Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
({0})
Der Deutsche Bundestag trauert um Dr. Hans
Stercken, der dem Hause von 1976 bis 1994 als Abgeordneter angehörte und am Sonnabend der letzten Woche einem schweren Leiden erlag.
Hans Stercken, am 2. September 1923 in Aachen geboren, zog nach der Bundestagswahl 1976 als direkt gewählter Abgeordneter seiner Heimatstadt in den Bundestag ein. Der Name Hans Stercken ist untrennbar mit
dem Amt des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses verbunden, das er von 1985 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahre 1994 innehatte.
Höhepunkt der politischen Laufbahn Hans Sterckens
war zweifellos seine Wahl zum Präsidenten der Interparlamentarischen Union im Jahre 1985. Mit ihm wurde
erstmals ein deutscher Parlamentarier in den Vorsitz dieser wichtigen weltweiten Abgeordnetenvereinigung berufen.
Der Lebensweg Hans Sterckens war vom europäischen Geist der Grenzregion geprägt. Mit Entschiedenheit und großem Einfühlungsvermögen hat er sich insbesondere für eine Vertiefung der deutsch-französischen,
der deutsch-israelischen und der deutsch-türkischen Beziehungen eingesetzt.
Unermüdlich hat sich Hans Stercken weltweit für die
Menschenrechte eingesetzt. Der Idee des Friedens verpflichtet, hat er sich darum bemüht, Konflikte zu lösen
oder zu entschärfen. Er vertrat seine Standpunkte mit
nachhaltigem Engagement vor allem in Zypern, dem
Iran und dem Irak, in Nordkorea und immer wieder in
Afrika.
Zum Persönlichkeitsbild Hans Sterckens gehörten
aber nicht nur seine Aktivitäten im Bereich der internationalen Zusammenarbeit. Stercken hat sich in seiner gesamten Abgeordnetenzeit auch stets ein Ohr für die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger bewahrt.
Der Deutsche Bundestag gedenkt seines früheren
Mitgliedes Hans Stercken in Dankbarkeit und Anerkennung. Seinen Angehörigen spreche ich im Namen des
Hauses unser tiefempfundenes Mitgefühl aus. Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren
Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion der
SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben fristgerecht beantragt, die im Ältestenrat erörterte und unter Vorbehalt
gestellte Tagesordnung durch das Plenum feststellen zu
lassen, da eine Vereinbarung im Sinne des § 20 Abs. 1
der Geschäftsordnung nicht getroffen wurde.
Die Fraktion der PDS hat fristgerecht beantragt, die
vorläufige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung ihres Gesetzentwurfs zur Änderung des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch zu erweitern.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Kollege Roland
Claus, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die PDS-Fraktion beantragt einen zusätzlichen Tagesordnungspunkt, und zwar
- um es verständlicher zu sagen - die abschließende Lesung eines PDS-Gesetzentwurfes zur Wiedereinführung des Streikparagraphen. Wir haben dazu im Ältestenrat keine Einigung erzielt. Das ist relativ selten, aber
nicht einmalig. Womöglich wird Kollege Schmidt nachher für die SPD sagen, die PDS, die sich bisher durch
parlamentarische Seriosität ausgezeichnet habe, komme
nun auch noch mit Geschäftsordnungstricks wie die
CDU.
({0})
Deshalb sage ich schon einmal vorsorglich: Daran würde nur der erste Teil stimmen.
Wir haben an diesem Verhandlungstage keinen originären PDS-Tagesordnungspunkt, wohl aber einen in
verbundener Debatte. Das liegt nun aber, meine Damen
und Herren, nicht an Ihrem Wohlwollen, sondern an unserem parlamentarischen Fleiß. Wir wissen sehr wohl
- und ich will das auch nicht in Abrede stellen -, daß
wir kein Aufsetzungsrecht für eine zweite und dritte
Lesung haben. Sie hätten das aber auch nicht behindern
müssen, denn es gibt umgekehrt keine Pflicht zur Verhinderung von PDS-Themen.
({1})
An diesem Problem werden - darauf möchte ich hier
aufmerksam machen - gleich mehrere Behinderungen
unserer Fraktion deutlich.
Erster Punkt. PDS-Themen werden in der Regel in
die Nachtstunden verbannt. Sie fragen uns immer kurz
vor Ablauf der Plenarsitzungen, ob wir nicht bereit seien, unsere Reden zu Protokoll zu geben. Sie ärgern sich
und sind entrüstet, wenn wir dazu nicht bereit sind. Ich
weiß, daß es einige im Hause gibt, die die ganze PDS
lieber ins Protokoll verbannen würden. Aber das haben
die Wählerinnen und Wähler anders entschieden.
({2})
Zweiter Punkt unserer Kritik. Die abschließende Beratung parlamentarischer Initiativen wird der PDS nicht
selten verwehrt. Ich möchte Ihnen einige Daten nennen,
an denen die PDS Anträge gestellt hat: 26., 28. und
30. Oktober 1998 sowie 5., 9., 10., 11. und 19. November 1998. Die Themen - das ist vielleicht auch nicht
uninteressant - waren Vermögensteuer, Airbus-Fertigung, Luxussteuer, ermäßigte Mehrwertsteuer.
Dritter Punkt. Es kommt auch vor, daß die abschließende Beratung von PDS-Initiativen in diesem Hause so
lange hinausgeschoben wird, bis es der Koalition in
ihren politischen Zeitplan paßt. Ein Beispiel dafür ist die
Vorlage zum Schlechtwettergeld, die wir heute lesen.
Auch hier zeigt sich eine Parallele zu dem heutigen Problem. Wir wollen das nicht unwidersprochen hinnehmen, obwohl wir natürlich um die Mehrheitsverhältnisse
hier im Hause wissen, die wir akzeptieren. Aber wir sehen darin eine unzulässige Einschränkung der Rechte
einer Oppositionsfraktion und ärgern uns ein bißchen
darüber, daß die CDU/CSU das auch noch mitmacht und
zuläßt und keine Interessenallianz sieht.
Nun möchte ich der sozialdemokratischen Fraktion
keine unlauteren Absichten unterstellen. Schließlich ist
sie unser aller Koalitionspartner - mit Ausnahme der
CSU, die mit ihr nur verschwägert ist. Aber ich möchte
trotzdem folgende Fragen stellen: Könnte es nicht auch
sein, daß Sie sich bei der Diskussion über den Streikparagraphen nicht ausgerechnet von der PDS dabei stören
lassen wollen, erneut ein Wahlversprechen zu brechen?
({3})
Könnte es nicht auch sein, daß Sie eine solche sozialdemokratische Bastion gegenüber den Gewerkschaften
überhaupt keiner anderen Partei überlassen wollen?
Könnte es nicht auch sein, daß Sie die IG-MetallKonferenz Anfang September dieses Jahres stört, weil
dort über das spannende Thema der Aktualität des
Streikparagraphen diskutiert wird? Könnten nicht alle
Aspekte, die ich mit meinen Fragen angesprochen habe,
ein bißchen zutreffen oder wenigstens ein paar davon?
({4})
Wäre es nicht besser, Sie würden sich inhaltlich mit unseren Vorschlägen und Themen auseinandersetzen, als
sie von der Tagesordnung zu verbannen?
({5})
Ich bitte Sie also um Zustimmung zu unserem Vorschlag. Das wäre auch eine kleine Ausgleichsmaßnahme
dafür, daß Sie unser spannendes Thema für die Aktuelle
Stunde von der Tagesordnung verdrängt haben, welches
lautete: Forderungen von SPD-Abgeordneten nach Kürzung der Ostförderung.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Zweck der Übung des Kollegen Claus war wohl,
über eine Geschäftsordnungsdebatte zu versuchen, in die
Sachthemen einzuführen, obwohl das nun wirklich nicht
zu einer Geschäftsordnungsdebatte gehört.
({0})
Deshalb sage ich nur: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.
Wir werden heute Ihrem Antrag nicht nachkommen.
Das haben wir, die Vertreter aller Fraktionen des Hauses, Ihnen, Herr Claus, schon in der Runde der Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer mitgeteilt. So ist
es auch im Ältestenrat bekanntgegeben worden.
Es ist unerheblich, aus welchem Grunde wir heute
diesen Tagesordnungspunkt nicht beraten wollen. Aus
unserer Sicht ist er nicht beratungsreif. Entscheidend ist
nun einmal, daß zum einen Tagesordnungen nur im Einvernehmen zustande kommen und zum anderen ein Aufsetzungsrecht einzelner Fraktionen zu Beschlußempfehlungen, die die Ausschüsse gemacht haben, nicht besteht. Deshalb ist das, was Sie heute hier gemacht haben,
sehr vordergründig und aus unserer Sicht abzulehnen.
Ich möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch
noch darauf hinweisen, daß wir einvernehmlich das
Überweisungsgesetz auf die Tagesordnung setzen wollen. Darüber soll am Donnerstag morgen zu Beginn der
Tagesordnung und noch vor der Debatte „50 Jahre Demokratie - Dank an Bonn“ beraten werden. Es wird zu
diesem Zeitpunkt darüber beraten, weil es einen technischen Fehler bei der Aufsetzung und bei der Beratung
gegeben hat, der heute nicht mehr rückgängig gemacht
werden kann. Wir werden morgen das Überweisungsgesetz ohne Debatte beraten und darüber abstimmen.
Ich möchte Sie bitten, unter Berücksichtigung dieser
beiden Aussagen die Tagesordnung für diese Woche so
festzustellen.
Vielen Dank.
({1})
Wir kommen zur
Abstimmung.
Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag der
Fraktion der PDS auf Erweiterung der vorläufigen
Tagesordnung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es
Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen
abgelehnt.
Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Feststellung der
unter Vorbehalt gestellten Tagesordnung mit der soeben
vorgetragenen Maßgabe, daß über Tagesordnungspunkt
14 e - Überweisungsgesetz - erst Donnerstag morgen
ohne Debatte abgestimmt wird? - Wer stimmt dagegen?
- Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mit den
Stimmen der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der PDS
und eine Stimme aus der CDU-Fraktion angenommen.
Damit ist die Tagesordnung - wie verteilt, aber mit
der soeben genannten Maßgabe - festgestellt.
Liebe Kollegen, zum Ablauf der Tagesordnung ist
nunmehr noch auf folgendes hinzuweisen: Interfraktionell ist vereinbart worden, die Wahl eines Mitglieds des
Parlamentarischen Kontrollgremiums vorzuziehen und
bereits nach der Debatte über die Gesundheitsreform
aufzurufen.
Des weiteren soll die verbundene Tagesordnung um
die Ihnen in einer Zusatzpunktliste vorliegenden Punkte
erweitert werden:
ZP1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zur aktuellen Situation im Kosovo
ZP2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({0})
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs
eines Dreiunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des
Lastenausgleichsgesetzes ({1}) - Drucksache
14/866 Außerdem weise ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang der Zusatzpunktliste hin.
Der in der 45. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf des Bundesrates zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern ({2}) - Drucksache 14/640 überwiesen:
Innenausschuß ({3})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen
Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 ({4})
- Drucksache 14/1245 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({5})
Innenausschuß
Sportausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Andrea Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir legen
heute einen Gesetzentwurf vor, der lange, bevor er die
heute vorliegende und vom Parlament zu debattierende
Fassung bekam, für viel Aufregung gesorgt hat. Ich will
ganz deutlich sagen: Es ist meine ganz tiefe Überzeugung, daß wir Strukturreformen im Gesundheitswesen
vornehmen müssen und daß mit dem jetzt vorliegenden
Gesetzentwurf diejenigen Strukturreformen angegangen
werden, die seit langem notwendig und zum Teil überfällig sind. Gerade wer unser Gesundheitssystem schätzt
und bewahren will, der muß es verändern, und zwar
durch Reformen innerhalb dieses Systems.
({0})
Ich will unsere Zeit nicht damit verschwenden, auf
einige Entgleisungen der Debatte in den letzten Monaten
einzugehen. Lassen Sie mich aber sagen: Ich finde es
schon auffällig, wie sich plötzlich sehr viele, die ansonsten durchaus sehr unterschiedliche Interessen vertreten,
in der Verteidigung des Status quo ganz einig sind
- eines Status quo, der schon ganz lange kritisiert worden ist und plötzlich für das Bessere gehalten wird.
Es gibt einen auffälligen Mangel an konstruktiven
Vorschlägen bei denjenigen, die gegen dieses Gesetz
opponieren und die Ansicht vertreten, es führe in die falsche Richtung. Wer das Gesetz nicht will, der soll uns
sagen, was wir machen sollen oder ob wir einfach so
weitermachen sollen wie bisher. Dann mag es vielleicht
eine kurze Zeit des Aufatmens auf der Seite der Leistungserbringer geben, weil es keine finanziellen Beschränkungen gibt, aber nach einiger Zeit werden die
Beiträge so sehr gestiegen sein, daß die Menschen kein
Interesse mehr an einer solidarisch organisierten Krankenversicherung haben.
({1})
Ich meine, daß wir dieses System mit Reformen für die
Zukunft fit machen müssen. Zu einer modernen Gesundheitsreform gehört als allererstes und oberstes Ziel, daß
die Patienten im Mittelpunkt stehen und das Gesundheitssystem nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet wird.
({2})
Die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten haben
sich verändert. Manche Strukturen passen nicht mehr
darauf; manches ist an diesen Strukturen allerdings
schon so lange kritisiert worden, daß ich, wie gesagt, der
Meinung bin, daß wir diese Debatte endlich aufgreifen
und eine wirkliche Lösung dafür finden müssen.
Ich will hier noch einmal ganz deutlich sagen, daß ich
unser Gesundheitssystem für gut und leistungsfähig
halte. Es kann sich im internationalen Vergleich sehen
lassen.
({3})
Ich will auch ausdrücklich betonen, daß wir diese Reform durchführen, weil wir dieses System schätzen, das
mit einer solidarischen Finanzierung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung für die notwendige
Umverteilung zwischen Jung und Alt, zwischen Gesunden und Kranken, zwischen Familien und Singles sorgt.
Wir wollen diese Finanzierung genauso wie die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhalten. Wir wollen auch das ganz wichtige Prinzip
- darin unterscheiden wir uns wirklich in vielerlei Hinsicht positiv von anderen Ländern - erhalten, daß Leistungen unabhängig vom eigenen Einkommen gezahlt
werden. Das halte ich für ganz elementar.
({4})
Vor welchen Herausforderungen stehen wir, und was
müssen wir deswegen verändern? Die erste Herausforderung ist der demographische Wandel. Wir wissen
alle, daß schon heute jede fünfte Person in unserem
Land über 60 Jahre alt ist. Im Jahr 2030 wird es jede
dritte sein. Jetzt liegt natürlich intuitiv die Vermutung
nahe, daß damit auch die Kosten im Gesundheitswesen
exponentiell steigen. Schon ein früherer Sachverständigenrat im Gesundheitswesen hat uns eines Besseren belehrt: Diese Korrelation liegt nicht zwangsläufig vor,
denn der demographische Wandel ist ja unter anderem
der Tatsache zu verdanken, daß die Menschen länger gesund sind und auch alte Menschen insgesamt gesünder
sind. Wir können davon ausgehen, daß sie das Gesundheitssystem zwar über einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, aber dafür nicht so stark, wie es früher
bei anderen Krankheiten der Fall war.
({5})
Wir haben es vor allen Dingen mit veränderten
Krankheitsbildern zu tun; das heißt, wir haben mehr
chronische Krankheiten und Mehrfacherkrankungen.
Wir können davon ausgehen, daß der Versorgungsbedarf
in Rehabilitation und Pflege stärker steigen wird als der
in der Akutversorgung.
({6})
Darauf sollten wir, wie ich meine, nicht so reagieren,
daß wir die Geldzufuhr zum Gesundheitswesen exponentiell steigern. Der entscheidende Punkt ist vielmehr,
die Versorgungsstrukturen so zu verändern, daß Krankheitsbilder, die häufiger auftauchen, zum Beispiel chronische oder Mehrfacherkrankungen, angemessen behandelt werden können.
Die Herausforderung der Stunde ist, eine stärkere Zusammenarbeit zwischen einzelnen Ärzten, zwischen
Ärzten verschiedener Fachrichtungen sowie zwischen
dem ambulanten und stationären Bereich herbeizuführen. Es geht also um die gute Zusammenarbeit aller
Beteiligten im Gesundheitswesen. Dafür wollen wir
mit diesem Gesetz die Weichen stellen.
Die Maßnahmen, die dafür im Gesetz vorgesehen
sind, sind die bessere Verzahnung des ambulanten und
stationären Sektors, die Stärkung der Stellung des Hausarztes als Lotsen durch das Gesundheitssystem
({7})
und die Verbesserung der Rahmenbedingungen, damit
integrierte Versorgungsstrukturen gefunden werden
können und flexibler bei der Finanzierung von Gesundheitsleistungen, die in verschiedenen Sektoren erbracht
werden, vorgegangen werden kann. Das Stichwort lautet
hier, daß das Geld der Leistung folgen soll und nicht
umgekehrt. Wir wollen auch die Rehabilitation durch
eine Reihe von Maßnahmen stärken, die in diesem Gesetzespaket vorgesehen sind.
Wenn man diese veränderten Krankheitsbilder als
eine der gesundheitspolitischen Herausforderungen der
Zukunft erkennt, kommt man zu der Feststellung, daß
Gesundheitsförderung und -vorsorge das zentrale Gebot
der Stunde sind.
Wir müssen auch Präventionskonzepte für ältere
Menschen entwickeln. Maßnahmen der Gesundheitsförderung sind immer sinnvoll, egal in welchem Alter sie
durchgeführt werden. Der entscheidende Punkt aber, den
wir vorgesehen haben, ist, daß die Kassen wieder über
Leistungen der Gesundheitsförderung informieren
dürfen, sie anbieten und finanzieren können und daß
wir - das halte ich ebenfalls für einen ganz wichtigen
Schritt - die Finanzierung von Selbsthilfegruppen und
Selbsthilfekontaktstellen stärker ermöglichen.
Aus der Tatsache, daß wir auch in der Zahnmedizin verstärkt auf Prophylaxe und Zahnerhalt setzen
wollen,
({8})
können Sie ersehen, daß für uns die Frage der Vorbeugung ganz zentral ist. Die Bedeutung der Vorsorge
kennt man schon lange. Trotzdem hat man mit dem
Verweis auf einige negative Beispiele in den letzten
Jahren all die guten Ansätze, die sich auf diesem Gebiet entwickelt hatten, zunichte gemacht. Meiner Meinung nach war es ein Etikettenschwindel, von der Stärkung der Eigenverantwortung zu sprechen, aber auf der
anderen Seite darauf zu setzen, daß die Menschen mehr
zahlen müssen.
({9})
Wir sagen: Die Selbstverantwortung beginnt bei der
Verantwortung, die man für die eigene Gesundheit
übernimmt. Die wollen wir fördern, weil es eine Zukunftsinvestition für unser Gesundheitssystem ist.
({10})
Die zweite Herausforderung, vor der wir stehen, betrifft den medizinischen Fortschritt, der uns in kurzen
Abständen neue Erkenntnisse und neue Möglichkeiten
sowohl im Bereich der Diagnostik und der Arzneimittel
als auch bei den Behandlungsmethoden bietet. Ich sage
ganz deutlich: Dieser Fortschritt soll, so er sinnvoll ist,
den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung
zur Verfügung stehen. Wir wissen, daß einige Neuentwicklungen teuer sind. Ich erwähne beispielsweise neue
Medikamente gegen die Krankheit Aids. Wir wissen
aber auf der anderen Seite, daß manche neue Verfahren
zu Kosteneinsparungen führen. Ich nenne den Bereich
der minimalinvasiven Chirurgie, durch die die Liegezeiten in den Krankenhäusern deutlich verringert werden.
Es ist zu einfach, zu sagen: Der medizinische Fortschritt kostet Geld, also müssen wir immer mehr Geld
draufpacken. Wir brauchen statt dessen eine ständige
selbstkritische Überprüfung dieses Systems. Dazu gehört auch, zu fragen: Ist das Neue wirklich besser? In
dem Fall können wir alte Verfahren durch neue Verfahren ersetzen. Wir wollen den Prozeß der ständigen Erneuerung befördern und nicht den vermeintlich einfachen Weg gehen, immer mehr Geld draufzupacken. Das
ist eine moderne Sozialpolitik, die nicht einer Bruttoregistertonnen-Ideologie folgt.
({11})
Deswegen brauchen wir zum Beispiel für die im Bereich der Diagnostik eingesetzten Technologien eine
ständige Überprüfung, ob deren Einsatz eigentlich sinnvoll ist. Wir haben es sehr wohl auch mit dem Problem
zu tun, daß die Vergütungsstrukturen im Gesundheitssystem falsche Anreize geben und dazu führen, daß es
Untersuchungen gibt, die zwar für denjenigen, dem das
betreffende Gerät gehört, betriebswirtschaftlich zwingend notwendig sind, aber über deren medizinischen
Nutzen trefflich gestritten werden kann.
Für eine moderne Gesundheitspolitik steht die Frage
der Qualität ganz obenan. Dabei geht es nicht nur darum, daß wir uns die Arbeit der einzelnen Institutionen
im Gesundheitswesen anschauen. Es geht vor allen Dingen darum, die Qualität der Diagnose und des anschließenden Behandlungsprozesses zu überprüfen. Aus diesen Erkenntnissen müssen Leitlinien für die Therapie
entwickelt werden. Das ist meines Erachtens eine wichtige Unterstützung sowohl für die Behandelnden im Gesundheitswesen als auch für die Behandelten, die informiert werden und damit besser über die Behandlung mit
ihren Ärzten sprechen können.
Wir müssen viel stärker das Qualitätsmanagement
in Praxis und Klinik verankern. Ich will in diesem Zusammenhang ganz deutlich sagen, daß auch die Positivliste ein Instrument der Qualitätssicherung ist.
({12})
Wir wollen damit all denjenigen, die mit dem sehr unübersichtlichen Arzneimittelmarkt zu tun haben, Hilfestellung und Anleitung geben.
({13})
Sie wissen ja, daß die deutsche Ärzteschaft wirklich
unverdächtig ist, unsere Reform in starkem Maße zu
unterstützen. Aber sie hält zumindest die Positivliste für
angemessen,
({14})
um Ordnung auf den Arzneimittelmarkt zu bringen und
damit die Qualität der Behandlung zu erhöhen.
Ich meine, daß wir auf der Ebene des Anreizsystems
in unserem Gesetz auch zu Recht vorgesehen haben,
durch andere Vergütungsstrukturen die Anreize für
einen sinnvollen Einsatz aufwendiger Medizintechnik zu
setzen und diese durch entsprechende Anwendungsleitlinien zu unterstützen.
Die dritte Herausforderung, vor der wir stehen, besteht darin, daß sich die Haltung der Menschen zu allen
sozialen Sicherungssystemen und damit auch zum Gesundheitssystem verändert hat. Die Menschen wollen
nicht länger Objekt staatlicher Fürsorge sein,
({15})
sondern sie wollen aktiv mitgestalten. Wir wissen, daß
Heilungsprozesse nur dann gelingen können, wenn Patientinnen und Patienten dabei eine aktive Rolle spielen.
Deswegen ist die Stärkung der Patientinnen und Patienten, sowohl was ihre Information als auch was ihre
Rechte anbelangt, ein wichtiger Ansatz dafür, daß wir
mit den Mitteln im Gesundheitswesen sinnvoll umgehen
können.
({16})
Wir wissen doch, sei es aus eigener Erfahrung, sei es
aus entsprechenden Untersuchungen, daß man als Patient nicht dann am zufriedensten ist, wenn man die meisten Medikamente verschrieben bekommen hat, sondern
dann, wenn man weiß, worum es geht, warum etwas
getan wird oder auch warum etwas nicht getan wird und
zum Beispiel auf das Verschreiben verzichtet werden
kann.
Deswegen halte ich es für sehr bedeutsam, daß wir in
der Gesundheitsreform darauf setzen, daß Patienten
mehr Rechte bekommen, daß sie besser informiert werden und bei Behandlungsfehlern stärker auf Unterstützung zählen können. Wir wollen ausprobieren, welche
Möglichkeiten durch unabhängige Beratungsstellen geschaffen werden können.
({17})
Wir wollen auch das vielfältige Engagement von
Selbsthilfegruppen wieder stärker fördern, als es bislang der Fall war, weil wir der Auffassung sind, daß gerade das Expertentum in eigener Sache in eine Gesundheitspolitik von morgen gehört.
({18})
Zweifelsohne einer der umstrittensten Bereiche in unserem Gesetzespaket sind die von uns vorgesehenen Reformen im Krankenhausbereich. Wir wollen - das ist
der Gedanke, der hinter diesem Gesetzespaket steht ({19})
eine Versorgung, die den Grundsatz „ambulant vor stationär“ konsequent umsetzt. Wir können feststellen: Wir
haben eine deutlich höhere Anzahl von Krankenhausbetten als vergleichbare Länder. Deswegen muß man
sehr wohl die Frage stellen, ob wir in unserem Krankenhausbereich nicht eine veränderte Struktur brauchen.
Dabei müssen wir über die Überkapazitäten reden,
die wir dort aufgebaut haben. Zur Zeit fließt ein Drittel
aller Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in
den Krankenhausbereich. Obwohl es in den letzten Jahren auch von denjenigen, die sich jetzt über das, was wir
machen, so aufregen,
({20})
reichlich Versuche gegeben hat, in diesem Bereich Kosten zu reduzieren, ist der Anteil der Ausgaben hier in
den letzten Jahren zu Lasten der übrigen Bereiche in der
gesetzlichen Krankenversicherung ständig gewachsen.
Die Ausgaben der GKV für die Krankenhausbehandlungen sind von 59 Milliarden DM in 1991 auf 85 Milliarden DM in 1998 gestiegen. Das ist immerhin ein
Wachstum von 44 Prozent in acht Jahren. Das bedeutet,
daß ein immer größerer Anteil der GKV-Ausgaben
durch den stationären Sektor gebunden wird. Das führt
natürlich zu einer erheblichen Kritik aller anderen, die
im Gesundheitswesen arbeiten, weil sie den Eindruck
haben, daß die Bereiche in dieser Hinsicht ungleich behandelt werden.
Trotzdem - auch das wissen wir - ist der Krankenhausbereich sehr sensibel, wenn man dort Veränderungen anstrebt. Das ist der Grund, aus dem wir vorhaben,
die vorgesehenen Reformschritte sehr behutsam einzuleiten. Wir haben statt dramatischer Schnitte lange
Übergangszeiten vorgesehen, weil die Beteiligten Zeit
brauchen, um sich auf Veränderungen einzustellen.
Es gibt keinen einfachen Weg zum Krankenhaus der
Zukunft. Ich meine aber auch, daß die schlichte Forderung nach mehr Geld an den Herausforderungen, die
sich auf dem Weg in die Zukunft der Krankenhäuser
stellen, vorbeigeht.
({21})
Die Krankenhäuser brauchen mehr Transparenz und
Wirtschaftlichkeit. Sie brauchen dafür ein neues, ein
pauschaliertes Finanzierungssystem - das ist übrigens
einer der Punkte in unserem Gesetzespaket, dessen
Notwendigkeit von fast niemandem bestritten wird ({22})
und den Übergang von der dualen zur monistischen
Krankenhausfinanzierung.
Ich weiß wohl, daß die Unzufriedenheit der Beschäftigten in den Krankenhäusern außerordentlich
groß ist. Die Hauptklage dabei ist, daß die dortigen
Einsparungen vor allen Dingen zu Lasten des Pflegepersonals gehen.
({23})
Ich nehme diese Proteste sehr ernst. Aber ein Ausweg
kann nicht sein, zu leugnen, daß die Verantwortung für
eine angemessene Personalausstattung vor Ort bei den
dort Beteiligten liegt und nicht bei der Gesundheitspolitik des Bundes. Deswegen muß der Versuch scheitern,
einen Konflikt zwischen den Tarifparteien auf Dritte zu
verlagern, indem sich die beiden Beteiligten, die sich
nicht einigen können, gegen die Bundesregierung verbünden.
({24})
Ich will es hier ganz deutlich sagen: Aufgabe der
Verantwortlichen vor Ort - das bedeutet insbesondere
der Krankenhausträger und der Krankenhausleitungen ist es, daß sie die für die Erfüllung der Aufgaben notwendige Personalausstattung vorhalten und den bestehenden Gestaltungsspielraum sinnvoll nutzen. Das heißt
aber auch, daß für eine patientenfreundliche Betreuung,
die auch die berechtigten Interessen der Beschäftigten
berücksichtigt, die krankenhausinternen Strukturen auf
den Prüfstand gehören: die Hierarchie, die Mitbestimmung und die Einbeziehung des Pflegepersonals. Darüber muß diskutiert werden und nicht nur darüber, daß
wir mehr Geld benötigen.
({25})
Mit diesem Gesetz setzen wir die Rahmenbedingungen für einen solchen Prozeß. Wir werden alle Anstrengungen für eine Verbesserung der Ablauforganisation
in den Krankenhäusern unterstützen. Ich meine, daß gerade unsere Vorschläge zur Verzahnung des ambulanten
und des stationären Bereichs und die angestrebten Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei der Pflege dazu beitragen, das Abteilungsdenken und die hierarchischen
Strukturen zu überwinden. Das ist der entscheidende
Punkt, mit dem die Kompetenz der Pflegenden in den
Abläufen der Krankenhäuser angemessen berücksichtigt
und die Arbeitszufriedenheit erhöht werden kann.
({26})
Ich möchte noch einige Worte zu Ostdeutschland
sagen.
({27})
Wir wollen eine Angleichung der Lebensverhältnisse in
Ost und West, und wir wollen dies auch im Gesundheitswesen. Ich will diejenigen, die in diesem Zusammenhang sehr keck daherreden, daran erinnern, daß wir
im Vorschaltgesetz die Befristung der Solidaritätszahlungen von West nach Ost im Bereich der Krankenversicherung, die Sie auf drei Jahre festgelegt hatten, erst
aufheben mußten.
({28})
Das heißt, daß die Krankenkassen in Ostdeutschland
auch über das Jahr 2001 hinaus - nur bis zu diesem
Zeitpunkt hatte die frühere Regierung entsprechende
Zahlungen vorgesehen - mit beachtlichen Ausgleichszahlungen der Krankenkassen im Westen rechnen können. Wir haben uns damit dauerhaft von einer Diskussion verabschiedet, die von der ehemaligen Regierung
über die Regionalisierung von Sozialversicherungsbeiträgen geführt wurde, und zwar in der Form, daß sich
diejenigen, denen es gutgeht, von denjenigen abkoppeln,
die eine Unterstützung brauchen.
({29})
Mit dem vorliegenden Gesetz koppeln wir die Ausgaben
in Ostdeutschland nicht mehr an die ostdeutsche Lohnentwicklung, sondern an die gesamtdeutsche. Das ist über
den materiellen Aspekt hinaus ein wichtiger symbolischer
Akt für die Gesundheitspolitik in Ostdeutschland.
({30})
Wir haben außerdem vorgesehen, daß die Festsetzung
der Transferzahlungen von West- nach Ostdeutschland
auf eine Obergrenze entfällt. Statt dessen erfolgen Zahlungen, wie es im Rahmen des RSA notwendig ist.
Ich will nicht verhehlen, daß wir bei den Einnahmen
der Kassen im Osten ein Problem haben. Darüber führen
wir seit Wochen mit allen Beteiligten intensive Gespräche,
({31})
um eine Lösung zu finden, die den Bedürfnissen in Ostdeutschland gerecht wird. Ich bin mir sicher, daß einige
von denen, die zur Zeit so groß tönen, in Ostdeutschland
anders sprechen als im Westen. Denn jede Schwierigkeit
im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich zwischen
West- und Ostdeutschland muß immer im Westen vermittelt werden. Das wissen Sie ganz genau; denn Sie
haben in den letzten Jahren eine solche Debatte geführt.
Wir suchen deswegen nach einer Lösung, die für Ost
und West gleichermaßen tragbar ist.
({32})
Nun komme ich zu dem, was am stärksten kritisiert
wird und angesichts dessen sich alle Beteiligten trotz
ihrer widerstreitenden Interessen - da wollen sie gar
nicht mehr zugeben, daß ihre Interessen nicht konfliktfrei vereinbar wären - im Protest zusammenfinden,
zum Globalbudget. Sprachlich ist das Globalbudget
sicherlich keine Meisterleistung. Es verbirgt sich aber
zunächst einmal nichts anderes dahinter als die Forderung nach Beitragssatzstabilität. Das ist nicht meine Erfindung und nicht die Erfindung der neuen Bundesregierung. Dies ist vielmehr vor zehn Jahren in das SGB V
aufgenommen worden. Meiner Erinnerung nach war ich
damals nicht Ministerin für Gesundheit.
({33})
Die Beitragssatzstabilität ist also in der Gesundheitspolitik ein schon lange anerkanntes Ziel. Es geht doch
nicht um eine Schikane aller Beteiligten. Wir alle haben
in den letzten Jahren schmerzhaft erfahren müssen
- unter anderem, weil Sie die Sozialversicherungsbeiträge ins Unermeßliche haben steigen lassen -,
({34})
wie schädlich die arbeitsmarktpolitischen Folgen sind,
wenn die Sozialversicherungsbeiträge nicht stabil gehalten werden.
({35})
Wir wissen inzwischen - das können Sie nicht leugnen -, daß wir die Sozialversicherungsbeiträge senken
müssen.
({36})
Diese Anforderung stellen wir an die Gesundheitsreform
noch nicht einmal. Wir wollen zunächst einmal nur stabile Beitragssätze, weil wir wissen, daß auch das GeBundesministerin Andrea Fischer
sundheitswesen ein arbeitsmarktpolitisch sensibler Bereich ist. Deswegen müssen wir diesen Mittelkurs fahren. Allen, die mit Blick auf die Arbeitsplätze im Gesundheitswesen meinen, man müsse die Beitragssätze
steigen lassen,
({37})
will ich sagen: Dies wäre ein Eigentor. Dies würde auf
dem Umweg über die Lohnnebenkosten wieder zu einer
Belastung derjenigen führen, die dies fordern.
({38})
Und all diejenigen, die in bezug auf diese Reform das
Rationierungsgespenst an die Wand malen, machen sich
weniger gescheit, als sie es doch eigentlich sind. Jeder,
mit dem man im Gesundheitswesen redet, weiß, was
gemacht wird, obwohl es eigentlich nicht sein muß. Wir
haben bergeweise Erkenntnisse darüber, was im Gesundheitswesen an Überflüssigem gemacht wird, was
man aus Qualitätssicherungsmaßnahmen lernen kann.
Ich sage nicht, daß diese Erkenntnisse im Verhältnis 1:1
umgesetzt werden können.
({39})
Ich sage nur: Wer so tut, als sei dieses System trotzdem
nicht reformbedürftig, wer meint, man müsse nur mehr
Geld fließen lassen, der geht wirklich den billigsten, den
einfachsten Weg, den es gibt, der würde dieses System
dadurch nur schlechter machen.
({40})
Wir müssen uns natürlich immer bewußt sein, daß
wir es hier mit einem schwierigen Komplex zu tun haben, weil es hier einen Widerspruch gibt, der jeden betrifft: Einerseits möchte man so viele Leistungen bekommen, wie man nur kriegen kann, andererseits
möchte man als Versicherter nicht so hohe Beiträge
zahlen. Das sollte man sich doch fairerweise eingestehen. Jeder, der für die Lösung des Problems mehr Geld
fordert, der muß schon sagen, woher er es nehmen will:
über erhöhte Zuzahlungen, über erhöhte Beiträge oder
über höhere Steuern? Steuern müssen auch gezahlt werden; sie fallen nicht vom Himmel. Das heißt: Hier ist
wirklich intellektuelle Redlichkeit gefordert,
({41})
gerade angesichts dessen, daß in der Debatte das Globalbudget als Teufel an die Wand gemalt wird.
({42})
Auch wenn wir sagen, daß wir unterhalb der Grenze
der Mittel bleiben wollen - falls Sie noch eine gute
Idee haben, wie man jemandem Geld abnehmen kann,
ohne daß er schreit: ich bin sehr gespannt darauf -, so
sind die Mittel trotzdem begrenzt. Jedes System muß
mit begrenzten Mitteln auskommen. Deswegen ist es
so wichtig, daß wir im Rahmen dieser Gesundheitsreform Instrumente bereitstellen, wie man mit diesen begrenzten Mitteln - und eine Begrenzung ist notwendig - gut arbeiten und eine hohe Qualität bereitstellen
kann. Vor dieser Aufgabe könnten auch Sie nicht
fliehen.
Wir wollen auch, daß im Rahmen des Globalbudgets
die Gelder zwischen den Sektoren flexibler eingesetzt
werden können. Jetzt sagen alle: Das ist uns zu riskant;
wir fürchten uns vor dem, was bei den Verhandlungen
herauskommt; wir glauben, daß dann die Kassen alles
diktieren werden. - Meine Damen und Herren, heißt das
im Klartext, daß Sie bei sektoralen Budgets bleiben
wollen? Ich dachte, die wären immer kritisiert worden.
Es ist doch in der Gesundheitspolitik eine uralte Debatte,
daß gerade die strenge Trennung der finanziellen Sektoren dazu führt, daß die Leistungen die Sektorengrenzen
nicht überwinden können. Wir müssen auf der Finanzierungsseite dieselbe Flexibilität haben, die wir in der
alltäglichen Arbeit bei der Zusammenarbeit von den Beschäftigten im Gesundheitswesen wollen. Deshalb brauchen wir dieses Globalbudget.
({43})
Lassen Sie mich abschließend noch auf das Argument
der Arbeitsplätze eingehen, da man dies sehr ernst
nehmen muß. Ich will noch einmal darauf hinweisen:
Bei einer Steigerung der Grundlohnsumme kommt jedes
Jahr mehr Geld in das System. Es handelt sich hier nicht
darum, daß weniger ausgegeben wird; hier wird nicht
gekürzt, vielmehr wird der Zuwachs der Ausgaben begrenzt. Deswegen sind einige der kursierenden Zahlen
zu der Frage, wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden
würden, völlig überdimensioniert und haben überhaupt
nichts mit der Realität zu tun. Ich habe es eben schon
einmal gesagt: Wenn wir zu Lasten der Beiträge im
Rahmen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung eine expansive Gesundheitspolitik betreiben, wird
uns das arbeitsmarktpolitisch über die negativen Folgen
der höheren Lohnnebenkosten wieder einholen.
Selbstverständlich ist der Gesundheitsmarkt ein
Wachstumsmarkt, aber dieses Wachstum muß sich nicht
ausschließlich im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung abspielen.
({44})
Wir haben uns entschieden - und das schon vor sehr
langer Zeit -, daß wir im Rahmen der gesetzlichen
Krankenversicherung nur das Notwendige, Ausreichende, Zweckmäßige und das, was wirtschaftlich vertretbar
ist, vorsehen wollen.
({45})
Das Wachstum findet sehr stark in den Bereichen statt,
die darüber hinausgehen. Dabei geht es - das wissen wir
alle - um Wellness, Fitneß, um Kuren, die jenseits dessen liegen, was medizinisch unbedingt notwendig ist.
Hier liegen die großen Wachstumspotentiale. Die Forderung, dieses Wachstumspotential ausschließlich im
Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung auszuschöpfen, geht in die Irre.
Ich will zum Abschluß folgendes sagen: Die heutige
Lesung ist ja die erste Lesung. Das heißt, wir haben
jetzt ein gutes halbes Jahr vor uns, in dem über diesen
Gesetzentwurf weiter debattiert wird. Ich stelle mich
dieser Kritik, und ich weiche ihr nicht aus. Ich denke,
ich habe das in den letzten Wochen hinreichend bewiesen. Ich finde, es ist normal, daß in einer Demokratie die
Menschen unterschiedlicher Meinung sein können. Aber
es geht nach meiner Meinung nicht, daß diese Kritik
eine persönliche Dimension bekommt, und was vor allen
Dingen nicht geht, ist, daß die Auseinandersetzung, die
sich auf Grund der unterschiedlichen Interessen in der
Gesundheitspolitik ergibt, auf dem Rücken von Patientinnen und Patienten ausgetragen wird.
({46})
Ich denke, daß die Behandlung eines kranken Menschen
der ungeeignete Zeitpunkt und der ungeeignete Ort ist,
um über politische Differenzen zu sprechen. Ich erwarte,
daß das von allen Beteiligten respektiert wird,
({47})
und ich erwarte auch, daß es nicht zu Verunsicherungskampagnen kommt.
Wir werden über die Details dessen, was wir vorgelegt haben, noch viel zu reden haben, und es wird dafür
reichlich Gelegenheiten geben. Ich bin trotzdem ganz sicher, daß auch am Ende dieses Diskussionsprozesses
({48})
sich an den Grundlinien nichts geändert haben wird.
({49})
Denn Patientennähe, Kooperation, hohe Qualität und
Wirtschaftlichkeit sind einfach die Gebote der Stunde
bei einer modernen Gesundheitspolitik.
In diesem Sinne!
({50})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hermann Kues, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Fischer, Sie können hier heute morgen so schön reden, wie
Sie wollen: Für mich steht eines fest: Heute ist ein
schlechter Tag für die Patientinnen und Patienten in
Deutschland.
({0})
Was die rotgrüne Koalition hier als Reform verkaufen
will, ist in Wirklichkeit nur eines: ein verhängnisvoller
Rückschritt für die medizinische Versorgung unserer
Bevölkerung.
({1})
Das Gesetz ist eine Ansammlung schöner Überschriften
und schlechter Inhalte. Das Ziel, das Sie damit verfolgen, ist klar: Sie wollen verschleiern, worauf es hinauslaufen soll: auf ein von der Krankenkassenbürokratie gesteuertes Gesundheitswesen. Der Kranke wird nur noch
als Kostenfaktor betrachtet, und die im Gesundheitswesen Tätigen werden zu Erfüllungsgehilfen degradiert.
({2})
Bleibt es bei den Plänen der Bundesregierung, dann
werden nicht mehr die Ärzte, sondern die Verwaltungen
der Krankenkassen entscheiden, ob eine medizinische
Behandlung notwendig ist,
({3})
ob sie erbracht werden soll und ob sie bezahlt wird.
({4})
Dies wird sich nach der jeweiligen Kassenlage und daher nicht ausschließlich nach den Bedürfnissen der
Kranken richten. Dieser Weg führt in die Irre, und wir
gehen ihn nicht mit.
({5})
Frau Ministerin, Sie werden am Ende eines erreichen,
was noch keinem Gesundheitspolitiker vor Ihnen gelungen ist, nämlich steigende Beitragsbelastungen der Versicherten und gleichzeitig eine Verschlechterung der
Leistungen für die Kranken.
({6})
Das, was auffällig ist, ist Ihre Sturheit und Dickfelligkeit
gegenüber der Kritik der Fachwelt.
({7})
Hinzu kommt, daß Sie mit Ihren Kürzungsorgien bei Arbeitslosen und bei Rentnern zu Mindereinnahmen in Höhe
mehrerer Milliarden Mark bei der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen. Beispielsweise entziehen Sie mit
Ihren Rentenkürzungen den Krankenkassen im Jahr 2000
mehr als 500 Millionen DM und im Jahr 2001 mehr als
1,5 Milliarden DM an Beitragseinnahmen.
({8})
Mit diesen Verschiebebahnhöfen zur Deckung Ihrer
Haushaltslöcher gefährden Sie die finanzielle Grundlage
der Krankenversicherung und steigern Sie, entgegen
Ihren Behauptungen und Ihren Absichten, die Lohnnebenkosten.
Verlierer der Reform sind - ich sage das noch einmal - die Patientinnen und Patienten. Ich bin sehr damit
einverstanden, gesundheitspolitische Auseinandersetzungen nicht auf dem Rücken der Patienten auszutragen.
Noch besser hätte ich es gefunden, wenn Sie - und auch
Herr Dreßler und der Bundeskanzler - dies schon im
letzten Bundestagswahlkampf beherzigt hätten.
({9})
Nach dem „630-Mark-Murksgesetz“ kommt jetzt das
„Gesundheits-Pfuschgesetz“.
({10})
Wie ein roter Faden zieht sich durch alle rotgrünen Gesetze der Geist der staatlichen Lenkung und der Bevormundung. Sie glauben, alles zu wissen und das den Bürgern vorschreiben zu müssen.
Jemand aus Ihren eigenen Reihen hat das so gut formuliert, wie ich es gar nicht könnte. Ihr langjähriger
Fraktionsvorsitzender Hans-Ulrich Klose, ein unverdächtiger Zeitgenosse, hat folgendes gesagt - wörtliche
Rede! -:
Mein Hauptproblem ist die Philosophie, die dem
Entwurf zugrunde liegt. Da wird in starkem Maße
reglementiert, und man tut so, als ob es eine richtige, für alle Patienten anwendbare Medizin gäbe.
Die wird vorgegeben nach der Melodie: Wir sagen
euch, nach welcher Methode die Ärzte zu behandeln haben.
Herr Klose sagt weiter folgendes:
Ich habe ein anderes Menschenbild als jenes, das
diesem Entwurf zugrunde liegt. Es geht um die
grundsätzliche Entscheidung, ob man auf Reglementierung setzt oder auf individuelle Verantwortung.
Kollege Klose hat recht.
({11})
Verbieten, kontrollieren und reglementieren, das ist
Ihre ganze Philosophie, und damit werden Sie scheitern.
Innerhalb weniger Monate haben Sie ein in den letzten
Jahren finanziell stabiles und verläßliches Gesundheitswesen auf einen verhängnisvollen Kurs gebracht.
({12})
Das Ergebnis ist schon jetzt absehbar:
Erstens. Mit einem Übermaß an Bürokratie ersticken
Sie jeden Leistungswillen und halten Sie die im Gesundheitswesen Tätigen von ihrer eigentlichen Aufgabe
ab, nämlich der Zuwendung zu den Patienten.
Zweitens. Mit der Budgetierung riskieren Sie, daß
Gesundheitsleistungen - das gilt, denken Sie an die
Grundlohnentwicklung, vor allem auch für die neuen
Bundesländer - künftig nach den Prinzipien einer Mangelverwaltung zugeteilt werden, ganz abgesehen davon,
daß Sie damit Tausende von Arbeitsplätzen gefährden.
Drittens. Mit der Verlagerung der Macht einseitig in
die Hände der Krankenkassen merzen Sie alle auf selbständiges Handeln ausgerichteten Elemente in der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Am Ende steht
nicht mehr der Arzt, der seine Patienten nach gesundheitlichen Bedürfnissen versorgt, sondern der Arzt der
Kassen, der seine Patienten nach den Regeln und ökonomischen Bedürfnissen der Kassen verarztet. Das ist
ein falscher Weg, und den gehen wir nicht mit.
({13})
Viertens. Trotz all der von Ihnen geplanten juristischen Regelungen und Datenpyramiden drohen der gesetzlichen Krankenversicherung durch Ihre Gesetze Defizite in Höhe mehrerer Milliarden Mark. Die Kassen
gehen von Mehrausgaben allein durch die Übernahme
der Krankenhausfinanzierung von 8 Milliarden DM aus.
Die AOK Baden-Württemberg rechnet mit Belastungen
für die GKV durch Ihre Gesetze von bis zu 0,7 Beitragssatzpunkten. Das wollte ich zum Thema Lohnnebenkosten sagen.
Fünftens. Ein Ergebnis ist klar: Die Verlierer dieser
Gesetzespläne sind die Patienten, insbesondere die sozial Schwachen, die sich Gesundheitsleistungen anderweitig nicht beschaffen können. Sozialdemokraten sollten sich dafür schämen.
({14})
Ich will noch einmal an die Vergangenheit erinnern,
damit wir uns auf die Zahlen verständigen: 1997 und
1998 hatte die gesetzliche Krankenversicherung Überschüsse von über 1 Milliarde DM jährlich
({15})
und ist mit finanziellen Reserven von 8 Milliarden DM
in das Jahr 1999 gestartet, und dies - mit Ausnahme des
Arzneimittelbereichs - ohne Budgets.
Daß Ihre Taschenrechnerpolitik, völlig überstürzt und
völlig unausgegoren Maßnahmen zu ergreifen, weil Sie
vor der Wahl etwas Falsches versprochen hatten - das
haben Sie im vergangenen Jahr gemacht -, nicht funktioniert, können Sie an der Entwicklung im ersten
Quartal 1999 sehen. Die Kassen haben ein Defizit von
über 2 Milliarden DM. Die Prognosen des Chefs der Ersatzkassen lauten, daß sie für das Jahr 1999 ein Defizit
von über 8 Milliarden DM haben werden.
Ausgerechnet dort, wo die Ausgaben gedeckelt sind,
explodieren sie am meisten: bei den Arzneimitteln um
14 Prozent und bei den Krankenhauskosten um 4 Prozent. Es besteht also kein Zweifel: Durch Ihre Gesetze
klafft schon jetzt ein großes Loch bei den Finanzen.
Ein Wahlgeschenk war eine teilweise Rücknahme
von Zuzahlungen. Ich habe jetzt mit Interesse gelesen,
daß Sie im Argumentationspapier für die Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen begründen, weshalb Zuzahlungen wichtig und unabdingbar sind. Vor
diesem Hintergrund wäre es interessant zu diskutieren,
wie Sie die Menschen im Wahlkampf hinters Licht
geführt haben.
({16})
Sie verlagern einseitig Kosten für die Krankenhäuser
auf die Krankenkassen und entziehen damit den Krankenkassen in hohem Umfang finanzielle Mittel. Andererseits knebeln Sie die Krankenhäuser, die Ärzte und
den Arzneimittelbereich durch willkürliche Ausgabenobergrenzen in Form von Budgets.
Das Herzstück Ihrer Veränderungen, nämlich die
Budgetierung, gefährdet die medizinische Versorgung.
Es ist ein großer Irrtum - hier sind Sie, Frau Ministerin
Fischer, völlig auf der falschen Linie -, zu glauben, die
Mittel für den notwendigen medizinischen Bedarf der
Bevölkerung könnten durch strikte Anbindung der Ausgaben an die Entwicklung der Beitragseinnahmen
gedeckt werden.
Wer patientenorientiert denkt, kann nicht bereits
heute durch schematische Budgets festlegen, was die
Bevölkerung künftig an medizinischen Leistungen benötigt; denn die Häufigkeit und die Schwere von Krankheiten richten sich nicht nach staatlichen Vorgaben und
den von Bürokraten festgelegten finanziellen Mitteln.
Wer so handelt, nimmt bewußt Leistungskürzungen und
eine schlechtere medizinische Versorgung in Kauf.
({17})
Der Bundeskanzler, der heute nicht da ist, der sich
aber ausdrücklich für das Gesetz ausgesprochen hat
- das heißt bei ihm natürlich nichts, erkundigen Sie sich
bei Herrn Riester -, wird nicht zuletzt den Menschen in
den neuen Ländern das Vorhaben erklären müssen. Er
wird zum Beispiel der rheumakranken Rentnerin erklären müssen, weshalb wegen des Budgets eine notwendige Massage nicht verordnet wird. Er wird auch erklären müssen, weshalb die Hüftgelenksoperation des Kassenpatienten von Dezember auf das nächste Jahr verschoben und statt dessen der Privatpatient, dessen Behandlung das Budget nicht belastet, vorgezogen wird. Er
wird der schwerkranken Frau auch erklären müssen,
weshalb sie sich mit einem kostengünstigen, aber weniger wirksamen Mittel begnügen muß. Das ist allein Folge Ihrer unsozialen Politik, die auf die Knochen der
Schwächsten geht.
({18})
Wir haben mit der letzten Gesundheitsreform gezeigt, in welche Richtung wir wollen.
({19})
Wir haben intelligente, beim einzelnen Leistungserbringer im Gesundheitswesen ansetzende Lösungen wie
Arzneimittelrichtgrößen oder Regelleistungsvolumina
entwickelt, die Sie mit einem Federstrich unwirksam
gemacht haben, bevor sie überhaupt zur Anwendung
kamen. Statt dessen greifen Sie auf alte Kamellen wie
die simple Ausgabendeckelung zurück. Diese Form der
kollektiven Haftung von Leistungserbringern ist Gift für
die individuelle Verantwortung jedes einzelnen Krankenhauses, jedes Arztes und Patienten.
({20})
Sie beseitigen damit jeden Anreiz, mit den Mitteln
der gesetzlichen Krankenversicherung im eigenen Interesse wirtschaftlich umzugehen. Abgesehen davon sind
die Regelungen für das Globalbudget, wie sie jetzt im
Gesetz festgelegt sind, so kompliziert, daß es in der Umsetzung weder transparent noch praktikabel sein kann.
Es ist falsch, die Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Ärzte und Patienten aufzuheben und den
Einfluß einer anonymen Krankenkassenbürokratie ins
Unermeßliche zu steigern.
Die Krankenkassen sollen zu einer gigantischen Datensammel- und Überwachungsmaschinerie werden. Sie
selbst wehren sich dagegen. In ihrer Stellungnahme vom
11. Mai 1999 sagen die Spitzenverbände der Krankenkassen, daß sie befürchten, daß der Medizinische Dienst
zu einer „Datensammelstelle und zu einer zentralen
Steuerungsbehörde umfunktioniert“ wird. Sie sind auch
„gegen eine kostenträchtige Monopolisierung der Medizinberatung“. Also: Die Krankenkassen selbst warnen
vor einer Aufblähung des Verwaltungsapparates. Das
sollten Sie ernst nehmen.
Im übrigen: Wo bleiben die von Ihnen so häufig genannten Rechte der Versicherten gegenüber den Kassen
und gegenüber dem Medizinischen Dienst? Die Patienten werden schlichtweg vergessen; der Datenschutz
bleibt auf der Strecke. Ein besonders tiefer Einschnitt in
die Patientenrechte offenbart sich in der ungeahnten
Leidenschaft der rotgrünen Koalition für das Sammeln
von Daten. Die ehemaligen Boykotteure der Volkszählung wollen den „gläsernen Patienten“ und den „gläsernen Arzt“ schaffen.
({21})
Die Kollegin Knoche könnte sich dazu äußern. Sie hat
schon ähnliches formuliert. Dieser Überwachungsstaat
soll ausgerechnet unter tatkräftiger Mithilfe von grünen
Politikerinnen geschaffen werden, für die dies noch vor
einigen Jahren eine Schreckensvision war.
Ich zitiere noch einmal Herrn Klose. Er hat gesagt:
Das am meisten gebrauchte Hauptwort in dem
Entwurf lautet „Richtlinie“. Bei solchen Wörtern
fröstelt es mich immer - und es sollte auch die SPD
frösteln lassen.
Herr Klose hat wiederum recht.
({22})
Wir werden in den kommenden Wochen die Alternativen auch mit der Bevölkerung diskutieren. Wir werden
die Alternativen aufzeigen: entweder ein freiheitliches
Gesundheitswesen, in dem Versicherte ihre Krankenkasse, ihren Arzt frei wählen und sich für verschiedene
Gestaltungsformen ihrer medizinischen Versorgung entscheiden können, oder eine Bevormundung und Reglementierung der Versicherten und Ärzte. Wir sagen: entweder die solidarische Absicherung einer hochwertigen
medizinischen Versorgung und die Übernahme von
Eigenverantwortung bei kleinen Risiken oder die Vollversorgung auf niedrigerem Niveau mit Leistungsausgrenzungen und eine Reduzierung der medizinischen
Versorgung.
Die Pläne der rotgrünen Koalition sind ein Irrweg. Es
ist zu hoffen, daß sie so nie Wirklichkeit werden.
({23})
Das Wort hat nun
Kollege Rudolf Dreßler, SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir einen
kleinen Ausflug
({0})
in die intellektuelle Tiefe der gerade gehörten Ausführungen.
({1})
Ich habe während der gesamten Rede des CDUVertreters an einer einzigen Stelle eine einzige Alternative zu unserem Gesetzentwurf vernommen.
({2})
Diese Alternative hieß - ich zitiere ihn jetzt wörtlich -,
die CDU trete für Richtlinien ein. Daran werde sie festhalten.
({3})
- Die Richtgröße ist eine Richtlinie, Herr Kollege Zöller, ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht. - Zwei
Minuten später zitiert er meinen Fraktionskollegen
Klose, der sich genau gegen die Einführung von Richtlinien in ein Gesetz wendet, und führt ihn als Kronzeugen gegen uns für die CDU/CSU an. Um 8.13 Uhr heißt
es also: Richtlinie ist Kappes. Um 8.15 Uhr heißt es
jedoch: Sie ist die Lösung des Problems, sobald die
CDU sie im Munde führt.
({4})
Meine Damen und Herren, eine Opposition, die ernstgenommen werden will, macht das, was die SPD-Fraktion
1996, 1992 und 1989 gemacht hat, als wir hier große
Auseinandersetzungen um die Gesundheitspolitik hatten:
Sie legt dem Hause eine schriftliche, gesetzgebungsreife
Alternative vor. Sie haben bis zu dieser Minute nicht
einen Satz vorgelegt, nicht einen einzigen Satz!
({5})
Mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf erfüllen
die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
den zweiten Teil eines Versprechens, das wir vor den
Bundestagswahlen gegeben haben, nämlich des Versprechens, zunächst die gröbsten Ungerechtigkeiten aus
der CDU/CSU-F.D.P.-Zeit zu beseitigen - das haben wir
mit dem sogenannten Vorschaltgesetz getan, das seit
dem 1. Januar 1999 in Kraft ist - und sodann die
gesundheitliche Versorgung auf eine neue, verläßliche
Basis zu stellen. Das tun wir mit dem heute zur ersten
Lesung anstehenden Gesetzentwurf. Anders ausgedrückt: Die Koalition hat in Sachen Umgestaltung des
Gesundheitswesens Wort gehalten.
Der vorliegende Entwurf bricht mit der Tradition fast
aller Gesundheitsgesetze der letzten Jahrzehnte.
({6})
In denen wurde nämlich Reform als etwas verstanden,
das mit Leistungsverschlechterungen und zusätzlichen
Belastungen für die Patienten einherzugehen hatte.
Damit ist Schluß, meine Damen und Herren.
({7})
Der vorliegende Entwurf erhöht keine einzige Zuzahlung, grenzt keine einzige Leistung aus und steuert
gleichwohl das Ziel an, die Beitragssatzentwicklung zu
stabilisieren. Mit ihm wird die Krankenversicherung
ihren Beitrag zur wirtschaftlich erwünschten Entlastung
bei den Lohnzusatzkosten leisten.
({8})
Nach Aussage des Gesundheitsministers der abgewählten Koalition, von Herrn Seehofer, verfügt unser
Gesundheitswesen über Rationalisierungsreserven von
rund 25 Milliarden DM.
({9})
Diese Zahl kommt den tatsächlichen Verhältnissen
ziemlich nahe. Rationalisierungsreserven aber, Herr
Lohmann - das liegt in der Natur der Sache -, sind verdeckte Unwirtschaftlichkeiten, die beseitigt werden
können, ohne daß sich an der Qualität und LeistungsDr. Hermann Kues
fähigkeit des Gesundheitswesens etwas ändert. Genau
das tut die Koalition mit diesem Gesetzentwurf.
({10})
Gesundheit, meine Damen und Herren, gehört im
Bewußtsein der Menschen zu den höchsten, in besonderem Maße schützens- und erhaltenswerten Gütern. Wir
machen Schluß damit, daß dieses Bewußtsein der Menschen noch länger zu einem Alibi für das Geldverplempern umgebogen wird.
({11})
Wir wollen die 25 Milliarden DM an Wirtschaftlichkeitsreserven, von denen Herr Seehofer gesprochen hat,
freisetzen, indem wir die Strukturen unseres Gesundheitswesens verändern, jene Strukturen also, die das
Geldverplempern erst möglich werden lassen.
Die Kritiker des vorliegenden Gesetzentwurfs sind
zahlreich. Es wäre ein Wunder, wenn es anders wäre;
denn Gesundheitsgesetzen wird prinzipiell dieses
Schicksal zuteil. Das ist also für die Koalitionsfraktionen weder Anlaß zur Besorgnis noch Anlaß zu politischen Kursänderungen. Anlaß zur Besorgnis allerdings
bietet der Mangel an Glaubwürdigkeit, der mit dieser
Kritik vielfach verbunden ist. Ich mache das an drei Beispielen deutlich.
Fangen wir bei der Opposition in diesem Hause an,
die am Gesetzentwurf der Koalition kein gutes Haar
läßt. Wenn die Damen und Herren von CDU/CSU und
F.D.P. den Weg der Koalition für falsch halten, dann
sollten sie dem Hause
({12})
- ich halte Ihnen das erneut vor; Herr Lohmann, ich
weiß, daß es unangenehm ist, wenn Sie hier mit leeren
Händen auftauchen, aber ich muß es Ihnen immer
wieder sagen, damit jeder sieht, daß Sie leere Hände
haben ({13})
nicht länger vorenthalten, was ihrer Auffassung nach der
richtige Weg ist. Das aber bleibt offenkundig Ihr Geheimnis. Außer Genöle und Genörgel liegt nichts vor. Es
gibt noch nicht einmal den Hauch eines alternativen
Konzeptes. Oder wollen Sie, meine Damen und Herren
von CDU/CSU und F.D.P., uns wirklich einreden, die
Fortsetzung Ihrer eigenen Gesundheitspolitik der letzten
Jahre sei das Konzept?
({14})
- Ich will dann auch festhalten, was das heißt: Fortsetzung der Leistungsausgrenzung für die Versicherten,
noch mehr Zuzahlungen für die Kranken.
({15})
Ich stelle fest: Das war Ihre Politik der letzten Jahre. Die
wollen Sie fortsetzen. Wir werden Sie daran hindern,
meine Damen und Herren!
({16})
Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, daß wir diesen
gesundheitspolitischen Kurs fortsetzen werden? Was
also ist nun die Alternative der Opposition? Wir hören,
und wir warten. Wollen wir einmal sehen, ob im Laufe
dieser Debatte etwas kommt.
({17})
Das zweite Beispiel mangelnder Glaubwürdigkeit des
Kritikerchors liefern uns Teile der Industrie. Die Forderung der Unternehmen nach stabilen Lohnzusatzkosten
ist verständlich. Aber wenn sie gilt, dann gilt sie für alle.
Es kann nämlich nicht sein, daß einerseits im Gewande
von Bundesverband der deutschen Industrie oder von
Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände etwas einzufordern ist und dann im Gewande der Pharma- und
Medizingeräteindustrie alles getan wird, damit diese
Forderung unerfüllbar bleibt. Wenn stabile Lohnnebenkosten für Siemens und Hoechst wichtig sind, dann können sie für die Firmenpolitik von Siemens Medizingeräte oder Hoechst Pharma nicht gleichgültig sein. Hier
ist Glaubwürdigkeit angebracht, meine Damen und Herren.
({18})
Das dritte Beispiel läßt sich vortrefflich bei Krankenhäusern ansiedeln, vor allem bei der Deutschen
Krankenhausgesellschaft. Die Wirtschaftlichkeitsreserven im Krankenhaus seien restlos erschöpft, heißt es da.
({19})
Diese Behauptung verdient, höflich formuliert, Skepsis.
Eine differenzierte Betrachtung zeigt nämlich, daß es
höchst effektive, qualifizierte Krankenhäuser gibt, die
keine zusätzlichen Reserven mehr haben, und sie zeigt,
daß es, bezogen auf die Wirtschaftlichkeit, Krankenhäuser gibt, bei denen eigentlich der gnädige Mantel des
Vergessens angebracht wäre. Das können wir uns nicht
mehr leisten, meine Damen und Herren. Also auch hier
bitte mehr Glaubwürdigkeit!
Ich erlebe immer wieder das gleiche Ritual: Jede
Seite erzählt, wo in den anderen Sektoren Wirtschaftlichkeitsreserven stecken. Das weiß ich aber alles
schon. Ich wollte von den Vertretern jedes einzelnen
Sektors eigentlich wissen, wo sie bei sich selbst, im
eigenen Verantwortungsbereich, Wirtschaftlichkeitsreserven orten. Sankt Florian ist mittlerweile zum
Schutzpatron der Leistungserbringer im Gesundheitswesen geworden.
Der vorliegende Gesetzentwurf setzt nun neue Akzente in der Grundorientierung unseres Gesundheitswesens. Er verknüpft den Gedanken einer stärkeren
wettbewerblichen Orientierung mit dem einer konsequenten Anwendung der sozialstaatlichen Prinzipien.
({20})
Da, wo es möglich ist, wollen wir unser Gesundheitswesen zukünftig wettbewerblich orientieren. Aber wir wissen: Der Markt der Gesundheitsleistungen ist kein
Markt im klassischen Sinne. Der Nachfrager, also der
Patient, geht nicht ins Krankenhaus, weil er Lust hat,
sich den Blinddarm entfernen zu lassen,
({21})
sondern weil er entfernt werden muß. Er kann auch nicht
die Blinddarmoperation durch eine Mandeloperation
ersetzen, so wie der Verbraucher Fleisch durch Fisch.
Eines der konstitutiven Merkmale jedes funktionierenden Marktes, den autonomen, souveränen Konsumenten,
gibt es im Gesundheitswesen nicht oder es gibt ihn nur
sehr begrenzt.
({22})
Eine weitere Besonderheit kommt hinzu. Der Gesundheitsmarkt reagiert invers. Hier bestimmt nicht die Nachfrage das Angebot, sondern das Angebot die Nachfrage.
Wir könnten die Zahl der Krankenhausbetten um Tausende erhöhen, alle wären belegt. Wir könnten noch 50 000
Ärzte mehr zur Versorgung zulassen, die Wartezimmer
wären gleichwohl voll. Und wir könnten die Zahl der
Arzneimittel verdoppeln, alle würden verordnet.
({23})
Die dritte Besonderheit ist schließlich die fehlende
Markttransparenz. Diese aber ist Voraussetzung für
funktionierende Märkte. Im Gesundheitswesen ist
Markttransparenz gar nicht herstellbar, weil deren konstitutive Instrumente - das sind Information und Werbung - eben nicht anwendbar sind. Oder kann sich etwa
irgend jemand in diesem Hause bei den Apotheken Zustände nach dem Motto vorstellen: Rosenapotheke - das
Angebot der Woche: 20 Aspirin für 1,99 DM? Das ist
doch wohl undenkbar, meine Damen und Herren.
Auch wenn Marktideologen niemals begreifen werden, gilt eine Grundsätzlichkeit: Die Gesundheitsversorgung der Menschen ist nicht marktwirtschaftlich organisierbar.
({24})
Der Gesetzentwurf der Koalition vermeidet deshalb
diesen Irrweg. Allerdings intensivieren wir den Wettbewerb. Wir gewähren den Krankenkassen, die über das
Instrumentarium der Nachfrageseite verfügen müssen,
zukünftig entscheidende Mitgestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten, was das Gesundheitsangebot angeht, also bei den Arzneimitteln, bei den Ärzten und
Zahnärzten und bei den Krankenhäusern. Das bedeutet
mehr Wettbewerb unter den Leistungserbringern, wofür
Sie in den vergangenen Jahren kein Jota politischer Aktivität in diesem Hause gezeigt haben.
({25})
Wir intensivieren aber auch den Wettbewerb unter
den Krankenkassen selbst, indem wir ihnen zusätzliche
Wettbewerbsinstrumente an die Hand geben. Im Rahmen der sogenannten Integrationsversorgung können sie
zukünftig speziell auf die Bedürfnisse ihrer Versicherten
zugeschnittene innovative Versorgungsstrukturen anbieten. Sie können bestimmte Versorgungsnetze für alle
oder spezielle Versorgungsnetze für erkrankte Gruppen
wie zum Beispiel für Diabetiker oder für Rheumakranke
einrichten und anbieten.
Die für die Beteiligten wohl schmerzhaftesten Neuerungsprozesse gehen in diesem Gesetzentwurf von jenen
Lösungsvorschlägen aus, vor denen sich CDU/CSU und
F.D.P. - manchmal sogar klientelbedingt - immer gedrückt haben.
({26})
Unser Gesundheitswesen, meine Damen und Herren,
hat ein Kapazitätsproblem. Wir haben zu viele Ärzte,
wir haben zu viele Krankenhausbetten und zu viele Arzneimittel. Wenn wir 1976 mit 36 000 Kassenärzten die
Versorgung sichergestellt haben und heute behaupten, sie
mit 112 000 Ärzten sicherstellen zu müssen, dann ist das
ein Unterschied von über 300 Prozent. Selbst wer Nachholbedarf, medizinischen Fortschritt und demographische
Veränderungen in Rechnung stellt, weiß, das kann weder
so weitergehen, noch kann es so bleiben. Vor allen Dingen aber kann es nicht mehr bezahlt werden.
Wenn im vergleichbaren Frankreich 49 Krankenhausbetten auf 10 000 Einwohner kommen, um Französinnen und Franzosen adäquat stationär zu versorgen,
wieso sollen wir dann in Deutschland 72 Betten auf
10 000 Einwohner benötigen? Jeder weiß: Auch das
kann nicht so bleiben, weil es unbezahlbar ist.
Wir haben in Deutschland rund 50 000 Arzneimittel
am Markt, viele davon nicht einmal zugelassen, sondern
lediglich nach Uraltrecht registriert. Die Schweiz kommt
mit rund einem Fünftel dieser Zahl aus.
({27})
Wer behauptet, diese 50 000 Präparate seien für die
qualitativ hochstehende Versorgung der Menschen notwendig, gehörte eigentlich aus dem Verkehr gezogen,
weil er damit zugleich behauptet, er habe dabei auch
noch einen Überblick.
({28})
Jeder Arzt, meine Damen und Herren, der mehr als 600
Präparate in seinem Verordnungsspektrum hat, wird von
seinen Kollegen offen als Gesundheitsrisiko gebrandmarkt. Das alles sind Überkapazitäten - teuer und weitgehend nutzlos.
Der vorliegende Gesetzentwurf belegt, daß die
Koalitionsfraktionen diese Überkapazitäten zurückführen wollen. Wir wissen, wer die Kapazitätsfrage im
Gesundheitswesen nicht löst, wird schon mittelfristig
das Ziel, eine leistungsfähige, bezahlbare Gesundheitsversorgung für alle in Deutschland sicherzustellen,
ernsthaft gefährden.
Herr Lohmann, Ihre Zwischenrufe amüsieren mich.
({29})
Jetzt stelle ich Ihnen einmal eine Frage, Herr Lohmann.
Während Ihrer Regierungszeit ist das ambulante Operieren in Deutschland eingeführt worden. In dieser relativ kurzen Zeit hat sich die Zahl der Kniearthroskopien
verdoppelt. Die Knie in Deutschland sind gleich geblieben. Haben Sie das bei Ihren Nichtantworten auf die
Kapazitätsfrage in Deutschland jemals überlegt? Nichts
haben Sie gemacht!
({30})
Herr Lohmann, ich kann Ihnen noch ein zweites Beispiel geben.
({31})
- Nun seien Sie einmal ganz lieb, Herr Möllemann. Sie
als gesundheitspolitischer Sprecher der alten Koalition
während der Regierung haben genausowenig Antworten
zu diesem Problem gegeben.
({32})
Ich komme zurück auf die Kassenärztliche Vereinigung in einem Bereich. Da sind, meine Damen und Herren, Honorare festgelegt worden in folgendem Verhältnis: 200 Kinderärzte haben die gleiche Honorarsumme
bekommen wir acht Laborärzte.
({33})
Das ist alles bekannt. Aber es ist mit „medizinisch notwendig“ nicht zu begründen. Diese Zahlen lassen sich
reihenweise fortsetzen. CDU/CSU und F.D.P. haben in
den vergangenen 16 Jahren zu diesem Überkapazitätsproblem geschwiegen. Sie haben keine Aktivitäten entwickelt. Wir müssen heute die Probleme der letzten
16 Jahre lösen, meine Damen und Herren. Nichts anderes ist Sachverhalt.
({34})
In der ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung wird es eine strikte, an Verhältniszahlen orientierte bedarfsgerechte Zulassung geben. Das aber heißt:
Das derzeit praktizierte Überlaufmodell der CDU/CSU
und F.D.P., das zwar Zulassungsbegrenzungen bei nicht
bedarfsgerechter Niederlassung vorsah, sie aber nie
praktizierte, wird durch eine strengere Regelung ersetzt,
die Zulassungssperren nicht nur andeutet, sondern sie
auch anwendet. Denn wo das Boot voll ist, ist es voll.
Wo alle Boote voll sind, sind auch alle Boote voll, mit
allen Konsequenzen.
Mit größter Gelassenheit sehen wir der Verfassungsklage des Marburger Bundes gegen diese Regelung entgegen; denn die Bestimmung des Grundgesetzes, meine
Damen und Herren, die vorschreibt, daß alle zulassungswilligen Ärzte irgendwie auch zugelassen werden
müßten - und sei es um des finanziellen Ruins der
Krankenversicherung willen -, ist bis heute nicht
bekanntgeworden. Das Verfassungsgerichtsurteil in
Sachen ärztlicher Niederlassungsfreiheit aus den 60er
Jahren ist dabei kein Fall, auf den man sich berufen
kann. Es wurde zu Zeiten von Ärztemangel gesprochen;
heute haben wir das Gegenteil. So gesehen gilt zwar,
daß man auf hoher See und vor Gericht immer in Gottes
Hand ist, aber da fühlen wir uns mit unserem Gesetzesvorschlag diesmal besonders gut aufgehoben.
({35})
In der Krankenhausversorgung wollen wir den Abbau
zusätzlicher Betten. Wir erreichen das - übrigens in
Übereinstimmung mit den sozialdemokratisch geführten
Ländern - durch eine neugeordnete Krankenhausbedarfsplanung. Krankenkassen und Länder planen den
Rahmen der Krankenhauslandschaft zukünftig gemeinsam. Das bedeutet, sie planen im Einvernehmen. Rahmenplanung heißt eben nicht Einzelbettplanung. Weil
das so ist, wird der sogenannte Kontrahierungszwang
- also die Pflicht der Krankenkassen, mit allen Krankenhäusern, die im Bedarfsplan aufgenommen sind,
Versorgungsverträge zu schließen - aufgehoben.
({36})
Da mögen sich einige noch so sehr in Rage reden - an
diesem strategischen Punkt entscheidet sich, ob diese
Strukturreform ein Erfolg wird oder nicht.
({37})
Diese Veränderung in der Planung wird durch eine
Veränderung in der Finanzierung unterstützt. Wir werden schrittweise die monistische Finanzierung einführen.
Das heißt: Die Krankenkassen werden zukünftig auch die
Investitionskosten der Krankenhäuser tragen. Dieser Umfinanzierungsprozeß wird 2008 abgeschlossen sein.
({38})
- Herr Zöller, hätten Sie zugehört, dann hätten Sie gerade einen längeren Beitrag von mir zum Kapazitätsabbau
vernommen.
({39})
Da Sie aber weggehört haben, stellen Sie jetzt die dumme Frage, wie das finanziert wird. Hören Sie in dieser
Debatte zu und machen Sie nicht solche wirklich dummen Zwischenrufe!
({40})
Eine weitere Neuerung in der Finanzierung wird die
Einführung eines einheitlichen leistungsorientierten
Preissystems im Krankenhaus sein. Ab 2003 werden
nicht mehr Kosten erstattet, sondern Leistungen bezahlt.
Die Entfernung eines Blinddarms ist in der Klinik der
Maximalversorgung die gleiche Leistung wie in einem
Kreiskrankenhaus. Deshalb wird es zukünftig dafür an
beiden Plätzen den gleichen Preis geben. Die Zeit krankenhausindividueller Preise wird vorbei sein.
({41})
Ich bin mir sicher, dieses leistungsorientierte Preissystem wird die Krankenhauslandschaft in Deutschland im
Hinblick auf mehr Wirtschaftlichkeit nachhaltig verändern - nachhaltiger als alle neuen Planungs- und Investitionsregelungen zusammen. Auch in diesem Zusammenhang stelle ich fest: Der Erfolg des gesamten Reformgesetzes wird sich an der Durchsetzung und dem
Erfolg der Krankenhausregelungen entscheiden.
Ich will mir an dieser Stelle ein Wort an die große
Zahl der Mitstreiter im Wortsinne gönnen. Meine Damen und Herren, Reform- und Veränderungsbereitschaft
erkennt man in der Regel an der Dialogfähigkeit.
({42})
Diese hängt allerdings von der Qualität der Argumente
ab und nicht von deren Lautstärke oder Rüpelhaftigkeit
im Tonfall.
({43})
Jeder muß wissen, auf was er sich einläßt. Ist man erst
einmal in der Ecke der Dialogunfähigkeit angelangt,
wird man so schnell nicht wieder herausfinden.
({44})
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den
Krankenhäusern leisten wertvolle und unverzichtbare
Arbeit. Sie muß gerecht entlohnt werden. Das ist ohne
eine finanziell leistungsfähige und stabile Krankenversicherung unmöglich. Diese zu sichern dient also auch
den Krankenhausbeschäftigten. Die Gewerkschaften
im öffentlichen Dienst, die auch die Interessen der
Krankenhausbeschäftigten vertreten und ihnen Gehör
verschaffen, stehen vor einem schwierigen Abwägungsprozeß. Sie müssen diese Interessen mit den Interessen
aller ihrer anderen, die Krankenversicherung durch Beiträge finanzierenden Mitglieder vereinbaren. Diese
Interessenabwägung muß vollzogen werden, so schwierig sie auch sein mag. Deshalb treten wir in diesem Gesetzgebungsprozeß für die Dialogfähigkeit aller - Leistungserbringer, Beschäftigte und Krankenkassenversicherte - ein.
({45})
Wir bieten uns ausdrücklich an - ({46})
- Und wir nehmen es auf. Herr Lohmann, hätten Sie die
Debatten der letzten Monate verfolgt, dann wäre Ihnen
nicht entgangen, daß ich mit über 40 Institutionen, Organisationen und Verbänden geredet habe
({47})
und daß, Herr Lohmann, maßgebliche, aus diesen Gesprächen hervorgegangene Erkenntnisse in diesem Gesetzentwurf wiederzufinden sind. Man darf nämlich
nicht nur hier sitzen und dumme Zwischenrufe machen,
({48})
man muß auch einmal lesen, was die Koalition vorschlägt.
({49})
Ich will zum Kapitel - ({50})
- Die Zwischenrufe waren dumm.
({51})
- Herr Ramsauer, unterhalten Sie sich mit sich selber.
({52})
Wenn Sie so einen Dialog mit mir führen wollen, hat das
wirklich keinen Sinn.
({53})
In der Arzneimittelversorgung wird die Zahl der
verordnungsfähigen Präparate begrenzt. Wir wollen eine
Liste verordnungsfähiger Arzneimittel, die Positivliste,
die dieses Haus mit den Stimmen derjenigen Abgeordneten von CDU/CSU und F.D.P., die sie heute ablehnen,
bereits beschlossen hatte. Insofern ist die Kritik der OpRudolf Dreßler
position daran allenfalls deshalb interessant, weil sie
sich gegen deren eigenen Beschluß von 1992 richtet.
Die Positivliste wird eingeführt. Sie ist für eine Qualitätsverbesserung in der Arzneimittelverordnung der
Kassenpraxis notwendig. Sie bereinigt den deutschen
Arzneimittelmarkt - soweit er für die Krankenkassen
von Belang ist - von therapeutischen Zweifelhaftigkeiten und von Präparaten mit ungeklärtem therapeutischen
Nutzen. Insofern ist die Kritik, die Positivliste sei innovationsfeindlich, schlicht absurd. Wer die Verordnungen
auf qualitativ hochwertige, therapeutisch nützliche Arzneimittel konzentriert, wer also Zweifelhaftigkeiten beseitigt, der behindert nicht Innovation und Forschung,
sondern fördert diese.
({54})
Uns wird kein einziger Vertreter der forschenden pharmazeutischen Industrie allen Ernstes einreden, daß sich
deren Forschung auf Zweifelhaftigkeiten, aber nicht auf
Innovationen konzentriert. Wäre das so, dann wäre das
unternehmerische Konzept sicherlich renovierungsbedürftig.
Die Positivliste ist so konzipiert, daß mit ihr die Rolle
der natürlichen Arzneimittel, also der Homöopathika,
der Phytotherapeutika und der Antroposophika, nicht
tangiert wird. Auch sie können zukünftig verordnet
werden. Sie werden, wenn über sie nicht eine schulmedizinische, sondern nur eine ihnen gemäße naturheilkundliche Erfolgsbilanz vorgelegt werden kann, ebenfalls im Anhang der Liste über verordnungsfähige Arzneien aufgelistet.
({55})
Zudem ist durch einen qualifizierten Minderheitenschutz sichergestellt, daß die Mitglieder des Arzneimittelinstituts, die die Aufnahme in die Liste empfehlen, nicht
nach medizinischen Schulen entscheiden können. Jede
Seite muß auch immer Vertreter der anderen Seite überzeugen. Dies halten wir für ein tragfähiges Verfahren.
({56})
Sie wissen, daß ebenfalls im Zentrum des Projektes
„Strukturreform 2000“ die Einführung eines Globalbudgets für die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung steht. Ich möchte deshalb zum Schluß noch
eine Bemerkung von Frau Ministerin Fischer ergänzend
aufgreifen.
({57})
Sie als Oppositionsfraktionen haben jahrelang als Regierungsparteien Budgets im Gesetz festgeschrieben und
vor diesem Deutschen Bundestag erklärt, daß eine Ausgabenbeschränkung aus Gründen der Beitragssatzstabilität notwendig sei. Dieses Ziel haben Sie selber formuliert. Wenn Sie diesen Kurs beibehalten wollen, dann
müssen Sie sich bei allen von Ihnen hier gestellten Forderungen, die diese Ausgabenbeschränkung nicht gewährleisten, sondern für zusätzliche Ausgaben sorgen,
zwischen zwei Lösungen entscheiden, nämlich zwischen
Beitragserhöhungen, um die Zusatzausgaben zu finanzieren,
({58})
oder weiteren Leistungsausgrenzungen.
({59})
Sie haben sich in der letzten Legislaturperiode für Leistungsausgrenzungen und Belastungen der Patienten
entschieden. Wenn Sie das weiterhin wollen, dann erklären Sie das hier.
({60})
Wenn Sie Beitragserhöhungen wollen,
({61})
dann erklären Sie das hier.
({62})
Solange Sie aber nur fordern und die Finanzierung ihrer Forderungen dem Deutschen Bundestag verschweigen, bleibt Ihre konzeptionelle Strategie nicht durchsichtig. Wir können nicht erkennen, was die CDU/CSU
anders machen will als in den vergangenen Jahren,
nämlich Patienten zu belasten oder die Beiträge zu erhöhen.
({63})
Wir wollen beides nicht. Wir wollen die Strukturen
aufbrechen, um mit den daraus gewonnenen Ressourcen
das System zu refinanzieren und damit die Beitragsatzstabilität zu garantieren. Wir laden Sie ein, mit uns für
diesen Weg zu streiten, hart in der Sache, aber konstruktiv für die Patienten, Herr Zöller, und nicht auf
ihrem Rücken.
Schönen Dank.
({64})
Das Wort hat Kollege Dieter Thomae, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Auf Grund der Aussagen der Ministerin sage ich Ihnen: Die Ministerin hat
am Sonntag in Köln gezaubert - heute wird sie entzaubert.
Dieses Gesetz ist von der Budgetierung geprägt.
Budgetierungen in allen Ländern zeigen, daß sie zur Rationierung von Gesundheitsleistungen führen. Da gibt es
kein Entkommen. Wenn ich England und Schweden
heranziehe, wo über viele Jahre ein Budget gehandelt
wird, dann stelle ich fest, daß es zu Rationierung, dann
zu Warteschlangen und letztlich zu Altersgrenzen
kommt. Wenn Sie den Weg dieser Politik gehen wollen,
dann müssen Sie den deutschen Patienten sagen, daß Sie
das alles - Wartelisten und auch die Diskussion über
Altersgrenzen bei medizinischen Leistungen - in Kauf
nehmen.
({0})
Sie alle wissen, daß in England und Schweden Altersgrenzen für gewisse Krankheitsbilder wie Hüft-,
Herz- und andere Operationen eingeführt worden sind.
Wenn Sie mit Budgets konsequent fortfahren, dann werden Sie sich dieser Frage stellen müssen. Ich sage den
deutschen Patienten: Dies ist ein System, das wir auf
keinen Fall wollen. Wir lehnen es ab.
({1})
Nachher werde ich Ihnen sagen, was wir wollen.
Jetzt möchte ich auf das Globalbudget zu sprechen
kommen. Das ist ein solcher Schwachsinn. Jede gesetzliche Krankenkasse bekommt ein Budget. Wir haben
dann mindestens 500 Globalbudgets. Ferner haben wir
die sektorale Budgetierung im ärztlichen Bereich, im
zahnärztlichen Bereich, im Arzneimittelbereich, im
Heilmittelbereich, neuerdings im Krankenhausbereich
und nun auch im Rehabilitationsbereich. Ich möchte
wissen, wie der Übergang der sektoralen Budgets zu den
Kassenbudgets gehandlet werden soll - das kann Ihnen
noch nicht einmal ein Vertreter der Krankenkassen sagen; vom Ministerium spreche ich gar nicht -; vom
Ministerium ist nichts an Informationen ausgegeben
worden. Ich sage Ihnen: Das Handlen wird nicht passieren.
Damit den Patienten ganz deutlich wird, was diese
Bundesregierung macht, möchte ich drei Beispiele hervorheben.
Erstes Beispiel: Arzneimittelbudget. Natürlich kann
ich die Patienten verstehen, die darauf hinweisen, die
Zuzahlungen seien im Rahmen des Arzneimittelbudgets
geringfügig reduziert worden. Aber es wird verschwiegen, daß das Budget insgesamt, also in der Summe, reduziert worden ist und daß der Arzt damit gar nicht
mehr in der Lage ist, die Arzneimittel in bisherigem
Umfang zu verschreiben.
({2})
Darin besteht der Betrug dieser Koalition. Sie belügen
und betrügen die Patienten, weil Sie nicht die Wahrheit
sagen, wie die Budgetierung in der Praxis aussieht.
({3})
Ich darf Ihnen ein zweites Beispiel nennen. Gehen
Sie zu den Ärzten und Patienten, und fragen Sie, wie es
im Massagebereich und in der Krankengymnastik
aussieht. Wenn ein Patient dringend Krankengymnastik
braucht, dann ist der Arzt auf Grund seines Budgets
nicht in der Lage, mehr als drei oder vier Therapien zu
verschreiben.
({4})
Es stellt sich die Frage, ob das medizinisch sinnvoll ist.
Sie treiben die Patienten einfach dahin, gewisse Leistungen nicht mehr zu bekommen. Das ist das Brutale:
Ein Budget grenzt aus; ein Budget gibt nicht mehr die
Möglichkeit, die notwendigen Therapien zu ermöglichen. Das verschweigen Sie.
({5})
Herr Kollege Thomae, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kirschner?
Sofort.
Sie betreiben eine Zweiklassenmedizin; denn nur der
ökonomisch Starke kann sich diese Leistungen privat
kaufen. Er kann sich Massage oder Krankengymnastik
kaufen. Er kann sich - auch darauf komme ich nachher
zu sprechen - im Arzneimittelbereich Arzneimittel kaufen, wenn sie ihm nicht mehr verschrieben werden, weil
sie nicht in der Positivliste stehen. Das ist Ihre Zweiklassenmedizin. Sie schützen nicht mehr den sozial
Schwachen - das haben wir getan - ({0})
- Ich weiß: Es paßt Ihnen nicht. Wir haben eine Härtefallregelung und eine Überforderungsregel. Was haben
Sie? Sie haben ein Budget, und Sie verschreiben gewisse
Therapien nicht mehr.
Kollege Kirschner,
Sie dürfen jetzt.
Herr Kollege Dr. Thomae,
glauben Sie, daß beispielsweise die Menschen im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Südbaden, wo
ich wohne
({0})
- nein, das ist kein Spiel; das ist eine ernsthafte Frage,
Herr Kollege Dr. Thomae, bezüglich Ihrer Ausführungen, mit denen Sie den Menschen Angst machen, sie
würden nicht mehr ordentlich mit Medikamenten versorgt werden - und wo die Ärzte umgerechnet Arzneimittel für 328 DM pro Einwohner verordnen, während
es beispielsweise im Einzugsbereich der KV Rheinhessen/Pfalz 403 DM sind, also über 20 Prozent mehr, nicht
ordentlich mit Medikamenten versorgt werden? Wollen
Sie den Ärzten dies unterstellen?
Herr Kirschner, Sie
sprechen die in Ihrem Gesetz enthaltene Thematik des
Benchmarkings an. Darum geht es. Sie glauben, Sie
könnten dieses Verfahren auf der Basis der von Ihnen
angeführten zwei Kriterien, nämlich Geschlecht und
Alter, bundesweit einführen. Damit machen Sie es sich
erheblich zu einfach. Sie müßten in diesem Zusammenhang auch die Morbidität und das Verhältnis von stationärer und ambulanter Versorgung in den Regionen berücksichtigen. Wenn man nur mit zwei Kriterien arbeitet, wie Sie das machen, ist dieses Benchmarking in
meinen Augen nicht zu akzeptieren.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun auf
die Thematik der Positivliste zu sprechen kommen: Ich
halte von einer Positivliste überhaupt nichts, weil jede
Positivliste die Therapiefreiheit des Arztes einschränkt.
Ich möchte, daß Patienten und Ärzte die Therapie miteinander absprechen. Diese Möglichkeit wird aber hierdurch eingeschränkt.
({1})
- Die Ärzte wollen sie, weil Sie ihnen so ein brutales
Arzneimittelbudget vorgeben! Das ist doch der Grund.
({2})
Herr Dreßler, Sie sprachen von 50 000 aufgeführten
Arzneimitteln. Aber Sie wissen doch ganz genau, daß
bei diesen 50 000 Arzneimitteln die unterschiedlichen
Darreichungsformen mitgezählt werden.
({3})
Wenn Sie diese mitzählen, ist die Zahl der Arzneimittel
erheblich geringer. Sie wissen auch - darum haben wir
damals von dieser Überlegung Abstand genommen -,
daß der Arzneimittelverbrauch in den Ländern, in denen
es eine Positivliste gibt, mindestens so hoch wie in der
Bundesrepublik Deutschland liegt.
({4})
- Natürlich ist es so; in Frankreich ist er genauso hoch.
Realisieren Sie das. Ich habe mich damit beschäftigt.
Sie schränken durch eine Positivliste die Therapiefreiheit ein und bauen Forschungshindernisse für die
mittelständische Pharmaindustrie in Deutschland auf.
Das kann nicht unsere Absicht sein; von daher lehnen
wir das ab.
({5})
Nun zum Thema Krankenhaus: Natürlich gibt es
Krankenhäuser - das wissen wir aus der Vergangenheit -, die sehr effektiv geführt werden, und andere, die
eben nicht so gut geführt werden. Wenn Sie, Herr Dreßler, diese Auffassung teilen, dann dürfen Sie in diesem
Bereich aber nicht die Rasenmähermethode anwenden.
({6})
Das ist unmöglich. Sie müssen vielmehr mit jedem
einzelnen Krankenhaus individuelle Verhandlungen
führen.
({7})
- Lesen Sie es doch in Ihrem Gesetz nach! Das geschieht eben nicht. Der Fehler in Ihrem Gesetz ist, daß
andere haften, wenn irgendwo unökonomisch gearbeitet
wird. Das ist unfair.
({8})
Jetzt, meine Damen und Herren, gehen wir von der
Basis aus.
({9})
Beim Budget gehen Sie von einem sehr niedrigen Ausgangsniveau aus. Außerdem sehen Sie den Abschlag,
den wir als vorübergehenden Abschlag eingeführt haben, jetzt auf Dauer vor. Ich kann mich noch gut erinnern, wie intensiv die Ministerin und die Grünen diesen
Abschlag kritisiert haben, aber scheinbar gilt auch hier:
Was stört mich das Geschwätz von gestern!
({10})
Jetzt behalten Sie diesen Abschlag auf Dauer ein; dabei
geht es um mindestens 1 Milliarde DM.
Nun zum Thema Mehrerlös und Finanzierung
bis zum Jahre 2007/2008: Sie reden von Wettbewerb,
aber gleichzeitig streichen Sie beim Mehrerlös 1 Milliarde DM.
({11})
- Die Krankenhäuser, die effektiv arbeiten, können den
Mehrerlös dafür einsetzen, in gewissen Bereichen zu investieren oder Perspektiven für die Zukunft aufzubauen.
Diese Möglichkeiten, über mehr Leistung etwas zu erreichen, werden ihnen weggenommen, wenn dieser gestrichen wird.
({12})
- Sie wissen ganz genau, daß in unserem alten Gesetz
keine 100prozentige Vergütung vorgesehen war. Hören
Sie doch auf!
Nächster wichtiger Punkt - ich merke, Sie werden
nervös -: das ärztliche System. Von Ihrem Vorschlag
„integrierte Versorgungsformen“ glauben Sie, das sei
die ideale Lösung. Ich sage Ihnen: Dieser Vorschlag ist
ein trojanisches Pferd; denn hinter diesem Begriff verbirgt sich das Einkaufsmodell.
({13})
Integrierte Versorgung bedeutet, daß mit einzelnen
Ärzten und Arztgruppen Verträge abgeschlossen werden
können. Damit gefährden Sie die flächendeckende Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland.
({14})
Auch das müssen die Bürger wissen: Die integrierten
Versorgungsformen werden zuerst aus dem Budget entlohnt, bevor die anderen finanziert werden. Darum sage
ich Ihnen: Auf diese Weise werden viele Patienten - neben den Ärzten - erheblich benachteiligt. Dazu kommt
noch, daß Sie durch die Budgets die floatenden Punktwerte weiter vorantreiben. Das heißt: Die Freiberuflichkeit wird weiter gefährdet. Ich frage mich manchmal: Wollen Sie wirklich die Freiberuflichkeit des Arztes abschaffen und den staatlich angestellten Arzt einführen? Ich glaube ja, denn sonst könnten Sie ein solches Gesetz nicht auf den Weg bringen.
({15})
Sie versprechen den Bürgern alles; Sie wollen die
Leistungen ausdehnen. Sie dehnen sie aus - zum Beispiel: Soziotherapie und im zahnärztlichen Bereich -,
aber die Budgets bleiben niedrig. Wie wollen Sie dem
Bürger erklären, daß er eine optimale Versorgung im
zahnärztlichen Bereich bekommt, obwohl für die Implantate ein niedriges Budget eingeführt werden soll?
Wenn ich es höflich ausdrücke, ist es Augenwischerei;
wenn ich ehrlich bin, ist es Betrug. Ihre Formulierung ist
Betrug am Patienten.
({16})
Zur Selbstverwaltung. Ich will gar nicht über die
Datensammelstellen reden. Auf diesen Punkt geht mein
Kollege nachher ein. Sie wollen die Selbstverwaltung
der Ärzte und der Zahnärzte völlig umbauen. Sie wollen
Hauptamtliche etablieren. Das hört sich im ersten Moment vielleicht interessant an. Die erste Generation der
Hauptamtlichen wird auch noch aus dem ärztlichen oder
zahnärztlichen Bereich kommen. Aber die zweite oder
dritte Generation wird aus Funktionären bestehen. Dann
sind die Ärzte und Zahnärzte mundtot gemacht, was wir
uns in unserer Gesellschaft nicht leisten können.
({17})
Sie wollen die Selbstverwaltung auflösen.
Zu den neuen Bundesländern. Ich bin schon erstaunt, Frau Ministerin, daß Sie sagen: Wir wollen in
den neuen Bundesländern etwas tun. Dann hätten Sie
nämlich in der letzten Ausschußsitzung unserem Antrag
zustimmen müssen.
({18})
Sie hätten nicht seit acht Wochen sagen dürfen: Wir müssen nachdenken. Acht Wochen zum Nachdenken sind für
eine Bundesregierung angesichts der Problematik in den
neuen Bundesländern eine viel zu lange Zeit. Jetzt
schleppen Sie dieses Thema über die Sommerpause.
({19})
Wir haben kein schizophrenes Vorschaltgesetz gemacht.
Wir haben Sie vielmehr vor acht Wochen darauf hingewiesen, daß dieses Vorschaltgesetz in den neuen Bundesländern im Krankenhausbereich zu katastrophalen
Zuständen führt. Sie schleppen und schlampen sich damit über die Sommerpause. Das ist unverantwortlich.
({20})
Zu Europa. In dem Gesetzentwurf findet sich kein
Wort über Europa, obwohl sonst immer von Europa
geredet wird. Herr Schröder reist kreuz und quer durch
Europa und spricht mit allen, um die Integration in
Europa zu fördern. Aber der Gesundheitsmarkt, der fast
der größte Markt ist, soll nicht integriert, sondern vom
europäischen Ausland separiert werden.
An dieser Stelle, Frau Ministerin, begehen Sie einen
entscheidenden Fehler. Die Versicherten, die im Ausland Urlaub machen oder dort arbeiten, müssen Perspektiven für ihre gesetzliche Versicherung haben. Sie
müssen den deutschen gesetzlichen Krankenkassen die
Möglichkeit einräumen, innerhalb des gesetzlichen Systems Leistungen im Ausland zu finanzieren. Glauben
Sie nicht, daß Ihr Traum vom Sachleistungssystem hier
in Erfüllung gehen könnte. Es ist aus ökonomischen,
aber auch aus verwaltungstechnischen Gründen einfach
nicht machbar, ein solches System über Sachleistungen
aufzubauen.
({21})
Ich sage Ihnen, was wir wollen: Wir wollen die Stärkung der Eigenverantwortung statt einer Rundumversorgung.
({22})
Wir wollen Wettbewerb statt Einheitskasse. Wir
wollen echte Wahlmöglichkeiten für Patienten statt Einheitstarife. Wir wollen Verhandlungslösungen und kein
Diktat der Krankenkasse mit ihren Partnern. Wir wollen
eine leistungsgerechte Vergütung und keine floatenden
Punktwerte. Wir wollen die Kostenerstattung statt des
Sachleistungssystems. Wir wollen eine europäische
Ausrichtung.
({23})
Wie können wir das erreichen? Wir haben in der vergangenen Wahlperiode gemeinsam mit der CDU/CSU
einen Weg beschritten. Diesen Weg halten wir für richtig. Er kann aber nur gegangen werden, wenn wir eine
vernünftige Steuerreform auf den Weg bringen, damit
die Patienten Geld in der Tasche haben, um dies auch zu
finanzieren. Es soll keine Leistungskürzungen geben,
wo es nicht sinnvoll ist. Mit Ihrer Budgetierung treiben
Sie die Patienten auf die Barrikaden. Das erleben Sie
schon heute tagtäglich.
Ich wünsche Ihnen bei dieser Gesetzgebung nicht viel
Freude, sondern ich wünsche eine Umkehr. Wir jedenfalls werden diesem Gesetzeswerk nie zustimmen.
({24})
Das Wort hat nun
Kollegin Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für eine Reform des Gesundheitswesens gibt es im Grunde genommen nur noch zwei Optionen, die mit einer eigenen Logik ausgestattet sind. Allerdings haben sie diametral entgegengesetzte Auswirkungen auf die soziale Qualität der gesundheitlichen
Versorgung.
Die erste Alternative besteht in der zunehmenden
Privatisierung der Gesundheitskosten und einer damit
verbundenen Zweiklassenmedizin. Meine Damen und
Herren auf der rechten Seite, egal, was Sie heute sagen:
Auf diesen Weg hat sich die alte Koalition begeben. Sie
hat völlig auf weitgehende Strukturreformen im Gesundheitswesen verzichtet.
({0})
Diese Entwicklung hielten wir für verhängnisvoll,
denn wir betrachten Gesundheitssicherung und medizinische Versorgung als soziales Menschenrecht.
({1})
Eine möglichst gute Gesundheit gehört zu den elementaren Voraussetzungen von sozialer Gerechtigkeit und
Chancengleichheit. Hier liegt über das unmittelbare medizinische Wirken hinaus die unverzichtbare soziale
Funktion des Gesundheitswesens. Genau das ist auch
der Grund, weshalb uns soviel an einer Gesundheitsversorgung liegt, die unabhängig vom individuellen Einkommen und Vermögen bleibt und die allen gleichermaßen zugänglich ist.
({2})
Die andere, nach unserer festen Überzeugung notwendige und auch mögliche Alternative lautet: Verteidigung und Erneuerung einer sozial gerechten, solidarischen und humanen Gesundheitsversorgung, auch unter
erheblich veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Um dies zu erreichen, ist es zunächst erforderlich, die
Vorzüge und Stärken des bestehenden Gesundheitssystems nicht in Frage zu stellen, sondern zu festigen
und auszubauen.
({3})
Deshalb befürworten wir, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf an einer solidarischen Absicherung des
Krankheitsrisikos, an der gemeinsamen paritätischen
Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, am
Sachleistungsprinzip sowie an einem für alle gültigen
und medizinisch vollwertigen Leistungskatalog festgehalten werden soll.
Wer ein solidarisches Gesundheitswesen erhalten
will, muß selbstverständlich auch bestrebt sein, bestehende Unwirtschaftlichkeiten durch Strukturreformen zu
beseitigen und die Effektivität des Systems zu erhöhen.
Auch in dieser Hinsicht sehen wir, daß die Regierung
darum bemüht ist, den Reformstau zu überwinden und
die Weichen für eine andere Gesundheitspolitik zu stellen. Das zeigt sich beispielsweise an den Absichten, zu
mehr Kooperation und integrierenden Versorgungsformen zu kommen und insbesondere auf ein besseres Zusammenwirken von ambulantem und stationärem Sektor
hinzuwirken. Das gleiche gilt für das Ziel, die Rolle der
Hausärzte zu stärken und dazu auch von seiten des Gesetzgebers konkrete Festlegungen zu treffen.
Für wichtig halten wir ebenfalls, daß der Gesetzentwurf Maßnahmen vorsieht, die auf eine rationellere
Arzneimittelversorgung zielen, und natürlich alles was
geeignet ist, Gesundheitsförderung, Prävention und
Selbsthilfe einen höheren Stellenwert zu verleihen.
Allerdings sind angekündigte Ziele und Absichten
selbst dort, wo sie richtig sind, nur das eine. Entscheidend ist erfahrungsgemäß ihre Ausgestaltung im Sinne
überzeugender und praktikabler Lösungen. Die bisher
vorgelegten Vorstellungen von Rotgrün lassen aber gerade in dieser Hinsicht noch viele Fragen offen.
Auffallend ist, daß inzwischen von einer weiteren Zurückführung der Zuzahlungen der Patienten so gut wie
nicht mehr die Rede ist. Gerade dies aber war vor noch
gar nicht langer Zeit erklärtes Ziel der heutigen Regierungsparteien. Für uns bleibt es dabei: Zuzahlungen
und Selbstbeteiligungen in einem solidarischen Krankenversicherungssystem sind unsozial und medizinisch
kontraproduktiv. Sie müssen vollständig zurückgenommen werden.
({4})
Was die volle Übernahme der Krankenhausfinanzierung durch die Kassen betrifft, so ist die Regierung
offensichtlich entschlossen, einen folgeschweren Irrweg
zu beschreiten. Richtig ist, daß neue Krankenhauskapazitäten im Einvernehmen zwischen Ländern und Kassen
entstehen sollen. Warum deshalb aber die ohnehin gebeutelten Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung nun auch noch mit Investitionskosten für die
Krankenhäuser belastet werden sollen, ist nicht einzusehen.
({5})
Es gibt keinen Grund, die Länder aus der richtigerweise
bei ihnen angesiedelten Verantwortung zu entlassen.
Ein Grundfehler ist aus unserer Sicht auch, daß die
neue Regierung offensichtlich gewillt ist, den ökonomischen Wettbewerb der Krankenkassen nicht nur beizubehalten, sondern ihn sogar auf die Leistungserbringer
auszuweiten. Dabei haben Elemente des Marktes und
ökonomischer Wettbewerb in der gesundheitlichen
Versorgung eine höchst verhängnisvolle Wirkung: Sie
fördern Risikoselektion und Entsolidarisierung; sie diskriminieren die sozial Schwächsten und führen zu weiterer Zersplitterung und Bürokratisierung des Systems.
Dies steht im völligen Gegensatz zu den Intentionen
einer sozial empfindenden und humanistischen Medizin.
Die Grundsätze einer solidarischen Gesundheitssiche4170
rung werden auf diese Weise entgegen eigenen Absichten ebenfalls in Frage gestellt.
({6})
Fatal ist, daß die neue Koalition unmittelbar an die
vorgesehenen Strukturveränderungen die Erwartung
knüpft, sofort mit geringstmöglichen Zuwächsen auszukommen oder teilweise Mittel direkt freisetzen zu können, wie es sich beispielsweise beim vorgesehenen
Übergang zur monistischen Krankenhausfinanzierung
zeigt. Damit geht die Koalition in einer grundlegenden
Frage von falschen Voraussetzungen aus. Weder von der
notwendigen Stärkung der Hausärzte noch von neuen
integrierten Versorgungsformen oder von einer Positivliste können kurzfristig Einsparungen erwartet werden. Denn während man mit den vorgesehenen Maßnahmen Rationalisierungsreserven bestenfalls schrittweise erschließen kann, wächst der Versorgungsbedarf
weiter an.
Außerdem gibt es im Gesundheitswesen nicht nur
Überkapazitäten und Unwirtschaftlichkeiten, sondern
auch große Felder mit Unterversorgung und Nachholbedarf. Hier sei nur an die Prävention, die Rehabilitation, den großen psychiatrischen Sektor oder an den
noch immer tendenziell unterbesetzten Pflegebereich
erinnert. Mit anderen Worten: Der dieser Reform zugrundeliegende Gedanke, daß durch notwendige Strukturveränderungen Mittel sofort eingespart und freigesetzt werden können, beruht weitgehend auf
Wunschdenken.
Daran knüpft sich ein weiterer Trugschluß der Koalition an. Sie glaubt, Beitragsstabilität mit einem Globalbudget zu erreichen, welches lediglich an die jährliche
Steigerungsrate der Grundlohnsumme gebunden ist.
({7})
Bekanntlich haben sich die ökonomischen Rahmenbedingungen für die Finanzierung der Sozialsysteme und
damit auch der gesetzlichen Krankenversicherung
grundlegend verändert. An die Stelle weitgehender
Vollbeschäftigung ist Massenarbeitslosigkeit getreten.
Seit Mitte der 70er Jahre sinkt, gemessen am Bruttosozialprodukt, der Anteil der Einkommen der lohnabhängigen Beschäftigten. Statt um jährliche Wachstumsraten
bei der Grundlohnsumme von 4 oder 6 Prozent geht es
nur noch um bescheidene Zuwächse zwischen 1 oder 2
Prozent. In den neuen Bundesländern wurde 1998 sogar
eine rückläufige Entwicklung von minus 0,5 Prozent
verzeichnet.
Es ist inzwischen eine Binsenweisheit: Die GKV hat
nicht nur ein Ausgabenproblem, sondern vor allem ein
zunehmendes Einnahmenproblem.
({8})
Das Gesundheitswesen wird auch zukünftig ein Wachstumsbereich bleiben, in dem insbesondere die Zahl der
Beschäftigten weiter steigen muß. Dies erfolgt nicht
primär als Ergebnis von Steuerungsfehlern, sondern in
erster Linie wegen des wachsenden Leistungsbedarfs.
Die Vorgängerregierung hat sich zuletzt dafür entschieden, nur noch das Einnahmenproblem zu sehen, und war
gewillt, die zusätzlich benötigten Mittel vor allem aus
den Taschen der Versicherten und Patienten zu holen.
({9})
Die rotgrüne Koalition zieht es nun unter dem Zwang
des wirtschaftsliberalen und unternehmerfreundlichen
Gesamtkurses ihrer Regierung vor, nur noch das Ausgabenproblem wahrzunehmen und ab sofort mit harten
Budgetierungen zu beginnen.
Dahinter verbirgt sich eine grundsätzliche Verkennung der ökonomischen Stellung des Gesundheitswesens im Gesamtgefüge der Wirtschaft. Es ist nun einmal
ein klassischer personenbezogener Dienstleistungssektor
mit wachsendem und überwiegend hochqualifiziertem
Beschäftigungsanteil. Die Möglichkeiten, durch Produktivitätssteigerungen Arbeitskräfte freizusetzen, sind
äußerst begrenzt.
({10})
Es scheint die Koalition auch nicht zu irritieren, daß
die verheerenden Folgen dieser Politik schon im laufenden Jahr sichtbar werden. Vor allem in Ostdeutschland
sind die Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen gegenwärtig mit ernsten Finanzierungsengpässen konfrontiert, die sich aus der schon für 1999
festgelegten grundlohnorientierten Budgetierung ergeben mußten und die durch aktuelle Tarifabschlüsse noch
erheblich verschärft wurden.
({11})
Die Folgen sind Androhung von Personalabbau und
weiteren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen
sowie von Abstrichen bei der medizinischen Leistungsfähigkeit.
Schon jetzt wächst der Widerstand gegen diese Art
von Gesundheitspolitik. Man kann der Bundesregierung
nur raten, die Forderungen der Beschäftigten ernst zu
nehmen.
({12})
Notwendig ist unseres Erachtens, daß noch für 1999
Möglichkeiten eröffnet werden, den medizinisch unabweisbaren Versorgungsbedarf zusätzlich zu vergüten.
Hier handelt es sich nicht, wie Sie sagten, Kollege
Dreßler, um Verschwendung; denn in den neuen Bundesländern ist schon viel geschehen. Das hat eine andere
Ursache. Hier muß etwas passieren.
({13})
Darüber hinaus muß sich die Bundesregierung den
besonderen Finanzierungsproblemen des Gesundheitswesens in Ostdeutschland mit größerer Konsequenz
stellen. Sie muß den Finanzausgleich zwischen West
und Ost deutlich verbessern und endlich die nicht mehr
zu vermittelnde Ungleichbehandlung der Gesundheitseinrichtungen in Ostdeutschland beenden.
Bekanntlich hat die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern angekündigt - es gibt auch entspreDr. Ruth Fuchs
chende Signale aus anderen neuen Bundesländern -:
Wenn sich nicht etwas ändert - im Ausschuß wurde versprochen, daß sich etwas tut -,
({14})
wird sie diesem Gesetz ihre Zustimmung verweigern.
Wir haben natürlich nicht übersehen, daß der Budgetentwicklung künftig in Ost und West der gemeinsame
durchschnittliche Grundlohnsummenanstieg zugrunde
gelegt werden soll. Aus unserer Sicht werden damit allerdings die Probleme weder für den Osten noch für den
Westen befriedigend gelöst. In seinen tatsächlichen
Auswirkungen bedeutet dies lediglich, daß künftig beide
Teile gleichermaßen mit einem knallharten Sparprogramm für das Gesundheitswesen überzogen werden
- auf Verlangen der Wirtschaft und im Zeichen der neoliberalen Angebotspolitik à la Schröder und Blair. Das
sollte man, so glaube ich, ändern.
Es ist in unseren Augen ein Grundfehler dieser Reform, daß sie entschieden zuviel von wirtschaftspolitischen Erwägungen und zuwenig von gesundheitspolitischen Notwendigkeiten geprägt ist.
({15})
Dazu paßt im übrigen auch, daß die Koalition den
Schwarzen Peter für die Budgeteinhaltung allein den
Leistungserbringern zuweist,
({16})
während sie bisher der Dominanz und dem Profitstreben
der medizinischen Großindustrie nicht allzu nahe getreten ist. Es nützt auch gar nichts, wenn Herr Dreßler an
die Verantwortung der Pharmaindustrie appelliert.
Wir fragen: Wo bleibt das Bemühen der Regierung
um die Senkung der zu hohen Sachkosten im Gesundheitswesen, beispielsweise durch Druck auf überhöhte
Arzneimittelpreise? Wo bleibt der Ansatz einer möglichen Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel?
Das scheint angesichts der Streichaktion von Herrn
Eichel für Sie überhaupt nicht mehr diskussionswürdig
zu sein. Wo bleibt das Bemühen, Fortschritte bei der
Großgeräteplanung durchzusetzen? Dies sucht man in
diesem Gesetz vergebens.
({17})
Meine Damen und Herren, bleibt es allein bei der
bisherigen Finanzierung des Gesundheitswesens, dann
wird die Schere zwischen Kosten und Beitragseinnahmen rasch weiter auseinandergehen.
({18})
Beitragssatzstabilität um jeden Preis, wie es der Koalition als oberstes Ziel ihrer Reform vorschwebt, wird so
nicht zu haben sein. Das Gesundheitswesen braucht
nicht nur Strukturreformen, um medizinisch unnötige
Ausgaben möglichst zu vermeiden und vorhandene
Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen. Es braucht
zugleich eine Erweiterung der Finanzierungsbasis der
gesetzlichen Krankenversicherung. Davon ist im Gesetzentwurf allerdings nirgendwo die Rede.
Beitragssatzstabilität kann gewährleistet werden,
wenn die Solidargemeinschaft der Versicherten schrittweise finanziell gestärkt wird. Diesem Ziel dienen beispielsweise die Anhebung der Grenze der Versicherungspflicht und die Einbeziehung aller Bevölkerungsschichten, auch der Selbständigen, der Beamten und der
Abgeordneten, in die GKV im Sinne einer allgemeinen
Versicherungspflicht.
({19})
Aber diese Gedanken scheinen bei der sozialdemokratischen Partei und bei den Grünen auch nicht mehr zur
Diskussion zu stehen, und es gibt nur noch das Entweder-Oder: Es gibt entweder die Zuzahlung der Patienten
oder eine strenge Budgetierung. Ich denke, über den von
mir angesprochenen Weg sollten wir nachdenken; er ist
der richtige.
Zugleich wird es nötig sein, gesundheitliche Leistungen stärker auch aus Steuermitteln mitzufinanzieren.
Das ist allerdings genau das Gegenteil von dem, was die
Koalition jetzt bei der Finanzierung der Investitionen der
Krankenhäuser vorhat, wo der Staat massiv weiter aus
seiner finanziellen Verantwortung für die gesundheitliche Daseinsvorsorge entlassen werden soll. Im übrigen
gilt für das Gesundheitswesen und die gesetzliche Krankenversicherung ebenso wie für die anderen sozialen
Sicherungssysteme aus unserer Sicht: Wer ihren solidarischen Charakter bewahren will, muß künftig die Einnahmen von ihrer alleinigen Lohnbezogenheit lösen
und sie stärker beispielsweise an die Wertschöpfung
binden.
({20})
Er muß die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen und
den gesellschaftlichen Reichtum gerechter verteilen.
Ich fasse abschließend zusammen: Der Reformentwurf von Rotgrün weist unseres Erachtens im Blick auf
die anstehende Reform der Strukturen im Gesundheitswesen eine Reihe richtiger Ausgangspunkte und Ziele
auf. Unserer Meinung nach greift er jedoch zu kurz, und
gerade das andere große Problem, die Reform der
Grundlagen der Finanzierung des Gesundheitswesens,
bleibt völlig ausgeklammert. Das müßte sich ändern.
Ein weiteres Manko besteht unserer Meinung nach
darin, daß die Reform in ihren Prämissen und Zielen
nahtlos in die wirtschaftsliberale Gesamtpolitik der rotgrünen Regierung eingeordnet ist. Einer qualitativ hochstehenden und vor allen Dingen humanen Gesundheitsversorgung kann dies nicht dienlich sein. Ich hoffe, daß
wir im Verlauf der parlamentarischen Beratungen zu
Veränderungen kommen werden.
({21})
Dann werden wir sehen, wie wir uns entscheiden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({22})
Das Wort hat nun
Kollegin Gudrun Schaich-Walch, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Für die PDS ist in unserem Entwurf zuviel Streben nach Wirtschaftlichkeit
und nach Wettbewerb enthalten, für die F.D.P. zuwenig.
({0})
Ich denke, daß die Wahrheit in der Mitte liegt.
({1})
Einig sind wir uns hier alle zumindest in dem Punkt, daß
wir ein sehr gutes Gesundheitssystem haben
({2})
und daß es gilt, es weiterzuentwickeln, den Anforderungen anzupassen und für die Zukunft zu sichern. Das,
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wird uns
nicht allein mit dem Slogan „mehr Geld ins System“ gelingen.
({3})
Dies wird uns letztendlich nur dann gelingen, wenn wir
Verbesserungen der Qualität und einen zielgenauen Einsatz der Mittel erreichen.
({4})
Das sind wir, denke ich, letztendlich den Versicherten
und auch den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die die
Beiträge zur Krankenversicherung aufbringen, schuldig.
Im Gegensatz zur F.D.P. fühlen wir uns nicht ausschließlich der Einkommenssituation einiger im Gesundheitswesen Tätiger verpflichtet.
({5})
Das Geld, das wir zur Verfügung haben, muß so eingesetzt werden, daß wir eine patientenorientierte Medizin mit hohem Qualitätsanspruch bekommen. Das
Hauptanliegen dieses Gesetzes ist es daher, eine Unterversorgung zu vermeiden und die Überversorgung abzubauen, so daß wir die Unterversorgung hinter uns lassen
und eine vernünftige Versorgung gestalten können. Es
gibt in unserem Gesundheitssystem Überversorgung.
Von ihr kann man dort sprechen, wo im erheblichen
Umfang solche Leistungen erbracht werden, die medizinisch nicht erforderlich sind. Ich will einige dieser Bereiche ansprechen.
In der invasiven Kardiologie werden in Deutschland
so viele Linksherz-Katheteruntersuchungen vorgenommen wie in keinem anderen Industrieland. Diese
Eingriffe sind für Patientinnen und Patienten nicht ohne
gesundheitliches Risiko; sie können zum Herzinfarkt
führen. Das heißt, die Vermeidung unnötiger Eingriffe
in diesem Bereich spart nicht nur Beitragsgelder ein; sie
ist zugleich auch ein Akt des Patientenschutzes.
({6})
Ein zweites Beispiel. Wir sind in Europa dasjenige
Land - darauf machte jüngst die entsprechende Fachgesellschaft aufmerksam -, in dem - das bezieht sich jetzt
auf die Teilgebietsradiologie - am meisten geröntgt
wird. Auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor
unnötiger Strahlenbelastung liegt eine Änderung im Interesse des Patienten.
Untersuchungen des Medizinischen Dienstes weisen
ferner darauf hin, daß in vielen Krankenhäusern zwischen 10 und 30 Prozent der Patientinnen und Patienten
ohne medizinische Notwendigkeit stationär aufgenommen werden. Das liegt nicht alleine im Handeln der verantwortlichen Ärzte begründet, sondern im wesentlichen
darin, daß zwischen der Krankenhausversorgung und der
Versorgung in der Arztpraxis eine absolute Trennung
herrscht.
Neben dieser Überversorgung gibt es aber auch eine
Unterversorgung, speziell im Bereich von chronisch
kranken Patienten. Ich möchte dabei auf das Beispiel der
Diabetes verweisen. Zur Prävention, Diagnostik und
Behandlung dieser Erkrankungen liegen eindeutige, wissenschaftlich abgesicherte medizinische Erkenntnisse
vor. Würden diese tatsächlich umgesetzt, könnte ein erheblicher Teil der Erkrankungen vermieden, die Krankheitsverläufe in ihrem Schweregrad positiver gestaltet,
das heißt abgemildert werden, und viele Folgeerkrankungen wie Erblindungen, Beinamputationen, Nierenversagen mit der Notwendigkeit von Dialyse träten nicht
auf. Das ist relativ lange bekannt. Der Sachverständigenrat hat darauf aufmerksam gemacht, daß eine systematische Umsetzung der vorhandenen Erkenntnisse zu einer
sehr stark verbesserten Versorgungssituation führen
würde. Aber in der Situation optimaler Versorgung sind
leider nur 20 Prozent der betroffenen Patientinnen und
Patienten. Mit dem Weg, den wir einschlagen wollen,
verfolgen wir das Ziel, diesen Prozentsatz zu erhöhen.
Dazu brauchen wir Strukturreformen. Als erstes
müssen wir die starren Grenzen zwischen den einzelnen
Sektoren im Gesundheitswesen auflösen.
({7})
Das Gesundheitssystem muß sich künftig an den Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten orientieren
und nicht an der Ausgestaltung unserer sektoralen
Budgets. Es müssen Anreize zur Errichtung qualitätsgesicherter Behandlungsketten quer durch alle Sektoren gebildet werden. Für alle Beteiligten, die dort arbeiten, muß das Erbringen von medizinischen Leistungen, die nicht unbedingt notwendig sind, unattraktiv
sein. In diesem Zusammenhang möchte ich nur daran
erinnern, daß für das gleiche Krankheitsbild oftmals an
verschiedenen Orten Doppeluntersuchungen in einem
Maße vorgenommen werden, das einfach nicht mehr
vertretbar ist.
Diese Erkenntnisse über die Defizite in unserem System hatten auch Sie schon, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU, und zwar zu einer Zeit, als Sie
noch bereit waren, über Strukturreformen zu diskutieren. Sie haben sich dann allerdings dafür entschieden,
auf Strukturreformen zu verzichten und diese durch erhöhte Zuzahlungen für Patientinnen und Patienten zu
ersetzen.
({8})
Durch Ihre Haltung haben Sie wertvolle Jahre für eine
Reform verstreichen lassen. Sie haben falsche Signale
gesetzt. In der Zwischenzeit sind die Probleme gewachsen. Ihre Signale waren letztlich: Laufen lassen, mehr
Geld ins System durch Erhöhung der Zuzahlungen bei
Patientinnen und Patienten.
({9})
- Wenn Ihnen ein Minus drohte, haben Sie das nicht
über Strukturreformen zu verhindern versucht, sondern
nur bei Patientinnen und Patienten abkassiert.
({10})
Ich möchte Sie noch einmal daran erinnern, daß Sie
abkassiert haben: durch erhöhte Zuzahlungen bei Arzneimitteln, bei Krankenhausaufenthalten, bei Mütterkuren, bei Rehabilitationsmaßnahmen, bei Heil- und
Hilfsmitteln.
({11})
Sie haben Leistungen ausgegrenzt. Im Bereich der Rehabilitation hat es dramatische Einschränkungen gegeben. Sie haben Tausende von Arbeitsplätzen nicht nur
gefährdet, sondern vernichtet.
({12})
Jetzt legen Sie einen Antrag vor, der all das, was Sie
einmal gefordert haben, konterkariert.
({13})
Sie erwarten, daß wir jetzt das, was Sie in den letzten
Jahren in der Rehabilitation kaputtgemacht haben, auf
einen Schlag wieder reparieren können. Im Gesundheitswesen einmal Zerstörtes ist nicht in ein paar Wochen zu reparieren. Dazu werden wir Jahre brauchen.
({14})
Sie sind dann bei einer Gruppe, von der Sie glaubten,
daß sie sich nicht wehren kann, den zweiten Weg gegangen: Sie haben den Zahnersatz bei Jugendlichen gestrichen. Wir haben in diesem Bereich inzwischen alles
korrigiert. Wir haben die Zuzahlungen dort zurückgeführt, wo sie im wesentlichen chronisch Kranke belastet
haben. Dort hätten wir gerne mehr gemacht, aber aus
Gründen der Finanzverantwortung war das jetzt nicht
möglich.
({15})
Nun möchte ich etwas zu Ihren Privatisierungsmaßnahmen sagen. Sie haben nichts anderes getan, als im
Bereich des Zahnersatzes Kostenerstattungen einzuführen. Das hat dazu geführt, daß die Leistungen um
30 Prozent zurückgegangen sind.
({16})
Wir wissen heute noch nicht, ob der Bedarf tatsächlich
zurückgegangen ist oder ob sich die Menschen die privatärztlichen Rechnungen nicht mehr leisten konnten.
Das hat aber dazu geführt, daß im Bereich der Zahntechnik nicht nur 30 Prozent, sondern im Osten sogar
40 Prozent der Arbeitsplätze vernichtet worden sind.
({17})
Wir haben gestern mit den Zahntechnikern aus Ostdeutschland gesprochen. Ich denke, wir sind auf einem
guten Weg, einen Lösungsansatz für sie zu finden, mit
dem eine Preissenkung vermieden werden kann.
({18})
Mit all den von Ihnen getroffenen Maßnahmen haben Sie letztendlich eines gemacht: Sie haben die Akzeptanz des Gesundheitssystems beschädigt. Wir haben
jetzt die Verantwortung, sie wiederherzustellen. Das
heißt, wir stehen vor der Notwendigkeit, strukturelle
Reformen durchzuführen, und wir müssen dafür sorgen, daß das Geld dort hingelenkt wird, wo es gebraucht wird, und die Qualität der Gesundheitsleistungen und der Krankenversorgung weiter verbessert werden kann.
Einige Ihrer Maßnahmen haben wir bereits mit dem
Solidaritätsstärkungsgesetz zurückgenommen. Wir haben zum Beispiel durch Einführung eines dauerhaften
Finanzausgleichs, den wir einmal gemeinsam beschlossen haben, ein Stück mehr Solidarität mit dem Osten unseres Landes realisiert.
({19})
- Wir mußten es nicht nur, wir wollten es auch.
Wir haben in dem neuen Gesetz eine gemeinsame
Grundlohnsumme für Ost und West festgelegt; denn
wir haben - ich sage es sehr offen - aus den Erfahrungen mit der negativen Grundlohnsumme im Osten gelernt. Wir haben ferner in dem Gesetzentwurf festgelegt,
daß die Patientinnen und Patienten aus Ostdeutschland
auch in Westdeutschland gesundheitliche Leistungen in
Anspruch nehmen können. Wir wissen, daß die schwierige finanzielle Situation der ostdeutschen Krankenkassen trotz der bisher geleisteten milliardenschweren Hilfen dringend Handlungsbedarf erfordert. Die Staatssekretäre der neuen Bundesländer stehen in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung.
({20})
- Sonst ist Ihnen immer alles zu früh, was wir machen. Wir werden versuchen, bis Ende August eine Lösung zu
finden, die die Situation der Kassen, die die Situation
der Krankenhäuser, aber auch die zukünftige ZusamGudrun Schaich-Walch
menführung von Ost und West auf gleichem Niveau
gewährleistet.
({21})
Wir haben vor der Wahl nicht nur versprochen, daß
wir einige Dinge, wie die Streichung des Zahnersatzes
für Jugendliche und den Kostenanstieg der Zuzahlungen
in Verbindung mit Beitragssatzsteigerung, zurücknehmen, sondern wir haben auch angekündigt, daß wir notwendige Strukturreformen durchführen werden, um die
Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Ein Kernelement unseres Gesetzentwurfs ist, den
Krankenkassen die Möglichkeit zu geben, mit den im
Gesundheitswesen tätigen Ärztinnen und Ärzten, aber
auch Physiotherapeuten, Rehabilitationseinrichtungen,
Krankenhäusern und Apotheken Versorgungsnetze zu
bilden. Das kann außerhalb der GKV gemacht werden,
es muß aber nicht außerhalb der GKV gemacht werden.
({22})
Deshalb glaube ich, daß wir trotz allem den Sicherstellungsauftrag der GKV respektieren.
({23})
- Sie können Vertragspartner sein, wenn sie es wollen.
Wir wollen allerdings nicht, daß man derartige neue
Behandlungsformen verhindern kann, weil wir davon
überzeugt sind, daß wir durch eine bessere Koordination, durch bessere Zusammenarbeit all derer, die im Gesundheitswesen tätig sind, eine in der Qualität sehr viel
bessere Versorgung der Patientinnen und Patienten erreichen.
({24})
Wir haben ferner versprochen, den Hausarzt zu stärken. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält Regelungen
zur Förderung der Ausbildung von Fachärzten der Allgemeinmedizin und zur Verbesserung der Einkommen
und der Arbeitssituation von Hausärzten. Besonders
wichtig ist, daß jeder Facharzt, jedes Krankenhaus, jeder
Physiotherapeut verpflichtet wird, die Behandlungsdaten
seiner Patientinnen und Patienten an den Hausarzt weiterzuleiten.
({25})
Nur das bietet Gewähr dafür, daß der Hausarzt seinen
Aufgaben als Koordinator und Lotse im System gerecht
werden kann.
Wir haben allerdings nicht - was Sie vorhin in einem
Redebeitrag unterstellt haben - den freien Zugang zum
Arzt, das heißt die Arztwahl beschränkt.
({26})
Wir sind uns dessen sehr bewußt, daß wir ein ausgesprochen gutes Facharztsystem haben, daß der Facharzt
weiterhin seine Aufgabe hat. Es ist nur, glaube ich, sehr
wichtig, daß der Patient und die Patientin zur rechten
Zeit am rechten Ort die notwendige Behandlung finden.
({27})
- Wenn Sie den Ärzten so wenig zutrauen, dann wird es
vielleicht eine Sprechblase bleiben. Wir haben da eine
etwas andere Einstellung der gesamtdeutschen Ärzteschaft.
({28})
Wir haben in dem Gesetzentwurf ferner vorgesehen,
die Gesundheitsförderung zu stärken. Das machen wir
zum einen dadurch, daß eigene Verhaltensänderungen
und auch die Veränderung der Lebenssituation Zielsetzung der Förderungsmaßnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sein werden. Das machen wir zum anderen dadurch, daß wir die betriebliche Gesundheitsvorsorge, die seit 1997 nicht mehr möglich war, wieder einführen, weil wir glauben, daß es besser ist, mehr Geld
für die Vermeidung von Erkrankungen aufzuwenden als
für deren Reparatur.
({29})
Ich möchte noch etwas dazu sagen, wie das Geld zur
Verfügung gestellt wird. Der vorgelegte Gesetzentwurf
definiert für alle Krankenkassen eine Ausgabenobergrenze; das ist korrekt. Aber was Sie hier permanent
unterschlagen, ist die Tatsache, daß es eine jährliche
Steigerungsrate dieses Budgets gibt, und zwar entsprechend den beitragspflichtigen Löhnen und Gehältern.
({30})
Da sind wir im Moment bei 1,7 Prozent, Herr Zöller.
Das bedeutet: Im Durchschnitt wird es in den nächsten
Jahren jährlich 4 Milliarden bis 5 Milliarden DM mehr
für die Versorgung der Gesundheit in der Bundesrepublik geben.
({31})
Diese 4 Milliarden bis 5 Milliarden DM stehen in diesem System zur Verfügung. Ich glaube, wenn man damit
vernünftig umgeht, kann man die Gesundheitsversorgung in diesem Land über einen sehr langen Zeitraum
leisten.
Sie haben in Ihren Gesetzen folgendes Perfide gemacht:
({32})
- Ich hoffe, daß wir die auch wieder haben werden.
({33})
Sie haben ein Budget eingeführt, haben es aber nicht
ehrlich gesagt. Sie haben vielmehr gesagt: Wenn eine
Krankenkasse erhöhte Ausgaben hat, weil sie zum Beispiel ein ganz besonders hohes Risiko bei Ihren Versichertengruppen hat, dann müssen die Patienten diese
Mehrbelastung der Krankenkasse durch erhöhte Zuzahlungen tragen.
({34})
Das ist bei Krankenkassen, die im Wettbewerb stehen,
ein Knebelungsinstrument par excellence. Das verschweigen Sie.
({35})
Dieses Instrument haben wir abgeschafft. Ich denke, jedes Wirtschaftsunternehmen würde sich freuen, wenn es
jetzt noch immer eine Zuwachsrate von nahezu 2 Prozent hätte.
({36})
Nun möchte ich noch etwas zur Qualitätssicherung
sagen. Der Gesetzentwurf enthält die Verpflichtung für
alle im Gesundheitswesen Tätigen, sich an qualitätssichernden Maßnahmen zu beteiligen. Er benennt Verantwortliche für die Definition von Qualitätsstandards
und für die Durchführung von Qualitätsprüfungen. In
Zukunft wird es also sehr viel einfacher sein, an Hand
dieser Qualitätsstandards zu einer Mengenbegrenzung
bei Leistungen zu kommen, die nicht notwendig oder im
Sinne des Patientenschutzes sogar bedenklich sind. Wir
werden auf diesen Bereich der Qualitätssicherung nicht
verzichten können; er ist ein Kernpunkt unseres Gesetzentwurfs.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben Ihnen
einen Gesetzentwurf vorgelegt, der meiner Meinung
nach geeignet ist, längst überfällige Strukturveränderungen
({37})
zu bewerkstelligen und die medizinische Versorgung zu
gewährleisten.
({38})
- Auch wenn Sie jetzt so aufgebracht sind,
({39})
habe ich trotzdem die Bitte an Sie und an die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, mit uns eine
konstruktive, zielführende Diskussion zu führen. Dieses
Angebot gilt auch für die Patientinnen und Patienten, die
in Selbsthilfeorganisationen oder Patientengruppen tätig
sind. Letztendlich richtet es sich auch an diejenigen, die
in unserem Gesundheitssystem arbeiten.
Ich danke Ihnen.
({40})
Das Wort hat jetzt
die Kollegin Dr. Bergmann-Pohl, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir
heute von den Koalitionsfraktionen als Strukturreform
2000 im Gesundheitswesen vorgelegt bekommen haben,
übertrifft alle meine Befürchtungen.
({0})
1990 habe ich mich mit Engagement der Aufgabe gewidmet, einen Staat zu überwinden, der durch Planwirtschaft, zentralistische Strukturen und ein ausgefeiltes
Überwachungssystem die Bürger in eine ausweglose
Situation geführt hatte. Leider muß ich der „Ärzte Zeitung“ zustimmen, wenn sie kommentiert, daß sich die
ehemaligen DDR-Bürokraten, die ihre Republik bis
heute so schmerzlich vermissen, jetzt glücklich schätzen
können, daß man in der Bundesrepublik die Planwirtschaft im Gesundheitswesen einführt und so der Sozialismus jedenfalls in diesem Bereich doch noch zu einem
späten Erfolg kommt.
({1})
Frau Ministerin Fischer, haben Sie eigentlich schon
einmal bemerkt, daß kaum jemand Ihre Gesundheitsreform begrüßt, nicht einmal diejenigen,
({2})
die nach Ihrer Ansicht davon profitieren sollen? Man
höre und staune: Nicht einmal die Hausärzte sind mit
diesem Gesetzentwurf so richtig einverstanden. Dank
des Globalbudgets, das von Ihrer Koalition neu eingeführt werden soll, kommen Sie in Deutschland zu einer
Zweiklassenmedizin: die erste Klasse für die Privatversicherten und die zweite Klasse für die gesetzlich Versicherten, aber zum Preis der ersten Klasse.
({3})
Die Deckelung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung steht in krassem Gegensatz zu den Herausforderungen der gesetzlichen Krankenversicherung,
die auch Herr Schröder, jedenfalls nach dem SchröderBlair-Papier,
({4})
bei der Reform des Gesundheitswesens berücksichtigen
will. Die Menschen in Deutschland werden immer älter;
dank des medizinischen Fortschritts kostet das aber auch
mehr, es sei denn, wir wollten die älteren Menschen
vom medizinischen Fortschritt abkoppeln, wie es in
England gemacht wird.
({5})
Eines wird die Bundesregierung damit auch erreichen:
Sie wird die Folgen der Morbiditäts- und der demographischen Entwicklung auf die Leistungserbringer abwälGudrun Schaich-Walch
zen. Das muß letztendlich zu Lasten der Versicherten
gehen.
Aber es gibt auch noch andere Verlierer Ihrer Gesundheitsreform.
({6})
Infolge Ihrer Gesetze rechnet man in Deutschland mit
dem Verlust von mindestens 10 000 Arbeitsplätzen nur
bei den niedergelassenen Ärzten. Das bedeutet einen
Mitarbeiter pro Arztpraxis, und auch das wird sich auf
die medizinische Versorgung der Patienten auswirken.
({7})
Die Politik sollte den Mut haben, deutlich zu machen,
daß, bedingt durch den medizinischen, medizinischtechnischen Fortschritt und die demographische Entwicklung, bei begrenzten Finanzen der Krankenversicherung entweder der Leistungskatalog auf den Prüfstand gestellt und die Eigenverantwortung gestärkt werden müssen oder eine Verbreiterung der finanziellen Basis notwendig ist.
({8})
Ich wage zu bezweifeln, daß wir über nennenswerte Rationalisierungsreserven verfügen, die global durch gesetzliche Zwangsvorlagen zu erschließen sind.
({9})
Deutschland ist ein Sozialstaat, aber kein sozialistischer
Staat mit einer Entmündigung durch eine Staatsmedizin.
({10})
Schröder und Blair führen in ihrem berühmten Papier
aus: „Innerhalb des öffentlichen Sektors müsse es darum
gehen, Bürokratie auf allen Ebenen abzubauen“. Wie
wahr! Aber was tut die Bundesregierung mit ihrer Gesundheitsreform?
({11})
Sie schafft ein Berichtsunwesen ohnegleichen. Sie versucht mit einem wilden Gestrüpp bürokratischer Vorschriften, mit Budgetwirrwarr, mit einer Entmachtung
der Selbstverwaltung und mit einem ins uferlose gehenden Berichtswesen davon abzulenken, daß am Ende der
Patient die Zeche zahlen muß.
({12})
Nun ein paar konkrete Beispiele.
Sie nennen es Stärkung der hausärztlichen Versorgung. Aber was tun Sie tatsächlich? Eine bessere Koordinierung zwischen Haus- und Facharzt einerseits und
stationärer Versorgung andererseits ist ja zunächst
durchaus wünschenswert. Aber sind diese Bürokratie,
die Vermehrung der Paragraphen und die Gängelung der
Ärzte und der Versicherten notwendig? Einer repräsentativen Umfrage des „Wido“ aus dem Jahre 1995 zufolge haben bereits 94,8 Prozent der Befragten einen Hausarzt.
({13})
Laut Zentralinstitut für kassenärztliche Versorgung und
Gesundheitsforschung, München, liegt der Anteil der
Patienten, die in einem Quartal parallel bei mehr als drei
Fachärzten und bei mehr als zwei Allgemeinmedizinern
in Behandlung waren, unter 3 Prozent. Ich wiederhole:
unter 3 Prozent.
({14})
Keiner hat doch etwas gegen Befundübermittlung.
Aber Sie schaffen für die Ärzte eine Verpflichtung zu
übermäßiger Bürokratie, und zwar vor allem durch die
Neufassung der Wirtschaftlichkeitsprüfung.
({15})
Sie nehmen - das ist das schlimmste, Frau SchaichWalch - den Ärzten die Zeit für die Patienten. Sie erreichen mit Ihren Regelungen, daß der Patient nur noch
verwaltet und nicht mehr behandelt wird.
({16})
Sie nennen es Integrationsversorgung. Aber was tun
Sie tatsächlich? Niemand wird widersprechen, wenn die
Aufgabentrennung zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung gezielt durchbrochen werden soll. Aber was
tun Sie? Sie lassen es zu, daß die Krankenkassen mit
einzelnen Vertragsärzten, Gemeinschaften dieser Leistungserbringer, Krankenhäusern sowie Vorsorge- und
Rehabilitationseinrichtungen Versorgungsverträge abschließen können. Daraus ergibt sich das Ziel dieser
Versorgungsform, welches sich wie ein roter Faden
durch Ihr Konzept zieht: Alle Macht den Krankenkassen
und Einkaufsmodelle durch die Hintertür.
({17})
Die Beteiligung und der Sicherstellungsauftrag der kassenärztlichen Vereinigungen werden dabei systematisch
ausgehöhlt.
Die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulantfachärztliche Versorgung birgt auch die Gefahr der allmählichen Aushöhlung der fachärztlichen Versorgung
durch niedergelassene Ärzte.
({18})
In Berlin verfolgt man zum Beispiel jetzt schon durch
Grünen-Politiker dieses Ziel konkret in einem Modellversuch. Für den Versicherten - um den geht es Ihnen
doch angeblich ({19})
wird das System immer unübersichtlicher. Denn die
mühsam gewonnenen Strukturveränderungen durch Praxisnetze und andere Modelle werden plötzlich in Frage
gestellt.
Die stärkste Einschränkung der Versichertenrechte
findet man aber ganz versteckt in einer Satzungsmöglichkeit für die Krankenkassen, mit der es darum geht,
„die Rechte und Pflichten der Versicherten“ bei Teilnahme an der Integrationsversorgung festzulegen. Das
ist eindeutig eine Beschneidung des Rechtes des Versicherten auf freie Arztwahl.
({20})
Eine Mehrheit der Bürger legt aber großen Wert auf dieses Recht. Ob der Versicherte, gelockt durch günstige
Angebote und Preisnachlässe der Krankenkassen, dies
tatsächlich überblickt, wenn er sich für die Integrationsversorgung entscheidet, wage ich zu bezweifeln.
({21})
Im Einzelfall, Frau Schaich-Walch, kann das nämlich
heißen: Die Krankenkasse schreibt einer Patientin vor,
welchen Gynäkologen, welchen Hausarzt, welchen
Facharzt sie aufzusuchen hat.
({22})
- Natürlich. Anders kann Ihr System doch gar nicht
funktionieren.
({23})
Nun zu den Qualitätssicherungsmaßnahmen. Gegen
Qualitätssicherung kann man ja eigentlich nichts einwenden. Da wird aber gefordert, daß Leistung in der
fachlich gebotenen Qualität wirtschaftlich erbracht werden muß. Die Bundesärztekammer spricht mit Recht von
der Quadratur des Kreises. Was soll denn nun eigentlich
im Vordergrund stehen: die Qualität oder die Wirtschaftlichkeit?
({24})
- Frau Schaich-Walch, Sie und die Frau Ministerin haben heute deutlich gemacht, was das bedeutet: daß der
Staat und Bürokraten in Zukunft den medizinischen
Fortschritt festlegen werden
({25})
und daß der Staat zum Beispiel festlegen wird, ob ein
Patient ein Linksherzkatheter bekommt oder nicht. Nicht
die Ärzte werden die Indikation stellen, sondern Sie
wollen sie stellen.
({26})
Welcher Arzt soll denn noch durchblicken bei dem
ganzen Budgethorror wie Gobalbudget, Arznei- und
Heilmittelbudget, Krankenhausbudget, Hausarztbudget,
Facharztbudget, Zahnarztbudget und kombinierte Budgets bei Integrationsversorgung? Der Arzt wird nicht
mehr alles verordnen können. Er wird auch nicht mehr
den medizinischen Fortschritt an die Versicherten weitergeben können.
({27})
Warum akzeptieren Sie denn nicht die von uns verfolgten sinnvollen Ansätze von Regelleistungsvolumina,
Richtgrößen und auch einer sozialverträglichen Zuzahlung?
({28})
Die Auswirkungen auf die neuen Bundesländer
werden dabei noch gravierender sein. Dank unserer bisherigen Gesundheitspolitik gibt es bei den Krankenkassen Finanzreserven.
({29})
In den alten Bundesländern sind das 9,2 Milliarden DM.
Allerdings sieht es in den neuen Bundesländern auf
Grund der negativen Einnahmeentwicklung und des
fehlenden gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs
nicht so gut aus. Dort haben die Krankenkassen Schulden in Höhe von 1,7 Milliarden DM. Glauben Sie, daß
Ihre geplanten halbherzigen Maßnahmen die Probleme
der neuen Bundesländer lösen? Auch die Entfristung des
Finanzstärkungsgesetzes mit dem Entfallen der finanziellen Obergrenze wird nicht den gewünschten Erfolg
haben.
({30})
Die Versicherten in den neuen Bundesländern werden
die Scheinheiligkeit Ihrer Bemühungen bald durchblikken.
({31})
Sagen Sie einmal, was Sie sich eigentlich bei der Erweiterung der Aufgabe des Medizinischen Dienstes der
Krankenkassen zu einer Superbehörde gedacht haben!
({32})
Wer hat Ihnen eigentlich diesen Floh ins Ohr gesetzt?
Der MDK wird in Zukunft Zugriff auf alle medizinischen Leistungsdaten im ambulanten und stationären
Bereich haben. Er wird auch Kontrollbehörde für die
Versicherten werden. Ziel ist natürlich der gläserne Patient beim Arzt und im Krankenhaus. Wer aber kontrolliert eigentlich die Qualität dieser Mammutbehörde, und
was kostet der ganze Spaß eigentlich? Das haben Sie uns
nicht gesagt.
({33})
Meine Damen und Herren, kaum zu glauben: Zum
Abschluß etwas Positives. Sie haben die richtigen Weichen in der Rehabilitation gestellt. Die Trennung und
Klarstellung der Begriffe Vorsorge und Rehabilitation
erschien mir schon immer wünschenswert. Auch die
Qualitätssicherungsmaßnahmen sind zu begrüßen.
Eines aber haben Sie verpaßt, nämlich für ein stärkeres Zusammenwirken der Rentenversicherung und
der gesetzlichen Krankenversicherung zu sorgen. Es
ist für die Qualitätssicherung und die betroffenen Versicherten, aber auch für die Einrichtungen nicht mehr
nachvollziehbar, daß bei der Rehabilitation zwischen der
Rentenversicherung und der Krankenversicherung nicht
verbindliche gemeinsame Qualitätskriterien und Rahmenempfehlungen, zum Beispiel unter dem Dach der
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, erarbeitet
werden.
({34})
Aus meiner Sicht ist dies nur ein halbherziger Schritt.
({35})
Meine Damen und Herren, insgesamt ist dieser Gesetzentwurf nicht geeignet, die Probleme der Zukunft im
Bereich der Solidargemeinschaft zu lösen. Sie werden
schon gar nicht das angestrebte Ziel erreichen, die Sozialversicherungsbeiträge bei gleichbleibender Qualität
der medizinischen Versorgung zu senken. Sie werden
mit diesem Gesetzentwurf nur eines erreichen: Beitragsanhebung, Rationierung und Zweiklassenmedizin. Die
Hauptverlierer der Reform sind die Kranken.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Letzter
Satz.
Unsozialer geht es eigentlich nicht mehr. Aber es ist
konsequent, da dieses Ergebnis der Zielrichtung des
Schröder/Blair-Papiers entspricht.
({0})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Katrin
Göring-Eckardt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Liebe Frau Dr. Bergmann-Pohl, Sie haben
davon geredet, daß wir mit diesem Gesetzentwurf die
Reglementierung auf die Spitze treiben würden. Ich
kann Ihnen nur sagen: Ich empfehle Ihnen die Lektüre
des „Handelsblatts“ - des „Handelsblatts“ und nicht des
„Neuen Deutschlands“! - von heute.
({0})
Darin können Sie nachlesen, daß sich gerade diejenigen,
die von dieser Reform profitieren werden, auch heute
schon dem Wettbewerb im System stellen, einem Wettbewerb übrigens, den Sie immer wieder in die Schranken gewiesen haben. Ich glaube, wenn Sie das gelesen
haben, werden Sie Ihre Meinung wohl ändern müssen,
zumindest nach innen; ob Sie das nach außen zugeben
können, werden wir noch sehen.
({1})
Ein zweiter Punkt. Sie haben gesagt, Qualität und
Wirtschaftlichkeit zu prüfen sei Reglementierung. In
wessen Sinne prüfen wir denn Qualität und Wirtschaftlichkeit, bitte schön? Wir tun das doch ganz sicher, damit Patientinnen und Patienten wissen, worauf sie sich
einlassen können, und damit Patientinnen und Patienten
in vollem Umfang, in hoher Qualität und mit Wirtschaftlichkeit - die sich am Ende doch auf das Gesamtsystem auswirkt - betreut werden können.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesundheitsreform 2000 ist auf den Weg gebracht. Mit dem vorliegenden Entwurf wird dem Reformbedarf im System
Rechnung getragen. Vor allem wird dafür gesorgt, daß
das solidarisch finanzierte System auch langfristig bestehen kann. Es gibt viele Erwartungen an diese Reform,
und es gibt auch viele Befürchtungen. Die zum Teil
äußerst harsch vorgebrachte Kritik ist inzwischen in
konstruktive Zusammenarbeit mit den meisten der Beteiligten umgewandelt worden. Bedauerlich ist nur, daß
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit
Ihren hohlen Parolen und Anwürfen ein bißchen hinter
der Zeit sind.
({3})
Erst wenn es gelingt, ein System zu gestalten, in dem
nicht Leistungserbringer auf der einen und Kassen auf
der anderen Seite miteinander aushandeln, womit Versicherte und Patienten am Ende irgendwie klarkommen
müssen, werden wir tatsächlich von Solidarität reden
können. Was in der Liebesbeziehung meistens nicht
funktioniert, ist dabei das Ziel: ein kreatives Dreiecksverhältnis, in dem Leistungserbringer, Kassen sowie
Patientinnen und Patienten gleichberechtigt sind.
({4})
Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt zu
stellen und die Beitragszahler nicht über Gebühr zu beanspruchen, das ist der Geist des Gesetzes. Dafür legen
wir uns übrigens auch gern mit denen an, die am System
beteiligt sind. Dabei geht es nicht darum, denjenigen, die
im Gesundheitssystem arbeiten, irgendwie den Schwarzen Peter zuzuschieben. Im Gegenteil: Wir wissen und
gehen davon aus, daß dort Arbeit mit hoher Qualität erbracht wird. Wir wissen und gehen davon aus, daß der
Wettbewerb um Qualität innerhalb der gesetzlichen
Rahmenbedingungen gefördert werden muß und nicht
behindert werden darf. Dieser Wettbewerb wird am
Ende den Patientinnen und Patienten zugute kommen.
({5})
Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt der Befürchtungen der Leistungserbringerseite kommen. Die
Gesundheitspolitiker der Koalition haben - zu Recht,
wie ich finde - am Anfang ihrer Beratungen die Verabredung getroffen, daß bei der Erarbeitung des Gesetzes
die Reform im System und die zu erschließenden Einsparmöglichkeiten Priorität haben. Heute stehen wir
vor der Situation, daß insbesondere Krankenhausträger
hergehen und uns sagen, jede weitere Einsparung würde
automatisch mit Kündigungen einhergehen, und der
Personalabbau würde sich selbstverständlich zuvörderst
im Bereich der Pflegekräfte abspielen. Ich halte diese
Debatte aus drei Gründen für verlogen.
Erstens. Wenn man mit Pflegekräften spricht, so stellt
man fest, daß sie es sind, die sehr klare Vorstellungen
davon haben, wie Ressourcen etwa im Ablauf des Krankenhausbetriebes zu erschließen sind: zum Beispiel, indem Patientinnen und Patienten bewußt mobilisiert und
am Heilungsprozeß beteiligt werden und indem es innerhalb eines Hauses Flexibilität zwischen den Stationen
gibt. Das sind alles Vorschläge, die ich höre und bei denen ich mich frage, warum wir uns eigentlich noch
Krankenhausstrukturen leisten können, in die die planerische Kompetenz der Pflegenden nur außerordentlich
unzureichend einfließen kann.
({6})
Zweitens. Der Gesundheitsbereich wächst wie keine
andere Branche. Immer mehr Menschen investieren in
ihre Gesundheit. Das sind ganz sicher nicht nur die Gutverdienenden. Es werden Möglichkeiten erschlossen, in
diesem Bereich ganz neue berufliche Chancen zu bekommen. Dazu gehören sicher Mut und Ideenreichtum. Aber wer wollte das ausgerechnet denjenigen, die
im Gesundheitsbereich arbeiten, nicht zutrauen?
Drittens. Wir haben bereits festgestellt, daß die Ansprüche und Notwendigkeiten anders und größer werden. Die demographische Entwicklung wird zu mehr
und nicht zu weniger Erkrankungen führen.
({7})
Wenn wir innerhalb dieser Reform sagen, daß wir
zum Beispiel den Grundsatz „ambulant vor stationär“
endlich in die Praxis umsetzen wollen, dann heißt das
doch, daß neue Betätigungsfelder entstehen und bereits
bestehende ausgeweitet werden. Ganz gewiß - daraus
wollen wir keinen Hehl machen - wird das Veränderungen bedeuten. Diese Veränderungen sind wünschenswert, weil gerade das Verharren im Bestehenden, wie
Sie es heute wieder gepredigt haben, zu Leistungsabbau
und weniger Beschäftigung führen würde. Das wollen
wir nicht; wir wollen eine Trendwende.
({8})
Zum nächsten Punkt der Kritik, den ich gerne aufgreifen will. Budgetierung sei Rationierung, heißt es.
Dazu zunächst folgendes: Das von uns vorgeschlagene
Globalbudget wird in jedem Jahr anwachsen, und zwar
um die Steigerung der Grundlohnsummenrate.
({9})
Das gilt übrigens - das haben wir heute schon besprochen - in Ost und West gleichermaßen. Es ist ein
wichtiger und zentraler Schritt, bei der gesundheitlichen
Versorgung das weitere Auseinanderdriften zwischen
Ost und West zu verhindern.
Herr Thomae, wir denken doch nicht seit acht Wochen im stillen Kämmerlein nach. Nein, wir haben genau das gemacht, was Sie uns vorgeworfen haben, nicht
getan zu haben: Wir reden mit den Beteiligten und suchen nach einer Lösung für die Probleme,
({10})
die in diesem Jahr entstanden sind. Wir werden diese
Lösung gemeinsam finden. Wir werden dafür sorgen,
daß das Auseinanderdriften zwischen Ost und West, das
Sie während Ihrer Regierungszeit zugelassen haben, daß
diese Art der Zweiklassenmedizin, die Sie initiiert haben, endlich ein Ende hat.
({11})
In jedem Jahr wird, wie gesagt, mehr Geld zur Verfügung stehen. Alle, die heute behaupten, die Deckelung der
Ausgaben im Gesundheitswesen bedeute Mängel in der
Versorgung, seien an zwei Sachverhalte erinnert: Alle
Beteiligten in der Politik, in den Verbänden, in den Vertretungen der Kassen haben immer wieder gesagt: Ja, es
gibt Einsparmöglichkeiten. Daß diese Möglichkeiten jeweils immer bei den anderen eruiert wurden, verwundert
kaum. Vor allem bitte ich alle, die so argumentieren, sich
einfach selbst in die Rolle des Beitragszahlenden zu versetzen. Natürlich will jede Patientin und jeder Patient optimal behandelt werden. Aber natürlich möchte jeder auch
Beiträge in einem erträglichen Maß zahlen. Reserven intelligent erschließen, neue Versorgungsformen auf den
Weg bringen und zugleich die notwendigen Leistungen
erbringen - das ist der Weg, den wir beschreiten werden.
Wir werden damit Erfolg haben.
Hier bietet auch die globale Budgetierung neue
Chancen. Endlich legt die Politik nicht mehr fest - so
wie Sie das noch für sich in Anspruch genommen haben -, wieviel Geld in welchem Bereich ausgegeben
werden muß. Es wird dafür gesorgt, daß Patientinnen
und Patienten zur richtigen Zeit am richtigen Ort behandelt werden, weil das Geld der Leistung folgt. Dieses
Prinzip gilt auch zwischen den Sektoren.
Was wird sich nun für Versicherte sowie Patientinnen
und Patienten ändern? Sie werden nicht zu gläsernen
Patientinnen und Patienten werden, sondern sich endlich
in einem System zurechtfinden können, über das kaum
noch jemand einen Überblick hat. Sie werden Veränderungen vor allem dort erleben, wo sie selbst aktiv eingreifen können. So ist der Prävention - das hatten Sie
abgeschafft; Sie erinnern sich sicherlich - endlich wieder der ihr gebührende Platz eingeräumt worden.
({12})
Es ist schon schizophren, daß Sie bei der Prävention
einsparen wollen, um das Geld anderswo selbstverständlich wieder drauflegen zu müssen.
Ein weiterer Punkt betrifft das Hausarztsystem.
Wenn man mündige Patienten will, die sich selber zurechtfinden, dann muß man dafür sorgen, daß sie einen
Partner bekommen. Den wollen wir ihnen mit dem
Hausarzt zur Seite stellen. Wir wollen niemanden zwingen, irgendeinen Hausarzt oder Facharzt zu besuchen.
Die freie Wahl des Arztes ist nach wie vor gegeben.
Auch dieses Prinzip wollen wir natürlich weiterhin aufrechterhalten.
Ich erinnere an die Patientenberatungsstellen. Wir
wollen die Beratung und Information des Patienten nicht
mehr bunten Illustrierten überlassen, sondern durch eine
tatsächlich objektive und unabhängige Stelle durchführen lassen. Damit wollen wir nicht das Vertrauensverhältnis zu den Ärzten zerstören, sondern ein zusätzliches
Angebot machen.
Mit der Stärkung der Selbsthilfe, die heute hier schon
angesprochen wurde, werden diejenigen unterstützt, die
selbst etwas im Prozeß der Gesundung oder auch im
Umgang mit ihrer Krankheit beitragen wollen.
Die Forderung, daß Kassen Patientinnen und Patienten bei Behandlungsfehlern unterstützen sollen, gehört
auch dazu.
Auch die Positivliste, die für mehr Transparenz sorgt
und in deren Anhang die alternativen Medikamente enthalten sind, die auch nach entsprechenden Kriterien bewertet werden,
({13})
- ist kein Feigenblatt, sondern in allererster Linie ein Instrument zur Qualitätssicherung, die wir auch in diesem
Bereich brauchen.
({14})
Ich bin überzeugt, daß diese Reform ein wichtiger
und wirkungsvoller Schritt zu einem Gesundheitssystem
im Interesse der Patientinnen und Patienten ist. Ich bin
überzeugt, wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt.
({15})
Mit der vorgelegten Reform sorgen wir dafür, daß es
Modernität und Solidarität miteinander verbindet, daß es
Eigenverantwortung und Selbstbestimmung stärkt und
daß es künftig mehr auf das Setzen von Rahmenbedingungen denn dirigistisches Reglementieren zielt.
Wir laden Sie noch immer ein, mit uns sinnvoll darüber zu diskutieren, nicht zu pöbeln und zu nörgeln. Ich
glaube, daß wir auf einem guten Weg sind.
({16})
Vielen Dank.
({17})
Es spricht jetzt der
Kollege Detlef Parr für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sehe die Plakate mit der Aufschrift
„Arbeit, Arbeit, Arbeit“ noch vor mir. Unter dieses
Motto, meine Damen und Herren von der SPD und von
den Grünen, haben Sie noch vor wenigen Monaten Ihren
Wahlkampf gestellt. Jede Entscheidung sollte, bevor sie
in Kraft tritt, hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den
Arbeitsmarkt abgeklopft werden. Als wir dieses Thema
vor 14 Tagen auf die Tagesordnung gesetzt haben,
haben Sie die von uns beantragte Aktuelle Stunde zu den
Folgen Ihrer Gesundheitsreform für die Arbeitsplätze
von der Tagesordnung abgesetzt.
({0})
Das Pflegepersonal in den Krankenhäusern und
Arzthelferinnen bangen um ihre Zukunft, und Sie drükken sich um die parlamentarische Auseinandersetzung
herum.
({1})
Sie lassen diese Menschen allein, und Sie lassen sie mit
den negativen Folgen auch für die Patienten im Stich.
Statt dessen laden Sie in den Zirkus zu einem „Dialog“
mit einer Riesenanzahl von Gästen ein: Illusionstheater
- schöner Schein statt ernsthafter Gespräche.
Zwischen Ihren Ansprüchen und der Wirklichkeit
klafft eine riesige Lücke. Sie behaupten, daß Sie den
Ärzten ermöglichen wollen, Ihre Patienten optimal zu
betreuen. Statt dessen strangulieren Sie sie, so daß ihnen
kaum mehr Luft zum Atmen bleibt: Sie berauben sie
ihrer ehrenamtlichen Selbstverwaltung; Sie konfrontieren sie mit sinkenden Punktwerten und Planungsunsicherheit; Sie pressen sie in ein Korsett unterschiedlichster Budgetvorgaben. So geht die Freiberuflichkeit als
Garant für patientenorientiertes Handeln vor die
Hunde.
({2})
Sie behaupten, dafür sorgen zu wollen, daß die Patienten eine gute Zahnprophylaxe und, wenn es notwendig ist, einen gut aussehenden Zahnersatz erhalten.
Gleichzeitig senken Sie für diejenigen, die das garantieren sollen, die Vergütungen und nehmen dem Patienten
jede Möglichkeit der freiwilligen Zuzahlung für eine
höherwertige Leistung. High-Tech-Zahnersatz soll zukünftig in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden; aber eine
zusätzliche Bezahlung dieser Leistungen kommt selbstverständlich nicht in Betracht, nach dem Motto: Wir
haben ja das Globalbudget.
Im Krankenhausbereich treiben Sie es ganz besonders toll. Sie wollen, daß die Patienten im Krankenhaus
umfassend versorgt und betreut werden. Gleichzeitig
entziehen Sie den Krankenhäusern massiv Geld.
({3})
- Milliardenbeträge.
Als am schlimmsten empfinde ich - das sage ich vor
allen Dingen der Fraktion der Grünen, Frau GöringKatrin Göring-Eckardt
Eckardt und Frau Knoche - Ihre fehlende Sensibilität
hinsichtlich der Datenerfassung.
({4})
Während der Datenschutz für Sie vor wenigen Jahren
noch der entscheidende Grund für die Ablehnung der
Volkszählung war, wollen Sie jetzt den Krankenkassen
ohne mit der Wimper zu zucken und abweichend von
der bisherigen Anonymität die Sammlung patientenbezogener Diagnosedaten in einer zentralen Datenannahmestelle zugestehen.
({5})
Damit sind wie selbstverständlich der Datenträgeraustausch,
({6})
die Prüfung der medizinischen Notwendigkeit von Leistungen, die Kontrolle der Wirtschaftlichkeit, der
Zweckmäßigkeit und der Qualität der ärztlichen Leistungen, Übermittlungen an besondere Prüfstellen und
die Medizinischen Dienste der Krankenkassen, die als
Kontrollorgane aufgebläht werden, und ihrer Spitzenverbände verbunden. Das bedeutet den gläsernen
Patienten und den gläsernen Arzt. George Orwell hat
aber gerade im Gesundheitswesen absolut nichts verloren.
({7})
- Dazu müßten sie Liberalität erst einmal etwas tiefer
studieren.
Ich möchte noch ein Wort an die Frau Ministerin
richten. Sie tragen stets sehr gestenreich - bis hin zur
Atemlosigkeit - Ihre Vorstellungen vor. Wir hoffen mit
allen am Gesundheitswesen Beteiligten, daß diese kurzatmig vorgetragenen Vorstellungen ebenso kurzlebig
sind.
({8})
Wenn Sie wirklich ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem erhalten wollen, wenn Sie es mit Qualitätssicherung ernst meinen, dann lassen Sie unsere Ärztinnen und Ärzte ihrem Beruf und ihrer Berufung wieder
mit Freude nachgehen.
({9})
Das funktioniert eben nicht mit staatlichen Strangulierungs- und Disziplinierungsmaßnahmen, sondern nur in
einem freiheitlichen System mit großzügigen Rahmenbedingungen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Zitat vortragen. Sophokles läßt Teiresias in seiner „Antigone“ folgendes sagen:
({10})
- Man muß auch ein bißchen klassische Bildung einbringen können. - Hören Sie genau zu, es ist ganz wichtig:
({11})
Der Irrtum ist
zwar aller Menschen ganz gewisses Teil,
doch wer auch irrt, er bleibt nicht ohne Rat,
nicht ohne Segen, wenn er Heilung sucht
von seiner Krankheit, nicht in Starrsinn fällt.
Das wünsche ich mir für die weiteren Beratungen und
vor allen Dingen für die Anhörungen im September.
Danke.
({12})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Werner Schuster für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als sozialdemokratischer Arzt zur Gesundheitspolitik zu reden bedeutet eine Gratwanderung. Auf der einen Seite steht man im
Geruch, befangen zu sein; auf der anderen Seite wird
vermutet, daß jemand fahnenflüchtig sei und die Seiten
gewechselt habe.
({0})
Trotzdem will ich mich gezielt an meine ärztlichen
Kolleginnen und Kollegen draußen im Lande mit der
herzlichen Bitte um einen konstruktiven Dialog über
fünf Punkte wenden.
Viele Reaktionen offizieller Art von seiten der
Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind für mich nur schwer nachvollziehbar: erstens die Verteufelung des Globalbudgets. Das ist
absolut nichts Neues, Herr Lohmann. Der Beschluß von
Lahnstein 1992 - Globalbudget als Summe der sektoralen
Budgets - wurde mehrfach zitiert. Sie, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, waren damals mit uns einig.
({1})
Sie haben nicht ganz zufällig nach dem 24. März 1996,
als die F.D.P. in drei Landtage einzog, Ihre gesundheitspolitischen Grundüberzeugungen an der Garderobe vom
Thomas-Dehler-Haus abgegeben.
({2})
Wir bieten unseren Kolleginnen und Kollegen draußen
an, innerhalb dieses Globalbudgets selber den Anteil der
Sektoren zu bestimmen und festzulegen. Das halten wir
für einen Fortschritt.
({3})
- Natürlich.
Zweitens haben wir erklärtermaßen, Herr Zöller, gesagt, daß in Zukunft ambulante Behandlung vor stationäre Behandlung gehe. Frau Schaich-Walch hat darauf
hingewiesen, daß das Geld der Leistung folgen soll. Das
bedeutet doch im Klartext, daß der Markt für die niedergelassenen Ärzte zunehmen wird. Das ist eine große
Chance, weil sie im Prinzip gegenüber Krankenhäusern
konkurrenzlos preiswert sind. Ich fordere meine Kollegen auf, diese Chance zu nutzen.
Trotzdem stimme ich meinem Kollegen Dreßler zu,
daß wir nach wie vor zu viele und vor allem falsch ausgebildete Ärzte haben. Für die Umsetzung unseres
Hausarztmodells brauchen wir eine ganz andere Art
von Aus- und Weiterbildung. Zu viele Ärzte verschärfen
außerdem das Verteilungsproblem.
({4})
Hier sind, Frau Ministerin und Herr Minister, Dr. Repnik, vor allem die Wissenschaftsminister der Länder gefordert, endlich ihr Vorgartendenken aufzugeben. Wir
Gesundheitspolitiker könnten dann gemeinsam mit den
Ärzten für eine gewisse Entspannung sorgen.
({5})
Drittens macht es mich nachdenklich, daß in
Deutschland nach wie vor überproportional viele überflüssige Eingriffe sowohl in der Therapie wie auch bei
der Diagnostik vorgenommen werden, obwohl wir Ärzte
den berühmten Eid des Hippokrates geschworen haben:
Wir wollen nicht schaden - nil nocere. Mich macht
nachdenklich, daß epidemiologische Studien bei chronisch Kranken nachweisen, daß wir mehr als zwei Drittel sparen könnten, wenn wir Präventionsmaßnahmen
ergriffen. Auf die Unterversorgung der Diabetiker wurde
hingewiesen.
({6})
Mich macht es nachdenklich, wenn viele diagnostische und therapeutische Maßnahmen auch bei Anwendung der Kriterien der Schulmedizin umstritten sind.
Mich macht es nachdenklich, daß die Kommunikation
zwischen den behandelnden Ärzten in den drei Stufen
nach wie vor häufig zu Lasten des Patienten geht,
unvollständig ist und zu spät kommt. Diese Defizite sind
uns seit langem bekannt. In dem Gutachten des Sachverständigenrates, Herr Kues, wurde mehrfach darauf
hingewiesen, daß hier offensichtlich die berühmte
Selbstverwaltung versagt hat. Deswegen müssen wir
gesetzlich regeln, was die Selbstverwaltung selber nicht
schaffen konnte.
({7})
Viertens. Es gibt in der Gesundheitspolitik eine Reihe
von Denkfehlern. Ein Denkfehler ist, zu glauben, daß
die Interessen der Versicherten identisch mit denen der
Patienten seien. Das gilt auch für die Krankenkassen, die
nicht immer die Interessen der Patienten vertreten. Das
gilt aber auch, Frau Kollegin Dr. Bergmann-Pohl, für
uns Ärzte. Auch wir sind nicht die alleinigen Interessenvertreter unserer Patienten,
({8})
weil wir eigene Interessen haben. Unser Gesundheitsversorgungssystem ist nach wie vor deutlich überproportional ärzte- und zuwenig patientenorientiert.
({9})
Fragen Sie einmal chronisch kranke Patienten - nicht in
der Sprechstunde, sondern im normalen Leben - nach
ihrer Situation. Sie werden Ihnen erzählen, wie
beschwerlich es für sie ist, wenn sie in diesem Irrgarten
weitergereicht werden. Wir hoffen jedenfalls, mit unserem Vorschlag des Hausarztsystems für den einzelnen
Patienten eine Erleichterung zu schaffen und durch die
Stärkung der Selbsthilfegruppen die Patienteninteressen
deutlicher in den Vordergrund stellen zu können.
Wir Ärzte könnten uns auf Patientenforen mit Patienten zusammensetzen und sie fragen, wo es ihnen
fehlt.
({10})
Wir müssen fragen, wo die Defizite im Bereich der niedergelassenen Ärzte und der Krankenhäuser liegen. Bei
dieser Gelegenheit könnte man den Patienten einmal die
Wahrheit sagen, daß man nicht für jede Krankheit gleich
eine Pille braucht. Diese Diskussion können Sie aber
nicht im Sprechstundenzimmer führen, sondern dazu
brauchen Sie ein anderes Forum.
({11})
Fünftens. Der Sachverständigenrat hat in vielen Gutachten nachgewiesen, daß integrierte Systeme Vorteile
haben. Die Kooperation zwischen Haus-, Fach- und
Klinikärzten ist schon lange möglich. Aber leider sind
die Strukturverträge erst aufgekommen, nachdem der
Gesetzgeber Druck gemacht hat.
({12})
Anders als Sie kenne ich viele junge Ärzte, die gerne in
solchen integrierten Systemen arbeiten würden. Auch
hier gilt: Was die Selbstverwaltung nicht selber geregelt
hat, müssen wir als Gesetzgeber initiieren.
Zum Schluß noch eine Bemerkung an die Gesundheitspolitiker unter uns. Papst Johannes XXIII. - er war
der Papst, der in den letzten 50 Jahren die meisten Reformen in der katholischen Kirche vorangebracht hat hat sich immer selber mit dem Satz ermahnt: Johannes,
nimm dich nicht so wichtig! - Dieser Satz sollte auch
für uns Gesundheitspolitiker gelten.
Herr Thomae, wenn ich richtig gezählt habe, dann
kann ich feststellen, daß wir heute bei der siebten
Reform der Nachkriegszeit sind. Wir werden ganz sicher
die achte Reform im Jahre 2004 haben. Das ist ja schon
ein Fortschritt im Vergleich zu der Gesetzesflut in den
letzten vier Jahren.
Wir sollten zufrieden sein, wenn uns in diesen vier Jahren zwei Dinge gelingen sollten: erstens eine systematische Verbesserung der Zusammenarbeit - sie soll sich auf
die drei Bereiche Prävention, Kuration und Rehabilitation
beziehen - unter den niedergelassenen Ärzten und den
Krankenhäusern und zwischen diesen beiden Säulen;
zweitens das Vorhaben, die Patienteninteressen in den
Mittelpunkt des Gesundheitssystems zu rücken.
Wenn wir diese beiden Dinge erreicht haben, haben
wir einen guten Job getan. Deshalb bitten wir Sie um
Ihre breite Unterstützung.
({13})
Es spricht jetzt der
Sozialminister des Landes Baden-Württemberg, Dr.
Friedhelm Repnik.
Dr. Friedhelm Repnik, Minister ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute in erster Lesung zu behandelnde Gesetzentwurf zur GKV-Gesundheitsreform
2000 ist meiner Meinung nach gründlich mißlungen.
({1})
Leider scheint die jetzige Bundesregierung nicht in der
Lage zu sein, Reformen richtig anzupacken. Dabei
wollte sie doch alles besser machen.
({2})
Nach der verheerenden Niederlage bei der Europawahl
sagte Kanzler Schröder: Wir haben verstanden. - Ich
kann nur erwidern: Sie haben nichts, aber auch rein gar
nichts verstanden.
({3})
Die Zielsetzung der GKV-Gesundheitsreform 2000
hört sich eigentlich gut an, Frau Fischer. Angeblich soll
eine hohe Qualität der medizinischen Versorgung mit
stabilen Beitragssätzen durch mehr Wettbewerb zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern angestrebt werden.
({4})
Schaut man sich jedoch die geplanten gesetzlichen Bestimmungen genauer an, dann wird klar: Es handelt sich
um einen reinen Etikettenschwindel. Tatsächlich setzt
die Bundesregierung und die Bundesgesundheitsministerin nicht auf mehr Marktwirtschaft. Realität ist vielmehr
ein Mißtrauen gegen Eigenverantwortung und
Selbstverwaltung.
({5})
Statt eines freiheitlichen Gesundheitswesens steuert
die rotgrüne Bundesregierung, Herr Kirschner, eine
stärkere Bevormundung an.
({6})
Die Bundesregierung fördert nicht mehr marktwirtschaftliche Steuerungselemente, sondern Zentralismus,
Reglementierung und Bürokratie.
({7})
- Das kommt noch.
({8})
Durch die enorme Ausweitung der Kompetenzen der
Bundesverbände der Krankenkassen und des Medizinischen Dienstes wird ein zentral gesteuertes Gesundheitssystem angestrebt. Solche zentralistischen Bestrebungen
bedeuten Kompetenzverlust und damit letztendlich eine
Entmündigung der Krankenkassen auf Landesebene.
({9})
Ich fordere Sie auf, zu einer Politik des partnerschaftlichen Miteinanders zwischen Politik und den Leistungserbringern im Gesundheitswesen zurückzufinden.
({10})
Vergiften Sie die Atmosphäre in diesem wichtigen Bereich nicht durch staatlichen Dirigismus!
({11})
Ich will heute nicht die ganze Bandbreite der Unzulänglichkeiten und Fehlentwicklungen des Gesetzentwurfs darlegen. Ich würde dazu Stunden brauchen.
({12})
- Oder Tage. Vielmehr will ich mich als Landesgesundheitsminister, der vor Ort für ein gut funktionierendes
Gesundheitswesen zuständig und verantwortlich ist, auf
die wichtigsten Punkte konzentrieren.
Punkt 1: die schrittweise Einführung einer monistischen Krankenhausfinanzierung. Als Land sind wir
durch die geplante Einführung der Monistik in der
Krankenhausfinanzierung zuallererst betroffen. In zwei
Stufen sollen bis zum Jahr 2008 die Investitionskosten
der Krankenhäuser, die bis heute von den Ländern getragen werden, von den Krankenkassen übernommen
werden. Dies ist ein Griff in die politische Mottenkiste.
Bis 1972 wurden die Investitionen schon einmal monistisch von den Krankenkassen finanziert. Leider hat die
Erfahrung jedoch gezeigt, daß über Krankenhausentgelte
keine ausreichenden Investitionen getätigt werden
konnten.
({13})
Die Krankenhäuser hatten damals einen erheblichen
Substanzverlust zu beklagen. Innovative Neuerungen
blieben unfinanziert. Dies hatte zur Folge, daß der Anschluß an den Stand der Medizin und der Medizintechnik fast verlorenging.
({14})
Dieser Schuß ging wirklich nach hinten los. Leider haben
aber einige anscheinend bis heute nichts daraus gelernt.
({15})
So, wie die Überleitung in die Monistik im Gesetzentwurf angelegt ist, fehlt darüber hinaus eine seriöse
Gegenfinanzierung. Allein in Baden-Württemberg
müßten über 600 Millionen DM pro Jahr aus dem Gesamtbudget erwirtschaftet werden.
({16})
Diese Annahme erscheint mir bei nach wie vor steigenden Leistungen mehr als unrealistisch. Zwangsläufige
Folge wird die Unterfinanzierung der Krankenhäuser
sein.
({17})
Sie werden, wie vor 1972, Schaden an der Substanz
nehmen, und im Ergebnis wird nur die Versorgungsqualität verschlechtert. Verlierer Ihrer Reform, meine
sehr verehrten Damen und Herren von Rot und Grün,
werden also die Patienten sein.
({18})
Wollen Sie das wirklich? Ich will es nicht.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Friedhelm Repnik, Minister ({0}): Nein, ich habe zuwenig Zeit. Dann komme
ich mit meiner Zeit nicht hin.
Nein, die Zeit wird
Ihnen nicht angerechnet.
Dr. Friedhelm Repnik, Minister ({0}): Gut, Herr Kirschner, dann können Sie kurz
fragen. Bitte.
Herr Minister Repnik,
wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie, daß
beim stationären Bereich, um dieses Beispiel zu nehmen, alles beim alten bleibt. Sie wissen aber doch, da
Sie aus Baden-Württemberg kommen, daß die Krankenkassen dort beispielsweise Finanzhilfen für Berlin leisten, was mit einem Abbau der dortigen Kapazitäten gekoppelt ist. Da besteht ein Widerspruch, den Sie einmal
aufklären müßten, Herr Kollege Repnik.
Dr. Friedhelm Repnik, Minister ({0}): Herr Kirschner, das ist überhaupt kein Widerspruch; ich werde in meinen weiteren Ausführungen
darauf eingehen.
({1})
Baden-Württemberg besitzt eine ausgezeichnete Krankenhauslandschaft - das wissen Sie, Herr Kirschner, am
besten ({2})
und hat die effektivste und wirtschaftlichste Krankenhausversorgung aller Bundesländer.
({3})
Dennoch, Frau Fischer - dies nur als Nebensatz -, werden durch dieses Reformgesetz und durch die Budgetierung allein in Baden-Württemberg zirka 1 000 Arbeitsplätze im Krankenhausbereich, meist beim Pflegepersonal, abgebaut werden müssen.
Das gute System in Baden-Württemberg ist im wesentlichen durch die staatliche Verantwortung für die
Krankenhausplanung begründet,
({4})
die in Baden-Württemberg schon seit Jahren konsequent
an einer echten Bedarfsnotwendigkeit orientiert ist.
Auch die Beteiligung der Kostenträger war uns stets ein
ehrliches Anliegen. Ich kann heute mit gutem Recht sagen, daß in über 99 Prozent der Fälle unserer Krankenhausanpassungen das Einvernehmen mit den Kostenträgern hergestellt worden ist.
Wir haben in den letzten Jahren - mit den Krankenkassen abgesprochen, Herr Kirschner - in BadenWürttemberg über 6 000 Betten abgebaut oder umgewidmet und zirka 70 Krankenhäuser geschlossen. Wir
werden in den nächsten Jahren noch weitere 3 000 Betten abbauen, und zwar im Einvernehmen mit den Kostenträgern.
({5})
Baden-Württemberg bekennt sich zu seiner Planungsverantwortung und zur Verantwortung für die Finanzierung der baulichen Maßnahmen von Krankenhäusern. Planung und Finanzierung gehören zusammen,
und deswegen lassen wir uns das nicht aus der Hand
nehmen.
({6})
Auch wenn es unser Land viel Geld kostet, sage ich: Der
Staat ist es aus Gründen der Daseinsfürsorge seinen
Bürgern schuldig, auch weiterhin für eine flächendekkende, leistungsfähige und wirtschaftliche Krankenhausversorgung und für die entsprechende Finanzierung
einzustehen.
Zweiter Punkt: Positivliste.
({7})
Sie ist ein Lieblingskind der rotgrünen Bundesregierung.
Hierzu sage ich Ihnen klipp und klar: Eine Positivliste
der verordnungsfähigen Arzneimittel lehnen wir ab.
({8})
Minister Dr. Friedhelm Repnik ({9})
Für uns ist die Einzelbewertung von Arzneimitteln Sache des Arzneimittelgesetzes und nicht Sache der Krankenversicherung. Eine derartige Bewertung der Arzneimittel führt nicht zur Qualitätsverbesserung.
({10})
Sie birgt vielmehr die Gefahr sozialer Härten und kann
das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sehr
stark belasten.
({11})
Sie ist der direkte Weg in eine Zweiklassenmedizin.
({12})
Wollen Sie das? Wir lehnen das ab.
({13})
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Dreßler?
Dr. Friedhelm Repnik, Minister ({0}): Nein. Ich möchte im Zusammenhang vortragen. Ich habe gemerkt, daß sich, wenn ich meine Rede
fortführe, die Fragen erübrigen. Außerdem hat mich Ihre
heutige Rede, Herr Dreßler, sehr enttäuscht; denn Sie
wollen mit Programmen aus dem Jahre 1992 die Gesundheitspolitik im Jahr 2000 retten. So geht es nicht.
({1})
Im übrigen sind Einsparungen mehr als fraglich.
Denn Ausgrenzungen über eine Liste können massive
Substitutionseffekte verursachen und hierdurch die Arzneimittelversorgung letztendlich verteuern. Ich bin
schon verwundert, daß eine grüne Bundesgesundheitsministerin - trotz aller gegenteiliger Beteuerungen will, daß die Verordnung pflanzlicher Arzneimittel gestrichen und „chemische Keulen“ verordnet werden
sollen. Das macht doch keinen Sinn.
({2})
Herr Minister, ich
frage ein letztes Mal, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Dr. Friedhelm Repnik, Minister ({0}): Nein. Ich möchte im Zusammenhang fortfahren.
({1})
Außerdem sollten wir eines nicht übersehen: Die
Ausgrenzungswirkung einer Positivliste wird gerade innovative mittelständische Arzneimittelhersteller und die
forschende Pharmaindustrie in ihrer Existenz bedrohen.
Dies können wir nicht hinnehmen.
({2})
Herr Kirschner, jetzt komme ich zu dem Punkt der
finanziellen Hilfen in besonderen Notlagen oder zur
Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit. Unser Grundverständnis von Föderalismus, aber auch unser Verständnis
von Solidarität in einer gesetzlichen Krankenversicherung wird von dem neugefaßten § 265a des vorliegenden
Gesetzentwurfes ganz erheblich tangiert, mit dem ein
obligatorischer Finanzausgleich innerhalb der Kassenarten eingeführt wird. Bisher war dies freiwillig, Stichwort: AOK Baden-Württemberg und AOK Berlin. Dabei
soll künftig allein der Vorstand des Spitzenverbandes
über den Hilfeantrag einer Krankenkasse entscheiden.
Die Zustimmung der beteiligten Landesverbände soll im
Einzelfall nicht mehr erforderlich sein. Dieser drohende
Finanzausgleich ist föderalismusfeindlich. Er ist im Ansatz ordnungspolitisch falsch, da die Beseitigung der
Mitbestimmungsrechte der Landesverbände der Krankenkassen letztlich einen reinen Umverteilungsmechanismus fördert und die Anreize für wirtschaftliches
Handeln schwinden.
({3})
Baden-Württemberg hat sich der Solidarität innerhalb
der GKV nie verschlossen. Unsere Versicherten und Arbeitgeber tragen durch den Risikostrukturausgleich und
durch die mischkalkulierten Beitragssätze der bundesweiten Krankenkassen jedes Jahr rund 1,6 Milliarden
DM zur Mitfinanzierung der Krankenkassen in den anderen Bundesländern bei. Es kann doch nicht sein, daß
weitere Gelder unkontrolliert zur Unterstützung unwirtschaftlicher Strukturen im Gesundheitswesen abfließen.
Wir machen das nicht mit. Im übrigen ist durch die geplante Neuregelung zum kasseninternen Finanzausgleich
der Weg in eine bundesweite Einheitskasse vorprogrammiert.
({4})
Ich hoffe, daß wir nicht die einzigen sind, die das nicht
wollen.
({5})
Ein weiterer Punkt ist das Globalbudget. Der Gipfel
der Planwirtschaft offenbart sich an dem vorgesehenen
Globalbudget. Frau Fischer, auch wenn Sie es so nicht
wollen: Ein Globalbudget führt zu sektoralen Budgets;
Herr Thomae hat darauf hingewiesen.
({6})
Hier summieren sich Planwirtschaft, Bürokratismus und
handwerkliche Mängel.
({7})
Minister Dr. Friedhelm Repnik ({8})
Das Globalbudget wirkt so, wie wenn man einen Autofahrer zwingt, mit 10 Litern Benzin unbekannte Entfernungen zurückzulegen.
({9})
Nach meiner Überzeugung ist ein Globalbudget zur
strukturellen Weiterentwicklung der GKV der schlechteste aller denkbaren Ansätze. Globale Finanzierungsreserven, die über eine Budgetierung abgeschöpft werden könnten, sind im System kaum mehr vorhanden.
({10})
Die wichtigsten Leistungsbereiche wie Krankenhaus,
Arzthonorare und Arznei- und Heilmittel sind doch
bereits seit Jahren gedeckelt.
Mit einem Globalbudget wird das Morbiditätsrisiko
auf die Ärzte und Krankenhäuser übertragen. Diese
werden bei ausgeschöpftem Budget gezwungen sein,
Rationierungsentscheidungen zu treffen. Die Wartelistenmedizin ist vorgezeichnet, ohne Wenn und Aber.
({11})
Ein Globalbudget führt somit zur schleichenden Leistungsrationierung. Das Globalbudget ignoriert die
wachsende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, behindert den medizinischen Fortschritt und führt zu
erheblichen Qualitätseinbußen. Wollen Sie das? Wir
wollen das nicht. Krankheiten lassen sich nicht budgetieren, Herr Dreßler!
({12})
Im übrigen sind die Überwachung und Einhaltung des
Globalbudgets nur mit einem gewaltigen, kostenträchtigen bürokratischen Aufwand möglich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns liegt
besonders der Grundsatz der Beitragssatzstabilität am
Herzen. Die Beitragssatzstabilität, die wir in den letzten
fünf Jahren hatten, wird durch die geplante Gesundheitsreform aufs höchste gefährdet.
({13})
Neben dem prognostizierten Defizit in der GKV für das
Jahr 1999 fehlt für die im Reformgesetz vorgesehenen
Leistungserweiterungen, zum Beispiel im Krankenhausbereich, bei der Prävention, beim Zahnersatz oder bei
der Patientenberatung, die notwendige Gegenfinanzierung. Verschiedene Modellberechnungen gehen von
Mehrausgaben in Milliardenhöhe aus; dies wird
zwangsläufig zu erheblichen Beitragssatzsteigerungen
führen. Herr Kues hat vorhin schon gesagt, daß die AOK
Baden-Württemberg - ich wiederhole dies - mit einer
Beitragssatzsteigerung in Höhe von 0,7 Prozent rechnet.
({14})
Dies hätte für die Versicherten und die Arbeitgeber und
damit für den Wirtschaftsstandort Deutschland verheerende Folgen.
({15})
Die Beitragssatzstabilität ist auch deshalb in Gefahr,
weil der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Antwort auf die zu lösenden Finanzierungsfragen schuldig bleibt. Die Probleme der GKV bestehen
nicht so sehr auf der Ausgabenseite - es gibt keine Ausgabenexplosion -, sondern insbesondere auf der Einnahmenseite. Wegen der Globalisierung des Standortwettbewerbs, des veränderten Erwerbsverhaltens, des
medizinischen Fortschritts und der veränderten demographischen Bedingungen ist eine Anpassung der
Systeme der sozialen Sicherung erforderlich. Die derzeitige, fast ausschließlich an das Arbeitseinkommen
gebundene Form der GKV-Finanzierung ist diesen Herausforderungen auf Dauer nicht mehr gewachsen. Darüber müssen Gespräche geführt werden; je eher dies
geschieht, desto besser.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme
zum Schluß. Ich fordere die Bundesregierung und die
Koalitionsfraktionen auf: Nehmen Sie Ihre sozial- und
gesundheitspolitisch falschen und wirtschaftspolitisch
schädlichen Weichenstellungen im Gesundheitswesen
zurück! Wir brauchen ein plurales Gesundheitswesen,
das von den Prinzipien der Freiheit, der Eigenverantwortung, der Subsidiarität, der Regionalität und der Solidarität getragen wird. Die Gesundheit der Menschen in
unserem Land ist zu wichtig, als daß diese Grundsätze
vorschnell über Bord geworfen werden dürfen.
({16})
Hektisches Rudern, wie Sie es gerade tun, bringt uns
nicht weiter. Die Richtung muß stimmen, und die Richtung stimmt bei diesem Gesetzentwurf leider überhaupt
nicht.
Ich bedanke mich.
({17})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Martin Pfaff,
SPD, das Wort.
({0})
Ich habe vier Fragen an Sie.
Zu meiner ersten Frage. Sie haben die Positivliste
verteufelt und die Krankenhäuser in Baden-Württemberg gelobt - übrigens nicht ganz zu Unrecht. Frage:
Wenden die Krankenhäuser in Baden-Württemberg
nicht seit Jahrzehnten eine Positivliste an? Heißt das,
daß all Ihre Kritikpunkte an der Positivliste auch die
Krankenhausversorgung in Baden-Württemberg betreffen?
Meine zweite Frage bezieht sich auf die Entlastung
des Krankenhausbereichs und die zusätzliche Belastung
der Kassen, die Einsparungen für Investitionen vornehmen sollen. Ich frage Sie: Wie sieht es denn mit der
Entlastung durch Mutterschafts- und Sterbegeld aus?
Übrigens: Wenn Sie in Baden-Württemberg so viel für
die Krankenkassen tun wollen, was hindert Sie dann, in
Minister Dr. Friedhelm Repnik ({0})
anderen Bereichen eine effektive Entlastung der Krankenkassen zu erreichen, nämlich dadurch, daß das, was
bisher über Beiträge finanziert wird, aus Steuermitteln
gezahlt wird?
Die dritte Frage bezieht sich auf den Risikostrukturausgleich. Wollen Sie nicht auch, daß Kassen in BadenWürttemberg vom Risikostrukturausgleich profitieren
und von ihm begünstigt werden? Ich sage das, weil sie
durch ihre Grundlohnsummen, durch ihre Versichertenstruktur und ähnliches ebenfalls Empfängerkassen sind.
Können Sie das leugnen?
Letzter Punkt. Sie haben das Globalbudget - wie andere auch - verteufelt. Können Sie uns erklären, was der
Unterschied zwischen der Beitragssatzstabilität, die
durchgesetzt wird, und dem Globalbudget ist?
Wenn Sie diese Fragen überzeugend beantworten
können, dann haben Ihre Argumente mehr Glaubwürdigkeit.
Einen allerletzten Punkt möchte noch ansprechen:
Vor Lahnstein haben wir uns in der Opposition, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen von der anderen Seite,
nicht verweigert, weil uns die Probleme der Menschen,
der Versicherten und der Patienten, zu ernst waren. Von
Ihnen habe ich noch nicht gehört,
({1})
daß Sie ein konstruktives Angebot gemacht hätten, zumindest Teile unseres Gesetzes mitzutragen. Das möchte
ich gern von Ihnen heute noch hören.
({2})
Zur Erwiderung Minister Dr. Repnik, bitte.
Dr. Friedhelm Repnik, Minister ({0}): Herr Pfaff, meine sehr verehrten Damen und
Herren, ich fange beim letzten Punkt an: Permanent wird
hier von uns erwartet und gefordert, daß wir Vorschläge
machen. Ich verstehe das überhaupt nicht. Wir hatten ein
Gesundheitssystem, das seit Jahren Beitragssatzstabilität
aufwies.
({1})
Dieses System hatte eine hohe Qualität. Die Ärzte waren
zufrieden
({2})
- Moment; es geht weiter -; die Patienten waren zufrieden. Es gab überhaupt keinen Grund dafür, dies zu verändern. Sie mußten das System aber letztlich verändern,
weil Sie die Wahlversprechen, die Sie vor der Bundestagswahl abgegeben hatten, einhalten wollten.
({3})
Dazu sage ich: Sie haben es schlecht gemacht, weil Sie
die Wähler belogen haben. Ich kann mich daran erinnern, wie die Roten und die Grünen durch BadenWürttemberg und Bayern gezogen sind und in bezug auf
die Rehabilitationseinrichtungen und die Kureinrichtungen gesagt haben: Wir nehmen alle Zuzahlungen zurück.
({4})
Der Skandal ist der, daß Sie es eben nur marginal zurückgenommen haben.
Es gibt auch weiterhin Zuzahlungen bei den Arzneimitteln. Hier haben Sie viel mehr versprochen. Sie haben es nicht gehalten; Sie haben Ihr Wahlversprechen
gebrochen.
({5})
Sie fragen mich nach der sogenannten Positivliste im
Bereich des Krankenhauses. Die Krankenhäuser BadenWürttembergs sind deswegen in einer so guten Verfassung, weil wir seit Jahren dabei sind, unwirtschaftliche
Strukturen abzubauen, Betten abzubauen, Betten umzuwidmen. Das ist gemeinsam mit den Krankenkassen geschehen. Deswegen sage ich, Herr Pfaff: Wir haben das
gemeinsam gemacht, um die Krankenhäuser fit für das
nächste Jahrtausend zu machen. Wir können das auf
Dauer nur dann durchhalten, wenn wir als Land die Verantwortung für die Gesundheit der Bürgerinnen und
Bürger in der Fläche behalten und nicht die Krankenkassen entscheiden, wo welches Bett zu stehen hat.
({6})
Noch ein Wort, Herr Pfaff. Warum fällt der SPD
eigentlich nichts anderes ein, als immer nur auf Steuermittel zurückzugreifen? Dieses System soll nicht aus
Steuermitteln finanziert werden, sondern es soll von den
Bürgerinnen und Bürgern und damit auch von den
Krankenkassen über Beiträge finanziert werden, nicht
durch Steuermittel. Wenn Ihnen sonst nichts mehr einfällt, dann kommen Sie immer auf Steuermittel zurück.
Aus der einen Tasche heraus, in die andere Tasche hinein - dabei machen wir nicht mit.
({7})
Es spricht jetzt für
die SPD-Fraktion der Kollege Horst Schmidbauer.
({0})
Liebe Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir von der
Koalition sind nicht darüber überrascht, daß die Opposition heute poltert. Man wird das Gefühl nicht los, daß
dieses Poltern über die eigenen Versäumnisse hinwegtäuschen soll,
({0})
daß dieses Poltern auch darüber hinwegtäuschen soll,
daß man - wir haben das Gegenteil praktiziert - heute
keine Alternative zu dieser Gesundheitsreform vorlegt.
({1})
Ich denke, bei diesem Poltern spielt auch ein gewisser
Neid auf das Stehvermögen von Andrea Fischer und
Rudolf Dreßler mit.
({2})
Das Stehvermögen von Andrea Fischer und Rudolf
Dreßler ist ein Symbol für Aufrichtigkeit und Durchsetzungskraft.
({3})
Das ist, glaube ich, momentan ganz zentral gefragt.
Ich wollte eigentlich damit beginnen, daß ich die
vielen Fragen, die offengeblieben sind, beantworte und
die vielen Falschmeldungen korrigiere. Aber gestatten
Sie mir den Hinweis, daß meine Redezeit nicht annähernd ausreichen würde, das klarzumachen.
Mir ist ganz wichtig, daß bei diesem Gepolter und
dem Aufschrei der Anbieter das Beifallklatschen der
Betroffenen nicht untergeht.
({4})
Wir müssen dafür sorgen, daß nicht nur diejenigen zu
Wort kommen, die, über Beitragsgelder finanziert, Millionen von Mark für große Werbekampagnen aufwenden, sondern auch die Betroffenenorganisationen und
-verbände sich in der öffentlichen Auseinandersetzung
Gehör verschaffen.
({5})
Ich verstehe natürlich, daß Sie das nicht wollen; denn
der VdK, der Sozialverband Reichsbund, die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, die Deutsche RheumaLiga, der Paritätische Wohlfahrtsverband begrüßen ohne
Vorbehalt diese Reform nachdrücklich. Sie dagegen
wollen dies nicht zur Kenntnis nehmen. Sprechen Sie
doch endlich einmal mit den richtigen Leuten und nicht
nur mit der einen Seite!
({6})
- Frau Präsidentin, dazu muß ich eine persönliche Erklärung abgeben: Ich finde das unerhört, Herr Kollege
Thomae. Sie wissen ganz genau, daß zu diesem Zeitpunkt mein Vater verstorben ist und ich dort deswegen
nicht hinkommen konnte. Ich finde es ungeheuerlich,
daß Sie versuchen, sich auf diese Art mit mir auseinanderzusetzen. Dafür gibt es andere Gelegenheiten.
({7})
Herr Kollege
Schmidbauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Thomae?
Natürlich.
Herr Schmidbauer, ich
erinnere Sie an eine Veranstaltung in Bad Kissingen, für
die Sie zugesagt hatten. Vor der Wahl sind Sie in den
Kurorten herumgereist und haben dort vor den Bürgern
Versprechen abgegeben, die Sie nie gehalten haben.
({0})
Als Sie jetzt die Chance hatten, dort an einer Diskussion
teilzunehmen, haben Sie gekniffen. Das ist die Diskrepanz zwischen Versprechungen machen und Versprechungen halten. Ich rede nicht von der anderen Veranstaltung, sondern von dieser Sache.
In bezug auf die Veranstaltung mit den Diabetikern
muß ich Herrn Wodarg ansprechen, der dort anwesend
war. Die Diabetiker waren darüber entsetzt, was in diesem Gesetz steht. Durch das Vorschaltgesetz zu diesem
Gesetz spüren sie schon heute, daß ihre Versorgung
nicht mehr gesichert ist.
({1})
Ich kann
Ihnen das erklären: Weil ich mit dem Auto unterwegs
war - anders war es verkehrstechnisch nicht zu machen;
denn zuvor ist, wie wir das öfters erleben, eine Flugverbindung ausgefallen -, konnte ich nicht rechtzeitig dort
sein. Ich habe Bad Kissingen von unterwegs angerufen
und dem Kurdirektor Bescheid gesagt, daß ich aller
Voraussicht nach erst gegen 21.30 Uhr Bad Kissingen
erreichen kann. Darauf hat mich der Kurdirektor gebeten, nicht mehr nach Bad Kissingen zu kommen, weil es
keinen Sinn mehr habe. Das hat also nichts mit Kneifen
zu tun.
Wir haben auch überhaupt keine Veranlassung, Herr
Kollege Thomae, in diesen Fragen zu kneifen. Denn wir
haben eine ganze Menge von dem repariert, was Sie
plattgemacht haben.
({0})
Sie tragen Verantwortung dafür, daß Tausende von
hochqualifizierten Arbeitsplätzen im Bereich von Rehaund Kureinrichtungen weggefallen sind. Wir sind jetzt
dabei, das, was Sie plattgemacht haben, schrittweise und
unter Wahrung der Beitragssatzstabilität in Ordnung zu
bringen.
({1})
Das gilt insbesondere für den Bereich der chronisch
Kranken. Im Vordergrund unseres Gesetzes steht die
Versorgung von chronisch Kranken. Entscheidend dabei
ist, mittels der Auflösung von sektoralen Begrenzungen
ressortübergreifende Behandlungskonzepte und -formen
einzuführen. Die Versorgung der chronisch Kranken und
der Diabetiker muß so gestaltet werden, daß das realiHorst Schmidbauer ({2})
siert wird, was Sie vor zehn Jahren unterschrieben hatten: die Zahl der Amputationen innerhalb weniger Jahre
zu halbieren. Nichts ist geschehen. Die Amputationsrate
in Deutschland ist gestiegen. Wir geben über 1 Milliarde
DM für Amputationen aus. Genau das wollen wir nicht.
Wir wollen das Geld nicht für Amputationen, sondern
für eine ordentliche, sachgerechte Versorgung von Diabeteskranken ausgeben. Nur so kann die Amputationsrate gesenkt werden.
({3})
Noch zu einem anderen Punkt: Heute ist immer wieder dargelegt worden, die GKV sei an uns, die neue
Regierung, mit einem tollen, positiven Ergebnis übergeben worden. Ich habe von 2 Milliarden DM, aber auch
schon von 8 Milliarden DM gehört. Deshalb habe ich
mir erlaubt, nachzufragen. Es stellt sich heraus, daß der
exakte Überschußbetrag bei 1 187 987 258 DM lag.
({4})
- Ja, der Überschuß. Der Überschuß ist von Ihnen
bisher auf 2 Milliarden DM aufgerundet worden.
({5})
Ich möchte jetzt Ihren Trick in aller Deutlichkeit
ansprechen. Sie müssen der Öffentlichkeit sagen, auf
wessen Kosten und zu wessen Lasten Sie diesen Überschuß bei den Krankenkassen erreicht haben. Sie verschweigen nämlich, daß Sie die Menschen durch Ihr
Gesetz, mit dem Sie die Versicherten beim Zahnersatz
zu Privatversicherten gemacht haben, dazu gebracht
haben, mit den Füßen abzustimmen. Sie ließen keinen
Zahnersatz mehr vornehmen, und die Folge war: Es
wurden den Versicherten exakt 2 582 498 210 DM für
Zahnersatz vorenthalten. Das ist Ihr sogenanntes positives Ergebnis. Ich würde mich schämen, hier mit solchen Manipulationen anzutreten.
({6})
Was uns in der Sozialdemokratie so aufbringt, ist,
({7})
daß Sie die Frage der Eigenverantwortung zur Kaschierung mißbrauchen, um in Wirklichkeit Ihre Abzockerei
weiter zu betreiben,
({8})
obwohl Sie längst erlebt haben, daß die Grenze der
Belastbarkeit bei den Kranken bereits erreicht, ja überschritten ist. Wo haben wir das erlebt? Wir haben das
beim Zahnersatz erlebt. Dort haben 30 Prozent der
Menschen keinen Zahnersatz mehr gewollt, nachdem sie
den Kostenvoranschlag vom Zahnarzt erhalten und von
ihrer Krankenkasse gehört hatten, welchen Festbetrag
sie dafür erhalten würden. Die Menschen haben die
notwendige Behandlung nicht durchführen lassen, sondern sich bestenfalls für Reparaturen entschieden.
({9})
Das ist für uns das Zeichen, daß die Belastungsgrenze
überschritten ist.
Das gleiche haben wir auch im Bereich der Arzneimittel erlebt. Ich verstehe nicht, wieso man die EMNIDUmfrage, die die Apotheker seinerzeit in Auftrag gegeben
haben, einfach weggesteckt hat. Was sagte diese EMNIDUmfrage? 41 Prozent der Patienten gingen nicht mehr
zum Arzt, knapp 50 Prozent lösten ihr Rezept nicht voll
oder gar nicht ein. 18 Prozent hatten Verordnungen nur
noch bei schwerwiegender Krankheit eingelöst. Der Verbrauch rezeptfreier Arzneimittel ging um 11 Prozent zurück. Das war das Umfrageergebnis der Apotheker. Das
zeigt auch, daß Ihre Abzockerei die Belastungsgrenze für
die Patientinnen und Patienten erreicht hatte, und deswegen mußten die Zahlen zurückgehen.
Wir sagen: Die hohen Zuzahlungen führen zu mehr
chronischen Krankheiten, und die zusätzlich chronisch
Kranken sind es, die letztendlich die Krankenkassen
massiv Geld kosten.
({10})
Deswegen haben wir versprochen: Wir werden nicht nur
das Sachleistungsprinzip für den Zahnersatz wieder einführen, sondern wir werden auch die Zuzahlungen sukzessive zurücknehmen.
Ich freue mich ganz besonders darüber, daß wir in
den ersten drei Monaten 400 Millionen DM an die Menschen zurückgegeben haben, die Sie ihnen unberechtigterweise abgezockt hatten.
({11})
Das nenne ich Worthalten. So wollen wir mit den Menschen umgehen. Wir wollen die Menschen nicht für
dumm verkaufen.
Ich ärgere mich über die ungesunde Entwicklung
- das ist heute vielfach angesprochen worden - unseres
Gesundheitswesens. Ich denke, wir brauchen zur Wiederherstellung eine ganz intensive Therapie. Wir sind
fest davon überzeugt, daß mit dieser Therapie die Effizienz unseres Gesundheitswesens, nämlich Qualität und
Wirtschaftlichkeit, wieder den Rang erreichen wird, den
wir viele Jahrzehnte in Deutschland vorzuweisen hatten.
({12})
Diese Fehlentwicklung müssen wir wieder in Ordnung
bringen. Auch Sie haben diese Fehlentwicklung gekannt, auch Sie haben von den unwirtschaftlichen
Strukturen gesprochen, aber man muß feststellen: Die
alte Regierung hatte nicht die Kraft, diese Probleme
nachhaltig anzugehen.
In dieser Frage hilft uns der neoliberale Ansatz, der
Staat müsse sich nur zurückziehen, dann sei alles zum
Besten bestellt, nicht. Ich will Ihnen einmal zur Kenntnis bringen, was der Augsburger Laborarzt Schottdorf
vor kurzem von sich gegeben hat. Er meint, es geht vielen Medizinern nicht darum,
wie man die Patienten am besten versorgen kann,
sondern darum, wer sie versorgen darf, wer die
Lizenzen hat und was man damit herausholen kann.
Horst Schmidbauer ({13})
Ich denke, das sind die Folgen einer neoliberalen
Gesundheitspolitik, die wir so nicht mehr fortsetzen
wollen. Die Verantwortlichen müssen sich doch fragen
lassen: Geht es noch um die Patienten oder nur um die
Kassenlizenz, nur darum, mit dem Labor Geld zu drukken?
Wir sagen: Nein, das kann nicht angehen. Wir brauchen einen aktivierenden Staat und keinen Nachtwächterstaat; denn wir müssen dafür sorgen, daß die
Umstrukturierung in diesem Lande läuft. Wir haben zu
viele Ärzte, die sich dem Existenzminimum nähern. Wir
müssen davon wegkommen, daß nur einige wenige
Ärzte kräftig einsacken. Wir müssen diesen Bereicherungsbazillus in Deutschland abtöten, damit wir letztendlich zu gerechten Vergütungen von Leistungen
kommen können.
({14})
Ich habe das Gefühl, daß Sie uns zur Zeit mit
Schlagwörtern wie „Globalbudget“ und „Rationierung“
in die Ecke treiben wollen. Wir sagen: Solange wir unwirtschaftliche Strukturen haben, die 20 bis 25 Milliarden DM kosten, haben wir die Verpflichtung, alles daranzusetzen, diese unwirtschaftlichen Strukturen aufzulösen und die dadurch gewonnenen Gelder gezielt dort
einzusetzen, wo Unterversorgung herrscht.
({15})
Ich frage mich, wer denn diese unwirtschaftlichen
Strukturen weiterhin gutheißen will. Noch zu Ihrer
Zeit, unter der Verantwortung von Herrn Seehofer, wurde eine Qualitätssicherungsstudie in Auftrag gegeben,
die die Gynäkologie und die Geburtshilfe betraf. Man
muß sich einmal vor Augen halten, daß jede zweite
Gebärmutterentfernung und mindestens 25 Prozent der
Eierstockentfernungen in Deutschland nach diesem von
Seehofer in Auftrag gegebenen Qualitätssicherungsgutachten überflüssig waren. Da geht es für mich um die
Frage der Menschenwürde und um die Frage der
Rechtsverletzungen, die damit einhergehen. Dahinter
stecken aber natürlich auch die unwirtschaftlichen
Strukturen. Ich frage: Wer entzieht sich der Verantwortung, beides in Ordnung bringen zu wollen, nämlich
Unwirtschaftliches zu beseitigen und gleichzeitig die
Qualität so zu sichern, daß wir sie auch akzeptieren
können?
Ich glaube, wir müssen das Thema Qualitätssicherung in den Vordergrund stellen. Für uns muß Qualitätssicherung - das kann man im Gesetz der Koalition
erkennen - gewährleisten, daß möglichst wenig Geld für
Dinge verpulvert wird, die der Heilkunst nichts nutzen.
Wir müssen das Geld so effizient wie möglich einsetzen.
Dazu brauchen wir in diesem Gesetz eine Qualitätssicherung, die einen zentralen Charakter hat und diese
doppelte Aufgabe wahrnimmt.
Ich denke, das ist der entscheidende Punkt, den wir
umsetzen. Wir werden es nicht zulassen, daß 70 Millionen Kassenpatienten in eine Situation hineingezogen
werden, welche die Qualitätssicherung vernachlässigt.
Das ist nichts anderes als versuchte Geiselnahme. Wir
werden uns schützend vor die Patientinnen und Patienten stellen, damit sie nicht mißbraucht werden.
({16})
Wir werden dafür sorgen, daß sie objektiv über ihre Zukunft informiert werden, damit sie darüber abstimmen
können, wie sie das in der Vergangenheit getan haben.
({17})
Ich möchte mich aber am Schluß in meiner Bewertung zurückhalten. Ich möchte lieber einen Fachmann
zitieren, der nicht im Verdacht steht, der rotgrünen Koalition besonders nahezustehen. Ich zitiere:
Was nun in den Umrissen sichtbar ist, bietet Aussicht auf eine wirkliche Reform des Gesundheitswesens, die auch für die Vertragsärzte neue Chancen eröffnet.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß KBV
und KVen mit Fundamentalkritik … antworten.
Diese Organisationen, die ihren Monopolcharakter
verlieren, nicht jedoch ihre Zwangsmitglieder, sind
die wahren Looser dieser Reform.
Für die Vertragsärzte entstehen dagegen neue Optionen: Sie können den Krankenkassen innovative,
vernetzte Versorgungsformen anbieten und ohne
die KV Verträge schließen. Die rotgrüne Koalition
setzt damit bewußt auf die Reformfreudigkeit und
Kreativität an der Versorgungsbasis, nachdem sich
KBV und KVen über viele Jahre als viel zu schwerfällig erwiesen haben, notwendige Reformen anzupacken.
Es wird auch Verlierer geben: die Ewiggestrigen,
die Eigenbrötler, diejenigen, die nicht kooperationsfähig sind. Das ist die Soziallast der KVen, und
die wird stärker spürbar.
Dieses Zitat stammt aus einem Kommentar unter dem
Motto „Die Reform als Chance sehen“, verfaßt von
Helmut Laschet, dem stellvertretenden Chefredakteur
der „Ärzte-Zeitung“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
({18})
Das Wort hat der
Kollege Wolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dreßler, ich gehe
als erstes auf Sie ein. Sie forderten hier vorhin Alternativen der CDU/CSU. Dann frage ich Sie: Haben Sie ein
so kurzes Gedächtnis, daß Sie nicht einmal mehr unser
Gesetz von vor zwei Jahren kennen
({0})
Horst Schmidbauer ({1})
- das Zweite Neuordnungsgesetz -, das dazu geführt
hat, daß die Beiträge stabil waren und daß die Patienten
übers ganze Jahr eine Versorgungssicherheit hatten, und
in dem wir Strukturverträge eingeführt haben? Diese
Strukturverträge, die Sie jetzt zum Teil übernommen
haben, sind übrigens einer der wenigen positiven Ansätze, die ich in Ihrem Gesetzentwurf erkennen kann. Aber
unser Gesetz war so gut, daß man es nicht schon nach
zwei Jahren ändern muß. Das hätte man ruhig systematisch fortführen können.
({2})
Was Ihre Äußerung hinsichtlich der 25 Milliarden
DM angeht, so bitte ich Sie, Herr Dreßler, endlich zur
Kenntnis zu nehmen, daß diese Aussage vor vier Jahren
getätigt wurde und daß gerade im Krankenhausbereich
schon viel getan wurde. In den letzten zwei Jahren wurden 17 000 Betten abgebaut. Da können Sie doch nicht
so tun, als sei diese Rationalisierungsreserve nach wie
vor vorhanden. Seien Sie doch mit Ihren Zahlen etwas
ehrlicher!
({3})
In dem Gesetzentwurf von Rotgrün zur Gesundheitsreform 2000 heißt es:
Ein sozial gerechtes Krankenversicherungssystem
muß sich zudem verpflichtet wissen, die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Patientinnen und Patienten zu achten, ihre Eigenkompetenz zu stärken ...
({4})
Selbst wenn man von Gott und der Bibel nicht viel hält,
gilt für Sie auch der Satz: „Nicht an ihren Worten, an
ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“
({5})
Der heute von Ihnen vorgestellte Gesetzentwurf verbirgt hinter wohlklingenden Überschriften systemverändernde Maßnahmen. Ich sage nur beispielhaft: Sie sprechen von Positivlisten; in Wirklichkeit bedeuten sie
Listenmedizin und Einschränkung der Therapiefreiheit.
({6})
Sie sprechen von Hausarztmodell; in Wirklichkeit führt
es zur Einschränkung und Aufgabe der freien Arztwahl.
({7})
Sie sprechen von Globalbudget; in Wirklichkeit bedeutet es Krankenbehandlung nach Kassenlage.
({8})
Sie sprechen von Stärkung der Patientenrechte; in
Wirklichkeit führt es zu Entmündigung und Bevormundung der Versicherten.
Ich will versuchen, Ihnen an einigen Beispielen zu
verdeutlichen, wie weit Reden und Handeln bei dieser
Regierung auseinander liegen. Sie haben zum Beispiel
vollmundig angekündigt, die Rechte der Patienten zu
stärken. Wie haben Sie jetzt gehandelt?
Erstens. Wir haben gesetzlich geregelt, daß die Patienten von ihrem Arzt endlich eine Rechnung bekommen. Dies bedeutete mehr Transparenz und eine Stärkung der Patientenrechte.
({9})
Aber das war das erste, was Sie abgeschafft haben. Mehr
Patientenrechte à la SPD!
Zweitens. Wir haben dem Patienten die Wahlmöglichkeit gegeben, sich auch als Privatpatient behandeln zu lassen. Sie haben den Patienten diese Wahlmöglichkeit wieder genommen. Mehr Patientenrechte
à la SPD!
Kurioserweise haben Sie diese Einschränkung teilnachgebessert, allerdings mit der fatalen Folge, daß jetzt
nur Besserverdienende in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Wahlrecht haben und weniger Verdienende dieses Wahlrecht nicht mehr haben. Gerechtigkeit für
die kleinen Leute à la SPD!
({10})
Drittens. In Ihrem sogenannten Hausarztmodell
entmündigen Sie den Patienten, da er auf die freie
Arztwahl verzichtet. Der Krankenkassenfunktionär und
nicht mehr der Patient entscheidet, zu welchem Arzt er
geht. Auch möchte ich jedem - besonders bei schweren
Erkrankungen - eine Zweitmeinung zubilligen, ohne daß
er dafür finanziell abgestraft wird.
({11})
Im übrigen bin ich der Meinung, meine sehr geehrten
Damen und Herren, daß die erfreulich hohe Qualität des
Gesundheitswesens in Deutschland im wesentlichen eine
Folge der freien Arztwahl ist.
({12})
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierung, Ihre vielleicht gutgemeinte Idee, die Patientendokumentation beim Hausarzt zu sammeln, kann
man auch unter Beibehaltung der freien Arztwahl verwirklichen, indem man einfach die gegenseitigen Informationen der Ärzte regelt.
({13})
Dies scheint jedoch nicht Ihr wahres Ziel zu sein. Sie
wollen den ersten Schritt in Richtung Einkaufsmodell
vollziehen. Das ist der wahre Hintergrund.
Ich darf in diesem Zusammenhang einen von mir sehr
geschätzten Politiker zitieren, der bemerkt hat, zugespitzt gesagt, es fehle in diesem sehr dirigistischen Entwurf nur noch der Schritt, alle Vertragsärzte gleich zu
Angestellten der Krankenkassen zu machen;
({14})
denn unabhängige Selbständige würden diese nach dem
Gesetz nicht mehr sein, sondern eher ScheinselbstänWolfgang Zöller
dige. Und die Scheinselbständigenregelung läßt bei
Ihnen ja auch grüßen.
({15})
- Wer das ist? Wenn Sie es nicht wissen, bin ich gerne
behilflich. Das ist einer Ihrer Parteikollegen, Herr Klose,
den ich wirklich sehr schätze.
Viertens. Die Positivliste ist eine Liste verordnungsfähiger Arzneimittel im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie schafft nicht nur Medikamente erster und zweiter Klasse, sondern fördert auch die Zweiklassenmedizin. Außerdem gefährdet die Positivliste die
Therapiefreiheit des Arztes; denn der Patient hat nur
Anspruch auf das gelistete Medikament und nicht auf
das für ihn sinnvollste.
({16})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dieser
Ausgrenzung treffen Sie besonders chronisch Kranke,
für die Sie sich doch angeblich besonders einsetzen
wollen. Sie konterkarieren auch ein weiteres Versprechen, daß nämlich die chronisch Kranken von der Zuzahlung befreit würden. Es stimmt zwar, daß sie nichts
zuzahlen müssen, sie müssen es aber ganz zahlen. Auch
bei Ihrer Chroniker-Regelung benachteiligen Sie die
Familien und stellen sie schlechter als bei unserer bisherigen Regelung.
({17})
Eine Familie mit einem chronisch Kranken und
einem Einkommen von 4 000 DM zahlte bei uns maximal 480 DM jährlich zu. Bei Ihrer Regelung zahlt zwar
der chronisch Kranke nichts, die Familie aber 960 DM.
({18})
Diese Regelung trifft bewußt für Lebensgemeinschaften
nicht zu. Wen wundert es?
({19})
Nun zu Ihrem Einwand, bei der Zuzahlung würde abgezockt. Wie ehrlich Ihre Argumente sind, sieht man
daran, daß Sie die Zuzahlung in einer Größenordnung
von 0,8 Milliarden DM zurücknehmen und im gleichen
Zeitraum Arzneimittel für über eine Milliarde DM ganz
ausgrenzen.
({20})
Sie haben also die Leute nicht um 0,4 Milliarden DM
entlastet, sondern Sie haben sie belastet. Da frage ich
mich, wer hier wo abzockt.
({21})
Ein fünfter Punkt, der mit dem Patientenrecht zusammenhängt, ist Ihr sogenannter Patientenschutz, der
die Kassen verpflichtet, die Kosten zu übernehmen, die
entstehen, wenn Verbraucherschutzverbände und deren
Rechtsvertreter medizinische Gutachten erstellen, um
zum Beispiel gegen Ärzte vorzugehen. Dies wird letztendlich zu Lasten der Patienten gehen. Die Ärzte werden
sich nun rechtlich mehr absichern müssen. Dies wird zu
mehr Untersuchungen führen, die medizinisch nicht
notwendig sind. Die Rechtsanwälte müssen künftig von
den Krankenkassenbeiträgen ebenso bezahlt werden wie
die überflüssigen Untersuchungen. Dies geht zu Lasten
medizinisch notwendiger Leistungen in unserem Gesundheitssystem.
({22})
Als sechstes Beispiel bringe ich Ihnen: Die Einführung der monistischen Finanzierung der Krankenhäuser wird das Ende einer wohnortnahen stationären Versorgung sein.
({23})
Genauso wird Ihre zusätzliche Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Tätigkeiten zum Verlust der flächendeckenden Versorgung mit Fachärzten führen. Da
nützt es auch nichts, wenn Ihr Redner sich hier hinstellt
und ausführt, Sie würden besonders an die Fachärzte
denken.
Ich darf aus einem internen Papier der SPD zitieren.
Da erkennt man auch Ihre Gesinnung. Da heißt es unter
Punkt 3:
Ziel: Liquidierung einer fachärztlichen Versorgung
auf freiberuflicher Basis
Ich würde mich schämen, so etwas auch nur zu denken.
({24})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, entschuldigen Sie bitte, wenn ich nochmals eine sehr treffende
Bewertung Ihres Gesetzentwurfs aus Ihren eigenen Reihen zitiere. Sie ist so gut, daß ich sie gern wiederhole,
zumal gute Äußerungen von dieser Seite leider sehr selten sind.
Es geht um eine für mich sehr grundsätzliche
Frage. Da kann man keine Kompromisse machen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Dieter
Thomae?
Nein, jetzt bei dem
guten Zitat garantiert nicht.
Ich habe ein anderes Menschenbild als jenes, das
diesem Entwurf zugrunde liegt. Das Gesundheitssystem muß nach meiner Überzeugung auch den
einzelnen Patienten und den einzelnen Arzt in seiner Verantwortung sehen. Es geht also um die
grundsätzliche Entscheidung, ob man auf Reglementierung setzt oder auf individuelle Verantwortung.
Wenn es mir auf meine Redezeit nicht angerechnet
würde, würde ich dieses Zitat noch zwei-, dreimal vorlesen; denn es ist so gut.
({0})
Herr Kollege, ich
frage Sie noch einmal: Lassen Sie jetzt die Zwischenfrage des Kollegen Dr. Dieter Thomae zu?
Selbstverständlich.
Herr Zöller, ich habe
eine Passage Ihrer Rede nicht ganz mitbekommen.
Könnten Sie das bitte wiederholen und das Papier der
SPD zum Thema Facharzt zitieren?
({0})
Ich hatte eine Überschrift über die Einschätzung aus einem SPD-internen
Papier vorgelesen. Da heißt es:
Liquidierung einer fachärztlichen Versorgung auf
freiberuflicher Basis
Die zweite Überschrift lautet:
Zerschlagung der Kassenärztlichen Vereinigung
Die weitere Überschrift lautet:
Unbefristete Fortsetzung der Budgetierung
Allein wenn man diese drei Überschriften sieht, kann
man sich vorstellen, in welchem Geist solche Gespräche
geführt werden.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, selbst das
Bündnis Gesundheit 2000, ein Zusammenschluß von
Krankenschwestern, Apothekern, Hebammen, Krankengymnasten und Ärzten, kritisiert Ihren Entwurf und stellt
fest: Unser bewährtes Gesundheitssystem, das allen Patienten unabhängig vom sozialen Status offensteht, soll
durch ein Planwirtschaftssystem ersetzt werden. Der
große Verlierer wird der Patient sein.
Deshalb komme ich zu der Schlußfolgerung: Es ist
für mich zum einen sehr erfreulich, daß man endlich
wieder klare Alternativen zwischen Rotgrün und der
CDU/CSU erkennen kann: Auf der einen Seite haben
wir ein freiheitliches und hochqualifiziertes System mit
Eigenverantwortung, auf der anderen Seite ein Einheitssystem Richtung Staatsmedizin.
Sollte dieser Gesetzentwurf trotzdem umgesetzt werden
({1})
- ich befürchte es, da eindeutige Erkenntnisse in Anhörungen von Ihnen bisher nie respektiert wurden -,
({2})
dann wird wohl der Satz von Bundeskanzler Schröder
nach der Europawahl „Wir haben verstanden“ nachgebessert werden müssen in: „Ich habe fertig“. Ich wünsche dies uns allen von ganzem Herzen.
({3})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dr. Wolf Bauer, CDU/
CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich habe diese
Debatte sehr aufmerksam verfolgt. Als letzter Redner
muß ich mich, da ich von der SPD und den Grünen gehört habe, daß wir ein gutes Gesundheitssystem haben,
ehrlich fragen: Warum strengen Sie sich an und wollen
dieses gute Gesundheitssystem mit aller Gewalt zerstören?
({0})
Es kann doch nur eine ideologische Zielsetzung sein.
Minister Repnik hat die Alternativen aufgezeigt. Wir
brauchen eigentlich gar keine neuen Modelle, weil die
Alternativen mit unseren Vorhaben der letzten Jahre
übereinstimmen. Das muß und kann man weiterentwickeln. Aber man darf es doch nicht einfach zerstören,
nur weil man es will und nur weil es von der anderen
Partei ist. Wenn Sie es - das will ich feststellen - mit
Nachdruck durchsetzen wollen und stolz darauf sind,
daß Sie das gegen den Widerstand von den Verbänden
machen, dann kann ich nur sagen: Bei einigen wird offenbar Stehvermögen - wie es eben von Herrn Schmidbauer zitiert worden ist - mit Sturheit verwechselt.
({1})
Heute ist viel über das Globalbudget gesagt worden.
Ich will nur eines wiederholen: Das ist der unintelligenteste Weg, unser Gesundheitssystem zu reformieren,
({2})
und es ist keine adäquate Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Das ist heute noch gar nicht gesagt
worden. Es hat niemand von der demographischen Entwicklung gesprochen; es hat niemand von der veränderten Morbidität gesprochen; es hat niemand von steigender Erwartungshaltung und steigender Lebensqualität
gesprochen. Ja, wollen Sie das denn den Versicherten
vorenthalten?
Das einzige, was angesprochen worden ist, ist der
medizinische Fortschritt. Nun weiß ich, daß in den Debatten immer wieder kritisiert wird, daß der Arzneimittelverbrauch in dem ersten Vierteljahr zu stark gestiegen sei. Sie müssen dabei aber auch zur Kenntnis nehmen, daß es Untersuchungen gibt, nach denen 5,5 bis
6 Prozent dieser Ausgabensteigerung im ersten Quartal
1999 auf einer Verbesserung der Arzneimitteltherapie
beruhen. Das dürfen wir doch den Patienten und Versicherten nicht vorenthalten! Ein Budget führt - da können Sie reden, was Sie wollen - zu einer Rationierung
und - auch das ist mehrfach gesagt worden - zu einer
Zweiklassenmedizin.
({3})
Ich kann nicht verstehen, daß Sie das wollen.
Das gleiche gilt für die Positivliste, denn sie fügt sich
nahtlos in dieses System ein. Warum ist die Positivliste
patientenfeindlich? Weil den Patienten all die Arznei4194
mittel vorenthalten werden, die nicht darin stehen. Die
müssen sie dann selber kaufen.
({4})
Was hat das zur Folge? Der sozial Schwache kann sich
das nicht leisten; nur der Rest kann sich diese Ergänzungen leisten.
({5})
Herr Dreßler, Sie haben vorhin die 50 000 Arzneimittel angesprochen. Die sind doch nicht das Problem!
({6})
- Nein, sie sind nicht das Problem. Lassen Sie doch jeden Arzt und jeden Patienten individuell das aus diesen
50 000 Arzneimitteln auswählen, was für ihn das beste
ist und was in die Therapie hineinpaßt! Das ist doch ausschlaggebend.
({7})
Mit der Positivliste werden Sie überhaupt nichts sparen.
Das einzige, was Sie damit erreichen werden, ist, daß
Ärzte gezwungen werden, letztlich stärker wirkende
Arzneimittel und solche mit mehr Nebenwirkungen aufzuschreiben. Das kann doch nicht Sinn und Zweck der
Sache sein! Aber genau das wollen Sie mit Ihrer Positivliste erreichen.
({8})
Heute ist schon viel gesagt worden. Ich möchte etwas
erwähnen, was noch nicht zur Sprache gekommen ist.
Ich möchte einen Versicherten sprechen lassen, weil es
meiner Meinung nach ungeheuer wichtig ist, zu sagen,
wie Sie die Versicherten in der kurzen Zeit seit Ihrer
Regierungsübernahme verunsichert haben. Ich meine
damit sowohl die Leistungserbringer als auch die Betroffenen selbst. Ich zitiere aus einem Brief:
Nach einer Krebsoperation, Chemobehandlungen
und Bestrahlungen wurde ich noch einmal in eine
Klinik eingewiesen, um mich wieder aufzubauen
und mein Immunsystem wieder auf normale Werte
zu bringen. Nach einiger Zeit, als die Bemühungen
der Ärzte Erfolge zeigten und es mir auch wieder
besser ging, entließ man mich nach Hause mit
einem Arztbrief, auf dem die weitere Medikation
für die nächsten Monate stand.
Da man in der Klinik Medikamente nur für die
Zeitspanne bis zum nächsten Arztbesuch bekommt,
war mein erster Gang zum Hausarzt. Nach anfänglicher freudiger Begrüßung kam schnell die Ernüchterung. Nachdem er gelesen hatte, was weiter
verordnet werden soll …, sagte er dann, daß er dies
nicht verordnen könne und es außerdem statistisch
nicht erwiesen sei, daß dieses was bringt.
Nach Einwendungen meinerseits sagte er mir, er
könne ja verstehen, daß man nach jedem Strohhalm
greift, wenn man an der Wand steht. Verordnen
könne er mir nur die Lymphdrainagen - mit dem
Nachsatz, daß mir das nächste Rezept der Frauenarzt verschreiben solle.
Diese würden sein Budget nicht so überfordern.
Dies war nun schon das zweite Mal, daß er mich
wegen seines Budgets an andere Ärzte verwies.
Nachdem ich darauf sagte, daß ich mir wegen seiner Einstellung einen Arzt mit Naturheilverfahren
suchen wolle, entgegnete er mir, wenn ein Arzt so
etwas vertritt, dann solle er es auch verschreiben; er
hätte nichts dagegen.
Dann wird die Patientin weiter an den Frauenarzt und
wieder zurück an den Hausarzt überwiesen. Die Verantwortung wird hin und her geschoben. Die Vertreter
der Krankenkassen sagen am Ende, man könne die Arzneimittel verschreiben. Aber durch die von Ihnen verursachte Verunsicherung findet sich kein Arzt, der dies tut.
Der Schlußsatz in dem Brief heißt:
Ist das der Sinn einer Gesundheitsreform?
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der SPD
und von den Grünen: Wollen Sie eine solche Verunsicherung wirklich erreichen? So wie in diesem Beispiel
wirkt sich das Globalbudget aus.
({9})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte Sie alle, Ihre Plätze einzunehmen
und auch dem letzten Redner in dieser Debatte zu folgen. Das ist ein Akt der Kollegialität.
Ich möchte hier auch
den Vorstandsvorsitzenden der Barmer Ersatzkasse zitieren. Er sagt: Das vorgesehene Globalbudget sei eine
totale Fehlgeburt. Für das Jahr 2000 sei für die Krankenkassen ein Volumen eingeplant, das nur um 2,8 Prozent über dem von 1998 liege. Die Kassen lägen bereits
in diesem Jahr um 3 bis 4 Prozent darüber. Der Vorstandsvorsitzende endet mit dem Satz:
Ich kann schon heute sagen, ich kann dieses Globalbudget nicht einhalten.
Wenn Sie uns, der Opposition, schon nicht glauben,
dann glauben Sie doch wenigstens den Vertretern der
Krankenkassen.
({0})
Sie müssen doch einmal folgendes bedenken: Jeder
Arzt muß sich täglich die Frage stellen, ob eine Therapie
notwendig, wirtschaftlich und ausreichend ist. Heute
erwartet jeder Versicherte - das erwartet er zu Recht -,
daß die bestmögliche Therapie angewendet wird. Der
Arzt und nicht irgendein Mitglied einer Krankenkasse
muß seinem Patienten mitteilen, daß nicht das Optimale,
sondern nur noch das gerade medizinisch Notwendige
getan werden darf. Ich frage Sie, ob Sie das wollen. Der
Frau Ministerin, die so viel von Qualität spricht, sage
ich: Hier bleibt die Qualität auf der Strecke. Diese Beispiele ließen sich fortsetzen.
Herr Kirschner, ich möchte zum Beispiel noch das
Benchmark-Modell ansprechen, obwohl die gesamte
Koalition das Wort „Benchmark-Modell“ scheut wie
der Teufel das Weihwasser. Sie wissen genau, was dahintersteckt. Durch Ihr Modell gibt es keine bessere
Medizin. Ihr Modell orientiert sich am Billigsten. Sie
können nicht einfach davon ausgehen, daß Sie mit den
Kriterien „Alter“ und „Geschlecht“ dieses Problem
lösen können.
Sie müssen sich schon einmal die Mühe machen - ich
habe es getan -, anzuschauen, wie sich die Arzneimittelausgaben zusammensetzen. Wenn Sie das tun, erhalten
Sie auch eine Antwort darauf, warum es zwischen den
einzelnen KVen große Unterschiede gibt. So ist zum
Beispiel der Insulinumsatz pro Einwohner in der KV
Südbaden nur etwa halb so hoch wie der in der KV
Mecklenburg-Vorpommern. Solche Unterschiede gibt es
auch zwischen den saarländischen und den badischen
KVen. Daran können Sie erkennen, daß man mit sturem
Festhalten an einem Globalbudget die Probleme nicht
lösen kann. Mehr Flexibilität ist notwendig. Das fordern
wir von Ihnen. Wir werden diese Forderung aufrechterhalten und sie immer wieder stellen, wenn Sie dieser
Forderung nicht ausreichend nachkommen.
Zum Schluß. Neben allen Ungereimtheiten bleibt die
Frage offen, was Sie, meine Damen und Herren von der
Koalition, mit Ihrer Gesundheitsreform überhaupt erreichen wollen. Daß Sie Wahlversprechungen einlösen
wollen und müssen, haben wir heute schon gehört. Daß
Sie dabei in weiten Bereichen den vollkommen falschen
Weg gehen, werden Sie noch einsehen. Aber machen
Sie doch wenigstens nicht die gleichen Fehler, die wir
zum Teil auch gemacht haben und die wir sofort korrigiert haben! Lernen Sie doch wenigstens daraus! Erkennen Sie, daß es so nicht weitergehen kann!
Das, was Sie vorhaben, führt - ob Sie es wahrhaben
wollen oder nicht - zu Mangelverwaltung, zu Rationierung und zu großen Arbeitsplatzverlusten im Gesundheitswesen. Das kann nicht Ziel der Politik sein, die hier
in diesem Hause betrieben wird.
Verlierer - darauf möchte ich vor allem hinweisen sind die Versicherten - besonders die sozial Schwachen -,
die sich mit den Gesundheitsleistungen zufriedengeben
müssen, die SPD, Grüne und die Krankenkassen ihnen
vorschreiben. Die Sozialhilfeempfänger und vor allem
die Rentner bleiben auf der Strecke, wenn es zusätzlich
zu den von Ihnen vorgesehenen Rentenkürzungen
kommt.
Verlierer sind auch die vielen mittelständischen
Strukturen. Heute ist bereits das Einkaufsmodell angesprochen worden. Zum Schluß möchte ich nur noch darauf hinweisen, daß ich am 20. März dieses Jahres auf
einer Veranstaltung der KV in Köln war. Auf dieser
Veranstaltung hat unsere Ministerin gesagt, sie sei gegen
Einkaufsmodelle. Sie hat aber auch gesagt, sie sei für
Verkaufsmodelle. Man weiß doch, was dahintersteckt:
Das Ziel ist, über Einkaufsmodelle dieses gute Gesundheitswesen kaputtzumachen. Ich kann Ihnen allen nur
sagen: Wehret den Anfängen, damit die rotgrüne Koalition das deutsche Gesundheitswesen nicht ruiniert!
({1})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Martin Pfaff.
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Zöller hat hier gesagt, die SPD befürworte in einem Arbeitspapier - wohlgemerkt - die „Liquidierung der fachärztlichen Versorgung“. Kein einziger der hier anwesenden Gesundheitspolitiker, die ich
gefragt habe, kann sich an ein solches Arbeitspapier erinnern. Ich versichere Ihnen: Das Thema Liquidierung
der fachärztlichen Versorgung wurde nie und nimmer in
unseren Reihen diskutiert. Wenn von uns von einer Umgewichtung des Zahlenverhältnisses zwischen Fachärzten und Hausärzten gesprochen wird, dann weise ich Sie
darauf hin, daß das in vielen Gutachten des Sachverständigenrates und in einschlägigen Fachpublikationen
zu lesen ist; aber nie und nimmer wurde von uns die Liquidierung der freiberuflichen oder der fachärztlichen
Versorgung gefordert. Ich kann das nicht unwidersprochen im Raume stehenlassen.
Herr Kollege Zöller, sind Sie bereit, das zu akzeptieren? Sie müssen wissen: Ihre Behauptung grenzt nicht
nur an Verleumdung; vielmehr ist sie es auch, wenn sie
angesichts meiner Aussage wiederholt wird. Das werden
wir niemals akzeptieren.
({0})
Herr Kollege Zöller,
möchten Sie erwidern?
Herr Kollege Pfaff,
ich habe aus einem Schreiben zitiert. Es handelt sich um
ein Arbeitspapier, das von der SPD stammt. Überschrift
eins: „Unbefristete Fortsetzung der Budgetierung, Globalbudget“, Überschrift zwei: „Zerschlagung der Kassenärztlichen Vereinigungen“, Überschrift drei: „Liquidierung einer fachärztlichen Versorgung auf freiberuflicher Basis“. Mehr habe ich Ihnen nicht gesagt.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/1245 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß § 4 des Gesetzes
über die Parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes
- Drucksache 14/1299 Dr. Wolf Bauer
Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
F.D.P. schlagen auf Drucksache 14/1299 den Abgeordneten Hans-Christian Ströbele vor.
Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Verfahren. Die
erforderlichen Stimmkarten wurden verteilt. Sollten Sie
noch keine erhalten haben, können Sie sie jetzt noch von
den Plenarsekretären bekommen. Für die Wahl benötigen Sie außerdem Ihren gelben Wahlausweis, den Sie,
soweit noch nicht geschehen, jetzt noch Ihrem Stimmkartenfach in der Eingangshalle entnehmen können.
Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt mindestens 335 Stimmen erhält. Stimmkarten, die mehr als
ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze erhalten, sind
ungültig.
Die Wahl ist nicht geheim. Sie können die Stimmkarte deshalb an Ihren Plätzen ankreuzen.
Bevor Sie die Stimmkarten in eine der aufgestellten
Wahlurnen werfen, geben Sie bitte Ihren Wahlausweis
dem Schriftführer oder der Schriftführerin. Die Abgabe
des Wahlausweises gilt als Nachweis der Teilnahme an
der Wahl.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle
Wahlurnen besetzt? - Ich bitte alle Schriftführerinnen
und Schriftführer zu den Wahlurnen. Es dürfte doch kein
Problem für die Fraktionen sein, ihre Schriftführerinnen
und Schriftführer an die Urnen zu schicken. Es fehlt
noch ein Schriftführer oder eine Schriftführerin von der
Opposition. Ich frage ein letztes Mal: Sind die Urnen
jetzt alle besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die
Wahl.
({0})
Haben alle Mitglie-
der des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? - Das ist
offensichtlich der Fall. Ich schließe die Wahl und bitte
die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Wahlergebnis wird später bekanntgegeben.*) Wir setzen
die Beratungen fort.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 1999
- Drucksache 14/1056 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Tourismus
Haushaltsausschuß
---------
*) Seite 4201 A
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Dr. Maria Böhmer, Karl-Josef
Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Ausbildung, Qualifizierung und Arbeit für
junge Menschen
- Drucksache 14/1011 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung
Ausschuß für Tourismus
c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Maritta Böttcher, Rosel Neuhäuser, Rolf
Kutzmutz und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur solidarischen
Ausbildungsfinanzierung ({2})
- Drucksache 14/14 ({3})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4})
- Drucksache 14/583 Berichterstattung:
Abgeordnete Willi Brase
Matthias Berninger
Maritta Böttcher
Zum Berufsbildungsbericht liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor. Ich weise darauf hin,
daß wir nachher eine namentliche Abstimmung durchführen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau
Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Herren und Damen! Motivierte und gut
ausgebildete Menschen sind für unser Land das entscheidende Kapital. Dafür brauchen wir moderne Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl. Der Berufsbildungsbericht 1999, den wir heute hier diskutieren, beschreibt die Berufsbildungssituation im Jahre 1998. Er
erläutert Maßnahmen zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebots und Initiativen zur strukturellen Weiterentwicklung der Berufsausbildung.
In der aktuellen politischen Diskussion über den Berufsbildungsbericht 1999 geht es vor allem um die Ausbildungsplatzsituation im vergangenen Jahr. Diese
Vizepräsidentin Petra Bläss
Situation sah folgendermaßen aus: 1998 wurden bundesweit 612 771 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen. Das sind rund 25 000 mehr als im Jahr zuvor. Ein
großer Teil davon, ungefähr 19 000, kam durch zusätzliche Angebote der Wirtschaft zustande. Ich möchte
deshalb vor allen Dingen den Firmen danken, die über
ihren Bedarf hinaus ausgebildet haben oder die sich bereit erklärt haben, jetzt auszubilden.
({0})
Obwohl 25 000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen worden sind, können wir uns nicht mit der Situation zufriedengeben, weil wir 1998 kein ausgeglichenes Ausbildungsplatzangebot erreicht haben. Nach wie
vor konnte ein Teil der Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz finden. Das hat im wesentlichen zwei Gründe: Einerseits ist es demographisch bedingt. Andererseits schieben wir sozusagen einen großen Stau von Jugendlichen vor uns her, der abgebaut werden muß. Viele
Jugendliche, die in den letzten Jahren keinen Ausbildungsplatz gefunden haben und die zunächst auf alternative oder Übergangsmaßnahmen ausweichen mußten,
kommen nun aus diesen Warteschleifen zurück. Warteschleifen sind aber nicht gut, weil sie für die Jugendlichen belastend und volkswirtschaftlich unsinnig sind.
({1})
Obwohl diese demographische Entwicklung seit langem vorhersehbar war und obwohl wir wußten, daß die
Anzahl der Jugendlichen pro Jahr zunimmt, meine Herren und Damen von der Opposition, haben Sie es in den
vergangenen Jahren versäumt, die notwendige Vorsorge
zu treffen, damit Jugendliche eben nicht in eine Warteschleife abgeschoben werden. Das heißt, die Berufsausbildung ist auf Kosten unserer Jugendlichen jahrelang
sträflich vernachlässigt worden. Das, muß ich leider
sagen, ist ein Vorwurf, den ich Ihnen machen muß.
({2})
Die neue Bundesregierung hat sich entschlossen, das
zu ändern, und dieses Vorhaben auch sofort nach Regierungsantritt umgesetzt. Wir haben gesagt: Wir können
so nicht weitermachen, wir müssen den Jugendlichen ein
ganz konkretes Angebot machen. Deshalb haben wir
zwei Initiativen ergriffen. Wir haben zum einen das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit beschlossen. Mit diesem Programm fördern
wir Maßnahmen, die das betriebliche Lehrstellenangebot
erhöhen, und spezielle Trainingsprogramme für Jugendliche, die noch nicht wissen, was sie wollen, was für sie
der richtige Weg ist. Wer Ende 1999 noch keinen betrieblichen Ausbildungsplatz hatte, konnte eine Ausbildung in einer außerbetrieblichen Berufsbildungsstätte
beginnen. Sehr viele Jugendliche haben diese Chance
genützt. Ende Mai waren 101 000 Jugendliche in diesen
Maßnahmen des Sofortprogrammes, entweder in Ausbildung oder in Beschäftigung.
({3})
Davon befanden sich 25 500 Jugendliche in einer
außerbetrieblichen Ausbildung.
In der Kürze der Zeit, in der wir dieses Programm auf
den Weg gebracht haben und in der es umgesetzt worden ist, ist das ein beachtliches Ergebnis. Die große Resonanz, die dieses Programm bei den Jugendlichen gefunden hat, zeigt für mich vor allen Dingen eines: Die
Jugendlichen in unserem Land wollen arbeiten. Sie
brauchen eine Chance, um sich zu qualifizieren. Wenn
sie eine Chance erhalten, nützen sie sie auch.
Neben diesem ersten positiven Ergebnis des Sofortprogrammes gibt es ein zweites, wie ich finde, wirklich
gutes Ergebnis: Es zeigt sich, daß viele Jugendliche, die
die Chance ergriffen haben, auch durchhalten.
({4})
Aber - das will ich genauso deutlich sagen - Arbeitslosigkeit kann nicht alleine durch Maßnahmen der
Bundesregierung beseitigt werden, und sie kann überhaupt nicht durch ein Regierungsdekret beseitigt werden.
({5})
Arbeitslosigkeit müssen wir im Dialog mit den Sozialpartnern verringern. Eine gute Ausbildung - ich denke,
daß wir da nach wie vor übereinstimmen - lohnt sich.
Sie lohnt sich für die Jugendlichen, und sie lohnt sich
erst recht für die Unternehmen.
({6})
Investitionen in Ausbildung sind Investitionen in die
Zukunft des Unternehmens.
Deshalb haben wir im „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“, das wir ins Leben
gerufen haben, mit den Sozialpartnern die Fragen erörtert: Wie können wir mehr Betriebe für Ausbildung
gewinnen? Wie können wir Betriebe dazu bringen, über
ihren Bedarf hinaus auszubilden? Denn wir wissen, daß
wir gemeinsam mit den Sozialpartnern, mit Wirtschaft
und Gewerkschaften, die Ausbildungs- und Beschäftigungschancen von Menschen, gerade von Jugendlichen,
langfristig sichern müssen, damit wir von dem jährlichen Krisenhandeln wegkommen. Wir brauchen langfristig tragfähige Verabredungen.
({7})
Das gilt - lassen Sie mich das noch deutlich sagen insbesondere für Menschen mit schlechteren Startchancen.
Wir haben im Bündnis inzwischen erste Erfolge erzielt. Wirtschaft und Gewerkschaften wollen zusätzliche
Anstrengungen unternehmen, um ab 1999 ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot sicherzustellen. Das
geht von Vereinbarungen zur Steigerung des Angebotes
in möglichst vielen Tarifverträgen bis hin zu einer gemeinsamen Lehrstellenkampagne zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze und nicht zuletzt - das ist ganz
wichtig - zur Gewinnung neuer Ausbildungsbetriebe.
Aber auch der Bund selbst nimmt seine Verpflichtung
als Arbeitgeber ernst. Die Bundesverwaltung wird 1999
ihr Ausbildungsplatzangbot um über 4 Prozent steigern.
Auch das ist in der jetzigen Situation notwendig und
richtig.
Frau Bundesministerin Bulmahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst Hinsken?
Selbstverständlich.
Frau Minister, was
würden Sie den Betrieben empfehlen, die händeringend
versuchen, Auszubildende zu finden, aber keine an Land
ziehen können? Ich möchte nur darauf verweisen, daß
zum Beispiel in meiner ostbayerischen Heimat auf
100 Nachfrager 368 Ausbildungsplätze kommen. Da
gibt es also eine große Diskrepanz. Ich sorge mich vor
allen Dingen um die Unternehmer, die ausbilden wollen,
aber leider keinen Auszubildenden bekommen. Was tun
Sie dagegen?
Herr Hinsken, es besteht eine regional
sehr unterschiedliche Situation. Das ist ein Teil des Problemes. Das gab es schon immer. Das ist auch heute so.
Ich weiß, daß es Betriebe gibt, die keinen Auszubildenden bzw. keine Auszubildende finden. Wir haben in
den Gesprächen mit den Sozialpartnern überlegt, wie
wir dieses regional unausgewogene Verhältnis verändern können. Es gibt Jugendliche, die durchaus bereit
sind, mobil zu sein. Aber wir müssen erreichen, daß wir
auch Jugendlichen in denjenigen Regionen, in denen es
viel zuwenig Ausbildungsplätze gibt, Ausbildungsplätze
anbieten können. Denn Sie stimmen sicherlich mit mir
überein, daß es zum Beispiel für einen 16jährigen jungen Mann oder eine 16jährige junge Frau nicht in jedem
Fall zumutbar ist, nach München oder in Ihre niederbayerische Heimat zu ziehen, wenn dort kein Lehrlingsheim bzw. keine praktische Betreuung vorhanden ist.
Wir werden also sicherlich nicht alle Probleme lösen
können.
Aber wir gemeinsam müssen schon erreichen, daß
insgesamt ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot
besteht. Aus den Debatten, die wir hier im Bundestag
bisher miteinander geführt haben, weiß ich, daß Sie mit
mir übereinstimmen, daß dies unser gemeinsames Ziel
sein muß.
Die Erfahrungen mit dem Sofortprogramm haben
zum Beispiel gezeigt, daß Jugendliche nach einer guten
Beratung durchaus bereit sind, ihren ursprünglichen Berufswunsch zu verändern. Deshalb halte ich es nach wie
vor für richtig, den Weg so weiterzugehen, daß denjenigen Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, durch eine gute Beratung und Information
und auch durch Trainingsmaßnahmen eine Perspektive
eröffnet wird, so daß sie selber einen Ausbildungsplatz
finden und nach Möglichkeit diejenigen Betriebe, die
jetzt keinen Auszubildenden finden, dann einen Jugendlichen bzw. eine Jugendliche finden, der bzw. die den
angebotenen Ausbildungsplatz dann auch wahrnimmt
und damit eine berufliche Perspektive gewinnt.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gute
Chancen, in den alten Ländern das Ausbildungsplatzproblem zu lösen. Die Hauptprobleme liegen zur Zeit in
den neuen Bundesländern. Das hat konjunkturelle, aber
auch strukturelle Gründe. Es fehlen immer noch gesunde
und stabile Betriebsstrukturen in den neuen Bundesländern. Das ist leider das Hauptproblem. Sie aber sind
Grundlage für ein ausreichendes Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzangebot. Deshalb werden wir in den neuen
Bundesländern in den kommenden Jahren noch mit
staatlichen Programmen helfen müssen. Ich denke, daran geht kein Weg vorbei. Das müssen wir akzeptieren.
Wir werden daher im Rahmen des „Ausbildungsplatzprogramms Ost“ 17 500 zusätzliche Ausbildungsplätze für noch unvermittelte Jugendliche fördern. Da
besteht eine Absprache mit den Ländern. Wir haben die
Zahl erhöht, weil wir wissen, daß der Bedarf gestiegen
ist, und weil wir nicht wollen, daß in den neuen Bundesländern Jugendliche ohne Ausbildung bleiben.
Wir haben parallel dazu in den neuen Bundesländern
das Programm für Ausbildungsplatzentwickler bis
Ende 2001 verlängert und weiter ausgebaut. Die Handwerkskammern sowie die Industrie- und Handelskammern in den neuen Bundesländern haben gerade gestern
gesagt, daß dies ein außerordentlich erfolgreiches Programm ist, mit dem sehr viele Betriebe für die Ausbildung gewonnen worden sind. Deshalb ist dies ein richtiger Ansatz. Wir haben in diesem Jahr die Zahl der Ausbildungsplatzentwickler von 160 auf 200 erhöht.
({1})
In der Arbeitsgruppe Aus- und Weiterbildung des
Bündnisses für Arbeit werden wir nach der Sommerpause darüber beraten, wie wir die verschiedenen Programme, die es auf Bundes- und Länderebene gibt, noch
besser aufeinander abstimmen und wie wir die Mittel
insgesamt noch effektiver einsetzen können. Denn es
gibt nicht nur Bundes- und Länderprogramme, sondern
auch eine Reihe weiterer Programme, die wir noch besser aufeinander abstimmen müssen.
Meine Herren und Damen, über die nach Regierungsantritt eingeleiteten Sofortmaßnahmen werden zahlreiche, zusätzliche betriebliche und außerbetriebliche Ausbildungsplätze mobilisiert. Außerdem hat die Wirtschaft
zugesagt, daß das betriebliche Ausbildungsplatzangebot
auch in diesem Jahr über den demographischen Zuwachsbedarf hinaus erhöht werden soll.
({2})
In der Kanzlerrunde am 6. Juli dieses Jahres geht es darum, dies zu konkretisieren.
Zur mittelfristigen Sicherung eines ausreichenden
betrieblichen Ausbildungsplatzangebots aber brauchen
wir noch weitergehende strukturelle Reformen. Wir erarbeiten zur Zeit gemeinsam mit den Sozialpartnern und
den Ländern im Rahmen des Bündnisses für Arbeit konsensfähige Entwicklungskonzepte.
Dabei haben die folgenden Handlungsfelder Priorität:
Erstens: Verstärkung der Aktivitäten zur Früherkennung des Qualifikationsbedarfes. Wir müssen noch besser und noch schneller neue Berufe in wachsenden Beschäftigungsfeldern erschließen. Dafür brauchen wir eine systematische Weiterentwicklung der beruflichen
Bildung und vor allem eine systematische Weiterentwicklung des Informationssystems, um diesen Bedarf
frühzeitig zu erkennen. Nur so können wir recht schnell
die notwendigen und richtigen Entscheidungen treffen.
Wir haben uns weiterhin darauf verständigt, die systematische Analyse neuer Beschäftigungsfelder und der
dazugehörigen Qualifikationsprofile zu intensivieren.
Wir müssen eben schon heute für die Berufe von morgen ausbilden. Ein Schwerpunkt wird sein, zu analysieren, welche neuen Beschäftigungsfelder sich im Dienstleistungsbereich bilden, da ein sehr großes Ungleichgewicht zwischen der Zahl der Auszubildenden und der
Zahl der anschließenden Beschäftigungsverhältnisse besteht. Im Anschluß an die Ausbildung gibt es zwar gute
Beschäftigungsmöglichkeiten, es gibt aber noch nicht in
ausreichendem Maße Berufsbilder für die Ausbildung
im Dienstleistungsbereich.
Ein zweiter großer Komplex ist die rasche Modernisierung, Differenzierung und Flexibilisierung der Ausbildungsberufe. Moderne und neue Ausbildungsberufe
sichern Arbeitsplätze und schaffen Ausbildungsmöglichkeiten vor allem in Betrieben, die bisher noch nicht
ausbilden; und diese Betriebe müssen wir gewinnen.
({3})
Wir werden zum 1. August 26 modernisierte Ausbildungsordnungen in Kraft treten lassen und drei neue Berufsfelder einführen. Eine ganze Reihe weiterer Ausbildungsordnungen werden zur Zeit überarbeitet. Wir werden sie so rasch wie möglich zur Anwendung bringen.
Bei den neuen und modernisierten Ausbildungsberufen
streben wir noch mehr Flexibilität, Differenzierung und
Praxisnähe an, weil wir wissen, daß wir dadurch mehr
Betriebe für die Ausbildung gewinnen können. Die Betriebe sollen die Möglichkeit erhalten, die Ausbildungsinhalte auf ihre spezifischen Bedürfnisse hin zu variieren.
Ausbildungsberufe müssen nach unserer Auffassung
von den Anforderungen des Beschäftigungssystems her
definiert werden und zur vollen Berufsbefähigung führen. Letzteres ist für mich ein ganz wichtiges Ziel. Ich
will, daß die Jugendlichen im Anschluß an die Berufsausbildung auch wirklich einen Arbeitsplatz erhalten; sie
sollen nicht in die Arbeitslosigkeit gehen.
({4})
Der dritte große Komplex ist die Förderung von Jugendlichen mit schlechteren Startchancen und die Senkung des Anteils von Jugendlichen ohne Berufsabschluß. Gerade für diese Jugendlichen müssen wir die
Ausbildungschancen deutlich verbessern. Wir haben
deshalb im Bündnis ein Konzept für die berufliche Förderung benachteiligter Jugendlicher beraten und erstmals gemeinsame Leitlinien und Umsetzungsschritte
verabredet.
Dazu gehören neben der Schaffung weiterer betrieblicher Ausbildungsmöglichkeiten Maßnahmen zur Motivierung, besseren Berufsvorbereitung, Ausbildung und
Nachqualifizierung. Auch benachteiligte Jugendliche
müssen in vollwertigen Ausbildungsberufen ausgebildet
werden und entsprechende Weiterbildungsoptionen erhalten.
({5})
Um dies zu erreichen, müssen wir das volle Gestaltungspotential des Berufsbildungsgesetzes und der
Handwerksordnung nutzen.
Es kann also nicht darum gehen, teilqualifizierende
Ausbildungsgänge unterhalb der Facharbeiterebene, sogenannte Einfachberufe, zu schaffen, wie es jetzt in dem
Antrag der Opposition vorgeschlagen wird. Es geht darum, für Jugendliche mit unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen ein breites Berufsspektrum zu schaffen.
Ziel ist eine volle Berufsbefähigung, damit - ich habe
dies schon angesprochen - diese Jugendlichen anschließend einen Arbeitsplatz finden. Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, keine Ausbildungsgänge zu entwikkeln, die in die Arbeitslosigkeit führen. Ich hoffe, daß
wir uns in diesem Punkt einig sind.
({6})
Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, den Übergang von der Schule in die Ausbildung zu verbessern.
Hierauf müssen unsere Jugendlichen vorbereitet sein.
Das gilt im übrigen auch für die zweite Schwelle, den
Übergang von der Ausbildung in die Beschäftigung.
Wir müssen uns besonders um lernschwächere Jugendliche und Jugendliche mit Motivationsproblemen
kümmern. Dieses Problem haben wir im Bündnis aktiv
in Angriff genommen. Wir werden im Bündnis auch den
Dialog zum Thema Ausbildungsreife mit den Ländern
fortsetzen. Unser Ziel ist es, neue Kooperationskonzepte
zwischen Schule und Wirtschaft zu entwickeln und den
Übergang von der Schule in die Wirtschaft zu erleichtern und zu verbessern.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, der Berufsbildungsbericht 1999 beschreibt die Ausgangslage, die
wir vorgefunden haben. Er zeigt zugleich unsere ersten
Schritte zur Sicherstellung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebots und zur Modernisierung der beruflichen Bildung. Das duale Ausbildungssystem muß durch
eine flexiblere Gestaltung von Ausbildung, Ausbildungsordnung und Ausbildungsinhalten weiterentwikkelt werden. Wir brauchen mehr Betriebsnähe, mehr Effizienz und mehr Qualität in der beruflichen Ausbildung.
Ein modernes Berufskonzept muß Fachkenntnisse mit
Schlüsselqualifikationen und volle Berufsfähigkeit mit
einem breiten Zugang zum Arbeitsmarkt verbinden. Ein
solches umfassendes Konzept für die Reform der beruflichen Aus- und Weiterbildung erarbeiten wir zur
Zeit im Konsens mit den Sozialpartnern. Wir haben mit
dem Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit schnell gehandelt. Vor allem werden wir in den
kommenden Jahren den Schulabgängern eine Perspektive geben, und wir werden mit diesem Sofortprogramm
auch im kommenden Jahr dafür Sorge tragen, daß die
Dauer der Warteschleife, die es gibt, deutlich verringert
wird, so daß Jugendliche eben nicht noch längere Zeit
warten müssen.
({7})
Frau Minister Bulmahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Lenke?
Ja.
Frau Ministerin, Sie sprachen
eben von einer besseren Verknüpfung von Schule und
Berufsausbildung. Ich frage Sie, welche Initiativen Sie
ergriffen haben, um die Länder aufzufordern, für die
Schüler erst einmal eine bessere Schulausbildung zu
organisieren. Denn Sie wissen ganz genau, daß es da
hapert und sich die Betriebe darüber beklagen, daß
Deutschkenntnisse und Mathematikkenntnisse manches
Mal unzureichend sind. Wir wissen alle, daß die Länder
zuwenig Geld in diesen Bereich der Bildungspolitik
stecken. Welche Initiativen haben Sie also gestartet?
Ich habe mehrere Initiativen gestartet.
Es werden zum einen mit Unterstützung des BMBF
Modellversuche durchgeführt, mit denen wir Methoden
einer besseren Kooperation zwischen Unternehmen und
Schule ausprobieren wollen. Wir wollen herauszufinden
versuchen, was eigentlich der bessere Weg ist. Zum anderen habe ich die Länder in die Beratungen der Arbeitsgruppe Ausbildung und Weiterqualifizierung in das
Bündnis für Arbeit mit einbezogen, weil ich davon überzeugt bin, daß wir die Verbesserung zusammen mit den
Ländern gestalten müssen. Deshalb halte ich es auch für
richtig, daß sie - im Gegensatz zum Verfahren in den
anderen Arbeitsgruppen - hier mitwirken. Wir haben im
Bündnis für Arbeit gemeinsam mit den Ländern, den
Unternehmen und den Schulen verabredet, daß wir über
Länderprogramme Modellversuche der Kooperation
durchführen. Die Länder werden die Erfahrungen, die
sie mit diesen Modellen gemacht haben, auswerten und
austauschen.
Ebenfalls habe ich initiiert, daß wir mit den Ländern
gemeinsam ein Forum für Bildung einrichten wollen,
das heißt, Bundesregierung und Bundesländer. Das ist
das erste Mal seit vielen, vielen Jahren, daß wir gemeinsam in einer Arbeitsgruppe mit Experten aus Wirtschaft,
aus Gewerkschaften, aus Kirchen, aber vor allen Dingen
auch mit den Jugendlichen selber miteinander beraten,
Fragen erörtern und auch Vorschläge erarbeiten, wie wir
insgesamt Bildung und Ausbildung verbessern können.
Ich denke, das ist der richtige Weg, daß man es nämlich
in Kooperation mit den Ländern und mit den Sozialpartnern macht. Wir können zwar allein entsprechende Beschlüsse fassen. Aber wenn wir bei der Umsetzung erfolgreich sein wollen, müssen wir es mit diesen drei
Partnern gemeinsam hinbekommen.
({0})
Gestatten Sie eine
zweite Frage?
Ja.
Frau Ministerin, Sie haben also
die Länder aufgefordert, mehr in die Bildungspolitik,
sprich: mehr in die Schulausbildung, zu investieren.
Denn Sie wissen, daß überall Unterrichtsausfälle zu verzeichnen sind. Ich frage Sie: Haben Sie das gemacht?
Wir haben im Bündnis für Arbeit, wie
ich das eben dargestellt habe, mit den Ländern gemeinsam erörtert - wir haben auch entsprechende Modelle
entwickelt -, wie wir erreichen können, daß vor allen
Dingen die Jugendlichen auf der Hauptschule eine bessere Kenntnis von der Arbeitswelt haben, wie wir erreichen können, daß die Betriebe selber stärker in die
Schule hineingehen und daß Jugendliche in Betrieben
arbeiten können, und wie wir erreichen können, Bildung
und berufliche Tätigkeit miteinander zu kombinieren.
Denn wir wissen, daß das gerade für diese Gruppe von
Jugendlichen ein erfolgversprechender Ansatz ist. Das
machen die Länder mit.
({0})
Das ist - das sage ich ganz offen - ein Erfolg im Vergleich zu der Politik der vergangenen Jahre. Denn die
Konfrontation und Schuldzuweisungen helfen nicht
weiter. Vielmehr müssen wir solche gemeinsamen Projekte auf den Weg bringen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen den jungen Menschen Chancen und Perspektiven geben. Wir
haben in diesem Haus in der letzten Woche eine Debatte
darüber geführt, daß wir Perspektiven dadurch aufzeigen
müssen, daß wir auf der einen Seite sparen - wir haben
ein Sparpaket verabschiedet -, daß wir aber auf der anderen Seite Investitionen an den richtigen Stellen tätigen.
({2})
Das haben wir gemacht. Wir haben nicht nach Rasenmähermethode gespart, sondern Prioritäten gesetzt. Die
Zukunftsinvestitionen in Forschung, Bildung und Wissenschaft werden Jahr für Jahr erhöht,
({3})
und wir werden das Sofortprogramm zur Bekämpfung
der Jugendarbeitslosigkeit fortsetzen. Wir werden unserer Jugend mehr Ausbildung bieten und weniger Schulden zumuten. Dafür lohnt es sich zu arbeiten.
Vielen Dank.
({4})
Ich komme zum
Tagesordnungspunkt 3 zurück. Ich gebe das von den
Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Mit-
glieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums be-
kannt. Mitgliederzahl: 669. Abgegebene Stimmen: 594.
Ungültige Stimmen: 6. Mit Ja haben gestimmt: 349 Ab-
geordnete. Mit Nein haben gestimmt: 227 Abgeordnete.
Enthaltungen: 12.*)
Der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele hat die
nach § 4 Abs. 4 des Gesetzes über die Parlamentarische
Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes
erforderliche Mehrheit von 335 Stimmen erreicht. Er ist
damit als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums gewählt.
({0})
Wir fahren in der Aussprache fort. Ich gebe das Wort
dem Kollegen Klaus Hofbauer von der CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr
1999 werden rund 690 000 junge Menschen einen Ausbildungsplatz suchen. Das sind rund 40 000 mehr als im
vergangenen Jahr. Erhebliche Anstrengungen werden
notwendig sein, um dieser Nachfrage gerecht zu werden.
Ich möchte gleich zu Beginn feststellen: Das von der
Bundesregierung aufgelegte Sofortprogramm hat die
Erwartungen bei weitem nicht erfüllt und ist den Anforderungen nicht gerecht geworden.
({0})
Das zentrale Thema unserer Gesellschaft ist, jungen
Menschen eine Lebensperspektive zu geben. Nach Be-
endigung der Schulzeit muß ihnen eine Ausbildung und
danach der Einstieg in das Berufsleben ermöglicht wer-
den. Auch und gerade heute ist eine Berufsausbildung
die beste Vorsorge gegen spätere Arbeitslosigkeit.
Die Grundlagen für eine gute Ausbildung werden be-
reits im Elternhaus gelegt. Darüber hinaus ist eine enge
---------
*) Verzeichnis der Namen der Abgeordneten, die an der Wahl teilgenommen haben, siehe Anlage 2
Kooperation zwischen Wirtschaft und Schule dringend
notwendig. Nur mit einer zukunftsorientierten Ausbildung und Qualifizierung hat der Wirtschaftsstandort
Deutschland eine Chance.
({1})
Bildung und - dies möchte ich ganz bewußt hinzufügen - Erziehung sind wesentliche Faktoren, um Innovation und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und
damit Wohlstand und berufliche Existenz eines jeden
einzelnen zu sichern.
({2})
Das deutsche Bildungssystem muß zur Erfüllung dieser Voraussetzungen schlanker, effizienter und internationaler werden.
({3})
Wenn wir über die Ausbildungssituation in Deutschland
sprechen, dann sollten wir auch einige positive Beispiele
herausstellen und vielleicht auch einmal Dank abstatten.
Wir danken der deutschen Wirtschaft, die mit steigender
Tendenz Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt. Dabei
können wir feststellen, daß der Mittelstand die entscheidende Vorreiterrolle spielt.
({4})
In diesen Dank einschließen möchte ich unsere Arbeitsverwaltungen, die erhebliche Anstrengungen unternehmen, um jungen Menschen eine Ausbildungsstelle zu
vermitteln. Ich danke aber auch den Lehrerinnen und
Lehrern an den Haupt- und Realschulen, die den Jugendlichen mit viel Idealismus beistehen.
Herr Kollege Hofbauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Ich möchte gerne eine Frage zu dem von Ihnen eben Geäußerten stellen: Können
Sie die zunehmende Ausbildungsbereitschaft der Industrie, vor allem der Großindustrie, mit Zahlen belegen?
Ich kann es nicht generell mit Zahlen belegen. Aber ich habe heute einer
Pressemitteilung des bayerischen Handwerks entnommen, daß wir in Bayern eine Jugendarbeitslosigkeit von
4,8 Prozent haben. Wenn man weiß, daß die Struktur
hier mittelständisch ist, sieht man auch, daß der Mittelstand eine entscheidende Rolle gespielt hat.
({0})
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Böttcher?
Selbstverständlich.
({0})
Ja, ich will alles genau wissen.
Das war nicht meine Frage. Das Handwerk und die
kleinen und mittelständischen Betriebe stehen überhaupt
nicht zur Diskussion. Sie leisten in Gesamtdeutschland
Hervorragendes.
Sie haben aber gesagt, in Deutschland habe sich die
Industrie besonders hervorgetan, Ausbildungszuwächse
zu sichern. Ich möchte noch einmal nachfragen, woher
diese kommen.
Ich habe nicht von
der Industrie gesprochen, sondern von der Wirtschaft,
insbesondere vom Mittelstand.
({0})
Zu dieser Aussage stehe ich, weil sie mit Zahlen belegt
werden kann.
Ich möchte einmal den jungen Menschen selbst danken. Wir sprechen immer von den jungen Menschen, die
keinen Ausbildungsplatz haben. Ich möchte aber insbesondere von den jungen Menschen sprechen, die sich
mit viel Idealismus, mit Fleiß und Einsatzbereitschaft
ihren Ausbildungsplatz selbst gesucht haben. 90 bis
95 Prozent unserer jungen Leute sind motiviert und
bereit, zukunftsorientiert tätig zu werden.
({1})
Ernst Hinsken hat bereits die Ausbildungssituation
in Bayern angesprochen. Ich bin in seinem Nachbarwahlkreis Schwandorf/Cham tätig. In diesem Wahlkreis
gibt es genauso viele Ausbildungsplätze, die von der
Wirtschaft angeboten werden, wie Auszubildende am
Markt - wenn ich es so banal ausdrücken darf - vorhanden sind. Unsere Region ist mittelständisch geprägt. Das
belegt meine eingangs gemachte Aussage.
Die positive Ausgangslage kommt nicht von ungefähr. Günstige politische Rahmenbedingungen sind bei
uns in Bayern möglich. Ich möchte ein Beispiel nennen,
das bei uns in Bayern praktiziert wird. Ich war über
15 Jahre hinweg Projektleiter. Wir haben Eltern, Schulen, Gewerkschaft, Ausbildungsbetriebe und die Wirtschaft an einen Tisch zusammengeholt. Die Wirtschaft
bestätigt uns, daß wir keine Ausbildungsprobleme haben.
({2})
Ganz anders ist die Situation auf Bundesebene. Die
Situation hat sich durch die neue Bundesregierung noch
verschlechtert. Die rotgrüne Bundesregierung hat zwar
versprochen, Hemmnisse abzubauen, in Wirklichkeit
belastet sie jedoch die Wirtschaft immer mehr. Die
Stichworte sind: Steuerreform, 630-DM-Gesetz und
Scheinselbständigkeit. Diese negativen Fakten werden
sich auf Dauer auch negativ auf die Arbeitsplätze und
insbesondere auf die Ausbildungsplätze auswirken.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Sofortprogramm der Bundesregierung für 100 000 Ausbildungs- und Arbeitsplätze hat nicht das gehalten, was
versprochen wurde. Im letzten Herbst wurde recht vollmundig angekündigt, daß 100 000 Jugendliche mit
einem Sofortprogramm schnell in Ausbildung und
Beschäftigung gebracht werden sollen. Nach wenigen
Monaten müssen wir feststellen, daß die Ankündigungen
bei weitem nicht erfüllt wurden.
Ganz offensichtlich haben nur wenige Jugendliche
einen festen Ausbildungsplatz und vor allen Dingen eine
Arbeitsstelle im ersten Arbeitsmarkt erhalten. Über
50 000 sind in sogenannten Trainingsprogrammen untergebracht worden, die nach einem Vierteljahr beendet
sind, und dann stehen die Jugendlichen wieder auf der
Straße.
Wir treffen deshalb folgende Feststellung: Mit viel
Geld wurde bei diesem Programm viel zu wenig erreicht.
({4})
Wir lehnen eine Ausbildungsplatzumlage aus
grundsätzlichen Erwägungen ab. Ausbildungsplätze
können nicht verordnet werden. Mit Zwang, Dirigismus
und bürokratischer Gängelung kann nichts erreicht werden. Es bedarf im Gegenteil ständiger Bemühungen
vieler Seiten: der Wirtschaft, der Schulen und der
Berufsberatung. Unabdingbar sind gute politische Rahmenbedingungen.
Damit ist auch unsere Haltung zu dem heute ebenfalls
zu diskutierenden PDS-Antrag umschrieben. Diese
Umlage würde mehr Bürokratie und höhere Kosten für
die Betriebe bedeuten, aber voraussichtlich weniger
Ausbildungsplätze wegen des dann zu erwartenden
Freikaufs der Unternehmen von der Ausbildungspflicht
bringen.
({5})
Wir bekennen uns grundsätzlich - das möchte ich
betonen - zur dualen Ausbildung. Gewisse ergänzende
Maßnahmen sind notwendig, um insbesondere den kleinen Handwerksbetrieben eine Chance zu geben.
In diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und
Herren, meine Schlußfeststellung: Mit dem Antrag unserer Fraktion, der CDU/CSU, wollen wir neue Impulse
für eine bessere Ausbildungssituation geben. Wir wollen
jungen Menschen eine sichere Zukunft geben. Wir sind
uns dabei bewußt, daß die Politik alleine dieses Anliegen nicht lösen kann. Viele gemeinsame Initiativen auf
allen Ebenen sind notwendig. Unser Antrag enthält
praktische Anregungen, die jedenfalls zum Teil ohne
großen finanziellen Aufwand umzusetzen sind.
In diesem Sinne bitte ich, unserem Antrag endgültig
zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das war die erste
Rede des Kollegen Hofbauer. Ich möchte Ihnen dazu im
Namen des Hauses gratulieren.
({0})
Ich gebe nunmehr das Wort der Kollegin Antje Hermenau vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man
dem Kollegen Hofbauer hier so zuhört, müßte man meinen - bei dem vielen Lob für die jungen Leute und für die
Unternehmen, die sich alle anstrengen -, daß die
CDU/CSU JUMP gemacht hätte. Hat sie aber nicht. Er
hat dann auch ein bißchen Kritik hineingestreut, damit das
ja nicht als Verdacht aufkommt und gemeint, die Erwartungen wären nicht erfüllt worden. Tja, Herr Hofbauer,
wessen Erwartungen denn? Meinen Sie, Ihre Erwartungen
sind nicht erfüllt worden? Oder meinen Sie, die Erwartungen der jungen Leute sind nicht erfüllt worden?
({0})
Ich kann verstehen, daß nach mehreren Jahren einer
wirklich schlechten Versorgung mit Lehrstellen die jungen Leute natürlich sehr hohe Erwartungen haben, weil
sie sagen, es muß ja endlich einmal besser werden. Es
mag sein, daß JUMP vielleicht noch nicht jedem
Jugendlichen alle Erwartungen erfüllen konnte. Aber
wenn Sie den Enthusiasmus zugrunde legen, mit dem
die jungen Leute das JUMP-Programm angenommen
haben, weil sich endlich wieder einmal jemand um diese
Leute kümmert und fragt, wie es ihnen geht und was sie
aus ihrem Leben so machen können,
({1})
dann, denke ich, ist es gar nicht schlimm, daß wir noch
ein bißchen hinter den Erwartungen der jungen Leute
zurückgeblieben sind.
Ihre Erwartungen halte ich für nicht so wichtig; denn
wir haben jahrelang beobachten müssen, wie Sie von
einem Sofortprogramm zum nächsten gejumpt sind,
ohne daß da der Enthusiasmus der jungen Leute irgendwie gedeckt worden wäre.
({2})
Ich finde es sehr wichtig, daß wir in der Lage gewesen sind, den Zeitgewinn herauszuarbeiten, den wir einfach nötig hatten, um die Gespräche im Bündnis für
Arbeit in aller Ruhe - auch zu diesem Themenbereich zu führen. Wir werden in der nächsten Woche herausfinden, was das Ergebnis dieser Gespräche ist. Ich persönlich bin da guten Mutes.
Natürlich bin ich auch sehr froh darüber, daß wir im
Herbst eine sehr vernünftige und, wie ich hoffe, auch
sehr qualifizierte Debatte über den Maßnahmenkatalog
aus dem diesjährigen JUMP-Programm führen werden.
Es wird wichtig sein, daß wir uns mit den einzelnen
Maßnahmen auseinandersetzen, ihre Wirksamkeit überprüfen, das rausschmeißen, was nicht so sinnvoll ist, und
das verstärken, was sehr sinnvoll ist. Vielleicht werden
wir die Dinge auch neu zuordnen. Das muß man alles
sehen.
Aber es wurden ja auch Experimente mit den Möglichkeiten dieses JUMP-Programms gemacht. Die Leute
haben Kreativität entwickelt. Industrie- und Handelskammern haben sich zu regionalen Ausbildungskonferenzen zusammengesetzt. Sie haben überlegt, wie man
zum Beispiel aus einer vierteljährlichen Qualifizierungsmaßnahme, die Sie in Ihrer Rede so herabgewürdigt haben, etwas machen kann, damit ein junger
Mensch, der schon eine Berufsausbildung hat, für die
Bedürfnisse in seiner Region zusätzlich qualifiziert werden kann, um dort vermittelbar zu werden.
({3})
Das sind sehr sinnvolle Experimente, die erst durch
diesen Katalog überhaupt möglich wurden, weil man ein
bißchen mit den verschiedenen Möglichkeiten spielen
konnte. Man hatte endlich die Möglichkeit, auf die individuelle Situation von jedem einzelnen jungen Menschen einzugehen. Ich halte das für einen großen Fortschritt in der ganzen Debatte über die Lehrstellensituation.
({4})
Was ich hingegen nicht verstehen kann, ist, wie dann
einzelne Bundesländer komischerweise auf die Idee
kommen, solche Maßnahmen zu konterkarieren oder sogar zu boykottieren. So ist es zum Beispiel in Sachsen
neuerdings Usus, nach vielen Jahren einer sehr vernünftigen Auslegung der Richtlinie zur Berufsausbildung bei
den Ausbildungsverbünden, diese jetzt enger auszulegen, weil die Finanzen im Land Sachsen durch den
Finanzminister knapp bemessen werden. Es ist dem
Kultusminister nicht gelungen, sich durchzusetzen.
Sie haben vorhin nach der Verantwortung der Länder
gefragt. Es stellt sich heraus, es wird jetzt so eng ausgelegt, daß die Ausbildungsverbünde, die existieren und
wirklich gut sind, wahrscheinlich daran scheitern werden, daß der Kreis nicht mehr finanziert. Damit kann
dieser Verbund nicht mehr überregional funktionieren.
Das halte ich für ein großes Problem.
Sie versuchen immer, irgendwelche sozialdemokratischen und rotgrünen Landesregierungen in Verruf zu
bringen. In Sachsen kann das nicht der Fall sein. Das ist
eindeutig schwarz regiert.
Dann haben Sie davon gesprochen, daß wir noch so
viele Bewerber haben, die noch nicht versorgt sind. Ja,
natürlich; wir alle kennen die Herbstzahlen und die
Frühjahrszahlen. Wir werden im nächsten Herbst noch
einmal über dieses Thema sprechen. Wir wissen, daß die
Frühjahrszahlen immer eine hohe Zahl unversorgter
Bewerber beinhalten, die bis zum 1. September noch
Lehrstellen finden werden.
Trotzdem - da gebe ich Ihnen recht - werden wir
wahrscheinlich mit mindestens 10 000 jungen Leuten
rechnen müssen, die keine Ausbildungsstelle finden, so
daß noch nicht einmal ein rechnerischer Ausgleich zu
erreichen sein wird. Also werden wir uns noch etwas
einfallen lassen müssen. Aber nachdem Sie jahrelang in
diesem Bereich politisch geschlampt haben, können Sie
natürlich nicht erwarten, daß wir innerhalb eines Jahres
alle strukturellen Probleme lösen, und das womöglich
noch neben aktuell auftretenden Nachfragespitzen.
({5})
Insgesamt wird deutlich - das ist eine Tendenz, die
mich mit Sorge erfüllt -, daß es einen gewissen Verdrängungsprozeß bei der Nachfrage von Lehrstellen
gibt. Er hat damit zu tun, daß der Lehrstellenmarkt sehr
eng bemessen ist. Wir haben eine steigende Anzahl von
jungen Leuten. Auch gibt es immer mehr sogenannte
latente Bewerber. Das sind diejenigen, die eigentlich gern
eine Ausbildung machen würden, aber keine Ausbildungsstelle bekommen haben und inzwischen herumjobben. Da hat sich eine große Gruppe junger Leute gebildet
- vielleicht bin ich bei diesem Problem als Ostdeutsche
ein bißchen empfindlicher, weil die Zahlen bei uns in den
fünf neuen Ländern viel höher sind -, mit der wir uns
nach meiner Einschätzung ein Problem an den Hals ziehen, das wir in den Diskussionen im Herbst ebenfalls anpacken müssen. Wir können uns nicht darum herummogeln, sondern müssen eine Lösung dafür finden, daß diese
Leute nachträglich die Möglichkeit bekommen, eine
ordentliche Berufsausbildung zu absolvieren.
Ansonsten werden wir in den ostdeutschen Ländern
mit dem Phänomen konfrontiert, daß bei uns die Anzahl
der nichtqualifizierten Arbeitnehmer gewachsen ist,
seitdem wir zur Bundesrepublik Deutschland gehören.
Wir hatten früher einen viel niedrigeren Prozentsatz von
unqualifizierten Arbeitnehmern, als er im Altbundesgebiet üblich war. Dieser Prozentsatz steigt jetzt, und das
ist unvernünftig. Ich hoffe, daß wir - vielleicht erst einmal nur im Osten als Testgelände - zu einer vernünftigen Lösung kommen, um diesen Berg von Altbewerbern
und latenten Bewerbern abzubauen. Ich habe mit sehr
viel Wohlwollen gehört, daß im Ministerium daran
schon auf Hochtouren gearbeitet wird.
Die meisten Menschen in Deutschland haben schon
sehr wohl gespürt, daß man sich dieses Problems endlich
ernsthaft annimmt, viele verschiedene Wege probiert,
um herauszufinden, welche am ehesten zum Ziel führen,
und sich nicht mehr damit begnügt, so zu tun, als gebe
es kein Problem oder als könnte man das Problem, wenn
es denn doch eines gibt, aus Finanzgründen nicht lösen.
Ich bin mit der Prioritätensetzung der Bundesregierung
in diesem Bereich sehr zufrieden
({6})
und hoffe, daß wir im Herbst erfolgreich über die Qualität der einzelnen Maßnahmen weiter diskutieren können, die nötig sind, um Fortschritte zu erzielen.
Schönen Dank.
({7})
Ich gebe der Kollegin Cornelia Pieper für die F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Eine der größten sozialen
Herausforderungen unserer Zeit ist es, jedem jungen
Menschen mit einem Ausbildungsplatz eine Perspektive
für sein Leben zu geben.
({0})
Gleiche Chancen beim Start und eine moderne, qualifizierte Ausbildung heute ersparen uns soziale Probleme
von morgen. Bundespräsident Roman Herzog sagte, die
beste Eintrittskarte für den Arbeitsmarkt sei eine gute
Ausbildung. Ich meine sogar, die jungen Menschen in
diesem Lande haben einen Anspruch auf die beste Ausbildung als Gegenleistung für eine später geringere
Rentenleistung.
Aber entsprechen unser Schulsystem und die Ausbildung den modernen Anforderungen einer Wissens- und
Informationsgesellschaft von morgen? Von betroffenen Eltern, Schülern und Experten hören wir ein klares
Nein. Hier möchte ich Sie, Frau Bulmahn, auffordern,
insbesondere in den SPD-regierten Ländern die Hausaufgaben erst einmal selbst zu erledigen.
({1})
Das heißt für uns von der F.D.P., mehr Vielfalt und Differenzierung im Schulsystem zuzulassen, nicht auf
Gleichmacherei einer Einheitsschule zu setzen, Schulen
besser auszustatten und Unterrichtsausfall zu verhindern.
({2})
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, in Niedersachsen beträgt der Unterrichtsausfall an den Berufsschulen
fast 20 Prozent.
({3})
Damit ist Niedersachsen Spitzenreiter aller Bundesländer. Hier muß man unbedingt etwas tun. Aber hier sind
Sie in Ihren Landesregierungen selbst gefordert.
({4})
Dazu gehört auch, deutlich zu machen, daß wir Reformen bei den Bildungsinhalten brauchen. Wirtschaft
und Technik müssen verstärkt Einzug in den Unterricht
aller Schulformen halten.
({5})
Was die berufliche Ausbildung anbelangt, beklagt sich
die Wirtschaft zu Recht über die zurückgehende Ausbildungsreife zum einen und über die fehlende Praxisnähe
der Ausbildung zum anderen. Allein 40 Prozent der
Auszubildenden fallen nämlich bei den Kammerprüfungen durch. Lehrpläne sind überfrachtet. Wenn ein junger
Mensch nach drei Jahren Installationslehre nicht einmal
den Durchmesser berechnen kann, muß man die Qualität
des Unterrichts in Frage stellen dürfen.
({6})
Eine Differenzierung in der beruflichen Bildung findet nicht statt. Es gibt weder berufsfachliche Zusatzqualifikation für Begabte noch Förderunterricht
für eher praktisch orientierte Auszubildende. Ich meine,
daß bei praktisch orientierten Berufen ein Berufsschultag künftig ausreicht. Bei theorieorientierten Berufsbildern ist mehr Flexibilität in Form der theoretischen Ausbildung im Block gefragt.
({7})
In den neuen IT-Berufen werden Fachkräfte gesucht,
aber es mangelt an Ausbildungsplätzen. Auf diese Probleme haben Sie, Frau Ministerin, in Ihrem Berufsbildungsbericht meines Erachtens keine ausreichenden
Antworten gegeben.
Die F.D.P.-Fraktion hält eine Reform der beruflichen
Ausbildung im Interesse der Chancen junger Menschen
für dringend geboten. Die duale Ausbildung zu stärken,
indem wir sie reformieren, muß das eigentliche Ziel
sein. Die Reform des dualen Berufsbildungssystems
muß umgehend in Angriff genommen werden. Die
F.D.P. setzt sich schon lange für eine Modularisierung
der beruflichen Ausbildung nach dem Muster eines
Baukastensystems ein. Dabei haben wir leistungsstarke
und leistungsschwache junge Menschen gleichermaßen
im Auge. Eine Modularisierung von Ausbildungsgängen
mit berufsqualifizierenden Abschlüssen bietet gleichzeitig die Möglichkeit, Berufsbilder auch auf jene zuzuschneiden, die nicht durch ihre guten theoretischen Begabungen auffallen und eher praktische Fähigkeiten und
Fertigkeiten aufweisen.
({8})
Die jungen Menschen erhalten in einem solchen System eine echte Chance für ihren Einstieg in den Beruf.
Gerade das ist wichtig; denn die Zahl der Einfacharbeitsplätze sinkt Jahr für Jahr. Ungelernte haben immer
weniger Chancen.
({9})
Unser Modell, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, ist nicht der Anfang einer Schmalspurausbildung.
Grundberufe mit Spezialisierungsrichtungen, zwei- und
dreijährige Ausbildungsgänge, einige Ergänzungslehrgänge bzw. Anpassungslehrgänge sind der richtige Ansatz. Ich füge hinzu: Die Schaffung einer modularen
vierten Aufbaustufe in den Berufs- und Berufsfachschulen soll künftig die Möglichkeit zu Fachhochschulreife bzw. zum Fachabitur bieten.
Wir brauchen dringend diese Reform. Ich sage es
noch einmal. Die Probleme sind mit dem Sofortprogramm der Bundesregierung alleine nicht gelöst, schon
gar nicht in Ostdeutschland. Wenn im Osten Deutschlands 70 Prozent der jungen Menschen außerbetriebliche
Ausbildungsstätten besuchen, können wir davon ausgehen, daß immer weniger von ihnen anschließend Chancen auf einen Arbeitsplatz haben werden.
({10})
Mit anderen Worten: Wir haben nicht nur ein Ausbildungsplatzproblem. Wir haben Dank dieser rotgrünen
Bundesregierung vor allem ein Arbeitsplatzproblem für
junge Menschen in diesem Land.
({11})
Wenn bisher Dreiviertel aller Ausbildungsplätze im
Handwerk und im Mittelstand entstanden sind, dann ist
es richtig, zu sagen: Die beste Ausbildungsplatzpolitik
ist eine ordentliche Mittelstandspolitik. Die Politik Ihrer
Regierung ist mittelstandsfeindlich und damit ausbildungsplatzgefährdend. Das muß an dieser Stelle auch
einmal gesagt werden.
({12})
Das, meine Damen und Herren von der rotgrünen
Regierungskoalition, hat das Bündnis für Arbeit auch
nicht verhindern können. Es hält vielleicht doch nicht
das, was Sie sich von ihm versprechen.
Ich komme zum Schluß. Verehrte Frau Ministerin,
ich bleibe dabei: Es gibt zwar im Moment keine Alternative zum Sonderprogramm,
({13})
aber ich sage es deutlich: Ihnen fehlt jeglicher Mut für
Reformen sowohl in der Steuer- und Wirtschaftspolitik
als auch in der Bildungspolitik. Fassen Sie Mut! Wir
sind reformfreudig genug. Wir werden Sie dabei unterstützen.
({14})
Erledigen Sie Ihre Hausaufgaben, und wir kommen im
Interesse der jungen Menschen ein gutes Stück voran.
({15})
Als nächste Rednerin spricht für die PDS die Kollegin Maritta Böttcher.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Frau Ministerin Bulmahn, obwohl
ich eine gewisse Hochachtung für Ihre Offenheit bezüglich dieses Problems habe, wie sie in Ihrer Rede zum
Ausdruck gekommen ist, bin ich nicht zufrieden. Auch
wenn sich das Ausbildungsangebot dank vielfältiger
Fördermaßnahmen etwas stabilisiert hat, so verfestigt
sich der Trend des Rückgangs betrieblicher Ausbildungsstellen insbesondere in den neuen Ländern. Dies
haben Sie auch so ausgeführt. Diese Tendenz setzt sich
im aktuellen Vermittlungsjahr leider fort. Die „Lausitzer
Rundschau“ vom 8. Juni 1999 titelt:
Der Staat wird zum Ausbilder Nummer eins.
Im Klartext: In Südbrandenburg erlangen in diesem
Jahr erstmals mehr Jugendliche einen Beruf in öffentlich
finanzierten Programmen als in Betrieben. Die als Notlösung gedachten Sonderprogramme verfestigen sich zur
Dauereinrichtung. Das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen geht weiter zurück. Die Cottbuser Berufsberater zum Beispiel rechnen mit nicht viel mehr als
2 500 Lehrstellen, aber über 11 000 Ausbildungsanwärtern.
Ein weiterer Trend, der sich bereits im vergangenen
Jahr verstetigte, ist die Steigerung des Anteils von Altbewerbern sowie die Verdrängung der Hauptschulabsolventen durch Bewerber und Bewerberinnen mit mittleren Abschlüssen oder Hochschulreife.
Die ersten Bilanzen des Sofortprogramms weisen in
dieselbe Richtung. Im Osten besaß mit 54 Prozent das
Gros der Vermittelten einen mittleren oder höheren
Schulabschluß. Darüber können nur Leute staunen, die
die verbreiteten Märchen von der dummen und faulen
Jugend tatsächlich geglaubt haben.
Jetzt wird dagegen von regierungsamtlicher Stelle
immerhin bestätigt, daß die Jugend wirklich und wahrhaftig ein Problem hat und kein Problem ist. Es ist ja
auch nicht mehr zu leugnen, wenn Hunderte von Anrufen täglich eingehen und plötzlich Leute leibhaftig vor
den Vermittlern stehen, die zwar in keiner Statistik mehr
auftauchen, weil sie es irgendwann aufgegeben hatten,
sich an der Nase herumführen zu lassen, aber nun trotzdem noch einmal auf eine Chance hoffen. Schon allein
dieser Effekt des Sofortprogramms darf auf keinen Fall
unterschätzt werden.
Aber in der Koalitionsvereinbarung hieß es, daß im
Mittelpunkt des Sofortprogramms die Vermittlung in
betriebliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze steht. Die
Bilanz unter diesem Aspekt nimmt sich eher dürftig aus.
Im Osten wurden bisher 25 Projekte mit 200 betrieblichen Stellen, im Westen 160 Maßnahmen mit 1 700
Stellen gefördert.
Dagegen nahmen zwischen 30 und 40 Prozent an sogenannten Trainingsmaßnahmen teil, die zwischenzeitlich vielfach bereits wieder beendet worden sind.
Sehr viel mehr als erwartet landeten die Jugendlichen in
der außerbetrieblichen Ausbildung und sehr viel weniger
als erhofft in der betrieblichen.
Das ist eigentlich kein Wunder, wenn man bedenkt,
daß wir es hier mit nichts weiter als klassischer Arbeitsmarktpolitik zu tun haben. Das Programm verstärkt
die Angebote, die es schon immer gab, für eine bestimmte Personengruppe. Das ist zwar mehr als früher;
das sind aber auch gleichzeitig die Grenzen.
Mit solchen Methoden können zwar Jugendliche von
der Straße geholt werden. Ausbildungs- und Arbeitsplätze entstehen so jedoch nicht. Es wird eine weitere Bugwelle - es gibt auch andere Begriffe dafür - aufgebaut.
Betriebliche Angebote gehen weiter zurück.
Das Grundproblem ist wieder um ein Jahr verschleppt
und vertagt worden. Weitere Jahre werden vergehen, bis
Sofortprogramme analysiert, verstetigt oder abgebrochen sind. Diejenigen, um die es hier und heute geht,
sind dann nicht mehr 20, sondern vielleicht schon 30
und wissen dann wohl selbst am besten, was mit Perspektiven gemeint war. Die aktuelle Vermittlungsstatistik weist - genau wie die erste Bilanz des Sofortprogramms und der Berufsbildungsbericht - in eine Richtung, die die Regierungsparteien schon einmal beschritten hatten. Allerdings waren sie da noch in der Opposition.
Unser Gesetzentwurf zur Umlagefinanzierung liegt
Ihnen heute zur Abstimmung vor. Zur Erinnerung seien
mir einige Zitate erlaubt. In der Begründung des Gesetzentwurfs der SPD vom Oktober 1997 heißt es:
Eine überbetriebliche Ergänzung der Finanzierung
der betrieblichen Berufsausbildung durch eine
Ausbildungsplatzumlage ermöglicht ...
- besser als durch staatliche Subventionierung die
Bereitstellung eines qualitativ und quantitativ
ausreichenden und strukturell bedarfsgerechten
Ausbildungsplatzangebotes,
({0})
- eine Stärkung der betrieblichen Ausbildung gegenüber außerbetrieblichen Angeboten,
- den Ausgleich regionaler Unterschiede durch
gezielten Einsatz der Mittel aus dem Aufkommen der Ausbildungsplatzumlage,
- eine gerechtere Verteilung der Ausbildungskosten zwischen den Betrieben und Verwaltungen
sowie die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen aufgrund unterschiedlicher Ausbildungsleistungen,
- die Entlastung der öffentlichen Haushalte von
Subventionierungskosten durch Bereitstellung
der Mittel seitens der Betriebe und Verwaltungen selbst sowie
- einen ordnungspolitisch, finanzpolitisch und
wirtschaftspolitisch gewollten Rückzug des
Staates aus der Verantwortung für die finanzielle
Absicherung der bestehenden Ausbildungsplatzlücke.
Es gab aber noch einen weiteren Gesetzentwurf im
parlamentarischen Gang. Bei den Grünen hieß es:
Durch dieses Gesetz soll erreicht werden,
- daß alle Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung erhalten;
- daß die Betriebe auch künftig ihren Bedarf an
qualifizierten Angestellten und Facharbeiterinnen und Facharbeitern decken können;
- daß die Inhalte der Ausbildung den ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen und technischen Anforderungen gerecht werden;
- daß Betriebe, die nicht ausbilden, keine Wettbewerbsvorteile erlangen.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
({1})
Ich weiß nicht, warum das alles heute plötzlich nicht
mehr wahr sein soll,
({2})
wenn man in der Regierungskoalition die Möglichkeit
erhält, praktische Veränderungen vorzunehmen können,
zu denen weder Sofortprogramme - in welcher Dimension auch immer - noch Bündnisgespräche jemals führen werden.
Frau Hermenau sprach in ihrem Beitrag von verschiedenen Wegen, die bei dieser komplizierten Materie
zu gehen seien. Sehr richtig; auch ich sehe das so. Deshalb appelliere ich: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf
zu und füllen Sie ihn aus, um in der Problemlösung endlich ein gutes Stück voranzukommen!
({3})
Es sei mir gestattet anzumerken: Wenn es denn wirklich nicht funktioniert, dann kann man - das tun wir in
diesem Hause ja sehr oft - das auch wieder ändern.
Danke schön.
({4})
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Antje Hermenau das
Wort.
Frau Kollegin Böttcher hat um Aufklärung gebeten,
warum wir zur Zeit keinen Gesetzentwurf zur Umlagefinanzierung vorlegen. Das ist ganz einfach zu erläutern.
Wir haben schon immer gesagt - Sie wissen das auch;
wir haben das diskutiert -, daß wir diesen Gesetzentwurf
als Drohkeule benutzen wollen, falls sich keine Bewegung in den Gesprächen herausstellt. Diese Bewegung
ist eingetreten; die Diskussionen verlaufen - soweit ich
das beurteilen kann - positiv. Vor diesem Hintergrund
wäre es albern, eine Woche vor dem Ende der Gespräche zum „Bündnis für Arbeit“ einen Gesetzentwurf zu
diesem Thema zu verabschieden. Sie wissen das. Ich
halte das für einen eigentlich völlig unpolitischen Vorgang - es sei denn, es geht Ihnen wieder nur um den
Eigennutz Ihrer Partei.
Danke.
({0})
Nun hat für die
SPD-Fraktion der Kollege Ernst Küchler das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Berufsbildungsbericht 1999
weist - trotz der insgesamt positiven Entwicklung, was
die Zahl der Ausbildungsplätze angeht - auf das nach
wie vor drängende Problem der Jugendarbeitslosigkeit
hin. Die Zahl der Ausbildungsverträge konnte 1998
um 4,3 Prozent gesteigert werden. Das ist in erster Linie
ein Erfolg der Betriebe und Unternehmen, die mehr
Ausbildungsplätze angeboten haben, aber auch einer der
Wirtschaftsverbände, der Kammern und der Bundesanstalt für Arbeit mit ihren intensiven Aktivitäten und Initiativen.
({0})
Konsequenterweise ist damit auch die Zahl der noch
nicht vermittelten Bewerber rückläufig, und zwar um
über 24 Prozent gegenüber 1997. Diese Zahlen belegen,
daß es nicht nur gelungen ist, den demographischen
Trend auszugleichen, sondern auch, die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich zu steigern. Der Berufsbildungsbericht weist jedoch auch darauf hin, daß zum Abbau
der Jugendarbeitslosigkeit und zu einem angemessenen
Ausbau der Ausbildungskapazitäten in den kommenden
Jahren gerade wegen der demographischen Entwicklung
noch erhebliche Anstrengungen unternommen werden
müssen.
({1})
Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit ist nicht nur
eine Frage des Auseinanderklaffens der wachsenden
Zahl von Jugendlichen, die eine Ausbildung suchen, und
der damit nicht Schritt haltenden Zahl der Ausbildungsplätze. Bei genauerer Betrachtung müssen wir feststellen, daß die erforderlichen Ausbildungsvoraussetzungen
viel zu häufig nicht gegeben sind. Deshalb muß eine
Strategie zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
immer differenziert angelegt sein. Mit vollmundigen
Versprechungen, wie wir sie von der Kohl-Regierung
Jahr für Jahr gehört haben, mit Appellen an die Betriebe,
Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, sowie mit Verdächtigungen und Schuldzuweisungen
an die Jugendlichen, Ausbildungsbereitschaft, Mobilität
und Flexibilität vermissen zu lassen, konnte das Problem
nicht gelöst werden.
({2})
Wer ausschließlich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Blick hat, aber die Rollen des Staates und
der Gesellschaft vernachlässigt und die Bedingungen,
unter denen Jugendliche und Kinder heute aufwachsen,
ausblendet, kann nicht die richtigen Antworten geben.
Es ist eine Binsenweisheit, daß letztlich nur die Betriebe
Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen können. Dennoch kann sich der Staat nicht der Verantwortung entziehen, jene Rahmenbedingungen zu schaffen, die die
Chancen der Jugendlichen verbessern.
({3})
Die Untätigkeit der konservativen Regierung in den
letzten Jahren, das Ausblenden der Jugendlichen, die
häufig nicht über die Voraussetzungen verfügen, eine
Ausbildung zu beginnen, und die Ignoranz gegenüber
dem Reformbedarf im Ausbildungssystem haben zu der
Situation geführt, die wir heute beklagen.
Uns unterscheidet nicht das Ziel, allen Jugendlichen
eine Ausbildung zu ermöglichen, sondern die Bewertung
des sozialen und ökonomischen Bedingungsrahmens.
Sie sprechen von Freiheit und individueller Verantwortung, nach dem modischen Möllemann-Slogan: Mach
aus dir, was in dir steckt. Sie diffamieren sowohl die
politischen Anstrengungen wie das Sofortprogramm der
Bundesregierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit als auch die Jugendlichen, denen es angeblich an
Ausbildungwillen und Ausbildungsbereitschaft fehlt.
CDU/CSU und F.D.P. sprechen ungern von der ökonomischen und sozialen Verantwortung der Wirtschaft
und der Gesellschaft, weil sie in ihrer ideologischen
Verblendung allein auf die Kräfte des Marktes setzen.
({4})
Die neue Bundesregierung hat nach ihrem Amtsantritt
unmittelbar und - wie sich schon jetzt erkennen läßt erfolgreich die ersten Schritte zur Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit unternommen. Das Sofortprogramm, das mit 2 Milliarden DM ausgestattet wurde, ist
ein voller Erfolg.
({5})
Mit dem Sofortprogramm wollten wir 100 000 jungen
Frauen und Männern unter 25 Jahren eine qualifizierte
Berufsausbildung ermöglichen oder ihnen durch Qualifizierung, Beschäftigung und Betreuung den Einstieg in
das Berufsleben ermöglichen, ihnen also Brücken in
Ausbildung und Beruf bauen, vielen eine zweite Chance
eröffnen.
({6})
Die beeindruckende Vielfalt und Intensität des Programms, mit dem alle Instrumente der Förderung ausgeschöpft werden, macht den Erfolg aus, der schon heute
mit eindrucksvollen Zahlen belegt werden kann. Von
Januar bis Mai 1999 sind insgesamt 141 792 Jugendliche in das Programm einbezogen worden. Dieses Programm hat auch bereits auf den Arbeitsmarkt durchgeschlagen. So ist nach Angaben der Bundesanstalt für
Arbeit die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen unter
25 Jahren in den ersten fünf Monaten dieses Jahres dank
des Sofortprogramms um über 40 000 zurückgegangen.
({7})
Während im Mai 1998 noch 422 400 junge Menschen
unter 25 Jahren arbeitslos gemeldet waren, sank diese
Zahl im Mai 1999 auf 368 100. Das sind 13 Prozent weniger als im Vorjahr.
Das Programm ist deshalb so erfolgreich, weil es als
Teil aktiver Arbeitsmarktpolitik sowohl auf die Aktivierung des Ausbildungsmarktes als auch auf die Qualifizierung und Integration jener Jugendlichen setzt, die die
Ausbildungsvoraussetzungen noch nicht erfüllen. Wenn
der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Schäuble dieses
Programm als milliardenschweres Programm diffamiert,
mit dem lediglich Jugendliche ohne Beschäftigung ruhiggestellt werden sollen, und wenn die F.D.P. in ihrem
sogenannten Neun-Punkte-Konzept zur Schaffung von
zusätzlichen Ausbildungsplätzen formuliert, das Programm erweise sich bei näherer Betrachtung als
„Augenwischerei“ und schiebe „die Jugendlichen hauptsächlich auf die lange Vorsorgebank“, dann muß ich
feststellen, daß dies nichts anderes als der untaugliche
Versuch ist, den Erfolg dieses Programms kleinzureden.
({8})
Der Erfolg des Programms ist auf das gelungene Zusammenwirken der Arbeitsverwaltungen, der Betriebe,
der Kammern und der Wirtschaftsverbände zurückzuführen, die sich aktiv und engagiert in das Programm
eingeklinkt haben.
({9})
An dieser Stelle möchte ich denjenigen danken, die
sich engagiert für die Umsetzung dieses Programms eingesetzt haben. Die Jugendlichen haben all die Vorurteile
der Opposition eindrucksvoll widerlegt, die sie bisher so
gerne bemüht hat, um von ihrer Tatenlosigkeit abzulenken.
({10})
Angesichts der eindrucksvollen Zahlen, die den Erfolg des Sofortprogramms belegen, wirkt es geradezu
absurd, wenn der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble in seiner Rede am 24. Februar dieses Jahres formuliert hat:
Das 2-Milliarden-Sofortprogramm für Ausbildungsplätze führt nach Auskunft der Arbeitsämter
überwiegend dazu, daß Geld in Hülle und Fülle
vorhanden ist, ausbildungswillige und -fähige junge
Menschen aber eher Mangelware sind.
Abgesehen davon, daß der Satz in sich nicht gerade
schlüssig ist, möchte uns Herr Schäuble wohl glauben
machen, daß die überwiegende Zahl der arbeitslosen
Jugendlichen weder ausbildungswillig noch ausbildungsfähig ist. Das paßt in das fahrlässige Gerede von
der mangelnden Leistungsbereitschaft der Jugendlichen.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch einen anderen Aspekt ansprechen, der bei der Suche nach den Gründen für die Jugendarbeitslosigkeit oft
vernachlässigt wird: Es handelt sich um die sozialen
Verwerfungen, die Sie maßgeblich mit zu verantworten
haben. Sie sind immer öfter die Ursache dafür, daß
Jugendliche die Voraussetzungen nicht erfüllen, eine
Ausbildung aufzunehmen. Das Scheitern vieler Jugendlicher in der Schule und an der Schwelle von der Schule
in den Beruf hat hier seine Ursachen. Viele Maßnahmen
zur Herstellung von mehr Chancengerechtigkeit haben
Sie von der Opposition eingeschränkt und beschnitten.
Ich erinnere nur an die sogenannte Reform des Arbeitsförderungsgesetzes. Gerade hier hat das SofortproErnst Küchler
gramm neue Akzente gesetzt. Es wendet sich auch und
besonders an jene Jugendliche, die die Ausbildungsvoraussetzungen noch nicht erfüllen.
Auch im „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und
Wettbewerbsfähigkeit“ hat die berufliche Aus- und
Weiterbildung einen besonderen Platz. In der Arbeitsgruppe „Aus- und Weiterbildung“ wurden mit den Wirtschaftsverbänden und den Gewerkschaften Gespräche
aufgenommen, um zu Vereinbarungen über die Sicherung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebots für
1999 und die kommenden Jahre zu kommen. Bereits in
der zweiten Sitzung des Bündnisses am 25. Februar
1999 haben die Wirtschaftsverbände erklärt, daß sie das
betriebliche Ausbildungsplatzangebot 1999 erneut über
den demographisch bedingten Zusatzbedarf hinaus erhöhen werden.
({12})
Die Bündnispartner haben folgende flankierenden
Maßnahmen vereinbart:
Die Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften
wollen in ihren Tarifverhandlungen möglichst viele ausbildungsfördernde Vereinbarungen zur Steigerung des
Ausbildungsplatzangebotes treffen.
Die Bundesregierung hat zugesagt, das Ausbildungsplatzangebot in der Bundesverwaltung um 4 Prozent zu
steigern.
Die Bundesregierung hat bereits mit den neuen Ländern eine Fortsetzung des Ausbildungsprogramms Ost
mit einem Umfang von 17 500 zusätzlichen Ausbildungsplätzen vereinbart.
200 Millionen DM stehen im ERP-Ausbildungsplatzprogramm für zusätzliche Ausbildungsplätze in
kleinen und mittleren Betrieben zur Verfügung.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich möchte noch
kurz ein anderes Kapitel des Berufsbildungsberichts ansprechen. Es widmet sich auch dem Thema der beruflichen Weiterbildung. Vom Bedeutungszuwachs der
Weiterbildung ist lange genug geredet worden. Alle
sprechen vom lebensbegleitenden Lernen, von den Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft angesichts des rasanten technischen
Wandels stehen. Auch bei der Beschreibung der Defizite
sind sich alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte
sehr schnell einig: mangelnde Transparenz, unzureichende Qualitätssicherung, Ressourcenverschwendung,
fehlende Verschränkungen der Erstausbildung mit den
Systemen der Weiterbildung und eine erkennbare
Schieflage, was die Zugänglichkeit zu den Angeboten
der Weiterbildung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angeht.
Die Bundesregierung hat erstmals zu diesem Bereich
des Bildungswesens Stellung bezogen. Weiterbildung
soll zu einem gleichberechtigten Bereich des Bildungssystems ausgebaut,
({13})
lebensbegleitendes Lernen soll als Querschnittsaufgabe
aller Bildungsbereiche verwirklicht werden. Dies wird
eine nicht leicht zu bewältigende Aufgabe sein. Ich will
nur auf eine richtungweisende Passage in dem Bericht
aufmerksam machen. Im Kapitel über berufliche Weiterbildung heißt es:
Es gilt, die Weiterbildungsbeteiligung besonderer
Personengruppen, insbesondere benachteiligter und
in der Weiterbildung unterrepräsentierter Gruppen
zu verbessern. …Hier sind insbesondere zusätzliche
Weiterbildungsanstrengungen für weniger Qualifizierte bzw. für Erwachsene ohne formalen Berufsabschluß erforderlich.
Konsequenterweise haben die Arbeitsämter 1999 ihre
Mittel für Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung
um 1 Milliarde DM auf 14 Milliarden DM erhöht.
({14})
Nur in einer konzertierten Aktion aller Verantwortlichen wird es möglich sein, das Problem der Jugendarbeitslosigkeit zu bewältigen. Die CDU formuliert in
ihrem Antrag, der einige durchaus begrüßenswerte Vorschläge enthält, daß es bei der Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit eines Konsenses für die Zukunft
der jungen Menschen in Deutschland bedarf. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wenn Sie
dies ernst meinen, dann beenden Sie Ihre ignorante und
von Passivität geprägte Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik, und beteiligen Sie sich endlich aktiv und konstruktiv an den Bemühungen, den Jugendlichen in unserer Gesellschaft eine Perspektive zu geben!
({15})
Ich bin sicher, daß wir dann bei der Debatte über den
nächsten Berufsbildungsbericht im Jahr 2000 eine positive Entwicklung der Arbeitsmarktdaten feststellen können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Auch dies war eine
Jungfernrede; Ihnen gilt der Glückwunsch des Hauses.
({0})
Nun gebe ich dem Kollegen Dr. Rainer Jork für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Bei einem ersten Blick in
den Berufsbildungsbericht ist Kontinuität feststellbar.
Dort steht, daß sich die im Jahre 1997 begonnene positive Entwicklung fortgesetzt hat. Das ist ja sicherlich als
Kompliment an die alte Bundesregierung aufzufassen.
({0})
Wenig später steht dort aber auch:
Allerdings stand einem deutlichen Zuwachs in den
alten Ländern Ernst Küchler
- gemeint ist: an Ausbildungsplätzen ein Rückgang in den neuen Ländern gegenüber.
Diese Problemsituation ist ein Kernpunkt, der besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Früher wurde die Situation
um diese Zeit immer wieder, spätestens zum dritten
Male, mit dem Begriff „Lehrstellenkatastrophe“ bezeichnet. Es hat im Zusammenhang mit meinen früheren
Erfahrungen und vielleicht auch mit der Rede von Herrn
Küchler einen gewissen Liebreiz, Frau Ministerin, daß
Sie vorhin sagten, Konfrontation und Schuldzuweisung
würden nicht weiterhelfen.
Beim genaueren Hinsehen stellt man fest, daß im Berufsbildungsbericht viel steht und viele Fragen angesprochen werden, aber nicht alle beantwortet werden.
Unklar bleibt für mich zum Beispiel, wie einerseits
attraktive Ausbildungsmöglichkeiten für Leistungsschwächere geschaffen werden, andererseits aber dann
Leistungsstärkeren besondere Chancen eröffnet werden
sollen.
Mir fällt beim Berufsbildungsbericht weiterhin auf,
daß neben Chancengleichheit einzig und allein Interessen und Neigungen der Jugendlichen als Teilhabekriterium genannt werden. Es geht hier nicht um Beschimpfungen, aber wir wissen, daß das Berufsbildungssystem
ein duales System ist und dort ganz wesentliche Unterschiede zu anderen Bildungsbereichen bestehen.
Der Vorteil und der Reiz bestehen ja eben darin, daß
es um eine partnerschaftliche Orientierung auf ein Ergebnis mit Zukunftseffekten geht, an dem beide Partner,
die Betriebe und die Jugendlichen, beteiligt sind. Die
Wirtschaft ist ein markierender Partner und hat ein Interesse, ihren Beitrag zu leisten. Da helfen - das sage ich
noch einmal, Herr Küchler - Konfrontation und Schuldzuweisungen nicht weiter. Es muß dann doch wohl auch
richtig sein, daß man nach Eignung und Bedarf fragt.
Ohne die Berücksichtigung von Eignungen provoziert
man Enttäuschungen. Ohne den Bedarf in der Wirtschaft
zu berücksichtigen, riskiert man Arbeitslose. Auf diese
Frage wird im Bericht auf mehreren Seiten eingegangen.
Ich frage die Bundesregierung: Wollen Sie Enttäuschungen und Arbeitslosigkeit riskieren?
Die Bundesregierung - das ist bemerkt worden - hat
sehr zügig dieses 100 000-Stellen-Programm auf den
Weg gebracht.
({1})
Wir erkennen grundsätzlich an, daß etwas für die
Jugendlichen getan wird, Herr Tauss. Ich bin mit meinen
Kollegen dankbar für das, was in den Arbeits- und Sozialämtern dafür getan worden ist.
({2})
Dieses Programm ist nicht dem Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zugeordnet. Es ist
offenbar in erster Linie eine soziale Maßnahme. Ich muß
darauf hinweisen, daß die Jugendlichen praxisnahe Ausbildungsplätze und praxisnahe Arbeitsplätze in der Wirtschaft benötigen.
Mit Blick auf dieses Hauptziel, Chancen auf Arbeit
zu bekommen, muß ich einfach auf folgende Mängel
eingehen, die sicher, wie ich hoffe, bei der weiteren Bearbeitung oder Neuauflage noch berücksichtigt werden.
Zum ersten: Lehrstellenabbrecher werden belohnt.
Es kann doch wohl nicht sein, daß jemand, der die Lehre
abbricht, mit einem Betrag in Höhe von 80 Prozent der
Qualifikations-ABM mehr Geld bekommt, als einem
anderen an Ausbildungsvergütung bezahlt wird.
({3})
Zum zweiten: Strukturelle Probleme auf dem Ausbildungsmarkt werden nicht gelöst. Das haben wir hier
schon wiederholt gehört. Darauf muß man aber eingehen. Ich sehe ja ein, Frau Hermenau, daß man nicht alles
am Anfang und sofort machen kann, aber auf Ihre Bemerkung, ein bißchen Spielen sei ganz schön,
({4})
muß ich entgegnen, daß es um 2 Milliarden DM, um
Qualität und auch um Verantwortung geht.
Zum dritten: Vorleistungen, die im Rahmen des Programms erbracht werden, sollen und müssen in der folgenden Ausbildung honoriert werden. Es geht darum,
daß die Ausbildung, die mit diesem Programm ermöglicht wird, auch Sinn macht.
Zum vierten: Die Ausbildung ist zuwenig auf die Berufspraxis bezogen.
Zum fünften: Wehrdienstleistende werden benachteiligt.
Wir sind und waren uns einmal über die drei wesentlichen Kriterien einig, an denen sich die Güte der Berufsausbildung zu messen hat: Qualität, Praxiskontakt
und Einstieg in die Berufstätigkeit. Wenigstens zwei
dieser drei Kriterien werden im Programm nicht oder
nicht ausreichend berücksichtigt.
Ich möchte auf die Wirtschaft zurückkommen. All
jene, die wertschöpfend arbeiten - also Handwerk, Industrie und der Hauptteil des sogenannten Mittelstandes -,
leben von Leistungen, verkaufsfähigen Ergebnissen und
Produkten. Sie leben nicht von Behauptungen, Versprechungen oder Nachbesserungen. Handwerk und Industrie brauchen Planungssicherheit und stabile Ausbildungsbedingungen. Was aber tut die Bundesregierung?
Sie schafft eine nicht ökologische Ökosteuer, die die
Energiekosten hochtreibt. Sie bringt eine Gesetzgebung
über 630-Mark-Jobs auf den Weg, die die Schwarzarbeit
fördert.
({5})
- Schwarzarbeiter bilden nicht aus, Herr Tauss. Vielleicht ist Ihnen diese Tatsache entgangen. - Letztlich
verhindert die Bundesregierung mit Kündigungsfristen
die Risikobereitschaft.
Die Ministerin hat gesagt: Hier helfen staatliche
Programme nicht allein. Sie hat an dieser Stelle recht.
Es geht um ein Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und
Staat. Wer heute bereit ist, Lehrlinge auszubilden, denkt
an den zukünftigen Facharbeiter, und zwar meist im
eigenen Betrieb. Hier schneiden sich die Interessenlinien
derer, die im Bereich der Berufsausbildung Verantwortung tragen. Diese Situation ist also anders als die Situation in jedem anderen Bildungsbereich.
Vergessen wir nicht: Es sind die Handwerksmeister,
die im wesentlichen den praktischen Teil der Berufsausbildung praxisnah und qualitätsgerecht sichern. Der
Vorteil unseres dualen Bildungssystems ist das direkte
Lernen in der Arbeitswelt. Die Berufsbezogenheit ist
das Herzstück der Berufsbildung. Sie ist zu sichern und
zu fördern. Lernen und Arbeit müssen eine Einheit bleiben.
Ich fordere darum die Bundesregierung auf: Gefährden Sie nicht die praktische Berufsausbildung, den
Hauptakteur im Betrieb, indem Sie den Meisterbrief und
seine Relevanz in Frage stellen! Führen Sie die im
Berufsbildungsbericht angeführte Modernisierung der
Berufe und der Berufsbildung fort! Geben Sie auch leistungsschwächeren Jugendlichen eine Chance, indem
Sie angemessene Berufe und Berufsbefähigung zulassen! Ich denke in diesem Zusammenhang an die Diskussion um den modularen Aufbau der Berufe. Aber auch
das Satellitenmodell kann zugrunde gelegt werden. Nur
sollte man sich über die Begriffe klarwerden, bevor man
prophylaktisch anfängt, zu schimpfen und ideologische
Probleme darüber auszukippen.
Ich fordere die Bundesregierung weiter auf: Hören
Sie mit Ihrer politischen Versuchs-/Irrtumspraxis in bezug auf den Umgang mit jungen Leuten auf! Frau Hermenau hat dieses Vorgehen als Spielen bezeichnet.
({6})
Schaffen Sie stabile Rahmenbedingungen hinsichtlich
der Motivation, ohne die die Ausbildungsbereitschaft
nicht wächst! Fördern Sie die allseitige Innovationsbereitschaft - vor allem in den neuen Bundesländern!
Es trifft die Wirtschaft schon hart, wenn die Bundesregierung die Patentgebühren anhebt. Wir waren uns
früher einmal einig, daß dieses Vorgehen ausgesprochen
schädlich ist, weil dieser Bereich die Innovation fördert.
Auch diese Betriebe bilden Lehrlinge aus, so daß auch
dort eine Rückkopplung zu den Lehrstellen gegeben ist.
Ich danke.
({7})
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Maritta Böttcher das
Wort.
Vielen Dank. - Herr Jork,
strukturelle Probleme gibt es in der Berufsausbildung
seit mindestens acht Jahren. Ich will daran erinnern, daß
während dieser Zeit bekanntlich Sie in der Regierungsverantwortung standen. Mir sind noch Ihre Worte im
Ohr, mit denen Sie die Beseitigung der mangelnden Flexibilität, der schlechten Schulausbildung und damit der
schlechten Vorbereitung der Auszubildenden für den
Arbeitsmarkt angemahnt haben.
Ich möchte sagen: Auch Sie haben schließlich nichts
dafür getan, außer zu appellieren, um dieses Problem zu
lösen. Es bestreitet niemand, daß das direkte Lernen in
der Arbeitswelt notwendig und wichtig ist. Sie wissen
aber sehr gut, daß das gerade hinsichtlich des dualen
Systems nicht erst seit heute in Gefahr ist.
Eine weitere Anmerkung möchte ich zur Rede von
Frau Hermenau machen. Nach Ihren Ausführungen,
Frau Hermenau, werden wir uns möglicherweise auf
eine Sondersitzung einrichten müssen, denn es wird ja
dann sicherlich Ergebnisse geben, die hier im Hause zu
behandeln sind.
Schließlich: Wer in Regierungsverantwortung die
Drohkeule einpackt, die er zu Zeiten der Opposition geschwungen hat, kann wohl nicht sehr ernst genommen
werden.
({0})
Zu einer Erwiderung hat das Wort der Kollege Jork.
Bloß ein paar
kurze Bemerkungen, Frau Böttcher. Sie haben nicht klar
gesagt, daß die meisten Probleme bei den Lehrstellen in
den neuen Bundesländern liegen. Wir haben dort durch
den Übergang von der volkseigenen Industrie eine erhebliche Strukturänderung; das wissen Sie ganz genau.
({0})
Wenn Sie von Struktur reden, müssen Sie einmal darüber nachdenken, inwieweit das bei dem Stand, dem
Niveau und den Möglichkeiten paßfähig war. Ihre Umlage ist wieder nur auf eine zentralstaatliche Lösung mit
Umverteilung orientiert.
({1})
Sie haben das Problem überhaupt nicht erkannt. Sie
meinen, es sei überhaupt nichts getan worden. Aber das
drückt sich nicht nur in Geld aus. Ich empfehle Ihnen:
Vergleichen Sie doch einmal den diesjährigen Berufsbildungsbericht mit den früheren Berichten; dann werden Sie erkennen, was die frühere Bundesregierung auf
dem Weg der Modernisierung alles getan hat.
({2})
Wenn Sie das einmal zur Kenntnis nehmen, werden Sie
unsere Situation vielleicht etwas zeitnäher beurteilen
und von Ihrem siebten Himmel des realen Sozialismus
etwas herunterkommen.
Danke.
({3})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Christian Simmert.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zu den Widerstandskämpfern äußere ich mich
jetzt nicht, sondern eher zum Berufsbildungsbericht.
Auch dieses Jahr werden die Zahlen der Absolventinnen und Absolventen von allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen um 1,4 Prozent steigen. In absoluten Zahlen sind das 19 000 Jugendliche mehr als im
Vorjahr, die in diesem Sommer eine Ausbildungs- oder
Arbeitsstelle suchen werden. Knapp eine halbe Million
junger Menschen suchen zur Zeit eine Ausbildung oder
Arbeit. Ihnen wird verwehrt, was bis heute für unser
aller Identität wichtig ist: die Erwerbsarbeit.
Der Luxemburger Beschäftigungsgipfel hat nochmals festgestellt, daß den Jugendlichen keinerlei Wartezeiten zuzumuten sind. Kommt es zum Beispiel zu einer
Lücke zwischen Schule und weiterer Ausbildung oder
Arbeit, hat dies immer nachhaltige negative Folgen für
das Selbstwertgefühl eines jungen Menschen. Bis zu
5 500 junge Anrufer bei der Hotline der Bundesanstalt
für Arbeit im Rahmen des Sofortprogramms der Bundesregierung haben gezeigt, wie motiviert die Jugendlichen sind.
Das bedeutet allerdings auch, daß jetzt große Erwartungen an uns gerichtet werden. Junge Menschen, die
schon lange aus der Statistik herausgefallen waren und
sich nicht mehr beim Arbeitsamt gemeldet hatten, wurden durch das Sofortprogramm angesprochen. Diese
jungen Menschen, denen - auch von der rechten Seite
des Hauses - nur allzuoft der Schwarze Peter für ihr angebliches Versagen zugeschoben worden ist, sind nun
motiviert, ihren Anteil an der Erwerbsarbeit zu leisten.
Selbstverständlich wollen wir keine Maßnahmenkarrieren. Deswegen klopfen wir alle Maßnahmen, ob auf
nationaler oder auch auf europäischer Ebene, darauf ab,
ob junge Menschen nur irgendwie aus der Statistik verschwinden sollen, also in einer Warteschleife „geparkt“
werden, oder ob sie mit Hilfe einer staatlich geförderten
Maßnahme wirklich eine Qualifikation erhalten, die ihnen etwas bringt und sie auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Zum Beispiel die von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, bundesweit geforderten AQJMaßnahmen sind deshalb ein wichtiger Bestandteil des
Sofortprogramms, ebenso wie viele andere Punkte, die
Sie in Ihrem Antrag einfordern. Sie sehen, das klappt
schon ganz gut. Aber selbstverständlich werden wir dabei nicht stehenbleiben, sondern das stetig verbessern.
In der Mehrzahl haben junge Menschen mit mittleren
und höheren Schulabschlüssen von diesem Programm
profitiert. Das zeigt einerseits, daß Erwerbslosigkeit
heute wirklich ein Massenphänomen ist. Das ist nichts
Neues. Es macht aber auch deutlich, daß wir für wirklich
benachteiligte Jugendliche, die angesichts der allgemeinen Misere gar keine Chance mehr auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben, dringend Initiativen
brauchen.
Auch junge Mütter konnten zum Beispiel von diesem Programm nicht profitieren. Doppelt so viele junge
Frauen wie gleichaltrige Männer leben von Sozialhilfe.
Viele von ihnen würden gerne eine Arbeit oder Ausbildung aufnehmen. Hier fehlen innovative Möglichkeiten
der Maßnahmenausgestaltung, aber auch Rahmenbedingungen struktureller Art, wie zum Beispiel eine flächendeckend ausreichende Kinderbetreuung. Generell sind
junge Frauen bislang von nur zwei Maßnahmen des Sofortprogramms angesprochen worden. Das wollen wir
ändern und verbessern.
Junge Migrantinnen und Migranten erfahren zu
häufig Benachteiligungen durch eine schlechte Ausbildung. Das beginnt bereits beim Schulabschluß. Besonders die Gruppe der älteren Jugendlichen zum Beispiel
türkischer Herkunft, in der jeder zweite ohne Berufsabschluß geblieben ist, macht uns große Sorgen.
Die Beispiele zeigen: Hier ist differenziertes Maßnahmendenken gefragt. Pilotprojekte in den neuen Bundesländern zeigen, daß sie, wenn sie auf den Bedarf vor
Ort genau zugeschnitten sind, selbst in den schwierigsten Situationen Erfolg haben können. Deswegen halte
ich das, was Frau Hermenau gerade angesprochen hat,
für richtig. Solche innovativen Projekte wollen wir verstärkt fördern.
Staatlich geförderte Maßnahmen sind erst dann ein
Erfolg, wenn die Jugendlichen den Schritt in den ersten
Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt geschafft haben. Deshalb setzen wir uns dafür ein, daß das Förderprinzip verändert wird: weg von der Individualförderung hin zur
Projektförderung. Denn es kann nicht angehen, daß der
Träger, der die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Maßnahme in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt hat, an seinem Erfolg pleite geht und weniger
Förderung erhält.
Ganz individuell müssen wir die Beratung gestalten.
Viele von uns schielen auf Großbritanniens New Deal
und wünschen sich eine deutsche Neuauflage. Diesen
Kolleginnen und Kollegen möchte ich mit auf den Weg
geben: Dort gibt es pro Betreuerin oder Betreuer nur 40
und nicht, wie hierzulande, 250 Jugendliche, die begleitet werden. Davon können wir tatsächlich lernen.
Auch die Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen sowie die Jugendsozialarbeit müssen wir stärker
fördern. Dafür müssen wir uns auch in den Bildungsinstitutionen unseres Landes ganz genau umsehen. Eine
Reform der beruflichen Bildung steht für meine Fraktion
ganz oben auf der Agenda. Denn Bildung - das zeigt der
Berufsbildungsbericht ganz deutlich - ist das Schlüsselkriterium schlechthin für einen gelungenen Eintritt in
das Erwerbsleben.
Wir werden deshalb nicht zulassen, daß das duale
System allein dadurch weiter in die Krise gerät, daß die
Betriebe nicht ausbilden, aber immer besser ausgebildete
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen
wollen. Die neue Bundesregierung ist dem Prinzip verpflichtet, möglichst im Konsens mit allen Beteiligten
Lösungen zu suchen, so auch bei der Bekämpfung des
Lehrstellenmangels und der allgemeinen Ausbildungsund Arbeitsplatzmisere.
Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit hat hier einen großen Vertrauensvorschuß erhalten. Diesem muß es gerecht werden. Sollte
das Bündnis für Arbeit in diesem Sommer und angesichts der neu auf uns zukommenden Lehrstellenmisere
möglicherweise keine Anzeichen für eine Verständigung
aufweisen, wird, so denke ich, über den Koalitionsvertrag diskutiert werden. Dort haben wir uns darauf festgelegt, daß man, sollte dies eintreten, überlegen wird,
welche Maßnahmen erforderlich sind.
Ich selbst möchte an dieser Stelle alle Unternehmer
auffordern, in diesem Sommer in ausreichendem Maße
Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, damit wir
im Bündnis für Arbeit endlich weiterkommen und berufliche Chancen für Jugendliche eröffnen können.
Vielen Dank.
({0})
Für die F.D.P.Fraktion spricht nun der Kollege Klaus Haupt.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sind
uns einig: Ausbildung und Qualifizierung der Jugend
entscheiden die Zukunft unserer Gesellschaft. Deshalb
ist die Jugendarbeitslosigkeit eines der größten gesellschaftlichen Probleme. Wir als F.D.P. begrüßen, daß
auch die jetzige Bundesregierung hier gesteigerten
Handlungsbedarf sieht.
({0})
Ich komme aus einer Region mit einer Arbeitslosenquote von 27 Prozent. Die Notwendigkeit staatlicher
„Feuerwehr“-Programme ist für mich als Liberalen unbestritten. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, daß das
Sonderprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit fortgeführt werden soll; denn es wäre unverantwortlich gewesen, mit viel Getöse Hoffnung zu
wecken und die Jugendlichen dann praktisch in die
Warteschleife zu schicken. Aber selbst bei 100prozentiger Umsetzung des Programms dürfen wir nicht vergessen, daß 400 000 Jugendliche ohne Arbeit und Ausbildung bleiben.
Gestatten Sie mir auf Grund der Erfahrungen in meiner ostsächsischen Problemregion einige kritische,
sachliche, aber, Kollege Küchler, weniger parteipolitische Bemerkungen. Jugendarbeitslosigkeit stellt sich
sehr unterschiedlich dar. Deshalb ist eine maximale Umsetzungsfreiheit für die Beteiligten vor Ort wichtig; nur
so können effektive und effiziente Maßnahmen wirklich
ergriffen werden.
({1})
Bei der Fortschreibung des Programms muß verstärkt
auf die Qualifikationsstruktur der arbeitslosen Jugendlichen geachtet werden - dies gilt vor allen Dingen für
die neuen Bundesländer -: auf Jugendliche ohne
Schulabschluß, Jugendliche ohne Berufsabschluß und
Jugendliche mit Berufsabschluß.
Das Sofortprogramm ist im Dezember vorigen Jahres
unter erheblichem Zeitdruck entwickelt und umgesetzt
worden. Zu der Vielzahl bereits existierender Programme kamen nun weitere Angebote hinzu. Dies hatte zur
Folge, daß schnell gestrickte Projekte entstanden, auch,
wie bereits erwähnt, mit vergütungsrechtlichen Verwerfungen: Zwei Jugendliche lernen beim gleichen Bildungsträger mauern. Der eine bekommt dafür 1 800 DM,
der andere nichts.
Es hatte zur Folge, daß eine zielgenaue Zuweisung
der Jugendlichen in Maßnahmen häufig schwer möglich
war.
({2})
Es hatte zur Folge, daß die notwendige Kontinuität in
der Maßnahmeplanung und -umsetzung gelitten hat. Es
hatte auch zur Folge, daß bewährte Projekte beeinträchtigt wurden.
({3})
Bei der Fortführung des Programms müssen vor allem die Qualität von Projekten sowie die Effektivität für
den einzelnen und damit eine gelungene Integration jugendlicher Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt im Vordergrund stehen.
({4})
Dazu ist eine Harmonisierung der bewährten Aspekte
des Sofortprogramms - das ist die eine Seite - und der
Strukturen der traditionellen Programme - das ist die
andere Seite - notwendig. Es kommt auf eine stärkere
Vernetzung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen
mit Projekten der Jugendhilfe an. Die Zusammenarbeit
mit den Bildungsträgern muß dem Ziel dienen, bedarfsorientierter auszubilden und zu qualifizieren, damit zielgruppengenaue und zeitgemäße Angebote für Jugendliche garantiert werden.
({5})
Nicht zuletzt muß der bisher hohe Verwaltungsaufwand
dringend verringert werden.
Immer neue Staatsprogramme helfen aber nicht, der
Jugendarbeitslosigkeit auf Dauer Herr zu werden. Ein
nachhaltiger Abbau der Jugendarbeitslosigkeit ist nur zu
erreichen, wenn die Rahmenbedingungen in Deutschland wieder stimmen.
({6})
Dies kann erreicht werden durch ein vereinfachtes
Steuersystem, einen umfassenden Bürokratieabbau und
eine mutige Bildungsreform.
({7})
Ich sage Ihnen: Der Gesetzesmurks, den die Bundesregierung in den letzten Monaten fabriziert hat, steht dazu
in krassem Widerspruch.
({8})
Ich möchte dies an einem Beispiel beweisen: Die zu
Recht vielgescholtene 630-Mark-Neuregelung hat auch
- von der Politik fast unbemerkt - zu einer erheblichen
Steigerung der Lohnkosten für Ausbildungsplätze geführt.
({9})
Ein konkretes Beispiel, Herr Kollege: Der Fachverband
Sanitär, Heizung, Klima Sachsen hat mir mitgeteilt, daß
nach Anhebung der Geringverdienergrenze auf 630 DM
die Ausbildungsvergütung nun teilweise unter der Grenze
liegt, bis zu der ein Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge komplett zahlen muß. Das heißt: Der Ausbildungsplatz in diesem Bereich kostet zwischen 1 400 und
3 000 DM mehr. Das trägt nicht zu einer Verbesserung
der Ausbildungsbereitschaft beim Handwerk bei.
({10})
Ein Wort zur Ausbildungsplatzabgabe, wie sie von
der PDS gefordert wird.
({11})
Durch Vorgabe eines Ausbildungssolls greift der Staat
doch massiv in die Personalplanung der Firmen ein. Das
weckt für mich Erinnerungen an längst vergangene
Planwirtschaftszeiten. Die Betriebe werden nicht nur
finanziell, sie werden auch mit einem gewaltigen bürokratischen Aufwand belastet. Schließlich wird auch zusätzliche staatliche Bürokratie geschaffen. Das haben
wir bei Rotgrün schon genug erlebt. Weder akute
Staatsprogramme noch planwirtschaftliche Vorschriften
werden das Problem der Jugendarbeitslosigkeit lösen
können.
({12})
An der Reform der beruflichen Bildung führt kein
Weg vorbei, ebensowenig an der Entlastung der Wirtschaft, die die berufliche Bildung wesentlich trägt. Ich
füge aber auch noch hinzu: Wer Ausbildungsplätze und
damit Chancen für die Jugend schaffen will, muß auch
das gesellschaftliche Umfeld in den Blick nehmen. Denn
über die Chancen, die ein Jugendlicher hat, wird nicht
erst bei der Ausbildungsplatzfrage entschieden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({13})
Nun spricht für die
CDU/CSU-Fraktion der Kollege Heinz Wiese.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An der
Schwelle zum nächsten Jahrtausend stehen wir in der
Bildungs- und Sozialpolitik vor neuen großen Herausforderungen. Für eine zukunftsorientierte Beschäftigungspolitik müssen neue Prioritäten gesetzt werden.
Vor allen Dingen geht es um eine nachhaltige Verbesserung der Zukunftschancen für unsere junge Generation.
Wir gehen davon aus, daß Ausbildung und Qualifizierung auch künftig der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit sind.
({0})
Unsere Jugend will gefördert, sie muß aber auch gefordert werden. Vor allen Dingen brauchen wir über
kurzfristige Programme hinaus, die teilweise nur einen
Strohfeuereffekt haben, neue Strukturen, die langfristig
halten und realistische Zukunftsperspektiven beinhalten.
Das Sofortprogramm der Bundesregierung ist in dieser
Hinsicht bei weitem nicht der große Wurf,
({1})
es ist aber als Einstiegsprogramm und in seiner Brükkenfunktion durchaus angemessen zu werten.
({2})
Die meisten Teilnehmer an diesem Hilfsprogramm
wurden ja bekanntlich in öffentlich finanzierte Trainingsprogramme, Umschulungskurse und AB-Maßnahmen geschickt. Es ist vorher schon - auch von der Frau
Ministerin - das Wort Warteschleife gefallen. Wir gehen
davon aus, daß bisher 3 100 Jugendliche auf einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft vermittelt werden
konnten. Aber leider - das ist das große Dilemma bei
diesem Programm - erhielten nicht einmal 1 000
Schulabgänger einen Ausbildungsplatz im dualen
System. Das ist natürlich für ein milliardenschweres
Programm entschieden zuwenig.
({3})
Mit unserem Antrag „Ausbildung, Qualifizierung und
Arbeit für junge Menschen“ wollen wir uns neuen Herausforderungen unserer Zeit stellen. Es sind dies: die
Globalisierung der Märkte, der rasante Strukturwandel
in der Berufs- und Arbeitswelt und nicht zuletzt die sogenannte digitale Revolution im Informationszeitalter.
Die japanische Kultusministerin hat kürzlich die Prognose gewagt: Wer mit 30 Monaten nicht anfängt, spielerisch mit dem Computer umzugehen, der kann mit
30 Jahren nicht zur Spitze gehören.
Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die
noch steigende Zahl der Schulabgänger, auf die bereits
hingewiesen wurde, haben wir in den nächsten zehn Jahren im Bereich Bildung, Ausbildung und Qualifizierung
große Aufgaben vor uns. Bildung gewinnt auch als neuer Standortfaktor zunehmend an Bedeutung. Unser heute
scheidender Bundespräsident Roman Herzog hat Bildung als das Megathema der nächsten Jahre bezeichnet.
Wie recht er hat! Der Bedarf an qualifizierten Erwerbstätigen wird ständig zunehmen. Wir brauchen fundierte
fachliche Kompetenzen und Berufserfahrung, um gute
Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Hinzu komKlaus Haupt
men soziale Kompetenzen wie Flexibilität, Teamfähigkeit, Leistungsbereitschaft und selbständiges Handeln.
Ich glaube aber, daß die entscheidende Voraussetzung für eine gute Berufsausbildung eine solide Schulbildung ist. Dieser Erkenntnis muß in allen Bundesländern Rechnung getragen werden.
({4})
Wir brauchen einen breiten nationalen Diskurs über
Lehren und Lernen, eine Anpassung der Bildungsziele,
die Professionalisierung und Qualitätssicherung der
Schulbildung. Endlich muß die Vergleichbarkeit der Abschlüsse in allen Bundesländern hergestellt werden.
({5})
Nur so kann das bildungspolitische Süd-Nord-Gefälle in
Deutschland endlich beseitigt werden.
({6})
Die politischen Rahmenbedingungen sind bereits angesprochen worden. Sehr wichtig wird sein, wieder zu
einer soliden wachstumsorientierten Politik zurückzukommen. Denn wenn wir glauben, die Ausbildungsplätze für die Zukunft mit einem Wirtschaftswachstum von
1,5 Prozent schaffen zu können, sitzen wir einem verhängnisvollen Irrglauben auf. Betriebe und Unternehmer
brauchen wieder Planungssicherheit. Zumindest für den
Mittelstand und das Handwerk gilt noch heute der
Grundsatz: Die Gewinne der Wirtschaft von heute sind
die Investitionen von morgen und die Arbeits- und Ausbildungsplätze von übermorgen.
({7})
Bei uns, in der mittelständisch orientierten Wirtschaft in
Baden-Württemberg, funktioniert das.
In puncto Ausbildungsumlage nur einen Satz: Es
muß endlich Klarheit geschaffen werden. Beenden Sie,
meine Damen und Herren von der Regierungsbank, diese schädliche Verunsicherung. Lassen Sie die Finger
weg von jeder zusätzlichen Abgabe!
({8})
Ein großes Problem stellen für uns die weniger qualifizierten Menschen dar. Wir haben in Deutschland ein
erhebliches Defizit an einfachen Arbeitsplätzen. Prognosen zufolge wird sich die Zahl dieser Arbeitsplätze bis
zum Jahr 2010 noch einmal halbieren und dann nur noch
10 Prozent aller Arbeitsplätze ausmachen.
({9})
- Die mittelständische Industrie bei uns wird - das werden wir im Wege von Konsensgesprächen erreichen entsprechende Arbeitsplätze bereitstellen.
Wir müssen die Steigerung der Berufsreife in den
Vordergrund stellen. Das ist die eine Forderung. Eine
weitere Forderung ist, ausbildungswilligen Schülern mit
kognitiven und sozialen Defiziten eine besondere Förderung zukommen zu lassen. Sie im besonderen laufen Gefahr, sich in gesellschaftliche Randständigkeit und Ausgrenzung hineinzubewegen. Für diese schwer vermittelbaren Jugendlichen, die oft ein eher praktisch orientiertes Begabungsprofil haben, fordern wir teilqualifizierende oder modulare Ausbildungsgänge und neue Berufsbilder mit theoriegemindertem Anforderungsprofil. Das
Satellitenmodell des DIHT ist vorhin schon angesprochen worden. All dies sind neue Wege zu einer modernen Beruflichkeit. Ich appelliere an alle Teilnehmer der
Gespräche im Bündnis für Arbeit und Ausbildung, gerade im Hinblick auf diese Jugendlichen konsensfähige
Maßnahmenbündel zu vereinbaren.
Ich gehe davon aus, daß die Bundesländer voneinander lernen können. Es sollte einen Ideenwettbewerb zwischen den einzelnen Bundesländern geben, einen fruchtbaren Wettstreit um bessere Modelle und Programme.
Die Jugendberufshelfer in Baden-Württemberg beispielsweise haben genauso wie in Bayern das Projekt
der Einrichtung von Praxisklassen Modellcharakter.
Gleiches gilt für einen Schulversuch für Fachpraktiker in
Dienstleistungsbranchen - ein Projekt, das der Sozialminister von Baden-Württemberg, Herr Repnik, angeschoben hat. Vielen Dank dafür!
({10})
Themen wie die Senkung der Lohnnebenkosten für
weniger produktive Arbeitsplätze, die Reduzierung der
Arbeitskosten bei einfachen Dienstleistungen sowie
Kombilohnmodelle sollten Eingang in die Bündnisgespräche finden.
Wir brauchen in Zukunft noch mehr Ausbildungsverbünde. Wir müssen den kleinen Betrieben helfen, die
aus verschiedenen Gründen bisher zuwenig Ausbildungsplätze anbieten.
Meine Damen und Herren, die Probleme der neuen
Bundesländer sind bereits angesprochen worden. Es
wird im besonderen darauf ankommen, daß wir im
Osten die Lehrstelleninitiative Ost fortsetzen und den
höheren Stellenwert von beruflicher Ausbildung immer
wieder klar betonen.
Eines kann ich für ganz Deutschland sagen: Statt mit
dem Rotstift zu wüten, muß die Maßgabe gelten, eine
neue Bildungsinitiative und Bildungsoffensive für die
berufliche Bildung zu starten. Lassen Sie uns gemeinsam an der Zukunft unserer Jugend arbeiten!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Auch das war eine
erste Rede. Deswegen möchte ich dem Kollegen Wiese
den herzlichen Glückwunsch des Hauses aussprechen.
({0})
Nun gebe ich für die SPD-Fraktion das Wort dem
Kollegen Willi Brase.
Heinz Wiese ({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder Mensch hat das Recht auf berufliche Bildung. Besonders wichtig ist der Zugang zu einer breitangelegten
qualifizierten Ausbildung für alle Jugendlichen. Die
Aktivitäten von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
müssen darauf gerichtet sein, Chancengleichheit in
einem umfassenden Sinne zu ermöglichen.
Der Anspruch unserer jungen Menschen auf Ausbildung und Zukunftsperspektive unabhängig von ihrer
Herkunft und den Einkommensverhältnissen der Eltern
ist Zielsetzung staatlicher Politik und muß gemeinsam
von den entscheidenden Trägern in der beruflichen Bildung umgesetzt werden.
({0})
Das duale Berufsausbildungssystem hat sich trotz
mancher quantitativer Schwierigkeiten bei der Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen im Grundsatz bewährt. Dies belegt der Berufsbildungsbericht eindrucksvoll; er zeigt aber auch auf, wo
das Angebot durch zusätzliche staatliche Maßnahmen
und Aktivitäten stabilisiert und ergänzt werden mußte.
Dabei ist es aus unserer Sicht richtig, das Berufskonzept
in der beruflichen Ausbildung auch für die Zukunft als
unverzichtbar darzustellen.
Angesichts der zu erwartenden schnellen Veränderungen in der Arbeitswelt der Zukunft müssen die Erstausbildungen neben einer breiten Grundausbildung auch
gleichzeitig eine große Flexibilität und umfassende
Verwertungsmöglichkeiten mit sich bringen. Fachkompetenz, Sozialkompetenz, Methodenkompetenz und die
immer stärker notwendig werdende Medienkompetenz
zeigen sehr deutlich, in welche Richtung die Modernisierung der Ausbildungsinhalte und der Ausbildungsordnungen gehen müssen. Zusammengefaßt geht es um
die Fähigkeit zum vernetzten Denken, um Schlüsselqualifikationen und um ganzheitliches Lernen.
({1})
Wird dies in den nächsten Jahren umgesetzt, verbessern
sich die Zukunftsperspektiven unserer jungen Menschen.
Auch der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands zeigt auf, welche Bedeutung die
Ausbildungs-, die Bildungs- und die Weiterbildungspolitik im Wandel zur Wissensgesellschaft mit sich
bringt.
({2})
Mittlerweile verfügen gut 72 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der gewerblichen Wirtschaft über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Der
Anteil Geringqualifizierter ist im Verlauf der letzten
Jahre um mehrere Prozentpunkte gesunken. Hochqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden
verstärkt nachgefragt.
Die Beschäftigungschancen für Geringqualifizierte
haben sich weiter verschlechtert. Der Trend zur Verschiebung der Qualifikationsstruktur setzt sich damit
weiter fort. Die Zahl der Einfacharbeitsplätze wird
künftig weiter sinken; bis zum Jahre 2010 sollen 40 Prozent der sogenannten Einfacharbeitsplätze des Jahres
1997 entfallen. Diese wenigen Zahlen und Perspektiven
verdeutlichen, daß wir insbesondere leistungsgeminderten und sozial benachteiligten Jugendlichen eine vernünftige Qualifizierung und Ausbildung ermöglichen
müssen, um ihnen überhaupt eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben.
({3})
Dieses Problem in der beruflichen Ausbildung und in
der Arbeitsmarktpolitik zu lösen ist wichtig.
Die immer wiederkehrende Debatte über Perspektiven für leistungsgeminderte, schulisch weniger qualifizierte Jugendliche und eine generelle Verkürzung der
Ausbildungszeit auf zwei Jahre mit entsprechenden Angeboten wird den zukünftigen Erfordernissen nicht gerecht. Diese Forderung muß abgelehnt werden.
({4})
Der schon erwähnte Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit, aber auch die Lektüre der Berufsbildungsberichte der letzten Jahre zeigen: Nur mit einer
breiten Qualifizierung sind junge Menschen in der Lage,
sich auch am Arbeitsmarkt der Zukunft zu behaupten.
Unter Pädagogen und Wissenschaftlern ist unstreitig,
daß gerade Menschen mit schulisch weniger qualifizierten Abschlüssen häufig mehr Zeit brauchen, um die
Inhalte und das Wissen aufnehmen zu können, als diejenigen, die als Begabte und Höherqualifizierte bezeichnet
werden. Es ist angesichts in Zukunft fehlender sogenannter Einfacharbeitsplätze geradezu widersinnig, Jugendliche mit Teilqualifizierungen in massiver Art und
Weise ausschließlich auf eine zweijährige Ausbildungsdauer zu orientieren. Dies ist nicht akzeptabel; dieses
Problem muß anders und besser gelöst werden.
({5})
Herr Kollege Brase,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollgen Grehn?
Ja.
Herr Kollege, Sie haben
wiederholt auf die Anzahl der Un- und Angelernten
verwiesen. Stehen Ihnen oder Ihrer Regierungskoalition
konkrete Angaben darüber zur Verfügung, wie viele der
Un- und Angelernten deshalb in der Statistik stehen,
weil sie durch langanhaltende Arbeitslosigkeit dequalifiziert worden sind und von den Arbeitsämtern als Unund Angelernte geführt werden, selbst wenn sie einen
höheren Bildungsabschluß haben?
Herr Kollege, ich will auf diese
Frage folgendes antworten: Den Arbeitsämtern ist in der
Praxis sehr wohl bewußt, vor welchem Hintergrund und
mit welchen Problemen Jugendliche mit Teilqualifizierung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Es gibt
Möglichkeiten, die gerade in den Arbeitsamtsbezirken
vor Ort umgesetzt werden und so aussehen, daß man für
diese Jugendlichen mit den Betrieben zusammen besondere Qualifizierungsmaßnahmen vorsieht, um ihnen
über den sogenannten Klebeeffekt eine Perspektive in
der realen Wirtschaftswelt, das heißt in den Unternehmen zu eröffnen. Das halte ich für wesentlich besser und
wichtiger, als auf eine Ausbildungszeit von zwei Jahren
zu zielen.
({0})
Die vorgelegten Zahlen im Berufsbildungsbericht
1999 belegen, daß es regionale Unterschiede bei der Bereitstellung und Schaffung von Ausbildungsplätzen gibt.
Unsere Erfahrungen zeigen deutlich, daß in den Regionen, wo der Wille zur Kooperationsbereitschaft und zur
Umsetzung gemeinsamer Lösungsschritte in der beruflichen Bildung vorhanden ist, Ausbildungsplätze und
Ausbildungsqualität miteinander verzahnt und das Ausbildungsplatzangebot insgesamt verbessert worden sind.
Wir wissen alle: Die Innovationsfähigkeit der Unternehmen wird durch Ausbildungsbereitschaft und Ausbildungsfähigkeit verbessert. Erstausbildung und Zusatzqualifikation im Sinne von lebenslangem Lernen
führen dazu, daß sich die entsprechenden Unternehmen
zukunftsgerichtet jederzeit am Markt behaupten können.
Dieses Klima der Kooperationsfähigkeit und der Bereitschaft zum Konsens hat dazu geführt und führt dazu,
daß größere Probleme bei der Versorgung mit Ausbildungsplätzen unterbleiben. Deshalb muß es Ziel der
Politik sein, diesen Ansatz zur Lösung der Ausbildungsplatzprobleme zu stärken und voranzutreiben.
({1})
Wir ermuntern die Bundesregierung ausdrücklich, diesen Weg zu beschreiten und die entsprechenden Ergebnisse aus den Ländern und Regionen in die Diskussion
einzubeziehen.
Es fällt doch auf, daß gerade da, wo man sich gemeinsam mit den zuständigen Stellen der Ausbildungsproblematik annimmt, mit dem Sofortprogramm wesentlich mehr Erstausbildungsplätze für die Jugendlichen angeboten werden als in den Regionen, die in der
Kooperationsfähigkeit noch nicht so weit sind. Wir sehen daher gute Chancen, daß die mit dem Sofortprogramm eingeleiteten Maßnahmen in betrieblicher Ausund Weiterbildung weitergeführt werden. Das ist eine
Aufgabe für das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und
Wettbewerbsverbesserung.
({2})
Lassen Sie mich noch eine Erfahrung deutlich ansprechen, die wir in den Regionen unseres Landes immer wieder machen. Allzu häufig haben wir unabhängig
von der jeweiligen wirtschaftspolitischen Lage eine Entkoppelung des Ausbildungmarktes vom Arbeitsmarkt
erlebt. Das bedeutet, daß unabhängig von der konjunkturellen Situation in den Regionen mit großer Kooperationsbereitschaft und mit der Fähigkeit, miteinander zu
handeln, die Ausbildungsplatzgestaltung als zentrale
Aufgabe begriffen und entsprechend bearbeitet wurde.
Dies hatte als Positives die Verbesserung der Zukunftschancen unserer jungen Menschen in ihrer Heimat zum
Ausdruck gebracht, und das wollen wir fortsetzen.
({3})
Der Berufsbildungsbericht 1999 und der vorliegende
Antrag der CDU/CSU-Fraktion bieten die Grundlage,
um sachlich und inhaltlich fundiert über die Zukunftsperspektiven für Ausbildung, Qualifizierung und Arbeit
für junge Menschen zu diskutieren.
({4})
Abschließend weise ich für meine Fraktion darauf
hin, daß wir den von der PDS vorgelegten Gesetzentwurf ablehnen, da wir auf die Anstrengungen der Bundesregierung mit dem Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit, den Verabredungen im Bündnis für Arbeit, Ausbildungs- und Wettbewerbsverbesserung und
den vor Ort immer stärker werdenden Bündnissen für
Ausbildung setzen. Die Einführung einer Ausbildungsumlagefinanzierung wäre derzeit kontraproduktiv und
wird von uns hier und heute abgelehnt.
({5})
Zum Entschließungsantrag der F.D.P. verweise ich
darauf, daß die Frage der Ausbildungsverbünde schon
längst in der Praxis positiv geregelt ist. Dadurch konnten
wir kleinere Unternehmen stärker an der Ausbildung
beteiligen.
({6})
Man kann nicht auf der einen Seite beklagen, daß Jugendliche nach der Ausbildung keinen Arbeitsplatz haben, wenn gleichzeitig die Tarifpartner über Tarifverträge zumindest eine zeitlich befristete Übernahme ermöglichen. Wir ermuntern sie ausdrücklich dazu, diesen
Weg gemeinsam weiterzugehen.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({7})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Meckelburg.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
haben heute eine eineinhalbstündige Bildungsdebatte
mit dem Schwerpunkt geführt, wie man junge Menschen
in Ausbildungs- und Arbeitsplätze bringt. Als Resümee
der Debatte möchte ich folgendes festhalten.
Wer Ausbildungsplätze schaffen und junge Menschen
in Arbeit bringen will, muß zunächst vorrangig dafür
sorgen, daß die Rahmenbedingungen für Arbeitsplätze
in der Wirtschaft stimmen,
({0})
der muß für Wirtschaftswachstum sorgen, der muß
Steuerreformen großer Art angehen
({1})
und der muß die Lohnnebenkosten senken, ohne neue
Belastungen zu schaffen.
({2})
Davon sind Sie in der rotgrünen Koalition weit entfernt.
({3})
- Wenn Sie es nicht glauben, will ich es Ihnen gerne
belegen.
({4})
Wir haben am Ende unserer Regierungszeit ein Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent hinterlassen. Das erste Quartal dieses Jahres brachte als Ergebnis Ihrer Politik ein Wachstum von nur 0,7 Prozent.
({5})
Es standen für eine Steuerreform 20 Milliarden DM bereit. Die hat Ihr inzwischen davongelaufener Finanzminister Lafontaine verwurstelt. Jetzt müssen Sie sparen.
Wir haben eine Rentenstrukturreform gemacht. Sie
haben diese Reform ausgesetzt und kommen jetzt mit
neuen Überraschungen. All das schafft nicht die Bedingungen, die dazu führen, daß mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden.
({6})
Ich sage Ihnen auch noch einmal, was Sie im Bereich
der Arbeitsmarktpolitik bisher geschafft haben. Die Arbeitslosigkeit ist saisonbereinigt im April um 10 000
und im Mai noch einmal um 10 000 gestiegen. Das sind
nicht die Ergebnisse, die die Wähler von Ihrer Politik
erwartet haben.
({7})
- Wenn Sie rufen: „Unter 4 Millionen!“, dann will ich
Ihnen noch eines deutlich sagen. Die Basis dafür, daß
die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr niedriger ist, ist im
letzten Jahr gelegt worden. In diesem Jahr ist saisonbereinigt nichts hinzugekommen.
({8})
Wer Ausbildungsplätze schaffen und junge Menschen
in Arbeit bringen will, meine Damen und Herren von
der rotgrünen Koalition, der muß vorrangig Ausbildungsplätze im dualen System, die in den ersten Arbeitsmarkt führen, schaffen. Ich habe den Eindruck, daß
Sie mit Ihrem Programm, das Sie überall verkünden, ein
wenig von diesem Weg abkommen.
({9})
Wer Arbeitsplätze schaffen und junge Menschen in
Arbeit bringen will, der muß den Weg weitergehen, den
wir begonnen haben, neue Ausbildungsberufe bereitzustellen und Ausbildungsgänge zu modernisieren. Das
wird zum Teil auch die Quintessenz der Erfahrungen
sein, die Sie nach einem Jahr mit Ihrem Programm gesammelt haben werden. Wir müssen uns die Frage stellen: Was machen wir mit den Jugendlichen, die es einfach schwer haben, in eine normale Ausbildung zu
kommen? Machen Sie gemeinsam mit den Gewerkschaften im Bündnis für Arbeit den Weg frei, daß es
künftig zweijährige Ausbildungen mit einer qualifizierten Abschlußprüfung gibt!
({10})
Das ist für junge Menschen, die einen dreijährigen Abschluß nicht erreichen können, notwendig. Helfen Sie
mit!
Meine Damen und Herren, wer Ausbildungsplätze
schaffen und jungen Menschen Arbeit verschaffen will,
der muß Maßnahmen mit möglichst direktem Übergang
in den ersten Arbeitsmarkt schaffen - das ist ein wesentlicher Punkt -, und der muß - das sage ich in Richtung PDS, aber auch zur SPD - vor allem Überlegungen
hinsichtlich einer Ausbildungsplatzabgabe und ähnliches
fallenlassen.
({11})
Das ist Gift für die Wirtschaft, das sind Belastungen, das
sind Kosten, aber das bringt keinen Arbeitsplatz.
({12})
Meine Damen und Herren, wer Ausbildungsplätze
schaffen und jungen Menschen Arbeit bringen will, der
muß in der Schule anfangen. Es kann nicht hingenommen werden, daß 60 000 junge Menschen jedes Entlassungsjahrgangs nicht ausbildungsreif und nicht ausbildungsfähig sind. Daß wir mit der Politik in der Schule
anfangen müssen, sage ich auch in Richtung SPD, weil
zumindest zur Zeit noch die Mehrheit der Länder SPDregiert ist.
({13})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch ein
paar Worte zur Bewertung des 100 000-Jobs-Programms verlieren.
({14})
- Ich glaube Ihnen schon, daß es weh tut, wenn Sie das
hören müssen.
({15})
Diesem 100 000-Jobs-Programm für junge Leute
fehlt die Nachhaltigkeit. Zum einen fehlt die Nachhaltigkeit bezüglich der Laufzeit. Das Programm ist zunächst auf ein Jahr beschränkt. Wir müssen gemeinsam
klären, was danach mit den jungen Leuten passiert. Ist es
ein Strohfeuerprogramm für ein Jahr, oder wird es fortgesetzt? Die Aussage im Sparprogramm reicht nicht aus.
Die Finanzierung muß geklärt sein. Diesbezüglich haben
Sie sich durchgemogelt, indem Sie Ende letzten Jahres
das Gesetz geändert und 2 Milliarden DM hierfür aus
den Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit bereitgestellt
haben. Das ist eigentlich nicht vorgesehen gewesen. Das
sollte eine Ausnahme sein. Wir müssen regeln, wie es
weitergeht. - Soweit zur Nachhaltigkeit, was die Laufzeit angeht.
Wir müssen auch die Frage der Nachhaltigkeit in der
Wirkung angehen. Dies ist auch eine Frage der Bewertung des Programms: Bringt es jungen Menschen wirklich dauerhaft Ausbildung oder Arbeit, oder ist es nur
eine statistische Beruhigungspille? Ich darf in diesem
Zusammenhang darauf hinweisen, daß gerade die Kurzzeittrainingsmaßnahmen einen relativ breiten Raum einnehmen. Man muß darüber reden, ob das wirklich gewollt ist. Das bringt die Zahl nach oben. Damit können
Sie draußen herumtönen. Es hilft den jungen Leuten
aber nicht, weil sie nach dem Kurzzeitlauf wieder dastehen und einen Ausbildungsplatz suchen.
({16})
Wichtig ist auch die Nachhaltigkeit bezüglich der
Qualität. Hierzu ist eine konkrete Analyse des ersten
Durchganges notwendig. Wir dürfen nicht einfach weitermachen oder plötzlich aufhören, sondern wir müssen
dieses Programm im Hinblick auf funktionierende Maßnahmen bewerten und sehen, wie wir gemeinsam Quantität und Qualität unterscheiden können. Nicht die Zahl
derjenigen, die an diesen Maßnahmen teilnehmen, ist
entscheidend, sondern die Qualität. Wir sollten möglichst viele erreichen, aber möglichst auch Ausbildungsplätze schaffen.
({17})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluß auf das zu sprechen kommen, was Sie im Wahlkampf verteilt haben, die Garantiekarte. „Bewahren Sie
die Karte auf. Sie werden sehen, daß wir halten, was wir
versprechen.“ - Das haben Sie im Wahlkampf freiwillig
gesagt.
({18})
- Sehen Sie, die Schwierigkeit fängt wirklich damit an,
daß Sie schon beim Erwähnen der Garantiekarte klatschen. Das ist ein Grundfehler Ihrer Politik.
({19})
Sie haben sich so unter den Druck dieser Karten gesetzt,
daß Sie gar nicht gemerkt haben, mit welcher Hektik Sie
an Probleme herangegangen sind und wie Sie gerade
dadurch Unsinn in der Politik verzapft haben.
({20})
Da steht hier als erstes Versprechen: mehr Arbeitsplätze durch eine konzertierte Aktion für Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit. Arbeitslosigkeit kann man bekämpfen.
({21})
Ich wiederhole - klatschen Sie nicht zu früh -: Bisher
ist es Ihnen nicht gelungen. Sie hatten im April und Mai
saisonbereinigt jeweils 10 000 Arbeitslose mehr.
({22})
Das ist Ihre Garantiekarte wert.
({23})
Sie haben versprochen, durch ein Sofortprogramm
100 000 Ausbildungsplätze für Jugendliche und mehr
Lehrstellen durch eine Ausbildungsoffensive 1999 zu
schaffen.
({24})
Wenn Sie sich die Maßnahmen anschauen, werden Sie
feststellen, daß Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze in
einem ganz bescheidenen Umfang entstanden sind. Die
Zahl von 140 000, die Sie zustande kriegen, kriegen Sie
in großem Umfang durch Kurzläufergeschichten hin.
Das sind nicht die Dinge, die Sie versprochen haben.
Auch da liegen Sie daneben.
({25})
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen ersparen,
die anderen Punkte hier vorzutragen, weil sie zum Teil
andere Bereiche betreffen. Aber man kann Ihnen sagen:
Wenn Sie das Versprechen erfüllen wollen, müssen Sie
ganz schön hart arbeiten.
({26})
Sonst heißt es nämlich am Ende: versprochen, gebrochen.
Schönen Dank.
({27})
Danke schön.
- Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/1056 und 14/1011 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Entschließungsantrag der F.D.P. auf Drucksache
14/1225 soll an dieselben Ausschüsse wie der Berufsbil-
dungsbericht überwiesen werden. Sind Sie damit einver-
standen? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der PDS zur solidarischen Ausbil-
dungsfinanzierung auf Drucksache 14/14.
Es gibt eine gemeinsame persönliche Erklärung zur
Abstimmung, die ich Sie bitte zu Protokoll nehmen zu
dürfen, und zwar von den Abgeordneten Nahles, Kort-
mann, Lambrecht, Moosbauer, Nietan, Röspel, Roth,
Sauer, Violka und Marhold.*) Sind Sie einverstanden? -
Das ist der Fall. Dann nehmen wir das zu Protokoll.
------
*) Anlage 3
Der Ausschuß für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache 14/583,
den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Ge-
setzentwurf der PDS auf Drucksache 14/14 abstimmen.
Die PDS verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das
scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstim-
mung.
Ist jemand anwesend, der seine Stimme noch nicht
abgegeben hat? - Das scheint so zu sein. Dann warten
wir noch ein wenig. - Möchte noch jemand abstimmen?
- Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Ich schließe die Ab-
stimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratungen fort, und zwar mit einer
ganzen Reihe von Abstimmungen. Deswegen bitte ich,
die Gänge für eine bessere Übersicht frei zu machen und
die Gespräche nach Möglichkeit nach draußen zu verlegen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Überweisung im vereinfachten Verfahren
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Rahmenabkommen vom 28. Oktober 1996 über
den Handel und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und
ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits
- Drucksache 14/1200 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({0})
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
wurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse und zusätzlich an den Ausschuß für wirtschaftli-
che Zusammenarbeit und Entwicklung zu überweisen.
Der Zusatzpunkt 2 - das betrifft das Lastenaus-
gleichsgesetz auf Drucksache 14/866 - soll abgesetzt
werden.
Sind Sie mit der Überweisung einverstanden? - Das
ist der Fall. Sind Sie auch mit der Absetzung einverstan-
den? - Ebenfalls. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14a bis o auf. Es
handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu de-
nen keine Aussprache vorgesehen ist.
Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 14 a:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom
26. März 1998 zum Übereinkommen vom
------
*) Seite 4422 D
18. August 1948 über die Regelung der Schifffahrt auf der Donau
({1})
- Drucksache 14/1007 ({2})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({3})
- Drucksache 14/1273 Berichterstattung:
Abgeordnete Annette Faße
Der Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/1273, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte die, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 14 b:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
20. April 1998 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Japan über Soziale Sicherheit
- Drucksache 14/1018 ({4})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({5})
- Drucksache 14/1291 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Dreßen
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/1291, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 14 c:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Mai
1998 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über Soziale
Sicherheit
- Drucksache 14/1019 ({6})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({7})
- Drucksache 14/1289 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Dreßen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/1289, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte die, sich zu erheben, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Stimmt jemand
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 14 d:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
5. September 1998 zwischen der Regierung
der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung des Königreichs Dänemark und der Regierung der Republik Polen über das Multinationale Korps Nordost
- Drucksache 14/1103 ({8})
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({9})
- Drucksache 14/1303 Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Zapf
Eckart von Klaeden
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache
14/1303, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Der Tagesordnungspunkt 14 e wird morgen aufgerufen.
Tagesordnungspunkt 14 f:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz
- Drucksache 14/870 ({10})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({11})
- Drucksache 14/1293 Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Norbert Geis
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache
14/1293, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 14 g:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christine Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Dr. Evelyn Kenzler, Dr. Gregor Gysi
und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe
- Drucksache 14/461 ({12})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({13})
- Drucksache 14/1304 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Dr. Wolfgang Götzer
Hierzu liegt eine persönliche Erklärung der Abgeord-
neten Ostrowski vor, die zu Protokoll gegeben werden
soll. Sind Sie damit einverstanden? - Dann wird die Er-
klärung zu Protokoll gegeben.*)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe auf Drucksache 14/461.
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 14/1304,
den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse jetzt über den
Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 14/461 abstimmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen?
- Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS
abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 14 h:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({14}) zu der Unterrichtung durch
die Bundesregierung
Elfter Bericht der Bundesregierung über die
Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr
oder den Länderregierungen vorgenommenen
Beanstandungen betreffend die Anwendung
des Artikels 141 ({15}) EG-Vertrag über
gleiches Entgelt für Männer und Frauen - Be-
richtszeitraum 1995 bis 1997 -
- Drucksachen 14/227, 14/305 Nr. 1.3, 14/1290 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leyla Onur
------
*) Anlage 4
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung
ist damit einstimmig angenommen worden.
Wir kommen nun zu den Beschlußempfehlungen des
Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 14 i:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 52 zu Petitionen
- Drucksache 14/1248 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 52 ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen
worden.
Tagesordnungspunkt 14 j:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 53 zu Petitionen
- Drucksache 14/1249 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 53 ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 14 k:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 54 zu Petitionen
- Drucksache 14/1250 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 54 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
der CDU/CSU und der F.D.P. angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 14 l:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 55 zu Petitionen
- Drucksache 14/1251 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 55 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten
Opposition angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 14 m:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 56 zu Petitionen
- Drucksache 14/1252 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 56 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der PDS gegen
die Stimmen der F.D.P. angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 14 n:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 57 zu Petitionen
- Drucksache 14/1253 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 57 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 14 o:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 58 zu Petitionen
- Drucksache 14/1254 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 58 ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur solidarischen Ausbildungsfinanzierung bekannt. Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt 30, mit Nein
haben gestimmt 550, Enthaltungen keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt worden.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 580;
daovn:
ja: 30
nein: 550
Ja
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({23})
Christine Ostrowski
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Winfried Wolf
Nein
SPD
Brigitte Adler
Rainer Arnold
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({24})
Klaus Barthel ({25})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({26})
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({27})
Bernhard Brinkmann
({28})
Hans-Günter Bruckmann
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({29})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({30})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({31})
Harald Friese
Anke Fuchs ({32})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({33})
Angelika Graf ({34})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({35})
Hans-Joachim Hacker
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({36})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({37})
Walter Hoffmann
({38})
Frank Hofmann ({39})
Ingrid Holzhüter
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({40})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Marianne Klappert
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({41})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({42})
Christa Lörcher
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({43})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({44})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({45})
Jutta Müller ({46})
Christian Müller ({47})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({48})
Gerhard Neumann ({49})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({50})
Birgit Roth ({51})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
({52})
Ulla Schmidt ({53})
Silvia Schmidt ({54})
Dagmar Schmidt ({55})
Wilhelm Schmidt ({56})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({57})
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte ({58})
Reinhard Schultz
({59})
Volkmar Schultz ({60})
Ilse Schumann
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt ({61})
Hedi Wegener
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({62})
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen
({63})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek
({64})
Jürgen Wieczorek ({65})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({66})
Brigitte Wimmer ({67})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({68})
Waltraud Wolff ({69})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Otto Bernhardt
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
({70})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({71})
Hartmut Büttner
({72})
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({73})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Dirk Fischer ({74})
Axel E. Fischer ({75})
Dr. Gerhard Friedrich
({76})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({77})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Gottfried Haschke
({78})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({79})
Hansgeorg Hauser
({80})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Peter Hintze
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({81})
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({82})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({83})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({84})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({85})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({86})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({87})
Elmar Müller ({88})
Bernd Neumann ({89})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({90})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({91})
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Dietmar Schlee
Andreas Schmidt ({92})
Hans Peter Schmitz
({93})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Wolfgang Schulhoff
Diethard W. Schütze ({94})
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({95})
Gerald Weiß ({96})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({97})
Hans-Otto Wilhelm ({98})
Gert Willner
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({99})
Marieluise Beck ({100})
Volker Beck ({101})
Angelika Beer
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
({102})
Kerstin Müller ({103})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({104})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt ({105})
Werner Schulz ({106})
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({107})
F.D.P.
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({108})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({109})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Jürgen W. Möllemann
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto ({110})
Cornelia Pieper
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 14/1270, 14/1298 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres erschienen. Ich rufe als erstes die
Dringliche Frage 1 der Abgeordneten Birgit SchnieberJastram auf:
Wie steht die Bundesregierung zu den Berechnungen des
Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger vom 28. Juni
1999, wonach das Nettorentenniveau bei Umsetzung der Sparpläne der Bundesregierung unter Berücksichtigung der Revision
der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bei Nettostellung
des Kindergeldes 2002 auf 63,9 % sinkt und 2030 bei 64,8 %
liegt?
Frau Präsidentin!
Frau Kollegin Schnieber-Jastram, auf Grund der Revision der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erhöht
sich das Rentenniveau um insgesamt rund einen Prozentpunkt. Die Wirkung setzt sich aus zwei gegenläufigen Effekten der Revision zusammen. Die Bruttostellung des Kindergeldes, das nach der Revision nicht mehr
zur Nettolohn- und -gehaltssumme zählt, erhöht das
Rentenniveau um rund 2,5 Prozentpunkte. Die sonstigen
rückwirkenden Änderungen der Revision senken das
Rentenniveau um rund 1,5 Prozentpunkte.
Die Maßnahmen der Bundesregierung führen unter
Berücksichtigung der Revision der volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnung zu einer Senkung des Rentenniveaus
von zur Zeit rund 70 Prozent auf bleibend rund 67 Prozent. Dies bestätigen auch die Berechnungen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, der dies
gestern so nochmals ausdrücklich in einer gemeinsamen
Presseerklärung mit dem Bundesministerium für Arbeit
und Sozialordnung klargestellt hat. Ohne volkswirtschaftliche Gesamtrechnungsrevision würde das Rentenniveau von rund 69 Prozent auf rund 66 Prozent sinken.
Die Bundesregierung ist gehalten, auf der Basis der
jeweils gültigen Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu rechnen. Weitere fiktive Vergleichsrechnungen, wie sie der VDR darüber hinaus angestellt
hat und die zu anderen Rentenniveaus führen, finden in
den amtlichen VGR-Daten keine Stütze.
Unabhängig von allen Vergleichsrechnungen bleibt
folgendes festzuhalten: Das Rentenniveau sinkt durch
die Maßnahmen der Bundesregierung um rund drei Prozentpunkte. Das können Sie auch in den von Ihnen angesprochenen Vergleichsrechnungen nachvollziehen. Im
Rentenreformgesetz 1999 der früheren Bundesregierung
war dagegen eine Absenkung des Rentenniveaus von
68,9 Prozent auf 64 Prozent, also um rund fünf Prozentpunkte, vorgesehen. Dies belegen die Ausführungen in
der finanziellen Begründung zum Rentenreformgesetz
1999.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär
Andres, Sie haben soeben selbst den Effekt der Umstellung von der bisherigen Nettostellung des Kindergeldes
auf die Bruttostellung des Kindergeldes mit zweieinhalb
Prozentpunkten beziffert. Inwiefern können Sie dann
von einer fiktiven Rechnung sprechen, nachdem Sie selber diesen Effekt quantifiziert haben?
Herr Abgeordneter
Storm, ich habe zwei Daten genannt: Wenn man das
Kindergeld herausrechnet, ergibt sich eine Steigerung
um 2,5 Prozent, aber durch andere Maßnahmen eine Absenkung um 1,5 Prozent. Das führt nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dazu, daß das Nettorentenniveau um etwa 1 Prozentpunkt ansteigt.
Eine Nachfrage des Kollegen Grund, bitte.
Herr Staatssekretär,
die Senkung des Rentenniveaus um 3 Prozentpunkte
bleibt ja ziemlich abstrakt. Das wird für die Rentnerinnen und Rentner ja erst konkret greifbar, wenn sie wissen, wieviel weniger sie ab dem Jahre 2001 zur Verfügung haben. Können Sie Berichte bestätigen, daß ab
dem Jahr 2001 dem Rentner in den alten Bundesländern
monatlich etwa 100 DM weniger verbleiben, als ihm
nach den bisherigen Erwartungen zustände, und den
Rentnern in den neuen Bundesländern 124 DM monatlich gegenüber den Steigerungen, die ihnen zustehen
würden, vorenthalten werden?
Herr Abgeordneter
Grund, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen haben.
Deswegen kann ich sie weder bestätigen noch dementieren. Ich stimme Ihnen aber bei einer Aussage Ihrer Frage ausdrücklich zu: Diese Debatten sind völlig abstrakt
und für kaum jemanden noch nachvollziehbar. Deswegen will ich noch einmal festhalten, daß die Bundesregierung erklärt hat - sowohl der VDR als auch die BfA
haben es heute bestätigt -, daß wir durch die beschlossenen Maßnahmen das Nettorentenniveau künftig bei
zirka 67 Prozent stabilisieren können.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich kann Ihnen noch einmal bestätigen - weil ich selber daran teilgenommen habe -, daß bei den Beratungen
des Rentenreformgesetzes 1999 eine Absenkung um
rund 5 Prozentpunkte vorgesehen war.
({0})
Ich denke, daß es angesichts der vielen Modellrechnungen, die die Öffentlichkeit beschäftigen, wichtig ist, den
Menschen zu vermitteln, daß durch Beschluß des Bundeskabinetts die Renten in den nächsten beiden Jahren in
Höhe der Preissteigerungsrate ansteigen werden und daß
das den Effekt hat, daß das Nettorentenniveau bei einem
gleichzeitig stabilen Beitrag von zirka 19 Prozent über
lange Zeit stabil bei zirka 67 Prozent liegen wird. Das ist
eine wichtige Botschaft, die man auch draußen vermitteln muß.
Zusatzfrage
des Abgeordneten Dreßen.
Herr Staatssekretär, kann es
sein, daß die Unklarheiten daher kommen, daß die Opposition und Teile der Presse zwar die Berechnungen
des VDR, die ja jetzt bekanntgeworden sind, auf der
einen Seite mit dem Blüm-Modell und auf der anderen
Seite mit dem Riester-Modell vergleichen, aber dabei
vergessen, daß der VDR in Wirklichkeit von der aktuellen Gesetzeslage ausgegangen ist, also die zweijährige
Aussetzung des Demographiefaktors schon berücksichtigt hat?
Herr Abgeordneter
Dreßen, wir sehen das auch so. Wer auf der Grundlage
der aktuellen Gesetzeslage rechnet, der rechnet natürlich
auf der Grundlage, die im Herbst des vergangenen Jahres mit Wirkung zum 1. Januar dieses Jahres vorgesehen
war. Wir haben aktuell beschlossen, daß der sogenannte
Demographiefaktor aus dem Rentenreformgesetz 1999
der alten Koalition für dieses und nächstes Jahr ausgesetzt wird. Wenn man auf dieser Grundlage rechnet, erhält man natürlich ganz andere Vergleichszahlen, als
man eigentlich heranziehen müßte. Es wäre ja nicht davon auszugehen gewesen, daß die alte Koalition, wenn
sie die Wahl noch einmal gewonnen hätte, den Demographiefaktor ausgesetzt hätte. Also muß man sozusagen
von den Auswirkungen der Blümschen Reform ausgehen, wie sie damals beabsichtigt und beschlossen war.
Daraus ergibt sich allerdings eine Schwierigkeit auch das muß man zugeben. Wenn man jeweils gleiche
Stände miteinander vergleichen will, zieht das außerordentlich komplizierte Rechenoperationen nach sich, die
der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr zu vermitteln
sind. Deswegen ist es der Bundesregierung ganz wichtig, deutlich zu machen, daß wir mit unseren Maßnahmen im Grunde genommen mehrere Dinge gleichzeitig
erreichen: Wir erreichen ein stabiles Nettorentenniveau
in Höhe von zirka 67 Prozent, also ein deutlich höheres
Niveau, als es durch die Reform der alten Koalition erreicht worden wäre, und stabile Beiträge von zirka
19 Prozent, die deutlich niedriger liegen als die der alten
Koalition.
({0})
Wir werden mit unserer Reform der Rentenversicherung
erreichen, daß die Rentenversicherung auf lange Sicht
zum einen zukunftsfest und zum anderen armutssicher ist.
Zusatzfrage
der Abgeordneten Schwaetzer.
Herr Staatssekretär, Sie haben in all Ihren Aussagen bisher die Angabe von Jahreszahlen sorgfältig vermieden. Das heißt, Sie
haben in keiner Ihrer Aussagen gesagt, wann das von
Ihnen in den Raum gestellte Rentenniveau erreicht ist.
Stimmen Sie mir zu, daß nach den Berechnungen des
Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger die von
Ihnen durch das Aussetzen der nettolohnbezogenen
Rentenanpassung angestrebte Absenkung des Nettorentenniveaus in den nächsten zwei Jahren von heute zirka
71 Prozent auf zirka 64 Prozent im Jahre 2002 die brutalste Absenkung ist, die man sich überhaupt nur vorstellen kann?
({0})
Frau AdamSchwaetzer,
({0})
ich stimme Ihnen ausdrücklich nicht zu. Wenn Sie sich
auf die Zahlen des VDR berufen, dann muß ich Ihnen sagen, daß diese Zahlen Ihre Schlußfolgerung nicht stützen.
Im übrigen bitte ich um Entschuldigung. Sie heißen
nicht mehr Adam-Schwaetzer, sondern nur noch
Schwaetzer.
({1})
- Frau Präsidentin, darf ich dazu etwas sagen? - Frau
Schwaetzer hat mich eben ausdrücklich gebeten, sie
nicht mehr mit Adam-Schwaetzer anzureden. Ich bedaure, daß ich sie eben mit Adam-Schwaetzer und nicht mit
Schwaetzer angeredet habe. Was ist daran falsch? Vielleicht kann es mir jemand erklären?
({2})
Ich denke, dieser Punkt ist endgültig geklärt.
Wir kommen zur Zusatzfrage des Abgeordneten
Singhammer.
Herr Staatssekretär, nicht hinreichend klar sind die Auswirkungen
auf das Nettorentenniveau für den Fall, daß Ihre Überlegungen verwirklicht werden sollten, die bisherigen freiwilligen Beiträge für die betriebliche und private Altersvorsorge in einen Pflichtbeitrag umzuwandeln. Die
Auswirkung auf das Rentenniveau wäre dergestalt, daß
eine entsprechende Berechnung eine für Sie günstigere
Prognose ergeben würde. Damit würde aber gleichzeitig
die Vergleichbarkeit mit der bisherigen Berechnung auf
Grundlage der jetzigen Rentenformel noch weniger gegeben sein, wodurch noch mehr Wirrwarr in die öffentliche Diskussion käme. Wie beurteilen Sie also die Umwandlung der Beiträge im Bereich der privaten Altersvorsorge in Pflichtbeiträge in Hinblick auf das Nettorentenniveau?
Herr Abgeordneter
Singhammer, ich kann Ihnen ausdrücklich bestätigen,
daß es in der öffentlichen Debatte einen unglaublichen
Wirrwarr über die sehr unterschiedlichen Zahlen gibt.
({0})
Wir haben die ganze Zeit über das Nettorentenniveau
geredet. Dieses Niveau liegt nach übereinstimmender
Aussage des VDR, der BfA und der Bundesregierung in
den nächsten Jahren stabil bei 67 Prozent. Ich weiß
nicht, worauf Ihre Bemerkungen zum Pflichtbeitrag beruhen. Dieser Punkt wird in der Debatte um eine zukünftige Rentenreform diskutiert werden müssen. Darüber hat es zwar öffentliche Äußerungen gegeben, aber
ich kann Ihnen nicht bestätigen, daß die Bundesregierung bisher irgendeine Regelung zu einem zusätzlichen
Pflichtbeitrag beschlossen hat.
({1})
Zusatzfrage
des Kollegen Weiß.
Herr
Staatssekretär, räumen Sie ein, daß die Renten nach
Ihrem schwerwiegenden Eingriff in die Rentenanpassung im Jahr 2000 nur um 0,7 Prozent statt um die ansonsten fälligen 3,7 Prozent angepaßt werden und daß
das jedenfalls erheblich weniger ist, als wenn noch die
alte Formel mit dem Demographiefaktor gelten würde,
so daß die Darstellung, Sie würden mit Ihrer Rentenanpassung günstiger liegen, als es nach der Rentenreform
1998 der Fall war, völlig unzutreffend ist?
Herr Abgeordneter
Weiß, wir haben jetzt die ganze Zeit über das Nettorentenniveau diskutiert. Ich räume folgendes ein: Die Bundesregierung hat per Kabinettsbeschluß festgelegt, daß
die Rentenanpassungen für das Jahr 2000 und für das
Jahr 2001 entsprechend den Preissteigerungsraten stattfinden werden. Der Bundesfinanzminister und andere
haben hier in öffentlichen Debatten deutlich gemacht,
warum wir das für notwendig halten. Wir glauben, daß
es möglich ist, das Rentensystem durch eine Stabilisierung des Nettorentenniveaus sowie durch vernünftig reduzierte Beitragssätze, beispielsweise über die Ökosteuer, in einem umfassenden Konzept zukunftsfest und
gleichzeitig armutsfest zu machen. Ich will Sie darauf
verweisen, daß der Bundesfinanzminister deutlich gemacht hat, daß wir von vielen Menschen in unserem
Lande auf Grund der verheerenden Haushaltssituation,
die wir von Ihrer Regierung übernommen haben, erwarten, daß sie in den nächsten Jahren sozusagen ein
Stück weit innehalten. Es gibt einen Ausgleich des
Preisanstiegs und damit keine Verschlechterung der Lebenssituation. Wir werden anschließend wieder die nettolohnbezogene Rentenanpassung vornehmen, wie das
bisher üblich war.
({0})
Jetzt kommt
die Zusatzfrage des Kollegen Brecht.
Herr Staatssekretär,
könnten Sie mir eine Jahreszahl benennen, wann etwa
das Rentenniveau über dem liegt, was den Rentnern
nach dem Blümschen Modell zugestanden hätte?
Ich will noch einmal darauf verweisen, daß ich in der Antwort auf die
Frage, die Frau Schnieber-Jastram hier als erste Dringliche Frage gestellt hat, deutlich gemacht habe, daß nach
dem Rentenreformgesetz 1999 von Norbert Blüm eine
Senkung des Nettorentenniveaus auf 64 Prozent geplant
war.
({0})
- Entschuldigung, ich bin gerade dabei, die Frage des
Abgeordneten Brecht zu beantworten.
Nach dem Stand der damaligen Diskussionen war
vorgesehen, daß das Nettorentenniveau nach dieser Reform bereits im Jahre 2010 bei 65 Prozent gelegen hätte
und wahrscheinlich im Jahre 2012/13 auf 64 Prozent abgesenkt worden wäre.
({1})
Die Bundesregierung geht davon aus, daß sie mit den
Maßnahmen, die sie jetzt beschlossen hat und die hier
diskutiert werden, auf längere Frist, bis zum Jahre 2030,
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ein Nettorentenniveau von 67 Prozent gewährleisten
kann.
({2})
Jetzt kommt
die Zusatzfrage des Herrn Kollegen Schäuble.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, einzusehen, daß die
Bundesregierung zu den auch von Ihnen beklagten Verwirrungen in der Öffentlichkeit über die Zahlen unter
anderem dadurch beiträgt, daß Sie, auch jetzt bei der
Beantwortung der Fragen, wenn Sie über das Rentenniveau der Blümschen Rentenreform sprechen, permanent
die Zahlen nennen, die sich vor der Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ergeben haben, während Sie, wenn Sie über Ihre eigenen Reformvorhaben
sprechen, die Zahlen nehmen, die sich nach der Revision
der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ergeben, so
daß Sie 64 Prozent mit 67 Prozent vergleichen, obwohl
der Unterschied geringer wäre, wenn Sie seriös wären
und in beiden Fällen die Zahlen vor oder nach der Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nehmen
würden? Können Sie mir die Frage beantworten, ob das
Absicht ist oder nur Versehen?
({0})
Herr Abgeordneter
Schäuble, ich bin nicht in der Lage, das einzusehen.
({0})
Ich würde Ihnen empfehlen, sich die VDR-Vergleichszahlen, die Anlaß für die Fragen waren, anzuschauen.
Da ist es völlig unerheblich, von welchem Niveau man
bei den Modellrechnungen jeweils ausgeht; in dem einen
Fall, bei Ihnen, wird um 5 Prozentpunkte gesenkt, während bei uns um 3 Prozentpunkte gesenkt wird. Und das
bleibt auch so.
Um Ihnen das zu belegen, möchte ich, was die Daten
angeht, darauf verweisen, daß in § 68 des Rentenreformgesetzes 1999 festgelegt ist, daß das Nettorentenniveau nicht unter 64 Prozent absinken darf. In Nr. 7
dieses Paragraphen heißt es:
Bei der Bestimmung des neuen aktuellen Rentenwerts sind für das vergangene Kalenderjahr die
dem Statistischen Bundesamt zu Beginn eines Kalenderjahres vorliegenden Daten und für das vorvergangene Kalenderjahr die bei der Bestimmung
des bisherigen aktuellen Rentenwerts verwendeten
Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung
zugrunde zu legen.
Nichts anderes hat die Bundesregierung getan. Das
heißt, wir halten uns an rechtliche Bestimmungen, die
noch unter Ihrer Koalition durch das Rentenreformgesetz 1999 so beschlossen wurden.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, können Sie
mir angesichts dessen, daß der Herr Bundeskanzler die
Absenkung des Rentenniveaus auf 64 Prozent durch
Einführung des demographischen Faktors nach der alten
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bis zum Jahre
2015 während des Wahlkampfes als unanständig bezeichnet hat, mitteilen, wie der Herr Bundeskanzler die
Absenkung des Rentenniveaus auf 65 Prozent innerhalb
von zwei Jahren nach der neuen Volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnung bezeichnet?
Ich kann nur das
wiederholen, was ich bereits mehreren Fragestellern geantwortet habe: Die Bundesregierung muß sich an das
halten, was gesetzliche Grundlage ist. Nach der gesetzlichen Grundlage ist es so - dies war auch bei der früheren Koalition so -, daß man sich auf die Daten der
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung stützen muß.
Das habe ich hier ausgeführt.
({0})
Ich habe schon erläutert, daß wir im Zusammenhang
mit einer umfassenden Reform der Rentenversicherung
- wir wollen sie zukunfts- und armutsfest machen - eine
Reihe von Maßnahmen beschlossen haben. Eine dieser
Maßnahmen für das nächste und das übernächste Jahr ist
die Anpassung der Renten an die Preissteigerungsrate.
({1})
Herr Niebel,
Sie können nur einmal fragen. Aber es sind ja noch genügend Fragesteller im Raum.
Jetzt rufe ich die Zusatzfrage des Kollegen Strobl auf.
Herr Staatssekretär,
Sie haben eingeräumt, daß hinsichtlich der Rentenpläne
der Bundesregierung öffentliche Verwirrung entstanden
ist. Zählen Sie dazu auch Äußerungen aus den Reihen
der Koalitionsfraktionen, beispielsweise der Abgeordneten Scheel, den von Ihnen abgeschafften Demographiefaktor im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wiedereinführen zu wollen, und wie beurteilt die Bundesregierung eine solche Äußerung?
Ich habe die Verwirrung, die Sie eingangs Ihrer Frage unterstellt haben,
natürlich nicht zugestanden. Ich bitte Sie um Verständnis: Die Bundesregierung wird hier nicht zu Äußerungen
einzelner Abgeordneter der Koalition oder sonstigen
Äußerungen Stellung nehmen.
Ich habe darzustellen - danach bin ich gefragt worden -, was die Bundesregierung zu tun beabsichtigt. Da
gibt es Kabinettsbeschlüsse, die darauf hinauslaufen, in
den nächsten beiden Jahren eine Anpassung der Renten
nach bestimmten Kriterien vorzunehmen. Hierbei wird
diskutiert, welche Auswirkungen das auf das Beitragsniveau und auf das Rentenniveau hat. Dazu habe ich
mich zu äußern, und ich gedenke hier nicht, öffentliche
Äußerungen der Frau Abgeordneten Scheel zu kommentieren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hauser.
Herr Staatssekretär, welches Rentenniveau hätte sich im Jahre 2001
nach dem Modell Blüm auf der Basis vor Umstellung
der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ergeben, und
welches Rentenniveau hätte sich im Jahre 2001 nach
dem Modell Riester vor der Veränderung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ergeben? Welches Rentenniveau ergibt sich demgemäß zum Jahre 2001 für
beide Modelle nach der Umstellung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung?
Herr Kollege Hauser, das ist eine Frage, die man so nicht beantworten
kann.
({0})
Ich kann Ihnen beantworten, wie dies im Zusammenhang mit den Planungen bezüglich eines Rentenreformgesetzes des Bundesarbeitsministers Blüm ausweislich
der Bundesratsdrucksache 603/97 ausgesehen hat: Da
wäre es zu einem Nettorentenniveau in einer Größenordnung von 69,8 Prozent bei einem Rentenbeitrag von
20,7 Prozent gekommen. Inzwischen aber liegt der Beitragssatz nicht mehr bei 20,7 Prozent. Auf Grund der
Korrelationen ist ein Vergleich nicht möglich.
({1})
- Doch, er hat nach einem Vergleich von zwei völlig
verschiedenen Dingen gefragt.
Da schon mehrfach danach gefragt wurde, möchte ich
folgendes deutlich machen: Auf Grund der veränderten
Rechtslage ist ein unmittelbarer Vergleich nicht möglich. Ich habe schon ein Beispiel genannt: Wir haben
den Demographiefaktor für die Jahre 1999 und 2000
ausgesetzt. Wenn man davon ausgeht und die Blümsche
Rentenreform nimmt, dann gilt der Faktor als ausgesetzt,
obwohl ich unterstelle, daß die alte Koalition nie daran
gedacht hätte, ihn außer Kraft zu setzen. Wir haben zugesagt, den Demographiefaktor auszusetzen, und dies
auch umgesetzt. Nun ergeben sich ganz andere Zahlen.
Ich kann nur wiederholen, daß wir die Absicht haben
- das hat das Kabinett beschlossen -, die Renten im
nächsten Jahr in einer Größenordnung von 0,7 Prozent
anzupassen, im Jahr darauf in einer Größenordnung von
1,6 Prozent. Wir haben bereits zum 1. April den Rentenversicherungsbeitrag von 20,3 Prozent auf 19,5 Prozent
gesenkt. Dies steht in Abhängigkeit zueinander. Es
macht also überhaupt keinen Sinn - das habe ich bereits
darzustellen versucht -, auf Grund der unterschiedlichen
Ausgangspositionen verschiedene Modelle miteinander
zu vergleichen.
Wäre der Demographiefaktor beibehalten worden,
hätte man errechnen können, was sich verändert; das ist
in den entsprechenden Gesetzentwürfen nachzulesen. Da
wir ihn aber ausgesetzt haben und bestimmte Veränderungen vornehmen, ergibt sich eine ganz andere Wirkung.
Zusatzfrage
des Kollegen Grehn.
Herr Staatssekretär, zunächst einmal zur Ausgangsposition: Wir haben vor kurzer Zeit beschlossen, daß die Ausnahmeregelung für die
Sozialhilfeempfänger weiterhin gilt. Danach wird die
Erhöhung der Sozialhilfe der Rentenanpassung angeglichen. Nun aber werden wir bei den Renten eine Talfahrt
erleben. - Meine Frage: Welche Auswirkungen hat dies
für die Sozialhilfeempfänger und die Arbeitslosenhilfeempfänger?
Herr Kollege, ich
teile Ihre Einschätzung in bezug auf die Talfahrt nicht.
Um das Rentensystem zukunftsfest und sicher zu machen, wird die Rentenanpassung in den nächsten zwei
Jahren nach einem bestimmten Mechanismus vorgenommen. Wir haben ausdrücklich festgelegt, daß dieser
Mechanismus auch für die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe gelten wird. Für diese Bereiche und auch die
verwandten Rentensysteme bedeutet dies - um mit den
Worten des Bundesfinanzminsters zu sprechen - ein
zweijähriges Innehalten. Es wird gewährleistet, daß jeder für zwei Jahre seinen Lebensstandard behält, indem
die Preissteigerungsrate ausgeglichen wird. Uns schafft
dies ausreichend Luft und Möglichkeiten, die Systeme
so zu gestalten, daß sie durch die Beitragszahler weiterhin vernünftig zu finanzieren sind, daß sie ein ausreichendes Versorgungsniveau gewährleisten und zukunftsfest werden.
Zusatzfrage
des Kollegen Seehofer.
Jetzt fehlt nur noch
Norbert Blüm. Dann haben wir sie alle.
Es gibt noch so
viele, die nachfragen wollen. Ich nenne einmal diejenigen,
die ich auf der Liste vermerkt habe: Herrn Weiß ({0}), Herrn Meckelburg, Herrn Heinrich, Frau
Schnieber-Jastram und Herrn Kraus.
Frau Präsidentin, darf
ich eine Frage stellen?
Ja.
Frau SchnieberJastram hätte als Fragestellerin das Recht gehabt, zwei
Zusatzfragen zu stellen. Darauf hat sie verzichtet. Hat
sie erneut die Möglichkeit der Fragestellung? - Ich unterhalte mich gerne mit Ihnen, Frau Schnieber-Jastram.
Ich frage nur.
Sie haben völlig recht. Wenn sie darauf förmlich verzichtet hat, hat sie
dieses Recht nicht. Wenn sie ihre Fragen nur hat ruhen
lassen, hätte sie das Recht wieder.
Jetzt wollen wir aber doch die Frage des Kollegen
Seehofer hören. Bitte.
Herr Staatssekretär, ist
es nicht so, daß unter den Fachleuten in der Rentenversicherung seit jeher die Auswirkung einer Veränderung in
der Rentenversicherung danach beurteilt wird, wie von ihr
ein Durchschnittsverdiener, der sein volles Arbeitsleben
Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt hat, betroffen ist? Das ist der sogenannte Eckrentner. Wenn man ihn
zugrunde legt, sieht man, daß dadurch, daß Sie die Rentenerhöhung in den Jahren 2000 und 2001 kappen, diesem
Durchschnittsverdiener im Jahr 1 200 DM weggenommen
werden. Die Absenkung des Rentenniveaus, die damit
verbunden ist, wäre bei der Reform von Norbert Blüm
frühestens 10 Jahre später erreicht worden. Das heißt, daß
Sie 10 Jahre lang Rentner, die im Bestand sind, aber auch
Neurentner - wenn es sich um Durchschnittsverdiener
handelt - um 1 200 DM im Jahr erleichtern. Könnte darin
der Grund dafür liegen, daß der saarländische Ministerpräsident gestern erklärt hat, daß er sich angesichts eines
solchen unsozialen Einschnitts außerstande sehe, dieser
Reform zuzustimmen?
Herr Abgeordneter
Seehofer, selbstverständlich arbeiten wir in der Rentenversicherung mit dem sogenannten Eckrentner. Das ist
derjenige, der 45 Jahre lang Beiträge in die Versicherung eingezahlt hat und der dabei im Durchschnitt der
Beitragszahlungen aller Versicherten lag. Dafür kann
man bestimmte Dinge ausweisen.
Ich will Sie aber darauf hinweisen, daß beispielsweise
diese Regierung den sogenannten Demographiefaktor,
der bei der Rentenanpassung bereits in diesem Jahr gewirkt hätte - ({0})
- Entschuldigen Sie, ich darf doch bei einer Frage, die
etwas komplizierter ist, etwas umfassender antworten.
Oder nicht?
Herr Seehofer hat gesagt, es gebe keine Anpassung.
Ich wiederhole noch einmal: Das stimmt nicht. Es wird
eine Anpassung für alle Rentnerinnen und Rentner im
Jahre 2000 und im Jahre 2001 auf der Grundlage der
Rate der Preissteigerung geben. Wer Vergleiche zu Norbert Blüm zieht, dem muß ich einfach sagen können, daß
die Rentenanpassung, die morgen wirksam wird, Herr
Abgeordneter Seehofer, 1,34 Prozentpunkte ausmacht.
Diese Rentenerhöhung kommt nur dadurch zustande,
daß die neue Bundesregierung den Demographiefaktor
ausgesetzt hat. Wäre er nämlich in Kraft geblieben, wäre
diese Rentenanpassung - ich beziehe mich jetzt ausdrücklich auf den Westen - um 0,55 Prozent geringer
ausgefallen. Damit hätte die Rentenanpassung in diesem
Jahr 0,79 Prozentpunkte betragen und hätte damit
hauchdünn über dem Inflationsausgleich gelegen.
Wer bestimmte Dinge anspricht, der muß wissen, in
welchen Wirkungsmechanismen sie zueinander stehen.
Mehr versuche ich hier nicht darzustellen.
({1})
Jetzt ist der
Kollege Weiß mit seiner Zusatzfrage dran.
Ich möchte darauf hinweisen: Es gibt noch weitere
Fragen, und dazu kann man wiederum weitere Zusatzfragen stellen, und zwar zu einer Frage nur jeweils eine
Zusatzfrage.
Bitte.
Herr
Staatssekretär Andres, nachdem Sie mehrmals Vergleiche zwischen der geplanten Rentenreform der derzeitigen Bundesregierung und der Rentenreform unter Verantwortung von Herrn Bundesminister Blüm in der früheren Regierung gezogen haben - Sie haben immer
wieder Vergleiche gezogen zwischen der Absenkung um
3 Prozentpunkte und der um 5 Prozentpunkte -, möchte
ich Sie fragen, ob Sie noch einmal darlegen könnten,
wann das Rentenniveau von 67 Prozent - nach Ihrer Berechnung - nach Ihrem Rentenreformmodell erreicht
wird und wann der sogenannte demographische Faktor
nach dem unter Federführung von Bundesminister Blüm
beschlossenen Rentenreformgesetz voll zur Geltung gekommen wäre. Ich möchte Sie bitten, diese Jahreszahlen
noch einmal einander gegenüberzustellen.
Ich will zunächst
noch einmal feststellen, daß ich ausdrücklich gesagt habe - das ist ja der Kern dessen, worüber wir uns hier
auseinandersetzen; das ist die Ausgangsfrage von Frau
Schnieber-Jastram -: Wenn man für unterschiedliche
Wirkungsweisen bestimmte Modellrechnungen macht
- ich nehme jetzt die Rentenreform 1999 und nehme die
Absichten, die diese Bundesregierung hat -, dann gibt es
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
in bezug auf verschiedene Veränderungen unterschiedliche Ausgangslagen. Mir ist völlig klar: Wenn ich in diesem Jahr von der geltenden Gesetzeslage ausgehe und
dann den Demographiefaktor einbeziehe, komme ich zu
anderen Werten, als wenn ich das im vergangenen Jahr
berechnet hätte. Denn der Demographiefaktor ist - ich
wiederhole das - in diesem und im nächsten Jahr ausgesetzt.
({0})
Deswegen ist die Vergleichbarkeit bestimmter Positionen - das muß man öffentlich deutlich sagen - nicht
gegeben. Es hilft überhaupt nichts, sich Modellrechnungen von diesem, von jenem und von Dritten anzuschauen. Sinnvoll ist lediglich, sich mit der konkreten Beschlußlage auseinanderzusetzen. Die derzeitige Beschlußlage ist folgendermaßen: Wir haben bestimmte
Teile des Rentenreformgesetzes 1999 aufgehoben. Das
ist eine Tatsache. Das Bundeskabinett hat beschlossen,
die Rentenanpassung für das nächste und das übernächste Jahr gemäß einer bestimmten Grundlage vorzunehmen. Eine dieser Grundlagen ist - ich bin immer noch
dabei, Ihre Frage zu beantworten -, daß die Anpassung
im nächsten Jahr 0,7 Prozent, im Jahr darauf 1,6 Prozent
betragen soll. Das nämlich sind die für die beiden Folgejahre geschätzten Preissteigerungsraten. Was passiert
nun eigentlich, wenn die Preissteigerungsraten geringer
oder höher ausfallen? Da die Anpassung dann auf der
Grundlage eines davorliegenden Vorganges erfolgt,
kann man diesbezüglich nur Annahmen auf Grund gesetzter Daten treffen. Wenn sich die Raten ändern und
höher oder niedriger ausfallen, sind die Folgen für die
Folgejahre schon andere.
Deswegen sage ich ausdrücklich - das ist die Position
unseres Hauses -: Es macht überhaupt keinen Sinn, sich
über unterschiedliche Modellrechnungen mit unterschiedlichen Ausgangslagen auseinanderzusetzen. Das
führt nur zur Verwirrung der Bürgerinnen und Bürger.
Viel sinnvoller ist es, deutlich zu machen, was beschlossen ist und womit wir umgehen.
Äußern kann ich mich - das habe ich auch getan - zu
den Auswirkungen der Gesetzgebung nach der Blümschen Rentenreform 1999 sowie zu dem jetzigen Stand,
zu dem, was die Bundesregierung jetzt gemacht hat: Sie
hat den Demographiefaktor ausgesetzt, die geplanten
Veränderungen im Bereich BU/EU zurückgenommen
und festgelegt, wie die Anpassungen für die nächsten
zwei Jahre aussehen sollen. Darüber kann ich Aussagen
treffen. Alle weiteren Aussagen helfen nicht weiter und
ändern nichts an der Position, die ich hier dargestellt
habe.
({1})
Jetzt eine Zusatzfrage des Kollegen Meckelburg.
({0})
Herr Staatssekretär, es verdichtet sich hier der Eindruck, daß Sie
nicht bereit sind, zwischen den beiden Modellen Vergleichbarkeit herzustellen.
({0})
Ich beziehe mich in meiner Frage jetzt noch einmal auf
Ihre Aussage, man könne das nicht berechnen. Die Höhe
des Kindergeldes ist bekannt. Warum ist es nicht möglich, Herr Staatssekretär, zu Vergleichszwecken die
Nettolohnentwicklung - unter Einbeziehung der Kindergelderhöhung - zu berechnen und damit das Nettorentenniveau auf bisheriger Basis anzugeben? Wir möchten,
daß Sie Dinge vergleichen, die vergleichbar sind. Sie
weigern sich bisher, das zu tun.
({1})
Ich weigere mich
überhaupt nicht. Der VDR hat mitgeteilt - dies war ja
Ausgangspunkt und Veranlassung für diese Fragen -,
daß das durchschnittliche Jahresnettoentgelt West durch
die Bruttostellung des Kindergeldes von 33 651 auf
33 150 DM gesunken ist. Die Renten sind bisher nicht
geändert worden; insofern ist überhaupt nichts passiert.
Sinkt das durchschnittliche Jahresnettoentgelt - weil das
Kindergeld aus der Nettobewertung in die Bruttobewertung gestellt wird; weil es, wie Sie alle wissen, auf
anderem Wege ausgezahlt wird -, erhöht sich der Prozentsatz des Rentenniveaus automatisch, wenn die Renten gleichbleiben.
({0})
Ich weigere mich überhaupt nicht, Vergleiche anzustellen.
({1})
- Ich kann Ihnen ganz unterschiedliche Zahlen vom
VDR, von der BfA und von anderen vortragen. Das
macht aber, so finde ich, überhaupt keinen Sinn, weil
man sich mit der jeweiligen Berechnungsgrundlage auseinandersetzen muß. Dann gelangt man wieder zu der
spannenden Frage, ob der Demographiefaktor einbezogen ist oder nicht.
Ich kann Ihnen also folgendes sagen - ich wiederhole
das, weil das hier konkret beschlossen worden ist -: Um
das Rentenversicherungssystem zukunftsfähig zu machen und gleichbleibende Beitragsbelastungen zu erreichen, haben wir Maßnahmen für die nächsten zwei Jahre
veranlaßt, die dazu führen, daß das Nettorentenniveau
bei 67 Prozentpunkten liegt.
(Andreas Storm [CDU/CSU]: Das hat doch
nichts mit der Frage zu tun! - Dr. Norbert
Blüm [CDU/CSU]: Herr Staatssekretär, beantworten Sie doch einmal die Frage! In dieser
Fragerunde haben Sie keine einzige Frage beantwortet! - Johannes Singhammer [CDU/
CSU]: Keine Märchenstunde!]
Sie wissen,
daß das Stellen von komplizierten Fragen und das komplizierte Beantworten von Fragen von jeher zu den
Schulungen hier im Haus gehört,
Zusatzfrage des Kollegen Heinrich.
Herr Staatssekretär, Sie
haben vorhin die Kompliziertheit der Situation der Rentenversicherung und die Verwirrtheit der Öffentlichkeit
über deren Zukunft attestiert. Sie tragen heute mit dazu
bei, indem Sie sich weigern, Dinge, die man miteinander
vergleichen kann, vergleichbar darzustellen. Das BMA
ist sicherlich in der Lage, das zu berechnen. Sie sind
nicht bereit, uns die Zahlen zu liefern.
Ich frage Sie deshalb: Stimmen Sie mir zu, daß die
Rentenanpassung in der Blümschen Rentenreform mit
dem demographischen Faktor eine Reform im System
war und Ihre vorgeschlagene Rentenanpassung, bei der
Sie willkürlich Zahlen für die Anpassung annehmen
wollen, für die Rentnerinnen und Rentner ein nicht kalkulierbares Risiko darstellt, da sie in ihrer Zukunftsplanung nicht auf gesetzliche Grundlagen zurückgreifen
können?
({0})
Ich verstehe,
daß bei diesem Thema die Emotionen hochgehen. Ich
muß trotzdem darum bitten, sie zu dämpfen, weil jetzt
der Herr Staatssekretär die Frage beantworten wird.
Der Kollege Heinrich hat gesagt, daß wir die gesetzlichen Grundlagen
verlassen. Selbstverständlich, Herr Kollege Heinrich,
wird unsere Anpassung, wie ich mehrfach geschildert
habe, auf gesetzlicher Grundlage geschehen. Daran besteht überhaupt kein Zweifel.
Ich will Ihnen noch einmal ausdrücklich zusichern:
Es gibt eine unterschiedliche Bewertung, aber wenn man
in Berechnungen Tatbestände miteinander vergleicht,
dann kann man wirklich nur vergleichbare Dinge miteinander vergleichen. Ich wiederhole: Wir haben seit
einem halben Jahr geänderte gesetzliche Bedingungen.
Nach den Beratungen des Rentenreformgesetzes 1999
wären wir bei einem Nettorentenniveau von 65 Prozent
im Jahre 2010 angekommen. Das können Sie in den
Protokollen des Deutschen Bundestages nachlesen.
Wir sagen Ihnen, daß wir durch die Maßnahmen, die
wir beschlossen haben, nicht nur auf der einen Seite die
Rentenversicherungsbeiträge zum 1. April dieses Jahres
von 20,3 Prozent auf 19,5 Prozent gesenkt haben, sondern daß wir auf der anderen Seite über eine lange Laufzeit ein Nettorentenniveau von etwa 67 Prozent erreichen und stabilisieren werden. Das ist die Absicht der
Bundesregierung. Das kann ich hier nur wiederholen.
Frau Schnieber-Jastram, hatten Sie nun verzichtet oder nicht?
({0})
Vielleicht einigen wir uns auf eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wie steht die Bundesregierung zu Meldungen
der „Süddeutschen Zeitung“ vom 28. Juni 1999, wonach
das Herausrechnen des Kindergeldes aus der Lohnstatistik nicht zwingend notwendig gewesen wäre und damit
das Nettorentenniveau um 2,6 bis 2,8 Prozent zu hoch
ausgewiesen wird?
Frau SchnieberJastram, ich will darauf hinweisen, daß wir uns auf die
volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die das Statistische Bundesamt vornimmt, bezogen haben und daß das
gesetzeskonform ist. Wie sich Zeitungen dazu verhalten,
muß ich hier nicht kommentieren.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Laumann.
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung einmal darüber
Gedanken gemacht, wie sich die neue Beitragsberechnung bei Arbeitslosen auf das Renteniveau der Menschen auswirkt, die lange arbeitslos sind? Sind meine Informationen richtig, daß ein Mensch, der ein Bruttogehalt von 4 400 DM hatte, bislang durch die Beiträge der
Arbeitslosenversicherung an die Rentenversicherung in
einem Jahr einen Rentenanspruch von 37,90 DM erwarb
und jetzt nach Ihrer Regelung nur noch einen Rentenanspruch von 14,90 DM erwartet? Sind Sie nicht der Meinung, daß Sie damit viele Menschen, die länger arbeitslos sind, im Rentenalter in die Sozialhilfe abdrängen?
Wie rechtfertigen Sie diese starke Absenkung der Rentenansprüche für diese Menschen?
Herr Abgeordneter
Laumann, das Bundeskabinett hat im Rahmen der Aufstellung des Haushaltes für das Jahr 2000 im Bereich der
Arbeitslosenhilfe in der Tat Änderungen vorgenommen.
Die Zahlungen, die die Bundesanstalt für Arbeit beispielsweise an die Rentenversicherung gewährt, wird die
fiktive Größe „80 Prozent des letzten Nettoeinkommens“ auf den Zahlbetrag reduziern. Das hat - wenn das
über längere Zeit geschieht; man kann es auf ein Jahr
oder auf längere oder kürzere Zeiträume fixieren - für
die betroffenen Menschen dahin gehend Auswirkungen,
daß sich ihre Rentenansprüche im späteren Rentenfall
verringern.
({0})
- Sie präsentieren mir in der Frage Zahlen, von denen
Sie erwarten, daß ich sie bestätige oder nicht bestätige.
Ich kann keine Zahlen bestätigen, die in irgendeiner
Zeitung gestanden haben. Wenn Sie mir diesen Artikel
aber zur Verfügung stellen, Herr Laumann, werde ich
gerne etwas dazu sagen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kraus.
Herr Staatsminister, ich
werde mich bemühen, eine ganz einfache Frage zu stellen. - Sie rühmen die Rücknahme des Demographiefaktors ständig als eine Großtat. Können Sie vielleicht
überblicken, ob die 1 200 DM, die für den Eckrentner
bei Ihrer Rentenzahlung in der Zukunft herauskommen,
weniger ist als das, was herausgekommen wäre, wenn
wir bei der Blümschen Reform geblieben wären? Ich
vereinfache die Frage: Können Sie wenigstens bestätigen, daß für die Menschen ganz erheblich weniger Rente
herauskommt als sie nach den Aussagen Ihrer Partei im
Wahlkampf glauben mußten?
Herr Kollege
Kraus, die konkreten Zahlen kann ich Ihnen so nicht bestätigen. Ich kann Ihnen aber eines bestätigen - das tue
ich gerne -: Wir werden in den nächsten beiden Jahren
die Rentenanpassung nach einem bestimmten Mechanismus vornehmen, den wir hier schon mehrfach erläutert haben.
({0})
Wenn man diesen Mechanismus nicht anwenden würde,
dann würde es zu höheren Rentenanpassungen kommen.
({1})
Es ist völlig klar - das haben die Bundesregierung, der
Finanzminister und andere im Plenum dieses Hauses bereits dargelegt -, daß wir aus Gründen, die mit der Beitragsstabilität und mit einer umfassenden Rentenreform,
die das Rentensystem zukunfts- und armutsfest machen
soll, zusammenhängen, eine Maßnahme ergreifen, durch
die auf der einen Seite die Beiträge auf längere Sicht bei
ungefähr 19 Prozent stabilisiert werden und die auf der
anderen Seite zu einem Nettorentenniveau von um die
67 Prozent führt. Man muß sich jeweils im einzelnen anschauen, was das für den einzelnen Rentner bedeutet.
Das tun wir; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Damit
ist die Anpassung natürlich geringer als wenn man die
übliche Anpassung vorgenommen hätte. Sie wäre aber
auch in diesem Jahr schon geringer gewesen; das habe
ich eben schon einmal dargestellt. Sie ist höher, weil wir
für dieses Jahr den Demographiefaktor ausgesetzt haben.
Herr Kollege
Kraus, Sie haben zu einer Frage nur eine Nachfrage.
Jetzt kommen noch Nachfragen der Kollegen Ostertag,
Seifert und Blüm.
Herr Kollege Ostertag, bitte.
Frau Präsidentin! Wenn Sie
gestatten, möchte ich das statistische Grundseminar
verlassen und den Staatssekretär fragen - ({0})
- Doch, natürlich sind Zahlen wichtig. Aber für eine
Rentendebatte sind nicht nur die statistischen Spitzfindigkeiten, sondern auch praktische Fragen entscheidend.
({1})
Daher möchte ich den Staatssekretär fragen, ob es zutrifft, daß in den letzten vier Jahren, in denen die heutige
Opposition regierte, die heute mit statistischen Daten argumentiert, die Rentenerhöhungen jeweils niedriger als
die Preissteigerungsrate waren,
({2})
ob er uns dazu eventuell Zahlen nennen kann und ob das
nicht ein wichtiges Argument gegen die Kampagne der
Opposition ist.
Herr Kollege
Ostertag, ich habe Ihnen schon die Zahl für dieses Jahr
genannt. Für dieses Jahr beträgt die Rentenanpassung
1,34 Prozentpunkte, weil wir die Demographieformel
außer Kraft gesetzt haben. Wäre sie in Kraft geblieben,
hätte es eine Rentenanpassung um nur 0,79 Prozent gegeben. Die Rentenanpassung liegt in diesem Jahr knapp
0,9 Prozent über der Inflationsrate.
({0})
Im vergangenen Jahr betrug die Preissteigerungsrate
1 Prozent, die Rentenpassung 0,44 Prozent.
({1})
Im Jahr 1997 betrug die Preissteigerungsrate 1,9 Prozent, die Rentenanpassung - ich beziehe mich immer auf
die Daten für Westdeutschland - 1,65 Prozent.
({2})
Im Jahr 1996 betrugen die Preissteigerungsrate 1,4 Prozent und die Rentenanpassung 0,95 Prozent.
({3})
In den Jahren seit 1992 - ich möchte jetzt hier nicht die
gesamte alte Statistik vorlesen ({4})
gab es nur ein einziges Mal eine Rentenanpassung, die
über der Preissteigerungsrate lag. Das war 1994.
({5})
In dem Jahr betrug die Preissteigerungsrate 2,7 Prozent
und die Rentenanpassung 3,39 Prozent.
Das Problem, das hier jetzt offensichtlich zu Geschrei
und Auseinandersetzungen führt, ist, daß man über zurückliegende Daten relativ präzise Auskunft geben kann,
daß aber über die Auswirkungen zukünftiger Daten auf
eine Rentenreform und die Entwicklung des Nettorentenniveaus nur sehr schwierig verbindliche Zahlen genannt werden können. Beispiele dafür habe ich erwähnt.
Kein Mensch weiß, wie die Preissteigerungsrate im
nächsten Jahr ist. Nach dieser Preissteigerungsrate wird
sich die Rentenanpassung im Jahr darauf richten. Es
handelt sich also nur um angenommene Daten.
Jetzt eine
Nachfrage des Kollegen Dr. Seifert.
Herr Staatssekretär, ich kann
mich des Eindrucks schwer erwehren, daß es Ihnen
ziemlich schwer fällt, auch auf verhältnismäßig präzise
Fragen präzise Antworten zu geben, wenn es um einen
Vergleich mit der früheren Regierung geht,
({0})
es sei denn, es sind bestellte Fragen aus Ihrer Fraktion.
({1})
Vielleicht gelingt es Ihnen, eine präzise Antwort auf
eine Frage zu geben, die innerhalb Ihres Systems angesiedelt ist.
Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, haben
Sie gesagt, daß die Rentensteigerungen der nächsten
zwei Jahre ausschließlich an die Inflationsrate gebunden
sein werden. Heißt das im Umkehrschluß, daß man,
wenn man den Rentnerinnen und Rentnern in Zukunft
ein hohes Rentenniveau wünschen will, sich für zwei
Jahre eine hohe Inflationsrate wünschen muß?
Das Problem ist,
Herr Abgeordneter - ({0})
Herr Kollege
Dr. Seifert, wenn man sein eigenes Recht wahrnimmt,
muß man immer aufpassen, daß man nicht das Recht
anderer diffamiert. Alle Kollegen haben hier ein Fragerecht, und wir gehen davon aus, daß sie davon auch frei
Gebrauch machen. Etwas anderes sollte man sich untereinander nicht unterstellen. - Jetzt kommt die Antwort.
Herr Abgeordneter
Seifert, ich möchte zunächst noch einmal darauf hinweisen - darin liegt der Unterschied -, der Streitpunkt in der
Frage von Frau Schnieber-Jastram sind Daten, die auf
Grund unterschiedlicher Rechenmodelle unterschiedlich
ausfallen. Es ist ein Unterschied, ob ich verschiedene
Rechenmodelle habe und über die Prognosen von VDR,
BfA usw. rede oder ob ich darüber rede, welche gesicherten Daten ich über die Vergangenheit habe.
Ich habe Daten über die Preissteigerungsraten und
über die Rentenanpassung. Ich habe hier erklärt, wie die
Rentenanpassung für das nächste und das übernächste
Jahr aussehen soll. Außerdem habe ich erklärt, daß auf
Grund verschiedener gesetzgeberischer Maßnahmen bestimmte Dinge vor der Bundestagswahl nicht einfach
mit Heutigem vergleichbar sind, weil es - das habe ich
zugestanden - gesetzliche und statistische Änderungen
gegeben hat.
Nun zu Ihrer zweiten Frage, ob man eine hohe Inflationsrate wünschen müsse. Nein, das macht natürlich
keinen Sinn. Mit der Rentenanpassung der nächsten beiden Jahre verbinden wir die Absicht, den Rentnerinnen
und Rentnern zuzusichern, daß ihr Lebensstandard gehalten wird. Wenn wir die Preissteigerungsrate als
Grundlage der Steigerung der Rentenzahlbeträge nehmen, dann ist damit garantiert, daß sie ihren Lebensstandard wahren. Im Gegensatz hierzu habe ich soeben
vorgetragen, daß es in den letzten sieben Jahren eine
ganze Reihe von Jahren gegeben hat, in denen die Rentenanpassung deutlich niedriger als die Preisanpassungsrate ausgefallen ist.
({0})
Jetzt warten
wir auf die Frage des Abgeordneten Blüm.
Herr Staatssekretär,
darf ich Ihnen behilflich sein, eine Frage präzise zu beantworten?
({0})
Ich beziehe mich auf die Frage: Was bedeutet es,
wenn, wie Sie dargestellt haben, der Beitrag für die Arbeitslosenhilfebezieher - das sind die Langzeitarbeitslosen; ich sage das, damit Sie genau wissen, um wen es
geht - von 80 Prozent vom Brutto auf den Zahlbetrag
der Arbeitslosenhilfe - 53 Prozent vom Netto - reduziert
wird? Da Sie diese Frage nicht beantworten konnten,
was das für den Langzeitarbeitslosen bedeutet, will ich
Ihnen helfen. Das bedeutet für ihn im Durchschnitt mindestens die Halbierung des jährlich erworbenen Rentenanspruchs während der Zeit des Bezugs von Arbeitslosenhilfe. Sie halbieren den Rentenanspruch des Langzeitarbeitslosen für die Zeit seiner Arbeitslosigkeit. - Ich
wollte Ihnen nur bei der Präzisierung Ihrer Antwort behilflich sein.
({1})
Aber jetzt fragen wir uns alle, Herr Kollege Blüm, wo die Frage in
Ihrem Redebeitrag war.
Die Frage war: Darf
ich Ihnen helfen? Ich kann es noch präzisieren: Können
Sie die einfache Rechnung - von 80 Prozent des Brutto
auf 53 Prozent des Netto - nachvollziehen und bestätigen, daß das im Durchschnitt für die Langzeitarbeitslosen die Halbierung ihres Rentenanspruches bedeutet,
Herr Staatssekretär?
Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter
Blüm, Ihre Frage war ja, ob Sie mir helfen dürfen. Ich
bedanke mich herzlich für Ihre Hilfeversuche.
({0})
Ich kann Ihnen bestätigen, daß es selbstverständlich,
wenn man den Rentenzahlbetrag verändert, auch zu veränderten Leistungen kommt. Aber der spannende Punkt
dabei ist: Wie hoch war das Einkommen, und wie hoch
ist der Zahlbetrag, den der Betroffene erhält?
({1})
- Nein, ich kann die Halbierung nicht bestätigen.
({2})
Wie sich dies auswirkt, hängt entscheidend davon ab,
wie hoch die Leistung in der Arbeitslosenhilfe ist.
Ich will noch ein Zweites sagen. Herr Abgeordneter
Blüm, ich habe mich für Ihre Hilfeversuche bedankt.
Wir kennen uns ja lange genug. Ich habe in den vergangenen Legislaturperioden eine Reihe von Diskussionen
miterlebt, die der damalige Bundesarbeitsminister Blüm
hinsichtlich der Frage von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe geführt hat. Ich will Ihnen sagen: Ihr Ziel war die
Vereinheitlichung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe.
({3})
- Entschuldigen Sie. Herr Abgeordneter Blüm, ich habe
eine schriftliche Unterlage mitgebracht, weil ich dachte,
man muß auch das Kurzzeitgedächtnis ein wenig benutzen: Wer im Rahmen einer Debatte bezüglich neuer Initiativen zur Beschäftigungsförderung im Zusammenhang mit der Veränderung der Arbeitslosenhilfe erklärt,
es sei völlig unverständlich, daß wir zwei Versorgungssysteme haben, daß wir eine Arbeitslosenhilfe und eine
Sozialhilfe haben,
({4})
der muß auch die Frage beantworten, wer eigentlich für
Sozialhilfeempfänger Rentenversicherungsbeiträge bezahlt und in welcher Weise dies stattfindet. Ich sage
Ihnen: Eine der Maßnahmen, die wir treffen - das habe
ich schon geschildert -, besteht in der Veränderung der
Rentenversicherungsbeiträge für Bezieher von Arbeitslosenhilfe, mit der Auswirkung, Herr Blüm, daß sie
später geringere Rentenansprüche haben.
Aber ich weise gleichzeitig darauf hin, daß wir im
Rahmen der beabsichtigten Rentenreform so etwas wie
eine soziale Grundsicherung und andere Dinge einführen. Wir sind also gewillt, bestimmte Dinge dort wieder
auszugleichen.
({5})
Mir liegen zu
dieser - ich weise darauf hin: immer noch ersten Dringlichen Frage noch zwei Wünsche nach Zusatzfragen vor, nämlich vom Kollegen Girisch und von der
Kollegin Barnett. Ich werde dann weitere Fragen zu
dieser ersten Frage nicht mehr zulassen und möchte
dann die Frage 2 aufrufen. Es sind nämlich jetzt eine
Stunde lang Nachfragen zur ersten Frage beantwortet
worden.
({0})
Kollege Girisch!
Herr Staatssekretär,
was soll ich einem Rentner in meinem Wahlkreis sagen,
der 45 Jahre lang gearbeitet hat und durch die Blümsche
Reform in diesem Jahr 2 000 DM Rente bezieht: Was
bekommt er nach Ihrer Reform im Jahre 2000 und im
Jahre 2001? Bitte nennen Sie mir die Zahlen.
Das erste Problem
ist: Es kommt immer auf den Rentner an.
({0})
Im übrigen würde ich Ihnen empfehlen, bei der Fragestunde zuzuhören. Dann können Sie ihm sagen, daß
er nach der Beschlußlage im nächsten Jahr 0,7 Prozent
und im darauffolgenden Jahr 1,6 Prozent Rentenerhöhung bekommt, wenn die Preissteigerungsrate 1,6 Prozent ausmacht. Das können Sie dem Rentner sagen. Je
nach Rentenfall wird sich das ganz unterschiedlich
auswirken.
Frau Kollegin
Barnett, bitte.
Herr Staatssekretär, vorausgesetzt, es stimmt, daß wir in diesem Hause die Lohnnebenkosten senken wollen - wegen der Arbeit, die wir
doch schaffen wollen -, und vorausgesetzt, daß damit
die Beiträge zur Rentenversicherung sinken sollen, hätte
ich von Ihnen gerne gewußt, wie die Entwicklung aussehen könnte, wenn wir alles das vollziehen, was sich
die Opposition wünscht, so mit dem großen Füllhorn
nach dem Motto: Weiter so! Am besten nichts kürzen,
sondern noch mehr draufgeben. Wie würden sich erstens
die Beiträge entwickeln, und wie wäre zweitens die Leistungsentwicklung, insbesondere in bezug auf die Preissteigerung?
Frau Kollegin Barnett, ich will zunächst sagen, daß die neue Bundesregierung zum 1. April dieses Jahres eine Absenkung des
Rentenversicherungsbeitrages durchgesetzt hat. Er betrug bekanntermaßen 20,3 Prozent. Wir haben ihn auf
19,5 Prozent abgesenkt. Es gibt die Absicht, diesen
Rentenversicherungsbeitrag weiter abzusenken. Wir
wollen über lange Zeit erreichen, daß der Rentenversicherungsbeitrag stabil bei etwa 19 Prozent gehalten
werden kann.
Ich kann Ihnen sagen: Die 20,3 Prozent, die wir von
der Vorgängerregierung übernommen haben, waren
auch nur durch ganz schwierige Maßnahmen zu reduzieren, weil wir in den Rentenkassen im Oktober
des vergangenen Jahres ein Defizit vorgefunden haben
und die Schwankungsreserve nicht erreicht werden
konnte.
Wir versuchen, mit den Maßnahmen, die wir ergreifen, drei oder vier Dinge miteinander zu kombinieren:
Wir wollen, daß die Rentnerinnen und Rentner in den
nächsten zwei Jahren ihren Lebensstandard halten können. Das garantieren wir auch. Wir wollen unser Rentenversicherungssystem zukunftsfähig machen. Das
bedeutet für uns, eine Reform auf den Weg zu bringen,
mit der wir stabile Beiträge, ein stabiles Nettorentenniveau erreichen, indem wir eine neue Regelung der
Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten durchsetzen,
und mit der wir eine Reform der eigenständigen Alterssicherung der Frau vollziehen, was ein ganz wichtiger
Tatbestand ist.
Um dies alles unter einen Hut zu bringen, um also für
die Zukunft Vorsorge zu treffen, ist es notwendig, diese
Maßnahmen zu ergreifen. Dazu hat die Bundesregierung
den ersten Schritt beschlossen, nämlich die Anpassung
für das nächste und übernächste Jahr. Die Einzelheiten
einer Rentenreform werden der Debatte in den nächsten
Monaten überlassen bleiben. Wir haben die Absicht,
diese Rentenreform im nächsten Jahr gesetzgeberisch
umzusetzen.
({0})
Jetzt rufe ich
die Dringliche Frage 2 der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram auf:
Aus welchen Gründen hat das Bundesministerium für Arbeit
und Sozialordnung die Öffentlichkeit nicht darauf hingewiesen,
daß bei Umsetzung der Sparpläne der Bundesregierung unter
Berücksichtigung der Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bei Nettostellung des Kindergeldes das Nettorentenniveau um gut 2,5 Prozentpunkte niedriger liegt als bei den
vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung angegebenen Ergebnissen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Schnieber-Jastram, die Bundesregierung hat die
Finanzwirkung ihrer Maßnahmen stets auf Basis der
aktuellen amtlichen Statistik dargestellt.
Im übrigen verweise ich in diesem Zusammenhang
auf meine Antwort zur Dringlichen Frage 1.
Möchten Sie
nachfragen, Frau Kollegin?
Ja, bitte.
Bitte sehr.
Herr
Staatssekretär, Sie haben vorhin immer wieder deutlich
gemacht, daß es eine Anpassung geben wird. Wenn wir
darüber reden, dann müssen wir, finde ich, das ein bißchen konkreter machen, damit man es auch wirklich versteht, denn wir betreiben ja sehr viel Zahlenspiel. Deswegen noch einmal die Frage: Ist es richtig, daß Ihre
Anpassung, die Sie in den Jahren 2000 und 2001 vornehmen werden, für den normalen Eckrentner bedeutet,
daß er im Westen 100 DM und im Osten sogar 140 DM
im Monat weniger als bei der Blümschen Reform hat?
Frau SchnieberJastram, ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Für den
Eckrentner bedeutet das eine Rentenanpassung von
0,7 Prozent und von 1,6 Prozent für das nächste bzw. für
das übernächste Jahr.
({0})
Kollegin
Schnieber-Jastram, bitte.
Herr
Staatssekretär, meine Frage war eine andere. Da Sie auf
diese Frage offensichtlich nicht antworten wollen,
möchte ich darauf zurückkommen, daß es neben den
Beitragsempfängern auch Beitragszahler gibt. Das IfoInstitut hat in einer Stellungnahme gesagt, daß die Rentenreform à la Riester die jungen Menschen langfristig
höher belasten werde. Können Sie dazu Stellung nehmen?
Die Berechnungen
des Ifo-Instituts sind eine Berechnung wie die des VDR,
der BfA oder anderer. Das Problem ist - ich habe mehrfach versucht, das deutlich zu machen -, daß wir eine
Balance zwischen der Beitragszahlung, die wir deutlich
unter 20 Prozent - nämlich auf 19 Prozent - halten
wollen, und einem Nettorentenniveau, das nach den
Aussagen, die ich jetzt schon mehrfach getroffen habe,
bei etwa 67 Prozent liegt, erreichen müssen. Wenn wir
das hinbekommen, glauben wir, daß das auf der einen
Seite zur Entlastung der Beitragszahler - das ist dann
auch eine Entlastung der jüngeren Generation, weil sie
ja entsprechend in die Rentenversicherung einzahlen
muß - und auf der anderen Seite zu einer vernünftigen
Stabilisierung des Rentenniveaus führt.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Storm.
Herr Staatssekretär, in
Ihrer Antwort zur Frage 1, auf die Sie gerade verwiesen
haben, haben Sie bestätigt, daß der isolierte Effekt der
Umstellung von der Nettostellung auf die Bruttostellung
des Kindergeldes bei 2,5 Prozentpunkten liegt. Warum
hat Ihre Kollegin Frau Mascher in einer Mitteilung des
BMA vom 24. Juni diesen Effekt auf nur einen Prozentpunkt beziffert?
Das kann ich Ihnen
nicht beantworten. Ich habe Ihnen gesagt, daß es nach
den Berechnungen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 2,5 Prozentpunkte ausmacht und daß man andere Veränderungen mit 1,5 Prozentpunkten dagegenrechnen muß, so daß sich das Nettorentenniveau durch
diese Operationen rechnerisch um einen Prozentpunkt
erhöht. Ich möchte einmal vermuten, daß sich meine
Kollegin Ulrike Mascher auf exakt diesen einen Prozentpunkt, der den Unterschied ausmacht, bezieht.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dreßen.
Herr Staatssekretär, kann das
auch dadurch entstehen, daß wir die Steuern und Beiträge gesenkt haben und sich damit die Einkommen der
Arbeitnehmer in den nächsten Jahren natürlich sehr stark
erhöhen werden? Dadurch entwickelt sich doch die
Nettoerhöhung entsprechend. Berühren die guten Taten,
die wir beschlossen haben und die die Opposition nie in
dieser Form vorhatte - deswegen kann die Berechnung
so auch nicht funktionieren -, berühren also die Senkung
der Steuern und die damit verbundene Entlastung
von Familien mit Kindern um bis zu 1 200 DM bzw.
2 000 DM im Jahr die Rentenentwicklung - jeweils mit
Blick auf die Nettoentlastung?
Selbstverständlich
ist das so. Ich nenne als Beispiel die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages um immerhin 0,8 Prozentpunkte. Durch die Senkung dieses Beitrags erhöht sich
auf der anderen Seite das Nettoeinkommen. Es fließt
also dort ein. Die Erhöhung des Kindergeldes und
Steuerentlastungen, wie zum Beispiel durch die Senkung
des Eingangssteuersatzes um zwei Prozentpunkte, führen dazu, daß auf der einen Seite die Nettoeinkommen
steigen und damit auf der anderen Seite auch die Nettoanpassungen steigen würden.
Als weiteren Punkt möchte ich das Familienurteil
vom Januar dieses Jahres nennen, in dem Karlsruhe angemahnt hat, daß die Familienleistungen deutlich erhöht
werden müssen. Die Erhöhung dieser Leistungen - ganz
abgesehen von der Erhöhung des Kindergeldes -, die auf
Grund dieses Urteiles notwendig sind, würde dazu führen, daß die Nettoanpassungen höher ausfallen müßten.
Ich weise in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf
hin: Es kann doch keinen Sinn machen, daß man all diese Leistungen einrechnet und sie an die Rentnerinnen
und Rentner unmittelbar weitergibt.
Es muß eine vernünftige Balance zwischen denjenigen, die jung sind und Kinder erziehen, und der älteren
Generation, die in Rente ist, geben. Deswegen sehen wir
in den Maßnahmen, die wir für die nächsten zwei Jahre
umsetzen wollen, einen Pakt für die Zukunft, um das
Rentenversicherungssystem zukunftsfähig zu machen.
Dafür erwarten wir natürlich auch einen entsprechenden
Beitrag der Rentnerinnen und Rentner.
Genau aus den Gründen, die Sie genannt haben, ist es
schwierig und macht es gar keinen Sinn, irgendwelche
konkreten Zahlen zu bestätigen. Denn es ist noch völlig
unklar, wie hoch die Nettorentenanpassung im nächsten
Jahr sein wird. Das kann auch keiner von den Damen
und Herren von der Opposition darlegen. Ich kann nur
darauf verweisen, daß es jetzt eine Steigerung um
0,7 Prozent gibt. Aber wie hoch im Vergleich dazu
die Nettorentenanpassung sein wird und wieviel sie in
D-Mark betragen wird, kann momentan niemand sagen.
Zwar können hier viele Zahlen genannt werden, aber ich
werde das nicht tun, weil ich das nicht für vernünftig
und verantwortbar halte.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Niebel.
Herr Staatssekretär, Sie haben
in Ihrer Antwort auf Frage 1 verwiesen. Ich möchte auf
den Punkt zurückkommen, den der Kollege Blüm angesprochen hat. Sie wollen offenkundig keine konkreten
Zahlen nennen. Deswegen erlaube ich mir, meine Frage
anders zu formulieren: Stimmen Sie mir - ohne konkrete
Zahlen zu nennen - im Grundsatz zu - vorhin haben Sie
darauf verwiesen, daß es wichtig sei, wieviel beispielsweise ein Langzeitarbeitsloser zuletzt verdient habe -,
daß 80 Prozent vom Brutto in aller Regel mehr sind als
80 Prozent von 53 Prozent vom Netto?
Wie war das noch
einmal? Ich habe die Frage nicht verstanden; vielleicht
können Sie sie noch einmal etwas deutlicher formulieren. Wie verhalten sich 80 Prozent vom Brutto zu Netto?
80 Prozent
vom Brutto sind mehr als 53 Prozent vom Netto.
Nein, als 80 Prozent von
53 Prozent vom Netto.
Der Kollege Blüm hat vorhin richtigerweise darauf
hingewiesen, daß der Rentenversicherungsbeitrag von
Arbeitslosenhilfeempfängern nach dem Brutto berechnet
wird. Es werden 80 Prozent des letzten Bruttoeinkommens zugrunde gelegt. Nach Ihren Vorschlägen und
nach den Diskussionsgrundlagen, die wir hier kennen,
werden jetzt 53 Prozent vom Netto, also die Arbeitslosenhilfe, als Bemessungsgrundlage bei Langzeitarbeitslosen angenommen. Stimmen Sie mir zu, daß das
weniger ist als vorher?
({0})
Erstens teile ich
nicht die Position von Herrn Blüm. Zweitens stimmt
Ihre zweite Annahme nicht. Die Höhe der Rentenversicherungsbeiträge wird auf Grund der realen Zahlbeträge
festgelegt. Ich stimme Ihnen gerne darin zu, daß die bisherigen Zahlungen höher waren als die, die wir durch
gesetzliche Veränderungen anstreben.
({0})
Eine Zusatzfrage der Kollegin Ostrowski.
({0})
Herr Staatssekretär, es
ist doch keine Auslegungsfrage, ob Sie Herrn Blüm zustimmen oder nicht, sondern einfach Arithmetik, also
Mathematik. Da beißt die Maus nun keinen Faden ab.
({0})
Ich möchte auf die Frage von Frau Schnieber-Jastram
nach der Lage der jungen Generation zurückkommen,
die Sie nur ausweichend beantwortet haben, indem Sie
sinngemäß sagten: Dadurch, daß die Regierung eine
Senkung des Rentenbeitrags auf - ungefähr - stabile
19 Prozent anstrebe, werde auch die junge Generation
entlastet. So weit - so gut.
Ich frage Sie jetzt: Stimmt es denn, daß die Senkung
des Rentenbeitrages auf 19 Prozent durch die Einnahmen aus der Ökosteuer, an der wiederum alle privaten
Haushalte, sprich: auch die gesamte junge Generation,
beteiligt sind, erreicht werden soll?
Vielleicht darf ich
Sie darauf hinweisen, daß wir schon die bisherigen Einnahmen aus der Ökosteuer dazu genutzt haben, beispielsweise folgendes herzustellen:
Erstens. Für Kindererziehungszeiten zahlt der Bund
jetzt reale Beiträge an die Rentenversicherung. Wir haben etwas durchgesetzt, was dazu führt, daß es zu einer
vernünftigen Finanzierung der Rentenversicherung
kommt. Ich sage noch einmal: Mein geschätzter Kollege
Norbert Blüm, der früher einmal Bundesarbeitsminister
war - er hat Vorschläge in Form einer Familienkasse
und ähnlichem gemacht - , hätte gejubelt, wenn er eine
andere Finanzierung der Anteile an der Rentenversicherung zustande gebracht hätte, die durch den Gesetzgeber
veranlaßt worden wäre, aber früher nur den Beitragszahlern zugeschoben wurde.
Zweitens. Wer die EU-Rente und die BU-Rente für
das kommende Jahr neu ordnen will, der muß wissen,
daß das in einem bestimmten Maße Geld kostet. Wir
wollen das Ganze verändern, weil wir die Arbeitsmarktsituation so vorfinden, wie sie nun einmal ist, und weil
wir Menschen, die erwerbs- oder berufsunfähig werden,
dafür nicht bestrafen können. Das bedeutet, daß die
Ökosteuer zu einem Teil in die Beitragsabsenkung und
in die Beitragsstabilisierung einfließt; aber sie fließt beispielsweise auch in eine bedarfsorientierte Grundsicherung ein, die steuerfinanziert ist, so daß eine einfache
Rechnung, nach dem Motto: „Hier habe ich eine Ökosteuer, und um den Anteil der Ökosteuer müßte auf der
anderen Seite einfach der Beitrag absinken“, nicht
stimmt. Diese Rechnung ist zu kurzschlüssig; denn man
muß die soziale Grundsicherung, die normalerweise
über die Sozialhilfe der Sozialämter geleistet wird und
steuerfinanziert ist, entsprechend gegenfinanzieren. Unser Konzept ist ausgewogen und vernünftig.
Ich sage noch einmal: Es geht darum, die Rentenversicherung zukunftsfähig zu machen. Wir glauben, dieses
Ziel damit zu erreichen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Weiß.
Herr
Staatssekretär Andres, nachdem Sie in Beantwortung
einer vorher gestellten Frage ausgeführt haben, es für
gerechtfertigt zu halten, daß Nettolohnsteigerungen, die
sich durch politische Entscheidungen ergeben haben, bei
einer Rentenerhöhung nicht voll zu Buche schlagen, frage ich Sie: Halten Sie es auch für gerechtfertigt, daß
durch politische Entscheidungen herbeigeführte Mehrbelastungen für die Rentnerinnen und Rentner aber zu
Buche schlagen?
Ich spreche konkret von den Auswirkungen der Ökosteuer. Die Rentnerinnen und Rentner haben nichts von
der Senkung des Rentenversicherungsbeitrages. Sie
werden aber mit rund 100 DM monatlich voll durch die
Ökosteuer zur Kasse gebeten. Wie erklärt es sich, daß
Sie auf der einen Seite Leistungen, die sich im Nettolohnbereich positiv auswirken, nicht an die Rentnerinnen und Rentner weitergeben wollen, aber andererseits
Belastungen durch Ihre politischen Entscheidungen,
sprich: Einführung und Erhöhung der Ökosteuer, voll an
die Rentnerinnen und Rentner weitergeben wollen?
Ich will noch einmal sagen: Wenn Sie bei der Beantwortung der Frage
eben zugehört hätten, dann hätten Sie festgestellt: Es ist
nicht so, daß das Ökosteueraufkommen nur der Beitragsabsenkung zugute kommt; vielmehr kommt das
Ökosteueraufkommen auch einer vernünftigen Stabilisierung und Ausstattung des Systems zugute. Daß Kindererziehungszeiten in dem System so finanziert sind,
wie sie finanziert werden müssen, oder daß wir die Absicht haben, eine soziale Grundsicherung einzuführen,
die man ebenfalls zusätzlich finanzieren muß und die
den davon betroffenen Rentnerinnen und Rentnern zugute kommt, all das - ich könnte es wieder aufzählen läßt Ihren Rückschluß gar nicht zu; denn wenn Sie
sagen, die Rentnerinnen und Rentner hätten nichts von
der Ökosteuer, dann stimmt schon diese Annahme nicht.
In denjenigen Punkten, von denen ich gerade gesprochen habe, haben die Rentnerinnen und Rentner sehr
wohl etwas von der Ökosteuer. Wir leisten damit einen
Beitrag, das Rentenversicherungssystem auf lange Zeit
stabil und zukunftsfähig zu halten. Auch davon haben
die Rentnerinnen und Rentner etwas.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Barnett.
Herr Staatssekretär, bezüglich
der Ökosteuer interessiert mich, ob in Ihre Berechnung
auch die Verhaltensänderung der Verbraucher und der
durch den wahrscheinlich geringeren Verbrauch verbundene Ausgleich eingegangen ist?
Es ist davon auszugehen, daß Verbraucher auch auf Preisfragen reagieren.
Von daher kommt auch dieser Aspekt zum Zuge.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Grehn.
Herr Staatssekretär, in
Kenntnis der bisherigen Diskussion und Ihrer Antworten
frage ich Sie: Arbeitet Ihr Ministerium zur Zeit daran,
eine Veröffentlichung herauszugeben, die den Betroffenen aller Kategorien „eineindeutig“ erklärt, was Sie
eigentlich planen und was für sie dabei im Detail herauskommt?
Herr Abgeordneter
Grehn, ich wiederhole jetzt noch einmal, was ich schon
mehrfach gesagt habe. Sie als Mitglied des Ausschusses
für Arbeit und Sozialordnung wissen das auch. Das Kabinett hat bisher beschlossen, daß wir die Renten im
nächsten und übernächsten Jahr nach einem bestimmten
Mechanismus anpassen. Das wird das Bundesarbeitsministerium auch öffentlich mitteilen. Alle weiteren Fragen, die mit einer umfassenden Reform des Rentenversicherungssystems zusammenhängen, werden in den
nächsten Monaten öffentlich diskutiert und Anfang
nächsten Jahres dem Gesetzgebungsverfahren zugeleitet.
Das habe ich allerdings schon mehrfach gesagt. Sie werden sicherlich wissen, daß der Bundesarbeitsminister
öffentlich und umfassend darüber informieren kann, was
das Kabinett beschlossen hat und was Recht und Gesetz
wird. Das werden wir tun.
Zusatzfrage
der Kollegin Reinhardt.
Herr Staatssekretär,
Sie haben gerade ausgeführt, daß es dringend notwendig
ist, daß der Bundeszuschuß zur Rentenkasse erhöht
wird. Stimmen Sie mir dabei zu, daß im letzten Jahr
117 Milliarden DM als Zuschuß von der alten Regierung
bezahlt wurden, so daß das Defizit voll ausgeglichen
werden konnte?
({0})
Beabsichtigen Sie, den Ausgleich an die Inflationsraten anzupassen, wie dieses 1979, 1980 und 1981 unter
Ihrer Regierung geschah?
Frau Kollegin, den
Betrag von 117 Milliarden DM kann ich nicht bestätigen, weil es sich in den letzten Jahren um unterschiedliche Größenordnungen handelte. Wir haben beispielsweise alle gemeinsam daran mitgewirkt, daß die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt erhöht wurde und die
Einnahmen daraus der Rentenversicherung zugeführt
worden sind. Das ändert aber nichts an der Tatsache
- das habe ich vorhin gesagt -, daß die neue Bundesregierung zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt hat,
um beispielsweise die Kindererziehungszeiten mit Zeiten realer Beitragszahlung gleichzustellen. Dadurch sind
die Beträge in diesem Jahr höher geworden und werden
auch in den nächsten Jahren noch steigen. Dafür sind
zum Beispiel Einnahmen aus dem Ökosteueraufkommen
vorgesehen.
Peter Weiß ({0})
Was Sie hinsichtlich der Rentenanpassung der Jahre
1979, 1980 und 1981 gesagt haben, kann ich Ihnen nicht
bestätigen.
({1})
Zusatzfrage
des Kollegen Singhammer.
Herr Staatssekretär, ich formuliere betont einfach und verzichte auf
die Angabe genauer Zahlen in Ihrer Antwort. Der Bundeskanzler hat am 17. Februar 1999 in Vilshofen ausgeführt: Ich stehe dafür, daß die Renten in Zukunft
so steigen wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer.
126 Tage später hat der Bundeskanzler in einem Interview ausgeführt: Wir haben die Nettolohnformel für die
nächsten zwei Jahre nur ausgesetzt. Meine Frage: Was
war der Grund für diesen doch überraschenden Meinungsumschwung innerhalb der Bundesregierung?
({0})
Könnten Sie sich vorstellen, daß viele Rentnerinnen und
Rentner dies als eine Lüge empfinden, bei der sich die
Balken biegen?
({1})
Herr Singhammer,
ich kann Ihnen zunächst einmal die Aussage des Bundeskanzlers bestätigen. Sie wissen - das habe ich hier
schon mehrfach dargestellt -, daß wir im Rahmen der
Diskussionen um den Haushalt und des Versuchs, schon
im nächsten Haushaltsjahr das Defizit um 30 Milliarden
DM zu senken, für das nächste und übernächste Jahr eine andere Form der Rentenanpassung wählen. Danach
wird die nettolohnbezogene Rentenanpassung wieder in
Kraft gesetzt.
Zusatzfrage
des Kollegen Bierling.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Frage meines Kollegen Peter Weiß
zwar weitschweifig, aber dennoch ziemlich unklar beantwortet. Deswegen möchte ich die Frage sinngemäß
kurz und präzise wiederholen.
Sie haben die Absenkung des Rentenversicherungsbeitrages um 0,8 Prozentpunkte, die die Bundesregierung vorgenommen hat, gepriesen. Wären Sie bereit, mir
und den Rentnern zu bestätigen, daß die Rentner an
der Absenkung des Rentenversicherungsbeitrages um
0,8 Prozentpunkte auf Grund der Finanzierung über die
Ökosteuer zwar beteiligt sind, aber von der Absenkung
nichts haben?
Der Sachverhalt ist
viel komplizierter.
({0})
- Wenn Sie komplizierte Fragen stellen, dann müssen
Sie auch hinnehmen, daß es komplizierte Antworten
gibt.
Ich habe eben schon einmal gesagt, daß die Einnahmen aus der Ökosteuer zum Teil für Leistungen in der
gesetzlichen Rentenversicherung genutzt worden sind.
Darin ist die Finanzierung der Lasten enthalten, die sich
aus der Übertragung unseres Rentensystems auf die
neuen Bundesländer ergeben haben. Auch diese Lasten
- einschließlich der Kindererziehungszeiten - werden
über die Ökosteuer als Bundesaufgabe gegenfinanziert,
wie das immer unsere Auffassung war.
Ein anderer Teil der Einnahmen aus der Ökosteuer
wird dazu benutzt, die Beiträge abzusenken. Angesichts
der Diskussionen, die wir in den vergangenen Jahren
gehabt haben, glaube ich, daß die Rentnerinnen und
Rentner auch ein Interesse daran haben müssen - Sie
haben gesagt, die Rentner hätten nichts von dieser
Regelung -, daß das Rentenversicherungssystem mit
vernünftigen, kalkulierbaren und akzeptablen Beiträgen
aufrechterhalten werden kann. Auch daran müssen
Rentnerinnen und Rentner ein Interesse haben. Insofern
haben sie etwas von dieser Regelung.
Ich rufe jetzt
die Dringliche Frage 3 des Abgeordneten Andreas Storm
auf:
Wo wurden die Ergebnisse der revidierten Nettolohnstatistik bisher veröffentlicht?
Herr Kollege
Storm, die revidierte Nettolohnstatistik wurde vom Statistischen Bundesamt noch nicht amtlich veröffentlicht.
Sie liegt auf Arbeitsebene vor und ist - wie in früheren
Jahren - von diesem Zeitpunkt an bei den Berechnungen
berücksichtigt worden.
Das Statistische Bundesamt beabsichtigt, im März
2000 die amtlichen Zahlen zu den Nettolöhnen für die
Jahre 1998 und 1999 in der Zeitschrift „Wirtschaft und
Statistik“ zu veröffentlichen. Im September 1999 wird
zur Methodik und zu relevanten Änderungen eine Veröffentlichung erfolgen.
Zusatzfrage? Bitte.
Herr Staatssekretär,
Es ist eine Umstellung der Statistik mit massiven Veränderungen erfolgt, die Sie unter anderem im Kindergeldbereich auf die Größenordnung von 2,5 Prozentpunkten beim Rentenniveau angesetzt haben. Sie haben
hier erklärt, daß diese Statistik bisher noch nicht veröfParl. Staatssekretär Gerd Andres
fentlicht worden ist. Das heißt, Dritten außerhalb des
Bundesarbeitsministeriums und der Rentenversicherungsträger sind diese Zahlen nicht zugänglich. Solange
Sie Ihre Fakten nicht auf den Tisch legen, hat die Opposition in diesem Hause bis zum März 2000 keinen Zugang zu diesen Daten.
Ich habe Ihnen
gerade in meiner Antwort dargelegt, daß die Daten auf
Arbeitsebene vorliegen und daß mit diesen Zahlen gearbeitet wird, so wie es in den früheren Jahren ebenfalls
der Fall war. Ich habe Ihnen die Veröffentlichungsgrundlagen und die Auswirkungen im Rahmen meiner
Antwort auf die von Frau Schnieber-Jastram zuerst gestellte Frage genannt.
Herr Staatssekretär,
Sie haben damit bestätigt, daß sämtliche Daten, mit denen Sie bisher rechnen, Dritten nicht zugänglich sind.
Beabsichtigen Sie, die Daten, auf deren Basis Sie Ihre
Berechnungen angestellt haben, der Opposition zur Verfügung zu stellen?
Ich will Sie noch
einmal darauf hinweisen, daß das, was Sie sagen, nicht
stimmt. Ich habe das auch nicht bestätigt, sondern Ihnen
dargelegt, daß diese Daten auf Arbeitsebene vorliegen
und daß inzwischen auch die Rentenversicherungsträger
und andere damit arbeiten. Von daher stimmt Ihre Annahme nicht.
Jetzt muß ich
den Abgeordneten Strobl fragen - ich habe Sie eben mit
dem Kollegen Singhammer verwechselt, weil Sie nebeneinander saßen; deswegen sind Sie nicht auf meiner
Liste gelandet -: Paßt Ihre Frage auch zu dieser Frage,
oder paßt sie eher zu der nächsten?
({0})
Ich weise darauf hin, daß wir den Rahmen mit den Fragen schon lange gesprengt haben.
Bitte.
Frau Präsidentin, ich
weiß nicht, ob die Frage dem Herrn Staatssekretär paßt,
aber sie paßt jedenfalls in den Zusammenhang.
({0})
Eine Begründung des Bundesministeriums für Arbeit
für die von der Bundesregierung geplanten Rentenkürzungen war, die Umsetzung des Familienurteils des
Bundesverfassungsgerichts würde zu erheblich steigenden Kindergeldzahlungen und damit zu erheblich steigenden Rentenzahlungen führen. Nun hat sich aber herausgestellt, daß das Kindergeld nach der neuen Berechnungsmethode überhaupt nicht mehr im Nettolohn enthalten ist.
({1})
Damit ist die erste Begründung, die das Bundesministerium für Arbeit für die Rentenkürzungen gegeben hat,
hinfällig. Jetzt ist meine Frage, ob Sie diesen Zusammenhang am Anfang fahrlässigerweise nicht gesehen
haben oder ob das Bundesministerium für Arbeit mit
Absicht eine falsche Begründung gegeben hat.
Ich muß jetzt
einmal der Redlichkeit halber sagen, daß diese Nachfrage eigentlich weder zur vorigen noch zur jetzigen Frage
gehört.
({0})
- Nein. Sie müssen jetzt auch ein bißchen fair sein. Der
Herr Staatssekretär beantwortet jetzt seit anderthalb
Stunden Fragen und Nachfragen, die immer zu der entsprechenden Frage gehören.
({1})
- Ich will ihm das ja freistellen, ob er darauf antwortet.
Aber ich habe Sie vorhin gefragt, ob Ihre Nachfrage zu
dieser Frage gehört, und zu dieser Frage paßt sie nun tatsächlich nicht.
({2})
Aber vielleicht beantworten Sie die Frage ja trotzdem.
Ich will noch einmal darauf hinweisen, wie die Frage des Abgeordneten
Storm lautete: „Wo wurden die Ergebnisse der revidierten Nettolohnstatistik bisher veröffentlicht?“ Aber ich
bin gerne bereit, auf Ihre Frage einzugehen; denn ich
habe den Eindruck - obwohl ich das schon zehnmal getan habe; ich mache das auch noch ein elftes Mal -, daß
man das erklären muß.
Es ist so, daß die Kindergeldzahlungen auf Grund
statistischer Grundlagen, EU-Bestimmungen und ähnlichem, nicht mehr in den Nettolohn einberechnet, sondern brutto gestellt werden. Es war, wenn Sie sich erinnern, bis zum vergangenen Jahr so, daß Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Kindergeld bekamen,
dieses vom Arbeitgeber ausgezahlt wurde, also sie das
sozusagen jeden Monat netto bekommen haben. Erstens
haben wir das geändert, und zweitens wird diese konkrete Zahlung nun nicht mehr in die Jahresnettosumme
einbezogen. Das ist das eine Problem.
Das andere Problem ist: Wenn wir beispielsweise dazu übergehen, Kinderfreibeträge zu ändern, hat das mit
dem Kindergeld erst einmal überhaupt nichts zu tun.
Wenn Sie aber Kinderfreibeträge ändern, verändern sich
auch bestimmte andere Dinge. Also müssen Sie schauen,
welche Kriterien in welchem Zusammenhang in die
Nettolohnsumme eingerechnet werden oder wie sich bestimmte steuerliche Veränderungen im Nettobereich
auswirken.
Das heißt, die Veränderungen beim Kindergeld sind
kein Willkürakt von uns. Ich habe ganz zu Anfang der
Fragestunde die rechtliche Grundlage vorgelesen; ich
kann sie auch noch einmal vorlesen. Sie ist mit dem
Rentenreformgesetz 1999 verabschiedet worden. Darin
steht genau, auf welcher Grundlage man was zu tun hat.
Die Bundesregierung hält sich schlicht an Recht und
Gesetz, das bei uns gilt.
({0})
Ich rufe jetzt
die Dringliche Frage 4 des Abgeordneten Andreas Storm
auf:
Um wie viele Prozentpunkte sinkt das Nettorentenniveau durch die von der Bundesregierung
geplanten Sparmaßnahmen im Vergleich zum
Basisjahr 1998 - bis zum Jahr 2002 - bis zum
Jahr 2030?
({0})
Herr Kollege
Storm, durch die von der Bundesregierung geplanten
Maßnahmen wird das Nettorentenniveau mittel- und
langfristig um rund 3 Prozentpunkte gesenkt, und zwar
von rund 70 Prozent auf bleibend rund 67 Prozent. Im
Jahre 2030 liegt das Rentenniveau bei 67,3 Prozent.
Lediglich im Jahre 2002 ergibt sich auf Grund der Anhebung der Nettolöhne durch die dritte Stufe der Steuerreform ein Niveau von 66,3 Prozent. Auf Grund der höheren Rentenanpassung im Folgejahr, im Jahre 2003,
steigt das Nettorentenniveau jedoch wieder auf über
67 Prozent.
Nach dem Rentenreformgesetz 1999 der früheren
Bundesregierung dagegen wäre das Rentenniveau langfristig um 5 Prozentpunkte abgesunken. Da durch die
revidierte Nettolohnstatistik das rechnerische Ausgangsrentenniveau um etwa 1 Prozent angehoben wird - ich
habe vorhin erläutert, warum das so ist -, wäre, eine entsprechende Verlängerung der Lebenserwartung vorausgesetzt, nach dem Rentenreformgesetz 1999 auch eine
Absenkung des Rentenniveaus um mehr als 5 Prozentpunkte möglich gewesen, da die sogenannte Sicherungsklausel mit einer Untergrenze von 64 Prozent von einer
Statistikrevision gesetzlich unberührt bleibt.
Ein statistisch erhöhtes Ausgangsniveau könnte so zu
einer stärkeren Absenkung führen, als die frühere Bundesregierung noch 1997 angenommen hat, nämlich um bis zu
6 Prozentpunkte. Damit wäre die Niveauabsenkung doppelt so hoch ausgefallen wie jetzt von uns geplant. Die
Wirkung von Maßnahmen ist am Rentenniveau des Jahres
vor Einsetzung dieser Maßnahmen zu messen, das heißt
am Rentenniveau 1999. Der Rückgang des Rentenniveaus
von 1998 auf 1999 hat nun wirklich nichts mit den geplanten Maßnahmen der Bundesregierung zu tun, die im
Jahre 2000 ihre erste Wirkung haben.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege Storm, bitte.
Herr Staatssekretär,
meine Frage zielte weder auf einen Vergleich mit der
Blüm-Reform noch auf andere Dinge, sondern auf einen
Vergleich des Rentenniveaus der Jahre 2002 und 2030
mit dem Rentenniveau des Jahres 1998. Ist die Bundesregierung nicht in der Lage, das Rentenniveau des Jahres
1998 anzugeben?
Sie haben nach
einem Vergleich vom Basisjahr 1998 bis zum Jahr 2002
und 2030 gefragt. Beide Größenordnungen, die für das
Jahr 2002 und die für das Jahr 2030, habe ich Ihnen genannt.
Das Nettorentenniveau des Jahres 1998 hat eben
schon mehrfach eine Rolle gespielt. Herr Kollege, das
war nicht Gegenstand Ihrer Frage.
({0})
Zweite Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Herr Staatssekretär,
ich habe Sie nach der Veränderung zum Basisjahr 1998
gefragt. Stimmen Sie mir zu, daß das Nettorentenniveau
im Jahre 1998 auf der Basis der geänderten Statistik bei
71,7 Prozent liegt, die Effekte der Absenkung des Rentenniveaus damit erheblich stärker sind und Ihre Verweigerung der Antwort auf meine Frage nach dem Jahr
1998 nur einen Zweck hat, nämlich die Wirkungen Ihrer
Maßnahmen zu verharmlosen?
({0})
Herr Storm, ich
stimme Ihnen ausdrücklich nicht zu. Ich wiederhole Ihre
Frage, die Sie schriftlich gestellt haben.
({0})
Sie haben gefragt:
Um wie viele Prozentpunkte sinkt das Nettorentenniveau durch die von der Bundesregierung geplanten Sparmaßnahmen im Vergleich zum Basisjahr
1998 - bis zum Jahr 2002 - bis zum Jahr 2030?
Beides ist exakt beantwortet worden.
({1})
Deswegen teile ich Ihre Auffassung nicht.
({2})
Jetzt hat Frau Dr.
Schwaetzer zu einer weiteren Zusatzfrage das Wort. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich versuche es noch einmal: Es war vom Jahre
2002 die Rede. Schon in meiner ersten Frage habe ich
Sie danach gefragt - Sie haben mir keine Antwort gegeben -, ob es richtig ist, daß im Jahre 2002 das Nettorentenniveau niedriger ist als das, das gelten würde, wenn
die veränderte Nettorentenanpassungsformel inklusive
des demographischen Faktors der früheren Regierung in
Kraft geblieben wäre?
({0})
Das ist eine Frage, die man mit Ja oder Nein beantworten kann.
Frau Kollegin, die
Antwort wird jetzt der Herr Staatssekretär geben. - Bitte
sehr.
Frau Schwaetzer,
ich habe eben dargelegt, daß das Niveau im Jahre 2002
bei 66,3 Prozent liegen wird.
({0})
Ich habe den Herrn
Staatssekretär so verstanden, daß das die Antwort war.
({0})
- Sicher.
Als nächster hat der Herr Kollege Grehn das Wort zu
einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, jenseits
aller Statistiken, jenseits der 53 Prozent und der 80 Prozent, möchte ich Sie fragen: Stimmen Sie mit mir überein, daß für die mehr als 1,5 Millionen Langzeitarbeitslosen - die Sozialhilfeempfänger nicht eingerechnet -,
die schon heute einem erheblichen Armutsrisiko unterliegen, das Armutsrisiko im Alter nach Ihrer gegenwärtigen Vorstellung erheblich ansteigen wird?
Nein.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist Frage 4 beantwortet.
({0})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege Hörster.
({1})
Frau Präsidentin!
Nachdem es nun in immerhin eineinhalb Stunden nicht
gelungen ist, dem Herrn Staatssekretär klare Antworten
auf unsere Fragen zu entlocken und damit Klarheit über
die künftige Entwicklung des Rentensystems zu schaffen, möglicherweise auch über einen Wortbruch gegenüber den Rentnern, beantrage ich namens meiner Fraktion im Anschluß an die Fragestunde eine Aktuelle
Stunde zu diesem Thema.
({0})
Vielen Dank, Herr
Hörster.
Die Fraktion der CDU/CSU hat, wie Sie gehört haben, zur Antwort der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen zur Entwicklung des Nettorentenniveaus
auf Drucksache 14/1298 eine Aktuelle Stunde verlangt.
Das entspricht Nr. 1b unserer Richtlinien für die Aktuelle Stunde.
Für die, die sich darauf vorbereiten müssen: Die Aktuelle Stunde findet im Anschluß an die Fragestunde
statt, also in 20 Minuten und 29 Sekunden.
({0})
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen 1 und 2 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Michael Naumann
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Norbert Hauser ({1}) auf:
Mit welchem Ergebnis wurden die Verhandlungen zwischen
der Bundesregierung und der Bundesstadt Bonn zum sog. BonnVertrag abgeschlossen, deren Ende der Staatsminister Dr. Michael Naumann in der Fragestunde vom 3. März 1999 für Juni
1999 angekündigt hat?
Herr Staatsminister, bitte sehr.
Herr Abgeordneter, die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der Bundesstadt Bonn
zur Bonn-Vereinbarung 2000 sind noch nicht abgeschlossen. Wie Sie sicher schon wissen, wurde aber vorsorglich in den Finanzplan für das Jahr 2000 für kulturelle Angelegenheiten der Bundesstadt ein Betrag von
65 Millionen DM eingestellt.
Zusatzfrage, Herr
Kollege Hauser? - Bitte sehr.
Herr Staatsminister, können Sie einen Zeitraum angeben, in dem
Sie mit dem Abschluß der Verhandlungen rechnen?
Die Verhandlungen sind de facto abgeschlossen. Es gibt indes noch Gespräche mit dem Kulturreferenten und der Frau Oberbürgermeisterin über
Einzelheiten. Ich hoffe, daß diese Gespräche in den
nächsten Tagen oder Wochen zu einem Abschluß kommen werden.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, da die Verhandlungen im Prinzip abgeschlossen sind, obwohl sie noch nicht abgeschlossen sind: Ist
es Ihnen möglich, die Kürzung der Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland an die Bundesstadt Bonn in
den nächsten Jahren zu bestätigen, die die Oberbürgermeisterin genannt hat: 47 Millionen DM im Jahr 2000,
um 57 Millionen DM im Jahr 2001, etwa 67 Millionen DM im Jahr 2002 und 92 Millionen im Jahr 2003?
Herr Abgeordneter Hauser, wie Sie wissen,
schätze ich die Bonner Oberbürgermeisterin sehr. Ich
hänge buchstäblich an ihren Lippen und höre dem, was
sie sagt, genau zu. Ich weiß nicht, ob auch Sie ihr so genau zuhören.
Diese Zahlen betreffen zweifellos andere Zuwendungen. Es sind auf keinen Fall die Zahlen, die für die kulturellen Zuwendungen der Stadt Bonn aus der Bundeskasse gelten. Diese Angaben über die Kürzungen übertreffen das, was jemals vorgesehen war. Mit anderen
Worten: Die Zahlen, die Sie eben vorgetragen haben,
stimmen mit denen, die mir für mein Ressort geläufig
sind, nicht überein.
Damit ist die Frage
beantwortet. Ich danke dem Herrn Staatsminister für die
Beantwortung der Fragen.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes - das waren die Fragen 4 und 5 - werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren auf; das sind die Fragen 6 und 7.
Auch sie werden schriftlich beantwortet.
Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf.
({0})
Zur Beantwortung der Fragen ist eigentlich der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf anwesend.
Aber ich höre gerade, daß die Fragen zu diesem Geschäftsbereich - das sind die Fragen 8 und 9 des Kollegen Peter Ramsauer - schriftlich beantwortet werden
sollen. Damit sind auch diese Fragen erledigt.
Wir kommen somit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Hier steht zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Thalheim zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Ulrich Heinrich
auf:
Zu welchen Preisen können nach Kenntnis der Bundesregierung die Landwirte in den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union ihre Traktoren mit Kraftstoffen betanken, und in welchen
Mitgliedstaaten ist das Betanken der Traktoren mit Heizölen erlaubt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Verehrter Herr
Kollege Heinrich, für Dieselkraftstoffe in der Gemeinschaft wurden nach Angaben des Agrarberichts 1999 der
Bundesregierung - niedergelegt im Materialband auf
Seite 78 - im ersten Halbjahr 1998 in den EU-Mitgliedstaaten folgende Nettoverkaufspreise ermittelt: Belgien
0,33 DM pro Liter, Luxemburg 0,34 DM pro Liter, Dänemark 0,43 DM pro Liter, Finnland ebenfalls 0,43 DM
pro Liter, Vereinigtes Königreich 0,45 DM pro Liter,
Spanien 0,49 DM, Niederlande 0,49 DM, Deutschland
0,58 DM, Portugal 0,63 DM, Frankreich 0,64 DM, Italien 0,69 DM, Griechenland 0,98 DM, Schweden
0,98 DM und Österreich 1,05 DM pro Liter.
Das Betanken der Traktoren mit Heizöl ist nach
Kenntnis der Bundesregierung nur in Frankreich - mit
roter Einfärbung - erlaubt.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege? - Bitte sehr.
Ihre Antwort auf die Frage, wo Heizöl getankt werden kann, ist bemerkenswert.
Heizöl hat ja bekanntlich einen wesentlich niedrigeren
Preis, als das in Ihrer Antwort für Frankreich mit einem
Preis um die 60 Pfennig - wenn ich das gerade in der
Eile richtig verstanden habe - zum Ausdruck kam. Worauf führen Sie hier die Differenz zurück?
Aus der Zahlenreihe, die ich vorgetragen habe,
wird deutlich, daß in den einzelnen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union hinsichtlich der Verbilligung des
Dieselkraftstoffs für die Landwirtschaft sehr unterschiedliche Regelungen gelten. In Deutschland gibt es
eine Rückerstattung; in anderen Ländern gibt es einen
verminderten Mineralölsteuersatz. Die Ausnahme ist
eben Frankreich, wo Heizöl verwendet werden kann. Sie
sehen also, daß es sehr unterschiedliche Regelungen
gibt, die in der Konsequenz zu sehr unterschiedlichen
Preisen für die Landwirtschaft - wie ich das auch in der
Antwort dargelegt habe - führen.
Zweite Zusatzfrage,
Herr Kollege? - Bitte.
Heizöl hat aber einen geringeren Preis als den, den Sie für Frankreich genannt
haben. Worauf - das war meine Frage - führen Sie den
Unterschied zurück?
Ich kann mich nur auf die statistischen Angaben
beziehen. Sie besagen, daß der Preis in Frankreich
0,64 DM pro Liter beträgt. Dieser Wert ist bezogen auf
den Heizölpreis in Frankreich.
Nun rufe ich die
Frage 11 des Kollegen Ulrich Heinrich auf.
Welche Wettbewerbsnachteile entstehen durch die Streichung der Gasölbeihilfe und die Erhöhung der Mineralölsteuer
von 24 Pfennig pro Liter für die landwirtschaftlichen Betriebe in
den verschiedenen Betriebszweigen, und wie verträgt sich dies
mit der in der Koalitionsvereinbarung festgeschriebenen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Landwirte?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Kollege Heinrich, richtig ist, daß bei Wegfall
der Gasölverbilligung und bei der beabsichtigten Mineralölsteuererhöhung die Anforderungen der deutschen
Landwirte für Dieselkraftstoff deutlich ansteigen. Die
Wettbewerbsnachteile können jedoch nicht quantifiziert
werden, da die Entwicklung bei der Mineralölsteuer in
den anderen Mitgliedstaaten nicht vorhergesagt werden
kann. Die Bundesregierung wird die Situation jedoch
sorgfältig beobachten.
Hinsichtlich der Wirkungen ist jedoch zu beachten,
daß dadurch deutliche Anreize für die Einsparung von
Energieträgern durch technische Verbesserungen gegeben sind. Die Bundesregierung geht davon aus, daß
Landmaschinenhersteller und Landwirtschaft diese
Möglichkeiten nutzen werden.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie den Wettbewerbsnachteil, den die deutsche
Landwirtschaft auf Grund der bestehenden Situation hat,
bestätigen und quantifizieren?
Die Unterschiede in der Wettbewerbssituation der
Landwirtschaft der einzelnen Mitgliedstaaten liegen
nicht nur in der Höhe der Mineralölsteuer - bzw. der
Höhe der Rückgewährung, wie das in Deutschland
üblich ist - begründet. Vielmehr sind eine ganze Reihe
weiterer Punkte zu berücksichtigen, so zum Beispiel die
Strukturproblematik: Wie groß sind die Betriebe? Wie
hoch ist der Pachtanteil?
So müssen wir feststellen, daß sich die Ausgaben für
die Pacht innerhalb der Betriebe der Europäischen
Union erheblich unterscheiden. In einigen Ländern liegt
der Anteil deutlich über dem deutschen, in anderen darunter. Insofern ist es nicht möglich, die Wettbewerbssituation der deutschen Landwirtschaft allein an der Höhe der Ausgaben für die Gasölbeihilfe festzumachen.
Haben Sie noch eine
weitere Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß zusammen mit der Einführung
der Ökosteuer insgesamt 30 Pfennig pro Liter zusätzlich zusammenkommen, so daß - unter Berücksichtigung des ohnehin höheren Preises, den die deutsche
Landwirtschaft schon heute zu tragen hat - der Unterschied zu anderen Mitgliedsländern insgesamt mehr als
50 Pfennig pro Liter zu Lasten der deutschen Landwirtschaft beträgt?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten: Ich habe in der Antwort auf die Frage deutlich
gemacht, daß die Konsequenz der Entscheidungen aus
dem Sparpaket ist, daß auf die deutsche Landwirtschaft
durch den Wegfall der Gasölbeihilfe bis zum Jahr 2002
zusätzliche Belastungen zukommen. Allerdings gehen
wir davon aus, daß es auch Anpassungsreaktionen geben wird, zum Beispiel Einsparungen im Energiebereich.
Darüber hinaus muß man deutlich darauf hinweisen,
daß bei der Entscheidung zu Einsparungen die Belastungen der Landwirtschaft nicht verkannt wurden. Vielmehr
geht sie auf die Haushaltssituation in Deutschland und
die Belastung des Bundes mit Schulden zurück, die sich
auf 1,5 Billionen DM belaufen. Deshalb mußten wir
Einsparungen im Bundeshaushalt vornehmen, zu denen
die Landwirtschaft natürlich beitragen muß. Wir sahen
keine andere Möglichkeit, einen verfassungsgerechten
Haushalt vorzulegen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist
Ihnen bekannt, welche Auswirkungen das für die neuen
Bundesländer haben wird? Es gibt dort viele kleine
landwirtschaftliche Einrichtungen, die dringend auf diese Beihilfen angewiesen sind. Wenn wir Arbeitsplätze
schaffen wollen, dann frage ich mich, wie diese Betriebe
mit derartigen Belastungen klarkommen sollen. Wir
können meines Erachtens nicht nur den Haushalt sehen.
Wenn wir Arbeitsplätze brauchen, müssen auch wir die
Gesamtwirtschaft im Blick haben.
({0})
Verehrte Kollegin, meine Kenntnisse gehen eher
dahin, daß die Landwirtschaft in Ostdeutschland von
Großbetrieben dominiert wird. Durch das erfolgreiche
Wirken von Bundesminister Funke konnte bei den Verhandlungen zur Agenda 2000 erreicht werden, daß diese
Betriebe von der konzipierten Degression der Ausgleichszahlungen ausgenommen wurden. Dadurch entsteht diesen Betrieben ein Vorteil in erheblicher Größenordnung, so daß sie die Konsequenzen aus der Absenkung bzw. dem Wegfall der Gasölbeihilfe - selbst
nach Aussagen der Betriebe - verschmerzen können.
Herr Kollege, eine
weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr
Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Fragen
meines Kollegen Heinrich deutlich gemacht, daß der
Sparbeitrag der deutschen Landwirte etwa 1,5 Milliarden DM betragen wird und somit im Vergleich zu anderen Berufsgruppen ausgesprochen hoch ausfällt. Können
Sie angesichts dessen Zahlenangaben des Deutschen
Bauernverbandes bestätigen, wonach ein 50-HektarBetrieb auf Grund dieser Sparbeschlüsse mit etwa 7 000
DM jährlich zusätzlich belastet wird?
Diese Aussagen kann ich nicht bestätigen, weil in
den Projektionen des Deutschen Bauernverbands, was
die Auswirkungen der Beschlüsse der Agenda 2000
bzw. die Auswirkungen der Steuerreform anbelangt,
immer der ungünstigste Fall angenommen wurde. Das
ist grundsätzlich nicht anzunehmen. Die Erfahrungen
der Reform von 1992 im Getreidebereich, die auf europäischer Ebene damals bekanntermaßen von Ignaz
Kiechle durchgesetzt wurde, haben zum Beispiel gezeigt, daß die Getreidepreise sehr schnell über dem
Niveau der Getreidepreise innerhalb der Europäischen
Union gelegen haben. Es ist nicht auszuschließen, daß
eine ähnliche Entwicklung in der Zukunft eintreten wird.
Das heißt, die Projektionen, die immer den ungünstigsten Fall annehmen, sind in der Sache falsch. Außerdem muß man davon ausgehen, daß es auf seiten der
Landwirtschaft Anpassungsreaktionen geben wird. Das
heißt, der Wegfall der Gasölbeihilfe wird, obwohl das
schwierig ist - das gebe ich zu -, auch zu Einsparreaktionen bei der Landwirtschaft durch einen effizienteren
Maschineneinsatz und somit Einsparungen von Energie
führen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet.
Ich danke Herrn Staatssekretär Dr. Thalheim.
Wir kommen zum Bereich des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Frage 12
wird schriftlich beantwortet.
Aus dem Bereich des Bundesministeriums für Gesundheit wird die Frage 13 schriftlich beantwortet.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Pick
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Dr. Rainer Jork
auf:
Inwieweit kann die Bundesregierung ausschließen, daß es
durch die geplante Erhöhung von Patentgebühren zu einer Beeinträchtigung der technologischen und innovativen Leistungsfähigkeit Deutschlands und zu einer Vernichtung von Arbeitsplätzen, insbesondere in den neuen Ländern mit vielen kleinen
oder gerade in Gründung befindlichen Unternehmen, kommt?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Jork, die Gebühren beim Deutschen Patent- und Markenamt sollen
zum 1. Januar 2000 erhöht werden, weil das Amt bisher
nicht kostendeckend arbeitet. Bekanntlich wurden die
Patentgebühren seit 1976 nicht mehr erhöht. Überdies ist
es in den vergangenen Jahren leider versäumt worden,
das Deutsche Patent- und Markenamt zu modernisieren
und so auszustatten, wie es die technische und innovative Leistungsfähigkeit unseres Landes verlangt.
Die Bundesregierung setzt hier die notwendigen
Schwerpunkte und holt das Versäumte unter anderem
durch Schaffung neuer Prüferstellen nach. Im übrigen
wird die Gebührenerhöhung gerade mit Rücksicht auf
die forschenden Kreise in der Wirtschaft und namentlich
die kleinen und mittleren Unternehmen moderat bemessen sein.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß vor allem
in den neuen Bundesländern Innovationen die einzige
Chance sind, neue Produktionen aufzubauen? Ist ihr ferner bekannt, daß zum Beispiel die finanzielle Basis für
die Patentanmeldung von den nicht mehr vorhandenen
Industrieforschungseinrichtungen bzw. deren früheren
Mitarbeitern schwerlich aufzubringen ist und durch diese Erschwerung dem Ziel, Arbeit in den neuen Bundesländern zu schaffen, entgegengewirkt wird? Läßt man
hier die notwendige Hilfe angedeihen?
Herr Kollege Dr. Jork, die Gebührenanhebung ist mit durchschnittlich 15 Prozent so
bemessen, daß sie auch für kleine und mittlere Unternehmen - darauf habe ich hingewiesen - tragbar sein
wird. Die Eingangsgebühr beträgt 100 DM. Hier nehmen wir überhaupt keine Erhöhung vor, weil wir in der
Tat um die Verhältnisse der kleinen und mittleren Unternehmen nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in
den alten Bundesländern wissen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege? Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß wir auch bei den alten Gebühren überparteilich das Ziel angestrebt hatten, Gebührenermäßigungen und Zahlungserleichterungen für die
genannten Partner in den neuen Bundesländern umzusetzen? Wenn die Anmeldung mehrere Länder betrifft,
dann sind die Gebühren so hoch, daß sie schwerlich bezahlbar sind. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
daß aus meiner Sicht und aus Sicht der Ingenieure in
diesem Bereich, vor allem in den neuen Bundesländern,
Handlungsbedarf besteht.
Herr Kollege Dr. Jork, die Gebühren, die das Bundespatent- und Markenamt verlangt,
sind moderat bemessen; ich habe das eben dargestellt.
Wir dürfen diese Gebühren nicht mit den Gebühren
verwechseln, die entstehen, wenn es um eine europaweite Anmeldung geht. Dafür ist das Europäische Patentamt zuständig. Hier sind die Gebühren in der Tat
sehr viel höher. Es gibt im Moment Bestrebungen, die
Gebühren des Europäischen Patentamtes herabzusetzen.
Sie sind aber trotz aller Bemühungen, die zum Teil
schon verwirklicht worden sind, noch immer um ein
Mehrfaches höher als die des Deutschen Patent- und
Markenamts.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Margot von Renesse. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, da
Ihre Bemerkung zu dem Fehlen der Prüfer etwas untergegangen ist, erlauben Sie mir dazu eine Nachfrage: Wie
beurteilt die Bundesregierung im Verhältnis zu der Frage der Höhe der Gebühren das Fehlen der Prüfer für den
Patent- und Innovationsschub?
Frau Kollegin von Renesse, die
Bundesregierung hat bei ihrem Amtsantritt feststellen
müssen, daß es beim Deutschen Patent- und Markenamt
erhebliche Rückstände gab. Diese Rückstände sind zum
Teil abgebaut worden; sie machen uns aber noch immer
Sorge. Es ist in den letzten Jahren ein erheblicher Abbau
von Stellen gerade im Prüferbereich erfolgt. Wir bemühen uns zur Zeit, die Zahl der Prüferstellen zu erhöhen.
Die vorgesehenen Erhöhungen um 76 Stellen durch die
Bundesregierung - ich bitte das Parlament sehr herzlich
um Unterstützung - würden einen großen Beitrag leisten
und uns helfen, vor allen Dingen mittelstandsfreundlich
zu arbeiten und einen besseren und schnelleren Service
zu bieten.
Damit sind wir am
Ende der Fragestunde. Die übrigen Fragen werden
schriftlich beantwortet.
({0})
- Nein, ich habe keine zweite Frage aufgerufen, weil die
Fragestunde zu Ende ist.
({1})
Ich bitte um Nachsicht, daß ich das so streng handhabe.
Es ist mit den beiden Schriftführern abgestimmt: Wir
hatten zwei Stunden; diese sind nun vorüber.
Damit kommen wir zur Aktuellen Stunde:
Entwicklung des Nettorentenniveaus - Drucksache
14/1298.
({2})
- Herr Hörster, ich lasse mich jetzt mit Ihnen auf eine
Debatte ein, damit wir Zeit gewinnen. Frau Staatssekretärin Mascher nimmt Platz, damit die Bundesregierung
durch das Ressort vertreten ist.
Ich eröffne die Aussprache.
Als erster hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege
Andreas Storm das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! In den letzten zehn Tagen
konnten wir erleben, daß der Bundesarbeitsminister im
Hinblick auf die Auswirkungen seiner geplanten Rentenreform den Deutschen Bundestag und die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt hat.
({0})
Der Eiertanz, den der Kollege Andres vorhin hier aufgeführt hat, hat alle Chancen, als Wackeltango in die deutsche Sozialgeschichte einzugehen.
Fakt ist: Erstens. Auf der Basis der vom Verband der
Deutschen Rentenversicherungsträger am Montag vorgelegten Ergebnisse ergibt sich, daß die veränderte statistische Erfassung des Kindergelds das Rentenniveau um
nahezu 2,5 Prozentpunkte höher ausweist als nach der
bisherigen Vorgehensweise.
So ist die Aussage des Bundesarbeitsministers, daß
das Rentenniveau auf der Basis der neuen Berechnungen
im Jahr 2002 auf 66,4 Prozent sinkt und langfristig bei
rund 67 Prozent liegt, zwar formal korrekt. Rechnet man
- nur so sind die Zahlen wirklich vergleichbar - wie
bisher das Kindergeld für die Durchschnittslöhne hinzu,
dann sinkt allerdings das Rentenniveau im Jahr 2002 auf
unter 64 Prozent und pendelt sich bis zum Jahr 2030 bei
knapp unter 65 Prozent ein. Das bedeutet also, daß die
faktische Senkung des Rentenniveaus erheblich höher
ist, als es der Bundesarbeitsminister bisher eingestanden
hat.
Zweitens, meine Damen und Herren. Warum ist diese
Frage für uns überhaupt relevant? Das hängt damit zusammen, daß der Bundesarbeitsminister gemeinsam mit
dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger derzeit ein Datenmonopol in der Frage der Nettolohnstatistik hat; denn der Staatssekretär hat vorhin selbst einge4248
räumt, daß das Statistische Bundesamt die relevanten
Daten bisher noch nicht veröffentlicht hat, der Arbeitsminister aber über Arbeitsergebnisse verfügt, die er
verwendet hat. Das heißt, die einzig zugängliche Datenquelle sind die Angaben des Bundesarbeitsministers und
seit vorgestern eben auch die Angaben der Rentenversicherungsträger. Es wäre die Pflicht des Bundesarbeitsministers gewesen, darauf hinzuweisen, daß die für die
Einschätzung der Auswirkungen seiner rentenpolitischen Sparmaßnahmen so wichtige Größe Rentenniveau
nach seinen neuen Berechnungen um 2,5 Prozentpunkte
allein auf Grund von statistischen Effekten höher ausgewiesen wird, als es bisher der Fall war.
({1})
Meine Damen und Herren, dieser Informationsverpflichtung ist der Bundesarbeitsminister offensichtlich
bewußt nicht nachgekommen. Auf die Forderung der
Union vom Wochenende, der Arbeitsminister solle nun
alle relevanten Daten auf den Tisch legen, hat er vorgestern deutlich gemacht, daß er bis zur Vorlage des Rentenversicherungsberichts im Herbst keinerlei Angaben
mehr zur Beitragsentwicklung und zum Rentenniveau
vorlegen will. Das bedeutet, das Parlament hat bis
zur Vorlage des Rentenversicherungsberichts keinerlei
Chance, die von ihm in die Welt gesetzten Angaben zur
Entwicklung des Rentenniveaus nachzuprüfen.
({2})
- In der Tat ein einmaliger Vorgang.
Drittens, meine Damen und Herren. Der Vorsitzende
des Sozialbeirats der Bundesregierung, Professor Winfried Schmähl, hat am vergangenen Sonntag in der
„Welt am Sonntag“ zum Vorschlag eines zusätzlichen
Pflichtvorsorgebeitrags folgendes geschrieben:
Nach Rückkehr zur nettolohnbezogenen Rentenanpassung würden dann die Anpassungssätze geringer, die Renten also weniger steigen, und Rentenausgaben sowie Finanzbedarf der Rentenversicherung würden sich mindern. Faktisch würde
dadurch eine weitere Senkung des Rentenniveaus
eintreten.
Er hat dies heute in der „Welt“ präzisiert. Nach seinen
Angaben „reduzierte sich“ durch die Einführung des von
Walter Riester vorgesehenen Pflichtvorsorgebeitrages in
Höhe von 2,5 Prozentpunkten des Bruttolohns „auch das
Rentenniveau um 2,5 Prozentpunkte. Geht man von
einem Rentenniveau von 66 Prozent aus“ - das können
Sie auch entsprechend mit 67 Prozent rechnen - „verringert sich der Level nach Einführung der Zweitrente
auf nur noch 63,5 Prozent.“
({3})
Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsdienst der
BHF-Bank hat dies ähnlich analysiert und diese faktische Niveauabsenkung des Vorsorgebeitrags wie folgt
kommentiert:
({4})
Es kommt wohl auf den politischen Standort an, ob
man diesen Riesterschen Einfall als geschickten
Kunstgriff lobt oder als billigen Taschenspielertrick
verurteilt.
({5})
Diese Analyse, die mit dem übereinstimmt, was nicht
irgend jemand, sondern der Vorsitzende des Sozialbeirats dieser Bundesregierung deutlich gemacht hat, und
Ihre Verhaltensweise in der Fragestunde, insbesondere
die Verhaltensweise des Parlamentarischen Staatssekretärs im Arbeitsministerium, machen deutlich: Sie sind
ein weiteres Mal als Trickser und Täuscher entlarvt
worden.
({6})
Ich bitte Sie darum,
auch in einer heftigen Debatte ein bißchen auf die Ausdrucksweise zu achten. Ich wollte vorhin auch etwas im
Protokoll rügen, tue das jetzt aber nicht, sondern gebe
dem Bundesarbeitsminister Walter Riester das Wort.
({0})
- Nein, es geht nur um den Ton, Herr Kollege.
({1})
- Wenn Sie sagen „Prolet bleibt Prolet“, ist das auch
nicht so schön. - Ich schließe damit diese Debatte zwischen uns. Herr Minister, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wird Zeit, daß man die Leute beruhigt, die die
Zahlenspielereien, die Sie produzieren, nicht mehr
nachvollziehen können.
({0})
Worum geht es? Kein Rentner wird im nächsten Jahr
weniger Rente haben. Die Rente eines jeden Rentners
wird vielmehr angehoben werden.
({1})
Im Kern geht es um die Entscheidung: Besitzstandswahrung oder Zukunftssicherung? Wir setzen auf Zukunftssicherung.
({2})
Wir tun dies, indem wir das Rentensystem von mehreren
Seiten dauerhaft stabilisieren, und zwar im Sinne der
Rentner und im Sinne derjenigen, die jetzt die Rentenleistungen bezahlen.
({3})
Wir haben gesagt, daß wir dazu mehreres im Sinne
der Zukunftssicherung tun. Zunächst werden wir die
nächsten Stufen der Ökosteuereinnahmen einspeisen.
({4})
- Weil der Zuruf „Toll!“ gemacht wurde, darf ich an
folgendes erinnern. 1994 lag der Rentenversicherungsbeitrag bei 17,5 Prozent. Ich habe bei 20,3 Prozent übernommen.
({5})
Dieses Ansteigen des Niveaus des Rentenversicherungsbeitrages bedeutet, 42 Milliarden DM zusätzlich, die Sie
den Beitragszahlern abverlangt haben.
({6})
Das war die erste Rechnung. Nun zur zweiten Rechnung. Gleichzeitig ist der Bundeszuschuß inklusive der
Mehrwertsteuererhöhung, bei der wir Sie unterstützt haben, um 25 Milliarden DM gestiegen.
({7})
Meine Damen und Herren, das sind innerhalb von fünf
Jahren 67 Milliarden DM oder, in einer anderen Größe
ausgedrückt, rund 4 Prozent Mehrwertsteuer, und das
war nicht etwa eine Zukunftssicherung, sondern hat uns
in eine Situation hineinmanövriert, auf Grund derer wir
jetzt reformieren müssen.
Diese Bilanz trage ich der Bevölkerung gerne vor,
meine Damen und Herren.
({8})
Wir sagen jetzt: Wir stabilisieren das System, und
zwar im Sinne der Menschen, die ein Anrecht darauf
haben, nachvollziehbar nachgewiesen zu bekommen,
wie sich die Situation in den Jahren 2010, 2020 und
2030 darstellt.
({9})
Der Beitrag, den die Rentner zur Sicherung des Systems, zum Erhalt der Rente auch für die zukünftige Generation einbringen, erfolgt in zwei Jahren, in denen wir
ein höheres Niveau absichern als in den zurückliegenden
vier Jahren auf Grund der Nettoanpassungsformel.
({10})
Auch in diesen zwei Jahren wird der Rentner die jeweilige Preissteigerungsrate des Vorjahres bekommen. Damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, stelle ich
mich gerne vor die Rentner hin.
({11})
Ich denke, daß die Rentner ein hohes Verantwortungsbewußtsein haben - darauf setze ich -, daß sie sich von
Ihren Parolen nicht verrückt machen lassen.
({12})
Deswegen haben wir überhaupt kein Problem, ehrlich zu
argumentieren.
({13})
Ich bin davon überzeugt, daß auch die vielen Rechenspiele, die jetzt - bewußt oder unbewußt - zur Verwirrung der Leute in den Medien auftauchen, letztendlich,
wenn man vor die Leute hintritt und sagt: Das ist der
Beitrag, den ihr einbringt - ({14})
- Ich habe vorher nie anders argumentiert. Sie dürfen
mich gerne überall zitieren.
({15})
Ich kann für mich in Anspruch nehmen, daß ich vor der
Wahl genauso argumentiert habe wie nach der Wahl.
({16})
Ich habe die Risiken des deutschen Rentenversicherungssystems niemals bestritten. Ich habe sie aufgezeigt.
Ich habe auch hier im Parlament erklärt: Die Risiken der
Demographie sehe ich sehr wohl. Gleichwohl bin ich
nicht bereit, den Weg, den Sie angeboten haben, zu gehen.
({17})
Exakt um die besseren Lösungen zu schaffen, haben wir
den Faktor ausgesetzt.
({18})
Den Zwischenruf, was daran falsch ist, nehme ich
gern auf. Ich habe es hier schon einmal erläutert, aber
ich erläutere es Ihnen gern noch einmal.
Der Abschlagfaktor hat nur sehr mittelbar etwas mit
Demographie zu tun. Wir wissen, daß er spätestens im
Jahre 2012/2014 zu 64 Prozent Rentenniveau führt.
Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder das Gesetz
wird geöffnet und das Niveau sinkt auf 60 Prozent, oder
man zieht die Beitragsschraube an und der Beitrag
steigt. Etwas anderes bleibt Ihnen dann nicht mehr
übrig. Den Weg wollen wir nicht mitgehen.
({19})
Wir sind gern bereit, vor das ganze deutsche Volk zu
treten und eine Generationenlösung anzubieten, die beide Seiten - diejenigen, die in Rente sind, und diejenigen,
die Beiträge einbringen - in ein Solidarsystem einbezieht, das dauerhaft stabil bleibt. Das haben die Rentner,
und das haben diejenigen, die aktiv arbeiten, verdient.
({20})
In der Form werden wir weiterhin ehrlich argumentieren.
Danke schön.
({21})
Das Wort hat nun
die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Handeln der rotgrünen Koalition in den Rentenfragen ist in doppelter
Hinsicht ein handfester Skandal. Der erste Teil liegt in
der Vergangenheit. Da hat die christlich-liberale Koalition eine Rentenreform ’99 vorgelegt. Wir haben dabei
ein doppeltes Ziel verfolgt: Sicherheit, Verläßlichkeit
und Kontinuität in der Rentenpolitik zugunsten der
Rentner und Schutz der jüngeren Generation vor einer
Überforderung mit Beiträgen an die Rentenkasse in der
Zukunft, das heißt Stabilisierung der Beiträge.
({0})
Es wird wohl jeder zugeben, daß das sehr ehrenwerte
Ziele sind. Das haben wir mit Hilfe des demographischen Faktors in der Rentenformel erreichen wollen.
Das heißt, die jährliche Steigerung der Renten sollte
über fast 30 Jahre 0,4 bis 0,5 Prozentpunkte geringer
ausfallen als die Steigerung der Nettolöhne. Die Rentner
hätten sich aber jährlich auf eine Steigerung ihrer Renten verlassen können.
({1})
Bei Ihnen, bei Ihren Willkürmaßnahmen können sie das
nicht mehr. Wer soll Ihnen denn noch abnehmen, wenn
Sie zwei Jahre lang die Nettoformel aussetzen, daß Sie
das nie wieder tun?
({2})
Der Schaden besteht im Vertrauensverlust gegenüber
diesem wichtigen Alterssicherungssystem.
({3})
Mit welch infamer und populistischer Kritik ist die
damalige Opposition aus SPD und Grünen über die damalige Regierungskoalition hergefallen! Sie haben jedes
Angebot für ein gemeinsames Handeln in der Rentenpolitik ausgeschlagen, und zwar aus parteitaktischen
Überlegungen heraus; nichts anderes stand dahinter.
({4})
Unsere Bemühungen um eine gesicherte Rentenkasse
hat Herr Dreßler in der zweiten und dritten Lesung für
die Rentenreform ’99 mit dem Wort „Rentenkürzung“
gegeißelt, was schlicht falsch war. Er wußte das, und Sie
wußten das auch. Das ist das Infame!
({5})
Herr Riester, Sie haben damals nicht im Plenum gesessen. Ich finde es übrigens überhaupt nicht zum Grinsen, muß ich Ihnen sagen, wenn man die Rentner dermaßen hintergeht. Sie haben sie hintergangen. Sie wußten, daß es notwendig war, was wir damals gemacht haben. Sie wußten, daß wir es gemeinsam hätten machen
können; das wäre besser gewesen.
({6})
Der Skandal ist aber auch, daß der heutige Bundeskanzler im Wahlkampf in allen Fernsehauftritten den
Rentnerinnen und Rentnern gesagt hat, was wir da beschlossen hätten, sei unanständig.
Meine Damen und Herren, was ist denn eigentlich
unanständiger als Ihre drastische Senkung der Renten im
Jahre 2002 unter das Niveau, das mit unserer Rentenpolitik erreicht worden wäre? Das ist ein wirklich drastischer Einschnitt. Sie bezeichnen das nicht als unanständig. Sie wußten, daß das, was wir damals gemacht haben, notwendig war. Sie aber haben sich verweigert. Sie
werden es auch in der Zukunft spüren.
Skandal Nummer 2 findet nach der Bundestagswahl
statt. Nach Rücknahme der Rentenreform schlagen Sie
jetzt bei den Rentnern zu. Wir wollten in der Tat eine
sanfte Landung. Das hätte die Probleme gelöst.
Herr Riester, Sie können sich hinstellen und Taschenspielertricks betreiben.
({7})
Ihr Staatssekretär hat das eben in der Fragestunde ausführlich getan. Sie vergleichen Unvergleichbares. Sie
sagen 64 Prozent, wo Sie nach Ihren Berechnungen
66 Prozent sagen müßten, und Sie sagen 67 Prozent, wo
Sie nach den alten Berechnungen 65 Prozent sagen
müßten. Damit führen Sie die Leute wieder hinters
Licht. Das sind Taschenspielertricks.
({8})
Sie müssen jetzt 30 Milliarden DM Mehrausgaben,
die Sie 1999 aufwenden, um Ihre Wahlversprechen zu
finanzieren, wieder einsammeln. Sie tun das vorwiegend
bei den Rentnern und Arbeitslosen, und das nenne ich
unsozial.
({9})
Ich fordere Sie deshalb auf - damit komme ich zum
Schluß -:
Erstens. Setzen Sie den demographischen Faktor
wieder in Kraft.
Zweitens. Fördern Sie betriebliche und private
Altersvorsorge steuerlich so, daß sie echte Säulen der
Altersversorgung in Zukunft werden.
Drittens. Legen Sie endlich eine langfristige Konzeption zur Sanierung der Rentenversicherung vor, statt hier
alle Welt mit irgendwelchen Eckpunkten, die am nächsten Tag wieder überholt sind, zu verunsichern.
Danke.
({10})
Jetzt hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Verunsichern tun doch gerade Sie von der Opposition.
Sie verunsichern gerade eine ganze Generation mit einer
unsäglichen Kampagne, die alles mögliche aufbläht, die
alles mögliche unterstellt, ohne ein einziges Mal die
Daten, die Fakten und vor allen Dingen die Lage anzugucken, die Sie hinterlassen haben.
({0})
Sie haben ein Rentensystem hinterlassen, das für heute
sicher ist und für morgen und übermorgen auf ein Wunder hofft.
Warum müssen wir überhaupt eine Rentenreform
machen? Wegen der demographischen Entwicklung beispielsweise. Das haben in der letzten Legislaturperiode
auch Sie eingesehen. Sie wissen, daß Bündnis 90/Die
Grünen gesagt haben, daß sie diesen Grundsatz richtig
finden.
({1})
Was ist herausgekommen? Die übliche Halbherzigkeit,
die das System nicht gesund gemacht hat, sondern nur
weiße Salbe war, die einen Placeboeffekt hatte, aber
auch nur für die alte Generation und nicht für die Jungen, die dafür geradestehen müssen.
Was machen wir? Wir wollen mit der Rentenreform
einen Ausgleich zwischen Jung und Alt herstellen.
({2})
Mit dem ersten Schritt haben wir sehr deutlich gemacht,
daß wir das auch tun werden. Rentnerinnen und Rentner
erhalten auch in den nächsten beiden Jahren mehr Rente.
Sie erhalten einen Inflationsausgleich, in den übrigens
auch die Teuerung durch die Ökosteuer einfließt. Zugleich werden wir dafür sorgen, daß die Beitragssätze
auf einem für die heute junge Generation zumutbaren
Niveau liegen.
Wenn wir sagen, daß wir die Möglichkeiten der privaten und betrieblichen Vorsorge stärken, dann bedeutet
das natürlich auch, daß wir Beiträge brauchen, bei denen
die Menschen in der Lage sind, solche Vorsorge zu betreiben. Wir wollen freiwillige Vorsorge - das haben wir
gesagt -; die Möglichkeit dazu wollen wir eröffnen.
Was wollen wir weiter? Wir wollen Armutsfestigkeit,
und zwar auf unterschiedliche Art und Weise.
Erstens. Wir wollen mit einer bedarfsorientierten
Grundsicherung nach unten absichern. Sie haben die
alten Leute zum Sozialamt geschickt. Sie haben sie entwürdigt.
({3})
Damit machen wir Schluß.
({4})
Wir werden ihnen mit einer bedarfsorientierten Grundsicherung ihre Würde zurückgeben.
Zweitens. Wir werden die Armutsfestigkeit auch über
das Rentenniveau sicherstellen. Wer erwerbstätig war
und auf die Rente angewiesen ist, wird genug bekommen. Die Zahlen, die im Raum sind, machen das, denke
ich, ausreichend deutlich.
Drittens. Wir werden die unterbrochenen Erwerbsbiographien, wie sie heute insbesondere bei Frauen üblich sind, in der Rentenpolitik der Realität entsprechend
bewerten. Der Eckrentner, der 45 Jahre arbeitet, ist nicht
mehr der Normalfall. Wir werden dafür sorgen, daß insbesondere Frauen, die Kindererziehungszeiten hatten,
({5})
und diejenigen, die aus anderen Gründen unterbrochene
Erwerbsbiographien hatten, auf eine Rente zurückgreifen können, die ihre Existenz sichert.
Was tun Sie dagegen? Sie spielen mit Ihrer Verunsicherungskampagne die Generationen erneut gegeneinander aus. Das machen wir nicht mit. Wir wollen den
Ausgleich zwischen den Generationen und nicht das
Ausspielen der Generationen gegeneinander.
({6})
Ihr heutiges Jonglieren mit den Zahlen spottet deshalb
jeder Beschreibung. Dieses Jonglieren sorgt weiterhin
für eine Verunsicherung der Alten wie der Jungen.
Wir werden noch in diesem Jahr eine sehr durchdachte
und ausgereifte Reform auf den Tisch legen. Sie können
sich dann entscheiden, ob Sie noch immer der Vergangenheit anhängen oder tatsächlich an die zukünftigen Generationen und deren heutige Belastbarkeit, an die Familien mit Kindern und an diejenigen denken, die im Rahmen Ihrer Reformen immer vom Hund gebissen worden
sind, die immer am Ende der Schlange standen und weder
heute noch in der Zukunft eine Chance haben.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat die
Kollegin Monika Balt, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Damen und Herren Abgeordnete! Nach fast 90 Minuten
Fragen und Antworten konzentrierte sich letztlich alles
auf eine Frage, die in der heutigen Ausgabe einer Zeitung so formuliert wurde: War die Reform Blüms für die
Rentner wirklich schlimmer als die von Riester geplante,
wie letzterer behauptete? Oder hat Riester es mit
Zahlentricks geschafft, seine Reform als die bessere zu
verkaufen, obwohl sie es gar nicht ist? Ich bin der Meinung, daß aus gegenwärtiger Sicht weder für die eine
noch für die andere Seite ein Grund besteht, sich vor die
Brust zu schlagen und sich als Retter der Rentnerinnen
und Rentner aufzuspielen.
({0})
Wahr ist, daß nach dem Blümschen Modell das Rentenniveau im Jahre 2030 64 Prozent des Nettodurchschnittslohns betragen hätte. Das war nachvollziehbar.
({1})
Auf eine so genaue Zahl wollte sich Herr Staatssekretär
Andres heute nicht festlegen.
({2})
Wenn man versucht, beide Modelle rechnerisch miteinander zu vergleichen, ergibt sich folgendes Bild:
Beim Modell von Minister Riester wird von 81,7 Prozent des Nettolohns 1998 ausgegangen, 70,5 Prozent
sind es beim Blümschen Modell. Nach dem RiesterModell beträgt das Rentenniveau im Jahre 2030
64,8 Prozent, nach dem Blümschen Modell 64 Prozent.
Liegen die Zahlen wirklich soweit auseinander?
Durch die Abkoppelung der Rentenanpassung von
der Einkommensentwicklung in den Jahren 2000 und
2001 sinkt das Rentenniveau von derzeit 70 auf 64 Prozent der Nettoeinkommen. Die danach wieder vorgesehene Ankoppelung der Rentenentwicklung an die Nettolöhne vollzieht sich dann auf diesem niedrigen
Niveau. Durch diesen Willkürakt, der der Sanierung des
Haushaltes dienen soll, werden die Rentnerinnen und
Rentner zu „Sparschweinen“ der Nation gemacht.
({3})
Besonders fatal wird sich das auf ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner auswirken, deren Rentenwert ohnehin nur bei 86,7 Prozent des Westwertes liegt und für die
die Rente die einzige Einkommensquelle ist.
({4})
Bei diesen Plänen muß auch berücksichtigt werden,
daß eine Vielzahl der Rentnerinnen und Rentner das
durchschnittliche Rentenniveau erst gar nicht erreicht.
Nach der letzten gültigen Statistik bezogen die Frauen in
den alten Bundesländern eine Durchschnittsrente von
831 DM. Wenn für sie die Rentenanpassung ausfällt,
({5})
dann gleiten sie hoffnungslos in die Altersarmut ab.
({6})
Zusätzlich muß bedacht werden, daß der Rentenwert
im Osten ohnehin nur 86,7 Prozent des Rentenwertes im
Westen ausmacht. Durch die Aussetzung der Anpassung
wachsen also die Abstände zwischen Ost und West.
Die Willkür, mit der diese Reform umgesetzt wird,
birgt große Gefahren für die Zukunft. Man kann sich
wohl auf folgendes einstellen: Im Jahr der Bundestagswahl wird eine Rentenanpassung erfolgen. Da man im
Wahlkampf wahrscheinlich verspricht, auch im nächsten
Jahr eine Rentenanpassung zu realisieren, wird einiges
dafür sprechen, daß auch im Folgejahr eine Rentenanpassung erfolgt. Dann wird sie für zwei Jahre ausgesetzt,
um sie im Wahljahr wieder durchzuführen. Für diese
Legislaturperiode bedeutet das, daß die Rentenanpassung in den Jahren 2000 und 2001 ausfällt, um sie im
Jahr 2002 zu vollziehen. Man muß in den Jahren 2004
und 2005 mit der nächsten Rentensenkung rechnen.
Als Vorsitzende des Arbeitslosenverbandes in Brandenburg - im übrigen im Ehrenamt - und als seniorenpolitische Sprecherin meiner Fraktion wende ich mich
entschieden gegen diese Art der Rotstiftpolitik. Damit
meine ich auch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge für Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosenhilfe.
({7})
Soziale Transferleistungen dürfen nicht von der aktuellen Kassenlage abhängig gemacht werden. Derartige
Vorschläge sind sehr kurzsichtig und unverantwortlich.
Durch eine solche Diskussion sinkt die Glaubwürdigkeit
der gesetzlichen Rentenversicherung vor allem bei jungen Menschen weiter.
Ich danke.
({8})
Ich erteile der Kollegin Birgit Schnieber-Jastram das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter
Herr Minister, bevor ich beginne, möchte ich Ihnen die
Übergabe eines kleinen Geschenks avisieren. Ich denke,
Sie sollten sich fit machen.
({0})
Ich werde Ihnen nach meiner Rede eine Rechenmaschine überreichen, damit das, was Sie sagen, in Zukunft
auch stimmt.
Was ich eben in der Aktuellen Stunde als ausgesprochen mißlich empfunden habe, das ist der Eindruck, den
ich gewonnen habe, Herr Andres, daß Sie überhaupt
nicht hinter Ihrer Reform stehen. Sie haben nicht mit
einem einzigen Wort diese Reform verteidigt; vielmehr
haben Sie anderthalb Stunden versucht, darum herumzureden. Wir kennen Ihre Lage. Aber wir haben auch hinter unpopulären Entscheidungen gestanden. Sie sollten
lhr Verhalten ändern.
Sehr geehrter Herr Riester, Sie haben in Ihrem Beitrag eben nicht einen einzigen Vorwurf meines Kollegen
Storm zurückgewiesen; vielmehr haben Sie sich unendlich gedrückt. Sie haben kein Wort zu den Aussagen von
Bundeskanzler Schröder gesagt, der noch im Februar
verkündet hat: Liebe Leute, es gibt sicher eine Nettoanpassung. Statt dessen tricksen und täuschen, mixen und
murksen Sie weiter. Sie tun das nicht nur mit den Rentnern, sondern gleicherweise auch mit den jungen Menschen; denn diese Maßnahmen haben nur einen Sinn:
den Haushalt zu sanieren. Mit einer Verbesserung der
Situation in der Rentenversicherung haben sie überhaupt
nichts zu tun.
({1})
Wenn ein so ruhiger, besonnener und solider Mann wie
Herr Schmähl heute vom „Sargnagel für die Rentenversicherung“ spricht, Herr Riester, dann muß Ihnen
das wirklich zu denken geben. Bevor sich Herr
Schmähl zu so einer Äußerung hinreißen läßt, dauert es
sehr lange.
Ich will noch einmal deutlich machen, worüber wir
reden: Es geht um die Einkommenssituation eines Rentners. Ich denke, sie ist uns bewußt. Der Rentner wird mit
Ihrer Reform monatlich 100 DM weniger erhalten, als
wir ihm gegeben hätten. Er wird zusätzlich 20 DM Ökosteuer draufzahlen. Im Osten ist es noch mehr. Dort gibt
es für den Rentner 140 DM weniger. Das ist die Realität.
Wenn Sie meinen, daß die Rentner so viel Geld haben,
locker und flockig auf 100 DM oder im Rahmen eines
Rentnerlebens auf 20 000 DM verzichten zu können,
dann ist dies nicht richtig.
({2})
Ihre Pläne für eine Zusatzrente, die sicherlich noch
kommt - sie ist unverändert im Gespräch -, würden dazu
beitragen, daß der Rentenbeitrag für diese Zusatzrente das
durchschnittliche Nettoeinkommen senkt und damit das
Rentenniveau um 2,5 Prozent gesenkt wird. Herr Andres,
das wären noch einmal 52 DM weniger. Das ist nicht im
Himmel geschrieben, sondern Ihre Reform.
({3})
Ich möchte Ihnen sagen, mit welchen Forderungen
wir in diese Sommerpause und in die weitere Debatte
gehen. Wir wollen gar nicht nur draufhauen; vielmehr
wollen wir auch deutlich machen, was wir für wichtig
halten. Wir wollen, daß die vom Bundeskabinett beschlossene Rentenanpassung in Höhe der Inflationsrate
nicht umgesetzt wird. Wir halten dieses Vorgehen für
sozial ungerecht.
({4})
Wir werden Sie auffordern, den demographischen
Faktor bis spätestens 1. Januar 2000 in Kraft zu setzen.
Wir wollen, daß ein Konzept zur Verbesserung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge vorgelegt wird.
Wir werden uns intensiv über die Hinterbliebenensicherung unterhalten. Was Sie dazu vorgelegt haben,
ist unter aller Kanone. Wir brauchen ein tragfähiges
Konzept zur eigenständigen sozialen Absicherung der
Frauen.
({5})
Ganz deutlich sage ich Ihnen noch einmal: Sie müssen damit anfangen, eine Generationenbilanz aufzustellen. Sie versuchen hier nämlich eine große Täuschung.
In vielen Bereichen erhöhen Sie die Steuern und tun so,
als ob dieses niemand bezahlen muß. Junge, Alte, alle
müssen gleichermaßen die erhöhten Steuern bezahlen.
({6})
Da gibt es keine Entlastung.
({7})
Was Sie hier vorgelegt haben, ist keine Reform und
bietet auch keine Eckpunkte für eine Reform, sondern es
handelt sich wirklich um das Stochern im Nebel, um
eine Haushaltssanierung auf Kosten der Rentner in diesem Lande, zu der auch die jungen Leute beitragen müssen.
({8})
Ich möchte noch
einmal darauf hinweisen, daß ich die Reihenfolge der
Redner ein wenig vertauscht habe. Wundern Sie sich
deshalb bitte nicht, wenn nach der Kollegin Lotz der
Kollege Klaus Müller spricht. Jetzt also die Kollegin
Lotz, dann der Kollege Müller, und danach geht es in
der vereinbarten Reihenfolge weiter.
Frau Kollegin, bitte sehr.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Da Sie, Frau Schnieber-Jastram,
anmahnen, eine Generationenbilanz zu erstellen, möchte
ich Sie doch daran erinnern, daß Sie während Ihrer Regierungszeit 1,5 Billionen DM Schulden aufgehäuft haben, was zu einer jährlichen Zinsbelastung von fast
90 Milliarden DM führt und dazu, daß fast jede vierte
Mark aus Steuereinnahmen für Zinszahlungen draufgeht. Das war Ihr Beitrag zu einer Generationenbilanz.
({0})
Das Ziel der Aktuellen Stunde und dessen, was Sie
hier heute abziehen, ist aus meiner Sicht ganz eindeutig:
Sie wollen unsere Rentenreform miesmachen. Ich sage
Ihnen voraus: Es wird Ihnen nicht gelingen.
({1})
Ich nehme es Ihnen aber übel, daß Sie die Rentnerinnen und Rentner wieder verunsichern.
({2})
Die Rentnerinnen und Rentner werden sich aber daran
erinnern, daß die Rentenerhöhungen, die sie unter Ihrer
Regie erhalten haben, niedriger als die Preissteigerungsrate lagen.
({3})
Diese Erfahrung werden sie mit uns nicht machen.
({4})
Sie haben auch dafür gesorgt, daß jedes Kind in unserem Lande mittlerweile weiß, was versicherungsfremde
Leistungen sind. Auch daran möchte ich Sie noch einmal erinnern.
({5})
Welches Ziel verfolgten Sie denn mit Ihrem vielgepriesenen Demographiefaktor? Die Eckrenten sollten auf
64 Prozent abgesenkt werden. Mit der Bezeichnung
Demographiefaktor haben Sie dem Ganzen einen wissenschaftlichen Anstrich gegeben, aber in Wirklichkeit
ging es nur darum, die Renten abzusenken.
({6})
Heute spielen Sie die Unschuldsengel.
({7})
Dr. Norbert Blüm sagte am 12. Januar 1998 in einem
Schreiben an die Mitglieder der CDU/CSU- und F.D.P.Bundestagsfraktionen unter anderem: „Rentenversicherung - Entlastungswirkung 1997 60 Milliarden DM“.
({8})
Es handelt sich dabei um 60 Milliarden DM, die Sie
letztendlich Rentnern und Rentnerinnen abgenommen
haben.
({9})
Unser Reformgesetz sieht etwas anderes vor: Wir
werden wieder Sicherheit für die Rentner und Rentnerinnen und für die junge Generation schaffen. Deshalb
bieten wir auch eine bedarfsabhängige Grundsicherung
an.
({10})
Sie haben zwar immer über Altersarmut geredet, aber
unternommen haben Sie in dieser Beziehung nichts.
({11})
Wer nicht mehr arbeiten kann, hat Anspruch darauf,
von der Gesellschaft versorgt zu werden. Dieser Grundsatz galt schon bisher. Trotzdem gab und gibt es Rentnerinnen und Rentner, die arm sind. Es gibt alte Menschen,
die von weniger als dem Existenzminimum leben. Es
gibt Rentnerinnen und Rentner, die die Sozialhilfe bitter
nötig hätten und sie trotzdem nicht beantragen, weil sie
zum Teil gar nicht wissen, daß sie darauf Anspruch haben, weil sie zum Teil befürchten, daß ihre Kinder dafür
aufkommen müssen, oder weil sie sich einfach nur
schämen. Dieser Zustand darf nicht so bleiben. Soziale
Gerechtigkeit muß auch für unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger selbstverständlich werden.
({12})
Altersarmut jetzt und in Zukunft zu verhindern ist
eines der wesentlichen Ziele der anstehenden Rentenreform. Sie können noch soviel dagegenreden: Dieses Ziel
werden wir verwirklichen.
({13})
Wir wollen den Rentnern den Gang zum Sozialamt
ersparen. Deshalb führen wir die bedarfsorientierte soziale Grundsicherung ein. Darauf hat jede und jeder mit
65 Jahren Anspruch oder auch derjenige, der dauerhaft
erwerbsunfähig ist.
({14})
Damit machen wir deutlich, daß es das gute Recht derjenigen, die ein ganzes Leben lang gearbeitet haben, ist,
im Alter existentiell abgesichert zu sein.
Wir wollen, daß die Menschen wissen, daß sie den
Zugriff auf das Einkommen ihrer Kinder nicht mehr befürchten müssen. Grundsicherungsberechtigte Rentner
und Rentnerinnen werden in Zukunft wissen: Mit der
Reform wird der Rückgriff auf das Einkommen unterhaltspflichtiger Kinder ausgeschlossen. Das ist unser
Ziel, das Sie verschweigen. Wir werden aber dafür sorgen, daß die Menschen wissen, was sie an unserer Reform haben. Wir werden ferner dafür sorgen, daß der
Pakt der Generationen wieder Gültigkeit hat und daß die
Rentnerinnen und Rentner, aber auch die jungen Menschen keine Angst mehr haben müssen.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat nun
der Kollege Klaus Müller, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schnieber-Jastram, wenn
sich das Niveau Ihres Beitrages in der Rentendebatte
darauf beschränkt, den Rechenschieber zu benutzen,
dann sehe ich schwarz für Ihre weiteren Vorschläge und
für Ihre Kritik. Ich glaube, daß sowohl der Kollege Riester als auch erst recht die Regierungskoalition inzwischen ein bißchen weiter im Hinblick auf die moderne
Technik sind. Unsere Berechnungen beruhen auf etwas
mehr als dem Hantieren mit ein paar Kugeln. Damit
kann man zwar spielen, aber keine Rentenreform durchführen.
({0})
Wenn Sie in den Raum stellen, es gebe keine Steuerentlastung durch Rotgrün, dann ist das schlicht falsch.
Ich bin sicher, daß Ihnen nachher der Kollege Seiffert
das Finanztableau aus dem Finanzausschuß geben
wird. Dort sind - nur zur Erinnerung - 20 Milliarden
Nettoentlastung aus der Einkommensteuerreform enthalten.
({1})
Weiter sind dort 5,7 Milliarden DM Nettoentlastung für
die Familien und 8 Milliarden DM Nettoentlastung für
die Unternehmen enthalten.
({2})
Unter Rotgrün gibt es also eine klare Steuerentlastungspolitik
({3})
und dazu noch eine Abgabensenkung auf Grund der
Ökosteuer. Wir müssen uns also nicht verstecken; Ihre
Kritik geht ins Leere.
({4})
Das Problem ist, daß sich die CDU nicht entscheiden
kann. Interessant war in diesem Zusammenhang die Rede des Kollegen Merz letzte Woche, der sonst immer
sehr kluge Vorschläge macht, aber letzte Woche herumgeeiert hat. Das tun Sie bis heute immer noch.
({5})
Sie können sich immer noch nicht entscheiden, ob Sie das
Sparpaket richtig finden oder ob Sie gegen jede Sparaktion polemisieren wollen.
Die Rentnerinnen und Rentner, mit denen ich in den
letzten Wochen gesprochen habe, sagen, daß sie das
Sparpaket der Bundesregierung gut finden. Sie sagen,
daß auch sie bereit sind, einen Beitrag dazu zu leisten,
die Verschuldung, die Sie aufgebaut haben, in den nächsten Jahren abzubauen.
({6})
Ich finde, es ist ein Zeichen von wirklicher Solidarität,
daß Menschen, denen es manchmal besser- und manchmal schlechtergeht, bereit sind, als Mitglieder der älteren
Generation einen Beitrag zur Konsolidierung zu leisten,
weil sie der Meinung sind, daß diese Verschuldung bis
ins Mark unsozial ist und daß auch sie Verantwortung
für die nächste Generation tragen.
({7})
Wir begrüßen, daß die Nettolöhne - auch wegen der
Politik der neuen Koalition - so kräftig ansteigen. Das
heißt aber noch lange nicht, daß man das Ganze automatisch auf die Rentnerinnen und Rentner übertragen
muß.
({8})
- Wenn Sie rechnen könnten, dann wüßten Sie, daß
Steuerfreibeträge dazu führen, daß die Nettolöhne steigen. Das ist im Familienentlastungsgesetz und bei der
Einkommensteuerreform vorgesehen. Das können Ihnen
die Finanzpolitiker Ihrer Fraktion ja bei Gelegenheit
noch einmal erklären.
({9})
Überlegen Sie einmal in aller Ruhe, ob Sie jetzt wieder Unterschriften sammeln oder ob Sie Briefchen
schreiben wollen. Das wird in der ganzen Debatte letztendlich zu nichts führen.
({10})
Ich würde mich freuen, wenn wir hier von Ihnen konkret etwas hören würden,
({11})
was jenseits Ihrer alten Pläne liegt. Übrigens, Frau
Schwaetzer, waren wir in diesem Punkt im Wahlkampf
gar nicht so weit voneinander entfernt. Auch die Grünen
haben für einen demographischen Faktor gestritten, und
dazu stehen wir auch.
({12})
- Brüllen Sie doch nicht so rum, mein Gott.
({13})
Lassen Sie uns darüber reden, wie wir die Rente zukunftsfähig und generationengerecht reformieren können, was wir dagegen tun können, daß Menschen im
Alter in Armut stürzen, und was wir dafür tun können,
daß auch jüngere Menschen dieses System akzeptieren.
In meiner Generation hieß es unter dem verehrten Kollegen Blüm übrigens immer: „Die Rente ist sicher“ - das
habe ich tausendmal von Ihnen gehört; im Nachsatz hieß
es bei uns dann immer -, „und die Erde ist eine Scheibe.“ Das war das Niveau der Debatte, die unter jüngeren
Menschen zu Ihrer Regierungszeit geführt wurde.
Ich kann nur sagen: Wir denken an beide Seiten, an
die Seite der Menschen, die jetzt Beiträge zahlen und bei
denen wir eine Akzeptanz für eine solidarische Umfinanzierung, ergänzt durch eine private Altersvorsorge
- das gehört für uns zusammen -, erreichen wollen, und
Klaus Wolfgang Müller ({14})
an die Seite der älteren Menschen, die die Sicherheit
brauchen, daß die Renten nicht sinken, sondern nach wie
vor steigen. Wahrscheinlich werden sie sogar kräftiger
steigen als in Ihrer Regierungszeit.
({15})
Das heißt, wir müssen uns hier nicht verstecken. Wir
werden eine solidarische Debatte führen, mit den Rentnerinnen und Rentnern auf der einen und den Beitragszahlern auf der anderen Seite.
Vielen Dank.
({16})
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Johannes Singhammer, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das
Wichtigste, was Rentner brauchen, ist Verläßlichkeit.
({0})
Das einzige, worauf sich die 17 Millionen Rentnerinnen
und Rentner bei der Regierung Schröder noch verlassen
können, ist der Satz: Es gilt das gebrochene Wort.
({1})
Noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland haben ein Bundeskanzler und eine Bundesregierung die Öffentlichkeit so mit der Unwahrheit bedient wie Gerhard Schröder. Gerhard Schröder hat am
17. Februar 1999 in Vilshofen erklärt: „Ich stehe dafür,
daß die Renten in Zukunft so steigen wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer.“ Nur 126 Tage später erklärt der Kanzler in einem Interview: „Wir haben die
Nettolohnformel für die nächsten zwei Jahre nur ausgesetzt.“
Die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland sind
Menschen mit Lebenserfahrung. Sie wissen: Wer einmal
lügt, dem glaubt man nicht.
({2})
Gerhard Schröder steht mit seiner Politik des „Versprochen und nicht gehalten“ im übrigen nicht allein.
({3})
So erklärte beispielsweise der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Rudolf Dreßler vor
der Bundestagswahl: „Selbstverständlich wird die SPD
die Senkung des Rentenniveaus weder akzeptieren noch
tolerieren.“ Deshalb hat Ihr Ministerpräsident Klimmt
gestern zu Recht angekündigt, gegen derartige Überlegungen zu stimmen und dagegen Front zu machen.
Ich sage Ihnen eines: Dieser Rentenbetrug bleibt der
Regierung wie ein Kainsmal auf der Stirn geschrieben.
({4})
Die 110 DM, die der Durchschnittsrentner pro Monat
weniger erhält, sind heute schon angesprochen worden.
Wenn man eine durchschnittliche Rentenbiographie
- Einstieg ins Arbeitsleben mit 18 oder 19 Jahren und
durchschnittliche Lebenserwartung - zugrunde legt,
kann man den Verlust, der sich daraus ergibt, leicht
hochrechnen. Man kommt dann auf einen Betrag von
sage und schreibe 20 000 DM.
Hätte jemand von Ihnen das den Rentnerinnen und
Rentnern vor der Wahl gesagt, hätten Sie viel weniger
Stimmen erhalten, als es der Fall war. Deshalb sagen
wir: Das, was Sie gemacht haben, ist schäbig.
({5})
Um all dies zu vernebeln, wird jetzt eine chaotische
Debatte angezettelt
({6})
und ein Zahlensalat angerichtet, so daß draußen keiner
mehr durchblickt. Das dient der Vernebelung. Bei der
Berechnung der Rentenstatistik wird manipuliert, und es
werden ständig neue Modelle für eine tarifvertragliche
Zusatzrente ins Gespräch gebracht. Der Rentenbericht
der Bundesregierung, der endlich Klarheit bringen soll,
wird auf den Sankt Nimmerleinstag im Spätherbst verschoben.
Der Gipfel des Ganzen ist: Mit Steuergeldern in Höhe
von 900 000 DM - so ist zu lesen - wollen Sie eine
Werbekampagne starten, um Ihre gescheiterte Rentenpolitik bei den Wählern zu verkaufen. Dazu stelle ich
fest: Bei den Rentnern zu sparen und bei den Werbeausgaben der Bundesregierung zu klotzen, das nenne ich
unsozial und schlimm.
({7})
Für den Fall, daß Sie richtig hätten sparen wollen,
hätte ich Ihnen sagen können, wo etwas zu holen gewesen wäre. Um diese Antwort wollen wir uns nicht drükken. Ihr Bundeskanzler hatte ja angekündigt, die Zahlungen an die Europäische Union zu senken. Auf Ihrem
letzten Parteitag hat er gesagt: „Die Hälfte des Geldes,
das in Europa verbraten wird, stammt aus Deutschland.“
Da hat er recht. Aber zurückgeholt und eingespart hat er
nichts.
({8})
Auf dem Europagipfel in Brüssel hat er sich eine Niederlage geholt. Nachdem er zunächst sehr viel angekündigt hat, hat er nichts für Deutschland erreicht. Da wären
Klaus Wolfgang Müller ({9})
Summen einzusparen gewesen, aber nicht bei den Rentnern.
({10})
Ich sage Ihnen noch eines: Nirgendwo in der Politik
ist Verläßlichkeit und Vertrauen so nötig wie in der
Rentenpolitik.
({11})
Diese rotgrüne Bundesregierung hat mehr angerichtet,
als sich nur selbst zu schaden. Sie hat nämlich das Vertrauen der Rentnerinnen und Rentner nachhaltig beschädigt.
({12})
Das haben diese Generationen nicht verdient. Sie haben
nicht verdient, daß ihr Vertrauen zerstört wird, und sie
haben auch diese Bundesregierung nicht verdient.
({13})
Nun hat das Wort
der Kollege Kurt Bodewig, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir heute
hier erleben, ist schon eigenartig. Zuerst erlebten wir in
der Fragestunde Ihre mangelnde Kreativität. Ich glaube,
daß Ihre Nummer mit der tibetanischen Gebetsmühle
Ihnen nicht zur Ehre gereicht.
({0})
Dann erleben wir hier in der Aktuellen Stunde die Fortsetzung Ihrer schauspielerischen Künste. Dazu kann ich
nur sagen: Jede „daily soap“ hätte eine höhere Einschaltquote verdient als das, was uns heute von Ihnen
dargestellt worden ist.
Ich bin ganz froh, daß eine von Ihnen beantragte Aktuelle Stunde nur wöchentlich stattfinden kann und nicht
täglich.
({1})
Ich glaube, die Zuschauer hätten das nicht verdient.
({2})
Jeder Schülertheater-Workshop hat eine höhere schauspielerische Qualität als Ihre Laiendarstellung.
({3})
Hätte Herr Hörster die Aktuelle Stunde ein bißchen früher beantragt, nämlich anderthalb Stunden früher, also
zu dem Zeitpunkt, zu dem darüber gemunkelt wurde,
hätten wir statt der anderthalb Stunden dauernden Fragestunde und Ihren permanent wiederholten Fragen zu
demselben Thema Zeit für Sinnvolleres gehabt.
({4})
Jetzt komme ich zu einem anderen Punkt. Ich habe
den Eindruck, als ob Sie einen partiellen Gedächtnisverlust hätten.
({5})
Sie tun so, als ob Herr Blüm die letzten 16 Jahre im Vorruhestand war. Ich erinnere Sie daran, daß die Arbeitslosen bei Ihnen mit 60 Jahren zwangsverrentet wurden.
Das bedeutet einen Abschlag von der Rente in Höhe von
18 Prozent. Das sind reale Eingriffe in das Portemonnaie
der Betroffenen.
({6})
Herr Storm ist mittlerweile wirklich in der Gefahr,
seine Seriosität zu verlieren.
({7})
Sie werfen immer wieder neue Zahlen in die Debatte,
und dann erhalten Sie von fachkundigen Menschen immer wieder eine Widerlegung.
({8})
Gestern war es der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, der gesagt hat, daß Ihre Zahlen falsch und
die des BMA richtig sind. Heute hat dies die BfA deutlich gemacht. Wir haben von allen Rentenversicherungsträgern bestätigt bekommen, daß wir dauerhaft ein
Rentenniveau von 67 Prozent sichern.
({9})
Sie haben von allen bestätigt bekommen, daß bei Ihnen,
würden Sie noch das Sagen haben, das Rentenniveau
systematisch auf 64 Prozent abgesenkt worden wäre.
({10})
Wir haben prinzipielle Kritik am demographischen
Faktor. Das sage ich als jemand, der Anfang vierzig ist.
({11})
Die Kollegin Eckardt hat eben deutlich gemacht, daß sie
das mit Anfang dreißig noch anders sieht. Erklären Sie
einmal dem Zwanzigjährigen, warum ausgerechnet er
derjenige sein soll, der neben Ihrer systematischen Absenkung seines späteren Leistungsanspruchs die heutige
Rentenversicherung finanzieren soll! Wir gehen einen
anderen Weg, und ich glaube, daß unser Weg richtig ist.
({12})
Wir wollen einen neuen Generationenpakt, einen Generationenpakt, der mehrere Beteiligte hat.
({13})
Danach leisten alle ihren Beitrag: die Rentner, indem sie
zwei Jahre lang nur eine um den Inflationsausgleich erhöhte Rente erhalten - das ist etwas, was Sie in den
letzten Jahren nicht geleistet haben -, und die junge Generation, der die Verantwortung für ihre Eigenvorsorge
übertragen wird. Mit der Ökosteuer als drittem Instrument stabilisieren wir dauerhaft die Beiträge. Wir finanzieren damit so wichtige Dinge wie die von der Frau
Kollegin Lotz angesprochene soziale Grundsicherung im
Rentensystem.
({14})
Wir schaffen Sicherheit, Sie machen das Gegenteil.
Mit Ihren Zahlenspielereien zerstören Sie systematisch
das Vertrauen in die Rentenversicherung. Das ist ein
sehr gefährliches Spiel. Es wird Ihnen auch nicht helfen,
sondern schadet nur der Demokratie und der Kultur in
unserer Gesellschaft.
({15})
Ihre Einschnitte hatten Wirkungen: zum einen auf das
Rentenniveau, zum anderen auf die realen Rentenbezüge. Ihre Einschnitte waren katastrophal. Was Sie
durch das WFG angerichtet haben, durch die Reduzierung der Anrechnung der Ausbildungszeit von sieben
auf drei Jahre, macht sich bei den Betroffenen sichtlich
im Portemonnaie bemerkbar.
({16})
Die Zwangsverrentung habe ich schon angesprochen.
({17})
All das wirkt sich konkret aus, währenddessen Sie hier
eine abstrakte Diskussion führen.
({18})
Fakt ist: Die Rentner erhalten in den Jahren 2000 und
2001 mehr als in den Vorjahren.
({19})
In den letzten zehn Jahren erhielten die Rentnerinnen
und Rentner sechsmal weniger, als der Preissteigerungsrate entsprochen hätte.
({20})
In den letzten fünf Jahren war dies viermal der Fall, nur
1994 nicht - interessant, daß es ein Wahljahr war. Das
zeigt doch, wie durchsichtig Sie hier argumentieren.
({21})
Ich sage Ihnen: Wir sichern dauerhaft das Rentensystem; die Aussagen von VDR und BfA belegen dies.
Wir schaffen Chancen für Jüngere; dies ist im Generationenpakt enthalten. Unser Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit ist ungeheuer erfolgreich. Das ist etwas,
was Sie in den letzten 16 Jahren nicht einmal im Ansatz
erreicht haben.
({22})
Mit einem solchen Zukunftspakt, an dem alle Generationen beteiligt sind, werden wir die Probleme, die Sie
uns hinterlassen haben, lösen können.
Vielen Dank.
({23})
Jetzt spricht der
Kollege Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege Bodewig, Sie haben im Zusammenhang mit der Rentenversicherung von Gedächtnisschwund gesprochen.
({0})
Ich frage Sie: Wo ist die von Arbeitsminister Riester und
von Ihnen vor der Wahl versprochene „Rente mit 60“
geblieben?
({1})
Davon spricht kein Mensch mehr.
Wissen Sie, was ein Riester ist? Ein Riester ist die
Geschwindigkeit, mit der die vor der Wahl versprochene
„Rente mit 60“ zu „60 Prozent Rente“ nach der Wahl
wird.
({2})
Das ist kollektiver Gedächtnisschwund.
Als „unanständig“ hat Gerhard Schröder im 98er
Wahlkampf die Rentenreform von Norbert Blüm bezeichnet;
({3})
unanständig, weil mit der demographischen Komponente eine be- und ausrechenbare Komponente für mehr
Generationensolidarität in die mathematische Rentenformel eingearbeitet worden wäre.
({4})
Das ist eine Rentenformel, die vor Norbert Blüm gegolten hat, die auch während der Ministerzeit von Norbert
Blüm gegolten hat und die unter Arbeitsminister Riester
nicht mehr gelten soll.
Nach Minister Riesters Vorstellungen sollen die
Renten in den neuen Bundesländern im Jahr 2000 statt
um 4,7 Prozent lediglich in Höhe des westdeutschen
Inflationsausgleichs in Höhe von 0,7 Prozent steigen,
({5})
im Jahr 2001 statt der gesetzlich vorgeschriebenen
4,5 Prozent lediglich um 1,6 Prozent.
({6})
Damit wird den Rentnern Rente vorenthalten, und zwar
denen im Osten mehr als denen im Westen.
({7})
Ab 2001 erhalten die Rentner in den neuen Bundesländern monatlich 142 DM Rente weniger.
({8})
Über ein Jahr Rentenbezug wird ihnen eine Monatsrente
vorenthalten, und bei einer Rentenbezugsdauer von 17
oder 18 Jahren sind das 20 000 DM und mehr.
({9})
- Herr Kollege Dreßen, dafür bekommen dann die Rentner in den neuen Bundesländern wahrscheinlich ein
Dankschreiben, in dem steht: SPD und Grüne bedanken
sich für Ihren unfreiwilligen Sparbeitrag, den Sonderbeitrag für den Aufbau Ost.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie
tatsächlich die Rentenerhöhung an die Inflationsrate
binden, untergraben Sie auf Dauer das Vertrauen in die
Verläßlichkeit der gesetzlichen Rentenversicherung,
({11})
und in den neuen Bundesländern koppeln Sie die Rentner von der allgemeinen Einkommensentwicklung ab.
Rente ist dann nicht mehr ausrechenbar und kalkulierbar,
({12})
wenn die Erhöhung in den Jahren, in denen die Inflationsrate niedriger ist als die Nettolohnanpassung, entsprechend der Inflationsrate erfolgt, in den Jahren aber,
in denen die Inflationsrate darüber liegt, auch nach der
Inflationsrate berechnet wird. Das ist Willkür, ebenso
wie die Heranziehung der Inflationsrate Willkür ist.
({13})
Sie könnten genausogut den Pegelstand des Rheins bei
Köln oder die Zahlen vom Mittwochslotto nehmen. Es
ist das die gleiche Unberechenbarkeit, die gleiche Willkür.
({14})
Herr Minister Riester, Sie haben vor einigen Wochen
an dieser Stelle gesagt, daß in 6 Jahren unter Norbert
Blüm die Rentensteigerungen immer unter der Inflationsrate geblieben sind, nur im Jahr 1994, in einem
Wahljahr, sei es anders gewesen. Sie haben gefragt, ob
das Zufall gewesen sei. Herr Riester, für diese Ungeheuerlichkeit müßten Sie sich eigentlich bei Norbert
Blüm entschuldigen.
({15})
Denn Sie unterstellen Norbert Blüm genau das an Rentenmanipulation, was Sie selbst vorhaben.
({16})
Herr Minister Riester, Sie haben dabei unterschlagen,
daß die Rentensteigerungen in den neuen Bundesländern
immer über der Inflationsrate gelegen sind, weil die
Lohnsteigerungen in den neuen Bundesländern immer
höher gewesen sind als die Lohnsteigerungen in den
alten Bundesländern, damit der Ausgleich zwischen Ost
und West erreicht werden konnte. So betrug zum 1. Juli
1993 die Rentensteigerung Ost 14 Prozent, am 1. Juli
1994 3,45 Prozent, zum 1. Juli 1997 5,55 Prozent. Ohne
Ihre Eingriffe würden im Osten im Jahre 2000 die Renten um 4,7 Prozent steigen und danach um 4,5 Prozent.
({17})
Herr Minister Riester, ist Ihnen nicht bekannt, daß für
die meisten ostdeutschen Rentner die Monatsrente alles
ist, daß die wenigsten Vermögen, Wohneigentum oder
Sparguthaben haben, auf das sie zurückgreifen können?
Für einen ostdeutschen Rentnerhaushalt beläuft sich
dann ab dem Jahre 2001 die Belastung auf 280 DM weniger Rente. Dazu kommen 30 DM auf Grund der sogenannten Ökosteuer. Das sind summa summarum
310 DM, die einem Rentnerhaushalt in den neuen Bundesländern fehlen. Die Rentner in den neuen Bundesländern können darauf nicht verzichten.
Herr Minister Riester, wenn Sie die Rentenerhöhung
im Osten am Inflationsausgleich festmachen, unterbrechen Sie dauerhaft den Rentenaufholprozeß zwischen
Ost und West. Dann müssen Sie den Rentnern im Osten
sagen, daß diese nie Westniveau erreichen werden. Sie
spalten dieses Land in Rentner erster und Rentner zweiter Klasse.
({18})
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen. Wir sind in der Aktuellen Stunde.
Ich bin beim letzten
Satz, Frau Präsidentin.
Wenn er nicht so
lang ist.
Wenn Sie dieses Land
spalten, werden wir Ihnen das nicht durchgehen lassen.
Die Rentner, die sehr bewußte Staatsbürger sind, werden
auf dem nächsten Wahlzettel das Kreuz entsprechend
machen. Sie werden abstimmen und werden sagen: Wir
haben fertig mit der SPD.
({0})
Nun kommt die
Kollegin Ute Kumpf, SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Eine Aktuelle Stunde zu beantragen ist das gute Recht der Opposition. Ich habe
aber gedacht, das würde sich auf einem etwas höheren
Niveau abspielen.
({0})
Das wäre unseren Verdiensten adäquat gewesen. Ich
hätte nicht erwartet, daß es Ausflüge in die Landwirtschaft gibt. Frau Schnieber-Jastram hat ja von Schweinerei geredet.
({1})
Wir sind doch nicht dazu da, hier sozusagen Schweinezucht zu betreiben und zu überlegen, welches Schwein
wir in einer Woche wieder durch diesen Saal treiben
können. Vielmehr sind wir dazu da, politische Lösungen
und Konzepte vorzulegen.
({2})
Ich frage mich schon: Haben CDU/CSU und F.D.P.
vielleicht in einem Workcamp bei Scientology gelernt,
wie man 16 Jahre ausradieren kann? In relativ kurzer
Zeit haben Sie gänzlich verdrängt, wie die politische
Lage davor aussah.
({3})
Es ist eine schiere Frechheit, daß Sie hier von „Rentenmanipulation“ und „Rentenlüge“ reden und Protestaktionen ankündigen. Das ist Populismus hoch drei.
({4})
Wo bleibt Ihr christliches Gewissen? Sie wissen genau:
Man soll nicht lügen.
({5})
Das gilt heute, wie es in den Jahren zuvor galt.
({6})
Außer demagogischer Wortakrobatik kam bisher
nichts. Sie sind nicht nur die Antwort schuldig geblieben, wie Sie einen Generationenvertrag für die Zukunft,
einen Pakt zwischen Jung und Alt, gestalten wollen,
({7})
sondern auch, wie Ihr trübes frauenpolitisches Auge
wieder klar werden soll. Denn neben einem Generationenvertrag muß auch ein Vertrag zwischen Mann und
Frau gestrickt werden, getreu dem Motto: Ganze Männer machen halbe-halbe. Wir wollen eine solche eigenständige Alterssicherung für Frauen gestalten. Wenn Sie
ein bißchen mehr Geduld hätten und genauer hinschauen
würden, was in dem Rentenpaket insgesamt steht, dann
wüßten Sie, daß wir in Eckpunkten diese eigenständige
Alterssicherung für Frauen formuliert haben. Aber Sie
haben ja keine Geduld, darauf einmal einzugehen. Insofern wünsche ich mir schlichtweg mehr Redlichkeit und
Kompetenz.
({8})
Wir sind verantwortlich, dem Bürger, was unsere politischen Konzepte angeht, Rede und Antwort zu stehen.
Wir wollen unser Konzept zukunftsfest und armutssicher machen, wollen stabile Beitragssätze garantieren
und für die eigenständige Alterssicherung von Frauen
sorgen, auf die Frauen seit 16 Jahren warten. Sie haben
sie 1991 verschaukelt, Sie haben sie 1992 verschaukelt.
Wir Frauen warten schon lange darauf, aber bislang ist
von Ihrer Seite kein konkreter Vorschlag gekommen. Sie
wissen ganz genau, daß eine Frau mit dem berühmten
„Eckrentner“ nicht zu vergleichen ist, weil sie 45 Beitragsjahre in der Regel nicht erreichen wird. Deswegen
sind wir gehalten, für die Frauen Sicherung zu betreiben.
Denn die Situation der Frauen sieht anders aus: niedrigere
Erwerbsquote, höherer Anteil an Teilzeit, häufigere und
längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit, immer noch
geringere Verdienste, weniger Versicherungsjahre,
({9})
geringere durchschnittliche Entgeltpunkte und damit
eine geringere Rente als Männer. Dafür müssen wir
einen Ausgleich suchen.
Frauen verlangen mit Recht ihr Recht auf eine eigenständige Alterssicherung und wollen nicht wieder auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet werden. Wir
wollen das im Rahmen dieses Rentenpaketes lösen. Wir
werden das zügig angehen und haben dazu diese Punkte
vorgelegt. Sie wissen ganz genau, daß wir neben dem
Koalitionsvertrag, in dem diese Ziele formuliert sind
- zur Mindestsicherung sind schon vorhin Ausführungen
gemacht worden; hinzu kommt die eigenständige Alterssicherung für Frauen -, ein Wahlmodell für die zukünftigen Ehen verfolgen. Die Entgeltpunkte für diejenigen
Versicherten, die Kinder unter zehn Jahren erziehen,
sollen entsprechend dem Mindesteinkommen aufgewertet werden. Dadurch fördern wir die Teilzeitbeschäftigung von Eltern. Dies soll auch für Ehen gelten, die
bereits geschlossen sind - und hoffentlich auch zukünftig halten -, also bei geltendem Recht weitergeführt
werden.
Ich fordere Sie auf: Zügeln Sie Ihre Zunge, strengen
Sie Ihren Kopf an, und machen Sie eigene Vorschläge
für die Alterssicherung der Frauen und für die Zukunftssicherung der Renten! Ich glaube, das wäre Ihrer Gehaltsgruppe adäquat.
({10})
Nun hat das Wort
der Kollege Wolfgang Meckelburg, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
werde meine Zunge zügeln, aber dennoch in aller Deutlichkeit einiges in Ihre Richtung sagen, Frau Kumpf.
Das ist ja vermutlich die letzte Rentendebatte hier in
Bonn. Ich sage bewußt: vermutlich. Denn in den letzten
Wochen haben wir ja gelernt, daß eigentlich jeden Tag
etwas Neues aus Riesters Rentenkiste kommt. Aber ich
bleibe einmal dabei: Es wird die letzte rentenpolitische
Debatte hier sein.
Ich kann Ihnen in aller Deutlichkeit drei Vorwürfe
nicht ersparen. Der erste Vorwurf bleibt - als Schlußbilanz in Bonn -: Das, was Sie mit den Rentnern gemacht haben, ist Wählerbetrug. Es bleibt dabei, und es
wird immer wieder gesagt werden.
({0})
Sie haben im letzten Bundestagswahlkampf all das,
was mit der Reduzierung des Rentenniveaus zu tun hatte, als Rentenkürzung diffamiert. Heute reduzieren Sie
das Rentenniveau. Die Rentner haben von Ihnen etwas
anderes erwartet.
({1})
Wollen Sie einen Beweis? Der geschätzte Kollege
Jochen Poß, mein Gegenpart in Gelsenkirchen, hat ein
Jahr vor der Wahl in der Presse gesagt: Rentnern steht
das Wasser bis zum Hals, rettet die Rente. Private Zusatzversicherungen sind nach Ansicht von Poß nicht der
richtige Weg, hieß es. Die Leute haben daher etwas anderes von Ihnen erwartet.
Heute machen Sie eine Rentenniveausenkung. Noch
im Februar hatte Bundeskanzler Schröder das Gegenteil
behauptet. Wenn man es sich realistisch anschaut, sind
Sie eigentlich einen Schritt auf Blüms Reform zugegangen. Hier wäre ein Ansatz gegeben, zu gemeinsamen
Positionen zurückzukehren; denn Sie haben die Position,
die Sie vor der Wahl hatten, verlassen. Das will ich hier
deutlich festhalten.
Mein zweiter Vorwurf betrifft etwas, worüber man
nicht mit sich reden läßt, denn das ist noch schlimmer:
Es ist der Eingriff ins Rentensystem. Was Sie hier machen, ist die Abkehr von der Rentenformel. Sie haben
die Dreistigkeit besessen
({2})
- ich kann Sie wirklich nicht verstehen -, das, was als
Rentenformel, als Vertrauensformel bei den Rentnern
bekannt ist, ins Gegenteil zu verkehren. Sie haben den
Vergleich gezogen, daß die Rentensteigerung in den
letzten beiden Jahren unterhalb der Inflationsrate geblieben sei und Sie in den nächsten beiden Jahren darüber
hinausgingen.
Sie streuen den Rentnern damit erneut Sand in die
Augen. Das Wichtige am System ist die Lohn- und Beitragsbezogenheit der Renten und nicht der willkürliche
Austritt aus der Systematik, den Sie wollen.
({3})
Wer das einmal macht, macht es je nach Kassenlage
auch ein zweites Mal. Sie machen aus der Rentenformel
als Vertrauensformel eine Willkürformel. Das ist mein
Hauptvorwurf. Das müssen Sie ändern.
({4})
Kehren Sie zu anderen Instrumenten zurück. Bleiben Sie
bei der Formel. Lassen Sie mit sich darüber reden, wie
man auf lange Sicht die Rentensicherheit zwischen den
Generationen herstellen kann.
({5})
Mein dritter Vorwurf ist der heute lange durchgekaute Vorwurf der Zahlentrickserei. Ich fordere Sie auf,
Herr Arbeitsminister - wir hatten bisher keine Chance,
an die Zahlen zu kommen -, uns eine Vergleichsrechnung vorzulegen. Wir möchten wirklich auf gleicher Basis Blüms Reform und Riesters Reform vergleichen.
Heute haben Sie sich geweigert. Ich fordere Sie auf, uns
den Vergleich zu ermöglichen.
({6})
Eines möchte ich noch festhalten: Riesters Modell ist
ein Modell, das gebraucht wird, um in zwei Jahren nur
die Inflationsrate auszugleichen. Sie haben zwischenzeitlich überlegt, ob das ein Jahr geschoben oder vielleicht halbiert werden soll. Jetzt haben Sie die schöne
Formel des Inflationsausgleichs gefunden. Das läßt sich
besser verkaufen. Es bleibt aber gegenüber der normal
zu erwartenden Formel eine Reduzierung.
({7})
- Nein, keine Lebensstandardsicherung. Das ist eine
massive Kürzung. In zwei Jahren bringen Sie die Rentner auf die Rutsche. Die haben von Ihnen, Herr Andres,
etwas anderes erwartet.
Riesters Modell ist ein Abkassiermodell für den
Haushalt. Blüms Modell hatte einen Demographiefaktor
und hat damit wirkliche Zukunftssicherung zwischen
den Generationen geschaffen.
({8})
Sie haben die Chance, hier in Bonn zu sagen: Das,
was wir gemacht haben, war nicht so gut; wir nutzen den
Umzug nach Berlin und legen die Riester-Geschichte
zur Seite,
({9})
stellen die Gehirne neu an und versuchen, zu einer Rentenreform zu kommen, die wieder auf eine breite Basis
gestellt werden kann.
({10})
Denn diese Basis geht, wenn Sie diese Reform durchziehen, wirklich verloren.
({11})
Ich wünsche Ihnen viel Spaß und Herrn Riester eine
lange Regierungszeit. Ich bin sicher, wenn das so weitergeht, sind wir beim nächstenmal wirklich wieder dran.
({12})
Jetzt hat die Kollegin Ulrike Mascher das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich: Was wollen
Sie von der CDU/CSU eigentlich?
({0})
Wollen Sie - um es auf Bayerisch zu sagen - den verbalen „Watschentanz“, den Herr Singhammer hier vorgeführt hat?
({1})
- Herr Ramsauer, ich bin in München geboren. Ich bin
also - so glaube ich - berechtigt, hier als Bayerin zu
sprechen. - Oder wollen Sie bei der Rentenpolitik den
von Herrn Schäuble geforderten verantwortungsbewußten Konsens? - Sie müssen sich entscheiden.
({2})
Herr Storm, Sie müssen sich entscheiden, ob Sie in
einer heftigen Debatte weiterhin Begriffe verwenden,
die langsam die Grenze des Erträglichen überschreiten.
Sie überschreiten die Grenze, indem Sie hier dem Arbeitsminister, dem Arbeitsministerium oder dem Parlamentarischen Staatssekretär immer wieder vorwerfen,
Trickser und Täuscher zu sein.
({3})
Herr Storm, zumindest bisher waren Sie ein seriöser
Fachpolitiker. Sie müßten also genau wissen, daß wir auf
der Zahlenbasis des Statistischen Bundesamtes arbeiten,
also auf der Zahlenbasis, auf der Ihr Hintermann - der
ehemalige Bundesarbeitsminister Blüm - bisher auch gearbeitet hat. Was also Tricksen und Täuschen ist, fällt auf
Sie zurück, wenn Sie diese Argumentation verwenden.
({4})
Wenn Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken,
Blüm sei besser gewesen als Riester, dann frage ich Sie,
ob folgende Punkte wirklich besser waren: War es besser, die Höherbewertung der ersten Berufsjahre zu kürzen, also etwas zu tun, Frau Schnieber-Jastram, wodurch
vor allem die Frauen mit niedrigem Einkommen getroffen werden? Oder war es wirklich besser, die Altersgrenzen für Frauen im Turbotempo anzuheben? Sie wissen aus vielen Diskussionen genau wie ich, daß das die
Frauen empfindlich getroffen hat - viel empfindlicher
als eine Anpassung zum Inflationsausgleich.
({5})
Ich frage mich, ob Sie angesichts der wildgewordenen
Debatte verantworten können, daß es inzwischen Rentnerinnen und Rentner gibt, die anfragen, ob sie denn nur
noch 67 oder 64 Prozent ihrer Rente bekommen. Ich
sage hier ganz deutlich: Keine Rente wird gekürzt; es
gibt vielmehr eine Rentenanpassung entsprechend der
Preissteigerungsrate.
({6})
Das ist etwas, was in den letzten Jahren von der alten
Bundesregierung nicht erreicht worden ist.
Frau Schnieber-Jastram, ich bin seit 1990 Abgeordnete in diesem Bundestag. Ich frage Sie: Was hat die
Bundesregierung getan, um eine eigenständige Alterssicherung der Frauen zu erreichen?
({7})
Was hat die Bundesregierung getan, um die Beitragssätze abzusenken?
({8})
- Nichts! Was hat die Bundesregierung getan, um die
betriebliche Altersrente zu verbessern?
({9})
- Nichts! Was wäre bei dem Demographiefaktor von
Herrn Blüm herausgekommen?
({10})
- Ohne eine soziale Flankierung mehr Armut bei den
Alten. Was wäre herausgekommen? - Eine Niveauabsenkung ohne alle Verbesserungen der Altersvorsorge.
({11})
Um es ganz schlicht und einfach zu sagen: Bei Norbert
Blüm hätte es durch seinen Demographiefaktor eine Niveauabsenkung gegeben; Walter Riester dagegen schafft
durch seine zusätzliche Altersversorgung ein höheres
Versorgungsniveau und mehr materielle Sicherheit im
Alter.
({12})
Wir werden den Generationenkonflikt nicht schüren,
sondern werden den Generationenpakt neu befestigen.
Ich kann Sie nur auffordern: Kehren Sie zu einer sachlichen Rentenpolitik zurück und versuchen Sie mit uns
einen Konsens, den Sie, Herr Blüm, 1996 mit dem
Wachstums- und Beschäftigungsförderungesetz aufgekündigt haben.
({13})
Wir sind zu Gesprächen bereit.
({14})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Die Aktuelle Stunde zur Situation im Kosovo entfällt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes parlamentarischer
Beratungen
- Drucksache 14/183 ({0})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Sabine Jünger,
Petra Pau, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Bannmeilenregelung
- Drucksache 14/516 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes
- Drucksache 14/1147 ({2})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
({3})
- Drucksache 14/1292 Berichterstattung:
Abgeordnete Roland Claus
Steffi Lemke
Dieter Wiefelspütz
Zum Koalitionsentwurf liegen drei Änderungsanträge
der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktionen von F.D.P. und PDS jeweils fünf Minuten
erhalten sollen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann
ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem erteile ich
dem Kollegen Eckhardt Barthel, SPD-Fraktion, das
Wort.
({4})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind herzlich
eingeladen, im Saal zu bleiben, weil auch der jetzt aufgerufene Tagesordnungspunkt interessant ist. Aber wenn
Sie schon die Debatte nicht verfolgen wollen, dann bitte
ich Sie, die Gespräche nicht im Saal weiterzuführen.
Bitte, Herr Kollege!
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Mit dem Umzug des Deutschen Bundestages und des Bundesrates nach Berlin
stellt sich auch die Frage nach der sogenannten Bannmeile neu. Ich gebe zu, es gibt sicher wichtigere Fragen;
aber auch diese muß von uns beantwortet werden.
Brauchen wir eine Bannmeile und, wenn ja, in welcher Form, oder reichen die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes aus, um die obersten Verfassungsorgane zu schützen?
({0})
Von den 17 deutschen Parlamenten haben elf eine
Bannmeile, sechs haben keine. Die Erfahrungen der
Parlamente in der Bundesrepublik Deutschland sowie in
anderen Ländern - ich denke etwa an Frankreich haben gezeigt, daß sich sowohl der Verzicht auf eine
Bannmeile als auch die Existenz einer Bannmeile jeweils bewährt haben. Die Diskussion um ein derartiges
Gesetz spiegelt genau dies wider.
({1})
- Ich weiß nicht, ob Frankreich ein solches Gesetz hat,
aber ich lasse mich von Ihnen gern belehren.
({2})
Einige wollen gar keine Bannmeile haben, andere
verlangen eine sehr wehrhafte Regulierung. Es geht in
der Tat um eine Güterabwägung: einmal des Schutzes
des hohen Gutes der Versammlungsfreiheit und zum
anderen des ungehinderten Zuganges zum Parlament
und der Arbeitsfähigkeit des Parlamentes. Letzteres
bedeutet die Arbeitsfähigkeit aller Parlamentarier, weshalb wir eigentlich eine Regelung finden sollten, die
einen Konsens in diesem Hause ermöglicht. Wir meinen,
daß mit unserer Vorlage dieser Konsens eigentlich möglich ist.
Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf trägt
beiden Interessen und Zielen, dem der Versammlungsfreiheit und dem der Arbeitsfähigkeit, Rechnung. Wenn
wir es auf einen Nenner bringen, so haben wir uns an
der Maxime orientiert: So viel Regulierung wie nötig, so
wenig Einschränkungen wie möglich. Mit der Beschränkung auf das Notwendige genügt unser Entwurf auch
der Rechtsprechung der Bundesverfassungsgerichts und
des OVG Münster, wonach die Versammlungsfreiheit
nicht beliebig relativiert werden darf. Ein wie auch immer genanntes Bannmeilengesetz muß den Wesensgehalt des Art. 8 des Grundgesetzes respektieren. Wir sehen dies in unserem Gesetzentwurf verwirklicht.
({3})
Im übrigen haben wir mit diesem Entwurf das Rad
nicht neu erfunden. Natürlich lag uns bei der Erarbeitung unseres Entwurfs auch der F.D.P.-Entwurf aus der
vorigen Legislaturperiode vor. Die Differenzen zwischen Ihrem Entwurf und unserem Entwurf sind so gering, daß Sie eigentlich frohen Herzens unserem Entwurf zustimmen sollten.
({4})
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu den
wichtigsten Punkten unseres Entwurfes und beginne mit
etwas, was sicherlich wieder eine fröhliche Diskussion
auslösen wird. Gleichwohl halten wir es für notwendig,
die Frage des Begriffes zu erörtern. Wir halten den Begriff der Bannmeile, unter dem heute eine Verbannung
der Bevölkerung verstanden wird, für nicht mehr zeitgemäß und für vordemokratisch. Wir wollen nicht die
Bevölkerung verbannen, sondern einen befriedeten Bereich für die Arbeit des Parlaments schaffen,
({5})
was übrigens nicht heißt, daß die anderen Bereiche unfriedlich sein könnten. Dieses Ziel sollte sich auch im
Namen ausdrücken. Deshalb sprechen wir von befriedeten Bezirken.
Meine Damen und Herren, bei dem Platz der Republik, dem Platz vor dem Reichstag, geht es nicht um
einen noch so schönen Rathausplatz, sondern um einen
historischen Ort. Ich bitte Sie, auch daran zu denken.
({6})
Auf diesem Platz haben sich Hunderttausende zu Freiheitskundgebungen und anderen Anlässen versammelt.
Das muß auch zukünftig möglich sein. Ich frage mich
allerdings, ob wir weiterhin Hunderttausende auf die
Beine bekommen, ohne daß es zu einer Love Parade
ausartet.
Gerade angesichts der Bedeutung dieses Platzes besonders für die Berliner Bevölkerung, an die man vielleicht auch einmal denken sollte, darf kein Eindruck entstehen, der auch nur annähernd etwas mit Verbannen zu
tun haben könnte. Dies wäre fatal.
Meine Damen und Herren, ich habe mich gewundert,
als Herr Hörster bei der ersten Lesung die polemische
Frage gestellt hat: Warum muß denn unbedingt innerhalb der Bannmeile demonstriert werden? Ich meine,
diese Frage ist entlarvend, und sie drückt auch eine
totale Unkenntnis der Geschichte dieses Platzes der Republik aus.
({7})
Meine Damen und Herren, wir haben eine enge Begrenzung des befriedeten Bezirkes vorgenommen, und
zwar einerseits, weil wir so wenig Einschränkung wie
möglich wollen, andererseits aber auch aus polizeitechnischen Erwägungen heraus. Ich freue mich übrigens,
daß die Berliner Polizei dies richtig findet und auch unterstützt. Im übrigen glaube ich, daß hinsichtlich der Begrenzung dieses Raumes eigentlich kein Dissens vorhanden ist, obwohl es einige gab, die das Bundeskanzleramt, den Pariser Platz usw. mit einbeziehen wollten.
Dies ist aber zum Glück vom Tisch.
Meine Damen und Herren, so wenig Einschränkung
wie möglich bedeutet allerdings auch, daß sich diese
Einschränkung nur auf die Gewährleistung der Parlamentsarbeit beziehen darf. Deshalb wollen wir, daß das
Versammlungsverbot faktisch nur dann ausgesprochen
werden kann, wenn auch Parlamentsarbeit stattfindet.
Mit anderen Worten: Wenn keine Sitzung des Parlaments oder seiner Gremien stattfindet, wird unser Gesetz
Versammlungen nicht verhindern.
Ein dritter Punkt, meine Damen und Herren. In Zukunft soll die Verletzung des befriedeten Bereiches nicht
mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit behandelt werden.
({8})
- Das ist nicht das Schlimmste. Ich glaube, das ist das
Wesentlichste an diesem Gesetz.
({9})
Meine Damen und Herren, man kann es Abrüstung
nennen. Man kann auch sagen: Laßt es uns tiefer hängen. Das ist aber nicht der einzige Grund. Ich glaube
vielmehr auch - wiederum kann ich mich, was mich
sehr erfreut, auf die Polizei berufen -, daß durch den
Verzicht auf das Legalitätsprinzip und die Statuierung
des Opportunitätsprinzips für die Polizei sehr viel flexiblere Möglichkeiten bestehen, was zu einer Deeskalation
beitragen kann und hoffentlich auch beitragen wird.
({10})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Im Vorfeld dieses Gesetzes hat es viele Diskussionen und, wie ich gehört habe, auch eine kleine Anhörung gegeben. Viele Befragungen wurden durchgeführt. Wir hatten den Eindruck - dies ist kaum zu widerlegen -, daß unser Entwurf auf große Zustimmung stößt.
({11})
Eckhardt Barthel ({12})
Er ist faktisch eine Brücke zwischen den beiden Polen,
die ich anfangs genannt habe. Ich würde mich freuen,
meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie
mit über diese Brücke gehen würden.
Ich bedanke mich.
({13})
Herr Kollege Barthel, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag.
Ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses.
({0})
- Aber sie war sehr gut. Herzlichen Glückwunsch!
({1})
Nun erteile ich dem Kollegen Dr. von Stetten,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort. - Es ist ganz bestimmt
nicht Ihre erste Rede, Herr Kollege.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Trotzdem
würde ich mich freuen, wenn ich auch so ein Lob bekäme wie der Kollege.
({0})
Die CDU/CSU-Fraktion hat bereits in der letzten Legislaturperiode die Verabschiedung eines neuen Bannmeilengesetzes angemahnt, um rechtzeitig vor dem Umzug nach Berlin auch dort den Schutz der Parlamentsarbeit zu gewährleisten und abzusichern. Die
Verhandlungen zogen sich deswegen hin, weil die
CDU/CSU bei einer so wichtigen Angelegenheit einen
breiten Konsens über die Parteien hinweg erreichen
wollte.
Bei uns gab es keine Diskussion über die Frage, ob
eine Bannmeile notwendig ist oder nicht. Herr Kollege
Barthel, uns mit anderen Ländern, beispielsweise mit
Frankreich, zu vergleichen ist sicherlich nicht möglich.
- Herr Barthel, hören Sie gerade zu? - Nun gut, dann
nicht. - In Frankreich schützt sogar das Militär das Parlament, wenn es sein muß, und zwar auf Grund einer
einfachen Verordnung.
Wir halten es für eine selbstverständliche demokratische Notwendigkeit, daß die Parlamentarier ungestört,
ohne Druck von der Straße und ohne Demonstrationen,
arbeiten können, und erinnern uns noch gut an die Blokkadesituationen in Bonn, bei denen ohne die Bannmeile
ein Arbeiten von Parlamentariern nicht möglich gewesen wäre.
Dies ist auch keine Einschränkung des Demonstrationsrechts, und, Herr Kollege Barthel, die Frage des
Kollegen Hörster, warum gerade in der Bannmeile demonstriert werden solle und nicht in 99,9 Prozent der
Bundesrepublik Deutschland, ist doch berechtigt.
({1})
Dies dient der Erhaltung der Regierungsfähigkeit und
der Freiheit der Abgeordneten, auch in schwierigen
Situationen freie Entscheidungen zu treffen.
Nach der Wahl wurde deswegen im Geschäftsordnungs- und Immunitätsausschuß vereinbart, gemeinsam
ein solches Gesetz zu erarbeiten und zu beschließen.
Dazu ist es leider nicht gekommen. Die Koalition aus
SPD und Grünen hat zwar diese Gespräche angekündigt,
die Zusage aber nicht eingehalten.
({2})
- Stellen Sie doch eine Frage, anstatt dazwischenzureden.
Vor 14 Tagen wurde ein fertiger Entwurf auf den
Tisch gelegt, und dabei wurde erklärt, daß dieser aber
nicht verhandlungsfähig sei, so nach dem Motto: Vogel
friß oder stirb. Wir, die SPD, wollen zwar eine breite
Mehrheit. Aber eure Meinung müßt ihr für euch behalten. Ihr könnt nur akzeptieren oder ablehnen.
Das geht uns leider bei vielen Gesetzen so, die entweder dahingeschludert werden oder sehr schlecht sind,
weil der kleinere Koalitionspartner, die Grünen, die
Sozialdemokraten unter Druck setzt. Das Ganze hat
irgendwie Methode und Parallelen zu den Wählern der
rotgrünen Koalition vom 27. September 1998, deren
Meinung nicht mehr zählt. Wir haben heute nachmittag
die Debatte über die Renten gehabt. Sie fühlen sich
schlichtweg um ihre Stimme betrogen.
Die CDU/CSU-Fraktion will eine Bannmeile. Es ist
auch nicht das Thema, ob dies nun Bannmeile oder befriedeter Bezirk heißt. Herr Kollege, das ist bei uns nicht
in der Diskussion. Wichtig ist der Zweck. Auch die
räumliche Ausdehnung, die wir in der Tat lieber etwas
größer gesehen hätten, aber die mit den Sicherheitsbehörden abgestimmt ist, kann akzeptiert werden.
Wir wollen aber, daß dieser befriedete Bezirk ein
wirklich befriedeter Bezirk ist, und zwar bei allen Sitzungen des Bundestages und der Bundestagsgremien.
Deswegen fordern wir, die Bestimmung des bisherigen
§ 3 des Bannmeilengesetzes wiederaufzunehmen und an
die Stelle des etwas schwammigen und unverständlichen
§ 5 neuer Fassung zu setzen.
Damit wollen wir sicherstellen, daß nicht nur die unmittelbaren Sitzungen, sondern auch die durch die Fraktionen organisierten Arbeitsgruppen und die vielfach in
sitzungsfreien Zeiten durchgeführten Fachgespräche,
Anhörungen, Vor- und Nacharbeiten zu den Sitzungswochen und Fraktionssitzungen geschützt werden.
Es muß für alle Bürger unmißverständlich klar sein,
daß Demonstrationen in diesem Bezirk die Ausnahme
bilden und nicht die Regel. Das heißt, es darf keine Beweislastumkehr geben. Wir werden deswegen einen entsprechenden Antrag stellen.
Eckhardt Barthel ({3})
Für viel gravierender halten wir jedoch die Herabzonung der Verletzung der Bannmeile von einer
Straftat gemäß § 106 a StGB zu einer bloßen Ordnungswidrigkeit. Konnte die Verletzung bisher mit bis
zu 6 Monaten Freiheitsstrafe und die Aufforderung,
sprich: Aufhetzung zur Verletzung mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden, so ist diese ganz
wichtige Differenzierung nun aufgehoben worden und
alles zusammen zu einer bloßen Ordnungswidrigkeit
degradiert worden.
Wir sind der Meinung, daß schon sehr deutlich ein
Unterschied gemacht werden müßte zwischen dem, der
rechtswidrig zu einer solchen Tat auffordert, und dem,
der als Verführter diese Tat ausführt. Ähnlich - nur
vielleicht in einem anderen System - hat die F.D.P. ja
auch votiert.
Wir sind auch der Meinung, daß es geradezu eine
Aufforderung an linke Autonome oder rechte Chaoten
darstellt, es doch einmal mit der Verletzung des befriedeten Bezirks zu versuchen; denn es wird ja nur so geahndet, wie wenn man bei Rot über die Ampel fährt.
Es ist auch eine Frage des Selbstverständnisses der
Abgeordneten und ihrer Verantwortung gegenüber anderen Verfassungsorganen, wie sie mit den demokratischen
Institutionen umgehen und ob sie wirksam gegen Gewalt,
Erpressung, physische und psychische Störungen geschützt werden. Hier versagt die rotgrüne Koalition, insbesondere versagen die Grünen, die nur noch mit einem
Herrn vertreten sind - Herrn Ströbele, der Gegner der
Bannmeile ist -, wegen ihres sowieso gestörten Verhältnisses zum Staat, vor allem zum Gewaltmonopol.
Eigentlich müßten die Grünen nach ihrem letzten
Parteitag die Lehren gezogen haben, auf dem sie selbst
einmal gespürt haben, wie es ist, wenn man in der Bewegungs- und Meinungsfreiheit behindert wird. Sie
haben sicher ein gewisses Verständnis für uns, Herr
Ströbele, wenn wir Schadenfreude nur mühsam unterdrücken konnten, als wir sahen, daß diejenigen, die früher zu den Oberstoßern und den Oberwerfern gehörten,
diesmal selbst zu Gestoßenen und Beworfenen wurden.
Das wollen wir vor dem Reichstag, vor dem Bundesrat
und dem Bundesverfassungsgericht vermeiden. Deswegen wollen wir ein vernünftiges Gesetz. Wir werden daher den Antrag stellen, daß Art. 4 Abs. 2 ebenso ersatzlos
aufgehoben wird wie Artikel 5 des Gesetzes, damit die
alte Strafbewehrung des § 106 a StGB weiter gilt.
({4})
Für geradezu absurd halten wir den Kotau der Sozialdemokraten vor den Grünen mit der Befristung des
Gesetzes bis zum 30. Juni 2003. Ein befristetes Gesetz
trägt immer den Schein des Unrechts.
({5})
Das Gegenteil wäre richtig: nicht befristen, sondern
nach drei oder vier Jahren überprüfen, ob es geändert
werden muß.
Praktisch richtig, aber rechtssystematisch sicher
falsch ist der Trost der Sozialdemokraten: Ihr könnt
dann ja mit eurer Mehrheit nach der Bundestagswahl
2002 die Befristung aufheben. - Wir werden das tun,
weil wir dann die Mehrheit haben werden. Aber ich darf
hinzufügen, daß wir - und mit uns wohl die Mehrheit
der Wähler in Deutschland - der Meinung sind, daß diese in sich zerstrittene Koalition schon jetzt wieder reif
ist, abgelöst zu werden. Aber das Sich-Klammern-andie-Macht hält zusammen. Herr Beck, Sie sind einer
dieser Klammerer, ein Oberklammerer.
({6})
Es gibt ganz unterschiedliche Gesetze. Es gibt solche, die wirklich inhaltlich neu sind, wo man eine
Erfolgskontrolle machen muß und wo die Erfolgskontrolle dann dazu führen kann, daß man in der
Tat ein Gesetz abändert oder ganz aufhebt, und es
gibt solche - denken Sie an das BGB oder an Strafgesetze! -, wo es natürlich absoluter Blödsinn wäre, jetzt ein Verfallsdatum einzubauen. Das würde
nur dazu führen, daß man Gesetze noch weniger
gut berät oder daß die Verwaltung … nicht mehr
weiß, was sie tun muß.
Ich bitte jetzt um Entschuldigung: Ich habe nicht angekündigt, daß ich ein Zitat gebracht habe. Diese Sätze
sagte wörtlich die heutige Justizministerin Dr. Herta
Däubler-Gmelin, damals noch stellvertretende SPDVorsitzende und Obfrau im Rechtsausschuß, am 8. Januar 1997 im Rundfunk, und wo sie recht hat, hat sie
recht. Ich wiederhole:
… denken Sie an das BGB oder an Strafgesetze …,
wo es natürlich absoluter Blödsinn wäre, jetzt ein
Verfallsdatum einzubauen. Das würde dazu führen,
daß man Gesetze noch weniger gut berät …
„Wie wahr, wie wahr!“ würde ich der Ministerin zurufen, wenn sie da wäre.
Wir werden deswegen beantragen, daß dieses Verfallsdatum ersatzlos gestrichen wird, und wären dankbar, wenn die Aufrechten in der SPD - auch die sitzen
hier - dem zustimmen würden. Das würde unsere Zustimmung zu dem Gesetz erleichtern.
({7})
- Ich habe Sie nur angeguckt, Herr Kollege.
({8})
Die zwei wichtigsten Arbeitsgruppen der CDU/
CSU - ({9})
- Ich habe Sie fixiert?
({10})
- Gott sei Dank ist das vorbei; reden wir im Ausschuß darüber.
({11})
Die Arbeitsgruppe für Recht und die Arbeitsgruppe
für Inneres der CDU/CSU-Fraktion haben Ihren Gesetzentwurf, den wir schlichtweg nur als Mogelpackung bezeichnen können, abgelehnt; ihre Mitglieder haben in
den Ausschüssen dagegen gestimmt.
Wir wollen eine Bannmeile in Berlin um den
Reichstag und um den Bundesrat am Potsdamer Platz
und natürlich auch um das Verfassungsgericht in Karlsruhe. Wir wollen eine Lösung, die sich in Bonn und
Karlsruhe bewährt hat; sie sollte nicht ohne Not - nur
weil Sie als SPD mit den Grünen nicht zu Rande kommen - aufgegeben werden. Wir bitten daher um Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen. Dann stände
einer breiten Mehrheit für das Gesetz nichts im Wege.
({12})
Danke schön.
({13})
Als
nächster Redner hat der Kollege Hans-Christian Ströbele
von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Gesetzentwurf geht von der Vorstellung aus,
daß die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland nach 50 Jahren erwachsen und reif
geworden ist
({0})
und daß sich dieses Parlament, wenn es nach Berlin umgezogen sein wird, nicht besonders vor der Bevölkerung
Berlins oder den nach Berlin Angereisten schützen will
und muß.
Wir meinen, daß die Bevölkerung ein Recht darauf
hat, auch auf der Straße durch Versammlungen und
Demonstrationen ihre Abgeordneten zu beeinflussen
und ihre Meinung kundzutun. Das sollen nicht nur die
auch hier in Bonn in nahen Büros als Lobbyisten Tätigen tun können, die möglichst jeden Tag, in jeder Stunde mit viel Schriftlichem und Mündlichem die Abgeordneten zu beeinflussen und auf ihre Seite zu ziehen versuchen. Diese Möglichkeit soll auch die Bevölkerung
haben. Deshalb haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem eine Bannmeile nicht mehr vorgesehen ist,
wie sie in Bonn bis heute existiert.
Wir verfolgen mit unserem Gesetzentwurf einen
zweiten Grundgedanken. Wir wollen nicht, daß der Bevölkerung durch ein Gesetz verboten wird, auf dem
Platz der Republik - darauf ist bereits hingewiesen worden -, auf einem der berühmtesten Plätze in Deutschland, auf dem nach dem Krieg große Demonstrationen
für die Freiheit mit Ernst Reuter oder Willy Brandt stattgefunden haben, zusammenzukommen, zu demonstrieren, die Meinung kundzugeben und von ihm aus freiheitliche Signale rund um den Erdball zu senden. Das
wollten wir nicht. Das Wort „Verbot“ finden Sie in unserem Gesetzentwurf nicht mehr.
Wir wollen - ich denke, das ist ein richtiger und wesentlicher Schritt hin zu mehr Freiheit und auch zu mehr
Selbstbewußtsein dieses Parlaments; es ist das Gegenteil
von dem, was Sie erreichen wollen; man hat manchmal
den Eindruck, daß Sie sich vom Volk umzingelt fühlen
und Angst vor ihm haben - Demonstrationen und Kundgebungen immer dann zulassen - so steht es in unserem
Gesetzentwurf -, wenn keine konkreten Anhaltspunkte
dafür vorhanden sind, daß die Arbeit des Parlaments behindert werden könnte. Das ist eine freiheitliche Regelung. Damit wird das Demonstrationsrecht, das Recht
der Bevölkerung auf Meinungskundgabe, ernst genommen.
Wir wollen Übertretungen der Zulassungsbeschränkung lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet wissen. Die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit liegt in der
Disposition der Ordnungsbehörden, das heißt, daß sie
nicht einschreiten müssen, wenn drei Behinderte vor
dem Reichstag ein Schild hochhalten, was sie nach dem
geltenden Gesetz tun müßten; denn damit ist das eine
Demonstration im Bannkreis und somit eine strafbare
Handlung. Wir wollen der Polizei wie bei allen anderen
Ordnungswidrigkeiten einen Ermessensspielraum zubilligen, zu entscheiden, ob sie einschreitet. Aber sie soll
nicht mehr durch Gesetz zum Einschreiten gezwungen
sein. Sie soll im Einvernehmen mit dem Präsidenten des
Deutschen Bundestages die Entscheidung zum Einschreiten fällen.
Nach unserem Gesetzentwurf werden Demonstrationen nicht nur in der sitzungsfreien Zeit, sondern auch zu
anderen Zeiten in der Nähe des Reichstags und auch auf
dem Platz der Republik stattfinden. Ich freue mich auf
die vielen friedlichen Demonstranten, die uns bei vielen
wesentlichen Entscheidungen, die wir treffen müssen,
ihre Meinung mit auf den Weg geben - zur freien Beurteilung durch die Abgeordneten. Deshalb machen wir
dieses Gesetz. Weil wir sicher sind, daß die Erfahrungen
mit diesem Gesetz, mit der Bevölkerung und mit der
Demonstrationskultur in Berlin positiv sein werden,
werden wahrscheinlich am Ende dieser Legislaturperiode überhaupt keine Sonderregelungen mehr nötig
sein. Wir werden die Erfahrung gemacht haben, daß die
Strafgesetze und das Versammlungsgesetz völlig ausreichen. Wenn das zutrifft, dann hat sich unser Gesetz selber überflüssig gemacht. Dieses Ziel steht im letzten
Teil unseres Gesetzentwurfes. Ab dem Jahre 2003 gibt
es überhaupt keine Beschränkung mehr.
({1})
Das ist ein wesentlicher, richtiger Schritt hin zu mehr
Demokratie, zu mehr Mitbestimmung und zu mehr
Möglichkeiten der Bevölkerung, auf die Abgeordneten
Einfluß zu nehmen. Dafür stehen wir. Deshalb wollen
wir dieses Gesetz verabschieden. Das tun wir heute mit
Mehrheit.
({2})
Als
nächster Redner hat der Kollege Jörg van Essen von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die F.D.P.-Bundestagsfraktion freut
sich, daß heute eine Regelung gefunden wird, die weitgehend ihren eigenen Vorstellungen entspricht. Der aus
dem Bundestag ausgeschiedene Kollege Dr. Burkhard
Hirsch hat sich in der Frage der Bannmeilenregelung besonders engagiert. Ich möchte ihm hier ausdrücklich dafür danken, daß er Denkanstöße gegeben hat, die im
Hause - das zeigt die heutige Debatte - großen Widerhall finden,
({0})
nämlich die Überlegung, ob die bisher in Bonn praktizierte Bannmeilenregelung nicht zu starr ist.
Wir alle hatten häufig ein schlechtes Gewissen, wenn
wir zum Beispiel im Immunitätsausschuß mit Strafverfahren befaßt waren. Als ich in den Bundestag eingezogen bin, habe ich gesehen, daß die Fälle, in denen es
große Zustimmung für Demonstranten gab und in denen
außer gegen die Bannmeilenregelung gegen kein anderes Strafgesetz verstoßen wurde, anders als andere gehandhabt wurden. Das wurde dann akzeptiert, so will ich
einmal vorsichtig sagen. Es gab aber auch Demonstranten, die diesen politischen Rückhalt nicht hatten und bei
denen das Legalitätsprinzip in voller Wucht Anwendung
fand.
Als jemand, der aus der Justiz kommt und der sich
daher sehr intensiv der Gerechtigkeit verpflichtet fühlt,
habe ich dabei ein sehr ungutes Gefühl gehabt. Ich muß
sagen, es gefällt mir jetzt sehr gut, daß wir in Zukunft
besser abwägen können und daß wir das, was wir an
Eingriffen vornehmen, auf das Notwendigste beschränken. Ich glaube, daß der Weg, den wir jetzt gehen, gut
ist.
Herr Ströbele, ich widerspreche Ihnen: Die Überlegung, ob möglicherweise das allgemeine Polizeirecht
ausreicht, ist natürlich heranzuziehen. Für mich war die
Asyldebatte - ich war bei dieser Debatte Verhandlungsführer meiner Fraktion - der entscheidende Punkt, an
dem ich gemerkt habe, daß wir ohne eine Regelung, die
einen Abstand vom Parlament gewährleistet, nicht auskommen werden. Die damaligen Vorgänge haben
gezeigt, daß selbst diejenigen Kollegen, die damals gegenüber dem neuen Asylrecht kritisch eingestellt waren
- ich erinnere an Professor Ullmann -, in einer unglaublichen Weise bedrängt wurden. Dem Kollegen Ullmann
wurde sogar die Rede zerrissen. Er ist damals ohne sein
gegen die Asylrechtsänderung verfaßtes Redemanuskript im Bundestag angekommen. Stellen Sie sich bitte
vor, daß alles das, was wir damals an der Bannmeile erlebt haben, hier unmittelbar vor unserer Tür geschehen
wäre. Diese Vorstellung macht deutlich, daß wir eine
solche Bannmeilenregelung brauchen.
({1})
Ich bin deshalb anderer Auffassung als Sie, Herr Ströbele. Sie haben gesagt: Wir werden sie nicht brauchen.
Daher wundert es mich, daß Sie diesem Gesetzentwurf
zustimmen. Denn wenn Sie diese Gewißheit haben, dann
müssen Sie diesen Gesetzentwurf heute ablehnen. Das
ist nun einmal so.
Herr
Kollege van Essen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ja.
Bitte
schön, Herr Ströbele.
Herr Kollege, geben Sie mir recht, daß die Polizei Sie an derselben Stelle, an der Sie bei der damaligen
Debatte durch die Bannmeile geschützt wurden
- ich kenne die Einzelheiten nicht -, allein auf der
Grundlage des Versammlungsgesetzes, wie es überall in
der Bundesrepublik Deutschland gilt, genauso hätte
schützen können? Auch ohne Bannmeile hätte die Polizei 1 Kilometer, 3 Kilometer, 300 Meter oder 500 Meter
vor dem Parlament absperren können. Das macht doch
keinen Unterschied. Dazu braucht man doch kein spezielles Gesetz. Dazu reichen die Möglichkeiten des Versammlungsgesetzes. Oder sehen Sie das anders?
Herr Kollege Ströbele, ich
sehe das anders. Gerade die Asylrechtsänderung wurde
in unserem Lande außerordentlich kritisch diskutiert.
Wenn die Polizei damals beispielsweise einen Kordon
gezogen hätte, dann hätte sie sich vielfältigen Fragen
ausgesetzt gesehen. In diesem Zusammenhang wäre
selbstverständlich der Rechtsweg beschritten worden.
Wir kennen das von entsprechenden Verfügungen. Ein
solches Vorgehen hätte dazu führen können, daß wir
keine gültige polizeirechtliche Verfügung gehabt hätten,
zum Beispiel weil der Rechtsweg noch nicht vollständig
ausgeschöpft worden war. Dadurch, daß wir eine Bannmeilenregelung hatten, konnte sich die Polizei darauf
berufen und eine klare Grenzziehung vornehmen. Das
ist ein Vorteil, dessen wir uns nicht begeben sollten.
Ich bin dem Kollegen Wiefelspütz dankbar, daß er in
der Debatte des Geschäftsordnungsausschusses gesagt
hat, daß der F.D.P.-Entwurf, der als erster eingereicht
worden ist, in vielen Punkten Inspiration für den Entwurf der Koalition gegeben hat. Ich will aber deutlich
machen, warum wir dem vorliegenden Gesetzentwurf
- letztendlich aus drei Gründen - nicht zustimmen werden.
Erstens. Wir können einer Befristung nicht zustimmen. Ich habe hier mit Nachdruck ausgeführt, warum
wir eine Bannmeilenregelung für notwendig halten. Wir
sind zwar dafür, Erfahrungen zu prüfen; aber das macht
keinen Sinn - das ist unsere Auffassung -, wenn das Ergebnis von vornherein feststeht. Warum läßt man sich
überhaupt noch einen Bericht geben, wenn man schon
zuvor bestimmt, daß das Gesetz ausläuft, wenn dies mit
der Begründung geschieht, die Herr Ströbele hier gegeben hat, man werde feststellen, daß es überflüssig ist?
Damit nimmt man das Ergebnis der Überprüfung vorweg. Deswegen können wir uns einer solchen Befristung
nicht anschließen.
Zweitens. Wir möchten gerne, daß das Präsidium des
Deutschen Bundestages über die Zulassung von Demonstrationen entscheidet. Wir möchten das deswegen,
weil das Gesetz dem Schutz der parlamentarischen Beratungen dienen soll. Wir sollen geschützt werden. Deshalb möchte ich, daß wir als Mitglieder des Deutschen
Bundestages darüber entscheiden.
({0})
Ich möchte nicht, daß wir die Entscheidung an die Polizei abgeben. Ich kann mir vorstellen, daß die Polizei
einen Sachverhalt aus polizeitaktischen Gründen sehr
viel enger sehen wird als wir Politiker, weil wir es gewöhnt sind, daß man sich mit uns kritisch auseinandersetzt, und weil wir bereit sind, das eine oder andere Risiko einzugehen. Deshalb möchte die F.D.P.-Bundestagsfraktion, daß das Präsidium, das mehr Mut hat, mehr
Mut haben kann, die letztendliche Entscheidung trifft.
Diese Entscheidung soll es im Benehmen mit dem Innenminister treffen, denn es müssen natürlich dabei auch
polizeiliche Erkenntnisse berücksichtigt werden. Aber
die letztendliche Entscheidungsvollmacht in dieser Frage soll beim Präsidium des Deutschen Bundestages liegen.
Es gibt einen letzten Punkt, bei dem man leider nicht
auf unsere Vorschläge eingegangen ist. Wir sind zwar
wie die Koalition der Auffassung, daß ein Verstoß gegen
das Gesetz als Ordnungswidrigkeit geahndet werden
soll, weil dann das Opportunitätsprinzip gilt, nach dem
die Polizei lageangemessen entscheiden kann, und nicht
mehr das Legalitätsprinzip, gemäß dem sie verfolgen
muß. Wir möchten aber, daß die Hintermänner, die alles
steuern und die Leute aufwiegeln, auch in Zukunft als
Straftäter bestraft werden können.
({1})
Das sind drei wesentliche Punkte, die wir im Gesetz
leider nicht wiederfinden und die letztlich dazu führen,
daß wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können.
Herzlichen Dank.
({2})
Als
nächster Redner hat der Kollege Roland Claus von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Zu dem jetzt vorliegenden
Ergebnis nach den Beratungen in den Ausschüssen läßt
sich sagen: Sie haben mit Ihrer Mehrheit die Bannmeile
umbenannt, aber Sie haben sie nicht verbannt. Wir
haben damit insgesamt als Parlament, wie wir finden,
eine Chance vertan. Wir ziehen nach Berlin um und
schränken als erstes das Versammlungsrecht der Berlinerinnen und Berliner ein. Jenen Mitbürgerinnen und
Mitbürgern, denen wir noch bei der Reichstagseröffnung
zugerufen haben, daß sie uns willkommen sind und daß
wir mit ihnen in einen Dialog eintreten wollen, setzen
wir erst einmal eine Einschränkung des Versammlungsrechts vor die Nase. Das kann unsere Zustimmung nicht
finden.
({0})
Dennoch wollen natürlich auch wir nicht verkennen, daß
die jetzige Beschlußempfehlung bedeutende Fortschritte
gegenüber der Bonner Bannmeilenregelung mit sich
bringt. Diese sind aus unserer Sicht durchaus anerkennenswert. Es reicht uns aber nicht aus, um hier zuzustimmen.
Wenn Sie, Herr Kollege Ströbele, an wen auch immer
die aus meiner Sicht sehr begrüßenswerte Botschaft
richten, daß sich das Ganze im Jahre 2003 erledigt haben kann, sollten spätestens die Zwischenrufe, die Sie
von Ihren Kollegen Koalitionspartnern hier bekommen
haben, klargemacht haben, daß eine solche Äußerung
ein frommer Wunsch ist und mit den Realitäten - auch
in dieser Koalition - im Moment leider nichts zu tun hat.
({1})
Insofern empfinden wir dieses Gesetz als einen Anachronismus mitten in der Bundeshauptstadt, der auch
nicht zu Europa paßt, insbesondere angesichts der Tatsache, daß es Bannmeilen bekanntlich nur in vier westeuropäischen Demokratien gibt - die anderen Staaten
sind Belgien, Großbritannien und Österreich, über die
hier schon gesprochen wurde - und daß in den neuen
Ländern, wo ja die jüngsten Landtage agieren, sich nur
ein einziger Landtag, nämlich der in Thüringen, für die
Einführung einer Bannmeile entschieden hat. Dazu ist
aus unserer Sicht nur zu sagen: Sie haben eben nicht
verstanden.
Herr
Kollege Claus, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ja, klar.
Bitte
schön, Herr Ströbele.
Herr Kollege, geben Sie mir recht, daß Sie
auch heute, ohne daß ein solches Gesetz in Berlin gilt
- es ist ja noch nicht in Kraft -, bei der Polizei anmelden
müssen, wenn Sie vor dem Reichstag demonstrieren
wollen - die Baustelle müßte man sich wegdenken -,
und die Polizei dann abwägen dürfte und müßte, ob dieJörg van Essen
ses Vorhaben angemessen und richtig ist und ob höhere
Interessen gefährdet sind, und möglicherweise auch ein
Verbot erlassen oder Auflagen verlangen könnte? Worin
sehen Sie den Unterschied zu der Anmeldung, die schon
heute gefordert ist, und der Anmeldung zur Zulassung,
die Sie nach dem vorliegenden Gesetz vornehmen müßten?
Ich gebe Ihnen da gerne recht,
Herr Kollege. Aber: ich will nur darauf verweisen, daß
es beim Bannmeilengesetz immerhin um eine Einschränkung des Versammlungsrechtes geht. Ich möchte
Sie dann noch darauf hinweisen, daß die mir gestellte
Frage in ihrer Logik genau diametral der Frage gegenübersteht, die Sie Herrn Kollegen van Essen vorhin gestellt haben.
Wir wollen Ihnen einen Vorschlag machen, meine
Damen und Herren. Schicken Sie allen Berliner Haushalten den Sitzungsplan des Bundestages zu und schreiben Sie einen freundlichen Text dazu, etwa in der Art:
„Liebe Bürgerinnen und Bürger, meiden Sie an rot und
blau markierten Wochentagen das Zentrum in Reichstagsnähe. Es sind ja nur 100 Tage im Jahr. Verstehen Sie
uns nicht falsch: Als Ihre Volksvertreter wollen wir für
das Wohl des Volkes sorgen, von ihm aber nicht gestört
werden.“
({0})
Sagen Sie den Berlinerinnen und Berlinern bitte noch
etwas - dieser Punkt gehört auch zur Wahrheit -: Die
Rasenflächen vor dem Reichstag sind zwar sogenannte
Ausgleichsflächen für die Bautätigkeit von Parlament
und Regierung, aber sie liegen innerhalb der Bannmeile
und können damit für den Ausgleich nicht herangezogen
werden.
({1})
Wir werden mit den praktischen Folgen noch zu tun haben; Sie werden sich noch mit ihnen auseinandersetzen
müssen.
Sie haben eine weitere Folge nicht hinreichend bedacht:
({2})
Bei der Anwendung der Regeln für den befriedeten Bezirk werden Sie die zentrumschneidende Ost/WestAutomagistrale lahmlegen.
Zum Schluß will ich Ihnen noch sagen: Sprache ist
oft entlarvend. Sie nennen die Bannmeile jetzt befriedeten Bezirk. Das Wort „befrieden“ stammt aus der Kolonialzeit und meint sinngemäß - wohlgemerkt: im Sinne
der Kolonialherren -, den Wilden Benimm beizubringen, und das vorwiegend durch Androhung und Ausübung von Gewalt.
({3})
Man muß in diesem Zusammenhang die Frage stellen:
Was ist denn das Gegenteil von befriedetem Bezirk?
Das sind unbefriedete Bezirke. Wer also befriedete Bezirke will, hält demnach die übrige Stadt für unbefriedet.
Insofern ist Ihre Umbenennung eine Art sprachliche
Vermummung, die Sie mit der Öffentlichkeit treiben.
Deshalb unser Gegenvorschlag: Nehmen Sie das
PDS-Gesetz zur Aufhebung der Bannmeile an. Das wäre, nebenbei gesagt, ein guter Beitrag des Deutschen
Bundestages zur Berliner Love-Parade in zehn Tagen;
das dürfte doch auch so recht im Interesse unseres an
Pop-art interessierten Kanzlers liegen.
Vielen Dank.
({4})
Als
letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die
Kollegin Erika Simm von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Gerade vor dem Hintergrund
des letzten Beitrages möchte ich auf die Diskussion eingehen, ob eine Bannmeile grundsätzlich zulässig sei. Ich
habe nämlich den Eindruck, daß hier zum Teil in einer
Art und Weise diskutiert wird, als gehe es um die
Grundfesten der Demokratie. Ich plädiere stark dafür,
die ganze Diskussion niedriger zu hängen.
({0})
Wenn ich in dem Entwurf der PDS lese, daß „die Bannmeilenregelung die für die Demokratie lebensnotwendige Kommunikation zwischen Wählern und Gewählten“
behindert,
({1})
dann denke ich, daß man sich ein bißchen versteigt.
({2})
Man mißt dieser Frage eine Bedeutung zu, die sie objektiv nicht hat.
({3})
Demonstration ist ja im Regelfall kein Kommunikationsprozeß, sondern eher eine einseitige Meinungsäußerung. Es ist daher sehr fraglich, ob die Adressaten diese
überhaupt unmittelbar wahrnehmen. Im Zweifel tun sie
dies nur vermittelt über die Medien. Der Diskurs zwischen Wählern und Gewählten findet regelmäßig bei anderen Gelegenheiten und an anderen Orten statt.
Völlig absurd finde ich die Vorstellung, die Akzeptanz des Bundesverfassungsgerichtes und seiner Entscheidungen werde wesentlich dadurch mitbestimmt,
daß man zu jeder beliebigen Zeit in beliebiger Nähe des
Gerichtsgebäudes demonstrieren könne.
({4})
Im übrigen hat die Rechtsprechung im Rahmen von Urteilen der Gerichte verschiedenster Instanzen mehrfach
entschieden, daß das Versammlungsrecht durch Regelungen für geschützte Bereiche von Verfassungsorganen
zulässigerweise eingeschränkt werden kann. Nicht umsonst steht Art. 8 des Grundgesetzes unter Gesetzesvorbehalt. Dieser Vorbehalt ist nicht zuletzt im Hinblick auf
das mögliche Erfordernis von Bannmeilenregelungen in
das Grundgesetz aufgenommen worden.
Ich bin der Meinung, es handelt sich hier um eine
Frage, die in erster Linie praktische Bedeutung hat. Sie
sollte vor dem Hintergrund der Schutzbedürfnisse der
Verfassungsorgane beantwortet werden. Da können wir
feststellen, daß wir einen breiten Konsens haben: Das
Bundesverfassungsgericht möchte eine solche Regelung,
der Bundesrat möchte eine solche Regelung, und die
Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages
möchte eine solche Regelung.
Dem haben wir in einer Art und Weise Rechnung getragen, die der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Einschränkung des Versammlungsrechts in,
wie ich meine, vollem Umfang gerecht wird. Es ist ein
ausgewogener Gesetzentwurf, der Ihnen jetzt zur Annahme empfohlen wird. In den Grundzügen haben wir,
wie hier mehrfach gesagt worden ist, mit der F.D.P.
vieles gemeinsam. Ich verstehe nicht so ganz, Herr van
Essen, warum die Hürde für eine Zustimmung für die
F.D.P. so hoch ist. Ihre Argumente überzeugen mich
nicht.
({5})
Was die Regelung der Entscheidungsbefugnisse bei
Ausnahmegenehmigungen angeht, haben wir vorige
Woche das dringende Ersuchen des Bundestagspräsidenten übermittelt bekommen, ihm diese Entscheidung
nicht zu übertragen. Der Vertreter des Bundesrates hat
expressis verbis gesagt, das Präsidium des Bundesrates
sei dafür ein ungeeignetes Gremium; das sei überhaupt
nicht praktikabel, denn dieses Präsidium aus Ministerpräsidenten sei kein ständiges Gremium. Deshalb würde
sich der Abstimmungsprozeß sehr schwierig gestalten.
Auch die unterschiedliche Einstufung von Gesetzesverstößen - einmal Ordnungswidrigkeit, einmal Straftat - haben wir in zwei Ausschüssen erörtert. Das hat,
außer bei der F.D.P., eigentlich nirgends besondere
Begeisterung ausgelöst und ist überall auf rechtsdogmatische Bedenken gestoßen.
Es wäre also möglich, daß die F.D.P. dem Gesetzentwurf der Koalition zustimmt. Aber darüber und über
die Begründung einer eventuellen Ablehnung entscheiden Sie natürlich selber.
Ich möchte noch einen Satz zu der Frage Befristung
und Berichtspflicht sagen. Als Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses habe ich im Ausschuß Zustimmung zu meiner Anregung gefunden, daß sich dieser Ausschuß in dieser Legislaturperiode intensiv mit
Fragen der Gesetzesfolgenabschätzung beschäftigen
sollte. Unter diesem Aspekt finde ich die hier getroffene
Regelung für beide Fragen sehr positiv.
({6})
Denn auch die Befristung ist ein - wenn auch unter
Fachleuten durchaus kontrovers diskutiertes - Mittel der
Gesetzesfolgenabschätzung. Ich finde es ganz gut, daß
wir hier Gelegenheit haben, auch damit Erfahrungen zu
sammeln.
Zum Schluß möchte ich es nicht versäumen, den Mitgliedern aller Fraktionen des Geschäftsordnungsausschusses sehr herzlich dafür zu danken, daß sie es - indem sie keine Geschäftsordnungsanträge gestellt haben,
die das verhindert hätten - ermöglicht haben, daß wir
heute in zweiter und dritter Lesung über dieses Gesetz
entscheiden und eine Regelung schaffen, bevor wir nach
Berlin umziehen. Ich denke, es hätte schlecht ausgesehen, wenn der Bundestag hier nicht rechtzeitig zu einer
Entscheidung gefunden hätte.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schutzes
von Verfassungsorganen des Bundes, Drucksachen
14/1147 und 14/1292 Nr. 1. Es liegen drei Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion und ein Änderungsantrag der F.D.P.-Fraktion vor, über die wir zunächst abstimmen.
Wir fangen mit den Änderungsanträgen der CDU/
CSU-Fraktion an. Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 14/1317? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist der Änderungsantrag mit den
Stimmen aller anderen Fraktionen als denen der
CDU/CSU abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der CDU/CSU
auf Drucksache 14/1318?
({0})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
dieser Änderungsantrag mit gleichem Stimmenverhältnis wie zuvor abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der CDU/CSU
auf Drucksache 14/1319? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit
wiederum gleichem Stimmenergebnis abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der F.D.P.-Fraktion auf Drucksache 14/1330? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei
Zustimmung der F.D.P.-Fraktion und einiger Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion sowie Enthaltungen anderer
Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
({1})
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist
dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und einiger Stimmen aus der CDU/CSUFraktion gegen die Stimmen der anderen Abgeordneten
der CDU/CSU-Fraktion, der F.D.P.-Fraktion und der
PDS-Fraktion angenommen. - Das war die zweite Beratung.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist
der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie in der zweiten Lesung angenommen.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der F.D.P. zur Neuregelung des
Schutzes parlamentarischer Beratungen auf Drucksache
14/183. Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung empfiehlt auf Drucksache 14/1292
unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse
jetzt über den Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion auf
Drucksache 14/183 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion gegen die
Stimmen der F.D.P.-Fraktion und einiger Abgeordneter
der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltungen der anderen
Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
({2})
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung eine
weitere Beratung.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der PDS zur Aufhebung der
Bannmeilenregelung auf Drucksache 14/516. Der Aus-
schuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung empfiehlt auf Drucksache 14/1292 unter Nr. 3, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetz-
entwurf der PDS auf Drucksache 14/516 abstimmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, den Fraktionen der
CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der Frak-
tion der PDS abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung eben-
falls die weitere Beratung. Wir sind damit am Ende des
Abstimmungsverfahrens zu diesem Tagesordnungs-
punkt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6a und 6b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neuregelung zum Schlechtwettergeld noch in
dieser Winterperiode
- Drucksache 14/1215 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({3})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuß
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Dr. Ruth
Fuchs und der Fraktion der PDS eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedereinführung
des Schlechtwettergeldes
- Drucksache 14/39 ({4})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({5})
- Drucksache 14/1230 Berichterstattung:
Abgeordneter Konrad Gilges
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Klaus Wiesehügel von der SPD-Fraktion das
Wort.
({6})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Durch die Abschaffung des
Schlechtwettergeldes in der 13. Legislaturperiode wurde
einer der wichtigsten Binnenmarktbranchen nachhaltiger
Schaden zugefügt, den wir nun mühsam reparieren müssen.
({0})
Auch bei der alten Schlechtwetterregelung gab es in
vom Winter hart betroffenen Regionen schon immer die
sogenannte Ausstellungspraxis: Arbeitnehmer wurden
vor Weihnachten entlassen und zu Ostern teilweise wieder eingestellt. Das betraf, so zeigt ein Blick in die Arbeitsmarktstatistik, ungefähr 70 000 Arbeitnehmer, auch
in den Wintern 1993 und 1994.
Durch die von der heutigen Opposition zu verantwortende Streichung des Schlechtwettergeldes erhöhte
sich die Zahl der Winterkündigungen im ersten Winter auf 174 000 und im nachfolgenden Winter auf
200 000. Bei einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit
von drei Monaten muß die Bundesanstalt für Arbeit pro
Arbeitnehmer zirka 7 300 DM aufbringen; das waren
allein im Winter 1996/97 1,4 Milliarden DM. Die Ausfälle an Sozialbeiträgen und Steuern eingerechnet,
steigt der Betrag auf über 2 Milliarden DM an - und
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
das alles nur, um 700 Millionen DM zu sparen, wider
besseres Wissen.
({1})
Nur weil Sie damals Ihren Regierungsentwurf nicht
nachbessern wollten, wurden die wenigen Sozialpolitiker unter Ihnen in die Schranken gewiesen und wurde
die Streichung knallhart durchgezogen.
({2})
1,3 Milliarden DM Mehrkosten und 130 000 zusätzliche
Arbeitslose - das war der Preis.
({3})
Auch nachdem die Tarifvertragsparteien den Schaden
durch erhebliche Aufwendungen der Arbeitnehmer einzudämmen versuchten, wurden noch im letzten Winter
allein aus Witterungsgründen 160 000 Arbeitnehmer arbeitslos - und das, obwohl führende Arbeitgeberfunktionäre, die der CDU herzlich und auch parteilich verbunden sind, per Brief alle Bauunternehmen aufforderten, in diesem Winter auf Entlassungen zu verzichten,
weil ein Regierungswechsel mit einer neuen Schlechtwettergeldregelung drohe.
({4})
Dennoch sind Entlassungen in dieser Größenordnung erfolgt.
({5})
Wie sieht es für den nächsten Winter aus?
({6})
Vor mir liegt ein Schreiben eines großen deutschen Konzerns - ich will den Namen nicht öffentlich nennen -, der
darin ankündigt, daß allen gewerblichen Arbeitnehmern
zum 31. Dezember 1999 gekündigt werden soll und daß
man sich mit dem Betriebsrat einig sei, sie zum 1. Juni
2000 wieder einzustellen. Dieses Schreiben wurde am
27. Mai verfaßt. Es wurde also höchste Zeit, eine solche
Vereinbarung, wie wir getroffen haben, in Angriff zu
nehmen.
({7})
- Ich kann Ihnen das Schreiben unter vier Augen zeigen.
Ich nenne den Namen nicht im Parlament.
Es sind nicht nur die vielen Arbeitslosen und die gewaltigen Mehrkosten, die einen wirtschaftlichen Schaden verursacht haben. Seit Streichung des Schlechtwettergeldes leidet das Baugewerbe verstärkt unter einer
saisonalen Auftragsvergabe. Weil jetzt viele Bauunternehmen auf jegliche Produktionsmöglichkeiten im
Winter verzichten, werden die Bauaufträge so disponiert, daß am 1. April Baubeginn und - koste es, was es
wolle - vor Weihnachten der Termin der Fertigstellung
ist. Da ein großer Teil der Aufträge von der öffentlichen
Hand vergeben wird und damit haushaltstechnischen
Denkmustern unterliegt, erleben wir heute in der Bauwirtschaft eine produktionsfreie Zeit von mindestens
drei Monaten. Volkswirtschaftlich gesehen ist das eine
Katastrophe. Dies muß jetzt durch eine Neuregelung des
Schlechtwettergeldes mühsam zurückgeführt werden.
({8})
In keinem unserer Nachbarländer in der EU wird so
wenig praktischer und technischer Winterbau betrieben wie in unserem Land. Wir sind durch die Politik der
alten Regierung in Sachen „technischer Winterbau“ in
Europa mittlerweile zu einem Entwicklungsland geworden.
({9})
Die in der Zeit der sozialliberalen Koalition Mitte der
80er Jahre eingeführten Maßnahmen, zum Beispiel
Investitionskostenzuschüsse zur Förderung des ganzjährigen Bauens, wurden von Ihnen sämtlich gestrichen;
die mit hohem Sachverstand ausgestatteten Winterbauausschüsse bei der Bundesanstalt für Arbeit wurden aufgelöst. Wenn wir bei der technischen Fortentwicklung
des Winterbaus im europäischen Vergleich an das Ende
gerutscht sind, dann nur, weil Sie in diesen Fragen eine
verbandsorientierte Interessenspolitik verfolgt haben.
({10})
Herr Rauen ist leider nicht hier. Er hat bei seiner
letzten Rede zu diesem Thema noch einmal sehr deutlich gemacht, daß auch er mit diesem Entwurf nicht einverstanden ist. Er als Bauunternehmer vertritt ja auch
Interessen - was Sie mir ebenfalls immer vorwerfen. Ich
finde es ja in Ordnung, daß man hier von verschiedenen
Positionen heraus diskutiert. Aber wir sollten hier keine
falschen Positionen vertreten. Er hat hier - das können
Sie nachlesen - gesagt, daß die Winterbauumlage von
ihm nicht in Anspruch genommen wird. Ich habe das
noch einmal genau nachgerechnet und das auch für seinen Betrieb berechnet. Nach dem heutigen Stand des
Gesetzes bekommt er die Hälfte zurück. Wenn das neue
Gesetz kommt, dann sind dies höchstens noch 33 000
DM, 0,25 Prozent der Bruttolohnsumme, und damit erhält er eine Risikoabsicherung gegen alle Winterausfälle, auch dann, wenn der Winter einmal besonders hart ist
und er die Ansparkonten voll ausschöpfen muß. Ich
werde es ihm auch noch einmal persönlich sagen. Ich
habe gehofft, daß er sich das heute hier anhört.
Meine Damen und Herren, das ist Sozialpolitik mit
Augenmaß. Wir haben eine Regelung zum Wohl aller
Beteiligten gemacht, zu der Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in den letzten 16 Jahren nicht
bereit und leider auch nicht in der Lage waren.
Die Streichung des Schlechtwettergeldes reiht sich in
die zahlreichen Versuche der alten Bundesregierung ein,
sozialpolitische Gesetzgebung auf die Schultern der TaKlaus Wiesehügel
rifvertragsparteien zu laden. All diese Versuche sind gescheitert, mußten scheitern, weil Tarifverträge nun einmal keine Gesetze sind und in jeder Branche neu geregelt werden müssen. Schon die alte CDU-Regierung
unter Bundeskanzler Adenauer hatte erkannt, daß tarifliche Vereinbarungen, die sozialpolitisch wirken sollen,
einen gesetzlichen Rahmen brauchen. Dies galt und gilt
insbesondere für die Schlechtwettergeldregelung. Sie ist
in über 35 Jahren durch die Säulen Staat, Arbeitgeber
und Arbeitnehmer stabilisiert worden. Leider haben seine Enkel dies nicht begriffen. Sie haben, blinder Ideologie folgend, die Säule Staat einfach eingerissen, und
damit ist das System, das von Konrad Adenauer geschaffen wurde, eingebrochen. Das müssen Sie sich anhören.
({11})
Die jetzt von uns eingebrachten Entwürfe, das, was
wir mit den Tarifvertragsparteien vereinbart haben, stehen Ihnen in der Form von zehn Eckpunkten zur Verfügung. Wir wollen diese Eckpunkte zu einem neuen Gesetz machen, das wirklich verhindert, daß Arbeitslosigkeit im Winter nach wie vor eintritt, daß diejenigen, von
denen ich eben gesprochen habe, solche Kündigungen
vor Weihnachten bekommen. Wir erreichen das dadurch, daß wir die Arbeitgeber über Winterbauumlage in
den liquiditätsschwachen Zeiten von Kostenbelastungen
und Sozialversicherungsbeiträgen freistellen. Das wollen
wir aber nicht der Allgemeinheit aufdrücken, sondern
wir wollen, daß das über die Winterbauumlage gemeinsam finanziert wird.
Wir erreichen ferner, daß diejenigen, die dennoch
kündigen - obwohl Kündigungen in diesem Zeitraum
verboten sind -, für den Schaden, den sie der Allgemeinheit zufügen, zur Kasse gebeten werden, und wir
holen uns das Geld von ihnen zurück. Wahrscheinlich
wird das dazu führen, daß wir in einem Gewerbe, in
dem vieles auf Grund Ihrer Politik zugrunde gegangen
ist, die Zahl der Kündigungen erheblich zurückführen
können.
Ich habe in den letzten Wochen öfters einen Vorwurf
gehört, der mich geärgert hat, nämlich den Vorwurf, die
Arbeitgeber des Baugewerbes seien erpreßt worden. Ich
weiß nicht, wer einen solchen Blödsinn erzählt hat. Ich
habe es aus den Unterschriften ersehen und zum Teil
auch im Protokoll lesen können. Lassen Sie mich ein
paar Arbeitgeber zitieren.
({12})
- Hören Sie doch damit auf. Andere sind auch in Verbänden. Herrn Göhner haben Sie in Ihren Reihen immer
willkommen geheißen. Veranstalten Sie bei mir also
nicht immer ein solches Trara und tun nicht so, als ob
das etwas Besonderes wäre. Ich bin Abgeordneter des
Deutschen Bundestages. Lassen Sie diese Bemerkungen
sein.
({13})
Herr Walter, Präsident des Hauptverbandes der Bauindustrie, sagt, daß er den Kompromiß als Erfolg für die
Arbeitgeber wertet. Das können Sie in der „FAZ“ vom
10. Juni nachlesen. Herr Huber, Vizepräsident des ZDB,
bewertet das als Erfolg für die Branche, weil die Lohnzusatzkosten nicht steigen, weil Flexibilität erhalten
bleibt und auch die Winterbauumlage kostenneutral
bleibt. Auch er äußert die berechtigte Hoffnung, daß im
nächsten Winter hunderttausend Bauarbeiter weniger auf
der Straße stehen. Der ZDB, der Zentralverband des
Deutschen Baugewerbes - Ihre Freunde! -, hat alle
Fraktionen aufgefordert, den gefundenen Kompromiß
zum Schlechtwettergeld zu unterstützen. Hören Sie darauf, was Ihnen empfohlen wird!
Ich frage Sie: Redet so jemand, der erpreßt worden
ist? Ich kann hier keine Erpressung erkennen. Die Tarifvertragsparteien haben die Regelung gemeinschaftlich
begrüßt. Das neue Schlechtwettergeld wird ein Erfolg
und untermauert den Anspruch der neuen Regierung, für
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen. Wir halten
Wort, wir lassen sie nicht im Regen stehen.
({14})
Bestandteil dieser Debatte ist auch die Behandlung
des Gesetzentwurfs der Fraktion der PDS mit Drucksache 14/39. Dieser Entwurf muß aus zwei Gründen abgelehnt werden. Erstens. Die von der Bundesregierung
und den Tarifvertragsparteien geschlossene Vereinbarung vom Juni 1999, die ich gerade erläutert habe, enthält mehrere Punkte, die arbeitsmarktpolitisch eine hohe
Wirkung erzielen. Diese Punkte fehlen in Ihrem Antrag
völlig. Zweitens. Der Gesetzentwurf der PDS ist fehlerhaft, so daß mit Annahme Ihres Gesetzentwurfes die
Probleme der Arbeitnehmer in der Bauwirtschaft verschärft und nicht verbessert würden. Falsch ist schon die
Problembeschreibung. Sie schreiben, die Bundesregierung trete ab der 151. Stunde ein. Nach der jetzigen Gesetzeslage ist dies nach der 121. Stunde der Fall. Nicht
ganz sorgfältig gearbeitet!
Zum Wintergeld, § 210 SGB - ich muß es kurz machen, weil meine Redezeit gleich abgelaufen ist -: Warum in aller Welt wollen Sie den Bauarbeitern das Wintergeld in der Zeit vom 25. Dezember bis zum 1. Januar
nicht gewähren? Das nämlich ist der Vorschlag Ihres
Gesetzentwurfes. Wußten Sie nicht, daß die Bauarbeiter
die Tarifregelungen zur Vermeidung von noch größerer
Arbeitslosigkeit mit dem Verzicht auf die Freistellung
zwischen Weihnachten und Neujahr bezahlen mußten?
Vom 26. Dezember bis zum 30. Dezember ist normale
Arbeitszeit, mit Anspruch auf Wintergeld, schon jetzt,
nach geltendem Gesetz. Sind Sie wirklich so naiv, zu
glauben, mit der Verabschiedung Ihres Gesetzes würden
die alten Tarifverträge automatisch wieder in Kraft treten?
Zum § 212 SGB: Sie machen den Bezug von
Schlechtwettergeld von genau diesem Lohnausgleichszeitraum abhängig. Die Arbeitgeber haben am Montag
der IG BAU eine Kündigung auch des restlichen Lohnausgleichszeitraums ins Haus geschickt. Wenn es denen
bei der IG BAU nicht gelingen sollte, Heiligabend und
Silvester erneut in einen Lohnausgleichstarifvertrag einzubeziehen, hätte nach Ihrem Gesetzentwurf überhaupt
niemand mehr Anspruch auf Schlechtwettergeld, weil
Sie die Verbindung von Lohnausgleichstarifvertrag und
Schlechtwettergeld nach wie vor aufrechterhalten, wobei
dieser Lohnausgleichstarifvertrag nicht mehr in vollem
Umfang wirkt, vielleicht bald gar nicht mehr.
Mit Art. 2 wollen Sie das Einkommensteuergesetz
ändern. Damit würde Ihr Gesetz, Frau Knake-Werner,
im Bundesrat zustimmungspflichtig. Das ist nun einmal
so. Ich habe wirklich keine Lust, die Zustimmung zu
einer neuen Schlechtwettergeldregelung noch einmal
von den Damen und Herren auf der rechten Seite des
Hauses abhängig zu machen.
({15})
Frau Knake-Werner, ich weiß, daß Sie das alte Gesetz
einfach abgeschrieben haben. Überhaupt bestehen Ihre
Gesetzesinitiativen oftmals nur aus Abgeschriebenem.
Ich hätte ja nicht so hart geantwortet, wenn Sie nicht etwas tun, mit dem ich absolut nicht einverstanden sein
kann: Auf meine Bereitschaft hin, im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Kompromisse einzugehen, betreiben Sie jetzt billigen Populismus mit den Beschäftigten der Bauwirtschaft im Osten und gehen damit
auf Stimmenfang. Das ist nicht in Ordnung, schon gar
nicht, wo Sie einen so unsoliden Gesetzentwurf vorgelegt haben.
({16})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Heinz
Schemken von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir hätten diese Rede eigentlich nicht nötig gehabt. Der „SWGExpress“ schreibt:
Donnerwetter: Die IG BAU hat es geschafft. Das
Schlechtwettergeld, für das die Bauarbeiter und
ihre Gewerkschaft seit sechs Jahren gekämpft haben, ist wieder da.
({0})
Tolle Sache! Hier wird ein Hochamt zelebriert, von dem
- ich sage es Ihnen ganz offen - nicht einmal der Abschied in der Sakristei übrigbleibt.
({1})
Ich sage Ihnen auch, warum. Hier wird etwas zelebriert,
das sich von der Grundlage her nicht mit Substanz füllen
läßt. Die Betriebsräte haben am 31. Mai getagt. Das ist
nachlesbar und nachvollziehbar. Ich zitiere aus diesem
Bericht: „Kühle Nebelschwaden umziehen die Stadthalle.“ Die Stadthalle von Bad Godesberg ist gemeint.
Das, was Sie hier vortragen, Herr Wiesehügel, ist der
Nebel, der weiter verbreitet wird. Ich bedauere, daß hier
eine große Schar von Bauarbeitern am Ende so hinters
Licht geführt wird; denn es bleibt im Grunde genommen
bei der gefundenen Regelung.
({2})
Es bleibt - da beißt keine Maus den Faden ab - bei
der Regelung der Gravenbrucher Erklärung zwischen
dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, der
Bauindustrie und der Industriegewerkschaft BAU. Sie,
verehrter Herr Kollege Wiesehügel, haben das seinerzeit
unterschrieben.
Ich habe mich nie einem Interessenverband verpflichtet gefühlt. Im Gegenteil: Ich habe seinerzeit sogar
mit Ihren Kolleginnen und Kollegen wiederholt Gespräche geführt. Ich bedauere sehr, daß Sie uns global abstempeln. Ich bin guten Glaubens - ich bleibe nach wie
vor dabei - für die Beitragszahler eingetreten, die entlastet werden sollten.
({3})
Insofern ist die Adenauer-Story gut. Es wäre schön,
wenn Sie darauf Rücksicht nehmen würden. Aber es war
eine andere Zeit, und wir müssen sie fortschreiben. Sie
selbst haben davon gesprochen, daß die bautechnischen
Vorbereitungen in der Bundesrepublik Deutschland bezüglich der Winterbausituation unterentwickelt sind. Also hätte man dies vor diesem Hintergrund sicherlich tun
können.
Falls die Unternehmen so handeln, bedauern wir das
allemal. Es kann aber nicht angehen, daß wir dann,
wenn schlecht gehandelt wird, mit einem Gesetz nachbessern. Die neue Regelung kann sich nur von dem abwenden, was wir noch miteinander - das ist belegt - geschafft haben.
Durch die neue Regelung wurde die Arbeitszeit flexibilisiert, und der Nutzen von Arbeitskonten am Bau
wurde zur Selbstverständlichkeit. Das Ziel der Neuregelung bestand auch darin, die Tarifparteien zu unterstützen, statt Vergütung von Überstunden ein ganzjähriges gleichmäßiges Einkommen, das Sie immer wollen
und das auf dem Bau sehr wichtig ist, zu schaffen.
Nun komme ich zu den Fakten: Laut amtlicher Statistik ist die Winterarbeitslosigkeit in diesem Jahr enorm
zurückgegangen, und zwar im Februar im Vergleich
zum Vorjahresmonat sogar um 9,4 Prozent. Das, was Sie
sagen, ist also nicht richtig. Sie türmt sich nicht weiter
auf. Im Gegenteil: Sie geht zurück.
Die Arbeitnehmer können durch Vor- und Nacharbeiten für witterungsbedingten Arbeitsausfall ein höheres Bruttojahreseinkommen als bei der Gewährung von
Schlechtwettergeld erzielen. Damit haben sie eine sichere Lohnbasis. Es wäre den Schweiß der Edlen, auch der
Tarifpartner, wert, sich darauf zu einigen.
Die Arbeitgeber und Handwerker könnten von Kosten für witterungsbedingten Arbeitsausfall entlastet
werden. Die jetzige Winterbauumlage von 1,7 Prozent
könnte ohne diese Neuregelung gesenkt werden. Die
Lohnzusatzkosten könnten ebenfalls gesenkt werden,
und zwar um 1 Prozent bis 1,2 Prozent. Das muß doch
unser gemeinsames Anliegen sein, schließlich wollen
wir Arbeitsplätze schaffen.
Die Wintergeldkasse ist mit 600 Millionen DM gefüllt, da viele Betriebe wegen der Flexibilisierung der
Arbeitszeiten die Wintergeldkasse nicht so sehr in Anspruch genommen haben und nehmen mußten. Die Arbeitslosenversicherung ist durch den Abbau der Winterarbeitslosigkeit der Bauarbeiter und die ganzjährige Beschäftigung im Baugewerbe entlastet worden.
Daß die Kündigungen stattgefunden haben, bedauere
ich sehr.
({4})
Das liegt aber am Verhalten von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern. Die von der alten Koalition eingebrachte Gesetzesinitiative
({5})
hat am 25. September 1997 die Stimmen der CDU/CSU,
der F.D.P. und der SPD in zweiter und dritter Lesung erhalten und ist auch im Bundesrat verabschiedet worden.
Tun Sie doch nicht so, als sei außer ein paar Lobbyisten keiner beteiligt worden.
({6})
Das ist eine völlig falsche Ausgangslage. So können
wir nicht miteinander umgehen, insbesondere dann
nicht, wenn es demnächst ans Eingemachte geht. Dann
werden wir noch so manches miteinander regeln müssen. Ich möchte Sie doch wirklich bitten, bei der Wahrheit zu bleiben.
Ohne Not wird jetzt auch durch den Bundeskanzler
- man kann das sicher nachvollziehen: man hätte sich
diese Stunde eigentlich sparen können, hätte jedem das
Blättchen gegeben, mit der Bitte, es gründlich durchzulesen - Druck auf die Tarifparteien des Baugewerbes
ausgeübt, weil die Ankündigung, die im Wahlkampf gegeben wurde, umgesetzt werden muß. Man kann von
September bis April und spätestens bis zum nächsten
September - den haben wir schon bald - ja auch klüger
werden.
Ich sage nur eines: Die nun gefundene Lösung geht
an der Zusage, die damals gegeben wurde, glatt vorbei.
({7})
Sie bestätigt im wesentlichen, daß die von der alten
Koalition in dieser Regelung gefaßte Konzeption die
richtige war. Daß dies ein fauler Kompromiß ist, wissen
wir; daß das Neue an dem Kompromiß lediglich die
Aufteilung der Lasten ist, wissen wir auch. Wir sind
aber nicht bereit, dem Beitragszahler weitere Lasten zuzumuten.
({8})
Sie machen um 20 Stunden einen so großen Aufwand.
Damit konterkarieren Sie eine Situation, die nicht mehr
so dramatisch ist, wie Sie sie hier aufbauen, weil das
eine Zusage im Wahlkampf war.
Wir sollten uns lieber einer anderen Sache zuwenden:
Sozial ist auch auf dem Bau das, was Arbeit schafft. In
der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 29. Juni
1999 steht: Die Bauwirtschaft verlor über 100 000 Arbeitsplätze. Das wird in diesem Artikel auch begründet:
Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes fordert
die Bundesregierung auf, die Bauwirtschaft nicht länger
durch verschiedenste steuerliche „Grausamkeiten“ zu
belasten. Der Präsident Fritz Eichbauer - auch Sie haben
ihn eben zitiert ({9})
warf unter anderem der Regierung vor, mit ihrer Wohnungspolitik die Eigentumsbildung zu hemmen und den
Mietwohnungsbau systematisch zurückzudrängen. Für
Wohnbauten sei das Volumen der Bauinvestitionen im
ersten Quartal um 3,1 Prozent geringer ausgefallen als
im vergangenen Jahr. Das sind Fakten. Bei den Wirtschaftsbau-Investitionen - darauf kommt es an; dadurch
entstehen Arbeitsplätze - ist im ersten Quartal ein dramatischer Einbruch mit 10,7 Prozent unter dem Vorjahresniveau zu verzeichnen. Hier hätte die Regierung - so
meinen ich und die anderen auch - allen Grund, ein
wirksameres Feld der Betätigung ins Auge zu fassen.
Das bringt mehr Arbeitsplätze und mehr Beschäftigung
in der Bauwirtschaft. Darum geht es uns.
({10})
Der Gesetzentwurf der PDS - darüber werde ich nicht
viele Worte verlieren; wir haben ihn schon im Ausschuß
besprochen - kann deshalb unsere Zustimmung nicht
finden, weil er vollends das Rad der Geschichte zurückdreht: So kann man in Zukunft keine Arbeitsplätze
schaffen; so kann man Investitionen nicht sichern; er
trägt zur Verunsicherung der Wirtschaft bei. Dies betrifft insbesondere die Bauwirtschaft, die sehr sensibel
ist, weil dort die Konjunktur unmittelbar greift und weil
dort die Menschen unmittelbar von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Wir werden uns im Ausschuß über eine Gesetzgebung noch unterhalten. Bis jetzt liegen uns ja nur Stichworte vor. Wie wir das kennen, kommt noch so manches
hinzu, was noch nicht drinsteht. Ich darf nur wünschen,
daß es nicht gegen die Bauhandwerker geht, sondern
darum, daß wir mehr Arbeitsplätze schaffen und daß wir
- das sage ich ganz offen - insbesondere in der Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb mithalten - der Arbeitsplatz am Bau ist flexibel und mobil -,
damit wir nicht so viele deutsche Arbeitslose im Baugewerbe haben.
Schönen Dank.
({11})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Annelie Buntenbach
vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich glaube, daß wir mit dem Tarifvertrag der Baubranche und mit dem Antrag, der heute vorliegt, dem
Gesetzentwurf, der im Herbst durch das Parlament gehen wird, und somit der Bekämpfung der Winterarbeitslosigkeit am Bau einen großen Schritt näherkommen.
Diese hat in den letzten Jahren unerträgliche Ausmaße angenommen. Die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter
lag in den Wintermonaten nicht selten bei 400 000; in
diesem Jahr betrug sie im Februar noch immer ungefähr
350 000. Das ist viel zuviel. Dagegen müssen wir mit
einer Neuregelung des Schlechtwettergeldes angehen.
({0})
Sie muß vor der nächsten Schlechtwetterperiode unter
Dach und Fach sein. Das klare Versprechen der Regierung ist: Das wird sie auch.
Worum geht es dabei? Die Situation im Baugewerbe
ist geprägt von Spitzenbelastungen im Sommer und
witterungsbedingten Beschäftigungseinbrüchen im Winter. Die Wintererwerbslosigkeit am Bau hatte vor der
Einführung des Schlechtwettergeldes im Jahre 1959
einen riesigen Umfang: Im Winter 1956/57 betraf sie
fast jeden zweiten am Bau Beschäftigten. Eine solche
erzwungene Saisonarbeit - das müssen wir uns hier
auch klarmachen - belastet die Betroffenen und ihre
Familien in unzumutbarer Weise. Außerdem bringt sie
immense gesellschaftliche Folgekosten mit sich: in erster Linie in der Arbeitslosenversicherung, aber auch
darüber hinaus.
Das Schlechtwettergeld wurde 1959 von einer CDURegierung eingeführt, um die Beschäftigungslage auf
dem Bau zu stabilisieren. Es ist in seiner bewährten
Form von einer CDU-geführten Regierung zum Januar
1996 abgeschafft worden, was sofort wieder zu einer erheblichen Zunahme der Winterarbeitslosigkeit geführt
hat. Herr Schemken, machen wir uns doch nichts vor:
Die Ersatzregelungen waren halbherzig und reichten
nicht aus. Sie können die sozialpolitische Flankierung
doch nicht ohne heftige soziale Folgen so weit zurückdrehen, wie Sie es getan haben und noch tun wollten.
({1})
Sie haben uns als Opposition das nicht geglaubt,
später aber selbst nachgebessert. Auch das Ergebnis dieser Nachbesserung war nicht tragfähig, obwohl Sie das
dann zum Vorbild für den neuen Sozialstaat überhöht
haben, der nichts kosten darf. Frau Babel und Herr Blüm
haben hier anrührende Grundsatzreden über dieses gescheiterte Projekt gehalten.
({2})
Herr Schemken, wenn Sie dieser Regelung nur zustimmen können und so tun, als würden wir damit nichts
ändern, dann machen Sie das in Gottes Namen. Aber es
stimmt nicht; denn hier ist unser Handeln eindeutig gefordert. Leider kann man die alte Regelung nicht ohne
weiteres wieder einführen, denn dafür ist in der Baubranche in den letzten Jahren viel zuviel passiert, auch
was die Tarifverträge angeht. Wir müssen nämlich davon ausgehen, daß sich die Arbeitgeber bei der Wiedereinführung der alten Regelung - das jedenfalls sind die
Prognosen - aus der Verantwortung stehlen würden.
Jetzt ist vorgesehen, daß die Bundesanstalt für Arbeit in die sozialpolitische Flankierung erheblich früher
einsteigt, daß die Zahlung von Winterausfallgeld zwischen der 31. und der 100. Stunde aus der Winterbauumlage erfolgt und daß die Sozialversicherungsbeiträge den Arbeitgebern nicht mehr hälftig, sondern ganz
erstattet werden. Das sind Versuche, keine Anreize für
witterungsbedingte Kündigungen zu bieten; daraus darf
dem Arbeitgeber kein Vorteil entstehen. Wenn er das
tarifvertraglich vereinbarte Verbot witterungsbedingter
Kündigungen trotzdem mißachtet, muß er künftig der
Bundesanstalt für Arbeit die gezahlten Leistungen
erstatten. Das zu prüfen wird natürlich nicht einfach
sein; aber der Ansatz ist schlicht und ergreifend vernünftig.
Sie kritisieren, daß wir uns mit dieser tarifvertraglichen Regelung, die noch die entsprechende gesetzliche
und sozialpolitische Absicherung braucht, einen teuren
Luxus für die Sozialkassen leisteten, daß wir die Lohnnebenkosten erhöhten und die Sozialversicherung erheblich belasteten. Herr Schemken, das Gegenteil ist
richtig. Die Saisonarbeitslosigkeit wird doch schließlich
auch von der Arbeitslosenversicherung bezahlt, und die
Kosten für die 400 000 arbeitslosen Bauarbeiter sind
zwar nicht einzeln ausgewiesen, aber durch die Bundesanstalt für Arbeit aufgebracht worden;
({3})
das wissen Sie doch genauso gut wie wir. Dies hat sich
in den Lohnnebenkosten niedergeschlagen. Wenn wir
jetzt eine Regelung finden, die Saisonarbeitslosigkeit
wirklich vermeidet, sind die Kosten, die auf die Beitragszahler zukommen, natürlich erheblich geringer,
({4})
denn es ist einfach sinnvoller, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, als an dieser Stelle die Flankierung einer vernünftigen Regelung zu unterlassen. Wenn man Saisonarbeitslosigkeit vermeiden will, dann braucht man Regelungen, die dies leisten können, und zwar angepaßt an
die jeweilige Branche, die mit diesem Problem konfrontiert ist. Für die Kollegen am Bau wird die Bundesregierung eine solche Regelung im Herbst vorlegen.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dirk Niebel von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich erlaube mir, mit einem Zitat aus dem Kampfblatt der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, „SWG-Express“, zu beginnen.
({0})
Hier spricht der Bundesvorsitzende der IG Bauen-AgrarUmwelt:
Beharrlichkeit bei der eigenen Interessenvertretung
zahlt sich aus.
({1})
Herr Kollege Wiesehügel, Sie haben in diesem Kampfblatt als Vorsitzender Ihrer Gewerkschaft gesprochen,
heute in diesem Haus als Abgeordneter des Deutschen
Bundestages. Ich stimme Ihnen dennoch zu; denn es
handelt sich bei dieser Regelung tatsächlich um die
Verteidigung der Partikularinteressen der Mitglieder der
IG Bauen-Agrar-Umwelt.
({2})
Sie verlagern die Verantwortung und die Kosten beim
Bau auf die Allgemeinheit. Die seit November 1997
geltende Regelung zur Arbeitszeitflexibilisierung ist mit
den Stimmen Ihrer Partei hier in diesem Hause und im
Bundesrat gebilligt worden. Die neue Regelung sieht
vor, daß nur noch 30 statt 50 Stunden vorgearbeitet werden darf. Ab der 31. bis zur 100. Stunde greift die Umlage, ab der 101. statt der 120. springt die Bundesanstalt
für Arbeit ein.
Anstatt daß wir uns hier über eine Fortentwicklung
der Flexibilisierung unterhalten, die ja der Weg in die
richtige Richtung war, anstatt daß wir hier über Jahresarbeitszeitkonten diskutieren, machen Sie die Rolle
rückwärts, und wir reden über gewerkschaftliche Ideologien und sozialdemokratische Umverteilungspolitik.
({3})
Der Abgeordnete Wiesehügel hat in Ihren Reihen
Unterschriften gesammelt, um die Allgemeinheit bereits
wieder ab der ersten Ausfallstunde am Bau belasten zu
können. Es sind etliche Unterschriften zusammengekommen. Der Fraktionsvorsitzende Struck hat Sie zurückgepfiffen,
({4})
wohl deshalb, weil auch Teile der SPD erkannt haben,
daß es Veränderungen in der Arbeitswelt gegeben hat.
Der Durchbruch der 97er Regelung bestand nämlich nicht
darin, daß irgend etwas gezahlt wurde. Der Durchbruch
war das tarifliche Drei-Säulen-Modell, das Sie im Grundsatz beibehalten haben: erstens die Vorarbeit, zweitens die
Umlage und drittens die Bundesanstalt für Arbeit.
({5})
Sie haben den Grundsatz unverändert gelassen, kommen
bloß zu einer Verteuerung von mindestens 51 Millionen
DM für die Bundesanstalt für Arbeit. Und was das
Größte ist: Sie verkaufen diese Verschlimmbesserung in
der Öffentlichkeit auch noch als den großen Hit, stellen
sich hin und reden von einem kleinen Bündnis für Arbeit. Das ist geradezu lächerlich.
({6})
Stellen Sie sich vor Ihre Bauarbeiter. Sagen Sie ihnen:
Wir sind im System geblieben; die andere Regelung war
gar nicht möglich, weil es heutzutage einfach sinnvoll
ist, daß man flexibler arbeitet. Seien Sie doch einmal
ehrlich!
({7})
Die Bundesanstalt wird mit mindestens 51 Millionen
DM mehr belastet.
({8})
- Herr Andres hat im Ausschuß schon von 55 Millionen
gesprochen. - Kollege Rauen hat uns in der Aktuellen
Stunde sehr plastisch vorgerechnet, daß die alte Regelung zu einer Senkung der Lohnnebenkosten um 20 Prozent geführt hat. Die Erhöhung der Lohnnebenkosten
gefährdet Arbeitsplätze. Es gibt zudem keinerlei Veranlassung mehr, über diese 30 Stunden hinaus vorzuarbeiten. Man kommt weiter weg von den flexiblen Arbeitszeiten, die wir in Zukunft brauchen werden. Die technische Weiterentwicklung im Winterbau wird ohne
Deutschland stattfinden.
({9})
Das verhindert und verschlechtert die Arbeitschancen
deutscher Bauarbeiter in der internationalen Baubranche.
({10})
Sie haben aus dem Schröder/Blair-Papier nichts gelernt.
Herr Schröder kann mit Herrn Blair Papiere schreiben,
soviel er will. Sie, der Gewerkschaftsflügel mit 244 von
298 Abgeordneten - über 80 Prozent der SPD-Fraktion -, bestimmen die Richtlinien der Politik am Arbeitsmarkt, nicht der Herr Bundeskanzler. Das ist der
falsche Weg.
Vielen Dank.
({11})
Als
letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die
Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner von der PDS-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Wiesehügel, Sie haben hier kräftig vom Leder gezogen.
Aber Sie müssen mir schon eine Frage gestatten: Was
kann denn an einer Regelung heute so falsch sein, die
Sie noch vor wenigen Monaten selbst gefordert haben?
Kann es vielleicht doch etwas damit zu tun haben, daß
Sie heute an der Regierung sind?
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag, den die
Koalition heute zum Schlechtwettergeld eingebracht hat,
ist eigentlich völlig überflüssig. Er ist deshalb überflüssig, weil sein Inhalt - das hat Kollege Wiesehügel dargestellt - längst schon außerhalb dieses Hauses beschlossen wurde, und zwar, wie der Kanzler stolz verkündet, in einem kleinen Bündnis für Arbeit. So etwas
bindet natürlich ein, lieber Kollege Wiesehügel.
Wenn Sie heute Ihren Antrag dennoch stellen, so
kann dies eigentlich nur eines bedeuten: Sie trauen Ihrer
eigenen Regierung nicht, und Sie befürchten, daß der
Kompromiß, der ausgehandelt wurde, nun auf dem Wege der bekannten Nachbesserungen weichgespült wird
oder ganz dem Spardiktat zum Opfer fällt.
Solche Bedenken finde ich überhaupt nicht grundlos,
wenn ich mir anschaue, in welch kurzer Zeit Sie Ihre
Position zum Schlechtwettergeld verändert haben. Ich
erinnere an Ihren Kollegen Dreßler, der neulich in der
„Frankfurter Rundschau“ sagte: Das Sein bestimmt das
Bewußtsein.
Sie mögen es völlig unmodern finden; wir als PDS
aber sind bei unserer Position geblieben, und zwar aus
gutem Grund: Wir halten es für falsch, das Schlechtwetterrisiko allein den ohnehin krisengeschüttelten Baubetrieben und vor allen Dingen den dort Beschäftigten
zu überlassen. Wir alle haben doch ein Interesse daran,
daß ganzjährig gebaut wird. Deshalb macht es durchaus
Sinn, das Schlechtwettergeld von der Bundesanstalt für
Arbeit bezahlen zu lassen. Das schafft zudem viel mehr
Sicherheit für die Beschäftigten.
Nun haben wir halt diesen Kompromiß auf dem
Tisch, nachdem der Kollege Wiesehügel in seiner Fraktion lange vergeblich Druck für eine Lösung gemacht
hat und mit eigenen Vorschlägen nicht durchgekommen
ist. Dabei können Sie doch so wunderschön analysieren.
Sie haben sich leider nicht durchgesetzt.
({1})
Ein Kompromiß, na gut, ist besser als nichts.
({2})
Allerdings - dies sage ich Ihnen auch - trägt er deutlich
die Handschrift der Arbeitgeber, wie ich ohnehin der
Meinung bin, daß Arbeitgeber zunehmend das Schrittmaß Ihrer Sozialpolitik bestimmen. Wo sie nicht mitgehen, geht gar nichts mehr. Das ist in der Tat nicht unser
Konzept.
So ist es denn auch gekommen, verehrter Kollege
Wiesehügel, daß die Flexibilisierungslösung, die Sie so
vehement bekämpft haben, in diesem Kompromiß dringeblieben ist. Das finde ich einfach schlecht, weil damit
Mißbrauch nach wie vor nicht ausgeschlossen ist.
Was passiert denn zum Beispiel mit den Kolleginnen
und Kollegen vom Bau, die während des Sommers
Überstunden über Überstunden zusammengeschuftet
haben, wenn der kleine Baubetrieb, bei dem sie beschäftigt sind, wegen Auftragsmangels, nicht wegen Witterungsbedingungen, pleite geht? Wenn Sie jetzt die Mittel für den sozialen Wohnungsbau noch in dreistelliger
Millionenhöhe kürzen, bereiten Sie dafür geradezu den
Weg.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was glauben Sie
wohl, was mit den 1,7 Prozent, die die Arbeitgeber in
die Umlage zahlen, passiert? Die liegen doch bei jeder
Lohnrunde - das wissen Sie viel besser als ich - auf dem
Tisch und drücken auf die Lohnerhöhung, auf das Urlaubsgeld und das Weihnachtsgeld. In der Konsequenz
heißt das - ganz zugespitzt -: Die Bauarbeiter zahlen bis
zur 100. Stunde das Schlechtwettergeld selbst.
Frau
Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluß.
Wir aber - ich
komme zum Schluß - wollen ihre solidarische Sicherung und legen deshalb unseren Gesetzentwurf vor. Sie
wollen mit Ihrem Kompromiß für ein bißchen Gutwetter
auf den Baustellen sorgen. Aber die Gewitter werden Sie
damit nicht verhindern können.
Vielen Dank.
({0})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/1215 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Wiedereinführung des
Schlechtwettergeldes auf Drucksache 14/39. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf
Drucksache 14/1230, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS abstimmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt worden. Nach der Geschäftsordnung entfällt eine weitere Beratung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Tagesordnungspunkte 7, 8 sowie 10 und 11 sind innerhalb der
Fraktionen so vorbereitet, daß die Reden zu Protokoll
gegeben werden sollen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall.
Dann haben wir noch den Tagesordnungspunkt 9 zu
beraten:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ächtung der Gewalt
in der Erziehung
- Drucksache 14/1247 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({0})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort als
erster Rednerin der Kollegin Margot von Renesse von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich denke, daß wir nun, in einer der
letzten Sitzungen des Bundestages in Bonn, einen entscheidenden und wahrscheinlich endgültigen Schritt tun,
um ein langes Stück Rechtsgeschichte endgültig zu beenden: von der „patria potestas“, der elterlichen - damals noch der väterlichen - Gewalt, über das gewohnheitsrechtliche elterliche Züchtigungsrecht und die - in
der letzten Legislaturperiode von uns gemeinsam beschlossene - Regelung im Kindschaftsrecht - durch die
die elterliche Gewaltausübung in der Tat um ein weiteres Stück verboten wurde - bis hin zur Abschaffung dieses gewohnheitsrechtlichen Züchtigungsrechts in ganz
unmißverständlicher Weise.
Lassen Sie mich von den technischen Einzelheiten
des Gesetzentwurfs absehen und nur vier Botschaften
nachdrücklich zum Ausdruck bringen.
Erste Botschaft. Wir machen die Anwendung elterlicher Gewalt gegen Kinder nicht strafbar. Sie ist es
nämlich schon.
({0})
Seit der Kindschaftsrechtsreform, die wir in, wie ich
finde, wirklich hervorragender Kooperation entwickelt
und verabschiedet haben, dürfen Eltern nicht mehr sagen
- manche tun es bis heute, weil sie es offensichtlich
nicht verstanden haben -, daß es noch niemals jemandem geschadet habe, wenn er einmal eine ordentliche
Tracht Prügel bekommen habe. Ja, sogar die elterliche
Ohrfeige, Herr Funke, ist strafbar.
({1})
Viele wissen es nicht, aber es ist schon jetzt so. Jenseits
dessen, was heute schon nach Strafgesetzbuch strafbar
ist, können und wollen wir nichts strafbarer machen, als
es schon ist.
Zweite Botschaft. Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf sicherstellen, daß auf elterliche Gewaltanwendung, auch wenn sie noch unterhalb der Ebene der
Strafbarkeit liegt, reagiert werden kann. Denn - jeder
Jurist weiß das - das Strafrecht ist ein sehr scharfes und
darum auch sehr uneffektives Recht. Welcher Familienrichter wird denn schon, wenn die Ehegatten sich in
einem Ehescheidungsverfahren gegenseitig vorwerfen,
ihre Kinder geohrfeigt zu haben, oder wenn die ehemaligen Schwiegereltern diesen Vorwurf erheben - dort
oder in Sorgerechtsverfahren ist eigentlich der Punkt,
wo so etwas ans Licht kommt -, das der Staatsanwaltschaft übersenden, und welcher Staatsanwalt wird daraufhin schon ein Ermittlungsverfahren eröffnen? Das
Ergebnis der ausschließlichen Ahndung von elterlicher
Gewaltanwendung als Straftat kann sein, daß gerade
nichts passiert.
Meine Damen und Herren, es ist für das Aufwachsen
von Kindern ungeheuer gefährlich, wenn sie nicht nur
Zeugen, sondern auch Opfer erfolgreicher, ungeahndeter
Gewalt werden. Das ist das Schlimmste, was man heranwachsenden Kindern antun kann.
({2})
Angemessene Antworten sind aber gerade in diesem
Bereich vielfach nicht auf der Anklagebank zu finden.
Deswegen brauchen wir viel mehr Hilfe, mitunter auch
Grenzziehung für Eltern. Das wollen wir nicht bestreiten: Auch Eltern müssen manchmal vom hohen Roß geholt werden, auf dem sie kraft körperlicher und sozialer
Überlegenheit ihren Kindern gegenüber zu sitzen pflegen. Auch das gibt es: Das darf ich doch; wer kann mich
daran hindern? - Jawohl, es kann daran gehindert werden. Aber statt auf die Anklagebank gehören viele
Eltern, die ihre Kinder ja lieben, in die Erziehungsberatung. Manchmal genügt auch eine größere Wohnung.
Dritte Botschaft. Wir wollen die elterliche Gewaltanwendung sanktionieren und helfen, daß sie nicht mehr
geschehen muß. Aber wir wollen, billigen und wünschen, daß Eltern ihren Kindern in der Erziehung Grenzen setzen und diese Grenzen durchsetzen. Die elterliche Gewaltanwendung ist nicht das einzige Mittel der
Erziehung; das ist der häufig anzutreffende Irrtum, dem
es entgegenzutreten gilt. Erziehung bedeutet vielmehr
die Internalisierung, das In-sich-Aufnehmen von Wertsetzungen, die für das weitere Leben von Kindern und
ihre Umgebung von großem Gewicht sind. Das gelingt
am besten, wenn Grenzen von Menschen gesetzt werden, denen die Kinder vertrauen und die sie lieben. Dies
wollen wir, und dazu gehören mitunter auch Strafen
- das sage ich klar und deutlich -, aber eben nicht das
Ausspielen körperlicher und sozialer Überlegenheit,
durch die den Kindern Wertsetzungen unter gleichzeitiger Demütigung vermittelt werden. Wenn das geschieht,
gehen diese Wertsetzungen nicht ins Innere.
({3})
Vierte Botschaft. Wir sind für elterliche Spontaneität. Ich möchte keine Eltern, die Dienst nach Vorschrift
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
machen. Die schlimmste Zeit in meinem Leben und
wahrscheinlich auch im Leben meiner Kinder war, als
ich glaubte, ich müßte mich durch einen halben Kilometer Erziehungsliteratur fressen, bevor ich meinen
Kindern überhaupt gegenübertreten dürfte. Spontaneität
von Eltern, die ihre Kinder lieben, schließt elterliches
Versagen nicht aus, ja ich fürchte, sie schließt es ein. Ich
bekenne mich in kollegialer Mitschuld zu dem, was mitunter auch meinen Kindern durch mich widerfahren ist.
Aber es muß möglich sein, daß Eltern wissen, was gut
und erlaubt ist. Es muß möglich sein, daß auch Eltern ihre Kinder um Verzeihung bitten, wenn sie - das ist nicht
auszuschließen; das widerfährt uns immer wieder - auf
Grund von Überforderung in einer Situation zu einem
falschen Mittel greifen. Es ist nötig, daß die Eltern in
diesen Fällen die Würde ihrer Kinder wiederherstellen.
Eltern müssen mehr tun als das, was im Gesetz steht.
Wir können gar nicht alles, was Eltern für ihre Kinder
tun sollten, in die Gesetze hineinschreiben. Aber darum
dürfen wir elterliches Versagen nicht immer mit den
Mitteln des Verbotes oder der Bestrafung ahnden. Vielfach reicht Hilfe aus; denn es gibt selten Eltern, die ihren
Kindern feindlich gesonnen sind.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
freue mich, mit Ihnen gemeinsam eine weitere Runde
der Kindschaftrechtsreform zu bestreiten. Es war mir ein
Vergnügen in der letzten Legislaturperiode. Lassen Sie
uns wieder über Formulierungen streiten! Ich denke, in
unseren Absichten werden wir uns einig sein.
({4})
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Fischbach von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Frau von Renesse, wir können das, was Sie gerade gesagt haben, wirklich nur unterstreichen und unterschreiben. Inhaltlich sind wir einer
Meinung. Aber es gibt noch einige Fragen zum technischen Verfahren, wenn das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung umgesetzt wird.
Wir beraten heute zum erstenmal über das Gesetz zur
Ächtung der Gewalt in der Erziehung. Es geht um Gewalt gegen Kinder und auch um das Wohl der Kinder.
Zum Wohl des Kindes gehören seine körperliche und
auch seine seelische Unversehrtheit. Jede Form der Körperverletzung und der Mißhandlung ist ein unverzeihlicher Eingriff in die Personalität und Würde des Kindes.
Körperverletzungen gegenüber Kindern mit dem elterlichen Züchtigungsrecht zu rechtfertigen ist nach dem
von uns in der letzten Legislaturperiode verabschiedeten Kindschaftrechtsreformgesetz nicht mehr möglich.
Durch die Verabschiedung dieses Gesetzes in der Bundestagssitzung vom 25. September 1997 hat es bereits
eine entscheidende Veränderung des § 1631 Abs. 2 BGB
gegeben. Die damals geltende Regelung, daß entwürdigende Erziehungsmaßnahmen unzulässig sind, wurde
konkretisiert und dadurch ergänzt, daß unter „entwürdigenden Erziehungsmaßnahmen“ besonders körperliche
und seelische Mißhandlungen fallen. Damit wurde eine
entscheidende Veränderung des bis dahin geltenden Erziehungsrechts der Eltern vorgenommen, obwohl - das
gebe ich auch zu - in dem über 500 Seiten starken Gesetzentwurf zum Kindschaftrechtsreformgesetz eine Änderung des § 1631 ursprünglich nicht vorgesehen war.
Eine in der Politik seit Jahren umstrittene, aber von Kindesrechtlern lange geforderte Präzisierung wurde mit der
Verabschiedung dieses Gesetzes verwirklicht und fand
damit Eingang in das deutsche Recht.
Gleichwohl wurden auch bei der dann gefundenen
Lösung, dem jetzt geltenden Recht, Bedenken an der befürchteten Kriminalisierung von „Klapsen“ und damit
auch der Eltern als Täter angemeldet. Der bloße „Klaps“
dürfte nicht den Tatbestand der Körperverletzung erfüllen, wenn er wirklich nicht mehr als ein einfacher
„Klaps“ ist. Insoweit fehlt die Definition für die in § 223
StGB vorausgesetzten üblen, unangemessenen Behandlungen. Aber alles, was darüber hinaus geht, soll nunmehr ganz bewußt unzulässig und damit gegebenenfalls
auch strafrechtlich sanktionsfähig sein.
In Ihrem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf verweisen
Sie, meine Damen und Herren der Regierungskoalition,
allerdings selber darauf, daß Eltern bereits heute auf
Grund der bestehenden gesetzlichen Regelung in Fällen
von Körperverletzungen gegen ihre Kinder strafrechtlich
zur Verantwortung gezogen werden können. Eine Ausweitung der Strafbarkeit soll es nicht geben. Ich zitiere:
Nicht die Strafverfolgung oder der Entzug der
elterlichen Sorge dürfen deshalb in Konfliktlagen
im Vordergrund stehen, sondern Hilfen für die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Eltern.
({0})
Einige Personen werfen die Frage auf, warum die
Regelung bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine weitere
Änderung erfahren soll, nachdem die Regelung erst zum
1. Juli 1998 in Kraft getreten ist und damit gerade einmal ein Jahr lang Geltung erlangt hat. Ich persönlich
halte diese Fragestellung allerdings deshalb nicht für berechtigt, weil mit ihr verkannt wird, daß es auch bereits
anläßlich der Beratungen zum Kindschaftsrechtsreformgesetz im Rahmen der Berichterstattergespräche mehrere Dutzend Vorschläge für Formulierungen des § 1631
Abs. 2 gegeben hat. Wir haben uns nicht leicht getan.
Somit war nicht nur eine Lösung richtig, sondern mehrere. Wir haben uns auf eine geeinigt, von der wir
glaubten, sie sei die beste.
Daß dieses Suchen nach einer richtigen Formulierung
auch die SPD-Bundestagsfraktion erfaßt hat, kann man
dem Umstand entnehmen, daß die SPD noch im September 1997 im Plenum des Deutschen Bundestages beantragte, eine Formulierung in § 1631 aufzunehmen, die
lautete: „Kinder sind gewaltfrei zu erziehen“. Gegen
diese Formulierung, daß Kinder gewaltfrei zu erziehen
sind, wurde damals von unserer Seite der Einwand der
Unbestimmtheit entgegengehalten. Der Begriff der gewaltfreien Erziehung ist mißverständlich, er schafft UnMargot von Renesse
klarheit und hilft damit den Eltern und vor allen Dingen
den Kindern in der Tat nicht.
({1})
Die jetzt von der Koalition eingebrachte Formulierung
„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.“
weicht daher deutlich von der ursprünglich von der SPD
beantragten Formulierung aus dem Jahr 1997 ab.
Aber genau diese neue Formulierung des § 1631
Abs. 2 Satz 1 BGB, daß Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben, wirft eine Reihe von Fragen auf.
Wie soll denn im Konkreten das Recht der Kinder auf
gewaltfreie Erziehung im Streitfalle rechtlich durchgesetzt werden? Von wem soll im Namen des Kindes das
Recht auf gewaltfreie Erziehung wahrgenommen werden? Droht hier nicht möglicherweise ein neues Konfliktpotential im Verhältnis zwischen Kindern und Eltern, obwohl konfliktschonendere Modelle der Mediation einen besseren Erfolg bringen könnten? Wird durch
den Rechtsanspruch auf gewaltfreie Erziehung durch zusätzliche Prozesse der Konfliktstoff zwischen Eltern und
Kindern auf eine neue, nicht vertretbare „Qualitätsstufe“
verlagert? All diese berechtigten Fragen müssen im
Rahmen der Beratungen zu dem Entwurf eines Gesetzes
zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung geprüft und
abgewogen werden. Diesbezüglich ist es sicher sinnvoll,
im Rahmen einer eigenen Anhörung Vertreter der Praxis zu diesem Komplex anzuhören.
Die jetzt geltende Formulierung in § 1631 Abs. 2
BGB, daß entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Mißhandlungen,
unzulässig sind, soll auf Grund der vorliegenden Gesetzesinitiative nunmehr durch die Formulierung ersetzt
werden, daß körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig sind. Materiell-rechtlich bedeutet diese beabsichtigte
neue Formulierung nach meiner festen Überzeugung
keine Veränderung gegenüber der jetzt bestehenden
Rechtslage. Dies wird auch in der Begründung zu dem
Gesetzentwurf von den Koalitionsfraktionen selber eingestanden.
Ich räume jedoch ein, daß die Formulierung „Körperliche Bestrafungen … sind unzulässig.“ ein deutlicheres
Signal als die zur Zeit geltende Formulierung gegenüber
erziehungsberechtigten Eltern darstellt. Insofern hat die
diesbezüglich beabsichtigte Änderung auf den ersten
Blick einen gewissen Charme, den ich nicht verkennen
will. Wie jedoch der Begriff der „seelischen Verletzungen“ terminologisch auszulegen ist, muß im Rahmen der
sicher notwendigen Anhörung mit Fachleuten erörtert
werden.
Schließlich ist in den Gesprächen mit den Fachleuten
des weiteren zu prüfen, ob die beabsichtigte Änderung
des Achten Buches Sozialgesetzbuch ausreichend ist,
um den Inhalt der neuen Formulierung hinsichtlich des
Erziehungsrechts der Eltern ausfüllen zu können. Im
Hinblick auf die Zielsetzung des Entwurfs ist es sicher
sinnvoll, die allgemeine Förderung der Erziehung in der
Familie ausdrücklich um solche Beratungsangebote zu
ergänzen, die Eltern den Weg zu einem gewaltfreien
Umgang mit ihren Kindern in Konflikt- und Krisensituationen aufzeigen.
({2})
Ob die gefundene Formulierung Ihres Gesetzentwurfs
dieses Ziel erreicht, muß jedoch bezweifelt werden.
Durch die beabsichtigte flankierende Ergänzung des
Kinder- und Jugendhilfegesetzes um Angebote zur Förderung der gewaltfreien Erziehung fallen aber am Ende
vermehrte Kosten bei den Jugendämtern an. Diese
Mehrkosten sind unabwendbar, da anfallende Beratungsgespräche sicher auch einen vermehrten Personalaufwand zur Folge haben. Die damit verbundenen Kosten müßten vor allen Dingen die Kommunen und Kreise tragen. Hier bedarf es noch einer Erörterung mit den
kommunalen Spitzenverbänden über die Frage, wie hoch
im einzelnen dieser Mehraufwand beziffert wird und wie
er finanziert werden soll.
Aus all meinen Ausführungen können Sie entnehmen,
daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Reihe von
Fragen geklärt wissen will, die ich im Rahmen meiner
kurzen Ausführungen aufgezeigt habe. Das Recht auf
gewaltfreie Erziehung im BGB gewährleistet ja nicht,
daß jedes Kind vor Prügel bewahrt wird. Dies stellte bereits Rita Grießhaber am 25. September 1997 fest. Gewalt muß schon frühzeitig aus dem Kinderzimmer verbannt werden. Deshalb muß in Deutschland ein Diskussions- und Bewußtseinsbildungsprozeß in Gang gesetzt werden, durch den klar wird, daß Gewalt, sowohl
körperliche als auch seelische, nicht Gegenstand von
und vor allen Dingen auch kein Mittel der Erziehung
sein kann. Ein Rechtsanspruch allein hilft leider auch
nicht weiter.
({3})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ekin Deligöz von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr
Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gewalt gegen Kinder ist ein ernstes Thema, das niemanden
von uns kalt läßt. Bei Gewalt von Kindern ist das aber
ähnlich. Ich denke an Jugendliche, die auf der Straße
ältere Menschen überfallen, und an Kinder, die auf
Klassenkameraden und sogar auf Lehrer losgehen. Uns
allen steckt noch der Fall Mehmet mit seinen
60 Straftaten tief in den Knochen. Ein Kind, das schwere
Straftaten zu verantworten hat, erschreckt, schockiert
und lähmt. Viele, auch viele Politikerinnen und Politiker, überspielen die bei ihnen enstandene Verunsicherung dadurch, daß sie nach harten Maßnahmen rufen:
nach Sanktionsmitteln, nach Recht und Gerechtigkeit
und nach Mitteln, die zur Kriminalisierung dieser Kinder und ihrer Eltern führen.
Sie verdrängen dabei aber die Ursachen dafür, warum
ein Kind so wird. Es ist nämlich längst erwiesen: Körperliche und seelische Gewalt gegen Kinder ist nicht nur
inhuman, sondern sie schlägt auch direkt in unsere Gesellschaft zurück.
({0})
Die meisten Gewalt- und Sexualverbrecher waren in
ihrer Kindheit oft, sehr oft Opfer brutalster Gewalt direkt zu Hause. Wenn wir Kinder besser vor Gewalt
schützen, tun wir das nicht nur für unsere Kinder, sondern auch für uns, die wir in dieser Gesellschaft zusammenleben wollen. Daß Täter oft auch Opfer waren und
später andere zu Opfern machen, ist ein schrecklicher
Kreislauf, den wir mit diesem Gesetz durchbrechen
wollen.
({1})
Das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung ist
dabei ein wichtiges rechtspolitisches Instrument. Andere
Länder, vor allem die skandinavischen Staaten, haben
uns dabei schon eine ganze Menge vorgemacht, woraus
wir Erfahrungen sammeln können. Gewalt gegen Kinder
ist dort ganz erheblich dadurch zurückgegangen, daß die
Stellung der Kinder aufgewertet wurde, eine massive
öffentliche Kampagne durchgeführt wurde und Aufklärung stattgefunden hat. Dort hat man außerdem auf die
Kriminalisierung der Eltern bewußt verzichtet.
Die rotgrüne Koalition setzt mit ihrer Initiative den
Schlußpunkt unter eine Debatte, welche die bundesdeutsche Öffentlichkeit schon seit einem Vierteljahrhundert
bewegt. Mit dem Gesetz werden zahlreiche praktische
Probleme gelöst, die mit der gegenwärtigen Rechtslage
verbunden sind.
Schwere Gewalttaten waren schon bisher strafbar
- das haben Sie bereits verdeutlicht -, aber bei unregelmäßiger Gewaltanwendung, die nicht gleich zu
schwerer Körperverletzung führte, kam das differenzierte Instrument der Jugendhilfe oft nicht richtig zur
Geltung. Wenn strafrechtliche Sanktionen aus Kindeswohlerwägungen unterlassen wurden, blieb oft nur das
ebenfalls fatale Nichtstun, das Zuschauen oder - noch
schlimmer - das Wegschauen übrig.
({2})
Das neue Gesetz weitet die Strafbarkeit nicht aus. Es
kriminalisiert die Familien nicht. Aber es stellt ganz
deutlich klar: Prügeln von Kindern ist immer ein Unrecht, immer eine Verletzung der Würde dieser Kinder. Es gibt keine Rechtfertigung für Gewalt gegen Kinder; es gibt auch keine erzieherische Rechtfertigung dafür.
({3})
Das neue Gesetz füllt hier eine riesige Lücke im Kinderschutz aus. Das Recht auf gewaltfreie Erziehung soll
frühzeitig sensibilisieren und eröffnet Eltern wie Kindern
das Recht auf ein breites Hilfeangebot. Die Zielrichtung
von Beratung wird auch um das Aufzeigen von gewaltfreien Konfliktlösungen erweitert. Da Gewalt immer zunächst im kleinen beginnt, können Kinder so früher und
damit effektiver vor Gewalt geschützt werden.
Wichtig auch: Die Träger des Rechts auf gewaltfreie
Erziehung sind die Kinder. Sie werden also rechtlich
nicht mehr als Objekte von Erziehungsmaßnahmen,
sondern als Träger von Grundrechten definiert.
({4})
Nun ist es unsere Aufgabe, uns trotz der schwierigen
Haushaltslage dafür einzusetzen, daß genügend Mittel
dafür zur Verfügung gestellt werden, damit wir eine öffentliche Kampagne starten können, damit wir in der
Aufklärung der Gesellschaft fortschreiten können und
damit wir Prävention und Beratung den Vorrang geben. Das müssen uns unsere Kinder wert sein; das sind
wir ihnen schuldig.
Nicht nur eine öffentlich wirksame Kampagne, sondern auch die konstruktive Zusammenarbeit in der Kinderkommission, in den Ausschüssen und in den Anhörungen sind hier angesagt. Ich finde es sehr gut, Frau
Kollegin Fischbach, daß gerade Sie die Bereitschaft dazu signalisiert haben.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Rainer Funke von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau von Renesse hat ja schon dargestellt, daß wir in der letzten Legislaturperiode wesentliche Verbesserungen im Kindschaftsrecht eingeführt
haben. Trotzdem ist in der Tat das Thema Gewalt in der
Familie und vor allem Gewalt gegen Kinder ein virulentes Problem, wie auch die Untersuchungen von Pfeifer und anderen bezeugen.
Sosehr ich den Ansatz des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen teile, sosehr ist mir aber auch bewußt,
daß durch gesetzliche Maßnahmen allein die Gewalt in
der Familie nicht beseitigt werden kann. Vielmehr bedarf es gesellschaftlicher Aufklärung und Hilfe vor
allem bei schwierigen Familienverhältnissen.
Ob der Ruf nach dem Staat, der ein wenig in Ihrem
Gesetzentwurf anklingt, der Ruf nach Sozialarbeitern
und dem Hineinwirken des Staates in die Familie der
richtige Weg ist, kann sehr wohl bestritten werden.
Vielmehr sollten Ärzte und Lehrer, aber auch Sportfunktionäre und Trainer - also das gesamte soziale Umfeld der Kinder - darauf geschult werden, daß sie ein
wachsames Auge auf schwierige soziale und familiäre
Situationen werfen.
({0})
Dabei sind wir uns sicherlich in diesem Hause alle
einig, daß Kinder gewaltfrei zu erziehen sind und daß
sie einen Anspruch darauf haben. Diesen Anspruch haben Sie ja in Ihrem Gesetzentwurf formuliert. Der Teufelskreis muß durchbrochen werden, der heißt: Kinder,
die körperlich und seelisch gezüchtigt worden sind,
werden in Zukunft ihre eigenen Kinder körperlich und
seelisch züchtigen. Auch diese Tatsache ist empirisch
festgestellt und wurde von Ihnen, Frau Kollegin Deligöz, sehr richtig ausgeführt. Unsere Gesellschaft muß
gewaltfrei erzogen werden, denn nur so kann auch eine
innergesellschaftliche Befriedung erfolgen.
Deswegen stimmt die F.D.P. diesem Gesetzentwurf
grundsätzlich zu. Wir werden uns an den Beratungen
intensiv beteiligen. Insbesondere muß der Begriff „Gewalt in der Familie“ klarer definiert werden, zumindest
durch ausführliche Begründungen und durch entsprechende Beispiele, damit auch bei den Auseinandersetzungen, die später zweifellos vor Gericht ausgefochten
werden und ausgefochten werden müssen, klare Definitionen und Beispiele vorhanden sind.
Dabei sollten auch die internationalen Entwicklungen, zum Beispiel in den skandinavischen Ländern, aber
auch in Österreich, untersucht und genutzt werden, genauso wie die möglicherweise vorhandenen Erfolge der
UN-Kinderkonvention, die der damalige Außenminister
Dr. Kinkel hier im Bundestag mit umgesetzt hat. Er hat
dafür gekämpft, daß sie nicht nur in der UNO, sondern
auch in diesem Hohen Hause durchgesetzt und beschlossen worden ist.
({1})
Ich glaube, daß wir da auf dem richtigen Wege sind.
Vielen Dank.
({2})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Rosel Neuhäuser von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Kinderkonvention
verpflichtet die Vertragsstaaten, das Kind vor jeder
Form körperlicher und geistiger Gewaltanwendung zu
schützen. Der vorliegende Gesetzentwurf versucht, diese
Vorgabe in geltendes nationales Recht umzusetzen.
Wichtig und aus meiner Sicht auch gut ist, daß das Gesetz eindeutig festlegt, daß das Kind als eigenständige
Person die Achtung seiner Würde auch von den Eltern
verlangen kann.
({0})
Dieser Blick auf das Kind als Subjekt und Träger von
Rechten und Pflichten ist in Deutschland leider noch
nicht die Regel. Wer in seiner Kindheit selber Gewalt
und Kränkung durch seine Eltern erfährt, und sei es zum
Zwecke der Vermittlung von Gut und Böse, wird es
später als Erziehender schwer finden, auf die Anwendung solcher Methoden zu verzichten.
Dieser Kreislauf von Gewalt muß aus unserer Sicht
unterbrochen werden. Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern - das ist eben schon angeklungen haben gezeigt, daß entsprechende gesetzliche Regelungen, verbunden mit intensiver Aufklärungs- und Informationsarbeit, die auch zu diesem Gesetz noch notwendig ist, durchaus Erfolg haben können. Die Intention der
Autoren, durch eine gesetzliche Vorgabe gesellschaftliche Normen und letztendlich Bewußtsein zu verändern,
findet unsere Unterstützung.
Allerdings dürfen wir bei allem guten Willen nicht
aus dem Blick verlieren, daß es mit dem Verbot von
Gewalt allein nicht getan ist. Vor allem sollten wir die
Ursachen von Gewalt hinterfragen. Sicher spielen die
eigenen Erfahrungen und tradierte Anschauungen eine
wichtige Rolle. Aber wie oft sind in der Gegenwart
auch Hilflosigkeit, Angst und Ratlosigkeit Auslöser
für ein Erziehungsverhalten, das die Eltern letzten Endes so nicht wollen? Wieviel von dem Druck, den unsere Gesellschaft gerade auf Mütter und Väter ausübt,
die sich zum Beispiel an den strukturellen Rücksichtslosigkeiten aufreiben, landet letztendlich bei den Kindern, die sich als schwächstes und am meisten abhängiges Glied in der Kette am wenigsten wehren können?
Ich meine, wenn wir von gewaltfreier Erziehung sprechen, sollten wir nicht aus dem Blick verlieren, wieviel
strukturelle und materielle Gewalt unsere Gesellschaft
selbst ausübt.
In unserem Antrag zur Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz hatten wir in der letzten Legislaturperiode die Forderung nach einem Recht der
Kinder auf ein gewaltfreies Leben formuliert.
({1})
Das ist letztendlich das Ziel, auf das wir zusteuern sollten, und ich denke, es gibt keinen Grund, darüber zu lachen. Ein Schritt auf diesem Weg ist der Versuch, Kindern das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung zu geben.
Gleichzeitig sollte aber auch alles unternommen werden,
um das Leben mit Kindern zu fördern und zu erleichtern. Dabei stehen zum Beispiel eine sozial gerechte
Umgestaltung der Familienbesteuerung, innovative Regelungen für die bessere Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kindererziehung und verbesserte öffentlich geförderte Betreuungsmöglichkeiten für Kinder ganz oben
auf der Dringlichkeitsliste.
Wir werden über den vorliegenden Gesetzentwurf in
den Ausschüssen auch mit Experten weiter beraten. Ich
hoffe, daß uns am Ende ein Gesetz gelingt, das Kinderrechte stärkt und einen Beitrag zu weniger Gewalt in unserer Gesellschaft leistet.
Ich möchte noch einen Satz zu den Fragen der Erziehung, die vorhin angesprochen worden sind, sagen. Makarenko hat einmal gesagt: Erziehung ist Vorbild.
({2})
- Ja, Liebe und Vorbild. Ich denke, das sollte in der
weiteren inhaltlichen Arbeit zu diesem Gesetzentwurf
im Mittelpunkt stehen.
Danke.
({3})
Ich gebe
jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Eckhart
Pick das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Ächtung und Bekämpfung der Gewalt
in der Erziehung hat sich die Regierung bereits in ihrem
Regierungsprogramm und in der Koalitionsvereinbarung
zum Ziel gesetzt. Der heute zu beratende Gesetzentwurf
will dieses Projekt umsetzen. Im BGB soll das Recht der
Kinder auf gewaltfreie Erziehung verankert werden.
Die Forderung nach gewaltfreier Erziehung ist übrigens alt. Wir haben über sie bereits im Zusammenhang
mit der ersten Reform des Familien- und Kindschaftsrechts in den 70er Jahren
({0})
sowie im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform im vergangenen Jahr diskutiert.
Aus wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten
Jahre ist bekannt, daß körperliche Gewalt in Familien
weit verbreitet ist. Gewalt bedeutet dabei nicht der kleine Klaps, sondern Prügel und echte Mißhandlungen. Es
kommt hinzu: Die Gewalt in den Familien nimmt nicht
ab. Sie ist bei Familien, in denen Streß und Spannungen
vorhanden sind, sehr viel größer als bei Familien, in denen sich Probleme mit Alkohol, Drogen, der Ehe oder
den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht oder nicht so
deutlich zeigen.
Zugleich - das ist mehrfach angesprochen worden ist wissenschaftlich belegt, daß Kinder, die in ihrer
Familie schwer geschlagen oder mißhandelt worden
sind, später vermehrt selbst gewalttätig werden, und
zwar zwei- bis dreimal so häufig wie Kinder, die ohne
Gewalt erzogen worden sind. Um diesen Kreislauf der
Gewalt zu unterbrechen, müssen wir gesetzgeberisch
eingreifen.
Wer sich die neueste Beilage der Wochenzeitung
„Das Parlament“ anschaut, der findet dort eine Zusammenfassung der Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen zu diesem Thema. Man kann sie jedem von uns
zur Lektüre empfehlen.
Der bisherige § 1631 Abs. 2 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs verhindert nicht die Anwendung von Gewalt als Erziehungsmittel. Er erklärt entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Mißhandlungen, für unzulässig. Dabei ist der dem
Strafrecht entlehnte Begriff der „körperlichen Mißhandlung“ weit auszulegen, so daß schon eine einzelne
Ohrfeige ausreichen kann. Allerdings werden körperliche
Erziehungsmaßnahmen nach wie vor als „pädagogisch
mögliche Erziehungsreaktionen“ angesehen. Auch wird
der Mißhandlungsbegriff in der Alltagssprache sehr viel
enger aufgefaßt als in der Rechtssprache. Ein „Mißhandlungsverbot“, wie es das geltende Recht enthält, ist deshalb nicht geeignet, in der Öffentlichkeit zu verdeutlichen,
daß die Ohrfeige oder eine Tracht Prügel unzulässig sind.
({1})
Der Gesetzentwurf schafft hier Klarheit. Er verbrieft
das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung und beschreibt beispielhaft die verbotenen Handlungen.
Eines ist mir in diesem Zusammenhang wichtig: Mit
diesem Entwurf soll die Familie nicht kriminalisiert
werden. Zwar ist die körperliche Mißhandlung eines
Kindes durch seine Eltern eine Straftat, die nicht mehr
durch das früher anerkannte Züchtigungsrecht der Eltern
gerechtfertigt wird. In Konfliktlagen dürfen allerdings
nicht Strafverfolgung oder Entzug der elterlichen Sorge
im Vordergrund stehen, sondern Hilfen für die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Eltern. Aus diesem Grund
sieht der Gesetzentwurf eine flankierende Regelung im
Kinder- und Jugendhilferecht vor. Jugendhilfe soll den
Eltern künftig Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen
in der Familie gewaltfrei gelöst werden können.
Meine Damen und Herren, eine Gesetzesänderung,
die nicht im Bewußtsein der Bevölkerung verankert ist,
wird den angestrebten Erfolg nicht erreichen.
Es wäre sinnvoll, das Vorhaben trotz der Sparzwänge mit einer breitangelegten Informationskampagne
zu begleiten; dies ist schon ausgeführt worden. Schweden hat damit gute Erfahrungen gemacht. Dort wurde
schon im Jahr 1979 die Gewalt gegen Kinder verboten.
Eine Kampagne hat diese Regelung in weiten Teilen
der Bevölkerung bekanntgemacht, so daß im Jahre
1981 etwa 99 Prozent der Schweden die Neuregelung
kannten. Seitdem ist der Gewaltpegel dort insgesamt
gesunken; er liegt heute weit unter dem Niveau in
Deutschland.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß es auch in
Deutschland zu einer Bewußtseinsänderung kommen
wird. Gewalt darf kein Erziehungsmittel sein. Es ist für
unsere Gesellschaft von großer Bedeutung, schon in der
Familie mit dem Leitbild der gewaltfreien Erziehung
Ernst zu machen.
Vielen Dank.
({2})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/1247 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um etwas Geduld. Wir müssen noch zu den TagesordnungsRosel Neuhäuser
punkten, zu denen die Reden zu Protokoll gegeben worden sind, die Überweisungen beschließen.
Wir kommen zunächst einmal zu Tagesordnungspunkt 7:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Paul
Laufs, Dr. Christian Ruck, Dr. Klaus W. Lippold
({0}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Reaktor-Sicherheitskommission mit unabhängigen, fachlich hoch qualifizierten Experten
besetzen
- Drucksache 14/1010 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
({1})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Haushaltsausschuß
Hier wird interfraktionell die Überweisung der Vor-
lage auf Drucksache 14/1010 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.*)
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Birgit Homburger, Hildebrecht Braun
({2}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Erarbeitung einer internationalen Bodenschutzkonvention
- Drucksache 14/983 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
({3})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Auch hier wird die Überweisung der Vorlage - auf
Drucksache 14/983 - an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.**)
------
*) Zu Protokoll gegebene Reden siehe Anlage 5
**) Zu Protokoll gegebene Reden siehe Anlage 6
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 10:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung
fälliger Zahlungen
- Drucksache 14/1246 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({4})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Hier wird interfraktionell die Überweisung des Ge-
setzentwurfs auf Drucksache 14/1246 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.*)
Wir kommen schließlich zu Tagesordnungspunkt 11:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Manfred Grund, Dr. Michael Luther, Hartmut Büttner
({5}), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des
Vertriebenenzuwendungsgesetzes ({6})
- Drucksache 14/1009 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({7})
Finanzausschuß
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Hier wird interfraktionell die Überweisung des Ge-
setzentwurfs auf Drucksache 14/1009 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall. Dann ist auch diese Überweisung so beschlos-
sen.**)
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 1. Juli 1999,
9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.