Dabei gebe ich Ihnen dann auch die entsprechenden Antworten. Das Reiseland Deutschland ist im Aufwind; die Zahl der Urlaubsreisen ist um 2,1 Prozentpunkte gestiegen. Damit ist der negative Trend, der seit 1995 angehalten hatte, gebrochen worden. Ein Schelm, wer meint, dies habe nichts mit dem Konjunkturprogramm dieser Bundesregierung zu tun. ({1}) - Das muß für alles herhalten, für schlechte und für gute Zeiten. Natürlich wurde die Branche von einzelnen Maßnahmen auch hart getroffen. Die Neuregelung bei den 630-Mark-Verträgen hat aber 2,5 Millionen neue Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig gemacht. ({2}) Dies zeigt, daß Handlungsbedarf gegeben war, insbesondere, wenn nach eigenen Angaben 40 Prozent in dieser Branche versicherungsfrei beschäftigt waren. Es ist also nicht so, daß Arbeit wegfällt und Arbeitslosigkeit entsteht. Vielmehr wird in einem nicht immer einfachen Umstrukturierungsprozeß die geforderte Arbeitsleistung in korrekte Arbeitsverhältnisse umgewandelt. Wir haben bei der Tourismuspolitik auch dank der Zahlen der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten das Problem jahrelang deutlich vor Augen gehabt. Ihnen aber hat der Gestaltungswille zur Lösung dieses Problems gefehlt. Das Sparziel, das mit dem jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf für das nächste Jahr erreicht werden soll, ist ehrgeizig. Alle Bereiche müssen ihren Beitrag leisten. Der Einschnitt, der bei der Finanzierung der Deutschen Zentrale für Tourismus vorgenommen werden muß, fällt aber nicht so tief aus, wie es seinerzeit Waigel in seiner mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen hatte. Sie, meine Damen und Herren, wollten die DZT-Mittel mittelfristig um 50 Prozent kürzen. Wer das Deutschland-Marketing auf die Hälfte reduzieren will, der will diesen Bereich im Grunde genommen sich selbst überlassen und sich langfristig aus der Verpflichtung der öffentlichen Hand zurückziehen. ({3}) Kommen Sie mir jetzt nicht damit, Herr Brähmig, der seinerzeitige Finanzminister hätte im Falle seiner Wiederwahl den gleichen Förderbetrag für die DZT eingesetzt! Wer kurz vor der Bundestagswahl noch schnell einen Haushaltsentwurf vorlegt, bei dem alle Fördertitel einen Schluckauf bekommen, der will letztendlich nur Wahlkampf betreiben. Zum Glück mußten Sie nicht beweisen, ob Sie den gleichen Förderbetrag eingestellt hätten. Noch etwas zu den Haushaltsansätzen: Unsere leicht abgesenkte Zuwendung an die DZT nach einer kräftigen Anhebung im laufenden Haushaltsjahr ist, Herr Kollege Buwitt, trotzdem noch höher als die tatsächlichen Ausgaben in Ihrer Regierungszeit. ({4}) Sie haben die Haushaltsansätze bei den Ist-Ausgaben nie erfüllt. Die DZT hat von Ihnen nie mehr als 36 Millionen DM bekommen. Wir werden Ihren Betrag noch um 3 Millionen DM übertreffen. Beim Wirtschaftsminister haben wir Tourismuspolitiker Verständnis für die Belange der Branche gefunden. Dafür möchte ich Ihnen, Herr Minister Müller, meinen Dank aussprechen. ({5}) Hier unterscheiden Sie sich sehr deutlich von Ihrem Vorgänger. Ich möchte zum Schluß noch auf eines hinweisen: Die Tourismuswirtschaft ist als größtes Segment im Dienstleistungsbereich ein Arbeitsplatzmotor. Gegenwärtig sind in dieser Branche 2,8 Millionen Menschen in Deutschland beschäftigt. Der Tourismus ist also in puncto Beschäftigung mit Abstand die größte Branche.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist vorüber.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Straubinger hat auch einen Nachschlag bekommen, der ist auch aus Bayern. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Solche Spielchen fange ich jetzt nicht an.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nirgends sonst werden so viele Arbeits- und Ausbildungsplätze angeboten. In diesem Bereich ist eine Steigerung um 9,3 Prozent zu konstatieren. Dies rechtfertigt die volle Aufmerksamkeit des Wirtschaftsministeriums, der Regierung und des Parlaments. Mit den Ansätzen zur Aus- und Weiterbildung

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich aufhören.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ja - und der Zuwendung an das deutsche Seminar für Fremdenverkehr liegen wir richtig. Meine Botschaft an die Opposition: Kommen Sie nicht mit Ihren Anträgen von 100 Millionen DM; denn das ist unrealistisch! Helfen Sie vielmehr in realistischer Weise mit, den Tourismusstandort, das Wachstum und die Beschäftigung in Deutschland zu befördern. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, zum Einzelplan 11. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Einbringung seines Haushalts hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester. Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 11, der Einzelplan des Arbeits- und Sozialministeriums, umfaßt ein Volumen von fast 170 Milliarden DM. Auch dieser Einzelplan ist wie alle anderen Einzelpläne unter dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierung zu sehen. Wir haben allerdings die Ausrichtung derart vorgenommen, daß Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik weiterhin Priorität haben. In anderen Leistungsbereichen nehmen wir Einschränkungen hin; darauf gehe ich noch ein. Ich möchte meine Rede unterteilen. Zuerst werde ich zur aktiven Arbeitsmarktpolitik kommen, dann zur Alterssicherung - denn parallel zur Haushaltssanierung werden wir eine Reform der Alterssicherung in Angriff nehmen - und dann zu den notwendigen Einschränkungen. Aktive Arbeitsmarktpolitik: Ich bin der Debatte sehr interessiert gefolgt und höre von der jetzigen Opposition, daß aktive Arbeitsmarktpolitik im zweiten Arbeitsmarkt entbehrlich sei und daß man die Mittel dafür besser in den ersten Arbeitsmarkt stecken solle. Nun ist bei der Politik der jetzigen Opposition festzustellen, daß wir beispielsweise 1993 und 1994 etwa 64 Milliarden DM bzw. 53 Milliarden DM an Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik hatten. Wir haben das mit unterstützt. Wir haben im letzten Jahr 43,5 Milliarden DM eingestellt. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns kann eigentlich nicht darin liegen, daß wir aktive Arbeitsmarktpolitik fördern und Sie nicht. Der Unterschied liegt woanders: Wir richten aktive Arbeitsmarktpolitik an den Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes und nicht an Entscheidungen im Wahlkampf oder an Maastricht-Kriterien aus. ({1}) Vor allem aber richten wir aktive Arbeitsmarktpolitik an den Zielgruppen aus, bei denen die Förderung am notwendigsten und eine Verfestigung von Arbeitslosigkeit am gravierendsten ist. Erster Schwerpunkt: Sonderprogramm zur Unterstützung arbeitsloser Jugendlicher. Als dieses Sonderprogramm entwickelt worden ist - das gestehe ich Ihnen -, bin ich auch in meinem Ministerium mit der Warnung konfrontiert worden, 100 000 Jugendliche in diesem schwierigen Bereich zu erreichen, das sei ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Wenn wir jetzt rund 180 000 jungen Menschen beim Eintritt in Ausbildung und Arbeit zusätzliche Chancen eröffnet haben, dann muß ich sagen: Allein das ist eine Sache, über die wir uns alle freuen müßten. ({2}) Deswegen haben wir gesagt: Bei allen notwendigen Sparmaßnahmen, dieses Programm muß verläßlich weiterbetrieben werden. Wir werden es natürlich in dem einen oder anderen Punkt korrigieren, wie es bei jedem anderen Programm auch geschieht. Aber diesen Schwerpunkt zu setzen ist vor dem Hintergrund der Erfahrung, die wir gemacht haben, dringend erforderlich. Zweiter Schwerpunkt. Ich freue mich, daß es uns zunehmend gelingt, Langzeitarbeitslosigkeit deutlich stärker als die allgemeine Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Auch das, denke ich, ist ein ganz entscheidender Schwerpunkt, den wir weiter verfolgen wollen. Nun zur Frage der Zahlen: Herr Austermann hat gesagt - ich habe es zum Teil amüsiert verfolgt -, er wolle zuerst einmal wissen, warum das Statistische Bundesamt keine neuen Zahlen mehr herausgebe. Ich sehe Herrn Austermann leider nicht. Vielleicht kann er das am Fernsehschirm mitverfolgen. Ich wollte ihn gern aufklären: Das Statistische Bundesamt stellt, und zwar aufgelegt von Eurostat, die gesamte Statistik um und ist seit Januar leider - ich bedauere es am meisten - nicht in der Lage, neue Zahlen über sozialversicherungs- und überhaupt über versicherungspflichtige Erwerbstätige auszuweisen. Ich bedauere das sehr. ({3}) - Ob wir da gut aussehen oder nicht, lieber Herr Kues, können wir erst sehen, wenn wir Fakten haben. Im Moment gibt es keine Fakten, sondern bestenfalls Spekulationen von Ihnen. ({4}) Eines aber kann ich ihnen sicher sagen: Was die Aussage Ihres Parteikollegen angeht, daß die Arbeitslosigkeit im letzten Jahr im Jahresdurchschnitt um 400 000 zurückgegangen sei, so will ich jetzt die Kritik von heute früh nicht erneut aufgreifen, nämlich daß hier gelogen wird. Aber da ich nicht annehme, daß er diese Zahl im Zustand der Bewußtlosigkeit genannt hat, hat er das Parlament bewußt falsch informiert. ({5}) Im letzten Jahr ist die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt um 105 000 zurückgegangen. ({6}) In diesem Jahr werden wir die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt voraussichtlich um zusätzlich 150 000 bis 200 000 reduzieren. ({7}) Davon kann man ausgehen. Das ist auch ein Ausweis für aktive Arbeitsmarktpolitik. Nun kommen wir zum nächsten Bereich, der in der Öffentlichkeit breit debattiert wird: dem Alterssicherungssystem. Um die Mär zu beenden, der Haushalt werde über Rentner konsolidiert, möchte ich zunächst einmal sagen: Es hat noch nie eine Phase gegeben, in der wir die Rentenversicherung in so hohem Maße aus Haushaltsmitteln unterstützt haben wie in den letzten beiden Jahren. Und das wird weitergehen. ({8}) - Herr Fuchtel, auf die Steuerfrage komme ich gern noch zu sprechen. In diesem Jahr wird die Rentenversicherung mit zusätzlich 16,5 Milliarden DM unterstützt. Das ist notwendig, um die versicherungsfremden Leistungen völlig aus der Rentenversicherung herausnehmen zu können. ({9}) Geredet haben Sie darüber jahrelang, getan haben Sie nichts. Das war eine Luftnummer! ({10}) Nun, Herr Fuchtel, komme ich auf den Bereich der Steuer zurück. Wir haben uns entschieden, die Mehreinnahmen aus der Erhöhung der Mineralölsteuer Mark für Mark in die Rentenversicherung fließen zu lassen. Manchmal stinkt es mir - das ist auch an die Öffentlichkeit gerichtet -, daß die Bilanz Ihrer Regierung etwas verdrängt worden ist: Sie haben allein in den Jahren 1989 bis 1994 die Steuer auf Normalbenzin um 50 PfenBundesminister Walter Riester nig pro Liter und auf unverbleites Benzin um 57 Pfennig pro Liter angehoben und damit die Haushaltslöcher gestopft. ({11}) Wir dagegen handeln transparent: Wir werden jede Mark, die wir durch die Ökosteuer einnehmen, zur Stabilisierung bzw. zur Absenkung der Rentenbeiträge einsetzen. Dies ist Verantwortung. In diesem Punkt unterscheiden wir uns ganz gewaltig. ({12}) - Jetzt fragen die Herren von der Opposition, woher die Rentner ihr Geld bekommen. Sie hätten dies fragen sollen, als Sie die Mineralölsteuer in Ihrer Regierungszeit erhöht haben. Da haben die Rentner nicht nur eine erhöhte Mineralölsteuer gezahlt, sondern sie haben auch gesehen, wie die Mehreinnahmen aus der Mineralölsteuer in den Haushaltslöchern verschwunden sind. Wir setzen die Mittel, die wir bei der Ökosteuer einnehmen, ein, damit die aktiven, jetzt arbeitenden Menschen geringere Beiträge zahlen. Wir setzen sie ein, um einen gerechten Generationenvertrag hinzubekommen. ({13}) Nun lassen Sie mich die Unterschiede zwischen Ihren häufig diskutierten, in das Rentensystem eingebrachten Demographiefaktor und unserer ausgewiesenen Position, die Renten in den nächsten zwei Jahren im Rahmen der Preissteigerung des Vorjahres anzuheben, aufzeigen. Ihr Vorschlag, dauerhaft, das heißt jedes Jahr, von der Nettoanpassung der Renten wegzugehen und das Rentenniveau bis auf ein Niveau von 64 Prozent abzusenken, bedeutet folgendes: Die heutige Rentnergeneration darüber können wir uns alle freuen -, die im Moment noch die höchste Rendite erhält, bezogen auf das, was sie eingezahlt hat, und bezogen auf das, was sie als Rente bekommt, würden Sie langsam auf ein Rentenniveau von 64 Prozent herunterführen. ({14}) Bei denjenigen, die jetzt aktiv und 50 Jahre alt oder jünger sind, passiert folgendes: Sie müssen nach ihrem Konzept ständig steigende Beiträge zahlen mit der Perspektive, daß sie anschließend, wegen des vorgesehenen Rentenniveaus von 64 Prozent, die niedrigsten Renten erhalten. ({15}) Nun können Sie ja mit mir einiges machen; einige Ihrer Vorstellungen vertrete auch ich: Ich bin dafür, daß diejenigen, die in die Rentenversicherung hohe Beiträge einzahlen, auch relativ hohe Renten erhalten. Ich kann auch mittragen, daß diejenigen, die geringe Beiträge einzahlen, relativ geringe Renten erhalten. Aber mich werden Sie nicht dazu bringen, daß ganze Generationen immer höhere Beiträge einzahlen und dann geringe Renten erhalten. Das kann ich nicht mitmachen. ({16}) Es ist manchmal unbequem, solche Dinge offen auszusprechen. Aber es ist ehrlicher als das Konzept, das wir von Ihnen geboten bekommen haben. Es ist nicht bequem, so etwas festzustellen; aber es ist ehrlich. Wenn wir die Sicherung der Alterssysteme angehen, dann werden wir sie mittelfristig nur dann durchstehen - und zwar unabhängig davon, ob im Deutschen Bundestag parteiübergreifend ein Kompromiß gefunden wird oder nicht -, wenn wir diese Position den Menschen gegenüber ehrlich vertreten. ({17}) - Genau, wie der Bundeskanzler im Februar. Dazu sage ich Ihnen etwas zum Mitschreiben: Er hat gesagt, daß wir bei dem Prinzip bleiben, die Entwicklung der Renten an die Entwicklung der Löhne und Gehälter zu koppeln. ({18}) Bei diesem Prinzip werden wir nach den zwei Jahren auch bleiben. ({19}) Mich können Sie ins Obligo nehmen. Zu dem, was ich in der Vergangenheit gesagt habe, stehe ich, ({20}) und zu dem, was ich jetzt sage, stehe ich auch. Ich kann mich gern mit dem Vorwurf der Rentenlüge auseinandersetzen; aber das wird für Sie sehr unangenehm. ({21}) Ich beispielsweise wäre nicht ein Jahrzehnt lang durch die Republik gereist und hätte alten Menschen gesagt: „Eins ist sicher: die Rente“. ({22}) und hätte vergessen, hinzuzufügen, mit welchen Beiträgen und für wie lange. Ich bin sehr offen, mich mit Ihnen über Rentenlügen zu unterhalten. ({23}) Um auf den Haushalt zurückzukommen: Wir haben im Haushalt die klaren Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Rentenversicherung - dabei geht es um ganz erhebliche Beiträge - von versicherungsfremden Leistungen entlastet wird. ({24}) Bundesminister Walter Riester Dies haben wir im Vorfeld der Reform gemacht. Ferner haben wir im Vorfeld der Reform etwas angepackt, was Sie immer wollten, aber nie gemacht haben. ({25}) - Sie wissen doch gar nicht, was ich sagen will. Er sagt: „Es stimmt wieder nicht“ und weiß noch gar nicht, was ich sagen will. ({26}) Wir haben die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die bisher versicherungsfrei waren, rentenversicherungspflichtig gemacht. ({27}) Wir haben in diesem Zusammenhang eine Kampagne erleben müssen, die widerlich war. ({28}) Heute kann die erste Bilanz vorgelegt werden - wir haben es gehört -: 2,5 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigte sind ordnungsgemäß bei den deutschen Rentenversicherungen angemeldet. ({29}) - Lieber Herr Fuchtel, das sind jene 2,5 Millionen, die nur einen solchen Job haben. Die Nebentätigkeiten sind darin nicht enthalten, weil man sie gar nicht erfassen kann. ({30}) Die Beitragseinnahmen, die wir in den ersten drei Monaten zu verzeichnen haben, übersteigen das, was wir unterstellt haben. Wir kommen jetzt in eine Situation, in der man sagen kann: Der Markt strukturiert sich in diesem Bereich um; wir bekommen Transparenz hinein, und wir haben etwas geschafft, von dem Sie immer die Finger gelassen haben, ({31}) weil Sie Angst hatten, daß Sie sich die Finger schmutzig machen oder sie sich verbrennen. Wir haben es gemacht. Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie das nicht machen, können Sie jede Reform der sozialen Sicherungssysteme vergessen. Wenn Sie einen Bereich von 5 bis 6 Millionen - mit steigender Tendenz - als Fluchtoption offenlassen, dann wird jedes Sozialversicherungssystem erodieren. Da sind wir herangegangen. ({32}) Das sind notwendige Schritte, die natürlich unbequem sind. Warum sind sie denn unbequem? Es ist doch nicht so, daß die neue Regelung im Vergleich zur alten unattraktiv ist. Denn nach der neuen Regelung bleibt derjenige, der nur einen 630-Mark-Job hat, steuerfrei, und den Sozialversicherungsbeitrag bezahlt der Betrieb. Das ist für den Betreffenden absolut attraktiv. Warum wurde es also hochgekocht? Weil die gesamte Mißbrauchslandschaft offenbar wurde, ({33}) weil deutlich wurde, daß es in sehr vielen Fällen eben nicht nur ein Job war, sondern daß es viele gegeben hat, die zwei, drei, vier dieser Jobs ausübten. ({34}) - Herr Niebel war ja vorher in der Arbeitsvermittlung tätig. Mitarbeiter der Arbeitsvermittlung sagen mir: Sehr viele Menschen, die arbeitslos sind und Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe bekommen und die zwei oder drei dieser Mini-Jobs machen, sind leider - das muß ich sagen - nicht vermittelbar; denn ihre Nettoeinkünfte bewegen sich auf einer solchen Ebene, daß sie nicht vermittelbar sind. Auch Sie müßten doch eigentlich Interesse daran haben, daß wir dort Klarheit und Transparenz hineinbekommen. ({35}) Wir haben das gelöst. ({36}) Wir nehmen jetzt die Stabilisierung der Rente in Angriff und richten sie für die Zukunft aus, so daß wir den jetzt aktiven Rentnern sagen können: Das Leistungsniveau wird nach den betreffenden beiden Jahren bis zum Jahr 2030 stabil gehalten. ({37}) - Auf einem Niveau von 67 Prozent, lieber Herr Fuchtel. Wenn Sie sich daran erinnern, was Ihr Kollege Blüm angestrebt hat, dann werden Sie noch wissen, daß das 64 Prozent waren. ({38}) Aber war noch wichtiger ist: Auch die Beiträge halten wir stabil. Weil wir verhindern wollen, daß diese brisante Sache zu einem Generationenkonflikt ausartet, stellen wir uns der Frage. ({39}) Beitrag und Leistung müssen für die Menschen wieder langfristig stabil und damit berechenbar sein. Das ist wichtig, und das gehen wir an. ({40}) Bundesminister Walter Riester - Lieber Herr Singhammer: ,,Wir glauben es Ihnen ja nicht.“ Mit Ihnen will ich mich nicht über Glaubensfragen streiten. Aber ich will Ihnen einige Fakten nennen: Von 1993 bis 1998 haben Sie es geschafft - damals waren Sie in der Regierungsverantwortung -, daß der Beitrag zur Rentenversicherung von 17,5 auf 20,3 Prozent gestiegen ist. Das heißt, das Beitragsvolumen, das notwendig war, um Ihre Rentenerhöhung, die viermal unterhalb der Preissteigerungsrate lag, auszugleichen, ist um 41 Milliarden DM angestiegen. Gleichzeitig sind die Leistungen des Bundes um rund 40 Milliarden DM angewachsen. Jetzt nehmen wir einmal beide Zahlen zusammen. Ist Ihnen schon aufgefallen, daß dies das Volumen einer Mehrwertsteuererhöhung um fünf Prozentpunkte wäre? Wir haben Sie gnädigerweise aus der Peinlichkeit entlassen, auf einen Rentenversicherungsbeitrag von 21 Prozent gehen zu müssen, indem wir eine Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt mitgetragen haben. Das haben wir zwar hingenommen; aber wir nehmen nicht ständig steigende Beiträge hin. Wir sind zum erstenmal die Aufgabe angegangen und sagen: Wir gehen in Richtung Beitragssenkung. Wir werden die Lohnnebenkosten absenken. ({41}) Nun habe ich heute früh vom Finanzminister völlig zu Recht gehört, daß wir eine hohe Eintrittsschwelle in bezug auf den Arbeitsmarkt haben. Herr Merz ist darauf mit den Worten eingegangen: Endlich merken wir es. Woran liegt denn das? Es liegt an den hohen Lohnnebenkosten. - Ja, damit haben Sie sehr viel Erfahrung. Sie haben den Gesamtsozialversicherungsbeitrag trefflich hochbekommen, auf über 42 Prozent. ({42}): Und Sie haben sie weiter erhöht!) - Nein, wir haben sie erstmals abgesenkt. ({43}) Wir haben die Beiträge zur Rentenversicherung gesenkt, und wir werden sie noch weiter senken. Ich sage Ihnen eines: Alle Vorschläge, die im Moment mit Blick auf die nächsten zwei Jahre alternativ eingebracht werden, bedeuten eine weitere Anhebung des Rentenversicherungsbeitrages. Aber die Bevölkerung, die jetzt bei der Ökosteuer einen Beitrag für die Rentenversicherung erbringt, wird kein zweites Mal wie in Ihrer Zeit - akzeptieren, daß die Mineralölsteuer erhöht wird, um Haushaltslöcher zu stopfen, und der Rentenversicherungsbeitrag hochgeht. Das machen wir nicht mit. ({44}) Deswegen gibt es keine Alternative zu dieser Vorgehensweise. Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie es mittragen. Aber es ist natürlich populärer, durch das Land zu marschieren und eine Verhetzungskampagne mitzutragen, die unverantwortlich ist. ({45}) Lassen Sie mich auf einen Punkt eingehen, den ich sehr wichtig finde und den Ihr Kollege Merz angesprochen hat. Er hat uns bei zwei Punkten ein Angebot zur Mitarbeit gemacht. Einer betrifft mein Ressort. Herr Merz sagte: Wir wären durchaus bereit, bei einer Verbindung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu einem einheitlichen Förderungssystem mitzumachen. Das hätte ich genauso sagen können. Sie wissen, daß ich an einer Verzahnung der Maßnahmen arbeite. ({46}) Wir arbeiten in dieser Frage mit den Ländern zusammen und nutzen die Erfahrungen, die im Moment mit solchen Projekten gemacht werden. Wir sprechen auch mit den Kommunen, und wir gehen dies an. Aber ich muß Ihnen eines sagen - Herr Merz ist jetzt leider nicht da -: ({47}) Man kann diese Frage nicht mit dem schlanken Fuß angehen. Da kann man auch nicht nach dem Motto verfahren: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß. Daran möchte ich erinnern, wenn ich jetzt darauf komme, daß wir bei der Haushaltskonsolidierung gesagt haben: ({48}) Ja, wir werden bei der Arbeitslosenhilfe zwar die Zahlbeträge beibehalten, wir werden aber die Transferleistungen in die Sozialversicherungssysteme staatlicherseits auf den Zahlbetrag abstimmen. Das ist ein erster Schritt; es müssen weitere folgen. Warum? Nehmen wir einen Facharbeiter, der heute 5 000 DM verdient und arbeitslos wird. Nach 32 Monaten ist er ausgesteuert und bekommt Arbeitslosenhilfe. Das ist ein bedauerlicher Fall, aber seine Rentenversicherungsbeiträge bemessen sich weiterhin nach 80 Prozent seines ehemaligen Verdienstes, möglicherweise bis er in Rente kommt. Nun betrachte ich eine Verkäuferin, die ganztags arbeitet und zwischen 2 200 und 2 300 DM verdient. Vergleichen Sie nun den Rentenversicherungsbeitrag, bezahlt aus Steuermitteln, beim Arbeitslosenhilfeempfänger mit dem bei der vollzeitbeschäftigten Verkäuferin. Wenn Ihnen da noch kein Licht aufgeht, warum wir diesen Schritt gehen, dann können wir noch deutlicher werden. Das sind unbequeme Schritte. Das haben wir ja nicht aus Jux und Dollerei gemacht. Es ist uns auch nicht leichtgefallen. Bundesminister Walter Riester Wir haben es zum jetzigen Zeitpunkt ausschließlich wegen der Haushaltskonsolidierung gemacht. Langfristig ist es aber sinnvoll - das nehme ich gerne auf -, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zu verzahnen, allerdings nicht so, wie wir es von Ihnen schon einmal gehört haben: daß die Arbeitslosenhilfe auf die Ebene der Sozialhilfe kommt. Das ist mit uns nicht zu machen. ({49}) - Das könnte ich Ihnen noch aus Bundestagsdrucksachen vorlesen, wie es mein Vorgänger auch vertreten hat. Ich werde das nicht machen. Wir verzahnen das so - in der Ausrichtung bin ich mit Herrn Merz einig -, daß wir möglichst viele Leistungsempfänger aktiv in den Arbeitsprozeß einbinden. Das ist unser Ziel. Wir haben bei der Erstellung des Haushalts den ersten Schwerpunkt nicht nur darauf gelegt, daß die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik weitergeführt und verstetigt werden, sondern auch darauf, daß wir zielgerichtet dort am meisten einsteigen, wo der größte Bedarf ist: bei Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit. Hier zeigen sich erste gute Erfolge, die wir ausbauen werden. Wir sehen auch, daß die Ausrichtung der Instrumente über die Veränderung des Sozialgesetzbuchs III zu greifen beginnen. Wir werden in der Reform des Sozialgesetzbuchs III diesen Weg konsequent weiter beschreiten. Dabei hoffe ich auf Ihre Unterstützung. Wir haben zweitens den Haushalt so ausgerichtet, daß durch das Reformprojekt eine langfristige Sicherung des Alterssicherungssystems organisiert werden kann, ohne daß die Rentenversicherung weniger Leistungen gewährt. Statt dessen statten wir sie mit mehr Mitteln aus. Wir wollen die Rentenversicherung stabilisieren. Wir werden aber auch hinbekommen, daß diejenigen, die aktiv arbeiten, also die Renten bezahlen, bezahlbare Beiträge zu erbringen haben. Das ist ein Punkt, der ganz wichtig ist. Hier würde ich mir manchmal - das will ich hier offen sagen - von den, wie Sie wissen, mir nahestehenden Gewerkschaften wünschen, daß sie in ihr eigenes Grundsatzprogramm hineinschauen; denn darin steht, daß die Senkung der Lohnnebenkosten eine vorrangige Aufgabenstellung ist. Wir gehen jetzt an diese Aufgabe heran. ({50}) Das ist nicht immer bequem, aber das ist der Unterschied zwischen der Beschlußlage und dem Machen. Ich würde mir, auch wenn Sie berechtigterweise in der Opposition eine andere Rolle haben, hier durchaus wünschen, daß ein so schwieriger, für die Menschen im Lande aber ungeheuer wichtiger Reformprozeß von Ihnen nachhaltig unterstützt wird. ({51}) Es ist so verführerisch, das süße Gift von Verhetzung in die Menschen zu streuen. ({52}) Aber ich sage Ihnen eines: Das wird sich mittelfristig rächen; ({53}) denn die Leute werden Sie beim Wort nehmen. ({54})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Laumann? Walter Riester; Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ja, natürlich.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Riester, ich möchte Sie fragen, welche Rolle Sie in den Jahren, bevor Sie Arbeitsminister geworden sind, bezüglich der „IG-Metall-Zeitung“ in der IG Metall gespielt haben? Ich bin seit 25 Jahren Mitglied dieser Gewerkschaft und lese seither die „IG-Metall-Zeitung“. Viele Jahre lang waren Sie der zweitwichtigste Mann der IG-Metall. Sind sie damals nicht auch dem süßen Gift der Verhetzung gegen Norbert Blüm und seine Sozialpolitik erlegen, oder haben Sie die Artikel, die dort geschrieben wurden, alle vergessen? ({0}) Walter Riester; Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ich kann Ihnen auf die Frage, wie viele Jahre, antworten: Es waren vier Jahre. Auf die zweite Frage kann ich antworten: Ich bin schon, bevor ich zweiter Vorsitzender der IG Metall war, jedem Ausschlußantrag gegen meinen Kollegen Norbert Blüm massiv und entschieden entgegengetreten. Ich habe ihn verteidigt, weil man so etwas aushalten muß. Ich habe die Verunsicherungskampagne nie mitgemacht, und ich werde das auch zukünftig nicht tun. Die Saat jedoch, die Sie ausstreuen, geht leider auf. Aber Sie wird sich auch gegen Sie wenden. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion hat jetzt der Kollege Dr. Hermann Kues das Wort. Bundesminister Walter Riester

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Riester, ich glaube, die Saat, die Sie im vergangenen Jahr gesät haben, ist schon am letzten Sonntag aufgegangen. Sie wird am kommenden Sonntag auch wieder aufgehen. ({0}) Herr Riester, sie haben ein Kernproblem: Ihre Sozialund Rentenpolitik ist zum Anhängsel der Finanzpolitik verkommen. ({1}) Wer den Sozialstaat zukunftsfähig machen will, darf sich nicht ausschließlich von fiskalischen Überlegungen leiten lassen. Das muß schiefgehen. Wer ihn zukunftsfähig machen will, muß eigene Ziele formulieren und ein in sich schlüssiges Konzept vorlegen. Wir brauchen eine intelligentere Sozialpolitik, mit der man im Endeffekt auch Geld sparen kann. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: 2 Millionen Menschen werden in Deutschland entweder über die Arbeitslosenhilfe oder über die Sozialhilfe oder über beides unterstützt. Sie bekommen lediglich Geld ausbezahlt. Wir machen uns aber keine Gedanken darüber, wie sie im Arbeitsund Wirtschaftsleben mitwirken können. Das ist falsch und muß korrigiert werden. ({2}) In diesem Sinne unterstütze ich ausdrücklich den Vorschlag, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenzufassen, weil ich glaube, daß es darum gehen muß, für die Menschen Arbeit zu organisieren und ihnen, soweit sie auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht genügend Geld für sich erwirtschaften können, Geld in Form eines Kombilohnes dazuzugeben. Darum muß es gehen. Das ist finanzpolitisch und auch sozialpolitisch vernünftig. ({3}) Im Wahlkampf haben Sie, Herr Minister Riester, die Menschen glauben gemacht, eine Reform der Rentenversicherung sei nicht notwendig und jegliche Absenkung des Rentenniveaus sei unsozial. ({4}) Sie haben damit schlichtweg Sachverhalte geleugnet. Davon werden Sie jetzt eingeholt. Der Bundeskanzler hat am 17. Februar 1999 gesagt: Ich stehe dafür, daß die Renten steigen wie die Nettoeinkommen. Sie haben sich jetzt entschlossen, die Rentnerinnen und Rentner deutlich stärker zu belasten, als dies in unserem Konzept je vorgesehen war, nämlich um 100 DM monatlich. Die Quittung für diesen Wahlbetrug haben Sie in den vergangenen Wochen im Saarland, in Thüringen und auch in Nordrhein-Westfalen erhalten. ({5}) Wir lehnen Ihre Rentenpolitik aus folgenden fünf Gründen ab: Erstens. Ihnen fehlt jegliche Rentenphilosophie. Sie haben kein Konzept. ({6}) Sie greifen mit improvisierten Maßnahmen brachial und willkürlich in die Systematik ein, ohne auch nur in Ansätzen erkennen zu lassen, wohin die Reise mit dieser Regierung in der Rentenpolitik geht. Ich zitiere dazu die „Süddeutsche Zeitung“ vom 30. Juli 1999: Riesters Rentenkonzept ist äußerst dürftig, weil es die gesetzliche Rentenversicherung ziellos in die Zukunft entläßt. ({7}) Zweitens. Sie betreiben Rentenpolitik nach Kassenlage und ruinieren damit das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung. Sie können ganz sicher sein: Ihnen und dem Bundeskanzler glaubt in Deutschland inzwischen niemand mehr, daß Sie nach zwei Jahren wieder zur Anpassung an die Nettolöhne zurückkehren werden. ({8}) Drittens. Trotz anderslautender Versprechungen wird die Ökosteuer nicht an die Beitragszahler weitergegeben, sondern zum Stopfen von Haushaltslöchern herangezogen. Das können wir an Hand der Zahlen belegen. Das haben wir Ihnen mehrfach vorgetragen. Es müßte sonst wesentlich mehr in die Rentenkasse fließen. ({9}) Viertens. Mit der Einführung der Mindestrente höhlen Sie das Versicherungsprinzip in der Rentenversicherung aus. Ich habe manchmal das Gefühl, daß Ihnen die Rentenkürzungen gerade recht kommen, weil Sie damit die Altersarmut schaffen, die Sie dann mit der Mindestrente bekämpfen wollen. ({10}) Fünftens. Die von Ihnen angestrebte Rente mit 60 Jahren, von der Sie auch jetzt wieder reden, ist nicht bezahlbar, und Sie wissen das. Ich nenne Ihnen einmal die Zahlen. Nach den Angaben des VDR betragen die Kosten für 100 000 Frührentner 3,5 Milliarden DM pro Jahr. Bei 500 000 Frührentnern sind das rund 17,5 Milliarden DM pro Jahr bzw. ein Beitragspunkt, den Sie den Beitragszahlern aufbürden. Wie wollen Sie den Menschen eigentlich erklären, daß das ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit ist, wenn Sie einerseits gravierende Rentenkürzungen vornehmen, andererseits aber Geld der Rentenversicherung für Vorruhestandsregelungen, die arbeitsmarktpolitisch höchst zweifelhaft sind, mit vollen Händen hinauswerfen? ({11}) Der Schaden, den Sie mit Ihren unausgegorenen Rezepten hervorrufen, ist immens. Sie zerstören mit Ihren Manipulationen das Vertrauen, und - dieser Punkt ist noch wichtiger, weil Sie es ja angemahnt haben - Sie untergraben damit nachhaltig die Veränderungsbereitschaft in der Bevölkerung. ({12}) Wir stehen dazu, daß in der gesetzlichen Rentenversicherung umgesteuert werden muß. Dazu muß auch die ältere Generation einen Beitrag leisten. Aber Sie wissen doch ganz genau: Die von Ihnen wider besseres Wissen und gegen alle Expertenkritik durchgeführte Abschaffung des demographischen Faktors, den wir eingeführt haben, kostet die Rentenversicherung 4,3 Milliarden DM pro Jahr. Wenn Sie das Sparpaket hinzunehmen, dann kommen weitere Belastungen auf die Rentenversicherung in Höhe von 10 Milliarden DM dazu. Damit schaffen Sie die Probleme, die die zukünftige Generation aushalten muß. Wir sind als CDU/CSU-Fraktion trotzdem bereit, in ein Gespräch über einen Rentenkonsens einzutreten. Ich sage aber auch ganz deutlich, daß bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Erstens. Die willkürlichen Sparaktionen müssen zurückgenommen werden. Die Ausarbeitung der Reform der Rentenversicherung muß von der aktuellen Haushaltssituation getrennt werden. Zweitens. Die beitragsbezogene Rente muß weiterhin Kern des Alterssicherungssystems bleiben. Für uns gilt: Rente ist Alterslohn für Lebensleistung. ({13}) Ich sage ganz deutlich: Wir wollen durchaus überlegen, wie man Familienleistungen in der Rentenversicherung stärker berücksichtigen kann. Denn wer Kinder aufzieht, muß bei der Altersversorgung auch angemessen begünstigt werden. ({14}) Drittens. Eine Reform muß die Gerechtigkeit zwischen den Generationen wahren. Deshalb muß der demographische Faktor in der Rentenversicherung wieder eingeführt werden, weil er die Altersentwicklung berücksichtigt. Wir stehen mit dieser Meinung nicht allein da, wie sie wissen. Auf unserer Seite stehen der VdK und der DGB. ({15}) Viertens. Die beitragsfinanzierte Rente muß um kapitalgedeckte Elemente ergänzt werden. Das ist unstreitig; wir sind bereit, auch darüber zu diskutieren. Zur Stärkung der privaten Altersvorsorge haben Sie aber bislang kein Konzept vorgelegt, auf dessen Grundlage sich diskutieren ließe. Inzwischen gibt es in der öffentlichen Meinung eine breite Basis für einen Rentenkonsens. Der Vorschlag zum Beispiel des DGB könnte eine solche Basis sein. Der VdK begrüßt das Konzept als diskutabel. Die Grünen befürworten mittlerweile ebenfalls einen demographischen Faktor. Der einzige, der sich bislang jedem Gespräch widersetzt, sind Sie, Herr Riester. Ich zitiere noch einmal die „Süddeutsche Zeitung“ vom 10. September: Mittlerweile gehört Walter Riester zu den letzten Gefangenen, die tapfer im eigenen Käfig ausharren und sich dem demographischen Faktor verweigern, den die SPD im Bundestagswahlkampf erfolgreich als Begriff für die Kürzung der Renten diskreditiert hat. Das ist die Wahrheit. ({16}) Wenn Sie an einem Rentenkonsens interessiert sind, Herr Riester, kann ich Ihnen nur sagen: kommen Sie aus Ihrem Käfig heraus, und reden Sie mit uns! Die Diskussion um die Rente verstellt den Blick auf den Arbeitsmarkt. Aber gerade sie wollten sich an den Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt messen lassen. Die Bilanz nach knapp einem Jahr ist verheerend: Die Zahl der Arbeitslosen verharrt mit über 4 Millionen auf einem unerträglich hohen Niveau. Seit dem Regierungswechsel ist diese Zahl sogar um rund 60 000 gestiegen. Die Bundesanstalt für Arbeit schreibt dazu: Der Arbeitsmarkt tritt auf der Stelle. Eine Besserung kann kurzfristig nicht erwartet werden. ({17}) - Diesen Bericht können Sie bei der Bundesanstalt für Arbeit anfordern. Die Zahl der Arbeitsplätze ist seit dem Regierungswechsel bis zum Dezember des letzten Jahres um 350 000 gesunken. Diese Zahl ist jedem zugänglich. ({18}) - Ich sage Ihnen gern, woher Sie diese Zahl bekommen können, nämlich vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit. Die Zahlen für 1999 verschweigen Sie uns. Aber der jüngste Bericht der Bundesanstalt für Arbeit - diese Behörde untersteht Ihnen ja - läßt auch hier nichts Gutes erahnen. Dort heißt es: Die Daten sprechen dafür, daß die Zahl der Erwerbstätigen, anders als 1998, im bisherigen Jahresverlauf nicht weiter gewachsen ist. Das ist die Wahrheit, vor der Sie sich drücken. Jetzt noch etwas zum Programm für 100 000 Jugendliche, das Sie wie eine Monstranz vor sich hertragen. Dieses Programm versuchen Sie ständig als Erfolg zu verkaufen. Wenn Sie es sich näher ansehen - diese Zahlen müßten eigentlich auch Ihnen zugänglich sein -, dann stellen Sie fest, daß das eine teure Mogelpackung zur Bereinigung der Statistik ist. ({19}) Ich will Sie einmal an einer Ausarbeitung messen, die Sie der SPD-Bundestagsfraktion zur Verfügung gestellt haben und die auch mir vorliegt. Dort heißt es: Ein besonderes Anliegen des Sofortprogramms ist es, Jugendliche zu erreichen, die nicht beim Arbeitsamt registriert sind. Jugendliche, die überwiegend aus einem schwierigen sozialen Umfeld kommen, in der Regel keinen Schulabschluß haben, sollen durch Maßnahmen … motiviert werden, eine Ausbildung, Qualifizierung oder Arbeit aufzunehmen. Um diese Jugendlichen geht es. Jetzt schauen wir uns einmal die Realität an: Der Anteil der Jugendlichen ohne Schulabschluß in dem Programm - der Kollege Laumann hat häufig die Zahl von 60 000 Jugendlichen erwähnt -, die es ganz schwer haben unterzukommen, beträgt gerade einmal 17 Prozent. Sie reden immer davon, 100 000 Jugendliche in Arbeit und Ausbildung zu bringen. ({20}) - Entscheidend ist: Die anderen 83 Prozent gehören zumindest nicht zu der Gruppe, die als Maßstab genannt werden: Die haben Abitur gemacht, die haben Realschulabschluß oder Hauptschulabschluß. Das ist eine andere Klientel als die, die Sie in Ihrer Zielvorstellung angeben. ({21}) Ich sage Ihnen: Entscheidend ist nicht, wie viele Jugendliche in eine Maßnahme eintreten, sondern wie viele von ihnen nach Abschluß der Maßnahme in Ausbildung oder Beschäftigung stehen. ({22}) Die vorliegenden Zahlen sind erschreckend: Von den 70 000 Jugendlichen, die die Maßnahmen absolviert haben, sind knapp 20 000 wieder arbeitslos. Bei 10 000 Jugendlichen heißt es: „sonstiger Verbleib“. Bei 3 500 heißt es: „noch nicht untergebracht“. Bei 9 400 heißt es: „der Verbleib ist unbekannt“. Dagegen sind lediglich 2 300 in außerbetriebliche Ausbildung und nur 8 900 in Arbeit vermittelt worden. Sie haben also nicht 100 000 Jugendliche in Arbeit oder Ausbildung gebracht, sondern gerade einmal rund 11 000. Für jeden dieser Jugendlichen haben Sie - wir sind ja in einer Haushaltsdebatte - rund 220 000 DM ausgegeben. ({23}) Den notwendigen Strukturreformen sind Sie bislang ausgewichen. Systematische Änderungen, die Menschen in Arbeit bringen, haben Sie nicht angepackt. Ich glaube, daß Sie mit Ihrer Politik auf verlorenem Posten stehen. Die einzigen, die das noch nicht erkannt haben, sind Sie selbst. Vielen Dank. ({24})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob Sie sich im Zeitalter der von Computern entwickelten Wahlplakate noch an eines der frühen Grünen-Plakate - eine Zeichnung, auf der die Weltkugel zu sehen war - erinnern. Dort hieß der Slogan: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt“. Ich sage das deshalb, weil gerade wir Grünen sehr früh erkannt haben, daß die Nachhaltigkeit von Politik - eine Politik für die zukünftigen Generationen ein zentraler gesellschaftlicher und sozialpolitischer Auftrag ist. Wenn Herr Kues hier behauptet, wir würden um des Sparens willen sparen, dann hat er einen ganz wesentlichen Aspekt in dieser Sache nicht erkannt. Das Wirtschaften zu Lasten der zukünftigen Generationen ist schlichtweg extrem unsozial. ({0}) Deswegen gehen wir diesen sehr unbequemen Weg; er ist nicht populär. Ich sage Ihnen aber eins: Ich bin fest davon überzeugt, daß gerade das auf die Dauer tragen wird, und daß wir damit die gesamte gesellschaftspolitische Situation verbessern werden. Die Menschen werden das in Zukunft erkennen. Die nachhaltige Finanzpolitik, der Schuldenabbau und die Konsolidierung der Staatsfinanzen sind kein Selbstzweck. Vielmehr ist das ein Mittel, um für die Zukunft die Handlungsfähigkeit wiederherzustellen und um die soziale Sicherheit auch noch im nächsten Jahrtausend zu gewährleisten. Die vorgefundene Situation ist untragbar. 1,5 Billionen DM Schulden - das kann man sich nicht vorstellen, wie wir heute schon vom Wirtschaftsminister gehört haben. Vorstellen kann man sich aber, daß jede vierte Mark des Bundeshaushalts für Zinsen ausgegeben wird. Das ist eine Spirale, die gestoppt werden muß. Wer nicht bereit ist, den Abbau der Nettoneuverschuldung voranzutreiben, wird die zukünftigen sozialen Probleme selber produzieren. ({1}) Darüber besteht in unserer Fraktion und in der rotgrünen Koalition Konsens. ({2}) - Frau Adam-Schwaetzer, ({3}) das heißt auch, daß wir keinen anderen Weg sehen, auch in der Sozialpolitik diese nachhaltige Finanzpolitik, diese Konsolidierung durchzusetzen. Denn wir wollen nicht, daß die zukünftigen Generationen Ihre Suppe auslöffeln müssen. Insofern müssen wir schon Verantwortung übernehmen. ({4}) Das bedeutet, daß der Sozialhaushalt mit einer Einsparung von 7,4 Prozent seine Einsparleistung wie alle anderen Haushalte erbringen muß. Auch wenn die Verlokkungen, zu schieben oder zu strecken, sehr groß sind, um einigen unbequemen Konflikten aus dem Weg zu gehen, werden wir das nicht tun. Wir wissen, daß dieser Haushalt Einschnitte bedeutet. Sie sind aber notwendig, und sie sind sozial vertretbar. Dabei nehmen wir die Bedenken der Betroffenen sehr ernst. Weiß Gott geht es uns nicht um ein, wie Herr Zwickel behauptet hat, „Augen zu und durch“. Wir fragen uns bei diesem Haushalt bei jeder einzelnen Maßnahme, wie die Alternativen aussehen können. Herr Zwickel und jeder andere - auch Sie, meine Damen und Herren, und Sie, Herr Kues - ist aufgerufen, in diesem Punkt mit uns in einen Wettstreit zu treten und Vorschläge zu machen. Aber gerade ihre Vorschläge zur Konsolidierung des Haushaltes, eines Schuldenberges, den Sie produziert haben, führen weiter in den Schuldenstaat und sind sozialpolitisch ungerecht. ({5}) Die Konsolidierung ist auch ein Zukunftsprogramm. Warum ist das so? Nicht nur, weil sie die Sozialkassen vor einer weiteren Erosion schützt, die Sie eingeleitet haben, sondern vor allen Dingen, weil wir mit diesem Haushalt den Grundstein für längst überfällige Reformen der sozialen Sicherungssysteme legen. ({6}) Während Sie in den Innenstädten stehen und mit billigen Kampagnen gerade die ältere Generation vor Ihren Karren spannen wollen - Herr Kues hat eben die entsprechenden Pamphlete vorgelesen -, stellt sich der Sozialminister vor Sie hin und hat den Mut, die Wahrheit beim Namen zu nennen. ({7}) Die heutigen Rentnerinnen und Rentner haben nicht das Problem. Die Renten werden - das haben Sie gehört - steigen. Es wird keine Einbußen geben, wie Sie es fälschlicherweise immer wieder suggerieren. Die Renten werden auch bei einer Anpassung entlang der Inflationsrate stärker steigen, als Sie das in den letzten fünf Jahren zustande gebracht haben, meine Damen und Herren. ({8}) Das ist nicht das Problem, um das es geht. In Wahrheit liegt das Rentenproblem in der Zukunft. Das wissen Sie sehr genau. Der erste Schritt zur Rentenanpassung, der mit dem vorliegenden Haushalt vorgenommen wird, mildert zwar das Problem. Das ist richtig. Aber die Wahrheit ist auch - das hat der Minister hier sehr deutlich gesagt -, daß eine Reform der Rentenstruktur auf allen Ebenen notwendig ist. Der Minister hat die Eckpunkte dafür vorgelegt. Wir haben unsere Vorschläge dazu eingebracht. Wir befinden uns in der Diskussion. Wir brauchen diese Strukturreform deshalb, weil auch die junge Generation einen Anspruch auf eine vernünftige Rente im Alter hat, ohne daß gleichzeitig die Beitragssätze explodieren. Die zukünftige Rentnergeneration wird aber auch ein weiteres Standbein brauchen, nämlich die private Altersvorsorge. Gleichzeitig müssen wir Beitragsstabilität gewährleisten. Dazu wird die Ökosteuer ihren Beitrag leisten, aber nicht alleine. Auch die Rentnerinnen und Rentner müssen ihren Beitrag dazu leisten; denn schließlich wird die Gesellschaft immer älter, und die Rentenlaufzeiten werden immer länger. Natürlich ist in unserem Konzept die Kopplung der Rentenentwicklung an die Lohn- und Gehaltsentwicklung vorgesehen. Aber wir müssen gleichzeitig eine sehr offene und ehrliche Debatte über das langfristige Rentenniveau, dessen Entwicklung und auch über die Rentenformel führen. Wenn uns dies gelingt, dann werden auch die Rentnerinnen und Rentner bereit sein, ihre Enkel an die Hand zu nehmen und einen neuen Generationenvertrag abzuschließen. Das ist das Zukunftsprojekt. Walter Riester hat sehr deutlich darauf hingewiesen: Im Rahmen eines Haushalts wird ein neuer sozialpolitischer Ansatz eingebracht. Es ist der Versuch, die öffentliche und die private Vorsorge Hand in Hand gehen zu lassen. Damit wird quasi eine neue Art eines vernetzten Wohlfahrtsmixes zur Debatte gestellt. Abgestützt und armutsfest gemacht wird dieser Ansatz durch eine Grundsicherung für Rentnerinnen und Rentner sowie auch durch den Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung für Frauen. ({9}) Aus grüner Perspektive ist das ein zukunftsweisender Ansatz, an den wir mit unseren Rentenvorstellungen sehr gut andocken können. Ich stimme mit meinem Kollegen Metzger - er hat das heute morgen schon gesagt - darin überein: Es wird eine sehr offene Debatte über diese Vorschläge geführt werden. Der Ansatz zur Reform der Rente ist nur ein Teil des Haushalts, an dem deutlich wird, daß es um mehr geht, nämlich daß es um Strukturreformen und auch um eine neue Sozialpolitik geht. Es ist klar, daß in der Öffentlichkeit eine Diskussion, die von Ihnen angeheizt wurde - das ist in der Sozialpolitik so -, über die Frage der Gerechtigkeit geführt wird. Diese Frage sollen und können wir sehr offen diskutieren, weil sie nur dann zu beantworten ist, wenn man nicht nur den Haushalt, sondern den gesamten Kontext unserer Politik berücksichtigt. Erstmals seit 20 Jahren sind in diesem Jahr die Nettolöhne gestiegen. Das ist der erste Punkt, den es zu beachten gilt. ({10}) Zweitens. Erstmals sind die Lohnnebenkosten gesunken. Dies ist ein Resultat der Ökosteuer und der Senkung der Steuersätze. ({11}) Drittens. Das neue Familienlastenausgleichsgesetz bringt allein Familien mit zwei Kindern 1 200 DM mehr in die Geldbörse. Alle verschiedenen Reformen zusammengenommen bringen der Durchschnittsfamilie im Jahr 2002 bis zu 3 000 Mark mehr in die Geldbörse. Wer dies nicht sieht und auch den Hintergrund unserer Sozialpolitik ignoriert, zum Beispiel daß der Begriff der Zumutbarkeit abgeschwächt und die dreimonatige Schikane für Arbeitslose abgeschafft worden ist, der kann natürlich auch nur ein einseitiges Urteil über unsere Politik fällen, Wir haben eine neue sozialpolitische und materielle Entwicklung bereits durch das, was wir durchgesetzt haben, in Gang gesetzt. Diese Entwicklung ist Zeugnis einer sozial verantwortlichen und sehr engagierten Politik. Wer nicht sieht, daß sich die Einkommensschere nicht vergrößert, sondern verkleinert hat, der wird allerdings weiterhin von einer Schieflage schwadronieren. ({12}) Wir haben diese neuen Prioritäten gesetzt. Wir denken, daß wir auf einem guten Weg sind. Wegen dieses Konsolidierungsbedarfs, den wir in diesem Haushalt haben und den wir auch als Sozialpolitikerinnen anerkennen - das fällt uns nicht immer leicht -, haben wir auch Probleme. Das ist ganz klar. Aber während die SPD Seite an Seite mit uns für einen vernünftigen Haushalt und für eine gute Sozialpolitik kämpft, schickt die CDU Exponenten vor, die zum Beispiel fordern, das Arbeitslosengeld für den ersten Monat zu streichen. Wir legen einen Sparhaushalt vor, in dem keine Kürzung des Arbeitslosengeldes, sondern eine Steigerung entlang der Inflationsrate vorgesehen ist. Das mag viele Erwartungen enttäuschen, das sehe ich ein. Aber es ist keine Leistungskürzung. ({13}) Die Kürzungen betreffen die Zahlbeträge, die für Empfänger von Arbeitslosenhilfe in die Sozialversicherung eingezahlt werden. Wie wir schon vorhin gehört haben, wäre es besser, diese Zahlbeträge systematisch in eine neue Struktur der Arbeitslosen- und Sozialhilfe, das heißt in eine Konzeption der Grundsicherung, wie sie die Grünen schon vor Jahren entwickelt haben, einzubinden. Das ist nicht so schnell zu leisten. Deswegen ist zunächst einmal dieser Schritt zu gehen. Der Weg ist richtig. Wie Herr Eichel schon heute morgen gesagt hat, müssen wir da in diesem Haushalt bittere Pillen schlukken. Wir müssen eine weitere bittere Pille schlucken. Auch die ist systematisch zu vertreten. Es handelt sich um die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe. Diese Streichung betrifft eine Gruppe von 72 000 Menschen, Referendare, Zivildienstleistende und andere, die nunmehr wie viele andere auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erwerben können. Wir hätten die Zahlung von Arbeitslosenhilfe für diese Gruppen gerne in den Kontext einer Neuregelung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe gestellt. Das ist noch zu leisten. Der Schritt der Angleichung der Bedingungen an dieser Stelle ist schwierig, aber im Zusammenhang mit der Haushaltskonsolidierung notwendig. Trotz dieser schweren Schritte haben wir in diesem Haushalt gleichzeitig einen ganz zentralen Akzent gesetzt. Für uns steht weiterhin der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit oben auf der politischen Agenda. Wir haben das „Bündnis für Arbeit“, das Sie nicht zustande gebracht haben, auf den Weg gebracht. Wir haben gleichzeitig als eines der zentralen Ergebnisse dieses Bündnisses das JUMP-Programm initiiert. Man hat es hier in, wie ich finde, sehr unflätiger Weise angegriffen. Das JUMP-Programm erfaßt im Moment 100 000 Jugendliche. Wenn Sie sich hier hinstellen und behaupten, es handele sich um eine Mogelpackung, dann weiß ich, ehrlich gesagt nicht, wovon Sie sprechen. ({14}) Sie haben die Probleme der Jugendarbeitslosigkeit bereits in der Vergangenheit nicht ernst genommen. Jetzt wollen Sie ein Programm diskreditieren, das erfolgreich ist. Wir werden es fortsetzen. ({15}) Die Kritik, die zum Beispiel auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks übt, ist nur ein Manöver, um von einer anderen Entwicklung abzulenken. Es geht darum, daß gerade das Handwerk seine Versprechungen hinsichtlich der Ausbildungsplätze nicht einhält. Wir haben das Problem der Jugendarbeitslosigkeit weiterhin, und deswegen werden wir den Kampf dagegen engagiert fortführen. Wir werden gerade im Bereich der Arbeitsmarktpolitik durch das „Bündnis für Arbeit“ mit neuen Konzepten, durch die Brücken in den Arbeitsmarkt hinein gebaut werden, mehr tun. Das ist wichtig, Sie haben Stop-and-go-Politik gemacht; wir verstetigen über diesen Haushalt die aktive Arbeitsmarktpolitik. Ich sage Ihnen aber auch eines: Dieses Plädoyer für eine aktive Arbeitsmarktpolitik und für eine Arbeitsförderung beinhaltet auch für uns keinen Bestandsschutz einzelner Instrumente. Wir prüfen die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik auch auf ihre Effizienz.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit!

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme sofort zum Schluß, Frau Präsidentin. Im Zuge der SGB-III-Reform wollen wir eine Straffung des Angebotes der aktiven Arbeitsmarktpolitik durchsetzen. Alles in allem sind wir, was die Arbeitsmarktpolitik, die Rentenpolitik und die Sozialpolitik anbelangt, auf einem Reformkurs. Mit diesem Haushalt machen wir beides: Wir stabilisieren das Sozialsystem und schaffen einen politischen Handlungsspielraum, und wir gehen engagiert und mutig eine Reform an, für die Sie nie den Mut hatten. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die F.D.P.-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der langanhaltende Beifall eben wirkte auf mich - ich bin auch lange genug in einer Fraktion gewesen, die die Regierung unterstützt hat - wie die letzte Ermunterung zum Durchhalten. Offensichtlich ist das auch nötig. In der Debatte über den Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ist in jedem Jahr ein Rekord zu vermelden. Dieser Haushalt ist seit langem der größte Einzelplan des Bundeshaushalts. In diesem Jahr betragen die Gesamtausgaben knapp 170 Milliarden DM. Damit geht jede dritte Mark des Bundeshaushalts in den Bereich Arbeit und Soziales. Meine Damen und Herren, das ist auch ein Ausweis dafür, daß der Sozialstaat nicht nur im Grundgesetz und auf dem Papier steht, sondern daß jede Regierung - natürlich auch die letzte Regierung aus CDU/CSU und Liberalen - ihren sozialstaatlichen Verpflichtungen nachkommen will. Dies ist dann auf Heller und Pfennig belegbar. Herr Bundesarbeitsminister, Herr Kues hat Ihren Haushalt eben als Anhängsel der Finanzpolitik bezeichnet. Ich möchte es etwas anders ausdrücken: Sie, Herr Riester, legen den Offenbarungseid für eine traditionelle SPD-Sozialpolitik vor, ohne daß dabei ein schlüssiges anderes Konzept überhaupt sichtbar würde. ({0}) Natürlich dämmert es Ihnen - Herr Dreßen, das macht wohl Ihren Galgenhumor aus -, daß Sparen mit Leistungseinschränkungen verbunden ist. Das wollen Sie bisher nicht wahrhaben. Deswegen ist das Haushaltssanierungsgesetz, das Sie parallel zum Haushalt vorsehen, schon ein Ausweis dafür, daß Sie ans Eingemachte gehen wollen. Das ist auch richtig und wichtig. Im übrigen ist es, Frau Dückert, keine neue Erkenntnis in diesem Haus, daß Sparpolitik eine Politik zugunsten der nächsten Generation ist. ({1}) Vielmehr ist es ganz selbstverständlich das Ziel auch der Sparanstrengungen der alten Regierung gewesen, die das wissen wir nun alle - durch die damalige Opposition vor allen Dingen im Bundesrat verhindert worden sind. Aber eines kann ich Ihnen versichern, meine Damen und Herren: Wir werden nicht den Weg von Oskar Lafontaine gehen und blockieren. Für uns ist Sparen nämlich immer mit Gestalten verbunden gewesen. Genauso werden wir das auch weiterhin halten. ({2}) Das Zurückdrängen der Staatsverschuldung und die Entlastung der sozialen Sicherungssysteme sind nun wirklich nicht neu. ({3}) All diejenigen, die in der letzten Legislaturperiode dabei waren, wissen, daß dies hier diskutiert worden ist, das es aber nur - das werden auch Sie jetzt spüren - mit einer Mehrheit im Bundesrat umzusetzen ist. Diese allerdings gehört nun nicht mehr Ihnen, sondern Sie sind genauso wie die alte Bundesregierung darauf angewiesen, mit der Opposition zusammenzuarbeiten. ({4}) - Liebe Frau Dückert, immerhin noch drei. ({5}) Das ist auch ganz gut so, und wir arbeiten kräftig daran, daß wir im nächsten Jahr auch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen der jeweiligen Landesregierung angehören werden. Da werden wir die Auseinandersetzung mit Ihnen noch suchen. Herr Riester, Sie müssen ja Ihren Beitrag zu dem Einsparziel in Höhe von 30 Milliarden DM bringen. Das wird nicht leicht sein. Sie werden auf jeden Fall noch 2 Milliarden DM suchen müssen. Wir sind gespannt, was Sie da noch auftreiben werden. Ich muß sagen: Wenn Sie es tatsächlich schaffen, die 30 Milliarden DM, die der frühere Finanzminister Lafontaine zusätzlich ausgegeben hat, jetzt wieder einzusammeln, dann ist das eine hohe Leistung. Ich sage es noch einmal: Wir werden es uns nicht nehmen lassen, gerade an der Gestaltung der Sozialpolitik mitzuwirken. Deswegen schauen wir uns einmal an, was Sie vorgelegt haben, Herr Riester: Das ist ein Sammelsurium von Maßnahmen, die Sie erstens entweder bei uns kopiert haben, ({6}) die zweitens lediglich eine Verschiebung von Lasten auf Länder, Kommunen und andere Sozialversicherungssysteme darstellen ({7}) oder drittens so willkürlich sind, daß sie den gewachsenen Strukturen in Deutschland nicht gerecht werden. ({8}) Ich will für alle drei Kategorien ein kurzes Beispiel geben. Zur ersten Kategorie, den kopierten Maßnahmen, gehört zweifellos die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe. Was haben wir mit Ihnen darüber debattiert! Frau Dückert, Sie waren damals noch nicht da. Aber die anderen wissen noch, was auch der Kollege Niebel eben gesagt hat: Am liebsten hätten Sie uns damals - selbstverständlich nur verbal betrachtet - geteert und gefedert. ({9}) Die Ausdrücke, mit denen Herr Dreßler uns im Plenum belegt hat - es kommt nicht von ungefähr, daß sich Herr Dreßler bei diesen Debatten nie mehr sehen läßt -, machen sehr deutlich, daß das Verhetzungspotential auf Ihrer Seite damals voll ausgespielt worden ist. ({10}) Zu dem zweiten Punkt, der Kategorie der schlichten Verschiebung. Da möchte ich wirklich sagen, Herr Riester: Wir können darüber debattieren, ob die Beiträge für Arbeitslose an die Rentenversicherung den tatsächlich gezahlten Zahlbeträgen angepaßt werden. Aber Sie müssen doch wissen, daß das einen Verschiebebahnhof zu Lasten der Kommunen darstellt. Die Kommunen werden Ihnen das über die Länder im Bundesrat dann auch sagen. Vor allen Dingen die Verschiebung in der Pflegeversicherung ({11}) ist nun wirklich nicht zu akzeptieren. Die Bundesanstalt für Arbeit wird dadurch entlastet. Aber trotzdem ist das Augenwischerei, denn den Zuschuß zur Bundesanstalt für Arbeit werden Sie etwas senken, und die Folgen werden die Pflegekasse und im Anschluß natürlich die Beitragszahler oder die Sozialhilfe zu tragen haben. ({12}) Alle Maßnahmen in der Arbeitslosenversicherung machen eines ganz klar: Sie wollen vermeiden, den Arbeitslosen schon heute mitzuteilen, daß Sie bei ihnen sparen, denn alles, was Sie einsetzen, sind ausschließlich Maßnahmen, die die heute Arbeitslosen erst in Zukunft zu spüren bekommen. Das betrachte ich als ziemlich zynisch. Das ist nicht mutig, wie Sie es hier darzustellen versuchen, sondern es ist schlicht zynisch. ({13}) Der Höhepunkt ist allerdings die Zumutung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie haben den demographischen Faktor abgeschafft. Ich freue mich, daß wir jetzt Unterstützung vom DGB und von den Sozialversicherungsverbänden bekommen, den demographischen Faktor wieder einzuführen. Darüber werden wir uns sicherlich mit Ihnen unterhalten. Aber ich sage Ihnen auch eines: Die anderen Vorschläge vom DGB und von den Sozialversicherungsverbänden sind hundertmal diskussionswürdiger als Ihre unsystematische Kürzung der Erhöhung der Rentenanpassung in diesem und im nächsten Jahr. ({14}) Genau dies hat der Bundeskanzler zu dem gesagt, was die alte Koalition gemacht hat. Als wir nämlich das Rentenniveau stufenweise absenken wollten, hat er gesagt, das sei unanständig, und hat tränendrüsendrückend mit seiner Mutter argumentiert. Herr Riester, der Bundeskanzler ist zwar jetzt nicht da, aber Sie sollten ihm einmal sagen, was Sie seiner Mutter jetzt zumuten, nämlich daß sie jetzt das, was wir in zwölf Jahren machen wollten, in zwei Jahren bluten muß. Das ist unanständig! ({15}) Lassen Sie mich noch eines dazu sagen. Sie argumentieren immer, die Rentner hätten fünf Jahre nur den Inflationsausgleich gehabt. ({16}) Aber sagen Sie doch dazu: Die Arbeitnehmer hatten auch nicht mehr. In den letzten zwei Jahren gab es jedoch für die Arbeitnehmer eine wirkliche Nettolohnsteigerung; aber die Rentner wollen Sie jetzt abkassieren. Auch das ist nicht in Ordnung. ({17}) Was Sie, meine Damen und Herren, hier bezüglich der Rente vorlegen, ist keine Reform. Vielmehr ist es Schöntuerei, wenn Sie diesen unsystematischen Eingriff als einen Reformansatz bezeichnen. Sie machen vielmehr Rentenpolitik nach Kassenlage. ({18}) Haben Sie, Herr Riester, irgendwann einmal Eckpunkte für eine richtige Reform vorgelegt? Heute haben Sie nicht davon gesprochen. Kein Wort hört man mehr davon. Es würde sich aber lohnen, darüber weiter zu diskutieren. Ich wiederhole unser Angebot zur Schaffung einer parteiübergreifenden Rentenreform. In dieser müssen aber eine einfache und überschaubare Lösung für das Hinterbliebenenrecht - wir haben dazu einen Vorschlag gemacht - und die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente enthalten sein. Das haben Sie alles einfach wieder zurückgenommen. Es muß Ihnen aber klar sein, daß dieses nicht so bleiben kann, wie es ist. Darüber müssen wir reden. In der Stärkung der Familienkomponente in der Rente sind wir uns einig; dafür werden wir einen Weg finden. Für all dies haben wir konkrete Vorschläge vorgelegt. Es geht uns aber auch darum, die private Vorsorge und die betriebliche Altersversorgung zu stärken und in diesem Zusammenhang auch Pensionsfonds zuzulassen. Dies ist aber ohne eine bessere Verzahnung von Sozialund Steuerpolitik nicht möglich. In diesem Zusammenhang werden wir mit Ihnen auch noch über Steuersenkungen für Arbeitnehmer reden müssen. Diese haben Sie bisher überhaupt noch nicht vor. Deshalb müssen Sie auch da noch nachbessern. Wir brauchen für einen solchen Konsens keinen Rentengipfel, sondern sachliche Gespräche, die Gemeinsames und möglicherweise auch Trennendes ausloten. Zu dem Trennenden, Frau Dückert, gehört ganz sicherlich die Grundsicherung innerhalb des Rentensystems. ({19}) Eine Aushöhlung des leistungsbezogenen Rentensystems kann nicht richtig sein. Wir können uns darüber unterhalten, wie wir im Rahmen der Sozialhilfe die Möglichkeiten verbessern. Wir müssen gemeinsam versuchen, dieses hinzubekommen, damit das verspielte Vertrauen endlich zurückgewonnen wird. Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sagen. Auch hier haben Sie, meine Damen und Herren, Hoffnungen geweckt - Herr Riester und auch Sie haben sie gerade wieder aufrechterhalten -, die sich in keiner Weise bewahrheiteten. Mit Blick auf das Vertrauen in die Demokratie halte ich das für eine höchst gefährliche Sache. Mit Ihrem Programm haben Sie 160 000 oder, wie wir heute hören, 180 000 Jugendliche in eine kurzfristige Maßnahme eingeschleust. ({20}) Was passierte dann? Darauf hat der Kollege vorhin schon hingewiesen. ({21}) Inzwischen sind 15 600 wieder arbeitslos. Von 40 000 Teilnehmern weiß man überhaupt nicht, wo sie geblieben sind. 7 500 haben danach eine Ausbildung abgebrochen, 8 500 haben echt Arbeit, und nur 1 700 haben einen Ausbildungsplatz gefunden. Meine Damen und Herren, hören Sie auf, sich und uns und die Jugendlichen zu belügen! Seien Sie endlich ehrlich, damit wir wirklich daran arbeiten können, Hoffnungsperspektiven aufzubauen. ({22})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Schwaetzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Walter Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Schwaetzer, Sie haben gerade Zahlen verwendet, die der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerkes in seiner Kritik an diesem Sofortprogramm gestern verwendet hat. Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal nachzurechnen und zu recherchieren, inwieweit diese Zahlen stimmen. Nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit stimmt keine dieser Zahlen. Die wenigen, die tatsächlich in der öffentlichen Diskussion verwendet werden, sind statistisch unseriös ermittelt. Deshalb hat die Bundesanstalt gestern in einer Pressemitteilung dies auch entsprechend dargelegt. Ist Ihnen diese Pressemitteilung bekannt, in der die Bundesanstalt für Arbeit ausdrücklich davor gewarnt hat, zum jetzigen Zeitpunkt, wo die Effizienz dieses Programms überhaupt noch nicht bewertet werden kann, mit einer solch pauschalen Kritik an die Öffentlichkeit zu gehen? ({0})

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Daß die Bundesanstalt, die dem Bundesarbeitsminister untersteht, nichts anderes sagen kann als „Nun wartet einmal ab!“, ist natürlich klar. ({0}) Herr Kues hat eben an Hand der Zahlen des Bundesinstituts für Ausbildung klargemacht, daß der einzige Fehler an den Zahlen des ZDH ist, daß sie zu niedrig sind. Die eigentliche Bilanz sieht also noch schlimmer aus als das, was der ZDH gestern veröffentlicht hat. Das ist - ich muß es Ihnen sagen - wirklich katastrophal. ({1}) Die Kritik kommt nicht von uns allein. Der DGBVorsitzende Schulte hat - ich glaube, es war in der vergangenen Woche - in der Sendung „Monitor“ genau die gleiche Kritik, nämlich daß dies ausschließlich kurzfristige Durchschleusungsmaßnahmen sind, geäußert. - Sie haben Erwartungen geweckt; Sie verspielen Vertrauen. Dies haben aber nicht nur Sie, sondern wir alle auszubaden, weil das Vertrauen in die Demokratie verspielt wurde. Das ist daran das Schlimmste überhaupt. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Schwaetzer, gestatten Sie noch eine zweite Frage des Kollegen Hoffmann?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Walter Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Schwaetzer, Sie kennen doch, so vermute ich, die Systematik dieses Programms. Sie wissen, daß es elf Maßnahmearten gibt, die in der Tat zeitlich gestaffelt sind. Es gibt kurz-, mittel- und längerfristige Maßnahmen, immer bezogen auf die jeweiligen Zielgruppen. ({0}) Es dürfte Ihnen doch auch bekannt sein, daß es von der Systematik her zu diesem Zeitpunkt viele gibt, die die Maßnahmen im positiven Sinne schon beendet haben, und andere, die mit diesen Maßnahmen gerade erst beginnen - insgesamt kommt man zu einer Zahl von 180 000 -, ({1}) und der DGB gesagt hat - ich selber hatte Gelegenheit, an einer Fachtagung zu dieser Thematik teilzunehmen -, daß dies ein begrüßenswertes und sinnvolles Programm sei. ({2}) Meine Frage ist daher: Sind Ihnen diese durchaus kritischen, aber positiven Stellungnahmen des DGB bekannt? Und kennen Sie die einzelnen Maßnahmearten? Wenn Sie diese kennen, können Sie nicht zu diesen Schlußfolgerungen kommen. ({3})

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, zu welchen Schlußfolgerungen ich komme, das müssen Sie schon mir überlassen. ({0}) Selbstverständlich haben wir im Ausschuß lang und breit über dieses Programm gesprochen. Wir haben immer darauf hingewiesen, daß es im Einzelfall durchaus sinnvoll sein kann, bestimmte Maßnahmen zum Beispiel der schulischen Qualifikation nachzuholen. Wir haben immer gesagt, daß uns der Betrag pro Maßnahme deutlich zu hoch erscheint. Was aber vor allen Dingen zu kritisieren war, waren die Erwartungen, die dadurch geweckt worden sind. Das Programm war doch als Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen deklariert. ({1}) Genau dieses Ziel aber, Frau Kollegin Rennebach, erfüllt es jetzt und in absehbarer Zeit nicht. Sie haben Erwartungen geweckt, die Sie nicht erfüllen können. ({2}) Darunter müssen alle leiden, und das ist das Schlimme. ({3}) Lassen Sie mich zu einem letzten Punkt kommen. Seit Sie die Regierung übernommen haben, hören wir von Herrn Riester, es müsse Ordnung auf dem Arbeitsmarkt hergestellt werden. Sehr geehrter Herr Riester, Ihre Regulierungsorgie hat dazu geführt, daß das größte Chaos entstanden ist: durch das Gesetz zur Scheinselbständigkeit und durch die Regelung zu den 630-MarkJobs. ({4}) Ich frage mich, wo denn endlich die Gesetzesvorlage zur Nachbesserung des Scheinselbständigengesetzes bleibt? Monat für Monat wird sie angekündigt, aber hier kommt nichts an. Wahrscheinlich wird auch keine Rückwirkung vorgesehen. ({5}) Jetzt wird mit dem Kopf geschüttelt. Der Wirtschaftsminister und die Wirtschaftspolitiker Ihrer Koalition haben allen Verbänden erzählt, es werde nachgebessert. Aber es kommt nichts. Wann legen Sie endlich eine Gesetzesvorlage vor? ({6}) Die Leute warten darauf, damit die Katastrophe in bezug auf die Existenzgründer endlich ein Ende hat. ({7}) Zu den 630-Mark-Jobs. Inzwischen inserieren die Zeitungsverleger flehentlich: Bitte nehmt dieses Gesetz zurück! Sie, Herr Riester, sagen, 2,5 Millionen seien angemeldet. Es wurde aber immer von 5 bis 6 Millionen gesprochen. Wenn ich nachrechne, stelle ich fest: Ganz offensichtlich sind 3 Millionen weggefallen. Das ist ja nun wirklich keine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wenn Ordnung auf dem Arbeitsmarkt Arbeit kostet, wenn dadurch Menschen Beschäftigungsmöglichkeiten genommen werden, dann ist das eine falsche Politik. Sie sollten sie korrigieren. ({8}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt in bezug auf den Haushalt für das Jahr 2000 genug zu debattieren, ganz sicher auch in bezug auf die Haushaltsbegleitgesetze. Ich hoffe inständig, daß auch unter konstruktiver Zuhilfenahme des Bundesrates die schlimmsten Fehler darin noch korrigiert werden können. Danke. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat nunmehr der Kollege Dr. Klaus Grehn von der PDS.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Haushaltsplan für das laufende Jahr erfüllt die Erwartungen, die die Wähler an die neue Bundesregierung und an die neue Politik hatten, trotz punktueller Verbesserungen nicht. Was dann im Verlaufe des Haushaltsjahres folgte, mutet wie der Gang durch einen Irrgarten an. Glaubte man bei einigen Entscheidungen, daß sie zu einer anderen Politik führen würden, waren andere genau das Gegenteil. Alles in allem wurde deutlich, daß von den hehren Vorstellungen und Zielen aus den Oppositions- und Wahlkampfzeiten immer deutlicher abgerückt wurde. Wo ist die Umsetzung der vielen Oppositionspositionen im Sozial- und Arbeitsmarktbereich geblieben? Wir erinnern uns nur allzugut an den Schlagabtausch ({0}) - ja, Herr Ostertag, ich erinnere mich daran sehr gut zum Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm, zum Sozialgesetzbuch III, zur Zukunft der Renten oder den Veränderungen des Bundessozialhilfegesetzes, um nur einiges zu nennen. Ich kenne aus praktischer Arbeit die Hoffnungen der Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger, Rentner, Behinderten, der an den Rand der Gesellschaft Gedrängten sehr gut. Ich erinnere mich an die in den Anhörungen vertretenen Positionen der damaligen Opposition ebenso deutlich. Das alles waren wichtige Gründe, die die Wähler zu ihrer Wahlentscheidung im September 1998 veranlaßt haben. Nun hat die neue Bundesregierung den Haushaltsplan für das Jahr 2000 vorgelegt. Für den Einzelplan 11 läßt sich feststellen: Er verursacht bei Betroffenen Wut und Empörung, und das nicht, weil sie zu den Legendenträgern der hohen Nebenverdienste gehören, Herr Bundesminister. Dieser Einzelplan setzt weder die vormaligen Oppositionspositionen noch die Wahlversprechen um. Schon gar nicht erfüllt er die Erwartungen der Ausgegrenzten, Bedrängten und Benachteiligten. Daß dies keine theoretische oder gar ideologisch gefärbte Position ist, haben die Wahlen in diesem Jahr gezeigt. Die Ergebnisse sind eine Quittung dafür, daß die sozialen Schieflagen überwiegend nicht beseitigt, sondern mehrfach vergrößert wurden. Wegen der sozialen Schieflagen haben die Wähler Rotgrün auf die Stimmenrutsche gesetzt. Bereits am Sonntag, wenn die Wahlergebnisse aus Sachsen vorliegen, werden Sie erneut einen Beweis erhalten, wie die Sicht der Wähler auf diese Art von Politik ist. Es ist eine Politik, die die Erwartungen an mehr soziale Gerechtigkeit bitter enttäuscht. Unter anderem wegen des Grundsatzes von mehr sozialer Gerechtigkeit hatte die gegenwärtige Regierungskoalition die Zustimmung der Wähler erhalten. Es ist nicht akzeptabel, wenn sie sich nun wegen eines im übrigen nicht neuen Sparzwanges von diesem Grundsatz verabschiedet. Statt den Sparzwang als Begründung zur Reduzierung des Sozialstaates anzuführen, sollte das Sparen dem höheren Prinzip der sozialen Gerechtigkeit folgen und es verwirklichen helfen. Statt dessen droht Sparen zur moralischen Keule gegen die sogenannten nicht Sparbereiten zu werden, die allzu häufig wegen ihrer finanziellen Schwäche die nicht Sparfähigen sind. Sparen bei den Armen, für Rotgrün nun eine politische Notwendigkeit, wird für die Betroffenen, insbesondere die 80 Prozent von ihnen, die jetzt schon weniger als 1 200 DM im Monat erhalten, zu einer Frage des finanziellen und materiellen Überlebens. Wie soll - so ist der Bundeskanzler zu fragen - mit dieser Politik seine in der Haushaltsdiskussion am 24. Februar formulierte Herzensangelegenheit, die Wiederherstellung der sozialen Balancen, umgesetzt werden? Der Haushaltsplanentwurf wird weder dieser Herzensangelegenheit gerecht, noch bewegt er sich auf der Ebene der Wahlversprechen. Er ist nicht sozial gerecht, sondern sozial ungerecht und unanständig, weil er sich auf tiefe Einschnitte bei den Sozialleistungen konzentriert. Das ist um so verwunderlicher, als sich Rotgrün doch am Abbau der Arbeitslosigkeit und nicht am Abbau der Sozialleistungen messen lassen wollte. Es ist auffällig, daß in der Haushaltsplanung jeglicher Hinweis auf sinkende Arbeitslosenzahlen fehlt. Geringere Ausgaben vor allem bei der Arbeitslosenhilfe und beim Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit beruhen gemäß der Haushaltsplanung keineswegs auf sinkenden Arbeitslosenzahlen. Statt dessen ist das einzige Argument die Haushaltssanierung. Immerhin wird selbst in der Bundesanstalt für Arbeit in diesem und in den nächsten drei Jahren mit sinkenden Arbeitslosenzahlen gerechnet. Allerdings, Herr Riester, ist dies kein Erfolg der Regierungspolitik. Die Ursachen liegen vielmehr in der demographischen Entwicklung, die allerdings ein Ergebnis vormaliger verfehlter Politik ist. Es kann Ihnen auch nicht erspart bleiben zu begründen, warum Sie angesichts des Zieles des Abbaus der Arbeitslosigkeit gerade bei den Mitteln für die Förderung von Maßnahmen zur Erprobung zusätzlicher Wege in der Arbeitsmarktpolitik Einsparungen in Höhe von 20 Millionen DM bzw. von mehr als 20 Prozent vornehmen. Im vorliegenden Haushaltsplanentwurf sucht man vergeblich nach einer Begründung. In der öffentlich geführten Diskussion über die soziale Schieflage nimmt die Regierungskoalition bekanntlich eine Abwehrhaltung ein. Angesichts der konkreten Planinhalte ist diese Abwehr unverständlich; denn von den bis 2003 vorgesehenen Einsparungen in Höhe von 150 Milliarden DM entfallen 67 Milliarden DM auf den Bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Von den im Jahre 2000 im Sparpaket vorgesehenen Einsparungen in Höhe von 30 Milliarden DM entfallen nahezu 50 Prozent auf den Einzelplan 11, und von den 12,5 Milliarden DM, die der Bundesarbeitsminister einsparen möchte, entfallen auf das Kapitel 11 12, also auf das Kapitel bezüglich der Arbeitslosenhilfe, der Arbeitsfördermittel und des Zuschusses des Bundes an die Bundesanstalt für Arbeit zusammen mit der in Kapitel 11 12 bereits eingestellten globalen Minderausgabe in Höhe von 700 Millionen DM sage und schreibe 8,5 Milliarden DM bzw. 68 Prozent. Die Ausgaben im Rahmen der Arbeitslosenhilfe sollen um 5,8 Milliarden DM niedriger ausfallen, obwohl Ende Juni dieses Jahres mit 62 Prozent des Haushaltssolls bereits mehr ausgegeben worden ist als zu erwarten war, und obwohl man im Ansatz für das Jahr 2000 von einer eigentlich gleichbleibenden bzw. leicht steigenden Zahl von Arbeitslosenhilfebezieherinnen bzw. -beziehern ausgegangen ist. Die Einsparungen werden allein den Maßnahmen des Sparpakets zugeschrieben. Der Sozialabbau trifft in besonderer Weise ohnehin die Arbeitslosenhilfebezieherinnen bzw. -bezieher, und zwar durch die Neuberechnung der Beiträge zur Renten- und Pflegeversicherung und die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe. Wenn das Sparpaket damit begründet wird, daß den zukünftigen Generationen weniger Schulden hinterlassen werden sollen - dieses Ziel ist durchaus ehrenwert -, dann wird der kommenden Generation mit den Maßnahmen, die in diesem Einzelplan vorgesehen sind, die Gefahr zunehmender Altersarmut aufgebürdet. Immerhin liegen die Rentenkürzungen pro Jahr des Bezugs von Arbeitslosenhilfe nach heutigen Rentenwerten zwischen 11 und 33 DM monatlich. Da Arbeitslosenhilfeempfänger in aller Regel Langzeitarbeitslose sind, potenzieren sich die Kürzungen erheblich. Wenn dazu im Haushaltssanierungsgesetz bemerkt wird, das mache nichts, weil ja eine bedarfsorientierte Grundsicherung eingeführt werden solle, liegt der Verdacht des Zynischen nahe. Im Jahresdurchschnitt gibt es 1,4 Millionen Langzeitarbeitslose. Herr Riester, die Bundesregierung wurde von der Europäischen Kommission ermahnt, etwas dagegen zu unternehmen. Es hat sich sehr wenig bewegt. Der Behauptung, daß es eine Reduzierung der Zahl der Langzeitarbeitslosen gegeben haben soll, kann ich nicht folgen. Die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe für zuletzt durchschnittlich 70 000 bis 80 000 Personen bedeutet neben Einsparungen in Höhe von 1 Milliarde DM im Bundeshaushalt zugleich Beitragsausfälle in der Rentenversicherung und in der Pflege- und Krankenversicherung sowie den Verlust von Rentenansprüchen für die Betroffenen. Außerdem bedeutet sie für die Kommunen Mehrausgaben im Sozialhilfebereich von bis zu 600 Millionen DM. Neben den Belastungen durch die ökologische Steuerreform halbiert die vorgesehene Anpassung der Lohnersatzleistungen und der Renten an die Preissteigerung die Erhöhungsbeträge. In den Kürzungskatalog aufgenommen wurde die Verringerung der Sachkostenzuschüsse für Träger von ABM um 500 Millionen DM bzw. sage und schreibe um nahezu 85 Prozent. Diese Kürzungen gefährden die arbeitsmarktpolitische Wirksamkeit von ABM. Das gilt auch, wenn der reale Bedarf der Träger an Sachkostenzuschüssen und der geringe Abfluß der Mittel in krassem Widerspruch zueinander stehen. Die Aufklärung dieses Widerspruches ist für die künftige Wirkung von ABM unverzichtbar. Im Bereich der Rentenversicherung fehlt zudem jeder Hinweis auf die Bereitstellung jener Mittel, die durch die Umsetzung der vier einschlägigen Urteile des Bundesverfassungsgerichts notwendig sind. Damit ist klar, daß eine ganze Reihe der Betroffenen die Umsetzung dieser Urteile nicht mehr erleben wird. Als letztes Beispiel der unvollständigen Liste zur sozialen Ausrichtung des Haushaltsplanes verweise ich auf die im Einzelplan 11 vorgesehenen Kürzungen der Mittel für die soziale Eingliederung von Menschen mit Behinderungen, wie zum Beispiel die Kürzung der Mittel für die Förderung zentraler Einrichtungen und für Maßnahmen des Behindertensports um ein Drittel sowie die Kürzung bei den Zuschüssen zur Förderung der sozialen Eingliederung behinderter Menschen. Wenn die Regierungskoalition dem Leitmotiv von mehr sozialer Gerechtigkeit folgen will, kann ich ihr nur empfehlen, das Leitmotiv der gegen den von ihr eingeschlagenen Weg agierenden Betroffenen und ihrer Verbände nachvollziehbar zu berücksichtigen: Streichen bei den Reichen statt sparen bei den Armen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort der Kollegin Konstanze Wegner, SPD-Fraktion.

Dr. Konstanze Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sparen macht keinen besonderen Spaß - das muß ich ehrlich sagen -, und zwar schon gar nicht, wenn es im Bereich des Sozialhaushalts sein muß, ({0}) wo die Maßnahmen vor allem auch die Anhängerschaft der eigenen Partei treffen. ({1}) So etwas zu tun ist durchaus mutig, und es ist nicht vergnüglich. ({2}) Sparen ist aber notwendig, wenn wir den Staat wieder handlungsfähig machen wollen und wenn wir der jungen Generation Chancen eröffnen wollen. ({3}) Im Haushalt 2000 klafft eine nicht durch Steuereinnahmen gedeckte Finanzierungslücke von rund 80 Milliarden DM. Haushaltslöcher dieser Größenordnung sind nun einmal eine Erbschaft der Regierung Kohl/Waigel. ({4}) Das können Sie nicht bestreiten. ({5}) Wir haben zwar von Ihnen diese Haushaltslöcher geerbt, aber wir können nicht die Methoden übernehmen, die Sie angewandt haben, um diese Haushaltslöcher zu verkleistern. ({6}) Erstens können wir eben nicht Jahr für Jahr uns bis an die Grenze der Verfassungsmäßigkeit Geld pumpen; zweitens können wir nicht, so wie es Waigel gemacht hat, das Bundesvermögen verkaufen - es ist fast alles verkauft; Sie haben fast alles verscherbelt, was da war -, ({7}) und drittens wollen und können wir keine Steuererhöhung machen. Deshalb bleibt uns nur der sehr bittere Weg des Sparens, wenn wir überhaupt einen verfassungskonformen Haushalt aufstellen wollen. Dabei kann auch der Sozialhaushalt, der immerhin 42 Prozent des Gesamthaushalts umfaßt, nicht ausgenommen werden. Wo immer man jedoch im Sozialhaushalt kürzt - das ist das Problem -, trifft man die Schwächeren in dieser Gesellschaft. Wenn wir uns einmal den Sozialetat des laufenden Haushalts 1999 angucken, werden wir finden, daß es da drei große Kostenblöcke gibt. Der erste ist der Bereich der Sozialversicherungen - das heißt, der Renten - mit rund 119 Milliarden DM; dann kommt der Bereich der Arbeitslosenhilfe für die Langzeitarbeitslosen mit etwa 30 Milliarden DM, und schließlich kommen die Maßnahmen, die der Bund direkt als aktive Arbeitsmarktpolitik durchführt; das sind rund 14 Milliarden DM im laufenden Haushalt. Wir haben uns nun entschieden, folgendes zu tun: Bei den Rentnern wird es zwei Jahre lediglich einen Inflationsausgleich geben - bis zum Jahr 2001 -, und anschließend werden wir zu einer an der Lohn- und Gehaltsentwicklung orientierten Anpassung zurückkehren. ({8}) Das Protestgeschrei, das Sie hier erheben - das ist heute schon oft gesagt worden -, ist absolut heuchlerisch; ({9}) denn in den letzten Jahren Ihrer Regierung haben die Rentner nicht einmal den Inflationsausgleich bekommen. ({10}) Ich sage Ihnen eines: ({11}) Diesen Beitrag müssen die Rentner zur Stabilisierung der künftigen Systeme leisten. - Bitte, schreit nicht mir dazwischen; schreit der Opposition dazwischen. ({12}) Frau Kollegin Schwaetzer, zu Ihrer Rede möchte ich nur einen Satz sagen: Ich halte Sie für eine sehr kluge und kompetente Frau, aber nach dem, was Sie heute gesagt haben, fange ich an, mich nach Frau Babel zurückzusehnen. Das will etwas heißen. ({13}) Ich möchte etwas zur Situation der Rentner sagen. Ich denke, insgesamt - das ist sehr erfreulich - ist die Situation der Rentner in unserem Land nicht schlecht. Nicht jeder Rentner ist arm, meine Damen und Herren. Einem Drittel geht es heute materiell sehr gut, zum Beispiel weit besser als jungen Familien oder Alleinerziehenden. Einem zweiten Drittel geht es zufriedenstellend. Die Probleme befinden sich im letzten Drittel. Darunter sind in der Tat vor allem Frauen mit ganz niedrigen Renten, die gar keine Erwerbsbiographie oder nur eine lückenhafte Erwerbsbiographie haben. Hier werden wir - das hat Minister Riester auch gesagt - mit der Riesterschen Rentenreform eine soziale Grundsicherung einführen, die diese Frauen dann von der Sozialhilfe unabhängig macht. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Wegner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grehn?

Dr. Konstanze Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wenn es sein muß.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich danke Ihnen herzlich. Es muß sein. - Sie haben gesagt, insgesamt gehe es den Rentnern nicht schlecht. Nicht alle hätten wenig Geld. Können Sie etwas näher quantifizieren, was sich dahinter verbirgt?

Dr. Konstanze Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann es gerne wiederholen. Ich habe gesagt: Insgesamt ist die Situation der Rentner nicht schlecht. Man muß aber differenzieren. Einem Drittel geht es sehr gut, besser als jungen Familien und Alleinerziehenden. Einem zweiten Drittel geht es zufriedenstellend, und die Probleme, die wir haben, liegen beim letzten Drittel. Darunter ist ein Prozentsatz von Menschen, vor allem Frauen, mit unzumutbar niedrigen Renten. Für diese werden wir die soziale Grundsicherung einführen. ({0}) Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen - das weiß ich aus vielen Gesprächen vor Ort, und es ist zur Zeit nicht leicht, diese Diskussionen zu führen -, daß die meisten Rentner durchaus einsehen, daß der zweijährige Verzicht auf die volle Anpassung ein struktureller Beitrag zur Sanierung des Staatshaushaltes und vor allem zur langfristigen Sicherung des Rentensystems ist, und daß sie bereit sind, diesen Beitrag zu bezahlen. Sehr viel problematischer - das will ich hier offen zugeben - als die Einsparung bei den Rentnern erscheint mir persönlich eine andere Sparmaßnahme: die Kürzung der Rentenversicherungsbeiträge für die Arbeitslosenhilfeempfänger auf den reinen Zahlbetrag. Die Langzeitarbeitslosen werden damit doppelt getroffen: Sie haben ihren Arbeitsplatz verloren, und sie erhalten jetzt weiter gekürzte Renten. Es wundert mich immer, daß diese Maßnahme in der Öffentlichkeit lange nicht die Diskussionen ausgelöst hat wie bei den Rentnern. ({1}) Ich ziehe daraus den Schluß, daß der alte Satz „Arbeitslose haben keine Lobby“ wahr ist. ({2}) Dennoch - das muß ich hier mit aller Deutlichkeit sagen - ist auch diese Sparmaßnahme unumgänglich, weil wir keine andere Wahl haben. Ich komme auf eine weitere Sparmaßnahme, nämlich die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe. Hier kann man schon sagen, daß dies von der Versicherungssystematik her und auch als Sparmaßnahme vertretbar ist, vorausgesetzt, die Kommunen erhalten einen Ausgleich für die Lasten, die auf sie zukommen. ({3}) Aber eben dies ist vorgesehen, wenn man das Gesamtprogramm betrachtet, das Minister Eichel vorgestellt hat, denn in der mittelfristigen Finanzplanung werden Länder und Kommunen im Schnitt um eine halbe Milliarde entlastet. Es gehört zur Ehrlichkeit, daß man auch das hier sagt. ({4}) In den dritten großen Bereich des Sozialhaushaltes, in die aktive Arbeitsmarktpolitik, greifen wir bewußt nicht ein, sondern führen sie entsprechend unserem Wahlversprechen auf hohem Niveau fort. ({5}) Damit bieten wir den Arbeitslosen und auch gerade jungen Leuten mit unserem Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit eine Chance - für viele ist es die einzige, in Beschäftigung zu kommen. ({6}) Durch die Verstetigung des Zuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit schaffen wir Planungssicherheit für die Träger, im Gegensatz zu der Stop-and-go-Politik, die ihre Regierung früher betrieben hat. Wenn wir hier einschneiden würden und bei der Bundesanstalt um Milliardenbeträge kürzten, wie Sie es immer beantragt haben, würde das automatisch zu einer Erhöhung der Arbeitslosenzahl im Osten führen, und das kann niemand wollen, der halbwegs verantwortungsbewußt ist. ({7}) Es bleibt als weiteres Problem die beträchtliche Minderausgabe in Höhe von 2,4 Milliarden DM im Haushalt. Das ist ein Problem, aber ich kann Ihnen sagen, daß Minister Riester mit seinem Haus äußerst konstruktiv an dieser sehr schwierigen Aufgabe mitgearbeitet hat und wir einen Vorschlag zur Abdeckung der Minderausgabe vorlegen werden. Sie werden das erfahren. Es bleiben uns noch zweieinhalb Monate Zeit, um das zu erarbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Anfang dieser doch sehr schmerzlichen und schwierigen Sparoperation stellen sich zwei Fragen. Erstens. Was gewinnt der Staat, wenn diese Operation gelingt? Zweitens. Gibt es eine Gerechtigkeitslücke in der Politik der rotgrünen Regierung? Zur ersten Frage: Ich hoffe, daß das Sparpaket möglichst unverändert umgesetzt werden kann, denn nur so gewinnt der Staat seine Handlungsfähigkeit zur Politikgestaltung zurück, und nur so bauen wir allmählich die Lasten ab, die wir der jungen Generation alle gemeinsam in den letzten Jahrzehnten aufgebürdet haben. ({8}) Bezüglich der sozialen Gerechtigkeit gibt es in der Politik der rotgrünen Regierung kein Defizit; denn mit der ersten Stufe der Steuerreform, die vor allem Familien und Bezieher kleiner Einkommen spürbar entlastet hat, und mit der Rücknahme sozial ungerechter Gesetze der alten Regierung Kohl ist ein Teil von Gerechtigkeit in diesem Land wiederhergestellt worden. Leider haben die Wählerinnen und Wähler fast alles schon wieder vergessen. ({9}) - Diese Bemerkung müssen Sie mir schon gestatten. Vielleicht haben wir auch den Fehler gemacht, unsere Politik zu wenig überzubringen; das will ich gern zugeben. Meines Erachtens existiert jedoch unzweifelhaft eine Gerechtigkeitslücke in der Gesellschaft, und auch das ist eine Erbschaft aus der Regierungszeit von Helmut Kohl. ({10}) Es fehlt in unserem Land nach wie vor ein Beitrag der großen Vermögen zu den Kosten der Einheit und zu der Sanierung des Staatshaushalts. Wenn der damalige Kanzler Kohl zur Zeit der Wiedervereinigung 1990 einen angemessenen Beitrag der großen Vermögen zu den Kosten der Wiedervereinigung verlangt hätte, hätte sich keiner gemuckt oder widersetzt. ({11}) Heute ist die Durchsetzung einer solchen Forderung viel schwieriger. Beispielsweise werden manche verfassungsrechtliche, vielfach aber auch nur vorgeschobene Bedenken gegen die Wiedereinführung der privaten Vermögensteuer ({12}) oder einer angemessenen Erhöhung der Erbschaftsteuer ins Feld geführt. Ich denke, die Lösung dieses Problems ist überfällig. Sie soll kein Schnellschuß sein, ({13}) sie muß verfassungsrechtlich in Ordnung sein. Ich denke, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. ({14}) - Ich will sie, Herr Niebel. Sie brauchen nicht dazwischenzuschreien. Es ist eine Gerechtigkeitslücke, die aus Ihrer Regierungszeit stammt. ({15}) Das sogenannte Sparpaket, meine Damen und Herren, ist notwendig. Es sollte nicht weiter zerredet werden, auch nicht in der eigenen Partei. Es sollte möglichst nicht aufgeschnürt und zerfasert werden. Ich denke auch, die Opposition sollte ihre Polemik einstellen und sich konstruktiv an der Sanierung des Staatshaushalts beteiligen. Sie haben hier eine Bringschuld; denn es waren in der Tat CSU, CDU und F.D.P., die durch ihre unverantwortliche Schuldenpolitik den Staatshaushalt ruiniert haben. Danke. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht nun der Kollege Joachim Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als erstes möchte ich bemerken, daß der größte Einzeletat des Bundeshaushalts ganz besonders unter Gerhard Schröder leidet. Frau Kollegin Wegner, das Problem ist nicht in erster Linie, daß wir sparen müssen. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die Summen der Anträge auf zusätzliche Ausgaben zusammenzurechnen, die die SPD-Fraktion in den letzten 16 Jahren im A-und-S-Ausschuß sowie im Haushaltsausschuß gestellt hat. ({0}) - Es war sehr viel Arbeit. - Ich bin auf über 100 Milliarden DM gekommen. Die Leute, die hier erzählen, daß man sparen muß, haben das erst begriffen, seit sie in der Regierung sind. ({1}) In der Opposition ist es offensichtlich doch schöner, und weil Sie so schlecht begreifen, gehören Sie dort auch bald wieder hin. ({2}) Nein, meine Damen und Herren, es geht eher um die Art und Weise, in der hier Politik gemacht wird. Wie man als Berichterstatter hört - Sie wissen, da gibt es den Bischof von Hildesheim, ({3}) - vielleicht auch jetzt die Bischöfin - , wurde das Ministerium am Beginn seiner konzeptionellen Arbeit von der Sparidee, die sehr plötzlich über die Häuser hereinbrach, völlig überrascht. Dies wird einem von Beamten aus dem Haus bestätigt. Man wurde gezwungen, ausschließlich fiskalisch zu denken. Das ist das Problem, das zur Zeit besteht. ({4}) Das heißt, man tritt ohne Konzeption in Aktion. Dies ist ein typischer Managerfehler. Hier hat der Chef versagt. Es ist besonders für die Sozialpolitik tödlich, wenn dadurch die Politik nicht vertrauenswürdig geführt werden kann. ({5}) Ich möchte das belegen, und zwar nicht nur mit der verkorksten Rentendebatte. Wir befinden uns in der Haushaltsdebatte. Manchmal hat man allerdings den Eindruck, man hört Besinnungsaufsätze. Ein Beleg ist vor allem die globale Minderausgabe mit 2,4 Milliarden DM. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, Herr Riester mußte die 2,4 Milliarden DM einbringen, damit die Vorlage von Herrn Eichel überhaupt rechnerisch aufgeht. Er weiß noch nicht, woher er sie nehmen soll. Wenn er es wüßte, würde er es uns vielleicht sagen. Herr Minister Riester, Sie haben hier sehr viel erzählt, aber die haushaltspolitische Wahrheit, die Sie als Minister gewährleisten müssen, haben Sie heute nicht präsentiert. ({6}) Eine globale Minderausgabe von seiten der Regierung in dieser Höhe gab es im Sozialetat in der ersten Lesung eines Bundeshaushalts noch nie. Das werden die Haushälter wissen. Was hätten Sie an dieser Stelle Waigel und Blüm vorgeworfen, wenn dies vorgekommen wäre? Sie hätten verlangt, daß die Haushaltsberatungen ausgesetzt werden, bis entsprechende Ausplanungen stattgefunden haben. Das hätten Sie getan. ({7}) So fragen wir ganz einfach: Ist das Sparziel auch hier eine Luftnummer, oder wollen Sie warten, bis die Wahlen in Sachsen und Berlin vorbei sind, um dann den echten Schröder-Wein einzuschenken? Wir als CDU/CSU verzichten darauf, jetzt zu sehr zu agitieren und den sozial Schwachen Angst zu machen. ({8}) Sie würden jetzt im Land herumrennen und sagen, was alles noch für schlimme Dinge geschehen werden. Wir wollen nur eines und verlangen schlichtweg: Legen Sie unverzüglich einen ausgeplanten Entwurf vor - nichts weiter -, damit Klarheit darüber herrscht, worüber wir überhaupt reden können. ({9}) Ich möchte auf die Zeitbomben hinweisen, die heute noch gar nicht zur Sprache kamen, so zunächst einmal auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Aufstockung der Renten nach dem AAÜG. Bekanntlich wurde in diesem Jahr dazu ein Urteil gefällt. Bewußt haben Sie die Gesetzesarbeiten so hinausgezögert, daß Sie heute dazu noch nichts sagen müssen. Hier fallen dreistellige Millionensummen, wahrscheinlich in der oberen Hälfte, an; und kein Wort vom Minister dazu an diesem Tag. Das bedeutet, daß die globale Minderausgabe in Höhe von 2,4 Milliarden DM, die nicht konkretisiert ist, zusammen mit der halben Milliarde oder noch etwas mehr, die auf Grund dieser Gesetzgebung erforderlich ist, sowie den Nachzahlungen, die zu leisten sind, eine Summe von zirka 3 Milliarden DM ergibt, über die Minister Riester heute keine Auskunft geben kann. So eine große Summe hatten wir in diesem Stadium der Beratungen zum Bundeshaushalt noch nie. ({10}) Ich fange langsam an zu verstehen, warum unter Haushältern vom „blanken Hans“ die Rede ist. Für die NichtInsider: Damit meinen wir Herrn Eichel. Ich stelle die zweite Frage, die bisher ebenfalls in keiner Weise beantwortet wurde: Was machen Sie eigentlich, wenn die Ökosteuer tatsächlich ihren Zweck erfüllt? Was machen Sie, wenn weniger verbraucht wird und damit das Aufkommen niedriger ist? Dann fehlen Ihnen ganz schnell Beträge in Milliardenhöhe. ({11}) Das wäre nicht so tragisch, wenn es nur darum ginge, einen einmaligen Ausfall von einigen Milliarden DM zu verkraften. Aber Sie haben die Einnahmen aus der Ökosteuer mit den gesamten Transfers im Sozialbereich verquickt. Jeder, der diese Regelungen ändern und die Politik auf ein anderes Gleis führen will, wird sich damit sehr schwer tun, weil er dann aus dem Stand heraus große Milliardensummen aufbringen muß. Auf die Frage, was geschieht, wenn die Ökosteuer weniger einbringt, geben Sie keine Antwort. ({12}) Ich fordere an dieser Stelle: Wer sich der sogenannten Ökosteuer zur Rentenfinanzierung bedient, der muß die Schwankungsreserve bei den Renten erhöhen. Nur so kann man den Rentnern die Angst nehmen, daß die Rente gekürzt wird, wenn es weniger Einnahmen aus der sogenannten Ökosteuer gibt. ({13}) Eine weitere Bemerkung. Das Rentenchaos verdeckt den eigentlichen Skandal. Ich habe mich heute gewundert, wie wenig das Thema Arbeitslosigkeit zur Sprache kam. Sie haben bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit versagt. Das muß heute einmal gesagt werden. ({14}) Dieses Versagen hat den Steuerzahler ungefähr 9,8 Milliarden DM gekostet. Dafür sind Sie verantwortlich. ({15}) Obwohl überall um uns herum, ob in Frankreich oder auch in den USA, die Steuerquellen sprudeln und die Konjunktur läuft, nimmt bei dieser rotgrünen Regierung die Zahl der Erwerbstätigen ab statt zu. Dabei rechnen die Institute im Jahre 2000 - ohne Zutun der Politik mit zirka 200 000 weniger Arbeitslosen, weil die Zahl der Erwerbsfähigen stark abnimmt. Allein schon deswegen müßte eine Rückführung des Bundeszuschusses nach Nürnberg um 6 Milliarden bis 8 Milliarden DM möglich sein. Dann erst, Herr Riester, fängt die politische Leistung an. Wenn ich höre, wie kläglich Sie mit den Zahlen von 150 000 oder 200 000 weniger Arbeitslosen operieren, dann zeigt mir das, wie wenig Vertrauen Sie in Ihre eigene Politik haben. Ansonsten wären Sie davon überzeugt, daß die Maßnahmen, die Sie hier als gut bezeichnen, tatsächlich einmal anfangen zu wirken. Dieses Vertrauen schlägt sich auch nicht in den Zahlen für den Haushalt 2000 nieder, da statt null DM 9,85 Milliarden DM für die entsprechende Position des Haushaltes veranschlagt werden. ({16}) Die CDU/CSU fordert die Senkung dieses Ansatzes, damit Sie endlich gezwungen werden, das Notwendige zur Belebung des ersten Arbeitsmarktes zu tun. Statt dessen schröpfen Sie die Bezieher von Arbeitslosenhilfe sowie die jungen Wehr- und Ersatzdienstpflichtigen. Die Rentenbeiträge für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe werden jährlich um 4 Milliarden DM gekürzt. Die betroffenen Menschen werden auf eine Rente in Höhe der Sozialhilfe buchstäblich hingeführt. In der Begründung zu dem Gesetzentwurf - man sollte sie einmal nachlesen - wird kleingedruckt offenbart, was eigentlich dahintersteckt. Dort heißt es nämlich, daß die Maßnahme sozial begründbar sei, weil eine solide Grundsicherung geschaffen werden soll. Diese Regierung arbeitet also darauf hin, daß eine soziale Grundsicherung erforderlich wird. ({17}) Eine Politik dieser Art lehnen wir als CDU/CSUFraktion vollständig ab. ({18}) Diese Politik ist auch haushaltspolitisch äußerst unseriös. Jetzt reduzieren Sie die Rentenanwartschaften der sozial Schwächeren, um den Haushalt zu sanieren. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf die Grundsicherung. Für diese Grundsicherung haben Sie aber keine einzige Mark im Haushalt eingestellt. ({19}) Zeigen Sie uns einmal, wo das Geld für die Grundsicherung steckt, Herr Riester! Ich gehe nicht davon aus, daß Sie vorhaben, dieses Geld ohne weitere Finanzierungsmöglichkeit aus dem Rententopf zu nehmen. Wenn Sie das anders machen wollen, dann müssen Sie neues Geld beibringen. Bisher habe ich noch keine Lösung gesehen; ich warte auf eine Antwort. Sie wollen jetzt kassieren und erst später finanzieren. Das ist das Fazit: Eichel und Riester wollen den Haushalt im Sozialbereich durch Verschiebung von Aufgaben auf die Zukunft sanieren. Das ist die Wahrheit Ihrer Politik: Sie stellen Schecks für die Zukunft aus, die über die Grundsicherung eingelöst werden. Wie ernüchternd Regierung sein kann, sieht man an folgendem: 1989 hat die SPD im Zusammenhang mit dem Rentenkonsens die damalige Bundesregierung zu ebendiesem Schritt gezwungen, den Rotgrün jetzt wieder rückgängig macht, nämlich die Anhebung der für Arbeitslosenhilfebezieher abgeführten Beiträge. Damals waren Sie es, die das in den Vermittlungsgesprächen erzwungen haben. Jetzt machen Sie es auf einmal wieder anders. Als wir die originäre Arbeitslosenhilfe abschaffen wollten, haben Leute wie Eichel und Schröder das im Bundesrat verhindert. Aber auch Sie, die Sie dort sitzen, waren über die Gremien dabei: Im A-und-SAusschuß und im Haushaltsausschuß haben Sie Zeter und Mordio geschrien und das ganze Land sozialpolitisch in Brand gesteckt. Und jetzt soll das auf einmal gehen. ({20}) - Auch wir wollten damals nichts anderes als eine solide Finanzierung des Haushaltes, und hinsichtlich der Ausgleichsmaßnahmen für die Kommunen haben wir dieselben Ansätze gehabt. Also, da haben Sie wirklich keinen guten Stich gemacht. Zusammengenommen muß man ganz klar sagen: In diesem Haushalt gibt es viel mehr Löcher, als bisher diskutiert wurden. An Ihrer Stelle wäre ich nicht so sicher, daß Sie mit diesem Haushaltskonzept auch nur ansatzweise über die Runden kommen. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Kollegin Ekin Deligöz spricht nun für Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Kindern geht es heute besser als den früheren Generationen von Kindern: Der Familienalltag ist demokratischer geworden, der materielle Standard ist höher denn je - aber das Ganze nur im Durchschnitt. Denn gleichzeitig können wir in unserer Gesellschaft feststellen, daß die Tendenzen sozialer Spaltung vor der Familie nicht haltmachen. In der Bundesrepublik Deutschland leben 1 Million Kinder und Jugendliche in Familien, deren Existenzgrundlage die Sozialhilfe ist. Der 10. Kinder- und Jugendbericht brachte es an den Tag: Kinder sind heute das Armutsrisiko Nummer eins. Vor allem: Armut ist kein Randgruppenproblem mehr. Sie trifft das Kind, dessen Vater kein oder zuwenig Unterhalt zahlt. Sie trifft immer öfter auch Familien, die über ein regelmäßiges Einkommen verfügen. Die Folgen sind gravierend; denn Armut hat viele Gesichter. Armut macht Kinder seelisch und körperlich krank. Noch nie seit 1982 waren die Chancen sozialen Aufstiegs für Kinder und Jugendliche so schlecht wie heute, nach der Ära Kohl. ({0}) Dies ist die Erblast der alten Regierung, die immer von Kinderfreundlichkeit geredet und bisher viel zuwenig dafür getan hat. ({1}) - Dazu komme ich noch. An den Kindern zu sparen ist der falsche Weg der Sparsamkeit und geht vor allem zu Lasten der gesamten Gesellschaft. Die rotgrüne Bundesregierung wird der Kinderarmut den Kampf ansagen. Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben bereits in der letzten Wahlperiode ein Kindergeld von 300 DM gefordert, um die notwendige Besserstellung der Familien zu erreichen. Dieses Ziel wurde durch das Urteil des Verfassungsgerichts zur Familienbesteuerung bestätigt. Übrigens war dieses Urteil eher für Ihre als für unsere Politik vernichtend. ({2}) In diesem Urteil wird vor allem die horizontale Steuergerechtigkeit betont. Das heißt, Familien mit Kindern dürfen gegenüber Kinderlosen der gleichen Gehaltsklasse nicht benachteiligt werden. ({3}) Um dies sicherzustellen, werden die Kinderfreibeträge jetzt kräftig erhöht. Gleichzeitig erhöhen wir das Kindergeld um nochmals 20 DM, damit Haushalte mit Kindern, die weniger gut verdienen, bessergestellt werden. ({4}) Verglichen mit der Ära Kohl/Schäuble/Gerhardt erhalten Familien mit Kindern ab dem kommenden Jahr deshalb netto 600 DM mehr für jedes ihrer ersten beiden Kinder. ({5}) Von der Anhebung des Kindergeldes haben aber bisher die Sozialhilfeempfänger nicht profitiert. Denn das Kindergeld wird auf die Sozialhilfe angerechnet. ({6}) Die Kommunen, die für die Sozialhilfe aufkommen müssen, kassieren aber das vom Bund gezahlte Kindergeld. Deswegen haben wir von der Fraktion bereits eine Anfrage an das Finanzministerium gerichtet, ({7}) um nachzufragen, wie die Erhöhung des Kindergeldes gestaltet werden kann, ({8}) damit die Erhöhung auch bei allen Kindern ankommt. Wir erwarten die Antwort in diesen Tagen. ({9}) - Ich möchte hier einmal reden, ohne daß Sie dazwischenblöken. ({10}) Parallel dazu haben wir Kontakt zu Sozialrechtsexperten aufgenommen. Das Ergebnis ist sehr ermutigend: Das erhöhte Kindergeld läßt sich tatsächlich rechtlich so verankern, daß es nicht mit der Hilfe zum Lebensunterhalt verrechnet wird. Die Erhöhung des Kindergeldes kann voll an sozial bedürftige Kinder weitergegeben werden, ohne daß Folgewirkungen für das Existenzminimum bestehen. Das Sparpaket der rotgrünen Regierung bleibt in diesem Sinne also unberührt. Zusätzliche Belastungen für den Bundeshaushalt entstehen nicht, denn das erhöhte Kindergeld wird an die Kommunen ja ohnehin ausgezahlt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir es mit der Bekämpfung von Kinderarmut ernst meinen, dann dürfen wir an dieser Stelle nicht mehr über das Ob, sondern nur noch über das Wie debattieren. Mit der Weitergabe der Kindergelderhöhung auch an Sozialhilfeempfänger haben wir nach jahrelanger Untätigkeit endlich die Möglichkeit, etwas für diejenigen Kinder zu tun, die auf unsere Solidarität am dringendsten angewiesen sind. ({11}) Ich bin sehr zuversichtlich, daß wir in der Koalition diesen Weg gemeinsam beschreiten können und werden. Ich lade auch Sie von der Opposition dazu ein, uns keine Steine in den Weg zu legen, denn Sie haben in dieser Beziehung noch einiges wiedergutzumachen. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPDFraktion gebe ich dem Kollegen Adolf Ostertag das Wort. ({0})

Adolf Ostertag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die neue Bundesregierung hat Startbedingungen vorgefunden, wie sie vorher noch nie eine neue Regierung hatte. ({0}) Die finanziellen Gestaltungsspielräume waren schlechter als je zuvor und sind außerordentlich gering; das wissen Sie. ({1}) Das gilt insbesondere für den größten Einzeletat, nämlich den für Arbeit und Soziales. Dennoch haben wir in den ersten Monaten der Regierungsverantwortung bereits eine Reihe von Reformprojekten durchgesetzt. Ich erinnere an die Stärkung der Arbeitnehmerrechte Rechte, die Sie jahrzehntelang geschwächt haben ({2}) und an die Besserstellung von Klein- und Normalverdienern. Weitere Reformschritte werden trotz enger finanzieller Spielräume folgen. Darauf können Sie sich ganz sicher verlassen. ({3}) Nun hat sich die Bundesregierung entschieden, nicht einfach eine Politik des „Weiter so!“ zu machen; das ist heute ja schon deutlich geworden. Mit diesen Reformprojekten in der jüngsten Vergangenheit ist das nachdrücklich unterstrichen worden, und das ist bei den Bürgerinnen und Bürgern, bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch angekommen. Das dauert - das haben wir schmerzlich feststellen müssen - zwar ein bißchen länger, ich bin aber überzeugt, daß sich das ändern wird. Der Überbringer einer schlechten Nachricht hat schon immer einen schweren Stand gehabt. Das war schon in der griechischen Antike so; offensichtlich hat sich das nicht geändert. Wir werden auf diesem Feld weiterhin sehr intensiv arbeiten. ({4}) Wir sind die schmerzliche Aufgabe angegangen, Haushaltskonsolidierung zu betreiben. Alternativen sind immer schwer zu vermitteln. Eben nicht nur ein „Weiter so!“, raus aus den eingefahrenen Gleisen! Gerade als Sozialpolitiker sage ich: Verschuldung ist in höchstem Maße sozial ungerecht. ({5}) Wenn von jeder vierten Mark des Staates nur die Banken und Kreditgeber profitieren, dann ist das nichts anderes als die Fortsetzung Ihrer Politik der Umverteilung von unten nach oben. ({6}) Soziale Gerechtigkeit auf Pump funktioniert nur kurzfristig und ist unsolidarisch. Von wem sollen die Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, in Zukunft ihr Geld erhalten, wenn die Staatskassen leer sind? Sozialdemokratische Politik in Zeiten leerer Kassen bedeutet deshalb, die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme in den Mittelpunkt zu stellen. ({7}) Dies ist Politik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Die Steuereinnahmen müssen vorrangig wieder für die Zukunftsaufgaben des Staates, für Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und für Investitionen in Bildung, Forschung und für den Ausbau der Infrastruktur ausgegeben werden. Dafür werden wir sorgen. Die Haushaltspolitik der Sozialdemokratischen Partei hat heute schon die Akzente dafür gesetzt. Sparen ist aber kein Selbstzweck. Das ist mehrfach gesagt worden, auch von Oppositionsrednern. Darin sind wir uns sicherlich einig. Wir sparen, um unseren Staat im Interesse des Allgemeinwohls wieder handlungsfähig zu machen. Das ist etwas anderes als das, was Sie bisher gemacht haben. Nein, Sie haben insbesondere die Kleinverdiener und die Armen abgezockt. Sie haben sie ins Abseits gestellt. Darüber gibt es umfangreiche Statistiken. Schauen Sie sich doch einmal die Unterlagen von Herrn Blüm an, in denen aufgelistet ist, wie in den letzten Jahren abgezockt und umverteilt wurde. Hier kann man das sehr schön nachvollziehen. Wir werden Ihnen diese Unterlagen gerne wieder zur Verfügung stellen, wenn Sie sie verlegt haben sollten. ({8}) Heute wird zu Recht viel von der finanziellen Erblast der Kohl-Regierung gesprochen. Ich nenne nur die Zahl 18 750. Diese Zahl steht für die Schuldenlast, die auf jedem einzelnen - egal, ob Kind oder Greis, ob Deutscher oder Ausländer - in Deutschland lastet, wenn man die Schulden des Bundes gleichmäßig auf jeden Bürger verteilt. Eine vierköpfige Familie hat damit Schulden in Höhe von 75 000 DM. Das sind nur die Schulden des Bundes. Hinzu kommen noch die Schulden der Länder, der Gemeinden und der übrigen öffentlichen Körperschaften. Sie haben uns für die Zukunft also eine äußerst schwere Hypothek hinterlassen. Aber nicht nur diese Schuldenlast von 1,5 Billionen DM haben wir von der Kohl-Regierung geerbt, sondern auch die Rekordarbeitslosigkeit. Wie wir alle wissen, hängt das eine mit dem anderen ganz eng zusammen. Jährlich kostet uns die Arbeitslosigkeit mehr als 170 Milliarden DM, einschließlich der aus der Verschwendung von Arbeitskraft herrührenden Mindereinnahmen aus Steuern und Mehraufwendungen für die Sozialausgaben. Das sind die eigentlichen Erblasten, die wir übernommen haben: die Schulden zusammen mit einer Arbeitslosenquote von weit über 4 Millionen. Daraus folgt: Nur wer das Kardinalproblem der Arbeitslosigkeit in den Griff bekommt, kann die Staatsfinanzen letzten Endes sanieren. Das ist nicht über andere Methoden möglich. Deshalb haben wir in den ersten elf Monaten nach der Bundestagswahl die Weichen für mehr Beschäftigung gestellt. ({9}) - Ja, Sie müssen sich das anhören. Sie haben unsere Vorschläge auch schon in den letzten Monaten teilweise bekämpft. Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt. Sie haben das jahrzehntelang - das ist schon mehrfach gesagt worden - auch auf Ihre Fahne geschrieben. Aber Sie haben nichts getan. Im Gegenteil: Sie haben die Lohnnebenkosten nur in die Höhe getrieben. ({10}) Wir haben es geschafft, diese Kosten zu senken, ohne die Finanzen der Sozialversicherung zu gefährden, und zwar im Zusammenhang mit einer verursachergemäßen Finanzierung der sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Auch davon haben Sie immer geredet. Aber Sie haben die Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen im Rahmen der sozialen Sicherungssysteme immer mehr ausgeweitet. Das ist in diesen Stunden der haushaltspolitischen Debatte deutlich geworden. Auch im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben wir in den letzten Jahren immer dafür gekämpft, daß die notwendigen Kosten der deutschen Vereinigung nicht über die solidarischen Sicherungssysteme finanziert werden. Wenn man zusammenzählt, was hier gemacht worden ist, ergibt sich daraus wahrscheinlich schon mehr als 1 Billion DM. Wir haben eine Steuerreform durchgesetzt, die vor allem dem Klein- und Normalverdiener zugute kommt und durch die die Binnenkonjunktur gestützt wird. Eine Entlastung für kleine und mittlere Unternehmen ist auch schon erfolgt. Sie wird fortgesetzt werden. Wir haben die Ausgaben für Bildung und Forschung erhöht. Was haben Sie in den letzten Jahren hier gemacht? Sie haben eine skandalöse Politik betrieben. Hier gab es eine große Kluft zwischen Ihren großartigen Sprüchen und Sonntagsreden einerseits und Ihrer Haushaltspolitik andererseits. Wir haben die Ausgaben für aktive Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit auf einem hohen Niveau verstetigt. Wir haben keine „stop and go“-Politik wie Sie betrieben. Wir haben nicht vor Wahlen neue Mittel bereitgestellt, um sie danach zurückzufahren, während die Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden. Wir werden die Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit verstetigen. Das gehört zur Handschrift, die dieser Haushalt trägt. Wir wissen: Diese Maßnahmen benötigen Zeit, bis sie greifen und bis sich ihre Wirkung auch deutlich auf dem Arbeitsmarkt niederschlägt. Aber bereits heute steht fest: Es gibt am Arbeitsmarkt eine positive Grundtendenz. Vergleicht man die Zahlen mit denen des Vorjahres, so kann man insgesamt eine Stabilisierung bei der Zahl der arbeitslosen Jugendlichen - darauf komme ich noch besonders zu sprechen - feststellen. Bei den Langzeitarbeitslosen sind sogar deutliche Erfolge zu verzeichnen. Hierbei handelt es sich um besondere Problemgruppen. Das haben wir Ihnen jahrelang immer wieder gesagt; aber Sie haben nicht gehandelt. Die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit sind eindeutig. Von September 1998 bis September 1999 ist die Zahl der Arbeitslosen zurückgegangen. Es gibt zirka 300 000 Arbeitslose weniger. Es gibt Hoffnung auf dem Arbeitsmarkt. Natürlich hätten wir uns gern eine sich schneller abzeichnende Verbesserung gewünscht; aber die konjunkturelle Delle Ende 1998 und Anfang 1999 dazu ist heute schon etwas gesagt worden - ließ die Entwicklung nicht so schnell anspringen, wie wir es gehofft hatten, und die Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt waren nicht so massiv, wie wir alle es uns gewünscht hatten. Ich unterstelle Ihnen gar nicht, daß Sie da böse Absichten haben. Heute beraten wir den ersten Haushalt für das neue Jahrhundert. Ich möchte klar sagen: Der Haushalt 2000 ist aus Sicht der Sozialpolitiker der SPD kein Schönwetterhaushalt. Aber der Haushalt 2000 ist ein Haushalt der Zukunft in Solidarität zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. ({11}) Solidarität ist eben keine Schönwetterangelegenheit. Wenn es hart auf hart geht - es geht in vielen politischen Bereichen hart auf hart zu -, heißt es: zusammenstehen und die Belastungen gemeinsam schultern. Das ist das, was Sie die letzten 15 Jahre haben vermissen lassen. Die Einsparungen von 30 Milliarden DM - das hat der Finanzminister heute noch einmal unterstrichen müssen zusammenkommen, und dabei kann der größte Einzelhaushalt nicht ausgenommen bleiben. Wir kürzen keine Leistungen im Sozialhaushalt. Wir begrenzen für zwei Jahre die Steigerungen des persönlichen Einkommens auf die Preisentwicklung. Damit verlangen wir einiges von den Rentnern und Arbeitslosen, die mit höheren Steigerungsraten gerechnet haben. Aber wir verlangen auch einiges von den im öffentlichen Dienst Beschäftigten. Meine persönliche Erfahrung der letzten Wochen ist: Wenn man Zeit hat, den Menschen die Zusammenhänge zu erklären, dann haben sie durchaus Verständnis dafür - auch wenn niemand Beifall klatscht -, daß die Steigerungsraten auf die Höhe der Inflationsrate gekappt werden. Aber man kann schon verdeutlichen, daß das, was bei unserer Politik herauskommt, noch immer wesentlich mehr als das ist, was Sie vielen in den letzten Jahren zugemutet haben; denn in dieser Zeit waren die Steigerungsraten wesentlich geringer. Sparen ist in unserem Land eine Tugend mit einem hohen Stellenwert. Das haben viele offensichtlich verlernt. Ich bin der Meinung, wir sollten diese Tugend ein Stückchen beherzigen, vor allen Dingen, wenn es um das Geld geht, das die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler letzten Endes aufbringen müssen. Wir können nicht mehr wie in der Vergangenheit auf das Tafelsilber, das die Bundesrepublik einmal besaß, zurückgreifen. Man muß deutlich sagen: Sie haben es verscherbelt. Ihr Wehgeschrei über unsere Maßnahmen ist sehr scheinheilig. Sie versuchen, sich als Verteidiger der Rentner und Arbeitslosen aufzuspielen. In den letzten 16 Jahren haben Sie insbesondere bei diesen Menschen abkassiert. ({12}) Ich möchte ein paar Beispiele nennen, die hier angesprochen worden sind: Absenkung der ABM-Entgelte, jährliche Kürzung der Arbeitslosenhilfe, hohe Rentenabschläge bei vorgezogener Altersrente und Kürzungen bei rentensteigernden Anwartschaften, Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das sind nur wenige Beispiele. Ich kann noch einmal auf die umfangreichen Papiere von Herrn Blüm verweisen, in denen er versucht, das Ganze zu rechtfertigen. Im Vertrauen auf das scheinbar kurze Gedächtnis der Menschen wollen Sie überspielen, daß Sie die Probleme angehäuft haben, die wir in den nächsten Jahren lösen müssen. Das Verursacherprinzip, nach dem derjenige, der den Müll macht, ihn auch aufräumt, gilt in der Politik leider nicht. Das erfahren wir in diesen Wochen schmerzlich beim Versuch der Konsolidierung. Aber daß sich jetzt diejenigen, die den Müll wirklich hinterlassen haben, lauthals mokieren und als Verteidiger der Rentner und der Arbeitslosen aufspielen, das ist schon ein starkes Stück. ({13}) Der Einzelplan „Arbeit und Soziales“ trägt mit gut 12 Milliarden DM den größten Anteil des Sparvolumens. Einsparungen in dieser Größenordnung fallen schwer, an welcher konkreten Stelle auch immer. Einen Bereich haben wir ganz bewußt ausgenommen, nämlich die aktive Arbeitsmarktpolitik. Hier geht es darum, den Menschen eine Perspektive zu geben. Erinnern Sie sich daran, wie wir darüber in den letzten Jahren im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gestritten haben? Wir haben immer gesagt: Machen Sie das nicht! Dennoch haben Sie ständig gekürzt, der Prozentsatz ist auf ein Drittel der Gesamtausgaben gesunken, die nur noch für die aktiven, für die chancenerhaltenden Maßnahmen gedient haben. Das ist in der Tat eine verkehrte Politik gewesen. Wir werden versuchen, dieses Verhältnis wieder zu verbessern. Wir haben erste Schritte gemacht. Wie Sie wissen, haben wir im laufenden Haushalt den Ansatz schon um 6 Milliarden DM erhöht. Das wird sich auch in der nächsten Zeit verstetigen; denn nur dann gibt es Chancen für die Menschen, sich wieder auf dem Arbeitsmarkt einbringen zu können. ({14}) - Am Montag hatten wir gar keine Landesgruppensitzung. ({15}) Wenn Kollege Laumann schon alle möglichen Zeitungen einschließlich der Käseblätter liest, dann sollte er sie auch sorgfältig lesen. ({16}) Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend noch etwas zu den Debatten sagen, die wir zum Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit hatten. Herr Kues und Frau Schwaetzer haben dazu bereits etwas gesagt. Hier sind Milchmädchenrechnungen zu einem Programm aufgemacht worden, ({17}) das seit wenigen Monaten läuft. Hier wurden Äpfel mit Birnen verglichen, Herr Kues. Ich empfehle Ihnen und auch Frau Schwaetzer, in Ihre Arbeitsämter zu gehen und dort die Mitarbeiter zu fragen, was sie von dem Programm halten. Sie sagen nämlich, dieses Programm sei unter den Jugendlichen ein Renner, und es wird von ihnen positiv und intensiv begleitet. ({18}) Sprechen Sie mit den jungen Menschen, die in solchen Maßnahmen sind. Sie drehen nicht ständig Ehrenrunden, sondern sie sehen für sich eine Perspektive, was etwas anderes ist, als nur auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet zu werden, wie es in den letzten Jahren auf Grund Ihrer Politik zumeist geschah. ({19}) Wir werden also diese Konsolidierungspolitik fortsetzen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege, bitte kommen Sie jetzt zum Schluß.

Adolf Ostertag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme gleich zum Schluß. Wir werden dieses Programm verstetigen. Wir werden die aktive Arbeitsmarktpolitik verstetigen. Wir werden weiterhin soziale Reformen in diesem Lande umsetzen; darauf können Sie bauen. Schließlich werden wir den Haushalt konsolidieren, weil das ein ganz wichtiger Schritt ist, um Sozialpolitik in diesem Lande machen zu können, um politische Handlungsspielräume zu eröffnen und zurückzugewinnen und um Solidarität in diesem Lande wirklich zustande zu bringen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzte Rednerin zu diesem Geschäftsbereich spricht nunmehr Birgit Schnieber-Jastram von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Birgit Schnieber-Jastram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002785, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Bundesregierung kann einem wirklich ein bißchen leid tun: eine katastrophale Wahlniederlage für die SPD nach der anderen, der Brioni-Kanzler im Knitterlook verliert das einzige, was die SPD an ihm mag, das Lächeln des Siegers. ({0}) Verloren hat er übrigens noch etwas anderes: Er hat ganz schnell das Verständnis für die Menschen und ihre Sorgen verloren. ({1}) Seine Welt ist längst von der Realität des Alltags der Menschen abgerückt. Angesichts dessen müssen Sie jetzt zusehen, wie Ihre Bundesratsmehrheit dahinschmilzt wie Butter in der Spätsommersonne. Dem Regieren-macht-Spaß-Kanzler ist der Spaß in nur kurzer Zeit gründlich vergangen. Die Wähler geben ihm die Quittung für Ihre katastrophale Politik. ({2}) - Besonders schlimm, Herr Gilges, haben auch Sie es, weil Sie das alles mittragen, mit den Menschen in der Sozialpolitik getrieben. Sie werden unseren Ärger verstehen: Vor den Wahlen haben Sie den Menschen mehr soziale Gerechtigkeit versprochen. Sie haben uns beschimpft, weil wir uns für mehr Generationengerechtigkeit eingesetzt und den demographischen Faktor in die Rentenformel eingeführt haben. Herr Riester, dies wird sich mittelfristig für Sie, für diese Koalition, rächen. ({3}) Was Sie jetzt machen, ist Rente nach Kassenlage. Das können Sie schönreden, solange Sie wollen; das können Sie auch lange entschuldigen, Herr Riester. Noch vor fünf Monaten hat der Kanzler versprochen, daß die Renten auch in Zukunft so wie die Nettoeinkommen steigen. Was Sie jetzt machen, ist eine Unverfrorenheit. ({4}) Sie belasten die Rentner noch viel stärker, als die frühere Bundesregierung es mit dem demographischen Faktor je getan hätte. Ich rechne es Ihnen gerne noch einmal vor, wenn Sie das nicht glauben. Ein Stückchen Selbstverleugnung ist wirklich verständlich, aber Sie treiben es im Übermaß. 100 DM Mehrbelastung monatlich durch die Rente nach Kassenlage für die Jahre 2000 und 2001, 20 DM monatlich mehr durch die Einführung der ersten Stufe der Ökosteuer und 52 DM monatlich mehr, wenn Sie die Zwangszusatzrente einführen, über die hier auch immer wieder geredet wird. Das ist die Bilanz Ihrer Rentenpolitik.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Schnieber-Jastram, der Kollege Niebel möchte Ihnen eine Frage stellen.

Birgit Schnieber-Jastram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002785, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin SchnieberJastram, Sie haben vorhin in der Debatte mitverfolgen können, wie sich die Kollegin Dückert echauffiert hat, als gesagt wurde, auch die Grünen seien gegen den demographischen Faktor gewesen. Das ist richtig, denn sie waren immer dafür. Wie würden Sie denn die Tatsachen bezeichnen, daß die Grünen für den demographischen Faktor sind, ihn aber trotzdem abgeschafft haben?

Birgit Schnieber-Jastram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002785, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Niebel, das ist eine schöne Frage, die Sie da stellen. Ich wundere mich wirklich zutiefst über das, was die Grünen heute reden und was sie noch gestern gesagt und propagiert haben, ({0}) denn da ist eine Riesenkluft. Grüne Politik verkommt in diesem Lande zur Unkenntlichkeit. Die Wahlergebnisse zeigen das auch den Grünen, und das ist gut so. ({1}) Noch schlimmer - ich will in meiner Rede fortfahren - als die Mehrbelastung der Rentner ist in der Tat der Vertrauensverlust hinsichtlich der Rentenversicherung. Bei der Rente nach Kassenlage ist die Erhöhung der Renten zukünftig nicht mehr absehbar. Die Rentenanpassung erfolgt nach dem Motto: Sind Bananen da, gibt es Bananen; sind keine da, gibt es keine. Mit der Rente nach Kassenlage sparen Sie nicht zugunsten der jüngeren Generation, sondern Sie sparen zugunsten des Bundeshaushalts, nachdem Sie Anfang des Jahres 30 Milliarden DM zum Fenster hinausgeworfen haben. ({2}) Jetzt will ich einmal ein Mitglied Ihrer Partei zitieren, um Ihnen zu zeigen, wie das vor Ort in den entsprechenden Debatten in den Landtagen gesehen wird. Die Sozialministerin aus Schleswig-Holstein, Heide Moser, sagte in einer Debatte des schleswig-holsteinischen Landtags erstens: Die Aussetzung des Demographiefaktors ist mit falschen Begründungen, die falsche Erwartungen bei Rentnern geweckt haben, auf den Weg gebracht worden. Zweitens sagte sie: Die Verbindung von Rentenreform und Sparpaket ist so ziemlich die unglücklichste Schiene. Die dritte Aussage von Heide Moser entspricht dem, was Sie sich wünschen: Da müssen wir durch. Ganz nach dem Motto: Augen zu und durch. Das ist die Erlebnislage Ihrer eigenen Partei vor Ort. Nehmen Sie doch wenigstens das zur Kenntnis, wenn Sie schon nicht zur Kenntnis nehmen, was wir sagen. ({3}) Ich will Ihnen noch etwas zu dem sagen, was immer behauptet wird; denn ich finde, das ist wichtig. Auch von Ihnen, Frau Dr. Dückert, ist heute gesagt worden, unsere Rentenanpassungen seien jahrelang viel niedriger gewesen, als bei der Rente nach Inflationsausgleich. Ich möchte dazu feststellen: Wir haben sie nie willkürlich festgelegt, sondern uns am Lohnniveau orientiert. Da die Zuwachsraten im Bereich der Löhne niedrig waren, mußte auch die Rente entsprechend niedriger ausfallen. ({4}) Aber wenn die Nettolöhne jetzt erstmalig steigen, sind Sie diejenigen, die die Rentner nicht beteiligen. ({5}) - Frau Schmidt, hören Sie doch einmal eine Sekunde zu; denn es ist ganz wichtig, das zu wissen. ({6}) Ich will Ihnen ein weiteres sagen: Hätte man 1957 die Rente nicht an die Löhne, sondern an die Preise gebunden, wären die Rentner in ihrer realen Kaufkraft heute dort, wo sie vor 42 Jahren waren. ({7}) Das müssen Sie sich einmal zu Gemüte führen. Der Wert der Rente hat sich durch die Anbindung an die Lohnentwicklung seit 1957 um 230 Prozent erhöht. ({8}) Dieses Prinzip der Rentenversicherung wollen Sie außer Kraft setzen! Dafür werden Sie bestraft werden. Wir machen da nicht mit. ({9}) Ich möchte noch eines ausführen; der Kollege Kues hat das zu Beginn schon gesagt. Herr Riester, es wird immer deutlicher: Sie sind in der Tat ein Gefangener der SPD-Propaganda vor den Bundestagswahlen. Ich will gerne bei dem Bild bleiben, das ein Kollege heute schon benutzt hat: Mittlerweile sind Sie einer der letzten Gefangenen, die tapfer im eigenen Käfig ausharren und sich dem demographischen Faktor verweigern, den Sie vor den Bundestagswahlen so vehement bekämpft haben. Denn der DGB ist soeben durch die Gitterstäbe geschlüpft und hat sich zum demographischen Faktor bekannt. Deswegen fordern wir Sie auf: Folgen Sie dem Beispiel des DGB - wir öffnen auch gern die Tür -, und führen Sie den demographischen Faktor ein. Hören Sie auf, sich so beratungsresistent gegenüber vielen gutmeinenden Leuten zu verhalten. ({10}) Sie haben sich in der Rentenpolitik mittlerweile völlig isoliert. Ihre Rente nach Kassenlage wollen Sie unbeeindruckt vom Widerstand aller gesellschaftlichen Gruppen durchziehen. Selbst die Gewerkschaften wollen Ihren Rentenbetrug nicht mitmachen: DAG-Vorstand Freitag spricht von einem mittleren politischen Skandal, DGB-Chef Schulte mahnt Sie, daß man beim Sparen nicht mit der Brechstange ansetzen darf. Die Bundesregierung schlägt aber nicht nur die Proteste der Gewerkschaften, sondern auch die Warnungen der von ihr zum Teil selbst bestellten Experten in den Wind. Der Vorsitzende des Sozialbeirats, Winfried Schmähl, und auch Ihr Berater in Rentenfragen, Bert Rürup, lehnen die Rente nach Kassenlage ab, aber Sie wollen nicht hören. Auch die Sozialverbände haben sich vehement gegen diese Rente nach Kassenlage ausgesprochen. Der Reichsbund will im Oktober eine Sternfahrt mit mehreren tausend Rentnern nach Berlin organisieren. VdK-Chef Hirrlinger spricht im Zusammenhang mit Ihrer Rentenpolitik von Flickschusterei. Kommen Sie zur Vernunft! Nehmen Sie Ihre unsoziale Rente nach Kassenlage zurück! ({11}) - Sie werden es bereuen. Aber nicht nur die Rente nach Kassenlage, auch die geplante bedarfsorientierte Mindestrente gehört in den Reißwolf. Kommt die Mindestrente nämlich, dann passiert es - auch das muß man einmal sehr deutlich sagen -, daß die Rentner durch eine Bedürftigkeitsprüfung gemangelt werden und ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müssen. Sie haben nicht verstanden, daß die Rente kein Almosen ist, sondern ein durch Beiträge erworbener Anspruch. ({12}) Es geht die Rentenversicherung einen Dreck an, was die Rentner besitzen. Die Rentenversicherung ist nicht dazu da, Rentner, die ein Leben lang gearbeitet haben, zu bespitzeln. ({13}) Wenn Sie so weitermachen, werden fleißige Beitragszahler um ihre Lebensleistung gebracht. Dann ist der Rentner nicht mehr Inhaber von Ansprüchen gegen die Rentenversicherung, sondern Empfänger von barmherzigen Leistungen der Politik. Wir können nicht dulden, daß aus Antragstellern Bittsteller werden. Jemand, der 20 Jahre Beiträge gezahlt hat, soll nach Ihrer Politik das gleiche bekommen wie jemand, der 10 Jahre Beiträge gezahlt hat. Das kann und darf nicht sein! ({14}) Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam machen, den wir alle im Auge behalten sollten: Sie ebnen mit Ihrer Politik den Weg zur steuerfinanzierten Grundrente, indem Sie den Steueranteil bei der Rentenversicherung immer mehr anheben. Schon jetzt übersteigt der Bundeszuschuß die versicherungsfremden Leistungen in der Rentenversicherung erheblich. Die weitere Anhebung der Ökosteuer wird diese Entwicklung noch verstärken. Mit Ihrer Politik wollen Sie die leistungsgerechte und beitragsbezogene Rente außer Kraft setzen. Nach Ihrer Ideologie soll jeder die gleiche Rente bekommen, egal, wieviel Beiträge er gezahlt hat. Mit Ihrer Politik treten Sie den fleißigen Arbeitnehmern in den Hintern. ({15}) Wenn Sie das machen wollen, werden wir hier in der Tat richtig Streit bekommen. ({16}) Was wir hier jetzt erleben, ist ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem Sturm, der dann kommt. ({17}) Die sozialpolitische Geisterfahrt der Bundesregierung geht aber noch weiter: Um die Kritik der Gewerkschaften an der Rente nach Kassenlage verstummen zu lassen, soll jetzt der schon totgewähnte Tariffonds wiederbelebt werden. Der Deal sieht so aus: Kommt die Rente mit 60, werden die Gewerkschaften die Rente nach Kassenlage durchwinken. Das würde die Rentenpolitik allerdings um Jahre zurückwerfen. Das Geld wird dann für zweifelhafte Frühverrentungsprogramme anstatt zur langfristigen Sicherung der Rentenansprüche genutzt. ({18}) Der einprozentige Lohnabschlag - das wurde vorhin schon einmal sehr deutlich gesagt; Sie müssen es nur wissen und verstehen - kostet den Durchschnittsverdiener rund 500 DM pro Jahr, der ihm beim Aufbau seiner eigentlich erforderlichen eigenen privaten Vorsorge fehlt. Die Generation der 60jährigen profitiert dagegen doppelt: Die Senioren können sich deutlich früher als bisher geplant zur Ruhe setzen, und das auch noch mit einem Rentenniveau, von dem die heute 30jährigen noch nicht einmal träumen können. Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen das Prinzip der Generationengerechtigkeit. ({19}) Wir können Ihnen also nur raten: Lassen Sie die Finger vom Tariffonds! Das heißt natürlich nicht, daß wir uns nicht des Problems älterer Arbeitnehmer annehmen müssen. Das ist ein Thema, das mir besonders wichtig ist. Ich finde es unerträglich, daß für Jugendliche - so wichtig das ist großangelegte Förderprogramme aufgelegt werden, die immer stärker wachsende Zahl von Personen über 55 Jahren jedoch kaum Berücksichtigung findet. Innovation und Erfahrung gehören in unserer Gesellschaft zusammen; die Arbeitsmarktzahlen belegen das. Hier muß etwas getan werden. Während der Arbeitsmarkt nach Angaben des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit gegenüber dem Vorjahresmonat insgesamt entlastet ist, ist für 55jährige und Ältere das Gegenteil festzustellen: Im Vergleich zum August 1998 lag die Zahl der älteren Arbeitslosen im August 1999 mit 937 388 deutlich höher. - Was ist mit den von Ihnen angekündigten neuen Jobs? Nix ist. ({20}) Ich möchte mit zwei Wünschen schließen. Der erste Wunsch geht an die Regierung. Ich wünsche mir, daß diese Regierung nicht jede Tür zuschlägt, nicht jedes Angebot sofort zurückweist - Herr Riester, Sie haben dies eben wieder getan -, weil wir, wie ich glaube, dringlich Kooperation und gemeinsame Lösungen brauchen. Der zweite Wunsch: gute Besserung für Sie alle miteinander! ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich war etwas voreilig, als ich die letzte Rednerin zu diesem Punkt angekündigt habe; denn der Kollege Peter Dreßen hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe mich aus zwei Gründen gemeldet. Erstens. Frau Schnieber-Jastram, ich war immer der Meinung, daß wir in diesem Parlament ein Stück weit ehrlich sein sollten. Ihre Rede basierte nun wirklich auf falschen Angaben. Dies möchte ich an zwei Beispielen deutlich machen. Erstens. Sie sagten, wir würden die Leute durch eine Grundsicherung in eine Bedürfnislage bringen, wir würden sie bespitzeln, wir würden einen sozialen Schnitt machen. Genau das aber gilt jetzt für diejenigen, die eine niedrige Rente bekommen, die von der Sozialhilfe leben. Diese Menschen müssen jedes Jahr zum Sozialamt gehen und ihre Verhältnisse offenlegen; auch ihre Kinder werden befragt. Genau diesen unwürdigen Zustand aber wollen wir beseitigen. Sie haben also die Unwahrheit gesagt. ({0}) Zweitens. Sie haben frisch und frei behauptet, wir würden bei der Rente die Lohnbezogenheit außer Kraft setzen. Sie wissen doch genau, daß wir von Anfang an gesagt haben, daß dies nur für zwei Jahre gilt. ({1}) Das, was Sie gemacht haben, war blanker Populismus. Sie wissen doch, daß das Gegenteil der Fall ist. Wir diskutieren zur Zeit über eine Rentenreform. Natürlich wird das eine oder andere noch in diese Debatte einbezogen werden. Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie die Leute mit solchen unwahren Behauptungen verunsichern. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zur Erwiderung erhält die Kollegin Schnieber-Jastram das Wort.

Birgit Schnieber-Jastram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002785, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dreßen, vielleicht sollten wir Ihnen einmal einen Kursus zur Rentensystematik anbieten. ({0}) Die Höhe der Rente hat damit zu tun, wie viele Jahre welcher Beitrag eingezahlt worden ist. Am Ende gibt es keine Bedürftigkeitsprüfung. Rente ist vielmehr ein Besitzanspruch; sie resultiert aus eigenen Beiträgen für eigene Leistungen. ({1}) Wenn Sie das nicht so sehen, dann sollten Sie, wie gesagt, einen Kursus belegen. ({2}) Zu dem zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben. Bei immer höheren Anteilen aus dem Steuertopf für die Rentenversicherung geraten wir in die Situation, daß die Rente zwangsweise - dann auch auf Grund juristischer Meinung - zu einer staatlichen Versorgung wird. Ich sehe es als meine Pflicht in diesem Parlament an, Ihnen und allen anderen in diesem Punkt die Augen zu öffnen. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern; das sind die Einzelpläne 06 und 33. Ich gebe Bundesinnenminister Schily das Wort.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wie alle anderen Ressorts muß sich auch das Innenressort solidarisch daran beteiligen, daß wir die Finanzen, den Haushalt konsolidieren, den wir von der alten Bundesregierung bekanntlich in einem zerrütteten Zustand haben übernehmen müssen. ({0}) Wenn man - trotz des Gelächters der Opposition das Zivilrecht zugrunde legen würde, dann hätten wir diesen Nachlaß eigentlich wegen Überschuldung ausschlagen müssen. Aber so geht es ja nun im öffentlichen Leben nicht zu, sondern wir müssen mit diesen Finanzen zurechtkommen. Für das Bundesinnenministerium ist die Tatsache, daß auch wir den Sparbeitrag von 7,4 Prozent erbringen müssen, natürlich eine besondere Schwierigkeit. Diejenigen, die sich in diesem Ressort auskennen, wissen das. Für das kommende Haushaltsjahr, über das wir jetzt sprechen, bedeutet das ein Einsparvolumen von 536,6 Millionen DM. Das steigt in der Finanzplanung auf 894,3 Millionen DM, also knapp 900 Millionen DM, im Jahre 2003. In dem zur Diskussion stehenden Haushaltsjahr sind das 7,4 Prozent, später 12,3 Prozent des Haushaltsvolumens. Wenn man sich die Haushaltsstruktur des Innenministeriums anschaut, dann weiß man, welche Schwierigkeiten sich auftun. Nach dem Haushaltsentwurf werden rund 85 Prozent des Einzelplansolls verausgabt für 23 Verwaltungsbehörden einschließlich des Ministeriums und des Bundesamtes für Verfassungschutz. Für drei weitere Kapitel, zwei Zuwendungs- und Zuschußkapitel sowie die Beschaffung für die Bereitschaftspolizeien der Länder verbleiben rund 15 Prozent. In dem Haushalt überwiegen die Personalausgaben für die rund 57 000 Beschäftigten. Ohne das Bundesamt für Verfassungschutz sind rund 4 Milliarden DM veranschlagt. Das sind 57,3 Prozent des Einzelplanansatzes. Es entfallen über 60 Prozent der Ausgaben des Einzelplanes in Höhe von 4,2 Milliarden DM auf den Sicherheitsbereich. Dieser umfaßt das Bundesamt für Verfassungschutz, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Beschaffungen für die Bereitschaftspolizeien der Länder und last not least den Bundesgrenzschutz. Wir haben zwei Ansätze gewählt, um dieses Einsparvolumen zu erreichen, ohne daß damit Einbußen gerade bei der inneren Sicherheit hingenommen werden müssen. Das war unser vordringlichstes Ziel. Ich glaube, daß wir das auch erreicht haben. Unser vordringlichstes Ziel ist, daß die innere Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger weiterhin gewährleistet ist. ({1}) Ich kann schon vorweg sagen: Die Ausgaben für die innere Sicherheit in diesem Etat sinken nicht, sondern sie steigen. Ich glaube, allein das ist Ausdruck dessen, daß wir den richtigen Ansatz gewählt haben. Der zweite Ansatz, den wir gesucht und mit einem vernünftigen Ergebnis auch gefunden haben, lautet, daß wir die Einsparbemühungen, die Konsolidierung der Finanzen verbinden mit der Verwaltungsmodernisierung, indem wir nämlich alle Institutionen, alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen und uns überlegen, wo Effizienzpotentiale sind, die nicht ausgeschöpft sind. Ich werde Ihnen eine Reihe dieser Ansätze nennen. Die organisatorischen Maßnahmen sind breit gefächert. Es geht etwa um die Frage, ob die Einrichtung eines Oberbundesanwalts noch Sinn macht oder nicht. Dort besteht ein Einsparvolumen. Ich gebe zu - das habe ich in allen Fragen so gehandhabt -, daß wir da, wo es vernünftige Ansätze der alten Bundesregierung gab, diese fortgeführt haben. Das gilt auch - ich komme später darauf zurück - für die Reform des Bundesgrenzschutzes, die ich nicht zuletzt im Hinblick darauf überprüft habe, daß einige verständlicherweise - sehr massiv für die Beibehaltung bestimmter Standorte eingetreten sind, wie das auch jetzt wieder auf allen Seiten des Hauses bei der Klärung der Frage, welche Spätaussiedlereinrichtungen bestehenbleiben sollen, geschieht. Das ist immer so: Wenn ein Standort geschlossen werden soll, dann gibt es aus den verschiedensten Richtungen sich übrigens in den Fraktionen sehr widersprechende Engagements für bestimmte Standorte. Das verstehe ich gut. Aber ich bitte um Verständnis, daß wir dies unter einem generellen Gesichtspunkt prüfen müssen und uns nicht allein für partikuläre Interessen verwenden können. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir entschieden, daß das Bundesamt für Zivilschutz zum 1. Januar 2001 aufgelöst wird und daß die Aufgaben, die diesem Bundesamt zugeordnet sind, auf das Bundesverwaltungsamt übertragen werden. Das Bundesverwaltungsamt wird viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bundesamt für Zivilschutz übernehmen. Dadurch sparen wir eine ganze Menge an Overheadkosten. Ähnliches gilt für die Auflösung der Einrichtung des Bundesdisziplinaranwaltes. Diese wird parallel zu einer Reform des Disziplinarrechtes vollzogen. Die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR hat gute Arbeit geleistet, für die ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Aber diese Arbeit ist im wesentlichen geleistet. Deshalb kann das Sekretariat dieser Kommission aufgelöst werden. Wir schließen vier Erstaufnahmeeinrichtungen für Spätaussiedler. Ob Bramsche oder Friedland betroffen sein werden, ist noch umstritten. Wir werden die kostengünstigste Lösung wählen, die dann meiner Meinung nach auch die beste sein wird. ({2}) - Wir führen zur Zeit darüber Gespräche. Ich sage Ihnen zu: Wir werden die kostengünstigste Lösung wählen. Wer in diesem Zusammenhang Gesprächsbedarf hat, ist herzlich in mein Ministerium eingeladen. Es sind ja schon einige Gesprächswünsche an mich herangetragen worden. Wir haben die Aufbaustruktur des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gestrafft. Wir straffen die Aufbaustruktur der Gauck-Behörde. Wir werden das Bundesinstitut für Sportwissenschaften überprüfen, und wir werden auch andere Einrichtungen dahin gehend auf den Prüfstand stellen, ob wir dort nicht Effizienzgewinne erzielen können. Lassen Sie mich ein paar Worte zu dem Bereich Spätaussiedler, deutsche Minderheiten und Vertriebene sagen. Ich glaube, es ist richtig - das hat auch mein Kollege Jochen Welt, der Aussiedlerbeauftragte, in einem neuen Konzept entwickelt -, daß wir eine deutliche Akzentverschiebung zugunsten der gesellschaftlichen Integration der Spätaussiedler vollzogen haben. ({3}) Deshalb sind ja die Ausgaben in diesem Bereich in 1998, also noch zu Zeiten der alten Regierung, von 32 Millionen DM auf über 42 Millionen DM in diesem Jahr, also um 10 Millionen DM, erheblich aufgestockt worden. Sie werden im Jahre 2000 noch einmal auf 45 Millionen DM gesteigert. Das ist auch im Sinne derjenigen in der Opposition, die sich mit Recht für eine solche Integrationspolitik einsetzen. Ich denke, wir können gemeinsam eine solche Politik stützen. Ich bin der Meinung, daß Jochen Welt mit der Neuausrichtung der Förderpolitik - weg von nicht kontrollierbaren Großinvestitionen hin zur Hilfe zur Selbsthilfe - richtig handelt. Auf diese Weise haben wir Einsparpotentiale entdeckt, die vernünftig sind. ({4}) Wir wollen keine Investitionsruinen, die - wie es leider der Fall ist - in den fremden Ländern herumstehen und dort vor sich hinrosten; wir wollen durch sehr gezielte Hilfe vielmehr dafür sorgen, daß diejenigen Menschen, die in den Ländern bleiben wollen, dort auch bleiben können, um dort gute Arbeit zu leisten. Deswegen werden wir, wie gesagt, auch im Bereich der Erstaufnahmeeinrichtungen eine Neuordnung vornehmen. Sie alle wissen, daß der Innenminister auch für den Sport zuständig ist. Das ist eine, wie ich finde, schöne und wichtige Aufgabe. Ich denke, daß wir in diesem Bereich eine gute Bilanz aufzuweisen haben. Ich hätte jetzt gerne einmal dargestellt, wie positiv sich die Sportpolitik unter der neuen Bundesregierung entwickelt hat. ({5}) Wir sind aber bei der Haushaltsberatung; dazu habe ich im Moment nicht genug Redezeit. Folgenden Punkt halte ich für wichtig: Trotz der Sparnotwendigkeiten können wir die Sportförderung auf dem Niveau von 1999 erhalten. Dabei ist besonders wichtig, daß wir den Goldenen Plan Ost fortführen können, damit die Sportstätteninfrastruktur in den neuen Bundesländern, die noch sehr zu wünschen übrig läßt, Schritt für Schritt verbessert wird. Ich glaube, das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern schuldig. ({6}) Wir haben ein wichtiges Sportereignis hoffentlich vor uns: nämlich die Fußballweltmeisterschaft im Jahre 2006. Ich bin optimistisch, daß wir eine gute Chance haben, sie durchzuführen. Deswegen finde ich es richtig, daß wir von Bundesseite einen Beitrag für die Sanierung des Olympiastadions und des Stadions in Leipzig leisten. Ich bin dankbar dafür, daß der frühere Bundeskanzler Kohl schon eine Zusage gemacht hat. Wir erhalten diese Zusage aufrecht; das erachte ich für wichtig und notwendig. ({7}) Der wichtigste Punkt für mich ist, daß wir die innere Sicherheit stärken und dort keine Einbußen erleiden. Wir können von uns sagen, daß wir im internationalen Vergleich zu einem der sichersten Länder in der Welt überhaupt gehören. Deshalb sind Ausgaben auf diesem Gebiet gut investiertes Geld. Das ist übrigens ein wichtiger Standortvorteil auch im wirtschaftlichen Wettbewerb. Also sind wir gut beraten, dieses hohe Niveau der inneren Sicherheit aufrechtzuerhalten. Deshalb haben wir in den Einzelansätzen Steigerungsraten: beim Bundesamt für Verfassungsschutz von 3,57 Prozent; beim Bundesgrenzschutz von 2,43 Prozent; beim Bundeskriminalamt von 3,37 Prozent. Beim Bundesgrenzschutz möchte ich auf einen besonderen Sachverhalt hinweisen: Indem wir das Hebungsprogramm erheblich aufgestockt haben, haben wir etwas Wichtiges dafür getan, daß die Stellenstruktur im Bundesgrenzschutz besser wird und wir dort eine Qualitätsverbesserung zu verzeichnen haben. Sie wissen ja, daß in den zurückliegenden Jahren ein sehr starker Personalzuwachs stattgefunden hat - vielleicht nicht immer mit den Qualitätsanforderungen, die notwendig waren. Deshalb glaube ich, daß gerade an dieser Stelle eine solche Qualifizierungsoffensive notwendig und wichtig ist. Auch auf der internationalen Ebene haben wir die Mittel aufgestockt; wir haben zum Beispiel die Mittel für Europol im Jahre 2000 auf 15,7 Millionen DM erhöht; das ist eine Steigerung von 50 Prozent. Ich glaube, daß wir deshalb sagen dürfen, daß die Politik der Bundesregierung im nationalen, im internationalen und insbesondere im europäischen Rahmen zu einer erheblichen Verbesserung geführt hat. Auf diesem Gebiet haben wir - auch auf der Grundlage der Haushaltszahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe - sowohl durch Sicherheitspartnerschaften im Lande mit den einzelnen Bundesländern als auch durch eine Vielzahl von Kooperationsabkommen mit unseren Nachbarstaaten oder etwas entfernter liegenden Staaten eine sinnvolle Sicherheitsstruktur aufgebaut. Ich meine, daß das Ausweis einer soliden und erfolgreichen Sicherheitspolitik ist, ({8}) die wir allerdings - das sage ich zum Schluß - in allererster Linie denjenigen zu verdanken haben, die vor Ort gute Arbeit leisten. Ich finde, es gehört sich für den Bundesinnenminister, daß er die Gelegenheit wahrnimmt, allen Beamtinnen und Beamten, die in diesen Sicherheitsinstitutionen, im Bundeskriminalamt, beim Bundesamt für Verfassungsschutz, beim Bundesgrenzschutz, beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, aber auch im Ministerium arbeiten, seinen Dank für vorzügliche Arbeit auszusprechen. Diesen Dank möchte ich besonders an diejenigen richten, denen ich in besonderer Weise verbunden bin, nämlich den Beamten, die in diesen Wochen einen Dienst auf sich genommen haben, der wahrlich bürgerliches Engagement, Sachkunde und Einsatzbereitschaft in sehr hohem Maße erfordert. Das sind die Kolleginnen und Kollegen, die sich bereit erklärt haben, im Kosovo die Ermittlungsarbeit für Kriegsverbrechen zu leisten, ({9}) und sich an dem Aufbau des internationalen Polizeikontingents beteiligen. Meine Damen und Herren, in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht, konnte ich leider auf viele Dinge nicht eingehen, aber ich nehme an, in der Diskussion ergibt sich noch die Gelegenheit zu dem einen oder anderen Dialog. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht nun Herr Kollege Dr. Jürgen Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier gerade, wenn mein Gefühl mich nicht täuscht, eine sehr lustlose Rede des Bundesinnenministers gehört. ({0}) Vielleicht wollte er uns einfach deutlich machen, wie schwer es ist, in einer Zeit Minister zu sein, in der einem der Haushalt aus den Fingern rinnt, nachdem man zuerst 30 Milliarden DM durch den Kamin gejagt hat und jetzt auf der Suche nach den 30 Milliarden DM ist. Herr Schily, Sie haben gesagt, daß das Wesentliche Ihrer Haushaltsbemühungen gewesen sei, alle Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen. Nur, das gehört zu den Ministerpflichten. Jeder Minister muß das jedes Jahr tun. Aber es gibt, glaube ich, noch einen anderen Maßstab, an dem man die Arbeit eines Ministers messen muß. Dieser Maßstab ist - ich habe ihn für meine Ausführungen gewählt -: Was schlägt sich eigentlich von all den Ankündigungen, die man im Laufe eines Jahres gemacht hat, in der konkreten Haushaltswirklichkeit dieser Regierung nieder? Ich darf einmal daran erinnern, daß wir vor weniger als einem halben Jahr in diesem Parlament sehr intensiv über die Frage eines neuen Ausländerrechts diskutiert haben, darum gerungen haben, wie es da weitergeht, und uns mit der Frage beschäftigt haben: Wie gelingt es eigentlich, die hier rechtmäßig und dauerhaft lebenden Ausländer besser zu integrieren? Schaue ich jetzt in diesen Haushaltsplanentwurf hinein, dann stelle ich fest, daß Sie trotz der bekannten Regelungslücken und Wertungswidersprüche in dem Gesetz zur Neuordnung des Staatsbürgerschaftsrechts, das Sie vor der Sommerpause durch das Parlament gepeitscht haben, in diesem Haushalt keine einzige neue Initiative zur Integration der rechtmäßig und dauerhaft hier lebenden Ausländer vorgesehen haben. Sie haben damals unser Integrationskonzept abgeschmettert. Das müssen Sie selbst verantworten. Aber wo ist eigentlich das Integrationskonzept dieser Bundesregierung, die nach außen immer so tut, als stehe sie für Integration, in Wahrheit aber die Ausländerinnen und Ausländer in diesem Land alleinläßt? Das ist der erste Kritikpunkt. ({1}) Aber es ging bei diesem Gesetzgebungsvorhaben in Wahrheit ja auch nicht um Integration, sondern um Ideologie und Machterhalt. Ich habe vor wenigen Tagen, am 9. September, in einem Artikel des „Kölner StadtAnzeigers“ eine hochinteressante Aussage der Entwicklungshilfeministerin, Mitglied dieses Kabinetts Schröder, gelesen, die in einer Diskussionsveranstaltung gesagt hat, unter den Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund könne die SPD mit Stimmenanteilen von über 50 Prozent rechnen. Sie fügte hinzu: Hier liegen Wählerpotentiale, die, richtig und vernünftig angesprochen, manche Kommunalwahl in Großstädten entscheiden können. Hier kann ich Ihnen helfen: in Krefeld 62,9 Prozent für die CDU, in Solingen 59,3 Prozent, in Neuss 59,3 Prozent, in Münster 57,5 Prozent, in Essen 51,7 Prozent, und ich könnte noch zehn Minuten so weitermachen. Die Ausländerinnen und Ausländer, gerade die vielen, die im Ruhrgebiet leben, wissen genau, daß sie von dieser Bundesregierung bei der Frage der Integration im Stich gelassen werden. Ein neuer Paß ersetzt eben nicht den Sprachunterricht vor Ort. Das ist der Vorwurf, den ich Ihnen mache. Sie haben sich verkalkuliert. ({2}) Nehmen Sie einen zweiten Punkt: Diese Bundesregierung redet viel von nationalen Interessen, die sie durchsetzen will. Sie, Herr Schily, frage ich: Was haben Sie während Ihrer EU-Präsidentschaft an nationalen Interessen in Ihrem Zuständigkeitsbereich durchgesetzt? Wo ist eigentlich das faire und angemessene System in Europa bei der Aufnahme von Flüchtlingen, für das Sie sich einsetzen wollten? Wo ist eigentlich der europaweite Solidarausgleich? Was ist aus ihm geworden? Bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme aus dem Kosovo haben wir nichts davon gemerkt. Sie waren es doch, der die Flüchtlingspolitik zum Schwerpunkt Ihrer Ratspräsidentschaft machen wollte. Sie waren es doch, der ein europaweites System zur Identifizierung von Fingerabdrücken von Asylbewerbern und illegal Eingereisten oder Eingeschleusten schaffen wollte. Von dieser Datei haben wir bis heute nichts gesehen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Rüttgers, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Bundesinnenministers?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gut, hier des Abgeordneten. Er ist aber auch Bundesinnenminister.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Rüttgers, ist Ihnen entgangen, daß während der deutschen Ratspräsidentschaft das Eurodac-Abkommen zu Ende geführt worden ist, daß aber mit Rücksicht auf die Tatsache, daß ab 1. Mai 1999 der Amsterdamer Vertrag gilt, die formelle Seite der Kommission zufällt? Die Arbeiten sind während der deutschen Ratspräsidentschaft abgeschlossen worden. Ist Ihnen entgangen, daß es bei der Frage der Flüchtlinge aus dem Kosovo dank des intensiven Engagements der deutschen Bundesregierung gelungen ist, dafür zu sorgen, daß die Mehrzahl der Flüchtlinge vor Ort, nämlich in Albanien, in Mazedonien und anderen an den Kosovo angrenzenden Ländern, versorgt worden ist und daß von der Bundesrepublik lediglich 15 000 Vertriebene aufgenommen worden sind, während europaweit 60 000 aufgenommen wurden? ({0}) Ist Ihnen entgangen, Herr Dr. Rüttgers, daß während des Bosnien-Konflikts unter der alten Bundesregierung 320 000 Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen worden sind und praktisch keine vom übrigen Europa? Ist Ihnen entgangen, Herr Dr. Rüttgers, daß es während der deutschen Präsidentschaft gelungen ist, Europol, die europäische Polizeibehörde, ab 1. Juli 1999 arbeitsfähig zu machen? Ist Ihnen entgangen, Herr Dr. Rüttgers, daß während der deutschen Ratspräsidentschaft Schengen - eine sehr komplizierte Materie, wie Sie vielleicht wissen - in den Amsterdamer Vertrag integriert worden ist? Wer ein wenig Sachkunde besitzt, weiß, daß die deutsche Ratspräsidentschaft in der Innen- und Rechtspolitik besonders erfolgreich war. Wenn Sie das nicht anerkennen wollen, erkundigen Sie sich bei den europäischen Regierungen, damit Sie sich sachkundig machen. ({1})

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schily, das ist mir nicht entgangen. Ich habe das, was ich gesagt habe, an dem gemessen, was Sie angekündigt haben. Das, was Sie durchgesetzt haben, liegt weit unter dem, was Sie vorher angekündigt haben. Das ist exakt das, was ich hier kritisiere. Das ist auch genau das, was wir immer von Ihnen hören. Sie kündigen zum Beispiel an, Sie wollten sorgfältig untersuchen lassen, ob es ein bilaterales Abkommen mit der Türkei gibt. Wo ist es bitte, Herr Schily? Sie sagen zum Beispiel im Zusammenhang mit Öcalan: Wir wollen einen europäischen Gerichtshof haben. Wo ist er denn bitte? Sie sagen: Wir wollen Fingerabdruckdateien. Wo sind sie denn bitte? Wo schlägt sich das alles nieder? Daß man immer dann, wenn man zu den Kollegen in Europa fährt - das habe ich als Minister auch gemacht -, ein Stückchen weiterkommt, weiß ich auch. Daß man in Europa immer wieder einen Kollegen findet, der, weil er andere Interessen verfolgt, sagt „Wir sind ein gutes Stück weitergekommen“, das weiß ich auch. Das ist aber nicht der Maßstab. Der Maßstab, der hier zugrunde zu legen ist, ist, ob wir inzwischen in Europa ein System haben, das wirklich sicherstellt, daß es hier zu einem Solidarausgleich kommt. Den gibt es bisher nicht. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Rüttgers, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Rüttgers, ich stelle zunächst einmal fest, daß Sie meine Fragen nicht beantwortet haben. Aber das ist ja klar. ({0}) Ist Ihnen nicht bekannt, daß für Fragen bezüglich der Justiz eine Kollegin zuständig ist, nämlich die aus dem Justizressort? Sie haben selber einmal sehr befehdet, daß man beide Ressorts zusammenlegt. Für Fragen bezüglich des Justizressorts dürfen Sie mich nicht in Anspruch nehmen. Darin, daß die Schaffung eines internationalen Gerichtshofes natürlich eine Schwierigkeit darstellt, können wir uns aber vielleicht einig sein. Ich möchte Sie auch auf den zweiten Sachverhalt ansprechen. Ist Ihnen nicht bekannt, Herr Kollege Dr. Rüttgers, daß gerade die bilaterale Zusammenarbeit mit der Türkei durch die alte Bundesregierung ziemlich in Schwierigkeiten geraten ist, weil sich das Verhältnis zur Türkei unter der alten Bundesregierung wirklich negativ entwickelt hat? Erst der neuen Bundesregierung ist es gelungen, dieses Verhältnis in hohem Maße zu verbessern, so daß wir jetzt bessere Aussichten für ein Abkommen haben, als es bisher der Fall war. ({1}) Wir werden das mit aller Vorsicht und aller Geduld angehen. Wir können nicht alles - wie Sie sich das einbilden in einem Dreivierteljahr aufräumen. Wir können nicht die Schulden und auch nicht die Arbeitslosigkeit in einem Dreivierteljahr abbauen. Wir können so schnell auch nicht die Versäumnisse beheben, die Sie uns in der Türkeipolitik hinterlassen haben. ({2})

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage, ob mir bekannt ist, daß es Schwierigkeiten zwischen der alten Bundesregierung und der Türkei gegeben hätte, beantworte ich mit Nein. ({0}) Die Frage, ob es jetzt ein besseres Verhältnis zur Türkei gibt, beantworte ich ebenso mit Nein; speziell in dem Zusammenhang, den Sie ansprechen, denn ich sehe die Ergebnisse nicht. Herr Schily, sich hier hinzustellen und zu sagen: Das sind alles ganz furchtbare Sachen, das kann ich nicht in einem Dreivierteljahr lösen, das ist am einfachsten. Ich gebe zu, das haben wir 1982/83 auch manchmal gemacht. Das könnten wir alles noch durchgehen lassen, wenn Sie im vergangenen halben bis dreiviertel Jahr den Mund nicht so voll genommen, alles angekündigt und gesagt hätten: Das machen wir, das packen wir. Jetzt schauen wir nach den Ergebnissen, aber es sind keine da. Das ist Ihr Problem. Sie stehen hier mit leeren Händen. Das ist das Problem Ihrer Politik. Das, was Sie hier zu diesem Haushalt vorgeführt haben, ist letztlich konzeptionslos. Ich bleibe bei dieser Einschätzung. ({1}) Wenn man sich damit auseinandersetzt, Herr Schily, welche Auswirkungen das hat, kommen Sie nicht daran vorbei, daß das, was Sie hier als vordringlichstes Ziel dieses Haushaltes erklärt haben, nämlich die Gewährleistung der inneren Sicherheit, von Ihnen ausweislich der Daten des Haushaltes nicht erreicht werden kann. Was Sie mit diesem Haushalt produzieren, ist eine Sicherheitslücke. Wo wir gerade bei den Ergebnissen Ihrer EUPräsidentschaft sind, wollen wir uns doch bitte die Frage stellen, was im Bereich der inneren Sicherheit gerade im Hinblick auf die organisierte Kriminalität festzustellen ist. Wenn das Bundeskriminalamt in seinem Lagebericht feststellt, daß gerade die organisierte Kriminalität aus dem Kosovo eine extreme Gewaltbereitschaft habe und daß es hierbei eine äußerst massive und brutale Gewaltausübung gebe, stelle ich Ihnen auch angesichts dieses Haushaltes die Frage: Was haben Sie getan, um die organisierte Kriminalität besser zu bekämpfen? Jetzt rächt sich eben, daß auf Ihr Betreiben hin die akustische Überwachung von Gangsterwohnungen verwässert worden ist. ({2}) Ich stelle Ihnen die Frage: Warum sperren Sie sich gegen die optische Überwachung von Gangsterwohnungen? Warum wird der Verfassungsschutz nicht in allen Ländern im Vorfeld eingesetzt? Statt dessen haben Sie - auch das ist ein interessanter Punkt - und hat diese Regierung mit Bodo Hombach einen Mann zum EU-Sonderkoordinator für die Stabilität auf dem Balkan gemacht, der mehr Zeit dafür braucht, sich in seinen Affären zurechtzufinden, als sich um den Aufbau des Balkans zu kümmern und damit auch dieser Not und dieser Kriminalität den Boden zu entziehen. ({3}) Wenn man sich anschaut, welche Maßnahmen Sie eingeleitet haben, stellt man fest, daß Sie die Mittel für die bessere Ausstattung der Bereitschaftspolizei im nächsten Jahr von 39 Millionen DM auf 32 Millionen DM, im Jahr 2001 von 32 Millionen DM auf 6 Millionen DM und im Jahr 2002 auf null DM kürzen. Statt Sicherheit produzieren Sie Sicherheitslücken. Dies schlägt sich im Haushalt nieder, und diesem Eindruck kann man sich nicht entziehen. Wenn ich höre, daß darüber nachgedacht wird, für den Einsatz des Bundesgrenzschutzes auf Bahnhöfen und in Zügen noch Geld zu kassieren, dann komme ich zu dem Schluß, daß die Lage noch bedenklicher wird. Sollen demnächst die Fußballvereine für den Einsatz der Polizei bei Fußballspielen bezahlen? ({4}) Sollen die Eltern für die Sicherung der Schulwege durch die Polizei bezahlen? Sollen die Bürger für die Streifenfahrten der Polizei in ihren Wohnvierteln bezahlen? Klatschen Sie weiter! Das Gewaltmonopol ist eine kulturelle Leistung. Der Staat kann nicht plötzlich erklären, daß er in irgendeinem Bereich für die Gewährleistung der inneren Sicherheit noch Gebühren verlangt. Wer diesen Weg einmal beschreitet, begibt sich auf eine schiefe Bahn, von der er letztlich nicht mehr herunterkommt. ({5}) Es darf nicht wieder dazu kommen, daß die innere Sicherheit letztlich vom Geldbeutel und damit von der Frage abhängt, ob man das Geld für die Installation teurer Alarmanlagen in seinem Haus oder für die Bezahlung „schwarzer Sheriffs“ hat. Wenn ich lese, daß inzwischen in Deutschland 200 000 Menschen in privaten Wachdiensten arbeiten, es aber nur 314 000 Polizeibeschäftigte gibt, dann sage ich: Es wird Zeit, daß wir über die Frage der Gewährleistung der inneren Sicherheit und über das Gewaltmonopol diskutieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Rüttgers, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber natürlich.

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rüttgers, Sie versuchen, der deutschen Öffentlichkeit gegenüber den Eindruck zu erwecken, als würde hier ganz Schlimmes passieren. Halten Sie es nicht für richtig, sich im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen in deutschen Stadien darüber Gedanken zu machen - und das vor allem angesichts der Tatsachen, daß die Vereine, Spieler und Trainer immense Summen in Millionenhöhe verdienen, daß die Stadien mit Steuergeldern subventioniert werden und daß jedes Wochenende Tausende Polizisten eingesetzt werden -, ob die Vereine einen Beitrag zur Sicherheit leisten sollen? Halten Sie es nicht für angebracht, daß man da einmal über andere Regelungen nachdenkt? ({0})

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich halte dies für einen ganz gefährlichen Weg, der, einmal begonnen, letztendlich dazu führt, daß es vom Geld abhängt, ob die innere Sicherheit gewährleistet wird oder nicht. Diesen Weg darf man nicht beschreiten. ({0}) Wenn man schon dabei ist, über innere Sicherheit und über die Ausstattung der Bereitschaftspolizei zu diskutieren, dann muß man auch ein Wort zur Polizeibesoldung sagen. Es ist sehr interessant, daß der dafür zuständige Minister zu den Tarif- und den Besoldungsfragen in seiner Rede kein einziges Wort gesagt hat. Wer wie Sie, Herr Schily, in diesem Jahr die Beamtenbesoldung von den Tariferhöhungen abkoppelt, der trifft und das wissen Sie auch - vor allem die Beamten des mittleren und des gehobenen Dienstes, das heißt, vor allem die Polizisten und die Justizbeamten. Völlig unverständlich ist es, daß Sie die zum 1. Juni dieses Jahres vorgesehenen Anpassungen der Beamtengehälter an den Tarifabschluß kurz vor der Beratung des Besoldungsgesetzes im Innenausschuß des Bundestages durch einen Antrag der Koalitionsfraktionen kassiert haben. Damit noch nicht genug. Jetzt ist es sogar wieder offen, ob der 1. Juni überhaupt noch gilt. Den Beamten der Besoldungsgruppe B, deren Bezüge ja erst zum 1. Januar 2000 erhöht werden sollen, die aber bereits einen Abschlag auf die vorgesehene Erhöhung der Bezüge zum 1. Juni erhalten haben, wurde dieser Abschlag wieder abgezogen. Um das Maß der Verwirrung und der Mißachtung der Beamten voll zu machen, sollen Beamte, Angestellte und Arbeiter künftig nur noch den Inflationsausgleich erhalten und damit von der Wohlstandsmehrung der Bevölkerung ausgeschlossen werden. Wie war das doch mit der Nachfragetheorie, die noch vor wenigen Monaten von Ihrem damaligen Parteivorsitzenden vorgetragen wurde? ({1}) Wo schlägt sich diese Theorie in Ihrem Handeln nieder? In Wahrheit ist Ihre Politik gegenüber den Beamten, den Angestellten und den Arbeitern im öffentlichen Dienst unfair und ungerecht. Herr Schily, ich glaube Ihnen wirklich von Herzen, daß der eben von Ihnen an die Polizeibeamten ausgesprochene Dank ehrlich gemeint war. Aber er wäre glaubwürdiger, wenn Sie sie nicht so behandeln würden, wie Sie sie im Tarif- und Besoldungsbereich behandeln. So geht man nicht mit Polizisten und kleinen Beamten um, Herr Schily. ({2}) Sie haben Ihre neuen Büros in Berlin für 1,6 Millionen DM nachträglich umbauen lassen. Aber Sie haben kein Geld für die Beamten. Diese Regierung hat Geld, um einen Luxus-Dienstwagen von Mercedes für den ExKanzleramtschef Hombach zu beschaffen, weil ihm der vom Bundeskriminalamt zur Verfügung gestellte fabrikneue gepanzerte Audi A8 nicht gut genug war. Aber Sie kürzen die Mittel für die Ausbildung der Bevölkerung in Erster Hilfe von 15,7 Millionen DM auf 5,3 Millionen DM in diesem Haushalt. Das paßt eben nicht zusammen; das sind die Widersprüche, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen. Sie sagen, Sie seien auch von Herzen Sportminister. Aber wie begründen Sie dann, daß die Förderung des Spitzensportes für den Haushalt des Olympiajahres um 9 Millionen DM gekürzt wird? Ferner haben Sie gesagt, der Sportstättenausbau in den neuen Bundesländern sei auf tollem Weg. 100 Millionen DM waren zugesagt; im Haushalt stehen aber nur 11 Millionen DM - und das, obwohl jeder weiß, daß diese Förderung nicht nur der Gesundheit und dem Sport, sondern der Infrastruktur der neuen Bundesländer insgesamt dient und im Hinblick auf Gemeinschaftserlebnisse, gerade bei den jungen Leuten dort, unglaublich wichtig ist. ({3}) Herr Schily, das, was Sie zu diesem Haushalt vorgetragen haben - Sie hätten sich damit gequält, Einsparungen vornehmen zu müssen -, war leider zu einfach. Sie haben über die Probleme im Beamtenbereich und im Bereich der inneren Sicherheit hinweggeredet. Sie haben trotz der Kürzungen so getan, als sei nichts passiert. In Wahrheit verfolgen Sie mit diesem Haushalt des Innenministeriums eine Politik, die konzeptionslos und unfair ist, nämlich gegenüber den kleinen Leuten im Bereich des öffentlichen Dienstes und denjenigen, die auf das Gewaltmonopol des Staates angewiesen sind. Das ist nun wahrlich keine Bilanz, auf die Sie stolz sein können, Herr Schily. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Otto Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, Herr Dr. Rüttgers: Ich habe in meinem parlamentarischen Leben noch keine Rede gehört, die so von Unwahrheiten strotzt wie die, die Sie heute gehalten haben. ({0}) Ich kann in einer Kurzintervention nicht auf alles eingehen, aber daß Sie behaupten, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität sei unter dieser Bundesregierung geschwächt worden - in welcher Weise auch immer -, ist die schlichte Unwahrheit. Wir haben das System der Kooperation für die Verfolgung der organisierten Kriminalität international ausgebaut, während sie bei Ihnen über Jahre blockiert war. ({1}) Das ist die Wahrheit! In der wichtigen Alpenregion beispielsweise haben wir kürzlich ein mustergültiges Abkommen mit der Schweiz geschlossen. Wir haben das endlich auch mit Rußland zustande gebracht, bei all den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Gerade erst haben wir ein wichtiges Vorhaben im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität - Sie haben sich ja gerade auf den Osten bezogen - gemeinsam, im Konsens, zustande gebracht. Sie haben da eine andere Position. Aber wir werden auf den Tisch legen, was damit geschieht. Im Bereich der Kriminalität, gerade der Gewaltkriminalität, verzeichnen wir in diesem Jahr einen deutlichen Rückgang. Das ist - das müssen Sie zur Kenntnis nehmen - ein Erfolg der Sicherheitspolitik. ({2}) Ich will Ihnen ein paar Zahlen nennen. Ich weiß nicht, warum Sie jetzt Gemeinsamkeiten in Frage stellen. Das ist schade, ich finde es traurig. Aber so sind Sie halt. Wir haben gemeinsam das BGS-Gesetz reformiert. Das war ein Erfolg. Bei den Kontrollen, die wir im ersten halben Jahr durchgeführt haben, haben wir immerhin 40 000 Personenfahndungserfolge - auch solche mit Verdacht auf Kapitalverbrechen - erzielt. Das sind enorme Fortschritte in der inneren Sicherheit. Herr Kollege Dr. Rüttgers, was Sie mir in bezug auf die kleinen Beamten vorgeworfen haben, finde ich - das sage ich Ihnen so deutlich - infam. Sie können unterstellen, daß sie auch mir am Herzen liegen. Hinsichtlich der Verschiebung der Besoldungserhöhung in diesem Jahr haben wir lediglich gesagt - gerade auf Grund der Berücksichtigung der sozialen Komponente, mit Blick auf die kleinen Beamten -: Die etwas Besserverdienenden, der Bundeskanzler, die Minister - das gilt für mich -, die Staatssekretäre, können es hinnehmen, daß die Besoldungsanpassung um ein paar Monate verschoben wird. ({3}) Wenn Sie das in hohem Ton mit den Worten kritisieren, das solle die kleinen Beamten treffen, dann finde ich das ungeheuerlich. Wer hat denn in den vergangenen Jahren welche Besoldungsanpassung vorgenommen? Schauen Sie doch einmal nach! Wie oft lag die Besoldungsanpassung unterhalb der Inflationsrate? Sehen Sie nach! Oder lassen Sie die Amnesie in Ihrem Kopf? ({4}) Ich will noch eines dazu sagen: Ich verstehe die Beamten, die vor meinem Ministerium gestanden haben. Die Sparzwänge haben Sie doch erzeugt, nicht wir. Wollen Sie mit 82 Milliarden DM Zinsen im Jahr weiterarbeiten? Also müssen wir sparen. Dafür finde ich bei diesen Menschen mehr Verständnis als bei Ihnen. Sie versuchen, die Situation in einer demagogischen Weise auszunutzen. Ich sage Ihnen: Auf die Dauer wird Ihnen das nicht helfen. Vielleicht haben Sie ein paar Augenblickserfolge, aber auf lange Frist werden die Leute merken, daß Sie mit Unwahrheiten arbeiten. Das hat aber auf lange Sicht erfreulicherweise keinen Erfolg, weil die Menschen nicht so dumm sind, wie Sie glauben. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Rüttgers, wollen Sie die Gelegenheit zur Antwort nutzen? ({0})

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will jetzt nicht die Art und Weise kommentieren, in der Herr Schily geantwortet hat. ({0}) - Ich werfe ihm nichts vor; er hat versucht, mir einen Vorwurf zu machen. Daß er sich aufregt, das gehört dazu; ich werfe es ihm gar nicht vor. - Ich stelle fest, daß Sie in der Sache keinem einzigen Punkt konkret widersprochen haben. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollege Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Schwäbischen sagt man: „Net gschompfa isch gnuag globt!“ Das heißt, die Schwaben sind sehr zurückhaltend mit Lob. Trotzdem will ich von diesem urschwäbischen Prinzip ein wenig abweichen und das Innenministerium dafür loben, daß es bei der schwierigen Frage der Aufnahme von Kosovo-Albanern unseres Erachtens großzügig vorgegangen ist. Das wurde verschiedentlich angesprochen. Wir hätten uns gewünscht, daß andere europäische Regierungen ähnlich großzügig gewesen wären. Trotzdem war das, denke ich, in der Zeit der Ratspräsidentschaft ein wichtiges Signal gegenüber anderen europäischen Staaten. Ich hoffe, daß das kommt, was verschiedentlich angemahnt wurde, nämlich die europäische Regelung zur Flüchtlingsaufnahme. Bei der Gelegenheit ein zweites Lob: Sicherlich haben wir von dieser Stelle aus wenig Möglichkeiten gehabt, die Schmerzen, die das Erdbeben in der Türkei hervorgerufen hat, zu lindern. Trotzdem war es gut und richtig, daß wir uns bei der Frage der Visumsvergabe ich meine die Aufnahme von Menschen, die in Deutschland Verwandte haben - vergleichsweise unbürokratisch gezeigt haben. Ich hoffe, daß diese Praxis fortgeführt wird. Denn die Menschen - gerade diejenigen, die alle Angehörigen verloren haben - sind dringend darauf angewiesen, wenigstens für eine befristete Zeit zu uns zu kommen. ({0}) Ich will auf eines der großen Reformvorhaben dieser Legislaturperiode zu sprechen kommen. Das Staatsangehörigkeitsrecht wurde vom Kollegen Rüttgers angesprochen. Wir haben zwar das Gesetz verabschiedet, aber die Frage der Verwaltungsvorschriften und die Frage der Änderung von Folgegesetzen stehen nach wie vor aus. Wir haben im Bundesrat eine neue Situation. Ich glaube, daß wir alle ein Interesse daran haben müssen, die Punkte, die noch ausstehen, über die Fraktionsgrenzen hinweg einer vernünftigen Lösung zuzuführen. ({1}) Ich will nur ein Beispiel nennen, bei dem ich der Meinung bin, daß wir sicherlich alle ein Interesse daran haben, eine sinnvolle Lösung zu finden. Ich rede jetzt nicht über die doppelte Staatsbürgerschaft, sondern über einen Punkt, über den Sie auch immer geredet haben. Wir haben die Fristen für einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung auf acht Jahre verkürzt. Es kann nicht sinnvoll sein, daß wir bei der Ermessenseinbürgerung ebenfalls bei einer Frist von acht Jahren bleiben. Ich glaube, wir müssen insofern zu einer anderen Frist kommen. ({2}) - Ja, gut, dann machen Sie doch mit. Um so besser! Dann machen wir im Innenausschuß in Zusammenarbeit mit Ihnen eine vernünftige Vorlage. ({3}) Ein zweiter Punkt, der dringend ansteht, ist die Frage der Aufenthaltstitel. Auch insofern macht es sicherlich keinen Sinn, bei der Aufenthaltsberechtigung bei acht Jahren zu liegen, wenn nach dieser Zeit bereits die Staatsbürgerschaft per Rechtsanspruch erlangt werden kann. Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt eingehen, der von Ihren Kollegen im Innenausschuß - nicht von uns, sondern aus den Reihen der CDU/CSU - angesprochen wurde. Es geht um die Frage, was wir in den Fällen machen, die auch nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht nur unzureichend gelöst sind. Das sind die Fälle, in denen sich der Staat im Auflösungszustand befindet oder in denen es Sonderprobleme gibt: Stichworte: Iran, deutsch-persisches Niederlassungsabkommen; Jugoslawien, Nachfolgerepubliken. Ich möchte Sie daher bitten, beizutragen, daß wir auch in diesen Spezialfällen gemeinsam eine sinnvolle Regelung finden. ({4}) Die F.D.P., die heute etwas spärlich besetzt ist - ({5}) - Es trifft ja immer die Falschen, wenn man kritisiert. Deswegen schließe ich ausdrücklich - das sage ich in aller Deutlichkeit - die anwesenden Kollegen der F.D.P. von dieser Kritik aus. Wir arbeiten im Innenausschuß hervorragend zusammen. Ich weiß, Ihre Kollegen sind mit der Frage der Nachfolgeregelung in Sachen Vorsitz in Ihrer Partei beschäftigt. ({6}) - Gut! Der Kollege Westerwelle reklamiert immer sehr gerne die Vaterschaft für das Staatsangehörigkeitsrecht. Ich möchte seine Vaterschaft gerne auf die Optionslösung beschränken; über Sinn und Unsinn der Optionslösung werden die folgenden Generationen entscheiden. Die Mutterschaft für dieses Gesetz kann wohl die Regierung für sich beanspruchen, vor allem hinsichtlich der Frage des Geburtsrechts, deren Lösung der entscheidende Reformschritt im Staatsangehörigkeitsrecht war. Ich möchte mich gerne mit Herrn Rüttgers am 1. Januar 2000 treffen, dann nämlich, wenn das erste Kind ausländischer Eltern in dieser Republik geboren und nicht mehr Ausländer sein wird, weil die Eltern deutscher Herkunft und nichtdeutscher Herkunft ab diesem Zeitpunkt gleich viel wert sein werden. Darüber sollten Sie sich mit uns freuen. Ich hoffe, daß Sie in Ihrem Wahlkreis der Mutter und dem Vater - egal, ob die Eltern nun türkischer, griechischer, spanischer oder gemischtnationaler Herkunft sind - zu ihrem Kind gratulieren und mit einem Blumenstrauß in der Hand sagen: Herzlich willkommen, neuer Staatsbürger! - Sie werben darum, daß dieses Kind irgendwann einmal CDU wählt. Ich werbe darum, daß das Kind irgendwann einmal die Grünen wählt. Wir werden sehen, wie sich unsere neuen Bürger entscheiden werden. ({7}) Der Kollege Rüttgers hat auch die Integration angesprochen. Es freut mich sehr, daß Sie dazu ein Papier vorgelegt haben - ich möchte die Polemik hier beiseite lassen -, in dem wirklich viele diskussionswürdige Sachverhalte stehen. Nur an einer Stelle, glaube ich, haben Sie es sich ein bißchen zu einfach gemacht, nämlich bei der Zuständigkeit für die Finanzierung. Das ist die entscheidende Frage. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Die Integration kostet etwas. Ich glaube, daß das Geld hier gut angelegt ist. Jede Mark, die wir in die Integration investieren, spart Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und Mittel für Resozialisierung. Ein ganz konkreter Vorschlag: Der Innenausschusses hat mit allen Stimmen beschlossen, sich in Holland das dort praktizierte Modell - Sie kennen es - mit Sprachund Integrationskursen anzuschauen. Lassen Sie uns das anschauen! Lassen Sie uns überlegen, wie ein ausreichendes Angebot an Sprach- und Integrationskursen durchgesetzt werden kann, in denen man auch lernt, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden und mit Alltagstechniken umzugehen: nicht nur für Fälle der Familienzusammenführung, sondern, bitte schön, auch für Aussiedler und Flüchtlinge, für die es bisher keine vergleichbaren Kurse gibt. Lassen Sie dies nicht daran scheitern, daß der Bund die Verantwortung für die Einrichtung solcher Kurse auf die Länder schiebt, die sie dann auf die Kommunen schieben, welche sie dann ihrerseits wieder auf die höhere Ebene zurückverweisen. So wird daraus nichts. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich sage Ihnen eine ernsthafte Zusammenarbeit zu. ({8}) Lassen Sie mich auf ein Thema zu sprechen kommen, das uns ebenfalls auf den Nägeln brennt und über das auch etwas in der Koalitionsvereinbarung steht, nämlich auf den Rechtsradikalismus. Ich denke, auch dieses Thema kann nur gemeinsam in Angriff genommen werden. Ich möchte mich auch an die linke Seite des Hauses richten, an die PDS, die sich mittlerweile quasi zum Lordsiegelbewahrer der freiheitlichen Demokratie gemausert hat. Mich freut das sehr. Es tut der Demokratie nur gut, wenn sie noch mehr Verteidiger hat. Sie braucht diese in diesen Tagen, wenn ich an das Wahlergebnis der DVU in Brandenburg denke. Das Thema Rechtsradikalismus ist eines der Themen, das uns alle in Zukunft mehr beschäftigen sollte als in der Vergangenheit. Wir, die Regierungsfraktionen, werden vorschlagen, über dieses Thema im Bundestag zu debattieren. Es geht gar nicht darum, mit erhobenem Zeigefinger auf die neuen Länder zu zeigen. Zwar gibt es dort ein besonderes Problem mit Gewalt, Rechtsradikalismus und der Hinnahme von rechtsradikalen Strukturen. Aber dieses Problem werden wir nur gemeinsam lösen können. In der letzten Legislatur - das wissen die Kollegen, die damals dabei waren - ist dies aus verschiedensten Gründen verhindert worden. Ich hoffe, daß wir dieses Mal eine gemeinsame Entschließung zustande bringen werden, in der wir klarmachen, daß die demokratischen Parteien Rechtsradikalismus in keiner Färbung hinnehmen und sich ihm entgegenstellen. Ich habe die PDS vorhin deshalb angesprochen, weil ich mir wünsche, daß sie den Rechtsradikalismus in den neuen Ländern - ihr spielt dort eine wichtige Rolle, beispielsweise in Berlin - mehr thematisiert. Dieses Thema im Bundestag zu debattieren ist gut und wichtig. Aber ich wünsche mir auch - ich mache gerade eine Tour durch die neuen Länder und auch durch Berlin, wo wir die Ehre haben, zu sitzen -, daß die PDS den Rechtsradikalismus gerade auch bei ihrer Klientel stärker thematisiert. Davon sehe ich bisher sehr wenig. Ich möchte auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, der, so glaube ich, bisher noch zuwenig gewürdigt wurde, obwohl er voraussichtlich einer der großen Erfolge in dieser Legislaturperiode sein wird, nämlich die Novelle des Datenschutzes. Es gibt - erzwungen durch Brüssel - die Notwendigkeit, unser Datenschutzgesetz zu reformieren. Das einstige Modelland des Datenschutzes, die Bundesrepublik Deutschland, ist zurückgefallen. Brüssel ermahnt uns mittlerweile, unsere Datenschutzgesetze zu aktualisieren, die in keiner Weise mehr zeitgemäß sind. Ich möchte jetzt nicht das Lied von den Altlasten singen; vielmehr bitte ich darum: Schauen Sie sich diese Novelle an; ich glaube, es ist eines der besten Datenschutzgesetze, die diese Republik je hatte. Der Datenschutzbeauftragte wird in seinen Kompetenzen gestärkt. Wir erarbeiten zusammen mit der Wirtschaft - das sollten gerade diejenigen unter Ihnen begrüßen, die immer von der Wirtschaft reden - ein Datenschutzgesetz, das sich endlich am Stand der Technik orientiert und in das der private Bereich genauso einbezogen wird wie die Betriebe und die Kommunen. Die Wirtschaft hat bezüglich des Datenschutzes schon längst umgedacht. Die Wirtschaft hat erkannt: Moderner Datenschutz ist ein Standortfaktor und ein Wettbewerbsvorteil. Diejenigen, die für Rechtssicherheit plädieren, sind auch diejenigen, die sich für gute Wettbewerbsbedingungen in der Wirtschaft einsetzen. Ich wünsche mir, daß uns die Opposition bei der Datenschutznovelle unterstützt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich dem Koalitionspartner sagen: Wir hatten in der Frage des Datenschutzes nicht immer Einigkeit. Es hat einige heftige Gespräche hinter verschlossenen Türen benötigt. Ich möchte mich ausdrücklich bei den Kollegen Jörg Tauss und Ute Vogt von der SPD bedanken, die uns in unserem Anliegen unterstützt haben, das Datenschutzgesetz in der zweiten Stufe anzupacken und das, was wir in die erste Stufe des Datenschutzgesetzes nicht hineinnehmen werden, in die zweite Stufe aufzunehmen. Sie stehen im Wort, und wir wollen gemeinsam die zweite Stufe des Datenschutzgesetzes noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen. ({9}) Wir würden gerne noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf einbringen, mit dem die Akteneinsichtsrechte so geklärt werden, wie es in den USA und in vielen anderen westlichen Ländern längst aktueller Stand ist. Wir brauchen keinen Staat mehr, der seinen Bürgern nicht traut; vielmehr brauchen wir einen Staat, der den Bürger als Souverän sieht und dem Bürger dort, wo es nicht gegen die Interessen von Wirtschaftsunternehmen verstößt, die Möglichkeit gibt, in Akten Einsicht zu nehmen. Es gehört zu einem modernen, aufgeklärten Staat, daß er seinen Bürgern vertraut. Weil hier so viel von Konsens und von den neuen Mehrheitsverhältnissen die Rede war, möchte ich noch ein Wort an die Opposition richten. Es gab von Ihnen verschiedentlich Äußerungen zur direkten Demokratie. Vielleicht haben auch Sie in der „FAZ“ vom 11. September den bemerkenswerten Artikel von Charles Beat Blanket gelesen, in dem er eine Verlängerung der Legislaturperiode mit mehr direkter Demokratie im Gegenzug anregt. Ich halte dies für einen spannenden Gedanken, auch wenn ich gar nicht behaupte, daß man es so machen soll. Aber die Diskussion darüber lohnt. Sie sollten Ihre Haltung zur direkten Demokratie überdenken. Ich weiß, daß dieses Thema bei Ihnen vor Ort längst anders diskutiert wird. Ich wünsche mir, daß auch hier eine vernünftige Diskussion zu diesem Thema zustande kommt. Meine Redezeit ist leider schon überschritten; deshalb muß ich zum Schluß kommen. In einem Bereich sind wir meines Erachtens noch nicht so weit, wie wir sein sollten: im Bereich der Asylpolitik. Ich möchte dieses Thema mit Feststellungen beenden: Es kann nicht sinnvoll sein, daß wir die Legislaturperiode damit beenden, daß jemand, der in Algerien Islamist ist und dort Menschen unterdrückt und bedroht zu uns kommt und auf Grund unseres Asylrechts Asyl erhält, während diejenigen, die vor ihm fliehen, bei uns kein Asyl bekommen, weil es sich um eine sogenannte nichtstaatliche Verfolgung handelt. Ich wünsche mir dringend, daß wir in dieser Legislaturperiode dieses Thema genauso wie die Frage der frauenspezifischen Fluchtgründe anpacken. ({10}) Es ist eine Schande für uns alle, wenn Frauen, die beispielsweise durch Säureattentate verfolgt werden, weil sie sich weigern, ein Kopftuch so zu tragen, wie es in dem entsprechenden Land vorgeschrieben ist, bei uns kein Asyl bekommen. Hoffentlich bringen wir eine vernünftige Lösung zustande. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt Gelegenheit zu einigen Betrachtungen über Kontinuität und Diskontinuität. Wir haben soeben einen verbalen Schlagabtausch zwischen Herrn Schily und Herrn Rüttgers erlebt. Trotzdem tritt man der SPD nicht zu nahe, wenn man feststellt, daß Sie Ihre Innenpolitik unter das Leitmotiv der Kontinuität gestellt haben. ({0}) Große Änderungen gegenüber der Innenpolitik Manfred Kanthers haben Sie gar nicht versprochen. Herr Wiefelspütz, dies ist sogar nachvollziehbar; denn die einzige große Reform, die Sie in diesen zehn Monaten wirklich angepackt haben, war die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. ({1}) So, wie Sie es angepackt haben, haben Sie mit Ihren Vorstellungen in der Bevölkerung, wie die Wahl in Hessen gezeigt hat, keine Zustimmung gefunden. Nach der Wahl in Hessen haben Sie offenkundig die Lust verloren, zu sehr mit reformerischen Aktionen vorzupreschen. Im übrigen ist diese Reform in der Bevölkerung erst allgemein akzeptiert worden, als sie dem von der F.D.P. vorgeschlagenen Modell angepaßt worden ist. Der Bayerischen Staatsregierung geht allerdings sogar das zu weit. Sie hat Änderungen angekündigt, die sie über den Bundesrat durchsetzen will. Ich kann nur meine Hoffnung zum Ausdruck bringen: Soweit damit ein Zurückholen der Reformen auf den vorherigen Zustand beabsichtigt ist, wird die Bayerische Staatsregierung im Bundesrat hoffentlich scheitern. ({2}) Der Kollege Wiefelspütz wird im „Spiegel“ mit der Frage konfrontiert, warum das von der SPD in der letzten Legislaturperiode betriebene Vorhaben, die privaten Sicherheitsdienste einer gesetzlichen Regelung zu unterwerfen, so langsam vorankommt. Er wird mit der Antwort zitiert, Fragen der inneren Sicherheit seien derzeit eben kein Thema. Wenn man die Politik der neuen Koalition bewertet, muß man, wie ich glaube, diese Feststellung noch etwas erweitern. Innenpolitische und gesellschaftspolitische Reformvorhaben insgesamt sind bei dieser Koalition kein Thema, jedenfalls dann nicht, wenn man den Anspruch zugrunde legt, den mindestens ein Koalitionspartner selber zuvor erhoben hat. Denn ganz im Gegensatz zur SPD mit ihrem Sinn für Kontinuität huldigt die Fraktion der Grünen ganz offenkundig dem parlamentarischen Grundsatz der Diskontinuität. Dieser Grundsatz besagt bekanntlich, daß sich ein Gesetzentwurf mit dem Ende der Legislaturperiode erledigt. Viele ReformCem Özdemir vorhaben der Grünen aus der Vergangenheit haben sich auf diese Weise erledigt. Die Grünen haben aber offenbar vergessen, daß es trotz dieses Grundsatzes der Diskontinuität nicht verboten wäre, frühere Ideen erneut ins Parlament einzubringen. ({3}) Davon machen sie jedoch keinen Gebrauch. Vielmehr haben sie sich von dem, was sie in der Innenpolitik früher einmal vertreten haben, weitgehend verabschiedet. Ihr Bundestagswahlprogramm war noch mit dem Titel „Grün ist der Wechsel“ überschrieben. Diesen Wechsel haben sie aber in der Innenpolitik inhaltlich bisher nicht eingelöst. Ich gebe einige konkrete Belege aus der beliebten Rubrik „Versprochen, jedoch nicht gehalten“. Erstens. Es war schon die Rede von der Beamtenbesoldung. Dabei sind wir aber noch nicht zum entscheidenden Punkt durchgedrungen. Die neue Koalition hat ja eine Nullrunde bzw. lediglich einen Inflationsausgleich für die Beamten dekretiert. Was Ihnen zu Recht die Kritik von DGB und Deutschem Beamtenbund einbringt, ist doch folgende Tatsache: Sie wollen damit die Tarifverhandlungen für die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst präjudizieren. ({4}) Ich erinnere daran: Als die alte Koalition in der letzten Legislaturperiode einmal in ähnlicher Weise ein Entgeltfortzahlungsgesetz für die Beamten verabschiedet hat, haben Sie uns heftig kritisiert und gesagt, wir unternähmen damit einen Angriff auf die Tarifautonomie, da für den Tarifbereich dasselbe nachfolgen müßte. ({5}) Wo bleiben denn die wackeren Verteidiger der Tarifautonomie? Diese Frage geht vor allem an die Sozialdemokratie in diesem Hause. Zweitens. Meine Damen und Herren, es war die Rede von Europol. Wie haben Sie uns wegen der EuropolImmunitätenregelung kritisiert. Die Grünen versprachen im Wahlprogramm, diese Regelung völlig aufzuheben. Wir sind viel bescheidener. Wir haben gemeinsam in der letzten Legislaturperiode beschlossen, die Bundesregierung möge in Europa darauf hinwirken, daß insgesamt nicht nur bei Europol - die nicht mehr zeitgemäßen Immunitäten einer Prüfung unterzogen werden. Geschehen ist gar nichts, wie die Bundesregierung auf eine Anfrage von mir eingeräumt hat. Drittens. Ich komme zum Stichwort Datenerhebung. Da trifft es sich gut, daß die Frau Justizministerin auch schon im Saal ist; die Dinge gehen manchmal ineinander über. Ich kritisiere gar nicht, daß Sie das Bundesdatenschutzgesetz noch nicht neu vorgelegt haben, denn es ist eine schwierige Materie. Aber Sie könnten allmählich damit zu Stuhle kommen. Interessant ist jedenfalls, daß der erste Entwurf für die Verbesserung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten - Stichwort: selbstrecherchiertes Material von uns und nicht von der „Reformkoalition“ von SPD und Grünen vorgelegt worden ist. Wo bleibt im übrigen die Überprüfung des § 12 des Fernmeldeanlagengesetzes, der in bedenklicher Weise in das Fernmeldegeheimnis eingreift? Die alte Koalition hat einen damaligen Regierungsentwurf nicht passieren lassen, wie Sie sich erinnern. Wir haben sogar eine Frist dafür gesetzt, bis wann die Regierung den Entwurf einer Neuregelung vorlegen soll. Sie bringen dazu gar nichts. Es wäre etwas seltsam, wenn Sie möglicherweise dieser problematischen Vorschrift neuerdings wieder Sympathie entgegenbrächten, weil auf Grund von § 12 FAG ein ausgewiesener CSU-Freund soeben in Kanada aufgespürt worden ist. Ich hoffe nicht, daß das der Grund für Ihre Untätigkeit ist. Viertens. Die Kurdenpolitik weist innenpolitische Bezüge auf. Ich stelle fest, daß neue Akzente von Ihnen auch hier nur sparsam, mühsam und mit zeitlicher Verzögerung, wenn überhaupt, gesetzt worden sind. Es war eine Initiative unserer Kollegin Ulla Jelpke, die dazu geführt hat, daß sich eine Delegation des Innenausschusses in der Türkei massiv gegen die Inhaftierung des Menschenrechtlers Akim Birdal gewandt hat. Jetzt, da die Bundesregierung in Gesprächen darüber steht, ob die Türkei den Status eines EU-Beitrittskandidaten erlangen soll, wäre sie gut beraten, massiv darauf hinzuwirken, daß Akim Birdal und mit ihm andere Menschenrechtler unverzüglich freigelassen werden. ({6}) Leider ist all das, was ich Ihnen hier gerne noch zu bedenken geben wollte, so viel, daß meine Zeit dafür nicht ausreicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Sie ist ohnehin vorüber. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich komme zum Schluß. Von all dem, was Sie versprochen haben - Wiederherstellung des Asylrechts, bei dem Sie bisher nicht einmal Änderungen bei der Flughafenregelung zustande gebracht haben, Demokratieoffensive, Antidiskriminierungsgesetz usw. -, fehlt in der praktischen Politik bisher jede Spur. Angesichts der Diskrepanz von Wort und Tat bei den Grünen fragt man sich schon, wie Sie denn die von Ihnen eingegangene Koalition mit der SPD inhaltlich überhaupt rechtfertigen können. Daher bleibt als Fazit nur noch ein Zitat: „Die große politische Linie ist überhaupt nicht zu erkennen.“ Dies hat vor kurzem Jürgen Trittin gesagt, und wo er recht hat, hat er recht. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Stadler, ich habe selbstverständlich nur Ihre Redezeit gemeint, die Sie deutlich überschritten haben. Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Özdemir erbeten. Bitte schön.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Stadler, wir kennen uns sehr gut aus dem Innenausschuß; deshalb an der Stelle nur eine kurze Bemerkung. Mich freut es sehr, daß die F.D.P. unser altes Magdeburger Programm entdeckt hat - wenigstens einer, der es liest; das ist sehr begrüßenswert. ({0}) Aber das ist nicht der Inhalt meiner Kurzintervention. Meine Kurzintervention bezieht sich auf das zuletzt Gesagte, auf die Kurdenfrage. Ich glaube, daß man das wirklich richtigstellen muß, lieber Max Stadler, und Sie werden mir sicher zustimmen, daß das so nicht richtig ist. Der Außenminister hat sich mehrfach, zuletzt bei seiner Türkeireise, bei der Kollegen aller Fraktionen dabei waren, vernehmlich dafür eingesetzt, daß nicht nur Akim Birdal, sondern alle Menschen, die in der Türkei wegen sogenannter Meinungsfreiheitsdelikte einsitzen, freigelassen werden. ({1}) Das ist keine neue Politik, das hat auch Herr Kinkel schon gemacht. Alle deutschen Politiker aller Fraktionen haben sich dafür eingesetzt. Es ist auch gut, daß wir in dieser Frage keinen Streit haben. Das belegt auch der Applaus an dieser Stelle. Deshalb bitte ich darum, keinen Streit bei Fragen zu beginnen, bei denen es nicht sein muß. Über die anderen Fragen können wir uns gerne unterhalten, aber hier finde ich es unangebracht. Zum Innenminister: Daß die Bundesregierung ein Darstellungsproblem hat, ist nicht neu. Es wurde verschiedentlich angesprochen, daß die guten Sachen, die wir machen, nicht immer gut dargestellt werden. Ich kann Ihnen ein Beispiel dafür nennen: Der Innenminister hat ein Treffen mit kurdischen Organisationen in Deutschland organisiert, zu dem alle relevanten, nicht Gewalt unterstützenden - das ist wichtig - Organisationen eingeladen worden sind und bei dem man sich darüber unterhalten hat, wie man in Deutschland Deeskalation betreiben kann, wie man sich frühzeitig verständigen kann. Das gleiche hat die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Frau Marieluise Beck, gemacht. Ähnliches macht auch der Außenminister in seinem Bereich. Hier tut sich viel. Wir reden nur nicht über alles so laut, weil man manches - das werden Sie verstehen - nur hinter verschlossenen Türen machen kann, denn sonst hat es keinen Sinn. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Stadler, Sie haben das Wort.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Özdemir, es ist unstrittig, daß sich sowohl Herr Kinkel als auch Herr Fischer und viele andere im Parlament, etwa Claudia Roth und der ganze Menschenrechtsausschuß, für die Menschenrechtler in der Türkei einsetzen, die auf Grund wirklich skandalöser Gesetze und ebenso skandalöser Urteile inhaftiert sind. Ich habe den Punkt deswegen angesprochen, weil Außenpolitik, Menschenrechtspolitik und Innenpolitik ineinandergreifen, denn all das hat wieder einen Rückbezug auf die Situation, auf die Sicherheitslage in Deutschland. Sie geben mir mit Ihrer Kurzintervention Gelegenheit, noch einmal den Kernpunkt dessen hier darzustellen, was ich an dieser Stelle sagen wollte. Wir sind jetzt mit der Türkei in Gesprächen über einen Status der Türkei als Beitrittskandidat für die EU. Nicht alle, aber viele in der Türkei sind daran interessiert, daß dieser Status erreicht wird. Die Bundesregierung hat zu erkennen gegeben, daß dies möglichst noch bis Dezember dieses Jahres über die Bühne gebracht werden soll. Meine Einschätzung in der alten, schwierigen Frage, ob man denn Schritte aufeinander zu machen soll, gewissermaßen ohne jede Vorbedingung, oder ob man nicht bei solchen Gelegenheiten aktuelle Anliegen mit Nachdruck vertreten muß, ist, daß mir in der Nachfolge all dessen, worauf Sie hingewiesen haben, was in der Vergangenheit gemacht worden ist, auch im Wege der stillen Diplomatie, jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein scheint, daß man in den wenigen Wochen, die von jetzt an bis Dezember verbleiben, in denen man überhaupt nur Verhandlungsmasse hat, diese Fragen nicht aus dem Blick verliert, sondern daß die Außenpolitiker, die Menschenrechtspolitiker und die Innenpolitiker aller Fraktionen Wert darauf legen, daß die Bundesregierung im Sinne einer Lösung der von mir angedeuteten Fragen bei diesen Verhandlungen initiativ wird. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort nun der Kollegin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich denke, daß der Schlagabtausch zwischen Herrn Rüttgers und Innenminister Schily nicht nachvollziehbar ist. Ich möchte selber gerne an Hand einiger Beispiele aus dem Haushalt, den wir hier heute beraten, aufzeigen, daß diese rotgrüne Bundesregierung sehr wohl in Kontinuität zur vorherigen steht und keineswegs in wesentlichen Fragen grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen hat. Das haben auch die Auseinandersetzungen eben bewiesen. Daß die Erwartungen und die Hoffnungen in die Politik dieser Bundesregierung enttäuscht worden sind, zeigen, nüchtern betrachtet, nicht nur die Wahlergebnisse, sondern auch Vergleiche der Versprechungen mit der konkreten Politik. Ich zitiere dazu einmal aus der Koalitionsvereinbarung, in der es so schön heißt: Die neue Bundesregierung wird die politische Auseinandersetzung mit und die Bekämpfung von Rechtsextremismus zu einem Schwerpunkt machen. Ihre Aussagen, Kollege Özdemir, in Ehren, aber die PDS war, soweit ich weiß, in den vergangenen Wahlkämpfen - das kann man auch aus den Forschungsergebnissen von Instituten herauslesen - die einzige parlamentarisch vertretene Partei, die mit Plakaten und entsprechenden Aufklärungsmaterialien öffentlich in diesem Punkt zur Stelle war. Ich kann Ihnen dazu gerne eine Analyse zukommen lassen. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, daß ich seit Jahren in diesem Haus in Form von Kleinen Anfragen, Stellungnahmen und Analysen zum Haushalt Aufklärungsarbeit leiste. Es ist aber nicht allein die Aufgabe der PDS, sondern die Aufgabe aller hier im Hause, gegen Rechtsextremismus, den Einzug der DVU in Landesparlamente und ähnliches zu kämpfen und dafür zu sorgen, daß die Menschen entsprechend aufgeklärt werden. ({0}) An diesem Punkt möchte ich Sie bitten - es heißt ja so schön: wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen -, sich anzuschauen, welche Mittel im Haushalt für Aufkflärungsarbeit in Sachen Rechtsextremisus und Antisemitismus vorgesehen sind. Aus Kleinen Anfragen von mir können Sie wiederum herauslesen, daß es im vergangenen Jahr über 760 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund und allein im ersten Halbjahr dieses Jahres fast 1000 solcher Straftaten gab. Dabei sind über 150 Menschen angegriffen worden, und ein Toter ist zu verzeichnen. Das wäre allemal Grund genug dafür, die eigene Politik zu ändern und das Versprechen zu halten, das damals formuliert wurde. ({1}) Ich begrüße natürlich jede Debatte hier im Bundestag über dieses Thema, weil sie zur Aufklärung beitragen kann. Aber das allein reicht nicht aus. Ich möchte auch meinen Kollegen Graf und andere daran erinnern, daß sie, bevor ihre Partei an die Regierung gekommen ist, immer wieder erklärt haben, sie wollten die entsprechenden Haushaltsansätze überprüfen. Tatsache aber ist, daß der Haushaltsansatz für Organisationen, die rechtsextremistisches Gedankengut verbreiten, gestiegen ist. Ich nenne die Vertriebenenverbände. ({2}) - Ich habe noch nie behauptet, daß die Vertriebenenverbände als Ganze rechtsextremistisch sind, ({3}) aber sie vertreten rechtsextremistisches Gedankengut bzw. steuern nicht gegen. Wenn die Präsidentin der Vertriebenenverbände im Zusammenhang mit Polen und Tschechien erneut revanchistische Forderungen stellt - daran möchte ich Sie nur ganz kurz erinnern -, ({4}) dann müssen wir uns damit auseinandersetzen und darüber Aufklärung fordern. Auf jeden Fall können wir auch aus diesem Haushalt wieder herauslesen, daß diese Organisationen weiterhin finanziert werden und für sie mehr, aber für Aufklärungsarbeit immer weniger Geld ausgegeben wird. Lassen Sie mich einen sehr kritischen Punkt ansprechen, der mir und vielen Betroffenen am Herzen liegt: Wir suchen im Haushalt vergeblich nach einem Ansatz für eine Stiftung für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, obwohl die Koalition deren Einrichtung ebenfalls versprochen hat. Ich muß ehrlich sagen, daß ich persönlich es als einen Skandal empfunden habe, als in den letzten Wochen bekannt wurde, daß der Außenminister mit Einverständnis des Kanzlers Schröder einen Brief an die Gerichte geschickt hat, worin steht, daß die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beispielsweise der Firmen Degussa, Siemens und Ford gar nicht entschädigt werden müßten, daß die Gerichte diese Klagen also zurückweisen sollten, weil die Firmen gezwungen worden seien, Zwangsarbeiter zu beschäftigen. In der Sendung „Monitor“ aber wurde erst vor kurzem dargelegt, daß dies nicht wahr ist. Es liegt ein Schriftverkehr vor, der zeigt, daß sich diese Firmen darum beworben haben. Ich meine, daß dieses Verhalten nicht angehen kann. Es ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer, wenn von der Bundesregierung vor dem Hintergrund, daß gegenwärtig Verhandlungen zwischen der Bundesregierung, den Betroffenenverbänden und den Anwälten stattfinden und sich auch die amerikanische Regierung eingeschaltet hat, solche Briefe verfaßt werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Jelpke, Ihre Redezeit ist schon deutlich überschritten. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja. Lassen Sie mich aber zum Schluß noch an das anknüpfen, was ich zu Beginn gesagt habe: Die Kontinuität zum Kanther-Haushalt ist mit diesem Haushalt eindeutig gegeben. Das wird auch an den Ausgaben deutlich, die der Innenminister heute selber vorgestellt hat. Ich sehe nicht ein, warum Millionen für neue Waffen für den Bundesgrenzschutz ausgegeben werden, beim Sozialbereich aber drastisch gespart werden muß. Ich meine, daß eine ganze Reihe von Punkten, die zeigen, wie auch im Innenministerium eingespart werden könnte, offengeblieben ist. So wie der Haushalt gegenwärtig aussieht, werden wir ihm auf keinen Fall zustimmen. Danke. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mit dem Amtsvorgänger von Herrn Schily, dem früheren Bundesminister Kanther, zusammengearbeitet. Wir waren manchmal sehr unterschiedlicher Auffassung und haben gestritten. Wir haben aber von Herrn Kanther nie solch niveaulose Diskussionsbeiträge gehört wie den Beitrag von Herrn Rüttgers. ({0}) Ich halte es für einen Tiefstand der parlamentarischen Debatte, Herr Rüttgers, daß Sie meinen, sich hier eine solche Rede leisten zu können. ({1}) Sie treten an und wollen Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen werden. ({2}) Das wäre eine Tragödie für dieses Land; das hat es wirklich nicht verdient. ({3}) Ich will hier eines deutlich sagen: Die Innenpolitik der Koalition ist geprägt von Kontinuität, auch von Kontinuität zu früheren Bundesregierungen. Sie ist aber ebenso geprägt von notwendiger Erneuerung. Kontinuität und Erneuerung - das ist es, was man zur erfolgreichen Tätigkeit des Innenministers Schily sagen kann. Dazu bekennen wir uns. Selbstverständlich arbeitet die Koalition - wie könnte es auch anders sein - in und mit den Strukturen, die frühere Bundesregierungen geschaffen haben. Die jetzige Koalition und das Innenministerium haben aber auch die Kraft zu Reformen mit Augenmaß. Es hat in früheren Regierungen auch Stillstand und Rückschritt gegeben. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die dringend notwendige Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die nur von dieser Regierung, nur von dieser Koalition auch mit Hilfe der F.D.P., Herr Stadler - durchgesetzt worden ist. Früher gab es nur Ankündigungen; daran haben auch Sie sich beteiligt. Sie haben nicht die Kraft gehabt, weil Sie sich gegenseitig blockiert haben. Wir hatten diese Kraft. ({4}) Seien wir doch bitte ehrlich: Die ganze Tragweite dieser Reform, die ein großer Beitrag zum inneren Frieden in unserem Land ist, ist doch noch gar nicht wirklich begriffen worden. Es ist in der Tat eine herausragende Reform im Bereich der Innenpolitik. Ich frage mich, welche der früheren Bundesregierungen ein Reformwerk vergleichbaren Ausmaßes zustande gebracht hat. Ich sage Ihnen: Selbst wenn wir in der gesamten Legislaturperiode nur dies zustande bringen würden, so sollte man dies nicht geringschätzen. Wir werden aber zusätzlich noch einiges zustande bringen. ({5}) Aber wenn wir nicht immer und ausschließlich Reformen diesen Ausmaßes wählen, dann sollte man uns das nicht entgegenhalten. Ich glaube, diese Koalition steht für eine seriöse Reformpolitik. Die Innenpolitik, die sich weiß Gott nicht für Ideologie eignet, sollte geprägt sein von Solidität und von Erneuerung da, wo es wirklich erforderlich ist. Der Haushalt, den die Bundesregierung heute vorgelegt hat, ist, wie ich finde, in seiner Gesamtheit eine große, mutige strategische Leistung. Sie ist die erste wirklich große strategische Leistung dieser Bundesregierung. Neben anderen Dingen, die auch wichtig sind, ist das eine große Leistung, vor der ich Respekt habe. Der Anspruch, innerhalb von wenigen Jahren den Bundeshaushalt wieder auszugleichen, bedeutet wahrlich den Einzug eines neuen Denkens in die Politik. Kein Finanzminister früherer Bundesregierungen hatte auch nur ansatzweise den Mut und die konzeptionelle Kraft zu einer solchen Vision. Es geht dabei nicht allein ums Sparen. Es geht vielmehr darum, staatliche politische Gestaltungfähigkeit wieder möglich zu machen. Es geht um nichts weniger, als uns alle wieder zukunftsfähig werden zu lassen, diesem Land und seinen Menschen die Chancen zurückzugeben, die von der Regierung Kohl in vielen Bereichen zugeschüttet worden sind. ({6}) Zu dieser Politik wird die Innenpolitik der rotgrünen Koalition ihren Beitrag leisten. Der Anteil des Haushalts des Innenministeriums am gesamten Bundeshaushalt ist - seien wir ehrlich - durchaus überschaubar. Er beträgt weniger als zwei Prozent. Gleichwohl trägt der Einzelplan 06 einen überdurchschnittlichen Anteil zur Sanierung des Bundeshaushalts bei. Das sollte man hier einmal ausdrücklich anerkennen und auch loben. Die Einsparungen im Umfang von ca. 600 Millionen DM fallen uns weiß Gott nicht leicht. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt nachdrücklich die Weichenstellung von Minister Schily, den Bereich der inneren Sicherheit von Einsparungen nicht nur zu verschonen, sondern durch haushaltswirksame Maßnahmen im Bereich des Bundesgrenzschutzes, des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz Verbesserungen bei der Leistungsfähigkeit dieser Bereiche zu erreichen. In bezug auf die innere Sicherheit weiß jeder, der sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt, daß immer wieder überlegt werden muß, wie Menschen und Ressourcen optimal eingesetzt werden. Das Produkt des Staates, die innere Sicherheit, darf auf keinen Fall beeinträchtigt werden, im Gegenteil: Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben einen elementaren Anspruch darauf, daß der Staat die innere Sicherheit verbürgt. Dafür stehen wir ein. Dabei erzielt der Bundesinnenminister mit seinem Haus erhebliche Erfolge. Herr Rüttgers, studieren Sie bitte die Kriminalstatistik. Es gibt manche Probleme in unserem Land. Aber es gibt auch Erfreuliches, das sich entwickelt. Beispielsweise sinkt in vielen Bereichen und insgesamt die Kriminalität. ({7}) Das soll uns nicht den Blick auch vor zusätzlichen Herausforderungen verstellen, beispielsweise, Herr Bosbach, bei dem wichtigen Thema der international operierenden Kriminalität. Dieser Bundesinnenminister ist derjenige, der in einem Maße wie keiner seiner Vorgänger diese internationale Komponente von Anfang angesehen hat, der einen wesentlichen Teil seiner Aktivitäten gerade darauf richtet, in diesem Bereich, der weiß Gott nicht von heute auf morgen zu regeln ist, Schritt für Schritt Verbesserungen zu erzielen. Er scheut sich dabei auch nicht, die nicht unproblematischen Wege in Richtung Moskau, in Richtung Rußland zu gehen und dort Vereinbarungen zu treffen, die wichtig und notwendig sind, die sich aber nicht von selbst verstehen. Die frühere Bundesregierung hat sie lange Zeit hinzukriegen versucht, ist aber daran gescheitert. Das hat hier heute schon eine Rolle gespielt. Wenn Sie also dem Bundesinnenminister etwas vorhalten, dann bitte mit Niveau und Wahrhaftigkeit und nicht mit einer Argumentation, die im Grunde nur beleuchtet, welche Defizite in Ihrer Regierungszeit alle aufgelaufen sind. ({8}) Meine Damen und Herren, die Haushalts- und Finanzpolitik der früheren Bundesregierung hat die Staatsfinanzen fast vor die Wand gefahren. Wenn jetzt Sanierungsarbeit vorgenommen werden muß, die da und dort für die davon Betroffenen schmerzhaft sein kann, sollte dies auch als Chance zur Erneuerung verstanden werden. Unsere Gesellschaft ist notwendigerweise auf einen qualifizierten öffentlichen Dienst und auf eine zeitgemäße Behördenstruktur angewiesen. Die Projekte „Aktivierender Staat“ und „Zeitgemäße Verwaltungsstrukturen“ wollen wir auch in Zeiten knapper Mittel vorantreiben. Das geht auch, und erste Erfolge sind sehr wohl zu verzeichnen. Weniger Geld muß nicht unausweichlich weniger Qualität und weniger Leistung bedeuten. Wer sich beispielsweise mit der Tätigkeit des Bundesverwaltungsamtes auseinandersetzt, wird feststellen, daß in den Behörden des Bundes auf eindrucksvolle Weise wichtige Reform- und Modernisierungsimpulse entstehen und vorangetrieben werden, und zwar im Zusammenwirken mit den Beschäftigten und dem Personalrat. Gewinner sind die Bürgerinnen und Bürger, die ein noch besseres Produkt aus dem Bereich des Innenministeriums erhalten. Gewinner sind aber auch die Mitarbeiter des Bundes, die motivierter, zufriedener und qualifizierter ihre Arbeit tun. Nach fast einem Jahr rotgrüner Innenpolitik mit einem sozialdemokratischen Innenminister Schily stelle ich fest: Diese Politik ist geprägt von Solidität, ({9}) von Augenmaß und von notwendiger Erneuerung. Diesen Kurs wollen und werden wir fortsetzen. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Carl-Detlev von Hammerstein, CDU/CSUFraktion.

Carl Detlev Hammerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000797, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Wiefelspütz, man kann gebetsmühlenartig wiederholen, daß etwas an die Wand gefahren worden ist. Hätten Sie das Volumen des Haushaltes, das wir im letzten Jahr, als wir den Haushalt für das Jahr 2000 vorberaten haben - ihn haben die Haushaltspolitiker der SPD zum überwiegenden Teil mitgetragen - mit 456 Milliarden DM veranschlagt haben, angenommen, und hätten Sie nicht gleich 30 Milliarden DM im ersten Jahr mehr ausgegeben - das ist nicht die Schuld des Innenministers, sondern die des Kanzlers -, dann müßte man jetzt nicht über ein katastrophales bzw. verheerendes Sparpaket sprechen. Es handelt sich gar nicht um 30 Milliarden DM. Denn das Volumen des diesjährigen Haushalts beträgt 478 Milliarden DM, das heißt 8 Milliarden DM weniger. Von diesen 8 Milliarden DM sind noch globale Minderausgaben in Höhe von 5 Milliarden DM zu erwirtschaften. Ich sage bewußt: Das ist nicht die Schuld des Innenministers. Er befindet sich jedoch in der kritischen Situation, im Einzelplan 06, der fast 60 Prozent Personalausgaben beinhaltet, eine halbe Milliarde DM einsparen zu müssen. Herr Schily, wenn man sich anschaut, auf welche Art und Weise Sie einsparen wollen, dann frage ich mich: Wie kommen Sie eigentlich auf die bemerkenswerte Idee, die Deutsche Bahn AG mit 250 Millionen DM zu belasten? Im Augenblick gewährleistet der BGS die Sicherheit der Bahn mit 5 400 BGS-Soldaten. ({0}) - Richtig, Herr Schily, Beamte. - Die in diesem Zusammenhang entstehenden Kosten in Höhe von 250 MilDieter Wiefelspütz lionen DM werden auf die Bahn übertragen. Ich sage Ihnen klar und deutlich: Dies ist kein Sparen, sondern ein klares und deutliches Verschieben der Kosten auf den deutschen Bürger. ({1}) Nachdem die Bahnpolizei im BGS aufgegangen ist, wird nun die Bahn für die Sicherung der Bahnhöfe zur Kasse gebeten. Dies ist meines Erachtens keine Sparpolitik, sondern eine neue versteckte Abgabenerhöhung, die die Bahn an ihre Kunden weiterreichen wird. Sie haben richtig gehört: Was Sie betreiben, ist eine Erhöhung der Abgaben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?

Carl Detlev Hammerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000797, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, sind Sie nicht doch der Meinung, daß die Tatsache, daß eine staatliche Einrichtung privatisiert worden ist, und der Aspekt der Pflicht zur Sicherung, die jeder private Eigentümer hat, Anlaß sind, darüber nachzudenken, wie man den neuen Eigentümer beispielsweise an Verkehrssicherungspflichten beteiligt und wie ein Kostenausgleich stattfinden kann? Das ist doch ein ganz normaler Umgang mit Sachverhalten, der in vergleichbaren Situationen überall erfolgen muß.

Carl Detlev Hammerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000797, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Wiefelspütz, noch ist es meines Erachtens Aufgabe des Staates, für die Sicherheit auf den Bahnhöfen zu sorgen, und nicht Aufgabe des deutschen Bürgers, für diese Kosten zusätzlich zu bezahlen. ({0}) - Doch. - Es geht hier um schlichtes Umverteilen. Sie haben in Ihrer vorhergehenden Äußerung ständig von „an die Wand fahren“ gesprochen. Hier werden die Bürger „an die Wand gefahren“, die dies zu bezahlen haben. Die Bahn, Herr Minister, ist in einer sehr kritischen Phase: Sie soll privatisiert werden. Eigentlich wird eine Braut immer geschmückt, bevor man sie sozusagen privatisiert und verkauft. ({1}) Sie machen genau das Gegenteil: Sie erhöhen die Kosten um 250 Millionen DM; die Regierung erhöht durch ökologische Zusatzkosten die Kosten bei der Bahn um weitere 300 bis 400 Millionen DM. Auch wenn jetzt ein Wechsel im Vorstand stattfinden soll: - Ich weiß nicht, wer dieses alles am Ende finanzieren und bezahlen soll. Gerade Bahnhöfe, Herr Minister, stellen für viele Reisende einen Ort potentieller Straftaten dar. Daher erwartet der Bürger hier die Präsenz staatlicher Behörden und ihren Schutz. Er vertraut hier auf das Gewaltmonopol des Staates und möchte dies in Form uniformierter Beamter erleben und spüren. Die Bahn dagegen wird auf private Anbieter ausweichen müssen, wenn von ihr für den BGS derartige Summen verlangt werden. Zusätzlich hat Ihre Sparpolitik folgende Konsequenzen: Der Fahrpreis wird durch die zusätzlichen Aufwendungen steigen; der Bürger erlebt einen verminderten staatlichen Schutz, und der Staat verliert die Möglichkeit, an sozialen Brennpunkten Präsenz zu zeigen. Ich hoffe, daß wir in den Beratungen, die jetzt, Herr Minister Schily, anstehen, zu einer Lösung kommen, die bewirkt, daß wir auf andere Art sparen können und nicht den Bürger belasten müssen. Ich komme zu einem zweiten Thema, zum Goldenen Plan Ost. Ein weiteres Manko in diesem Haushalt stellt die heimliche Einstellung des Goldenden Plans Ost zur Förderung des Spitzen- und Breitensports in den neuen Bundesländern dar. Nach meinen Informationen sind der Staatssekretär des Finanzministers ist ja anwesend die Gelder für den Goldenen Plan Ost zwar halbwegs versprochen, sie sind im Haushalt aber gar nicht eingeplant. Das gilt auch für das Olympiastadion in Berlin, für das zunächst erst einmal 20 Millionen DM angesetzt worden sind, die nach Aussage des Finanzministeriums zur Zeit aber ebenfalls noch nicht fest verbindlich zugesagt worden sind. Sie, Herr Minister Schily, wollen mit diesen vagen Aussagen vor die Öffentlichkeit treten? Sie haben im Osten Ihre Sportpolitik gerade so positiv verkauft. Ist sie wirklich so positiv, wenn Sie das bedenken, was Sie eben von mir dargestellt bekommen haben? Eine Anmerkung zum Bundesinstitut für Sportwissenschaft: Hier, Herr Schily, mahne ich eine Überprüfung der Organisationsstruktur an. Da bei einem Volumen von 12 Millionen DM 6 Millionen DM alleine für Personalausgaben und nur 6 Millionen DM für Investitionen ausgegeben werden, bin ich der Auffassung, daß wir mit Ihnen darüber diskutieren müssen, um hier eine Neuregelung zu finden. Dazu bin ich gerne bereit. Lassen Sie mich zu einem Bereich kommen, wo Sie in meinen Augen erheblich und zu viel gekürzt haben: Bei den Aufwendungen für Vertriebene und Aussiedler haben Sie allein 176 Millionen DM - das sind 28 Prozent des jetzigen Haushaltes für diesen Bereich gekürzt. Damit leisten die Spätaussiedler und Vertriebenen den Löwenanteil Ihres tatsächlichen Sparvolumens. Es trifft hier den kleinen Mann, Menschen ohne Lobby, ohne Einfluß. Ich verstehe nicht, warum gerade Sie, die für sich beanspruchen, sozial zu sein, hier in dieser Form und in diesem Umfang sparen. Sie wollen erstmalig den Zuzug von Aussiedlern begrenzen und auf eine Zahl von maximal 100 000 festschreiben. Wo bleibt die von Ihnen beschworene Solidarität? Was Sie hier machen, meine Damen und Herren von der Regierung, ist zutiefst unsozial und ungerecht. Darüber hinaus ist eine solche Politik kontraproduktiv. Die Begrenzung der Zuzugszahlen wird sich herumsprechen, und es ist absehbar, daß wahrscheinlich viele Angst vor der kompletten Schließung der Grenzen bekommen werden, was dazu führt, daß eventuell jetzt noch schnell Ausreiseanträge gestellt werden. Lassen Sie mich, da meine Zeit zu Ende geht - ({2}) - Machen Sie sich keine Sorgen, ob es die Redezeit oder eine andere Zeit ist. Jedenfalls weiß ich, daß ich jetzt noch einige Dinge ansprechen möchte, die mich sehr besorgt machen, und zwar ist das zunächst der investive Bereich. Ich weiß, daß es sehr schwierig ist, den Haushalt zu regulieren. Ihr Hauruckverfahren, daß jeder Einzelplan 7,4 Prozent einsparen muß, ist bei einem Einzelplan mit über 60 Prozent Personalkosten sehr schwierig durchzuführen. Aber den investiven Bereich so radikal zu kürzen ist kontraproduktiv. Der Kanzler ist angetreten, die Arbeitslosenzahlen zu senken. Wenn wir im investiven Bereich weiter so kürzen wie hier und in vielen anderen Einzelplänen auch, ist es meines Erachtens gefährlich. Auch hier sollten wir in den Haushaltsberatungen, Herr Minister, überlegen, was wir machen können. Ich bin bereit, mit Ihnen gemeinsam zu sparen. Es gibt auch Bereiche, die sich dafür eignen. Es ist allerdings eine gewisse Geldverschwendung, daß Sie, obwohl Sie die Behörde des Bundesdisziplinaranwalts schließen wollen, noch für zwei Jahre einen Präsidenten einstellen, jemanden, der untergebracht werden mußte. Herr Schily, das hätten wir schlicht und einfach bei den Beratungen im letzten Jahr streichen können. Wir hätten diese Kosten sparen können. Hätten Sie damals schon damit angefangen, wäre es diesmal leichter gewesen, Ihren Haushalt sorgfältiger und schneller in den Griff zu bekommen. Ich darf mich bedanken. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren liegen nicht vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelpläne 07 und 19. Ich erteile der Bundesministerin der Justiz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, das Wort.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Minister:in)

Politiker ID: 11000347

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 2000 ist der erste richtige Haushalt, den ich als Bundesministerin der Justiz einbringen kann. Bei der Fortsetzung der Beratungen zum Haushalt 1999 war das weit weniger möglich. Hier waren auf Grund der Vorprägung durch die vorhergehende Regierung kaum Veränderungsmöglichkeiten gegeben, schon gar nicht bei einem Haushalt wie dem des Justizministeriums, der, wie Sie wissen, ein kleiner Verwaltungshaushalt mit einem ganz hohen Personalkostenanteil und mit einem erheblichen Selbstfinanzierungsanteil ist. Der Haushalt 2000 - lassen Sie mich das am Anfang sagen, meine Damen und Herren, weil sich diese Bemerkung wie ein roter Faden durch die gesamten Haushaltberatungen am heutigen Tage gezogen hat und auch morgen ziehen wird - wird ein sehr schwieriger sein. Er wird geprägt sein von der Notwendigkeit zu sparen, obwohl das im Justizhaushalt, wo Schmalhans sowieso schon Küchenmeister ist, eigentlich kaum mehr möglich ist. Aber es ist gar nicht anders machbar, weil wir ganz genau wissen, daß die politische Handlungsfähigkeit wieder erobert werden muß. Daß sie bei der heutigen Finanzsituation, bei einer Überschuldung, wie wir sie vorgefunden haben, nicht gegeben ist, das kann nun ein Blinder mit einem Krückstock sehen. ({0}) Wir müssen eine Politik für mehr Arbeitsplätze machen, für Ausbildungschancen, für soziale Gerechtigkeit. Das geht nicht, solange wir jede vierte Steuermark für Zinsen ausgeben müssen. Meine Damen und Herren, aus dieser Verantwortung kann sich niemand herausstehlen, auch wenn Sie das natürlich gerne möchten. Aber glauben Sie mir: Es geht nicht. Deswegen sollten wir hier etwas ehrlicher miteinander umgehen, als ich das in den vergangenen Stunden erlebt habe. Ich habe gesagt: Es ist bei dem Charakter des Justizhaushalts schwer, den Beitrag zu erbringen, den selbstverständlich auch unser Ressort erbringen muß. Es ist nicht nur wegen des Charakters eines Verwaltungshaushalts schwer, sondern auch deshalb, weil wir keinerlei nachgeordnete Behörden haben, aus denen wir uns mit Stellen versorgen könnten, um die Aufgaben, die nicht weniger, sondern mehr werden, tatsächlich zu erfüllen. Es ist besonders schwer, weil wir wissen, daß Sie in den letzten 16 Jahren den Bereich des Justizetats - lassen Sie mich das sagen - besonders stiefmütterlich und stiefväterlich behandelt haben. Das ist so. Demjenigen, der das nicht glauben möchte, nenne ich einfach ein paar Zahlen. Allein im höheren Dienst - Sie wissen, daß wir besonders auf dessen Mitarbeit angewiesen sind - ist in den letzten zehn Jahren der Personalbestand von 242 auf 226 gesunken. Das geht natürlich nicht, wenn man hier die Aufgaben solide erledigen will, wie wir das heute tun. Meine Damen und Herren, der Grundsatz der Effizienzrendite - das will ich allen Mitgliedern des HausCarl-Detlev Freiherr von Hammerstein haltsausschusses noch einmal sehr deutlich sagen - trifft natürlich einen Etat von der Struktur des Justizetats in doppelter und dreifacher Weise. Hier werden wir für die Zukunft andere Möglichkeiten finden müssen. Sparsamkeit ist bei uns ebenso selbstverständlich wie ein guter Mitteleinsatz. Ich sage das nicht, weil ich in die große Jammerarie einstimmen will, sondern weil ich allen hier in diesem Hause offen sagen will, daß die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums bei dem Reformkurs, den wir fahren, bis an die Grenze, einige sogar über die Grenze ihrer Belastbarkeit hinaus beansprucht sind. ({1}) Ich nehme die Gelegenheit wahr, mich herzlich dafür zu bedanken, daß sie das akzeptieren und in sehr motivierter Weise mitarbeiten. Dies gilt doppelt, weil ihnen der Umzug nach Berlin, so wie er geplant und beschlossen war, zusätzliche Belastungen aufbürdet, und zwar einfach deshalb, weil erhebliche Teile des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes bei uns ausgetauscht wurden und die neuen Kräfte angelernt werden müssen. Meine Damen und Herren, was genug ist, ist genug. Man kann nicht mehr nur mit Dank arbeiten, sondern muß auch mit Stellen nachhelfen. Das wird eine der Aufgaben der nächsten Jahre sein, weil sonst das Bundesministerium der Justiz seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Was mich mit Stolz erfüllt, ist, daß wir im vergangenen Dreivierteljahr nicht nur effizient und haushalterisch vorgegangen sind, sondern daß wir in der Tat das, was wir angekündigt haben, zeitgerecht einbringen oder sogar schon abschließen konnten. Sie wissen, wir haben den Grundsatz vertreten: Wir werden einiges korrigieren, anderes sorgfältig vorbereiten und dann in der Öffentlichkeit diskutieren. Sie haben davon gesprochen, ich würde vieles ankündigen. Selbstverständlich tue ich das. Ich tue das einfach deswegen, weil ich die Diskussion will. Ich brauche auch Ihre Beiträge, und ich lade Sie ausdrücklich zur Mitarbeit ein. Abgesehen davon, verehrter Herr Kollege Geis, wenn ich es nicht täte, lautete Ihr Vorwurf, ich würde Sie überfallen; ich kann es mir also aussuchen. ({2}) Deswegen sage ich Ihnen: Wir werden auch diese Art und Weise der Planung und der öffentlichen Diskussion beibehalten. ({3}) Wir werden die Vorhaben, die die Koalition gemeinsam beschlossen hat, zeitgerecht ins Gesetzgebungsverfahren einbringen. Bei einigen haben wir das schon getan. Ich habe in den letzten Haushaltsberatungen gesagt, daß wir bei der Umsetzung von EU-Richtlinien im Verzug sind und daß wir uns bemühen werden, das zu bereinigen. Das haben wir auf der einen Seite durch das Überweisungsgesetz und auf der anderen Seite durch die Umsetzung der Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie, die dem Bundesrat vorliegt und den Deutschen Bundestag danach erreichen wird, und dadurch getan, daß wir in den kommenden Monaten Umsetzungsgesetze sowohl zur Fernabsatzrichtlinie als auch zur vergleichenden Werbung als auch zum Niederlassungsrecht für Rechtsanwälte und zum Verbrauchsgüterkauf in den Bundestag einbringen werden. Ich sage Ihnen: Wir wollen nie wieder in die Situation geraten - soweit ich das verhindern kann, werde ich das auch zu verhindern wissen -, daß die Bundesregierung wegen zögerlicher Umsetzung europäischen Rechts vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wird, wie es in den vergangenen Jahren, zuletzt im April, der Fall war. Dabei handelte es sich um eine Altlast. ({4}) Meine Damen und Herren, der Bundestag hat mit unserer Hilfe bereits das DNA-Gesetz, die IPR-Novelle, das Überweisungsgesetz, das ich schon erwähnt habe, und in der letzten Woche das Gesetz zur obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung verabschiedet. Dieses hätten wir gern schon in der letzten Legislaturperiode, konnten dies aber aus Gründen, die Sie alle kennen - es wurde diese unselige Handelsregister„Privatisierung“ fakultativ draufgesattelt -, nicht. ({5}) - Aber wir haben es gemacht, im Gegensatz zu Ihnen, verehrter Herr Kollege Geis. ({6}) Das haben wir schon nach einem Dreivierteljahr gemacht und Sie in 16 Jahren nicht. Wir haben auch das Recht auf gewaltfreie Erziehung bereits im Gesetzgebungsverfahren. Dies sollten wir nach meiner Meinung gemeinsam schnell verabschieden. Die Zeit ist wirklich reif. ({7}) Wir haben das StVÄG, das U-Haft-Vollzugsgesetz, das sicherlich noch eine Menge Auseinandersetzungen bringen wird, den Täter-Opfer-Ausgleich und das Gesetz zur Verbesserung der Zahlungsmoral im Gesetzgebungsverfahren. Ich denke, das ist wichtig und vernünftig. Wir werden eines nicht machen: Wir werden nicht jeden Schritt einzeln einbringen und beraten, obwohl uns das manche Länder immer vorschlagen. Das treibt die Praxis zum Wahnsinn. Wir werden vielmehr Schwerpunkte bilden. Ich bitte Sie auch - wie ich das früher schon gesagt habe -, uns darin zu unterstützen. In den nächsten Monaten ist mit folgenden Vorhaben zu rechnen: mit der Rechtsmittelreform in Zivilsachen als nächster Stufe der Justizreform - Sie wissen, wir haBundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin ben von der Justizministerkonferenz einen einstimmigen Auftrag erhalten, den wir bis zur nächsten Justizministerkonferenz Anfang November durch einen Referentenentwurf umsetzen werden, zu dessen Diskussion wir Sie und auch die Öffentlichkeit herzlich einladen und mit dem Zeugnisverweigerungsrecht. Auch dies ist reif. Ich bin der F.D.P. dankbar, auch wenn ich deren Gesetzentwurf für verbesserungsfähig halte, daß sie den Reigen der eingebrachten Diskussionsentwürfe eröffnet. Zu rechnen ist mit der Erweiterung des Sanktionensystems, des Mietrechts - ich bedanke mich ausdrücklich bei Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, daß sie hierzu die öffentliche Diskussion eröffnet haben - und außerdem der Beendigung der Diskriminierung der gleichgeschlechtlichen Sexualität und zugleich der Schaffung eines Rechtsrahmens für Lebenspartnerschaften. Meine Damen und Herren, das sind die Dinge, die wir vorhaben. Das ist eine ganz ordentliche Bilanz. Ich kann mich Cem Özdemir nur anschließen: „Ordentlich“ ist für Schwaben ein großes Lob. Wir wollen Bereitschaft zum Konsens. Ich will Ihnen den neuen Haushalt kurz vorstellen, weil ich darüber gern mit Ihnen Diskussionen in aller Offenheit führen will. Wir wissen ganz genau, wie schwierig die finanzielle Lage ist und daß wir Schwerpunkte setzen müssen. Wir sind nicht schuld an der schwierigen Lage. Wir werden den Karren aus dem Dreck ziehen. Aber wir wissen ganz genau, daß ein Handeln nach der Methode, wie wir sie gerade beim Innenetat gehört haben, nämlich daß man nirgendwo sparen darf, nichts erhöhen darf, aber alles verbessern muß, nur möglich ist, wenn man einen Goldesel hat. Den hatten Sie nicht, deswegen haben Sie es so weit kommen lassen. Den haben wir nicht, deswegen müssen wir politisch gestalten. Sie sind herzlich eingeladen, das mitzutun. Was bringt nun der Haushalt 2000 an Strukturen? Der Umfang des Haushalts des Justizministeriums bleibt bei 1,5 Promille des Gesamthaushaltes. Er sieht eine Ausgabenreduzierung um 23 Millionen DM vor, und zwar deshalb, weil wir für die Bauvorhaben der Gerichte das ist ein Durchlaufposten, das wissen Sie selber - erheblich weniger zu verbuchen haben. Damit sinken die Investitionen. Auch das bezieht sich auf die Gerichtsbauten, die planmäßige Fortschritte machen, nämlich in Leipzig, beim Internationalen Seegerichtshof in Hamburg, aber auch beim Bundespatentgericht in München. Wir brauchen auch nicht mehr so viele umzugsbedingte Beschaffungen zu bezahlen. Auch daher sinken die Investitionen. Aber wir haben die Zuwendungen um 2,9 Prozent geringer angesetzt. Dafür haben wir einen Anstieg der Personalausgaben. Dies ist eine Tendenz, die dem Gesamthaushalt deutlich entgegengesetzt ist. Dies hat seinen Grund. Wir haben auch einen Anstieg der Sachkosten in einem Bereich zu verzeichnen, der zu dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums gehört und der ungeheuer wichtig ist. Es geht um das Deutsche Patentund Markenamt. Dieses Amt ist unser Sorgenkind gewesen. Bei der Übernahme der Regierung mußten wir nämlich feststellen, daß für dieses wichtige Amt mit seinen wichtigen Aufgaben - der Stützung der Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft - zu wenig getan wurde. Einzelne haben sich große Mühe gegeben. In diesem Zusammenhang schaue ich Sie, Herr Funke, ganz bewußt an. Aber die Tatsachen treffen zu, daß in diesem Bereich die Zahl der Anträge in den letzten 10 Jahren gestiegen ist, aber der Personalbestand heruntergefahren wurde, daß man mit der Organisationsreform nicht weiterkam und daß die EDV-Ausstattung einfach nicht verbessert wurde. Wir haben jetzt mit Veränderungen angefangen. Bereits im Haushalt 1999 - ich bedanke mich nochmals für die Unterstützung - haben wir mit der kleinen Zahl von sechs neuen Stellen im Patentprüferbereich angefangen. Jetzt schaffen wir 49 neue Stellen plus einige neue Stellen im Markenbereich und im Verwaltungsbereich. Im Juli konnte der Staatssekretär das EDV-Programm DEPATIS der Öffentlichkeit vorstellen, das zügig ausgebaut werden soll. Wir haben die Umorganisation „DPMA 2000“ kräftig vorangetrieben. Auch diese Maßnahme wird Früchte tragen. Ich komme jetzt zu dem entscheidenden Punkt. Wer in diesem Hause glaubt, wir könnten die Umstrukturierung angesichts der desolaten Haushaltssituation, die wir vorgefunden haben, einfach so bezahlen, und wir könnten der Notwendigkeit zu Einsparungen, die wir brauchen, um mehr Arbeitsplätze, Ausbildung und Gerechtigkeit zu finanzieren, nicht die notwendige Beachtung schenken, der drückt sich um die Wahrheit herum und zeigt damit, daß er einfach politikunfähig ist. ({8}) So können wir natürlich nicht vorgehen. Deswegen sage ich ganz offen: Die einzige Möglichkeit bestand darin - so gern ich Geld ausgegeben hätte; das wäre mir viel sympathischer -, zu überlegen, in welchem Bereich wir Gebühren erhöhen können, ohne daß die Innovationsfähigkeit und ohne daß die Erfinder und insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen in ihrer Arbeit beeinträchtigt werden. Diese erhöhten Gebühren sollten den Zweck haben, die Antragsbearbeitung beim Deutschen Patent- und Markenamt und seinen Service tatsächlich voranzutreiben. ({9}) - Eben, Herr Staatssekretär. Die zweite Frage ist: In welchem Bereich können wir Gebühren erhöhen, ohne daß wir in irgendeiner Weise in Konkurrenz zum Europäischen Patentamt und zu den Patentämtern in den anderen Staaten treten? Mit dieser Frage haben wir uns beschäftigt. Wir haben die einzelnen Gebühren so erhöht, daß genau diese Ziele erreicht wurden. Übrigens können wir diese Erhöhungen auch deswegen ganz gut verantworten, weil die Gebühren seit 1976 - ich wiederhole mit Nachdruck: seit 1976 - nicht mehr angepaßt worden waren. Ich will Ihnen sagen, welche Gebührenerhöhungen sich ergeben haben. Die Gebühr für die Patenterteilung ist bei uns von 650 DM auf insgesamt - alles eingerechnet - 735 DM gestiegen. Die entsprechenden Kosten beim Europäischen Patentamt betragen in der vergleichbaren Kategorie 6 838 DM. Wir haben aber sehr sorgfältig darauf geachtet, daß die Gebühr für die erste Anmeldung zum Patent nicht erhöht wird. Das ist eine der Überlegungen gewesen, die den Erfindern und den kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommt. Diese Gebühr beträgt übrigens bei uns nach wie vor 100 DM, beim Europäischen Patentamt 248 DM. Allerdings waren wir der Meinung, die Recherchegebühren kräftig erhöhen zu können. Ich sage Ihnen auch, warum. Es gibt eine ganze Reihe von Recherchen des hochsubventionierten deutschen Rechercheservice, die dazu genutzt wurden, um mit den entsprechenden Informationen eine Tür weiter beim Europäischen Patentamt die Patentanmeldung vorzunehmen. Wir haben die Relationen völlig verändert. Die Gebühr steigt von 200 auf 300 DM. Beim Europäischen Patentamt kostet diese Dienstleistung immer noch 1 350 DM. Wir handeln also genau nach der Devise: Wir erhöhen die Gebühren, um schwerpunktmäßig investieren zu können. Wir haben die innovatorisch handelnde Wirtschaft und die kleinen Erfinder geschont. Wir handeln im übrigen ganz im Einklang mit dem, was die Verfassung und auch das Europarecht vorsehen. Wenn wir uns die Finanzierung und die Ausgaben für das DPMA anschauen, so können wir feststellen, daß wir noch deutlich im gegebenen Spielraum für die Gebühren liegen. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie am Ende meiner Rede nochmals dazu einladen, die Reformvorhaben der kommenden Zeit mit uns zu gestalten. Im Rechtsausschuß herrscht immer ein erfreuliches Klima. Ich glaube, daß wir das gemeinsam machen können. Ich lege bei den Reformprojekten, die wir vorhaben, großen Wert darauf, daß alle in der Öffentlichkeit und alle hier in diesem Haus nicht nur ihre Meinung sagen können, sondern uns helfen, sie durchzusetzen. Wir sind der Auffassung: Das Bessere ist immer der Feind des Guten. So soll es auch bleiben. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, wir müssen sparen; das ist wahr. Aber Sie müssen erst einmal auf den Stand zurückkommen, den wir in unserem Haushaltsentwurf für das Jahr 1999 vorgesehen hatten. Sie haben den Ansatz sträflicherweise um 30 Milliarden DM erhöht und müssen nun das Kunststück fertigbringen, von diesen 30 Milliarden DM wieder herunterzukommen. Diese Suppe haben Sie sich selbst eingebrockt. ({0}) Lassen Sie mich in meinem Teil der Stellungnahme zum Haushalt

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Geis, bevor Sie so richtig loslegen, will der Kollege Karl Diller schon etwas von Ihnen wissen. Darf er?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Geis, ich sehe Ihnen nach, da Sie kein Haushalter sind, daß Ihnen möglicherweise der Zusammenhang unbekannt ist. ({0}) Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Aufwuchs des Haushaltes 1999 gegenüber dem Haushalt 1998 um gut 28 Milliarden DM im wesentlichen mit drei grundlegenden Veränderungen des Haushaltssystems zu tun hat: Erstens. Erstmals werden im 99er Haushalt die Einnahmen und Ausgaben für die Postunterstützungskassen nicht mehr als Sonderrechnung geführt, sondern im Haushalt veranschlagt. ({1}) Volumen: 8 Milliarden DM.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Diller, Sie müssen schon fragen.

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja: „Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen…?“ Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß zweitens in diesem Jahr die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 Prozent, die Sie zugunsten der Rentenkassen vorgenommen haben - abweichend vom Vorjahr, wo dies nur für ein Dreivierteljahr relevant war -, erstmals voll ihren Niederschlag fand und daß wir drittens im April dieses Jahres zugunsten der Rentenkassen die Ökosteuer eingeführt haben? Die beiden letztgenannten Maßnahmen bedeuten zusätzlich 15 Milliarden DM, so daß sich insgesamt 23 Milliarden DM der Veränderung in Höhe von 28 Milliarden DM aus diesen drei Positionen erklären. Sind Sie endlich bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben folgende Situation: Von 1993 bis einschließlich 1998 war die Haushaltssituation weitgehend dieselbe; nur wenige Beträge unterschieden sich. Wir stellen fest, daß Sie frisch an die Regierung gekommen - für das Jahr 1999 entgegen unserem Entwurf, eine Erhöhung um 30 Milliarden DM vorgenommen haben und jetzt behaupten, sie müßten 30 Milliarden DM sparen. ({0}) Nach Adam Riese ist dies eine ganz einfache Rechnung: Hätten Sie nicht um diese 30 Milliarden DM erhöht, dann hätten Sie zumindest nicht jene Schwierigkeiten, die Sie der Bevölkerung draußen jetzt darzulegen versuchen. Die Bevölkerung glaubt es Ihnen auch gar nicht; Sie merken das an den Wahlergebnissen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Der Kollege Diller will noch einmal nachfragen. Ich hoffe, es handelt sich wirklich um eine Frage, Kollege Diller.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Diller, Sie können die Debatte jetzt ausschließlich auf den haushalterischen Bereich verlagern. Ich bin gerne damit einverstanden. Aber ich bin hierhergekommen, um über Rechtspolitik zu reden. Den Haushaltspart bei diesem Einzelplan wird der Kollege Henke übernehmen. Vielleicht können Sie Ihre Fragen, die sich nur mit dem Haushaltsansatz beschäftigen, an den Kollegen Henke richten. Aber wenn Sie nicht wollen: Bitte, ich versuche, auch Ihren Fragen Rede und Antwort zu stehen. Der andere Weg wäre mir aber lieber.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Sie bestehen also auf Ihrer Zwischenfrage? - Bitte.

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wenn Sie behaupten, wir hätten 30 Milliarden DM zum Fenster hinausgeworfen oder was auch immer damit gemacht, dann erklären Sie mir bitte, an welchen wesentlichen Ausgabetiteln sich diese 30 Milliarden DM festmachen. Ich sage Ihnen noch einmal: ({0}) Sie machen sich in der Größenordnung von 23 Milliarden DM an diesen drei strukturellen Veränderungen fest. Es ist einfach Ihrer Reputation unwürdig, eine wahrheitswidrige Behauptung weiter aufrechtzuerhalten. Ich bitte Sie, sie im Interesse des Umgangs miteinander zurückzunehmen.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin zwar über Ihre hohe Anerkennung meiner Reputation sehr erfreut, bleibe aber dabei: Wir haben im September des Jahres 1998 für das Jahr 1999 einen Haushalt vorgelegt, haben ihn auch mit der Mehrheit dieses Parlamentes vor den Wahlen am 27. September verabschiedet. In diesem Haushalt waren 30 Milliarden DM weniger enthalten. Dann haben Sie den Haushalt vorgelegt und 30 Milliarden DM draufgesattelt. Das ist eine ganz einfache Rechnung. Ich weiß nicht, welche Schwierigkeiten Sie haben, wenn wir Ihnen vorhalten: Hätten Sie Ihren Haushalt 1999 in einer anderen Weise aufgestellt, dann hätten Sie jetzt nicht diese Probleme. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zu ein paar rechtspolitischen Themen Stellung nehmen. Frau Ministerin, Sie werfen mir vor, ich würde immer gegenüber - ({0}) - Na gut, Sie halten mir vor, ich würde immer sagen, aus Ihrem Hause würde nichts kommen. Seit einem Jahr diskutieren wir über die Justizreform. Das ist eine unendliche Geschichte: In regelmäßigen Abständen lesen wir dazu Ihre Pressemitteilungen und über Ihre Gespräche mit der Presse; im Rhythmus von acht Wochen lesen wir immer wieder das gleiche. Mich wundert, daß die Presse das überhaupt aufnimmt. Die müßte inzwischen eigentlich kapiert haben, daß nichts Neues mehr kommt. Trotzdem sind wir noch auf Spekulationen angewiesen, weil immer noch kein Gesetzentwurf vorliegt. Frau Ministerin, wenn Sie an meiner Stelle stünden, also in der Opposition, dann würden Sie Ihre Wortmeldung in einer ganz anderen Weise geltend machen. Und Sie hätten Recht! Dieses Recht nehme ich für mich in Anspruch. Ich bin Oppositionspolitiker; ich muß darauf hinweisen. Es ist doch in der Tat so: Im Augenblick haben wir - was wir, seit ich im Rechtsausschuß bin, noch nie hatten - im Rechtsausschuß einen Mangel an Tagesordnungspunkten, so daß wir eine Obleutebesprechung machen müssen, um zu klären, was wir auf der nächsten Sitzung machen. ({1}) Solange ich Mitglied des Rechtsausschusses bin, gab es so etwas noch nie. Darauf muß ich hinweisen; das muß ich auch kritisieren. Ich hoffe aber sehr, Frau Ministerin, daß Sie die angekündigten Reformen demnächst in Form von Gesetzesentwürfen vorlegen. Dann werden wir uns konkret damit auseinandersetzen können. In der Justizreform unterscheiden wir zwei Punkte: die Justizorganisationsreform, über die Sie heute nichts gesagt haben, und Verfahrensrechtsreform. Für die Verfahrensrechtsreform sind wir, das habe ich immer gesagt, offen. Wir selbst haben einen Entwurf zur Verbesserung des Zivilprozeßrechtes vorgelegt. Sie haben diesen Entwurf blockiert. Er stammt aus der letzten Legislaturperiode und wurde von Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates erarbeitet, er kommt aus der Praxis. Aber Sie haben nichts Besseres zu tun gehabt, als ihn bis heute zu blockieren. Inzwischen haben Sie einen Punkt herausgenommen. Das ist die außergerichtliche Streitschlichtung. Dazu liegt nun ein Gesetzentwurf vor. Wir werden damit zurechtkommen; wir haben keine Einwendungen. Es ist auch fast das gleiche, was wir vorgeschlagen haben, nicht wortgleich, aber dem Sinn nach gleich. Wir werden dem Entwurf zustimmen. Hätten Sie aber nicht blockiert, dann hätten wir die außergerichtliche Streitschlichtung längst. Wir haben sie dem Haus schon im Januar dieses Jahres vorgelegt. Sie haben blockiert, jetzt sind Sie zur besseren Einsicht gekommen. Ich danke Ihnen dafür. Wenn es hilft, dann ist es ja gut. Bei der Frage der Rechtsmittelreform bitte ich aber, eines zu berücksichtigen. Es gibt diesen Bericht, der aus dem Bundesrat kommt; es war die einstimmige Meinung des Bundesrates. Der Bericht wurde erstellt unter maßgeblicher Beteiligung von Bayern. ({2}) - Das ist nun einmal so; das können Sie nicht leugnen. Was wahr ist, darf man wohl noch sagen. Aber ich möchte ein Argument dagegen anführen. Bei der Rechtsmittelreform ist vorgesehen, daß es nur noch eine Eingangsinstanz gibt und die zweite Instanz als Tatsacheninstanz so gut wie abgeschafft wird. Ich halte das für verkehrt, ({3}) und zwar deswegen, weil die Hauptaufgabe im Zivilprozeß in der Tat die Erfassung des Sachverhaltes ist. Das macht 95 Prozent der Arbeit in einem Zivilprozeß aus. Die Rechtsanwendung macht den weit geringeren Teil aus. Die Fehler passieren in der Erfassung des Sachverhalts. Deshalb sind in der zweiten Instanz, nachdem sich die Dinge abgeklärt haben, oft genug Korrekturen angebracht. Deswegen sollte man sehr vorsichtig mit der Überlegung sein, nur eine Tatsacheninstanz einzurichten und die Rechtsmittelinstanz nur noch für die Überprüfung von Rechtsfehlern zu verwenden. Das halte ich für ein Problem; darüber muß man jedenfalls gut nachdenken. Ich weiß, dazu gibt es viele andere Meinungen, die auch berechtigt sind und die ich nicht abtun möchte. Aber es gibt auch viele Argumente gegen die Abschaffung dieser Instanz. Diese habe ich darzulegen versucht. Soweit die Justizreform die Organisation betrifft, gibt es Streit. Unser Justizsystem zeichnet sich durch eine Viergliedrigkeit aus. Es gibt Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte und eine Revisionsinstanz in Form des BGH. Wir meinen, daß sich diese Viergliedrigkeit in hervorragender Weise bewährt hat. Wir sollten mit ihr nicht leichtsinnig umgehen. Ich weiß, daß das Thema der Dreigliedrigkeit seit hundert Jahren durch die Justiz geistert. Aber es muß nicht sein, daß dieses Gespenst in unseren Tagen Wirklichkeit wird. Die Viergliedrigkeit gewährleistet die bessere Organisation unserer Gerichte. Deshalb bitte ich, sie auch beizubehalten. Jedenfalls schließe ich aus der Tatsache, daß Sie heute nichts dazu vorgetragen haben, daß Sie mit Ihren Beratungen noch nicht fertig sind. Ich hoffe sehr, daß in diese Beratungen noch mehr Argumente eingebracht und bedacht werden. Sie haben vorhin die weiteren Bereiche des Zivilrechts erwähnt. Wir haben längst einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Zahlungsmoral eingebracht. Sie haben dieses Thema ebenfalls aufgegriffen. Ich bin sicher, daß wir zusammen zu einer vernünftigen Regelung dieser Frage gelangen werden. Die Handwerker haben diese Regelung nötig. Die jetzt existierende Gesetzeslage wird den Bedürfnissen der Handwerker nicht gerecht. Sie werden bei Zahlungsverzug illiquide und müssen dann Konkurs anmelden. Das gilt insbesondere für die Handwerker in den neuen Bundesländern. Diesen Zustand müssen wir verändern. Hier sind beide großen Parteien der gleiche Meinung. ({4}) Bei der Änderung des § 1631 BGB, in dem die Frage der Gewaltanwendung in der Familie behandelt wird, mahnen wir zu einer größeren Zurückhaltung. Diese Norm haben wir in der letzten Legislaturperiode verändert. Wir haben eine gute Formulierung gefunden, die auch der Privatsphäre der Familie gerecht wird. Aber ich möchte nicht leugnen, daß es Gewalt natürlich auch in den Familien gibt. Die Statistiken besagen, daß es sie auch das muß gesagt werden - insbesondere in Familien ausländischer Herkunft gibt. Das ist leider so. Ein neues Gutachten des Kriminologen Pfeiffer beweist dies ganz deutlich. Aber wir müssen natürlich vor allem festhalten, daß die Familie zu einem ganz überwiegenden Teil noch immer der Hort der Sicherheit für heranwachsende Kinder ist. Das sollten wir bei dieser Diskussion nicht vergessen. Wir meinen, daß man mit einer Umformulierung des § 1631 BGB, der erst in der letzten Legislaturperiode neu gefaßt wurde, dem Problem der Gewaltanwendung nicht gerecht wird. Es gibt andere Politikfelder, die hier eher gefordert sind, zum Beispiel die Familien- und vor allen Dingen die Jugendpolitik. Ich möchte auch noch die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ansprechen. Dazu liegen inzwischen drei Gesetzentwürfe vor. Es liegt ein Gesetzentwurf aus Hamburg und ein Gesetzentwurf von den Lesben und Schwulen vor. Es gibt auch den Gesetzentwurf der F.D.P.. Sie von der F.D.P. sagen zwar, daß Sie keine Konkurrenzveranstaltung zur Ehe etablieren wollen. Ich nehme Ihnen das auch ab. Aber wenn Sie sich Ihren eigenen Gesetzentwurf einmal genauer anschauen, dann werden Sie feststellen, daß dort eine Masse von Verrechtlichungen der nichtehelichen, der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften vorgesehen ist. Nach ihrem Regelungswerk würden sich gleichgeschlechtlichen Partnerschaften - wenn man die steuer- und rentenrechtlichen Regelungen auch in Betracht ziehen würde - in nichts mehr von der Ehe unterscheiden. Dagegen stellen wir uns. Wir halten dies nicht für verfassungskonform. Wir sind der Auffassung, daß damit ein Verstoß gegen Artikel 6 GG vorliegt. ({5}) Ich möchte einen Blick auf das Strafrecht richten. Uns interessiert die Aktivität der Bundesregierung im europäischen Bereich. Die Europäische Kommission kümmert sich immer stärker um Strafrecht. Es gibt den Vorschlag einer Gutachterkommission, die vom Europäischen Parlament initiiert und bezahlt worden ist. Wir bitten die Bundesregierung in der Diskussion mit Brüssel dafür Sorge zu tragen, daß unsere vernünftigen und guten Regelungen im materiellen Recht und im Verfahrensrecht nicht durch Verwässerung im europäischen Bereich schlechter werden. Das ist unser Anliegen. Ich bitte sehr, darauf zu achten. Ich möchte noch ein Wort zum Sanktionensystem sagen. Frau Ministerin, auch hier haben wir es mit einer unendlichen Geschichte zu tun. Es kommen ständig Ankündigungen; aber es liegt kein Gesetzentwurf vor. Soweit es um das Fahrverbot geht, bin ich trotz Bedenken der Meinung, daß man es in Zukunft als weitere Sanktion auch für andere Straftaten als nur für Verkehrsstraftaten vorsehen kann. Man muß feststellen, daß der Führerscheinentzug für einen jungen Menschen, der den Führerschein vor kurzer Zeit gemacht hat, nach dem Begehen einer Straftat immer noch schwerwiegender als eine Gefängnisstrafe mit Bewährung und zusätzlicher Geldbuße ist. Diese Möglichkeit der Sanktion ist vorzusehen. Da stimmen wir zu. Wir stimmen nicht der Einführung eines Strafgeldes zu. Sie haben diese Absicht erst neulich wieder verkündet. Hiermit ist die Polizei nach unserer Auffassung überfordert. Es ist verfassungsrechtlich bedenklich, daß der Polizist zum Richter würde. Hinzu kommt, daß dadurch Polizeikräfte gebunden werden, die eher in der Verbrechensbekämpfung gebraucht werden. Ich bitte, unsere Gegenargumente zu beachten. Meine Redezeit ist abgelaufen. In der Kürze der Zeit kann ich nicht alle rechtspolitischen Themen ansprechen. Die Rechtspolitik hat eine von der gesamten Politik oft übersehene Wirkung, die weder heute noch morgen zutage tritt und die auch nicht spektakulär ist, die aber sehr stark in die Gesellschaft hineinwirkt. Ich hoffe sehr, daß wir wie in der Vergangenheit in den grundliegenden Fragen im Rechtsausschuß zu einer vernünftigen Einigung finden. Sie können sich unserer Offenheit und unserer Gesprächsbereitschaft sicher sein. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Geis, ich muß mich schon wundern, daß Sie so darüber schimpfen, wie es bei uns im Obleutegespräch zugeht. Ich weiß gar nicht, woher Sie das wissen. Sie zumindest habe ich in dieser Wahlperiode dort noch nicht gesehen. Den Kollegen Pofalla habe ich zu meiner großen Freude dagegen um so öfter gesehen. Uns ist es da nicht langweilig, und wir haben auch genügend zu tun. Wir haben eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Daß wir so etwas wie die Justizreform nicht übers Knie brechen, das spricht nur für die Sorgfalt, mit der die Koalition an diesem Punkt arbeitet. ({0}) Sie würden sich doch zu recht beschweren, wenn wir einen Entwurf vorlegen würden, der mit niemandem diskutiert worden wäre, der große Mängel aufweisen würde und in dem wir die vielen komplizierten Fragen in diesem Zusammenhang nicht wohl abgewogen hätten. Daß so etwas, was Sie nie angepackt haben, eine Weile braucht, das versteht sich von selbst. Was Sie hier zum Thema „Gewalt in der Familie“ gesagt haben, fand ich wirklich schlimm. Sie haben gesagt: Bei den ausländischen Familien hier findet Gewalt statt. - Bei den anderen Familien offensichtlich nicht. ({1}) Das Problem der Gewalt in der Familie ist kein Problem von Deutschen, Ausländern oder Migrantenfamilien. Das Problem der Gewalt in der Familie müssen wir da angehen, wo wir es vorfinden. Dabei dürfen wir die Familie nicht ideologisch schönbeten oder dieses Thema dazu verwenden, die Familie zu diskreditieren. Wir müssen den Familien helfen, in denen Gewaltphänomene auftauchen. Wir müssen die Jugendlichen und Kinder schützen und ihnen eine Chance für eine anständige Sozialisation und eine richtige Erziehung geben. Wo das nicht klappt, müssen wir prüfen, mit welchen Instrumenten wir intervenieren können. Aber dagegen, daß der Gesetzgeber ein für allemal klarstellt, daß jedes Kind ein Recht auf gewaltfreie Erziehung hat, sollten Sie angesichts dessen nicht polemisieren, daß wir wissen, daß gewaltbelastete Kinder mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit später selber als Gewalttäter auftreten. Das, was wir hier machen und was Sie versäumt haben, ist die beste Gewaltprävention. ({2}) Zum Thema Sanktionensystem möchte ich hier nicht viel sagen. Wir werden das demnächst diskutieren. Wir haben natürlich auch eine Weile gewartet, bis die von Ihnen eingesetzte Reformkommission endlich mit Vorschlägen rüberkommt. Es gehört sich auch so, daß man die Fachleute eine Weile arbeiten läßt, bevor man hier etwas vorlegt. Die Diskussion haben wir aber trotzdem schon in der Gesellschaft begonnen. Meine Damen und Herren, wir müssen in diesen Tagen mit Sorge beobachten, daß es auch Tendenzen der Rechtsstaatserosion gibt. Unrühmliche Beispiele von Bremen und Schwerin haben jetzt im Saarland Konjunktur. So fiel dem designierten Ministerpräsidenten dort nichts Besseres ein, als sich sogleich für eine Einverleibung des Justizressorts auszusprechen. Zu Recht erntete Herr Müller daraufhin den Proteststurm der großen juristischen Berufsverbände, des Richterbundes und des Anwaltsvereins, sowie diverser Justizminister. Diese Diskussion - das geht ja leider parteiübergreifend -, das Justizministerium geringzuschätzen, ist ein ganz schlechtes Signal, daß wir den Rechtsstaat mit seinem Wert, den er für uns hat, nicht wirklich ernst nehmen. Das Amt des Ministerpräsidenten mit dem des Justizministers zusammenzulegen ist eine Geringschätzung des Rechtsstaates. Zu den Aufgaben einer unabhängigen Justiz zählt doch auch, die Umsetzung von Politik zu kontrollieren und auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. ({3}) Wer aber diese vom Grundgesetz erforderte eindeutige Trennung von Exekutive und Judikative verwischen will, stellt sich aus Macht- oder falsch verstandenem Effektivitätsdenken nicht nur gegen die Verfassung. Nein, solche Ideen fördern auch nicht das Vertrauen der Bevölkerung in die Kraft und die Unabhängigkeit der dritten Gewalt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Funke?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Beck, sind Sie mit mir der Auffassung, daß Ihre richtigen Ausführungen hinsichtlich des Zusammenwerfens der Ämter des Ministerpräsidenten und des Justizministers auch für die Ämter des Innenministers und des Justizministers gelten müßten?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich. Wir haben das da, wo es passiert ist, also in Nordrhein-Westfalen, auch immer kritisiert. ({0}) Das ist gegen unseren Widerstand beschlossen worden. Aber wir haben da mit unserer Kritik nicht hinter dem Berg gehalten, sondern klar Farbe bekannt. Wir sind auch froh, daß das Verfassungsgericht von NordrheinWestfalen unsere Position geteilt hat. Sie wissen ganz genau, daß es in manchen Punkten Sache des Regierungschefs ist zu entscheiden, wenn man nicht vorher andere Vereinbarungen getroffen hat. Wir haben kein Jota an der Kritik zurückgenommen, und wir haben jetzt in Nordrhein-Westfalen auch wieder anständige Verhältnisse. Wir sollten an diesem Punkt nicht Parteipolitik betreiben, sondern gemeinsam für den Rechtsstaat streiten. ({1}) Meine Damen und Herren, in dieser Koalition bildet die Rechtspolitik einen deutlichen Schwerpunkt. Wir schätzen den Rechtsstaat hoch ein. Deshalb wollen wir das Recht an die modernen Lebensverhältnisse anpassen. Wir wollen mehr Bürgernähe, mehr Bürgerfreundlichkeit und mehr Transparenz. Vielleicht muß man das sage ich auch zu dem, was Sie, Herr Geis, hier zum Justizaufbau gesagt haben - manchmal auch den Mut haben, Dinge zu erneuern, um näher an die Bürger heranzukommen und ein transparenteres Rechtssystem zu haben, das die Menschen besser verstehen. Deshalb halte ich die Reform, die wir im Justizbereich auf den Weg bringen, für ganz entscheidend. Bei allen guten Gründen, die auch aus Effektivitätsgesichtspunkten für eine solche Reform sprechen, werden wir vom Bündnis 90/Die Grünen darauf achten, daß es nicht zu einem Abbau der Rechte der Bürgerinnen und Bürger kommt. Im Gegenteil, wir werden den Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen dieser Reform verbessern. So sollen künftig auch solche Amtsgerichtsurteile von einer Berufungsinstanz überprüft werden können, die bislang wegen ihres Streitwertes einer gerichtlichen Kontrolle gar nicht oder allenfalls durch das Bundesverfassungsgericht zugänglich waren. Das Bundesverfassungsgericht hat fürwahr andere Aufgaben, als Revisions- oder Berufungsinstanz zu sein. Dies betrifft nicht wenige Urteile; mehr als 40 Prozent aller amtsgerichtlichen Urteile sind heute nicht überprüfbar. Wir wollen hier mehr Rechtsschutz und Gerechtigkeit. Das wird die Koalition in diesem Zusammenhang schaffen. Auch in anderen Rechtsbereichen besteht nach Auffassung meiner Fraktion dringender Modernisierungsbedarf. Ich nenne hier nur unser Mietrecht. Die Justizministerin hat angekündigt: Wir wollen eine Vereinfachung des Mietrechts. Wir werden uns dem notwendigen Modernisierungsbedarf stellen und den Schutz der Mieterinnen und Mieter in diesem Zusammenhang stärken. Bündnis 90/Die Grünen unterstützen nachdrücklich eine Regelung, nach der nicht nur der Ehepartner, sondern auch der Partner einer gleichgeschlechtlichen oder anderen nichtehelichen Lebensgemeinschaft beim Tod des Mieters in den Mietvertrag einsteigen kann. Es ist doch absurd, wenn der Gesetzgeber bei einer Materie wie dem Mietrecht, von der tagtäglich Millionen von Bürgerinnen und Bürgern betroffen sind, die Augen vor den gesellschaftlichen Realitäten verschließt. Ein weiterer Gesetzentwurf - Sie haben es schon angesprochen, Herr Geis -, den die Koalition in den nächsten Wochen anpacken wird, ist in der Bundesrepublik ohnehin längst überfällig: die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. Viele Länder in Europa haben bereits positive Erfahrungen, zum Teil von über zehn Jahren, mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft für schwule und lesbische Paare gemacht: Dänemark, Schweden, Norwegen, Island und die Niederlande. Auch beim Nachbarn Frankreich steht der Gesetzgebungsprozeß für eine ähnliche Regelung kurz vor dem Abschluß und wird diesen Herbst im dortigen Gesetzblatt seinen Niederschlag finden. Das skandinavische Modell eignet sich als Vorbild für unsere Gesetzgebung. Dort wurden die Rechte und Pflichten von Eheleuten in Form einer Generalverweisung im Paket auf die eingetragene Partnerschaft übertragen. Dieses Modell hat dort hohe Akzeptanz in der Bevölkerung gefunden, weil es transparent ist und Gerechtigkeit schafft. Gleiche Rechte und gleiche Pflichten - das sollte auch in Deutschland der Grundgedanke und das Ziel einer Reform sein. Was Sie, Herr Geis, hier bezüglich des Art. 6 des Grundgesetzes gesagt haben, war interessengeleitet und hat mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts zu tun. 1993 hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zur Aktion „Standesamt“ des Lesben- und Schwulenverbandes entschieden, dem Gesetzgeber hier Volker Beck ({2}) freie Hand zu lassen und keine Vorgaben zu machen. Gleichzeitig hat es ihn aber gewarnt, daß es in dem genannten Bereich hinsichtlich einzelner Rechtsgebiete zur Zeit erhebliche Benachteiligungen bei der privaten Lebensführung gebe und der Gesetzgeber sich um die Abschaffung dieser Benachteiligungen kümmern müsse. Es hat ihm lediglich keine Vorschriften gemacht, wie er das zu lösen habe. Somit hat Karlsruhe den Ball damals nach Bonn, jetzt nach Berlin gespielt. Wir sollten dankbar sein, daß wir diese Freiheit haben, und uns hier nicht hinter der Verfassung verstecken. Aber zu Ihrem Entwurf, Herr Funke: Rosinenpickerei kann es in diesem Zusammenhang nicht geben. Sie übertragen in Ihrem Gesetzentwurf einzelne Rechte von Ehegatten auf eingetragene Partnerschaften, ohne auch die Pflichten zu übertragen. Wer gleiche Rechte will, muß bereit sein, gleiche Pflichten zu übernehmen. Dies geht in beide Richtungen. Wir können hier keine Sonderrechte schaffen. Das ist ganz klar. Ansonsten würden wir tatsächlich die Ehe gegenüber diesen Partnerschaften benachteiligen. Das will zumindest die Koalition von Rotgrün nicht. Ihr Gesetzentwurf ist weder verfassungskonform, noch befriedigt er die tatsächlichen Bedürfnisse der Lesben und Schwulen, die eine rechtliche Regelung verlangen. ({3}) Die Bundesrepublik Deutschland kann es sich nicht leisten, bei der Umsetzung wichtiger internationaler Abkommen in nationales Recht zu den Nachzüglern zu gehören. Unsere Fraktion ermutigt deshalb die Bundesregierung, möglichst rasch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes in Deutschland zu ratifizieren. Die erforderlichen Gesetzentwürfe - das Vertragsgesetz und die Änderung von Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes - müssen alsbald in Kraft treten. Heute hat sich dazu die Hauptanklägerin der UN, Louise Arbour, geäußert, die die Notwendigkeit der im vergangenen Jahr beschlossenen Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes noch einmal unterstrichen und dabei betont hat, daß ein internationaler Gerichtshof dazu beitragen kann, Machtmißbrauch von Politikern und Militärs zu bestrafen, aber ein ständiges Strafgericht die bessere Alternative sei, weil es klarmacht, was in unserer Rechtsgemeinschaft gilt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Sie sind über Ihre Zeit hinaus, Sie müssen jetzt den letzten Satz sprechen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ein weiter Punkt, zu dem ich Ihnen gerne noch mehr erzählt hätte, das jetzt aber nicht tun darf, wäre der Verbraucherschutz und die Umsetzung von entsprechenden EU-Richtlinien gewesen. Die Justizministerin hat schon betont, daß es diese Koalition nicht mehr zu Verurteilungen kommen lassen will, sondern zügig handeln wird. Manche dieser EU-Richtlinien zeigen aber auch uns, daß der Verbraucherschutz in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit zu kurz gekommen ist. Mit der Einbringung des Überweisungsgesetzes haben wir einen ersten Schritt getan, weitere werden folgen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat ist das Bundesministerium der Justiz, Frau Ministerin, ein kleines aber feines Haus: klein, weil der Einzelplan 07 des Haushalts im Vergleich zu anderen Häusern sehr schmal ausfällt; fein, weil in diesem Hause besonders qualifizierte Mitarbeiter tätig sind, die durch ihre Sacharbeit überzeugen. Auf diese Mitarbeiter sind wir Parlamentarier ganz besonders angewiesen, denn das Justizministerium erbringt für den Gesetzgeber Bundestag äußerst wichtige Dienstleistungen. Wie allgemein im Dienstleistungsbereich ist das einzige Kapital - das Pfund, mit dem man wuchern kann die Qualifikation der Mitarbeiter. Diese Qualifikation muß durch Motivation und gelegentlich durch Lob und Anerkennung gefördert werden. Dies gilt um so mehr, als Sie, Frau Ministerin, für diese Legislaturperiode wichtige Reformvorhaben im Rahmen einer Justizreform beabsichtigen, wie Sie ja schon mehrfach angekündigt haben. Einer lediglich aus fiskalischen Überlegungen durchgeführten Reform werden wir eine Absage erteilen. ({0}) Eine Justizreform hat nämlich nur dann Sinn, wenn sichergestellt ist, daß der Rechtsschutz des Bürgers hinreichend gewahrt wird. Wichtig erscheint uns vor allem, daß schnell und effektiv Recht gesprochen wird, damit der Rechtsfrieden in der Gesellschaft gewahrt wird. Das ist die Aufgabe der Rechtsprechung, die wir auch für die Zukunft sicherstellen wollen. Diese Reform wird man nicht gegen die Organe der Rechtspflege durchführen können. Deswegen erscheint mir eine einvernehmliche Regelung mit der Anwaltschaft und der Richterschaft unbedingt notwendig. Diese Organe der Rechtspflege sollten frühzeitig in die Überlegungen einbezogen werden, und zwar mit der Möglichkeit zu echten Diskussionen und nicht in der Form, daß ihnen bloß mitgeteilt wird, wie die Ministerin es beabsichtigt. Meine Damen und Herren, die Ministerin hat es erwähnt, die deutsche Wirtschaft ist maßgeblich auf die Dienstleistungen des Deutschen Patent- und Markenamtes angewiesen. Der Rückstand bei Eintragungen für Patente und Marken ist nicht mehr zu vertreten. Ich sage das jetzt nicht als Vorwurf, sondern stelle bloß fest, daß ganz erhebliche Rückstände vorhanden sind. Das Deutsche Patent- und Markenamt, das sich zum großen Teil über die Gebühren selbst trägt und in Zukunft sogar noch mehr tragen soll, muß personell in die Lage versetzt werden, zeitnah die Anmeldungen einzutragen, sonst entsteht der deutschen Wirtschaft ein großer SchaVolker Beck ({1}) den, im internationalen Wettbewerb natürlich auch ein Schaden gegenüber den Konkurrenten. Durch eine weitere Privatisierung des „Bundesanzeigers“ und einer Teilprivatisierung der Juris GmbH könnten darüber hinaus Mittel frei gemacht werden, um die Arbeit des Deutschen Patent- und Markenamtes zu unterstützen. ({2}) Natürlich weiß ich, Frau Ministerin, daß haushaltsrechtliche Erlöse ersteinmal ins Bundesfinanzministerium und nicht in das Justizressort fließen. Ein solcher Erlös kann dazu beitragen, daß der Justizhaushalt in Zukunft etwas erhöht werden kann. Die deutsche Rechtsordnung gilt in der Welt als eine der besten Rechtssysteme. Es ist deswegen nicht verwunderlich, daß immer mehr Länder bei der Neuordnung ihrer Rechtssysteme auf deutsches Recht zurückgreifen oder zumindest von Deutschland aus beraten werden wollen. Dies gilt insbesondere für die ehemaligen sozialistischen Länder, aber auch für einige Schwellenländer. Bei der letzten Haushaltsdebatte hatte ich bereits angemahnt, daß die Bundesregierung ein geschlossenes Konzept für die Rechtsberatung dieser Länder entwickelt. Ich halte es nicht für zweckmäßig, daß auf der einen Seite die Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit für 11 oder 12 Länder zuständig ist und die GTZ, also die Gesellschaft für Technische - nicht für Rechtliche - Zusammenarbeit, für den Rest der Welt. Wir müssen eine Beratung aus einer Hand anbieten. Dann kann man auch ein vernünftiges Konzept vorlegen. Dazu ist in erster Linie die Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit geeignet. Meine Damen und Herren, die Europäische Kommission nimmt über die Richtlinien zum Verbraucherschutz zunehmend Einfluß auf unser deutsches Schuldrecht, insbesondere auf den großen Teil unseres Vertragsrechts. Dieser Teil des BGB wirkt inzwischen schon fast wie ein Flickenteppich. Wir sollten daher analog zu den Arbeiten der Schuldrechtskommission darüber nachdenken, wie wir ein Europäisches Vertragsrecht gestalten können. Hier sollte alsbald die Bundesregierung in Brüssel initiativ werden; denn das muß auch von den Staaten, in diesem Fall der Bundesregierung, vorangetrieben werden. Das Wirtschaftsrecht, insbesondere auch das Aktienrecht, wird bei der Globalisierung der Wirtschaft nicht ausgespart werden können. Eine Frage, die wir beim Kontrakt noch nicht behandeln konnten, Herr Kollege Pick, weil das noch nicht so weit erkennbar war, ist die Frage der Umstellung von Inhaberaktien auf Namensaktien. Da erwarte ich, daß wir alsbald diese Umstellung im Aktienrecht dokumentieren und besonders den Datenschutz mit berücksichtigen. Dasselbe gilt auch für die Entwicklung im Internetbereich und für Electronic Commerce. Da können wir nicht mehr national arbeiten, sondern müssen internationale Vereinbarungen haben, die vorangetrieben werden müssen. Meine Damen und Herren, ich habe sehr wohl das Angebot der Ministerin auf enge Kooperation im Rechtsausschuß gehört. Wir nehmen diese Einladung gerne an und hoffen auf gute Zusammenarbeit. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Dr. Evelyn Kenzler, PDS-Fraktion.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministe- rin, noch bei der zweiten Lesung des Haushalts 1999 im Mai dieses Jahres sprachen Sie von einer Akzentver- schiebung, einer anderen Weichenstellung, da zirka 10 Millionen DM mehr in den Justizhaushalt eingestellt wurden und damit - ich zitiere - die ständige Streichorgie der vergangenen Jahre aufgehört hat. Diese Akzentverschiebung war jedoch leider nur von sehr kurzer Dauer. Bei den ohnehin knapp bemessenen Minieinzelplänen Justiz und Bundesverfassungsgericht sollen nach den Vorgaben des Finanzministers - nicht nach Ihren - tatsächlich noch die Ausgaben um insge- samt 24,5 Millionen DM gekürzt und Mehreinnahmen von fast 34 Millionen DM eingestellt werden. Sieht man sich die Zahlen näher an, soll es deutliche Rückläufe bei der Beschäftigung zum Beispiel von Aus- hilfskräften im Justizministerium geben, ohne daß eine entsprechende Steigerung der Personalkosten bei den dauerhaft Angestellten feststellbar ist. Für die Aus- und Fortbildung ist eine drastische Mittelkürzung auf weni- ger als ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr vorgese- hen. Mehreinnahmen sollen offensichtlich durch eine ver- stärkte Auferlegung der sogenannten Mißbrauchsge- bühr beim Bundesverfassungsgericht oder durch höhere Gebühreneinnahmen für die Erteilung von Führungs- zeugnissen und Auskünften des Gewerbezentralregisters beim Generalbundesanwalt erzielt werden. Einsparungen bei personellen Investitionen einerseits und Gebührenerhöhungen für die Rechtsuchenden ande- rerseits sind jedoch der falsche Weg. Sie führen zu einer weiteren Ausdünnung der Justiz, und das in einer Zeit, in der durch die angekündigte große Justizreform andere Weichen gestellt werden sollen. Nach wie vor sind jedoch die Umrisse dieser Reform schwer zu erkennen. Es gibt zwar nicht wenige Diskus- sionsrunden, Studien und Gutachten, beispielsweise zur Rechtsmittelreform in Zivilsachen oder zur Reform des Sanktionensystems. Für Referenten- oder Gesetzentwür- fe aus dem Justizministerium, die diesem Vorhaben als erste Schritte der Gesamtreform konkrete Gestalt geben, wird es nach Ablauf eines Viertels der Wahlperiode al- lerdings höchste Zeit. Längst überfällig sind Regelungen, die mit den Unge- rechtigkeiten gegenüber redlichen ostdeutschen Eigen- tümern und den Benachteiligungen gegenüber Nutzern von Wohn- und Erholungsgrundstücken endlich Schluß machen. Die Justizministerkonferenz Ost tagt zwar re- gelmäßig. Es fehlt auch nicht an entsprechenden An- kündigungen. Gesetzentwürfe liegen jedoch leider noch immer nicht vor. Wirklich enttäuscht hat mich, daß sich die Bundesre- gierung nicht imstande sah, der Aufforderung des Bun- destages vom Juni 1998 nachzukommen und einen Be- richt über die Wirkungen der Nutzungsentgelt- verordnung termingemäß zum 30. Juni dieses Jahres vorzulegen. Der Bericht soll nun zum 30. März 2000 kommen. Vorher ist auch hier die dringend notwendige Novellierung nicht zu erwarten. Inzwischen läuft jedoch die Entgeltspirale munter weiter. Zwei Initiativen der PDS-Fraktion zur Schuldrechts- anpassung und zur Nutzungsentgeltverordnung liegen seit nunmehr neun Monaten auf Eis. Es mag sein, daß unsere Entwürfe unvollkommen sind. Dann nehmen wir Änderungsvorschläge gerne entgegen. Aber weitere Verzögerungen können wir nicht mehr hinnehmen. In Kürze wird unsere Fraktion noch einen Vorschlag für eine gerechtere Regelung, soweit es noch möglich ist, der sachenrechtlichen Probleme vorlegen. Frau Ministerin, Sie haben sich erfreulicherweise für die Erarbeitung einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union eingesetzt. In diesem Punkt kön- nen Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Nicht zu- friedenstellend ist allerdings, daß nach dem Beschluß des Europäischen Rates eine solche Charta zunächst nur feierlich proklamiert wird. Gebraucht wird meiner Mei- nung nach ein Dokument mit völkerrechtlicher Ver- bindlichkeit. Die Gruppe der PDS hat vor vier Jahren im Bundes- tag einen Vorschlag für eine solche Charta eingereicht, der bei der Erarbeitung Beachtung finden sollte. Auch die zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getre- tene Insolvenzordnung bedarf nicht nur, wie vom Mi- nisterium angekündigt, der Beobachtung. Es besteht dringender Handlungsbedarf, da sie im Bereich der Verbraucherinsolvenz gerade für die Gruppe der soge- nannten Armutsschuldner nicht greift. Das betrifft die Nichtgewährung von Prozeßkostenhilfe in der Praxis, den fehlenden Vollstreckungsschutz bei der außerge- richtlichen Schuldenbereinigung und den sogenannten Nullplan. Wir werden auch hierzu in Kürze aktiv wer- den. Zum Schluß noch ein Dankeschön an Sie, Frau Mini- sterin, und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses. Das neue Handbuch der Rechtsförmlichkeit ist eine nützliche Hilfe, auf die ich auch selbst gern zu- rückgreife. Möge es dazu beitragen, daß die Gesetze, die hier verabschiedet werden, qualitativ hochwertig, ver- fassungskonform und für die Bürgerinnen und Bürger verständlich sind. Danke schön. [Beifall bei der PDS)

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Angesichts des vormals abgegebenen freimütigen und damit auch strafmildernden Geständnisses des Kollegen Funke, er habe in die damalige Beratung zur Entlastung der Justiz den Vorschlag zur Ausgliederung des Handelsregisters eingebracht, weil er gewußt habe, daß die Länder diesem Gesetz dann nicht zustimmen würden, und damit habe er verhindern wollen, daß Flickwerkreformen gemacht werden, Herr Geis, erscheint mir Ihr Vorwurf, wir seien die Blockierer, einigermaßen absurd. ({0}) Eingeweihte wissen, um was es geht. Dabei sind Sie, die abgewählte Kohl-Regierung, es doch gewesen, die mit ihren Justizministerinnen und Justizministern 16 Jahre lang im Status quo verharrte und die es versäumt hat, die Justiz auf das 21. Jahrhundert vorzubereiten. ({1}) Wenn Sie das Wort „Reformen“ gebraucht haben, dann bedeutete dies in aller Regel den Abbau von Rechten. Wenn Sie von Entlastungen sprachen, bedeutete dies in aller Regel, daß an anderer Stelle neue Belastungen ungerecht verteilt wurden. ({2}) Es gibt ein paar Ausnahmen. Zu diesen Ausnahmen kam es immer dann, wenn wir Sozialdemokraten uns aktiv in das Gesetzgebungsverfahren eingeschaltet hatten. Ich nenne das Betreuungsrecht, die Insolvenzordnung, die Zwangsvollstreckungsnovelle, das Ordnungswidrigkeitenrecht und nicht zuletzt das Gesetz zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren. ({3}) Alles andere, was Sie gemacht haben, waren PatchworkGesetze. Vielleicht wissen Sie nicht, was das ist: hier ein Paragräphchen, dort ein Paragräphchen, hier ein Wort und dort ein Wort. ({4}) Lieber Norbert Geis, als Jurist kam man angesichts dessen, wie schnell ihr Gesetze verabschiedet habt, gar nicht hinterher, die Ergänzungslieferungen für den Schönfelder und den Satorius zu drucken. ({5}) Zu den Zeitpunkten, als die Novitäten in Kraft traten, wußte die Praxis meist nicht, um was es ging. Manchmal lag noch nicht einmal ein Gesetzestext vor. Unmittelbar nach der deutschen Vereinigung bestand erheblicher Handlungsbedarf. Seit Anfang der 90er Jahre wissen wir, daß weder die Ausbildung der Juristinnen und Juristen noch unser Gerichtssystem mit der rasanten internationalen Entwicklung Schritte halten können. Unsere jungen Juristinnen und Juristen werden immer noch ausgebildet wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Alle Reformansätze sind bisher an „konservativen Wertvorstellungen“ gescheitert. ({6}) - Wir sprechen nachher bei einem Bier darüber. - Anwälte kommen im europäischen Wettbewerb zu kurz. Die Prozesse, insbesondere die Zivilprozesse, dauern zu lange. ({7}) Recht wird zu spät gewährt. Oft ist das Urteil nur noch Makulatur, weil der Prozeßgegner längst pleite gegangen ist. Wir legen heute einen Haushalt vor, der den Weg nach vorne zeigt. Mit diesem Haushalt stehen wir in der Linie unserer Bemühungen, dieses Land wieder fit bzw. tauglich zu machen für die Herausforderungen, die auf unsere Justiz zukommen. Wer die hohe Staatsverschuldung betrachtet, die in den 16 Jahren der vormaligen christliberalen Regierung angehäuft wurde, der weiß: Das Kohlsche Wort vom „Weiter so“ ist total out. Wenn wir dem Staat und damit auch der Justiz die Handlungsfähigkeit zurückgeben wollen, müssen wir uns auf das Wesentliche besinnen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Hartenbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja; aber ich bitte darum, das nicht auf meine Redezeit anzurechnen. - Bitte sehr, Herr Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, nehmen Sie zur Kenntnis, daß im amtsgerichtlichen Bereich die Zivilprozesse in erster Instanz zu 90 Prozent und im landgerichtlichen Bereich die Zivilprozesse in zweiter Instanz zu 83 Prozent erledigt werden und daß sie gar nicht erst die nächste Instanz erreichen, und nehmen Sie zur Kenntnis, daß unser Rechtssystem im zivilprozessualen Bereich im europäischen Vergleich das schnellste ist?

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege Geis, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, daß Sie in der vergangenen Legislaturperiode Ihre teilweise unsäglichen Beschleunigungsgesetze eingebracht haben und uns damit vergewaltigen wollten, ({0}) daß Sie einen internationalen Vergleich herangezogen haben, indem Sie uns vorgehalten haben, wie schnell dies in Frankreich gehe und daß wir eine viel zu hohe Richterdichte hätten. Sie haben auf Holland und auf Italien verwiesen, was, davon abgesehen, völlig falsch war. ({1}) Eines wissen Sie offensichtlich nicht, nämlich daß unsere Juristinnen und Juristen durch ihre doppelte Ausbildung, durch die universitäre und die nachfolgende praktische Ausbildung, in aller Regel zweieinhalb bis drei Jahre später in den internationalen Wettbewerb gehen können, als dies in anderen Ländern der Fall ist. Dies ist ein Fehler. ({2}) - Sie sollten erst einmal zuhören. Ich antworte jetzt auf Ihre Zwischenfrage. Bleiben Sie ganz ruhig. ({3}) - Was bin ich heute für ein begehrter Mensch. Dazu ein weiterer Punkt. Ich habe mich gerade gestern am Telefon mit einem aufgebrachten Berliner - ich kann nicht berlinern - herumgeplagt, mit einem Menschen, der über sieben Jahre einen Arzthaftungsprozeß geführt hat. Sieben Jahre sind bei einem Arzthaftungsprozeß sechs Jahre zuviel; da geben Sie mir doch recht. Deswegen müssen wir dafür sorgen, daß die Dauer unserer Prozesse kürzer wird. - Habe ich Sie ausreichend zufriedengestellt? ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hartenbach, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Funke?

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine Frage des Kollegen Funke beantworte ich gerne.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hartenbach, ist Ihnen bekannt, daß die Juristenausbildung und deren gesetzliche Ausgestaltung in erster Linie eine Angelegenheit der Bundesländer ist?

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Kollege, natürlich weiß ich das. Wir aber müssen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausbildung schaffen; darin sind wir uns doch einig. Das müssen wir gemeinsam mit den Bundesländern und mit den Universitäten machen, damit alles stimmt, und natürlich auch - wie Sie es eben gesagt haben - unter Einschluß aller anderen juristischen Kräfte, die uns wert und teuer sind. Nun komme ich zu dem Thema, das ich eben angeprangert habe. Wir wollen dem Staat seine Handlungsfähigkeit zurückgeben und werden dies mit einigen mutigen Reformschritten auch tun. Allerdings machen wir das, Herr Kollege Geis, nicht so, wie Sie das gemacht haben: daß wir ein Gesetz in die Menge hineinwerfen. ({0}) Wir lassen uns Zeit. Wir werden einiges einbringen, wozu Sie wahrscheinlich Beifall klatschen werden. Wir haben ja schon das Gesetz zur außergerichtlichen Streitbeilegung auf den Weg gebracht. Das hat nichts gekostet, das wird nichts kosten, und - im Gegenteil - die Länder werden noch kräftig sparen. Wir werden den Täter-OpferAusgleich im Gesetz verankern, weil wir ihn als weiteren Meilenstein moderner Justizpolitik ansehen. Wir wollen, daß auch im Strafprozeß die Aussöhnung möglich ist und sie den Rechtsfrieden im Lebenskreis der Betroffenen ordnet. Wir werden den Menschen in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften eine sichere rechtliche Grundlage für ein diskriminierungsfreies Zusammenleben in unserer Gesellschaft geben. Wir arbeiten an einer Modernisierung des Schuldrechts und haben erste Schritte unternommen, um die Stellung von Unfallopfern im Tatsächlichen und Rechtlichen zu verbessern. Wir werden entscheidend an der Verwirklichung einer europäischen Grundrechtscharta mitarbeiten. Die Wirtschaft darf sich darauf verlassen, daß wir anders als unsere Vorgängerregierung - europäische Richtlinien zeitnah in nationales Recht umsetzen und gleichwohl die Interessen unseres Landes wahren. Wir werden - das ist schon mehrfach angesprochen worden - den Handwerkern durch unser Gesetz zur Beschleunigung von Zahlungen eine sichere Basis geben. Erfinder und Tüftler werden künftig schneller zur Vermarktung ihrer Erfindungen gelangen. Wir werden im Patent- und Markenamt neue Stellen schaffen und für eine optimale Ausstattung mit modernen Technologien sorgen. Dann wird auch endlich ein Herzenswunsch des Bayern Otto Wiesheu erfüllt, der bei der Ministerin eine zu lange Bearbeitungszeit angemahnt hatte. Dabei hat er offensichtlich vergessen, daß in den letzten 16 Jahren andere das Sagen im Deutschen Patentamt hatten. Nun, Herr Geis, will ich Ihnen zum Abschluß meiner Rede auf bayrisch erklären, was das mit den 30 Milliarden DM auf sich hat. ({1}) - Von mir aus auch auf fränkisch. - Ihr habt eine tolle Sache gemacht: Ihr habt - wie man bei uns in Nordhessen sagt - alles „versteckelt“: 8 Milliarden DM hinsichtlich der Postunterstützungskasse; ihr habt im Haushalt 1999 nicht veranschlagt, daß die Mehrwertsteuererhöhung - 1 Prozent - für die Rentenkassen voll abgeführt werden muß. Wir haben seit dem 1. April 1999 die ökologische Steuerreform. Daraus resultieren Mehreinnahmen und Mehrausgaben. Wenn Sie das zusammenrechnen, kommen Sie auf etwa 28 Milliarden DM. ({2}) Von daher gesehen haben wir nichts verpulvert und nichts vertan. Nun lassen Sie mich zum Abschluß noch versöhnlich werden, weil ich mich freue, daß Sie nicht in den Chor derer eingetreten sind, die die Erhöhungen der Gebühr beim Patent- und Markenamt gerügt haben. Sie haben es richtig gut gemacht, daß Sie dazu geschwiegen haben. Unsere Justizpolitik, mit der wir ins neue Jahrtausend gehen, verdient Anerkennung und Respekt. Wir bedanken uns sehr herzlich bei unserer Justizministerin und bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Lassen Sie uns nun die wichtigen Schritte, die wir machen müssen, gemeinsam machen. Wir laden Sie herzlich dazu ein; Sie sind, wie ich festgestellt habe, bereit dazu. Vielen Dank. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat Herr Kollege Hans Jochen Henke, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Jochen Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die Aufregung nicht ganz verstehen können, Herr Kollege Diller. Vielleicht läßt sie sich so erklären, daß Sie insgesamt nicht mehr an die Phase von Oskar Lafontaine erinnert werden wollen. Aber an der Tatsache, daß es nun einmal 30 Milliarden DM sind, um die Sie den Haushaltsentwurf 1999 ausgedehnt haben, führt nichts vorbei. Das ist die erste Feststellung. Die zweite Feststellung ist, daß die Phantasien des zurückgetretenen Finanzministers für die mittelfristige Finanzplanung noch viel weiter gereicht hätten. Aber wir sollten und brauchen uns, werte Kolleginnen und Kollegen, daran gar nicht allzu lange auf- und festhalten; denn Sie finden, wie die heutige Debatte zur Einbringung des Haushaltes zeigt, zunehmend auf den Boden der nüchternen Wirklichkeit zurück. Geprägt war und ist dieser Haushalt 1999 - daran möchte ich schon erinnern - allerdings von sehr restriktiven Rahmenbedingungen, die die Handschrift Theo Waigels getragen haben. Wer weiß, was passiert wäre, wenn dieses Korsett nicht so geschnürt worden wäre? In der Tat, werte Frau Ministerin: Dies ist erstmals ein Entwurf, der Ihre Handschrift trägt, und insofern bietet er Gelegenheit, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen im Hinblick darauf, was Sie im Einzelplan 07 unter Konsolidieren und Sparen verstehen und wie Sie mit Reformen und Reformzielen umgehen. Eine Anmerkung an dieser Stelle: Sparen bei Stellen-, Sach- und Verwaltungskosten, Frau Ministerin und Herr Staatssekretär Diller, ist längst vor Ihrer Zeit in der letzten Legislaturperiode praktiziert worden. Ich will nur auf ein Beispiel hinweisen: 1,5 Prozent Stelleneinsparungen über viele Jahre und darüber hinaus von - nach der schwierigen Wiedervereinigungsphase - 51 Prozent Staatsquote auf etwas mehr als 48 Prozent beim Regierungswechsel, mit der klaren Aussage, sie in dieser 14. Legislaturperiode auf 45 Prozent zurückzufahren, wenn wir die Verantwortung bekommen. Im übrigen verstehe ich die Widersprüche nicht ganz. Die Ministerin klagt, daß in ihrem Haus überhaupt keine Spielräume mehr vorhanden gewesen seien, weil in der letzten Legislaturperiode alles ausgekehrt worden sei. Auf der anderen Seite redet man davon, wir hätten Altlasten und eine Überschuldung hinterlassen. Aber jetzt geht es ja mit 30 Milliarden DM brutto und 7,5 Milliarden DM netto flott nach vorne. ({0}) 68 Millionen DM, Frau Ministerin, ist der absolut bescheidene, für Ihren Einzelplan in der Tat aber bemerkenswert stattliche Betrag, den Sie an Einsparungen zu erbringen haben. Wenn man näher hinschaut, sieht man allerdings, daß Sie vier Fünftel, nämlich 55,5 Millionen DM, durch die Erhöhung von Gebühren und Entgelten erreichen. Sparen und Konsolidieren heißt, Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu geben. Ob dies mit diesen Weichenstellungen erreicht werden kann, ist mehr als fraglich. Einen Betrag haben Sie, wenn ich richtig zugehört habe, erst gar nicht erwähnt, nämlich die 7,5 Millionen DM, die zusätzlich durch die Auskünfte aus dem Bundeszentralregister erbracht werden sollen. Meine Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Verdoppelung der Gebühren innerhalb von sieben Jahren. Wer bezahlt sie? In allererster Linie Schüler, Studenten, Auszubildende, Wehrpflichtige und Ersatzdienstleistende. Sie müssen für diesen wichtigen, aber schlichten Computerausdruck neben der Ökosteuer noch diese Sonderlast tragen, und zwar nicht nur sie, sondern Millionen anderer Bürger auch. Auskünfte in diesem Bereich, Frau Ministerin, gehören nach meinem Verständnis zur Grundversorgung unserer Bürger. Ebenso verhält es sich nach meinem Verständnis im Forschungs- und Innovationsbereich bei der Patentierung und den 48 Millionen DM, die Erfinder und Kreative bringen sollen. Was Sie einführen, nämlich 50 Millionen DM über die tatsächliche Kostenkalkulation hinaus einzuplanen, ist eine Patentsteuer, die Innovation und Kreativität blockiert. Bitte lassen Sie die Vergleiche mit der europäischen Ebene! Wir vergleichen uns, was Kostenniveaus betrifft, sonst auch nicht mit Brüssel. Ich denke, dies geht fehl. Im übrigen sollte nicht zu jedem Zeitpunkt jeder denkbare und theoretisch mögliche Spielraum ausgenutzt werden. ({1}) Aber Ihnen ist ja noch sehr viel mehr eingefallen. An den von den heutigen Regierungsparteien in der Vergangenheit heftig bekämpften Privatisierungen haben Sie doch erheblich Gefallen gefunden, so zum Beispiel an der Privatisierung des „Bundesanzeigers“ und der Entwicklung bei „Juris“. Aktuelle Zahlen belegen dies. Der „Bundesanzeiger“ erbrachte der Bundeskasse 1998 10 Millionen DM und in diesem Jahr mehr als 10 Millionen DM. Ich sehe überhaupt keinen Grund dafür, warum die Einnahmen im 2000er Entwurf niedriger angesetzt werden sollten. Die „Juris“ wird im nächsten Jahr zum drittenmal in Folge Bundeszuschüsse in Höhe von ebenfalls 10 Millionen DM zurückzahlen. Im Haushaltsentwurf sind diese Mehreinnahmen noch gar nicht enthalten. Diese zusätzlichen Millionen hätten Sie besser rechtzeitig im Haushaltsentwurf etatisiert, statt mit höheren Gebühren, mit Belastungen für Forschung und Innovation in einer Zeit des Sparens und der Konsolidierung falsche Signale zu setzen. Aber ohne die verfehlte Gebührenpolitik hätte Sie, Frau Ministerin, der Finanzminister wahrscheinlich ebenfalls zu einer globalen Minderausgabe herangezogen. Dieser haben Sie sich auf der einen Seite bequem, auf der anderen Seite aber strukturell völlig verquer entzogen. Aufmerksamkeit verdient auch Ihre Personalplanung. Sie haben die Stelle des Leiters des Leitungsstabs wieder eingerichtet, den Ihre Vorgänger im Interesse einer schlanken Verwaltung eingespart hatten. Sie beantragen zusätzlich 750 000 DM für Personalmittel für Bereiche, die Ihre Vorgänger sparsam freigehalten hatten. Sie wollen noch einmal 826 000 DM für zusätzliche Stellen im Ministerium. Das ist eine Ihrer Antworten auf die Chance, mit dem Regierungsumzug strukturelle Reformen zu allererst in Ihrem Haus anzugehen. Der Rechnungshof hat in der Vergangenheit wiederholt und zu Recht die Organisation des Hauses mit ihrer Vielzahl von Kleinstreferaten gerügt. Seit geraumer Zeit liegt eine Kienbaum-Studie vor und Ihnen auf dem Tisch. Wenn Sie den bis Mitte 2000 laufenden Umzug Ihres Hauses nicht für die Neuausrichtung entsprechend nutzen, werden die Ressourcen Ihres Hauses weiterhin leider Gottes nur suboptimal genutzt werden können. Ein weiteres Beispiel: Beim Patent- und Markenamt sind wir dafür, daß etwas geschieht, Frau Ministerin. Wir sind jetzt und nachhaltig dafür, aber es soll bitte auch transparent und strukturiert sein. Wir werden den auch von uns befürworteten und geforderten zusätzlichen Stellen zustimmen; wir tun das aber nur unter einer wichtigen Maßgabe, daß nämlich dem bereits von uns bei den 99er Beratungen geforderten Stellenkonzept zum Durchbruch verholfen und dieses rechtzeitig vorgelegt wird. Diese Stellenkonzeption muß in die neue IT-Landschaft eingebettet und an den Zielen der gewaltigen externen Beratungs- und Dienstleistungen orientiert werden, die allein im Jahr 2000 12 Millionen DM betragen und in den Folgejahren ebenfalls mit 12 Millionen DM durchgeschrieben werden. Ich bitte Sie, uns für dieses Amt klare Zielvereinbarungen vorzulegen, die dem hohen Aufwand entsprechen. Wir wollen klare Aussagen zu Qualität und Leistungsumfang. Qualitätsmanagement, Frau Ministerin, gehört heute auch bei den öffentlichen Dienstleistungen zum selbstverständlichen Standard. Wir wollen wissen, wie und wann die Überhänge beseitigt werden, wann die Antragsteller mit der Bescheidung ihrer Patente innerhalb einer drei- bis viermonatigen Frist endgültig rechnen können. Wer in Zeiten knapper Kassen mehr Geld bekommt, hat eine besonders hohe Verantwortung. ({2}) Noch etwas: Bei den justizpolitisch wie städtebaulich bedeutsamen Projekten, so unter anderem dem Umbau des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, haben sich die an der Ausführung Beteiligten wahrhaftig nicht ausgezeichnet. Ohne das hartnäckige, konsequente Nachhaken und Vorgehen des Haushaltsausschusses hätte der Steuerzahler das Nachsehen gehabt. Ich denke, für das nächste Vorhaben beim BGH gilt es, entsprechende Folgerungen zu ziehen. Wir sind gespannt, von Ihnen zu erfahren, wie diese Einschätzung aussieht. Solide und sparsam, zukunftsorientiert und reformfähig ist der Maßstab, an dem Sie sich jetzt und in Zukunft werden messen lassen müssen. Ein anderes Thema: Bei der Verschlankung und Entbürokratisierung des Staats hat Ihr Haus eine wichtige Querschnitts- und Bündelungsfunktion. Ich denke, es wäre wichtig, zu erfahren, wie das Haus, an dem kein Gesetz, keine Novelle vorbeigeht, das Ziel der Entstaatlichung, der Entbürokratisierung und Verschlankung definiert und wie Sie damit umgehen. Mit der EU-Ratspräsidentschaft haben Sie beachtliche Ausgaben im laufenden Haushalt begründet. Ich möchte an dieser Stelle fragen: Wie sieht die Bilanz Ihrer Ratspräsidentschaft im Hinblick auf unsere Rechtspflege im europäischen Kontext aus? Böse Zungen behaupten, daß mit Vollgas oftmals nur Leerlauf gefahren wird. Diese Bilanz ist grundsätzlich von Wichtigkeit, um andere Ankündigungen richtig einordnen zu können, wie zum Beispiel die Justizreform, die in verschiedener Hinsicht bereits angesprochen wurde. Dabei kommt es neben der Transparenz und der Stärkung der Eingangsinstanz vor allen Dingen auf die Gewinnung von Entlastungs- und Synergieeffekten an. Um konkret zu werden und dies - weil meine Redezeit abgelaufen ist - abzuschließen: Sie rechnen mit einer Vielzahl von Einsparungen, die von den Ländern, die mit der Optimierung des vorhandenen Systems am weitesten sind, entweder bestritten oder ganz anders eingeordnet werden, so daß es mehr als fragwürdig ist, diesen Ansatz weiterzuverfolgen. Frau Ministerin, lassen Sie mich zusammenfassen: Wenn Sie einen Weg echter Reformen mit belegbaren Verbesserungen und ohne Verschiebung von Belastungen auf Bürgerinnen und Bürger oder andere Ebenen beschreiten, wenn Sie moderne und effiziente Strukturen und Verfahren in Ihrem Haus und den nachgeordneten Bereichen umsetzen

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, Sie hatten den Schluß schon angekündigt. ({0})

Hans Jochen Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- bei dem bin ich, Frau Präsidentin -, können Sie in Zukunft auf unsere konstruktive Mitarbeit und Begleitung zählen. Ich bedanke mich. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Dr. Herta DäublerGmelin, SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Henke, lassen Sie mich dies sagen: Natürlich rechne ich auch weiter mit Ihrem Verständnis. Wenn ich Ihnen - dazu gab es heute viel Anlaß - dabei helfen kann, das eine oder andere richtig zu sehen und richtig zu stellen, soll es an mir nicht liegen. Ich möchte auf den einen oder anderen Punkt eingehen. Mit der Justizreform lassen wir uns nicht so viel Zeit wie die letzte Bundesregierung. Ich kann nur allen Kolleginnen und Kollegen sagen: Wenn ich die 16 Jahre, die Sie hatten, mit 16 Monaten unserer Regierungszeit gleichsetze, verstehe ich Ihre Ungeduld. Wenn Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen würden, daß das Grundkonzept von allen Ländern gebilligt wurde, übrigens auch von denen, die Ihnen ideologisch gesehen möglicherweise näherstehen als mir, kämen wir sicher auch leichter zusammen. Was die EU-Präsidentschaft angeht, lade ich Sie herzlich in den Rechtsausschuß ein. Ich habe schon vor einigen Monaten einen Termin zu vereinbaren versucht. Wie ich höre, wird er am 6. Oktober stattfinden. Vielleicht können Sie dort einige Ihrer Fragen, die Sie ganz ohne Zweifel haben, loswerden. Die Kollegen Norbert Geis und Frau Kenzler, bei denen ich mich herzlich bedanke, haben angemahnt, ich möge mehr Gesetze und schneller mehr Gesetze vorlegen. Gestatten Sie, daß ich sage, daß mich dies in gewisser Weise amüsiert, weil ich Ihnen mehrfach gesagt habe - Sie wissen, ich meine das dann ernst -, daß jedes Gesetz, das wir nicht brauchen, den Bürgern besonders gut gefällt. ({0}) Daher, meine Damen und Herren, bin ich der Meinung, daß wir das Ganze anders machen als Sie. Deswegen habe ich das gesagt. Wir wollen die Praxis nicht zum Wahnsinn treiben, sondern wir werden Schwerpunkte regeln und die gut vorbereiten, übrigens auch durch öffentliche Diskussionen. Ich bedanke mich auch sehr für den Hinweis auf das Handbuch. Ich glaube, das ist in der Tat eine besonders gute Hilfe. Lassen Sie mich noch etwas dazu sagen, was Sie, Herr Kollege Henke, liebenswürdigerweise zum Deutschen Patent- und Markenamt gesagt haben. Das Problem ist: Wenn ich die Feststellungen, die Sie jetzt vom Justizministerium verlangen, treffen wollte, müßte ich mehr Leute haben. Dies weiß niemand besser als Sie. Daher - gestatten Sie, daß ich das bemerke - ist dies wohl genauso wenig ernst gemeint wie Ihre Aussage, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums würden nicht genügend arbeiten. Dies fand ich als einziges etwas ärgerlich. Denn anders konnte ich Ihre Bemerkung nicht verstehen, der Umzug nach Berlin hätte dazu führen müssen, die Stellen im Justizministerium noch mehr zu beschneiden. Wenn Sie diesen Punkt noch klarstellen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich habe bisher aus dem Haus nur gehört - auf diese Feststellung lege ich großen Wert -, daß das Justizministerium keine einzige Stelle zuviel, sondern eher Stellen zu wenig hat, um die Aufgaben innerhalb der Bundesregierung und im Rahmen der Serviceleistungen für den Deutschen Bundestag zu erfüllen. Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie das noch einmal klarstellen könnten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung, Kollege Henke, bitte.

Hans Jochen Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin für die Gelegenheit dankbar, meine Ausführungen zu erläutern, um gegebenenfalls Mißverständnisse auszuräumen. Ich habe folgendes ausgeführt: Wenn Sie den Empfehlungen des Gutachtens von Kienbaum - diesen Empfehlungen liegen wiederholte Rügen des Bundesrechnungshofes zugrunde - entsprechen würden, dann könnten die personellen Möglichkeiten Ihres Hauses, die bisher suboptimal genutzt werden, weiter optimiert werden. Diese Feststellung hat überhaupt nichts mit dem einzelnen Mitarbeiter zu tun. Ich bitte darum, daß Sie eine differenzierte Betrachtung akzeptieren. In einer großen Organisation - das gilt sowohl für die Wirtschaft als auch für den öffentlichen Dienst ({0}) - darf ich meine Ausführungen ohne Zurufe von Ihrer Seite zu Ende führen? ({1}) sollten die Möglichkeiten des einzelnen Mitarbeiters besser genutzt werden. Ich möchte diese Differenzierung wiederholen: Der einzelne Mitarbeiter ist das eine; die Struktur der Organisation ist das andere. Beide Möglichkeiten optimiert ausgerichtet schafft die Voraussetzungen für einen optimalen Output. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich einbringen. Aber wir glauben - darin besteht der entscheidende Unterschied -, daß die Organisation nicht in Ordnung ist. In diesem Bereich bestehen erhebliche Defizite. Es gibt weder auf Bundesebene noch auf Länderebene ein Haus, das eine so zersplitterte Kleinstorganisationsstruktur hat wie Ihr Haus, Frau Ministerin. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen mir nicht vor. Wir kommen jetzt zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Einbringung seines Haushalts hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Haushalt ist sicherlich aus mehreren Gründen ein besonderer Haushalt. Er ist der erste Haushalt, der hier in Berlin eingebracht wird. Aber er ist auch seit langem der erste Haushalt, der sich konsequent der Zukunftsaufgabe, nämlich der Aufgabe der Haushaltskonsolidierung, stellt. Wegen dieser Politik weht uns vielfach ein kalter Wind entgegen. Aber wir, auch wir Ökologen, beharren auf dieser Konsolidierung. Wir wollen den folgenden Generationen keine Erblasten aufbürden. Wir wollen Ihnen daher keine zerstörte Natur, keine geplünderten Ressourcen und - nach unseren Kräften - keinen übermäßigen Berg atomaren Mülls hinterlassen. ({0}) Aber wir wollen auch nicht, daß nachfolgende Generationen durch einen Berg von Schulden und Zinsen erdrückt werden. Wenn Sie sehen, daß heute jede vierte Mark für Zinsen ausgegeben wird und daß die neue Regierung von Ihnen 1,5 Billionen DM Schulden übernommen hat, dann kann man - um einen Begriff aus der Umweltpolitik zu nehmen - von einer stinkigen Altlast reden, die Sie uns hinterlassen. ({1}) Wenn wir also für zukünftige Generationen einen handlungsfähigen und auch sozialen und ökologischen Staat erhalten wollen, dann gibt es zur Haushaltskonsolidierung keine Alternative. Nachhaltigkeit ist in der Umweltpolitik ein bewährtes Prinzip. Wir freuen uns, daß dieses Prinzip der Nachhaltigkeit nunmehr auch in die Haushaltspolitik Einzug findet: Wir haben mit diesem Kurs begonnen. Ich denke, es gibt gerade für Umweltpolitiker gute Gründe, diesen Kurs zu unterstützen. Wir als Umweltministerium haben - wie alle Ressorts - unseren Beitrag zu erbringen gehabt. Da sind schmerzhafte und - betrachten Sie die Ausgaben für den Endlagerbereich - auch weniger schmerzhafte Kürzungen dabei. Dennoch haben wir klare Akzente gesetzt: Wir haben im letzten Haushalt die Förderung für die Umweltverbände erhöht. Dieses hohe Niveau wird jetzt - ungeachtet der Sparbemühungen - gehalten. Aufgestockt haben wir die Mittel für die Beratung der osteuropäischen Länder. Wenn wir - ich glaube, da sind wir uns einig - wollen, daß die mittel- und osteuropäischen Länder der EU beitreten, und wenn wir wollen, daß es dabei nicht zu Umweltdumping und somit zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, wenn wir also nicht wollen, daß diejenigen, die hier zum Beispiel keine Hühnerfarmen mehr betreiben dürfen, hinter die tschechische Grenze gehen, dann müssen wir den Mittel- und Osteuropäern helfen, die Standards, die wir in der EU gemeinsam erarbeitet haben, tatsächlich zu erreichen. ({2}) Ungeachtet der Sparbemühungen haben wir in diesem Haushalt auch den Neubau des Umweltbundesamtes in Dessau endlich finanziell abgesichert. Der hing nämlich auf Grund äußerst fragwürdiger Vereinbarungen zwischen dem damaligen Finanzminister, Herrn Waigel, und Frau Merkel finanziell in der Luft. Ich freue mich, pünktlich zum 25. Jahrestag des Bestehens des Umweltbundesamtes mitteilen zu können, daß diese Regierung die 170 Millionen DM auch langfristig sichert. ({3}) Sie wissen, daß Umweltpolitik nicht eine Veranstaltung ist, die lediglich im Umweltministerium stattfindet. Ich will nur darauf verweisen, daß allein im Haushalt des BMZ ungefähr 1,42 Milliarden DM für Umweltprojekte und nachhaltige Entwicklung eingestellt sind. Aber internationale Verantwortung führt eben auch dazu, daß wir eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie verfolgen müssen, gerade wenn wir unserer Verantwortung gegenüber den sich entwickelnden Ländern gerecht werden wollen. Deswegen messen wir einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie einen hohen Stellenwert bei. Ich freue mich, daß eine Politik, die über die Ressortsgrenzen hinweg eine solche Strategie entwickeln will, einhellige Zustimmung - im Ausschuß ohne Gegenstimmen - findet. ({4}) Schließlich haben wir in zentralen Fragen bereits Weichenstellungen für eine nachhaltige Entwicklung gesetzt. Alle Parteien waren sich noch vor wenigen Jahren einig, daß die Abgabenbelastung auf den Ressourcenverbrauch erhöht und die auf menschliche Arbeit gesenkt werden muß. Das hat der CDU-Bundesparteitag ebenso beschlossen wie der Bayerische Landtag. Wir haben das umgesetzt: Die Steuern auf Strom und Kraftstoffe werden ansteigen, und dafür wird die Abgabenlast beim Faktor Arbeit gesenkt. Wir wollen umsteuern und nicht - wie Sie das 16 Jahre lang getan haben - Steuern und insbesondere Abgaben auf den Faktor Arbeit Schritt für Schritt erhöhen. Das ist das Neue, das diese Regierung umwelt- und sozialpolitisch angefangen hat. ({5}) Und - für eine nachhaltige Entwicklung von zentraler Bedeutung -: Wir wollen die Energiewende. Windenergie, Solarenergie, Geothermie, Biomasse - in all diesen Bereichen muß die Förderung aufgebaut werden. Wir müssen dieses Ziel in einer äußerst schwierigen Situation, nämlich in einem weitgehend liberalisierten Strommarkt, erreichen. Das ist der Grund, warum wir die Förderung regenerativer Energien gegenüber den vergleichsweise lächerlichen 20 Millionen DM, die Sie dafür bereitgestellt haben, verzehnfacht und verstetigt haben. Wir haben gerade diejenigen, die mit hocheffektiven Gas- und Dampfkraftwerken, mit Kraft-WärmeKoppelung vernünftig und energieeffizient produzieren, im Wettbwerb gleichgestellt. Wir müssen dafür sorgen, daß sie, wenn diese Energien wirklich das zukünftige Rückgrat der Energieversorgung sein sollen, nicht in eine wettbewerbsverzerrende Konkurrenz zu ineffizienten Altanlagen - das sind Atomkraftwerke nun einmal - geraten. Deswegen müssen wir die Laufzeiten begrenzen. ({6}) Wir wollen noch in diesem Jahr die Energiesparverordnung verabschieden, weil wir glauben, daß Energiesparen eine der größten Energiequellen ist. Im Verkehrsbereich haben wir erreicht, den Schwefelgehalt von Benzin und Diesel drastisch zu reduzieren. Wir werden dreieinhalb Jahre vor der EU einen Wert von 50 ppm erreichen. Wenn die EU auf 50 ppm ist, werden wir auf 10 ppm sein. Wir haben für schwere LKWs, Busse und ähnliches ambitionierte Grenzwerte eingeführt. Wir machen den Rußpartikelfilter und den DeNOx-Katalysator zur Vorschrift in Europa. Schließlich glauben wir, daß mit einem Biotopverbundsystem erreicht werden kann, die Zerschneidung von Lebensräumen für Tier- und Pflanzenarten zu beenden. Meine Damen und Herren, Nachhaltigkeit in allen Politikbereichen, Klimaschutz, Energiewende, Atomausstieg, aktiver Naturschutz - das sind die Herausforderungen für eine Politik, die auf Erneuerung durch ökologische und soziale Nachhaltigkeit setzt. Darauf kommt es an; das spiegelt sich in diesem Haushalt wider. Dafür bitte ich um Unterstützung. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Jochen Borchert, CDU/CSU-Fraktion.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Jahr nach der Bundestagswahl wird der zweite Haushalt der rotgrünen Bundesregierung eingebracht. Das ist eine gute Gelegenheit für die Bilanz ein Jahr rotgrüner Umweltpolitik. Ich denke, Herr Minister, auch Ihre Einbringungsrede hat gezeigt, daß die Bilanz mager ist. ({0}) Sie haben wieder viele Ankündigungen gemacht. Das habe ich auch nicht anders erwartet. Denn wenn die Bilanz positiv wäre, dann hätten Sie diese Bilanz sicher schon mit großem Presseaufwand in den letzten Wochen vorgelegt. Wir erinnern uns: Mit dem ersten Haushalt kam die Ankündigung, den Ausstieg aus der Kernenergie zu beBundesminister Jürgen Trittin ginnen, die Wiederaufbereitung zu beenden und die Endlagerung faktisch zu verbieten. Auch heute gibt es wieder Ankündigungen, was Sie machen wollen. Seit September 1998 ist aber ein Jahr nutzlos verstrichen. ({1}) Wenn Sie heute gesagt haben, es gebe keine Alternative zur Haushaltskonsolidierung, so stimme ich Ihnen zu. Man überlege sich aber einmal, wie die Aussagen noch bei der Einbringung des ersten Haushaltes waren. Damals ging es im Sinne der Kaufkrafttheorie um eine Ausweitung der Ausgaben, um mehr Kaufkraft und um mehr Konsumausgaben. Heute, ein Jahr später, reden Sie alle von der Konsolidierung. Wenn ich aber die letzten Jahre betrachte, dann stelle ich fest, daß die Ausgaben im Haushalt 1998 unterhalb derer im Haushalt 1994 liegen, während wir vom Haushalt 1998 zum Haushalt 2000 eine erhebliche Ausdehnung der Ausgaben haben. Das ist genau das Gegenteil von Haushaltskonsolidierung. Zur Energiepolitik. Bis heute ist es bei Ankündigungen geblieben. ({2}) Bis heute gibt es von der rotgrünen Koalition kein schlüssiges energiepolitisches Konzept. Bis heute ist nicht geklärt, wie der Ausstieg aus der Kernenergie erfolgen soll. ({3}) Planspiele und Spekulationen gibt es genug. Zuletzt war es ein vertrauliches Papier des Umweltministers. Es hat das Sommertheater um einen Akt verlängert. Danach sollen bis zum Ende dieser Legislaturperiode sechs Kernkraftwerke stillgelegt und die Laufzeit aller Meiler auf 25 Jahre begrenzt werden. Interessant sind die Reaktionen darauf - sowohl in der Regierungskoalition als auch bei den Energieunternehmen. Diese Reaktionen zeigen: Der Umweltminister und seine Vorschläge werden nicht mehr ernst genommen, weder von seinen Kabinettskollegen noch von Vertretern der betroffenen Wirtschaft und auch nicht von den eigenen Parteikollegen. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, daß an seiner Stelle der Wirtschaftsminister und für die Grünen der Außenminister mit den Vertretern der Energieunternehmen verhandelt. Der Kollege Simmert, ein junger Linker der grünen Fraktion, bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Sein“ - Trittins - „öffentlicher Konfrontationskurs wird keine Erfolge zeitigen.“ Damit wiederholt der Kollege Simmert das, was führende Grüne in ihren Thesen zur Erneuerung bündnisgrüner Umweltpolitik geschrieben haben. In diesen Thesen macht sich der geballte grüne Unmut über die Umweltpolitik Trittins Luft. Herr Bundesminister, in dieser Sache haben Ihre Kollegen recht. Sie haben keinen Erfolg und werden auch keinen haben. ({4}) Das liegt einerseits an Ihrem Konfrontationskurs, andererseits auch an der Konzeptionslosigkeit Ihrer Politik. Ideologie ist keine ausreichende Basis für eine langfristige und verantwortungsbewußte Energiepolitik. Es genügt eben nicht, wenn Sie auf Ihrer BMU-Homepage mitteilen, daß der Ausstieg aus der Kernenergie für die Grünen „identitätsstiftend“ und eine „Herzensangelegenheit“ sei. Sie haben bis heute nicht die Frage beantwortet, wie die Kernenergie ersetzt werden soll und wie Sie die damit verbundenen ökologischen Probleme lösen wollen. Helmut Schmidt hat doch recht, wenn er in der „Welt am Sonntag“ vom 29. August schreibt, … daß man heute noch nicht entscheiden kann, welches der Risiken größer ist, das Risiko, das zwangsläufig mit Nuklearkraftwerken verbunden ist, oder andererseits das Risiko der Erwärmung durch die Verbrennung von Kohlenwasserstoffen. ({5}) Ich möchte gern, Frau Kollegin, Helmut Schmidt weiter zitieren: Aber die Grünen wollen einfach die nuklearen Kraftwerke abschaffen, obwohl sie als Grüne doch eigentlich genauso über den Temperaturanstieg besorgt sein müßten. Da fehlt es an Logik im Gehirn von Herrn Trittin und Genossen. Dies ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Unlogisch ist aber nicht nur der Ausstieg aus der Kernenergie, sondern auch die Art und Weise, in der Sie diesem Ausstieg im Haushalt Rechnung tragen wollen. Gerade dann, wenn Zweifel an der Eignung von Gorleben als Endlager bestehen, sollte man diese durch verstärkte Erkundungen und mit dem Abschluß der Untersuchungen beseitigen, aber nicht mit der Unterbrechung der Erkundung. Herr Bundesminister, ich möchte als weiteres Beispiel Ihr Verhalten bei der Verabschiedung der EUAltautoverordnung nennen. Gegen Ihre Überzeugung und auf Weisung der Autoindustrie, vertreten durch den selbsternannten Automann Bundeskanzler Schröder, haben Sie als amtierender Ratspräsident die EUAltautoverordnung blockiert. Sie haben sich dadurch isoliert und wurden schließlich überstimmt. Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, der Kollege Metzger, hat nach Ihrer Niederlage in Brüssel erklärt, man könne „nicht ständig den Mund vollnehmen und dann am Boden kriechen“. ({6}) Weiter sagte der Kollege Metzger: Ich bin der Auffassung, wir würden einen Befreiungsschlag erleben, wenn Jürgen Trittin selber den Hut nähme. Ein Rücktritt würde den Grünen sofort ein bis zwei Prozentpunkte bringen. Nur, dies würde Ihnen in Sachsen auch nichts mehr helfen. Dort helfen auch zwei Prozentpunkte nicht mehr. Insofern ist es für das Wahlergebnis egal, Herr Kollege Koppelin, ob Trittin im Amt bleibt oder zurücktritt. ({7}) Die erfolglose Umweltpolitik wird mit dem Haushalt 2000 fortgesetzt. Der Haushalt des BMU sinkt im Jahr 2000 um 3,4 Prozent im Vergleich zum Haushalt 1999. Gemessen am Finanzplan sinkt der Haushalt um 7,4 Prozent. Für den Stammhaushalt beträgt die Sollkürzung 265,8 Millionen DM bis zum Jahr 2003. Da die Ausgaben im Verwaltungshaushalt weitgehend festliegen und in Teilbereichen weiter ansteigen, müssen die Kürzungen im Programmhaushalt erbracht werden. Betroffen sind davon schwerpunktmäßig die großen Fördertitel, die Pilotprojekte im In- und Ausland, Naturschutzprojekte und Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes. Das führt dazu, daß von den Gesamtmitteln immer weniger für den Umweltschutz, aber immer mehr für die Verwaltung benötigt wird. 1998 wurden vom Stammhaushalt noch 52,5 Prozent für den Programmhaushalt und nur 47,5 Prozent für den Verwaltungshaushalt eingesetzt. Zwei Jahre später, im Haushalt 2000, dreht sich das Verhältnis um: Der Programmhaushalt sinkt um 20,5 Millionen DM auf nur noch 47,9 Prozent, und der Verwaltungshaushalt steigt auf 52,1 Prozent. Immer mehr Verwaltung, aber immer weniger Mittel für den Umweltschutz. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Der Verwaltungshaushalt bleibt, und es findet immer weniger Umweltpolitik statt: Fehlanzeige bei der Energiesparverordnung, Fehlanzeige bei der Umsetzung der UVP-Richtlinie und der IVU-Richtlinie, Fehlanzeige bei den Energiekonsensgesprächen mit der Wirtschaft und Fehlanzeige bei den Energiekonsensgesprächen mit der Wirtschaft und Fehlanzeige bei einer echten ökologischen Steuerreform. Herr Bundesminister, von dieser Steuerreform geht keine Lenkungswirkung aus. Sie ist ein reines Modell, um mehr abzukassieren, um die Wirtschaft zu belasten, aber nicht, um umzusteuern. ({8}) Wenn die Grünen auf ihrer Klausurtagung in Weimar feststellen, daß die akuten Umweltprobleme wie die Luft- und Wasserverschmutzung zwar nicht gelöst, aber doch zurückgegangen seien, dann ist dies eine außerordentlich positive Bewertung der Umweltpolitik der CDU/CSU aus den vergangenen 16 Jahren. ({9}) - Natürlich, Sie wollen doch nicht behaupten, daß dies das Ergebnis Ihrer Politik seit zwölf Monaten ist. Sie haben in Ihrer Stellungnahme von Weimar deutlich die Erfolge unserer Umweltpolitik zum Ausdruck gebracht. Sie hätten wenigstens versuchen können, diese positive Politik weiter zu verbessern. Statt dessen haben Sie seit der Bundestagswahl ein Jahr nutzlos verstreichen lassen. Die Bilanz in der Umweltpolitik ist traurig und selbst für einen Grünen unentschuldbar. Vielen Dank. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPDFraktion spricht jetzt die Kollegin Ulrike Mehl.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Borchert, wenn Sie in den letzten 16 Jahren nicht so eine katastrophale Politik und insbesondere so eine katastrophale Finanzpolitik gemacht hätten, dann hätten wir jetzt diese Probleme nicht. ({0}) Wir müssen jetzt Ihre Suppe auslöffeln. Wenn Sie sich darüber beschweren, daß gespart wird, ist das wirklich der Gipfel der Frechheit. Auch ich würde lieber aus dem Füllhorn Politik machen. Aber wir müssen jetzt das machen, was Sie jahrelang nicht geschafft haben. Wenn Sie sich über eine zu schlaffe Ökosteuer beschweren, dann kann man doch nur laut lachen. Dazu fällt einem gar nichts mehr ein. ({1}) Frau Merkel hat vor ein paar Jahren einmal erwähnt, sie sei der Meinung, daß die Ökosteuer etwas Sinnvolles ist. Es hat keine fünf Minuten gedauert, bis diese Meldung kassiert wurde. ({2}) Und Sie erzählen uns, es handele sich um eine zu geringe und unwirksame Ökosteuer. Damit wird Ihre Glaubwürdigkeit wirklich auf den Kopf gestellt. ({3}) Sie haben uns einen riesigen Schuldenberg hinterlassen. Wir müssen jetzt den Haushalt auf ein Maß zurechtstutzen, so daß man Politik wieder gestalten kann. Das geht natürlich nur in kleinen Schritten. Wenn Sie schon nach einem Jahr Bilanz ziehen, dann schauen Sie sich doch einmal an, was Sie in den letzten 16 Jahren in der Umweltpolitik gemacht haben. Wenn Sie das getan haben, dann werden Sie vielleicht ein bißchen kleinlauter. ({4}) Im Umweltbereich ist es bei knappen Haushaltsmitteln besonders wichtig, vorausschauend zu denken und klug zu wirtschaften. Genau das spiegelt sich nicht nur im Haushalt des Bundesumweltministers wider; vielmehr muß es sich auch in allen anderen Haushalten widerspiegeln. Sie haben in den letzten Jahren diese Zahlen immer genannt und gesagt, die Bundesregierung gebe insgesamt über 8 Milliarden DM für umweltbezogene Projekte aus. Das stimmt, und es ist auch richtig, daß dieses Geld in allen Politikbereichen in die Hand genommen wird. Aber wir werden zukünftig genauer überprüfen, was daran wirklich umweltrelevant ist. Sie haben eben gesagt, auch im Zusammenhang mit dem Energiebereich gebe es nur Ankündigungen und es sei nichts umgesetzt worden. Das ist schlicht und ergreifend falsch. Anderenfalls könnten Sie sich mit uns auch gar nicht streiten. Wir haben den Einstieg in die ökologische Steuerreform geschafft, ({5}) und wir werden damit noch stärker als bisher die Lohnnebenkosten senken. Das haben Sie jahrelang nicht geschafft; Sie haben sogar das Gegenteil gemacht. Außerdem werden wir mit einem Förderpaket, das aus den Einnahmen aus der Besteuerung der regenerativen Energien gespeist wird, in diesen Bereich zurückinvestieren. Das heißt, bis einschließlich 2003 werden 200 Millionen DM zur Förderung erneuerbarer Energien zur Verfügung stehen. Dazu kommen noch jährlich 180 Millionen DM für das 100 000-DächerSolarstrom-Programm. Allein bei diesem Programm geht man davon aus, daß es Investitionen in Höhe von voraussichtlich 2,5 Milliarden DM auslöst. Das bedeutet nichts anderes, als daß wir mit diesem Programm und diesen Investitionen Arbeitsplätze sichern und neue schaffen. Hinzu kommen noch weitere 190 Millionen DM, die aus dem Wirtschaftsministerium für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Bereich rationeller Energieverwendung und erneuerbarer Energien bereitgestellt werden. Mit dieser Politik haben wir einen neuen, in die Zukunft gerichteten Weg eingeschlagen, auf dem wir Schritt für Schritt dem Ziel näher kommen wollen, daß der Schutz natürlicher Lebensgrundlagen und der schonende Umgang mit natürlichen Ressourcen nicht länger als Bremsklotz für die wirtschaftliche Entwicklung angesehen werden. Dazu haben Sie in der öffentlichen Diskussion beigetragen. ({6}) Wir wollen den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen zum Maßstab für eine zukunftsfähige, dauerhaft umweltverträgliche Wirtschaft machen und nutzen dies als Triebfeder für die ökologische Modernisierung. Selbst wenn man den Untersuchungen skeptisch gegenübersteht, die beispielsweise besagen, daß durch eine Verschärfung der Wärmeschutzverordnung bis zu 80 000 neue Arbeitsplätze im Baugewerbe entstehen werden oder durch eine breitangelegte Elektronikschrottverordnung 43 000 Menschen in neue Arbeitsverhältnisse kommen werden, wird doch wohl niemand hier im Hause der Meinung sein, daß die ökologische Modernisierung keine Arbeitsplätze schafft. Das sind die Arbeitsplätze der Zukunft, für die politisch die Weichen gestellt werden müssen. Das tun wir bereits, und das werden wir auch weiterhin tun. ({7}) Außerdem haben wir trotz allem Druck zum Sparen die Fördermittel für die Umwelt- und Naturschutzverbände auf dem Niveau von 1999 gehalten, das von uns bereits um 23 Prozent erhöht worden war. Damit können die Umweltverbände recht zufrieden sein. Wir alle wissen, daß die Umweltverbände eigentlich nicht bezahlbare Arbeit, unschätzbare Dienste im Sinne der Umwelt leisten. ({8}) Sie sind Multiplikatoren in der Umweltaufklärung und Anwälte für die Natur. Das wollen wir auch weiterhin unterstützen. Auch der Ansatz für die Ressortforschung im Naturschutzbereich konnte auf dem vorher schon um 19,1 Prozent erhöhten Niveau gehalten werden, und das trotz der großen Anstrengungen, die hier beim Sparen an den Tag gelegt werden mußten. Die Mittel für die Naturschutzgroßvorhaben liegen immer noch über der tatsächlich gezahlten Fördersumme der letzten Jahre. Dies ist gleichwohl ein für mich, die ich mich in diesem Bereich besonders engagiert habe, schmerzhafter Bereich; aber wir müssen nun einmal in einer solchen Situation auch an Bereiche herangehen, bei denen man es am liebsten gar nicht täte. Da gibt es auch beim Naturschutz keine Ausnahme. Aber wir sind, wie gesagt, auch jetzt noch auf einem Niveau, zu dem Sie sich in Ihren Haushalten gerade mühevoll hochgerungen hatten. Trotz der angespannten Haushaltslage werden 3 Millionen DM als Umweltberatungshilfe für die Staaten in Mittel- und Osteuropa bereitgestellt. Das ist eine besonders wichtige Neuerung in diesem Haushalt; denn bisher wurde Umweltberatung nur im Rahmen der Wirtschaftsförderung und dort auch nur in relativ geringem Umfang unterstützt. Deshalb ist es für uns sehr wichtig, daß wir jetzt aus dem Umwelthaushalt diese Arbeit der Umweltberatung mit 3 Millionen DM unterstützen. Das dient erstens einer großen Umweltentlastung, zweitens dem Transport unserer Umweltstandards in diese Länder und drittens der Schaffung neuer Arbeitsplätze dort, weil wir auf diesem Wege Umwelttechnologie exportieren können. Das ist eine Investition in die Zukunft im doppelten Sinne. ({9}) Im Amsterdam-Vertrag haben sich alle EUMitgliedstaaten verpflichtet, Umweltpolitik in alle Fachbereiche zu integrieren. Das ist schon lange überfällig und bisher nur unzureichend umgesetzt worden. Deshalb brauchen wir dringend - das mahnen wir schon seit vielen Jahren an - eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie, wie sie in manchen anderen europäischen Ländern, wenn auch in unterschiedlicher Form, längst existiert. Deutschland ist da weit zurück. Wir werden dieses Projekt angehen. Die Nachhaltigkeitsstrategie muß zum Beispiel für die Reduktion von CO2, Stickstoff- und Schwefelemission, für die verbesserte Wärmedämmung im Gebäudebereich, für die Verminderung der Lärmbelästigung, was gerade in diesem Jahr wieder ein sehr wichtiges Thema geworden ist, für die Verringerung des Flächenverbrauchs oder für eine umweltfreundliche Mobilität verbindliche Ziele und Umsetzungszeiträume festlegen. Gleichzeitig muß über den angestrebten Rat für Nachhaltigkeit eine Diskussion mit allen gesellschaftlichen Akteuren geführt werden, um eine sinnvolle Lastenverteilung für diesen Nachhaltigkeitsprozeß und in der Gesellschaft eine breite Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen zu erreichen. Wir streben außerdem an, daß die öffentliche Verwaltung selbst mit gutem Beispiel vorangeht, und werden uns deshalb darum kümmern, daß gezieltes Umweltmanagement und Umweltcontrolling nun endlich in der öffentlichen Verwaltung verankert werden. Allein dadurch können nach einer Studie des Umweltbundesamtes der Energie- und der Wasserverbrauch erheblich gesenkt werden, und umweltfreundliche Verkehrsmittel können weiter gefördert werden. Im gleichen Zuge würde das Umweltbewußtsein in den Behörden geschärft. Das ist ein Ziel, das wir dringend anstreben sollten. Insgesamt können damit nach Berechnung des Umweltbundesamtes Einsparpotentiale von 9 Milliarden DM erschlossen werden. Das heißt, Umweltschutz ist kein Luxus, den man sich leistet oder nicht, sondern ein Gebot vernünftiger Haushaltspolitik. ({10}) Die ökologische Modernisierung unserer Gesellschaft wird durch die enormen Einsparpotentiale für die öffentlichen Haushalte, durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze, durch gezielte Investitions- und Förderungsprogramme sowie durch einen anspruchsvollen, EU-weit harmonisierten und für die Unternehmen kalkulierbaren Umweltgesetzgebungsrahmen zu einem der wichtigsten Eckpfeiler der Haushaltskonsolidierung. Deshalb müssen wir die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft konsequent weiterführen. Wir werden das tun. Vielen Dank. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt die Kollegin Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Mehl, gleich zu Beginn zu dem, was Sie zum Schluß gesagt haben, nämlich daß Umweltschutz Aufgabe vernünftiger Haushaltspolitik sei. Wenn Sie sich nur auf dieses bißchen Haushalt verlassen, ({0}) dann werden Sie es in der Umweltpolitik nicht weit bringen. ({1}) Das haben wir in der Vergangenheit immer wieder diskutiert, daß ein guter Teil dessen, was für die Umwelt getan wird, außerhalb des Haushalts stattfindet. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch mit dem Haushalt die Möglichkeit, Akzente zu setzen. Da haben wir von den Grünen außer vollmundigen Erklärungen im ersten Jahr der rotgrünen Amtszeit nicht viel gehört und gesehen. Außer daß das Ideologiethema „Ausstieg aus der Kernenergie“ und das Thema sogenannte Ökosteuer aufgegriffen wurden, läuft eigentlich nichts. Von eigenen Akzenten ist im Stammhaushalt des BMU weit und breit nichts zu sehen; im Gegenteil, er wird auch noch mehr als durchschnittlich abgesenkt. ({2}) - Ich habe sehr wohl zugehört, vor allen Dingen habe ich aber den Haushalt gelesen, Frau Kollegin. Da steht so etwas drin. ({3}) Die Zahlen sprechen also eine andere Sprache als das, was hier jetzt gerade vorgetragen wurde. Das gilt auch für den Bereich Naturschutz. Bedauerlich sind vor allem die Kürzungen im Programmhaushalt, insbesondere bei Umweltschutzpilotprojekten im In- und Ausland, bei den Naturschutzgroßprojekten sowie bei Erprobungsund Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiete des Naturschutzes, um insgesamt 14,6 Millionen DM. An den Stellen, an denen Sie noch ein paar Akzente im Haushalt setzen könnten, haben Sie den Haushaltsansatz gekürzt. Aber auch das reden Sie hier jetzt noch schön. ({4}) Der amtierende Bundesumweltminister konzentriert seine Tatkraft und seinen Einfallsreichtum ja mehr auf den Ausstieg aus der Atomenergie. Das, was im Haushaltsplan schlicht als Änderung des Endlagerkonzeptes bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit eine Vernichtung von Vermögenswerten in großem Stil. ({5}) In die Endlagerprojekte Schacht Konrad und Gorleben sind in den vergangenen Jahren nämlich Milliardenbeträge investiert worden. ({6}) Das Projekt Konrad ist so gut wie fertig und zur Aufnahme schwachradioaktiver Abfälle sicher geeignet. Das andere - Gorleben - befindet sich in einer fortgeschrittenen Phase der Erkundung und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Aufnahme starkradioaktiver Abfälle geeignet. ({7}) Jetzt hat der Minister den Abbruch der Arbeiten an den Projekten Konrad und Gorleben verfügt und die Erkundung weiterer Standorte zur Endlagerung radioaktiver Abfälle als Titel in den Haushalt aufgenommen. Es sollen also Erkundigungen über weitere Standorte eingeholt werden. Der Titelansatz in Höhe von 5 Millionen DM ist für diese Aufgabe recht kläglich; viel mehr als die Kosten für einen neu einberufenen Arbeitskreis, die Literaturrecherche und vielleicht einen Zaun um ein noch imaginäres Gelände werden damit nicht zu finanzieren sein. ({8}) Daneben laufen die Kosten für die ausgesetzten Projekte Konrad und Gorleben unter der Bezeichnung „Offenhaltungskosten“ munter weiter: Im Jahr 2000 sind allein 48 Millionen DM für Konrad und 49 Millionen DM für Gorleben vorgesehen. Weitere Kosten zur Unterhaltung und Wartung der beiden Bergwerke werden also noch die nächsten 20 Jahre auf uns zukommen. So lange wird es nämlich wohl dauern, bis Alternativen erkundet sind. Bis dahin gibt es auch kein Entsorgungskonzept, von dem Sie immer so gerne reden. Sie, Herr Minister - das scheint ihn gar nicht zu interessieren -, haben vorhin gesagt, es gebe auch weniger schmerzhafte Einschnitte, beispielsweise bei der Kürzung im Endlagerbereich. Daraus schließe ich, daß Sie sich Ihren Haushalt noch gar nicht richtig angeschaut haben, weil sich dort nämlich eine bemerkenswerte Besonderheit befindet: Für die Projekttitel Schacht Konrad und Gorleben ist eine gesetzlich geregelte Refinanzierung vorgesehen; sämtliche Projektkosten werden durch die zukünftigen Benutzer der Endlager wieder hereinkommen, indem die EVUs sie auf Heller und Pfennig im nächsten Jahr an die Staatskasse zurückzahlen. ({9}) Das heißt also, daß Sie, wenn Sie im Haushalt des BMU die Titelansätze für die Projekte Konrad und Gorleben aufstocken oder absenken, nicht über Steuermittel, sondern eigentlich über Gelder der EVUs und damit letztlich der Stromkunden verfügen. Das erkennt man natürlich nur, wenn man sich den Haushaltsplan genau anschaut. Im Sinne der gewünschten Wahrheit und Klarheit sollte die Darstellung dieses Sachverhaltes im Haushaltsplan verbessert werden. Sie betreiben ja eine Politik, Herr Minister - meine Ausführungen scheinen ihn überhaupt nicht zu interessieren -

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, wie beurteilen Sie das Verhalten des Umweltministers, der hier erst seine Rede herunterleiert und anschließend bei der Debatte nicht zuhört?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist Ausdruck der üblichen Amtsauffassung des Ministers, Herr Kollege. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Homburger, die Frau Kollegin Lemke hat auch noch eine Zwischenfrage.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Homburger, ich möchte Sie fragen, ob Sie aus Ihrem parlamentarischen Verständnis heraus der Meinung sind, daß alle Kollegen, die einer Debatte nicht immer aufmerksam folgen, also auch Mitglieder der CDU/CSUoder der F.D.P.-Bundestagsfraktion, in Zukunft zu höherer Aufmerksamkeit verpflichtet werden sollten. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, die Bemerkung bezog sich auf die gesamte Amtsauffassung einer Person. Wenn die Amtsauffassung in Ordnung wäre, könnte man auch einmal hinnehmen, wenn zwischendurch mit den Kollegen geredet wird. Wenn aber die Aufmerksamkeit für das eigene Thema permanent nicht vorhanden ist, halte ich das für einen großen Unterschied. ({0}) So, jetzt möchte ich aber weitermachen: Man versucht hier eine Politik der Nadelstiche. Man will die Entsorgungswege verstopfen und die Fertigstellung und Inbetriebnahme von Endlagern verhindern. Allein die Verantwortung der Vorsitzenden der EVUs gegenüber ihren Aktionären muß schon dazu führen, daß die Rechtmäßigkeit der Zahlungen daraufhin einmal gerichtlich überprüft werden muß oder auch wird. Vorsorglich haben Sie in Ihrem Haushalt beim Projekt Konrad schon einmal 5 Millionen DM für Verwaltungsstreitverfahren vorgesehen. Ich finde das sehr bezeichnend. Außerhalb des Haushalts spielt inhaltlich nur noch die sogenannte Ökosteuer eine Rolle. Damit wird im Rahmen des neuen Entwurfs der Mißbrauch des Ökoetiketts für Steuererhöhung unter Ihrem Beifall, Herr Umweltminister, fortgesetzt. Die ökologischen Verwerfungen innerhalb des Gesetzes werden sogar noch weiter verschärft. Alle anderen umweltpolitischen Fragen leiden nach wie vor an der Ignoranz des Umweltministers. Sie haben sich vorher mit dem schnellen Einstieg in den schwefelfreien und schwefelarmen Kraftstoff gebrüstet. Ich möchte doch gerne einmal wissen: Warum haben Sie eigentlich nicht dafür gesorgt, daß der Antrag des Landes Baden-Württemberg auf Steuerspreizung im Bundesrat angenommen wird, wenn Ihnen so sehr viel daran liegt? Das hätte die Sache noch viel schneller vorwärtsgebracht. ({1}) Aber da kommt natürlich nichts. Das Umweltgesetzbuch haben Sie gerade erfolgreich im Kabinett an die Wand gefahren. Bei der Nachhaltigkeitsstrategie muß Sie der Umweltausschuß zum Jagen tragen. Der Beschluß ist nämlich, Frau Kollegin Mehl, dankenswerterweise von allen Fraktionen mitgetragen worden; das finde ich auch gut. ({2}) Im Abfallbereich haben Sie es, Herr Minister, über eine erzwungene, magere Stichpunkteerklärung im Umweltausschuß und einen peinlichen Auftritt bei der Altautoverordnung nicht hinausgebracht. Von Vorbereitungen auf zukünftige internationale Verhandlungsrunden zum Beispiel zum Klimaschutz hört man nichts. ({3}) Also, wenn es nach den Thesen zur Erneuerung bündnisgrüner Umweltpolitik, die im Sommerloch so ihre Runde gemacht haben, noch eines weiteren Beweises bedarf, dann zeigt der heute hier eingebrachte Umwelthaushalt, daß Sie bisher auf der gesamten Linie gescheitert sind. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Umwelthaushalt ist in den letzten zwei Jahren einiges in Bewegung geraten. Eine neue Regierung setzt andere Prioritäten; das ist nicht überraschend. Überraschend aber ist, daß ein grüner Umweltminister dazu gebracht wird, dem Sparkurs seiner CDU-Vorgängerin noch eins draufzusetzen. ({0}) Wer hätte sich das am Wahlabend gedacht? Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Etat des Umweltministeriums liegt auch unter dem der Koalition, weil im letzten Jahr im Endlagerbereich gestrichen wurde, was ja nur wünschenswert ist. Der Haushalt für das Jahr 2000 jedoch setzt den Rotstift anstatt im Atomhaushalt im Stammetat an - Frau Homburger hat dazu schon gesprochen -, in den Bereichen also, die die Aufgaben des Bundes in den klassischen Bereichen des Umweltschutzes berühren. Daran glauben müssen vor allem die Umweltschutzpilotprojekte Inland und Ausland, die Naturschutzgroßprojekte und die Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes. Da auch das BMU sein Scherflein zum Sparpaket beitragen soll und die Mittel für den Endlagerbereich wieder um 6,7 Prozent erhöht werden, weil der Atomausstieg doch nicht so ganz ernst gemeint war, soll hier kräftig gestrichen werden. Insbesondere der Titel, der die Investitionen zur Verminderung der Umweltbelastungen enthält, ist seit Jahren der große Verlierer. Er wird im Haushalt 2000 um 6,5 Millionen DM - das sind 14 Prozent - reduziert. Dabei ist zu beachten, daß dieser Titel seit 1993 - das trifft jetzt die anderen - von damals 181 Millionen DM auf jetzt 40 Millionen DM zusammengeschmolzen wurde, also insgesamt um 88 Prozent. Mit seinen 1,088 Milliarden DM beträgt der Haushalt des BMU-Geschäftsbereiches nur 0,23 Prozent des Bundesetats. Obwohl es kein Investitionshaushalt ist, spricht diese lächerliche Summe für sich. Es sind noch weitere Kürzungen geplant. Bis zum Jahre 2003 sollen insgesamt 445 Millionen DM eingespart werden. Mit dieser Summe könnte, so meine ich, fast der halbe Umweltetat eines Jahres finanziert werden. Es wird üblicherweise immer gleich nachgeschoben, in den anderen Haushalten sind ja auch noch massenhaft Umweltausgaben versteckt. Sieht man dann genauer hin, dann stellt sich heraus, daß im kommenden Jahr, nimmt man die Zahlen des Finanzberichts, auch die Gesamtausgaben des Bundes für den Umweltschutz um 5,5 Prozent sinken sollen - und das unter einem grünen Umweltminister. Doch daß die Bundesregierung dem dringend notwendigen Übergang zu einer nachhaltig umweltverträglichen Wirtschaftsweise einen Impuls geben wird, ist das sieht man auch am Haushalt - inzwischen ein Treppenwitz. Sicher, es gibt einige kleine Bonbons für die Umweltbewegung. Dazu zählen das 200-MillionenProgramm für die Förderung der erneuerbaren Energien und das 100 000-Dächer-Programm der Bundesregierung. Aber wir hätten uns eben mehr gewünscht. ({1}) - Das ist immer so. Doch nicht nur die Blockade bei der Altautoverordnung oder beim Atomausstieg sind Belege dafür, wohin der Wind eigentlich weht. Der Umgang mit der Altautoverordnung wurde auch von Herrn Borchert kritisiert. Nur, da muß ich Ihnen sagen: Sie hätten vor Jahren die Möglichkeit gehabt, das umzusetzen. Ich habe es auch schon im Umweltausschuß gesagt: Sie sind genauso vor der Autolobby eingeknickt wie jetzt die rotgrüne Regierung. Beschweren Sie sich also nicht. Auch der verwerfliche Mißbrauch der Idee einer Ökosteuerreform, die in diesem Rahmen betriebene totale Diskreditierung des Umweltschutzgedankens zu einer Umverteilungsmaschine von unten nach oben, macht den Wirtschaftsschmusekurs dieser Regierung deutlich. Den Umweltverbrauch verteuern, ohne untere Einkommen zusätzlich zu belasten, wäre das mindeste, was man erwarten könnte. Aber das Gegenteil ist der Fall. Rechnet man die zu erwartenden Energiesteuern im Jahre 2003 gegen die Entlastung durch die Senkung der Rentenbeiträge, dann gehen Familien mit mehr als drei Personen mit dieser Ökosteuerreform im Nettoeffekt nicht nur leer aus, nein, sie zahlen noch kräftig drauf, und zwar um so mehr, je weniger sie verdienen. Eine dreiköpfige Familie müßte ein sozialversicherungspflichtiges Einkommen von monatlich mindestens 8 000 DM beziehen, um in den Genuß einer Nettoentlastung zu kommen. Haushalte mit einem Bruttoeinkommen von weniger als 4 000 DM sind allesamt Verlierer dieser sogenannten Ökosteuerreform. Transferbezieherinnen und -bezieher, Rentner sowie Studenten und Studentinnen haben eine zusätzliche Mehrbelastung zu tragen. Sie können überhaupt nicht an der Senkung der Rentenbeiträge partizipieren. Das ist für uns eine Umverteilung von unten nach oben. Ich bestreite nicht, daß normale Haushalte Energie einsparen sollten. Was aber ist mit der Industrie? Die bezahlen doch nicht mehr als 1 000 DM Steuern. Da gibt es natürlich ein Volumen, das umverteilt wird. Das ist inzwischen berechnet. Sie sollten nicht immer leugnen, daß es hier eine Umverteilung von unten nach oben gibt. ({2}) Ich meine, darüber muß man diskutieren. Dazu gehört auch, daß durch eine Senkung der Lohnkosten, die über diese Ökosteuer erreicht wird, Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Es gibt keinen Beweis dafür, daß dadurch auch nur ein Arbeitsplatz geschaffen wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich meine, daß der ökologische Umbau nur dann gelingen kann, wenn man das gesamte Geld aus der Ökosteuer in den ökologischen Umbau steckt. Hierdurch kann man auch Arbeitsplätze schaffen, auf andere Weise hingegen nicht. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Winfried Hermann, Sie haben für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Ökologinnen! Liebe Ökologen! Ich habe leider zu wenig Zeit, um all die Punkte, die Sie angesprochen haben, ordentlich zu beantworten. Das bitte ich mir nachzusehen. Ich kann nur einiges beispielhaft herauspicken. ({0}) Erster Punkt. Sie werfen uns vor, daß wir im Bereich des Umwelthaushalts sparen. Ich muß Ihnen sagen: Wenn alle Ökologen über Jahre sagen, Sparen sei ein urökologisches Prinzip, und wir immer wieder gemeinsam formuliert haben, daß wir nur dann, wenn wir sparen, zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik kommen, dann kann man nicht, wenn es um Haushaltspolitik geht, plötzlich sagen: Alle sollen sparen, aber wir nicht. Das halten Sie nicht durch. Das findet auch keinen Niederschlag in einer wirklich konsequenten nachhaltigen Finanzpolitik. ({1}) Insofern ist nicht die Frage wichtig, ob man sparen soll oder nicht. Wichtig sind vielmehr die Fragen, wie man sparen kann und ob wir die richtigen Akzente setzen. Wir haben in diesem Haushalt trotz aller Kürzungen versucht, in manchen Bereichen unsere Akzente zu setzen, zum Beispiel bei den Umweltschutzverbänden und bei der Beratung der osteuropäischen Länder hin zu mehr Ökologie. Wir haben aber auch in Bereichen gespart, angesichts derer man auf den ersten Blick fragen muß: Können wir das überhaupt tun? Das betraf zum Beispiel die Naturschutzgroßprojekte. Aber wenn man die Sache genauer anschaut, stellt man fest, daß es nicht der Bund ist, der im Moment zu wenig Geld ausgibt, sondern daß zum Teil die Länder und die freien Träger nicht in der Lage sind, gegenzufinanzieren. ({2}) Wir haben uns an den Istwerten orientiert und haben Kürzungen vorgenommen. Das ist in diesem Bereich faktisch gesehen keine Sparpolitik. ({3}) Sie werfen uns vor, daß wir aus der Atomenergie aussteigen wollen, und sagen, wir würden damit Kapital vernichten. Die schlimmste Form der Kapitalvernichtung aber sind Atomkraftwerke bzw. ist die Atomtechnologie. ({4}) - Die Form der Entsorgung, so wie sie von Ihnen angelegt worden ist, ist - ich hätte beinahe gesagt: ein arschteurer - ein verdammt teurer Irrweg. Mit dem, was Sie im Schacht Konrad bzw. in Gorleben organisiert haben, haben Sie viele Milliarden DM sozusagen unter Grund gesetzt. ({5}) Damit kommen Sie nicht weiter. Wir dagegen haben gesagt: Wir machen damit nicht weiter; wir sparen an dieser Stelle; das können wir ändern. Denn wir brauchen einen neuen Entsorgungsweg, ein neues Gesamtkonzept. Dem haben Sie sich bisher verschlossen. ({6}) Herr Borchert, zugegeben, wir können Ihnen heute kein Ausstiegskonzept präsentieren. Wenn ich aber Ihre Aufforderung und Ihre Kritik richtig verstehe, dann wollen Sie uns bei dessen Formulierung helfen. Ich sehe Licht am Horizont, wenn uns die CDU/CSU bei der Erstellung unseres Ausstiegskonzeptes helfen will, indem sie anmahnt, daß wir das nicht schaffen. ({7}) Nächster Punkt. Auch hier sagt Kollege Borchert, was wir alles nicht geschafft haben. Es ist wahr, daß wir innerhalb eines Jahres noch nicht so viel geschafft haben, wie wir es uns erhofft hätten. ({8}) - Wir haben einiges erreicht. Ich will nicht das, was schon von vielen gesagt worden ist, wie eine Leier wiederholen. - Es ist schon ziemlich dreist, sich hier hinzustellen und zu kritisieren, wir hätten die UVP-Richtlinie nicht umgesetzt. Dazu hatten Sie viele Jahre vorher Zeit. Das gleiche gilt für die IVU-Richtlinie. Sie haben die Umsetzung all dessen verstreichen lassen. Sie haben in der letzten Woche vom Europäischen Gerichtshof die Quittung dafür bekommen, daß Sie das Umweltinformationsgesetz nicht richtig umgesetzt haben. Das sind die Altlasten, mit denen wir zu tun haben. Hätten wir nicht so viele Altlasten, würden wir schneller nach vorne kommen. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Homburger?

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein; denn ich möchte meinen Gedanken weiter ausführen. Danach kann die Kollegin Homburger gerne zu Wort kommen, falls das dann noch angebracht ist. Sie haben angemahnt, daß wir nicht genügend Einzelerfolge haben, daß wir nicht genügend Ausgaben machen. Auf der anderen Seite haben Sie gesagt: Wir überlegen uns eine neue Strategie. Natürlich ist es angebracht, Ende der 90er Jahre über neue Strategien in der Umweltpolitik nachzudenken. Es kann doch nicht wahr sein, daß die Ausgaben bei Einzelposten des Umwelthaushaltes Maßgabe für den Erfolg von Umweltpolitik sind. ({0}) Es kann doch nicht wahr sein, daß nur der Umwelthaushalt kritisch betrachtet wird. Es ist doch längst bekannt, daß die Umweltpolitik eine Querschnittsaufgabe ist und daß wir heute an einem Punkt stehen, an dem wir über Strategien nachdenken müssen. ({1}) Das haben Sie übrigens eingesehen. Sie haben doch gemeinsam mit uns im Umweltausschuß die Strategie einer nachhaltigen Entwicklung beschlossen. Denn auch Sie haben erkannt: Der eigentliche Punkt ist, daß es nichts nützt, Einzelmaßnahmen in diesem oder in jenem Feld vorzunehmen. Vielmehr kommt es darauf an, diese Dinge miteinander zu verknüpfen, daraus also ein Gesamtkonzept zu erstellen, und zwar mit Zielvorgaben, mit der Überlegung, welche Methode am schnellsten zu einem Erfolg führt, und mit Konzepten in anderen Bereichen. Jetzt geht es um den Umweltetat. Aber ich sage Ihnen ganz offen: Für mich bzw. für uns stellt der Wechsel im Infrastrukturministerium die Herausforderung dar, daß mit der Person des neuen Ministers das Infrastrukturministerium ein Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsministerium wird. Die Bundesverkehrswegeplanung muß zu einer Nachhaltigkeitskonzeption werden. ({2}) - Herr Kollege Paziorek, ich habe Sie leider nicht verstanden. Sie können aber gerne eine Zwischenfrage stellen. ({3}) - Jetzt dürfen auch Sie.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist leider vorbei. Das hätten Sie sich eher überlegen müssen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das tut mir leid. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hermann, das, was Sie vorhin eigentlich nicht sagen wollten, habe ich besser nicht gehört; denn sonst müßte ich Sie jetzt rügen. Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Peter Paziorek von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Unzufriedenheit über die Umweltpolitik der Regierung ist unübersehbar. ({0}) Mit dieser Aussage beginnt ein Thesenpapier von Umweltpolitikern der Bündnisgrünen zur Krise der Umweltpolitik unter der rotgrünen Bundesregierung. Sie steht - das kann man unschwer feststellen - in scharfem Gegensatz zu der geschönten Bilanz, die der Bundesumweltminister in seiner Einbringungsrede gerade vorgetragen hat. Herr Minister: Da, wo bündnisgrüne ParlamentaWinfried Hermann rier recht haben, da haben sie recht. Diese Aussage aus dem Papier von Herrn Loske stimmt voll und ganz. ({1}) Weiter heißt es in diesem Papier - ich möchte, mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, daraus zitieren -: Es mangelt nicht an der Formulierung von Zielen im Gegenteil kann die Umweltpolitik bei den meisten Anliegen auf starke Unterstützung in der Bevölkerung und auch bei den Medien rechnen. Was offenkundig mißlingt, ist die öffentliche Gestaltung einer Politik, die diese Unterstützung für ihre Reformen auch tatsächlich mobilisiert. Man kann das auch anders formulieren: Tatsache ist, daß eine Umweltpolitik der Bundesregierung in weiten Bereichen überhaupt nicht stattfindet - und da, wo sie stattfindet, stößt sie auf breite Ablehnung in der Bevölkerung. Das ist nicht die Folge einer mangelhaften Darstellung in den Medien. Die rotgrüne Bundesregierung stößt mit ihrer Umweltpolitik auf Ablehnung, weil die ausführliche Darstellung ihrer Politik von der Öffentlichkeit verstanden wird und weil deutlich wird, daß in dieser Politik völlig falsche Akzente gesetzt werden. ({2}) Als ich die Rede von Herrn Hermann hörte, mußte ich feststellen, daß er die Argumente vorgetragen hat, die wir über acht Jahre hinweg gegen die Kollegen vorgetragen haben, Herr Hermann, die vorher Oppositionspolitik betrieben haben. Es ist erstaunlich, daß Sie auf einmal unsere Argumente aus der Regierungszeit übernommen haben. ({3}) Rotgrün hat immer versucht, mit Umweltpolitik Oppositionspolitik zu betreiben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie stark der rhetorische Aufwand bei Attakken gegen Bundesumweltminister Töpfer und gegen Bundesumweltministerin Merkel war. Sie haben sich bei Ihrer Koalitionsabsprache ehrgeizige Ziele gesetzt. Das Entscheidende aber ist doch: Wie sieht die Bilanz aus? Nach gut einem Jahr rotgrüner Umweltpolitik fällt diese Bilanz erschreckend schwach aus. ({4}) Von den vollmundigen Absichtserklärungen Ihrer Umweltpolitik ist in der täglichen Arbeit nichts, aber wirklich gar nichts übriggeblieben. Man wäre ja schon froh, wenn Sie, Herr Trittin, zumindest ein Ankündigungsminister wären; dann könnte man in diesem Hause wenigstens über Konzeptionen streiten. Aber auch auf diesem Gebiet leisten Sie nichts, rein gar nichts. ({5}) Die Regierung Schröder zehrt auch im täglichen Vollzug der Umweltpolitik von den Ergebnissen der erfolgreichen und fortschrittlichen Umweltpolitik ihrer Vorgängerregierung. ({6}) Die Organisation Greenpeace hatte recht, als sie im Mai dieses Jahres folgendes vernichtende Urteil über die Umweltpolitik der Bundesregierung mit der knappen Formulierung gefällt hat: Die rotgrüne Bilanz in der Umweltpolitik ist ein einziges Debakel. ({7}) Die Politik des Bundesumweltministers beschränkt sich auf den ideologiegeprägten Wunsch, möglichst schnell möglichst viele Kernkraftwerke abzuschalten. Darüber hinaus ist er auch noch bereit, für eine Steuererhöhungspolitik einzutreten, die fälschlicherweise mit dem Siegel der Ökosteuer belegt ist. Für die übrigen 90 Prozent der Themen der deutschen Umweltpolitik scheint sich dieser Minister dagegen überhaupt nicht zu interessieren. ({8}) Umweltpolitik fand in den vergangenen Monaten mit Ausnahme der beiden Themenbereiche überhaupt nicht statt. Das ist der wirkliche Befund zur augenblicklichen Umweltpolitik dieser Bundesregierung. Klimaschutzpolitik - bislang international respektierter und anerkannter Vorzeigepunkt deutscher Politik - ist vollständig ins Abseits geraten, ({9}) so auch deutsche Initiativen, Frau Ganseforth, die Sie früher bekämpft haben. Ich hätte mir Ihren Einsatz in den vergangenen Wochen viel stärker vorgestellt, nämlich als deutlich wurde, daß im Bereich der Klimaschutzpolitik von Schubkraft und Durchbruch überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. Ich kann mir noch vorstellen, wie es dem Minister gegangen ist, als er in Buenos Aires zunächst die mageren Ergebnisse zu einem großen Erfolg hochjubeln wollte. Als aber dann all die kritischen Experten, die vorher die Bundesregierung kritisiert hatten, mit einem „Expertenspott“ über die Äußerungen des Ministers hergefallen sind, hat er sich ganz schnell bequemt - das war das einzig Kreative -, die schlechten Ergebnisse von Buenos Aires nicht mehr hochzureden. Konsequenzen für die Umweltpolitik auf internationaler Ebene sind aber daraus von Bundesumweltminister Trittin überhaupt nicht gezogen worden. Von einer Weiterentwicklung nach innen in der Klimaschutzpolitik ist doch gar nichts zu spüren. Meine Damen und Herren, es gibt zur Zeit keine neuen Initiativen über die von Töpfer und Merkel eingeleiteten Reduktionsmaßnahmen hinaus. Man muß sogar sagen, daß die bereits eingeleiteten Maßnahmen nur zögerlich und unlustig fortgeführt werden, wie zum Beispiel die Energieeinsparverordnung. Sie haben immer erklärt: Die kommt sofort, wenn wir drankommen. ({10}) Wir warten darauf. Es wird angekündigt, und man stellt fest: Nichts von den ganzen großen Versprechungen, die Sie gemacht haben, wird eingehalten. ({11}) Das ist das große Problem. Sie haben nämlich in der Umweltpolitik eine Glaubwürdigkeitslücke. Noch vor einem Jahr wurden die Klimaschutzziele der Regierung Kohl als mangelhaft, der globalen Katastrophe nicht angemessen, ({12}) der Rolle des industriestarken Deutschlands nicht gerecht werdend angegriffen. Unter Führung des grünen Umweltministers Trittin ist aber nirgendwo zu erkennen, auf welchem Gebiet und zu welchen Punkten neue Schwerpunkte in der internationalen Umweltpolitik gesetzt werden. Und was noch viel schlimmer ist: Von all dem, was unter den Vorgängerregierungen auf den Weg gebracht worden ist, wird heute nichts mehr realisiert. Das allseits anerkannte internationale Profil der deutschen Umweltpolitik ist schon nach wenigen Monaten rotgrüner Politik bis zur Unkenntlichkeit verblaßt. Das ist das traurige Ergebnis der Umweltpolitik dieser Bundesregierung. ({13}) Naturschutzpolitik - verschoben auf eine nicht näher festgelegte Zukunft. Zur Umsetzung europäischer Richtlinien können Sie noch so viel erzählen, Herr Hermann, aber mein Befund ist richtig: Bei der IVURichtlinie und der UVP-Richtlinie gibt es keinen Schritt über die Vorarbeiten der Vorgängerregierung hinaus. ({14}) Das ist das Entscheidende. Zeit wird verspielt, Ideen werden nicht entwickelt, Lösungen nicht gefunden. Und die Zeit verrinnt. Das Umweltministerium hat eine Querschnitts- und Programmfunktion wahrzunehmen. Leider werden Sie, Herr Minister, dieser Aufgabenstellung überhaupt nicht gerecht. Das alles ist traurig, aber durchaus nachvollziehbar; denn diese Regierung hat sich in ihrer Umweltpolitik so auf das Thema Kernenergieausstieg festgelegt, daß für eine sachliche Arbeit auf den übrigen Feldern der Umweltpolitik keine Zeit verbleibt. Natürlich versucht die Regierung, über diese Fehlentwicklungen öffentlichkeitswirksam hinwegzukommen. Aber das wird ihr auf Dauer nicht gelingen. Da gibt es ein sogenanntes Strategiepapier zur Sommersmog-Verordnung. Wer sich mit diesem Thema befaßt, kann feststellen, daß es sich dabei nur um das Aufwärmen alter, untauglicher Kamellen handelt - vom überzogenen Tempolimit bis zum undifferenzierten Fahrverbot. ({15}) Von Wissenschaftlern ist das schon mehrfach widerlegt worden. Dennoch kann man immer wieder feststellen: Sie wollen auf diese Argumente der Wissenschaft nicht eingehen. Wissenschaftliche Anregungen werden nicht mehr ernst genommen, nur um die eigene Parteibasis mit rotgrünen Schlagworten zufriedenzustellen. Anerkannte Wissenschaftler wie zum Beispiel Professor Birkhofer in der Atompolitik werden aus der Reaktorsicherheitskommission abberufen, nur weil dieser Umweltminister unabhängigen wissenschaftlichen Sachverstand nicht ertragen kann. ({16}) - Ich weiß, das tut weh, aber was Sie als Witz bezeichnen, ist ganz einfach die Tatsache, daß Sie ein großes Problem im Umgang mit unabhängigen Wissenschaftlern haben. Es ist traurig, daß Sie das als eine witzige Angelegenheit ansehen, Herr Kubatschka. ({17}) Das Fazit, das sich auch jetzt wieder bei den Haushaltsplanberatungen deutlich zeigen wird, ist ein enormer umweltpolitischer Glaubwürdigkeitsverlust dieser Bundesregierung. ({18}) Das führt zu Politikverdruß, zu Politikablehnung und bringt uns in der Umweltpolitik kein Stückchen weiter. Frau Ganseforth, wir werden die Haushaltsplanberatungen nutzen, darzulegen, wie Sie Akzente falsch gesetzt haben, aber Sie müssen verstehen, daß es gerade für uns und für mich heute abend sehr erfreulich ist, einmal darlegen zu können, wie Sie vollmundig gestartet sind und wie Sie umweltpolitisch nur Seifenblasen produziert haben. Es ist natürlich auch der tiefere Sinn von Haushaltsberatungen, deutlich zu machen: Der Mund ist voll genommen worden, aber die Ergebnisse sind äußerst mangelhaft. Der Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2000 setzt den falschen Weg der letzen Monate fort. Neue Schwerpunkte in der Umweltpolitik sind nicht zu erkennen. Auch mit diesem Haushaltsplanentwurf wird die Glaubwürdigkeitslücke von Rot und Grün in der Umweltpolitik nicht geschlossen werden können. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Loske, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu vier Punkten des letzten Beitrags ein paar Gedanken äußern. Erstens zum Thema Klimaschutzpolitik. Herr Kollege Paziorek, Sie haben moniert, daß in diesem Bereich nicht genug geschieht. Ich möchte zunächst einmal um der historischen Wahrheit willen die Tatsachen klarstellen. Die Tatsachen sehen nämlich so aus, daß Sie in Sachen Klimaschutzpolitik nichts auf den Weg gebracht haben und daß all das, was in Sachen CO2-Reduktion erreicht worden ist, darauf zurückzuführen ist, daß in den neuen Bundesländern die Industrie kollabiert ist. Sie wollen das doch nicht ernsthaft als Erfolg Ihrer Klimaschutzpolitik darstellen. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein; da ist nur sehr wenig geschehen. ({0}) In den neuen Bundesländern sind die CO2-Emmissionen derzeit sogar angestiegen, in den alten Bundesländern sind sie aus dem genannten Grund gesunken. Bleiben Sie also bitte bei der Wahrheit, und idealisieren Sie nicht die goldenen Zeiten der Klimaschutzpolitik unter Töpfer und Merkel! So war es nicht. Zweitens. Die Dinge, die wir gemacht haben - beispielsweise die ökologische Steuerreform, der das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut ausdrücklich attestiert, daß sie einen klimapolitischen Lenkungseffekt hat, das 100 000-Dächer-Programm, das Förderprogramm für erneuerbare Energien, die Energiesparverordnung, die jetzt natürlich kommen wird, die gesamte Energierechtsnovelle oder die Einspeisungsverordnung -, laufen unter der Überschrift Klimaschutzpolitik, und sie werden ihre Folgen zeitigen. ({1}) Drittens. Sie können andere Prioritäten haben - das ist völlig klar -, Sie können aber nicht sagen, es würde eine ausschließliche Konzentration auch auf die Themen Atomausstieg und ökologische Steuerreform stattfinden. Es findet sehr wohl eine Konzentration auf andere Themen statt. Der Minister hat ganz klar beschrieben, daß die nationale Nachhaltigkeitsstrategie ein solcher Schwerpunkt ist. Wir haben einen Antrag zustande gebracht, der sich durchaus vorzeigen läßt. Das, was Sie in der letzten Legislaturperiode gemacht haben, war, daß Sie sich zu unverbindlichen Plauderrunden zusammengefunden haben, an deren Ende überhaupt nichts herausgekommen ist. Das wollen wir ändern. ({2}) Viertens zur Besetzung der Kommission. Es ist so: Jeder hat seine Prioritäten; das ist normal. Tun Sie aber bitte nicht so, als wären alle Wissenschaftler, die Sie vorschlagen, völlig interessenfrei und dienten nur der ehernen Wahrheit, während alle, die wir vorschlagen, interessengeleitete Leute sind. So ist es doch nicht. Die Wahrheit ist: In der Reaktorsicherheitskommission haben nur Atombefürworter und keine Skeptiker gesessen. Das haben wir jetzt einigermaßen ins Lot gebracht. Das ist nur gut so. Danke schön. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Paziorek zur Erwiderung. ({0})

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu zwei Punkten möchte ich Ihnen antworten, und zwar erstens zu den Ausführungen zur Klimaschutzpolitik und zweitens zu der Frage der Lenkungswirkung der ökologischen Steuerreform. Herr Loske, Sie selbst haben vor Ihrer parlamentarischen Tätigkeit wissenschaftlich zu dieser Frage gearbeitet. Ich weiß überhaupt nicht, wie Sie sich zu der Aussage versteigen konnten, der Rückgang der CO2Emmissionen in Deutschland - es kann strittig sein, ob das seit 1990 14 Prozent, 15 Prozent oder 16 Prozent sind - sei nur auf den Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaft zurückzuführen. ({0}) - Im wesentlichen. Das ist hochinteressant. Darüber hinaus wissen Sie, Herr Loske, ganz genau: Diese Erfolge sind nur möglich gewesen, weil wir es in Deutschland - auch in den alten Bundesländern - seit 1987 im industriellen Bereich in der Tat geschafft haben, eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieeinsatz vorzunehmen. ({1}) Ohne diese Entkopplung hätten wir diese Bilanz nicht gehabt. Sie können die Aussagen von Prognos - vielleicht haben Sie nicht daran gedacht, weil das zu Ihrer früheren Beschäftigung ein Konkurrenzinstitut ist - oder anderen Instituten heranziehen. Sie besagen: Ein Rückgang ist vorhanden. Es ist nur strittig, welche Maßnahmen notwendig sind, um, ausgehend von dem Mittelwert von 15 Prozent Reduktion seit 1990, jetzt noch die letzten 10 Prozent zu erreichen, damit wir im Jahr 2005 bei 25 Prozent landen. ({2}) - Frau Ganseforth, es wird doch spannend, ob Sie jetzt noch mit dem Zeitrahmen hinkommen. Es soll ein Energiedialog angestrebt werden, ohne daß wir genau wissen, was diese rotgrüne Bundesregierung vorhat. Eventuell soll jetzt in Fragen des Klimaschutzes ein solcher Dialog beginnen; Frau Mehl hat dies heute abend gesagt. Wir haben das Jahr 1999 und nur noch sechs Jahre Zeit. Ich bin gespannt, wann diese Regierung eigene Vorschläge auf den Tisch legt, damit wir im Parlament sauber darüber beraten können. Zweitens zum Lenkungseffekt der ökologischen Steuerreform. Es ist nicht so, daß alle wissenschaftlichen Institute, Herr Loske, der ökologischen Steuerreform unter umweltpolitischen Gesichtspunkten so zugeDr. Reinhard Loske stimmt haben, wie Sie es hier gerade geschildert haben. Eines ist schon erstaunlich: Bei den Haushaltsplanberatungen, auch bei den Beratungen der mittelfristigen Finanzplanung, erlebt man, daß das Aufkommen aus der ökologischen Steuerreform ansteigend veranschlagt ist. Wenn es sich wirklich um eine ökologische Steuerreform handeln soll, muß diese Steuer doch so angelegt sein, daß das Verhalten der Menschen geändert wird. Mit anderen Worten: Das Verhalten der Menschen soll sich ändern, dadurch soll die Bemessungsgrundlage geringer werden, und dadurch muß dann, wenn es eine ökologische Steuerreform ist, schon mittelfristig das Aufkommen der Steuer geringer werden. ({3}) Das riesige Problem ist, daß Sie es eigentlich anders angelegt haben. Denn sonst bekommen Sie langfristig Ihre Sicherungssysteme nicht unter Kontrolle. ({4}) Aus dem Grunde ist es ein Abkassiermodell und keine ökologische Steuerreform. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Michael Müller, SPDFraktion. ({0})

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Paziorek, Ihre Aussage „nicht einmal ein Ankündigungsminister“ kann man eigentlich nur so werten, daß Sie meinen, die Vorgänger, Frau Merkel und Herr Töpfer, seien Ankündigungsminister gewesen. ({0}) Das ist ein schönes Eingeständnis. Das haben wir immer gewußt. Wir danken für die Bestätigung. Meine Damen und Herren, es ist klar, daß man auf Sie so reagieren muß. Sie haben bei Ihren Vorwürfen Gott sei Dank immer ein wenig gelächelt. Deshalb finde ich das immer noch recht sympathisch. Daran merkt man, daß Sie es besser wissen. Lassen Sie mich deshalb zur Sache mehr sagen als zu dieser Form des Vortrages; ich glaube, daß uns das nicht viel weiterhilft. ({1}) Ich möchte auf zwei Punkte tiefer eingehen: zum einen auf den Ausstieg aus der Atomkraft und zum anderen darauf, daß ich uns allen wünsche, daß wir mehr Mut in der Ökologie zeigen. Ich fange mit dem Atomausstieg an. Ich muß entschieden zurückweisen, daß die Forderung nach dem Ausstieg aus der Atomkraft Willkür sei. Es gibt zwei überragende Gründe dafür, die wir immer genannt haben. Das ist einmal die Sicherheitsproblematik. Man kann ein Atomkraftwerk nicht mit einer anderen, zeitlich und räumlich begrenzten Technologie vergleichen. Die Atomkraft hat eine andere Dimension. Deshalb ergibt sich schon daraus eine legitimatorische Position für den Ausstieg. Das ist zum anderen die ungeklärte Entsorgung, daß wir sozusagen unzählige Generationen mit einer Hinterlassenschaft belasten, die wir immer weniger verantworten können. Bei der alttestamentarischen Frist ging es um vier Generationen. Beim Atommüll jedoch reden wir über tausend Generationen. Das ist eine ganz andere Dimension. Auch das berechtigt zur Kritik an dieser Technologie. Frau Homburger, Sie haben von einer Verstopfungsstrategie geredet. Dazu muß ich Ihnen sagen: Den Transportstopp für Atommüll hat Frau Merkel erlassen. Daran möchte ich Sie erinnern. Sie hat damals, im Mai 1998, gesagt, der bleibe so lange bestehen, bis alle zehn Punkte eines Aktionsprogramms der Bundesregierung abgearbeitet seien. Man ist im Augenblick dabei, dies zu tun, und zwar mit den Betreibern. Was reden Sie denn eigentlich? ({2}) Auch wir machen das, obwohl wir Weitergehendes wollen als das, was Sie wollten. Aber lassen Sie mich den sehr viel wichtigeren Grund nennen: Ich glaube, daß wir im Augenblick in der Energiepolitik an einer Weichenstellung angekommen sind: Wollen wir in erster Linie zurück zur Strategie der großen Stromverkäufer im europäischen Verbund, oder sagen wir: Gerade weil die Situation so ist, müssen wir einen Strukturwandel in der Energiepolitik einleiten, der sehr viel stärker auf Energiedienstleistung, auf neue Märkte etc. ausgerichtet ist? Das ist die Scheidelinie, an der wir derzeit stehen. Meine These ist, auch mit Blick auf die Klimaproblematik: Sie werden die Klimaproblematik mit einer Verlängerung der sich im Augenblick zeigenden Tendenzen auf den Energiemärkten, zu einer im wesentlichen auf den Stromverkauf ausgerichteten europäischen Verbundwirtschaft zu kommen, nicht lösen. Sie werden auch nicht den entsprechenden Schub kriegen, um beispielsweise Klimaschutztechnologien, Energietechnologien oder solare Technologien in den Markt zu bringen. Dies ist eine Schlüsselfrage, bei der die Politik den Rahmen setzen muß. Diese Rahmensetzung hat viel mit der Veränderung der heutigen Strukturen zu tun. Auch deshalb reden wir über die Atomkraft. ({3}) Die Atomkraft ist nämlich unter energetischen Gesichtspunkten ineffizient. Vor allem ist sie wegen der Großstruktur der entsprechenden Unternehmen in der Bundesrepublik letztlich nur wirtschaftlich, wenn viel Strom verkauft wird. Das ist einer der entscheidenden Gründe, warum wir sagen, daß sich die Struktur der Energieunternehmen von einer zentralisierten Struktur hin zu einer eher dezentralen Flexibilität ändern muß. Das leistet die Atomindustrie aber nicht. Insofern ist der Ausstieg aus der Atomkraft eine industrie-, beschäftigungs- und umweltpolitische Entscheidung. Wenn der Staat im Interesse der Zukunftsfähigkeit und des Allgemeinwohls die Weichen in diese Richtung stellen will, dann ist es nicht Willkür, sondern es ist sein Recht und seine Pflicht, so zu handeln. Es ist also eine politische Entscheidung, die wir unterstützen. ({4}) Obwohl ich um die Schwierigkeiten weiß, will ich noch kurz folgenden Einwand machen. Sie zitieren Ihren eigenen Beschluß zum Klimaschutz immer sehr unzureichend. Denn die Zahl von 25 Prozent war auf die alten Bundesländer bezogen, Herr Paziorek. Im Beschluß hieß es damals weiter, daß der Prozentsatz in den neuen Bundesländern sehr viel höher liegen müsse. ({5}) - Herr Paziorek, Ihr Beschluß war 1990 in diesem Punkt unspezifiziert - und zwar aus einem ganz einfachen Grunde: Damals hatten wir zu wenig Daten über die Einsparpotentiale in den neuen Bundesländern. Deshalb wurde der Prozentsatz nicht konkretisiert. Sie haben damals im übrigen noch hinzugefügt, daß Sie darüber hinaus ökologische Steuerungsinstrumente, etwa eine Restverschmutzungsabgabe, mittels einer Steuerreform einführen wollten. Ich will Ihnen jetzt nicht beckmesserisch vorwerfen, daß Sie diese Vorgaben nicht erfüllt haben. Tatsächlich ist es so, daß in den alten Bundesländern die CO2Emissionen gegenüber den Emissionen des Jahres 1990 weiter angestiegen sind. Trotzdem ist die heutige Problematik eine andere. Wir haben durch die Entwicklungen in den 90er Jahren, insbesondere durch den Strukturwandel in den neuen Bundesländern, eine erhebliche CO2-Reduktion erreicht. Unser Vorwurf ist aber, daß diese Reduktion im wesentlichen nicht auf Basis einer aktiven Energiepolitik und durch eine aktive Klimaschutzpolitik, sondern daß sie letztlich nur auf Grund des ökonomischen und politischen Trends erreicht wurde. ({6}) - Schauen Sie sich doch an, was Ihre Regierung in den Berichten der Interministeriellen Arbeitsgruppe „CO2Reduktion“ geschrieben hat! Davon haben Sie kaum etwas umgesetzt. Das ist leider die Wirklichkeit. Jetzt kommt es darauf an, über die Gründe nachzudenken. Wir sagen, daß der entscheidende Punkt die Weichenstellung ist. Ich glaube, daß durch die folgenden drei Maßnahmen die Substitution der Atomenergie möglich ist, ohne den Ausstieg mit der Klimakatastrophe zu bezahlen: Erster Punkt. Wir müssen eine massive Steigerung der Energieproduktivität erreichen. Wir haben heute ein Wachstum der Energieproduktivität von 1,7 Prozent. Dieses Wachstum kann ohne Schwierigkeiten auf 3 Prozent gesteigert werden, wenn wir dafür den politischen Rahmen setzen. ({7}) Zweiter Punkt. Wir wollen die Kraft-WärmeKopplung schützen und ausbauen. Im Augenblick passiert leider durch die Marktentwicklung das Gegenteil. Deshalb müssen wir in diesem Bereich schützend eingreifen. ({8}) Erreichen wir eine Verdopplung der Energieerzeugung durch Kraft-Wärme-Kopplung - eine Verdopplung ist ein realistisches Ziel -, erreichen wir einen zweiten wesentlichen Baustein der Energieversorgung in den nächsten 10 Jahren. Somit bekommen wir einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz. Dritter Punkt. Wenn wir den Anteil der regenerativen Energien in den nächsten 10 Jahren verdreifachen, dann haben wir ein Gesamtpaket, das es ermöglicht, daß wir aus der Atomkraft aussteigen, ohne daß dieser Ausstieg zur Klimakatastrophe führt. Sie wissen ebenfalls, daß das eine mögliche Strategie ist. ({9}) Aber auch aus einem anderen Grunde müssen wir diese Energiepolitik betreiben. Ich sehe mit großer Sorge, daß der Energiestandort Bundesrepublik Deutschland als Erzeugungsstandort zunehmend gefährdet ist. ({10}) Diese Gefahr ist entstanden, weil Sie ein Energiegesetz gemacht haben, das die Handlungsmöglichkeiten der Politik nicht genutzt hat. Es hat vielmehr den gesamten Energiemarkt einem ungleichen, aber nicht einem sinnvollen, geregelten Wettbewerb, den wir alle wollen, ausgesetzt. Das ist das eigentliche Problem. ({11}) Man müßte manchmal Ludwig Erhard zitieren, damit Sie begreifen, daß Marktwirtschaft eben nicht nur freie Marktwirtschaft ist, sondern vor allen Dingen das Setzen von Rahmenbedingungen für den Wettbewerb bedeutet. Dies ist gerade in der Ökologie der entscheidende Punkt, bei der wir es unter anderem mit den Lebensinteressen künftiger Generationen zu tun haben. ({12}) Der Marktprozeß selbst kann diesen Rahmen in einer sinnvollen Weise nicht setzen. Wir machen uns aus Beschäftigungs- und aus Umweltschutzgründen große Sorgen. Deshalb treten wir für eine aktive Klimaschutzpolitik ein. Sie kann nämlich einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung einer vernünftigen und zukunftsorientierten Energiepolitik leisten. Michael Müller ({13}) Ich wollte noch eine Bemerkung machen: Ich glaube, wir sollten Ökologie vor allem als Chance verstehen. Ökologie wird im Augenblick sehr stark als Belastung empfunden. Ich glaube, daß sie die wichtigste Antwort ist auf die globalen Veränderungen. Denn ökologische Politik im Sinne von Nachhaltigkeit bedeutet, neue Märkte zu erschließen, bedeutet, Innovationen zu fördern, bedeutet aber vor allem, regionale Standortfaktoren zu stärken. Das ist ein ganz wichtiger Ansatz. Sie wissen vielleicht: Aus meiner Sicht ist es das Wichtigste, in der Globalisierung die Entgrenzung von Zeit und Raum zu sehen. Das ist die neue Qualität der Globalisierung. ({14}) - Es kann ja sein, daß Sie keine Bücher lesen. Aber wenn Sie die internationale Debatte verfolgen, dann werden Sie feststellen, daß die Ökonomisierung der Zeit das entscheidende Kriterium der Globalisierung ist. ({15}) - Klar, Sie kennen das alles. Deswegen habe ich von Ihnen auch schon so viele Beiträge dazu gehört. Wenn also die Entgrenzung die Haupttriebkraft der Globalisierung ist, dann müssen wir alles tun, um Standortfaktoren zu stärken. Die Ökologie ist ein zentraler Standortfaktor - eine Stärke, die wir haben und die wir nutzen sollten. Ökologie ist nicht Belastung, sondern Zukunftschance. ({16})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen nicht vor. Ich rufe jetzt den Einzelplan 10 auf: Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Einbringung seines Haushalts hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Karl-Heinz Funke.

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über die finanzpolitische Situation und darüber, daß gespart werden muß, daß es keine Alternative zum Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung gibt ({0}) - vielleicht können wir, speziell was den Einzelplan 10 anbelangt, noch einige hören -, ist heute vormittag, aber auch im Laufe des ganzen Tages gesprochen worden. Deutlich geworden ist, so glaube ich, auch, daß diese Konsolidierung schmerzliche Eingriffe mit sich bringt. Ich mache überhaupt keinen Hehl daraus, daß auch der Haushalt des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten von den notwendigen Sparmaßnahmen schmerzlich betroffen ist. ({1}) - Ich bin ja immer gespannt darauf, ob ich Vorschläge bekomme, wie man es anders gestalten sollte. Denn es ist ja wohl klar, daß es nicht sein kann, daß man einen Haushalt oder einige Haushalte vom Sparen ausnimmt. Wenn man die Debatte verfolgt, muß man zu der Auffassung gelangen, daß Sie alle Haushalte vom Sparen ausnehmen wollen. ({2}) Bisher habe ich überhaupt nicht vernommen, welche Haushalte Sie denn nun zum Sparen heranziehen wollen. Man hört nur überall, welche man verschonen sollte, welche weniger betroffen sein sollten und daß es so nicht gehen könne. Das ist natürlich eine Scheinalternative.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Ja, gerne. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Er hat ja nach Alternativen gefragt, Kollege Schmidt. Er wird dann immer ganz unruhig.

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Ich neige gar nicht zur Unruhe, Herr Kollege.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das weiß ich. Dafür sind Sie ja bekannt. Herr Minister, wären Sie bereit, sich zum Beispiel einmal das Schröder-Blair-Papier durchzulesen, und könnten Sie sich vorstellen, daß sich dann, wenn man das verwirklicht, durch Steuersenkungen Steuermehreinnahmen erzielen lassen? Damit hätten dann auch Sie wieder Geld.

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Es ist schade, daß ich nur 10 Minuten zur Verfügung habe. Sonst würde ich gerne länger darüber reden. Unter anderem geht es ja darum, daß man mehr Markt organisieren soll. Angesichts der Tatsache, daß in einigen Pressemitteilungen - je nachMichael Müller ({0}) dem, für wen sie gerade geschrieben sind -, insbesondere denen aus Ihrer Fraktion, mal von mehr Markt und dann wieder von Markt- und Preisstützung die Rede ist was dann mit Markt weniger zu tun hat -, weiß ich, wie widersprüchlich Ihre Vorschläge sind. Ich bin dann in der schwierigen Lage, mir zu überlegen, welches Ihrer Konzepte man nehmen sollte. Ich bin gerne bereit, Ihnen die Pressemitteilungen in ihrer unterschiedlichsten Form auf den Tisch zu legen. Sie müssen sich dann schon entscheiden. Sie beklagen auf der einen Seite die Streichung von Steuervergünstigungen ({1}) - doch, auch das ist Ihren Pressemitteilungen, zumindest teilweise, zu entnehmen -, obwohl jeder weiß, daß dies notwendig ist, und auf der anderen Seite beklagen Sie die Veränderung bei den Steuertarifen. Sie beklagen also beides oder fordern beides, je nachdem, wie es Ihnen gerade paßt. Das sind keine sachlichen Beiträge, die einem weiterhelfen. Das ist nichts anderes als politische Deklamation - je nachdem, wie sich das Publikum gerade zusammensetzt. Damit kommen wir in der praktischen Politik des Alltags nicht zurecht. Das muß ich Ihnen deutlich sagen. ({2}) Es gibt also schmerzliche Eingriffe, meine Damen und Herren. Natürlich ist es besonders schmerzlich, wenn zum Beispiel der Sozialetat des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten betroffen ist. Angesichts der fast mitternächtlichen Stunde will ich jetzt nicht in Einzelheiten gehen. Aber eines muß ich schon sagen: Ich beklage, daß sich der Einzelplan 10 über viele Jahre - über Verantwortlichkeiten brauchen wir insofern ja nicht zu streiten - dahin gehend entwikkelt hat, daß 70 Prozent des Landwirtschafthaushaltes ausschließlich für die sozialen Sicherungssysteme in der Landwirtschaft ausgegeben werden. Das ist ein Strukturproblem im Haushalt an sich. Ich wundere mich - das sage ich ohne Zorn und Eifer, auch nicht anklägerisch; das sage ich, damit wir uns richtig verstehen -, daß in den letzten fünf bis zehn Jahren nicht darüber nachgedacht worden ist, in der Organisation, in der Struktur der landwirtschaftlichen Sozialversicherungssysteme zu Änderungen zu kommen. Dieses System ist auf Dauer so nicht finanzierbar. Das wird ja wohl deutlich. Da sind Sie zusammen mit uns das will ich überhaupt nicht bestreiten - in der Verantwortung. Sich aber herauszuziehen und so zu tun, als sei, wenn man von 870 Millionen DM steigend auf 1,4 Milliarden DM im Jahre 2003, spricht, die Existenz der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt, ist keine redliche Diskussion - weder von Ihnen noch, um das deutlich zu sagen, von manchen Vertretern des Bauernverbandes. ({3}) Es wäre gut gewesen, wenn man bereits in den letzten fünf bis zehn Jahren über Struktur- und Organisationsfragen nachgedacht hätte. Denn ein System, das fast ausschließlich am Tropf der öffentlichen Haushalte hängt, kann auf Dauer nicht tragfähig sein. Ich bestreite nicht - auch das meine ich mit schmerzlichem Eingriff -, daß es auch unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsverzerrung in Europa zu sehen ist, wenn man an die Streichung der Gasölverbilligung herangeht. Ich leugne das überhaupt nicht. Wenn man aber nicht will, daß in diesem Bereich eingespart wird - ich sage noch einmal, daß ich das als schmerzlich empfinde -, muß man schon sagen, welche Alternativen man dazu hat. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir im Zuge der Ausschußberatungen Alternativen vorgestellt bekämen. Das sage ich in Richtung der Oppositionsfraktionen von CDU/CSU und F.D.P., das sage ich aber auch in Richtung des Bauernverbandes. Gar nicht über Alternativen reden zu wollen, bevor der Landwirtschaftshaushalt nicht insgesamt von den Sparmaßnahmen ausgenommen ist, ist angesichts der Tatsache, daß Sie ganz genau wissen, daß man die Gesamtsparleistung nur solidarisch erbringen kann, einigermaßen verantwortungslos. ({4}) So ist die Diskussion aber in den letzten Monaten gelaufen. Es ging bis hin zum Schreiben von Briefen, die zu zitieren ich mir heute ersparen will und die überhaupt nicht weiterhelfen. ({5}) - Ich kann mich ja nur wundern, wenn Vokabeln wie „Vernichtungskrieg der Bundesregierung gegen die deutsche Landwirtschaft“ oder „ … gegen Bauern und Bäuerinnen“ fallen. Als hätte es einen Strukturwandel erst im letzten Jahr gegeben! ({6}) - Ja, doch! Ich habe das doch alles sorgfältig verfolgt. Als würde es Betriebsaufgaben erst in der Zukunft, erst auf Grund des Sparpaketes dieser Bundesregierung geben! Jeder weiß, daß es Strukturwandel in der Vergangenheit gegeben hat und auch in der Zukunft geben wird. ({7}) - Ich kann die Zahlen ja einmal nennen. Wenn ich es richtig im Kopf habe, hatten wir im Jahre 1980 noch 800 000 Betriebe, jetzt haben wir rund 480 000 Betriebe. 320 000 sind während dieser Zeit aufgegeben worden. Ich sage nicht, daß dies etwa Schuld der vorherigen Bundesregierung sei - selbstverständlich nicht. Im übrigen ist in diesen Größen die zusätzliche Zahl der Existenzgründungen in den fünf neuen Bundesländern enthalten. Dies müßte also noch statistisch bereinigt werden. Wie gesagt, ich sage nicht, daß es ausschließlich Schuld der letzten Bundesregierung sei, daß diese Entwicklung eingetreten ist. Hier spielen selbstverständlich viele ökonomische Gründe eine Rolle. Deshalb sollte man auch jetzt nicht den Teufel an die Wand malen und so tun, als sei durch die Einsparungen im Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministers in Höhe von 7,4 Prozent das Ende der deutschen Landwirtschaft vorgezeichnet. Das ist nicht der Fall. ({8}) - Nun fällt das Stichwort „abkassieren“. Es ist schon bemerkenswert, welches Niveau manche Zwischenrufe - ich muß das bei aller Sympathie sagen - haben. ({9}) Es wird immer wieder über den Landwirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland diskutiert. Es wird über Wettbewerbsverzerrungen und Erwerbsbedingungen in der Landwirtschaft debattiert. Ich bin bereit, an einer Diskussion über das Stichwort „abkassieren“ unter Berücksichtigung der Wettbewerbsbedingungen in Europa teilzunehmen. Man muß die Frage stellen, wo angesichts der Umsetzung der Agenda Modulationen vorgenommen werden und wo „cross compliances“ erzielt wird. Angesichts einer verbleibenden Restredezeit von gut zwei Minuten kann ich darauf nicht im einzelnen eingehen. Vielleicht müßte ich dem einen oder anderen sogar erklären, welche Auswirkung die Umsetzung der Agenda hat. Wir müssen diskutieren, welche Gesamtbelastungen die Agenda mit sich bringt, nicht nur für die deutsche Landwirtschaft, sondern auch für die Länder, die mit uns in Konkurrenz stehen. Ich bin bereit - das gilt sicherlich für alle, die an den zukünftigen Ausschußberatungen teilnehmen werden -, über Alternativen zu reden. Wir sind bereit, darüber zu reden, wie die Folgen der Agenda sozialer ausgestaltet werden können, wenn es möglich ist. Wir sind auch bereit, darüber zu reden, wie die Bedingungen in der Landwirtschaft wettbewerbsgerechter gestaltet werden können. Aber eines muß ich auch sagen - das ist deutlich geworden -: Es kann nicht angehen, einen Haushalt von den notwendigen Sparbemühungen auszunehmen. Es gibt - das kann man in den Bundesbankberichten und in Veröffentlichungen entsprechender Institutionen nachlesen - zu all dem, was in den verschiedensten Bereichen der Politik und der Gesellschaft schmerzlich getan wird, nur folgende Alternativen: Steuererhöhungen oder Zinserhöhungen. Was diese Alternativen angesichts der Lage des Standortes Bundesrepublik Deutschland gerade für die deutsche Landwirtschaft bedeuten, müßte auch Ihnen - wenn man das Einmaleins der Ökonomie beherrscht - klar sein. Deshalb gibt es schmerzliche Eingriffe. Sie sind notwendig für die Zukunftsfähigkeit auch des deutschen Staates. ({10}) - Herr Kollege Deß, das merke ich auch, wenn ich in Bayern bin. Ich erlebe dort ja nicht nur schöne Stunden. ({11}) - Nein, nicht weil ich zuviel versprochen habe. Das ist nicht der Punkt. Die Bauern sind enttäuscht, weil einige den Eindruck erweckt haben - ich nenne das als konkretes Beispiel -, als könne man auf Grund von Garantien des Staates mit 28 Kühen im Stall dauerhaft als Vollerwerbslandwirt überleben. Wer das versprochen hat, dem muß klargemacht werden, was er den Leuten damit angetan hat und welche Erwartungen er damit geweckt hat. ({12}) Über Alternativen reden wir sehr gerne. Deshalb freue ich mich auf die Ausschußberatungen. Aber es müssen auch realistische Alternativen sein. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Josef Hollerith, CDU/CSU-Fraktion.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herausragendes Merkmal und Kennzeichen der Politik der rotgrünen Bundesregierung mit Bundeskanzler Gerhard Schröder an der Spitze ist die Täuschung der Wählerinnen und Wähler in unserem Land. Kennzeichen ist die Täuschung der Rentner durch eine Rente nach Kassenlage, die Täuschung durch die Ökosteuer, ({0}) die Täuschung der Arbeitslosen durch Abbau von 360 000 Arbeitsplätzen seit dem Regierungsantritt von Gerhard Schröder und die Täuschung der Öffentlichkeit durch das sogenannte Sparpaket. Es ist eine Roßtäuscherei, wenn diese Bundesregierung im Jahre 1999 den Haushalt um 30 Milliarden DM aufbläht und Wahlgeschenke verteilt und dann bei der Verabschiedung des Haushaltes im nächsten Jahr behauptet: Wir sind Helden, weil wir in der Lage sind, zu sparen. Dazu muß man sagen, daß das sogenannte Sparpaket bis auf 7,5 Milliarden DM aus Luftbuchungen besteht und deshalb eine Mogelpackung ist. Das ist Roßtäuscherei. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hollerith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Diller?

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte meine Rede fortsetzen. Herr Minister Funke, mein Vorwurf an Sie lautet, daß Sie die Landwirte getäuscht haben. Sie sind mit dem Versprechen angetreten, die Landwirtschaft in Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen. Genau das Gegenteil von dem, was Sie versprochen haben, tun Sie. Deswegen nenne ich Sie in aller Öffentlichkeit einen politischen Roßtäuscher. ({0}) Wie sieht die Belastung der Landwirtschaft, bezogen auf die mittelfristige Finanzplanung von Theo Waigel bis zum Jahre 2003, im einzelnen aus? Erstens. Die Streichung der Gasölbeihilfe liegt bei 835 Millionen DM. Bei der landwirtschaftlichen Alterssicherung betragen die Beitragszuschußkürzungen 460 Millionen DM. 115 Millionen DM werden bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung gekürzt. Bei der Krankenversicherung fallen 250 Millionen DM weg. Die Agrarstrukturund Küstenschutzaufgabe muß mit 19 Millionen DM weniger auskommen. Insgesamt liegen die Kürzungen in diesem Haushalt, bezogen auf die mittelfristige Finanzplanung, bei 1,5 Milliarden DM. Hinzu kommen die Streichungen beim Branntweinmonopol in Höhe von 90 Millionen DM. Eine Nettomehrbelastung von 600 Millionen DM durch die zweite Stufe der Ökosteuerreform - eine Strompreiserhöhung um viermal 0,5 Pfennig plus Mehrwertsteuer; viermal 6 Pfennig auf Benzin und Diesel plus Mehrwertsteuer kommt hinzu; die Gegenfinanzierung durch die Entlastung bei der Sozialversicherung ist eingerechnet. Das ergibt zusammen in diesem Haushalt eine Mehrbelastung von 1,5 Milliarden DM. Zweitens. Dazu kommt eine Mehrbelastung von 1 140 Millionen DM aus dem Steuerentlastungsgesetz vom 19. März 1999. Drittens. Hinzu kommt weiter eine Mehrbelastung von noch einmal 300 Millionen DM aus der ersten Stufe der ökologischen Steuerreform. Viertens: 90 Millionen DM Mehrbelastung ergeben sich durch Streichungen beim Branntweinmonopol. Fünftens: Rund 1,5 Milliarden DM Nettomehrbelastung der deutschen Landwirtschaft resultieren aus den Agenda-2000-Beschlüssen. Das ergibt - bei einem Einkommen von 18 Milliarden DM - rund 4,5 Milliarden DM an zusätzlicher Belastung für die deutsche Landwirtschaft. Ein Viertel der Einkommen der Landwirte wird gestrichen. Das beklagen wir, und das greifen wir neben Ihrer Täuschung der Wählerschaft an. ({1}) Sie strafen diesen Berufsstand in einer dramatischen, unverhältnismäßigen und unsozialen Art und Weise in diesem Land ab. Was die Bundesregierung mit dem Berufsstand der Landwirte veranstaltet, ist gemein und unsozial. ({2}) Sie haben im zurückliegenden Wahlkampf immer von sozialer Gerechtigkeit geredet. Wo bleibt die soziale Gerechtigkeit, wenn Sie bei der landwirtschaftlichen Alterskasse streichen, aber nicht den Mut haben, auch bei der knappschaftlichen Rentenkasse zu streichen? Was Sie hier tun, das ist sozial ungerecht, feige und verlogen. ({3}) Herr Minister Funke, niemand hat abgestritten, daß es in der Vergangenheit einen Strukturwandel gegeben hätte. Aber die Ergebnisse Ihrer Politik werden den Strukturwandel in der Landwirtschaft dramatisch beschleunigen. Was die Möglichkeiten der Landwirte angeht, Arbeitsplätze zu finden, habe ich keine Sorge. Jeder Unternehmer weiß, daß Landwirte arbeiten gelernt haben; jeder Handwerker weiß, daß Landwirte motiviert und zuverlässig sind. Deswegen werden die Landwirte, die aus der Landwirtschaft ausscheiden, Arbeitsplätze finden. Aber es wird zugleich einen Verdrängungseffekt geben, wodurch die Probleme auf dem Arbeitsmarkt weiter verschärft werden. Das ist auch ein Ergebnis der Agrarpolitik dieser Bundesregierung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch dramatischer beurteile ich die Auswirkungen auf das Land, auf unsere Dörfer und auf die Regionen. Wir werden das befürchte ich - weite Teile unserer Heimat nicht mehr wiedererkennen, wenn sich diese Politik so fortsetzt. ({4}) Das hat in den sozialen und ökologischen Dimensionen Auswirkungen, die noch gar nicht in Gänze abgesehen werden können. ({5}) Wir haben nie die Notwendigkeit von Einsparungen bezweifelt. ({6}) Deswegen hat ja Theo Waigel in seine mittelfristige Finanzplanung klar das Ziel einer Senkung der Nettokreditaufnahme und einer Senkung der Staatsquote auf das Niveau, das wir vor der Wiedervereinigung hatten, nämlich auf 45 Prozent, aufgenommen. ({7}) - Wir haben das gemacht. Sie brauchen nur die Zahlen des Haushalts des Jahres 1997 ({8}) und die Finanzplanung von Theo Waigel mit der Finanzplanung von Hans Eichel vergleichen. Dann werden Sie feststellen - das sind die Zahlen, die das Bundesfinanzministerium vorlegt -, daß der Haushalt um 54 Milliarden DM aufgebläht wird. Das ist keine Sparpolitik; das ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind bereit, über Strukturfragen zu diskutieren. In meiner letzten Rede im Rahmen einer Haushaltsdebatte habe ich zur Frage der landwirtschaftlichen Unfallversicherung Gedanken vorgetragen, die ich jetzt in knapper Form wiederhole. Natürlich macht es Sinn, die landwirtschaftliche Unfallversicherung zu reformieren. Dazu sind wir bereit. Ich denke an ein Modell, bei dem die alte Last, die aus dem Strukturwandel der Vergangenheit herrührt, sauber herausgerechnet und dann vom Bund finanziert wird und alle übrigen, die in der Landwirtschaft verbleiben, sich privat versichern. ({9}) Das hätte den Effekt, daß der Staat entlastet würde und zugleich die Landwirte durch ein privates Versicherungsmodell erhebliche Beiträge sparen könnten. ({10}) Wir sind offen, auch darüber zu reden, wie wir die Struktur und die Organisation der Krankenkassen und der Rentenversicherungsträger neu gestalten. Dafür waren wir immer offen und bereit. Es ist völlig falsch, Herr Minister Funke, wenn Sie uns vorwerfen, die Opposition sei nicht bereit, darüber zu reden. ({11}) - Herr Minister, liebe Zwischenrufer, Tatsache ist, daß in der Zeit, in der wir die Regierungsverantwortung gehabt haben und in der wir als Fraktionen die Regierung Kohl/Waigel gestärkt und getragen haben, die Maßnahmen finanzieren konnten. Sie sind doch jetzt durch Ihre verfehlte Politik, nämlich dadurch, daß Sie in diesem Jahr für 30 Milliarden DM Wahlgeschenke verteilt haben, in die Situation gekommen, eine neue Konsolidierungsaktion machen zu müssen. Dies ist doch hausgemacht; daher müssen Sie die Suppe, die Sie sich eingebrockt haben, auch auslöffeln. ({12}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich verlange von dieser Regierung und von Ihnen Herr Minister Funke, mehr Redlichkeit in der Diskussion. ({13}) Ich verlange ferner, daß das Sonderopfer, das Sie den Landwirten abverlangen wollen, nicht realisiert wird. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Steffi Lemke.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Hollerith, falls Sie noch zuhören mögen. Sie haben eben Redlichkeit eingefordert. Ich finde, Sie sollten damit bei sich selbst anfangen. ({0}) Denn Sie haben hier einen Beitrag abgeliefert - ich werde bei der Frage der Unfallversicherung darauf zurückkommen -, der mit Haushaltskonsolidierung wirklich nichts zu tun hat. ({1}) Der Agrarhaushalt 2000 untersteht, wie alle übrigen Einzelhaushalte auch, dem Ziel der Haushaltskonsolidierung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat in den vergangenen Wochen deutlich gemacht, daß sie die vorgesehenen Sparziele für notwendig und unumgänglich hält und daß wir die Einsparsummen auch im landwirtschaftlichen Bereich erbringen müssen. Im Gegensatz zur früheren Bundesregierung, die den Agraretat zurückgeführt hat, ohne eine Haushaltskonsolidierung zu erreichen, werden wir ein Maßnahmenpaket vorlegen, das zwar an manchen Stellen Bitteres enthält - das bestreiten wir nicht -, insbesondere was den Agraretat betrifft, mit dem wir aber Handlungsspielräume zurückgewinnen werden, die die Vorgängerregierung verspielt hat. ({2}) Sie haben heute im Laufe des Tages mehrfach auf die 30 Milliarden DM abgestellt, um die wir den Haushalt in diesem Jahr angeblich erhöht haben. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die frühere Bundesregierung ihren allerersten Wahlkampf im Jahre 1983 vor allem mit dem Argument bestritten hat, sie werde alles tun, um die unvertretbar hohe Staatsverschuldung von 350 Milliarden DM zu beseitigen. ({3}) 350 Milliarden DM sind eine Last, über die man heute ganz anders diskutieren würde als über die 1,5 Billionen DM, mit denen wir uns momentan herumzuschlagen haben. ({4}) Ich möchte noch einmal Bezug auf die Agenda 2000 nehmen. Ich möchte vor der Debatte warnen, die der Kollege Hollerith heute mit seinen polemischen Äußerungen begonnen hat. Sie wissen genau, wie wir nach dem Regierungswechsel hier in die Agenda-2000-Debatte eingestiegen sind. Es gab damals im Berufsstand und auch in der Opposition eine große Aufregung. Damals ist von Ihnen der Untergang des Bauernstandes beschworen worden. Jetzt fangen Sie an, das zu wiederholen. ({5}) Ich nehme die Sorgen und die Ängste der Bauern ernst. ({6}) Wir geben zu, daß es im Agrarhaushalt schmerzliche Einschnitte gibt. Aber Sie sollten sich, gemeinsam mit dem Deutschen Bauernverband, fragen, wie oft Sie dieses Spiel von dem Beschwören des Untergangs ({7}) und dem letztlichen Akzeptieren des Verhandlungsergebnisses, das bei der Agenda 2000 erzielt werden konnte - das räumt der Bauernverband inzwischen offen ein - wiederholen können. In der landwirtschaftlichen Sozialpolitik führt kein Weg an Einschnitten vorbei. Wenn Sie sich den Haushalt anschauen, stellen Sie fest, daß inzwischen mehr als zwei Drittel der Agrarausgaben in die Sozialpolitik fließen. ({8}) Wenn man in der Debatte seriös argumentieren will und das Einsparziel der Bundesregierung auch für den Agrarhaushalt akzeptiert - ich denke, anders kann man eine Konsolidierungsdebatte hier nicht führen -, ({9}) wird man auch an dem Bereich der Sozialpolitik nicht vorbeikommen. Die Ausgangslage stellt sich so dar, daß die Mittel für investive Maßnahmen und Strukturentwicklung im ländlichen Raum unter der Vorgängerregierung stärker zurückgenommen worden und für die Sozialpolitik immer höhere Ausgaben notwendig geworden sind. Ich werfe das nicht den Bauern vor; das ist nicht richtig. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie nicht versucht haben, rechtzeitig auf diese Entwicklung einzuwirken, daß die seit langem als unumgänglich erkannte Strukturreform bei den landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträgern von Ihnen verschleppt worden ist. Wir packen das jetzt an und tun das gemeinsam mit den beteiligten Verbänden und Gewerkschaften, die diese Initiative unterstützen. Denn alle Betroffenen, außer Ihnen offensichtlich, haben erkannt, daß es zu diesem Konsolidierungskurs keine Alternative gibt. ({10}) Zur Unfallversicherung. Der Haushaltsentwurf sieht für die Unfallversicherung eine maßvolle Verringerung des Bundeszuschusses vor. Der Bundeszuschuß ist eine freiwillige Leistung des Bundes, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Unser Ziel ist es aber, den Bundeszuschuß auf einem Niveau von 500 Millionen DM zu verstetigen. ({11}) Das ist das Ziel, mit dem wir in die Haushaltsberatung gegangen sind. Wenn Sie als Opposition jetzt, nachdem Sie bei der letzten Haushaltsberatung eine Aufstockung der Unfallversicherung um 300 Millionen DM gefordert haben - das spielt jetzt offensichtlich keine Rolle mehr, eine Privatisierung der Unfallversicherung als Konsolidierungsbeitrag fordern, Herr Hollerith, möchte ich Sie fragen, ob Sie durchgerechnet haben, welche Last das für den Bund bedeutet. ({12}) Wenn die alte Last in den Bundeshaushalt übernommen wird, haben Sie letztendlich eine Ausgabensteigerung. Wo da der Konsolidierungsbeitrag liegen soll, hat sich mir bisher nicht erschlossen. Wir halten eine eigenständige agrarsoziale Versicherung für absolut notwendig, zum einen, weil die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und die Landwirte Planungssicherheit in diesem Bereich brauchen, ({13}) und zum anderen, weil wir die Lasten für den Bundeshaushalt in diesem Bereich nicht nach oben treiben wollen. ({14}) Wir werden auch im Bereich der landwirtschaftlichen Alterskassen nicht um Einschnitte herumkommen. Wir sind auch hier - diesen vermutlich nutzlosen Appell richte ich an die Opposition, vor allen Dingen aber an die Versicherungsträger - zum Gespräch bereit.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jochen Borchert?

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, natürlich. Bitte sehr.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie haben gesagt, Sie hielten eine eigenständige agrarsoziale Versicherung für notwendig. Eine eigenständige sektorale Sicherung der Landwirtschaft hat nicht nur den ungleichmäßigen Altersaufbau, mit dem die Rentenversicherungen insgesamt zu kämpfen haben, sondern auch den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu verkraften. Können Sie mir verraten, wie Sie, wenn Sie sich für eine eigenständige agrarsoziale Versicherung aussprechen, die Last des Strukturwandels finanzieren wollen? Wenn Sie gleichzeitig kürzen, müssen Sie die Lasten des Strukturwandels allein den Landwirten zumuten. Die Entscheidung für eine sektorale Versicherung hat aber der Bundestag getroffen. Wenn Sie hier kürzen, distanzieren Sie sich von dieser Entscheidung und muten den Bauern diese Belastung zu. ({0})

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, das tun wir nicht. Sie müssen schlicht und einfach zwischen einer Kürzung, die im Rahmen der sektoralen Versicherung noch vertretbar ist, und einer Abschaffung der sektoralen Versicherung bzw. Privatisierung, wie Sie sie eben in der Haushaltsdebatte gefordert haben, unterscheiden. Außerdem habe ich Sie darauf aufmerksam gemacht ({0}) - lassen Sie mich doch wenigstens einmal auf die Zwischenfrage antworten, und reden Sie nicht ständig dazwischen; der Kollege möchte die Antwort vielleicht hören -, ({1}) daß die Last für den Bund beim Übertragen der alten Last schlicht und einfach höher wird und dadurch kein Konsolidierungsbeitrag erreicht wird. Unser Ziel ist es, eine Verstetigung auf einem Niveau, das eine sektorale Versicherung noch ermöglicht, zu gewährleisten, aber gleichzeitig Einsparungen vorzunehmen und die in diesem Bereich notwendige Strukturreform, die unter anderem vom Bundesrechnungshof angemahnt worden ist, voranzutreiben. Sie haben das verschlafen. Wir wollen dieses jetzt nach Möglichkeit im Konsens mit den Versicherungsträgern vorantreiben. ({2}) Bei der Alterssicherung der Landwirte wird sich in Zukunft auf Grund des fortschreitenden Strukturwandels die Schere zwischen Beitragszahlern und Zuwendungsempfängern weiter öffnen. Der Bund sieht sich hier in der Pflicht, Einschnitte vorzunehmen, damit das System finanzierbar bleibt. Wir streben auch hier in erster Linie eine Konsolidierung an, das heißt, daß keine überproportionalen Einschnitte vorgenommen werden und vor allem die unterste Einkommensschicht geschützt wird. ({3}) Wir haben deshalb im Haushalt 2000 eine schrittweise Anpassung vorgesehen, die auf der maßvollen Anhebung des Einheitsbetrages durch schrittweise Verringerung des Abschlages bei der Beitragsberechnung beruht.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kollegen, es ist wirklich schwierig für die Rednerin, wenn Sie bei jedem Satz dazwischenrufen, mit ihrer Rede fortzufahren, zumal es auch schon so spät ist.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Kollegen kommen heute alle selber nicht dazu, zu reden; deshalb ist das Mitteilungsbedürfnis so groß. Des weiteren werden die Beitragszuschüsse verringert und die Einkommensgrenzen herabgesetzt. Im unteren Sektor wird es jedoch nach wie vor Zuschüsse geben, allerdings nicht in voller Höhe, wie es bisher der Fall gewesen ist. Wenn wir aber das Ziel der Haushaltssanierung mittragen wollen, kommen wir um diese Maßnahme nicht herum. Die Gasölbeihilfe, Sie haben es angesprochen; das ist richtig - ist bei den Landwirten direkt einkommenswirksam. Wenn Sie aber den Haushalt konsolidieren wollen und nicht einen Bereich überproportional belasten wollen, werden Sie auch beim Agrarhaushalt in alle Bereiche eingreifen müssen. ({0}) Die Verringerung der Gasölbeihilfe ist, wenn man die Kritik des Bauernverbandes als Maßstab nimmt, ja offensichtlich das größte Problem im Sparhaushalt. Ich will auch nicht in Abrede stellen, daß es dadurch zu Wettbewerbsverzerrungen auf europäischer Ebene kommen kann. ({1}) Dies müssen wir durch zweierlei Maßnahmen vermeiden: Erstens werden wir die Harmonisierungsbemühungen auf EU-Ebene verstärken. Zweitens werden wir den Landwirten Alternativen mit innovativem Charakter anbieten, die inzwischen selbst vom Bauernverband eingefordert werden. Wir werden die Verwendung von Pflanzenölen, insbesondere von Bio-Diesel, in landwirtschaftlichen Fahrzeugen fördern, indem wir diese durch die Fortführung der Flächenstillegung im Rahmen der Agenda und die Befreiung von der Mineralölsteuer bereits heute wettbewerbsfähig machen. Außerdem ist es unser Ziel, Investitionshemmnisse bei der Umrüstung älterer Maschinen auf Pflanzenöl zu beseitigen und eine Verbesserung der Infrastruktur für biogene Treibstoffe zu erreichen. Wir wollen deshalb die Markteinführung zeitlich begrenzt unterstützen. Wer den Landwirten neue Märkte eröffnen will, sollte massiv in diesen Bereich hineingehen. Er stellt eine echte Alternative gerade auch vor dem Hintergrund der Diskussion um die Gasölbeihilfe dar. ({2}) Zur Gemeinschaftsaufgabe. Sie ist meiner Ansicht nach das zentrale Instrument einer Agrarpolitik auf naJochen Borchert tionaler Ebene, die überhaupt noch gestalten will. Dennoch hat die frühere Bundesregierung hier überproportional gekürzt. Der Bundesanteil wurde seit 1994 um ein Drittel verringert. Unser Ziel ist es, die Gemeinschaftsaufgabe auf dem derzeitigen Niveau von 1,7 Milliarden DM zu verstetigen, sie mit neuen Aufgaben zukunftsfähig zu machen und den Landwirten neue Möglichkeiten zu eröffnen. ({3}) Deshalb wollen wir bei der Beratung über die zukünftigen Aufgaben in der Gemeinschaftsaufgabe die neue Schwerpunktsetzung vorantreiben. Regionale Verarbeitung, Vermarktung und umweltgerechte Landwirtschaft sind Möglichkeiten, um den Landwirten neue Märkte zu eröffnen. Wir wollen in diesen Bereichen die Förderziele der Gemeinschaftsaufgabe erweitern, um den Landwirten im Interesse der Verbraucher weitere Möglichkeiten zu eröffnen. Zusammenfassend möchte ich Ihnen noch einmal mit auf den Weg geben, daß Sie versuchen sollten, diese Debatte ehrlich zu führen, sich in die Beratung mit einzubringen. Wir sind durchaus bereit, über Alternativvorschläge Ihrerseits zu diskutieren. Wenn ich mir allerdings die Debatte, die Sie heute im Laufe des Tages geführt haben, anschaue, dann weiß ich, daß Sie bei jedem Einzelplan, der heute beraten worden ist, davor gewarnt haben, überhaupt irgendwelche Einschnitte vorzunehmen. Sie haben darauf verwiesen, daß man prinzipiell zu einer Haushaltssanierung bereit sei. Aber bisher ist von Ihrer Seite überhaupt kein Vorschlag gekommen, wie das Ganze realisiert werden soll. ({4}) Deshalb ist unser Ziel, alle Einzelpläne gemeinsam in dieses Konsolidierungskonzept einzubinden. Wir werden Ihre Beteiligung an den Haushaltsberatungen an substantiellen Alternativvorschlägen messen und nicht an einer Polemik, die ausschließlich darauf abzielt, dieses Konsolidierungskonzept in Frage zu stellen. Danke. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es war auch eine mit Zwischenrufen gespickte Rede. Jetzt hat der Kollege Heinrich das Wort.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme zwei Stichworte des Herrn Bundesminister Funke auf. Wir sollen erstens Alternativen vorlegen; zweitens würde die Bundesregierung solidarisch handeln. Die Alternative, Herr Bundesminister, würde bedeuten, daß wir Ihre Wahlversprechen in der Form nicht durchgeführt und umgesetzt hätten und daß die zusätzliche Aufblähung des Haushalts um 30 Milliarden DM, die unter Lafontaine geschehen ist, nicht stattgefunden hätte. ({0}) Wenn Sie auf der einen Seite - aus welchen Gründen auch immer - Ihr Geld ausgeben und auf der anderen Seite kassieren und dann die Solidarität einklagen, dann will ich Ihnen einmal sagen, wie die Solidarität, die Sie jetzt praktizieren wollen, denn in Wirklichkeit aussieht.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Heinrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Diller?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Herr Kollege Diller, ich will Ihnen sagen, ich schätze Sie sehr, aber ich möchte diese Agrardebatte nicht zur Lächerlichkeit verkommen lassen. ({0}) Die Art und Weise, wie hier Solidarität definiert wird, darf ich an ein paar Beispielen darstellen. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt, daß die Landwirtschaft überproportional von der Ökosteuer betroffen ist. Wo ist hier das solidarische Verhalten? ({1}) Davon ist nichts zu spüren. Die Sache geht einseitig zu Lasten der Landwirtschaft. Der Haushalt wird um etwa knapp 6 Prozent gekürzt, was im Ernährungshaushalt fast immer ausschließlich direkt auf die Einkommenssituation der Landwirtschaft durchschlägt. Auch das wissen Sie. Das hat zur Folge, daß wir insgesamt mit einer Einkommensminderung von 15 bis 20 Prozent zu rechnen haben, und das ohne die Beträge, die durch die Agenda 2000 uns ohnehin noch serviert werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Uli Höfken?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich möchte meine Gedanken hier vortragen. Ich habe nur sieben Minuten und lasse mich nicht durch Zwischenfragen von meinen Gedanken abbringen. ({0}) Die Tatsache, daß wir durch Kürzungen im Agrarhaushalt direkt einkommenswirksame Kürzungen zu registrieren haben, zeigt sich auch ganz deutlich an folgendem: In Ihrem Kürzungspaket, mit dem Sie bei den Zuschüssen für die landwirtschaftlichen Alterskassen ganz besonders solidarisch eingreifen, nämlich bei den Einkommen zwischen 16 000 und 20 000 DM, bei den Einkommen, bei denen alle sieben Einkommensarten zugrunde gelegt werden, haben Sie die Stirn und verlangen von den Landwirten, daß sie zwischen 162 und 100 Prozent höhere Beiträge bezahlen, als es derzeit der Fall ist. Das ist Ihre Definition von Solidarität. Wenn Sie jetzt mit dem Kopf schütteln, Herr Minister, dann muß ich sagen: Ich habe hier die Zahlen, die aus Ihrem Hause stammen und die genau zeigen, wie sich das in den einzelnen Betrieben darstellt. ({1}) Das ist Solidarität à la Bundesregierung. Lassen Sie mich noch ein Weiteres anführen; Solidarität im Bereich der Berufsgenossenschaft. Es gibt Kürzungen auch auf diesem Gebiet, die einseitig zu Lasten der deutschen Landwirtschaft gehen. ({2}) Es gibt Kürzungen im Dieselölbereich. Dazu sagen Sie großspurig: Ich weiß, es verschlechtert die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft. Ich habe aber keine andere Möglichkeit. - Sie haben dieses Jahr Null vorgesehen, weil Sie sonst von der gesetzlichen Abfolge her die entsprechenden Daten nicht mehr erreichen und das eingesparte Geld, die 50 Millionen DM, die ursprünglich eingesetzt waren, nicht mehr bekommen. Was machen Sie? Sie schlagen es einfach im Bereich der Krankenkassen drauf. Für die Krankenkassen waren ursprünglich 200 Millionen DM veranschlagt. Aber weil man beim Diesel in diesem Jahr nicht zulangen kann, schlägt man bei den Krankenkassen noch einmal 50 Millionen DM drauf. Das ist Solidarität à la Funke. ({3}) So einfach ist das. Das wirkt sich natürlich negativ auf die Beitragsgestaltung aus; denn man kann nicht beliebig in die Reserven eingreifen, ohne daß man das später in Form einer Beitragserhöhung wieder kompensieren muß. ({4}) - Herr Minister, mir wäre es recht, wenn von der Regierungsbank keine Zwischenrufe kämen. ({5}) - Frau Präsidentin!

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, der Redner weist zu Recht darauf hin, daß Sie auf der Regierungsbank schweigen und zuhören müssen.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bitte darum, daß mir die Zeit nicht angerechnet wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Dieselbereich führt zu einer absolut einseitigen Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der deutschen Landwirtschaft. Wenn Sie den Abbau der 41,5 Pfennig pro Liter nehmen und die 30 Pfennig Ökosteuer, die im Laufe der nächsten drei Jahre dazu kommen, hinzurechnen - 6 Pfennig haben wir ja schon -, dann sind es 70 Pfennig, die Sie drauflegen dürfen. Dann liegen Sie bei über 1,70 DM. Das heißt, im Vergleich zu den französischen Nachbarn liegen Sie um 1 DM pro Liter höher. Jetzt können Sie ausrechnen: Wenn Sie 130 Liter im Schnitt pro Hektar zugrunde legen, dann wissen Sie, daß die Landwirtschaft in Deutschland allein durch die Dieselöl- und die Ökosteuer um 130 DM stärker belastet wird. Das ist Solidarität à la Funke. ({0}) Man kann gar nicht drastisch genug darstellen, wie die Auswirkung dieser Politik in den nächsten Jahren sein wird. Die Auswirkung wird sein, daß sich der Strukturwandel beschleunigt. Das, was Sie vom Strukturwandel sagen, Herr Minister Funke, habe ich jetzt schon fünfmal gehört. Das wird deshalb nicht richtiger. Es überzeugt überhaupt nicht; denn das, was Sie hier anfachen, indem Sie in den Geldbeutel der Landwirte greifen und ihnen letztendlich die Perspektive nehmen, geht ja noch weiter. Sie können heute den Landwirten auf Grund des vorliegenden Haushaltes und der absehbaren Entwicklung der nächsten drei Jahre keine positive Perspektive geben. Dazu kommt noch die Herausforderung der europäischen und weltweiten Agrarpolitik. Die WTO steht vor der Türe. Das wird zu einer Situation führen, die Sie - und niemand anders zu verantworten haben. Wir werden klar und deutlich sagen, daß der beschleunigte Strukturwandel und das verstärkte Höfesterben auf Ihr Konto - und auf kein anderes - gehen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann. ({0})

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Fazit des vorgelegten Haushaltsplanes für das Jahr 2000 liest sich in Fortsetzung des Planes für 1999 etwa so: Wir spannen die Bauern vor den Karren der Neoliberalisierung, füttern sie mit der Agenda 2000 und geschmackvollen Worten zum notwendigen Strukturwandel gut an und lassen sie dann die Karren in Richtung Weltmärkte ziehen. Die Bauern, die es dorthin nicht schaffen, lassen wir über die Klinge springen. Jegliche lautstarken Proteste und Feuerzeichen stoßen auf taube Ohren. Viel wohltuender für die BundesregieUlrich Heinrich rung sind da die Worte des Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl, der Bundeskanzler Schröder den Rat gibt, nicht zu wackeln, da es geradezu tödlich wäre, wenn er vom gerade erst eingeschlagenen Pfad der ökonomischen Tugend wieder abweichen würde. Doch wer hat nach den vergangenen Landtagswahlen nicht längst schon das Wackeln der Bundesregierung bemerkt? Wie die Ausgänge der letzten Landtagswahlen zeigen, läuten die Bäuerinnen und Bauern, aber auch die Bevölkerung in den ländlichen Regionen das absehbare Ende einer kurzen SPD-Ära ein. ({0}) Angesichts dessen, daß die Bundesregierung auf dem besten Weg ist, noch schneller noch mehr Bauern abzuschaffen, und angesichts dessen, daß wettbewerbsfähige Bauern auf Expansion setzen müssen, versichere ich Ihnen: Die Landwirtschaft der Zukunft wird amerikanische Züge annehmen, was auf jeden Fall nicht nur bei der PDS auf Widerstand stoßen wird. ({1}) Auf 3 bis 5 Milliarden DM schätzt der Deutsche Bauernverband die Belastungen der Landwirtschaft durch die Agenda 2000 und die Haushalts- und Steuerpolitik der Bundesregierung. Man muß kein Hellseher sein, um die Folgen dieser Politik für die Agrarbetriebe, die landwirtschaftlichen Arbeitsplätze und die Entwicklung der ländlichen Räume vorherzusehen. Die sinkenden Einkommen nötigen dazu, die Produktion weiter auszudehnen und zu intensivieren, und das mit erheblichen Umweltfolgen und Veränderungen im Landschaftsbild sowie im ländlichen Raum. Die Schröder-Regierung schafft in einem Jahr, wozu die Kohl-Regierung mehr als zehn Jahre gebraucht hat. Sie hat den Draht zur Realität verloren. ({2}) Die drastische Kürzungspolitik wird nicht nur konsequent fortgesetzt, sondern überdimensional auf die Bauern abgewälzt. ({3}) Bei Einsparungen von 1,5 Prozent im Gesamthaushalt gegenüber dem Vorjahr will die Bundesregierung im Agrarhaushalt 4,6 Prozent, also mehr als das Dreifache, einsparen. Ist das die Antwort der Bundesregierung auf die existentiellen Sorgen der Bauern? Es ist nicht nachzuvollziehen, was die Bundesregierung zu einer solchen Politik des Harakiri treibt. Es ist also an der Zeit, daß der Kanzler und mit ihm die Bundesregierung über echte Alternativen nachdenken. Denn sein Gerede - Minister Funke hat dies soeben auch betont -, es gebe keine, aber auch gar keine Alternative, ist der Vollzug der Wende von der Marktwirtschaft zur reinen Profitwirtschaft. Staatssekretär Dr. Wille antwortete auf unsere Kritik der dramatischen Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft mit den Worten, daß in Betrieben, die durchschnittliche Produktionsbedingungen aufweisen und die ordnungsgemäß geführt werden, die wirtschaftliche Existenz einer bäuerlichen Familie nachhaltig gewährleistet ist. Welch Hohn für alle Bäuerinnen und Bauern, die um das Überleben kämpfen! Fast eine halbe Milliarde DM soll bei der landwirtschaftlichen Sozialpolitik eingespart werden. Was hat das noch mit sozialer Gerechtigkeit zu tun? Das ist mehr als schmerzlich, Herr Minister Funke. Auch die Hoffnung auf eine Verbesserung dieser Situation durch die Ökosteuer war eine Fehlanzeige. Ein Familienbetrieb hat zwar die Belastungen aus der Ökosteuer, aber keine Einsparungen bei den Lohnnebenkosten. Es ist sicherlich richtig, daß Biomasse, Biogas und nachwachsende Rohstoffe gefördert werden sollten. Dies ist aber erstens ein Tropfen auf den heißen Stein und zweitens werden den Landwirten solche Fördergelder über soziale Kürzungen, die Ökosteuer und Kürzungen der Gasölverbilligungen wieder abgenommen. Diese Politik läuft sozialökologischen und regionalen Wirtschaftskreisläufen entgegen. Je rücksichtsloser sich das Großkapital der Konzerne über die Lebensziele der von ihnen abhängigen Bauern hinwegsetzt, um so größer wird die Verpflichtung des Staates, sich wenigstens als soziales Regulativ auszuweisen. Die PDS fordert deshalb: Der agrarpolitische Kurs der Bundesregierung muß korrigiert werden. Er darf nicht die weiteren Vorhaben bei der Steueränderung, bei der Neustrukturierung der landwirtschaftlichen Krankenkassen und bei der Umsetzung der Agenda 2000 bestimmen. Die Kürzungen im Agrarhaushalt sind zurückzunehmen. Wir fordern daher eine Aufstockung bzw. eine Zurückführung auf 11,8 Milliarden DM. Außerdem sind zusätzliche Mittel bereitzustellen, durch die - zusammen mit den Mitteln der EU - in den ländlichen Räumen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Das mindeste wäre, wieder die Möglichkeit zur Beantragung einer Produktionsaufgaberente für Landwirte zu schaffen. Es ist für die Sozialdemokratie und für die europäische Linke verhängnisvoll, wenn die SPD und Bündnis 90/Die Grünen den Versuch fortsetzen, eine nachholende Thatcher-Politik zu betreiben, um in die Fußstapfen von Tony Blair zu treten. Noch ist im Agrarbereich Zeit zur Umkehr. Dazu aber benötigen wir den politischen Willen. Danke schön. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Brinkmann, und zwar zu seiner Jungfernrede. Wir werden also genau zuhören.

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Gestatten Sie mir, daß ich zunächst eine kurze Vorbemerkung mache. Es ist für mich eine besondere Freude, daß ich heute, wenn auch zu später Stunde, fast gegen Mitternacht, meine erste Rede hier im neuen Plenarsaal des Reichstagsgebäudes halten darf; Frau Präsidentin hat schon darauf hingewiesen. Sie werden sicher verstehen, daß ich deshalb ein wenig aufgeregt bin; aufgeregt bin ich aber auch auf Grund der Äußerungen zumindest der zwei Vorredner und der Vorrednerin von Herrn Hollerith, von Herrn Heinrich und der Kollegin von der PDS. Es ist doch eine feststehende Tatsache - das kann man gar nicht oft genug wiederholen -: Angesichts der enormen Staatsverschuldung und des für jeden sichtbaren Scherbenhaufens, den die heutige Opposition hinterlassen hat, muß sich die jetzige Bundesregierung damit befassen, wie der weitere Gang in die Staatsverschuldung gestoppt werden kann und wie die Scherben einigermaßen gerecht beseitigt werden können. ({1}) - Herr Kollege, auf diesen Zwischenruf will ich Ihnen eine deutliche Antwort geben. Aus der Anfangszeit meiner kommunalpolitischen Tätigkeit habe ich noch genau im Ohr, daß Ihre Parteifreunde Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten vorgeworfen haben, sie könnten nicht mit Geld umgehen. Was Sie in 16 Jahren gemacht haben, ist der Beweis dafür, daß Sie mit Geld überhaupt nicht umgehen können: ({2}) Fast jede vierte Steuermark aus dem Bundeshaushalt wird für Zinsen benötigt. 1,5 Billionen DM an Staatsschulden ist die Bilanz der Regierungszeit aus CDU/CSU und F.D.P. Sie sprechen - wie auch im Verlauf der heutigen Debatte - sehr oft diese 30 Milliarden DM an und lassen dann Zwischenfragen des Staatssekretärs Diller nicht zu. Diese 1,5 Billionen DM Staatsschulden, Herr Ronsöhr, sind doch nicht die Bilanz aus einem Jahr Rotgrün, sondern die Bilanz Ihrer Politik aus 16 Jahren. ({3}) - Herr Kollege Heinrich, hören Sie aufmerksam zu! Ich füge hinzu - Sie nehmen für sich in Anspruch, davon eine ganze Menge zu verstehen -: Jeder Privatmann würde bei dieser hohen Schuldenlast gehörige Zukunftsängste haben; jeder Unternehmer würde mit Recht von seinen Banken zum Konkursrichter geschickt werden. Wir werden das in Ordnung bringen: Das müssen wir, das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland und gerade den nachfolgenden Generationen schuldig. Herr Bundesminister Funke hat schon darauf hingewiesen: Der Agrarbereich kann davon nicht ausgenommen werden. Weil mittlerweile 70 Prozent des Agrarhaushaltes auf Ausgaben für die Agrarsozialpolitik entfallen, kann auch dieser Bereich nicht vollkommen ausgespart bleiben. Um Sparprogramme haben wir uns nicht gerissen, und bei den Ausgaben für die Sozialpolitik kürzen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht gerade gern und schon gar nicht leichtfertig, was Sie uns ständig unterstellen. ({4}) Wir werden uns die vorgeschlagenen Maßnahmen noch einmal genau ansehen und prüfen, ob das eine oder andere noch geändert werden kann, damit sozial gerechte und für die Betriebe tragbare Lösungen gefunden werden können. ({5}) Wir haben in diesen Tagen hierzu ja sehr viele Briefe bekommen, von Landwirten, von Bauernverbänden und auch von deren Präsident, Herrn Sonnleitner. Ihnen ist vielleicht auch bekannt, daß ich aus einem durchaus landwirtschaftlich strukturierten Wahlkreis komme, daß ich in Gesprächen mit den beiden Landvolkverbänden meines Wahlkreises ({6}) in dem einen oder anderen Punkt schon durchaus Verständnis gefunden habe. Es hilft nämlich wenig, wenn man sich so verhält, wie Sie es tun und wie es Ihre Bauernpräsidenten tun, die sagen: Eine Verhandlungsbasis gibt es nicht, sondern wir bestehen darauf, daß es im Agrarhaushalt keine Kürzungen gibt. ({7}) Daher nehmen wir diese Briefe und die Ergebnisse aus den geführten Gesprächen auch sehr ernst und werden uns mit den aufgezeigten Argumenten sehr intensiv beschäftigen. ({8}) Auffallend daran aber ist, daß die Notwendigkeit zum Sparen offenbar nicht bezweifelt wird, aber doch, bitte schön, nur bei den anderen, nicht bei den Landwirten. So geht das beim besten Willen nicht. Vorschläge, wie etwas besser ausgestaltet werden kann, welche Alternativen es gibt, kommen leider auch nicht von der heutigen Opposition. ({9}) Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und F.D.P., tragen die volle Verantwortung für die desolate Haushaltssituation, die wir vorgefunden haben. ({10}) Überall höre ich von Diskussionen und sogar Beschlüssen über die Fusion von Sozialversicherungsträgern. Von der Kürzung der Bundesmittel für die Unfallversicherung in diesem Jahr, für die man uns signalisiert hatte, daß Beitragserhöhungen zunächst nicht erforderlich werden, ist offenbar ein geradezu heilsamer Druck ausgegangen. ({11}) Die Diskussion um die Struktur der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ist nun nicht neu. Die Kolleginnen und Kollegen, die etwas länger diesem Hause angehören, können mir das sicherlich bestätigen. Das Gutachten des Bundesrechnungshofes und die darin aufgezeigten Mißstände beziehen sich auf eine Zeitspanne, für die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die alleinige Verantwortung tragen. ({12}) Wir müssen vielmehr das Ziel neu und wie folgt definieren: Die soziale Sicherung der in der Landwirtschaft Beschäftigten ist so auszugestalten, daß innerhalb des Sektors im Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen und beim Verhältnis von aktiven Landwirten zu Rentnern ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beiträgen und Leistungen besteht. ({13}) Der Bund entzieht sich nicht seiner Verantwortung. Weiterhin wird er zur agrarsozialen Sicherung in erheblichem Umfang beitragen und dafür auch erhebliche Mittel des Agrarhaushaltes aufwenden. Ich gestehe gerne ein, daß wir uns über die Ausgestaltung im einzelnen noch unterhalten müssen, daß wir im Rahmen der weiteren Haushaltsplanberatungen durchaus redlich diskutieren und weiter beraten werden. Hierzu laden wir alle ein, die bereit sind, konstruktive Vorschläge zu unterbreiten, damit das eine oder andere noch verändert werden kann, allerdings unter der großen Überschrift: Das Einsparvolumen darf dabei nicht in Frage gestellt werden. Vielen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön, Herr Kollege. Ich möchte Ihnen, wie wir das so halten, zu dieser ersten Rede gratulieren. ({0}) Ich darf vorsichtig anmerken, daß auch bei einer ersten Rede fünf Minuten nur fünf Minuten sind. Das Wort hat jetzt Herr Abg. Schindler.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist für mich eigentlich ein sehr schöner Tag, nicht wegen des Themas, aber ich habe mir vor zehn Jahren beim Beginn der Weinlese und der Herbstarbeiten nicht vorstellen können, daß ich einmal im Reichstag reden werde. Ich habe mir aber auch nicht vorgestellt, daß wir im Jahre 1999 über einen Haushaltsansatz für das Jahr 2000 reden, bei dem Sie, Herr Minister Funke, auf zwei Zwischenfragen eingehen, aber nicht die notwendigen Begründungen zu dem Vorschlag Ihres Hauses anführen. Ich konstatiere aber: Respekt, das war heute keine Karnevalsrede, wie Sie sie schon gehalten haben. Man hatte manchmal den Eindruck, die Agrarpolitik wird im Parlament bewußt lächerlich gemacht. Das ist heute nicht passiert. Um so trauriger ist der Ansatz, der uns heute vorgelegt wird, und dies unter dem Eindruck - den ich den ganzen Tag über gewonnen habe -, daß 1,5 Billionen DM Schulden 1,5 Billionen Mark Schulden zuviel sind. ({0}) - Das ist so richtig. Herrn Brinkmann sehe ich das noch nach, aber Ihnen, Herr Schmidt, und Ihnen, Herr Diller, nicht. Sie sind schon lange genug im Parlament. 1990 fand die deutsche Einheit statt. Diese haben wir gemeistert. Es war besser und billiger, die Zukunft unseres Volkes zu finanzieren, als militärisch aufzurüsten. ({1}) Ich sage in aller Deutlichkeit: Ich bin stolz auf die Schulden in Höhe von 1,1 Billionen DM, die durch die deutsche Einheit entstanden sind. ({2}) Ich bin stolz auf diese Schulden - ich sage das noch einmal - und auf das, was wir in diesen zehn Jahren geleistet haben. 16 Jahre Kohl-Regierung hört sich an wie ein Trauerchor, es waren aber mit die schönsten und besten Jahre dieser Bundesrepublik Deutschland. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Schindler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Diller? Bernhard Brinkmann ({0})

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er wurde so oft abgewiesen, und ich mag ihn persönlich gut leiten. Bitte schön. ({0})

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schindler, zu Ihrer Information, damit Sie die Zahlen richtig im Kopf haben, möchte ich Ihnen folgendes sagen. ({0}) Möchten Sie bitte endlich zur Kenntnis nehmen, daß sich in der ersten Hälfte der Amtszeit von Kanzler Kohl zwischen 1982 und 1990 die Schulden, die die Regierung Kohl übernehmen mußte, für die der Bund geradezustehen hatte, verdoppelt haben? Diese verdoppelten Schulden haben Sie seit der deutschen Einheit noch einmal verdoppelt. Sie können nicht 1,1 Billionen DM von 1,5 Billionen DM der deutschen Einheit anlasten. Das ist eine Mär. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme das gern zur Kenntnis, Herr Kollege Diller, und mache Ihnen die Rechnung auf: Der Saldo von Staatskosten und Steuererträgen in den jungen Bundesländern betrug 600 bis 700 Milliarden DM. Dazu kommen die geerbten Altschulden der DDR. Dann komme ich auf 1,1 Billionen DM. Ich glaube, auch ich habe die vier Rechenarten gelernt. Zu den Altschulden der Regierung Schmidt habe ich keine Aufrechnung gemacht. Sie bewegen sich um 400 Milliarden DM. Wenn Sie von Altlasten reden, müssen Sie alles aufzählen. Gerade die Infrastruktur in den jungen Bundesländern hat sich vorbildlich entwickelt. Ich war vor acht Tagen in Polen. Was schauen die Menschen dort mit Begierde nach Westen. Mit Blick auf das, was gemeinsam vom deutschen Volk in den neuen Bundesländern geleistet wurde, sage ich noch einmal: Ich bin stolz auf diese Schulden. ({0}) Es wird vom Sparpaket geredet. Ich will das nicht wiederholen. Tatsächlich werden zwischen 5 und 8 Milliarden DM gespart. Das hat Minister Waigel alle Jahre mit viel Streit und auch Vorführen der Opposition auf den Weg gebracht. Wenn man die Modernisierung der Rheinbrücke in Worms auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschiebt oder wenn man Verlagerungen in die Länder vornimmt und dies bei Herrn Müntefering als Sparmaßnahmen abbucht, dann ist das unredlich. Ich habe mir angesehen, was wo gespart wird und was uns Bauern mit 1,7 Milliarden DM in der Gesamtsumme der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2002 genommen wird. Der Entwurf betrifft heute 850 Millionen DM, und dies unter dem Eindruck der Agenda-Beschlüsse vom 23. März 1999 in Berlin. Dazu verkünden Sie, Herr Funke, was wir Deutsche alles geleistet haben. Ich erkenne schon an, daß die Vorschläge Fischlers andere waren. Es muß aber auch deutlich gesagt werden: Der beste Anwalt war hier der französische Staatspräsident. ({1}) Das können Sie gern in den Protokollen über die deutsch-französischen Konsultationsgespräche nachlesen. Mit der Agenda 2000 wurde, Herr Funke, eine Belastung beschlossen, ohne den Milchpreisrückgang von 1,6 Prozent zu berücksichtigen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, zum zweitenmal schaue ich in Ihre Richtung.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich habe Sie auch nicht unterbrochen. Wir können nachher noch ein Bier trinken und dies vertiefen. Dagegen habe ich nichts. Dann reden wir über Eiswein und Eisbein weil Sie solche Redewendungen so mögen - und können dabei die Materie vertiefen. Die Agenda wird uns mittelfristig - ohne den gefürchteten Rückgang des Milchpreises zu berücksichtigen - mit, vorsichtig geschätzt, zirka 1,7 Milliarden DM belasten. Herr Kollege Weisheit, es wurde auch eine Steuerbelastung für die deutschen Bauern beschlossen. Sie wissen selbst, welchen Einfluß Sie bei diesen Themen in Ihrer Fraktion haben: null Komma null. Das ist ein beinahe so schlechtes Prozentergebnis wie das, das Sie derzeit bei den Wahlen einstreichen. Sie klagen an, die Berufsverbände und Agrarpolitiker seien nicht mehr gesprächsbereit und es gebe keinen Spielraum mehr, um die Interessenlage des ländlichen Raumes zu berücksichtigen. Aber was sollen wir vor dem Hintergrund dieses Haushaltes denn noch machen? Ein leerer Sack kann keine Geldbörse mehr beinhalten. Wie sollen wir denn dem eigenen Klientel, den Landwirten, draußen noch erklären, wo ein konstruktiver Vorschlag möglich ist? Dann kommen Sie und zitieren die Berufsgenossenschaft. Jetzt hat man 55 oder 65 Millionen DM in diesem Jahr einfach über Nacht beschlossen. Im nächsten Jahr sind es 115 Millionen DM. Das bedeutet für uns in Rheinland-Pfalz eine Beitragserhöhung um 20 bis 25 Prozent. Hier findet ein Abstrafen des strukturschwachen Südens unserer Republik statt. Der Norden kommt etwas besser dabei weg. Das sage ich nicht zynisch, aber es ist Realität. Dann wird der Bundesrechnungshof geholt. Aber was besagt dessen Gutachten in der Konsequenz? Ich lasse mich so nicht vorführen. Dafür bin ich zu lange dabei. Ich habe schon Fusionen mitgemacht. Es besagt: Wenn es bundeseinheitlich wäre, wäre es möglich, 0,6 Prozent des Gesamtvolumens des Haushaltes in den nächsten Jahren zu sparen. - Was eine Fusion kosten kann, habe ich selbst erlebt. Für die Konzentration, dafür, die Verbände bundeseinheitlich zusammenzuführen, die Verbände mit Sonderstrukturen und die mit gesunden Strukturen wie zum Beispiel in Westfalen-Lippe oder Braunschweig, wünsche ich viel Glück. Es gibt Vorschläge dazu. Es ist nicht so, daß sich der Berufsstand dem verweigert. Über fünf oder sechs Mittelzentren kann man vernünftigerweise reden. Dafür sind wir auch offen. Zu den Einsparungen, die man vornimmt, um die alten Lasten wegzubekommen, muß ich nach dem, was ich dazu gehört habe, Beispiele wie aus der Bibel bringen: Von 20 Bauernkindern geht nur eines in den Beruf der Eltern. Von diesen 20 Bauernkindern haben zwölf oder zehn Elternteile. Wer übernimmt bei einem Unfall diese alte Last, wenn dann nur noch eines von 20 Kindern übrigbleibt? Wir geben aus dem Bauernstand - ich bin selbst praktizierender Landwirt - unser bestes, ausgebildetes Menschenmaterial in die andere Arbeitswelt ab. Diese Menschen steigen dort neu und jung als Beitragszahler ein. Uns fehlen sie dann im Generationenvertrag. Das muß man doch einsehen. Deswegen liegt die alte Last nicht bei 615 Millionen DM - das haben wir auch bei der alten Regierung immer wieder kritisiert, haben uns aber nicht so durchgesetzt, wie es notwendig gewesen wäre -, sondern bei 720 bis 730 Millionen DM. Diesen Betrag kürzt man einfach auf 500 Millionen DM. Sie wären noch weiter gegangen, wäre nicht der große Druck auch aus der Vergangenheit gekommen. Nun zur Gasölbeihilfe: Diese wird auf Null gefahren, obwohl die Kosten für einen Liter Treibstoff in Holland, in Frankreich und in England bei nur 27 Pfennig liegen. Dies sage ich zur Information. Wie erkläre ich es meinen Südpfälzer Bauern oder den Badensern, die über den Rhein schauen, warum diese Wettbewerbsverzerrung und diese Preise in Frankreich weiterhin möglich sind, man uns Deutschen aber mit der zweiten Stufe der Ökoreform einen Preis von 1,70 DM oder 1,80 DM pro Liter Treibstoff zumutet? Das bedeutet unter dem Strich eine Wettbewerbsverzerrung in der Größenordnung von 160 bis 170 DM pro Hektar. Trotzdem reden wir von Wettbewerbsgleichheit und von der Globalisierung der Märkte. ({0}) Herr Funke, das ist der verkehrte Ansatz; das wissen Sie genauso gut wie ich. Angesichts der Tatsache, was bei den Verhandlungen zur Agenda gelaufen ist, hätte ich an Ihrer Stelle wirklich einmal auf den Tisch gehauen, so daß - um es auf Pfälzisch auszudrücken - die Aschenbecher vom Tisch gefallen wären. Wo war Ihr Einsatz im Kabinett? Nach acht Monaten Regierungszeit weist Ihre Bilanz Verluste für die Landwirte auf, die Jochen Borchert und Kiechle in neun Jahren nicht zu verantworten hatten. Wenn ich die EU-Mittel herausrechne, dann stelle ich fest, daß Ihre Kürzungen im Bundeshaushalt in acht Monaten das Niveau der Kürzungen seit dem Jahr 1991 erreichen. Deswegen kann man Sie beim besten Willen nicht loben. ({1}) - Da wäre es vielleicht einmal gut, dem Landsmann Ronsöhr zuzuhören, der gute Vorschläge macht und gute Ideen hat. ({2}) Man geht an die Gemeinschaftsaufgabe zu locker heran. Das ist aber das einzige Instrument, mit dem die Länderagrarminister die Möglichkeit haben, mit Kompensationsmitteln vor Ort etwas zu gestalten. Daß wir in diesem Zusammenhang einen Konflikt zwischen Nord und Süd haben, verpflichtet Sie eigentlich bei dem anstehenden Strukturwandel und bei den preislichen Vorgaben, diese Mittel genauso aufzustocken wie die Mittel der Berufsgenossenschaft. Aber es wird der andere Weg gegangen. Herr Minister, es wurden in acht Monaten Belastungen für die deutsche Landwirtschaft in der Größenordnung von 5 Milliarden DM pro Jahr beschlossen. Das sind 12 Prozent der landwirtschaftlichen Wertschöpfung. Das heißt in der Konsequenz: Ein Berufsstand wird sich, gemessen an der Zahl seiner Mitglieder, halbieren. Dies wird nicht in 10 oder 20 Jahren passieren, sondern in den nächsten zwei bis drei Jahren. Wenn dies die Agrarstrukturpolitik der Zukunft ist, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht! Diese Politik setzt die falschen Zeichen bei der jungen Generation. Wer sind denn die billigsten Landschaftspfleger überhaupt? Das sind nicht die Umweltapostel in den Kreisverwaltungen, sondern das sind die Bauern. Erklären Sie einmal einem Landwirt die Regelung mit dem Gasöl. Manager und Urlauber fahren mit steuerfreiem Flugbenzin zu ihren Terminen. Die Bauern sollen aber in der Kälte und in der Hitze die Ernte einbringen, wobei der Steueranteil des Gasöls bei über 1 DM liegt. Das ist den Landwirten nicht zu erklären. ({3}) Diese Punkte passen nicht ins Gesamtkonzept. Ich habe den Eindruck, daß die Bauern in Sippenhaft genommen werden, weil sie nicht so gewählt haben, wie sich das mancher von Ihnen vorgestellt hat. Danke schön. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Weisheit.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist bemerkenswert, wie in der Opposition eine Verdrängung dessen stattfindet, was war. Die 1,5 Billionen DM Schulden - diesen Punkt muß man wiederholen - sind Ihre Erblast. ({0}) Die Darstellungen über die Wahlgeschenke und die Aufblähung um 30 Milliarden DM treffen auch nicht zu. Das hat der Herr Staatssekretär heute schon zweimal dargestellt. Sie wollen diese Tatsache nicht zur Kenntnis nehmen. ({1}) Sie verdrängen die Geschichte. ({2}) - Nur Sie sind nicht schuld. Norbert Schindler hat mich gerade fast zu Tränen gerührt, als er gesagt hat, er sei stolz auf die Schulden, die auf Grund der Einheit entstanden sind. ({3}) Der Urfehler Ihrer Politik war doch, zu behaupten, die deutsche Einheit ließe sich aus der Portokasse bezahlen. Dabei hat doch jeder gewußt, daß sie eine Menge Geld kostet. ({4}) Damals hätte man eine Steuererhöhung oder eine Abgabe „Deutsche Einheit“ einführen können, die jeder akzeptiert hätte. Wir stünden heute nicht vor der Aufgabe, einen Haushalt konsolidieren zu müssen, den Sie an die Wand gefahren haben, inklusive des Verscherbelns des Tafelsilbers und all dem, was dazugehört. Sie sind ja froh, daß Sie heute in der Opposition sind und sagen können: Wir brauchen doch gar nicht zu sparen. Wir sind stolz auf die Schulden. Wir können - das habe ich heute gehört - in jedem Haushalt mehr ausgeben. Das gilt natürlich vor allem für den Landwirtschaftshaushalt. Auch das gehört zur Redlichkeit: In den letzten Jahren haben Sie den Landwirtschaftshaushalt um 17 Prozent zurückgefahren, während der Gesamthaushalt des Bundes um 18 Prozent gestiegen ist. Sie haben ihn in allen wichtigen Positionen zurückgefahren. ({5}) - Natürlich! - Doch nicht wir, sondern Sie haben die Gemeinschaftsaufgabe um 300 Millionen DM gekürzt. Richtig ist: Der soziokulturelle Einkommensausgleich durfte nicht mehr ausgezahlt werden. Aber auch das dadurch eingesparte Geld hätte man sinnvoller nutzen können, zum Beispiel um Strukturen zu verändern - die Nachteile in Süddeutschland, die zweifellos vorhanden sind, auszugleichen - und die Vermarktung zu verbessern. ({6}) - Ach, schwätz doch nicht. - Der Ausgleich durfte nicht mehr ausgezahlt werden. Er ist aus dem Agrarhaushalt gestrichen worden. Überall dort, wo man vernünftige, zukunftsträchtige Strukturen hätte entwickeln können, haben Sie gestrichen. Nur dort, wo es um Einkommensbeihilfen ging, haben Sie nicht gestrichen. Insofern sind Sie in einer feinen Lage. Aber uns, die wir den Haushalt konsolidieren müssen, bleibt gar nichts anderes übrig, als an die einkommenswirksamen Ausgaben heranzugehen. ({7}) - So ein Unfug. Es gibt nichts Dümmeres als das Gerede - wahrscheinlich von Ihnen oder vom Deutschen Bauernverband erfunden -, wir wollten die armen Bauern abstrafen, weil sie uns nicht wählen. ({8}) Zurück zu dem, was notwendig ist. Ich sage noch einmal in aller Deutlichkeit und Klarheit: Es geht nicht nach dem Motto „Wir müssen sparen, aber bitte nicht bei mir“, auch wenn ich das heute schon den ganzen Tag von der Opposition höre. Es geht nur, wenn tatsächlich jedes Ressorts die Vorgabe - Einsparungen von 7,84 Prozent - erfüllt. Ich danke Karl-Heinz Funke ganz ausdrücklich dafür, daß er sich solidarisch mit seinen Kollegen verhält und Einsparungen in Höhe von 7,48 Prozent vorgeschlagen hat. Er kann sich darauf verlassen, daß die Koalitionsfraktionen seinen Haushalt innerhalb dieser Leitplanken verabschieden wird. ({9}) Jetzt warte ich die ganze Zeit schon auf Vorschläge von Ihnen, woher wir das Geld nehmen sollen. ({10}) - Dieses Motto funktioniert nicht.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Schindler, einen Moment.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es gibt keine Strafaktion. Jeder Haushalt hat den gleichen Anteil zu erbringen. Wenn Sie den Agrarhaushalt nicht in den letzten bis zum Gehtnichtmehr ausgemolken hätten, würden auch nicht bei den einkommenswirksamen Leistungen eingespart werden müssen. ({0}) - Das kann doch überhaupt nicht sein, Siegfried. ({1}) - Nein, das kann nicht sein, weil ihr ihn schon so runtergefahren habt, daß wir jetzt, wenn wir die Einsparungen erbringen müssen, an die Dinge heranmüssen. Wenn ich das Geweine über die Änderungen bei der Gasölbeihilfe höre, dann fühle ich mich an frühere Haushaltsberatungen erinnert. Die Gasölbeihilfe war nicht nur bei uns im Gespräch. ({2}) Sie war auch bei Ihnen immer im Gespräch, aber wurde lieber zu einer Gemeinschaftsaufgabe gemacht. Damit wurde verhindert, daß das, was notwendig ist, nämlich Strukturwandel zu begleiten, den ökologischen Landbau zu fördern und die regionale Vermarktung zu fördern, gemacht wird. ({3}) - Ach, das ist doch gar nicht wahr. ({4}) - Das ist doch gar nicht wahr, lieber Siegfried. ({5}) - Nein, ihr habt in diesem einzigen Strukturmaßnahmenbereich gekürzt und konntet dann die Gasölbeihilfe retten. Das geht jetzt nicht mehr. ({6}) Wir wollen die Gemeinschaftsaufgabe in der Höhe erhalten, wie sie im letzten Haushalt war. ({7}) - Ach, rede doch keinen Schmarren! ({8}) Wir müssen doch auch die Mittel aus Brüssel abrufen können. Dann kann man sich ausrechnen, wo es noch Möglichkeiten gibt, die Millionen an Einsparungen zu erbringen, die wir erbringen müssen, um das Einsparziel zu erreichen. Bei allem Verständnis dafür, daß man als Abgeordneter, der gleichzeitig Bauernverbandsfunktionär ist, Sprache und Gestus und all das übernimmt, was im Moment vom Bauernverband kommt, glaube ich doch, daß das unangemessen ist. Das wäre nämlich genauso - ({9}) - Ich laß das. Es ist wirklich unredlich, was ihr da treibt. ({10}) - Was? ({11}) - Ich wüßte nicht - ({12}) - Es ist wunderbar! Lassen Sie mich noch einmal auf das Thema zurückkommen. Der Konsolidierungsbeitrag wird von uns erbracht. Ich warte darauf, daß wir im Ausschuß klären, daß wir innerhalb der Leitlinien, die Gemeinschaftsaufgabe nach Möglichkeit nicht antasten, daß aber Beiträge kommen, wo wir rangehen können. Daran führt kein Weg vorbei. Das ist kein Sonderopfer für die Landwirtschaft, sondern genau dasselbe -

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schindler?

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz bestimmt nicht mehr. Ich möchte jetzt zum Schluß kommen. Es wird der notwendige Beitrag der Landwirtschaft ({0}) - wie in jedem anderen Bereich auch - zum Sparhaushalt geleistet. Eigentlich müßten Landwirte dafür Verständnis haben. Denn wir betreiben damit eine nachhaltige Politik: Wir bauen Schulden, die nicht von uns zu verantworten sind, ab, bauen die Nettokreditaufnahme ab und bauen die Zinsleistungen ab, damit wir für uns und für die nächste Generation wieder Handlungsoptionen eröffnen. Das ist nachhaltige Politik. eigentlich müßte in der Landwirtschaft genau dafür großes Verständnis bestehen. Danke schön.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Donnerstag, den 16. September 1999, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.