Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/8/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Guten Morgen! Ich eröffne die 52. Sitzung, die erste reguläre Arbeitssitzung des Deutschen Bundestages in Berlin, und heiße Sie herzlich willkommen. Ich freue mich, daß auf der Besuchertribüne viele Frauen Platz genommen haben. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich. Sie sind vom Deutschen Bundestag eingeladen worden, die heutige Frauendebatte mitzuverfolgen. Wir fühlen uns Ihnen allen sehr verbunden, die Sie aus der ganzen Bundesrepublik Deutschland, aus den Kommunalparlamenten und den Frauenverbänden kommen und die Sie ehemalige Kolleginnen dieses Hauses sind. Herzlich willkommen! Ich hoffe, daß wir eine gute Debatte zum Thema Frauenpolitik in der Bundesrepublik führen werden. ({0}) Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, teile ich mit, daß die frühere Kollegin Ingrid Matthäus-Maier zum 1. Juli 1999 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Ihre Nachfolgerin, die Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer, hat am 1. Juli 1999 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin sehr herzlich. ({1}) Wir wünschen Ingrid Matthäus-Maier für ihre neue Aufgabe alles Gute. Wir vermissen sie hier. Sie war eine gute Kollegin des Bundesparlamentes. ({2}) Sodann möchte ich einer Kollegin und einigen Kollegen, die während der Sommerpause einen runden Geburtstag gefeiert haben, nachträglich gratulieren. Ihren 60. Geburtstag feierten die Kollegen Hermann Bachmaier am 5. Juli, Dankward Buwitt am 6. Juli, Adolf Ostertag am 22. Juli, Bärbel Sothmann am 20. August und Dieter Schloten am 26. August. Den neugebackenen Sechzigjährigen einen herzlichen Glückwunsch! ({3}) Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte entnehmen Sie bitte der vorliegenden Zusatzpunktliste: 1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Eichhorn, Hannelore Rönsch ({4}), Wolfgang Dehnel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Bekämpfung der Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland - Drucksache 14/1549 2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen von Bundesminister Hans Eichel, die künftige Förderung der neuen Bundesländer mit deren Zustimmung zum „Sparpaket“ der Bundesregierung zu verbinden 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun ({5}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Ordnungspolitisch vernünftige Steuergesetze verabschieden - Drucksache 14/1546 4. Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr. Karlheinz Guttmacher, Joachim Günther, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes - Drucksache 14/1540 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Türk, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Aufbau Ost muß weitergehen - Drucksache 14/1542 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr. Karlheinz Guttmacher, Horst Friedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Verkehrsprojekte Deutsche Einheit müssen zügig realisiert werden - Drucksache 14/1543 7. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({6}) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lilo Friedrich, Ernst Bahr, Eckhardt Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Cem Özdemir, Marieluise Beck ({7}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Migrationsbericht - Drucksache 14/1550 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrike Flach, Horst Friedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Jahr 2000-Problem - Unterstützung zur Problemlösung - Drucksache 14/1544 Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Die Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag Ich eröffne die Debatte. Als erster Rednerin erteile ich der Kollegin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Sehr verehrte Gäste! Die erste reguläre Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im Reichstag beginnt mit einem zentralen Menschenrechtsthema der Moderne: Bürgerrechte und Menschenrechte als Frauenrechte. Das Besondere an dieser Debatte ist, daß es sie überhaupt gibt. ({0}) Denn bei allen Würdigungen von 50 Jahren Verfassung und Parlamentarismus in den vergangenen Monaten war von einem nicht die Rede: von Frauen. Ich weiß, daß das im allgemeinen immer so ist, und so wäre es auch im Bundestag gewesen. Der Gedanke, der uns fünf Initiatoren bewogen hat, war nicht nur, das nachzutragen, was vergessen wurde, um es damit zu komplettieren; nein, wir werden von Politik im ganzen und von Frauenpolitik im besonderen reden. Bei all diesen Reden wird sich Unterschiedlichkeit zeigen. Es wird sich zeigen, daß das gleiche Geschlecht die Frauen nicht gleichmacht und uns als Politikerinnen das gleiche auch nicht gleich bewerten läßt. Wir halten politische Differenz und parteienübergreifende Solidarität aber für einen wunderbaren Ausdruck gelebter Demokratie und staatsbürgerlichen Selbstverständnisses. ({1}) Damit ist dazu dann auch genug gesagt. Der Blick zurück auf 1949: Das neuentstehende Staatswesen gab sich eine neue Verfassung. Es ist der großen Sozialdemokratin Elisabeth Selbert und den vielen Frauen, die sie unterstützten, zu verdanken, daß es diesen einen entscheidenden Satz gibt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Damit ist das Grundgesetz Gesellschafts- und Geschlechtervertrag zugleich. Der Weg dorthin war lang - wie in allen demokratischen Aufbruchzeiten. Schauen wir zurück: Es war 1789, 1848, 1918 und im gewissen Sinn auch 1989/90 so. Immer wenn um Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit gefochten wurde und immer wenn das Verständnis von Staat sowie das Verhältnis von Bürger im und zum Staat neu festgelegt wurden, forderten die Frauen die gleichen Rechte. Ziel und Zweck jedes politischen Zusammenschlusses sei - so nannte es schon vor 200 Jahren Olympe de Gouges - der Schutz der natürlichen und unveräußerlichen Rechte von Mann und Frau. So viel Feminismus gab es schon vor 200 Jahren. An der Verfassung der Paulskirche kritisierte Luise Otto, Frauen würden in Zeiten nationaler Identität vergessen. Die Hoffnung auf die Erfüllung der Versprechen der Weimarer Republik war dann auch nur von kurzer Dauer. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten war alle Emanzipation vorbei. Ich sehe, meine sehr geehrten Herren und Damen, die Verankerung des Art. 3 nach 1945 im Grundgesetz als nachholenden Erfolg früherer Frauenbewegungen. Ich war aber geneigt, etwas zu übersehen: Es waren die Frauen, die schon vor 1933 für Frauenrechte und Zivilgesellschaft einstanden und die dafür in der Nazizeit einen hohen Preis zahlten, die uns 1945 und 1949 zu diesem Gleichstellungsauftrag verhalfen. Aber Art. 3 des Grundgesetzes war kein Resultat der Auseinandersetzung mit der NS-Frauenpolitik. Ich habe darüber nachgedacht: Fügte sich der errungene Konsens in die Reihe mit dem Asylrecht, dem Antimilitarismus, dem Rechts- und Sozialstaatlichkeitsgebot ein? Gründe dafür gab es genug. Ich betrachte hier nur das Thema Mutterschaft: Die Überhöhung und zugleich Reduzierung der Frau auf die Rolle als Mutter bedeutete in der Nazizeit für die einen Gebärpflicht und für die anderen die Zerstörung der Mutterschaft durch Zwangssterilisation und Abtreibung. Es gab sie, die spezifischen Menschenrechtsverbrechen an Frauen, die dadurch eine Abwertung bis zur absoluten Wertlosigkeit erlitten. Die damalige grauenvolle Idee vom gesunden Volkskörper konnte nicht ohne den Zugriff auf den Frauenkörper verwirklicht werden. Einen ungebrochenen Bezug auf die europäische Geschichte der Menschenrechte als Frauenrechte gibt es für uns Deutsche nicht. Um so vorsichtiger mußte sich die Verfassung des Themas Männlichkeit und Weiblichkeit annehmen. Art. 3 des Grundgesetzes verstehe ich als Ausdruck dafür, daß das, was männlich oder weiblich ist, offengehalten worden ist. Zuständig dafür, Einschränkungen aufzulösen, sind Männer und Frauen gleichermaßen. Angenommen haben diese Aufgabe jedoch maßgeblich nur Frauen. Dies führt zur Nachrangigkeit und zu den bekannten Mühen der sogenannten Frauenpolitik. Dennoch hat sich nach meiner Auffassung die Frauenbewegung in den letzten 50 Jahren Bundesrepublik und Parlament zu der erfolgreichsten Bürgerrechtsgeschichte entwickelt. Was im Sozial-, im Zivil- und im Strafrecht mehr an Recht und Gerechtigkeit erreicht wurde, bedeutet eine gerechtere Gesellschaft. Ich bin der Auffassung: Ohne die neue Frauenbewegung und ohne die grüne Quote wäre das sicherlich so nicht gekommen. ({2}) Doch wer mag heute noch von Feminismus und Patriarchat reden, ohne als hoffnungslos, out of fashion zu gelten? Ich halte manches dennoch für nicht überholt, sondern sogar für Kernsätze: Das Private ist politisch. Wir sind nicht als Frauen geboren, wir werden zu Frauen gemacht. - Nichts davon hat seine Gültigkeit verloren. Ich bin tief davon überzeugt: Nur wenn Frauen im öffentlichen Raum Partei für Frauen ergreifen, für Frauen, die Opfer und Verliererinnen sind, kann das individuelle Erleben als Unrecht und damit als gesellschaftlich veränderbar erkannt werden. Das gilt für die eigene Kultur, und das ist in anderen Kulturen nicht anders. Es braucht diese weibliche Perspektive, es braucht diese Zuspitzung, damit man überhaupt von allgemeingültigem Recht sprechen kann. Aber wir haben heute auch die Möglichkeit, danach zu fragen: Was ist denn eigentlich die weibliche Perspektive, was zeichnet sie aus? Heißt Gleichberechtigung, dem Manne gleich sein, der Mann als Muster, die Frau - ja, als was? Männliche Politik muß bekanntlich nicht von Männern gemacht werden. Das können Frauen auch. Zweifellos ist der für Männer vorgesehene Lebensentwurf für viele Frauen sehr attraktiv. Er wird auch von sehr vielen Frauen immer mehr gelebt. Jetzt will eine junge Frau vollwertiger Soldat werden. Sie klagt ihr Recht ein. Dazu zitiere ich aus der „FAZ“: Es könne dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, wenn in der Wehrverfassung die Geschlechterdifferenz zum Ausdruck käme. Da hat der Autor recht und auch wieder nicht. Warum denkt man nicht umgekehrt? Wäre es nicht auch eine Aufgabe, das enge Rollenverständnis vom Mann zu überwinden? Schließlich ist Gewaltfreiheit kein weibliches Privileg, aber sie ist Ziel einer jeden zivilen Gesellschaft. ({3}) Wenn Frauen an Militär und Krieg gleichermaßen aktiv teilnehmen, mag das Gleichberechtigung sein, Emanzipation meint jedoch etwas anderes. ({4}) In bezug auf einen ganz allein weiblichen Bereich kann ich aus Art. 3 des Grundgesetzes eine unterscheidende Rechtsstellung von Mann und Frau nicht herauslesen. Dennoch: In dem, was die Frau unauflösbar anders sein läßt als den Mann, nämlich ihre Gebärfähigkeit, haben Menschenrechte noch immer ein Geschlecht. Ich will hier nicht noch einmal auf den § 218 eingehen; ich gehe darüber hinaus. Ich frage: Darf das allgemeine Menschenrecht als natürliches Recht der Frau mit Verweis auf ihre biologische Natur gegen sie gerichtet sein? ({5}) Oder anders gefragt: Kann der Mensch Frau Subjekt und Objekt zweier konkurrierender Grundrechte sein, nämlich ihres eigenen auf körperliche und personale Integrität und des Grundrechts auf Leben, das Leben eines anderen, das nur in und durch sie ist? Meine Herren und Damen, ich frage damit auch danach, ob wir mit diesen Vorbedingungen überhaupt die großen Herausforderungen der Zukunft fassen können. Denn mit den sich rasch entwickelnden Erkenntnissen und Eingriffsmöglichkeiten in das vorgeburtliche Werden des Menschen ist eine bislang nie gekannte menschenrechtliche Dimension eröffnet worden. Einerseits betrifft das die ethischen und rechtlichen Auswirkungen, die durch pränatale Diagnostik am Fötus im Mutterleib entstanden sind. Sie verändern die Idee vom Kind, weil die Frau Wissen über den genetischen Zustand erhält, noch bevor sie sein Wesen kennt. Die Entscheidungskonflikte und der Beziehungscharakter verändern sich, und, wie ich meine, die Gesellschaftlichkeit von Selbstbestimmung der Frau verliert an allgemeiner Bedeutung. Andererseits machen es reproduktionsmedizinische Techniken möglich, Embryonen außerhalb des Mutterleibes entstehen zu lassen. Es ist generell möglich geworden, auf gentechnischem Weg festgestellte Merkmale des Menschen zum Bewertungskriterium dafür zu machen, ob seine Weiterentwicklung gewünscht wird. Es ist möglich geworden, in ganz frühe Entwicklungsstadien manipulierend einzugreifen. Erst dadurch, glaube ich, ist es zu einem Perspektivwechsel in der heutigen Zeit gekommen: vom Kinderwunsch zum Wunschkind. Noch etwas zu diesem Thema: Der Mensch hat heute Instrumente zur Verfügung, Menschenteile für die Verwendung in der Medizin herauszubilden; man spricht von „biologischem Material“. Weder die Forschung noch ihre Anwendung ist in einer Welt der Globalisierung und insbesondere durch die Verbindung von Informations- und Gentechnologie letztlich begrenzbar. Sie sprengt nationale und kulturelle Grenzen. Ich betrachte diese Entwicklung auch als eine Form der Entsinnlichung, der Entsexualisierung und letztlich der Entleiblichung der Fruchtbarkeit der Frau. Wir müssen als Parlament die aufgekommenen Fragen beantworten. Sie stellen sehr hohe grundrechtliche und ethische Anforderungen. Noch keine Kultur und keine Gesellschaft vor uns stand davor, daß durch die Anwendung einer Technik der Begriff vom Menschen selbst von seiner Auflösung bedroht ist. Das verändert unser Verständnis vom Menschen, wie wir ihn seit Menschengedenken kennen. Ab wann ist der Mensch ein Mensch als Subjekt des Menschenrechts? Mein Blick richtet sich auf die Frau. Mein Bezug darauf ist unsere Verfassung. Menschenrechte als Frauenrechte - das Projekt der Moderne verlangt von uns als Parlamentarierinnen hochverantwortliche Entscheidungen für die Zukunft. Meine sehr geehrten Herren und Damen Mitinitiatorinnen, ich freue mich, daß diese Debatte in diesem Hause heute stattfindet. Ich bedanke mich insbesondere bei Herrn Bundestagspräsident Thierse und den Mitautorinnen im Zusammenhang mit diesem Tagesordnungspunkt dafür, daß wir heute Gelegenheit haben, über Menschenrechte als Frauenrechte in der Vergangenheit, in der Jetztzeit und als Herausforderung für die Zukunft zu sprechen. Insgesamt, glaube ich, sind sie eingebettet in unsere Perspektive einer bürgerrechtlich-demokratischen Zivilgesellschaft. Wie wollen wir sie ausgestalten? Wie formulieren wir in Zukunft Menschenrechte als Frauenrechte? Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß wir uns in einer parlamentarischen Debatte befinden. Eine Folge des parlamentarischen Rederechts ist, daß Beifall im Plenum, aber nicht auf den Besuchertribünen gestattet ist. Diese Regelung gilt im übrigen auch für die Regierungs- und Bundesratsbank. Es tut mir sehr leid, aber wir müssen die Spielregeln einhalten. Wenn ich nicht darauf achte, beschweren sich bei mir alle Geschäftsführer. Das Wort hat die Kollegin Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es zeigt sich ja, daß dann, wenn Frauen einmal die Hauptrolle spielen, nicht die ganze Welt auseinanderbricht, sondern daß vieles in den bisherigen Bahnen weitergeht. Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Frauen oben auf den Besuchertribünen, daß wir den heutigen Tag miteinander begehen können. Ich bin dankbar dafür. Ich halte das, was die Parlamentarierinnen der ersten Stunde hier gesagt haben, insgesamt für eine Bereicherung unserer Parlamentsarbeit und unseres Umgangs miteinander. Ich weiß nicht, ob es allen aufgefallen ist, aber ich betrachte es als ein gutes Zeichen, daß die erste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages, nachdem der Deutsche Bundestag seine reguläre Arbeit in Berlin aufgenommen hat, mit der Debatte „Die Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag“ beginnt. ({0}) Es wurde heute schon deutlich gemacht, daß es an einem solchen Tag eigentlich naheliegt, daran zu erinnern, daß nach unserem Grundgesetz Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Über die damit verbundenen Hoffnungen, Erwartungen und die damit verbundene parlamentarische Arbeit haben uns heute morgen - stellvertretend für viele andere - die Parlamentarierinnen der ersten Stunde eindrucksvoll ins Bild gesetzt. Sie gaben und geben uns allen auch heute noch ein Beispiel. Von nichts kommt nichts. Nein, gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter ergibt sich nicht durch den entsprechenden Artikel des Grundgesetzes, aus dem darin enthaltenen Angebot, sondern daraus, daß wir ihn annehmen und ihn engagiert - wenn auch manchmal mühevoll und sehr langsam - umsetzen. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen in diese Richtung fehlt unserer Demokratie bis heute ein selbstverständliches gleichberechtigtes Mit- und Nebeneinander von Frauen und Männern. Wir haben gestern abend festgestellt: Wer die Reden der Parlamentarierinnen zu Beginn der letzten 50 Jahre mit denen vergleicht, die wir heute führen, der muß feststellen, daß sich in manchen Bereichen nicht viel geändert hat. Die Forderungen und die Wünsche sind die gleichen geblieben. Das sollte uns Anlaß sein, dies von Berlin aus zu verändern. So freuen wir uns einerseits, daß der Bundestag im Reichstagsgebäude in seiner ersten Sitzung zu Beginn nur Frauen zu Wort kommen läßt. Andererseits bleiben wir Frauen zu Recht skeptisch und fragen: Ist es ein gemeinsamer Aufbruch? Oder handelt es sich bloß um eine Geste? Den Aufbruch können wir nur gemeinsam gestalten. Allein ein Blick in das Plenum macht deutlich: Ein Anteil von 30 Prozent Parlamentarierinnen ist nicht genug. Wenn ich auf die Regierungsbank schaue, dann muß ich feststellen, daß heute dort zwar viele Frauen vertreten sind. Aber auch hier könnte der Anteil der Frauen an der Bevölkerung deutlicher als bisher repräsentiert werden. Ich hoffe, daß das im Laufe der nächsten Jahre auch der Fall sein wird. ({1}) Wir alle im Saal wissen: Nach 50 Jahren Grundgesetz und parlamentarischer Demokratie können wir mit der Umsetzung des schlichten Satzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ nicht zufrieden sein. Carlo Schmid hat 1949 frühzeitig und - wie wir heute wissen - leider zu Recht Zweifel an der Wirkung des Gleichberechtigungsartikels geäußert: Die Gleichstellung der Frau auf allen Gebieten, so sagte er damals, sei zwar im Grundgesetz proklamiert worden, aber der „Umsetzung des Artikels in die Realität des individuellen, sozialen und politischen Lebens“ müsse absolute Priorität eingeräumt werden. Das Ergebnis kennen wir alle nur zu gut. Es dauerte 50 Jahre - leider sind wir bis heute immer noch nicht fertig damit -, alle Gesetze und Verordnungen vom traditionellen Frauenbild zu entrümpeln. Vieles wurde dabei nicht im politischen Meinungsstreit beschlossen; vielmehr mußte es - auch das wurde schon heute morgen erwähnt - durch die obersten Gerichte erkämpft werden. Es dauerte wirklich bis 1957, ehe das Bundesarbeitsgericht die sogenannte Zölibatsklausel, nach der einer Frau nach der Eheschließung gekündigt werden kann, als verfassungswidrig abschaffte. Erst 20 Jahre später änderte die sozialliberale Koalition das Ehe- und Familienrecht. Für junge Frauen ist es heute unvorstellbar, daß bis zu diesem Zeitpunkt eine Ehefrau die Zustimmung des Ehemannes benötigte, um zum Beispiel erwerbstätig sein zu dürfen. Wie nahe diese Zeit liegt, sehen wir daran, daß viele von Ihnen, so wie auch ich, zu diesem Zeitpunkt schon verheiratet waren. Meine Tochter war damals schon geboren, und heute kann sie sich nicht mehr vorstellen, daß es so etwas gegeben hat. In diesem Schneckentempo ging es weiter. Wieder vergingen viele Jahre, bis Frauen auch nach der Eheschließung ihren Familiennamen behalten durften. Als das geschah, schrieben wir schon das Jahr 1993. Ich war damals in meiner ersten Legislaturperiode Mitglied des Deutschen Bundestages. Ich erinnere mich - so, als wäre es heute geschehen -, daß diese Debatte um das Namensrecht wirklich zu den heftigsten Beiträgen im alten Wasserwerk geführt hat. Es war eine der seltenen Debatten, in der die Männer in der Überzahl waren. Das ist bei Frauendebatten ansonsten nicht der Fall. Ich konnte damals gar nicht verstehen, was die Herzen der Männer so tief bewegte und was sie so kämpfen ließ. Sie machten Zwischenrufe und zeigten wirkliches Engagement. Schließlich sagte eine der Kolleginnen zu mir - ich sehe sie dort sitzen; ihren Namen will ich nicht nennen -: Wenn sich Mann und Frau nicht entscheiden Vizepräsidentin Anke Fuchs können, ob die Kinder immer den Namen der Mutter bekommen, dann hat das schon Konsequenzen. - Meine Schwiegermutter macht mir bis heute Vorwürfe, daß ich keine Söhne, sondern nur Töchter geboren habe. - Da wurde mir klar, daß das neue Namensrecht dazu führen könnte, daß es in Zukunft heißt: Warum hast du nur einen Jungen geboren? Das neue Namensrecht trug dazu bei, den jungen Mädchen mehr Chancen zu eröffnen. Vielleicht lag darin der Widerstand der Herren im Parlament begründet, der sie zu so unmäßigen Debattenbeiträgen geführt hat. Diejenigen, die dabei waren, können sich daran vielleicht noch erinnern. ({2}) Nach der Wiedervereinigung gelang es uns - Ursula Männle hat es eben schon erwähnt -, Art. 3 Abs. 2 GG zu ergänzen. Auch wenn es nur ein Kompromiß geworden ist, ist der Staat nunmehr immerhin verpflichtet, auf die Beseitigung bestehender Nachteile von Frauen hinzuwirken. Dies war einer der Punkte, wo Frauen über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg mit den Ministerinnen aus den Ländern zusammengearbeitet haben. Wir waren uns einig: Wenn wir nicht alle unsere Ziele erreichen können, dann müssen wir Frauen sehen, wo wir uns auf einen Level einigen, den wir über Parteigrenzen hinweg vertreten. Ich bin froh, daß wir dies geschafft haben. Wir haben es nur geschafft, weil uns all diejenigen, die in den entsprechenden Verbänden und Organisationen - und heute zum Teil auf der Tribüne sitzen, dabei unterstützt haben. Daß dies auch weiterhin geschieht, wünsche ich mir für die weitere frauenpolitische Arbeit. ({3}) Ich glaube, an diesen Beispielen wird deutlich, daß zur Demokratie auch Gestaltung gehört. Demokratie geht von Freiheit und Gleichheit aller aus. Aber das bestehende Geschlechterverhältnis, das Verhältnis der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, wird im Rahmen von Debatten über die Umsetzung von Demokratie sehr selten thematisiert. Das Ungleichverhältnis wurde und wird heute leider noch immer als gegeben hingenommen. Dabei ist für mich eines ganz klar: Wenn ich von Gleichheit rede, dann darf es kein natürliches Vorrecht von Menschen eines bestimmten Geschlechtes mehr geben. Manche sagen dann vielleicht, das ist ja übertrieben, weil Demokratie und Gleichheit mehr beinhalten: So wollen wir keine Benachteiligung von Menschen auf Grund der Hautfarbe, der Zugehörigkeit zu einer Religion oder auf Grund anderer Merkmale. Aber dort, wo Abhängigkeiten und Dominanzen vorherrschen - das gilt immer, wenn ein Geschlecht über das andere herrscht -, kann es kein freies und gleiches Verhältnis der Menschen zueinander geben. Deshalb ist einer der Kernpunkte der demokratischen Entwicklung eines Landes die Lösung der Geschlechterfrage. Wenn wir davon ausgehend von Berlin aus genau diese Frage lösen, dann wird dadurch die parlamentarische Demokratie im vereinigten Deutschland für die nächsten 50 Jahre zum Blühen gebracht werden, wie wir alle es wollen; das haben wir gestern ja auch beschworen. ({4}) Deshalb beginnt mit unserer Arbeit hier in Berlin eine neue Phase, keine Änderung der demokratischen Politik. Ich spüre so stark wie nie zuvor, daß der nationalen Politik Grenzen gesetzt werden, da sich Produktionsbedingungen, Arbeitsabläufe und Erwerbsbiographien mit rasantem Tempo verändern, und daß all dies nicht ohne Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen von Menschen und Familien bleibt. Daraus ergibt sich, daß der Kampf für die gleichberechtigte und eigenständige Teilhabe von Frauen an dieser gesellschaftlichen Entwicklung immer wichtiger wird, weil in Zukunft die eigenständige und gleichberechtigte Frau gerade angesichts der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ein sehr starkes Fundament für die familiären Beziehungen der Menschen untereinander sein wird. Das sollte uns wirklich anspornen und sollte eine der Hauptaufgaben dieses Parlamentes sein. Es wird sehr viel davon abhängen, wie wir diese Fragen diskutieren, welche Außenwirkungen dieses Parlament hat und ob es uns gelingt, diesen Prozeß positiv zu gestalten und für die Frauen mittels der gesetzlichen Rahmenbedingungen eine positive Entwicklung zu ermöglichen. Ich bin in dieser Frage nicht pessimistisch, weil die jungen Frauen wie die Generation meiner Tochter oder die der Jüngeren sehr selbstbewußt sind und sehr viel weiter sind, als ich es in diesem Alter war. Sie fordern ihre Rechte ein, sehen aber das, was wir Altfeministinnen gefordert haben, nicht immer als richtig an; so glauben sie, ohne Quoten auskommen zu können. Ich würde es ihnen wünschen. Ich erinnere aber nur an die sozialliberale Bildungsreform. Damals dachten wir Frauen, daß uns dann, wenn wir erst den Zugang zur Bildung haben, auch alles andere offenstehe. Leider war es nicht so! Viele der jungen Mädchen sind gut ausgebildet oder wollen, daß wir ihnen die Chance dazu geben. Sie fordern ihre Rechte ein, wollen einen Beruf und ein eigenes Einkommen, wollen Kinder haben und einen Mann, der sich das alles mit ihnen teilt. Die Aufgabe, die dem Parlament hierbei zukommt, ist, die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß die jungen Frauen im nächsten Jahrhundert ihr Leben so gestalten können, wie sie es wollen. Ich glaube, daß das ihren Familien und der Entwicklung ihrer Kinder wirklich zugute kommen wird. ({5}) Für die jungen Männer bedeutet das, daß von ihnen mehr als von den Männern meiner Generation partnerschaftliches Verhalten gefordert wird. Das ist aber auch gut so, denn wir alle wissen, daß sich nur dann etwas ändern wird, wenn sich auch die Männer verändern und auf die Frauen zugehen. Ulla Schmidt ({6}) Mein Kollege Christoph Zöpel hat einmal auf die Frage, was denn Zukunft sei, geantwortet: Zukunft sind die Entscheidungen der Gegenwart, genauso wie die Entscheidungen der Vergangenheit die Gegenwart bestimmen. Insofern hat das Selbstbewußtsein der jungen Frauen von heute etwas mit der Arbeit der Frauen und Mütter in diesem Lande zu tun sowie mit dem, was wir in diesem Parlament und außerhalb der Parlamente alles erreicht haben. Wenn ich über die Zukunft dieser jungen Mädchen nachdenke - Ursula Männle hat es angesprochen -, wünsche ich mir eine Zukunft, in der Frauen und Männer gleichberechtigt miteinander arbeiten können, in der es keinen Zweifel mehr gibt, daß Frauen gleichgestellt sind, und in der niemand mehr erwartet, daß allein die Frauen für die Erziehung und Betreuung der Kinder zuständig sind, sondern Väter begriffen haben, daß Kindererziehung und Familienarbeit genauso ihre Arbeit ist. Wenn das so sein soll, dann müssen wir heute Entscheidungen treffen, dann gehört dazu, daß wir in der Arbeitsmarktpolitik Frauen wirklich eine Chance geben, daß das Programm „Frau und Beruf“ auf den Weg gebracht wird, daß es endlich ein Elternurlaubsgesetz statt eines Erziehungsgeldgesetzes gibt, daß eine Steuerreform vorliegt, durch die tatsächlich die individuelle Leistungsfähigkeit besteuert und die Förderung von Kindern vor die Förderung eines Trauscheines gesetzt wird, ({7}) und wir wirklich Perspektiven eröffnen. Da haben wir eine ganze Menge zu tun. Heute morgen hat Frau Agnes Hürland überlegt, ob sie nicht lieber ein Mann geworden wäre. Dabei fiel mir ein, daß auch ich nicht lieber ein Mann geworden wäre. Aber vielleicht ist es an der Schwelle zum neuen Jahrhundert Zeit, daß wir neben dem Amt der Frauenministerin das Amt eines Ministers für Männerfragen einrichten, eines Ministers, der eine einzige Aufgabe hat, nämlich die Emanzipation des Mannes, die zur Emanzipation der Frau gehört, wirklich voranzubringen und auf sein Geschlecht einzuwirken, weil es nicht einzusehen ist, daß wir alleine die ganzen Lasten dieser Aufgabe tragen müssen. ({8}) - Herr Müntefering hat sich schon hingesetzt. ({9}) Es werden sich vielleicht viele bewerben. - Aber das wäre ein Blick in die Zukunft. Ich bin sicher, der entsprechende Kanzler würde dann als Kanzler der Gleichberechtigung in die Geschichte eingehen. Danke. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile nun das Wort der Kollegin Professor Rita Süssmuth.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frauen und Männer auf den Tribünen! Ich möchte zunächst sagen: Ich bin froh, daß wir diesen Akt nach dem gestrigen Tag heute hier durchführen. Da mögen viele sagen: Das hätten wir doch auch nachlesen können, was die Frauen der ersten Stunde uns hier berichtet haben. Gewiß hätten wir das nachlesen können. Aber es geht hier um die Frage: Wie kommen Frauen in der Öffentlichkeit vor, ganz besonders an dem zentralsten Ort der Demokratie, dem Parlament? Deswegen kann und sollte das nicht nachgelesen werden, sondern im Sinne von authentischen Zeitzeugen hier gehört und in der Republik verbreitet werden. Warum ist mir das wichtig? Weil ich glaube, daß wir alle - für mich war das jedenfalls sehr eindrucksvoll nachvollzogen haben, daß diese Frauen seit Beginn dieser Republik 50 Jahre lang - wir sagen: 40 plus zehn Jahre, die vergangenen zehn Jahre haben wir gemeinsam verbracht - immer das Ganze im Blick gehabt haben, die verschiedensten Lebensbereiche. Ihr Ansatzpunkt war die Demokratie. Deswegen rufe ich hier noch einmal in Erinnerung: Als dieser Reichstag 1894 eröffnet wurde, gab es ein Plenum ohne Frauen. Erst 1918 haben Frauen hier Eingang gefunden. Sie waren sehr widerständig, als es um die Machtergreifung ging. Sie haben nach 1945 eben nicht, wie viele behaupten, unpolitisch, entpolitisiert die Welt ihrem Schicksal überlassen, sondern am Anfang dieser Republik stand der Kampf um Bürgerrechte, um Bürgerinnenrechte. Denn das, was sie während des Krieges und nach dem Krieg mitten in Ruinen, oft als „Trümmerfrauen“ bezeichnet, als Vertriebene, als Kriegerwitwen geleistet haben, steht dem, was Frauen heute leisten, in nichts nach. Sie haben genausoweit gedacht, wie wir heute denken. Deswegen ist es wichtig, das in Erinnerung zu rufen und uns bewußt zu machen. ({0}) In die Zukunft ohne dieses Wissen zu blicken macht nicht nur vermessen, sondern leugnet auch die Fortschritte. Heute morgen wurde gesagt, es sei langsam gegangen. Für mich ist dieses Jahrhundert trotzdem revolutionär: in bezug darauf, was in der Geschlechterfrage und in der Frage von Geschlechterbeziehungen - übrigens weltweit - in diesem Jahrhundert thematisiert worden ist. Es geht - dies ist ein weiterer Punkt - auch um Menschenrechte. Deswegen müssen wir heute morgen noch einmal das Bewußtsein für Teilhabe und Ausgrenzung schärfen. Dabei ist die Ausgrenzung sehr oft latent. Es wurde auf das Vereinsrecht 1908 hingewiesen. Als ich in die Politik eintrat, habe ich mich wahnsinnig gestoßen an den Berichten der Bundesanstalt für Arbeit, in denen es immer wieder hieß: Besonders benachteiligt sind die Randgruppen der Gesellschaft: Frauen, Behinderte und Ausländer. Auch wenn dieses Reichstagsgebäude die Inschrift „Dem Deutschen Volke“ trägt, so war dies damals doch Ulla Schmidt ({1}) sehr ausgrenzend. Wir dagegen sollten wissen: Wir sind für alle da. ({2}) Auch die sogenannten Randgruppen gehören alle mitten in diese Gesellschaft hinein. Wenn es also im Parlamentarischen Rat um Teilhabe versus Ausgrenzung ging, dann haben diese Frauen mehr behandelt als eine Petitesse. Bei aller hohen Wertschätzung für Theodor Heuss als Demokraten und Präsidenten sage ich: Diesen Vorgang hat er - das hat Elisabeth Selbert in ihren Interviews mehrfach belegt - wie eine Petitesse behandelt, mit Schmunzeln quittiert und gemeint, die Frauen entfachten einen Sturm im Wasserglas. Die Geschlechterfrage sei eigentlich selbstverständlich und doch unwichtig, es gebe in dieser Republik wichtigere Fragen zu behandeln. - Nein, dies ist eine zentrale Frage: Wie gehen Frauen und Männer miteinander um? Zu der Frage von Gleichheit und Differenz, die damals ganz intensiv diskutiert worden ist, gehört ein Weiteres: Wie gehen wir mit Unterschieden um? Der Begriff der Gleichwertigkeit ist zentral, aber kann teuflisch sein; denn er ist immer wieder mißbraucht worden, um aus Gleichwertigkeit Unterschiedlichkeit und Nachrangigkeit abzuleiten. So kam es, daß unsere Rechte lange Zeit nicht selbstverständlich waren, sondern - wie mehrere Vorrednerinnen betont haben - abgeleitet. Ich sage: Es waren gewährte Rechte. In der Tat war es so, daß Gleichberechtigung unter dem Gesichtspunkt von Selbstbestimmung gegen Fremdbestimmung betrachtet wurde. Selbstbestimmung ist uns Frauen oft zum Vorwurf gemacht worden. Mal hieß es: Das könnt ihr gar nicht verantworten; auch wenn ihr im familiären Bereich alles verantwortet, in den zentralen Fragen, wenn es um „Leben und Tod“ geht, geht das nicht. Mal ist gesagt worden: Ihr nutzt die Selbstbestimmung nur zur Selbstverwirklichung. Ich möchte heute morgen einmal die Frage stellen, welche Frauen die Chance zu dieser egoistischen Selbstverwirklichung gehabt haben und ob sie dies in ihrer Mehrheit gewollt haben. Denn jeder sieht, daß dies in die Isolation führt und daß neben dem Ich das Wir ganz entscheidend ist - aber nicht im Sinne von Unterordnung, sondern von Gleichrangigkeit und Partnerschaft. ({3}) Von dieser Partnerschaft in der Gesellschaft sind wir noch weit entfernt. Denn die Tradition ist bestimmt von Herrschaft und Unterordnung. So hat auch die Weltpolitik ausgesehen: Sie war nicht nur von Ausgrenzung, sondern von Herrschaft und Unterordnung bestimmt. Die Ziele der Zukunft müssen heißen: Kooperation, Partnerschaft, Miteinander. Sonst ist das Desaster in der Welt vorprogrammiert. ({4}) Ich danke an diesem Morgen auch den Männern, in meiner Fraktion jenen, die den Mut bewiesen haben, sich der Frauenfrage anzunehmen. Denn damit konnte man eigentlich keinen Blumentopf gewinnen. ({5}) Es ist gesagt worden: Wir brauchen die Frauen. Es darf aber nicht nur heißen: „Wir brauchen sie“, sondern es ist eine Erfahrung von Erweiterung und Bereicherung, wenn Frauen und Männer gemeinsam an diesem Thema arbeiten. Ich sage unserem Fraktionsvorsitzenden: Wir hätten schon früher eine Generalsekretärin verkraften können; ({6}) wir hätten auch schon früher eine Präsidentschaftskandidatin verkraften können. ({7}) Kompetenzen haben den Frauen, insbesondere im Deutschen Bundestag, nicht gefehlt; es gibt sie reichhaltig. Und die Frage: „Wo sind denn die Frauen, die sich interessieren?“ ist ein Killerargument, und wir sollten es nicht länger gelten lassen. ({8}) Ich möchte diesem Parlament aber noch einmal sagen: Frauen haben wie die sie unterstützenden Männer auch darauf geachtet, Eindimensionalität zu vermeiden. Gerade gegenüber meiner Partei ist häufig gesagt worden: Ihr habt ein völlig rückständiges Frauenbild, bei euch bewegt sich nichts. Ich denke, das, was wir miteinander gelernt haben, ist, daß es nicht genügt, nur einen Bereich, den Erwerbsbereich, für die Frauen als den Ort der Gleichberechtigung und Emanzipation zu sehen. Unsere Zukunftsaufgabe besteht vielmehr darin, den pluralistischen Lebenskonzepten und Lebensformen Gleichrangigkeit - und, wie ich sage, Gleichwertigkeit - zu verschaffen. ({9}) Wir können nicht einen Bereich ausbauen und den anderen vernachlässigen. Die Männer haben sehr früh begriffen, daß Frauen in den Familien und im Ehrenamt jenen sozialen Kitt in der Gesellschaft darstellen, dem wir heute nachspüren und bei dem wir fragen: Wie stellen wir ihn eigentlich her? Denn keine Gesellschaft kommt ohne das fürsorgliche, ohne das füreinander und miteinander Eintreten aus. Deswegen kämpfen wir dafür, daß Frauen in allen Politikbereichen vertreten sind, aber wir werden weder Soziales noch Familie, Kultur, Sport, Jugend, noch den Petitionsausschuß aufgeben. Dabei denke ich an Frauen wie Lilo Berger und Frau Nickels. Sie haben deutlich gemacht, daß es wichtig ist, wie Bürgerbelange und diejenigen, die sich besonders benachteiligt fühlen, in unserem Parlament behandelt werden. Zur Globalisierung. Lassen Sie mich noch einmal sagen: Ich wünsche mir sehr viel mehr Frauen in Gremien, in denen über Globalisierung und Arbeitsplätze gesprochen wird. Ich bitte auch den Bundeskanzler, nein, ich bitte ihn nicht nur, ich fordere ihn auf: Machen Sie darin ihre Frauenministerin noch viel sichtbarer! ({10}) Die Frage von Zukunft der Arbeit ist eine Frage von Frauen und Männern. Wir wissen: Bei der Bekämpfung von Armut und Verstößen gegen Menschenrechte sowie in der Familienplanung kommt kein Land ohne die Frauen aus. Es gibt zwar Bücher, in denen „Abschied von der Männergesellschaft“ steht, aber wir sind erst am Anfang. Wir brauchen wirklich partnerschaftliche Strukturen, in denen die Leistungen der Frauen sichtbar werden und in denen auch die Macht geteilt wird. Wir haben zwar unseren Anteil, wenn auch mühsam durch die Quote - die meisten hätten es sich demokratisch, ohne Quote, gewünscht -, erweitert, aber heute ist es an der Zeit, die Strukturen zu verändern und uns Frauen wirklich jenen Gestaltungseinfluß zu geben, den wir brauchen, wenn wir die Welt verändern wollen. Wir wären in Fragen wie beispielsweise der Alterssicherung viel weiter, wenn dieses Thema schon früher ein zentrales im Parlament gewesen wäre. Mit ein, zwei Frauen in den Ausschüssen verändern wir die Wirklichkeit nicht. Dies setzt einen bestimmten Anteil an Frauen und eine Priorität für das Thema voraus. Wir sind jetzt auf dem Weg, aber wie lange sollen die Frauen noch warten, bis ihre Arbeit zu eigenständiger Alterssicherung führt? Dabei haben wir wichtige Schritte in der Bewertung von Erziehungszeiten in der Rente getan, aber wir können doch nicht bei drei Jahren stehenbleiben. ({11}) Wie lange hat es gedauert, bis wir das überhaupt durchgesetzt hatten? Das war Mitte der 80er Jahre. ({12}) - Warten Sie ruhig einen Augenblick ab. Ich habe eben schon gesagt, daß wir für rückständig gehalten wurden. Heute sagt niemand mehr, daß Erziehungsgeld oder Erziehungsurlaub - beides hat die CDU/CSU eingeführt - etwas Rückständiges seien; vielmehr heißt es, das sei nicht genug. Ich erinnere mich, wie wir dafür bekämpft worden sind. Nun sollten wir dies gemeinsam weiter ausbauen. Auch müssen die großen Debatten sowohl zur Bildungsreform als auch zur Rentenreform hier stattfinden, und zwar am liebsten ohne Vorliegen eines Gesetzentwurfes, damit wir nicht polarisieren, sondern gemeinsam Lösungen suchen können, ohne daß jeder seine Vorbedingungen zur Voraussetzung für Zusammenarbeit macht. Ein Letztes möchte ich sagen. Das große Thema, das wir Frauen interfraktionell behandelt haben, war Gewalt: individuell, kollektiv, Gewalt als Instrument des Krieges, Gewalt als Instrument der Beherrschung und Unterdrückung im höchst privaten Kreis, Gewalt an Kindern. Unsere Gesellschaft ist nicht weniger gewalttätig. Wir haben zwar ein Tabu gebrochen und das Unrecht in das Strafrecht einbezogen; aber die Zivilgesellschaft ist von Gewaltfreiheit noch weit entfernt. Deswegen glaube ich, daß es ganz wichtig war, das Thema Gewalt in der Weise, wie wir es getan haben, hier einzubringen. Auch bei diesem Thema sind wir also auf dem richtigen Wege. Wenn ich abschließend sage, daß es jetzt um Veränderung der Strukturen geht, dann nenne ich folgende Beispiele: Einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben wir in den 90er Jahren durchgesetzt. Wir haben zwar zunächst die Individualrechte gestärkt, aber nicht gleichzeitig die Strukturen verändert. Das gleiche gilt für einen weiteren Rechtsanspruch, dessen Fehlen die Frauen in den meisten Nachbarstaaten nicht begreifen: den Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung bei Grundschulkindern. ({13}) Dies setzt sich in der Frage fort, wie wir mit den Familien- und Erwerbszeiten umgehen. Hier ist weit mehr an Flexibilität der Arbeitszeiten möglich, als wir bisher durchgesetzt haben. Zu den Strukturen gehört auch, daß es keine Gremien mehr geben darf, die nicht ihren bestimmten Frauenanteil ausweisen. Ebenso genügt es nicht, daß wir in der Bundesanstalt für Arbeit eine Frauenbeauftragte haben, wenn wir nicht Frauen, die in den Familien gearbeitet haben, einen Rechtsanspruch auf Fort- und Weiterbildung geben, der auch Zukunftsberufe umfaßt; anderenfalls benachteiligen wir diese Frauen, anstatt ihnen einen Bonus zu geben. Die jungen Frauen werden erwarten, daß wir alte Themen aufgeben. Aber die Wirklichkeit zeigt, daß wir noch mit den alten Themen zu tun haben. Ich wünsche mir für Frauen weiterhin nicht nur berufliche Qualifikation, Kompetenz und Selbstbewußtsein, sondern ich denke auch an das, was hier heute morgen eindrucksvoll gesagt wurde: Es muß ihnen selbstverständlich bewußt sein, daß es keine Demokratie gibt, ohne daß wir uns in ihr engagieren und für ihren Erhalt und Ausbau kämpfen. Wer meint, das Politische betreffe die anderen, er oder sie selbst könne unpolitisch sein, darf sich nicht wundern, wenn seine oder ihre Rechte verlorengehen und nicht erweitert werden. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte darauf hinweisen, daß auch hier wie im alten Bundestag in Bonn - ein Signallämpchen blinkt, wenn die Redezeit abgelaufen ist. Ich bitte Sie, das zu beachten. ({0}) Das Wort hat nun die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Wie meine Vorrednerinnen als Mitinitiatorinnen dieser heutigen Sonderveranstaltung freue ich mich, daß Ihre Anwesenheit auf den Tribünen uns die Möglichkeit gibt, sehr viel breiter und vielschichtiger das nach außen zu transportieren, was wir zur Frauenpolitik und zu dem zu sagen haben, was Frauen bewirken können. Denn wir befinden uns zweifellos an einem Zeitpunkt, der markiert ist durch den Umzug von Bonn nach Berlin - 50 Jahre nach der Konstituierung des Deutschen Bundestages -, der eine Zäsur im Parlamentarismus sein wird. Wir bekommen nicht eine neue Republik. Wir werden aber hoffentlich mit noch sehr viel mehr Elan, Engagement und so mutig wie die Parlamentarierinnen in den ersten 50 Jahren Forderungen und berechtigte Ansprüche von Frauen hier in diesem Parlament artikulieren. Ich glaube, gerade wenn man liest, was Frauen in den ersten 50 Jahren, in einem ganz anderen gesellschaftlichen Umfeld, gefordert haben, wie sie aufgetreten sind, wie sie sich in einer Minderheitenrolle ganz anderer Art als wir heute hier im Bundestag durchsetzen mußten, wie sie in Wettbewerb um Positionen und wichtige Funktionen getreten sind, erkennt man, daß das etwas ist, das uns noch heute Vorbild sein kann. ({0}) Dem sollten wir - ohne Rücksicht darauf, was das alles nach sich ziehen kann - nacheifern. Der Topos Frauen und Politik ist - das zeigt die heutige Debatte - nach wie vor ein Politikum. Frauen in der Politik werden nach wie vor als bemerkenswerte Erscheinung rezipiert. Ihre relative Unterrepräsentanz wird von manchen als Resultat freier weiblicher Willensbildung, von anderen, zumal von Frauen, zu Recht als ein Ergebnis einer hinsichtlich der Partizipationschancen von Frauen verzerrten und deshalb veränderungsbedürftigen gesellschaftlichen Wirklichkeit angesehen. So nimmt es auch nicht wunder, daß sich das Nachdenken über das Wirken weiblicher Parlamentarier weniger auf ihre Leistung bei der Lösung allgemeiner, geschlechtsneutraler politischer Probleme bezieht - wir haben heute morgen noch einmal die Beweise dafür wahrnehmen können, daß sie bei der Lösung solcher Probleme viel gebracht haben -, sondern sehr viel mehr auf ihren Beitrag zur Änderung der zuungunsten der Frauen verzerrten gesellschaftlichen Realität. Aus diesem frauenpolitischen Blickwinkel kann man das Wirken unserer Parlamentarierinnen gewiß als Geschichte vieler kleiner, aber auch großer Erfolge nacherzählen. Nicht nur, daß - wie schon mehrfach betont der Anteil der Parlamentarierinnen von 6,8 Prozent im Jahre 1949 auf jetzt über 30 Prozent gestiegen ist. Schriebe man diesen etwa in der achten Legislaturperiode - 1976 bis 1980 - einsetzenden steilen Trend linear fort, so würden wir in der 21. Wahlperiode, also zirka im Jahr 2030, einen Anteil weiblicher Bundestagsabgeordneter haben, der dem Frauenanteil in der Bevölkerung entspräche. Das ist noch ein langer Weg. Aber ganz so schlecht ist das, was in den ersten 50 Jahren auf diesem Gebiet geleistet wurde, nun auch nicht. Es sind erhebliche Verbesserungen in der Rechtsstellung der Frau erzielt und versteckt oder offen diskriminierende Vorschriften aus unserem Rechtssystem entfernt worden, was ohne die ständig gewachsene weibliche Repräsentanz im Bundestag nicht - oder zumindest nicht derart durchschlagend - geschehen wäre. Ich muß hier nicht die Bilanz aufmachen: Familienrecht, ein verschärftes Recht beim sexuellem Mißbrauch, die Reform des § 218 in über 30 Jahren, eine verbesserte Rahmensituation für die Erwerbstätigkeit von Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Ausbildung und mehr Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Vieles ist verbessert worden. Nicht, daß frauenpolitisch nun nichts mehr zu tun bliebe. Dennoch befinden wir uns in einem Zustand, der Frauenpolitikerinnen schon eine gehörige Portion von Scharfsinn abverlangt, um die bestehenden Lücken und Unzulänglichkeiten in unserem Recht aufzuspüren, die gewollt oder nicht gewollt - den Frauen und ihren Mitwirkungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zum Nachteil gereichen. Das heißt, wir haben heute eine Situation, in der die rechtliche Gleichberechtigung doch in weiten Teilen in unserer Gesellschaft durchgesetzt worden ist, und das ist eine erfreuliche Bilanz frauenpolitischer Erfolge der letzten 50 Jahre. Können wir nun diese Konsequenz mit Genugtuung und Zufriedenheit quittieren? Ich bin der Meinung, so uneingeschränkt nicht, denn sie steht in einem deutlichen, ja geradezu in einem krassen Gegensatz zur Situation der Frau in unserer zivilgesellschaftlichen Wirklichkeit. Nüchtern müssen wir feststellen, daß sich trotz der gestiegenen Anzahl von Parlamentarierinnen an der faktischen Benachteiligung von Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen kaum etwas, vielleicht nur Akzidentielles geändert hat. Nach wie vor ist der gesellschaftliche Einfluß, den Frauen kraft ihrer gesellschaftlichen Position ausüben, marginal. An den Schaltstellen von Macht und Einfluß, Wirtschaft und Wissenschaft, aber genauso in Parteien und Verbänden wie in Behörden sind Frauen in den entscheidenden Führungsetagen hoffnungslos unterrepräsentiert. Nach wie vor sind es Frauen, denen Unabhängigkeit stiftende Erwerbstätigkeit durch die ihnen auferlegten Pflichten in Familie, Haushalt und bei der Kindererziehung unmöglich gemacht oder bis zur Unzumutbarkeit erschwert wird. Nach wie vor sind es die Frauen, die von ökonomischen Krisen, von Arbeitslosigkeit überproportional betroffen werden, und nach wie vor sind es die Frauen, auf die der zynische Begriff der Reservearmee nicht ganz zu Unrecht angewendet werden kann. Es ist also nicht von der Hand zu weisen, daß sich hier ein Dilemma der Frauenpolitik andeutet, als sie sich eben als machtlos erweist, wenn es über die Verbesserung der Rechtsstellung von Frauen hinaus um die reale Veränderung traditioneller zivilgesellschaftlicher Strukturen und Verhältnisse zugunsten von Frauen geht. Müssen wir vielleicht damit rechnen, daß trotz aller Erfolge auf der politischen Ebene faktische Änderungen zugunsten von Frauen an der Widerständigkeit tradierter Verhaltensmuster und Rollenerwartungen und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Machtstrukturen scheitern? Geraten wir in ein Dilemma, dem die zukünftige Frauenpolitik entweder durch einen kompensatorischen Aktionismus oder durch eine die freiheitlichrechtsstaatliche Grundnormen und Prinzipien mißachtende Radikalisierung ihrer Forderungen entgehen können will? Beides wäre schlecht, auf lange Sicht schlecht für unser gemeinsames Anliegen. Nicht alles, was vorgeblich und anscheinend den Frauen zugute kommt, ist auch geeignet, diesem Ziel zu dienen. Manches dürfte sich geradezu gegenteilig auswirken, und hier sei beispielhaft nur die im politischen Raum angestellte Überlegung genannt, ein sogenanntes Erziehungsgehalt für nichtberufstätige Mütter einzuführen. Wem es wirklich - aus welchen Gründen auch immer - um die Stärkung und den Erhalt der Familie, gerade auch der kinderreichen Familie, geht, der wird nach frauenpolitischen Lösungen suchen müssen, die den gerechtfertigten Anspruch der Frauen auf Unabhängigkeit und volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wozu nun gerade die Erwerbstätigkeit gehört, mit einbeziehen, und der wird nicht Wege beschreiten, die das eher erschweren oder versuchen unmöglich zu machen. ({1}) Versuche, durch Anreizsysteme Frauen auf ihre tradierte Rolle als Hausfrau und Mutter zu fixieren, werden scheitern und an Unabhängigkeit und Teilhabe interessierte Frauen unwiderruflich in ihrem Drang bremsen, Kinderreichtum zu bescheren. Ebenso falsch wäre es allerdings, wenn sich die Frauenpolitik angesichts ihrer noch nicht ausreichenden Durchschlagskraft radikalisierte und den Staat zum Oberaufseher, zum Wächter oder Polizisten privater Lebensgestaltungen machte. So verständlich die Enttäuschung über die anscheinend unerschütterliche Rigidität überkommener zwischengeschlechtlicher Zustände und Verhältnisse sein mag - die zukünftige Frauenpolitik wäre schlecht beraten, würde sie unter der Flagge der Gleichberechtigung in die Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger, also der Frauen und ihrer Lebenspartner, eingreifen. Die jüngst geäußerte Idee, einen durchsetzbaren Anspruch auf Mitarbeit des Lebenspartners im Haushalt zu gewähren, geht in diese Richtung. Auch das kann nicht der richtige Ansatz einer zukünftigen Frauenpolitik sein. ({2}) Natürlich kommen wir auch künftig nicht ohne Frauenförderpolitik aus. Dabei setze ich auf Chancen, die uns auch Europa bieten wird. Denn in anderen europäischen Ländern - schauen wir gerade einmal in die skandinavischen - gibt es einen ganz anderen Grad des Selbstverständnisses und des Selbstbewußtseins, was die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen angeht. Als Beispiel sei hier das selbstverständliche, kostengünstige Netz von Betreuungseinrichtungen - ich beziehe mich noch einmal auf die skandinavischen Länder - genannt. Von daher ist Europa auch für die Frage einer besseren Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen für mich eine Riesenchance. Wir müssen die Integration Europas nutzen, um in einer Charta der Grundrechte, in einer europäischen Verfassung Frauen die Grundlage dafür zu geben, daß sie auch unter Ausnutzung des Wettbewerbes der europäischen Gesellschaften mehr für sich erreichen, als es bisher der Fall war. Die Anregungen und Vorschläge, die das Europäische Parlament macht, sind, denke ich, sehr wohl geeignet, daß wir sehr fruchtvoll und sehr erfolgreich in der Zukunft wirken können. Wir brauchen neben einer Politik für Frauen aber auch eine Politik der Frauen. ({3}) Das heißt, daß Frauen sehr viel stärker, als sie es bisher erfolgreich etwa beim § 218, bei Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes oder in der Frage der Vergewaltigung in der Ehe getan haben, interfraktionell Meinungen bilden und das auch auf Themenbereiche ausdehnen können, die nicht auf den ersten Blick frauenrelevant sind. Dann können sie versuchen, mit sehr viel mehr Druck und Einfluß den Prozeß der Meinungsbildung voranzubringen. Wenn wir uns manche Beratung der letzten Jahre anschauen und uns überlegen, was vielleicht anders entschieden worden wäre, wenn Frauen die Mehrheit im Bundestag gehabt hätten, dann werden wir einsehen, daß sehr viel früher eine steuerliche Freistellung des Existenzminimums erreicht worden wäre, daß sehr viel früher gerade die von meiner Kollegin und finanzpolitischen Expertin Gisela Frick ausgearbeiteten Vorschläge zur Weiterentwicklung des Ehegattensplittings hin zu einer Ergänzung um eine Familienkomponente in die Gesetze Eingang gefunden hätten. Darauf hätten sich die Frauen in der Mehrheit mit Sicherheit verständigt. ({4}) Auch die Verpflichtung des Staates zur Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Kindergartenplätzen wäre früher gekommen. Wahrscheinlich hätten wir die Gegenfinanzierung für kostenintensive sozialpolitische Maßnahmen bei manchen gigantischen Projekten aus anderen Bereichen gemeinsam gefunden. Die Bekämpfung des internationalen Frauenhandels wäre durch einen sehr viel umfangreicheren Einsatz von Zeugenschutzprogrammen für die zur Prostitution gezwungenen Frauen und durch einen flexibleren Umgang mit ausländerrechtlichen Bestimmungen mit Sicherheit früher verbessert worden. Es gäbe mehr Selbständigkeit von Frauen, weil es nicht die unberechtigten Vorbehalte gegenüber der Fähigkeit von Frauen gäbe, eine eigene wirtschaftliche Existenz zu gründen und dafür auch Unterstützung zu bekommen. Denn alle Untersuchungen zeigen: Frauen sind auf alle Fälle die pünktlichen und fristgerechten Rückzahler bei Darlehen, die sie im Rahmen dieser Programme erhalten haben. ({5}) Wir hätten darüber hinaus schon längst den freiwilligen Dienst von Frauen in der Bundeswehr ermöglicht. Wir hätten stärker nichtstaatliche politische Verfolgung als Asylgrund anerkannt, weil das gerade Frauen betrifft, die in Gesellschaften, in denen Menschenrechte und Frauenrechte nicht beachtet werden, diskriminiert werden und deren Menschenwürde im Kern verletzt wird. Ferner hätten wir vielleicht die Selbstmandatierung der NATO zur Intervention in Krisengebieten und auch die vorgesehenen Änderungen in der NATO-Strategie kritischer bewertet und hätten gefragt: Welche Konsequenz hat eine Entscheidung, die man in einer schwierigen Situation trifft, für die nächsten Jahre? Wenn wir uns mit Ost-Timor beschäftigen, dann, glaube ich, merken wir, wie in diesem Fall die Debatte anders geführt wird als früher. ({6}) Mit dieser Liste nur beiläufig zustande gekommener subjektiver Einschätzungen möchte ich zum Ausdruck bringen, daß gerade politikrelevante, frauenspezifische Haltungen und Wertungen vielschichtig sind und sich nicht, wie es heute gern getan wird, auf das reichlich verfängliche Stereotyp einer besonderen sogenannten sozialen Kompetenz festlegen lassen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Machen wir, meine Damen und Herren, eine Politik der Frauen - und dann mit Überzeugung gemeinsam mit den Männern in diesem Parlament, damit das, was wir alle auf der Agenda haben, am Ende dieser Legislaturperiode nicht mehr nur eine Vorstellung bleibt, sondern Realität geworden ist! Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich der Kollegin Petra Bläss, PDS-Fraktion, das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe ehemalige Parlamentarierinnen! Liebe geladene Frauen auf der Zuschauerinnenund Zuschauertribüne! Als vor 50 Jahren die ersten Frauen im Deutschen Bundestag ihre Arbeit aufnahmen, waren sie noch eine kleine Minderheit im Parlament. Sie hatten gegen ein öffentliches Bild anzukämpfen, das Frauen als Mütter und treusorgende Ehefrauen zeigte und nicht als politisch und wirtschaftlich eigenständige Personen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Dabei waren es die Frauen, die den Wiederaufbau nach Kriegsende vorantrieben, die Trümmer wegräumten und sozialen Zusammenhalt organisierten. Elisabeth Selbert brauchte wäschekörbeweise Eingaben von anderen Frauen, um im Grundgesetz wenigstens die verfassungsrechtliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen durchzusetzen. Verfassungswirklichkeit wurde sie damit noch lange nicht. Sie ist es bis heute nicht. ({0}) Das Frauenbild heute ist ein völlig anderes als vor 50 Jahren. Es ist bei weitem nicht einheitlich: Selbstbewußte, selbständige Frauen als Gewinnerinnen auf der einen Seite stehen aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten, ökonomisch abhängigen Verliererinnen auf der anderen Seite gegenüber. Was hart erkämpft wurde und sich als notwendiges Instrument für die Gleichstellung der Geschlechter erwiesen hat, erscheint vielen heute als alter Zopf. Frauenförderung und Quotierung, so höre ich oft, seien Hilfsmittel für diejenigen, die es nötig hätten. Weit gefehlt! Wenn wir nach der realen Verteilung von Macht und Einfluß in der Gesellschaft fragen, zeigt sich, daß wir seit Jahrzehnten Quoten haben. Die Männerquote bei den Professuren beträgt über 90 Prozent, bei den Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst über 80 Prozent, in den allerhöchsten Führungspositionen sogar 97 Prozent. Auch die Bundesregierung liegt zu 75 Prozent noch immer in Männerhand. Selbst hier im Parlament haben wir noch eine Männerquote von knapp 70 Prozent. Zweifellos haben Mädchen und Frauen im Ausbildungssektor erheblich aufgeholt. Dennoch liegt die Männerquote in besonders zukunftsträchtigen Studiengängen wie Maschinenbau, Elektronik und Informatik bei rund 90 Prozent. Das bedeutet Ausgrenzung von jungen Frauen aus zukunftsträchtigen Berufen. 1997 betrug die Männerquote bei den geringfügig Beschäftigten 25 Prozent und bei den Teilzeitbeschäftigten gerade einmal 12 Prozent. Helene Weber forderte in ihrer Rede im Deutschen Bundestag am 2. Dezember 1949: „Wir verlangen und erwarten gleichen Lohn für gleiche Leistung.“ Diese Forderung hat bis heute nichts, aber auch gar nichts von ihrer Aktualität verloren. Frauen verdienen noch immer rund ein Viertel weniger als Männer; in einigen Branchen ist der Abstand noch größer. Selbst wenn sie die gleiche Ausbildung haben, verdienen Frauen weniger als Männer. Das Risiko von Akademikerinnen, Jobs weit unterhalb ihrer Qualifikationsstufe annehmen zu müssen, ist doppelt so hoch wie das ihrer männlichen Kollegen. Selbstverständlich erkenne ich auch die Erfolge an. Ja, heute gibt es mehr Frauen in den Parlamenten, nicht nur hier im Bundestag, als je zuvor. Frauen haben es bis in die höchsten Ebenen geschafft. Zwei ehemalige Bundestagspräsidentinnen haben heute schon zu uns gesprochen. Ihnen und vielen anderen hat geholfen, daß die neue Frauenbewegung der 70er Jahre die Politik ganz entscheidend beeinflußt hat. Meine Damen und Herren, Frauenpolitik ist zu einem wahlentscheidenden Faktor geworden. ({1}) Ohne Quoten wären wir heute nicht so weit; denn kaum ein Mann ist bereit, freiwillig auf Macht und Privilegien zu verzichten. Frauen, die sich durchgesetzt haben, zahSabine Leutheusser-Schnarrenberger len in der Regel einen hohen Preis. Sie passen sich entweder erbarmungslos dem männlichen Karrieremuster an, oder sie gelangen nicht an die Spitze der Stufenleiter. Dort nämlich ist kein Platz für Familie. Kinder gehören noch immer nicht in die Welt der Karrieren. Die Ellenbogengesellschaft dominiert. Werte wie Solidarität und ziviles Miteinander, ohne die unsere Demokratie nicht leben kann, bleiben auf der Strecke. Auch wenn uns die Medien oftmals die zuckersüße Welt des Lifestyle verkaufen wollen, ist es für mich ein Trugschluß, daß dies das Erstrebenswerte sein soll. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit der Realität hierzulande zu tun. ({2}) Niemand ist hundertprozentig flexibel, verfügbar und mobil. Tatsächlich gibt es nur wenige Frauen, die in der Bundesrepublik trotz kleiner Kinder die Spitze dieser Leiter erreicht haben. Der Anteil der Männer, die Erziehungsurlaub nehmen, liegt nach wie vor bei 2 Prozent. Jüngste Untersuchungen zeigen, daß Männer im sogenannten Familienalter gerade ein Fünftel ihrer Zeit für Familie und Freizeit aufbringen, vier Fünftel für den Beruf. Frauen im gleichen Alter müssen dagegen 60 Prozent ihrer Zeit für die Familie und können nur 40 Prozent für den Beruf verwenden. Keineswegs kann man in der Arbeitswelt von heute frauen- und familienfreundliche Rahmenbedingungen erkennen. Doch die Vereinbarkeit von Berufsarbeit mit Erziehungs- und Pflegearbeit ist der Dreh- und Angelpunkt des Geschlechterverhältnisses. Wenn Frauen nicht um ihre Rechte kämpfen und Männer ihr Verhalten nicht ändern, wird sich an diesem antiquierten Zustand nichts ändern. Zukunft ist für mich nicht in erster Linie mehr Gewinn, mehr Macht und mehr Prestige. Zukunft ist für mich ein solidarisches und friedliches Miteinander. Zukunft ist für mich Chancengleichheit für alle, unabhängig von ihrer Herkunft. ({3}) Doch genau das wirft der derzeit Hochkonjunktur habende Neoliberalismus über den Haufen. Der Neoliberalismus als Idee ist ein in sich geschlossenes, scheinbar unfehlbares System. Das macht ihn offenbar für viele Menschen in Politik und Wirtschaft attraktiv und zugleich unangreifbar. Arbeitslosigkeit und Armut entstehen nach dieser Theorie prinzipiell dadurch, daß Reformen nicht konsequent durchgesetzt werden oder daß die Menschen schlicht selber schuld an ihrem Schicksal sind. Löhne sind nach dieser Theorie zu hoch, Sozialleistungen zu umfangreich und die Bedingungen für die Unternehmen am jeweiligen Standort zu ungünstig. Tatsächlich ist der Neoliberalismus nur eine Ideologie. Er beantwortet eben nicht eine der zwingenden globalen Fragen. Statt dessen sind die Menschen inzwischen weltweit zum Wettbewerb „Jeder gegen jeden“ gezwungen. Länder, die einmal Standortvorteile errungen hatten, versinken nach wenigen Jahren des Wirtschaftsaufschwungs wieder in Armut und Elend. Unternehmen wandern in noch billigere Länder ab. Die Folgen tragen einmal mehr die Schwächsten. Häufig sind es junge Frauen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen für sehr, sehr wenig Geld 14 Stunden am Tag - und das 7 Tage in der Woche - in den Exportfabriken arbeiten müssen. Diese Frauen haben häufig keinerlei Rechte und können sich nur unter sehr großen Gefahren organisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Anzeichen dafür, daß solche Verhältnisse global zur Normalität werden. Gewerkschaftliche Errungenschaften wie Flächentarife werden in der Bundesrepublik zur Disposition gestellt. In vielen Gebieten, vor allem in den neuen Bundesländern, sind die Löhne längst ins Bodenlose gesunken. Stundenlöhne von 5 oder 6 DM sind keine Seltenheit, sondern Normalität. Am unteren Ende sitzen Frauen, vor allem Frauen ohne deutschen Paß. Neulich hörte ich von einem Textilbetrieb in Mainz, der portugiesischen Arbeiterinnen sage und schreibe 3,98 DM pro Stunde zahlte. Für diese Frauen sind die Diskussionen über die Ausweitung von Niedriglohnsektoren im Rahmen des Bündnisses für Arbeit der reine Hohn. ({4}) Soziale Ungleichheit ist im neoliberal bestimmten öffentlichen Diskurs kein Problem, sondern soll sogar für gesellschaftliche Dynamik sorgen. So will es die Logik der Marktkräfte. Doch ich frage mich oft, welche Konsequenzen ein solches Denken für unsere Kultur hat. Die kulturelle, soziale und wirtschaftliche Zukunft unserer Gesellschaft wird entscheidend davon abhängen, ob die junge Generation genügend Chancen hat, sich zu bilden und auszubilden, und zwar unabhängig von Geschlecht, sozialer Herkunft und Staatsangehörigkeit. Der Anteil von Studierenden aus unterprivilegierten sozialen Verhältnissen ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Es sollte ein Alarmzeichen für alle sein, wenn ein Studium wieder denjenigen vorbehalten bleibt, deren Eltern es sich finanziell leisten können. Ich bin fest davon überzeugt, daß es ein Irrglaube ist, zu meinen, Demokratie sei allein nach dem Marktprinzip organisierbar. Im Gegenteil: Soziale Ungerechtigkeit greift die Basis unserer Demokratie an. ({5}) Wie zwingend es ist, um unsere Demokratie jeden Tag aufs Neue zu ringen, haben wir am letzten Wochenende bei den Landtagswahlen in Brandenburg erlebt: Eine rechtsradikale Partei ist mit populistischen, menschenverachtenden Sprüchen auf offene Ohren gestoßen. Und alle demokratischen Parteien haben den Ernst der Lage augenscheinlich zu spät erkannt. Um so mehr verpflichten uns 50 Jahre Grundgesetz, heute stärker denn je über Erhalt und Weiterentwicklung der Demokratie im nächsten Jahrhundert zu diskutieren und zu streiten. Dabei muß die Teilhabe von Frauen zentral sein. „Eine Demokratie, die Lebenslagen und Interessen von Frauen in der politischen Praxis permanent ignoriert und die zugleich deren politische Teilhabe auf ein Minimum reduziert, steht auf tönernen Füßen“, so die Sozialwissenschaftlerin Beate Hoecker. Ich meine, sie hat recht. Eine demokratische Gesellschaft muß sich also daran messen lassen, wie sie soziale Sicherheit organisiert, wie sie Arbeit - und zwar bezahlte und unbezahlte - verteilt und wie Ansprüche an das Sozialprodukt entstehen, wenn die traditionellen Formen der bezahlten Arbeit seltener werden. Sie muß die gesamte Lebensleistung von Frauen und Männern einbeziehen, wenn es um diese Frage geht. Eine demokratische Gesellschaft muß sich daran messen lassen, wie sie mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau verfährt. Die Diskussion um den § 218 des Strafgesetzbuches hat vielleicht an Lautstärke abgenommen, aber sie ist aktueller denn je. Denn in diesem Punkt ist das Selbstbestimmungsrecht einer jeden Frau berührt. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hier im Parlament sind gefordert, klare Verhältnisse für alle Frauen zu schaffen und verfassungsfeste Wege zu finden, um diesen unseligen Paragraphen endlich aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. ({7}) Zu einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft gehört, daß Frauen sich frei entscheiden und daß sie über ihr Leben selbst bestimmen können. Die Frauenkonferenz des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften stellte kürzlich in Rio fest, die Globalisierung bedeute eine Katastrophe für Frauen. Die jüngsten Wirtschaftskrisen hätten erneut unter Beweis gestellt, daß in erster Linie Frauen vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. In Rußland zum Beispiel sind 70 Prozent der Arbeitslosen Frauen. In Brasilien kann ein Drittel aller beschäftigten Frauen nur noch als Hausangestellte arbeiten - zu Niedriglöhnen und ohne soziale Absicherung. Im „Schröder-Blair-Papier“ lese ich: „Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit.“ Vom Anspruch, qualifizierte und gut bezahlte Arbeit zu organisieren, rücken die Regierenden mehr und mehr ab. Augenscheinlich geht es nicht in erster Linie um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, sondern vor allem um die Interessen der Wirtschaft. Ostdeutschland dient dabei hierzulande als arbeitsmarktund wirtschaftspolitisches Experimentierfeld. Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer hat nur noch die Hälfte der ostdeutschen Frauen bezahlte Arbeit. Wenn es nach dem Willen der Herren Biedenkopf und Stoiber ginge, könnten noch mehr Frauen zu Hause bleiben und sich um Heim und Herd kümmern. Denn die Herren haben ausgemacht, daß die „ungebrochene Erwerbsneigung“ ostdeutscher Frauen schuld an der Arbeitsmarktmisere ist. ({8}) In der DDR waren 91 Prozent der Frauen berufstätig. ({9}) Auch wenn sich die meisten von ihnen bewußt für die Berufstätigkeit entschieden hatten, waren in erster Linie sie es, die die Haus- und Erziehungsarbeit zu erledigen hatten. Aber die Frauen hatten eine eigenständige, sozial abgesicherte Existenz. Davon sind wir heute weit entfernt. ({10}) Nehmen wir einmal die Renten. Noch immer erhalten 87 Prozent aller westdeutschen Rentnerinnen weniger als 1 500 DM aus der gesetzlichen Rentenversicherung, 42 Prozent gar weniger als 600 DM. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, daß man von 600 DM im Monat nicht in Würde leben kann. Frauen mit solch niedrigen Renten sind entweder von ihren Männern oder von Ämtern abhängig. Sie wissen alle, daß der Gang zum Sozialamt gerade für ältere Frauen eine erhebliche Hürde darstellt. Wir brauchen aber eine politische Kultur, in der jeder und jedem klar ist, daß sie oder er ein Recht auf soziale Existenzsicherung hat. Dieses Recht muß ein soziales Bürgerinnen- und Bürgerrecht unabhängig von Geschlecht und Staatsangehörigkeit sein. Das - so scheint mir - paßt in keine neoliberale Strategie. Wenn diese Gesellschaft eine Zukunft haben soll, müssen wir eine andere politische Strategie einschlagen, eine feministische Strategie. Die ist mehr als bloße Gleichstellungspolitik. Sie muß alle Politikfelder durchdringen. Soziale Gerechtigkeit muß endlich Leitmotiv der Politik werden. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die 5. UNWeltfrauenkonferenz in Peking 1995 wird zu Recht als Meilenstein im Kampf um die Rechte der Frauen bezeichnet. Auf ihr hat sich auch die Bundesregierung verpflichtet, der Diskriminierung von Frauen auf allen Ebenen ein Ende zu machen. Gertrude Mongella, die Generalsekretärin der 5. UN-Weltfrauenkonferenz, hat seinerzeit deren Beschlüsse als Ausgangspunkt einer sozialen Revolution und kritischen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit bezeichnet. Ich denke, wir sind gefordert, das jetzt endlich umzusetzen. Ich danke Ihnen. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich der Bundesministerin für Frauen - ich nenne dies bewußt zuerst -, Familie, Senioren und Jugend, Frau Christine Bergmann, das Wort.

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Was Frauen in 50 Jahren Deutscher Bundestag bewegt haben und was sie bei ihrem politischen Engagement selbst bewegt hat, ist uns heute schon sehr eindrucksvoll und für mich auch sehr bewegend vor Augen geführt worden. Für mich wurde aus dem Gesagten vor allem eines wieder klar: Frauen ist auf diesem Weg nichts geschenkt worden. Sie haben um jeden Zentimeter, den sie in unterschiedlichen Lebensbereichen an Boden gewonnen haben, hart gerungen. Sie haben es für sich getan, sie haben es für ihre Töchter in dem Bewußtsein getan, daß eine menschlichere demokratische Gesellschaft die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen erfordert. Für uns ist wieder klargeworden: Wir stehen immer auch auf den Schultern unserer Vorgängerinnen. Ich bin sehr dankbar für die Vorgängerinnen, die wir in dem Bereich gehabt haben. ({0}) Ich möchte noch ein Stückchen weiter zurückgehen. Vor gut 80 Jahren, am 19. Februar 1919, sprach erstmals eine Frau, die Sozialdemokratin und spätere Begründerin der Arbeiterwohlfahrt Marie Juchacz, vor einem deutschen Parlament. Wenige Wochen vorher konnten sich die Frauen in Deutschland erstmals an Wahlen beteiligen und ihr für uns heute selbstverständliches Wahlrecht ausüben. Marie Juchacz begann ihre Rede mit der Bemerkung: Ich möchte hier feststellen, daß wir deutschen Frauen dieser Regierung, die das Frauenwahlrecht einführte, nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit; sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist. Ich denke, das gilt noch immer für das, was wir haben wollen und was uns noch immer zu Unrecht vorenthalten wird. ({1}) Inzwischen haben wir gelernt: Allein die rechtliche Gleichstellung sichert noch nicht die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Intervention - auch staatliche - ist nach wie vor unverzichtbar, wenn es darum geht, Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zu verwirklichen. Ich möchte noch einige Bemerkungen zu etwas machen, das heute noch nicht zur Sprache gekommen ist: Wenn wir heute den Blick auf 50 Jahre Wirken der Parlamentarierinnen im Deutschen Bundestag richten, dann ist es für mich als eine Frau, die den ersten bis letzten Tag der DDR miterlebt hat, wichtig, darauf hinzuweisen, daß wir Frauen in Deutschland uns in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen befunden haben. Das gilt für die Zeit der Trennung, das gilt aber auch für die Zeit danach. In einer Diktatur wie der DDR mit Scheinparlament, ohne politischen Wettbewerb von Parteien und ohne die freie Wahl von Volksvertreterinnen und Volksvertretern stellt sich nämlich die Frage nach der Beteiligung von Frauen und nach ihrer Gestaltungsfähigkeit im parlamentarischen Raum so nicht. Das Geschlecht derjenigen, die die ZK-Beschlüsse abnickten, war wirklich nicht von Bedeutung. In einer Gesellschaft wie der DDR, in der die Übernahme zum Beispiel von Leitungsfunktionen in der Regel nur um den Preis einer verstärkten Anpassung zu erreichen war, wurde der Geschlechterkonflikt durch andere massive Macht- und Unterdrückungskonstellationen überlagert. ({2}) Ein Blick auf die absolute Männerdominanz in den die Geschicke der DDR bestimmenden Gremien zeigt den Widerspruch zwischen der verkündeten Durchsetzung der Gleichberechtigung und der Weigerung, im eigenen Machtbereich damit ernst zu machen; ganz zu schweigen davon, daß die Namen von Frauen der proletarischen Frauenbewegung, wie Clara Zetkin und Rosa Luxemburg, zwar gern im Mund geführt wurden, es aber für DDR-Bürger und -Bürgerinnen nicht unbedingt ratsam war, deren Vorstellungen einer menschlicheren Gesellschaft für die DDR zu reklamieren. Ich erinnere daran, wie es Demonstranten und Demonstrantinnen erging, die Rosa Luxemburgs Wort von der Freiheit der Andersdenkenden auf ihren Transparenten vor sich hertrugen. Ich glaube, es gehört auch zu dieser Stunde, daß man daran erinnert, wie wenig Gestaltungsmöglichkeiten Frauen in der DDR-Geschichte im parlamentarischen Raum hatten - Männer übrigens auch nicht -; das ist eben so in einer Diktatur. ({3}) Ich komme jetzt noch zu einem anderen Punkt: Auf der anderen Seite gab es einen tatsächlichen Gleichstellungsvorsprung von Frauen in bezug auf Erwerbsarbeit; das wurde übrigens auch von allen Soziologen konstatiert. Bis heute ist die Erwerbsquote von Frauen in Ostdeutschland höher als die in Westdeutschland, und im Rahmen des Transformationsprozesses sind viele Frauen zu Haupternährern der Familie geworden. Das Einkommen der Frauen macht heute in den neuen Bundesländern knapp 50 Prozent des Haushaltseinkommens aus; in den Altbundesländern sind es etwa 30 Prozent. Das hat natürlich Einfluß auf die Geschlechterbeziehungen. Denn ökonomische Unabhängigkeit ist nicht nur für den Fall gut, daß eine Partnerschaft scheidet; sie ist auch für die Gestaltung einer Partnerschaft gut. ({4}) Nicht umsonst weisen wir immer auf die Rolle der Erwerbsarbeit hin. Ich komme nachher noch darauf zu sprechen. Bei allen Schwierigkeiten, die ostdeutsche Frauen übrigens auch Männer - auf dem Arbeitsmarkt haben, gibt es keine Hinwendung zu einem traditionellen Geschlechtermodell. Es spricht für das ungeheure Durchhaltevermögen und den wohlverstandenen Eigensinn der ostdeutschen Frauen, wenn sie dem gewaltigen Druck, sie an den Rand des Arbeitsmarktes oder gar hinaus zu drängen, standhalten. Was ostdeutsche Frauen nach der Wende erlebt haben, ist, historisch gesehen, nicht neu. Die Akzeptanz weiblicher Erwerbsarbeit hing immer davon ab, ob Frauen auf dem Arbeitsmarkt benötigt wurden oder nicht. Wurden sie benötigt, war nämlich die passende Ideologie immer da. Damit sind wir an einem zentralen Punkt der Gleichstellung. Die Ursachen sowohl für politische als auch für soziale Ungleichheiten, auf die ich hier im einzelnen nicht eingehen kann, liegen vor allem in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und dem damit zusammenhängenden Rollenverständnis. Das eine ist untrennbar mit dem anderen verbunden. Deshalb ist es so notwendig zu sagen, was wir an dieser Arbeitsteilung und dem Rollenverständnis verändern müssen. Wir dürfen die Rückwärtsentwicklung nicht zulassen, daß die Arbeitsteilung, die zu Lasten der Frauen geht, noch stabilisiert wird. ({5}) Noch immer gilt - das ist angesichts hoher Frauenerwerbsbeteiligung um so skandalöser -, daß Erziehungsund Familienarbeit in aller Regel von Frauen geleistet wird. Während Männer den Rücken für ihre berufliche Karriere freigehalten bekommen, haben Frauen im Konkurrenzkampf die schlechteren Karten, auch wenn ihnen formal alle Möglichkeiten offenstehen. Diskriminierungen abzubauen kann sich deshalb nicht darin erschöpfen, daß wir den Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, zum Beispiel durch verbesserte Qualifikationen; das ist natürlich auch wichtig. Wir müssen endlich ernst machen mit dem so oft angemahnten neuen Geschlechtervertrag, mit der Veränderung tiefsitzender Rollenklischees und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. ({6}) Da ich heute viel in dieser Richtung gehört habe, sollten Frauen das nun gemeinsam vorantreiben. Das ist Voraussetzung dafür, daß Frauen ihre Möglichkeiten auch umsetzen können. Aber wir wissen: Ein solcher Bewußtseinswandel ist schwieriger durchzusetzen als zum Beispiel ein Existenzgründungsprogramm für Frauen. Trotzdem werden wir hier nicht lockerlassen. Wie das von Männern selbst eingeschätzt wird, kann man von Daniel Goeudevert hören, einem Manager, wie wir wissen, aus der Autoindustrie. Ich will Ihnen das Zitat einmal vortragen; es ist nämlich sehr schön. Er sagte vor einiger Zeit: Ich halte Frauen inzwischen für sozial kompetenter und teamfähiger als Männer, ({7}) sie kommen schneller auf den Punkt - auch das haben wir alle schon erlebt und haben eine deutlich niedrigere Neigung zum Geschwätz. ({8}) Aber Frauen - so sagt er weiter kommen nicht durch, solange Männer ihnen den Weg nach oben freimachen müßten. Und die werden den Teufel tun. Ökonomisch ist die Benachteiligung von Frauen kontraproduktiv. Auch das müßte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Warum wir hier nicht schneller vorankommen, kann mir niemand erklären. Daß ein hohes Qualifikationsniveau von Frauen und eine steigende Erwerbstätigkeit Katalysatoren für eine dynamische Wirtschaft sind, gilt heute ja nicht nur für die entwickelten Industrieländer, sondern global. Wir brauchen also einen Bewußtseinswandel, der dazu führt, daß die Gleichstellung von Frauen in den Köpfen der Männer ankommt. In dieser Beziehung haben wir in Deutschland noch eine Menge zu tun. Deshalb haben wir einen Schwerpunkt mit unserem Programm „Frau und Beruf“ gesetzt, über das wir heute noch reden werden. Heute nehmen nur knapp 2 Prozent der Väter in der Bundesrepublik Deutschland Erziehungsurlaub in Anspruch - und dies, obwohl viele Männer verbal durchaus für mehr Gleichberechtigung bei der Kindererziehung eintreten. Diese Kluft hat der Soziologe Ulrich Beck als „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ bezeichnet. Wir wissen also, wo wir ansetzen müssen: ({9}) Wir brauchen neben einer flexibleren Gestaltung des Erziehungsurlaubs, die wir jetzt angehen werden, eine Kampagne zur stärkeren Einbeziehung der Männer in die Erziehungsarbeit. Die Voraussetzungen, die Frauen heute mitbringen, sind so gut wie nie zuvor: Noch nie hatten wir so viele qualifizierte Frauen in so vielen Bereichen. Noch nie hatten wir so viele Frauen, die sich in die gesellschaftliche Debatte um die zukünftige Ausgestaltung der Arbeitswelt einmischen und die Chancen der Umgestaltung für sich nutzen wollen. ({10}) Noch nie hatten wir so viele junge Frauen, die ihre gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft als selbstverständlich betrachten. Noch nie hatten wir so viele Frauen, die über alle weltanschaulichen und politischen Grenzen hinweg bei ihrem Weg durch die männlich dominierten Institutionen Erfahrungen gemacht haben, die sie nachfolgenden Frauen vielleicht ersparen möchten. Lassen Sie uns diese Erfahrungen nutzen, um national und transnational neue Handlungsebenen in der Frauenpolitik auszuloten, um den Blick auch auf Spielräume jenseits staatlicher Institutionen zu richten und um auch neue Bündnisse zu schmieden; denn es gilt noch immer, was Louise Otto-Peters vor 150 Jahren gesagt hat: … die Geschichte aller Zeiten hat es gelehrt und die heutige ganz besonders, daß diejenigen, welche selbst an ihre Rechte zu denken vergessen, auch vergessen werden. Das wollen wir uns doch nicht nachsagen lassen. Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Bärbel Sothmann.

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Olympe de Gouges, die große Kämpferin für die Rechte der Frauen in der Französischen Revolution, erklärte „Die Frau ist frei geboren“, war dies für die damalige Zeit sensationell. Heute erscheint uns das selbstverständlich - dank der zahlreichen Vorkämpferinnen, die den Frauen den Weg zu mehr Gleichberechtigung geebnet haben. Wir können auf die Leistungen und Erfolge stolz sein, die Frauen in den letzten Jahrzehnten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erreicht haben. Unsere Vorreiterinnen in Sachen Emanzipation haben vor 80 Jahren das Wahlrecht für die deutschen Frauen erstritten. Die oft vergessenen Mütter des Grundgesetzes - das haben wir heute schon gehört - setzten vor 50 Jahren gegen ganz massiven Widerstand die Festschreibung der Gleichberechtigung in Art. 3 unseres Grundgesetzes durch. Ich begrüße es deshalb sehr, daß wir anläßlich des 50jährigen Bestehens des deutschen Parlaments besonders an den Einsatz und auch an den Einfluß der Frauen im Deutschen Bundestag erinnern. Wir danken den Zeitzeuginnen. Ich erinnere hier - stellvertretend für viele - nur noch einmal an einige herausragende Parlamentarierinnen der vergangenen Jahre. Dr. Marie Elisabeth Lüders war Alterspräsidentin des zweiten und dritten Deutschen Bundestages. Sie war übrigens schon damals davon überzeugt, daß ein gesamtdeutsches Parlament künftig wieder in Berlin tagen wird - und sie behielt recht! Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin dankbar, daß ich heute hier stehen darf. ({0}) Dr. Elisabeth Schwarzhaupt war von 1961 bis 1966 die erste Bundesministerin der Bundesrepublik. Aenne Brauksiepe war von 1949 bis 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1968 bis 1969 war sie Bundesministerin für Familie und Jugend. Dr. Helga Wex war von 1972 bis 1986 Mitglied des Bundestags. Sie war in der CDU Vorreiterin für die neue Partnerschaft von Mann und Frau. All diese Frauen waren in allen Politikbereichen aktiv. Das war wichtig. Es ist gut für uns alle, daß der Einfluß von Frauen in der Gesellschaft stetig wächst. Die „weibliche Sicht der Dinge“ und das große Wissenspotential der zahlreichen, hervorragend ausgebildeten Frauen sind ein unschätzbares Kapital. Auch die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking zog das Fazit - es wurde schon einmal erwähnt -: Die Zukunft der Menschheit liegt in der Zukunft der Frauen. Der Übergang in das neue Jahrtausend ist nur mit der Kreativität von allen Mitgliedern unserer Gesellschaft, von Männern und von Frauen, erfolgreich zu bewältigen. Nur eine partnerschaftliche Gesellschaft ist zukunftsfähig. Aber auf dem Weg dahin müssen wir noch viele Defizite abbauen. Das haben wir schon gehört. Wir müssen die Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt verbessern und sie darin unterstützen, stärker als bisher auch die technischen Möglichkeiten der Wissens- und Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts zu nutzen. Die adäquate Aus- und Weiterbildung von Mädchen und Frauen in den Berufsfeldern des digitalen Zeitalters bleibt daher eines der wichtigsten Ziele moderner Frauenpolitik. ({1}) Bereits frühzeitig müssen wir Mädchen mit technischen und naturwissenschaftlichen Themen vertraut machen. Vor allem im Multimediabereich besteht sonst die Gefahr, daß Frauen den Anschluß an die Zukunft verpassen. Darüber hinaus gilt es - auch das klang heute immer wieder an -, die teilweise noch immer beschämend geringe Repräsentanz von Frauen in den Entscheidungsgremien von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu korrigieren und die Karriere von Frauen in diesen Bereichen zu fördern. Nutzen wir also die Chance, bei dem in den nächsten Jahren anstehenden Generationswechsel an den Hochschulen den Frauenanteil in den entscheidenden Stellen deutlich zu erhöhen. Eine wichtige Voraussetzung dafür, daß Frauen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt optimal nutzen können, ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Deshalb brauchen wir bedarfsgerechte Kinderbetreuungseinrichtungen und flexiblere, familiengerechte ArBundesministerin Dr. Christine Bergmann beitszeiten und Arbeitsformen. Man kann das gar nicht oft genug erwähnen. Entscheidend ist jedoch vor allem ein Bewußtseinswandel. Unsere Gesellschaft muß begreifen, daß nur eine partnerschaftliche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen zu echter Chancengleichheit führt. Denken Sie daran: Demokratie heißt auch Miteinander von Männern und Frauen. Lassen Sie uns nun den Weg ins neue Jahrtausend wagen, in dankbarer Erinnerung an unsere bekannten und - auch das möchte ich sagen - an unsere unbekannten Wegbereiterinnen und mit viel Mut und Vertrauen in unsere eigene Kraft! Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Bei der Vorbereitung der heutigen Debatte bin ich - wie so viele - auf ein Zitat gestoßen, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: Als einzelne wirkt die Frau im Parlament wie eine Blume, aber in der Masse wie ein Unkraut. ({0}) Dieser Satz - man findet wahrscheinlich noch viele solcher Blüten, wenn man die Protokolle durchschaut stammt von Dr. Michael Horlacher, Mitglied des Bundestages in der 1. und 2. Wahlperiode. Er war sicher nicht der einzige Abgeordnete, der damals so dachte. Ich bin mir trotz dieser sehr schönen Debatte auch nicht sicher, ob diese frauenfeindliche Sicht heute tatsächlich der Vergangenheit angehört. Daß wir heute diese Debatte führen, zeigt mehr als deutlich: Die Frauen der Frauenbewegung und auch die Frauen im Parlament haben dieses Land geprägt und verändert. ({1}) Ich möchte deshalb an dieser Stelle für meine Fraktion zunächst allen Initiatorinnen für ihr Engagement danken, ganz besonders auch meiner Fraktionskollegin Monika Knoche, die mit anderen den Anstoß für die heutige Sonderveranstaltung gegeben hat. Vielen Dank ihnen allen. ({2}) In der ersten Wahlperiode - es wurde heute schon häufig gesagt - gab es unter 410 Abgeordneten nur 28 Frauen. Heute sind allein 28 grüne Frauen Mitglieder dieses Hohen Hauses. ({3}) Insgesamt sind wir 207 Frauen in diesem Parlament. Das zeigt: Wir waren im Kampf um mehr Macht und um mehr Einfluß erfolgreich. Diese rund 30 Prozent sind ein ganz gutes Zwischenergebnis und zugleich der höchste Prozentanteil an Parlamentarierinnen seit Gründung der Bundesrepublik. Das zeigt aber auch: Unser Ziel ist noch nicht erreicht. Wir wollen nach wie vor mindestens die Hälfte von allem, also auch der Mandate, liebe Frauen. ({4}) Daß wir so weit gekommen sind, daran haben seit 1983 die Grünen einen ganz wesentlichen Anteil. Mit der ersten Grünen-Fraktion kam nicht nur das erste Feminat, das heißt der erste nur mit Frauen besetzte Fraktionsvorstand, sondern die grünen Frauen haben von Anfang an ein wirklich wirksames Instrument - das wurde heute schon das ein oder andere Mal angesprochen - zur paritätischen Besetzung von Gremien und auch von Parlamentsfraktionen durchgesetzt: die Quotierung. Was sind wir - ich meine meine Kolleginnen der ersten Grünen Fraktion - dafür verspottet worden! Heute hat sich das geändert. Das ist mir auch in dieser Debatte deutlich geworden. Um noch einmal klarzumachen, um was es geht: Die Quotierung ist nicht, wie ihre hauptsächlich männlichen Kritiker immer noch behaupten, ein Mittel der Bevorzugung von Frauen, sondern sie ist das wirksamste Mittel, um die Benachteiligung von Frauen, die immer noch vorhanden ist, Schritt für Schritt zu beseitigen. ({5}) Es ist richtig: Wir haben schon viel erreicht. Hier im Parlament sind zum Beispiel von sechs Präsidiumsmitgliedern drei Frauen, auch in klassischen Männerdomänen finden wir Frauen: als Vorsitzende im Finanzausschuß, als Mitglied in der Wehrstrukturkommission, im Präsidium des Bundesverfassungsgerichtes und an vielen anderen Stellen. Ich bin aber überzeugt, daß es immer noch ein weiter Weg ist, bis Gleichberechtigung auch bei der Verteilung von Macht zur Selbstverständlichkeit wird. Das muß unser Ziel bleiben. Chauvinismus und männliche Arroganz haben Frauen in diesem Hohen Hause in den vergangenen Wahlperioden zu spüren bekommen. ({6}) Ich möchte noch einmal über den Fall berichten, den mein Kollege Rezzo Schlauch gestern schon angesprochen hat: Der Umgang mit der grünen Abgeordneten Waltraud Schoppe, als sie vor einigen Jahren ein gesellschaftliches Tabu brach, indem sie erstmals in einer öffentlichen Plenardebatte Ehemänner als Verantwortliche für häusliche Gewalt und eheliche Vergewaltigung anklagte - ich war zu diesem Zeitpunkt nicht im Parlament, aber ich habe mir dieses extra noch einmal in einem Filmausschnitt angeschaut -, war wirklich fürchterlich und ein ganz schlechtes Beispiel für den Parlamentarismus in diesem Hause. Sie wurde von den Kollegen ausgepfiffen, und das Präsidium hatte nicht wenig Mühe, diese Tumulte wieder in den Griff zu bekommen. ({7}) 14 Jahre danach haben wir in diesem Hause die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt. Das ist uns gelungen, weil wir Frauen fraktionsübergreifend an einem Strang gezogen haben. Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg, der zum Erfolg führt; ihn müssen wir gemeinsam fortsetzen. ({8}) Auch wir jungen Frauen heute können auf diesen Erfolgen aufbauen. Junge Frauen machen die besseren Schulabschlüsse und die besseren Examina. Sie blicken ganz selbstbewußt in die Zukunft. Aber dann müssen sie immer wieder feststellen: Sie verdienen nach wie vor oft immer noch weniger als ihre männlichen Kollegen. Wenn sie sich für eine betriebliche Ausbildung entscheiden, dann schrumpft die Auswahl der Ausbildungsberufe auf ganze 13 zusammen. Gerade für die Frauen im Osten ist es ein schwerer Rückschritt, daß sie überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Das heißt, Frauen sind nach wie vor benachteiligt, ob es dabei um den Berufseinstieg, um berufliche Aufstiegschancen oder auch um eine eigene Alterssicherung geht. Deshalb werden wir weiter für gleiche Rechte, für gleiche Berufschancen, für eine eigenständige Alterssicherung, für die Gleichstellung lesbischer Paare und nicht zuletzt für die gleiche Teilhabe an Macht und Einfluß kämpfen. ({9}) Wir sind da sehr selbstbewußt. Dieses Lebensgefühl fordert uns heraus und gibt uns Mut, weiter für Veränderungen zu streiten. Wir brauchen veränderte Arbeitsstrukturen. Wir müssen Erwerbsarbeit sowie Haus- und Betreuungsarbeit neu organisieren, und zwar nicht mehr so - wie es heute noch immer ist -, daß die Frauen zwei Drittel der Arbeit machen und die Männer zwei Drittel des Geldes, des Vermögens bekommen. Das Gleichberechtigungsgesetz, um das wir Frauen schon so lange ringen, wird ein Meilenstein auf dem Weg dahin sein. Ich möchte am heutigen Tag aber auch über den Tellerrand des deutschen Parlaments hinausblicken: Es sind sehr häufig Frauen, die weltweit das Überleben der Familien sichern. In Afrika zum Beispiel wird ein Drittel der Haushalte von alleinerziehenden Frauen geleitet. Auch der Einsatz von Frauen für die Achtung der Menschenwürde wird heute nicht hoch genug eingeschätzt. Ich möchte an einige Frauen erinnern, zum Beispiel an die Inderin Vandana Shiva, Trägerin des alternativen Nobelpreises. Sie setzt sich international gegen die Ausbreitung der Biotechnologien in der Landwirtschaft zur Wehr, weil diese das Überleben der Bäuerinnen und Bauern in den Ländern des Südens bedrohen. Ich erinnere an die Pakistanin Nafis Sadik, die 1994 die UNO-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo geleitet hat. Sie hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, daß die Begrenzung des Bevölkerungswachstums nicht auf Kosten der Gesundheit und der Entscheidungsfreiheit der Frauen geht. Unsere Aufgabe ist es, solche Frauen zu unterstützen. ({10}) Denn Frauenrechte sind Menschenrechte; das müssen wir immer wieder deutlich machen. Mit Gro Harlem Brundtland ist jetzt eine Frau Chefin der Weltgesundheitsorganisation geworden. Durch sie besteht die berechtigte Hoffnung, daß die Lebenssituation von Frauen in den Ländern des Südens verbessert wird. Außerdem - Sie werden es mir nachsehen, aber ich möchte natürlich auch dieses Beispiel nennen - wird mit Michaele Schreyer eine grüne Frau Wächterin des europäischen Haushaltes. Ich bin mir sicher: Wir können uns darauf verlassen, daß sie den zum Teil äußerst fahrlässigen Umgang mit den Finanzen der Europäischen Union zukünftig beenden wird. ({11}) Das ist eine Politik, die auch die Rechte der zukünftigen Generationen im Blick hat. Genau darum geht es in allen wesentlichen Fragen, die wir in diesem Hause in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren diskutieren werden: bei der Konsolidierung des Haushaltes, bei der Rentenreform, bei der ökologischen Erneuerung der Wirtschaft und beim Gleichberechtigungsgesetz. Es geht immer um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft, die eben auch entscheidend davon abhängt, welche Chancen Frauen in dieser Gesellschaft haben werden. Frauen sind Hoffnungsträgerinnen der Zukunft. Deshalb müssen die Frauen des Südens und wir Frauen des Nordens die Aufgaben des dritten Jahrtausends gemeinsam in Angriff nehmen. Ich wünsche mir, daß wir Frauen im Deutschen Bundestag - auch über die Fraktionsgrenzen hinweg - dazu gemeinsam unseren Beitrag leisten. Danke schön. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ina Lenke. Kerstin Müller ({0})

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Gäste! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ein halbes Jahrhundert Einfluß von engagierten Politikerinnen hat sich gelohnt. Liselotte Funcke und ihre Kolleginnen haben uns heute ihre Erfahrungen als Parlamentarierinnen in bewegten Zeiten geschildert. Mich hat das sehr beeindruckt. Liberale Frauen, zum Beispiel in der ersten Wahlperiode des Deutschen Bundestages von 1949 bis 1953 Herta Ilk und Margarete Hütter, haben ihren Beitrag geleistet, Frauenrechte im Parlament zu erstreiten. Sie haben wie ihre Nachfolgerinnen zum eigenständigen liberalen Profil der Partei der F.D.P. beigetragen und für das Ziel liberaler Frauenpolitik gestritten. Die wirkliche, vor allem selbstverständliche Teilhabe von Frauen in Politik und Wirtschaft muß aber noch durchgesetzt werden. Das haben alle Rednerinnen unterstrichen. Ich denke, daß die Kluft zwischen Verfassungsanspruch und gesellschaftlicher Realität, die noch existiert, nur dann überwunden werden kann, wenn mehr Frauen im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, sich einmischen und damit anderen Frauen ein Vorbild geben, das heißt Mut und Lust auf gesellschaftliches Engagement wecken. In den vergangenen Jahren ist für Frauen vieles erreicht worden. Was gab es nicht alles für Kuriositäten im deutschen Recht! Kuppelparagraph, Kranzgeld oder Gehorsam der Ehefrau per Gesetz wären hier zu nennen. Das alles ist glücklicherweise Vergangenheit. ({0}) Allen Anfeindungen zum Trotz wurde besonders durch den Einsatz unserer Kollegin Uta Würfel die Reform des § 218 in der zentralen Frage des Schwangerschaftsabbruches erreicht - ein Meilenstein in der Politik von Frauen für Frauen. Meine Damen und Herren, bei allen meinen politischen Aktivitäten habe ich immer wieder festgestellt, daß besonders Frauen ermutigt und unterstützt werden müssen, wenn sie in Politik einsteigen. Frauen scheuen sich viel zu häufig, das öffentliche Interesse auf sich zu ziehen und für ihre Überzeugungen auch öffentlich zu streiten. Gerade wir Parlamentarierinnen im Deutschen Bundestag wie auch in den Länderparlamenten müssen eine solche Grundstimmung in der Gesellschaft herbeiführen, um weiteren Frauen den Weg zu bereiten, sich in Politik einzumischen. Auch wir brauchen nämlich Nachfolgerinnen, und dafür sollten wir selber sorgen. ({1}) Welchen Aufgaben müssen sich Frauen im Parlament heute stellen? Im Jahr der deutschen Einheit hat sich vieles verändert. Ich war in den letzten Wochen in den neuen Bundesländern und habe festgestellt, daß wir auf zweierlei Ebenen denken müssen: Zum einen müssen wir Politik für die Frauen in den neuen Bundesländern machen, zum anderen müssen wir Politik für die Frauen in den alten Bundesländern machen. Manches kann gemeinsam gemacht werden. Aber bei genauer Betrachtung sollten wir die Tatsache, daß die Geschichte die Frauen in den beiden deutschen Staaten unterschiedlich geprägt hat, in unsere Entscheidungen einbeziehen und manchmal auch unterschiedlich entscheiden. Vor allem die Frauen in den neuen Bundesländern mußten ihr Leben neu einrichten. Veränderte Bedingungen in Arbeit - besonders bei Arbeitslosigkeit -, Familie und Beruf sind seit der Wiedervereinigung für Frauen in den neuen Bundesländern ein großes Problem. Dabei ging der Transfer auch diesmal von West nach Ost. Das kritisieren die Frauen in den neuen Bundesländern zu Recht: daß wir nicht die guten Kinderbetreuungsmöglichkeiten übernommen haben, sondern unser System übergestülpt wurde und das vorhandene sehr schnell weggebrochen ist. Auch deshalb muß die Vollendung der inneren deutschen Einheit eine ganz besondere Aufgabe von uns Parlamentarierinnen sein. Wir haben zwar wenig Zeit; das politische Geschäft fordert uns. Aber wir sollten Schwerpunkte setzen, und das sollte ein gemeinsamer Schwerpunkt von Frauen im Parlament sein. Ich möchte noch auf eine weitere Sache zu sprechen kommen: Die bestehende Vielfalt von Lebensgemeinschaften in unserer Gesellschaft, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, muß von der Politik nun endlich aufgenommen und berücksichtigt werden. Unser Leitbild, das Leitbild der Liberalen, ist jegliche Art von Verantwortungsgemeinschaft, in der Menschen füreinander einstehen und füreinander Verantwortung übernehmen. Dazu gehören für uns ganz selbstverständlich auch die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Auch die Frau, die mit ihrer Frau eine Lebensverbindung eingehen will, muß die nötige Unterstützung vom Gesetzgeber haben. Unser Gesetzentwurf liegt dem Parlament vor. ({2}) Es sind nicht nur die großen Fragen, die die Menschen, unsere Bürgerinnen und Bürger, bewegen, sondern es ist der ganz normale Lebensalltag, der immer noch gesellschaftlichen und gesetzlichen Restriktionen unterliegt. Der heuchlerische Umgang mit sogenannten Randgruppen wie den Prostituierten, die zwar Pflichten, aber nur wenige Rechte haben, muß auf den parlamentarischen Prüfstand. Daß auch Frauen das Recht haben müssen, in der Bundeswehr gleichberechtigt Dienst zu tun, mag manchem als Randthema erscheinen, für die Betroffenen aber ist das kein Randthema; denn es handelt sich in Wahrheit um eine Diskriminierung und um ein geschlechtsspezifisches Berufsverbot, welches der sofortigen Aufhebung bedarf. ({3}) Ich möchte zum Schluß sagen: Ein wiederkehrendes Ärgernis für mich - und sicher auch für andere Frauen ist das dauernde Störfeuer gegen § 218 StGB. Konservative Kreise und die katholische Kirche finden immer wieder Ansatzpunkte, den gesellschaftlichen Konsens, der in § 218 getroffen wurde, in Frage zu stellen. In dieser Woche werden wir uns wieder mit einer parlamentarischen Initiative, die mit diesem Thema zu tun hat, befassen. Dann werden wir sehen, wie die Diskussion abläuft. Ich möchte noch kurz sagen - 4390

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, Ihre Zeit ist schon überschritten. Bitte greifen Sie keinen neuen Punkt auf.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dann mache ich Schluß. Abschließend möchte ich mich bei den männlichen Politikern bedanken, die Frauen fördern, die vielleicht ihre künftigen Konkurrentinnen werden könnten. Meine Herren und Damen, ohne Frauen ist kein Staat zu machen. Lassen Sie uns weiter gemeinsam daran arbeiten. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heute schon sehr viel über unterschiedliche Phasen gehört, die Frauen in Parlament und Politik durchlebt haben. Ich will mich auf eine ganz kurze konzentrieren, die für mich und, wie ich denke, für meine Frauengeneration insgesamt von entscheidender Bedeutung war und die zudem die Gesellschaft insgesamt nachhaltig prägte. Frau Professor Süssmuth hat vorhin von Revolution gesprochen; ich kann ihr nur zustimmen. Der gesellschaftliche Aufbruch der 60er Jahre ermutigte viele Frauen nicht nur in linken Parteien, Gewerkschaften oder anderen kritischen Organisationen, sondern gerade auch außerhalb solcher Institutionen -, sich gegen Diskriminierung, zementierte Rollenaufteilungen und Gewaltverhältnisse zu wehren. „Ich habe abgetrieben“, „Mein Bauch gehört mir“, „Das Private ist öffentlich“ und „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ waren nur einige Positionen, mit denen Frauen in der Öffentlichkeit auf Unterdrückung und Beschränkung ihrer eigenen Entwicklungsmöglichkeiten aufmerksam machten. Sie machten sich gleichzeitig auf, ihre private Isolierung zu durchbrechen, sich einzumischen und gemeinsam mit anderen Frauen dem Alleinvertretungsanspruch der Männer eine selbstbestimmte Frauenidentität entgegenzusetzen. Der gleichberechtigte Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen war ein Ziel, das Frauen - unabhängig von ideologischen Differenzen - verband. Aber gestritten haben wir uns natürlich reichlich und auch nicht immer sehr produktiv. Anlässe für gemeinsames Handeln gab es jedoch mehr. Es waren oft nicht die großen gesellschaftlichen Konzepte, die Frauen zusammenführten, sondern die alltäglichen Erfahrungen mit dem Frausein in einer Gesellschaft, die durch und durch männlich dominiert war. Das betraf die erwerbsarbeitenden Frauen ebenso wie die Frauen in der Familie. Frauen wehrten sich gegen ihre Reduzierung auf Küche und Kinderzimmer. Sie forderten Chancengleichheit in Bildung und Beruf, traten gegen Doppel- und Dreifachbelastungen auf und empörten sich darüber, daß sie zwar nicht darüber entscheiden sollten, ob sie Kinder haben wollten oder nicht, daß sie aber, wenn sie diese hatten, allein und privat für ihr Großwerden verantwortlich sein sollten. Mit Frauenhausgruppen und Notrufen für geschlagene und vergewaltige Frauen entstanden Hilfekonzepte gegen öffentliche und private Gewalt. Kulturelle Gruppen durchkreuzten die Ausgrenzung feministischer Themen ebenso wie Frauenbuchläden, Frauenverlage und Hunderte von Veröffentlichungen, die das Frauenleben beschrieben. Frauen aus der Wissenschaft und den Medien, Juristinnen und andere schlossen sich zusammen, weil sie die Geschlechtsspezifik ihrer Arbeitssituation als diskriminierend - nicht nur für sich, sondern für viele Frauen - erkannten. Streitbare Frauen zum Beispiel in den Gewerkschaften und in der SPD - so ist jedenfalls meine ganz persönliche Erfahrung - nutzten die relativ eigenständigen Strukturen ihrer Organisationen zur Entwicklung emanzipatorischer Gesellschaftskonzepte und erzeugten damit bei den männlichen Altvorderen nicht selten mehr Kopfzerbrechen als Veränderungswillen. Die Stärke der Frauenzusammenschlüsse bestand darin, daß sie nicht eine Ein-Punkt-Bewegung blieb, sondern alle gesellschaftlichen Bereiche durchdrang. Dazu gehörte auch, daß zur Lebensperspektive von Frauen immer mehr die Berufstätigkeit gehörte. Die Bildungsoffensive der ersten sozialliberalen Koalition sowie der damalige Ausbau der sozialen Infrastruktur beförderten die wachsende Berufsorientierung von Frauen und trugen maßgeblich dazu bei, daß die Forderung „Wir wollen alles“ zum Selbstverständnis vieler bewegter Frauen geworden ist. Um so härter - das will ich auch sagen - traf uns alle, daß wenig später der frauenfeindliche Roll-back einsetzte und vieles zunichte machte, was wir damals so hoffnungsvoll begannen. Wenn wir heute nach 30 Jahren Bilanz ziehen, ist eines vermutlich unbestritten: Die Frauenbewegung hat eine andere Perspektive in die politische Landschaft gebracht. Aber es ist auch unübersehbar, daß wirkliche strukturelle Veränderungen in dieser Gesellschaft noch nicht stattgefunden haben. Daß wir in diesem Parlament mehr geworden sind, ist einerseits natürlich unserer Kompetenz, Zielstrebigkeit und Zähigkeit zu verdanken, andererseits aber auch der mehr oder weniger freiwilligen Erkenntnis unserer männlichen Kollegen geschuldet, daß ohne Frauen kein Staat mehr zu machen ist. Daß die Erwerbsquote von Frauen ebenso wie ihr Bildungsniveau stetig angestiegen ist und Frauen auch in Führungsetagen aufgestiegen sind, ändert leider nichts an der Tatsache des fortbestehenden geschlechtsspezifisch geteilten Arbeitsmarktes, der Niedriglöhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse vor allen Dingen Frauen zuweist, sowie der Tatsache, daß sie nach wie vor den Löwenanteil an unbezahlter Arbeit zu leisten haben. Daß nach 30 Jahren endlich die Vergewaltigung in der Ehe als Gewaltdelikt strafbar geworden ist, ist ganz gewiß ein Verdienst der Frauen. Das darf uns allen aber nicht den Blick dafür verstellen, daß unter anderem mit dem § 218 noch immer in ein selbstbestimmtes Leben von Frauen hineinregiert wird. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, patriarchalische Strukturen wirken fast ungebrochen fort und gefährden in der Tat die Zukunftsfähigkeit dieser Gesellschaft.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zu meinem letzten Satz. - Wie sagte sinngemäß schon der alte Bebel? Der Fortschritt einer Gesellschaft mißt sich daran, welche Entwicklungsmöglichkeiten den Frauen geboten werden. Dafür, liebe Kolleginnen, haben wir gemeinsam noch viel zu tun, auch schon jetzt und heute als Tagesaufgabe. Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel Hanewinckel.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte, liebe Frauen und Männer auf der Tribüne! Von den 50 Jahren, in denen Frauen den Deutschen Bundestag und damit die Bundesrepublik Deutschland mitgeprägt haben, habe ich neun Jahre als Abgeordnete aus den sogenannten neuen Bundesländern, nämlich als Abgeordnete aus Halle an der Saale, miterlebt. Von Anfang an habe ich in der Frauenpolitik mitgearbeitet. Das hat bedeutet, daß ich habe mitgestalten können. Das hieß aber auch zu kämpfen, Enttäuschungen in Kauf zu nehmen, begeistert zu sein, selber Hoffnung zu haben und Hoffnung zu wecken, Ermutigung zu brauchen. Das hieß vor allen Dingen, zäh und penetrant zu sein. ({0}) Ich denke nur an das Kapitel § 218 und § 219. Mit der deutschen Einheit galt in Deutschland zweierlei Recht. Die unterschiedlichen Rechtslagen waren im Einigungsvertrag nicht geregelt worden; fast wäre er an diesem zentralen frauenpolitischen Thema sogar gescheitert. Fünf Jahre dauerte es, bis wir 1995 den mühsam gefundenen Kompromiß endlich ins Leben bringen konnten. Mit ihm kann und muß die Mehrheit der Frauen leben - im Westen besser als im Osten. Die Geschichte des § 218 ist sehr viel länger. Sie steht dafür, daß Frauen in ihren Möglichkeiten, in ihren Fähigkeiten und in ihrer Verantwortlichkeit stets von der anderen Hälfte der Menschheit dominiert worden sind. Trotz aller Festschreibungen in den Verfassungen der beiden deutschen Staaten bis 1989, in denen stand: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, sind wir von der tatsächlichen Gleichberechtigung und Gleichstellung noch weit entfernt. Beide verfassungsgebenden Organe haben damals übersehen, wie gern Männer alle Macht für sich in Anspruch nehmen. Ein kurzer Exkurs in die Frauenbewegung der DDR. Diesen muß ich heute hier vornehmen; denn von der Frauenpolitik in der Volkskammer ist leider weder etwas zu berichten noch viel davon zu erzählen. In der DDR gab es eine Frauenorganistation, den DFD. Die Gründung war ziemlich basisdemokratisch. Doch danach wurden seine Ziele - ein Kampf für die Frauen, eine geschlechterspezifische Interessenvertretung der Frauen - dem Einfluß der SED geopfert, bzw. die SED hat über ihre Funktionärinnen ihren Platz im DFD eingenommen. Leitende Stellen wurden mit ihnen besetzt. Mit dem Motto „Schöner unsere Städte und Gemeinden“ wurde die Arbeit des DFD mehr und mehr aus den Betrieben hinausgedrängt. Das Privatleben bzw. die Freizeit der Frauen sollte damit organisiert und strukturiert werden; so wurden Beratungsstellen eingerichtet. Politisch hatte der DFD aber keinerlei Wirkung mehr. In den 80er Jahren war er im Grunde genommen völlig bedeutungslos. Die magere Bilanz des Frauenbundes nach 40 Jahren hieß 1987, daß sich die Mitglieder, Frauen aus allen Klassen und Schichten, von den Beschlüssen der Partei der Arbeiterklasse in nie gekannter Weise angespornt fühlen. Die Frage ist nur: wozu? - Für Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will das nicht nur karikieren, es war damals für die Frauen, die in der DDR gelebt und gearbeitet haben, bitterer Ernst. Frauenpolitische Änderungen in der Gesetzgebung wurden weder diskutiert noch von den Frauen wirklich vorangebracht. Es waren höchstens „Segnungen“ von oben: Gleichberechtigung war angeordnet -, aber letztlich hielt sich niemand daran. In den 80er Jahren wurde der Widerspruch in der DDR immer stärker. Frauen haben dagegen aufbegehrt, daß sie plötzlich mit der „Muttipolitik“ beglückt wurden; sie haben dagegen aufbegehrt, daß sie im Verteidigungsfalle eingezogen werden sollten. Vor allem durch die Gruppen „Frauen für den Frieden“ und den Arbeitskreis „Feministische Theologie“ in der evangelischen Kirche hat sich in der gesamten DDR mehr und mehr eine außerparlamentarische Gruppe organisiert. Heute sitzen Frauen aus Ost und West mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen zusammen in einem deutschen Parlament - unterschiedlich sind sie vor allem in einem Punkt: In der DDR war die Gleichberechtigung Teil der Ideologie der SED; aber nie aus frauenpolitischen Interessen, sondern sie wurde da umgesetzt, wo es für das Staatswesen, für die patriarchale SED sinnvoll und nützlich war. In der Bundesrepublik Deutschland hatten Frauenbewegungen Stück für Stück gegen eine vorherrschende bürgerliche Ideologie gekämpft. Diese unterschiedlichen Erfahrungen in 40 Jahren machen es uns heute oft leicht, uns gemeinsam auf das zu verständigen, was wir wollen, weil diese Erfahrungen natürlich auch geprägt haben und weil für die Frauen im Osten der Arbeitsmarkt ein Thema ist, das sie besetzen wollen und bei dem sie dann auch Mühe haben zu sagen: Wir schaffen das nur, wenn wir uns auf Quotenregelungen und anderes einlassen. An dieser Stelle haben die Frauen aller Parteien auch hier im Parlament aus meiner Sicht noch einiges zu tun. In der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat in der 12. Legislaturperiode war die Ergänzung des Art. 3 durch den Zusatz: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ ein wichtiger Schritt hin zu einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter. Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Herr Jahn, hat damals sehr laut und deutlich gesagt: Wenn ihr wirklich eine tatsächliche Gleichstellung wollt, wenn das mit diesem Zusatz herauskommen soll, dann werde ich dem nie und nimmer zustimmen. - Ich bin noch immer der Meinung, daß wir das tatsächlich wollen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen und Herren, wir sind auf dem Weg zu einer menschlichen Politik. Die haben wir dann, wenn Männer und Frauen tatsächlich in allen Bereichen gleichgestellt sind, aber die tatsächliche Gleichstellung muß sich dann auch in Zahlen widerspiegeln. Wenn ich unseren Arbeitsbereich nehme, dann muß sie sich in der Zahl der Frauen und Männer im Parlament widerspiegeln. Sie muß sich widerspiegeln in der Anzahl der Ministerinnen und Minister, bei den Ausschußvorsitzenden, im Fahrdienst, bei den Sekretären und Sekretärinnen, die die Abgeordneten und der Deutsche Bundestag haben. Sie wissen alle, wie dort das Gefälle ist. Die Gleichstellung muß aber auch deutlich werden an den Ladenkassen, beim Erziehungsurlaub, bei Lohn und Gehalt und in der Leitungsebene der Privatwirtschaft. Wenn wir das alles geschafft haben und dort von einer Gleichstellung reden können, dann können wir die Frauenministerin abschaffen, dann können wir den frauenpoltiischen Ausschuß abschaffen. Wir werden dann sehen müssen, ob wir den Männern dafür einen Platz einräumen müssen, aber ich glaube es nicht, denn wenn das geschafft ist, dann sind wir endlich so weit, daß Frauen in allen Politikbereichen, in allen Lebensbereichen und in allen Arbeitsbereichen tatsächlich gleiche Rechte haben und das mit durchsetzen, was für diese Gesellschaft notwendig ist. Vielen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir würdigen heute die Arbeit der Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag. Nicht länger ist die Zeitspanne, in der ein gewandeltes Rollenbild der Frau die Lebensplanung der Familie entscheidend verändert hat. Dazu ist heute schon vieles gesagt worden. Meine Damen und Herren, unsere heutige gesellschaftliche Realität hat als Entwicklung erst im Deutschland der Nachkriegszeit begonnen. War es früher selbstverständlich, daß Frauen die Hausfrauen- und Mutterrolle als das wünschenswerte Ziel betrachteten, haben heute eine qualifizierte Ausbildung und die Erwerbstätigkeit selbstverständlich den gleichen Stellenwert. Vielfach gründen junge Paare erst dann eine Familie, wenn beide Partner im Berufsleben Fuß gefaßt haben und über ein ausreichendes Einkommen verfügen. So muß moderne Familienpolitk dafür sorgen, daß Eltern Beruf und Familienarbeit miteinander kombinieren können. Politik hat nicht die Aufgabe, Lebensmodelle vorzuschreiben, sondern Rahmenbedingungen für die Wahlfreiheit des einzelnen und der einzelnen zu schaffen, und so verstehen wir von der CDU/CSU die Familien- und Frauenpolitik. ({0}) Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hat vielfältige Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf den Weg gebracht. Ein Meilenstein war das Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Wir haben auch den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz verwirklicht und mit zahlreichen Initiativen, Modellprojekten und gesetzlichen Maßnahmen die Rahmenbedingungen für familienfreundlichere Arbeitszeiten geschaffen. Eine entscheidende Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung. ({1}) - Ich denke, das ist wirklich den Beifall wert, weil das damals bahnbrechende Entscheidungen waren. 1986 wurden die diesbezüglichen Bestimmungen erstmals eingeführt. Seit 1992 werden drei Erziehungsjahre pro Kind anerkannt. Moderne Familienpolitik muß natürlich den Erfordernissen unserer Zeit Rechnung tragen. Wir brauchen noch mehr qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze und flexiblere Arbeitszeiten für Mütter und Väter. Die Arbeitswelt muß familienfreundlicher werden. Das kann jedoch die Politik allein nicht leisten. So fordere ich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf, auch ihren Beitrag dazu zu leisten. Im Blick auf einen Wandel der Arbeitszeit müssen wir die sozialen Sicherungssysteme so weit entwikkeln, daß sie sich den Veränderungen im Arbeitsleben des einzelnen und vor allem dem Wechsel zwischen Erwerbstätigkeit und Kindererziehung anpassen. Ein weiterer Ausbau der Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung ist notwendig, damit diejenigen, die Kinder erziehen - das sind überwiegend Frauen -, eine eigenständige Alterssicherung aufbauen können. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ohne ein gutes Kinderbetreuungsangebot nicht möglich. Wichtig ist daher eine Betreuung von Klein- und Schulkindern, die auf individuelle Arbeitszeiten abgestimmt ist. Die andere Seite der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die Anerkennung der Arbeit in der Familie. Junge Familien wünschen sich einen Wandel der gesellschaftlichen Einstellung, so daß Familien stärker respektiert und die Leistungen in der Familie höher geachtet werden, als es vielfach leider zu beobachten ist. Notwendigerweise gehört dazu die Anerkennung der Familienarbeit der Väter. Viele Väter würden zum Beispiel gerne Erziehungsurlaub nehmen, treffen aber auf Vorbehalte und Unverständnis und lassen diesen Gedanken dann sehr schnell wieder fallen. So ist es eine wesentliche Aufgabe der Familienpolitik, diese Barrieren in den Köpfen abzubauen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann nicht länger ein frauenspezifisches Thema sein. Eine wirklich partnerschaftliche Aufteilung der Aufgaben und der Verantwortung in Beruf und Familie muß mehr und mehr Lebenswirklichkeit werden. ({2}) Dazu Anstöße zu geben und die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen zu erleichtern - das ist unsere Aufgabe. Verordnen lassen sich weder ein Wandel in der Einstellung noch Partnerschaft. Glücklicherweise wünschen sich junge Paare Kinder, und wir wollen, daß sie diesen Kinderwunsch auch wahrmachen können. Dazu ist aber Voraussetzung, daß junge Familien frei beschließen können, ob und wie sie Familien- und Erwerbstätigkeit partnerschaftlich aufteilen. Wir wollen niemandem etwas vorschreiben, wollen aber die Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit weiter ausbauen. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Zugegeben, in den letzten 50 Jahren hat sich für Frauen viel verändert. Das haben wir unter anderem Waschkörben zu verdanken, Waschkörben, sonst Symbol für unbezahlte Frauenarbeit, diesmal voller Briefe von Bürgerinnen, die 1949 ihre Rechte einklagten und den Parlamentarischen Rat aufforderten, die Gleichberechtigungsklausel im Grundgesetz zu verankern. Der von Elisabeth Selbert für die Verfassung eingebrachte Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ging damals den Männern zu weit. Erst eine Woge weiblichen Emanzipationswillens erzeugte schließlich den Druck und führte zum Erfolg. Das war das Fundament für viele frauenpolitische Initiativen, und dafür danke ich den Frauen der ersten Stunde. ({0}) 1994 waren es wieder die Parlamentarierinnen, die die Verpflichtung des Staates zur Durchsetzung der Gleichberechtigung und zur Beseitigung bestehender Nachteile als Staatsziel erreichten. Trotzdem können wir uns heute nicht auf diesen Erfolgen ausruhen. Auch im Deutschen Bundestag sind Frauen noch immer in der Minderheit. Elisabeth Selbert hatte damals drei Kolleginnen; das entsprach einem Frauenanteil von knapp 6 Prozent. 40 Jahre mußten vergehen, bis die 10-Prozent-Hürde im Bundestag überschritten wurde! In 40 Jahren gab es gerade einmal 4 Prozent mehr Frauen! Noch Mitte der 80er Jahre dominierte das „Gruppenbild mit Dame“. Mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag fand sich nicht nur die Frauenbewegung im Parlament wieder; der Frauenanteil stieg rasant. Und mit zeitlichem Abstand - der Herr Präsident hat es heute morgen ein wenig anders gesagt - folgten die anderen Parteien diesem Beispiel, so daß wir jetzt einen Frauenanteil von 30 Prozent haben. Quote sei Dank! Der Bundestag ist zwar spürbar weiblicher geworden; die tatsächlichen Entscheiderinnen sind Frauen jedoch immer noch nicht. Alle drei Spitzenämter im Staate sind wie 1949 mit Männern besetzt. ({1}) Ich möchte eine französische Feministin zitieren. Sie sagt: Eine Demokratie, in der 50 Prozent der Bevölkerung, nämlich die Männer, die Entscheidungen treffen und die anderen 50 Prozent, die Frauen, diese befolgen müssen, ist die Karikatur einer Demokratie. - Ich finde, da hat sie recht. Dabei sind die Interessen der Frauen für die Politiker kein Maßstab ihres Handelns - ich habe bewußt von Politikern gesprochen -, so zeigt zumindest eine Umfrage, die Ende der 80er Jahre im Bundestag durchgeführt wurde. Kein einziger männlicher Abgeordneter hatte sich nämlich als Vertreter von Fraueninteressen bezeichnet. Politik nur für die Hälfte der Gesellschaft?, frage ich da. Politikerinnen haben in der Regel, auch wenn sie andere Schwerpunkte vertreten haben - das haben wir heute morgen von den Parlamentarierinnen der ersten Stunde sehr deutlich gehört -, immer die unterschiedlichen Auswirkungen eines Gesetzes, bestimmter Maßnahmen auf die Geschlechter im Auge gehabt. Politikerinnen haben auch neue Themen ins Parlament eingebracht: das Selbstbestimmungsrecht der Frau, sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder, genitale Verstümmelung, geschlechtsspezifische Verfolgung und nicht zuletzt das Thema Sexualität. Parlamentarierinnen haben aber immer auch ethische Fragen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt, beispielsweise in den Bereichen Gen- und Reproduktionstechnologie, Biomedizin oder Transplantation. Ich erinnere mich sehr gerne an die Bonner Debatte um das Transplantationsgesetz, wo wir maßgeblich durch unsere Kollegin Monika Knoche vertreten waren. Wie intensiv wurde diese Diskussion geführt! Frauenpolitische Themen einten Parlamentarierinnen häufig über Fraktionsgrenzen hinweg. Bei dem Gesetz zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe wurde dies am deutlichsten; denn es gab in allen Fraktionen Männer, die Sonderregelungen für Ehemänner wollten. Das muß man hier einmal ganz deutlich sagen. Darum danke ich an dieser Stelle auch den Kolleginnen der jetzigen Opposition. Sie haben Mut bewiesen, sie haben dies gegen ihre eigene Regierungsfraktion durchgesetzt. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Frauenpolitik stoßen wir an Grenzen. Noch so gute Gleichberechtigungsgesetze, wie wir sie heute nachmittag besprechen werden, die den Frauen ihren Erwerbsarbeitsplatz sichern, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß endlich auch eine Veränderung der Männer ansteht. Aus der Frauenfrage muß eine Gesellschaftsfrage werden. Deshalb bedarf es auch der Mitwirkung der Parlamentarier. Liebe Kollegen, wir erwarten von Ihnen, daß Sie sich zukünftig auch für die Interessen der anderen Hälfte der Gesellschaft einsetzen, daß Sie es als ein Demokratiedefizit ansehen, wenn Frauen die gleichberechtigte Teilhabe verwehrt wird, oder daß Sie es als Problem der inneren Sicherheit empfinden, wenn der unsicherste Ort für Frauen die eigenen vier Wände sind, und daraus für Ihre politische Arbeit auch Konsequenzen ziehen. Denn ohne eine Geschlechterdemokratie wird es keine wirkliche Demokratie geben. Als Zeichen für eine Demokratisierung der Gesellschaft galten vor 50 Jahren die Waschkörbe voller Briefe. Heute möchte ich Ihnen, meine Herren Kollegen, symbolisch diese Waschkörbe überreichen. Ich halte die von Ulla Schmidt vorhin vorgebrachte Idee, das Amt eines Staatssekretärs für Männerfragen einzurichten, für nicht schlecht. Männer müssen ihre Kompetenzen und die Tatsache, daß sie Verantwortung für Haus und Kinder tragen, beweisen können. Hier besteht ein großer Nachholbedarf. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, dies umzusetzen. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich erteile jetzt der Kollegin Irmgard Schwaetzer das Wort.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich begrüße alle männlichen Kollegen, die sich noch in diesem Raum befinden, ganz besonders herzlich. ({0}) Nach einer Debatte von zwei Stunden fragt man sich natürlich: Was bringt ein solcher Morgen? Ich finde es gut, daß am ersten ordentlichen Parlamentstag in Berlin eine Frauendebatte stattfindet. Aber allein die Tatsache, daß die allermeisten und vor allen Dingen alle wichtigen Männer - mit Ausnahme von Michael Glos natürlich ({1}) das Haus inzwischen verlassen haben, läßt mich fragen, ob diese Debatte richtig angepackt worden ist und was sie bringen soll. Das führt natürlich zu der Frage: Warum sind keine Männer mehr hier? - Liebe Kolleginnen, weil sie ganz offensichtlich erwarten, daß wir mit dieser Debatte nichts bewegen, und weil sie sicher sein können, daß sie uns am Ende wieder in das einbinden, was sie in ihren Männerklübchen sowieso vorgedacht und vorgestrickt haben. Lassen Sie mich den heutigen Rückblick deswegen etwas weiter spannen, als es heute morgen schon getan worden ist. Es geht ja um die Parlamentarierinnen in den letzten 50 Jahren. Ich möchte trotzdem ein paar Jahrzehnte weiter zurückgehen, nämlich in die Jahre der Frauenbewegung. Vor ungefähr 150 Jahren hat Louise Otto-Peters die Hausgehilfinnen agitiert. Das hat keinem gefallen; aber sie hat eine Menge erreicht, nämlich daß sich die Arbeitsbedingungen dieser sehr häufig unter sehr schlechten Verhältnissen Beschäftigten verbessert haben. Die Suffragetten sind für die Durchsetzung des Wahlrechts ins Gefängnis gegangen. Lily Braun, Sozialdemokratin, hat für ihre Überzeugung mit ihrer gesamten Familie gebrochen, und viele andere auch. Helene Lange und Gertrud Bäumer, die Begründerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, waren durchaus geachtet, aber nicht geliebt, durchaus angefeindet, aber sehr mutig und durchsetzungsstark. Liebe Kolleginnen, alle diese Frauen haben sich das Wort nicht zuteilen lassen; sie haben es sich für ihre Überzeugungen genommen. ({2}) Sie sind an die Öffentlichkeit gegangen und haben sich nicht einbinden lassen. Ich möchte hier auch an Marie-Elisabeth Lüders erinnern; Liselotte Funcke hat heute schon von ihr gesprochen. Dieses Parlament hat zweimal eine Alterspräsidentin gehabt, nämlich 1953 und 1957, und zwar mit MarieElisabeth Lüders, einer streitbaren Liberalen, die bereits 1919 der Nationalversammlung angehört und von 1920 bis 1930 im Reichstag gesessen hat. Sie hat übrigens schon damals dafür gefochten, daß das Schuldprinzip im Ehescheidungsrecht durch das Zerrüttungsprinzip abgelöst wird. Das gefiel den liberalen Männern auch damals nicht. Sie hat trotzdem weiter dafür gestritten; allerdings ist dies erst sehr viel später umgesetzt worden. Natürlich ist die heutige Situation damit nicht mehr vergleichbar. Wir sollten uns aber bewußt sein, daß wir bei unserer Arbeit auch auf dem aufbauen können, was diese mutigen Frauen erreicht haben. Mein Plädoyer ist: Vielleicht ist es gefährlich, daß es für uns heute etwas einfacher ist. Wir sagen ja immer wieder, wir dürften uns auf dem Erreichten nicht ausruhen. Ist das nicht schon das Signal an alle Männer, daß nichts passiert? Sicherlich, wir haben viel erreicht. Es gibt eine Menge Ministerinnen. Die Zahl ist ständig gestiegen. Es gibt noch mehr Staatssekretärinnen; es sind immer mehr geworden. Aber jeder weiß: Staatssekretär ist die Position Nummer zwei. Wir haben also vieles erreicht, haben aber nicht die wirklichen Machtpositionen. Das ist das Problem, liebe Kolleginnen, vor dem wir stehen. Läuten wir eine neue Runde in der Diskussion um Emanzipation und Gleichberechtigung ein, indem wir die Machtfrage stellen! Bisher ist das, glaube ich, noch nicht sehr nachdrücklich geschehen. Es soll auch nicht in einer Weise geschehen, daß die Macht anschließend nicht mehr geteilt werden soll. Ich glaube, wir sind klug genug, daß uns klar ist, daß sie auch geteilt werden muß - allerdings in anderer Weise, als Männer heute die Macht mit Frauen teilen. Die Frage ist aber, ob wir das wollen. Ich plädiere nachdrücklich dafür, jetzt die Kurve zu kriegen. ({3}) Was brauchen wir dazu? Zunächst einmal brauchen wir - ich glaube, das ist heute hinreichend deutlich geworden - das Wollen; wir brauchen aber noch etwas anderes, und zwar keine Gesetze, sondern Netzwerke. Wir brauchen für solche Netzwerke das Vertrauen von Frauen untereinander und die gegenseitige Förderung. Ich meine vor allen Dingen ein Vertrauen untereinander über die Fraktionsgrenzen hinweg. Früher lautete das Schlagwort „Männerstolz vor Königsthronen“, mit dem Machtverhältnisse beschrieben worden sind. Heute geht es um „Frauenstolz vor Männerthronen“. Laßt uns, liebe Kolleginnen, deswegen auf einem solchen Weg aufbrechen! Ich denke, Gleichberechtigung erfordert diese Auseinandersetzungen. Niemand wird sie auf dem Silbertablett servieren. Nur, wenn wir uns die Macht organisieren, dann werden die Männer sie auch mit uns teilen. Danke schön. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Vielen Dank. Das Wort hat jetzt die Kollegin Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, daß Vertreterinnen aller Fraktionen dazu beigetragen haben, daß die heutige Veranstaltung in dieser Form stattfindet. Denn aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen: Die Debatten, in denen sich Frauen fraktionsübergreifend verständigt haben, gehören zu den Sternstunden des Parlaments. Ich erinnere an das Ringen um die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, in dessen Ergebnis ein substantieller Schritt nach vorn für die Frauen in diesem Land erreicht werden konnte. Ich wünsche mir einfach, daß diese Verfahrensweise, dieses Vorgehen und dieses Umgehen miteinander noch sehr viel selbstverständlicher werden, als es bislang der Fall war. Allerdings muß man auch sagen: So wertvoll der heutige Austausch unter uns Frauen auch ist, so mangelt es in Parlament und Regierung ausgerechnet am wirklichen Interesse derjenigen, die einen immensen Nachholbedarf in bezug auf die heute angesprochenen Themen haben. Ich verweise - wobei ich meine eigene Fraktion allerdings ausdrücklich ausnehmen möchte - auf die weitgehende Abstinenz unserer männlichen Kollegen in der heutigen Debatte und auch darauf, daß der Bundeskanzler sein Wort vom „Gedöns“ bis heute nicht aus der Welt geschafft hat. Angesichts dessen verwundert es nicht, daß weder von der alten noch von der neuen Regierung wirklich entschiedene Schritte hin zu mehr Demokratie zwischen den Geschlechtern initiiert worden sind. Die Gesetzgebung ist in vielen Punkten hinter den gesellschaftlichen Entwicklungen zurückgeblieben. Während man sich in diesem Hause noch nicht einmal auf so kleine Schritte wie beispielsweise die Abschaffung des Ehegattensplittings verständigen kann, gestalten Frauen heute ihr Leben längst nach eigenen Vorstellungen und versuchen, staatliche Normierungsversuche zu umgehen. Dies findet seine stärkste Widerspiegelung in der wachsenden Vielfalt weiblicher Lebensmuster. Frauen leben heute zunehmend außerhalb tradierter Lebensformen: als Single - mit oder ohne Kinder -, verheiratet oder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, auch in lesbischen Beziehungen. Sie leben zu zweit, zu dritt oder zu mehreren. Sie können das, weil ihre Teilnahme an der Erwerbsarbeit ihnen die notwendige ökonomische Unabhängigkeit und das entsprechende Selbstbewußtsein verschafft. Der Beitritt der DDR hat dieser Entwicklung noch einmal einen deutlichen Impuls verpaßt, und zwar in umgekehrter Richtung, als es die meisten in diesem Hause erwartet haben. Die Ostfrauen haben sich nicht von den scheinbaren Verlockungen eines Lebens nur als Hausfrau und Mutter einfangen lassen, sondern ihre Erfahrungen mit einem ganzheitlichen Leben, in dem beide Lebensbereiche, also Beruf und Kinder, einen Platz haben, in den Westen eingebracht. Der subversiven Widerständigkeit der Ostfrauen haben wir es auch zu verdanken, daß heute niemand mehr ernsthaft bezweifeln kann, daß der Osten bezüglich der Geschlechterverhältnisse der modernere Teil dieser Republik ist. Entscheidend für die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt sind die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung. Solange sie so unzureichend sind wie hierzulande, kann von Chancengleichheit von Frauen und Männern keine Rede sein. Dieses Problem hat zwei Aspekte, von denen der eine etwas vergessen wird. Zum einen müssen endlich die Defizite in der außerhäuslichen Kinderbetreuung beseitigt werden, und zum anderen - das ist heute auch schon mehrmals angeklungen - muß die Männerfrage zum Thema werden. Kritische Männerforscher konstatieren seit langem bei Männern in Sachen Familienarbeit eine verbale Aufgeschlossenheit bei jedoch weitgehender Verhaltensstarre. Es dürfte auch klar sein, daß man der übersteigerten Erwerbsneigung der Männer nicht in erster Linie mit Werbekampagnen für ein neues Männerleitbild beikommt. Hier sind schon handfestere MaßDr. Irmgard Schwaetzer nahmen wie beispielsweise die drastische Einschränkung der Überstunden erforderlich. Meine Damen und Herren, wir sind als Parlament gefordert, nicht zuzulassen, daß die Kluft zwischen dem, was notwendig ist, und der jetzigen Gesetzeslage immer größer wird. Angesichts der Jahrtausendwende bleibt zu hoffen, daß dieses Parlament endlich ernstzunehmende Bemühungen unternimmt, damit diese Bundesrepublik in der Geschlechterfrage den Anschluß an die Moderne findet. Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Gäste! Die Frage, warum wir eine solche Debatte machen, ist heute schon an vielen Stellen beantwortet worden. Es ist spannend zu sehen, wie sich in 50 Jahren Lebensläufe verändern, wie Dinge für uns heute normal sind, die damals schwierig waren. Aber die Debatte geht natürlich auch darum - Frau Schwaetzer hat dies eben gesagt -, was uns dies alles für die Zukunft sagt. Ich finde, daß eine nächste Debatte zu dem Thema Geschlechter in unserer Gesellschaft vielleicht nur von Männern über die Frage geführt werden sollte, was sich in ihrem Leben dadurch geändert hat, daß sich bei den Frauen etwas geändert hat. Wahrscheinlich wäre sie kürzer, weil sich die hohe Belastbarkeit von Frauen als einer der wesentlichen Faktoren auf dem Wege zur Gleichberechtigung vielleicht als wirksameres Mittel als die Veränderungsbereitschaft der Männer herausgestellt hat. ({0}) Weil Frauen dadurch, daß sie in die Politik, in die Erwerbsarbeit, in die Selbständigkeit hineingegangen sind, heute im Grunde das gesamte Spektrum des gesellschaftlichen Lebens abdecken, glaube ich, daß wir die Probleme unserer Gesellschaft, die auch politisch zu lösen sind, dann besonders gut kennenlernen, wenn wir uns mit der Lebenssituation von Frauen beschäftigen. Die deutsche Einheit ist heute schon an vielen Stellen angesprochen worden. Eines meiner ersten Erlebnisse als Frauenministerin war, daß ich, als mir in NordrheinWestfalen vorgehalten wurde, daß nun die Ostfrauen mehr Rente kriegen als die Westfrauen, im Brustton der Überzeugung sagte, das sei normal, denn die hätten auch gearbeitet. Schlagartig gab es ein Getöse im Saale, und mir wurde klar, daß der Begriff „Arbeit“ in unserer Gesellschaft ein außerordentlich restriktiver ist und daß durch die deutsche Einheit plötzlich die Frage, was ein sinnerfülltes gearbeitetes Leben ist und wie diese Art von Arbeit bewertet wird, wieder offen ist. Wir werden uns auch seitens der CDU und CSU weiterhin mit diesem Thema beschäftigen. Es ist wichtig, für die Zukunft zu sagen: Was ist Arbeit in unserer Gesellschaft, und wie kommen wie in dieser Richtung weiter? ({1}) Wenn wir über die Schlüsselrolle und die Lebenssituation von Frauen sprechen, will ich noch auf einen zweiten Aspekt der deutschen Einheit hinweisen, der noch nach zehn Jahren völlig unbearbeitet schlummert und zu großen geistigen oder emotionalen Eruptionen führt. Es ist die Frage: Wer erzieht wann wie seine Kinder gut? Das Thema Erziehung und diktatorische Strukturen, aber auch das Thema Erziehung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Frage, was gute und schlechte Eltern sind, bewegen die Menschen in einem hohen Maße und führen zu großen Emotionen. Auch hier sollten wir den Mut haben, diese politisch anzusprechen, ohne die Leute zu bevormunden. ({2}) Ich will einen dritten, davon stark abweichenden Punkt hier noch kurz benennen: Wenn wir uns als Frauen mit der gesellschaftlichen Lebenssituation auseinandersetzen wollen, dann müssen wir in Zukunft unseren Blick auch in Richtung dessen wenden, was wir mit dem Schlagwort Globalisierung beschreiben. Wir in Deutschland plagen uns mit der Frage herum: Wie schaffen wir es, Eltern zu ermutigen, Kinder zu haben, und Lebensbedingungen mit kinderfreundlichen Gesellschaftsstrukturen herzustellen? Zur gleichen Zeit beschäftigen wir uns jetzt mit der Geburt des sechsmilliardsten Erdenbürgers. Die Schlüsselfragen lauten: Welche Lebenssituationen finden die Frauen in den Entwicklungsländern vor, und wie können wir mit unseren Erfahrungen des Wohlstandes die richtigen Strukturen schaffen? Da Frauen in der Politik genauso streitlustig sind wie Männer und die Parteipolitik hier nicht endet, muß ich zumindest mahnend an diesem ansonsten sehr harmonisch verlaufenden Tag sagen: Ob die Streichungen im Entwicklungshilfeetat gerade im Bereich der Bevölkerungsentwicklung, der Familien- und Geburtenplanung und ähnlichem besonders gute und zukunftsträchtige politische Maßnahmen sind, wage ich zu bezweifeln, aber, um es klar zu sagen: Ich halte das für falsch. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wenn wir im Sinne von Frau Schwaetzer darangehen, Machtstrukturen neu zu benennen, wird es darauf ankommen, daß Frauen Themen frühzeitig ansprechen. Ich halte das Thema Globalisierung im Zusammenhang mit der Frage, wie wir zu humanen und im übrigen auch ökologisch verträglichen Lebensbedingungen kommen, für eine spannende Aufgabe für Frauen über alle Parteigrenzen hinweg. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier.

Inge Wettig-Danielmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002491, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren im Saal und auf den Rängen! Vor zehn Jahren hätten wir Mühe gehabt, diese Debatte hier überhaupt zu führen; denn wir hätten, wenn ich das richtig überblicke, gar nicht so viele Frauen gehabt. Hier ist deutlich geworden, daß vor 50 Jahren und auch noch in den Folgejahren Frauen eher in der Größenordnung von Spurenelementen in den deutschen Parlamenten vorgekommen sind. Auch wenn der Übervater der SPD und einer der großen Redner in diesem Hause, August Bebel, proklamiert hat, es gebe keine Befreiung der Menschen ohne die Unabhängigkeit und Gleichheit der Geschlechter, so hat das auch bei der SPD nicht viel genutzt. Sie ist 1949 mit einem Frauenanteil von 9,5 Prozent in den Bundestag eingezogen; das war nicht mehr als 1919. Ich erinnere mich an bestimmte Regelungen, die wir geschaffen haben. Meine parlamentarische Arbeit startete damit, daß mich die im Bundestag hochgeschätzte Elinor Hubert 1968 nach 19jähriger Mitgliedschaft im Bundestag in ihrem Wahlkreis ins Gespräch brachte. Das stieß auf eisige Ablehnung. In diesem Wahlkreis war ich nicht fremd: Ich hatte dort 20 Jahre gelebt und gearbeitet; meine Familie wohnte dort. Es gab auch keinen mehrheitsfähigen Konkurrenten in diesem Wahlkreis. Trotzdem hieß es: Zu jung, als Frau in einem ländlichen Wahlkreis nicht durchsetzbar. Es wurde ein Mann von außen geholt. Als ich drei Jahre später überraschend in den Niedersächsischen Landtag nachrückte, war die einzige Frau unter 74 Männern hochbeglückt. Zu sagen hatten wir zu zweit wenig. Frauen waren Dekoration und hatten sich so zu verhalten. Im übrigen konnten sie Sacharbeit machen. Meine Partei sorgte dafür, daß ich zwei Jahre später einen Wahlkreis bekam - zwar ungewinnbar, aber immerhin mit einem Anspruch auf eine Listenabsicherung. Später sammelte ich zusätzliche Erfahrungen als Vorsitzende der SPD-Frauen. Vor jeder Landtags- und Bundestagswahl wurden Briefe an die Vorstände geschickt und Gespräche mit ihnen geführt. Die Antwort war immer die gleiche: Wir haben keine qualifizierten Frauen. Die Genossin ist gut, aber nicht vermittelbar. Es gibt schon einen Anspruch des Fraktionsvorsitzenden. Viele von Ihnen wissen: Ich war eine engagierte Gegnerin der Quote in der SPD. Das war ziemlich idealistisch und blauäugig; denn ich glaubte wie viele Mitkämpferinnen, in der SPD könnten wir im Vertrauen auf unsere hehren Programmsätze und auf August Bebel die Gleichstellung der Frau ohne Quote und ohne sonstige Regelungen durchsetzen. Den allgemeinen Grundsatz, daß Frauen in allen Gremien entsprechend ihrem Mitgliederanteil vertreten sein müssen, gab es seit 1908. Doch obwohl der Mitgliederanteil der Frauen 1949 bei 19 Prozent lag, betrug der Frauenanteil bei der SPD im Bundestag nur 9,5 Prozent. 1972 lag er schließlich bei 5,4 Prozent. Dieser Anteil wuchs bis Anfang der 80er Jahre mühselig auf 10 Prozent an. Deswegen haben wir 1985 schließlich die Hälfte der Posten und Mandate gefordert. Satzungsgemäß sollte abgesichert werden, daß in jedem Gremium der Anteil der Frauen und der Männer bei mindestens 40 Prozent liege. Das wurde 1988 nach mühseliger und hartnäckiger Überzeugungsarbeit sozusagen durch Mund-zu-Mund-Beatmung - auch durchgesetzt. Ein Gespenst geht um. Unbedarft und ohne Weitblick kommt es auf Stöckelschuhen daher, lehrt selbst den mannhaften Bürger das Fürchten: die Quotenfrau. So kommentierte die „Stuttgarter Zeitung“. Aber das Gespenst zeigte umgehend Wirkung: Lag der Frauenanteil zwischen 1919 und 1990 in den deutschen Parlamenten nie höher als bei 10 Prozent, so stieg er schon 1990 im Deutschen Bundestag auf 20 Prozent, und zwar am meisten in der SPD, aber auch in den anderen Fraktionen. 1994 stieg der Frauenanteil auf gut 25 Prozent, und inzwischen - wie heute schon erwähnt wurde - liegt er bei 30 Prozent. Der Beispielwirkung einer großen Volkspartei konnten sich auch die anderen Parteien nicht entziehen. Die eine Alibifrau war in der Politik passé. Danach konnten wir - jedenfalls ich habe es so empfunden - auch über Parteigrenzen hinweg mit mehr Frauen sehr viel besser zusammenarbeiten, weil die Frauen auch Unterstützung gegenüber ihren Fraktionsführungen hatten; das ist doch klar. Wir hätten sicherlich den Kompromiß zum § 218, den ich über Jahre zu moderieren versucht habe, gar nicht zustande gebracht, wenn nicht so viele Frauen in diesem Parlament vertreten gewesen wären. ({0}) Dies ist eine ganz wichtige Voraussetzung für die Durchsetzung von Fraueninteressen. Natürlich wohnt jedem Erfolg auch die Gefahr des Rückschlags inne, das um so mehr, als der normal sozialisierte Mann als Macho keineswegs ausgestorben ist. Bei allen Bemühungen um Gleichheit: In unserer Gesellschaft vereinbaren vor allem die Männer Beruf und Familie. Verheiratete Frauen werden durch eine eigene Familie in ihrer Karriere nachhaltig gestört, während verheiratete Männer um so besser vorankommen und aufsteigen. Wenn nicht deutlich wird, daß Frauen eine aktive Gleichstellungspolitik fordern und unterstützen, dann wird es nichts mit der Gleichstellung unserer Töchter und Enkelinnen. Wir selber müssen jeden Tag für die Gleichstellung eintreten. Ich bin wie Frau Schwaetzer und andere Parlamentarierinnen der Meinung, daß es dann, wenn wir Frauen in der Politik uns nicht nachhaltig gegenseitig unterstützen, nichts mit der Teilhabe der Frauen an der Macht wird. Alle Instrumente wie Quoten, Gleichstellungsgesetze und Förderpläne sind hilfreich und notwendig. Aber sie beheben nicht automatisch die real existierende Frauendiskriminierung. Frauen wollen keine Männer sein. Unsere Erfahrungen haben uns auch gelehrt, daß bescheidenes Abwarten nicht nur nichts bringt, sondern uns zurückfallen läßt und deshalb falsch ist. Wer die menschliche Gesellschaft will, der muß die männliche überwinden, und das heißt: Frauen, wir müssen an allererster Stelle selber anfassen! Wenn Männer uns helfen, ist es um so besser. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje Hermenau.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich weiß, wir alle sitzen schon etwas länger zusammen, als wir ursprünglich geplant hatten. Ich danke Ihnen, daß Sie alle noch da sind. Ich finde das toll. Wenn wir schon einmal dabei sind, uns freundlich zu unterhalten, dann möchte ich eine Anekdote erzäh- len. Vor zwei Tagen habe ich meinen Mitarbeiter ge- beten, sich bei der Pressestelle des Sächsischen Land- tages zu erkundigen, wie hoch in Sachsen in den zwei Legislaturperioden seit 1990 der Frauenanteil in den Fraktionen gewesen ist, welche Frauen Fraktionsvor- sitzende waren, welche Frauen stellvertretende Parla- mentspräsidentinnen waren usw. Die Antwort der Pres- sestelle des Sächsischen Landtages war: Eine solche Statistik führen wir nicht. Der wissenschaftliche Dienst dieses Parlamentes, den ich danach bemühte, rechnet noch handschriftlich aus, wieviel es denn gewesen sein könnten. Wenn ich darüber nachdenke, stelle ich fest, wie kennzeichnend dies ist. Wir könnten zwei Thesen auf- werfen: Gibt es a) die Möglichkeit, daß wir Ostdeut- schen die Gleichberechtigung für so selbstverständlich halten, daß wir nicht einmal eine Statistik darüber füh- ren, wieviel Frauen im Sächsischen Landtag sind und was sie da machen, oder - diese These möchte ich hier anbieten; wir sollten zusammen über sie nachdenken - liegt es b) vielleicht auch daran, daß wir daran gewöhnt waren, in der Machtlosigkeit der DDR ganz selbstverständlich gleichberechtigt zu sein - eine Selbstverständlichkeit, die es jetzt nicht mehr gibt? Darüber würde ich mich heute gerne unterhalten. Es handelt sich um eine Beobachtung, die auch meine politischen Schritte der letzten zehn Jahre prägt. Gleichberechtigung ist uns Frauen aus dem Ostteil Deutschlands eher zugeteilt worden - übrigens meistens von Männern. Wir haben sie angenommen, denn einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul. Aber wir haben nie gefragt, welchen Charakter und welche Qualität diese Gleichberechtigung hat. Eigentlich haben wir sie in der Substanz nicht wirklich hinterfragt. ({0}) Wenn jetzt ein größerer Teil der Ostdeutschen sagt, man sei unzufrieden damit, wie die Gleichberechtigung umgesetzt werde und es werde noch nicht genug für die Gleichberechtigung getan, dann stelle ich fest, daß mehr Ostdeutsche als Westdeutsche unzufrieden sind. Ich grüble, ob es daran liegen kann, daß es vielleicht eine gewisse verzerrte DDR-Optik gibt, so daß man das, was damals gewesen ist, für eine tolle Gleichberechtigung gehalten hat. Das wäre eine mögliche Erklärung. Ich versteige mich nicht dazu zu sagen: Es ist so. Oder hat diese Ansicht vielleicht etwas damit zu tun, daß es einfach nicht ganz klar ist, was wir mit Gleichberechtigung eigentlich meinen und was wir eigentlich wollen? Ich komme zu einer psychologischen Ebene, die mir in diesem Parlament aufgefallen ist. Wir haben alle miteinander zu tun. Hier mischen sich ost- und westdeutsche Betrachtungsweisen mehr und mehr. Wir sind viel näher aneinandergerückt. Dieses Parlament ist ein Ort in Deutschland, an dem sich Ost- und Westdeutsche nähergekommen sind. Das ist eindeutig. Ich verstehe inzwischen viel besser, was nonverbal bei den Westdeutschen abläuft, und die Westdeutschen verstehen auch mich immer besser. Die meisten ost- und westdeutschen Frauen teilen diesen engen Grad der Verzahnung in der Arbeit nicht. Sie sind nicht auf dem Stand der Verständigung, den wir hier erreicht haben. Ich halte es für wichtig, daß wir uns über diese Sache unterhalten. Ich nehme wahr, daß viele ostdeutsche Frauen sehr selbstverständlich nach der Macht greifen, wenn sie eine Gelegenheit dazu sehen. Das geschieht aber nicht immer unbedingt mit der Vorstellung, es müsse jetzt ganz dramatisch erkämpft werden. Gleichzeitig bekomme ich von westdeutsch geprägten Frauen das Feedback: Mein Gott, wie kann man denn nur so naiv sein; man muß natürlich immer kämpfen, weil einem nichts nachgeschmissen wird, wenn es um die Macht geht. - Auch das ist richtig. Die zehn Jahre westdeutsche Praxis haben mich gelehrt, daß ich an dieser Stelle noch eine Menge dazulernen muß. Ich frage mich, ob es möglich ist, die westdeutsch geprägten Frauen aufzufordern, ein bißchen von der Selbstverständlichkeit der ostdeutschen Frauen anzunehmen. Es ist schade, daß wir uns selber immer wieder sagen müssen, wie selbstverständlich das, was wir machen, eigentlich ist. Daß wir so viel darüber reden müssen, ist ein Zeichen dafür, daß Gleichberechtigung nicht selbstverständlich ist. Das haben wir heute in vielen Beiträgen gehört. Vielleicht können wir diesen Gedanken vermitteln, ohne dafür als naiv diffamiert zu werden. Ich wünsche mir, daß mehr ostdeutsche Frauen lernen, welche Mittel man einsetzen muß, wie und wofür man kämpfen muß, wenn man möchte, daß Frauen in Deutschland gleichberechtigt sind. Dafür würde ich gerne werben, und dafür würde ich mich gerne stark machen. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Hannelore Rönsch.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen auf den Tribünen! Wir haben selten die Gelegenheit und selten den breiten Raum, um so konzentriert über Frauenfragen zu diskutieren. Es ist für mich eine besondere Freude, heute über 50 Jahre Parlamentarierinnen in der Politik diskutieren zu können. Wir haben Sie dazu eingeladen. Das eine oder andere mag Sie an Ihre eigene Biographie erinnert haben, die eine oder andere Wegbereiterin für uns, die wir jetzt in den Parlamenten sitzen, mag dabeisein; aber es mag auch vielen von Ihnen so ergangen sein, daß sie sagen: Wir möchten jetzt einmal unsere eigenen Erfahrungen in die Diskussion einbringen. Ich hätte mir schon gewünscht aber das ist bei der Struktur von Plenardebatten nun einmal nicht möglich -, daß breiterer Raum für die Diskussion zur Verfügung gestanden hätte, denn dann hätten wir auch von Ihnen etwas lernen können. In unserer Feierstunde heute haben vier Parlamentarierinnen gesprochen, denen ich, als ich 1983 als Neuling in den Bundestag kam, noch begegnet bin. Sie waren diejenigen, die für uns Frauen Wegbereiter und ein Stück Vorbild waren. Zu dieser Zeit wurde man als Frau in der Politik - auch im Wahlkreis - noch gefragt: „Sag doch einmal, wie du das mit Ehe und Familie machst.“ Meinen Sie, diese Frage wäre je an einen männlichen Kollegen gestellt worden? Wenn man darauf antwortete: „Nicht anders als auch meine männlichen Kollegen“, dann galt diese Antwort zumindest in meiner Partei als relativ salopp. Wir haben uns in unserer Partei, wie ich denke, durchgesetzt und die Kolleginnen in den anderen Parteien mit Sicherheit auch. Gerade in bezug auf die Gleichstellung haben wir sehr viel zusammen erreichen können; über das eine oder andere haben wir sehr stark gestritten, aber einer Feststellung möchte ich doch ein wenig widersprechen: Wenn von der großen Frauensolidarität und von Netzwerken gesprochen wird, verhalten wir Frauen uns eigentlich gar nicht anders als unsere männlichen Kollegen, ({0}) obwohl wir teilweise im Parlament noch ein Diasporadasein führen. Hier würde ich mir schon wünschen, daß wir, wenn es um Interessen und Anliegen von Frauen geht, parteienübergreifend wesentlich stärker zusammenarbeiten. Sie, meine Damen von der SPD-Fraktion, hätten, wenn Sie sich stark dafür eingesetzt hätten, mit Sicherheit eine Bundestagspräsidentin vorschlagen können. Wir haben Ihnen eine Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten mit hoher Reputation präsentiert. Es war Ihnen aber nicht möglich, hier Gemeinsamkeit zu zeigen. ({1}) Ich will noch ein Weiteres an uns hier unten im Plenum und auch an die Frauen auf den Rängen gerichtet sagen: Wenn wir Frauen mit Hilfe von Kolleginnen und sehr oft auch von Kollegen bestimmte Positionen in der Politik, in gesellschaftlichen Bereichen oder in den Wohlfahrtsverbänden - wo auch immer in unserer Gesellschaft - erreicht haben, sollten wir sicherstellen, daß auch Raum für andere Frauen ist. Viele von uns wissen sicher, wovon ich rede. Wir müssen sicherstellen, daß den nachfolgenden Generationen, den Jüngeren, auch Wege geebnet werden, und dürfen nicht permanent den Minderheitenschutz für uns in Anspruch nehmen und ein Stück weit als Schutzklausel dafür sehen, daß andere Frauen neben uns keine Chance haben. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Wir sollten in unserer Gesellschaft als Frauen unsere Positionen erkämpfen und verteidigen, aber nie die besseren Männer werden wollen. Wir brauchen die Männer auf dem Weg in die Partnerschaft. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Hanna Wolf.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frauen da oben auf den Tribünen! Es ist schön, daß Sie noch da sind und nicht abgeschlafft wie einige hier unten im Plenum. Liebe Frau Rönsch, mir fiele jetzt natürlich auch etwas ein, was ich zitieren könnte, wo Ihre Stimme nicht bei den Stimmen war, aber ich lasse das heute. Weil wir heute unsere Parlamentsarbeit erstmalig im Gebäude des Reichstages aufnehmen, möchte ich zunächst nicht nur an die 50 Jahre erinnern, in denen Frauen parlamentarisch an der demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik mitgewirkt haben. Auch in der Weimarer Republik von 1919 bis 1933 gab es gestandene Parlamentarierinnen. Heute morgen wurden schon einige von ihnen genannt. Weil ich aus München komme, möchte ich von dieser Stelle aus der Münchner Lehrerin und SPDReichstagsabgeordneten Toni Pfülf gedenken. Sie war Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung von 1919 und danach bis 1933 Reichstagsabgeordnete. Sie hatte ihr Abgeordnetenzimmer im Obergeschoß dieses Hauses, im Plenum saß sie auf Platz 28. Toni Pfülf nahm sich am 8. Juni 1933 mit 56 Jahren das Leben. Sie ertrug die Machtergreifung der Nazis nicht, die sie schon aus der sogenannten „Hauptstadt der Bewegung“ kannte. Sie konnte auch den Kompromiß nicht mittragen, den die durch die Verfolgungen dezimierte SPD-Fraktion gegenüber Hitler einschlagen wollte. Toni Pfülf hat sich nicht als sogenannte Frauenrechtlerin verstanden. Ihre Sicht von Frauenpolitik war - jetzt zitiere ich aus ihrem Redemanuskript für eine Parteiversammlung von 1922 -, daß es überhaupt keine Frauenfrage gibt, daß alles, was heute als Frauenfrage deklariert wird, etwas ganz Selbstverständliches ist. Aber - das war an die anwesenden Männer gerichtet wenn Sie das nicht sehen wollen, dann müssen allerdings wir Frauen den Teil vertreten, den Sie nicht sehen oder sehen wollen. Wie recht hatte sie, und wie recht hat sie noch immer. Toni Pfülf stritt für die Reform des § 218, die Reform des Ehe- und Familienrechts, die Reform des Scheidungsrechts, die Gleichberechtigung nicht ehelich geborener Kinder, die Gleichberechtigung von Beamtinnen gegenüber Beamten. Sie stritt auch vehement für die Abschaffung der Todesstrafe. Was ist aus diesen Themen geworden? 14 Jahre Weimarer Republik haben keine Lösung gebracht. Die folgende Naziherrschaft hatte bekanntlich andere Ziele. Erst die letzten 50 Jahre brachten uns weiter, wenn auch meist nur nach zähem, langwierigem Ringen. Zumindest die Todesstrafe wurde gleich 1949 durch das Grundgesetz abgeschafft. Beamtinnen sind seit 1953 zur Berufsausübung nicht mehr zum Zölibat verpflichtet. Das Ehe- und Familienrecht wurde in den 50er Jahren reformiert. Seit 1958 gibt eine Frau durch Heirat nicht mehr ihre Geschäftsfähigkeit an den Ehemann ab. Die Reform des Scheidungsrechts wurde von der sozialliberalen Koalition in den 70er Jahren durchgesetzt. Seitdem gilt nicht mehr das Schuld-, sondern das Zerrüttungsprinzip, wie es schon Toni Pfülf 1928 in einer Reichstagsrede gefordert hatte. Die Reform des § 218 - das wurde heute immer als eine der größten Debatten erwähnt, die auch ich selber in diesem Hause mitmachen durfte - war schon in den 70er Jahren als Fristenregelung angedacht und durchgesetzt, wurde aber dann doch vom Bundesverfassungsgericht gestoppt. Erst die deutsche Einheit gab uns in den 90er Jahren die Gelegenheit, eine neue Lösung zu finden. Ein überfraktioneller Antrag führte nach vielen Widerständen erst in der vorigen Wahlperiode zum Erfolg. Erst seit August 1995 liegt die Letztentscheidung über eine Abtreibung bei der schwangeren Frau. Wir dachten, das Thema wäre damit abgeschlossen. Aber nein, die katholischen Bischöfe wollen diese Lösung gerade wieder in Frage stellen. Das neue Kindschaftsrecht stellt nichteheliche Kinder endlich mit ehelichen Kindern gleich. Gerade die Reformen in den 90er Jahren waren nur möglich, weil immer mehr Frauen ins Parlament kamen und bereit waren, über die Fraktionsgrenzen hinweg Koalitionen zu schmieden. Diese Themen standen einfach zu lange an. Auch das war für mich eine große parlamentarische Erfahrung, wie spannend es ist, über die Fraktionsgrenzen hinaus so etwas durchzusetzen. Toni Pfülf sprach von der Durchsetzung der Menschenwürde, wenn es um ihre - um unsere - Themen ging. Heute sprechen wir von Gesellschaftspolitik. Gesellschaftspolitik geht alle an, Frauen wie Männer. Toni Pfülf argumentierte bei diesen Themen vor allem auch damit, daß der Gesetzgeber die gesellschaftliche Realität nachzeichnen müsse. Das Gesetz dürfe der Wirklichkeit nicht hinterherhinken. Wir wissen jedoch, daß Gesetze auch bewußtseinsbildend wirken müssen. Gewalt gegen Frauen und Kinder waren die tabuisierten Bereiche, die zuerst die Frauenbewegung auf die Tagesordnung bringen mußte. Wir mußten durch Gesetze dem allgemeinen Unrechtsbewußtsein nachhelfen. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Vergewaltigung in der Ehe, sexueller Mißbrauch von Kindern, Kinderpornographie sind Probleme, für die wir auch im Parlament erst ein Bewußtsein schaffen mußten. Welch ein Armutszeugnis für ein Parlament, welch ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft! Welch ein Armutszeugnis auch, daß diese Gesellschaft ein Programm „Frau und Beruf“ nötig hat. Für eine demokratische, emanzipierte, daß heißt für mich erwachsene Gesellschaft sollten die Ziele dieses Programms Selbstverständlichkeit sein. Dann bräuchten wir nur noch ein paar Gesetze, die Verstöße gegen den allgemeinen Konsens der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ahnden. Das wäre meine Vision. Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes hätte dann auch nicht des Zusatzes von 1994 bedurft: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Nach meinen parlamentarischen Erfahrungen aus diesen 90er Jahren weiß ich, daß wir auch an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend nicht auf die bewußtseinsbildende Funktion von Gesetzen verzichten können, wenn es um Frauen geht. Deshalb laßt uns weiter kämpfen, im Parlament und draußen! ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Claudia Nolte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frauen auf der Tribüne! Daß wir diese Sonderdebatte heute im Deutschen Bundestag führen, hat sicher viele Gründe, doch es ist ein Zeichen dafür, daß wir die Gleichberechtigung nicht erreicht haben. Denn wir gedenken ja nicht nur der Frauen der ersten Stunde im Parlament - da hatte man aus geschichtlichen Gründen vielleicht noch Verständnis dafür, daß sie nicht so oft vorkamen -, sondern wir kommen nicht umhin, festzustellen, daß wir auch heute von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Männern und Frauen in unserem Parlament weit entfernt sind. Ich möchte besonders darauf hinweisen, daß dies keine spezifische Ost-West-Thematik ist. Denn egal ob wir im Osten oder im Westen gewählt worden sind und egal ob wir in Frankfurt/Main oder Frankfurt/Oder leben - es ist für uns ein Ärgernis, daß wir eine derart begrenzte Zahl stellen. Deswegen möchte ich noch einmal daran erinnern, daß „50 Jahre Deutscher Bundestag“ nur für den einen Teil Deutschlands gilt. Ich bin in dem Teil Deutschlands groß geworden, in dem es 40 Jahre keinen freien Parlamentarismus gab, sondern eine führende Partei herrschte, die sich selbst die „Diktatur des Proletariats“ nannte. Klar, in der Schule habe ich gehört, eines ihrer Ziele sei die Gleichberechtigung der Frau. Demgegenüber aber waren die Kader, die dann die poliHanna Wolf ({0}) tische Entscheidung gefällt haben, fast ausschließlich Männer. Vielleicht versuchte dies die damalige, für Frauenfragen zuständige ZK-Sekretärin Ingeborg Lange zu rechtfertigen, indem sie sagte: „Die Rolle der Frau im Produktionsprozeß bestimmt ihre Stellung in der sozialistischen Gesellschaft.“ Und da man es ja schaffte, die Frauen in das Dreischichtsystem einer Revolverdreherei fest einzubinden, war die politische Beteiligung nicht mehr ganz so wichtig. Mit der friedlichen Revolution gab es für die Frauen der ehemaligen DDR erstmals die Chance, ihr Parlament frei zu wählen und selber frei gewählt zu werden. Für mich beispielsweise wurde dies sehr reell. In der Rückschau bin ich sehr dankbar für diese Möglichkeit der politischen Gestaltung unseres Landes. Die Tatsache, daß seit dem 18. März 1990 alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in Freiheit und Demokratie leben können, daß es freie Wahlen gibt, freie Meinungsäußerung, halte ich für den größten Erfolg in 50 Jahren Deutscher Bundestag. ({1}) Die Wiedervereinigung hat darüber hinaus aber auch ganz konkrete Impulse für mehr Gleichberechtigung von Frauen und Männern gebracht. Ich messe dabei dem Einigungsvertrag so etwas wie eine Katalysatorwirkung zu; denn er hat ausdrücklich den Auftrag an den gemeinsamen zukünftigen Gesetzgeber enthalten, die Gleichberechtigung voranzubringen, vor allen Dingen im Bereich der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist im Verlauf der Debatte schon vieles genannt worden, was seitdem erreicht worden ist, so daß man es hier nur noch kurz benennen muß: Der Art. 3 des Grundgesetzes wurde erweitert. Wir haben das Zweite Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet. Das Arbeitsförderungsgesetz ist um die Frauenförderung erweitert worden. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz wurde durchgesetzt, der Aufbau einer pluralen Struktur von Frauenverbänden in den neuen Bundesländern wurde vorangetrieben und vieles andere mehr. Daß die Beteiligung von Frauen an der politischen Macht noch weiterreichende Implikationen hat, ist mir in besonderer Weise bewußt geworden, als ich als damalige Bundesfrauenministerin die Bundesrepublik Deutschland auf der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking vertreten durfte. Für mich war es in der Tat beeindruckend, zu erleben, wie Frauen aus allen Teilen der Welt mit ungeheurem Engagement, mit vielen Ideen und viel Kraft ihre Rechte einforderten. Es wurde deutlich, daß unsere Welt anders aussehen könnte, wenn man den Frauen ihre Rechte auch zubilligen würde: Zugang zur Bildung und zum Kapital und das Selbstbestimmungsrecht. Ohne Frauen ist eine nachhaltige Entwicklung unseres Globusses nicht denkbar, kann man die globalen Probleme nicht lösen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir Frauen politische Macht einfordern, hat wenig damit zu tun, daß wir meinen, eventuell die besseren Politiker oder Menschen zu sein. Es hat vielmehr damit zu tun, daß Frauen nicht zuletzt auf Grund ihrer Verschiedenheit zum männlichen Geschlecht unterschiedliche Erfahrungshintergründe, Sicht- und Herangehensweisen haben als Männer, die aber genauso in die politischen Entscheidungen einfließen müssen, damit Politik der gesamten Bevölkerung gerecht wird. Außerdem gibt es keinen vernünftigen Grund, warum Frauen nicht an der Macht beteiligt sein sollten. ({2}) Wir brauchen die Frauen in allen Parlamentsausschüssen und nicht nur in einigen wenigen, von denen vielleicht manch ein Kollege heimlich denkt, daß sie eigentlich überflüssig sind. Deshalb möchte ich den Themen, die Angela Merkel genannt hat, noch eines hinzufügen, das aus meiner Sicht sehr entscheidend ist, nämlich die Frage: Wie können wir dazu beitragen, ethnische Konflikte friedlich zu lösen und Frieden auf Dauer zu sichern? Manchmal ist die Aussöhnung zwischen Ethnien durch die Frauen erfolgt, durch informelle Treffen, durch Gespräche.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie ein bißchen an die Zeit. Sie müssen sich jetzt kurzfassen.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich denke, gerade wegen unserer Kompetenzen im sozialen Bereich, wegen unserer Kommunikationsfähigkeit sind wir Frauen gute Vermittlerinnen und sollten mehr daran beteiligt werden. Ich wünsche mir für die nächsten 50 Jahre, daß es überhaupt nichts Besonderes mehr ist, nicht Herr, sondern Frau Abgeordnete zu sein. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Hildegard Wester.

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Es ist heute schon so unglaublich viel über die Fortschritte bei den Bemühungen um die Gleichberechtigung gesagt worden, daß es sicherlich schwer ist, als eine der letzten Rednerinnen noch neue Aspekte zu bringen. Es ist viel über Erfolge geredet worden, es ist aber auch davon geredet worden das möchte ich dick unterstreichen -, daß wir noch lange nicht am Ende des Weges sind und daß es noch vieler gemeinsamer Aktivitäten und Initiativen bedarf, um dort eines Tages hinzugelangen. Trotzdem gibt es Erfolge - das ist unzweifelhaft -, sie sind bereits genannt worden. Es gab sie in vielen Bereichen, sowohl in der Gesetzgebung als auch im Rollenverhältnis der Geschlechter zueinander. Sie spiegelten sich auch in Äußerlichkeiten wider. In diesem ZusamClaudia Nolte menhang möchte ich einmal an eine Situation erinnern, die wir uns heute gar nicht mehr so gut vorstellen können: Noch in den 70er Jahren hieß es im Parlament, als eine Frau es wagte, in Hosen zu erscheinen, daß sie ein „unanständiges und würdeloses Gebaren“ an den Tag lege. Wenn wir heute sehen, wie viele von uns in Hosen erschienen sind, dann ist da ein sehr schöner Fortschritt zu erkennen, auch wenn es sich hier lediglich um eine Äußerlichkeit handelt, die wir schmunzelnd zur Kenntnis nehmen sollten. Auch in der Gesetzgebung wurde einiges getan. Aber, wie gesagt, wir haben einen weiten Weg vor uns. Von all den Problemen, die wir noch zu lösen haben, möchte ich eines hervorheben - dieser Punkt wurde heute vielfach angesprochen; aber gerade dies zeigt, daß es ein zentraler Punkt ist -: Für mich ist ein entscheidender Aspekt für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft, wie wir mit der gerechten Aufteilung von Arbeit und insbesondere mit der Aufteilung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit zwischen den Geschlechtern umgehen. Seit 1977 wird gesetzlich auf eine Rollenzuweisung in der Ehe verzichtet; auch das hörten wir schon. Das Modell der Hausfrauenehe mit einem Haupt- und Alleinernährer wurde zugunsten einer partnerschaftlichen Aufgaben- und Rollenverteilung verlassen. Gut 20 Jahre später sieht die Realität für den Großteil der Familien allerdings nicht wesentlich anders als vor dieser Rechtsänderung aus. Zwar haben Frauen hinsichtlich ihrer schulischen Bildung und Berufsabschlüsse gewaltig aufgeholt, und auch ihr Anteil an den Berufstätigen ist enorm gestiegen. Aber wenn man genau hinsieht, dann stellt man fest, daß diese Indikatoren für sich alleine betrachtet unzureichende Aussagen über die Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben machen. Angesichts der Tatsache, daß mittlerweile über 50 Prozent der Abiturienten und ebenfalls mehr als 50 Prozent der Studienanfänger Frauen sind, fragt man sich schon, wo diese Frauen bleiben, wenn man sich anschaut, auf welche Berufe nachher die Geschlechter verteilt sind. Von ebenso großer Bedeutung ist die genaue Betrachtung der Zahlen im Hinblick auf Berufstätigkeit. Festzustellen ist, daß die höhere Zahl von berufstätigen Frauen nicht etwa durch eine Ausweitung des Beschäftigungsumfangs an sich erfolgte, sondern vielmehr dadurch, daß sich die Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen enorm erhöht hat. Fast siebenmal so viele Frauen wie Männer arbeiten zwischen 15 und 20 Stunden in der Woche. Vollzeitbeschäftigt sind rund doppelt so viele Männer wie Frauen. Demgegenüber ist die Bereitschaft von Männern, den Umfang ihrer Arbeit zu reduzieren, äußerst gering; denn gerade dann, wenn die Kinder klein sind, leisten sie zusätzliche Arbeit, um ihrer traditionellen Ernährerrolle gerecht zu werden. Sie entziehen sich somit weitgehend der Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Andersherum könnte man sagen, sie hätten sie gelöst, denn sie sind die einzigen, die Familie und Beruf tatsächlich miteinander verbinden können. Wenn Frau trotz Kind berufstätig sein will, ist sie mit dieser Problematik in aller Regel auf sich allein gestellt. So richten sich auch fast alle Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf an Frauen. Schon die Sprache ist in diesem Bereich sehr verräterisch. Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit ist also ein Frauenproblem. Dieser Entwicklung leisten verschiedene alte Zöpfe in den Gesetzen Vorschub, die wir alle gemeinsam noch nicht haben abschaffen können; die Spanne reicht vom Steuerrecht bis zum Sozialrecht. Als besonders kontraproduktiv nenne ich in diesem Zusammenhang das Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Es wurde heute zwar vielfach lobend erwähnt, und es gibt sich einen modernen Klang, indem es beide Elternteile anspricht. In Wirklichkeit aber trägt es dazu bei, das Rollenverhalten zwischen den Geschlechtern zu verfestigen. ({0}) Hat Frau nämlich einmal eingewilligt, Erziehungsurlaub zu nehmen - meistens geschieht das, weil der Mann der Besserverdienende ist -, hat Mann den Rücken frei, um beruflich voranzukommen, während die Frau im Laufe des Erziehungsurlaubs hinnehmen muß, daß ihre beruflichen Qualifikationen an Wert verlieren. Ihr nahtloser Wiedereinstieg in den Beruf ist ebenfalls gesetzlich geregelt. Aber die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, wenn man einmal überprüft, wie viele Frauen in den Beruf zurückgegangen sind. Frauen und Männer müssen aber möglichst frei von äußeren Zwängen und Bedingungen ihre Lebensweise wählen können. Das ist eine Herausforderung an die Politik des neuen Jahrtausends, der wir uns alle stellen müssen. Gesellschaftlich können wir es uns nicht leisten, gut ausgebildeten Frauen mit all ihren Fähigkeiten den Weg ins Berufsleben zu erschweren. Den Frauen persönlich können wir es nicht zumuten, ihre Ressourcen nicht voll ausschöpfen zu können, und sie mit der Gefahr alleine zu lassen, durch lückenhafte Erwerbsverläufe oder durch Ehescheidung in Armutssituationen zu gelangen. Noch so viele richtige und gesetzliche Initiativen im sozialen Bereich wie z. B. die Anrechnung der Kindererziehungszeiten oder die soziale Grundsicherung, die ich persönlich als sehr große Neuerung empfinde, werden es nicht vermögen, Frauen eine leistungsgerechte Absicherung im Alter oder im Fall des Alleinlebens zu gewähren. Sie müssen den Zugang zur Berufstätigkeit haben. ({1}) Auch das von der CDU/CSU wiederholt ins Spiel gebrachte Erziehungsgehalt gibt genau die falsche und kontraproduktive Antwort. ({2}) Es geht nicht um eine Rollenfestlegung mit Hilfe eines Staatsgehaltes, sondern um eine Rollenflexibilisierung, weil das dem Wunsch der Menschen und den Anforderungen einer modernen Gesellschaft entspricht. Fähigkeiten von Männern und Frauen werden in allen gesellschaftlichen Bereichen gebraucht. Diese Einsicht ist weder schwer noch neu. Die Rahmenbedingungen hierHildegard Wester für zu schaffen ist allerdings schon wesentlich schwieriger; denn Rollenflexibilisierung hat immer auch etwas mit Abgeben und Übernehmen zu tun: Frauen, die zusätzliche Aufgaben übernehmen wollen, sind keine Seltenheit; Männer, die Aufgaben und damit verbundene Privilegien abgeben wollen, schon eher. Deshalb ist es so wichtig, daß Frauen überall an der Durchsetzung ihrer Interessen arbeiten und dafür sorgen, daß sie oder andere Frauen an Entscheidungen beteiligt sind. Konsequent werden sie dafür eintreten müssen, daß das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes Realität werden kann. Das, meine Herren, ist nicht nur eine Herausforderung für uns Frauen, sondern auch und gerade für Sie. Die Männer müssen ihre Rolle stärker hinterfragen. Ebenso wie es die Frauen getan haben, sollten auch die Männer dafür kämpfen, aus ihren traditionellen Rollenmustern ausbrechen zu können. Doch leider erntet man für solche Forderungen auch heute noch von seiten der Männer und von manchen Frauen Gelächter. Ich kann nur hoffen, daß dieses Lachen in 20 oder 30 Jahren genauso weltfremd wirkt wie die Bemerkungen einiger Männer über den vermeintlichen Untergang des Abendlandes durch die schlichte Aufnahme des Satzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in das Grundgesetz vor 50 Jahren. Vorrangige Ziele unserer Arbeit, die sich aus dem Gesagten ergeben, sind für mich: Konsequente Durchforstung der Gesetzgebung auf immanente Geschlechtsdiskriminierung; das Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub muß dringend reformiert werden; Männern und Frauen soll die Möglichkeit zur Erziehungs- und Erwerbsarbeit mit möglichst geringen Erwerbsunterbrechungen ermöglicht werden; ({3}) Bundesländer und Kommunen müssen noch größere Kraftanstrengungen machen, um Betreuungsmöglichkeiten für Kinder jeder Altersgruppe mit möglichst flexiblen Zeiten anbieten zu können. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie daran, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Hildegard Wester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch die Wirtschaft ist dringend aufgefordert, statt über maschinenlauffreundliche Arbeitszeiten jetzt auch endlich über familienfreundliche Arbeitszeiten nachzudenken und dabei beim Wort „Familie“ auch an den Mann zu denken und ihm, genau wie der Frau, qualifizierte Teilzeitbeschäftigung anzubieten. Ein letzter Wunsch, den ich hier formulieren möchte: Wenn wir es schaffen würden, nicht nur in Fragen der Gewalt gegen Frauen, sondern auch bei den Fragen der gerechten Verteilung von Arbeit zwischen Männern und Frauen ein Bündnis in diesem Haus herzustellen, dann würde ich mich darüber sehr freuen. Ich lade alle Frauen ein, das mit uns gemeinsam zu tun. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat das Wort die Abgeordnete Irmgard Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Frau Präsidentin! Ich möchte mich zuerst bei Ihnen, liebe Frauen aus den Parteien und aus den Verbänden, für Ihre ehrenamtliche und hauptberufliche Arbeit für Frauen bedanken und rufe Ihnen herzlich gerne zu: Wir sitzen bei der Durchsetzung der Forderungen von Frauen alle in einem Boot. ({0}) Daß Sie, sehr geehrte Damen, Geduld, Ausdauer und Durchhaltevermögen kennen, sieht man daran, daß Sie fast alle noch anwesend sind. Auch dafür herzlichen Dank. ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Agnes Hürland hat heute morgen bereits einen Einblick in die Bundeswehr gegeben. Schwerpunkt meiner Ausführungen ist das Thema „Frauen in die Bundeswehr“. Nun werden einige von Ihnen staunen, insbesondere auch die Kolleginnen der SPD, wenn ich heute für eine Öffnung der Bundeswehr für Frauen plädiere. ({2}) Vor einigen Jahren lag für mich persönlich der Einsatz von Frauen in der Bundeswehr noch in weiter Ferne. ({3}) - Das stimmt, aber ich möchte jetzt nicht das wiederholen, was die sehr geehrten Vorrednerinnen hervorragend ausgeführt haben. ({4}) Damit war ich einig, bei allen Parteien, mit Ausnahme von ganz links. Darum bin ich der Meinung, daß man eine solche Gelegenheit nutzen muß, etwas Neues anzustoßen, eine neue Debatte über Fragestellungen zu führen, die die jungen Frauen interessieren, doch nicht uns Etablierte. ({5}) Darum meine ich auch, daß man diese Gelegenheit beim Schopfe fassen muß, um etwas für die junge Frauengeneration und ihre beruflichen Chancen bei der Bundeswehr zu tun. ({6}) „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“; so heißt es in unserer Verfassung. Das stimmt nicht ganz, denn auch das steht im Grundgesetz: Die Frauen „dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten.“ Die Wehrpflicht trifft nur Männer. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren - das wird Sie nicht wundern -, muß auch so bleiben. Seit Jahren gibt es zu diesen Themen große und inhaltsreiche Debatten. Die Forderung, auch Frauen zum Dienst an der Waffe zuzulassen, ist nicht neu: schon Mitte der 60er Jahre, Ende der 70er Jahre und dann zum Schluß Anfang der 80er Jahre. Da wurde es dann zuviel. Damals setzte Verteidigungsminister Hans Apel eine Kommission ein, die sich mit der Frage beschäftigte, wie man dem Personalbedarf in der Bundeswehr besser entsprechen könnte. Die Kommission empfahl neben anderen Maßnahmen auch die Einführung des freiwilligen waffenlosen Dienstes von Frauen in den Streitkräften. Ein anderer Aspekt, der bei der Beurteilung dieses Themas wichtig ist: 1956 hat der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages die Frage, ob Frauen Waffen tragen und einsetzen dürfen, mit einem Nein beantwortet. Die Begründung lautete: Frauen sollen keine Waffen tragen, weil dies ihrer Natur und ihrer Bestimmung zuwiderlaufe. Einen Widerspruch zum Gleichberechtigungsgebot sah man damals nicht. Namhafte Verfassungsrechtler, meine sehr geehrten Damen und Herren, vertreten heute die Meinung, daß gegen eine Öffnung von weiteren Laufbahnen für weibliche Soldaten nichts einzuwenden sei. ({7}) Einzige verfassungsrechtliche Grenze sei der Kriegsdienst mit der Waffe und der Einsatz von weiblichen Soldaten als Kombattanten. Aber, liebe Kolleginnen, das haben wir heute morgen zu anderen Themen ausgeführt: Es ist eine Frage des politischen Willens und des politisch Machbaren, natürlich auch - das muß berücksichtigt werden - des militärischen Bedarfs, ob wir Frauen mehr Chancen bei der Bundeswehr geben oder nicht. Die im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges verlieren zunehmend an Legitimationskraft. Irgendwann verlangt die Wirklichkeit ihr Recht. Das Bild von den Polizistinnen und Bundesgrenzschutzbeamtinnen, die Waffen tragen und sie auch benutzen, ist für uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Es gibt in der Bundeswehr gute Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsplatzchancen mit einer guten sozialen Absicherung. Davon dürfen wir Frauen nicht mehr ausschließen. ({8}) Da das Licht hier leuchtet, lasse ich jetzt ganz viel weg - schade. Eines möchte ich nachdrücklich sagen: Eine Wehrpflicht für Frauen darf es nicht geben, wohl aber die Möglichkeit des freiwilligen Dienstes. Frauen haben keinen Nachholbedarf in Sachen Dienst an der Gemeinschaft. Sie leisten ihre Arbeit in der Familie, bei der Kindererziehung, der Organisation des Haushalts, in den ehrenamtlichen Bereichen. Dieses sind nur wenige Aspekte. Es gibt heute keine überzeugende Begründung mehr dafür, Frauen den Dienst an der Waffe zu verweigern. Es kommt schließlich heute bei unseren vielen hochtechnisierten Arbeitsplätzen nicht auf die physische Stärke an. Welche Einsatzbereiche in der Bundeswehr kommen für Frauen grundsätzlich in Frage? Frauen können neben dem Sanitätsbereich und dem Militärmusikdienst beispielsweise auch in der Logistik, im technischen Dienst, den Fernmeldetrupps, in den Stäben und bei militärgeographischen Ämtern arbeiten. Ich halte es gerade jetzt für richtig, über die Öffnung der Bundeswehr für Frauen auf freiwilliger Basis zu diskutieren, da kein äußerer Druck dazu besteht. Der personelle Bedarf der Bundeswehr ist gesichert. Die Bundeswehr sollte auf die großen Fähigkeiten der Frauen nicht verzichten. Meine Damen und Herren, ein Tag, an dem man auf 50 Jahre Arbeit zurückblickt, sollte meines Erachtens auch einen Akzent setzen, der eine neue Debatte anstößt. Dazu - zu nichts mehr - wollte ich beitragen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Nina Hauer.

Nina Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003139, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Mich haben die Frauen der ersten Stunden dieses Parlaments, die heute morgen gesprochen haben, sehr beeindruckt. Nicht weniger beeindruckt haben mich die Ausführungen meiner Kolleginnen, die jetzt hier als Abgeordnete mit uns zusammenarbeiten. Sie haben für sich, für die Frauen ihrer Generation und nicht zuletzt für Frauen wie mich, die jetzt neu im Parlament sind, einen Platz erobert, von dem aus politische Entscheidungen getroffen werden und Gesellschaft gestaltet wird. Ich glaube, wir sollten ihnen dafür dankbar sein. ({0}) Sie haben sichtbar gemacht, daß es Frauen in politischer Verantwortung gibt, und uns damit immer wieder die Forderung eingeprägt, daß Frauen überall dort, wo Entscheidungen getroffen werden, auch beteiligt werden sollten. Das gilt auch für Frauen, die sich an anderen Orten, an solchen außerhalb des Parlaments, in Wirtschaft und Gesellschaft, ihren Platz und ihre Position eroberten. Ich glaube, daß sie sich in vielen Punkten an den Politikerinnen orientiert haben, und ich hoffe, daß auch ich dazu beitragen kann, ein Beispiel für diejenigen zu geben, die das in meiner Generation und den zukünftigen Generationen versuchen. Wir haben uns einen Platz in der politischen Kultur gesichert, und wir haben uns die Beteiligung an gesellschaftlichen Entscheidungen erobert. Ich glaube, daß es die Aufgabe meiner Generation von Frauen sein wird, sich die vollständige und eigenständige ökonomische Teilhabe zu erobern. Ich brauche nicht zu wiederholen, was hier an vielen Stellen gesagt wurde: Diese Teilhabe ist nicht überall und in allen Bereichen der Gesellschaft erreicht. Es gibt das Problem der unterschiedlichen Entlohnung; die Chancen im Erwerbsleben sind unterschiedlich; die Chancen an den Universitäten sind unterschiedlich. Wir sollten aber den jüngeren Frauen draußen und denen, die nach uns kommen, Mut machen und ihnen sagen, was wir erreicht haben. Es saßen noch nie so viele Frauen in einem deutschen Parlament wie in diesem, und wir haben es erreicht, daß viel mehr Frauen, die sich selbständig machen und Existenzen gründen, erfolgreich sind. Wir haben es mit einer Generation von Frauen zu tun, die so gut qualifiziert ist wie noch keine Generation vorher. Ich denke, man sollte den jüngeren Frauen sagen, was erreicht wurde, woran sie teilhaben und worauf wir alle stolz sein können. ({1}) Bei der ökonomischen Teilhabe geht es aber an das Eingemachte. Ich habe den Eindruck, daß das der Punkt ist, warum in vielen Reden und Beiträgen der Eindruck vermittelt wird, die Frauenbewegung sei an ihrem Ende angelangt. Der gesetzlich verankerte Anspruch auf Erziehungsurlaub ist ein Erfolg, ({2}) weil damit anerkannt wird, daß Frauen einer eigenständigen Erwerbstätigkeit nachgehen wollen. Ein weiterer Erfolg wäre es, wenn wir erreichen könnten, daß Kinder kein Hindernis für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sind und daß es auch möglich ist, die Erwerbstätigkeit zu unterbrechen. Kinder sollten keinen Karriereknick darstellen, und es sollte auch kein Problem sein, wenn die Frau den Erziehungsurlaub nicht für sich in Anspruch nehmen will. Ich denke, daß das Ziel einer Politik, die die Gleichstellung auch in der Gesellschaft befördern will, darin liegen muß, eine gleichberechtigte Teilhabe an der Erwerbsarbeit zu gewährleisten und sicherzustellen, auch über die Regelungen des Erziehungsurlaubs hinaus. Das wird dazu führen, daß wir uns politische Macht erobern. Ich habe mich schon heute morgen gewundert, aber eben wurde dieses Thema noch einmal angesprochen: Ich finde es mutig, Frau Abgeordnete Karwatzki, daß Sie hier das Thema „Frauen in die Bundeswehr“ angesprochen haben. Ich glaube, dies ist ein Beispiel für einen Bereich, in dem wir etwas in unseren Köpfen und in unserer Politik ändern müssen. Es gibt einen guten Grund zu sagen: Wir wollen nicht mitmachen bei etwas, was sich die Männer über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben. Dies geschieht aus der politischen Überlegung heraus, daß wir Alternativen zu der Organisation Bundeswehr schaffen müssen. Wir kommen aber nicht umhin festzustellen, daß wir diese Organisation brauchen. Ich glaube, daß wir uns in diesem Punkt nicht darauf verlassen können, daß uns alle glauben, wenn wir sagen, wir als Frauen lehnen diese Organisation auf Grund einer anderen Sozialisation ab. Ich gebe zu: Mein persönliches Verhältnis dazu ist auch etwas gespalten. Ich glaube, wir sollten uns überlegen: Was ist das für eine Organisation? Können wir es ablehnen, daran beteiligt zu sein? Das Militär ist, wie viele andere Bereiche auch, ein Bereich, wo gesellschaftlicher Einfluß ausgeübt wird und wo sich gesellschaftliche Macht konzentriert. Ich glaube, wir Frauen sollten es uns nicht entgehen lassen, darauf in Zukunft Einfluß zu haben. ({3}) Das gilt auch für viele andere Bereiche, zum Beispiel für die Beteiligung in der privaten Wirtschaft, für die Beteiligung an der Gründung eigener Existenzen, für die Beteiligung an politischen Auseinandersetzungen, wo es um Macht geht. Ich glaube, wenn wir dies mitnehmen und den jungen Frauen das Signal geben; wir Frauen haben in vielen Jahrzehnten dieses Parlaments, in vielen Jahrzehnten dieser Republik gemeinsam etwas erreicht, dann haben sie den Mut und das Vertrauen, daß ihr eigenes Engagement in der Politik dazu führen wird, daß ihre Gleichstellung demnächst wieder einen Sprung um 20 Jahre macht. Vielen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Als letzte Rednerin in dieser Debatte erteile ich jetzt der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz das Wort.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine lieben Kolleginnen und lieben Kollegen! Liebe Gäste! Frau Präsidentin! Die Debatte dieses Tages zeigt ganz deutlich: So kämpferisch frauenbewegt, wie die Zeiten der ersten Parlamentarierinnen im Deutschen Bundestag waren, sind sie heute leider nicht mehr. Der Zeitgeist flirtet mittlerweile mit einem pflegeleichten Klischee moderner Weiblichkeit. Der Anspruch auf Gleichberechtigung spielt in der Wirklichkeit nur eine vordergründige Rolle. Die Frau von heute ist angeblich schon voll gleichberechtigt. Sie ist imstande, Beruf, Kinder und Ehe erfolgreich und glücklich unter einen Hut zu bringen: immer gut drauf, das „Superweib“ schlechthin. Dieses fröhliche, allzu fröhliche Bild ist aber höchst problematisch. Es ist eine Suggestion, die uns über viele Zeiten hinweg sicherlich stark motiviert hat. Es ist aber gleichzeitig eine Art Selbsttäuschung von uns Frauen. Was meine ich damit? Der alltägliche Blick in die Medien zeigt doch: Das Bild, das diese Gesellschaft zeichnet, ist das Produkt aus Feminismus und KonsumNina Hauer gesellschaft; es ist ein gestyltes Bild. Es greift zwar die zahlreichen Lebensentwürfe, die junge Frauen heute haben, auf, entspricht aber nicht ihren Lebensrealitäten. Hier verbergen sich alte Klischees in neuer Verpackung. Sie kaschieren die nach wie vor bestehenden realen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern: höhere Arbeitslosigkeit, niedrigere Löhne und Gehälter, schlechtere Jobs, niedrigere Renten, häufigeres Abrutschen in die Sozialhilfe. Welche Perspektiven bieten sich in dieser Gesellschaft für eine junge Frau, 30 Jahre alt, alleinerziehend, zwei Kinder? Das Hinübertasten aus einer Bindung, die nicht mehr trägt, endet zumeist in sozialer Unsicherheit, in ständiger Geld- und Zeitnot, zwischen Halbtagsjobs, dem Haushalt und den Kindern. In 30 oder 35 Jahren wird dann der Rentenbescheid diesem Menschen sagen, daß sie das Leben einer Frau gelebt hat und daher nur die halbe oder zumindest eine geringere Rente beziehen kann. Das Bild vom Superweib hält den Spannungen nicht stand, die sich aus den berechtigten Ansprüchen junger Frauen und den gegensätzlichen Beanspruchungen ergeben. Die Wirklichkeit der meisten Frauen in Deutschland ist eine andere - auch nach 50 tatkräftigen und erfolgreichen Jahren für Frauen, derer wir heute hier im Parlament gedenken. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, sozialpolitischer und wirtschaftlicher Stagnation, in Zeiten, in denen sich Werte wandeln, Bindungen auflösen und Erziehungsfähigkeiten nachlassen, tendiert immer noch jede Gesellschaft dazu, die Probleme zunächst über die Frauenbiographien zu lösen. Da wird das Superweib auch ganz gerne in die 50er Jahre „zurückgebeamt“. Das, meine Damen und Herren, wird meine Generation nicht mit sich machen lassen. ({0}) Unsere Politik muß sich daran messen lassen, ob die eigenständige, vom Einkommen des Ehemannes unabhängige soziale Sicherheit der Frau verbessert wird, ob Familienarbeit in bezug auf die Renten gewürdigt wird, ob die Arbeitswelt entsprechend den sich verändernden Lebens- und Erwerbsverläufen von Frauen und Männern umstrukturiert wird. Das, was uns Walter Riester in den letzten Wochen und Monaten hierzu präsentiert hat, ist keine Antwort auf die Forderung nach einer eigenständigen sozialen Sicherung, sondern nur ein Hin- und Herschieben. Da haben wir noch einiges vor uns. ({1}) Die Zukunft ist eine Schwester der Gleichberechtigung. Die Frauen haben für uns in den letzten 50 Jahren in allen gesellschaftlichen Bereichen mehr Beteiligung und mehr Akzeptanz erkämpft. Jetzt heißt es für meine Generation, die Strukturen zu verändern. Frauenpolitik ist Querschnittspolitik. Sie muß aber Gesellschaftspolitik werden. Es wird nicht reichen, wenn Frauen mit Frauen über Frauen diskutieren. Wir laufen sonst wie in einem Hamsterrad immer schneller auf der Stelle; aber wir kommen im Grunde nicht vom Fleck. Um substantiell weiterzukommen, dürfen wir nicht nur Selbstgespräche führen. Wir müssen vielmehr zu einer Modernisierung der Frauenpolitik kommen. Dies kann nur eine Frauenpolitik sein, die auch die Männer stärker herausfordert, vielleicht sogar so stark, daß, wie in anderen Debatten üblich, auch Zurufe gemacht bzw. Zwischenfragen gestellt werden. Das würde die Debatten sicherlich beleben. Ich glaube, das ist der richtige Dialog, den wir führen müssen. Nicht ausschließlich wir Frauen müssen uns den Bedürfnissen neuer gesellschaftlicher Fragestellungen anpassen, sondern die Fragen müssen sich auch unseren Bedürfnissen stellen. Dies wird die Welt der Männer berühren und zwangsläufig ändern. Genau diese Auseinandersetzung findet in meiner Generation immer häufiger in den Partnerschaften, aber auch hier im Parlament, in der jungen Gruppe meiner Fraktion statt, wo mittlerweile einem Kollegen immer auch eine Kollegin gegenübersitzt. Eine gleichberechtigte, also 50prozentige Teilhabe in der jungen Generation, dies ist der „point of no return“, den wir mittlerweile erreicht haben. Es wird höchste Zeit, daß uns mehr Männer - wie zum Beispiel Heiner Geißler - hier im Plenum konkret sagen und mit uns darüber diskutieren, wie sie mit uns und mit Kindern leben und arbeiten wollen. Das wird eine wirklich spannende Debatte. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe damit die Debatte über dieses besondere Thema. Das möchte ich in diesem Fall nicht tun, ohne noch einmal den Initiatorinnen zu danken. Diese Debatte war nicht nur eine gute Idee, sondern es war auch durchaus viel Arbeit damit verbunden, sie am heutigen Tag umzusetzen. Ich möchte ebenso allen Rednerinnen für ihre Debattenbeiträge sehr herzlich danken. Jetzt sind Sie im Namen des Präsidiums zu einem Empfang eingeladen. Ich möchte Ihnen mitteilen, daß er nicht, wie ursprünglich vorgesehen, auf der Präsidialebene, sondern auf der Fraktionsebene, das heißt im 3. Stock des Reichstagsgebäudes, stattfindet. Diese Einladung gilt selbstverständlich auch für Sie auf der Besuchertribüne, die Sie uns so geduldig zugehört haben. Die Sitzung wird um 15 Uhr weitergeführt. Auch dann geht es um das Thema Frauen. Ich unterbreche die Sitzung. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet - leider, weil wir oben beim Empfang in so schöne Gespräche vertieft waren. Aber Pflicht ist nun einmal Pflicht. Zwar finde ich es unfair, daß nun nicht alle wieder zurückkommen, sondern wir hier arbeiten müssen, während die anderen feiern dürfen - das ist nicht die feine englische Art -, aber so ist es nun einmal. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und b sowie Zusatzpunkt 1 auf: 2.a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel Humme, Dr. Hans-Peter Bartels, Anni BrandtElsweier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Marieluise Beck ({0}), Ekin Deligöz, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neue Initiativen zur Frauenbeschäftigung - Drucksache 14/1195 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben - Drucksache 14/1529 ZP1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Eichhorn, Hannelore Rönsch ({2}), Wolfgang Dehnel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Bekämpfung der Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland - Drucksache 14/1549 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Tourismus Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich denke, daß Sie damit einverstanden sind. Ich eröffne die Aussprache und gebe unserer Ministerin Christine Bergmann das Wort.

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, in den nächsten Minuten werden noch sehr viele Frauen zu uns stoßen. Ein bißchen Pause mußte eben zwischendurch auch einmal sein. Wir setzen jetzt die Debatte von heute vormittag fort. Ich kann an viele Punkte anknüpfen, die wir bereits heute vormittag besprochen haben. Wenn wir uns die Voraussetzungen anschauen, die Frauen für den Arbeitsmarkt mitbringen, stellen wir fest: Wir hatten noch nie so viele qualifizierte Frauen in so vielen Bereichen wie heute. Die Zahl der qualifizierten Frauen steigt ständig. Wir haben 55 Prozent weibliche Abiturienten. 52 Prozent der Studienanfänger an Universitäten sind Frauen. Inzwischen verfügen mehr erwerbstätige Frauen als Männer über den Abschluß einer Lehre oder einer Berufsfachschule. Frauen bringen also - wie man feststellen kann - allerbeste Voraussetzungen für den Arbeitsmarkt mit, der in Zukunft noch mehr als heute auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen sein wird. Aber wenn wir uns die reale Situation auf dem Arbeitsmarkt ansehen, finden wir kein besonders schönes Bild vor. Zwar sind 42 Prozent der Erwerbstätigen Frauen, aber von den Führungsetagen wissen wir, wie duster es dort aussieht. In den Führungspositionen der deutschen Wirtschaft findet man im oberen Management gerade 6 Prozent Frauen. Wir wissen, daß die Wissenschaft ein besonders schwieriger Bereich ist. Dies kann ich aussparen; das macht nachher meine Kollegin. Aber auch in den Bundesbehörden steht es durchaus nicht zum besten. Nur 10 Prozent der Referatsleiterpositionen sind von Frauen besetzt. Bei den Abteilungsleitungen sind es gerade einmal 1,3 Prozent. Ganz wesentlich ist auch die Höhe des Durchschnittsverdienstes von Frauen. Wenn man sich die Zahlen für 1999 ansieht, stellt man fest, daß in den Altbundesländern Frauen im Schnitt 23 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. In den neuen Bundesländern sieht es etwas besser aus. Dort sind es nur 10 Prozent weniger. Dies hat etwas mit den Arbeitsmarktsektoren zu tun, in denen Frauen tätig sind. Das heißt also, daß der gleiche Lohn für die gleichwertige Arbeit längst noch nicht Realität ist. Wir müssen uns also neben der Frage, wie Frauen in Führungspositionen kommen können, auch darum kümmern, daß die Frauenberufe anders bewertet werden. ({0}) Das macht sehr deutlich, was wir heute früh gemeinsam festgestellt haben: Wir haben noch keine Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt. Dies hat auch etwas - das möchte ich jetzt nicht wiederholen - mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, also damit zu tun, wer eigentlich die undankbare Arbeit in der Familie, wer die Erziehungsarbeit macht, die mit den Benachteiligungen im Beruf verbunden ist. Nun kann man dies nicht dem Selbstlauf überlassen, auch wenn wir uns heute vormittag in vielen Punkten einig waren, auch einig darin, wieviel schon erreicht wurde. Das heißt, daß wir jetzt sehr genau schauen müssen, was eigentlich in der nächsten Zeit dran ist. Das gilt für die nationale Ebene genauso wie für die europäische. Ich möchte einige Worte zu der europäischen Ebene sagen. Wir haben mit dem Amsterdamer Vertrag, der am 1. Mai dieses Jahres in Kraft getreten ist, eine gute Grundlage auch für die Gleichstellungspolitik im Bereich der Erwerbsarbeit. Der Vertrag enthält ein umfassendes Diskriminierungsverbot. Wir haben in Europa mit dem Konzept des „mainstreaming“ einen Ansatz, der auch in den beschäftigungspolitischen Leitlinien 1999 der Europäischen Union eine zentrale Rolle spielt. „Mainstreaming“ bedeutet mehr, als irgendwo ein kleines Programm zu machen, mit dem man wieder eine bestimmte Gruppe von Frauen ein bißchen weiter bringt. „Mainstreaming“ heißt, daß die Interessen und Bedürfnisse von Frauen in allen Politikfeldern berücksichtigt werden müssen. Das ist also noch mehr als Querschnittspolitik; es ist wirklich Gesellschaftspolitik. Vizepräsidentin Anke Fuchs Die beschäftigungspolitischen Leitlinien fordern die Mitgliedsstaaten dazu auf, klare, konkrete und überprüfbare Ziele zu setzen, sei es bei Maßnahmen zum Abbau der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Entlohnung - ich hatte das gerade schon angeführt -, sei es bei der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit oder bei der Rückkehr von Frauen ins Erwerbsleben, um nur einige Beispiele zu nennen. Das ist ein ganz wichtiger gleichstellungspolitischer Fortschritt; das ist eine Chance für Frauen. Wir müssen dazu aber immer ganz klar sagen: Das ist auch eine Chance für den Arbeitsmarkt in Europa. ({1}) Es geht nämlich nicht nur darum, zu sagen: Frauen müssen ihre Chance bekommen. Vielmehr muß auch gefragt werden: Was ist in diesem Land und in Europa eigentlich ökonomisch vernünftig? Mich ärgert immer, wenn nicht einmal das, was ökonomisch vernünftig ist, nämlich die gut qualifizierten Frauen ordentlich einzubeziehen und auf diese Ressourcen zuzugehen, angegangen wird. Wir haben als Bundesregierung diese Leitlinien - das sind wirklich gleichstellungspolitische Steilvorlagen aufgegriffen. Die Maßnahmen der Bundesregierung werden im Programm „Frau und Beruf“ gebündelt, das wir im Juni im Kabinett beschlossen haben. Ich denke, wir werden uns noch manches Mal über das Programm unterhalten; denn es ist ein Arbeitsprogramm. Es wird fortgeschrieben und laufend überprüft. Es wird also nicht nur gesagt: Hier haben wir eine Million DM. Was machen wir mit der Million? Prima, jetzt haben wir den Plan erfüllt - oder auch übererfüllt; das kennen wir ja in einigen Teilen Deutschlands. Vielmehr wird wirklich auch gefragt: Was brauchen wir rechtlich? Was können wir in den unterschiedlichen Bereichen tun? Was hat sich bewährt? Wie kommen wir mit dem „mainstreaming“ weiter? Eine interministerielle Arbeitsgruppe wird sich also mit dem Thema „mainstreaming“ beschäftigen müssen. Alle Ministerien müssen sich nun damit befassen: Welche Kriterien haben wir, um zu erkennen, ob wir in der Gleichstellungspolitik weitergekommen sind? Wofür wird das Geld in diesem Lande eigentlich ausgegeben? Was kommt davon Frauen zugute, was kommt Familien zugute? Das geht also wirklich in die Tiefe, und das wird natürlich Zeit kosten; davon bin ich überzeugt. Aber ich denke, das ist der richtige Weg. Daneben müssen wir ganz konkrete Maßnahmen umsetzen. Wir können natürlich nicht sagen: Wir machen jetzt „mainstreaming“ und gucken einmal, was dabei herauskommt; in der Zwischenzeit stoppen wir unsere speziellen Programme. Wir haben in dem Programm „Frau und Beruf“ gezielt ganz bestimmte Bereiche aufgenommen; einiges wurde bereits umgesetzt, oder wir sind noch dabei. Denken wir nur an das Sofortprogramm zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit. Natürlich enthält dieses Programm schon die Quotierung, daß also Mädchen entsprechend berücksichtigt werden müssen. Aber es geht nicht nur um Quantitäten. Vielmehr geht es auch darum, das Programm so zu nutzen, daß Mädchen im gewerblich-technischen Bereich entsprechend vorkommen. Man kann gezielt bestimmte Frauenprojekte fördern, insbesondere in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind. Wir haben auf dem Arbeitsmarkt mit den vorhandenen Veränderungen schon wichtige Forderungen erfüllt. Der Arbeitsminister hat eine veränderte Regelung zur Altersteilzeit vorgelegt, die vom Kabinett bereits beschlossen ist. Liebe Frauen, wir haben das die ganze Zeit gefordert! Wir wollen den Zugang von Teilzeitkräften in die Altersteilzeitregelungen. Das betrifft nämlich die Frauen. Diese Regierung hat das nun vorgelegt; das ist sehr wichtig. Das Vorschaltgesetz enthält eine Regelung, daß 55jährige Arbeitslose an Fünfjahresmaßnahmen teilnehmen können. Als ich in dieser Stadt noch als Arbeitssenatorin tätig war, habe ich davon immer geträumt. Wir haben das immer gefordert. Zu der alten Bundesregierung hat es in dieser Hinsicht nie einen Zugang gegeben. Jetzt haben wir das. Ich will damit zeigen, daß wir nicht lange gewartet, sondern gleich „geklotzt“ haben. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen natürlich an den Bereich der Wirtschaft heran; das wissen wir; das ist ein Teil des Programmes. Wir müssen fragen: Wie können wir die Chancen der Frauen in der Wirtschaft verbessern? Wir debattieren darüber schon. Es gibt eine Expertengruppe mit Vertretern aus Gewerkschaften, aus der Wirtschaft, aus der Wissenschaft, aus der Politik. Wir gehen dabei von den bereits existierenden guten Beispielen aus; glücklicherweise ist bei dem einen oder anderen Unternehmen der Groschen schon gefallen. Sie haben erkannt: Es arbeitet sich gut mit Frauen; man kommt gut voran. Es ist ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen, wenn sie Frauen entsprechend einbeziehen. Es geht jetzt darum, zu sagen, welche Maßnahmen geeignet sind, die Gleichstellung in den Unternehmen umzusetzen und Frauen bessere Chancen zu geben. Ich sage ganz klar: Es geht auch um gesetzliche Regelungen. Wir unterhalten uns nicht nur einfach nett miteinander und fragen nicht nur: Was ist ganz schön, und was kann man empfehlen? Am Ende geht es auch darum, zu sagen, welche gesetzlichen Regelungen das Ziel erfüllen und gleichzeitig geeignet sind, bei der Unterschiedlichkeit der Unternehmen vernünftig umgesetzt zu werden. Für den öffentlichen Dienst werden wir in den nächsten Wochen ein Gleichstellungsgesetz auf den Weg bringen, zumindest in die Ressortabstimmung. Hier kann einiges einfacher geregelt werden, wie wir wissen. Wir müssen hier auch deshalb etwas tun, weil das alte Gesetz nicht genügend gegriffen hat. Das sage ich ganz vorsichtig. ({3}) Die Frauenbeauftragten benötigen mehr Kompetenzen. Es müssen verbindliche Vorgaben geschaffen werden, die gewährleisten, daß tatsächlich mehr Frauen in Führungspositionen gelangen. Hier muß es weitere Maßnahmen geben. Ich möchte auch noch etwas zu dem Thema „Mann und Familie“ sagen. Wir haben heute darüber ausgiebig diskutiert und waren uns darin einig, daß bei der Einstellung der Männer und bei der Regelung des Erziehungsurlaubs etwas passieren muß. Ich weise nicht zum erstenmal daraufhin: Wir werden demnächst das Erziehungsgeldgesetz ändern. Wir werden den Erziehungsurlaub in einen Elternurlaub umwandeln. Beide Elternteile, also Väter und Mütter, sollen zur gleichen Zeit Erziehungsurlaub nehmen können. Eine solche Regelung ist durch Teilzeitarbeit möglich. Wir hoffen, daß dadurch die verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre der Männer - darüber haben wir ja schon gesprochen; das gilt natürlich nicht für alle Männer - in tatsächliche Verhaltensänderungen umgesetzt werden kann. ({4}) Für uns ist das ein wichtiger Punkt. Wir hoffen, durch eine solche Regelung den Familien besser gerecht zu werden und ihnen bessere Möglichkeiten zu bieten, Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich miteinander zu teilen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. ({5}) Meine Redezeit läuft allmählich ab. Ich möchte noch deutlich machen, daß wir in den Bereichen der zukunftsträchtigen Arbeitsplätze bereits versuchen, Wirkungen zu erzielen. Wir haben schon Gespräche mit den Verantwortlichen in den großen Informationsunternehmen geführt, um zu sehen, welche Projekte gemeinsam auf den Weg gebracht werden können, damit Frauen in diese zukunftsträchtigen Bereiche hineinkommen, in denen im Moment schon Arbeitskräftemangel herrscht und in denen ein Arbeitsmarkt vorhanden ist, der für Frauen unbedingt erschlossen werden muß. Aber vor allem ist der berühmte Bewußtseinswandel, über den wir heute vormittag lange diskutiert haben, in den Köpfen der Männer notwendig. Es muß einfach akzeptiert werden, daß Frauen das gleiche Recht auf Erwerbsarbeit wie Männer haben. Wir wollen niemanden in die Erwerbsarbeit zwingen. Aber die Möglichkeiten müssen vorhanden sein. Zudem dürfen Erziehungs- und Familienarbeit nicht als Frauenprobleme und Frauenthemen abgehandelt werden. Ich denke, unser Programm kann sich sehen lassen. Ich hoffe, daß es viele Anregungen geben wird. Schon in der heutigen Debatte gab es viele Vorschläge für ein gemeinsames Handeln. Bitte, liebe Frauen, liebe Männer, macht also mit, damit wir ein Stück weiter vorankommen. Danke. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort der Kollegin Renate Diemers.

Renate Diemers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000388, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute hier im Plenum reden zu dürfen ist für mich etwas Besonderes; denn nach der Feierstunde „Die Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag“ und zugleich in der ersten Plenarsitzung im Reichstagsgebäude zu sprechen ist nicht alltäglich. Sehr alltäglich ist es mittlerweile allerdings geworden, von Anträgen der rotgrünen Regierungskoalition immer wieder enttäuscht zu werden. In Anbetracht des heutigen Rahmens der Sonderveranstaltung und der Ergebnisse auf dem Gebiet der Frauenförderung in den letzten Jahrzehnten ist es mehr als peinlich, einen Antrag einzubringen, der im Jahr 1949 - zugegebenermaßen - Aufsehen erregt hätte. Wir alle kennen den Bericht des Europäischen Parlaments über die besonderen Auswirkungen der Frauenarbeitslosigkeit, auf dem Sie sich in Ihrem Antrag beziehen. Er ist allgemein gehalten, um alle Mitgliedstaaten unter einen Hut zu bringen. Aber warum werden Sie mit Ihren Forderungen an die Bundesregierung nicht konkreter? Wir sind doch über die ursprüngliche Debatte der bloßen Festlegung der Ziele schon hinaus. Oder etwa nicht? ({0}) Was soll denn noch Ihre Forderung, die Gleichstellung von Frau und Mann als Querschnittsaufgabe zu betrachten und - nachlesbar im Programm „Frau und Beruf“ - eine interministerielle Arbeitsgruppe einzusetzen? Die notwendigen Gesetze sind doch schon vorhanden. Wir brauchen keine neuen Regelungen, sondern Impulse, daß die bestehenden Regelungen konsequent angewendet werden, zum Beispiel das Gleichstellungsgesetz, das Betriebsverfassungs- und das Bundespersonalvertretungsgesetz, das Arbeitsförderungsrecht mit den Eingliederungshilfen nach Kinderbetreuungszeiten, das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgesetz und viele andere Regelungen. Außerdem: Wenn es Ihnen mit der Gleichstellung von Frauen in allen Politikfeldern ernst wäre - Frau Rönsch hat schon heute morgen darauf hingewiesen -, dann hätten Sie ohne weiteres Frau Schipanski Ihre Stimme geben können; denn sie war eine erstklassige, eine kompetente und eine hervorragend geeignete Kandidatin für das Bundespräsidentenamt. ({1}) Wir brauchen also keine neuen Gesetze auf geduldigem Papier, sondern Zivilcourage bei uns selbst, ({2}) einen Stimmungswechsel - Frau Ministerin, Sie haben recht - und eine Einstellungsänderung in unserer Gesellschaft und in der Wirtschaft mit der Folge, daß sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt und in den von Ihnen angesprochenen Politikfeldern auch für die Frauen bessern wird. Wir sind uns einig: Die Arbeit und das berufliche Engagement von Frauen, auch von Frauen mit Kindern, muß von der Gesellschaft und besonders von den Unternehmen stärker akzeptiert und im wahrsten Sinne des Wortes besser honoriert werden. Das neue Frauenbild wird sich in unseren Köpfen um so leichter als Leitbild durchsetzen, je mehr Frauen verantwortungsbewußtere Positionen einnehmen, das gleiche Gehalt wie ihre männlichen Kollegen erhalten und - als Krönung des Ganzen - auch noch die eventuell notwendige Kinderbetreuung organisiert bekommen. Realistisch ist: Die Familien- und Erziehungsarbeit wird zunächst weiterhin an den Frauen hängenbleiben, auch wenn die Zahl der Väter, die den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen und sich freiwillig engagieren, steigen wird - vom täglichen Überlebenstraining der alleinerziehenden Frauen ganz zu schweigen. Sie fordern mit Recht die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit. Dazu gehört unabdingbar die Weiterentwicklung der Anerkennung von Kindererziehungszeiten bei der Rente. Aber auch diese Notwendigkeit lassen Sie in Ihrem Antrag dezent unter den Tisch fallen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ausdrücklich nicht das individuelle Problem erwerbstätiger Frauen. Je eher die Männer, die Unternehmen und die Gesellschaft insgesamt das erkennen, desto besser. Das erreichen wir Frauen aber nicht, wenn wir die Doppelbelastung immer wieder wie ein Schild negativ vor uns hertragen. Ich zitiere noch einmal Frau Schipanski, die auf die doppelte Freude, nämlich Kinder zu haben und einen Beruf und eine Karriere erfolgreich zu meistern, mehrfach hingewiesen hat. ({3}) Bei allen Schwierigkeiten, dies unter einen Hut zu bekommen, sollten wir diesen speziellen Aspekt nicht ganz aus den Augen verlieren. Dieses Umdenken wäre ein Schritt dahin, daß auch Väter den Erziehungsurlaub attraktiver finden. ({4}) Wichtig ist für Väter und Mütter, nach dem Erziehungsurlaub wieder einen adäquaten Posten mit Aufstiegschancen, Weiterbildungsmöglichkeiten und entsprechender Bezahlung zu haben. Das bedeutet zunächst einmal, daß wir in Deutschland die Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen. Davon sind Sie mit Ihrer Politik ein ganzes Stück weiter entfernt als wir vor Ihrer Regierungsübernahme. ({5}) Wir waren mit unseren Reformen nachweisbar auf dem richtigen Weg. Auch Sie erkennen das heute. ({6}) Meine Kolleginnen von der SPD, Sie fordern zu Recht den Ausbau von Angeboten für Kinderbetreuungseinrichtungen. Aber meinen Sie ernsthaft, daß 30 DM mehr Kindergeld im Monat abzüglich der Belastungen durch Ökosteuer usw. - ich will jetzt nicht alles aufführen - für eine Ganztags- oder Halbtagsbetreuung ausreichen? ({7}) Ich will damit sagen: Sie fordern Maßnahmen und höhlen das Ziel dieser Maßnahmen durch eine unsoziale Steuerpolitik von vornherein aus. ({8}) Positiv kann man die im Programm „Frau und Beruf“ angedeuteten Pläne bewerten, die frauenpolitischen Wege der alten Bundesregierung im Hinblick auf die Hochschulförderung, die Förderung von Frauen in Führungspositionen und bei der Auszeichnung familienfreundlicher Betriebe und Existenzgründungen fortzusetzen. ({9}) Dies ist eine Bestätigung unserer Politik, und wir werden Sie bei der Fortführung dieser Politik unterstützen. Voraussetzung ist selbstverständlich, daß Sie das im Hinblick auf Existenzgründungen gänzlich kontraproduktive Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit zurücknehmen. ({10}) Frauen als Existenzgründer brauchen eine gute Ausbildung, um auf einem hart umkämpften Markt bestehen zu können. Dazu gehören heutzutage Kenntnisse der neuen Technologien. Die Bedienung von Computern und eine bestmögliche Ausnutzung der zum Teil sehr speziell zugeschnittenen Software ist nahezu selbstverständlich geworden. Die CDU/CSU fordert daher konkret, daß Frauen und Mädchen sehr früh, schon in den Schulen und vor der Berufswahl, über den Informationsund Medienbereich beraten werden und die neuen Technologien der Informations- und Kommunikationswelt in besonderen frauenspezifischen Weiterbildungen erlernen. Diesem Bereich gehört die Zukunft; dort liegt auch die große Chance für Frauen. Dazu gehört auch die allgemeine Ausweitung der Telearbeit und insbesondere der Teleheimarbeit. Mir ist im übrigen sehr unangenehm aufgefallen, daß all diese Begriffe in Ihrem Antrag nicht auftauchen. Die Entwicklung der Teleheimarbeit besitzt eine Schlüsselfunktion. Wir müssen für diese Arbeitsform der Zukunft mehr werben und sie als Abgeordnete mutig den Unternehmen vorleben. Die CDU/CSU hat einen entsprechenden Antrag zu alternierenden Telearbeitsplätzen eingebracht, der unseren eigenen, derzeit von Umzugsschwierigkeiten geplagten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugute kommen kann. Dies wird vorbildhaft auf viele Unternehmen wirken. Mit einer Zustimmung zu diesem Konzept können auch Sie von der Regierungskoalition Farbe bekennen. In unserem Antrag „Bekämpfung der Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland“ sind die notwendigen Initiativen und Richtungswechsel aufgeführt, die in Ihrem Antrag fehlen. Meine Kollegen gehen darauf noch ein. Mit Ihrem Antrag werden unsere - ich darf sicher sagen, gemeinsamen - Anliegen nicht erreicht. Daher können wir ihm nicht zustimmen und bitten statt dessen um Unterstützung unseres Antrages. ({11}) Ich will noch kurz auf einen bestimmten Bereich des Arbeitsmarktes hinweisen, der meistens zu kurz kommt: die Freizeit- und Tourismusbranche. Diese Branche ist aus verschiedenen Gründen für Frauen interessant. Der Schaffung von Arbeitsplätzen in Eigenregie und damit auch von modernen Ausbildungsplätzen in diesem Bereich sollten wir mehr Beachtung schenken. In ländlichen Räumen beweisen Frauen, daß sie nicht nur ihren Beitrag zum Familieneinkommen leisten, sondern gänzlich neue Wege gehen. Ich nenne nur die Bauerncafés, die Selbstvermarktung oder auch die Angebote „Ferien auf dem Bauernhof“. Es handelt sich hierbei um kleine Unternehmen zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes, die meistens von Frauen gemanagt werden und den Effekt haben, daß weitere zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, gerade auch für Frauen. Ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit: Diesen Frauen legen Sie durch Ihre Politik große Steine in den Weg. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Diemers, ich habe ja viel Verständnis dafür, wenn Sie sagen, daß Ihnen der Antrag nicht weit genug geht und Sie die Bundesregierung auffordern, noch viel mehr zu tun. Auch ich habe vier Jahre lang für die Opposition gesprochen. Deshalb gehe ich davon aus, daß es sich dabei um einen bestimmten Reflex handelt. Ich kann aber nicht verstehen, daß die CDU seit Monaten wie eine Monstranz vor sich herträgt, daß die Frauen der Regierungsfraktionen schuld daran seien, daß wir keine Bundespräsidentin hätten. ({0}) - Das ist nicht so. ({1}) Sie selbst haben gesagt, daß Sie dann, wenn Sie noch an der Regierung wären und die Mehrheit gehabt hätten, Frau Schipanski nicht vorgeschlagen hätten. ({2}) Ich halte es für unglaublich und für ein Verheizen von Frauen, immer dann Frauen vorzuschlagen, wenn man weiß, daß ihre Kandidatur aussichtslos ist. ({3}) Bei diesem Verheizen von Frauen machen wir nicht mit. ({4}) Jetzt zum Thema: Schon vor den Wahlen hat sich Rotgrün dazu bekannt, daß eines der wichtigsten Reformprojekte der Aufbruch in der Frauenpolitik ist. Ich gestehe gerne ein, daß es auch mir manchmal zu langsam geht, aber die Häme der Opposition kann ich überhaupt nicht verstehen. Sie ist in dieser Weise nicht angebracht, weil Sie uns einen Riesenreformstau hinterlassen haben. ({5}) Sie waren es auch, die das Wort Reform zu einem Unwort gemacht haben. Menschen hatten doch Angst vor diesem Wort, weil Reform immer Schlechterstellung und Abbau von Leistungen bedeutete. Deshalb haben wir doch jetzt die Probleme, daß die Menschen, wenn wir etwas Neues wollen oder etwas reformieren wollen, Angst haben und sagen: Um Gottes willen, was kommt da auf mich zu; es kann nur alles schlechter werden. ({6}) Wir halten daran fest. Die Gleichstellung der Geschlechter ist für uns d a s Reformprojekt. Dieser Reformwille wird durch das Programm „Frau und Beruf“ deutlich - Frau Bergmann hat gerade darauf hingewiesen -, das im Juni im Kabinett beschlossen wurde. Rückenwind haben wir jetzt über das Europäische Parlament bekommen. In der Entschließung, die Ihnen hier vorliegt, sind vielfache Maßnahmen zum Abbau der Benachteiligung vorgesehen, an denen wir uns auch orientieren. Das ist notwendig, weil die Lage auch hier bei uns in Deutschland desolat ist. Von Chancengleichheit wir haben heute morgen viel darüber gesprochen - kann in der Bundesrepublik nach wie vor nicht die Rede sein. Frauen sind häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen, ganz besonders im Osten. Sie verdienen im Westen in der Regel ein Viertel weniger als die Männer, im Osten bekommen sie 90 Prozent der Löhne, die die Männer erhalten. Die Tendenz geht allerdings nach unten; die Ostlöhne der Frauen werden Stück für Stück auf das Niveau der Westlöhne der Frauen heruntergefahren. Und wen wundert es? -:In den Chefetagen sitzen 3,5 Prozent Frauen. Die Kindererziehung bringt dann allerdings endgültig den Karriereknick, und Teilzeitarbeit beschert den Frauen die schlechten Plätze. ({7}) Im Erwerbssystem werden sie benachteiligt. Wie dann die entsprechende Rente aussieht, können Sie sich vorstellen. Sie hatten als alte Bundesregierung den Frauen außer salbungsvollen Reden nicht viel zu bieten. Sie haben sie aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt. Sie haben es nicht verhindert, daß die bezahlte Arbeit den Männern, die unbezahlte den Frauen gelassen wird. Die Erwerbsquote von Frauen stagniert bei uns seit Jahren. Bei den Frauen zwischen 15 und 65 Jahren liegt sie bei knapp über 60 Prozent, in den skandinavischen Staaten liegt sie bei über 90 Prozent. Ich denke, hier haben wir viel Nachholbedarf. Die Erwerbslosigkeit der Frauen im Osten beträgt 22 Prozent mehr als im Westen, und das ist schon sehr viel weniger, als es noch vor zwei Jahren war, denn es gibt eine hohe Dunkelziffer. Die Frauen im Osten haben inzwischen, ähnlich wie die Frauen im Westen, resigniert und sagen: Wir melden uns gar nicht mehr erwerbslos, weil es für uns sowieso keine Chance gibt. Das heißt, diese Zahlen sind vielleicht doppelt so hoch. Es wird höchste Zeit, daß wir da etwas tun und daß wir dieses Demokratiedefizit endlich beseitigen. Ich finde, es ist mehr als fehlende Demokratie, wenn der Hälfte der Gesellschaft die gleichberechtigte Teilhabe vorenthalten wird und wenn es für Frauen die berühmte gläserne Decke gibt, wenn der Weg nach oben abgeschnitten ist und sie einfach nicht mehr weiterkommen. Dieses Demokratiedefizit ist vorprogrammiert. Sie haben von dem Gleichberechtigungsgesetz gesprochen, das 1994 für den öffentlichen Dienst für 1 Prozent aller erwerbstätigen Frauen ohne verbindliche Vorgaben erlassen wurde. Da wundert es auch nicht besonders, daß dieses Gesetz wirkungslos war. Wir haben von der Ministerin schon Zahlen gehört, wie es im öffentlichen Dienst der Bundesbehörden aussieht. Ich frage Sie: Wie ist es denn eigentlich zu rechtfertigen, daß es bisher keinerlei gesetzliche Frauenförderung für die gesamte private Wirtschaft gibt? Wir haben 1994 doch nicht rein zufällig die Grundgesetzänderung mit aufgenommen. Der Staat ist in der Pflicht, etwas zu tun. Wir haben jetzt 1999. Bisher wurde noch nichts unternommen. Ich denke, die Vergabe von öffentlichen Aufträgen muß endlich an frauenfördernde Maßnahmen gebunden werden. Das ist der richtige Weg. Was ist so schwierig an dem Gedanken, daß Frauenförderung auch für Unternehmen lukrativ ist? Es hapert bei Ihrem Gleichberechtigungsgesetz. Wir werden es ändern. Die Ministerin hat vorhin schon erwähnt, daß die ersten Entwürfe für den öffentlichen Dienst bereits vorliegen. Dieses von Ihnen vorgelegte Gesetz hatte keine Erfolge. Und wenn immer gesagt wird, die Frauen hätten noch so viel nachzuholen, muß ich sagen: Sie stellen 54 Prozent der Abiturienten, 52 Prozent der Studenten, und ihr Anteil im höheren Dienst der Bundesbehörden liegt bei mageren 9 Prozent. Bei den Abteilungsleitern ist es ungefähr 1 Prozent. Ich denke, daß wir hier Handlungsbedarf haben, darf von den Damen und Herren des gesamten Hauses nicht bestritten werden. Wen wundert es, daß Frauen häufig bei der Stellenvergabe oder auch bei der Beförderung benachteiligt werden, wenn die Diskriminierung für die Arbeitgeber so preiswert ist, wie es jetzt der Fall ist? Wir haben im Bürgerlichen Gesetzbuch das Diskriminierungsverbot. Es ist nicht effektiv ausgestaltet. Der Europäische Gerichtshof hat uns seit Jahren ermahnt und gesagt: Hier muß eine Änderung herbeigeführt werden; es darf nicht so billig sein, Frauen zu diskriminieren. Wir haben Vorschläge gemacht, wie bei Diskriminierung zusätzliche Maßnahmen, Schadenersatzansprüche oder auch ein Einstellungsanspruch für die bestqualifizierte Person umgesetzt werden können. Wir brauchen diese wirkungsvollen Maßnahmen; sonst wird man in 50 Jahren tatsächlich feststellen müssen: Wir sind kein Stück weitergekommen. An dieser Stelle werden wir mit unseren Reformen ansetzen. Wir werden ein Gesetz für die Privatwirtschaft vorsehen. Dabei werden wir - das ist doch überhaupt keine Frage - natürlich auf die unterschiedlichen Betriebsgrößen der verschiedenen Einrichtungen Rücksicht nehmen. Aber: Frauenförderung ist notwendig. Wir müssen die Situation der Frauen in den Betrieben stärken, auch durch verbindliche Gleichstellungspläne in großen Unternehmen - ob ab 50 oder ab 100 Beschäftigten, darüber müssen wir uns noch verständigen. Wenn eine Zuwiderhandlung ohne Sanktionen bleibt, dann wird sich kein Mensch daran halten. Sie wissen, wie es beim Gesetz für den öffentlichen Dienst in den Bundesbehörden war: Bis vor kurzem gab es noch zwei oder drei Ministerien, die noch überhaupt keine Gleichstellungspläne erstellt hatten. Die Vorgaben blieben ohne Folgen. Ob etwas getan wurde oder nicht, spielte keine Rolle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat durch das JUMP-Programm inzwischen 150 000 Stellen für junge Menschen geschaffen. Aber wir müssen der Wirtschaft weitere Anreize bieten, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, unter anderem das marktwirtschaftliche Instrument, die Auftragsvergabe an die Ausbildung von Lehrlingen zu koppeln. Aber es gibt auch andere Wege, um den jungen Menschen den Einstieg in das Erwerbsleben zu ermöglichen. Das deutsche Recht hinkt in vielem dem europäischen Recht hinterher. Hier haben wir noch eine Menge anzupassen. Dabei gibt es für uns gute Vorbilder, zum Beispiel die Schweiz, wo es hinsichtlich der Sanktionen das Recht einer Verbandsklage für Frauenverbände, für Gewerkschaften gibt. Der Kreativität sind also keine Grenzen gesetzt. Letztendlich müssen wir bei der Lohndiskriminierung ansetzen. Wir können nicht hinnehmen, daß die gut ausgebildeten Frauen 25 bis 30 Prozent weniger als die entsprechend qualifizierten Männer verdienen. Wir haben einen ersten Schritt gemacht, indem wir beschlossen haben, daß über die Lohndiskriminierung und deren Ursachen - das ist ja nicht gottgegeben - ein ausführlicher Bericht erstellt wird. Nach diesem Bericht werden wir vorsehen müssen, Diskriminierungen auch für kollektive Arbeitsverträge zu verhindern. Aber es geht nicht nur um die gerechte Verteilung der Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern, sondern auch um die Umverteilung von bezahlter und unbezahlIrmingard Schewe-Gerigk ter Arbeit, das heißt die Aufteilung der Familienarbeit zwischen Müttern und Vätern. Da gibt es schon einige positive Beispiele. Wir wollen, daß den jungen Vätern, die bei der Geburt des Kindes häufig noch „mitatmen“, nicht so schnell die Luft ausgeht und sie ihrer Aufgabe gerecht werden können. Darum möchten wir Bündnisgrünen dem Programm „Frau und Beruf“ ein Programm „Mann und Familie“ zur Seite stellen. Ich denke, das ist der richtige Weg, um den vielen motivierten Männern - diese gibt es ja; sie können die guten Vorschläge nur nicht umsetzen - Hilfestellung zu leisten, damit sie das leben können, was sie leben möchten. Es gibt bisher kein Gesetz zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das die gleichberechtigte Erziehungsarbeit tatsächlich ermöglichen würde. Auch das haben wir vorgefunden: daß die alte Regierung Kindererziehung ausschließlich als Frauensache verstanden hat. Zwei Prozent der Väter nehmen Erziehungsurlaub. - An dieser Stelle möchte ich einmal sagen: Wir müssen, wenn wir ein neues Gesetz erarbeiten, endlich von den alten Begriffen Abschied nehmen. Ich habe zweimal „Erziehungsurlaub“ genommen und kann Ihnen sagen: Das ist alles andere als Urlaub; es ist eine ziemlich anstrengende Angelegenheit. Ich schlage vor, wir nennen das einfach „Erziehungsarbeitsgesetz“. ({8}) Wir brauchen - auch die Ministerin hat dies ausgeführt - bessere Betreuungsmöglichkeiten. Sie haben mit Stolz darauf verwiesen, daß Sie den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz umgesetzt haben. Daß für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren die Plätze eingerichtet wurden, hatte doch aber zur Folge, daß es überhaupt keine Chance mehr gab, Kinder unter drei und über sechs Jahren unterzubringen, weil diese Plätze abgebaut wurden. Kinderbetreuung, Ganztagsschulen - das wird eine wichtige Sache sein, damit Väter und Mütter der Erwerbstätigkeit nachgehen können. Heute nehmen etwa 400 000 Frauen jährlich Erziehungsurlaub. Sehen sie sich die Statistiken an: Nur jede zweite Frau kehrt wieder an ihren Arbeitsplatz zurück und das nicht, weil sie gerne zu Hause bleiben möchte, sondern weil es keine familiengerechten Arbeitszeiten gibt, weil es keine Gesetze gibt, die dies unterstützen. Darum haben wir einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit während des Erziehungsurlaubs mit dem Rückkehrrecht auf Vollarbeitszeit vorgesehen. Ich glaube, das ist eine wirksame Maßnahme, durch die es auch den Vätern ermöglicht werden kann, während des Erziehungsurlaubs ihre Familienarbeit mit einer Teilzeitbeschäftigung zu vereinbaren. Wir wollen, daß die Anzahl der Stunden, die jetzt während des Erziehungsurlaubs gearbeitet werden dürfen, von 19 auf 30 Stunden erhöht werden kann; denn diejenigen, die Teilzeitarbeit nachfragen, fragen nicht ungesicherte 19 Stunden nach, sondern sie wollen zwischen 25 und 30 Stunden arbeiten. Das würde dazu beitragen, daß das Geld innerhalb der Familie ausreicht; denn mit einem Einkommen aus 19 Stunden Erwerbstätigkeit plus 600 DM Erziehungsgeld sind die Möglichkeiten sehr schnell versperrt. Wir haben ebenso vor, den Erziehungsurlaub in ein flexibles Zeitkonto umzuwandeln. Auch dazu hat es schon in der letzten Legislaturperiode eine Anhörung gegeben. Es spricht überhaupt nichts dagegen, nach den ersten zwei Jahren Erziehungsurlaub ein flexibles Jahr bis zum 8. Lebensjahr des Kindes einzurichten. Der starre Erziehungsurlaub während der ersten drei Lebensjahre müßte endlich der Vergangenheit angehören, er hat nämlich dafür gesorgt, daß viele Frauen nicht mehr zurückgekommen sind und Väter ihre Verantwortung nicht übernehmen konnten. Ich möchte zum Schluß einen Punkt ansprechen, den ich für zentral halte und über den wir diskutieren müssen. Das sind die Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld. Seit 1986 haben Sie die Einkommensgrenzen nicht erhöht, was zur Folge hatte, daß nur noch 40 Prozent der Eltern das geschmälerte Erziehungsgeld bekommen haben. Wir denken, es ist an der Zeit, das etwas zu erhöhen. Ich weiß, daß die finanzielle Situation schwierig ist, aber wir müssen sehen, wie wir die Familien besser ausstatten können. Es ist schon ein Problem: Wenn das erste Kind in eine Familie hineingeboren wird, wird aus den zwei Einkommen für vormals zwei Personen ein Einkommen für drei Personen. Wenn man dann die 600 DM Erziehungsgeld reduziert, wird die Situation für die Familien wirklich schwierig. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, über den wir in den nächsten Monaten diskutieren sollten; und wir müssen sehen, wie wir das finanzieren können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine gerechte Gesellschaft - darüber haben wir heute morgen gesprochen - ist eine Gesellschaft, die die Rechte der Frauen und die Demokratie zwischen den Geschlechtern nicht hintanstellt. Wir hatten heute morgen eine große Übereinstimmung. Wenn wir Ihnen jetzt unsere konkreten Forderungen vorstellen, hoffen wir, daß wir auch darin Übereinstimmung finden und gemeinsam für die Sache der Frauen ein Stück vorankommen. Vielen Dank. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort die Kollegin Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Initiativen zur Frauenbeschäftigung: gut. Neue Initiativen zur Frauenbeschäftigung: noch besser. Meine Damen und Herren, vor uns liegt ein Antrag, in dem meines Erachtens sehr viel Lyrik und wenig Initiative zu finden ist. Man muß einmal den Begriff „Initiative“ betrachten. Was meinen Sie mit „Initiative“? Meinen Sie das Aufschreiben der Wünsche, oder haben Sie ganz konkrete Vorstellungen? Wenn Sie konkrete Vorstellungen haben, dann muß in diesem Antrag auch eine konkrete Vorstellung zu sehen sein, dann müssen wir ganz genau wissen, was Sie wollen. ({0}) Sie kündigen Initiativen an, nennen aber nicht den Inhalt, und die Opposition kann dazu nur sagen: Hier ist viel heiße Luft enthalten. Der gesamte Antrag verliert sich meines Erachtens im Allgemeinen und wird nur wenig konkret. Frau hat geradezu Glück, wenn Ziele beschrieben werden und der Antrag über das Niveau des gefälligen Allgemeinen und einer puren Zustandsbeschreibung hinausgeht. Meine Damen und Herren von der Koalition, ich möchte wirklich wissen, wo die Initiativen sind. Ich möchte auch gern, daß Sie das halten, was Sie im Wahlkampf versprochen haben. Wo sind denn die Wege? Wo ist in diesem Antrag die Beschreibung des Wann und Wie? Wo ist die Beschreibung der Kosten? Was ist mit der Finanzierung? Sie sagen, Sie wollen mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten haben. Dabei wissen Sie ganz genau, daß wir als Bundestagsabgeordnete Kinderbetreuungsmöglichkeiten in den Kommunen gar nicht initiieren können. Das müssen die Kommunalpolitiker tun. Sie wissen ebenfalls ganz genau, daß die Länder den Kommunalpolitikern immer mehr Geld abziehen. Was soll das also eigentlich? Sie versprechen, was Sie selber im Bundestag nicht halten können. ({1}) Sie haben in Ihrem Bundestagswahlprogramm ganz konkrete Maßnahmen angekündigt, auch was das Aktionsprogramm „Frau und Beruf“ anbelangt. Im Januar 1999 - ich habe die Broschüre hier - gab es ein Arbeitsprogramm der Bundesregierung, und als drittes gibt es eine schöne Broschüre mit dem Titel „Aufbruch in der Gleichstellungspolitik“. Der Reformstau soll beseitigt werden. Wir sind Frauenpolitikerinnen und haben heute morgen gesagt, daß wir sehr viel für Frauen tun wollen. Dafür bin ich auch. Aber ich bin nicht für Ankündigungen, weil die Bürgerinnen und Bürger, die wirklich einmal in die Papiere schauen und uns fragen, was wir eigentlich machen, dann nur heiße Luft finden. Dafür stelle ich mich jedenfalls nicht zur Verfügung. ({2}) Ich nenne in diesem Zusammenhang als ganz konkretes Beispiel die Existenzgründerinnen. Von 1990 bis 1994 war ich im Landtag. Von daher weiß ich, daß wir auf Landkreisebene den Existenzgründerinnen helfen. Auf Bundesebene gibt es Existenzgründerinnenprogramme. Jetzt sagen Sie, Sie wollten den Existenzgründerinnen helfen, und tun so, als sei das etwas ganz Neues. Wissen Sie, was Sie für die Existenzgründerinnen getan haben? Sie haben im letzten Dreivierteljahr den Frauen, die eine Existenz gründen wollten, durch Ihr Scheinselbständigkeitsgesetz Steine in den Weg gelegt. Ein Weiteres: Ich bin dafür, daß Frauen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Wenn Frauen aber nur zwei oder drei Stunden in der Woche arbeiten können, dann sollten sie es auch im Rahmen eines 630-DMVertrages tun können. Sie wissen ganz genau, daß da sehr viele Arbeitsplätze weggefallen sind. Ich rede hier von Arbeitsplätzen, weil es keine Schwarzarbeit ist; das sind ordentlich angemeldete Arbeitsplätze, bei denen auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts kein Schindluder mehr getrieben werden kann. Wir waren uns ja auch alle einig, daß solche Regelungen kommen. ({3}) Sie haben versprochen, die Vergabe öffentlicher Aufträge an familienfördernde Maßnahmen zu binden. Ich habe im Aktionsprogramm wenig dazu gefunden. Es würde mich aber wirklich freuen - das meine ich jetzt ernsthaft -, wenn die nachfolgenden Rednerinnen von SPD und Grünen dazu noch etwas sagen könnten. Frau Ministerin Bergmann wurde am 9. Dezember 1998 - das genaue Datum wissen Sie vielleicht nicht mehr; aber ich habe mir diesen Artikel aufgehoben - im „Expreß“ mit der Ankündigung zitiert, daß die Privatwirtschaft ab einer bestimmten Betriebsgröße zu Frauenförderplänen verpflichtet werden solle. In Bonn haben wir, Frau Ministerin Bergmann, zusammen mit einer Vertreterin der Grünen, die heute nicht anwesend ist, vor 200 bis 300 Frauen „gefightet“. Sie haben bei dieser Diskussion natürlich ein zwingendes Gleichstellungsgesetz angekündigt. Als Vertreterin der F.D.P. sah ich ziemlich alt aus, weil wir den Betrieben Anreize geben wollen und an „total e-quality“ - Prädikatspreise denken. Mit solchen Aussagen sieht man immer älter aus als diejenigen, die behaupten, wenn sie an die Regierung kämen, gäbe es gleich ein Gesetz. Die Vertreterin der Grünen hat bei dieser Podiumsdiskussion auf die Frage, was passieren werde, wenn eine Firma das Gleichberechtigungsprogramm nicht durchsetzt, sogar von Sanktionen gesprochen. Von diesen beiden Punkten - öffentliche Auftragsvergabe und ein Gleichberechtigungsgesetz, das für Betriebe ab 80 bis 100 Mitarbeiter zwingend sein soll - ist in diesem Aktionsprogramm nichts enthalten. Ich fühle mich als Bürgerin also ziemlich veralbert, wenn ich dieses Programm lese. So geht es meines Erachtens nicht. ({4}) Wir sind jetzt in der Opposition. Aber so kann es nicht sein: Man kann nicht vor der Bundestagswahl den Frauen schöne Berge versprechen, wenn es hinterher nur Täler werden. ({5}) In Ihrem Aktionsprogramm steht, daß Sie einen Dialog mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften wollen. Das finde ich toll; da „dialogen“ wir mit. Ansonsten fordere ich Sie auf, bei Ihrem Leisten zu bleiben. Als Politikerinnen können wir lediglich in den Behörden solche Pläne konkretisieren. Wir haben ja schon Frauenförderpläne und Gleichstellungsvorschriften in den Behörden. Das können wir für die Bundestagsverwaltung machen. Wir haben im Frauenausschuß den Entwurf zu dem Bundesgremienbesetzungsgesetz besprochen. Ich hatte mir seinerzeit damit viel Mühe gemacht. Einvernehmlich sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß ein solches Gesetz nichts bringt. ({6}) - Frau Schewe-Gerigk, wissen Sie, an welchem Punkt Sie das ändern können? An dem Punkt, wenn die Bundesregierung selbst Gremien besetzt. ({7}) Sie wissen ganz genau - wenn Sie das noch im Auge und im Ohr haben -: Es gibt andere Gremien, bei denen Sie wenig Einfluß auf die Besetzung haben. Es war auch dem Bundesgremienbesetzungsgesetz zu entnehmen, daß die Bundesregierung wenig Einfluß auf die Besetzung von Gremien hat. Frau Nolte hatte dazu ganz entschuldigend gesagt: Das ist eine tolle Sache, es sind zwei bis drei Prozent mehr geworden; aber wir haben ja keinen Einfluß. Wir wollen einmal sehen, ob Sie auf die Besetzung von Gremien, über die es jetzt zu entscheiden gilt, mehr Einfluß haben werden. ({8}) - Es ist aber die Frage, ob Sie zum Beispiel bei einem Gremium, das entsendet und das von der Wirtschaft und vielleicht auch aus Steuerkassen gespeist wird, überhaupt die Möglichkeit haben, gesetzlich einzugreifen. ({9}) - Wir können darüber gerne im Ausschuß streiten. Soweit ich mich daran erinnern kann - das kann ich sehr gut -, ist es aber so. Ich meine sowieso, daß mit diesen Gesetzen wenig zu machen ist und daß wir es lieber anders versuchen sollten. Darüber können wir dann im Ausschuß reden. Die Frauenerwerbstätigkeit steht im Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Ich finde es schon recht witzig, daß auf der ersten Seite Ihres Antrages ganz deutlich steht - in Prozentzahlen -, wie hoch die Männerarbeitslosigkeit ist, wie hoch die Frauenarbeitslosigkeit ist und wie hoch sie im Osten ist. Die Frauenarbeitslosigkeit im Osten ist wirklich erschreckend hoch; das wissen wir alle. Aber in Ihrem Aktionsprogramm gehen Sie auf die speziellen Ost-Probleme nicht ein. Ich habe jedenfalls nichts davon gesehen. Ich weiß nicht, wo in Ihrem Programm irgendein Punkt dazu zu finden ist. Ich komme aus den alten Bundesländern. Ich bin sehr dafür, daß in den neuen Bundesländern dort, wo eine überproportional hohe Frauenarbeitslosigkeit herrscht, mehr gemacht wird. Das muß ich ganz deutlich sagen. ({10}) Geld steht nur begrenzt zur Verfügung. Ich finde aber, in diesem Punkt müssen die Frauen im Osten wirklich gefördert werden. Ob das geschieht, ist eine Frage, die ich gerne noch beantwortet bekommen würde; denn in Ihrem Programm steht dazu nichts. Ich habe außerdem noch drei Fragen. Dazu habe ich mir das Bundestagswahlprogramm der SPD mit dem Titel „Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit“ vorgenommen. Sie haben in dem Antrag, über den wir jetzt reden, zum Ausdruck gebracht: Die Kinderbetreuungsmöglichkeiten sollen verbessert werden. Ich bin total dafür - ich nenne dazu einmal die volle Halbtagsgrundschule. Bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes müssen wir eine Betreuung ermöglichen. Danach - ich habe das als Mutter mitgemacht - kann man ein Kind schon einmal zwei Stunden alleine zu Hause lassen. Das Kind kann sich dann auch schon selber Spaghetti mit Ketchup kochen - das geht. Im SPD-Programm steht eine Lösung: „Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind mehr Kinderbetreuungseinrichtungen notwendig. Dazu werden wir die Finanzkraft der Länder und Gemeinden stärken.“ ({11}) Sagen Sie mir einmal, wo Sie die stärken wollen! Es gibt ja immer weniger Finanzmittel für die Länder und Kommunen. Die Länder bekommen von Ihnen weniger: Sie werden am Unterhaltskostenvorschußgesetz beteiligt. Sie sollen auch am Arbeitslosengeld und an allem möglichen beteiligt werden. Das sind Millionenbeträge. Nichtsdestotrotz machen Sie hier Versprechungen. Gehen Sie mit dem Programm doch einmal zu Herrn Eichel, und sagen Sie ihm, er solle die Lösungsvorschläge bringen. ({12}) Sie haben das ganz bewußt nicht in Ihren Antrag geschrieben, weil Sie das einfach nicht durchführen können und weil das eine Farce ist. Als zweites würde ich gerne etwas zu folgendem wissen, das auch auf der ersten Seite steht: Gleichberechtigung in Bildung und Ausbildung. Die Mädchen und die jungen Frauen sollen grundsätzlich die Hälfte aller Ausbildungsplätze erhalten. Das ist eine totale Quotierung von Ausbildungsplätzen. Frau Bergmann, Sie haben ich habe sehr genau zugehört - von Quotierung gesprochen. Sie haben aber von einer weichen Quotierung gesprochen, nicht von einer harten 50 : 50-Quotierung. Davon steht gar nichts in Ihrem Programm. Ich will jetzt hier im Parlament erfahren, ob Sie eine 50 : 50Quotierung bei den Ausbildungsplätzen wollen oder ob Sie eine weiche Quotierung - zum Beispiel 30 : 70 oder 20 : 80 - wollen. Da müssen wir einmal Tacheles reden. Da müssen Sie mir jetzt bitte einmal die Auskunft geben, was Sie wollen: Das, was Sie gesagt haben, oder das, was an wenigem in Ihrem Programm steht.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin jetzt fertig. Meine dritte Frage betrifft das zwingende Gleichberechtigungsgesetz: Kommt es jetzt oder kommt es nicht? Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn wir andere Regelungen für die Wirtschaft fänden; denn diese Gesetze vernichten Arbeitsplätze, sie vernichten auch Frauenarbeitsplätze. Ich freue mich auf die intensive Diskussion im Ausschuß. Dort wollen wir ja sehr fachspezifisch und inhaltlich diskutieren. Vielleicht ergeben sich dann noch die einen oder anderen Problemlösungsmöglichkeiten, die Sie heute in Ihrem Programm nicht vorgetragen haben. Ich würde mich freuen, wenn etwas für die Frauen erreicht wird. Sie sind die Regierung, Sie machen das alles. Wir wollen einmal schauen, wie das letztlich endet. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Bläss, PDS-Fraktion.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es bedarf dringend verbindlicher politischer Entscheidungen, die die Chancengleichheit von Frauen und Männern im Beruf und in der Familie mit Nachdruck voranbringen - so der Anspruch des vorgelegten Aktionsprogramms. Die Bundesregierung beschreibt die Mißstände trefflich, die Frauen in allen Bereichen des Erwerbslebens benachteiligen und ihnen die unbezahlte Arbeit überproportional aufhalsen. Sie kritisiert, daß Frauen zu wenig in höheren beruflichen Positionen und besser bezahlten Tätigkeiten vorkommen, und sie sagt zu Recht, das sei weder gerecht noch ökonomisch klug; Staat und Gesellschaft könnten sich dies auf Dauer nicht leisten. Frau Kollegin Diemers, sosehr ich mich freue, jetzt aus den Reihen der abgewählten Bundesregierung verschiedene Akzente und Töne neu zu vernehmen, ({0}) so muß ich doch sagen: Ich kann mich nur wundern, wie Sie, die den Frauen eine solche Misere hinterlassen haben, ({1}) jetzt hier solche Töne anschlagen können. ({2}) 16 Jahre Kohl-Regierung haben dafür gesorgt, daß der Arbeitsmarkt dermaßen geschlechtshierarchisch strukturiert ist, daß die Bundesregierung jetzt wirklich einen ziemlichen Berg zu bearbeiten hat. ({3}) - Ich habe auch noch genug an der Bundesregierung zu kritisieren, aber man sollte in dieser Frage die Kirche im Dorf lassen. ({4}) Die Unterbeschäftigung von Frauen ist volkswirtschaftlich gesehen eine riesige Verschwendung. Sie aber zur unbezahlten Arbeit zu zwingen und den größten Teil der Arbeit erledigen zu lassen, die für das Weiterleben der Gesellschaft unerläßlich ist, ist zutiefst ungerecht. Aber, meine Damen und Herren, es gibt jede Menge Profiteure der patriarchalen Arbeitsteilung, übrigens nicht nur in der Wirtschaft. Selbst der Staat gehört dazu, wenn er Kosten für öffentliche Aufgaben auf die Schultern von Frauen verlegt wie bei der Kinderbetreuung. Das andauernde geschlechtshierarchische Gefälle auf dem Arbeitsmarkt beweist: Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Erwerbsleben läßt sich nicht durch Appelle und gutes Zureden erreichen, schon gar nicht in die Privatwirtschaft. Es wird zu gar nichts führen, an die privaten Betriebe zu appellieren und sie zu Maßnahmen gegen Frauendiskriminierung aufzufordern. Das haben bekanntlich alle Frauenministerinnen in den vergangenen Legislaturperioden versucht, und sie sind alle damit gescheitert. Wo haben sich die Unternehmer für gleichen Lohn bei gleichwertiger Arbeit eingesetzt, obwohl die Gesetze dies fordern? Wo bleibt der unternehmerische Einsatz für die Umsetzung des Art. 3 des Grundgesetzes, in dem es heißt, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind? Die Entwicklung in den neuen Ländern zeigt die Ausmaße auf erschreckende Weise. Hunderttausendfach wurden im Osten die Entscheidung, ob ein Arbeitsplatz an einen Mann oder an eine Frau geht, zugunsten des Mannes getroffen. Diskriminierung von Frauen ist in ganz Deutschland in der Privatwirtschaft ein ganz normaler Vorgang, und dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, setzen Sie nun ausgerechnet auf Freiwilligkeit bei den Unternehmen. Viele Frauen haben gehofft, daß mit Rotgrün endlich ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft kommt. Das hatten Sie den Frauen auch versprochen und in die Koalitionsvereinbarung geschrieben. Dort steht übrigens auch, daß Sie die Vergabe öffentlicher Aufträge an frauenfördernde Maßnahmen binden wollen. Davon ist keine Rede mehr. Nun soll erst einmal geprüft werden, ob bei Vergabe öffentlicher Aufträge auch soziale Kriterien berücksichtigt werden können. Das ist für die Frauen der blanke Hohn, denn da gibt es genauso wenig zu prüfen wie bei der Frage, ob ein Rechtsanspruch auf Teilzeit bei Elternschaft sinnvoll ist oder nicht. Frauenpolitik, meine Damen und Herren, darf nicht zur Prüfaufgabe verkommen. ({5}) In weiten Teilen liest sich das Programm wie ein Katalog zur Besänftigung der Unternehmer und Wirtschaftsbosse. Für die Frauen bleiben Absichtserklärungen, und über die, die auf dem Arbeitsmarkt doppelt diskriminiert sind, wird erst gar kein Wort verloren. Das sind Frauen ohne deutschen Paß, und das sind Frauen mit Behinderungen. Ich begrüße es, daß Sie im Frauenfördergesetz des Bundes mehr Verbindlichkeit durchsetzen wollen, daß Sie dort eine Ergebnisquote einführen wollen und Frauen bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt werden sollen, bis sie nicht länger unterrepräsentiert sind. Aber genau die gleichen Regelungen brauchen wir auch für die Privatwirtschaft. Diskriminierung von Frauen ist keine Privatangelegenheit der Wirtschaft. ({6}) Wir unterstützen ausdrücklich das Vorhaben, Frauen in Lehre und Forschung weiter zu fördern. Im übrigen ist für mich das Engagement der Bildungs- und Forschungsministerin Bulmahn ein Zeichen für den Politikwechsel, den ich mir auf anderen Politikfeldern bei der Bundesregierung immer wünsche, denn Sie machen deutlich, daß Gleichstellungspolitik keine ausschließliche Aufgabe für das Ressort von Frau Bergmann, sondern tatsächlich Aufgabe des gesamten Kabinetts ist. ({7}) Ich hoffe, daß Ihre Ministerkolleginnen und -kollegen Ihnen bei diesem Engagement folgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur mit Quotenregelungen läßt sich heute an der Benachteiligung von Frauen wirksam etwas ändern. Weil Frauen als Gruppe diskriminiert werden, brauchen wir gruppenbezogene Instrumente dagegen. Deswegen warten wir auch auf eine Entscheidung für Quotenregelungen in der Arbeitsförderung. In diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkung zum Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit. Es ist meines Erachtens bisher kein frauenpolitischer Erfolg. Denn wenn wir uns die Zahlen genau anschauen, stellen wir folgendes fest: Von den 107 489 Teilnehmenden sind nur 45 583 Frauen; das sind 42 %. Nun hat Frau Bergmann zu Recht gesagt, wir sollten hier nicht immer nur über Quantitäten diskutieren. Ich habe mich deshalb genau darüber informiert, wie die Beteiligung von Mädchen und jungen Frauen an den wirklich attraktiven ich nenne sie einmal so - Fördermaßnahmen - das heißt, den Lohnkostenzuschüssen und Qualifizierungs-ABM aussieht. Das Bild ist noch nicht so - das wissen Sie, Frau Bergmann -, wie wir es gerne hätten: Ihr Anteil liegt nur bei 32 bzw. 34 Prozent. Hier besteht konkreter Handlungsbedarf. Das Programm ist damit auch ein Beleg dafür, daß gute Absichten allein nicht ausreichen. ({8}) Wir fordern Gleichstellungsbeauftragte in privaten Betrieben, die von den weiblichen Beschäftigten gewählt werden. Wir fordern selbstverständlich auch heute, daß nicht nur die Vergabe öffentlicher Aufträge an Antidiskriminierungsmaßnahmen der Betriebe gebunden wird, sondern daß dies zukünftig auch für öffentliche Subventionen und Fördermittel gilt. Keine staatlichen Mittel mehr für Frauendiskriminierung - das muß in Zukunft klar sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit Frauen in der Privatwirtschaft von mehr Rechten profitieren können, müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Hierzu brauchen wir endlich eine Novellierung des Arbeitszeitgesetzes, die eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 40 Stunden und eine regelmäßige tägliche Arbeitszeit von 7 Stunden vorsehen sollte. Schließlich brauchen wir Freistellungsmöglichkeiten bei Elternschaft, die nicht zu einem faktischen Ausschluß vom Arbeitsmarkt führen. Eltern sollen zwischen voller Erwerbstätigkeit, einer zeitweisen Freistellung oder einer vorübergehenden Arbeitszeitverkürzung wählen können. Darüber hinaus müssen öffentliche Angebote für Kinderbetreuung unbedingt Priorität bekommen. Vom angekündigten Aufbruch zu einer neuen Frauenpolitik ist das Programm „Frau und Beruf“ meines Erachtens noch ein ganzes Stück entfernt. Damit es einer wird - ich glaube, das wünschen wir alle -, muß die Frauenministerin - und hoffentlich nicht nur sie im Kabinett - den Bossen tatsächlich Paroli bieten. Dabei unterstützen wir sie gerne. Ich danke Ihnen. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Christel Humme.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Frau Lenke, an dem heutigen Tag hätten sich eigentlich alle Fraktionen auf einen Text zu einem gemeinsamen frauenpolitischen Antrag einigen können. Leider waren Sie und auch die CDU/CSU nicht in der Lage, mit uns zusammen einen Text zu erarbeiten. ({0}) Ich glaube, Sie haben sich keine Gedanken darüber gemacht, wie Sie in der Zukunft eine bessere Gleichstellungspolitik betreiben könnten als in den vergangenen Jahren. ({1}) Jetzt wieder zur Sache. Lassen Sie mich mit einer kleinen Rückschau beginnen. Vor 24 Jahren erklärte die UNO das Jahr 1975 zum Jahr der Frau. Die anschließenden Jahre bis 1985 erklärte sie zur Dekade der Frau. Viele Frauen, so auch ich, waren damals von diesem symbolischen Akt eher negativ berührt, kannten wir diese Art von Hervorhebungen doch nur für Pflanzen und Tiere, die vom Aussterben bedroht waren. Diesen Eindruck habe ich manchmal heute noch. Meine Herren und Damen, Frauen brauchen keine Sonderbehandlung, damals nicht und auch heute nicht. Sie wollen nicht geschont und nicht protegiert werden. Was sie aber wollen, ist, daß ihre Fähigkeiten und Potentiale anerkannt und auch genutzt werden, und zwar in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Kultur, Medien und Gesellschaft. Das ist ihr gutes Recht, de jure garantiert in Art. 3 des Grundgesetzes. Darüber hinaus können wir es uns schon aus ökonomischen Gründen gar nicht leisten, Frauen außen vor zu lassen; denn keine Gesellschaft kann es sich erlauben, Frauen erst gut auszubilden, um sie dann aus dem Erwerbsleben auszugrenzen. Das gilt erst recht für die Bundesrepublik Deutschland, deren wichtigster Standortfaktor gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. ({2}) Meine Herren und Damen, die Frauen, die vor 24 Jahren skeptisch waren, fühlen sich heute bestätigt. Allein ein Jahr oder ein Jahrzehnt der Frau auszurufen hat noch keine Gleichstellung gebracht. Die Politik war und ist gefordert. Aber Sie, meine Herren und Damen von der CDU/CSU und der F.D.P., haben die 16 Jahre Ihrer Regierungszeit ungenutzt verstreichen lassen. ({3}) Sie haben keine moderne Frauen- und Familienpolitik betrieben und damit die Gleichstellung nicht vorangebracht.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Das ist der Grund, warum unser Antrag „Neue Initiativen zur Frauenbeschäftigung“ auf der Tagesordnung steht. Dieser Antrag greift die Kritikpunkte des Europäischen Parlaments auf. Das Europäische Parlament hat in seinem Bericht und in der dazugehörigen Entschließung die zu hohe Arbeitslosigkeit der Frauen in Europa kritisiert und von seinen Mitgliedstaaten entsprechende Maßnahmen gefordert. Die dort beschriebenen Versäumnisse gehen auf Ihr Konto, meine Herren und Damen der Opposition. ({0}) Ich weiß, daß bei Ihnen ein Antrag diskutiert wird, der sich „Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland“ nennt. Aber auch dieser kleine Antrag, auf den ich gleich noch einmal eingehe, kann über Ihre Verantwortung nicht hinweg täuschen. Die Folge Ihrer Untätigkeit ist der heutige Zustand. Was wir tatsächlich haben, ist Gleichberechtigung ohne Gleichstellung. So verzeichnet die Bundesrepublik noch immer eine Frauenerwerbsquote, die niedriger ist als die in vielen anderen hochentwickelten Industriestaaten. Die Löhne und Gehälter der Frauen - Frau Ministerin hat dies gerade schon erwähnt - sind um ein Drittel niedriger als die der Männer. Dementsprechend und auf Grund der meist familienbedingt lückenhaften Erwerbsbiographien sind auch die Renten der Frauen niedriger als die der Männer. Allgemein gilt: Frauen sind häufiger von Armut betroffen. - In den neuen Bundesländern, in denen die Arbeitslosigkeit ohnehin ein trauriges Niveau aufweist, sind es wiederum Frauen, die stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als ihre männlichen Kollegen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik in den letzten Jahren. ({1}) Ich möchte jetzt nicht noch auf die Defizite beim Thema „Frauen in Führungspositionen“ eingehen. Ministerin Christine Bergmann hat dies bereits erwähnt. Ich möchte nur aufnehmen, daß wir heute die Situation haben, daß Frauen wesentlich besser qualifiziert sind, als es früher der Fall war - sogar besser als die Männer. Meine Herren und Damen, Sie sehen, es liegt nicht an den Frauen, wenn sie im Berufsleben den kürzeren ziehen, sondern an den Hürden, die vor ihnen aufgebaut werden. Hürde Nummer eins: Viele Unternehmen ziehen noch immer die männlichen Konkurrenten ihren weiblichen Konkurrentinnen vor. Und warum? Die Leistungsfähigkeit und die Qualifikationen der Frauen können, wie wir hier gerade festgestellt haben, nicht der Grund sein. Nach wie vor aber gilt, daß viele Unternehmer gerade bei jungen Frauen annehmen, daß sie nach der Realisierung des Kinderwunsches ganz oder zumindest teilweise aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Mit anderen Worten: Für den Unternehmer lohnt es sich offensichtlich nicht, in seine Arbeitnehmerinnen, in ihr spezifisches Humankapital, zu investieren. Hürde Nummer zwei: Die Frauen entscheiden sich nicht so häufig für zukunftsträchtige, technisch orientierte Berufsausbildungen wie Männer. Aber warum? Ein Grund ist, daß es Frauen hier einfach an Vorbildern fehlt. Es gibt eben kaum Ingenieurinnen, Nachrichtentechnikerinnen, Informatikerinnen usw. Das Eindringen in von Männern dominierte Berufsfelder ist deshalb schwierig. Und es wird den Frauen darüber hinaus vielfach unnötig erschwert: Professoren ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge, die die Studierenden mit „meine Herren“ begrüßen, die Studentinnen wohlweislich übersehend, sind nur ein kleines Beispiel für die Schwierigkeiten, mit denen Frauen konfrontiert werden. Hürde Nummer drei: Auf Grund der meist niedrigeren Löhne und Gehälter der Frauen ist es dann tatsächlich ökonomischer, wenn nach der Geburt eines Kindes die Frau ihre Erwerbstätigkeit unterbricht und nicht der Mann. Was aber wird dadurch ausgelöst? Die Annahmen des Arbeitgebers haben sich bestätigt. Die Betriebszugehörigkeit der Frau ist tatsächlich kürzer, Investitionen sind damit weniger lohnend. Und zu Hause? Zu Hause zementiert sich derweil die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Ein Teufelskreis entsteht, ein Teufelskreis, den wir durchbrechen werden. ({2}) Die zuvor genannten Hürden abzubauen, das ist unser Ziel, und zwar durch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen einerseits und einen gesamtgesellschaftlichen Reformprozeß andererseits. Genau hier setzt die Bundesregierung mit ihrem Programm „Frau und Beruf“ an. Meine Herren und Damen, mit diesem Programm machen wir einen großen Sprung in die richtige Richtung. Wir möchten aber die Männer hierbei mitnehmen und auch ihnen auf die Sprünge helfen, ({3}) ihre tradierten Rollenbilder zu überdenken, aufzulösen und zu modernisieren. An dieser Stelle greift der Antrag, den Sie von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegt haben, zu kurz. Denn Sie - das hat man in Ihren vorherigen Reden gehört - fordern Veränderungen nur bei den Frauen. Wiederum ist es nur das Problem der Frauen, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. ({4}) Sie lassen die Männer völlig unberücksichtigt und die Frauen mit ihrer Doppel- und Dreifachbelastung allein. ({5}) - Von Freude, Frau Diemers, kann hierbei keine Rede sein. ({6}) Denn solange sich bei den Männern nichts ändert, kann sich bei den Frauen trotz Quote, Frauenförderung und Frauenbeauftragter wenig bewegen. Das im Rahmen des Programms „Frau und Beruf“ geplante Gleichstellungsgesetz bezüglich der privaten Wirtschaft wird natürlich nur dann greifen, wenn gleichzeitig Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familienund Erwerbsarbeit gefördert und Männer in die Familienarbeit einbezogen werden. Das steht den Interessen der Männer keineswegs entgegen. Denn auch viele Männer wollen nicht einseitig auf ihre Rolle im Erwerbsleben festgelegt werden. Auch sie wollen Zeit für Partnerschaft und Kindererziehung haben. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die geplante Kampagne für ein neues Männerbild und ebenso die Weiterbildung männlicher Führungskräfte. So bietet bereits ein EU-Projekt Väterförderung - dies ist also möglich - im Rahmen einer Managerschulung an. Wir möchten auch, daß Teilzeitarbeit in Führungspositionen anerkannt und akzeptiert wird, wie in Dänemark, wo es Betriebe gibt, in denen Spitzenpositionen mit zwei Teilzeitkräften, einer männlichen und einer weiblichen, besetzt werden. Auch bei uns gibt es bereits Unternehmen, die die Vorteile der Beschäftigung von Frauen erkannt haben. Diese Unternehmen versuchen, ihre Arbeitnehmerinnen mit gezielten Programmen, an sich zu binden. Denn sie wissen um die spezifischen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiterinnen wie soziale Kompetenz, Teamfähigkeit, Kreativität, Belastbarkeit und Organisationstalent. Dies alles sind Fähigkeiten, die heute - und noch mehr morgen - in einer vernetzten und globalisierten Welt dringend gefragt sind. Wir möchten die Unternehmen ermuntern, diese Wege fortzusetzen. Meine Herren und Damen, mit den an dieser Stelle genannten Maßnahmen, die nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Programm „Frau und Beruf“ darstellen, hat die Bundesregierung die richtigen Antworten auf unseren Antrag gefunden. Wir überwinden damit die Hürde Nummer eins und erreichen, daß Frauen gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt eingeräumt werden. Das Programm „Frau und Beruf“ fördert Frauen unter anderem in technischen Berufen und räumt damit die Hürde Nummer zwei ebenfalls aus. Das Sofortprogramm wurde von Ministerin Christine Bergmann bereits erwähnt. Man sollte noch darauf hinweisen, daß eine berufliche Förderung von Frauen in den Schwerpunkten Informatik und Technologie durchgeführt wird. Darüber hinaus werden Frauen gefördert und unterstützt, die eine Ausbildung im Handwerk anstreben. ({7}) Darlehens- und Beratungsprogramme unterstützen Existenzgründerinnen und ermuntern Frauen, eine eventuelle Firmennachfolge anzutreten. Die Reform des Arbeitsförderungsrechts 2000 enthält die Überprüfung dieser Regelungen auf ihre frauenpolitische Wirkung. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge wird geprüft, inwieweit soziale Kriterien berücksichtigt werden können. Meine Herren und Damen, sind die entscheidenden Hürden erst überwunden, sind die Voraussetzungen geschaffen, den von mir zuvor beschriebenen Teufelskreis zu durchbrechen. „Frau und Beruf“ heißt dann auch „Mann und Familie“. Mit dem Programm „Frau und Beruf“ schaffen wir einen neuen Aufbruch in der Gleichstellungspolitik und setzen wir die Forderungen des Europäischen Parlaments nach einer nachhaltigen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und nach einer Verbesserung der Stellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt um. Meine Herren und Damen, ein UNO-Jahr des Mannes hat es nie gegeben. Ich setze darauf, daß das Programm „Frau und Beruf“ dazu beiträgt, daß auch zukünftig niemand mehr auf den Gedanken kommen wird, ein Jahr der Frau auszurufen, und zwar deshalb, weil gleich gute Lebens- und Erwerbsbedingungen für Frauen und Männer zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin Humme, das war Ihre erste Rede in Berlin, im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses ({0}) und freue mich, daß Sie Ihre Redezeit sogar unterschritten haben. Das ist ja eine unglaubliche Disziplin. Herzlichen Glückwunsch! Das Wort hat nun die Kollegin Dorothea Störr-Ritter.

Dorothea Störr-Ritter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003241, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Demokratie setzt die Verwirklichung einer echten Partnerschaft zwischen Männern und Frauen bei der Führung der Angelegenheiten der Gesellschaft voraus. Wenn wir einen demokratischen Staat erreichen - ich möchte sagen: praktizieren wollen, müssen Männer und Frauen gleichberechtigt und sich gegenseitig ergänzend daran arbeiten und ihre Unterschiede zu einer Bereicherung für beide Seiten werden lassen. So sagte es gestern an dieser Stelle Frau Professorin Heptulla. Es ist wichtig, solche Aussagen immer wieder zu zitieren. Zu schnell geraten solche - wie manche vielleicht meinen - Selbstverständlichkeiten im Alltagsgeschehen in Vergessenheit. Vor allem ist diese Erkenntnis dem Alltagsgeschehen an vielen Stellen weit voraus. Im Idealfall sollen Männer und Frauen also bei der Führung aller Angelegenheiten der Gesellschaft, das heißt im politischen, im beruflichen und im privaten Bereich, sich gegenseitig ergänzend arbeiten. Unsere heutige Debatte zeigt, daß wir alle, meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, Interesse daran haben, vor allem auch bei den beruflichen Angelegenheiten ein Defizit zu beseitigen, das heißt, Frauen Chancen zu geben, gleichberechtigt am Erwerbsleben teilzunehmen. Wir haben in den letzten Jahren bereits Positives erreicht. Auch daran sollten wir in einer ehrlichen Debatte erinnern und nicht alles nur schlechtreden. ({0}) Laut einer aktuellen Studie zum Thema „Männer und Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft“ steigen in Deutschland immer mehr Frauen in Führungspositionen in Unternehmen auf. Auch das kann man positiv sehen, Frau Ministerin. Der Wunsch nach Kindern und Familie stellt dabei offenbar kein Hindernis dar. Angestellte Frauen in den alten Bundesländern holen im Verdienst gegenüber ihren weiterhin besser gestellten männlichen Kollegen auf. Im Januar 1999 erhielten Frauen im Durchschnitt rund 70 Prozent des Gehaltes von Männern. Das ist deshalb interessant, weil es - so das Statistische Bundesamt - im Jahr 1960 erst 55 Prozent waren. Ich meine, auch das ist ein Schritt auf dem Weg in die richtige Richtung. Wirkliche Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt herzustellen und Frauenarbeitslosigkeit zu beseitigen ist unser gemeinsames Ziel. Während Sie, meine sehr verehrten Herren und Damen der Koalition, jedoch glauben, mit Ihrem Antrag den großen Coup zu landen, aber nichts anders als die altbekannten Phrasen liefern das wurde von meinen Vorrednerinnen schon gut herausgearbeitet -, sind wir mit unserem Antrag ein Stück konkreter. Viel schwerwiegender ist jedoch, daß Sie in Ihrem ersten Regierungsjahr am laufenden Band Gesetze produzierten, die in Lebenswirklichkeiten, wo Frauen tatsächlich Arbeit haben, wo Frauen anderen Frauen Arbeit bieten, die Zukunftschancen dieser Frauen aufs Gröbste beschnitten, wenn nicht gar unmöglich machten. ({1}) Sie haben in bestehende Erwerbsbiographien eingegriffen und Frauenarbeitspläne verhindert, so daß Sie vor Scham eigentlich noch röter werden müßten, wenn Sie nun eine neue Initiative zur Frauenbeschäftigung verlangen. Ich will Ihnen deutlich machen, daß Sie offensichtlich keine Ahnung davon haben, daß sich viele Frauen längst von der Gesellschaft emanzipierten, ohne großes Geschrei einer Arbeit nachgehen, die Existenz einer Familie stützen, Beruf und Familie ohne große staatliche Hilfe verbinden und anderen Frauen dabei frauenfreundliche Arbeitsplätze bieten. Ich spreche von den mitarbeitenden Ehefrauen in mittelständischen Betrieben und von den vielen Frauen, die als Unternehmerinnen - oft Kleinstunternehmerinnen - sich selbst und anderen Frauen Arbeitsplätze bieten. Mitarbeitenden Ehefrauen im Handwerk, die im übrigen von Mitarbeitern und Geschäftspartnern längst als Chefinnen anerkannt werden und heute durch Eigeninitiative sowie durch die Unterstützung von Kammern und Verbänden seit langem über eine ausgezeichnete Professionalität verfügen, muß es wie glatter Hohn vorkommen, wenn Sie nun die Förderung von Frauen im Handwerk fordern, während Sie diese Familienbetriebe weiterhin durch zu hohe Steuerbelastungen, zum Beispiel durch die Ökosteuer, ({2}) durch die Wiedereinführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, durch Änderung des Kündigungsschutzgesetzes und durch die chaotische Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung so belasten, daß viele vor dem Ruin stehen und keine Nachfolgerinnen finden. ({3}) Das liegt keineswegs an der Managementunfähigkeit dieser Unternehmerinnen, sondern an der Tatsache, daß nicht jede Frau, die ein Geschäft hat, auch unendlich geschröpft werden kann. - Das hören Sie nicht gern, aber ich habe so viele Gespräche geführt, die mich in der Absicht bestärkt haben, dies hier noch einmal ganz deutlich zu machen. ({4}) Dasselbe gilt im übrigen für den Bereich der Gastronomie, des Fremdenverkehrs und der Landwirtschaft. ({5}) Wenn Sie nun ein Gesetz zur Entlastung von Kapitalgesellschaften planen, so liegen Sie wieder voll daneben, weil von zirka 3 Millionen Unternehmen in der Bundesrepublik nur rund 400 000 GmbHs sind, nur rund 2 500 Aktiengesellschaften, aber über 2 Millionen Einzelunternehmen. Der Rest sind Kommanditgesellschaften und OHGs, sprich: ebenfalls mit dem Privatvermögen haftende Unternehmen; von den 600 000 Selbständigen in freien Berufen ganz zu schweigen. Die den Betrieben auferlegten Belastungen in ihrer Gesamtheit führen häufig dazu, daß Mann und Frau partnerschaftlich als Unternehmer arbeiten, für humane Arbeitsplätze verantwortlich zeichnen und am Ende des Monats so viel für ihre Familien übrig haben wie ein mittlerer Angestellter. Was muten Sie diesen Frauen zu, meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen? ({6}) - Ich lasse mich nicht unterbrechen. ({7}) - Das soll er auch. Ich vertrete die mittelständischen Unternehmen und da insbesondere Frauen. ({8}) Ist es nicht zumindest auch lächerlich, wenn Sie verbesserte Chancen für Existenzgründerinnen fordern und ihnen gleichzeitig, sofern sie den Gründungsmut hatten, nichts als Belastungen auferlegen? ({9}) - Sie könnten mir freundlicherweise zuhören. Die Beschaffung von Start- und Fremdkapital sollten Sie nicht auch noch unterstützen, wenn Sie diesen Frauen bei florierendem Geschäft keinen Gewinn übrig lassen wollen. Wer selbständig tätig ist und haftet, braucht wenigstens Vermögen, um überhaupt haften zu können. Wenn Sie nun daran denken, die Vermögensteuer oder eine Vermögensabgabe einzuführen, bestrafen Sie alle Frauen, die bereits etwas erwirtschaftet haben oder durch ihrer Eltern Arbeit etwas erbten und diese Vermögen für einen eigenen Betrieb einsetzen wollen. ({10}) Vielleicht sind Sie auch noch gar nicht auf die Idee gekommen, daß viele qualifizierte junge Frauen den vollen Ertrag aus einer Lebensversicherung der Eltern brauchen könnten und ihn nutzen würden, um sich und anderen damit eine Existenz aufzubauen. ({11}) - Habe ich nicht vergessen. Aber man muß schließlich die Gesamtzusammenhänge sehen. Vielleicht sollten Sie wirklich einmal mit den 25 Prozent weiblichen Unternehmerinnen sprechen, die wir in Deutschland zum Glück schon haben. Das ist noch zuwenig, aber so viele haben wir. Dann würden Sie auch erkennen, daß gerade diese große Bereitschaft zeigen, andere Frauen einzustellen, und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern. Dazu brauchen diese Frauen keinen Staat, sondern die Möglichkeit, flexibel zu handeln und vor allem Geld zu verdienen. Apropos Förderung von Frauen im Dienstleistungsbereich: Gerade dort gehen Frauen bewußt gern den Weg der Selbständigkeit. Ihr Gesetz zur Regelung der Scheinselbständigkeit hat diesen Weg für viele Frauen unmöglich gemacht. ({12}) Zumindest haben Sie viele Frauen entmutigt und verängstigt, einen solchen Weg einzuschlagen. Sie beklagen mangelhaften Zugang zu Start- und Fremdkapital für Frauen. Sie selbst aber werfen diesen Frauen die dicksten Knüppel zwischen die Beine. Mir scheint, Sie haben auch nie darüber nachgedacht, daß Frauen für den Umsatz in ihren Betrieben und für ihre Mitarbeiterinnen auch Kunden brauchen, also Nachfrage nach Produkten und Leistung. Die Schneidermeisterin lebt nun einmal von den Kunden, die das Geld haben, sich etwas nähen zu lassen. - Dazu gehören übrigens auch die Rentner. - Die Raumausstatterin lebt von Kunden, die sich neue Vorhänge in größerem Stil leisten können. Die Architektin lebt von Menschen, die sich ein Haus bauen können. Die Wirtin lebt von Gästen, die es sich leisten können, essen zu gehen. Die Bäuerin lebt von Kunden, die teure Ökoprodukte kaufen können. Wenn Sie nicht schnellstens dafür sorgen, daß auch die Spitzensteuersätze bei der privaten Einkommensteuer gesenkt werden und die Mitte unserer Gesellschaftspyramide, ({13}) die das wirtschaftliche Fundament darstellt, am Monatsende von ihren Einkünften genügend übrig hat, werden die willigsten und engagiertesten Frauen in ihren Geschäften immer weniger Umsatz machen. ({14}) Solange Sie nicht begreifen, daß Sie mit Ihren völlig falschen Ansätzen - wir sind auf dem besten Weg in eine Staatswirtschaft; das haben wir vorhin zur Genüge hören können ({15}) in der Wirtschafts- und Steuerpolitik ständig Arbeitsplätze und Existenzen von Frauen gefährden oder vernichten und damit für andere Frauen Chancen auf einen Arbeitsplatz verhindern, sollten Sie Ihre Forderungen wieder einstampfen. ({16}) Sie sind nichts als scheinheilig und vor dem aufgezeigten Hintergrund, den Sie offensichtlich nicht zu ändern gewillt sind, alles andere als ein erfolgversprechender Schritt. Danke. ({17})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt die Ministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wir stehen vor der Wende zum nächsten Jahrtausend. Ich werde in den letzten Wochen als Forschungsministerin immer wieder gefragt, wie unsere Zukunft im 21. Jahrhundert aussehen wird. Ich sage Ihnen eines, meine Herren und Damen: Unsere Zukunft ist vor allem weiblich. ({0}) Die Frauen- und Emanzipationsbewegung der 70er Jahre war wichtig und wertvoll. Sie hat der Gleichstellung den nötigen Schwung gebracht und dem Bewußtseinswandel einen gehörigen Schub gegeben. Eine Erkenntnis hat sich längst durchgesetzt: Überall, ob in den Chefetagen der Wirtschaft, in den Universitäten und in der Forschung, sind die Kompetenzen von Frauen gefragt. Junge Frauen verstecken sich nicht mehr. Sie sind selbstbewußt. Sie wissen, was sie können und was sie wollen. Sie stellen sich nicht mehr die Frage: Familie oder Beruf? Sie wollen beides, und das ist selbstverständlich für sie. ({1}) Eine Menge von dem, was Frauen in diesem Jahrhundert wollten und wofür sie gekämpft haben, ist erreicht. Wir haben in den letzten 30 Jahren große Fortschritte erreicht, vor allem im Bildungsbereich. Die Bildungsreform, der Bildungsaufbruch der sozialliberalen Koalition, hatte vor allem ein Ergebnis: Nicht mehr die Frage, ob Junge oder Mädchen ist entscheidend für die Bildungschancen von Menschen, sondern das Können, die Fähigkeiten und der Wille des Menschen. ({2}) Das Ergebnis, meine Herren und Damen, läßt sich sehen: Der Anteil der Abiturientinnen lag bei über 50 Prozent - ganz genau sind es 54,9 Prozent - im Jahre 1997. Der Anteil der Universitätsabsolventinnen, nicht nur der weiblichen Studierenden, lag im gleichen Jahr knapp unter 50 Prozent - eine Steigerung über 50 Prozent werden wir auch hier in den nächsten Jahren noch erreichen -, und das nicht nur in den sogenannten frauentypischen Studiengängen. Die Betriebswirtschaftsstudentinnen zum Beispiel sind in vielen Hörsälen inzwischen die Mehrheit der Studierenden. Ich finde, wir können darauf stolz sein. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, zu glauben, jetzt sei alles erreicht, der Fortschritt werde nun automatisch weitergehen, Frauen und Männer hätten jetzt automatisch überall die gleichen Chancen. Es liegt noch ein ziemlich weiter Weg vor uns. Der Frauenanteil an Professuren zum Beispiel ist zwar in den letzten Jahren gestiegen, aber liegt noch immer deutlich unter 10 Prozent. Das ist zuwenig. In den Chefetagen der Wirtschaft finden wir nur 6 Prozent Frauen, wenn wir die mittlere Ebene hinzunehmen. Auch das ist noch viel zuwenig. Bei den Führungspositionen der großen Forschungseinrichtungen - da hat der Bund eine ganze Menge zu sagen - macht der Anteil sogar nur 4 Prozent aus! Bei der Helmholtz-Gesellschaft, wo der Bund 90prozentiger Finanzier ist, gibt es sogar nur 2 Prozent Frauen. Das muß man einfach einmal sagen. Da ist viel zuwenig geschehen, gerade dort, wo die Bundesregierung, wo der Bund unmittelbar einwirken kann. ({3}) Ich finde, das ist wirklich beschämend; das zwingt uns auch, zu handeln. Die Wählerinnen haben uns im letzten Jahr deutlich gesagt: Jetzt ist Schluß mit den Lippenbekenntnissen, wir wollen Taten sehen. Und sie haben uns den Auftrag dafür gegeben. Die Bundesrepublik braucht die Fähigkeiten und Kompetenzen von Frauen für den Fortschritt in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft insgesamt. ({4}) Wir sind ein rohstoffarmes Land. Wir leben von den Fähigkeiten und vom Wissen der Menschen. Das heißt. wir leben von den hochqualifizierten Frauen und Männern. Es ist schlicht dumm, meine Herren und Damen, wenn wir darauf verzichten, das Potential der Hälfte der Menschen in diesem Land zur vollen Entfaltung zu bringen. ({5}) Es muß auf die Intelligenz, auf das Können, auf das Wissen und auf die Fähigkeiten aller Menschen ankommen. Wir müssen dafür sorgen, daß die Professorinnen nicht nur als Raritäten an den Hochschulen vorkommen; vielmehr müssen sie das Bild der Hochschulen genauso prägen wie die Professoren. In anderen Ländern geht es doch auch, und zwar nicht nur in Dänemark, sondern auch in Spanien. Wir müssen unsere Chance der Zukunftsgestaltung jetzt ergreifen. Bildung und Forschung spielen dabei eine Schlüsselrolle. Es geht jetzt darum, nicht die alten Verhältnisse zu zementieren, sondern den Generationenwechsel in Wissenschaft und Wirtschaft zu nutzen. Wir haben damit bereits angefangen. Die Bundesregierung hat gleich zu Beginn ihrer Arbeit das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gestartet. Wir haben hierbei unser besonderes Augenmerk auf die Gleichstellung von jungen Frauen und Mädchen gerichtet. Wir haben vorgeschlagen - die Vorschläge sind auch umgesetzt worden; Erfolge sind erkennbar -, daß junge Frauen entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung berücksichtigt werden und daß zum Beispiel die regionalen Projekte, durch die ausdrücklich junge Frauen in zukunftsträchtige Berufe vermittelt werden sollen, besonderen Vorrang erhalten. Genau das ist der richtige Ansatz. Damit sind die Weichen gestellt. Aber das ist nur ein kleines Segment aus dem, was wir schon getan haben. Ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit bestand in der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Das ist eine der entscheidenden und wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung. ({6}) Ich appelliere an dieser Stelle an die jungen Frauen: Gehen Sie nicht nur in die klassischen Berufe! Frauen können beides. Sie können sowohl die typischen und klassischen Frauenberufe gut ausfüllen, aber auch eine Menge in den sogenannten Nichtfrauenberufen leisten. Nutzen Sie die Chancen der neuen Berufe in den Informations- und Kommunikationstechnologien! Gerade in diesen Bereichen sind neue Ausbildungsberufe für Frauen entwickelt worden. Gerade in diesen Bereichen gibt es für junge Frauen exzellente Beschäftigungschancen. Nutzen Sie die Möglichkeiten, die Ihnen geboten werden! Zum Beispiel gibt es die Mediengestalterin für Digital- und Printmedien, die Kauffrau für audiovisuelle Medien, die Fachangestellte für Medien- und Informationsberufe und - ganz neu - die Informationselektronikerin. Das sind alles wichtige, zukunftsträchtige Berufe. Im „Bündnis für Arbeit“ haben wir uns in der Arbeitsgruppe „Aus- und Weiterbildung“ darauf verständigt, bis Oktober dieses Jahres neue Ausbildungsberufe zu schaffen, und zwar in den Bereichen Freizeit, Verkehr, Gesundheit, Kultur, Tourismus, Logistik und Umwelt. Das sind Dienstleistungsbereiche mit außerordentlich guten Beschäftigungschancen für Frauen. Ich bin sicher, daß die neuen Ausbildungsberufe in diesen Bereichen gerade bei Frauen gut ankommen werden. Damit aber nicht genug. Wir motivieren, fördern und unterstützen Frauen zum Beispiel auch bei der Ablegung der Meisterinnenprüfung. Mir reicht es - ganz offen gesagt - nicht, wenn eine Frau im Unternehmen nur mitarbeitet. Das finde ich zwar richtig, aber ich möchte auch, daß sie selber die entsprechende Qualifikation hat, um ein Unternehmen zu leiten. ({7}) Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wir haben es durch unsere politischen Entscheidungen den kleinen und mittleren Unternehmen nicht schwerer gemacht, im Gegenteil: Wir haben zum erstenmal seit 16 Jahren die Sozialversicherungsabgaben gesenkt. Das hilft gerade den kleinen und mittleren Unternehmen. ({8}) - Wenn Sie schon davon sprechen, dann heißt es „Milchbübchenrechnung“. Aber auch das ist es nicht. Meine Herren und Damen, an den Hochschulen unseres Landes findet zur Zeit ein umfassender Generationenwechsel statt. Diese Chance müssen wir nutzen, um gerade den Anteil der Frauen an den Professorenstellen zu erhöhen. Wir brauchen mehr Professorinnen. Wir wollen das nicht über Quoten, sondern über Strukturveränderungen erreichen. Das ist ein ganz wichtiger Grund für mich, warum ich das Dienstrecht ändern möchte. Ich möchte mit der Einführung von Assistenzprofessorinnen und Assistenzprofessoren gerade jüngeren Frauen eine bessere Chance für das Erreichen einer Professorstellen geben. Ich möchte, daß unser wissenschaftlicher Nachwuchs unabhängig von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen sehr früh - deutlich früher als bisher - wirklich selbständig lehren und forschen kann. Alle Erkenntnisse zeigen eines deutlich: Es motiviert und hilft gerade Frauen, wenn sie selbständig arbeiten können. Deshalb ist diese Strukturveränderung auch eine ganz klare Frauenfördermaßnahme. Die Herstellung von Chancengleichheit für Frauen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, meine Herren und Damen, ist keine Sonderaufgabe, auch wenn Aufgaben dieser Art in der Vergangenheit immer als Sonderprogramm formuliert wurden. Es ist - sicherlich noch für die nächsten 20 Jahre - eine Daueraufgabe. Ich habe mit den großen Forschungseinrichtungen in Deutschland vereinbart, daß sie entsprechende Personalentwicklungspläne zur Chancengleichheit mit konkreten Zielvorgaben vorlegen. Das gab es bisher nicht. ({9}) Der Rückenwind für die Frauen in den großen Forschungseinrichtungen ist spürbar. Das sagen mir die Frauen selbst. Mit den Ländern verhandle ich über Frauenförderungen für die Hochschulen. Mit dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft und mit den Ländern habe ich das Emmy-Noether-Programm auf den Weg gebracht. Es handelt sich um ein Programm für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, das die Selbständigkeit der Forschung ausdrücklich in den Vordergrund stellt und deshalb gerade von Wissenschaftlerinnen sehr gut angenommen wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Das mache ich immer sehr gerne.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Bulmahn, ich habe eine ernsthafte Frage. Wenn Sie Frauen an den verschiedenen Stellen in den Hochschulen fördern wollen, dann wollen Sie auch junge Frauen fördern. Frauen sind in ihrer Ausbildung oftmals bis zum 30. Lebensjahr an den Hochschulen. Das gilt auch für Assistenzprofessorinnen. Was tun Sie, um mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu schaffen, damit die Frauen neben ihrem Studium und neben ihrem Beruf Kinderbetreuungsplätze an Hochschulen vorfinden können und in Ruhe Kinder bekommen können? Wir wissen, daß die kommunalen Kindergärten ganz andere Öffnungszeiten haben, als die Studentinnen und Beschäftigte an den Hochschulen brauchen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Bei den Großforschungseinrichtungen, für die ich unmittelbare Verantwortung trage, war das eine derjenigen Angelegenheiten, die ich sehr schnell umgesetzt habe. Ich habe mit den Großforschungseinrichtungen vereinbart - inzwischen ist es geschehen -, daß in den Großforschungseinrichtungen Kindergärten eingerichtet werden. Im übrigen, ist das von der alten Bundesregierung blockiert worden. ({0}) Ich habe in der ersten Senatssitzung der Max-PlanckGesellschaft, an der ich teilgenommen habe, gemeinsam mit dem Präsidenten und der Geschäftsführerin im Senat durchgesetzt, daß Kinderbetreuung zu einer Aufgabe der Max-Planck-Gesellschaft wird und auch finanziert werden kann. Das war bis dahin nicht möglich. ({1}) Ich habe darüber hinaus gezielt für Forscherinnen in den Großforschungseinrichtungen 100 Stellen zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um eine Vereinbarung mit der Helmholtz-Gemeinschaft. Ich werde als Ministerin dafür sorgen, daß die weibliche wissenschaftliche Elite in Deutschland immer größer wird. ({2}) Ich kann nicht alles aufzählen, was ich noch gemacht habe. Ich bin aber erst ein Jahr im Amt, und meine Bemühungen werden sich fortsetzen. Ich versichere zum Schluß, daß die Frauen in diesem Land in der Bundesregierung und erst recht in ihren Ministerinnen verläßliche Partnerinnen haben, auf die sie bauen können. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege Gerald Weiß, CDU/CSUFraktion.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Vizepräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich ergreife als erster Mann in dieser Debatte das Wort. ({0}) Ich wollte mich in geziemender Weise einsichtig und moderat verhalten. Aber so manchem, was in dieser Debatte zutage gefördert wurde, zum Beispiel von Frau Bergmann und auch von Frau Schewe-Gerigk, muß energisch widersprochen werden. Wenn ich diese Mixtur einer - ich greife das Wort von Frau Lenk auf „Ankündigungslyrik virtueller Familienpolitik“ von Frau Bergmann und Frau Schewe-Gerigk nehme und zugleich zu einem angekündigten Gruselkabinett staatlicher Interventionen Stellung nehmen soll, dann sage ich: Mit dieser Politik verlieren Sie noch mehr Akzeptanz bei den Wählerinnen und Wählern. ({1}) Die Zukunft kann auch im Zusammenhang mit diesem Thema nicht mit staatlichem Zwang gemeistert werden, sondern der Staat muß die Kräfte der Selbstverwaltung auf der Basis der Freiwilligkeit stärken und unterstützen. ({2}) Frau Schewe-Gerigk sagte zum Beispiel - dabei hat sie sich selber glatt widersprochen -, daß Frauenförderung für die Unternehmen lukrativ ist. Ja, das ist so. Deshalb können wir doch diese Selbstheilungskräfte der Wirtschaft ermuntern, initiieren und anstoßen, statt den Betrieben mit dem großen Knüppel der Staatsintervention zu drohen. ({3}) Wir können doch ein wenig auf diesen Mechanismus vertrauen. Die Politikvorstellungen, die Sie hier vortragen, sind in keiner Weise konsistent. Übertroffen wurde alles von der Bemerkung von Frau Bläss - ich greife jetzt nicht die Vizepräsidentin, sondern die Abgeordnete an -, als sie von der Hinterlassenschaft von CDU/CSU und F.D.P. sprach. Sie als Vertreterin der Nachfolgepartei der SED wagen das zu sagen, Frau Abgeordnete Bläss, nachdem Sie ein Land ruiniert, ein Volk deprimiert und in eine Revolution getrieben haben? Was Sie uns hier in der Debatte zugemutet haben, ist schon eine Ungeheuerlichkeit. ({4}) Ich komme jetzt darauf, was in Verantwortung von CDU/CSU und F.D.P. auf familienpolitischem Gebiet geleistet wurde. In bezug auf das Problem Chancengerechtigkeit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und im Erwerbsleben existiert, wenn ich die Aussagen dieses Tages resümiere, eine beachtliche Schnittmenge. Viel geringer ist diese, wie ich eben schon deutlich machte, in der Frage, welche Folgerungen daraus gezogen werden sollen. Das Problem ist natürlich nicht gelöst: Trotz hoher Motivation, stark gestiegener Qualifikation und einer über lange Jahre gestiegenen Erwerbsneigung von Frauen ist - da würde ich nicht die sozialliberale Bildungspolitik als Vorbild heranziehen, da der von der CSU regierte Freistaat Bayern viel bessere Qualifikationsmerkmale in der Bildungspolitik erfüllt - auf dem Arbeitsmarkt noch keine Chancengerechtigkeit für Frauen eingetreten. Wir stimmen in der Analyse einiger Punkte mit Ihnen durchaus überein, beispielsweise darin, daß zuwenig Frauen fachspezifische Ausbildungen und Berufe in der Informations-, Medien- und Kommunikationstechnologie wählen. Wir müssen hier gezielte Frauenförderung hinsichtlich zukunftsträchtiger Berufe betreiben. Diese muß in der Schule anfangen und nicht erst bei der Berufsberatung. Wir müssen Mädchen und junge Frauen ganz gezielt auf diese Berufe hinlenken und ihr Interesse dafür wecken. Weiterhin sehen wir erfreut, daß in der Unternehmenswirklichkeit - das bestätigen ja die Aussagen von Frau Schewe-Gerigk - zunehmend Frauenbeauftragte bestellt werden und Frauenförderung praktiziert wird. Beides ist zu einem integralen Bestandteil des Unternehmensalltags geworden. Es haben aber immer noch viel zuwenig Frauen Führungspositionen erreicht. Die Ursachen dafür sind ja hier beschrieben worden. Man kann natürlich jetzt sagen, das Glas sei halbvoll oder halbleer. Meine Kollegin Störr-Ritter hat ja zu Recht festgehalten, daß wir bei der Beteiligung von Frauen an Führungspositionen erhebliche Fortschritte erzielt haben. Es gilt also, diesen Trend zu verstärken und weiter in diese Richtung zu wirken. ({5}) Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Wenn es ein Leitmotiv der heutigen Debatte gab, war es bestimmt dieses Thema. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist hauptsächlich das Problem von Frauen. Die meisten jungen Frauen wollen heute nicht nur Beruf oder Familie; sie wollen Beruf und Familie in Einklang bringen. Die Kollegin Eichhorn hat heute vormittag von den Barrieren im Kopf gesprochen. Ja, wir müssen neue Einstellungen gewinnen. Wenn ich „wir“ sage, meine ich die Männer und auch mich selber. ({6}) Wir müssen neue Grundeinstellungen gewinnen. Die Frauen von heute sind nicht mehr die Frauen von gestern. Deshalb brauchen wir Männer und Väter von heute mit einem partnerschaftlichen Rollenverständnis und mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. ({7}) Sie sehen: Ich zeige mich angesichts der erdrückenden Mehrheit der Frauen in diesem Saal einsichtig, und nicht nur deshalb. - Wir brauchen neue Männer und neue Väter mit einem neuen Rollenverständnis. ({8}) Ich glaube, das ist wichtig für die Zukunft. Wenn wir die Pflichten im Arbeits- und Erwerbsleben teilen, dann müssen wir, um den Frauen in diesem Prozeß Chancengerechtigkeit zuteil werden zu lassen, auch die Pflichten in der Erziehung und im Hausmanagement zwischen Männern und Frauen fair teilen. ({9}) Andernfalls behindern wir Frauen im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt. Das Hauptthema im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist das Thema Kinderbetreuung. Da sind wir ebenfalls ein ganzes Stück weitergekommen. Der Rechtsanspruch auf den Kindergartenplatz, geschaffen und statuiert in der Regierungsära Kohl, hat doch einen Entwicklungsschub bei der Dekkung mit Kindergartenplätzen in Deutschland gebracht. ({10}) Wir sind noch nicht am Ende des Prozesses. Wir brauchen jobgerechte, noch viel flexiblere, qualitativ hochwertige und zugleich bezahlbare Angebote der Kinderbetreuung. Das ist eine gemeinsame Aufgabe für die Zukunft, übrigens natürlich vor allem eine Aufgabe für die Kommunen und für die Länder. Aber auch der Bund hat, wie Sie wissen, ein Stück gesetzgeberische Verantwortung, die er in der Zeit der CDU/CSU-F.D.P.Regierung sehr positiv genutzt hat, indem er auch die Kräfte der Kommunen zum Wohl der Kinder fördernd eingebunden hat. Ich will im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie - ich fürchte, daß mir die Zeit davonläuft - von einer perversen Korrelation sprechen, die eine Untersuchung des Verbandes der Rentenversicherungsträger zutage gefördert hat. Sie liegt darin, daß eindeutig ein Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeit und relativ hohem Alterseinkommen sowie zwischen Kinderreichtum und relativ niedrigem Alterseinkommen besteht. Das heißt, diejenigen, die den Generationenvertrag physisch fortsetzen, sind in der Absicherung die Benachteiligten. ({11}) Ja, was wurde getan? Mit der Anerkennung der Erziehungszeit und deren Erweiterung 1992 wurde ein Riesenschritt getan, ein Riesensignal zur Gleichsetzung von Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit gegeben. ({12}) Wir sind nur noch nicht am Ende des Weges. Eine Folgerung - ich hoffe, wir ziehen sie gemeinsam - muß sein, daß wir die Anerkennung von Erziehungsarbeit in der Rente weiter ausbauen. ({13}) Wir müssen die Kräfte der Selbstverantwortung stärken und auch im „Bündnis für Arbeit“ dafür werben, daß die Tarifpartner eine verbesserte Frauenförderung realisieren, was Führungspositionen und die Schaffung von Teilzeitarbeit, auch für weibliche Führungskräfte nach ihrer familiären Bedarfslage, mit einschließt. Allerdings muß ich eines festhalten: Oft haben wir in Tarifverträgen bereits Voraussetzungen für familiengerechte Flexibilisierungen der Arbeitszeit geschaffen. Zum Teil werden sie in den Unternehmen nicht genutzt. Wir müssen auch darauf hinarbeiten, daß Tarifverträge, die das möglich machen, umgesetzt und angewandt werden. Gerald Weiß ({14}) Zu der Förderung von Existenzgründungen durch Frauen hat meine Kollegin Störr-Ritter etwas gesagt, mit dem berechtigten positiven Touch. Ich will noch etwas zu den Frauen sagen, die Sozialhilfe beziehen. Frauen, die - oft nach einer Ehescheidung - alleinerziehend mit einem oder zwei Kindern leben, fallen, wie Sie wissen, oft in die Sozialhilfe. Faktisch bedeutet dies vielfach, daß ihnen die Rückkehr in den Arbeitsmarkt versperrt ist.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Weiß, denken Sie bitte an die Redezeit!

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Die Koordination der Arbeits- und Sozialämter muß verbessert werden, um tragfähige Brücken zum Ausbildungsund Arbeitsmarkt zu eröffnen. Wir wollen - auch das ist eine unserer Forderungen -, daß Arbeits- und Sozialämter in der Dienstleistungsaufgabe Vermittlung kundenorientiert zusammenarbeiten und in ihrer Funktion zusammenwachsen. Frau Präsidentin, ich will noch ein Schlußwort sagen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Sie sind weit über Ihre Redezeit. Ich bitte Sie, das ganz kurz zu machen.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein Satz. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Diskussion dieses Themas darf man eines nicht vergessen: Die Frauenarbeitslosigkeit ist Teil der Gesamtarbeitslosigkeit. Wir tun sehr viel für die Behebung der Frauenarbeitslosigkeit, wenn wir die Gesamtarbeitslosigkeit bekämpfen. Was Sie von Rotgrün mit Ihrer Gesetzgebung angerichtet haben - in den Dienstleistungszweigen, der Touristik, der Gastronomie und wo auch immer -, ist verheerend. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluß!

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Und was Sie mit Ihrer allgemeinen Wirtschafts- und Finanzpolitik angerichtet haben, ist eine Katastrophe. Deshalb sagen wir: Kehren Sie zu einer konsequenten und konsistenten Wirtschafts- und Finanzpolitik zurück, dann werden die Zukunftschancen gewahrt und die Arbeitsplätze entstehen, die wir für alle, ganz besonders auch für Frauen, brauchen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, ich muß Ihnen den Saft abdrehen. Es tut mir leid. Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Renate Gradistanac, SPD-Fraktion.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern, anläßlich der Feier zum 50. Geburtstag des Deutschen Bundestages, hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse herausgestellt: Demokratie muß gerechte Chancen bieten, ({0}) gerechte Chancen selbstverständlich auch für Frauen in ihrem privaten, gesellschaftlichen und - das ist heute unser Thema - beruflichen Leben. Die Erwerbstätigkeit nimmt im Leben der Menschen einen zentralen Platz ein, da sie nicht nur der Sicherung des Lebensunterhaltes dient, sondern auch Einfluß auf die Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit hat. Die eigenständige Existenzsicherung jeder Frau, unabhängig von ihrem Familienstand, ist eines unserer wichtigsten frauenpolitischen Ziele. ({1}) Frauen bilden mit 52 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung, Frauen haben den Ausgang der Bundestagswahl entschieden. Sie wollen, daß die Gleichstellung von Frauen und Männern wieder zu einem großen gesellschaftlichen Reformprojekt in der Bundesrepublik Deutschland wird. Dieser Aufgaben werden wir - allerdings Schritt für Schritt - gerecht werden. Es gibt gute Gründe, jetzt offensiv zu werden. Ich greife zwei Punkte heraus: Erstens. Die Arbeitslosigkeit von Frauen ist höher als die der Männer. Zweitens. Die Lohndiskriminierung von Frauen ist ein Skandal. ({2}) Nach wie vor besteht ein enormer Abstand zwischen den durchschnittlichen Arbeitseinkommen von Frauen und Männern. Frauen erhalten - das ist heute schon mehrfach gesagt worden - im Durchschnitt ein Drittel weniger Lohn und Gehalt als Männer. Für die Frauen in Ostdeutschland hat sich die Situation seit der Wende gravierend verändert. Lagen die durchschnittlichen Fraueneinkommen vor der Wende bei zirka 80 Prozent der Einkommen von Männern, so hat sich das Mißverhältnis mit der Übernahme der westdeutschen Tarifstrukturen noch verstärkt. Wir haben schon einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Was - das ist sicher spannend - hatte nun die alte CDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung in ihrem Koalitionsprogramm 1994 festgeschrieben? Ich habe selbst zwischen den mageren Zeilen vergeblich nach Maßnahmen gesucht, die die Hoffnung auf eine gleichberechtigte Teilhabe in dieser Gesellschaft erfüllen könnten. Es war nicht die Rede davon, die überproportionale Arbeitslosigkeit von Frauen durch gezielte Programme und Qualifizierungsmaßnahmen zu beseitigen oder über eine Beschäftigungs- und Strukturpolitik zukunftssichere Arbeitsplätze für Frauen zu schaffen. Es war auch Gerald Weiß ({3}) nicht die Rede davon, ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft vorzulegen ({4}) oder - damit will ich die Vergangenheit auf sich beruhen lassen - die sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse zu begrenzen. ({5}) Die SPD-geführte Bundesregierung hat in ihrem Programm „Frau und Beruf“, von dem heute die Rede war, umfassende Vorschläge ausgearbeitet. Damit werden wir Versäumtes nachholen und die Weichen für eine zukunftsorientierte Frauenpolitik stellen. Zum aktuellen CDU/CSU-Oppositionsantrag möchte ich nur eine persönliche Bemerkung machen. Sie schreiben in Punkt 4 - ich zitiere -: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt weiterhin große Anforderungen an die Frauen, insbesondere in Hinsicht auf Kinderbetreuung … Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben vergessen, die Männer mit einzubeziehen. Auch wenn Sie, Herr Weiß, sehr wortgewaltig darüber gesprochen haben, werde ich das noch ein wenig überprüfen. ({6}) Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit für Mütter und Väter verbessern und somit die partnerschaftliche Teilhabe von Männern an Erziehungs- und Familienarbeit stärken. Das bedeutet unter anderem, daß wir die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs sowohl für Mütter als auch für Väter attraktiv gestalten wollen und daß wir an der Sicherung und dem Ausbau eines preiswerten, bedarfsdeckenden und differenzierten Angebots von Betreuungseinrichtungen für Kinder mitwirken wollen. So steht es in unserem Antrag. Nicht nur in diesem Punkt sind wir Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, mit unseren Vorstellungen eine Nasenlänge voraus, sondern wir sind es auch, wenn es darum geht, ein Gleichstellungsgesetz vorzustellen, das verbindliche Regelungen zur Frauenförderung nicht nur für den öffentlichen Bereich, sondern auch für die Privatwirtschaft fordert. ({7}) - Daß Sie, Frau Lenke, davon nichts wissen wollen, wissen wir. Wir wissen aber auch alle ganz genau, daß die überwiegende Mehrheit der Frauen nicht im öffentlichen Dienst arbeitet. Ich wünsche mir - damit haben wir mit unserem JUMP-Programm begonnen -, daß junge Frauen und Männer eine gute Ausbildung erhalten und einen Beruf erlernen, der ihren Fähigkeiten und Kompetenzen angemessen ist, und daß sie Berufe mit Zukunfts- und Aufstiegschancen wählen, die in den Bereichen Informations- und Kommunikationssysteme, in der Pflege, Bildung und im Tourismus, kurz: im Dienstleistungsbereich, liegen. Meine Damen und Herren, ich gratuliere meiner Ministerin Christine Bergmann zu ihrem umfassenden, intelligenten und ehrgeizigen Programm „Frau und Beruf“. ({8}) Damit kommen wir der Forderung von Wolfgang Thierse, Demokratie muß gerechte Chancen bieten, umgehend nach. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/1195, 14/1529 und 14/1549 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 14/1528 Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß wir höchstwahrscheinlich nicht zwei Stunden brauchen. Es wird ungefähr eine Stunde dauern. Sie wissen, daß wir ein bißchen flexibel sein müssen. Ich sage das deshalb, weil wir unmittelbar im Anschluß an die Fragestunde mit der Aktuellen Stunde beginnen werden. Ich rufe zunächst den Bereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Frage 1 des Kollegen Neumann wird schriftlich beantwortet. Damit rufe ich das Ressort des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung. Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Dirk Niebel, F.D.P., auf: Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, in wie vielen Fällen Sprachkurse für jugendliche Aussiedler und Ausländer abgebrochen werden mußten, um an gegenüber der Sozialhilfe vorrangigen Maßnahmen im Rahmen des Programms der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit teilzunehmen? Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege Niebel, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert aus dem sogenannten Garantiefonds unter anderem DeutschSprachkurse für junge, nicht mehr schulpflichtige Spätaussiedler, Kontingentflüchtlinge und Asylberechtigte. Im Garantiefonds stehen 1999 insgesamt 166 Millionen DM zur Verfügung. Die Mittel für die Maßnahmen aus dem Garantiefonds werden den Bundesländern jährlich zugewiesen, die über die Bewilligungsstellen vor Ort den Sprachkursträgern die Kurskosten zuwenden. Neben Intensivsprachkursen von zehnmonatiger Dauer werden Integrationssprachkurse mit berufsorientierten Bestandteilen bzw. mit dem Ziel des qualifizierten Hauptschulabschlusses von jeweils zwölfmonatiger Dauer angeboten. Bundesweit stehen rund 5 800 Sprachkursplätze zur Verfügung, auf denen 1998 12 366 Jugendliche gefördert wurden. Um sich in Förderfragen eng mit den Bundesländern abzustimmen, lädt unser Haus, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dreimal im Jahr zu Bund-Länder-Besprechungen zum Garantiefonds ein. Bei der letzten Bund-Länder-Besprechung am 20. April 1999 wurde von Einzelfällen aus SachsenAnhalt und Berlin berichtet, in denen Jugendliche die Garantiefondskurse abgebrochen hätten, um am Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit teilzunehmen. Das Sofortprogramm ist eine zusätzliche Soforthilfe zum nachhaltigen Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Leistungen nach diesem Programm sind gegenüber vergleichbaren Leistungen Dritter nachrangig. Fälle, in denen die Sozialämter die Jugendlichen zum Kursabbruch veranlaßt hätten, sind uns nicht bekannt geworden. Weitere Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Niebel, bitte Ihre Zusatzfrage. Dirk Niebel ({0}): Frau Staatssekretärin, wenn ich Ihnen - nicht jetzt von dieser Stelle aus, sondern vielleicht später unter vier Augen - konkrete Fälle benennen würde, in denen nachgewiesen werden kann, daß Sozialämter unter der Androhung des Wegfalls der Leistungen zum Lebensunterhalt Jugendliche aus ihren Sprachkursen herausgelöst haben, um sie in Betriebspraktika nach dem Jugendarbeitslosigkeitsprogramm zu zwingen, würden Sie dann eine solche Praxis gutheißen? Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege Niebel, das ist für mich eine hypothetische Frage, weil aus den Gesprächen im BundLänder-Kreis nicht ersichtlich ist, daß irgendein Sozialamt so tätig geworden ist, wie Sie es hier vermuten. Insofern kann ich Ihre hypothetische Frage nicht beantworten. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine zweite Zusatzfrage, Kollege Niebel. Dirk Niebel ({0}): Frau Staatssekretärin, dann möchte ich Ihnen die konkrete Frage stellen, ob es im Sinne des Jugendarbeitslosigkeitsprogrammes ist, Betriebspraktika durchzuführen, wenn bei den Jugendlichen noch keine Sprachkenntnisse vorhanden sind. Ich werde Ihnen mehrere ganz konkrete Fälle belegen, in denen Jugendliche gezwungen wurden, den Sprachkurs abzubrechen, um ohne jedwede Sprachkenntnisse in Betriebspraktika zu gehen, nur damit die Quoten für die Öffentlichkeit erfüllt werden. Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege Niebel, das Letzte ist nun wirklich eine Unterstellung, die ich zurückweise. Ich habe bereits gesagt, daß die Maßnahmen des Sofortprogramms nachrangig sind. Insofern ist all das, was Sie mir hier berichten, was wo auch immer geschehen sein soll, nicht im Sinne des Programmes und des Gesetzes. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Hans-Joachim Otto, F.D.P., auf: Wie konkret sind Pläne des Bundesministeriums für Gesundheit, die Werbung für alkoholische Getränke drastisch zu beschränken, und werden diese Überlegungen vom Kabinett getragen? Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Sehr geehrter Herr Kollege Otto, ich beantworte Ihre Frage 3 wie folgt: Wissenschaftlich ist erwiesen, daß eine Vielzahl von Erkrankungen bei Männern und Frauen durch Alkohol mitverursacht werden und daß es einen engen Zusammenhang zwischen Alkohol und Gesundheitsschäden in der Bevölkerung gibt. Auswirkungen auf die Gesamtsterblichkeit, auf spezielle Todesursachen, Zirrhosesterblichkeit, Verkehrsunfälle, Suizide, Gewaltverbrechen usw. werden in Studien und Abhandlungen beschrieben. Die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren geht davon aus - das ist durch Prävalenzstudien und andere Studien nachgewiesen -, daß in der Bundesrepublik bis zu 40 000 Todesfälle im Jahr durch Alkoholmißbrauch bedingt sind und daß auf Grund von Alkoholeinfluß in Deutschland rund 33 000 Verkehrsunfälle passieren. Bei Gewaltausübungen aller Art spielt Alkohol eine erhebliche Rolle. Bei über der Hälfte der Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt, bei jedem vierten Gewaltdelikt, bei jedem dritten Raubmord, bei jeder dritten Vergewaltigung - ganz zu schweigen von der alltäglichen Gewalt in den Familien - spielt Alkohol leider eine erhebliche Rolle. Wissenschaftlich erwiesen ist auch, daß die kommerzielle Alkoholwerbung Auswirkungen auf die Konsummenge haben kann, wobei mehrere Effekte auftreten können: So kann die Alkoholwerbung den Alkoholkonsum von bereits trinkenden Personen steigern oder diese davon abhalten, ihren Konsum zu reduzieren oder ganz Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis einzustellen, wenn das unter Umständen gesundheitlich geboten ist. Von besonderer Bedeutung sind diese Erkenntnisse natürlich im Hinblick auf Jugendliche. Auch am Beispiel Tabakwerbung wurde das schon wissenschaftlich belegt. Wenn Sie hier nach Expertisen fragen, will ich eine nennen, die 1998 für das Bundesministerium für Gesundheit erstellt worden ist, und zwar von Reiner Hanewinkel und Johannes Pohl: „Werbung und Tabakkonsum“. Es ist eindeutig festgestellt worden, daß Jugendliche durch Werbeaussagen in besonderer Weise ansprechbar sind und vor den Gefahren des riskanten Konsums von Alkohol somit auch in besonderer Weise geschützt werden müssen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Zusatzfrage Kollege Otto, bitte. Hans-Joachim Otto ({0}) ({1}): Es ist gar keine Zusatzfrage. Frau Staatssekretärin, ich wiederhole meine Frage wörtlich: Wie konkret sind Pläne des Bundesministeriums für Gesundheit, die Werbung für alkoholische Getränke drastisch zu beschränken? Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Die Frau Präsidentin hat die Frage 3 aufgerufen. Die habe ich Ihnen beantwortet. Hans-Joachim Otto ({2}) ({3}): Es ist mir verschlossen geblieben, in welche Richtungen die Überlegungen gehen. Vielleicht haben Sie die Frage 3 und die Frage 4 verwechselt, Frau Staatssekretärin. Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Nein, ich habe die Fragen 3 und 4 nicht verwechselt. Ich lese die Frage 3 , die Sie mir gestellt haben und die mir vom Kabinettsreferat übermittelt worden ist, vor. Ihre Frage 3 lautet - auch nach der entsprechenden Fragestundenauflistung -: Verfügt das Bundesministerium für Gesundheit über wissenschaftliche Grundlagen - Hans-Joachim Otto ({4}) ({5}): Entschuldigung, das ist die Frage 4. Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Das ist bei mir die Frage 3. Die habe ich Ihnen beantwortet.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich glaube, hier liegt ein Mißverständnis vor. Frage 3 ist, wie konkret die Pläne sind. Frage 4, die ich jetzt aufrufe, lautet: Verfügt das Bundesministerium für Gesundheit über wissenschaftliche Grundlagen, die den durch ein möglichses Verbot von Alkoholwerbung drohenden Eingriff in die Freiheiten der Unternehmen, der Bürger sowie in die Freiheit der Erwerbsmöglichkeit der Medien rechtfertigen? Hans-Joachim Otto ({0}) ({1}): Ich stelle jetzt meine erste Zusatzfrage zu Frage 4: Liebe Frau Staatssekretärin, ist dem Bundesgesundheitsministerium bekannt, daß in den letzten zehn Jahren die Ausgaben für Werbung für alkoholische Getränke gestiegen sind, demgegenüber aber der Konsum alkoholischer Getränke gesunken ist, so daß doch der Schluß sehr nahe liegt, daß es einen wissenschaftlich belegbaren Zusammenhang zwischen der Werbung für alkoholische Getränke und dem tatsächlichen Alkoholgenuß überhaupt nicht gibt? Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Der Bundesregierung ist bekannt, daß der Alkoholkonsum auch durch die vielfältigen Bemühungen im Bereich der Prävention bei Kindern und Erwachsenen in einigen Bereichen tatsächlich zurückgegangen ist. Andererseits - ich habe dazu eben schon zitiert; ich denke, das ist auch noch im Raum - liegen Studien vor - unter anderem eben auch von unserem Haus aus dem letzten Jahr -, die belegen, daß besonders bei Kindern und Jugendlichen zweifelsfrei eine Beeinflussung durch Werbung gegeben ist und daß zum anderen bei bestimmten Konsummustern und bestimmten Gruppen, die gerade unter gesundheitlichen Gesichtspunkten Risikogruppen sind, ein Gefahrenpotential besteht. Das ist nachgewiesenermaßen so. Das ist auch der Grund für den Aktionsplan Alkohol, der 1997 von der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, und zwar einstimmig von allen Bundesländern, beschlossen worden ist. Er ist jetzt noch einmal überarbeitet worden. Das Land Sachsen hat auch eigene Studien gemacht, die bestätigen, daß dieser einstimmig beschlossene Maßnahmenkatalog sinnvoll ist, der auch noch einmal novelliert worden ist. Das ist der Hintergrund, vor dem unser Haus sagt: Wir knüpfen an die Bemühungen an - die übrigens schon Herr Seehofer in Angriff genommen hat -, sich in Gesprächen mit der Alkoholindustrie zu bemühen, im Rahmen der freiwilligen Selbstbeschränkung weitere Verbesserungen mit den genannten Zielen zu erreichen. Der Hintergrund ist zweifelsfrei wissenschaftlich abgesichert.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Otto, eine zweite Zusatzfrage zu dieser Frage. Hans-Joachim Otto ({0}) ({1}): Frau Staatssekretärin, teilen Sie meine Einschätzung, daß ein so schwerwiegender Eingriff wie eine Werbebeschränkung jedenfalls nur dann erfolgen darf, wenn der von Ihnen vermutete Zusammenhang zwischen Werbung und gesteigertem Alkoholkonsum zweifelsfrei belegt werden kann? Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Herr Kollege Otto, ich habe Ihnen eben dargelegt, in welchen speziellen Fällen besonders im Bereich von Gesundheitsschutz, im Bereich von Risikogruppen und von Jugendlichen der Zusammenhang belegt ist. Natürlich sind die Werbefreiheit und die Freiheit der Gewerbetreibenden sehr hoch einzuschätzen. Allerdings sind diese Freiheitsrechte auch im Kontext mit dem Grundgesetz zu sehen. Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit und der Jugendschutz spielen eine große Rolle. Vor diesem Hintergrund, in diesem Spannungsfeld bewegen sich die Maßnahmen, die die Gesundheitsministerkonferenz, und zwar alle Bundesländer, zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium mit der Industrie noch einmal erörtern will.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Da wir die Nummern vertauscht hatten, kommen wir jetzt tatsächlich zur Frage 3 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto. ({0}) Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Ja. ({1}) - Ja, ich denke, das haben wir jetzt. Ein Stück weit habe ich die Frage in Beantwortung der Zusatzfragen schon beantwortet. Es ist so, daß wir von seiten des Gesundheitsministeriums den Aktionsplan Alkohol, der 1997 beschlossen, aber nicht umgesetzt worden ist - es hat unter der alten Regierung erste Sondierungsgespräche gegeben -, aufgegriffen haben. Wir haben zusammen mit der Gesundheitsministerkonferenz, mit den Ländern, mit den Fachbereichen diesen Aktionsplan Alkohol auf den neuesten Stand gebracht. Das ist, wie gesagt, im engen Austausch mit den Ländern passiert. Auf der Gesundheitsministerkonferenz im Juni hat Ministerin Fischer das nochmals besprochen. Es hat jetzt auch noch einmal Gespräche mit einigen Ländern gegeben. Vertreter der Gesundheitsministerkonferenz werden zusammen mit Frau Ministerin Fischer in absehbarer Zeit einen Termin mit der Alkoholwirtschaft vereinbaren, um auszuloten und zu sondieren, was im Wege der freiwilligen Werbebeschränkung auf dem Boden dieses gemeinsamen Aktionsplans noch zu machen ist, denn die Unternehmen - das wissen Sie auch - agieren nicht im luftleeren Raum. Uns ist vor allen Dingen auch der Kinder- und Jugendschutz wichtig.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Otto, bitte Ihre Zusatzfrage. Hans-Joachim Otto ({0}) ({1}): Wir sind jetzt bei der Frage 3. Deswegen möchte ich Sie fragen: Können Sie bestätigen, daß ganz konkrete Pläne Ihrer Ministerin bestehen, die darauf zielen, die komplette Ausschaltung der TV- und Hörfunkwerbung einschließlich Sponsoring für alle alkoholhaltigen Produkte zwischen 6 Uhr und 22 Uhr vorzusehen? Können Sie mir bestätigen, daß Ihre Ministerin ein Verbot jeglicher Marktkommunikation dieses Sektors im Sportbereich plant? Christa Nickels, Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Ich kann noch einmal bestätigen, daß wir hier auf der Grundlage des Aktionsplans Alkohol arbeiten. Ich kann hier drei große Komplexe nennen: Jugendliche sollen analog der Selbstbeschränkung bei der Tabakwerbung nicht Zielgruppe und Medium von Alkoholwerbung sein. Der Bereich des Sports soll von Alkoholwerbung ausgenommen werden. Es soll nicht mit vermeintlich positiven Folgen des Alkoholkonsums geworben werden. Das sind Übertragungen der Vorgaben der EGFernsehrichtlinie auf alle Werbungen, was unter anderem auch im Aktionsplan Alkohol im Einvernehmen mit den Ländern niedergelegt ist. Auf dieser Grundlage wird unser Haus, unsere Ministerin zusammen mit Vertretern der GMK in absehbarer Zeit, sobald wie möglich, Gespräche mit der Alkoholindustrie aufnehmen. Zum zweiten kann ich Ihnen noch sagen, daß Gesundheitsministerin Frau Fischer im Rahmen des zweiten europäischen Aktionsplans Alkohol der WHO, der von 2000 bis 2005 gilt, auch Warnhinweise auf alkoholischen Getränken vogeschlagen hat. Es ist im Rahmen dieser WHO-Kampagne geplant, daß Frau Ministerin Fischer sich mit einem Schreiben an die Europäische Kommission wenden und darum bitten wird, dem Rat und dem Europäischen Parlament den Vorschlag einer Richtlinie über Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen bei Getränken mit hohem Alkoholgehalt vorzulegen. Das war ja auch Gegenstand von Presseberichten. Ich nehme an, darauf beziehen Sie sich. Das ist im Augenblick in der Planung. Gesetzliche Maßnahmen sind nicht geplant und damit auch keine Verbote, sondern wir planen zusammen mit der GMK, im Rahmen von Gesprächen zu sondieren, inwieweit die Industrie bereit ist, im Rahmen von freiwilligen Vereinbarungen im Interesse von Kinder- und Jugendschutz und Gesundheit entsprechend auch etwas umzusetzen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine letzte Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Otto. Hans-Joachim Otto ({0}) ({1}): Frau Staatssekretärin, nachdem es nunmehr in rascher Folge geradezu eine Kaskade von Werbebeschränkungen gibt, angefangen bei der Werbung für Tabakerzeugnisse, deren Verbot im übrigen durchaus mit einem Gesetz durchgesetzt worden ist, bis zum nunmehr geplanten Verbot der Werbung für alkoholische Getränke, frage ich Sie allen Ernstes: Wohin soll das eigentlich noch führen? ({2}) Wird zukünftig auch noch ein Werbeverbot für Süßigkeiten ausgesprochen? Wo wollen Sie denn eigentlich hin in Ihrem Beglückungswahn? Christa Nickels, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Ich glaube, daß weder ich noch unser Haus einem Beglückungswahn erlegen sind. Vielmehr setzen wir schlicht und ergreifend das um, was schon im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation beschlossen worden ist. Wir tun das in enger Absprache mit sämtlichen Bundesländern; alle Bundesländer haben an dem Aktionsplan Alkohol mitgearbeitet und unterstützen ihn. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Vorgängerregierung die Grundlage hierzu im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation gelegt hat. Das setzen wir um, und zwar nicht im Sinne eines Beglückungswahns und auch nicht im Sinne des Mottos „Knüppel aus dem Sack“. Vielmehr rechnen wir hier mit der Vernunft der Unternehmer, die genau wie wir in dieser Gesellschaft leben, die Kinder haben, die an Jugendschutz interessiert sind. Wir versuchen, auf dem Wege der Freiwilligkeit solche Maßnahmen voranzutreiben. Das hat in der Vergangenheit in vielen Bereichen funktioniert. Das will die Bundesregierung in der von mir dargestellten Art und Weise tun. Zu all dem anderen, was Sie mutmaßen, etwa hinsichtlich der Süßigkeiten, sage ich: Dem Abgeordneten ist freigestellt, sich alles mögliche vorzustellen. Das ist aber nicht Gegenstand der Arbeit bei uns im Haus. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Paul Laufs auf: Wann wird die Bundesregierung das Transportverbot für abgebrannte Brennelemente aus deutschen Kernkraftwerken aufheben? Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Dr. Laufs, in der Hoffnung, daß ich die richtige Frage habe, damit Sie also die richtige Antwort bekommen, ({0}) gebe ich Ihnen folgende Antwort: Transporte können erst dann zugelassen werden, wenn die erforderlichen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Genehmigungsvoraussetzungen sind erst dann erfüllt, wenn Kontaminationsüberschreitungen während der gesamten Transportdauer mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können und die Behälter selbst die erforderliche Sicherheit gewährleisten. Diese Voraussetzungen sind zur Zeit nicht erfüllt. Den Prüfungen des Eisenbahn-Bundesamtes, zuständig für die Kontamination, und der Bundesanstalt für Materialprüfung - das betrifft die Behälterfragen - kann nicht vorgegriffen werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Laufs. Dr. Paul Laufs ({0}): Frau Staatssekretärin, habe ich Ihre Antwort dahin gehend richtig verstanden, daß Sie der Antwort des Staatssekretärs Rainer Baake widersprechen, der am 13. August auf die Frage des Abgeordneten Gunnar Uldall, ob alle Auflagen und gutachterlichen Empfehlungen durch das nun vorliegende Gesamtsystem erfüllt sind, mit einem klaren Ja geantwortet hat? Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich kann dem, was ich gerade geantwortet habe, bezogen auf die drei Transporttypen, die zur Zeit untersucht werden, folgendes zur Verdeutlichung hinzufügen: Es handelt sich dabei zum einen um die innerdeutschen Transporte zu den Zwischenlagern. Das Gutachten über diese Frage ist Ende Mai fertiggestellt worden. Es liegen zirka 60 Empfehlungen für die Betreiber vor. Die Gutachter müssen anschließend bestätigen, daß diese Empfehlungen umgesetzt worden sind. Zum zweiten geht es um den Transport der Glaskokillen aus dem Ausland, das heißt aus Sellafield und La Hague. Das Gutachten dazu ist Ende Juni fertig geworden. Dazu gibt es zirka 30 gutachterliche Empfehlungen. Die Gutachter müssen hinterher ebenfalls bestätigen, daß sie umgesetzt worden sind. Zum dritten geht es um die Transporte ins Ausland zur Wiederaufarbeitung, also nach England und Frankreich. Dazu sind die Unterlagen im letzten Juli angekommen. Das heißt, in dieser Frage befinden wir uns noch in der Prüfung.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine weitere Zusatzfrage. Dr. Paul Laufs ({0}): Frau Staatssekretärin, wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die Atomtransporte in der Schweiz und in Frankreich, die mit den gleichen Behältern durchgeführt werden, schon längst wiederaufgenommen worden sind, nachdem dort die gleichen Sicherheitsfragen sehr sorgfältig abgearbeitet worden waren? Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege, ich habe keine konkreten Einblicke, wie sich die Lage in der Schweiz gestaltet, zum BeiHans-Joachim Otto ({1}) spiel wieviel Zeit für das Herbeischaffen der Unterlagen für die Transportgenehmigung benötigt wurde. Ich kann als Vertreterin der Bundesregierung nur sagen, daß wir hier sehr sorgfältig nach Recht und Gesetz zu prüfen haben. Wir sollten sehr vorsichtig sein, eine politische Einflußnahme auch nur anzudeuten, von welcher Seite auch immer. Insbesondere durch die Vorkommnisse im April letzten Jahres, die zu einem Transportstopp durch Ministerin Merkel geführt haben, sind wir gehalten, nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Dafür sind noch nicht alle Voraussetzungen gegeben. Das ist belegbar. Ich kann Ihnen aber mitteilen, daß Ihnen als Mitglied des Umweltausschusses in den nächsten Tagen ein entsprechender Bericht zugehen wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Damit sind wir bei der Frage 6 des Abgeordneten Dr. Laufs: Wann kann die Genehmigung der von der Energiewirtschaft beantragten Atomtransporte durch das Bundesamt für Strahlenschutz erwartet werden? Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zu dieser Frage kann ich eigentlich nur auf das verweisen, was ich bereits zu Ihrer vorhergehenden Frage ausgeführt habe. Ich möchte Ihnen aber noch einige Hintergrundinformationen geben, die vielleicht Ihre Zweifel, was die zeitlichen Unterschiede zwischen der Schweiz und Deutschland angeht, ausräumen. Die Prüfung der eingereichten Unterlagen im Bundesamt für Strahlenschutz erfolgt auf der Grundlage des § 4 Atomgesetz. Dementsprechend ist die Erteilung einer Beförderungsgenehmigung durch das Bundesamt für Strahlenschutz erst dann möglich, wenn die Erfüllung der in § 4 Abs. 2 Atomgesetz genannten Genehmigungsvoraussetzungen durch den Antragsteller - das ist in diesem Fall die Firma Nuclear Cargo Service, eine Tochter der DB AG - nachgewiesen und die erforderliche Einbeziehung anderer zu beteiligender Behörden abgeschlossen worden ist. Hiervon ausgehend läßt sich gegenwärtig folgender Stand zu den genannten Genehmigungsverfahren zusammenfassen: Das Gutachten zu den Transporten bestrahlter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung in Frankreich und Großbritannien steht noch aus. Die Anerkennungsverfahren für die Zulassung der englischen und französischen Transportbehälter sind noch nicht abgeschlossen. Fehlende Unterlagen zu den französischen Behältern sind bis Ende September 1999 von Transnuclear-Paris angekündigt. Zu den englischen und französischen Behältern ist eine Stellungnahme der Bundesanstalt für Materialprüfung zur Dekontaminierbarkeit ausstehend. Die Gutachten zu Transporten bestrahlter Brennelemente in die Zwischenlager Ahaus und Gorleben sowie verglaster hochradioaktiver Abfälle nach Gorleben liegen vor. Die Industrie hat Unterlagen zu den Empfehlungen und Hinweisen der Gutachter vorgelegt; sie werden zur Zeit von diesen geprüft. Bei den vorgesehenen Castor-Behältern haben sich technische Fragestellungen im Zusammenhang mit dem verwendeten Moderatormaterial - dabei handelt es sich um die Abschirmung der Neutronenstrahlung - ergeben, die zur Zeit noch von der Industrie bearbeitet werden und anschließend von den Behörden zu bewerten sind. In allen vorliegenden Genehmigungsverfahren sind die zu beteiligenden Innenbehörden der Länder zur Gewährleistung der Sicherungsmaßnahmen einbezogen. Die Abarbeitung dieser Schwerpunkte bestimmt im wesentlichen die Fortführung und den Abschluß der einzelnen Genehmigungsverfahren. Nach Vorlage der genannten noch fehlenden Unterlagen werden für den Abschluß der Genehmigungsverfahren noch maximal vier Wochen gebraucht.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Dr. Laufs, Ihre Zusatzfrage, bitte. Dr. Paul Laufs ({0}): Frau Staatssekretärin, ist sich der Bundesumweltminister der wiederholt öffentlich vorgetragenen Äußerung des Bundeskanzlers bewußt, daß keine Verstopfungssituation eintreten werde, und was tut der Bundesumweltminister, um diese demnächst drohende Situation abzuwenden? Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Laufs, wenn ich das Wort „Verstopfung“ höre, habe ich eine Assoziation, die ein ganz anderes Ressort betrifft. Ich kann Ihnen aber trotzdem sagen, daß es darum natürlich nicht geht, sondern darum, nach Recht und Gesetz zu entscheiden und auf Grund der Vorkommnisse, die ich beschrieben habe, keine politische Einflußnahme zu betreiben. Ansonsten ist es so, daß die Zuständigkeiten genau geregelt sind. Das heißt, das Bundesamt für Strahlenschutz genehmigt gemäß dem Atomgesetz - das habe ich Ihnen bereits vorgetragen - die Transporte. Voraussetzung ist, daß die Behälter zugelassen sind. Im Moment ist es so, daß es, da die Genehmigungen abgelaufen sind, keine zugelassenen Behälter gibt. Es liegt nur die Genehmigung für den eventuellen Transport eines Behälters nach Gorleben vor. Diese Genehmigung läuft aber am 31. Oktober dieses Jahres ab. Weitere Zuständigkeiten liegen beim Bundesamt für Materialprüfung, beim Eisenbahn-Bundesamt und bei den Aufsichtsbehörden der Länder. Wenn diese die Bereiche, für die sie zuständig sind, nach Recht und Gesetz geprüft haben und wenn alle Unterlagen vorliegen - das habe ich Ihnen bereits vorgetragen -, dann können die Genehmigungen innerhalb von vier Wochen erteilt werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine letzte Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege. Parl. Staatssekretärin Gila Altmann Dr. Paul Laufs ({0}): Frau Staatssekretärin, da alle technisch komplizierten Vorgänge beliebig lange problematisiert werden können, ist zu fragen: Erkennt die Bundesregierung, daß es zu einer systematisch verzögerten und ständig problematisierten Bearbeitung von Genehmigungsanträgen kommt, was zu einer Rechtsverweigerung führt und damit Schadensersatzforderungen zur Folge hat? Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Laufs, die Bundesregierung erkennt vor allem ihre jetzige Verantwortung an, die sie besonders auf Grund der Vorkommnisse im letzten Jahr bzw. in den Jahren davor hat. Das, was Sie gerade ausgeführt haben, sind Unterstellungen. Ich bin auf diese Problematik bereits in einer vorherigen Antwort eingegangen. Ich habe Ihnen darüber hinaus schon zu Beginn der Beantwortung Ihrer Fragen gesagt, daß Ihnen im Umweltausschuß ein Bericht vorgelegt wird, den Sie dann auf Herz und Nieren prüfen können. Die Bundesregierung hat nicht nur den Anspruch, sondern auch die Pflicht, daß, bevor Transporte genehmigt werden, alle Fragen ausgeräumt und alle Unterlagen beigebracht worden sind, damit die Bevölkerung sicher sein kann, daß dieses Mal wirklich das stimmt, was in den vergangenen Jahren auch immer behauptet worden ist, nämlich daß die Transporte sicher sind. Insofern sollten wir bei diesem Thema Polemik und Politik vermeiden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Die Fragen 7, 8 und 10 werden schriftlich beantwortet. Deshalb rufe ich sofort die Frage 9 des Abgeordneten Hans Michelbach auf: Plant die Bundesregierung eine erhöhte Besteuerung des Vermögens im Rahmen einer der derzeit nicht mehr erhobenen Vermögensteuer ähnlichen Vermögensabgabe, und, wenn ja, welche Beweggründe veanlassen sie hierzu? Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Nein. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Was für ein Wunder, es gibt eine Zusatzfrage des Kollegen Michelbach. Hans Michelbach ({0}): Frau Staatssekretärin, ich weiß nicht, wie klar und deutlich Ihre Neins sind. ({1}) Fragen werden ja letzten Endes in Form eines Zickzackkurses oft mit Jein beantwortet. Meine Zusatzfrage zielt darauf ab, daß eine Vermögensabgabe natürlich auch dann vorliegt, wenn eine Erhöhung der Erbschaftsteuer stattfindet. Schließt Ihr Nein in bezug auf eine Vermögensabgabe auch die Erhöhung der Erbschaftsteuer aus? Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Michelbach, die Bundesregierung verfolgt konsequent das Ziel der Steuersenkung und der Haushaltskonsolidierung. Dieser doppelten Herausforderung müssen wir uns stellen, da Sie uns im Rahmen Ihrer Bundesregierung einen Scherbenhaufen hinterlassen haben. ({2}) Wir beabsichtigen nicht, unser Programm von Steuersenkungen und Haushaltskonsolidierung mit Steuererhöhungen zu verbinden. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Michelbach. Bitte. Hans Michelbach ({0}): Frau Staatssekretärin, wie verstehen Sie denn die einzelnen Hiobsbotschaften Ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen, insbesondere die von Frau Fraktionsvorsitzende Gleicke, die in jedem Fall die Forderung nach einer Vermögensabgabe oder nach einer Erbschaftsteuererhöhung durchsetzen will? Wie sehen Sie denn in dieser Verbindung die Verunsicherung der Wirtschaft auf Grund dieser Aussagen, die von den Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer Fraktion immer wieder in die Runde geworfen werden? Ist es nicht so, daß diese Verunsicherung Arbeitsplatzverluste in erheblicher Zahl gerade in der mittelständischen Wirtschaft durch Attentismus und durch Verlagerung von Investitionen hervorruft? Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Michelbach, Sie können mich in dieser Fragestunde lediglich nach den Absichten der Bundesregierung fragen. Darüber hinaus kann ich keine Auskunft geben. Ich darf Ihnen noch einmal sagen: Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Erbschaftsteuer zu erhöhen. Ich möchte aber die in Ihrer Frage enthaltene Bewertung zurückweisen. Es ist schlechterdings kaum vorstellbar, daß Investitionsentscheidungen wegen einer wie auch immer geänderten Erbschaftseuer zurückgestellt werden. Dazu kann es nun in der Tat keinen inhaltlichen Sachzusammenhang geben. Investitionsentscheidungen werden nach Marktanalysen und in der Erwartung getroffen, daß man mit der Investition, die man tätigt, einen Gewinn macht und weitere Marktchancen erschließt. Das hat mit einem Erbschaftsvorgang überhaupt nichts zu tun. ({1}) - Sie hatten aber nicht die Generationsbrücke angesprochen, sondern von Investitionsattentismus geredet. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hollerith, Sie hatten ebenfalls eine Zusatzfrage. Josef Hollerith ({0}): Frau Staatssekretärin, Sie hatten in einer Ihrer Antworten wieder den allseits gebetsmühlenhaft wiederholten Vorwurf der Erblast in die Debatte eingebracht. ({1}) Ich spreche von der Erblastenlüge und frage Sie: Teilen Sie die Einschätzung, daß von den 1 500 Milliarden DM Schulden etwa 350 Milliarden DM aus der Zeit der Kanzlerschaft Willy Brandts und Helmut Schmidts bis zum Ende des Jahres 1982 stammen, daß etwa 450 Milliarden DM aus der Hereinnahme des Erblastentilgungsfonds und der Treuhandaltschulden herrühren und daß etwa 600 Milliarden DM aus dem Nettotransfer in die neuen Bundesländer stammen und deshalb Kosten, Lasten bzw. Schulden aus der wiedergewonnenen Einheit Deutschlands sind und in Wirklichkeit aus der Zeit des Kommunismus herrühren? Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Hollerith, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie das Wort Erblast in diese Debatte eingeführt haben. Ich hatte es nicht getan, darf aber im übrigen darauf hinweisen, daß der Schuldenstand am Ende des Jahres 1982 rund 300 Milliarden DM betrug. Allerdings bezog sich diese Zahl auf die Entwicklung von 1949 bis 1982, also auf einen Zeitraum von 33 Jahren und nicht nur auf die Zeit der sozialliberalen Koalition. Ich darf Sie des weiteren darauf aufmerksam machen, daß dieser Schuldenstand in der Zeit bis 1989 - also in den ersten acht Jahren der Kanzlerschaft Kohl und damit vor der deutschen Einheit ziemlich genau verdoppelt worden ist und daß seit der deutschen Einheit in der Tat rund 900 Milliarden DM zusätzliche Schulden aufgelaufen sind. Es waren also 600 Milliarden DM bis 1989, davon die eine Hälfte von 1983 bis 1989, die andere Hälfte in den 33 Jahren davor; und es waren 900 Milliarden DM seit der deutschen Einheit. Es ist überhaupt nicht von der Hand zu weisen, daß die Kosten der deutschen Einheit darin ihren Niederschlag gefunden haben müssen. ({2}) - Das hat doch niemals jemand bestritten. - Selbstverständlich wissen wir, daß die deutsche Einheit nicht zum Nulltarif zu haben war. Das haben wir sogar schon vor Ihnen erkannt und deshalb andere Finanzierungsvorschläge vorgelegt, die von der alten Bundesregierung abgelehnt worden sind. Zum Beispiel ist das Stichwort Lastenausgleich von Ihnen niemals aufgegriffen worden, obwohl im Zusammenhang mit der deutschen Einheit in der Tat eine Opferbereitschaft in der deutschen Bevölkerung bestand. Die ist von Ihnen nicht angenommen worden, weil Sie über eine gewisse Zeit davon ausgegangen sind, diese große Aufgabe würde sozusagen aus der Portokasse gezahlt werden können. Dies war schlechterdings nicht möglich. Sie wissen - bei Ihnen ging es ja noch hin und her mit Soli einführen, Soli abschaffen, Soli doch wieder einführen -, daß es ohne eine Sonderfinanzierung nicht gehen würde. Wir freuen uns jedenfalls alle über die deutsche Einheit. Wir wissen, daß sie viel Geld kostet. Wir müssen jetzt natürlich die Vergangenheit abarbeiten. Aber dies kann nicht unsere einzige Aufgabe sein. Wir müssen auch die Zukunft zurückgewinnen. Deswegen müssen wir ein striktes Konsolidierungsprogramm fahren.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koppelin. Jürgen Koppelin ({0}): Frau Staatssekretärin, da Sie die Frage nach einer Neueinführung der Vermögenssteuer mit Nein beantwortet haben: Darf ich Sie fragen, ob der Bundesfinanzminister beabsichtigt, mit der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis zu sprechen, die die Wiedereinführung fordert, um sie von der Haltung der Bundesregierung zu überzeugen? Darf ich Sie weiter fragen, ob der Bundesfinanzminister auch mit den Mitgliedern der SPDFraktion sprechen wird, die täglich durch die Medien geistern, indem auch sie die Wiedereinführung der Vermögensteuer fordern? Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Koppelin, bitte seien Sie sicher, daß es sogar in der Sozialdemokratie so ist, daß nicht nur extern, sondern auch intern kommuniziert wird. ({1}) Selbstverständlich.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Dr. Barbara Höll. Dr. Barbara Höll ({0}): Frau Staatssekretärin, muß ich Ihre Antwort so verstehen, daß Sie sich damit auch aus der Verpflichtung verabschieden, die im Koalitionsvertrag steht, nämlich daß Sie zumindest prüfen wollten, wie eine Neuerhebung der Vermögensteuer aussehen könnte - so noch nachzulesen im Vertrag vom vergangenen Jahr? ({1}) Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Der Koalitionsvertrag hat die Möglichkeit einer Vermögensbesteuerung zur Prüfung gestellt. Es sind in der Tat Vorarbeiten auf technischer Ebene insbesondere bezogen auf die Bewertung des Grundvermögens geleistet worden. Diese Vorarbeiten werden von einer Beamtenkommission aus Vertretern von Bund und Ländern geleistet. Demnächst, wahrscheinlich im Frühjahr, wird es einen Bericht geben. Gleichwohl wird politisch zu entscheiden sein, wie man damit umgeht. Die Bewertung des Grundvermögens ist aber so oder so eine Frage, die ansteht, nämlich für die Grundsteuererhebung und natürlich auch für die VonFall-zu-Fall-Bewertung bei der Erbschaftsteuer. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung. Ich rufe zunächst Frage 11 des Abgeordneten Werner Lensing, CDU/CSU, auf: Wie beurteilt die Bundesregierung den faktischen Ausschluß lokaler Stromversorgungsunternehmen an der Beteiligung der Ausschreibung von Stromlosen im Bereich der Bundeswehr durch die Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung, nur noch „große“ Lose auszuschreiben, obgleich die direkte Zusammenarbeit zwischen Stromversorgern und Bundeswehrliegenschaften vor Ort erhebliche Synergieeffekte Kostenvorteile mit sich bringt? Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Lensing, Sie haben gefragt, ob die Bundeswehr bei der Entscheidung über die Auftragsvergabe nicht mehr Rücksicht auf lokale Stromversorgungsunternehmen nehmen könne. Nun muß ich Ihnen nicht sagen, daß sich gerade die Bundeswehr an die Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung halten muß. Sie trägt damit den zu Beginn des Jahres 1998 in Kraft getretenen Zielsetzungen des Energiewirtschaftsgesetzes Rechnung. Die Bundeswehr unterliegt außerdem Sparzwängen, die Sie auch kennen. Sie versucht - natürlich zu Recht -, ihre Betriebskosten zu senken. Der Kostenvorteil für die Bundeswehr als Großabnehmer im Wettbewerb auf dem Strommarkt ist daher durch die Bündelung der Abnahmestellen und die Bildung großer Lose wahrzunehmen. Wir beide, die wir kommunalpolitische Erfahrung haben, wissen, daß das natürlich entsprechende Auswirkungen auf Stadtwerke und regionale Unternehmen hat. Das Ergebnis der durch diese Gesetzgebung geforderten EU-weiten Ausschreibung hat im Wehrbereich VI für eine jährliche Kostenreduzierung um 36 Prozent gesorgt. Dies entspricht einer Einsparung von etwa 18 Millionen DM. Der Weg scheint richtig zu sein. Auf Standortebene verbleibt nur die Möglichkeit, die Systemdienstleistungen der örtlichen Netzbetreiber wahrzunehmen. Sie wissen, das Gesetz hat die Aufgaben in drei Bereiche aufgeteilt. Eine der Folgen der EUweiten Ausschreibung und der großen Lose ist natürlich, daß wir dadurch die kleinen und mittleren Energieunternehmen sicherlich nicht in Vorteil bringen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Lensing, Ihre Zusatzfrage, bitte.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann nahtlos an das anknüpfen, was Sie zum Schluß gesagt haben, Frau Staatssekretärin. Es hat sich in der Tat in der Vergangenheit herausgestellt, daß sich die Zusammenarbeit der lokalen Dienststellen der Bundeswehr unter anderem mit den Stadtwerken durchaus bewährt hatte. Mir ist natürlich diese gesetzliche Vorgabe bekannt. Aber könnten wir darin übereinstimmen, daß ein Urprinzip auch von politischer Gestaltung, nämlich die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips, durch diese zentrale Ausschreibung jetzt außer acht gelassen wird? ({0}) Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Wir stehen in der schwierigen Situation, daß ich in meiner früheren Funktion als Vorsitzende des Gesprächskreises Kommunalpolitik entschieden gegen dieses Energiewirtschaftsgesetz war, weil ich wußte, welche Folgen es für die Regionen haben würde. ({1}) - Nein, ich würde nicht so sprechen; das ist ein europäischer Bereich. Wir haben über Parteigrenzen hinweg gemeinsam versucht, bei den Stromversorgungsunternehmen die Geschäftsfelder Erzeugung, Übertragung und Verteilung zu trennen, um für die regionalen Unternehmen wenigstens etwas zu retten. Herr Kollege Lensing, ich teile Ihre Sorge. Ich sage Ihnen nur voraus: Das wird sich noch stärker bemerkbar machen, weil bei den Energieeinsparungsmöglichkeiten, die wir in der Zukunft haben werden, und durch die technischen Veränderungen zum Beispiel regionale Heizkraftwerke und ähnliche Dinge wahrscheinlich nicht mehr notwendig sein werden. Die Folgen für die Stadtwerke kann die Bundeswehr nicht auffangen. Dafür ist sie übrigens auch zu unbedeutend. Die Bundeswehr selbst hat beim Verbrauch von nationaler Energie nur einen Marktanteil in Höhe von 0,2 Prozent. Werner Lensing ({2}): Nun hat sich auch Ihre Fraktion dafür ausgesprochen, zunächst einmal Verfassungsbeschwerde zu erheben. Kann ich auf Grund Ihrer Ausführungen davon ausgehen, daß Sie diese Beschwerde zurückziehen werden? Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Ich vermute, daß sich die4436 se Verfassungsbeschwerde, die natürlich auch im Interesse der regionalen Energieunternehmen war, sehr schnell durch die Notwendigkeit der EU-Gesetzgebung erübrigen wird. Ich weiß aber nicht, wie das Verfassungsgericht entscheiden wird. Es ist wohl auch nicht unsere Aufgabe zu entscheiden. Vielmehr sind die Richter unabhängig. Werner Lensing ({3}): Mit Verlaub, ich hatte nicht gefragt, wie es entscheidet -

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Lensing, Sie haben leider nur die Möglichkeit zu zwei Zusatzfragen. ({0}) Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Was ich gut verstehen kann, Herr Kollege.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Aber Sie haben immerhin noch eine Chance im Zusammenhang mit Ihrer Frage 12. Aber zunächst hat der Kollege Hauser noch eine Zusatzfrage. Norbert Hauser ({0}) ({1}): Frau Staatssekretärin, ich möchte die Frage des Kollegen aufnehmen: Beabsichtigen Sie im Hinblick auf Ihre Antwort, die Verfassungsbeschwerde zurückzunehmen - was man durchaus machen kann -, so daß es gar erst nicht zu einer Entscheidung kommt, und war Ihre Antwort so zu verstehen, daß durch die europäische Entscheidung möglicherweise eine nationale Entscheidung hinfällig werden könnte? Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Hauser, wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie im Kommunalparlament in Bonn gesessen. ({2}) - Dann wissen Sie sehr genau, mit welchem gespaltenen Herzen auch die christdemokratischen Kommunalpolitiker dieses Energiewirtschaftsgesetz, das von der EU kam, begleitet haben. Wir wissen auch, welche hervorragende Infrastruktur wir im Vergleich zu anderen Ländern der Europäischen Union in diesem ganzen Bereich erarbeitet haben. Inzwischen stellen wir fest, daß dieses über nationale Grenzen hinweg zu einer Konzentration auf dem Energiemarkt führt. Meine persönliche Meinung ist - sicherlich ist es auch die des Kollegen Hauser -: Es ist bedauerlich, was wir alles zerschlagen werden, wieviel Arbeitsplätze dadurch regional verlorengehen werden. Aber ich vermute einmal, die Richter sind unabhängig. Sie werden sich allerdings an die europäische Gesetzgebung zu halten haben.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt rufe ich die Frage 12 des Abgeordneten Werner Lensing auf. In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung, die im jüngsten Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages festgestellten und in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zu diesem Bericht zugegebenen Defizite im Bereich der politischen Bildung aufgrund der „objektiv vorhandenen Belastungen der Truppe“ durch Auslandseinsätze - vor dem Hintergrund noch weiter steigender Anforderungen durch den erhöhten personellen Ansatz einer Beteiligung der Bundeswehr an der Kosovo-Friedenstruppe - zu verbessern? Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung: Sehr geehrter Herr Kollege Lensing, Minister Scharping hat bereits mehrfach öffentlich dargestellt, daß die Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht nur für diejenigen Truppenteile, die sich derzeit im Ausland befinden, belastend sind. Auch die anderen Truppenteile, die sich in der Einsatzvorbereitung oder -nachbereitung befinden oder zur Auffüllung von wichtigem Personal für die Krisenreaktionskräfte dienen, haben ein großes Problem: Sie werden außerordentlich belastet. Das führt dazu, daß in dem einen oder anderen Fall die Notwendigkeit der politischen Bildung nicht genügend beachtet wird. Dies hat die Wehrbeauftragte in ihrem letzten Bericht ja auch kritisch angemerkt. Sie wissen, daß dieser Bericht der Wehrbeauftragten die Beurteilung des Jahres 1997/98 betrifft, also einen Zeitraum, für den noch die vorangegangene Bundesregierung verantwortlich war. Aber ich wäre unfair, wenn ich nicht zugeben würde, daß wir im Rahmen der normalen Friedensausbildung natürlich mehr Mittel für die politische Bildung vorgesehen hatten. Aber jetzt müssen die Streitkräfte zuerst für den Einsatz ausgebildet werden. Dennoch sind wir uns völlig bewußt darüber, daß gerade weil die Soldaten in den Einsatz gehen müssen oder sich schon in einem solchen befinden, die politische Bildung für sie besonders wichtig ist. Nach meiner Kenntnis ist die Bundeswehr die einzige Armee, die versucht, ihre Soldaten nicht nur während des Friedensdienstes sorgfältig, sondern auch noch im Einsatz politisch auszubilden. Denken Sie nur an die Unterrichtsfahrten nach Mostar. Der Generalinspekteur, Herr von Kirchbach, der sich genauso wie seine Vorgänger ganz besonders um das Thema der politischen Bildung gekümmert hat, hat ausdrückliche Weisung gegeben. Ich möchte nur daran erinnern, daß sich die Vorgesetzten in der Truppe um die politische Bildung durch Beraterteams der Großverbände und durch das Zentrum „Innere Führung“ bemüht haben, keine Defizite entstehen zu lassen. Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung eines Seminars über den Nationalsozialismus. Wenn Sie Gelegenheit dazu haben, sollten Sie sich dieses Modell wirklich einmal ansehen. Das alles ist vorbildlich. Aber es bleibt natürlich Tatsache, daß trotz allen Bemühens unsererseits die politische Bildung in dem einen oder anderen Fall zu kurz kommt. Ich kann Sie als Wahlkreisabgeordneten nur ermutigen, darauf zu achten, daß das nicht geschieht. |Werner Lensing ({0}): Vielen Dank, das werden wir mit Sicherheit tun. Aber wird sich die schwierige Situation, die Sie gerade anschaulich beschrieben haben, nicht sehr wahrscheinlich noch weiter durch die Reduzierung des Verteidigungsetats verschärfen, obwohl im Rahmen des sogenannten „Beutelsbacher Konsens“ Klarheit darüber gewonnen wurde, wie wichtig politische Bildung ist? Wird trotz der Rückführung der Mittel für die politische Bildung in der Truppe wenigstens der Ausbildungsbetrieb aufrechterhalten werden können?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege, ich wußte, daß solche Fragen gestellt werden. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie in der neuen Rolle der Opposition solche Fragen stellen. Trotzdem muß ich Ihnen antworten: Das Herunterfahren der Kosten für die politische Bildung hat im Jahr 1991 begonnen. Dies hat dazu geführt, daß 1991 noch 8,1 Millionen DM und 1997 nur noch 6,2 Millionen DM für die politische Bildung ausgegeben wurden. Dann hat die Zahl rechtsextremer Vorfälle dramatisch zugenommen. Schon Volker Rühe und seine Crew haben versucht, hier Korrekturen vorzunehmen. 1998 und 1999 standen für die politische Bildung wesentlich mehr Mittel zur Verfügung. Ich kann Ihnen versichern, daß wir an dieser Stelle bestimmt nicht sparen werden, zumal wir für die internationalen Einsätze - auch mit Hilfe der Kollegen aus dem Haushaltsausschuß - im Einzelplan 60 entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt haben, die auch für die Ausbildung genutzt werden. Bei der Ausbildung geht es nicht nur um die militärisch-technische, sondern auch um die politische Ausbildung.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine Zusatzfrage. Bitte, Frau Kollegin.

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, sind die Angaben in einer Zeitung für Wehrpflichtige richtig, denen zufolge die Mittel für das vom Bundeskanzler und anderen Regierungsmitgliedern gelobte Programm zur Schaffung von 100 000 Arbeitsplätzen für Jugendliche im Rahmen des Bundeswehretats zurückgenommen worden sind? Ist es richtig, daß statt der 5 000 jungen Soldaten, die ursprünglich ausgebildet werden sollten, maximal nur noch 1 900 in die Ausbildungsmaßnahmen hineinkommen? Ist es richtig, daß dadurch eine Menge junger Wehrdienstleistender, darunter auch Soldaten, die freiwillig länger Wehrdienst leisten, in die Arbeitslosigkeit entlassen werden?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Liebe Frau Kollegin, ich kann den Zusammenhang mit der politischen Bildung, über die wir im Moment reden, nicht erkennen. Hier ging es um die berufliche Qualifikation der jungen Leute. Ich will ausdrücklich sagen, daß wir dies prüfen. Wenn es keine anderen finanziellen Möglichkeiten gibt, dies zum Beispiel als Ausbildungsbereich in einen anderen Einzelplan hineinzulegen, dann werden wir in der Tat überprüfen, wie viele Fälle wir im Jahre 1999 hatten. Wenn es ein entsprechendes Interesse gibt, dann werden wir nicht gerade an dieser Stelle sparen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Fragen 13 und 14 werden schriftlich beantwortet. Ich komme damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Alle Fragen dieses Geschäftsbereichs, das heißt die Fragen 15, 16 und 17, werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. Ludger Volmer bereit. Die Frage 18 wird schriftlich beantwortet. Ich rufe jetzt die Frage 19 des Abgeordneten Wolfgang Börnsen auf: Inwiefern will die Bundesregierung nach der geplanten Schließung der Generalkonsulate Apenrade und Oppeln für die deutschen Minderheiten im Königreich Dänemark und der Republik Polen sowie nach der geplanten Haushaltskürzung für die sorbische Minorität in Deutschland von 16 auf 14 Millionen DM eine effiziente wie nachhaltige Minderheiten- und damit Konfliktpräventionspolitik in Zukunft betreiben, und sind weitere Kürzungsschritte zu Lasten der deutschen Minderheiten im Inund Ausland in den kommenden Jahren vorgesehen?

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Herr Börnsen, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Kürzungen sind Bestandteil des allgemeinen Sparprogramms der Bundesregierung. Der Grund hierfür ist die bekannte dramatische Finanzlage des Bundes. Die Bundesregierung mißt dem Minderheitenschutz für die Erhaltung des Friedens in der Völkergemeinschaft und das gedeihliche Zusammenleben innerhalb der Staaten große Bedeutung bei und wird dies auch künftig tun. Die Kürzungen sind deshalb lediglich in einem Umfang getroffen worden, der eine effiziente und nachhaltige Minderheiten- und damit Konfliktpräventionspolitik insgesamt nicht in Frage stellt. Der Status der deutschen Minderheiten in Dänemark und Polen steht auf rechtlich abgesicherter Grundlage. Konkrete Aussagen über das Jahr 2000 hinaus können zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht getroffen werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Börnsen, Ihre Zusatzfrage, bitte.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich höre mit großem Wohlgefallen Ihren Hinweis darauf, daß die Bundesregierung Minderheitenpolitik ernst nimmt. Sie wissen so gut wie ich, daß die Konflikte der letzten Jahrzehnte durchweg Minderheitenkonflikte gewesen sind und daß Minderheitenpolitik auch Friedenspolitik bedeutet. Können Sie mir erklären, warum es gerade zu einer Häufung von Kürzungen und Streichungen bei Minderheiten kommt? Sie schließen das Generalkonsulat in Apenrade, in einem Kerngebiet deutscher Minderheit mit 20 000 Einwohnern. Sie schließen die Generalkonsulate in Oppeln und Stettin. Überall dort, wo Minderheiten den Eckpfeiler deutscher Repräsentanz brauchen, schließen Sie |die Generalkonsulate, und gleichzeitig kürzen Sie. Der Kollege, der eben bei Ihnen war, kürzt bei den Sorben von 16 Millionen DM auf 14 Millionen DM. Bei der deutschen Minderheit in Nordschleswig kürzen Sie um 1,3 Millionen DM. Stimmt vor diesem Hintergrund Ihre Behauptung, Minderheitenpolitik ernst zu nehmen, noch mit dem überein, was Sie in der Praxis vorleben?

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Herr Börnsen, Sie haben mit Ihrer These recht, daß die Konflikte der letzten Jahre im wesentlichen Minderheitenkonflikte waren. Das heißt aber umgekehrt nicht, daß jede Minderheitensituation zu einem Konflikt führen muß. Gerade die deutsche Minderheit in Dänemark oder die dänische Minderheit in Deutschland sind so in beste bilaterale Beziehungen und in eine funktionierende Europäische Union integriert, daß Konflikte dieser Art überhaupt nicht zu erwarten sind. Ähnliches kann man über die deutsche Minderheit in Polen sagen. Im übrigen wird die Betreuung der jeweiligen Gruppen nicht eingestellt, sondern von den entsprechenden Botschaften übernommen. So sind zum Beispiel der Deutschen Botschaft in Kopenhagen zusätzliche Mittel an die Hand gegeben worden, um Reisen von Minderheitenvertretern nach Kopenhagen zu ermöglichen und, falls es dazu kommt, Probleme immer bearbeiten zu können.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie kennen sich in der deutsch-dänischen Region aus. Sie wissen, daß die Generalkonsulate auf dänischer Seite in Apenrade und auf deutscher Seite in Flensburg dazu beitragen, daß das dort praktizierte ausgezeichnete Modell inzwischen den Charakter eines Beispiels für ganz Europa bekommen hat. Wenn Sie jetzt das eine Generalkonsulat streichen, dann bringen Sie damit auch das Modell zum Einsturz. Es gab Einwendungen von seiten der schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten, von seiten der Ministerpräsidenten und der IHK, und auch viele andere haben sich an Sie gewandt; aber alle werden mit dem Hinweis auf die fiskalische Situation kurz abgefertigt.

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Herr Börnsen, wir tun so etwas bestimmt nicht gerne, da das in der Tat gut funktioniert hat. Wenn wir aber Dinge tun, die uns selber keine Freude machen, dann deshalb, weil es triftige Gründe dafür gibt. Der Hinweis auf die fiskalische Situation ist eben kein unwichtiger Hinweis, sondern ein entscheidender Hinweis auf das Hauptproblem, mit dem sich die Bundesregierung im Moment beschäftigen muß, nämlich das Haushaltsdefizit, das von den Vorgängerregierungen systematisch aufgebaut wurde. Die Deckungslücke in Höhe von 30 Milliarden DM im Haushalt hat doch nicht die jetzige Regierung verschuldet, sondern es ist eine Erbschaft, die uns von den Vorgängerregierungen, die ja auch von Ihnen politisch unterstützt wurden, hinterlassen wurde. ({0}) Wir haben nun die sehr undankbare Aufgabe, entweder weiterhin eine Verschuldungspolitik zu betreiben - das wollen wir nicht - oder aber nach Einsparmöglichkeiten zu suchen. Dabei muß man viele Dinge tun, die ziemlich bitter sind.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe jetzt die Frage 20 des Kollegen Börnsen auf: Hat sich in den vergangenen zwei Wochen, insbesondere nach einem Gespräch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis, eine Änderung der Position der Bundesregierung bezüglich der Schließung des deutschen Generalkonsulats in Apenrade, wie sie im diesbezüglichen Antwortschreiben des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen, vom 19. August 1999 dargestellt wird, dahin gehend ergeben, daß der Bundeskanzler in den Haushaltsetat des Bundesministers des Auswärtigen, Joseph Fischer, eingegriffen und die Entscheidung zur Schließung des Generalkonsulats zum 1. Januar 2000 durch ein „Machtwort“ zurückgenommen hat?

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Diese Frage berührt das gleiche Thema. Herr Börnsen, seit dem 19. August hat sich keine Änderung der Position der Bundesregierung zur Schließung des Generalkonsulats in Apenrade ergeben.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Erste Zusatzfrage.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das heißt, Herr Staatsminister, daß die Intervention aller, die sich für Apenrade eingesetzt haben, keinen Zweck hatten, daß die Gespräche der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin mit dem Bundeskanzler zu keinem Erfolg geführt haben und daß alle anderen, die Einwände erhoben hatten, auch dänische Institutionen bis hin zum Amtsbürgermeister Kristen Philippsen, gegen eine Wand gelaufen sind?

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Herr Börnsen, das Auswärtige Amt sieht sich in der unbequemen Situation, zirka 20 Auslandsvertretungen schließen zu müssen. So wie es durchaus triftige Einwände gegen die Schließung von Apenrade gibt, gibt es ebenfalls ähnlich triftige Einwände gegen die Schließung fast aller anderen Auslandsvertretungen. Dennoch kommt das Auswärtige Amt, das seinen Sparbeitrag leisten muß, nicht darum herum, auch Einsparungen in strukturellen Bereichen vorzunehmen, da politische Programmittel und disponible Mittel, die man vielleicht ohne strukturelle Auswirkungen kürzen könnte, dem Auswärtigen Amt kaum zur Verfügung stehen. Das ist seit Jahren ein Strukturproblem des Bundeshaushaltes.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bitte, eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, haben Sie Verständnis dafür, daß ich noch einmal wegen Apenrade nachfrage. Sie sagten, daß fiskalische Gründe ausschlaggebend seien, und haben Wolfgang Börnsen ({0}) |darauf hingewiesen, daß es um 30 Milliarden DM ginge, die es abzutragen gilt. Sie wissen ja genausogut wie ich, daß die Erhöhung des Haushaltsansatzes 1999 um 6 Prozent ungefähr diese 30 Milliarden DM ausmacht, die jetzt wieder abgebaut werden müssen. ({1}) Jetzt argumentieren Sie im Grunde genommen mit den selbstgemachten Schulden, und kleine Auslandsvertretungen müssen darunter leiden. Ich frage Sie in diesem Zusammenhang, ob es wirklich notwendig ist, bei den kleinen Auslandsvertretungen wie dem Generalkonsulat in Apenrade, das jährlich 19 000 Visa ausstellt und 7000 Pässe ausgeben muß, Anlaufstelle und Konzentrationsstelle für 20 000 Deutsche in Nordschleswig ist, zu streichen. Warum müssen wir einen Botschafter bei der EU oder bei der NATO haben, wo wir doch selber Mitglied sind? Wo liegt da eigentlich die Logik?

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Herr Börnsen, das Auswärtige Amt muß im Rahmen des Haushalts 2000 etwa 270 Millionen DM einsparen. Da die meisten Mittel des Amtes entweder für Auslandsvertretungen oder Personal oder Leistungen, die wir völkerrechtlich verpflichtend zugesagt haben, gebunden sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als dort unseren Sparbeitrag zu leisten, wo wir die politische Entscheidungsfreiheit besitzen. Dabei trifft es leider auch solche Institutionen, die man, wenn es nur um die Funktionalität ginge, sicherlich nicht schließen würde.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung. Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Klaus Hofbauer von der CDU/CSU auf: Bis wann wird das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit der Polizeibehörden und der Grenzschutzbehörden in den Grenzgebieten unterzeichnet?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Hofbauer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Anläßlich des Treffens von Herrn Bundesinnenminister Otto Schily am 3. Juni 1999 in Prag mit seinem Amtskollegen wurde vereinbart, die Vertragsverhandlungen baldmöglichst wiederaufzunehmen. Der tschechischen Seite liegt ein von deutscher Seite überarbeiteter Entwurf des deutschtschechischen Abkommens über die polizeiliche Zusammenarbeit in den Grenzgebieten vor. Die tschechische Seite hat zugesagt, nach eingehender Prüfung zu einer Verhandlungsrunde einzuladen. ({0})

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, trifft es dann nicht zu, daß der Vertragsentwurf schon wieder zurückgesandt worden ist und bei Ihnen in Ihrem Hause liegt?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Das trifft nicht zu.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zweite Frage: Was werden Sie zur Beschleunigung dieses Verfahrens machen? Denn ich habe schon den Eindruck, daß dieser Vertrag in dem praktischen Bemühen, die Kriminalität zwischen dem ostbayrischen und dem tschechischen Raum zu beschränken, von ganz entscheidender Bedeutung ist.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege, daß dieser Vertrag notwendig ist, ist völlig richtig; da stimmen wir überein. Allerdings muß man auch wissen, daß einige der Verzögerungen unsererseits produziert worden sind. Sie müssen wissen, daß wir als neue Bundesregierung beispielsweise etliche Verträge und Übereinkommen übernommen haben, die an bestimmten Stellen scheiterten, was die Frage Datenschutzregelungen anbelangt. Da gab es in der Vergangenheit immer heftige Kontroversen zwischen Bundesjustizministerium und Bundesinnenministerium. Das haben wir geregelt und gelöst. Sie müssen allerdings wissen, daß der überarbeitete Entwurf - den Sie übrigens gerne einmal einsehen können, wenn Sie das wollen; ich habe ihn auch dabei - von der tschechischen Seite geprüft werden muß. Man hat gesagt, daß das eine gewisse Zeit dauert. Aber die Überarbeitung unsererseits hat natürlich auch für die tschechische Seite einige Neuheiten gebracht, über die dort intern abgestimmt werden muß.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es weitere Fragen? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir nun zur Frage 22 des Kollegen Hofbauer: Welche Verbesserungen sind durch dieses Abkommen für die Arbeit der Polizei beider Staaten zu erwarten, insbesondere im Hinblick auf die grenzüberschreitende Kriminalität in den Grenzgebieten sowie bei der Verhütung und Bekämpfung von Straftaten?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Mit dem vorgesehenen Abkommen, Herr Kollege, sollen der Informationsaustausch verbessert und die gegenseitige Kommunikation intensiviert werden, insbesondere durch die Zusammenarbeit bei Maßnahmen der Aus- und Fortbildung sowie bei der Durchführung gemeinsamer Arbeitstagungen und von Programmen zur Kriminalprävention. Die Koordination und Durchführung polizeilicher Einsätze soll durch Erstellung polizeilicher und grenzpolizeilicher Lagebilder und Einsatzpläne sowie durch neue Formen operativer Zusammenarbeit verstärkt werden. Wolfgang Börnsen ({0}) |

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nur eine Zusatzfrage: Haben Sie einen Fahrplan, bis wann dieser Vertrag abgeschlossen werden kann?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Da wir leider nicht Herr des Verfahrens sind - wir sind natürlich auch auf den Vertragspartner angewiesen -, kann ich Ihnen jetzt kein genaues Datum nennen. Aber Sie können versichert sein, daß die Bundesregierung ein großes Interesse daran hat, den Abschluß dieses Vertrages auch auf Grund der Ihnen und mir bekannten Probleme in diesem Bereich zu forcieren und zu versuchen, ihn in ähnlicher Form wie mit Polen hinzubekommen. Denn da ist eine sehr positive Entwicklung zu verzeichnen, und das ist eigentlich ein Stück Vorbild für diesen Bereich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frage 23 soll schriftlich beantwortet werden. Ich rufe jetzt Frage 24 des Kollegen Norbert Hauser auf: Besteht die Absicht, die Aufgaben des Bundesamtes für Zivilschutz mit dem heutigen Personalbestand an das Bundesverwaltungsamt zu überführen oder drückt der Artikel 33 Absatz 1 i.V.m. Artikel 33 Absatz 7 des Entwurfs der Bundesregierung zum Haushaltssanierungsgesetz ({0}) mit seinen unterschiedlichen Zeitpunkten des Inkrafttretens von Artikel 2 ({1}) und Artikel 3 ({2}) aus, daß die Bundesregierung die Aufgabenübertragung mit wesentlich reduziertem Personalbestand vornehmen will, so daß mindestens ein Jahr eine Behörde mit Personal aber ohne Aufgaben fortbesteht?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Präsident, wenn Sie mir gestatten, möchte ich gerne die Fragen 24 und 25 vom Kollegen Hauser gemeinsam beantworten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Körper, das ist sicher möglich. - Dann rufe ich auch die Frage 25 auf: Welche organisatorische und personelle Konzeption besteht für die neu zugewiesenen Zivilschutzaufgaben, und wie viele Planstellen sollen im Bundesverwaltungsamt hierfür zusätzlich eingerichtet werden?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Über die im Zusammenhang mit der Schließung des Bundesamtes für Zivilschutz und der Übertragung der Aufgaben gemäß § 4 des Zivilschutzgesetzes auf das Bundesverwaltungsamt anstehenden organisatorischen und personalwirtschaftlichen Fragen wird im Zuge der Umsetzung entschieden. Hierzu wird derzeit eine Aufgabenevaluierung durchgeführt. Abschließende Ergebnisse liegen noch nicht vor. Da eine Übertragung der Verwaltungszuständigkeit des Bundes vom Bundesamt für Zivilschutz auf das Bundesverwaltungsamt zu dem Zeitpunkt erforderlich ist, an dem das Bundesamt für Zivilschutz aufgelöst wird, sollen auch Art. 2 und 3 des Haushaltssanierungsgesetzes am 1. Januar 2001 in Kraft treten. Eine entsprechende Anpassung des Regierungsentwurfs ist vorgesehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hauser, bitte schön.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbst wenn Sie, Herr Staatssekretär, heute noch nicht abschließend sagen können, wie diese neue Organisationsstruktur aussehen soll: Gibt es zumindest erste Vorstellungen darüber, wie viele Abteilungen und Referate im Bundesverwaltungsamt, das jetzt diese Aufgaben übernehmen soll, neu eingerichtet werden und wieviel Personal durch die Auflösung und die Eingliederung in das Bundesverwaltungsamt betroffen ist?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Zu den Personalzahlen kann derzeit nichts Konkretes gesagt werden, weil wir voll in der Planungsphase sind. Aber, Herr Kollege Hauser, Sie werden mit Sicherheit mit mir darin übereinstimmen, daß bei einem solchen Vorgang zunächst einmal Aufgabenkritik notwendig ist, das heißt: Welche Aufgaben sollen auch zukünftig weiter bearbeitet werden, und welche Organisationseinheiten braucht man dafür? Derzeit beschäftigt sich eine Gruppe mit der Aufgabenkritik dieses Bereiches, und auf Grund dieser Ergebnisse werden die entsprechenden organisatorischen und personellen Entscheidungen getroffen. Wir gehen davon aus, daß sie eine Eingliederung in das Bundesverwaltungsamt bringen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können wir davon ausgehen, daß im Zusammenhang mit diesen Überlegungen bereits die notwendigen Voraussetzungen für eine Qualifizierung dieser dann mit sachfremden Aufgaben betrauten Mitarbeiter im Bundesverwaltungsamt geschaffen wurden bzw. die entsprechenden Vorbereitungen getroffen werden, damit das Fachwissen, das in der aufzulösenden Behörde vorhanden ist, rechtzeitig im Bundesverwaltungsamt anzutreffen ist?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Wir werden uns mit Sicherheit des Fachwissens der betroffenen Beschäftigten bedienen. Ich gehe davon aus, daß dem dort Rechnung getragen wird, wo Fort- und Ausbildung zur Übernahme einer neuen Aufgabe im Zuge der Umorganisation notwendig sind.

Norbert Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003141, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist das Bundesverwaltungsamt mit dem Tag der |Übernahme der Zivilschutzaufgaben - weil Sie eben von Art. 33 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 des Haushaltssanierungsgesetzes sprachen, gehe ich davon aus, daß es sich jetzt nicht mehr um das Jahr 2000 mit den unterschiedlichen Terminen, sondern insgesamt um 2001 handelt - auf die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr vorbereitet? Ich beziehe mich insbesondere auf die Aspekte der Sicherheit und dort vor allen Dingen auf die bis dato gesetzlich unterschiedlich geregelten Geheimhaltungsfragen. Die Bundeswehr unterhält an drei NATO-Befehlsständen Verbindungsstellen, deren Mitarbeiter hinsichtlich dieser Geheimhaltungsvoraussetzungen gemäß der heutigen gesetzlichen Regelungen keine Entsprechung im Bundesverwaltungsamt hätten. Daß heißt, den Sicherheitsaspekten könnte nach den heutigen gesetzlichen Regelungen im Bundesverwaltungsamt nicht Rechnung getragen werden. Damit würden die Informationen, die den Mitarbeitern bei der NATO bisher zur Verfügung stehen, entfallen.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich gehe davon aus, daß dies dann, wenn sich noch gesetzlicher Änderungsbedarf ergeben würde - ich formuliere jetzt bewußt im Konjunktiv -, erfolgt. Das zeigt das Beispiel, das Sie eben genannt haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nun kommen wir zu der Frage 26 des Kollegen Norbert Röttgen: Welche Behörden sollen die übrigen Aufgaben des Bundesamtes für Zivilschutz übernehmen ({0}), wenn das Bundesamt für Zivilschutz - wie von der Bundesregierung geplant - aufgelöst und die Aufgaben nach dem Zivilschutzgesetz dem Bundesverwaltungsamt zugewiesen werden?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Nach einer Organisationsüberprüfung im Rahmen der Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen wird eine eigenständige Bundesbehörde für die Wahrnehmung der dem Bund obliegenden Zivilschutzaufgaben nicht mehr für erforderlich gehalten. Nach derzeitigem Planungsstand werden die Aufgaben des Bundesamtes für Zivilschutz gemäß § 4 des Zivilschutzgesetzes dem Bundesverwaltungsamt zugewiesen. Eine entsprechende Gesetzesänderung steht im Rahmen des Haushaltssanierungsgesetzes an. Derzeit wird eine umfassende Evaluation aller Aufgaben des BZS und eine Neuorganisation der Aufgabenwahrnehmung vorgenommen. Danach soll ein Gesamtkonzept erstellt werden, das mit den Ländern - das ist wichtig - und den Hilfsorganisationen erörtert werden soll. Da zum jetzigen Zeitpunkt alle Umsetzungsmaßnahmen im Prüfungsstadium sind, können keine konkreteren Ausführungen gemacht werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Tatsache, daß Sie die Behörde auflösen wollen, steht fest. Jetzt kündigen Sie an, wie Sie das machen wollen. Welche Aufgaben wahrgenommen werden sollen, überlegen Sie sich anschließend. Vielleicht wäre die umgekehrte Reihenfolge sinnvoller, daß man zunächst die Konzeption macht und dann zu den Ergebnissen kommt. Sie haben sich aber für den umgekehrten Weg entschieden und mit der Ankündigung der Auflösung der Behörde große Verunsicherung ausgelöst. Insofern ist es sicherlich für die betroffene Region und für die betroffenen Arbeitnehmer - es sind einige hundert - von Interesse, zu erfahren, wann sie mit dieser Konzeption rechnen können.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich habe gesagt, daß wir derzeit bei diesen Überlegungen sind. Ich glaube, daß dieser Vorgang kein Vorgang ist, der irgendwelche Unruhe verursacht; denn die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen nichts zu befürchten. Wie Sie wissen, gehen die Planungen davon aus, daß die Arbeitsplätze in der Region bleiben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 27 des Abgeordneten Röttgen, die gleichzeitig die letzte Frage der Fragestunde ist: Welche Wirtschaftlichkeitserwägungen liegen der geplanten Auflösung des Bundesamtes für den Zivilschutz unter Berücksichtigung des Umstandes zugrunde, daß alle Aufgaben auch weiterhin erfüllt und nur auf unterschiedliche Behörden verteilt werden sollen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Röttgen, durch die Übertragung der Kompetenzen des BZS auf das Bundesverwaltungsamt können nach unserer Meinung Rationalisierungs- und Synergieeffekte erzielt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will nur eine kurze Bemerkung machen. Die Frage stellt sich so dar: Sie wissen gar nicht, welche Aufgaben in Zukunft wahrgenommen werden sollen. Das haben Sie gerade ausgeführt. Sie wissen auch nicht, durch welche Behörde, in welcher Form, welche Bereiche wegfallen, welche zentralisiert werden sollen, aber Sie kennen schon das Ergebnis, daß nämlich dadurch Rationalisierungs- und Synergieeffekte eintreten werden. Ich glaube, das paßt nicht zusammen. Sie nennen bereits alle positiven Effekte, wissen aber noch nicht - das haben Sie hier auch erklärt -, wie es verwirklicht werden soll, daß diese eintreten. Ich glaube, der Sachverhalt ist folgender: Sie wollen die Behörde auflösen, und alles andere ist im ungewissen. Norbert Hauser ({0}) |Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Wir gehen von der Aufgabenkritik aus. Ich habe Ihnen gesagt, daß die Überlegungen darüber, welche Aufgaben zukünftig noch erledigt werden müssen und welche mehr oder weniger obsolet sind, derzeit im Gange sind. Ich gehe davon aus, daß durch die Veränderung in der Organisation auch Synergieeffekte eintreten. Es gibt in jeder Behörde einen bestimmten zentralen Bereich, in dem Sie diese Effekte durch Umorganisation erzielen können. Insofern ist es schlüssig und gut, was wir an dieser Stelle tun.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen von Bundesminister Hans Eichel, die künftige Förderung der neuen Bundesländer mit deren Zustimmung zum „Sparpaket“ der Bundesregierung zu verbinden Die Aktuelle Stunde wurde von der Fraktion der PDS beantragt. Als erster Redner ist der Kollege Gerhard Jüttemann, PDS, gemeldet.

Gerhard Jüttemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002693, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Bundesfinanzminister Hans Eichel hat in einem Zeitungsinterview die Fortführung des Solidarpaktes zur Ostförderung über das Jahr 2004 hinaus von der Zustimmung zum sogenannten Sparpaket im Bundesrat abhängig gemacht. Solche Erpressungsversuche sind nicht neu. Vor der letzten Bundestagswahl hatte der Berliner CDU-Fraktionsvorsitzende Landowsky hinsichtlich der hohen Stimmenanteile der PDS im Ostteil der Stadt davor gewarnt, die materielle Solidarität der Westdeutschen überzustrapazieren. Anfang dieses Jahres forderte der bayerische CSU-Staatsminister Huber, Aufbau-Ost-Gelder wegen partieller Zusammenarbeit von SPD und PDS zu sperren. Neu an derlei grundgesetzwidrigem Geschwätz ist, daß es nun direkt aus höchsten Regierungskreisen kommt. Vor einem Jahr klang alles noch anders. Die Vollendung der inneren Einheit Deutschlands habe für die SPD höchste Priorität, ({0}) tönte es im Wahlprogramm der vergangenen Bundestagswahl. Von einem Sparprogramm auf dem Rücken der Schwächsten der Gesellschaft, das die gleichnamigen Streichorgien der Kohl-Regierung weit in den Schatten stellen wird, war dort allerdings nichts zu lesen. Wäre das Ganze nur dilettantische Parteipolitik, könnte man zur Tagesordnung übergehen. Schließlich ist es Sache der SPD, wenn sie sich, wie die Wahlergebnisse des vergangenen Sonntags zeigen, sozusagen selber abschafft. Aber es ist eben mehr als Parteipolitik, es ist Regierungspolitik. Deswegen muß das, was die SPD mit ihrer als Sparpaket deklarierten Katastrophenpolitik betreibt, klar als das benannt werden, was es ist, nämlich Wahlbetrug. Die SPD hat die Bundestagswahl mit Lafontaines Vision von mehr Gerechtigkeit gewonnen. Was aber die kleinen Leute jetzt bekommen, ist noch mehr Ungerechtigkeit. Das SPD-Sparpaket soll angeblich die Staatsfinanzen konsolidieren. Die Höhe der Staatsschulden liegt derzeit bei 2 500 Milliarden DM. Eingespart werden sollen jetzt 30 Milliarden DM. 30 von 2 500 Milliarden DM - mit Konsolidierung - das sieht jedes Schulkind - kann das schon wegen der lächerlichen Höhe des Sparvolumens im Vergleich zu den ohnehin nicht mehr zurückzahlbaren Gesamtschulden nichts zu tun haben. In seiner Wirkung ist das Sparpaket allerdings leider überhaupt nicht mehr lächerlich, besonders für jene nicht, die es zu bezahlen haben. Das sind fast zur Hälfte Arbeitslose und Rentner. Das ist der größte sozialpolitische Skandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein Zeitungskommentator hatte zum erwarteten Sieg der SPD bei der Bundestagswahl 1998 geschrieben, mit Kohl und Blüm ende die sozialdemokratische Ära in Deutschland. ({1}) Diese Idee scheint die SPD so begeistert zu haben, daß sie unentwegt darüber nachdenkt, wie sie sie am schnellsten umsetzen kann. Das führt zu der Frage, was diese Regierung eigentlich wirklich mit dem Sparpaket finanzieren will. Den teuren Krieg, den sie sich gegen Jugoslawien geleistet hat? Die deutsche Vereinigung? Die Fortsetzung der gigantischen gesellschaftlichen Umverteilung von unten nach oben? Die Fragen sind die Antworten, wobei in diesem Zusammenhang ebenfalls auf den Tisch muß, daß die Transferzahlungen für Ostdeutschland zu einem beträchtlichen Teil Profitsubventionen für Unternehmer sind. Die Wachstumsraten verlangsamen sich dagegen und fallen wieder hinter die westdeutschen Werte zurück. Die Kapitalausstattung in ostdeutschen Betrieben stagniert, die Mittel für Forschung und Entwicklung sind viel zu niedrig, die Löhne stagnieren bei 70 bis 80 Prozent, die Arbeitslosenquote liegt bei verheerenden 17,6 Prozent, Tendenz steigend. Dennoch kürzen Sie in Ihrem Sparpaket auch noch diverse Zuschüsse für Ostdeutschland, ganz davon zu schweigen, daß ostdeutsche Rentner und Arbeitslose doppelt belastet werden, weil ihre nach dem Willen der Regierung sinkenden Einkünfte ohnehin schon deutlich unter denen der Westdeutschen liegen. Würde der Erpressungsversuch des Bundesfinanzministers umgesetzt, hätte das katastrophale Folgen nicht nur für Ostdeutschland, das für sehr lange Zeit von der |Entwicklung in Westdeutschland abgekoppelt würde. Um das zu verhindern, sind erstens eine spürbare Erhöhung der Transfers - versehen mit einer solchen Lenkungswirkung, daß im Osten selbsttragende Wirtschaftsstrukturen entstehen - und zweitens die unbedingte Ablehnung des Sparpaketes erforderlich, das diesem Ziel direkt zuwiderläuft. Ich danke vielmals für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller das Wort. ({0})

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Solide Staatsfinanzen sind eine unverzichtbare Grundlage für Wachstum, Beschäftigung und Stabilität. Die Staatsverschuldung, die diese Koalition von der alten Regierung Kohl übernommen hat, ist unglaublich. ({0}) Fast ein Viertel der Steuereinnahmen des Bundes müssen wir ausgeben, nur um Zinsen für Schulden zu bezahlen, die in ihrer Regierungszeit entstanden sind. ({1}) 1982 und übrigens auch 1990 genügte noch jede achte Mark, die der Bund von den Steuerzahlern bekommen hat, zum Bezahlen von Zinsen. Mit dem Zukunftsprogramm 2000 leiten wir die grundlegende Sanierung des Bundeshaushaltes ein. Die Sparmaßnahmen sind notwendig, um mit der unsoliden und unsozialen Schuldenpolitik der Vorgängerregierung zu brechen, ({2}) aber auch, um den finanziellen Spielraum zu gewinnen, um für Familien, für Arbeitnehmer und für die Unternehmen die Steuern senken zu können. Wir haben unser Sparziel von 30 Milliarden DM im Bundeshaushalt 2000 und von 50 Milliarden DM für das Jahr 2003 erreicht. ({3}) Um die Zukunftsprobleme unseres Landes zu lösen, belassen wir es aber nicht beim Sparen. Trotz des strikten Sparkurses haben wir die notwendigen strukturellen Reformen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt eingeleitet. Nicht das Sparpaket ist unsozial, sondern die von CDU/CSU und FDP zu verantwortende extrem hohe Verschuldung des Bundes. ({4}) Sie führte zu einer unsozialen Umverteilung von unten nach oben. ({5}) Deshalb ist die Rückführung der Verschuldung auch ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. ({6}) Trotz dieses Sparkurses gilt: Der Aufbau Ost hat für uns höchste Priorität, ({7}) ja mit unserem Zukunftsprogramm schaffen wir erst die Voraussetzungen dafür, den Aufbau Ost auf hohem Niveau fortführen zu können. Deshalb gilt: Die Bundesregierung steht zum Solidarpakt für die neuen Bundesländer. ({8}) Die im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms beschlossene überproportionale Finanzausstattung der neuen Länder bleibt vom Sparpaket unberührt. Wir führen die Bundessonderergänzungszuweisungen an die neuen Länder in Höhe von 14 000 Millionen jährlich unverändert fort. ({9}) Wir leisten die Hilfen im Rahmen des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost von 6 600 Millionen DM pro Jahr unverändert weiter. Einsparungen bei ostspezifischen Programmen setzen, soweit sie nicht nur eine Anpassung an den bisherigen Mittelabfluß darstellen, im wesentlichen dort an, wo es entweder gelungen ist, zukünftig verstärkt Rückflüsse der Europäischen Union zu sichern, oder wo Effizienzsteigerungen zurückgehende Ansätze ermöglichen. Beispielhaft nenne ich die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben: Sie kann ihre Aufgaben in den nächsten Jahren wie geplant fortführen. ({10}) Wie in den letzten Jahren auch benötigt die BvS im Jahre 2000 keine Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt. Bei der Sanierung der ostdeutschen Braunkohlegebiete können trotz Einsparungen die vorgesehenen Sanierungsarbeiten auf Grund von Kostensenkungen wie vereinbart - ich unterstreiche: wie vereinbart - durchgeführt werden. Im übrigen werden auch die Haushalte der neuen Bundesländer durch das Sparpaket entlastet. Zwar profitieren die neuen Länder wegen ihres geringen Beamtenanteils bei den Personalkosten weniger als die alten Länder von der Begrenzung des Besoldungs- und Pensionszuwachses, den wir beabsichtigen. Sie werden jedoch entsprechend stärker entlastet durch den vorGerhard Jüttemann ge|sehenen Rückgang bei den Beiträgen zur Rentenversicherung für ihre Angestellten und Arbeiter. Bei den notwendigen Anpassungen im Sozialbereich werden die Bürgerinnen und Bürger in Ost und West gleich behandelt. Die Abschichtungen dürften die neuen Länder und Gemeinden sogar weniger berühren als die alten Länder, da beispielsweise die Ausgaben für pauschaliertes Wohngeld in den neuen Ländern einen geringeren finanziellen Umfang haben. Für die neuen Länder ist die von dieser Bundesregierung betriebene Verstetigung der Arbeitsmarktpolitik von besonderer Bedeutung. Dies gilt auch für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Von den 2 000 Millionen DM, die wir in diesem und im nächsten Jahr für dieses Sonderprogramm ausgeben wollen, kommt fast die Hälfte den neuen Bundesländern zugute. Damit wird die Sozialhilfe in den neuen Ländern spürbar entlastet. ({11}) Der Erfolg des Zukunftsprogramms liegt also im Interesse der Länder und Gemeinden Ostdeutschlands; ({12}) denn die Konsolidierung des Bundeshaushaltes ist die Voraussetzung dafür, daß der Bund wieder den notwendigen finanziellen Spielraum gewinnt, um seinen Aufgaben auch künftig nachzukommen. Die Bundesregierung steht voll zum Solidarpakt und bekennt sich zur bundesstaatlichen Solidarität. Wir werden dies bei der Anschlußregelung für den Solidarpakt unter Beweis stellen. Ich bedanke mich. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Manfred Grund von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anlaß dieser Aktuellen Stunde sind Äußerungen des Bundesfinanzministers Eichel und nicht des Staatssekretärs Diller. Insofern wäre zu erwarten gewesen, daß sich der Bundesfinanzminister heute dem Parlament stellt und Auskunft gibt. ({0}) Herr Kollege Diller, Sie haben auch nicht gesagt, wo der Bundesfinanzminister heute ist. Ich halte es ein bißchen für Feigheit, sich dem Parlament nicht zu stellen. ({1}) Es geht darum, daß der Minister Eichel es von der Zustimmung der neuen Bundesländer zum sogenannten Sparpaket abhängig gemacht hat, ob der Bund bereit ist, den Solidarpakt mit den neuen Bundesländern über das Jahr 2004 hinaus zu verlängern. Die Reaktionen in den neuen Bundesländern reichten von „ziemlich schrecklich“ über „unglückliche Äußerung“ bis hin zu „räuberische Erpressung“. Als ehemaliger Ministerpräsident müßte Bundesfinanzminister Eichel eigentlich wissen, daß ein Ministerpräsident auf die Interessen seines Freistaates oder seines Bundeslandes vereidigt ist und diese Interessen zur Not auch gegen den Bund durchzusetzen hat. ({2}) Der Bundesfinanzminister erwartet von den neuen Bundesländern Zustimmung zu folgenden Einsparungen des Sparpaketes: Kürzung von 915 Millionen DM bei der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben - selbst Ministerpräsident Stolpe hat die größten Probleme mit diesen Kürzungen -, 800 Millionen DM weniger für Strukturanpassungsmaßnahmen Ost, 500 Millionen DM weniger für sonstige Förderprogramme wie das Eigenkapitalhilfeprogramm, 300 Millionen DM weniger für Verkehrsinfrastruktur und unter anderem 109 Millionen DM weniger für Investitionen in Pflegeeinrichtungen der neuen Bundesländer, die nach Art. 52 des Pflege-Versicherungsgesetzes festgeschrieben sind. ({3}) Diese Zustimmung kann man ernsthaft von einem Ministerpräsidenten, auch nicht von einem Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer, erwarten. Für den Freistaat Thüringen würde das folgendes bedeuten. Ministerpräsident Dr. Vogel müßte darauf verzichten, daß die ICE-Strecke von Nürnberg nach Erfurt weitergebaut würde. Das bedeutete, Thüringen würde nicht zu einer internationalen und einer nationalen Verkehrsdrehscheibe. 1 Milliarde DM Investitionen wären in den Sand gesetzt, und 8 Milliarden DM Bauinvestitionen würden in Thüringen in Zukunft nicht mehr getätigt. Ich wollte den Bundesfinanzminister fragen, was er dagegen hat, daß die Landeshauptstadt von Thüringen, Erfurt, zu einer Verkehrsdrehscheibe aufgewertet wird, so wie es seine Heimatstadt Kassel bereits ist. Ich wollte ihn fragen - Kollege Diller, vielleicht richten Sie ihm diese Frage aus -, warum ausgerechnet bei den Verkehrsprojekten in den neuen Bundesländern gespart wird. ({4}) Es ist nicht bekannt, daß der Bau der ICE-Trasse zwischen Frankfurt und Köln verschoben wird oder die Mittel dafür gekürzt oder eingespart werden sollen. ({5}) Des weiteren wird das Sparpaket, da es ja als ein Entwurf in den Bundesrat eingebracht wird, mit den Kürzungen, mit den willkürlichen Eingriffen in die Rentenversicherung verknüpft. ({6}) |Das bedeutet, daß in den nächsten beiden Jahren 2000 und 2001 die Rentensteigerungen nur entsprechend dem Inflationsausgleich gewährt werden. ({7}) Das heißt, ab dem Jahr 2001 fehlen jedem Rentner in den neuen Bundesländern monatlich 95 DM. Das ist über das Jahr gerechnet eine Monatsrente, die fehlt, und bei einer Rentenlaufzeit von 15 Jahren sind es knapp 15 000 DM. ({8}) - Herr Kollege Weißgerber, ich sage gleich noch etwas zu Ihnen. So haben wir uns den Aufbau Ost und die Angleichung der Lebensbedingungen Ost an West nicht vorgestellt. ({9}) Die Nettolöhne in den neuen Bundesländern werden sich den Nettolöhnen in den alten Bundesländern angleichen. Die aktuelle Rentnergeneration in den neuen Bundesländern wird nie die Westrente erhalten. Sie schaffen damit Rentner erster und zweiter Klasse. ({10}) Dem kann guten Gewissens kein Ministerpräsident in den neuen Bundesländern zustimmen, auch nicht Dr. Vogel aus dem Freistaat Thüringen. Ich gehe davon aus, daß im Bundesrat das Paket auseinandergeschnürt werden wird, daß sehr differenziert über die einzelnen Bestandteile gesprochen werden wird. Ich gehe weiter davon aus, daß die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer, insbesondere diejenigen der CDU-geführten Regierungen, Garant sein werden, daß diese Kürzungsorgien in den neuen Bundesländern nicht durchschlagen. Ich muß davon ausgehen, weil ich nicht der Annahme bin, daß die Kolleginnen und Kollegen der SPD aus den neuen Bundesländern dies tun werden, obwohl sie sich in einer Ausgabe der „Leipziger Volkszeitung“ selbst zur „Einsatzgruppe für den Osten“ erklärt haben. Herr Kollege Weißgerber, ich halte schon diese Bezeichnung für eine geschichtliche Unsensibilität. Sie haben gesagt, Sie wollten Ihre Muskeln spielen lassen, wenn es um Ostanliegen geht. Es geht hier um Ostanliegen. Wir sind gespannt, wie Sie Ihre Muskeln spielen lassen werden. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Werner Schulz vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir hier über das Sparen sprechen, hätte ich eigentlich die größte Lust, darüber zu reden, daß wir uns eigentlich diese Aktuelle Stunde hätten sparen können. ({0}) Sie ist gar nicht aktuell. Morgen haben wir das Thema auf der Tagesordnung; dann können wir ausgiebig über die Probleme reden, die hier nur verzerrt werden, zum Teil durch falsche Behauptungen. ({1}) Sie ist auch deswegen nicht mehr aktuell, weil der Bundesfinanzminister sofort jegliche Zweifel hinsichtlich der Bedeutung seiner - durchaus unglücklichen - Äußerung ausgeräumt hat. ({2}) In der Sache hat er doch vollkommen recht. Kollege Grund, ich habe bei Ihnen überhaupt keine Gründe gehört, die gegen das Sparen sprechen würden. Ich habe aber nicht gehört, wie Sie sparen wollen. ({3}) Denn wir sind ja in einer außerordentlich bedrückenden Situation, die nicht durch diesen Bundesfinanzminister ausgelöst worden ist. ({4}) - Günter Nooke, nicht der Bundesfinanzminister schafft hier eine Druck- oder Erpressungssituation. Vielmehr besteht ein Sachzwang, der mit acht Jahren Regierung der christlich-liberalen Koalition zu tun hat, mit einer deutschen Einheit, die auf Pump, durch Schulden finanziert worden ist. Wir haben einen gigantischen Schuldenberg abzutragen. ({5}) Normalerweise hätte der Bund in die Schuldnerberatung gemußt! Was würde die Finanzlage des Bundes für eine Familie bedeuten? Führen wir uns das einmal vor Augen: Bei 45 000 DM Jahreseinkommen und 150 000 DM Verschuldung - das sind die Proportionen wie beim Bund hätte sie pro Jahr 9 000 DM für Schuldendienst zu zahlen. Bei 23 000 DM Fixkosten, die für Miete, Energie und dergleichen draufgehen, bleiben 12 000 DM für den Lebensunterhalt übrig, obwohl vielleicht 16 000 DM gebraucht werden. Also muß man wieder 4 000 DM Schulden machen und kommt aus diesem Kreislauf nie heraus. Ein Finanzminister, der aus diesem Schuldenkreislauf ausbrechen will, der Spielräume für den Aufbau Ost eröffnen will, wird von Ihnen angegriffen, als wäre daran etwas ganz besonders Aktuelles oder Brisantes. ({6}) |Ich stelle hier fest, daß Sie uns in diese Situation gebracht haben. ({7}) Es ist ausgesprochen billig, hier eine von der PDS verlangte Aktuelle Stunde auf diese Weise zu nutzen. Dabei ist die PDS im Grunde genommen die zweite Hauptursache für diese Misere. ({8}) An dieser Stelle können Sie ruhig einmal applaudieren. ({9}) - Das ist nicht immer nur mit Fröhlichkeit verbunden. Das ist eine ziemlich harte Angelegenheit; das ist eine ziemlich unbequeme Sache, die wir jetzt vorhaben. Aber wir lassen uns davon nicht abbringen. Sie wollen ja keine Blockadepolitik machen, wie ich gehört habe. ({10}) Wenn Sie wesentlich bessere Vorschläge haben, können Sie diese im Bundesrat einbringen. ({11}) Sie geben sich die größte Mühe, dort Verantwortung mit zu übernehmen - zwar spät, aber immerhin. Ich freue mich darauf und bin auf Ihre Vorschläge echt gespannt. - Sie winken ab. So haben Sie es früher schon gemacht. Aber damit ist es nicht getan. Der Bundesfinanzminister gibt sich die größte Mühe, mit diesem Konsolidierungsprogramm, mit diesem Zukunftsprogramm, ({12}) finanzielle Spielräume zu erkämpfen, die wir für den Aufbau Ost brauchen. Das hat er deutlich gemacht: Es liegt im Interesse der neuen Bundesländer, diesem Sparpaket zuzustimmen. Wer Vorschläge hat, wie man besser und mehr einsparen kann, der möge sie auf den Tisch legen. Die PDS hat wunderbare Vorschläge. ({13}) - Herr Jüttemann, Sie applaudieren. Aber ich kenne auch das Papier aus dem Liebknecht-Haus, in dem man feststellt, daß diese Vorschläge völlig unrealistisch und überhaupt nicht bezahlbar sind. Sie schlafen immer noch im siebten sozialistischen Himmel, glaube ich. Nein, so kommen wir nicht weiter. Wie gesagt: In dieser Aktuellen Stunde gibt es vielleicht einen ganz interessanten Schlagabtausch, aber keine Lösung. Ich freue mich auf die morgige Diskussion. Ich freue mich auf Ihre Vorschläge; ich bin sehr gespannt. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Jürgen Türk von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Um es klar zu sagen: Die F.D.P. ist auch in der Opposition nicht gegen das Sparen. Das ist und bleibt vielmehr das Gebot der Stunde, damit die öffentliche Hand nicht durch Tilgungen und Zinsen aufgefressen wird. Da sind wir uns einig. Richtig ist zweifellos, daß durch die hohe Schuldenlast die Grundlagen für den Aufbau Ost in Mitleidenschaft gezogen werden. So aber, wie sich der Bundesfinanzminister das Sparen vorstellt, geht es natürlich nicht. ({0}) - Das sage ich Ihnen. Erstens muß klargestellt werden, daß im Vergleich zum Haushalt 1999 nicht 30 Milliarden DM eingespart werden, sondern lediglich 7,5 Milliarden DM. Hier ist wieder einmal getürkt worden. ({1}) Genauso ist es übrigens beim Aufbau Ost. Dort sollte angeblich um fast 10 Milliarden DM aufgesattelt werden; unterm Strich sind aber letztlich minus 3 Milliarden DM herausgekommen. ({2}) Auch daß zum Beispiel die ICE-Strecke zwischen Nürnberg und Erfurt nicht gebaut wird, ist einfach kontraproduktiv. ({3}) Dies ist ebenso unverständlich wie die Planung, die Verkehrsinfrastrukturprojekte an der strukturschwachen östlichen EU-Außengrenze zu stoppen. So kommen wir ins Hängen. Zweitens ist es nicht seriös, wenn nicht wirklich gespart wird. Etwas anderes bringt uns gar nicht vorwärts. Das aber passiert: Derzeit ist der Bund dabei, seinen eigenen Rucksack leichter zu machen und die Lasten den Ländern und Gemeinden aufzubürden. Die Spargerechtigkeit bleibt hier auf der Strecke. ({4}) Werner Schulz ({5}) Drittens ist es schlichtweg Erpressung - man muß dies immer wieder sagen, weil es wahr ist -, die Ostförderung nach 2004 von der Zustimmung der ostdeutschen Länder zum Sparpaket abhängig zu machen. ({6}) Dies hat er nun einmal gesagt. Deswegen muß er das aushalten. ({7}) Die Alternative ist nicht, blind zu streichen und die Lasten von einer Ebene auf die andere Ebene zu verschieben. Die Alternative ist vielmehr, substantiell zu sparen. Das machen Sie nicht. ({8}) - Wir haben das in Ansätzen gemacht, Sie aber machen es nicht. - Das müßte aus meiner Sicht vor allem bedeuten, am Verschwendungspotential in Ost und West zu sparen. ({9}) Ohne Frage gibt es in Deutschland Verschwendungen. Das machen alle Jahre wieder der Bund der Steuerzahler und der Bundesrechnungshof klar. Leider wurden bislang noch keine Konsequenzen gezogen. Es nützt doch nichts, wenn dies immer wieder festgestellt wird, aber keine Konsequenzen gezogen werden. Sie wollen doch immer Beispiele hören: Zum Beispiel muß die Prognose über den Havel-Ausbau, das deutsche Verkehrsprojekt Nr. 17, noch einmal überprüft werden. Können wir an diesem Projekt einsparen? Und sollten diese eingesparten Mittel nicht gestrichen, sondern für ein sinnvolles Verkehrsprojekt genutzt werden? Das verstehe ich unter effizientem Mitteleinsatz. ({10}) Die Alternative zum jetzigen Aktionismus ist ein nationaler Sparpakt; das jedenfalls ist unser Vorschlag. Dies könnte gleichzeitig ein Einstieg in die bereits überfällige Reform des Bund-Länder-Ausgleichs und der kommunalen Finanzverfassung sein. Es muß endlich aufhören, daß sich eine Ebene hinter der anderen Ebene verstecken kann. Das ist die jetzige Praxis. Dies wurde nicht von Ihnen allein geschaffen - das ist schon lange so -, aber so kann es nicht weitergehen. Das wäre wirklich Sparen. Zu dem nationalen Sparpakt sollte der Bundesfinanzminister die Länder, den Städte- und Gemeindetag, den Bund der Steuerzahler und den Bundesrechnungshof einladen; denn diese haben wirklich Erfahrung. Von ihnen kann man tatsächlich Sparvorschläge bekommen. Ziele sind die Konsolidierung der öffentliche Haushalte und Vorschläge zu wirklichen Einsparungen. Dies bleibt die Pflicht der Verantwortlichen auf allen Ebenen. Die EU-Staaten haben es uns vorgemacht. Dort gab es einen Stabilitätspakt, und die Haushalte wurden konsolidiert. Dies ist wirklich ein Vorbild. Ich glaube, daß man dies auch endlich auf nationaler Ebene umsetzen muß, und zwar auf der Grundlage klarer Vorgaben. Weitere Sparvorschläge können Sie von uns noch bekommen; wir haben eine ganze Liste. Wenn dies eingefordert wird, können Sie auch einige von den Bürgern bekommen. Der Punkt, glaube ich, ist, daß man die Bürger hier einbezieht. Warum schreiben Sie nicht einfach einen Wettbewerb nach dem Motto „Wer hat die besten Sparvorschläge?“ aus? ({11}) - Ich bin ganz sicher, daß die Bürger Ihnen aufschreiben würden, an welchen Stellen verschwendet wird. Sie lachen darüber. Das ist ein ganz ernst gemeinter Vorschlag. Die Bürger zeigen uns die Stellen auf, an denen - fast hätte ich gesagt: Volkseigentum - eingespart werden kann. ({12}) Auf diese Art und Weise können Sie die Akzeptanz der Bürger für das Sparen erhöhen. Ich glaube, es ist notwendig, daß das so gemacht wird. Aber wir können auch weiterhin unter uns abgehoben diskutieren. Dann wird es mit dem Sparen wieder nichts. Dann bekommen wir diesen ganzen Laden nie in den Griff. Aber: keine Erpressung, sondern ein nationaler Sparpakt!

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Türk, kommen Sie bitte zum Schluß.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Damit bin ich am Schluß. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Gunter Weißgerber von der SPD-Fraktion das Wort.

Gunter Weißgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002464, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Türk, den Wettbewerb um die besten Einsparmöglichkeiten gibt es hier im Parlament. Sie alle sind aufgerufen, Ihre Vorschläge mit einzubringen. ({0}) Die Formulierung des Themas der von der PDS beantragten Aktuellen Stunde ist, wie meistens von jener Seite, ein gehöriges Stück realitätsfern. ({1}) Richtiger wäre es doch wohl - wenn überhaupt - gewesen, nach der Haltung der Bundesregierung bezüglich der veröffentlichten Verkürzung von Eichels Aussage zu fragen. Denn zwischen dem, was der Finanzminister gesagt hat, und dem, was die berichtende Zunft vermurkste, klafft ein gewichtiger Unterschied. Und Sie wissen das. ({2}) Hans Eichel hat die ostdeutschen Länder keinesfalls unter Druck gesetzt. Er hat lediglich eine Binsenweisheit verkündet. Es muß doch uns allen klar sein: Bekommen wir die Sanierung des Bundeshaushalts nicht hin, dann wird irgendwann das Geld für alle verbraucht sein, und das nicht nur für den Osten. Außer den Zinszahlungen für Kohls Billionenschulden, für Mietzahlungen und für Personalvergütungen wird der Bundeshaushalt dann nichts mehr hergeben können. Das kann doch hier im Hause niemand ernstlich wollen. Eichels Sanierung von Waigels Schuldenhaushalt ist also auch im Interesse Ostdeutschlands. ({3}) Die ostdeutschen Länder müssen im Interesse Gesamtdeutschlands noch sehr lange gefördert werden. Dazu stehen wir; das erwarten wir. Doch dies erfordert einen langen Atem. Kohls Hinterlassenschaft sind die derzeitigen Atembeschwerden. Unsere Aufgabe ist es, für Genesung zu sorgen. Deshalb brauchen wir das Zukunftsprogramm 2000 als Grundlage für die wirksame Fortsetzung des Aufbaus Ost. ({4}) Bestandteile des Zukunftsprogramms sind die ungekürzte Fortführung der Hilfen für den Aufbau Ost, ({5}) die unveränderte Fortführung des Solidarpaktes und die bleibende Jahresmarge in Höhe von 6,6 Milliarden DM im Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost. Auch wenn Sie das schon einmal gehört haben: Wiederholungen sind immer gut; dann merkt man sich das besser. ({6}) Zu den angeblichen Kürzungen sei folgendes gesagt: Die noch von Waigel veranschlagten Zuschüsse in Höhe von 915 Millionen DM für die BvS werden nicht benötigt. Seit 1995 kommt die BvS ohne Zuschuß aus. ({7}) Das ist auch Ihnen bekannt. Die Sanierung im Braunkohlebereich wird weiterhin unverändert mit 600 Millionen DM sichergestellt. Auf Grund von Kostensenkungen ist es jedoch möglich, die Ansätze für 2001 und 2002 um jeweils 50 Millionen DM unter Beibehaltung der vereinbarten 12 000 Arbeitsplätze zu senken. Für die nach 2002 notwendigen Maßnahmen wird die Bundesregierung die Anschlußfinanzierung sicherstellen. Die von Waigel vorgesehenen Zinszuschüsse für ERP-Kredite in Höhe von 400 Millionen DM sind nicht erforderlich. Dieser Bereich kommt wie in diesem Jahr ohne Zuschüsse aus. Der Aufbau Ost hat für uns höchste Priorität. Die von der PDS beantragte Aktuelle Stunde ist eine der üblichen Nebelkerzen, und der Rest der Opposition fällt darauf herein. Danke schön. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dietrich Austermann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Äußerung des Bundesfinanzministers zu dem Thema „Sparpaket und neue Bundesländer“ war in doppelter Hinsicht unanständig. ({0}) Sie war unanständig, weil sie das Thema „Sparen und Konsolidieren“ zu einem Ost-West-Thema gemacht hat. ({1}) Kein Mensch kommt auf die Idee, zu sagen: Wenn dies und das nicht der Fall ist, dann werden wir im Kohlebereich kürzen. Kein Mensch kommt auf die Idee, zu sagen: Wir werden an anderer Stelle in anderen Bundesländern Maßnahmen treffen, wenn das Wohlverhalten der jeweiligen Landesregierung nicht vorhanden ist. Wie wollen Sie denn darauf reagieren, daß Herr Clement heute gesagt hat, er stimme in einem bestimmten Punkt nicht zu? Heißt das künftig: Wenn dieses oder jenes nicht hilft, werden wir die Kohlehilfe reduzieren? - Sie können jedes andere Thema nehmen, bei dem Subventionen Platz greifen. Zudem war die Aussage Eichels deshalb unanständig, weil Sie über den Druck, der erzeugt werden soll, ein Wohlverhalten bestimmter Länder herbeiführen, ja erzwingen wollen. ({2}) Dafür gäbe es möglicherweise einen anderen Ausdruck. Ein Jurastudent hört im zweiten Semester in seiner Strafrechtsvorlesung, daß man unter bestimmten Voraussetzungen jemanden erpressen darf, nämlich dann, wenn der Zweck rechtmäßig und das Ergebnis positiv ist. ({3}) Herr Kollege Diller, das, was Sie hier machen, ist aber nicht geeignet, das Problem zu lösen, nämlich die Situation der Staatsfinanzen zu verbessern. Sie machen genau das Gegenteil. Ich greife einmal einen Punkt heraus. Das Ganze läuft unter der Überschrift „Sparprogramm“. Wir sagen mit Recht: sogenanntes Sparprogramm. Die Schulden des Bundes wachsen in den nächsten vier Jahren um 220 Milliarden DM. Sie sagen, Sie entlasten die Betriebe bei den Steuern. Die Steuern des Bundes steigen in den nächsten vier Jahren um 50 Milliarden DM. Ähnliches gilt für jedes Datum - welches auch immer Sie wollen aus dem sogenannten Sparpaket. „Sparpaket“ ist ja überhaupt ein hübsches Bild. Nach den letzten Wahlen kann man sagen: Adressat verweigert die Annahme. ({4}) Bei der Wahl in Brandenburg und bei den Wahlen in anderen Bundesländern haben die Leute nämlich gesagt, daß sie das nicht haben wollen, und zwar deshalb, weil es offensichtlich nicht zu dem Ziel führt, das beabsichtigt ist. Wir haben über Jahre hinweg Konsolidierungspolitik gemacht - auch gegen den Willen des Bundeslandes Hessen. Wir wurden mit dem Hinweis attackiert, wir würden das Land „kaputtsparen“. Jetzt wollen Sie so tun, als hätten wir in Saus und Braus gelebt. Da schaue ich doch einmal auf den Kollegen Schulz. Ich bewundere ja Ihre Biegsamkeit in der Argumentation: Vor einem Jahr haben Sie sich noch hergestellt und festgestellt, wo der Bund überall - auch in den neuen Bundesländern zuwenig tut. Jetzt sagen Sie, das, was wir getan haben, wäre viel zu viel gewesen, und wollen sich gewissermaßen von der Gesamtschuldenlast des Staates abkoppeln. Dazu sage ich einmal etwas: Ich werde bei jeder Debatte, die dazu geeignet ist, feststellen, wo die Schulden dieses Landes eigentlich herkommen und wer dazu welchen Beitrag geleistet hat. ({5}) - Der Overhaus? Na, lassen wir das lieber. Wir haben 350 Milliarden Schulden im Jahre 1982 übernommen. Ich betrachte diesen Betrag im folgenden einmal unverzinst. Wir haben mit steigenden Beträgen in den letzten Jahren Geld in die neuen Bundesländer geschafft. Zuletzt waren das netto 90 Milliarden DM im Jahr. Sie fahren das zurück; die Leistungen in die neuen Bundesländer gehen im nächsten Jahr - der Kollege Kolbe wird dazu gleich etwas sagen - deutlich zurück. Wenn ich die Beträge für die zehn Jahre nach der Wiedervereinigung - Reparatur der Sozialismusschäden aufsummiere, so kommen 600 Milliarden DM zusammen. Wollen Sie von dieser Belastung und von der Pflicht, diese Belastung gemeinsam zu tragen, nichts wahrhaben und nichts übernehmen? Ist das eine Belastung von der CDU/CSU? Das ist doch eine Gesamtlast! Dafür haben wir unseren Beitrag geleistet: im Bundeshaushalt 600 Milliarden DM. Wie gesagt, 350 Milliarden DM sind die Altlast von Helmut Schmidt, wobei ich die Zinsen noch weglasse. Dann kommt das, was wir als Aufbau geleistet haben. Und schließlich kommt das Thema Fonds Deutsche Einheit, an dem die Bundesländer doch irgendwo beteiligt waren, und das Thema Erblastentilgungsfonds. Wir haben dazu gesagt, innerhalb einer Generation sollen bestimmte Dinge abgetragen werden. Wir haben Geld bereitgestellt, um sogar etwas zurückzuführen. Aber was haben Sie gemacht? Sie haben einen Teil des Geldes genutzt, um den Haushalt 1999 zu finanzieren, weil Sie diesen vorher aufgebläht haben. Schauen Sie sich doch einmal die Situation an! Vergleichen Sie die mittelfristige Finanzplanung für die nächsten Jahre nach den Entwürfen von Waigel mit dem, was Sie vorlegen. Ich kann da nur sagen: Jeder, der sich weigert, das zu unterstützen, der tut eine im Staatssinne gute Arbeit, weil hier nicht gespart wird, sondern Schulden aufgebläht werden und den neuen Bundesländern geschadet wird. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Austermann, kommen Sie bitte zum Schluß.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann das an einer Fülle von Beispielen deutlich machen. Auf der einen Seite wird - damit will ich schließen - allgemein, auch von Eichel, unterstrichen, daß die Gemeinschaftsaufgabe der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur eine wichtige Aufgabe ist und daß das Anreize für neue Arbeitsplätze gibt. Wenn das denn so ist, dann verstehe ich nicht, warum Sie die entsprechenden Mittel für die neuen Bundesländer - und zwar nur dort - kürzen. Das ist unsolidarisch, und deswegen - ich wiederhole mich - war die Äußerung Eichels unanständig. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Oswald Metzger vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten habe ich in Debatten um Zahlen so unredliche Argumentationen gehört wie jetzt gerade von Ihnen, Herr Kollege Austermann. ({0}) Erster Gesichtspunkt: Gleich anschließend kommen wir zu einem Tagesordnungspunkt betreffend die Jahresrechnung 1997. Soll ich Ihnen sagen, was damals im Jahre 1997 Ihre Regierung unter Waigel schuldenfinanziert hat? - Nachtragshaushalt, Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, 78 Milliarden DM NettoNeuverschuldung. Das lag deutlich über der Höhe der Investitionsquote. Dies war verfassungswidrig und wurde von der Wissenschaft kritisiert. Das alles behandeln wir beim nächsten Tagesordnungspunkt. Sie stellen sich nun hier hin und machen einer Regierung Vorwürfe, die selbst im 99er Haushalt weniger Schulden macht, als in der alten Finanzplanung von Theo Waigel für dieses Jahr enthalten waren. Ich würde mich schämen. Die Unredlichkeit der Debatte geht mir über die Hutschnur. Bleiben Sie bitte bei den Fakten! ({1}) Zweiter Gesichtspunkt: Trotz Ihrer Wiederholung stimmt es nicht: Die Integration des Erblastentilgungsfonds in den Bundeshaushalt 1999 hat diesen Haushalt nicht entlastet. Wissen Sie warum? Weil Sie noch im letzten Jahr für die Entwurfsplanung des Jahres 1999 die Zuführung an den Erblastentilgungsfonds aus dem Bundeshaushalt so reduziert hatten, daß nicht einmal die nötigen Zinsaufwendungen gedeckt waren. ({2}) Deshalb hat der Bundeshaushalt im Jahre 1999 davon nicht profitiert. Ich habe das bereits dem Kollegen Merz in der Debatte um das Konsolidierungsprogramm im Juni entgegnet. Die Aussage stimmt nicht. ({3}) Ein weiterer Gesichtspunkt: Es wurde hier schon wiederholt festgestellt, daß es natürlich eine Binsenwahrheit ist, daß ein Bundeshaushalt konsolidiert werden muß, der sich dermaßen in einer Notlagensituation befindet, der, was die Zins-Ausgaben-Quote und die Zins-SteuerQuote anbelangt, mit Bremen und dem Saarland vergleichbar ist, Notlagenländern, die auf Grund einer Bundesverfassungsgerichtsentscheidung Bundesergänzungszuweisungen bekommen. Wir machen mit dieser Konsolidierung ernst. Sehen Sie sich eines an: Die gleichen Leute, die früher den demographischen Faktor verteidigen mußten, stellen sich jetzt auf die Marktplätze - schwarze Bewerberinnen und Bewerber, Ihre Leute - und attackieren eine Regierung, die in der Rentenpolitik eine notwendige Maßnahme angeht, um tatsächlich einen Konsolidierungsbeitrag dieser Altersgruppe herbeizuführen. ({4}) Wir sind so redlich, obwohl die Wahlen jetzt am Sonntag natürlich auch Quittungen dafür darstellen, daß Sparen in einer Gesellschaft polarisiert. Wir sind so konsequent zu sagen: Das ist jetzt notwendig. Wir erklären es den Menschen, auch wenn es schwierig genug ist. ({5}) - Lafontaine hat im Bundeshaushalt dieses Jahres die Netto-Neuverschuldung auch reduziert. Die Mär, daß nur 7,5 Milliarden DM gespart werden, kann ich genauso wenig hören. Allein die Tatsache, daß Sie früher eine große Ausgabenposition im Postbereich, nämlich die Pensionen für die früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, als Schattenhaushalt geführt haben, wir aber diese Position in den Bundeshaushalt integriert haben, hat das Volumen dieses Jahres im Interesse von Haushaltsklarheit und -wahrheit um rund 8 Milliarden DM aufgebläht. Allein bei der Vergleichsrechnung 1998/99 hat die von Ihnen herbeigeführte Mehrwertsteuererhöhung zum 1. April letzten Jahres, die im letzten Jahr nur für ein Dreivierteljahr als Einnahme berechnet wurde, den Haushalt um rund 6 Milliarden DM für ein weiteres Vierteljahr aufgebläht. Das verschweigen Sie. Sie machen praktisch eine Verdummung der Bevölkerung, wenn Sie einfach Zahlen nebeneinanderstellen und nicht akzeptieren, daß Haushalte nicht nur in den Nominalzahlen, sondern auch in ihrer Struktur verglichen werden müssen. ({6}) Deshalb ist die Aussage falsch, daß diese Regierung unter dem alten Finanzminister in diesem Jahr expansive Fiskalpolitik betrieben hat. Ich darf hier einmal den damaligen Finanzminister Lafontaine von einer Seite zitieren, die hier im Haus vielleicht selten gesehen wird. Er hat damals erklärt: Der Haushalt 1999 dieser Regierung ist ein Übergangshaushalt. Wir müssen konsolidieren, von der Verschuldung herunter. Er hat die Zahlen, die Zins-Ausgaben-Quote und die Zins-Steuer-Quote, im März in der Parlamentsdebatte offengelegt. Jetzt machen wir mit der Finanzplanung, die diese Regierung vorlegt, mit dem Ausstieg aus dem Verschuldungsstaat ernst. Kollege Austermann, in den letzten vier Jahren lag die Durchschnittsneuverschuldung unter CSU-Finanzminister Theo Waigel bei über 60 Milliarden DM pro Jahr. Wir schaffen in diesem Jahr 53,5 Milliarden DM, im nächsten Jahr 49 Milliarden DM, im übernächsten Jahr annähernd 40 Milliarden DM, und im letzten Jahr der Finanzplanung liegt das Ziel bei 30 Milliarden DM. Wir leiten einen Sinkflug ein, damit der Marsch in den Verschuldungsstaat aufhört. ({7}) Wir als Parlament haben eine Verantwortung, auch vor den nächsten Generationen. Fremdfinanzierung heute heißt nichts anderes als Steuererhöhungen morgen. ({8}) Gerade Parteien, die in der Vergangenheit in der Steuerpolitik immer von Nettoentlastungen gefaselt haben, sollten jetzt zugeben, daß an einer Zurückführung der Verschuldung ökonomisch überhaupt kein Weg vorbeiführt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Metzger, kommen Sie bitte zum Schluß.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß mit einem Hinweis, der in dieser Parlamentsdebatte über das Sparen immer zu kurz kommt: 1994 haben die Länder einen Anteil am gesamten Steueraufkommen in einer Größenordnung von 34 bis 35 Prozent gehabt. Der Bund hatte damals noch einen Anteil von etwa 45 Prozent. ({0}) Seit Inkrafttreten des Föderalen Konsolidierungsprogramms haben die Länder auf über 40 Prozent beim Anteil an der gesamtstaatlichen Steuerquote zugelegt. Der Bund ist auf deutlich unter 40 Prozent abgestürzt. Wenn es um eine gerechte Lastenverteilung im Staat geht, muß man der Tatsache Rechnung tragen, daß die Länder in den letzten Jahren strukturell profitiert haben und der Bund gelitten hat. ({1}) Auch das bitte ich zu berücksichtigen, wenn es um die Gerechtigkeit zwischen den staatlichen Ebenen bei der Diskussion über das Sparpaket geht. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Barbara Höll von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schulz hatte sicher recht: ein Erbe der CDU/CSU-F.D.P.-Koalition, ({0}) ein Riesenschuldenberg. Aber Sie von der SPD und den Grünen haben nun etwas wirklich Fragliches erreicht. Die alte Koalition hat den Begriff „Reformen“ völlig umdefiniert. Sie definieren den Begriff „Sparen“ um. Bei mir zu Hause läuft das anders: Wenn ich 20 DM spare, bringe ich sie auf das Sparbuch. Dann habe ich etwas; dann habe ich ein Vermögen. Wenn jemand etwas einsparen will - das weiß selbst mein Kind -, dann muß er entweder seine Ausgaben kürzen, oder er braucht eine Taschengelderhöhung, oder er muß seine Einnahmen auf irgendeine andere Art und Weise erhöhen. ({1}) Sie definieren hier Sparen ohne Vermögensbildung als Selbstzweck, ohne eine Diskussion darüber zu führen, was dahintersteht. Sie sind völlig blind auf dem Auge der Einnahmenerhöhung. Wenn in der Vergangenheit Riesenschulden aufgehäuft wurden, so hat doch irgend jemand an diesen Schulden auch partizipiert. Schulden zu machen ist natürlich eine Riesenumverteilungsmaschine von Vermögen und Einkommen von unten nach oben. Das müssen Sie stoppen. ({2}) Dann diskutieren wir bitte über die Vermögensbesteuerung oder über eine Vermögensabgabe oder/und über die Erbschaftsbesteuerung. Vorhin kam wieder einmal so lässig-pauschal, die PDS hätte keine Vorschläge vorzubringen. Hier sind unsere Alternativen; die können Sie sich ansehen. ({3}) Da ist das aufgelistet. Sie wissen auch, daß wir dazu parlamentarische Initiativen ergriffen hatten. In der bisherigen Debatte wurde auch sehr viel über die Äußerungen des Finanzministers gesprochen. Eigentlich ist das ein Stilbruch gewesen. Es entspricht ihm nicht ganz. Ich denke, das hat auch damit zu tun, daß die ostdeutschen Länder unabhängig davon, ob sie von CDU und SPD oder von SPD und PDS regiert werden, verstanden haben, daß sie aus ureigenstem Interesse und nicht aus Parteitaktik gegen dieses Sparpaket ankämpfen müssen. Ich will mich jetzt nicht auf den Zahlensalat einlassen; das können die anderen hier, zum Beispiel das Publikum, eh nicht nachvollziehen. Ich möchte nur die Dinge heranziehen, die die Bürgerinnen und Bürger in Ost- wie in Westdeutschland scheinbar gleichermaßen betreffen. Aber das ist nicht so. Betrachten Sie doch einmal das, was nicht ein richtiges Sparen, sondern nur ein Verschiebebahnhof auf die Kommunen ist: die Frage der Unterhaltsvorschußleistungen, die Frage des pauschalisierten Wohngeldes und die Frage der Umwandlung der originären Arbeitslosenhilfe. Wenn man damit eine ostdeutsche Kommune belastet, hat das einen ganz anderen Wert, weil die ostdeutschen Kommunen - das wissen Sie alle in diesem Haus - dem grundgesetzlich verankerten Gebot der kommunalen Selbstverwaltung wesentlich weniger nachkommen können als der Großteil der westdeutschen Kommunen, weil sie eine viel geringere eigene Finanzkraft haben. Auf jemanden, der eh schon schwächer ist, wirkt natürlich eine scheinbar gleiche Belastung stärker als auf eine westdeutsche Kommune. Das verhält sich natürlich auch in anderen Bereichen so, zum Beispiel bei den Belastungen durch die Ökosteuer. Die Löhne im Osten sind nicht so hoch wie die im Westen. Das wissen alle. Wenn ein Arbeitnehmer im Osten bei gleicher Qualifikation nur 67 bis 80 Prozent des Lohnes eines in den alten Bundesländern Beschäftigten erhält, dann ist er durch die Erhöhung der Preise für Benzin und Heizöl, die scheinbar für alle gleich hoch ist, wesentlich stärker betroffen als der im Westen, weil er von seinem kleineren Kuchen nun einmal weniger abgeben kann als die Bürgerinnen und Bürger in den alten Bundesländern. Das heißt, es gibt eine ganz spezifische Belastung in den neuen Bundesländern. Ein Rentenwertpunkt Ost bedeutet noch immer rund 10 DM weniger als ein Rentenwertpunkt West. Dazu kommt, daß die Rente im Osten bei fast allen Rentnerinnen und Rentnern den einzigen Altersbezug darstellt. Die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West wird sich durch das jetzt vorgelegte Sparpaket auf Jahre hinaus verzögern. Diesen Zustand können und sollen die ostdeutschen Kommunen und Länder nicht in Kauf nehmen. Er widerspricht dem Grundgesetz. ({4}) Im Grundgesetz ist verankert, daß annähernd gleiche Lebensbedingungen für alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande geschaffen werden müssen. Ich muß Ihnen sagen: Wir in den neuen Bundesländern sind vielleicht auch ein bißchen feinfühliger. Früher hatten wir einen großen Bruder. Damals hieß es immer: Wenn ihr nicht artig seid, wird euch der Hahn der Erdölpipeline zugedreht. Heute gibt es einen großen Solidaritätspakt. Wir hören immer, wie toll er ist. Ich bin froh, daß der Finanzminister mit aller Klarheit deutlich gemacht hat, welchen Stellenwert die Menschen in den neuen Bundesländern haben. In dieser Beziehung hat sich zwischen der alten und der neuen Regierungskoalition leider nicht so viel verändert. Sie müssen hier wirklich ruhig sein! Mein Kollege Herr Jüttemann hat vorhin genügend entsprechende Äußerungen vorgebracht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Höll, kommen Sie bitte zum Schluß.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, ich möchte zum Abschluß darauf hinweisen: Die PDS hat hier ihre alternativen Vorschläge eingebracht. Wir werden die Benachteiligung der neuen Bundesländer auf keinen Fall so durchgehen lassen; vielmehr werden wir unseren Widerstand auch organisieren. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Manfred Hampel von der SPD-Fraktion.

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde ist von den Rednern der Oppositionsfraktionen ständig verfehlt worden. Wir sprechen heute nicht über das Zukunftsprogramm. Wir können morgen darüber reden. Nächste Woche gehen wir in die erste Lesung des Haushalts. Ende November dieses Jahres gibt es die zweite und dritte Lesung des Haushalts. Jetzt in Details zu gehen ist völliger Blödsinn. Wir sollten jetzt über die Äußerungen von Eichel reden, die er - damit komme ich auf den Kernpunkt zurück - in einem Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“ gemacht haben soll. Ich möchte die entsprechende Stelle aus dieser Zeitung, die ich mir besorgt habe, zitieren, um Ihnen zu zeigen, auf welche Grundlage Sie Ihre Vorwürfe stellen. Der Journalist fragt in diesem Interview: Konkret nachgefragt: Ehe es einen ordentlichen neuen Solidarpakt mit dem Bund gibt, erwarten Sie vorab eine Zustimmung der neuen Länder zu Ihrem Konsolidierungskurs für die Bundesfinanzen als Voraussetzung? Die Antwort von Eichel lautete: Ja, sicher. Ich habe mich immer dazu bekannt, dass das, was für den weiteren Aufbau Ost notwendig ist, auch gemacht werden muss. Das gilt auch für die Anschlussregelung nach 2004. Noch am 31. August wurde in den Überschriften der Gazetten von Drohung, Erpressung und Nötigung gesprochen. Schon am 1. und 2. September lauteten die Überschriften ganz anders. Plötzlich konnte man lesen, daß Eichel recht habe. Es war von Eichels Binsenweisheit die Rede. ({0}) Es ist doch klar, daß der Bund nur dann Finanzhilfen leisten kann, wenn er selber dazu in der Lage ist, also über die notwendige Finanzkraft dafür verfügt. ({1}) Das ist eine Binsenweisheit, die Eichel zum Ausdruck gebracht hat. Ihn hierfür zu schelten ist - Entschuldigung, daß ich Ihnen von der PDS das so sagen muß - ein billiges Nachkarten, das zu nichts führt. ({2}) Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen, nämlich auf das Thema BvS. Ich habe mich mit diesem Thema lange beschäftigt. Es ist auch von einem Vorredner angesprochen worden. Der Kollege Kolbe hat vorhin dazwischengerufen: Weil sie nix gemacht hat! Ich war damals in der Opposition und muß jetzt die BvS in Schutz nehmen. Sie waren damals durchaus in der Lage, zu veranlassen, daß noch mehr Mittel in die BvS hineingesteckt werden. Seit 1995 sind rund 5,5 Milliarden DM im Jahr eingestellt worden. In den Folgejahren senkte sich der Betrag auf 2,7 Milliarden DM, 1,8 Milliarden DM usw. ab. Aber niemals ist eine müde Mark geflossen. Das Geld kam immer aus der Sparkasse des Bundesfinanzministeriums. Das wird jetzt bereinigt. Herr Kollege Kolbe, Sie wissen ganz genau - ich muß die damalige Regierungskoalition ein bißchen in Schutz nehmen -, daß es in den vergangenen Jahren nicht an den Mitteln gelegen hat; denn genügend Mittel standen zur Verfügung. Das Problem waren und sind noch heute die EU-Genehmigungen. Problematisch war nämlich, Zweit- und Drittprivatisierungen genehmigt zu bekommen. Ich kenne eine Vielzahl von Fällen, die hiervon betroffen sind. Die Bereitstellung der Mittel scheitert daran, daß die EU nicht zustimmt. Das ist die Crux. Es wäre notwendig gewesen, daß Sie sich schon damals intensiver eingesetzt hätten. ({3}) Wir brauchen das Thema nicht weiter auszudehnen. Vieles ist schon gesagt worden. Jetzt auf Details einzugehen will ich mir ersparen. Wie gesagt, wir haben morgen und auch in den nächsten Wochen ausreichend Gelegenheit dazu. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Manfred Kolbe von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hampel, wir alle haben die „LVZ“ gelesen, einige früher und andere später. Ich kann nur noch einmal vorlesen: Konkret nachgefragt: Ehe es einen ordentlichen neuen Solidarpakt mit dem Bund gibt, erwarten Sie vorab eine Zustimmung der neuen Länder…? Antwort: Ja, sicher. Es ist doch ganz klar, was damit gemeint ist. Der Kollege Austermann hat zu Recht gesagt: Das ist unanständig. Denn dasselbe ist eben bei anderen Ländern nicht passiert. Ich habe nicht gehört, daß Herr Eichel nach Düsseldorf gefahren ist und Herrn Clement gesagt hat: Also, ohne Zustimmung zum Sparpaket gibt es keine weiteren Steinkohlesubventionen. Ich habe auch nicht gehört, daß Herr Eichel nach Saarbrücken gefahren ist und Herrn Klimmt etwas Entsprechendes vorgeschlagen hat. ({0}) Das Unanständige besteht darin, daß Sie sich gegenüber dem Osten trauen, etwas Derartiges zu sagen, weil Sie meinen, die seien vermeintlich schwach, während Sie es sich gegenüber dem Westen nicht trauen. Das sollte auch Sie, Herr Hampel, ärgern. Wahrscheinlich tut es das auch, nur können Sie es hier nicht sagen. Natürlich wollen wir alle sparen; aber Sie sparen ja gar nicht. Der Bundeshaushalt 2000 geht gegenüber dem Bundeshaushalt 1999 in der Tat um 7,5 Milliarden DM zurück. Aber das geschieht doch bloß, weil Lafontaine zwischenzeitlich 28 Milliarden DM auf den Haushalt draufgelegt hatte. Gegenüber dem letzten WaigelHaushalt 1998 steigt der Eichel-Haushalt 2000 um 21 Milliarden DM, Herr Diller. Wenn Hans Eichel der eiserne Sparkommissar ist, was ist denn dann Theo Waigel? Sie müßten Loblieder auf den Sparkommissar Theo Waigel singen. ({1}) Wir haben bis 1998 gespart, und der arme Hans Eichel kehrt jetzt ein Viertel der Mehrausgaben wieder zusammen, die Oskar Lafontaine 1999 verursacht hat. Herr Metzger, Sie sprachen von einer redlichen Debatte und davon, daß wir einen Schuldenberg von 1,5 Billionen DM von Helmut Kohl geerbt hätten. Landauf, landab hört man, das Zukunftsprogramm fange angeblich mit dem Abbau dieses Schuldenberges an. Die Wahrheit aber ist, daß zum Jahresende 1998 die Bundesschuld 954 Milliarden DM betrug. Aus der Altbundesrepublik kamen noch zwei Schattenhaushalte dazu. Es handelte sich um weitere rund 100 Milliarden DM. Das ist gut 1 Billion DM. Das ist zuviel. Darin sind wir uns einig. Aber es sind nicht 1,5 Billionen DM. Es ist doch wirklich unredlich, die 400 Milliarden DM, die aus der Wiedervereinigung dazugekommen sind - Treuhand, Altlastschulden usw. -, in einen Topf mit der allgemeinen Bundesschuld zu werfen. ({2}) Natürlich sind beide Schulden des ganzen Landes; aber der Entstehungsgrund ist doch ein ganz anderer. Das können Sie doch nicht allein Helmut Kohl in die Schuhe schieben. ({3}) Lieber Kollege Metzger, das ist unredlich, und das wissen Sie auch. Sie wissen auch, daß wir die Erblastschulden der DDR bis 1998 getilgt haben. Wir haben ungefähr 50 Milliarden DM dieser Schulden getilgt, Herr Metzger. Das war die einzige Tilgung, die wir in diesem Jahrzehnt überhaupt hatten. Es ist das einzige Mal gewesen, daß Schulden überhaupt getilgt worden sind. Diese Tilgung haben Sie beseitigt, um sich zusätzlichen Ausgabespielraum zu beschaffen. Das ist intellektuell unredlich. ({4}) Worin liegt nun unsere Hauptkritik an Eichels Sparpaket? Das sollten sich die Kollegen der SPD zu Herzen nehmen. Wir kritisieren die überproportionalen Einsparungen im Osten, Herr Hampel. ({5}) Wir sind zu gesamtdeutschen Einsparungen bereit. Natürlich muß dazu jeder Landesteil seinen Beitrag leisten. Wir lehnen aber überproportionale Einsparungen ab. Von den 7,5 Milliarden DM, um die der Haushaltsansatz zurückgenommen wird, entfallen 3 Milliarden DM auf den Aufbau Ost: 900 Millionen DM bei der Treuhand - darüber können wir, Herr Hampel, lange Gespräche führen -, 285 Millionen DM bei der Gemeinschaftsaufgabe, 500 Millionen DM bei sonstigen Förderprogrammen und 300 Millionen DM bei den Verkehrswegen - eines der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ haben Sie komplett gestrichen -, 800 Millionen DM bei den Lohnkostenzuschüssen und 109 Millionen DM bei den Pflegeeinrichtungen. Im Osten sparen Sie überproportional. Das kritisieren wir und nicht den gesamtdeutschen Sparbeitrag. Sie können auch die Renten nehmen: Wir alle wissen, daß auf Grund der demographischen Entwicklung bei den Renten etwas passieren muß. Auch die Union hatte hier ja angesetzt. Wir wollten eine berechenbare Grundlage gesetzlich verankern, nämlich den demographischen Faktor. Mit der von Ihnen jetzt vorgenommenen Anpassung an die Inflationsrate bringen Sie die Angleichung der Renten in Ost und West zum Stillstand. Das ist der eigentliche Kritikpunkt, den wir im Osten haben. Ich bin gespannt, ob diese Anpassung irgendwann einmal wieder einsetzt. ({6}) Lassen Sie mich abschließend sagen: Sie begannen mit der angeblichen Chefsache Aufbau Ost und einem Staatsminister im Kanzleramt, der wieder einmal nicht hier im Saal ist; herausgekommen ist unter Schröder, Eichel und Schwanitz, daß der Aufbau Ost von der Chefsache zur Nebensache verkümmerte. Das werden wir nicht hinnehmen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Simone Violka von der SPD-Fraktion das Wort.

Simone Violka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003250, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts einer Staatsverschuldung von 1,5 Billionen DM und einer Gesamtverschuldung von 2,341 Billionen DM, wenn man die Verschuldung von Ländern und Kommunen noch dazurechnet, ist es schon fast paradox, von Erpressung oder dem Herstellen von Abhängigkeiten zu reden. Wer Minister Eichels Aussage als solche mißinterpretiert, hat entweder den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt oder will sich in der Öffentlichkeit profilieren. ({0}) Wir alle - auch Hans Eichel - kennen und akzeptieren die Notwendigkeit eines weiteren Aufbaus in den neuen Ländern. Aber angesichts dieser Staatsverschuldung, die fast ein Viertel aller Steuereinnahmen in Form von Zinsen verschlingt, muß man auch von allen Länderchefs Deutschlands erwarten können, daß sie die Notwendigkeit von Sparen einsehen, ganz gleich, aus welchem Territorium sie stammen oder welche Farbe ihr Parteibuch hat. ({1}) Wenn wir von diesem Schuldenberg, der in den letzten Jahren immer höher gewachsen ist, nicht herunterkommen, werden immer mehr Steuergelder für die Zinstilgung zum Einsatz kommen müssen. Dadurch steht in absehbarer Zeit immer weniger oder überhaupt kein Geld mehr für die Weiterführung des Aufbaus Ost zur Verfügung, ({2}) ganz zu schweigen von anderen sozialen und wirtschaftlichen Projekten in ganz Deutschland. Das hat nichts mit politischem Willen, sondern mit Tatsachen zu tun. Diesen Tatsachen muß man sich stellen, wenn man eine zukunftsfähige und zukunftssichernde Politik machen will. Wer diese Fakten verschweigt oder beschönt, führt die Bevölkerung absichtlich hinters Licht. Ehrlichkeit ist aber etwas, was ich mir auf meine politische Fahne geschrieben habe. Dies können die Menschen auch zu Recht erwarten. Wenn man den Menschen in Ost und West zur Wendezeit nicht vorgegaukelt hätte, daß die deutsche Einheit aus der Portokasse zu bezahlen wäre, ({3}) würde es heute nicht so viel Unzufriedenheit und Unverständnis auf beiden Seiten geben. ({4}) Die jetzige Regierung ist nicht bereit, die gleichen Fehler wie die damalige Koalitionsregierung zu machen, ({5}) nämlich mit Seitenblick auf Wählerstimmen die Wirklichkeit zu ignorieren. Ich finde es ungeheuerlich, wie viele Politikerinnen und Politiker der Opposition nach Finanzminister Eichels Aussage das große Wort geschwungen haben. Da war von einem unglaublichen Skandal zu lesen, von Kasernenhofton gegenüber den neuen Ländern und gar von räuberischer Erpressung, um nur einiges zu nennen. Nicht eine dieser Kolleginnen bzw. einer dieser Kollegen hat sich nach meiner Erinnerung einmal ähnlich geäußert, wenn Bayern, Hessen oder Baden-Württemberg den Länderfinanzausgleich in Frage stellten, auf den derzeit einige alte und alle neuen Länder angewiesen sind. ({6}) Das, sehr geehrte Damen und Herren, halte ich für einen großen Skandal. An die Adresse der Opposition auf der linken Seite dieses Hauses, der Sie zu verdanken haben, daß ich hier rede, will ich nur eines sagen: Wenn man ständig nur etwas finanziert, was man politisch will, ohne danach zu schauen, was man real überhaupt kann, geht man ganz schnell finanziell zugrunde. Da brauchen wir uns nur die alte DDR anzuschauen; das wissen, glaube ich, alle noch. Weil wir das aber nicht wollen und den richtigen Weg erkannt haben, wie man in Zukunft wieder mehr Steuergelder zur Verfügung hat, gibt es vom Bundesfinanzminister Hans Eichel ein Zukunftsprogramm, das die Verantwortung für ein zukunftsfähiges Gemeinwesen bezeichnet. Mit diesem Zukunftsprogramm übernimmt die Bundesregierung die Verantwortung für die Zukunft. Wir sparen doch nicht um des Sparens willen. Aber wenn man auch in der Zukunft noch ein funktionierendes demokratisches Gemeinwesen haben will, muß man dafür sorgen, daß wieder genügend Steuergelder für die Umsetzung der politischen Ziele vorhanden sind und diese dem Gemeinwohl zugeführt werden können. Das geht aber nicht, wenn die Zinsbelastung immer weiter steigt. Sparen ist derzeit die einzige Möglichkeit, langfristig wieder genügende finanzielle Spielräume für einen aktiven und handlungsfähigen Staat zu schaffen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Violka, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer ersten wirklich gehaltenen Rede im Bundestag, denn die eigentliche erste Rede ist damals zu Protokoll gegeben worden. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Susanne Jaffke von der CDU/CSU-Fraktion.

Susanne Jaffke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001008, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! ({0}) Wir wollen uns doch wieder einmal an dem orientieren, was der Ausgang der ganzen Geschichte ist. Da hat es eine Äußerung eines Ministers gegeben, bei dem man eigentlich sagen muß: Er ist ein Profi. Das ist er doch, euer Minister? ({1}) Denn er ist ja nicht nur Profi als Minister, sondern er war lange Zeit auch Profi als Ministerpräsident. So ein Lapsus hätte ihm eigentlich nicht unterlaufen dürfen. ({2}) - Na gut, soweit, so schön; es ist ja auch alles in Ordnung, das kann ja mal passieren. - Ich könnte eigentlich auch sagen: Es ist wunderschön, daß das gerade in dem Moment passiert, in dem die Koalitionshaushälter im wunderschönen Lande Mecklenburg-Vorpommern, in Wismar, unterwegs sind. Ich glaube, es war sehr, sehr schön. Sie müssen mir doch zustimmen: Es ist ein wunderschönes Land. Da können auch einmal so kleine Versprecher vorkommen. ({3}) - Wenn Sie mir sagen, daß das kein Versprecher war um so schlimmer. ({4}) Denn eines muß ich Ihnen dazu auch sagen: Das Lebensgefühl, Wohlergehen für Wohlverhalten, hatten wir bis 1990. Daran möchte ich mich nicht so gerne erinnern, ({5}) und ich möchte mich auch nicht gerne wieder da hineinversetzt wissen. Ich glaube schon, daß es ganz wichtig ist - wenn Sie schon die vielen Presseechos zitieren, die auf diese Äußerung des Ministers im Blätterwald erfolgt sind -, auch einmal die wunderschönen Zeitungsmeldungen aus dem Lande Mecklenburg-Vorpommern zu zitieren, in denen es heißt: Herr Minister Eichel hat bei Ministerpräsident Ringstorff seinen Antrittsbesuch gemacht. Justament hat dieser Ministerpräsident Ringstorff in vorauseilendem Gehorsam gesagt: Selbstverständlich unterstütze ich dieses Paket, welches auch immer da kommt. Er mußte den Journalisten sogar sagen, er kenne es nicht. Die Frau Finanzministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat dies dann bestätigt. Außerdem hat sie zu Protokoll gegeben und in der Öffentlichkeit gesagt, sie zweifle diese Zahlen an. Da kommen wir wieder in eine lustige Veranstaltung. Worüber reden wir hier jetzt eigentlich? Wir wollen alle unendlich viel zur Konsolidierung der Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland beitragen. Das tun wir aber nicht, indem wir den Bürgern über Ökosteuer, Benzin, Strom und alles mögliche erst das Geld aus der Tasche ziehen, dieses dann wieder irgendwo verteilen und bei dieser Verteilung die neuen Bundesländer ein Stück außen vorlassen. Das ist leider Gottes so. Ich denke, wir sollten uns in den Detailverhandlungen, die wir im Haushaltsausschuß nachher noch führen werden und hoffentlich führen müssen, darauf verständigen, daß es in dieser Richtung bedeutende Korrekturen gibt. ({6}) Denn ich kann nicht erst Geld ausgeben, das ich eigentlich nicht habe, es mir hinterher einfordern und dann über eine, ich sage einmal: recht zweifelhafte Diskussion in der Öffentlichkeit verlangen, daß nur eine bestimmte Region in der Bundesrepublik Deutschland für dieses Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen und vielleicht auch zur Kasse gebeten wird. Deshalb kann ich uns allen nur raten, von diesem Kurs abzulassen, in vernünftige Verhandlungen einzutreten und alle diese Anstrengungen, die eigentlich dazu führen sollen, unsere Haushaltsfinanzen zu konsolidieren, ernsthaft zu unternehmen. Gestatten Sie mir noch ein Wort zur BvS, weil ich als Berichterstatterin schon eine Weile in diesem Metier tätig bin. Ich glaube, die Crux in der Debatte um Steuererhöhungen ist, daß die SPD den Sündenfall begeht, Steuern und Sozialabgaben ein wenig miteinander zu vermischen, ({7}) sowohl bei der Rente als auch bei der Gesundheit. Sie haben den Haushalt um 30 Milliarden DM aufgebläht, durch Steuererhöhungen durchlaufende Posten geschaffen und diese in die Sozialversicherungssysteme verlagert. Dabei bewegen Sie sich auf einem gefährlichen Pfad, nämlich weg von der Generationenverantwortung ({8}) und hin zu einer - wenn auch vielleicht staatsgenehmen - steuerfinanzierten Versorgung. Das führt zu nichts. Daran ist 1990 auch die DDR pleite gegangen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde gebe ich das Wort dem Kollegen Rainer Fornahl von der SPDFraktion.

Rainer Fornahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003120, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht unanständig, was FiVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms nanzminister Eichel im Zusammenhang mit Sparpaket, Zukunftsprogramm und Solidarpakt für die Zeit nach 2004 gesagt hat. ({0}) Vielmehr ist es ausgesprochen unanständig, wenn man, wie man hier mehrfach hören konnte, Zitate aus dem Zusammenhang reißt und nur zur Hälfte, nur zu einem Drittel oder nur zu einem Viertel anführt. Herr Hampel hat hier schon eines der beiden Zitate gebracht. Ich will das hier wiederholen, vor allem für Herrn Austermann und Herrn Kolbe: Konkret nachgefragt: Ehe es einen ordentlichen neuen Solidarpakt mit dem Bund gibt, erwarten Sie vorab eine Zustimmung der neuen Länder zu Ihrem Konsolidierungskurs für die Bundesfinanzen als Voraussetzung? Ja, sicher. Ich habe mich immer dazu bekannt, dass das, was für den weiteren Aufbau Ost notwendig ist, auch gemacht werden muss. Das gilt auch für die Anschlussregelung nach 2004. Wenn der Bund sich da solidarisch gegenüber den Ländern verhält, muss er sich auch auf die Solidarität der Länder ihm gegenüber verlassen können. Das ist immer in beiderseitigem Interesse. Ich glaube, an der Richtigkeit dieser Äußerung kann keiner einen Zweifel haben. ({1}) Für Herrn Austermann, der hier einen Ost-WestKonflikt herbeireden wollte, will ich aus diesem Interview noch folgendes zitieren: Im Unterschied beispielsweise zu Bayern meine ich, fundamental für den Föderalismus ist auch die Solidarität zwischen den Ländern und die Solidarität zwischen Bund und den Ländern. Das war schon immer meine Position. In diesem Sinne erwarte ich auch von den neuen Ländern, dass sie begreifen, und ich habe da bisher sehr viel Zustimmung gefunden, dass die Konsolidierung des Bundeshaushaltes jetzt die Voraussetzung dafür ist, dass der Bund auch in Zukunft weiter seinen Verpflichtungen für den Aufbau Ost nachkommen kann und dass damit die ostdeutschen an die westdeutschen Länder herangeführt werden können. ({2}) Damit könnte man diese ganze Scheindebatte der Aktuellen Stunde abbrechen. Sie war und ist verlogen von seiten derer, die sie initiiert haben, und von seiten derer, die auf diesen Zug aufgesprungen sind. ({3}) Ich will aber noch zusammenfassen, was ich hier heute in der Debatte erleben mußte: Kürzlich hat sich sogar unabgesprochen - eine illustre Allianz gefunden. Eine Allianz für den Aufbau Ost - Fragezeichen oder Ausrufezeichen? Zumindest haben diejenigen, die so vollmundig getönt haben, schon den Totengräber des Aufbaus Ost dingfest gemacht. Wer sind denn überhaupt die Aufrechten? Einige Zitate von heute brauche ich nicht zu wiederholen; sie sprechen für sich und disqualifizieren diejenigen, von denen sie stammen. Aber einige der brilliantesten will ich hier wiederholen. Ein Herr Rehberg - in Klammern: CDU -: einmaliger Vorgang räuberischer Erpressung. Das ist im Sinne des § 255 StGB ein Angriff auf Leib und Leben der Ostdeutschen. Das muß man sich einmal vorstellen. ({4}) So blöd kann man doch nicht sein, und das ist ein verantwortlicher Landespolitiker. Nein, pfui Deibel, kann ich dazu nur sagen. Herr Dr. Luther - auch in Klammern: CDU -: Kohle gegen Kadavergehorsam, Frau Gramkow von der PDS: Meine Partei wird sich nicht erpressen lassen, Eichel handelt illegitim. ({5}) Mein sächsischer Landsmann Herr Dr. Herle spricht auch vom Erpressungsversuch. Das Wort „unanständig“ haben fast alle erwähnt, das will ich gar nicht noch einmal ausbreiten. ({6}) Wer wird mit solchen Vorwürfen konfrontiert und diskreditiert? Der Bundesfinanzminister Eichel, stellvertretend für die Regierung und die Koalition. Warum? Das ist der Kern der ganzen Geschichte: In einigen Bundesländern wurde und wird gewählt, und dann kommt jedes Mittel recht - egal, wie anrüchig es auch sein mag -, um den politischen Zielen Unterstützung zu geben. Das ist der Punkt, über den wir heute zu reden haben. ({7}) Die Allianz wird noch erweitert durch Vertreter des Freistaats Bayern. So hebt beispielsweise Herr Faltlhauser den Zeigefinger und sagt: „An der Notwendigkeit der Fortführung des Solidarpakts nach 2004 besteht überhaupt kein Zweifel.“ - und das ausgerechnet von einem Repräsentanten der CSU, die nicht nur in Bierzelten die Solidarität der Menschen in den neuen Bundesländern über Jahre hinweg schon in Zweifel gezogen hat ({8}) und den Solidarpakt plus Länderfinanzausgleich nach bayerischem Gusto so schnell wie möglich canceln wollte und will. Das, meine Damen und Herren, ist die unheilige und verlogene Allianz aus CDU/CSU, F.D.P. und PDS, die wahrlich wider besseres Wissen - bei der PDS kann man das nicht unterstellen - handeln. Herr Schulz von Bündnis 90/Die Grünen hat klar und deutlich gesagt, wo Sie stehen, wenn Sie über Wirtschaftspolitik und die Entwicklung der neuen Länder reden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Fornahl, kommen Sie bitte zum Schluß.

Rainer Fornahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003120, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Schluß und will sagen: Aus meiner Sicht ist eine Konsolidierung des Bundeshaushalts bei solidarischer und gerechter Beteiligung der Länder und Kommunen die einzige Chance für die Erreichung des Ziels der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Vollendung der Einheit Deutschlands über die staatliche und politische Vollendung hinaus. Darüber werden wir morgen sicherlich noch ausführlich reden. Zum Schluß möchte ich noch ein Zitat aus einer großen deutschen Tageszeitung -

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, Herr Kollege. Sie haben Ihre Zeit lange genug überschritten. Kein Zitat mehr.

Rainer Fornahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003120, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

O. k. Dann gebe ich es zu Protokoll. ({0}) Vielen Dank, meine Damen und Herren. Ich glaube, trotzdem ist klargeworden, was ich für unsere Koalition sagen wollte. Wir stehen zum Sparpaket. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1997 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes ({1}) - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1998 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung ({2}) - Drucksachen 13/10378, 14/29, 14/153 Nr. 1, 14/1257 Berichterstattung: Abgeordnete Uta Titze-Stecher Antje-Marie Steen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, begrüße ich auf der Tribüne die Präsidentin des Bundesrechnungshofes, Frau Dr. Hedda von Wedel, sehr herzlich. ({3}) Ich freue mich, daß Sie zur ersten Debatte im Deutschen Reichstag zu uns gekommen sind. Vielen Dank. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Josef Hollerith von der CDU/CSU-Fraktion.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß Ihnen sagen, daß ich mich außerordentlich freue, heute abend zum erstenmal am Rednerpult im neuen Reichstag sprechen zu dürfen. ({0}) Ich empfinde diesen Raum als Symbol dafür, daß die Demokratie in Deutschland eine positive Entwicklung genommen hat: in den ersten Kämpfen um mehr Rechte in der Kaiserzeit, die Weimarer Republik; dann kam der unselige 30. Januar vor den Märzwahlen 1933, als die Nazis dieses Gebäude angezündet hatten; dann das Nachkriegsdeutschland, als der Reichstag noch als Ruine als Symbol der Freiheit an der Nahtstelle der Grenze zwischen Ost und West stand. Wir haben den Kolleginnen und Kollegen zu danken, die in den 50er Jahren der Versuchung - die es vielfach gegeben hat -, dieses Gebäude abzubrechen, widerstanden und den Mut hatten, nach einer ersten Renovierung diesen Reichstag wieder als Plenargebäude für Debatten im Rahmen unserer demokratischen Verfassung zu nutzen. ({1}) Ich freue mich, daß die vibrierende Stadt Berlin uns fordert und uns auch viel stärker mit der Wirklichkeit konfrontiert, als dies im eher beschaulichen Bonn der Fall war. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute über 87 Prüfungsbemerkungen zu debattieren und zu entscheiden, die im Rechnungsprüfungsausschuß gründlich und qualifiziert behandelt worden sind. Ich erspare mir deshalb, auf diese 87 Bemerkungen im Detail einzugehen. ({3}) Nicht erspare ich mir, zu würdigen, daß die Arbeit im Rechnungsprüfungsausschuß sachlich erfolgt und das Klima menschlich ist. Dafür möchte ich den Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich danken; namentlich danke ich der Vorsitzenden, der Kollegin Uta TitzeStecher, für ihre menschlich geprägte Führung dieses Ausschusses. Es ist nicht von ungefähr, daß allein im Rechnungsprüfungsausschuß im Unterschied zu allen anderen Ausschüssen nur ein Berichterstatter für den gesamten Ausschuß zu einem Tagesordnungspunkt eingesetzt ist. Ich betone ausdrücklich, daß in diesem Ausschuß die Frage, wer auf der Oppositions- und wer auf der Regierungsbank sitzt, die geringste Rolle spielt und im Vordergrund die sachliche und qualifizierte Arbeit steht, fernab jeder Polemik. Ich empfinde es auch als angenehm, daß sich dies im Wechsel von Regierung und Opposition nicht verändert hat. Dafür herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen! ({4}) Allein von der Zeit her wären die Abgeordneten nicht in der Lage, die qualifizierte Arbeit des Controlling zu leisten, wenn uns nicht ein hervorragender Apparat mit Argumenten, mit qualifizierten Analysen und mit Sachverstand dabei unterstützte. Dies würdige ich in besonderer Weise und verbinde die Würdigung mit einem ausdrücklichen Dank an Sie, Frau Präsidentin Dr. Hedda von Wedel. Wir schätzen Ihre Arbeit, und ich bitte Sie herzlich, unseren Dank, unsere Würdigung und unsere Anerkennung auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu übermitteln. ({5}) Ich empfehle, der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 14/1257 zu folgen und der Bundesregierung die Entlastung für das Haushaltsjahr 1997 mit den Maßgaben zu erteilen, daß den Feststellungen des Haushaltsausschusses und den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zu folgen ist, daß die Steigerung der Wirtschaftlichkeit nachhaltig zu betreiben ist, daß die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen sind ({6}) - natürlich auch vom BMF - und daß die Verhandlungen über einen innerstaatlichen Stabilitätspakt zügig voranzutreiben sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich gibt der Blick auf den Haushalt 1997 und auf die aktuelle Debatte über Mogelpackungen, über sogenannte oder vermeintliche Sparpakete auch Anlaß, in den Zeitreihen einmal zu vergleichen, was denn tatsächlich passiert ist. In diesem Zusammenhang stelle ich fest, daß sich die Höhe des Haushaltes 1997, verglichen mit der Höhe des Haushaltes 1994, um 30 Milliarden DM verringert hat. Obwohl 30 Milliarden DM weniger für den Bundeshaushalt 1997 angesetzt wurden, ist die Investitionsquote von 12,8 Prozent im Jahre 1997, verglichen mit der Investitionsquote von 13 Prozent im Jahre 1994, nahezu unverändert geblieben. Ich stelle fest, daß wir als Ergebnis dieser berechenbaren Politik in dieser Zeit ein reales Wachstum zwischen 2 und 3 Prozent hatten. Dies führte im weiteren Verlauf dazu, daß im Jahre 1998 die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland um 300 000 zugenommen hat. Es ist natürlich redlich, in der heutigen Debatte diese Ergebnisse mit den Ergebnissen zu vergleichen, die die neue Bundesregierung nach einem Jahr erzielt hat. In diesem Zusammenhang müssen wir feststellen, daß die Zahl für das Realwachstum eine Null vor dem Komma hat. Wir müssen ferner feststellen, daß die Zahl der Arbeitsplätze um 360 000 abgenommen und nicht um 300 000 zugenommen hat. Wenn wir auf die Haushaltszahlen und auf die Finanzplanung blicken - ich denke dabei an die Vorlage des BMF -, müssen wir außerdem feststellen, daß das Soll des Jahres 1999 in Höhe von 485,7 Milliarden DM nach der Finanzplanung im Jahre 2003 auf 503,8 Milliarden DM steigen soll. ({7}) Dies ist eine Aufblähung um einen zweistelligen Milliardenbetrag. Das Bemerkenswerte in diesem Zusammenhang ist - das ist ein Zeichen für eine bemerkenswert falsche Politik -, daß die Investitionsquote des Bundeshaltes im Jahre 1999 von 12 Prozent nach der Finanzplanung auf 10,6 Prozent sinken wird. Die Ausgaben, die Arbeitsplätze schaffen und sichern, sollen also dramatisch sinken. Wenn wir der Redlichkeit halber die Finanzplanung von Theo Waigel mit der Finanzplanung des Jahres 1999 von Eichel vergleichen, dann können wir feststellen, daß wir am Ende des Finanzplanungszeitraums im Jahre 2002 eine Erhöhung von 45,3 Milliarden DM haben werden. Die Investitionen im Bereich der Bundesfernstraßen weisen im gleichen Finanzplanungszeitraum ein Minus von 1,3 Milliarden DM auf, obwohl bekannt ist, daß überall dort, wo Autobahnen entstanden sind, sich Wirtschaft angesiedelt hat, neue Arbeitsplätze entstanden sind und Wohlstand gewachsen ist. Das beste Beispiel ist die Autobahn Deggendorf in Niederbayern. ({8}) Die Politik der neuen Bundesregierung ist eben keine Politik, die dazu führt, daß Arbeitsplätze in Deutschland entstehen und Wohlstand und Staatseinkommen steigen können. Wenn man auf die Finanzplanung schaut, dann müssen wir ferner feststellen: Entgegen anderslautenden Behauptungen wird die Höhe der Eigenmittelabführung des Bundes an den EU-Haushalt von 42,9 Milliarden DM im Jahre 1998 im Finanzplanungszeitraum bis zum Jahre 2003 auf 49,6 Milliarden DM steigen. Ich komme nun zu der Höhe der Schulden. Wir sind nicht dagegen, daß gespart wird - ganz im Gegenteil. Wir haben den Menschen vor der Wahl ehrlich gesagt, daß gehandelt werden muß. ({9}) Wir haben vor der Wahl die Einführung des Demographiefaktors beschlossen, um die Rente zu stabilisieren und um die Auswirkungen auf Grund der höheren Lebenserwartung nicht allein auf die Beitragszahler abzuwälzen. Wir wollten, daß die steigenden Belastungen von den länger lebenden alten Menschen mitgetragen werden. ({10}) Wir haben dies vor der Wahl beschlossen, weil wir den Handlungsbedarf erkannt haben und weil wir in der Politik ehrlich bleiben wollen. ({11}) Wir wenden uns aber gegen das Täuschungsmanöver und gegen die Rentenlüge von Schröder. Er hat nämlich gesagt, er werde den Rentnern nicht in die Tasche langen. Diese Aussage hat unter anderem zu dem Erfolg der Wahl am 27. September 1998 geführt. Wir wenden uns gegen diese Lügen. ({12}) - So ist es. - Ebenso wenden wir uns gegen die Schuldenlüge, die jetzt neu entwickelt wird, um von der eigenen Sprache abzulenken, ein ehrliches Sparpaket auf den Weg zu bringen, wie es unter Theo Waigel erfolgreich geleistet worden ist. ({13}) Es ist übrigens bemerkenswert: Wenn man - wie vorhin in der Fragestunde - nachfragt, polemisiert Frau Staatssekretärin Hendricks erst einmal wie auf der Straße. Wenn man dann weiter nachfragt, wie das mit der Altlastenbeseitigung des Kommunismus war, dann gibt sie zu: Das sind schon Schulden, zu denen wir uns bekennen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Hollerith, kommen Sie bitte zum Schluß.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich fordere von dieser Bundesregierung mehr Ehrlichkeit ein, mehr Ehrlichkeit und Anstand in der Politik. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Uta TitzeStecher von der SPD-Fraktion.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hollerith, bei allem Respekt vor Ihrer motivierten Mitarbeit im Ausschuß und Ihren kollegialen Verhalten, Ihrem Umgangsstil. Was Sie eben gemacht haben, das war nicht die Arbeit eines Berichterstatters zum aufgerufenen Thema, sondern das war eine veritable Haushaltsrede mit Bewertung des Haushalts 1999 und 2000 sowie der mittelfristigen Finanzplanung. ({0}) - Sie nicken, Sie geben mir auch noch recht. Das heißt, als Lehrerin würde ich sagen, eine glatte Themenverfehlung. ({1}) Lassen Sie mich, ehe ich zu dem hier wirklich anstehenden Thema, nämlich der Bewertung der Haushaltsund Wirtschaftsführung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1997 auf der Grundlage der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes, komme, eine kurze, aber aus meiner Sicht doch notwendige Vorbemerkung machen. Natürlich entscheidet das Parlament, also Sie alle, die lieben Kolleginnen und Kollegen, über die Entlastung der Bundesregierung für ein bestimmtes Haushaltsjahr. Sie dürfen auch dann ausgehen, daß die Ausschüsse, die sich mit diesem Thema befaßt haben, insbesondere der Rechnungsprüfungs- und der Haushaltsausschuß, die vorliegende Beschlußempfehlung auf Grund sorgfältiger Beratung verantworten können. Aber - auch das hat der Berichterstatter vor mir zu Recht betont und sich auch dafür bedankt - ohne die ständige Mitarbeit und Zuarbeit, ohne die unbestechliche, beharrliche, sachverständige Prüfung des Bundesrechnungshofs wäre eine Finanzkontrolle, die diesen Namen verdient, nicht möglich. Deshalb bedanke ich mich bei der anwesenden Präsidentin - bitte geben Sie diesen Dank an Ihr Haus weiter - ganz besonders im Namen des Rechnungsprüfungsausschusses, denn wir wären ohne ihre Arbeit schlicht verloren; wir könnten sie nicht leisten. Diese Arbeit ist allerdings nicht leichter geworden in Zeiten zunehmender Privatisierung von ehemals staatlichen Unternehmen, drückender Haushaltssorgen, steigender Zinsbelastungen, angesichts unakzeptabler hoher Staatsschulden und - auch das muß hier gesagt werden sinkenden Bewußtseins in der Gesellschaft dafür, was des Staates ist, damit er die Aufgaben noch vollziehen kann, deren Erfüllung wir von ihm erwarten. In der beschriebenen Situation besteht die reale Gefahr, Prüfungsfeststellungen und Beanstandungen des Bundesrechnungshofes zu bagatellisieren, wegzudrükken, und sie - ja, auch das kommt vor - von seiten der Kolleginnen und Kollegen als unangemessen abzuqualifizieren. Der Grund ist leicht nachvollziehbar, denn die Prüfbemerkungen des Bundesrechnungshofes legen den Finger in die Wunden, die nicht er, der Rechnungshof, verursacht hat, sondern eben jene geprüften und beanstandeten Institutionen. Diese begreifen die Feststellungen leider häufig als Majestätsbeleidigung und übersehen dabei, daß jede Prüfungsfeststellung immer auch Beratungselemente enthält und konkrete Maßnahmen empfiehlt, also eigentlich und dem Grunde nach als Hilfestellung anzusehen und auch so geplant ist. Ich habe den Eindruck, daß der Spielraum für die angemessene und unabhängige Arbeit des BRH in den Jahren seit der Einheit ab und an in Gefahr war, beschnitten und verengt zu werden. Wir alle können daran kein Interesse haben. Wir müssen daran interessiert sein, den Spannungsbogen zwischen dem, was für eine unabhängige Prüfung erforderlich ist, und dem, was dann die parlamentarische Prüfung ergibt und für politisch gerechtfertigt hält, auszuhalten. Rüde Attacken wie die des seinerzeitigen Bundesverteidigungsministers Rühe an die Adresse der Rechnungsprüfer im Zusammenhang mit dem 4. Bericht des BRH zum Eurofighter - ich erinnere mich noch daran, als wäre es heute gewesen - sind die Ausnahme. ({2}) - Ja, Herr Austermann, da hören Sie auf zu reden; das ist klar, Sie sind im Wahlkampf. - Angesichts dieser seriösen Arbeit erlaubte sich der damalige Bundesverteidigungsminister die Attacke, der Rechnungshof verstehe nichts von der Materie. Solche direkten Ausfälle kommen allerdings zum Glück sehr selten vor. ({3}) Sie schwächen nämlich das Instrument der Kontrolle zum Schaden von uns allen. Deswegen mein Appell an die Kollegen: Stärken wir unseren Partner Bundesrechnungshof zum Nutzen von uns allen. Meine Bitte an den Bundesrechnungshof: Zu Resignation besteht kein Anlaß; bleiben Sie ein loyaler, unabhängiger und hartnäkkiger Berater. Dann wird es uns gemeinsam gelingen, zum Beispiel die notwendigen Strukturreformen in der öffentlichen Verwaltung und anderen Bereichen durchzusetzen. ({4}) Ich komme nun zum Thema, der Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1997 und den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes dazu. Mir ist vollkommen klar, warum mein Vorredner über die Bemerkungen elegant mit dem Satz hinwegwischte, es seien so viele - nämlich 87 -, daß wir sie nicht alle ausbreiten könnten; sonst müßten wir bis morgen früh reden. Herr Hollerith, ich verstehe das; denn diese Bemerkungen beleuchten ein veritables Sündenregister. - Da lachen Sie nur; das sagt mir genug. Der Bundesrechnungshof hat bei seiner Prüfung der Jahresrechnung 1997 hinsichtlich des kassenmäßigen Ergebnisses keine für die Entlastung der Bundesregierung relevanten Abweichungen festgestellt. Dieser Bewertung haben sich die zuständigen Ausschüsse einstimmig angeschlossen. Aber es wurde einzelnes beanstandet, zum Beispiel das ewige Ärgernis unvollständiger und unzutreffender Angaben insbesondere bei der Ausweisung überplanmäßiger Ausgaben. Das Thema hat uns zu Recht sehr häufig beschäftigt. Ich erwarte und hoffe - in Anwesenheit des zuständigen Staatssekretärs -, daß die sorgfältige Anwendung der bestehenden haushaltsrechtlichen Bestimmungen durch die jetzige Bundesregierung solche Beanstandungen in Zukunft überflüssig macht. Auch die Entwicklung der Ausgabereste gibt Anlaß zur Kritik. Seit 1992 sind die Ausgabenreste Jahr für Jahr gestiegen. Das ist zum Teil eine Folge der Flexibilisierung des Haushaltsrechts, der wir alle zugestimmt haben. Aber um die Tendenz, Haushaltsrisiken in Folgejahre zu verlagern, zu stoppen, müssen wir diese Entwicklung sorgfältig beobachten, um unter Umständen zusammen mit dem Bundesrechnungshof die geeigneten Instrumente zu entwickeln, um das parlamentarische Budgetrecht sicherzustellen. Ein echtes Ärgernis ist für uns das Thema globale Minderausgaben. Die im Nachtragshaushalt 1997 ausgebrachte globale Minderausgabe von 5,1 Milliarden DM wurde zwar voll erbracht. Es wurde aber nicht dargestellt, bei welchen Haushaltsstellen eingespart wurde. Die Begründung für diese Unterlassung ist mehr als fadenscheinig: Der Haushaltsgesetzgeber habe den genau untergliederten Ausweis in der Jahresrechnung nicht vorgegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der jetzigen Opposition, damals verantwortlich für diese Misere, da kann ich nur laut lachen. Die damalige Opposition hat vernehmlich - aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse leider vergeblich - gegen diese Praxis protestiert, die der Bundesrechnungshof jetzt kritisiert. ({5}) Sie führt dazu, daß der Haushaltsgesetzgeber, nämlich das Parlament, nicht vollständig über den Haushaltsvollzug unterrichtet wird. Sie werden diese Art des Umgangs mit dem Budgetrecht, die sogenannte haushaltsmäßige Selbstkastrierung, bei uns nicht erleben. ({6}) - „Haushaltsmäßig“ habe ich vor das Wort „Kastrierung“ gesetzt. Die Nettokreditaufnahme lag im Haushaltsvollzug 1997 um 7,325 Milliarden DM höher als die Summe der Ausgaben für Investitionen. Kenner wissen, was das heißt - da klingeln einem die Ohren -: Dann ist ein Bundeshaushalt schlicht verfassungswidrig. Das haben Sie sich nicht nur 1996, sondern noch einmal 1997 geleistet. Dem Vorwurf, einen verfassungswidrigen Haushalt zu fahren, sind Sie nur dadurch knapp entgangen, daß Sie bei der Aufstellung des Nachtragshaushaltsgesetzes 1997 die Überschreitung der verfassungsrechtlichen Kreditobergrenze - Art. 115 des Grundgesetzes mit einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts begründet haben. Ich habe dafür sogar Verständnis: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt und der Rückgang der Beschäftigung mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Staatskassen waren der Grund. Aber das war voraussehbar. Sie haben bei der Aufstellung des Haushaltsplans schlicht gemogelt. Ich stelle aber fest, daß im Gegensatz zum Haushaltsjahr 1996 - mit der Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, einen Nachtragshaushalt vorzulegen, die Verfassungsmäßigkeit des Bundeshaushalts hergestellt war. Daran ist also nicht zu rütteln. Kritisch sehen wir auch die Kreditermächtigungen für das Haushaltsjahr 1998; dabei handelt es sich um einen Brocken von 10 Milliarden DM. Wir denken, ein Rückgriff darauf sollte erst dann erfolgen, wenn die im Haushaltsplan veranschlagte Ermächtigung zur Nettokreditaufnahme bis zum Anschlag verbraucht ist. Sonst ist der Vorwurf der Trickserei angebracht. Ich kann mich Ihrer Bewertung, Herr Hollerith, einfach nicht anschließen, daß bei Waigel alles okay war und Sie uns einen geordneten Haushalt übergeben haben. Wovon reden wir eigentlich? ({7}) Wir reden sicher nicht von derselben Sache. Was mich in meiner Kritik bestärkt, ist, daß ich mich auf Zahlen und Fakten des Bundesrechnungshofes, nun wirklich ein unparteiischer Berater und Prüfer, beschränke. Die Höhe der Finanzschulden des Bundes ist bekannt; darauf bräuchte ich nicht einzugehen. Ich komme Ihnen aber trotzdem einmal mit der alten Leier, damit es auch die hören, die es bisher noch nicht vernommen haben: Bis zur deutschen Einheit haben sich die Schulden, die Sie von Ex-Kanzler Schmidt übernommen haben, verdoppelt, und zwar ohne Grund. Nach der Einheit haben Sie die bereits verdoppelten Schulden noch einmal verdoppelt. In Zahlen: Von 1987 bis 1997 sind ausweislich des Bundesrechnungshofes die Schulden des Bundes auf rund 955 Milliarden DM angestiegen. Dies ist im Rahmen der Aktuellen Stunde von einer Kollegin bereits lang und breit erklärt worden. Der Schuldenstand erreicht im Jahre 2002 rund 1 554 Milliarden, also gut 1,5 Billionen DM. ({8}) Und da reden Sie von geordneten Staatsfinanzen! Wir treten eine Erblast an, gekennzeichnet - jetzt zitiere ich aus dem Bericht des Bundesrechnungshofs durch ein hohes Finanzierungsdefizit, stark steigenden Schuldenstand und steigende Zins- und Tilgungsausgaben. Das Problem ist, daß wir uns für die schönen Dinge, zum Beispiel für Kunst und Kultur, kaum noch rühren können. Um aus dieser Finanzwirtschafts- und Zinsenfalle herauszukommen, wird durch die Auflage des Zukunftsprogramms 2000 zum ersten Mal eine seriöse Perspektive für die Sanierung der Staatsfinanzen eröffnet. Ich kann nur hoffen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der jetzigen Opposition, daß Sie es bei der Sanierung der Staatsfinanzen ehrlich meinen mit Ihren ewigen Versprechungen „Sparen ja; es kommt nur darauf an, wie“. Wir hoffen auf Ihre massive Hilfe, damit uns solche Berichte, wie sie hier zu debattieren sind, in der Zukunft nicht mehr vorgelegt werden. ({9}) Ich muß allerdings hinzufügen, daß uns Festlegungen aus früheren Haushaltsjahren mit entsprechenden Ermächtigungen durch Haushaltsgesetze noch schwer zu schaffen machen - Stichwort Eurofighter. ({10}) Allein bis Ende 1997 haben wir 170 Milliarden DM an Ermächtigungen zusammenbekommen. Bis zum Jahre 2008 werden die Verpflichtungen zur Leistung von Versorgungsaufgaben vermutlich 30 Milliarden DM betragen. Dabei lasse ich die demographische Entwicklung zunächst einmal außer acht. Auch das, was über die EUBeamtenschaft an Versorgungsverpflichtungen auf uns zukommen wird, ist noch gar nicht einbezogen. ({11}) Herr Eichel hat mit diesem Sparpaket, so denke ich, Herr Kollege Kalb, die Notbremse gezogen, um auch in Zukunft für künftige Verpflichtungen unseren Gestaltungsspielraum wahrnehmen zu können. Da wir schon bei den Details der Erblast sind und Sie dies ständig brüllenderweise bestreiten, habe ich noch ein anderes Stichwort auf Lager: Gewährleistungen. Herr Kalb, was ist denn damit? Schon Mitte des Jahres 1997 lag die Haftungssumme des Bundes bei knackigen 433 Milliarden DM. Wenn uns auch noch die hohen Belastungen für künftige Bundeshaushalte durch verstärkte Inanspruchnahme des Bundes aus diesen Gewährleistungen, die Sie zu verantworten haben, treffen, dann gnade uns Gott. Deswegen müssen wir national - das macht die neue Regierung - die Verschuldung zurückfahren. Allerdings muß uns daran gelegen sein, international verbindliche Regularien für die Finanzmärkte zu entwickeln. Wir bitten Sie, der Empfehlung des Bundesrates zu folgen und der Bundesregierung die Entlastung für 1997 zu erteilen. In einem letzten Satz möchte ich allerdings noch etwas ansprechen, was wir von Ihnen geerbt haben: Seit 1992 verhandeln Sie ergebnislos, erfolglos. Sie wissen, was ich meine, nämlich die koordinierte Finanzpolitik zwischen Bund und Ländern. Wegen des finanziellen Sanktionsrisikos der EU müssen wir hier zu Ergebnissen kommen. Wir haben in diesem Bereich ein Nullum vorgefunden. Das heißt: Wenn wir jetzt den Referenzwert um nur einen Punkt überschreiten, dann trifft uns eine Sanktion in zweistelliger Milliardenhöhe, und zwar nur den Bund, weil sich die Länder bisher weigern, bei der interstaatlichen Haftung mitzumachen, einen innerstaatlichen Stabilitätspakt zu verankern. Ich bitte das Finanzministerium dringend, zu einer für alle Ebenen - inklusive der Sozialversicherung - einvernehmlichen Lösung zu kommen, weil wir alle dafür Verantwortung tragen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich schließe mit dem Dank an all die Personen, die unermüdlich - oft ohne Blick auf die Uhr - für unser leibliches und mentales Wohl gesorgt haben, insbesondere an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den beiden Ausschußsekretariaten des Haushalts- und Rechnungsprüfungsausschusses. Ich danke auch meinem Vorgänger im Amt - so wie Sie es mir gegenüber getan haben, Herr Hollerith -; Herr Pützhofen hat die Sitzungen straff, charmant und effizient durchgeführt. ({0}) Dafür bedanke ich mich. Ich bedanke mich bei all denen, die in verantwortlicher Position für uns gearbeitet haben, zum Beispiel bei Herrn Müller, und bei denen, die jetzt für uns arbeiten, zum Beispiel bei Frau Pendzich von Winter, sowie bei Ihnen, meine lieben Kollegen und Kolleginnen aus dem Rechnungsprüfungsausschuß, für Ihre motivierte Arbeit, unsere gute Zusammenarbeit und auch unsere gegenseitige Geduld. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Oswald Metzger vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Austermann, man hat als Mitglied einer kleineren Fraktion manchmal das arbeitsame Vergnügen, in verschiedenen Ausschüssen zu sitzen. Ich bin auch hier als Berichterstatter zuständig. Deshalb kommt es hier zu dieser Doppelrolle. Das Sprichwort „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen“ fiel mir ein, als Kollege Hollerith nach einem charmanten Auftakt und dem Dank an den Rechnungshof und die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter plötzlich ein gigantisches Ablenkungsmanöver startete. Er sprang nämlich vom Jahre 1997 auf das Hier und Jetzt. Zudem hat er von damaligen hohen Wachstumsraten gesprochen. Ich komme auf die Jahresrechnung 1997 zurück, für die wir der ehemaligen Bundesregierung Entlastung erteilen wollen, und stelle fest: Die damalige Regierung mußte auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit das Instrument der Feststellung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Anspruch nehmen dies war in der Wissenschaft außerordentlich umstritten und wurde auch von den Ökonomen kritisiert -, um die Überschreitung der Verschuldungsgrenze grundgesetzkonform möglich zu machen. ({0}) Das war ein finanzpolitischer Offenbarungseid, den die damalige Opposition, die SPD und das Bündnis 90/ Die Grünen, bereits bei der Haushaltsverabschiedung im Frühjahr 1997 beklagt hatte. Eine Überveranschlagung bei den Einnahmen und eine Unterveranschlagung bei den Ausgaben hat damals mit dramatischer Stärke durchgeschlagen. Sie alle wissen - Kollegin TitzeStecher hat zu Recht darauf hingewiesen -: 1996 wurde im Haushaltsvollzug die Verschuldungsgrenze sogar überschritten. Dazu ist ja in Karlsruhe eine Verfassungsklage einer großen Fraktion anhängig. Wer also in der jüngeren Vergangenheit - das ist ja erst zwei Jahre her - gräbt, merkt, daß die ehemalige Regierung höllisch aufpassen muß, wenn sie jetzt solidere Haushalte wie zum Beispiel den des Jahres 1999 und das Konsolidierungsprogramm angreift. Ich möchte auf einen Punkt im Zusammenhang mit dem Thema Glaubwürdigkeit und Umgang der neuen Regierung mit den Empfehlungen des Rechnungshofes hinweisen. Der Rechnungshof hat in bezug auf die Kreditermächtigungen einen sehr richtigen Hinweis gegeben, nämlich den auf die Untugend, daß sich Finanzminister in der Vergangenheit mehr Kreditermächtigungen vom Parlament haben genehmigen lassen, als tatsächlich in Anspruch genommen wurden. Sie haben dann die alten, nicht verbrauchten Kreditermächtigungen jeweils klammheimlich auf das neue Haushaltsjahr übertragen, so daß sie eine richtige Bugwelle von Ermächtigungen zur Schuldenaufnahme vor sich hergeschoben haben. Daraus hat die neue Regierung glaubwürdige Konsequenzen gezogen. ({1}) Wir haben mit dem Haushaltsgesetz dieses Jahres damit Schluß gemacht - denn als Opposition haben wir die damalige Praxis kritisiert - und haben eine Begrenzung der Übertragbarkeit von alten Kreditermächtigungen auf folgende Haushaltsjahre auf sehr niedrige, einstellige Milliardenbeträge durchgesetzt. Daran ist zu erkennen: Der Rechnungshof, dem nur die Kraft seiner Argumente zur Verfügung steht - er wird ja oft als Ritter ohne Schwert bezeichnet -, hat immer dann, wenn Regierungen glaubwürdig bleiben, wenn sie also die Kritik, die sie als Opposition geäußert haben, in konkretes Handeln umsetzen, eine Chance, sich durchzusetzen. Beim Stichwort Kreditermächtigungen haben wir entsprechende Konsequenzen gezogen. Ein weiteres Stichwort ist die globale Minderausgabe. ({2}) Nächste Woche können wir erleben, daß die heutige Opposition der heutigen Regierung vorwerfen wird, daß globale Minderausgaben in Höhe von rund 5 Milliarden DM im Etat 2000 veranschlagt worden sind, die noch nicht kapitelgenau belegt sind. Wir, der Finanzminister und die haushaltspolitischen Sprecher der Regierungsfraktionen, haben im Juni dieses Jahres in diesem Parlament erklärt: Im Rahmen der Haushaltsberatungen 2000 werden diese globalen Minderausgaben titelgenau aufgelistet. Warum haben wir das erklärt? Weil in der Jahresrechnung des Jahres 1997 der damaligen Regierung ins Stammbuch geschrieben wurde, sie habe den Haushaltsgesetzgeber nicht komplett über die Haushaltsrechnung aufgeklärt, weil in der Jahresrechnung über 5 Milliarden DM nicht titelgenau in der Ausgabenübersicht belegt waren. Was der Rechnungshof zu Recht anmahnt, lassen wir bei der Aufstellung des Etats 2000 auch gegen uns gelten. ({3}) Wir werden die globalen Minderausgaben belegen. Da sind wir im Wort, und das werden wir auch tun. Letzter Gesichtspunkt. Ich habe es schon angedeutet: Der Rechnungshof lebt von der Kraft seiner Argumente. Ich wünsche mir, daß auch diese Regierung - in Oppositionszeiten haben wir beklagt, daß bestimmte Minister mit Berichten des Rechnungshofs, höflich ausgedrückt, fahrlässig umgegangen sind, um nicht zu sagen, sie haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rechnungshofes in Sitzungen der Berichterstattergruppen wie Schuljungen abgekanzelt - in der Lage ist, auch sie treffende kritische Berichte entgegenzunehmen, die Aufgabe, die dem Bundesrechnungshof zukommt, zu akzeptieren auch wenn es wehtut -, ({4}) und, wenn nötig, die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Ich sage zumindest für meine Fraktion: Wir werden dem Bundesrechnungshof auch aus einem veränderten Blickfeld heraus - jetzt als Regierungspartei - nach wie vor die notwendige Aufmerksamkeit schenken. ({5}) Ich hoffe, daß der Rechnungshof seine wichtige Controlling-Aufgabe gegenüber dem Parlament und dem Finanzministerium mit Engagement wahrnimmt. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Glockenzeichen, das wir eben gehört haben, war kein Telefon, sondern die Glocke, die zur Abstimmung ruft. Das schallt vom Gang so in den Plenarsaal hinein. Ich denke, das muß man technisch noch anders lösen. Damit wollte ich erklären, woran das liegt. ({0}) - Es braucht niemand geweckt zu werden; alle sind wach und voll bei der Debatte. Als nächster Redner hat der Kollege Jürgen Koppelin von der F.D.P-Fraktion das Wort.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal möchte ich für die F.D.P. den Dank für die gute Zusammenarbeit, die wir im Rechnungsprüfungsausschuß haben, aussprechen. Das mag auch an der guten Führung gelegen haben: In der letzten Legislaturperiode war es der Kollege Pützhofen, dem ich ausdrücklich danke, und jetzt ist es die Kollegin Titze-Stecher, die die Führung des Rechnungsprüfungsausschusses übrigens viel netter macht, als sie sich heute bei ihrer Rede teilweise präsentiert hat. Das will ich einmal sagen, liebe Kollegin. Einen recht herzlichen Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ausschußsekretariat und natürlich auch dem Rechnungshof, an seine Präsidentin und an die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Vor dem Hintergrund immer knapper werdender Mittel in den öffentlichen Haushalten auf der einen Seite und der Fülle auch neuer Staatsaufgaben auf der anderen Seite gewinnt, so meine ich, die Haushaltskontrolle zukünftig immer mehr an Bedeutung. Ich würde mir, Frau Präsidentin, wünschen, wenn der Bundesrechnungshof uns zukünftig mit seinen Bemerkungen vielleicht noch etwas zeitnäher begleiten und unterrichten könnte. Das wäre für unsere Arbeit sicher von großem Vorteil. Auf diesem Weg können wir anstehende Vorhaben und deren Umsetzung im Vorfeld schnell und wirksam kontrollieren und gegebenenfalls - das halte ich für wichtig - auch beeinflussen. Mit den Feststellungen zur Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1997 wird ein Jahresabschlußbericht vorgelegt, der Auskunft über den gesetzestreuen Vollzug der Parlamentsbeschlüsse und darüber gibt, ob es einen sparsamen und wirtschaftlichen Umgang mit den Steuergeldern gegeben hat. Im Jahr 1997 hatten wir - das ist bei den Ausführungen des Kollegen Metzger leider verschwiegen worden, weil er ein bestimmtes Szenario für das fragliche Jahr gezeichnet hat - eine schwierige Arbeitsmarktentwicklung und ein deutliches Zurückbleiben der Steuereinnahmen. Das hatte natürlich schwerwiegende Belastungen für den öffentlichen Haushalt des Bundes zur Folge. Aus diesem Grund mußte der Bund - das ist heute schon angesprochen worden - einen Nachtragshaushalt erstellen. Die Belastungen mit einer Höhe von etwa 30 Milliarden DM waren immens. Bei der Gelegenheit darf ich einmal sagen, daß es uns gelungen ist, über 5 Milliarden DM im Haushalt einzusparen. Von Haushaltsüberschüssen will ich gar nicht sprechen, ({0}) um es nicht zu kompliziert zu machen und um nicht all das zu konterkarieren, was der Kollege Metzger vorgetragen hat; denn darüber hat er natürlich nicht gesprochen, weil das eine positive Seite war. 1997 war ein außerordentlich schwieriges Jahr. Ich kann für die F.D.P. feststellen, daß in diesem Jahr haushaltsmäßig solide gearbeitet worden ist und daß der Bundesregierung deswegen Entlastung zu erteilen ist. Ich will in dieser Aussprache einen Punkt ansprechen, der mir bisher in allen Bemerkungen noch gefehlt hat. Ich meine die internationalen Einrichtungen. Dazu gibt es im Bericht des Rechnungshofes nur eine kurze Bemerkung. Wenn die Bundesrepublik Deutschland schon Mitglied in vielen internationalen Einrichtungen ist - im Bericht wird ausgeführt, daß wir etwas über 6 Milliarden DM dafür zahlen -, dann kann es, finde ich, nicht nur die Aufgabe des Rechnungshofes sein, zu schauen, ob diese Zahlungen auch erfolgt sind. Uns fehlen nämlich die Informationen über die Verwendung. Ich meine, es ist dringend notwendig, als großer Zahler bei internationalen Einrichtungen mehr ÜberOswald Metzger prüfungsmöglichkeiten zu bekommen, ob die gezahlten Gelder wirklich zweckmäßig eingesetzt wurden und ob die Mitgliedschaft - ich würde sogar so weit gehen - bei einer Organisation überhaupt noch sinnvoll ist. Es gibt durchaus Bereiche - ich will das hier bewußt nicht ansprechen -, wo man sagen könnte: Hier könnten wir uns aus der Mitgliedschaft verabschieden. Hier wünsche ich mir noch mehr Kontrolle. Wir als F.D.P. - ich wäre gar nicht darauf eingegangen, aber das will ich sagen, weil hier vom sogenannten Sparpaket des Ministers Eichel die Rede war - sind natürlich bereit, den jeweiligen Minister bei jedem Sparkonzept, das vernünftig gehandhabt wird, zu unterstützen. Ich glaube sogar, das wollen alle Mitglieder des Haushaltsausschusses. Hierüber gibt es überhaupt keine Diskussion. ({1}) - Lieber Kollege Andres, vielleicht wäre es besser, auf der Regierungsbank zu sitzen und nicht dort, aber ich kenne den aktuellen Stand hinsichtlich der Bildung der Bundesregierung nicht. ({2}) Aber wenn Sie schon von Sparpaket und von Spar- zielen reden, dann muß ich sagen: Die Vorwürfe an die alte Regierung, die ich heute gehört habe, sind heiße Luft. Sie müssen sich erst einmal das Sparpaket von Herrn Eichel ansehen. Herr Eichel präsentiert uns ein Sparpaket von 30 Milliarden DM. Das verkauft er den Medien und der Öffentlichkeit. Wenn man sich das an- sieht, stellt man fest - dazu braucht man sich noch nicht einmal eine Brille aufzusetzen -, daß es unglaublich viele Positionen gibt, die überhaupt nicht geklärt sind oder bei denen man sagen muß: Man bedient sich bei anderen. [Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Bri- gitte Baumeister [CDU/CSU]: Das stimmt!) Man bedient sich bei den Ländern. Man bedient sich beim Wohngeld, man bedient sich hier, man bedient sich da. Sie gehen sogar so weit - das wird die Haushaltsberatung demnächst zeigen, das müssen Sie sich einmal vorstellen; das hätte ich von Sozialdemokraten nie gedacht -, daß Sie sich bei den deutschen sozialen Verbänden bedienen; Stichwort: Zivildienst. Dort bedienen Sie sich mal eben mit 600 Millionen DM. ({3}) Sie kassieren bei den sozialen Verbänden ab. Das darf doch wohl nicht wahr sein. ({4}) Auch die globale Minderausgabe von über 5 Milliarden DM ist schon angesprochen worden. Wir schauen einmal, wie das aussieht. ({5}) - Wenn diese Zurufe kommen, will ich Ihnen noch eine Gruppe nennen, die Sie unverschämt radikal abkassieren. Das sind zum Beispiel die Landwirte. ({6}) An diese gehen Sie in einer Weise ran, die ein einziger Skandal ist. Man sollte sich nicht nur hier hinstellen und auf die alte Regierung schimpfen. Schauen Sie sich Ihr eigenes Sparpaket an. Aber das wird Sie alles wieder einholen. Ich meine, daß so manche Ausgabe, die diese Regierung getätigt hat, ein Fall für den Rechnungshof sein wird. Ich bin sicher, daß wir im Rechnungsprüfungsausschuß so manchen guten Ausgabenbekannten dieser Bundesregierung bald wiedertreffen werden. ({7}) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Uwe-Jens Rössel von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die PDS-Fraktion befürwortet die Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1997. Die politische Quittung für den damaligen Haushalt hat die Kohl-Waigel-Regierung ohnehin schon mit der Bundestagswahl 1998 erhalten. ({0}) Auch ich will gern die Gelegenheit nutzen, um mich an dieser Stelle bei Frau Präsidentin von Wedel und bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich für die wertvollen Prüfungsergebnisse zu bedanken. Die Arbeit des Bundesrechnungshofes genießt in der PDSFraktion eine hohe Wertschätzung. Wir erwarten von der jetzigen Bundesregierung, daß sie weit mehr Engagement und weit mehr Konsequenz als die Vorgängerkoalition bei der Umsetzung der Kontrollfeststellungen des Hofes zeigt. Dank sagen will ich auch ausdrücklich für das Wirken des Rechnungsprüfungsausschusses unter der Leitung der verdienstvollen Kollegin Uta Titze-Stecher. ({1}) Die Prüfung der Haushaltsrechnung 1997 macht erneut die immense Verschwendung öffentlicher Gelder und auch Mißwirtschaft von Bundesbehörden deutlich. Daran hat sich leider bis heute nur wenig geändert. Damals war und heute ist sehr kritikwürdig die Arbeit mit Investitionszulagen, deren Bedeutung für die Wirtschaftsförderung in den neuen Bundesländern spürbar zugenommen hat. Durchschnittlich jeder dritte Antrag in den Finanzämtern wird falsch bearbeitet. Allein dadurch entstehen dem Bund jährlich Einnahmeausfälle bis zu 500 Millionen DM. Überhaupt lassen Bund und Länder - etwas zugespitzt formuliert - Steuergelder in mehrfacher Milliardenhöhe auf der Straße liegen, weil Betriebsprüfungen unkontinuierlich und teilweise mangelhaft durchgeführt werden. Das ist unverantwortlich, meinen wir, gerade in einer Situation, in der die Schröder-Eichel-Regierung mit dem sogenannten Sparpaket 2000 die Verschuldung des Bundeshaushaltes überwiegend auf Kosten von Rentnerinnen und Rentnern, von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern abbauen will. Zugleich soll ein Drittel des Einsparvolumens den ohnehin arg gebeutelten Kommunen aufgedrückt werden. Solche Praktiken lehnen wir ganz entschieden ab. Vergegenwärtigen wir uns: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden hinsichtlich ihres Einkommens hundertprozentig überprüft, Kleinbetriebe nur zu 4,3 Prozent, Groß- und Mittelbetriebe zwischen 7,9 und 20 Prozent. Betriebsprüfungen müssen dringend ausgebaut werden; der Veränderungsbedarf ist unerhört. Das Problem der unzureichenden Betriebsprüfung und auch der ungenügenden Steuerfahndung liegt nach Ansicht des Bundesfinanzministeriums allein in der Steuerhoheit der Länder begründet. Dem ausdrücklich widersprechend, stellt der Bundesrechnungshof jedoch fest, daß im Rahmen seiner Fach- und Rechtsaufsicht das Bundesfinanzministerium für die zutreffende Besteuerung im Bundesgebiet verantwortlich ist. Minister Eichel und Staatssekretär Diller können sich also um diese Aufgabe wohl nicht mehr länger herummogeln, da sie ja mit Macht und Konsequenz das Sparpaket gegen den Willen von Millionen Wählerinnen und Wählern durchpeitschen wollen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Rössel, kommen Sie bitte zum Schluß.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Daher bitten wir um Unterstützung für den Antrag der PDS-Fraktion, die Betriebsprüfungen deutlich auszubauen und die Steuerfahndung zu qualifizieren. Es ist eine Aufgabe, die uns allen hilft, soziale und ökologische Projekte durchzusetzen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1997 und zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1998, Drucksache 14/1257. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich, Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Gutmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. CO2-Ausstoß im Gebäudebereich senken - Drucksache 14/660 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ich höre, daß diese Reden dieses Tagesordnungspunktes zu Protokoll gegeben werden sollen. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Vielen Dank. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/660 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Monika Brudlewsky, Georg Brunnhuber, Manfred Carstens ({1}) und weiteren Abgeordneten der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes - Drucksache 14/1184 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({2}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Norbert Geis von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({3})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat am 6. Juli im Rahmen eines Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung innerhalb der Europäischen Union dem Antrag auf Zulassung von Mifegyne zugestimmt. Durch eine Änderung des Arzneimittelgesetzes hat dieses Parlament vor der Sommerpause den Vertriebsweg geregelt, so daß gesichert ist, daß wenigstens vom Gesetz her die Vorschriften der §§ 218ff. gewahrt bleiben können. Der Zulassung ist harte Kritik vorausgegangen, insbesondere von der Katholischen Kirche, hier besonders von Kardinal Meisner, ({0}) der diese Zulassung für einen Rechtsbruch hält. Kritisiert hat diese Zulassung auch die Ministerin für Soziales in Bayern, Barbara Stamm, die in der Zulassung eine Bagatellisierung der Tötung ungeborener Kinder sieht. Kritik kam auch von ganz unvoreingenommener Seite, nämlich von amerikanischen und französischen Feministinnen, die für sich den Anspruch auf Abtreibung reklamieren, die aber wegen der Nebenwirkungen vor Mifegyne warnen, ebenso der deutsche Abtreibungsarzt Stapf. Die Zulassung von Mifegyne wurde dagegen aus den Reihen der F.D.P., der Grünen und der SPD begrüßt. Eine lange Kampagne hat ihr Ziel erreicht, eine Kampagne, der sich zum Schluß auch der Bundeskanzler angeschlossen hat. Ich meine jedoch, daß die Freigabe von Mifegyne nicht auf eine Methodenfrage reduziert werden kann, auf die Frage, ob eine Alternative zum chirurgischen Abbruch vorgesehen werden sollte. Es geht bei dem Einsatz von Mifegyne um die Tötung noch nicht geborener Kinder. Das ist die Realität. Darauf muß man sich besinnen, wenn man über diese Frage diskutiert. Der Staat ist dazu da, Leben zu schützen. Das ist sein eigentlicher Auftrag. Deswegen gibt es ihn überhaupt. Darin liegt seine Berechtigung. Deshalb hat auch ein so profilierter Rechtspolitiker wie Adolf Arndt von der SPD so leidenschaftlich gegen die Freigabe der Abtreibung gekämpft. Wir meinen, daß in der Abtreibung selbst ein Bruch der staatlichen Verpflichtung, Leben zu schützen, zu sehen ist. Wir meinen, daß dieser Bruch durch Mifegyne verstärkt werden könnte. Das ist unsere Befürchtung. Mit unserem Gesetzentwurf wenden wir uns deshalb gegen die Genehmigung dieses Mittels. Aber wir fassen unseren Gesetzentwurf weiter. Wir wollen die Herstellung und den Vertrieb von jeglicher chemischer Substanz verbieten, die dazu geeignet ist, menschliches Leben zu töten. Ein solches Verbot ist einem Kulturstaat gemäß. Der Staat - ich habe das schon gesagt - hat die Aufgabe, menschliches Leben zu schützen. Er kann nicht Mittel einsetzen und zulassen, mit denen menschliches Leben getötet werden kann. Das ist jedenfalls unsere Auffassung. ({1}) Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir klarstellen, daß ein Arzneimittel ausschließlich den Zweck hat, zu heilen, zu lindern oder Krankheiten zu verhindern. Mifegyne ist in diesem Sinn kein Arzneimittel, ganz gewiß nicht; denn die Schwangerschaft ist keine Krankheit, und die Tötung des ungeborenen Lebens ist kein Heilungsvorgang. Das kann man jedenfalls so nicht sehen. Deshalb stimmen wir mit Kardinal Meisner überein, wenn er ankreidet, daß das Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte eigentlich falsch gehandelt hat. Es hätte mangels Kompetenz dieses Mittel nicht zulassen dürfen. Es war dafür nicht zuständig. Man muß bedenken, daß dieses Institut bei der Zulassung von Arzneimitteln zwei Punkte zu berücksichtigen hat, nämlich zum einen die Frage, ob die Nebenwirkungen zu hart und zu groß sind und ob sie in den Griff zu bekommen sind - das muß bei jedem Arzneimittel geprüft werden -, und zum anderen die Frage, ob überhaupt die medizinische Wirkung erzielt werden kann, die man sich von dem Arzneimittel verspricht. Diese zwei Punkte muß das Institut prüfen. Schon beim ersten Punkt gibt es große Schwierigkeiten. Es gibt viele Meldungen, die besagen, daß die Nebenwirkungen von Mifegyne so groß sind, daß es eigentlich nicht zugelassen werden sollte. Ich habe vorhin die amerikanischen und französischen Feministinnen ebenso wie den Abtreibungsarzt Stapf zitiert. Es wird darauf hingewiesen, daß das Mittel zu übermäßigen Blutungen führe. Es gebe die Gefahr von Kreislaufstörungen, ja sogar die des Herzinfarktes. All diese Umstände zwingen die Frau, sich einer starken Kontrolle durch den Arzt zu unterziehen. Das ist richtig und auch notwendig. Nur durch diese Kontrolle können die Nebenwirkungen in den Griff bekommen werden. Aber dadurch entstehen auch große psychische Belastungen für die Frau, die nicht übersehen werden dürfen; denn sie erlebt ja durch das Einnehmen des Präparats den langsamen Tod des Kindes, das regelrecht verhungert. Dies ist die Wirkung des Präparates. Das erlebt die Frau und gerät dadurch natürlich in große psychische Probleme, die oft weit länger dauern als der Abtreibungsvorgang selbst. Häufig rufen betroffene Frauen nach der Einnahme des Präparates beim Arzt an - jedenfalls wird es so berichtet - und fragen, ob es nicht möglich sei, dies rückgängig zu machen. Die Nebenwirkungen sind nach meiner Meinung also nicht so ohne. Man muß sie bedenken. Auch das wollen wir in unserem Antrag mit berücksichtigen. Der zweite Prüfungspunkt ist, ob durch dieses Mittel die medizinische Wirkung erreicht werden kann. Es stockt einem der Atem; denn die medizinische Wirkung dieses Mittels ist die Tötung menschlichen Lebens. Deswegen kann dieses Mittel niemals als Arzneimittel verstanden werden, es sei denn, man macht einen geistigen Salto mortale. Das wollen wir mit unserem Gesetzentwurf ebenfalls klarstellen. Ich meine, eine solche Klarstellung ist dringend erforderlich. Das Hauptargument gegen diejenigen, die sich gegen die Einführung des Mittels wenden, ist, sie wollten lieber den chirurgischen Eingriff, um auf diese Weise die Frauen vor der Abtreibung abzuschrecken. Da die Abtreibung in Deutschland aber grundsätzlich möglich ist, müsse es, so ist das Argument, grundsätzlich erlaubt sein, der Frau ein schonenderes Mittel zu bieten. Gemessen an dem, was ich vorhin über die Nebenwirkungen sagte, lautet die Frage doch, ob dieses Präparat in der Tat ein schonenderes Mittel ist. Ich glaube, darüber muß man nachdenken. Darum bitte ich Sie.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Geis, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Kollegin.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Geis, ich möchte gern von Ihnen wissen, ob Sie auch gegen die chirurgische Methode des Schwangerschaftsabbruchs sind?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gegen jeglichen Schwangerschaftsabbruch. Ich bin der Meinung, daß der Schwangerschaftsabbruch eine Tötung menschlichen Lebens ist. Ich halte Schwangerschaftsabbruch für Unrecht, und ich bin nicht der Auffassung, daß unsere derzeitige gesetzliche Lage unserer Verfassung entspricht. Ich halte sie nicht für verfassungskonform. Ich trete gegen die Abtreibung ein, wie es einst - ich nehme das für mich in Anspruch, erlauben Sie mir das - Adolf Arndt getan hat, wenngleich ich mich nicht mit diesem bedeutenden Rechtspolitiker messen will. Das Hauptargument gegen diejenigen, die sich gegen die Einführung wenden, ist, man wolle lieber den chirurgischen Eingriff, um auf diese Weise die Frau abzuschrecken. Das Hauptargument für dieses Präparat ist der sogenannte schonendere Eingriff. Ich habe aber dargelegt, daß es größte Zweifel daran gibt, ob es sich wirklich um einen schonenderen Eingriff handelt. Wie ich meine, gibt es ein weiteres wichtiges Argument gegen dieses Präparat. Gerade wenn man die bei uns bestehende Abtreibungsgesetzgebung der §§ 218 ff. bejaht, wenn man den mühsam zustande gekommenen Kompromiß vom 21. August 1995 mit seinem Beratungskonzept bejaht, dann muß man doch darüber nachdenken, ob durch diesen Einsatz von Mifegyne dieser mühsame Kompromiß nicht unterlaufen werden kann. Die Gefahr besteht zumindest. Wenn die Frau am 43. Tag der Schwangerschaft erstmals als feststehende Tatsache erfahren kann, daß sie schwanger ist, und wenn dieses Mittel bereits am 49. Tag der Schwangerschaft eingesetzt werden muß, weil es zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr wirksam ist, dann sind die dazwischenliegenden Tage nur eine ganz kurze Frist. Innerhalb dieser Frist muß sie sich entscheiden. Wir wissen doch, daß eine Frau, die das Kind nicht will, in größte Zweifel gerät. Wir wissen doch, daß eine solche Frau allen möglichen Ratschlägen ausgesetzt ist, guten und schlechten. Wir wissen vor allen Dingen auch, daß eine solche Frau Pressionen aus ihrem eigenen Umfeld ausgesetzt sein kann. ({0}) - Richtig, immer, verehrte Frau Kollegin. - Aber wie soll in einer solch kurzen Frist von drei, vier oder fünf Tagen eine vernünftige Beratung stattfinden und eine vernünftige Entscheidung für die Frau in ihrem eigenen Inneren heranreifen, so daß diese Entscheidung auch gegenüber späteren Zweifeln in ihrem eigensten Bewußtsein Bestand haben kann. Ich meine, das muß man ebenfalls bedenken. Es gibt in einem Rechtsstaat, in einem Kulturstaat wie unserem viele Argumente gegen den Einsatz solcher Mittel. Deshalb bitte ich Sie, diese Argumente - alle konnte ich auf Grund der Kürze der Zeit nicht vortragen - in den Ausschußberatungen in aller Ruhe zu bedenken. Danke schön. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Regina SchmidtZadel von der SPD-Fraktion das Wort.

Regina Schmidt-Zadel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 24. Juni hat der Deutsche Bundestag mit Mehrheit einen Gesetzentwurf der Koalition zur Änderung des Arzneimittelgesetzes verabschiedet. Der Bundesrat hat am 9. Juli diesem Gesetz zugestimmt. Das Gesetz ist am 30. Juli im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden, und es ist seitdem in Kraft. Seitdem steht nun endlich auch den deutschen Frauen die Möglichkeit offen, sich bei einem Schwangerschaftsabbruch für die medikamentöse Methode zu entscheiden. Die 9. Novelle des Arzneimittelgesetzes hat für den Vertrieb der Präparate für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch einen streng kontrollierten Sondervertriebsweg geschaffen. Die F.D.P. und die Mehrheit der CDU/CSU im Gesundheitsausschuß haben sogar für einen Vertriebsweg über die Apotheken plädiert. F.D.P. und Union hätten der 9. AMG-Novelle ebenfalls mehrheitlich zugestimmt, wäre ihr Änderungsantrag auf Einbeziehung der Apotheken berücksichtigt worden. Deswegen ist es - lassen Sie mich, meine Damen und Herren, auch dieses sagen - sehr verwunderlich, daß die Fraktion der CDU/CSU diesen Antrag, den wir heute beraten, mit unterstützt hat. ({0}) Ihnen, meine Damen und Herren, die Sie den vorliegenden Gesetzesentwurf auf Drucksache 14/1184 eingebracht haben, sage ich: Alle Argumente, aber auch alle Argumente in dieser Sache sind in jahrelangen Debatten ausgetauscht worden. Die Zulassung für Mifegyne ist in Deutschland und mittlerweile in vielen anderen europäischen Ländern erfolgt. Der Vertriebsweg ist gesetzlich geregelt. Der Hersteller wird das Präparat voraussichtlich im November auch hier auf den Markt bringen. Es gibt daher aus meiner und unserer Sicht keinen Grund, längst abgeschlossene Debatten neu zu entfachen und weiter darüber zu diskutieren. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ina Lenke von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Geis, ich finde es schon merkwürdig, daß Sie die Argumente des Kardinals Meisner hier wieder in die Diskussion bringen und nicht sagen, was er sonst noch über Frauen gesagt hat. Jemand, der das Medikament mit dem Zyklon B der Nazis vergleicht, kennt offenbar die Nöte der Frauen nicht. ({0}) Außerdem sind wir hier im Deutschen Bundestag und nicht in einem Entscheidungsgremium der katholischen Kirche. ({1}) Ich habe durch meine Zwischenfrage, so meine ich, auch von Ihnen erfahren, daß der von Ihnen eingebrachte Antrag eigentlich nur ein Umweg ist, um wieder in die Diskussion des § 218 einzusteigen. Sie haben nämlich eben zu mir gesagt, daß Sie auch die operative Methode ablehnen. Warum sind Sie dann so einseitig und stürzen sich nur auf dieses Medikament? Ich finde, daß das ein leicht durchschaubarer Versuch ist. ({2}) - Wir können darüber gerne reden; Sie können auch eine Frage stellen. Ich denke, daß die Mehrheit des Parlaments diesen Antrag zu verhindern weiß. ({3}) Gerade wir Frauen haben 1995 in einem parteiübergreifenden Konsens die Regelung des § 218 hart erkämpft. Die Frauen und auch Männer der F.D.P. haben sich doch in der Mehrheit der Fraktion wirklich dafür eingesetzt. Ein Schwangerschaftsabbruch ist seitdem straffrei. Wir dürfen den Frauen nicht wieder von einer Gruppe von Parlamentariern, die mehrheitlich aus Männern besteht - ich finde es sehr merkwürdig, daß von den 40 Antragstellern nur zwei Frauen sind und Sie nicht mehr Frauen Ihrer Fraktion überzeugen konnten, ihren Namen unter den Antrag zu setzen -, ihre Entscheidungsfreiheit nehmen lassen. Ganz klar und ganz deutlich möchte ich sagen, daß Sie offensichtlich nichts verstanden und nichts dazugelernt haben. Ich möchte den Blick auf Ihre Begründung richten. Hier steht wörtlich: Die Verwendung solcher Mittel als „Arzneimittel“ ist geeignet, die Tötung als Heilmaßnahme erscheinen zu lassen ... Sie glauben doch nicht, daß irgendeine erwachsene Frau in der Bundesrepublik einer solchen Meinung ist. ({4}) Sie verharmlosen hier, um diesen Antrag ins Parlament zu bringen. Das tut keine Frau. ({5}) Das zweite ist - ich will weiter aus Ihrer Begründung zitieren -: Insbesondere die Verwendung von „Arzneimitteln“ zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen fördert die Vorstellung, eine unerwünschte Schwangerschaft sei eine Krankheit, von der die Einnahme solcher Mittel heilen könne. Für wie dumm halten Sie die Frauen eigentlich?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Lenke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. Ich will nur noch zu Ende zitieren: Die dadurch für das Leben Ungeborener entstehende erhöhte Gefahr liegt auf der Hand. So, jetzt kommt Ihre Zwischenfrage. Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielleicht ist es Ihnen möglich, weniger arrogant hier vorzutragen. ({0}) - Na ja, da haben Sie nicht zugehört. Ich möchte Ihnen eine Frage stellen. Sie wissen, daß in dem Gesetz vom 21. August 1995 für die Beratungszeit eine lange Frist vorgesehen ist und daß der Gesetzgeber dies ausdrücklich deshalb gemacht hat, um dem Schutzzweck, dem die Beratung dient - denn die Beratung ist ja nur deshalb da, um die Lebensinteressen des Kindes in den Blick zu bringen -, Raum zu geben. Wie können Sie dann sagen, daß bei dieser kurzen Frist, vom 43. bis 49. Tag, nicht die Bedenken bestehen, die ich vorgetragen habe, daß durch die Verkürzung der Fristen dieser Beratungszweck unterlaufen werden könnte?

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Geis, ich bin wirklich nicht arrogant, dann haben Sie mich mißverstanden; ich bin empört und auch innerlich verletzt. Das muß ich schon sagen. ({0}) Aber es ist gut; man weiß ja nie, wie man wirkt, Herr Geis. Schön, daß Sie das sagen; ich finde das richtig. Aber ich will das nun richtigstellen. Ich bin wirklich innerlich verletzt und empört darüber, daß Frauen so ein lascher Umgang mit dem Leben vorgeworfen wird. ({1}) - Sie nicht, aber in der Begründung kommt das deutlich zum Ausdruck. Herr Geis, es ist doch so: Für die einen ist bis zur siebten Woche zu früh, für die anderen bis zur zwölften Woche zu spät. Das ist ja wirklich die Frage; da kann man so oder so argumentieren. Ich meine, daß eine Frau, die sich das überlegt, sich das Tag und Nacht überlegt und das wirklich nicht leichtfertig macht. ({2}) Sie haben doch vielleicht in Ihrer familiären Umgebung oder ihrem persönlichen Umfeld solche Fälle, und Sie wissen auch, daß, egal welche Art von Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird - fragen Sie einmal Ärzte -, Frauen immer Gewissensbisse haben: vorher, während der Sache und hinterher. Wir als F.D.P. und auch ich haben nie gesagt, daß das eine leichtfertige Methode ist. Wir haben uns, bevor solche Diskussionen hier im Parlament stattfinden, sehr genau kundig gemacht. Man muß ja nicht alles selbst erleben, um hier im Parlament darüber zu sprechen. Ich finde, es wäre ehrlicher, wenn noch einmal der Antrag käme: Schafft den § 218 ab, als das jetzt mit diesem Gesetz über die Hintertür zu machen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Geis, Ihre Zwischenfrage war beantwortet. ({0}) - Natürlich, aber sie war beantwortet. Wenn Sie eine weitere Zwischenfrage stellen wollten, müßten Sie mich fragen, und dann würde ich wiederum die Rednerin fragen. ({1}) Frau Kollegin Lenke, fahren Sie bitte fort.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe Ihnen doch geantwortet, Herr Geis. Dann möchte ich Herrn Geis, weil er das für die CDU/CSU-Fraktion vorgetragen hat, doch einmal fragen: Was ist denn beim Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen? Wollen Sie den Frauen das Präparat auch dann verwehren? Denn es gibt ja sehr wohl Gründe, die es wirklich medizinisch notwendig machen, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Dann müssen Sie ebenfalls klar sagen, ob Sie dann auch wollen, daß der Arzt als Fachmann der Frau nicht mehr selbst den Rat geben kann, zwischen der operativen Methode und der Präparatmethode zu wählen. Da könnten Sie vielleicht noch einmal in Ihrer Fraktion beraten, ob Sie auch das nicht wollen. Sie haben gesagt, diese Methode erfordere die Aktivität der Frau, während der chirurgische Eingriff für sie passiv ist. Insofern ist die Einleitung eines Schwangerschaftsabbruchs für die Frau ja wesentlich schwerer. Von daher kann man nicht, wie Sie in der Begründung, von leichtfertig reden. Ich will zum Schluß sagen, daß sich die F.D.P. für den Schutz des menschlichen Lebens einsetzt. Für uns geht das - das ist für mich jetzt auch kein Spruch - nur mit der Frau und nicht gegen die Frau. Daß Sie gerade Herrn Kardinal Meisner mit seinen Aussagen, die er zu diesem Thema getätigt hat, als moralische Instanz angeführt haben, wundert mich schon sehr. ({0}) Ich als Frau jedenfalls lasse mir nichts mehr von Herrn Kardinal Meisner sagen. ({1}) - Ich bin in der evangelischen Kirche, und ich bin Christin. Sie kennen ja meine innere Einstellung nicht. Meine innere Einstellung gründet sich sehr wohl auf dem, was ich Ihnen eben erzählt habe. Wir sind ja nicht für uns im Bundestag, ({2}) sondern wir müssen versuchen, für alle Frauen in der Bundesrepublik Lösungsmöglichkeiten zu finden. ({3}) Deshalb, meine Damen und Herren: Lassen wir es nicht zu, daß konservative Männer über uns bestimmen und die wenigen hart erkämpften Entscheidungen auf Umwegen wieder zunichte machen! Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der Kollege Geis bittet um eine Kurzintervention. ({0}) Bitte schön, Herr Kollege Geis, Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier ist die Frage aufgeworfen worden, ob wir dieses Parlament als Instrument der katholischen Kirche ansehen wollen. Kardinal Meisner hat nichts anderes getan, als auf den Lebensschutz hinzuweisen. Der Lebensschutz steht in unserer Verfassung. Was wir hier tun - das nehme ich wirklich ernsthaft für mich in Anspruch -, entspricht der Verfassung. Ich tue hier nichts anderes. Wenn mir jemand etwas anderes unterstellt, dann ist er weit weg von der Wahrheit, dann lebt er auf einem anderen Stern, dann kennt er auch unsere Verfassung und vor allem meine parlamentarischen Rechte, die ich als einfacher Abgeordneter habe, nicht. Das bitte ich zu respektieren, anstatt hier falsche Parolen zu verkünden. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kollegin Lenke, Sie hätten das Recht auf eine Antwort. ({0}) - Gut. Als nächste Rednerin hat die Kollegin Christa Nickels vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute von einer Gruppe von Abgeordneten der CDU/CSU eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes sieht ein gesetzliches Verbot von Arzneimitteln vor, die zum Schwangerschaftsabbruch bestimmt sind. Unsere Fraktion lehnt dieses Gesetz ab, weil ein solches Verbot unter jedem Gesichtspunkt von uns für den falschen Weg gehalten wird, um dieses Arzneimittel und generell Arzneimittel dieser Art, die in vielen Staaten gerade ein europäisches Zulassungsverfahren durchlaufen haben, zu reglementieren. Wenn es in der Begründung des Gruppenantrages heißt, daß die Verwendung solcher Arzneimittel geeignet sei, eine Abtreibung als Heilmaßnahme erscheinen zu lassen, und deshalb zur Verharmlosung beitrage, und wenn es weiter heißt, daß die Arzneimittelzulassung von Abtreibungsmitteln die Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben senke, so kann man hier nur von einem völlig verqueren Frauenbild und von einem völlig lebensfremden Antrag sprechen. ({0}) Genauso ist die Vorstellung - überhaupt ein derartiger Gedanke -, daß sich eine Frau, die sich in einer schweren Konfliktsituation befindet und nach Beratung einen Schwangerschaftsabbruch überlegt oder beabsichtigt, bei dieser grundsätzlichen Frage von Überlegungen zu Methoden leiten läßt, völlig lebensfremd und wird der Konfliktsituation dieser Frau nicht gerecht. Dieses Frauenbild muß - da muß ich meiner Vorrednerin zustimmen - eigentlich jede Frau empören, die von diesen Problemen Ahnung hat oder in diesem Bereich arbeitet. Das entspricht nicht den Tatsachen. Die Verfügbarkeit von Arzneimitteln zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch hat keinen Einfluß auf die Entscheidung über eine Abtreibung. Deshalb möchte ich feststellen, daß es bei dem In-den-VerkehrBringen und der Anwendung von Arzneimitteln zum Schwangerschaftsabbruch eben nicht um eine grundsätzliche Frage des Schwangerschaftsabbruchs geht, die in § 218 Strafgesetzbuch eine Regelung gefunden hat, die parteiübergreifend zustande gekommen ist. Dafür bin ich dankbar und möchte noch einmal in Erinnerung rufen, Herr Kollege Geis, daß das auch von wichtigen Repräsentanten Ihrer eigenen Fraktion in aller Deutlichkeit gesagt worden ist. Vielmehr geht es bei diesem Arzneimittel um eine bestimmte Methode, die medikamentöse Methode des Schwangerschaftsabbruchs, die nunmehr neben dem herkömmlichen instrumentellen Eingriff dem Arzt und der Patientin zur Verfügung steht. Keine dieser Methoden ist von vornherein die geeignetere. Welche Methode im Einzelfall gewählt wird, ist in erster Linie eine medizinische Frage, die Arzt und Patientin miteinander besprechen sollen, und keine Aufgabe des Gesetzgebers. Ich sehe also keinen Grund dafür, von Staats wegen eine bestimmte Methode des Schwangerschaftsabbruchs zu verbieten. Staatliche Aufgabe ist es, daß ein Arzneimittel, das zum Schwangerschaftsabbruch bestimmt ist, wie jedes andere neue Arzneimittel auch nach den strengen Anforderungen des Arzneimittelgesetzes geprüft wird und daß alle notwendigen Vorkehrungen gegen eine mißbräuchliche Anwendung getroffen werden. Beide Aufgaben sind bekanntermaßen erfüllt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat im Zusammenwirken mit den anderen europäischen Behörden das Anerkennungsverfahren zu der französischen Zulassung abgeschlossen. Wie Sie wissen, hat es Gesundheitsministerin Fischer im Vorfeld des Zulassungsverfahrens wegen ihrer politischen Verantwortung gegenüber dem Arzneimittelinstitut eindeutig abgelehnt, gegenüber dem Antragsteller eine Aussage zu treffen, die irgendeinen Zweifel an der normalen und ordnungsgemäßen Durchführung des Zulassungsverfahrens hätte begründen können. Der Deutsche Bundestag hat mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes umfassende und wirksame Regelungen gegen eine mißbräuchliche Verwendung des Arzneimittels getroffen. Dazu gehören besonders ein spezifischer Vertriebsweg, besondere Kennzeichnungs- und Aufbewahrungsregelungen sowie strenge Nachweispflichten. Das sind die arzneimittelrechtlichen Instrumente, die sinnvoll und notwendig sind und die unverzüglich und rechtzeitig eingesetzt worden sind. Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen anschließen. Warum sollte eigentlich das Arzneimittel, das zum Schwangerschaftsabbruch bestimmt ist, gesetzlich verboten werden, demgegenüber aber diejenigen Arzneimittel, die in Verbindung mit einem instrumentellen Schwangerschaftsabbruch eingesetzt werden, anders behandelt werden? Das ist natürlich eine rhetorische Frage. Aber sie zeigt auf, daß die von den Antragstellern angeführte - ich zitiere - „Perversion des Arzneimittelbegriffs“ kein nachvollziehbarer oder irgendwie weiterführender Begriff ist. Den Arzneimittelbegriff hat der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit dem europäischen Recht bewußt weit gewählt, damit die Schutzvorschriften des Arzneimittelgesetzes auf all die Stoffe und Gegenstände Anwendung finden, die zur Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt und nicht in anderen Gesetzen mit entsprechendem Schutzzweck geregelt worden sind. Damit sind gesetzesfreie Räume oder sogenannte Grauzonen wirksam vermieden worden. Lassen Sie uns bei dieser Grundsatzentscheidung bleiben. Ethische Fragen der Anwendung zugelassener Arzneimittel sind grundsätzlich nicht im Arzneimittelgesetz zu regeln, sondern sind Gegenstand allgemeiner Gesetze und der Regelung zur ärztlichen Berufsübung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Zulassung von Arzneimitteln zum Schwangerschaftsabbruch befinden wir uns im übrigen in Übereinstimmung mit nahezu allen Staaten der Europäischen Union. Bei allen Unterschieden, die die Staaten Europas in gesellschaftlichen Fragen aufweisen, zeigt auch diese Rückkopplung, daß Arzneimittel zum Schwangerschaftsabbruch allgemein dem Bereich der Methodenwahl zugeordnet werden und mit ihnen gerade nicht die Grundsatzfrage der Behandlung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Rechtsordnung verbunden wird. Nach allem, was wir als Ergebnis des europäischen Anerkennungsverfahrens wissen, sind Arzneimittel zum Schwangerschaftsabbruch eine in bestimmten, medizinisch zu beurteilenden Fällen geeignete Methode. Herr Kollege Geis, wir haben schon in den 80er Jahren intensiv in dieser Debatte gestritten und gerungen. Ich möchte Sie bitten, damit aufzuhören, über alle möglichen, teilweise absurden Hintertüren diese Frage, die wir mit großem Ernst diskutiert und über die wir beschlossen haben, immer wieder in einer unwürdigen Art und Weise auf die Tagesordnung zu setzen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste und letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Petra Bläss, PDS.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die jetzige Debatte ist in der Tat an Skurrilität kaum noch zu übertreffen. Hinzu kommt, daß wir heute die außerordentliche Gelegenheit hatten, über mehrere Stunden hier im Parlament die Leistungen von Frauen zu würdigen. Nun fehlen mir angesichts einer solchen frauenverachtenden Vorlage und solcher frauenverachtenden Töne fast die Worte. ({0}) Herr Kollege Geis, Ihr verfassungsrechtliches Engagement wird doch überhaupt nicht in Zweifel gezogen. ({1}) Sie werden als Experte für Verfassungsrecht sehr geschätzt. Aber ich habe eine Frage: Für wen ist das Grundgesetz, für wen ist unsere Verfassung? - Für die Bevölkerung, und Frauen machen in diesem Land mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt vermutlich wenige Medikamente, an denen sich ein derartiger ideologischer Streit entzündet hat, wie es bei der sogenannten Abtreibungspille RU 486 der Fall war und ist. Der hier zur Debatte stehende Gesetzentwurf einiger Unionsabgeordneter ist für mich ein neuerlicher Versuch, Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht abzusprechen. Die betreffenden Kolleginnen und Kollegen wollen mit ihrem Gesetzentwurf verhindern, daß die RU 486 zugelassen wird, und das nicht etwa, weil sie Gesundheitsgefährdungen für die Frauen befürchten, sondern deswegen, weil sie generell der Ansicht sind, daß Frauen nicht die Freiheit haben dürfen, selbst über Leben und eine Schwangerschaft zu bestimmen. ({3}) Ich habe es heute bereits in der Debatte „Die Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag“ gesagt und wiederhole es an dieser Stelle ganz bewußt: Eine demokratische Gesellschaft muß sich daran messen lassen, wie sie mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen verfährt. Dazu gehört, daß Frauen im Falle einer ungewollten Schwangerschaft die für sie am wenigsten belastende Methode des Abbruches wählen können. Auch wenn die sogenannten Lebensschützerinnen und Lebensschützer uns immer wieder etwas anderes glauben machen wollen - es gibt kaum eine Frau, die sich die Entscheidung für oder gegen ein Kind leichtmacht. Vielmehr hat sie einen sehr schwierigen Entscheidungsprozeß zu durchstehen, der sie tief bewegt. RU 486 ist bekanntlich nur eine von verschiedenen Möglichkeiten, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Im übrigen ging es in unseren Debatten hier immer nur um ein politisches Signal der Zulassung und nie darum, dieses Medikament hochleben zu lassen. Übrigens ist diese Abtreibungspille bei weitem nicht das einzige Abtreibungsmedikament auf dem Markt. Aber an dieser Pille entzündet sich die Debatte, weil die sogenannten Lebensschützerinnen und Lebensschützer ihre frauenfeindliche Propaganda um ein Element erweitern: Jetzt gibt es „Kindstötung auf Rezept“. Sie wissen genau, daß das so nicht ist. Der Abbruch mit RU 486 kann wie jeder konventionelle chirurgische Abbruch auch nur nach einer Zwangsberatung und nur unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden. Die gesamte Behandlung dauert drei Tage und ist mit erheblichen Schmerzen verbunden. Man kann also schwerlich behaupten, ein Schwangerschaftsabbruch mit RU 486 sei ein Kinderspiel. Allerdings erspart sie den Frauen die Narkose, und die Gefahr von Gebärmutterverletzungen ist geringer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines wird an diesem Streit einmal mehr deutlich: Die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch ist nach wie vor aktuell. Es ist unsere Aufgabe, hier im Parlament endlich für Rechtsklarheit zu sorgen, das Selbstbestimmungsrecht der Frauen verfassungsfest zu verankern und den § 218 endlich aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/1184 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Ursula Lötzer, Eva-Maria Bulling-Schröter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch ({0}) - Drucksache 14/139 ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) - Drucksache 14/863 Berichterstattung: Abgeordneter Adolf Ostertag Hier haben alle Fraktionen mit Ausnahme der PDS beantragt, die Reden zu Protokoll geben zu dürfen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und gebe der Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner von der PDS-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gott sei dank ist doch nicht alles in diesem Berliner Reichstag so neu; ein paar Rituale sind geblieben. Die PDS ist mit ihrem Tagesordnungspunkt wieder an die letzte Stelle der Tagesordnung gerückt, und die lieben Kolleginnen und Kollegen entziehen sich der Diskussion. Sie wollen die Berliner Luft genießen. Das finde ich zwar sehr menschlich; ich muß aber trotzdem sagen, daß dieses Verhalten bei manchen Themen, wozu das jetzige Thema gehört, einfach gegen den sozialen Anstand verstößt. ({0}) - Ich finde, schon. Aber diesen Sachverhalt kann man ja unterschiedlich bewerten. Eigentlich - auch das möchte ich deutlich sagen könnte ich es mir ersparen, die Argumente für unseren Antrag zur Abschaffung des Anti-Streik-Paragraphen an dieser Stelle noch einmal auszubreiten, weil die Mehrheit in diesem Parlament und zahlreiche Mitglieder der Bundesregierung über ein Jahrzehnt lang leidenschaftlich für seine Abschaffung gestritten haben und sich für die Wiederherstellung des Streikrechts eingesetzt haben. ({1}) Es besteht also vollkommene Übereinstimmung darüber, diesen Anti-Streik-Paragraphen abzuschaffen und die strukturelle Benachteiligung der Gewerkschaften im Hinblick auf die Arbeitskampfsituation endlich zu beseitigen. Für die Abschaffung des damaligen § 116 des AFG sind in den Jahren nach 1986 Hunderttausende auf die Straße gegangen. Viele von uns können sich noch daran erinnern. 1992 zogen SPD-Bundestagsabgeordnete und sozialdemokratisch geführte Länder vor das Bundesverfassungsgericht, um die Chancengleichheit der Tarifvertragsparteien im Arbeitskampfrecht wiederherzustellen. Beide heutigen Regierungsparteien haben in der 13. Legislaturperiode Anträge zur Wiederherstellung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit eingebracht. Die PDS versucht mit einem Antrag inzwischen zum dritten Mal, den alten Rechtszustand wiederherzustellen - im Interesse der Kampfparität von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Bereits 1994 sagte Kollege Ostertag, bei Regierungsantritt würde eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung in einem Sofortprogramm der ersten 100 Tage § 116 AFG entsprechend ändern. Er hat weiter gesagt, daß diese Korrektur zu einer glaubwürdigen sozialdemokratischen Politik gehöre - wie wahr. ({2}) - Entschuldigen Sie, Sie müssen einmal Ihre eigenen Debattenbeiträge lesen! Wenn Sie sich nicht daran erinnern können, dann lesen Sie einmal die Rede des Kollegen Ostertag nach! Sie wissen doch sehr wohl, daß der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes andere Regelungen zuläßt. ({3}) - Kollege Niebel, diesen Streit müssen wir auf anderer Ebene austragen. Daß Sie nicht für eine Neuregelung sind, ist mir hinreichend bekannt. ({4}) - Unser Verhalten ist nicht scheinheilig, sondern konsequent. Viele wissen aber nicht, wie man konsequent handelt. Die ersten 100 Tage sind längst vorbei. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre Glaubwürdigkeit steht ein bißchen auf dem Spiel. ({5}) - Darüber mache ich mir keine Sorgen; ich stelle diese Tatsache nur fest. Aber viele Ihrer Mitglieder und vor allen Dingen die Wählerinnen und Wähler machen sich Sorgen. ({6}) Sie haben ja bereits ein Vorschaltgesetz zum SGB III vorgelegt. Aber leider haben Sie dabei die Neuregelung des Streikrechtes ausgelassen. Dieses Verhalten wundert mich schon, weil Sie diese Neuregelung für ein Gebot des sozialstaatlichen Anstandes halten. Auch unsere parlamentarische Initiative werden Sie heute wieder einmal ignorieren, was Ihnen zunehmend schwerer fallen wird, weil Sie schon zu häufig auf Demonstrationen und Gewerkschaftstagungen diesbezügliche Versprechungen gemacht haben. Dieses Thema wird auf vielen Ebenen der Gewerkschaft diskutiert. Heute und morgen findet hier in Berlin eine Festveranstaltung der IG Metall zum 50. Jahrestag der Verabschiedung des Tarifvertragsgesetzes statt. Staatssekretär Andres hat auf dieser Veranstaltung erklärt, § 146 SGB III stehe auf dem Prüfstand - immerhin. Aber ehrlich gesagt, mir ist diese Aussage zu vage. Ich bin schon gespannt darauf, was der Kollege Ostertag auf der entsprechenden Podiumsdiskussion zum Novellierungsgebot des Streikparagraphens sagt. ({7}) Natürlich nennen Sie für Ihre Ablehnung Gründe. Sie behaupten zum Beispiel, daß heute manches rechtlich fragwürdig sei. Ich frage Sie: Kann heute etwas rechtlich fragwürdig sein, was Sie bis zu Ihrem Regierungsantritt wortgetreu gefordert haben? Sie werfen uns wieder diesen Vorwurf lassen Sie ja nie aus - Aktionismus und Populismus vor. Das ärgert mich aus zwei Gründen: Auch wir haben das Recht, Wahlversprechen einzufordern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ärgert mich auch deshalb, weil das durchaus mit Ihrem überholten Alleinvertretungsanspruch korrespondiert, von dem Sie sich endlich einmal verabschieden sollten. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluß.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich sage einen letzten Punkt. Sie wollten die Novellierung des Streikparagraphen in einer großen Reform des Arbeitsförderungsrechtes verabschieden. Ich habe Zweifel, ob Sie dazu noch die Chance haben, denn die Politik der Neuen Mitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, verträgt sich nicht mit der Wiederherstellung des gewerkschaftlichen Streikrechts. Das Schröder/Blair-Papier läßt keinen Platz für Verteilungskämpfe, und wen das leiseste Hüsteln der Unternehmerseite zum heftigen Rückwärtsrudern bringt, der bringt es nicht mehr zustande, den Herren Hundt und Henkel ein verbessertes Streikrecht zuzumuten. Schade, leider. Ich würde mich freuen, wenn ich mich geirrt hätte. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des III. Buches des Sozialgesetzbuches, Drucksache 13/139. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/863, den Gesetzentwurf abzulehnen. ({0}) Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/139 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. ({1}) Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der PDS mit allen anderen Stimmen abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 9. September 1999, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.